Religion: Aspekte ihres Begriffs und ihrer Theorie in der Neuzeit 9783666567049, 3525567049, 9783525567043


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Religion: Aspekte ihres Begriffs und ihrer Theorie in der Neuzeit
 9783666567049, 3525567049, 9783525567043

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Studium Systematische Theologie

Band 1

Vandenhoeck & Ruprecht

Gunther Wenz

Religion Aspekte ihres Begriffs und ihrer Theorie in der Neuzeit

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 3-525-56704-9

© 2005 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Text & Form, Garbsen Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort ......................................................................................................

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Religion, Offenbarung, Kirche: Fundamentaltheologische Vorstudien zur evangelischen Glaubenslehre .................................................................

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Einleitung ...................................................................................................

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1. Zur religiösen Lage der Gegenwart .....................................................

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2. Funktion der Religion .........................................................................

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3. Religion der Gesellschaft .....................................................................

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4. Religion als neuzeitspezifischer Begriff ................................................

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5. Konfessionalisierung und Religionsfriede ........................................... 104 6. Orthodoxiekrise und Vernunftreligion ................................................ 118 7. Kritik rationaler Metaphysik ............................................................... 131 8. Religion als Beförderungsmittel der Moral .......................................... 150 9. Denken des Absoluten ........................................................................ 166 10. Vom Kunstschönen zur Religion ......................................................... 187 11. Erhebung des Endlichen zum Unendlichen ........................................ 197 12. Jenseits von Metaphysik und Moral .................................................... 213 13. Religionstheologie ............................................................................... 225 14. Religionskritische Strömungen ........................................................... 240 15. Religion und Offenbarung .................................................................. 258 Register ....................................................................................................... 272

Vorwort

Ob es wünschenswert ist, wie Gott in Frankreich zu leben, wird inzwischen von dortigen Theologen bezweifelt. Dies mag mit der Geringschätzung ihres Faches in der Öffentlichkeit zu tun haben. Ein Kenner der Szene hat unlängst in München erklärt, das französische Publikum verlange derzeit wohl ab und an religiöse, kaum je aber theologische Literatur: „wenn man ein Buch verkaufen will, tut man besser daran, von Papst Johannes Paul II. zu sprechen als von Thomas von Aquin oder lieber von Padre Pio als von Tertullian. Einträglicher ist es, sich für die Schutzengel als für die Dreifaltigkeit zu interessieren! Das alles führt dazu, dass es heutzutage für einen Theologen sehr schwierig geworden ist, ein Buch zu veröffentlichen, und noch schwieriger, Leser dafür zu finden.“ (J. Werckmeister, Warum ist die französische Theologie in Frankreich fast stumm geworden? Armut und Reichtum der Theologie in Frankreich, in: zur debatte. Themen der Katholischen Akademie in Bayern 23 [2004], 7f., hier: 8) Für die akademische Theologie in Deutschland dürfte sich die Situation nicht viel anders darstellen. Um so bemerkens- und dankenswerter ist es, wenn sich Verleger Abraham zum Vorbild nehmen, der Röm 4,18 zufolge wider alle Hoffnung auf Hoffnung hin geglaubt hat. „Contra spem in spem“: Unter diesem Motto wird mit einer Trilogie fundamentaltheologischer Studien ein auf zehn Bücher angelegtes Sammelwerk begonnen. Die drei Eingangsbände erörtern im Kontext der neueren evangelischen Theologie in Deutschland Aspekte des modernen Begriffs der Religion und ihrer Theorie, offenbarungstheologische Problemkonstellationen im 19. und 20. Jahrhundert sowie Grundzüge reformatorischer Ekklesiologie in ökumenischer Absicht. Die Folgebände sollen Gotteslehre, Christologie und Pneumatologie sowie Schöpfungslehre, Hamartiologie, Soteriologie und Eschatologie behandeln. Geplant ist folgende Traktatensequenz: Religion, Offenbarung, Kirche; Gott, Christus, Geist; Schöpfung, Sünde, Versöhnung, Vollendung. Der Gesamtkonzeption gemäß sind die Traktate und ihre Unterabschnitte so gestaltet, dass Bedürfnissen materialer Information und systematischer Organisation gleichermaßen Rechnung getragen wird. Im Interesse rascher Orientierung sollen die einzelnen Abschnitte jeweils für sich lesbar sein. Dies nötigt zu gelegentlichen Wiederholungen und hindert insbesondere zu Projektbeginn an einer systematischen Gedankenführung von umstandsloser Geradlinigkeit, wie sie von regelrechten Prolegomena erwartet werden darf. Ihre Funktion durch die Eingangstrilogie zu erfüllen, ist nicht intendiert. Geboten werden vielmehr Vorstudien zu Themen, die für eine aktuelle evangelische Glaubenslehre elementar und grund-

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Vorwort

legend sind. Dabei wird namentlich im Ekklesiologietraktat der multiperspektivischen Wahrnehmung konfessionstraditioneller und ökumenischer Aspekte einstweilen der Vorzug gegeben vor der klassischen Weise dogmatischer Explikation, die auch in religionstheoretischer und offenbarungstheologischer Hinsicht noch eigens geleistet werden muss. Dennoch dürften sich, wie zu hoffen steht, im Zuge fortschreitender Entwicklung fundamentaltheologischer Fragestellungen Ansätze und grobe Konturen eines Systementwurfs zu erkennen geben, dessen kohärente Durchführung die materialdogmatischen Traktate zu erbringen haben. Auf einen gelehrten Apparat wird aus Übersichtlichkeitsgründen durchweg verzichtet. Doch sind den einzelnen Abschnitten Angaben zu der im Text zitierten Literatur vorangestellt, der sich unschwer weitere bibliographische Hinweise entnehmen lassen. Neben denjenigen, die im Verlag Verantwortung tragen, habe ich Frau Barbara Rappenglück und Frau Maria Schwartz für die Erstellung des Typoskripts zu danken, den Herren Markus Göring (Bände I und II) und Florian Ihsen (Band III) für die Überprüfung der Zitate und sonstige Korrekturarbeiten sowie der wissenschaftlichen Assistentin an meinem Lehrstuhl, Frau Dr. Miriam Rose, für beständige Hilfe und vielfältigen Rat. Gewidmet sei die Trilogie meiner Frau Sigrid und meinen Töchtern Katharina und Clara. München, 19. März 2005

Gunther Wenz

Religion, Offenbarung, Kirche: Fundamentaltheologische Vorstudien zur evangelischen Glaubenslehre

Lit.: O. Bayer, Theologie, Gütersloh 1994. – G. Ebeling, Art. Theologie I. Begriffsgeschichtlich, in: RGG3 VI, Sp. 754–769. – B. Hamm/B. Moeller/D. Wendebourg, Reformationstheorien. Ein kirchenhistorischer Disput über Einheit und Vielfalt der Reformation. Göttingen 1995. – M. Heckel, Zum Status der Ev.-theol. Fakultäten in der Bundesrepublik (ZevKR 31 [1986], 27–71), in: ders., Gesammelte Schriften. Staat. Kirche. Recht. Geschichte, Bd. 2, hg.v. K. Schlaich, Tübingen 1989, 1033–1074. – W. Pannenberg, Wissenschaftstheorie und Theologie, Frankfurt a.M. 1973. – Ders., „Fundamentaltheologie“ als anthropologische Grundlegung einer Theologie der Religion und der Religionen?, in: M. Petzold (Hg.), Evangelische Fundamentaltheologie in der Diskussion, Leipzig 2004, 195–204. – G. Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Eine historische und systematische Einführung in das Konkordienbuch, 2 Bde., Berlin/ New York 1996/8.

Ende August 1518 hielt Philipp Melanchthon De corrigendis (1497–1560) seine Antrittsvorlesung als neuberu- adolescentiae studiis fener Griechischprofessor an der Artistenfakultät der Universität Wittenberg. Der Titel des Vortrags, unter dessen begeisterten Hörern sich auch Martin Luther (1483–1546) befand, lautete: „De corrigendis adolescentiae studiis“. Darin plädierte der selbst noch jugendliche Praeceptor Germaniae in glanzvollem Latein für eine konsequente Fortsetzung der humanistischen Studienreform: Der Fächerkanon der mittelalterlichen Artistenfakultät sei über das Trivium mit Grammatik, Dialektik und Rhetorik sowie das Quadrivium mit Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik hinaus zu erweitern; neben Poesie und Geschichte müsse namentlich das Studium des Lateinischen, des Griechischen und des Hebräischen gepflegt werden, um zur Reinheit der antiken und biblischen Quellen zu gelangen, aus denen der Geist eines christlichen Humanismus entspringe und beständig sich fortzeuge. Vergleichbare Stimmen bekam man damals auch anderwärts zu hören, nicht zuletzt an der 1472 durch Herzog Ludwig den Reichen von Niederbayern/Landshut gegründeten Landesuniversität Ingolstadt. War dem Universitätsgründer selbst gelehrte Bildung eher noch fremd geblieben, so kam es im Zuge des Humanismus bereits in der nächsten Generation zu einer förmlichen Bildungseuphorie, die auch die „Alma mater Ingolstadiensis“ mit Macht erfasste. Exemplarisch er-

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wähnt seien die Namen von Conrad Celtis, Jacob Locher sowie Johannes Reuchlin, einem Verwandten Melanchthons, welchem dieser nicht nur seinen Humanistennamen, sondern auch seine Berufung nach Wittenberg verdankte. Gab es demnach in den Anfangsjahrzehnten des 16. Jahrhunderts zwischen den Universitäten Wittenberg und Ingolstadt noch mannigfache persönliche und sachliche Berührungspunkte (einst versuchte man sogar, wenngleich vergeblich, Melanchthon für Ingolstadt zu gewinnen), so änderte sich dies im Laufe der Reformationsgeschichte bzw. des nachreformatorischen Zeitalters grundlegend. Verantwortlich dafür war vor allem die fortschreitende Konfessionalisierung des akademischen Lebens, wie sie sich im Falle Ingolstadts bereits im Wirken eines Theologen wie Johannes Eck abzeichnete und im Prozess der Übernahme der dortigen Philosophischen und Theologischen Fakultät durch die Gesellschaft Jesu, die im November 1549 in der Donaustadt Einzug hielt, zum Durchschlag gelangte. Die Jesuiten machten Ingolstadt zu einer geistigen Festung des alten Glaubens, die sie durch hervorragende Streiter vom Range eines Petrus Canisius zu verteidigen suchten, um schließlich zum Angriff der Gegenreformation überzugehen. Eine vergleichbare Stellung kam unter entgegengesetzten konfessionellen Vorzeichen für das Kurfürstentum Sachsen der Leucorea in Wittenberg zu. Da die Frage, was die Konfessionalisierung des BeTheologie und wusstseins der westlichen Christenheit im (nach)Konfessionalität reformatorischen Zeitalter für das Gemeinwesen und die kirchlichen Verhältnisse bedeutet, eines der Generalthemen nachfolgender Untersuchungen im Religionstraktat sein wird, soll auf sie zunächst nur kurz und unter dem Gesichtspunkt der Folgen für die akademische Selbstverständigung der Theologie eingegangen werden. Ist evangelische Theologie konfessionelle Theologie? Welche Stellung nimmt sie zwischen Konfessionalismus und transkonfessionellen Bestrebungen ein? Enthält sie ihrem Wesen nach eine ökumenische Verpflichtung? Auszugehen ist bei der Beantwortung dieser oder ähnlicher Fragen von der unbestreitbaren Tatsache, dass das ursprüngliche Ziel der Reformation die Reform der einen Kirche nach Maßgabe des Evangeliums von der Rechtfertigung des Sünders und nicht die Etablierung separater Konfessionskirchen war. Dabei wußten sich die reformatorischen Väter in Kontinuität zu dem originären christlichen Zeugnis, wie es in der Heiligen Schrift beurkundet und durch das Bekenntnis der Kirche in apostolischer Nachfolge seit alters beständig verkündet wurde. Die Confessio Augustana von 1530 ist hierfür beispielhaft: Sie will nicht als das Bekenntnis einer Partikularkirche, sondern als Zeugnis der una, sancta, catholica et apostolica ecclesia aller Zeiten und aller Räume verstanden sein. Wäre es nach ihren irenischen und auf Ausgleich bedachten Zielen gegangen, dann hätte es keine Spaltung der Kirche geben müssen. Entsprechendes gilt für den Hauptverfasser der Augustana: Obgleich durch seine „Loci Communes“ von 1521 zum ersten Systematiker der Reformation avanciert, war Melanchthon sich doch seiner ökumenischen Verpflichtung zeitlebens bewusst. Diesem – an der Confessio Augustana als genuiner Bekenntnisschrift der Refor-

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mation und ihrem professoralen Confessor beispielhaft zu entwickelnden – Befund kontrastiert die Tatsache, dass nach gegenwärtig geläufigem Sprachgebrauch „Konfession“ soviel heißt wie „Denomination“ im Sinne einer bestimmten christlichen Glaubensgemeinschaft und eines separaten Kirchentums. Diese Wortverwendung ist ein terminologiegeschichtliches Ergebnis des spätestens seit Mitte des 16. Jahrhunderts anhebenden und im 17. Jahrhundert seinem Höhepunkt und Niedergang zustrebenden Konfessionalisierungsprozesses, der nicht nur die ideelle und organisatorische Verfestigung getrennter Kirchentümer erbrachte, sondern eine spezifische Formierung der gesamten Sozialgemeinschaft einschließlich der Wissenschaften. Nicht von ungefähr ist dieser Prozess aufs engste verbunden mit der Genese und Ausbildung von frühabsolutistischen territorialen Fürstenstaaten wie in Deutschland oder funktionsanalogen Nationalstaatbildungen wie in den meisten Teilen des außerdeutschen Europa. Vorrangiges Ziel ist hier wie dort eine institutionelle und flächenmäßig organisierte Sozialdisziplinierung mittels konfessioneller Homogenisierung der Bevölkerung. Den Ausbildungsstätten kam bei dieser Aufgabe eine hervorragende Bedeutung zu. An der Geschichte der Augustana lässt sich dieser Prozess konfessionell bestimmter Homogenisierung des Bewusstseins im Kontext von Visitationen, Doktorvereidigungen, Ordinationsgelübden und der Ausbildung territorialer „Corpora Doctrinae“ exemplarisch studieren. Als Dokument kirchlichen Einheitswillens entstanden fungierte das Augsburgische Bekenntnis bald schon als Gründungsurkunde einer Konfessionskirche mit entsprechenden politischen Zielsetzungen. Erwähnt sei etwa der binnenreformatorische Zusammenhang von Bündnis und Bekenntnis, der schon in der Vorgeschichte der Confessio Augustana eine Rolle spielte und dann erneut virulent werden sollte in Bezug auf den Schmalkaldischen Bund, der zwar nicht als ein im strengen Sinne bekenntnisbestimmter begründet wurde, in den aber seit 1535 niemand mehr aufgenommen werden sollte, es sei denn, er bekannte sich zur Augustana. In reichsrechtlicher Hinsicht sei ferner auf die politische Bedeutung verwiesen, die der Confessio Augustana bereits in den Anständen der 1530er Jahre und sodann im Passauer Vertrag von 1552 sowie schließlich im Religionsfrieden von Augsburg von 1555 zukam, der neben den sog. Altgläubigen nur die Anhänger der Augsburger Konfession umfasste. Dass infolgedessen die Tatsache der verschiedenen Fassungen der Augustana zu einem nicht lediglich theologischen, sondern auch, ja primär rechtspolitischen Problem werden musste, lässt sich historisch ebenso leicht ersehen wie die politisch-rechtliche Relevanz möglicher Divergenzen der CA, wie sie in den nachlutherischen Lehrstreitigkeiten innerhalb der Wittenberger Reformation wirksam wurden. Der Kampf zwischen Luthertum und Calvinismus in den Jahren nach 1555 und die konkordistische Bewegung innerhalb des Luthertums sind paradigmatische Studienbeispiele hierfür. Was die konkordistische Bewegung innerhalb des Luthertums angeht, so markiert deren Resultat, wie es in der Konkordienformel von 1577 und in dem Konkordienbuch von 1580 vorliegt, das vorläufige Ergebnis erfolgter Konfessionalisie-

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rung der Wittenberger Reformation. Es verhält sich in dieser Hinsicht in bestimmter Weise funktionsäquivalent zum Tridentinum (1545–1564) einerseits und zu entsprechenden Prozessen innerhalb der Genfer Reformation andererseits. Mit katholischer Erneuerung, dem Aufstieg des Calvinismus und der Neuformierung des deutschen Luthertums, wie sie im Kontext des Bergischen Buches, will heißen: der im Magdeburger Kloster Bergen endredigierten Konkordienformel erfolgte, sind die äußerlich besehen vielfach konträr verlaufenden, bei funktionaler Betrachtung hingegen in vielem korrespondierenden Entwicklungen benannt, die im letzten Viertel des Reformationsjahrhunderts zur Ausdifferenzierung dreier bekenntnismäßig und rechtlich scharf abgegrenzter Konfessionskirchen und zur Verfestigung ihres institutionellen und ideologischen Gegensatzes führten. Nach Urteil der Mehrzahl gegenwärtiger Frühneuzeithistoriker stellt dieser Prozess keine restaurative oder epigonale Entwicklung, sondern einen elementaren Modernisierungsschub dar. Als die relative Einheitskultur des mittelalterlichen Pluralisierung und Corpus Christianum aus Gründen des BevölkeHomogenisierung rungswachstums, zunehmender Verstädterung und gesellschaftlicher Arbeitsteilung sowie aus welchen soziokulturellen und geistesgeschichtlichen Gründen auch immer der gesteigerten Komplexität einer sich beschleunigt wandelnden Welt nicht mehr gewachsen war, reagierte das soziale System mit Unterscheidung. Damit ist nicht gesagt, dass das Reformationsgeschehen einlinig auf die Nötigung gesellschaftlicher Ausdifferenzierung zurückgeführt und der Reformationsbegriff durch das Konfessionalisierungsparadigma theologisch ersetzt werden könnte! Festzuhalten ist jedoch, dass historischer Betrachtung als das wichtigste Resultat der Reformationsgeschichte die Begründung konfessioneller Kirchentümer, ja mehr noch: die Konfessionalisierung des öffentlichen Lebens überhaupt erscheinen muss. Die Reformationsgeschichte hat in diesem Sinne – sieht man einmal von dem knapp vier Jahrzehnte währenden Großen Abendländischen Schisma ab, das seit 1378 die europäischen Territorien in differente päpstliche Obödienzen aufteilte – die Welt des Okzidents mit der historischen Novität einer unter den überkommenen kirchlich-gesellschaftlichen Strukturbedingungen nicht mehr behebbaren Differenz konfrontiert, indem sie in ihrem faktischen – mit territorialen bzw. nationalen Souveränitätsbestrebungen engstens verbundenen – Verlauf eine konfessionelle Zweiheit bzw. Vielheit bewirkte, welche die relative Einheitskultur des Mittelalters, in der bestehende Unterschiede im Wesentlichen durch gradualistische Stufenordnungen bewältigt wurden, progressiv auflöste und in neue Struktursysteme transformierte. Zwar darf – um speziell die deutsche Situation ins Auge zu fassen – nicht übersehen werden, dass der Pluralisierung auf Reichsebene eine gesteigerte Homogenisierung, ja Uniformierung in den Territorien korrespondierte. Gleichwohl hatte das prozessuale Zusammenwirken von pluralisierender Differenzierung und sich verdichtender Zentrierung das irreversible Ende des Gradualismus der mittelalterlichen Stufenordnung zur tatsächlichen Konsequenz. Einheit und Verschiedenheit

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konnten nicht länger auf dauerhafte Weise gradualistisch vermittelt werden. Damit war das Problem gestellt, wie es für die neuzeitliche Moderne in einer spezifischen Weise kennzeichnend werden sollte, nämlich ob bzw. wie unter den Bedingungen einer irreduziblen bzw. unaufhebbaren Pluralität und Differenz ziviles Zusammenleben möglich sein kann. Was die evangelische Theologie betrifft, so war ihr das epochale Problem des Umgangs mit Pluralität und Differenz übrigens nicht nur extern und in der äußeren Weise zivilen Umgangs mit ihm aufgegeben, sondern als ein internes insofern, als die Einheit der Reformation historisch keineswegs evident und selbstverständlich ist, auch wenn es idealisierender Betrachtung so erscheinen mag. Zum hundertjährigen Reformationsjubiläum er- Einheit und Vielfalt schien 1617 in Holland ein mit schriftlichem Kom- der Reformation mentar versehener Kupferstich, auf dem eine Tafelrunde zu sehen ist, die dicht gedrängt um ein den Bildmittelpunkt markierendes Kerzenlicht gruppiert ist: „t‘ Licht“, so steht zu lesen, „is op den kandelaer gestelt“. Dem Betrachter den Rücken zuwendend, eben noch im Vordergrund und doch schon an den äußersten Bildrand geschoben, repräsentieren ein anonymer Papst, ein Kardinal und ein Mönch, denen ein teuflischer Luzifer beigesellt ist, die Mächte der Finsternis und des falschen Scheins, welche das helle Licht der Reformation mit dem faulen Atem ihres Lügengeistes vergeblich auszublasen versuchen. Ihnen gegenüber und erleuchtet von dem klaren und warmen Licht, in welchem das vor ihm aufgeschlagene Bibelbuch erstrahlt, finden wir – in bewegt-bewegender Weise die offene Schrift auslegend – Martin Luther, daneben Calvin (1509–1564), der auf den (geschlossenen) Kanon verweist, und im Verein mit beiden eine Schar weiterer Reformatoren, die im Unterschied zu den feindseligen Dunkelmännern allesamt als individuelle Lichtgestalten mit unterschiedlicher Ausstrahlung dargestellt und namentlich benannt sind: Den Hauptpersonen eng verbunden Melanchthon und Beza, anschließend Hus, Bucer und Wyclif, dahinter Bullinger, Vermigli, Knox, Hieronymus von Prag, Zwingli (1484–1531) und im zweiten Glied Zanchi, Perkins, Flacius und Oekolampad, ergänzt durch Georg von Anhalt, Jan Laski, Wilhelm Farel, Johannes Sleidan, Philipp Marnix und Franz du Jon, deren Porträts gesondert beigegeben sind. Alles in allem: ein Reformationsbild lichter Eintracht. Realiter stellte sich die Angelegenheit nicht unerheblich anders dar. Die mentale Distanz zwischen Wittenberg und Genf war, um nur das Beispiel der lutherischen und calvinischen Reformation zu nennen, im 16. Jahrhundert kaum geringer als diejenige zwischen Wittenberg und Rom. Kann man die Reformation tatsächlich als Einheit verstehen oder zerfällt sie nicht in eine Vielzahl von Einzelbewegungen, denen ein grundlegend Gemeinsames abgeht? Die kirchenhistorischen Antworten auf diese Frage sind notorisch strittig. Sehen einige Forscher zumindest in der frühen Phase der Reformation einen von der herausragenden Persönlichkeit Luthers bestimmten kohärenten Vorgang, konstatieren die anderen von Anfang an eher „Wildwuchs“ und beurteilen die Einheit der Reformation und ihres Begriffs weni-

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ger durch inhaltliche Identität, als extern, nämlich durch die gegenreformatorische Alternative hervorgerufen: Erst durch die tridentinischen Anathemata werde die Reformation zu jener einheitlichen Größe, die sie von sich aus und für sich genommen nicht sei. In seiner Singularform sei der Begriff der Reformation durch den tridentinischen Gegensatz bestimmt, wohingegen ohne diesen nur von Reformationen in der Mehrzahl die Rede sein könne. Komplex stellt sich die Angelegenheit auch in Bezug auf den für die Geschichte moderner evangelischer Theologie kennzeichnenden Protestantismusbegriff dar. Man hat die Speyrer Protestation von 1529 zur Geburtsstunde des Protestantismus erklärt. Diese Annahme ist trotz offenkundiger Beziehungen nomineller Art anachronistisch und irreführend. Zu beachten ist zunächst, dass es sich bei einer „protestatio“ um eine bei mittelalterlichen Reichstagen geläufige und regelmäßig vorkommende Rechtsfigur – also keineswegs um etwas Außerordentliches – handelt. Immerhin deutet sich in der bald üblich werdenden Rede von den protestierenden Ständen das spätere Auseinanderleben zweier Religionsparteien im Reich bereits an. Zu einem – und sei es auch nur vorläufigen – Abschluss gelangt ist dieser religionsgeschichtlich wie verfassungsrechtlich gleichermaßen bedeutsame Prozess in den 20er und 30er Jahren des 16. Jahrhunderts indes noch keineswegs. Das war in Deutschland frühestens um 1555 und mit einer gewissen Definitivität erst 1648 der Fall. Während nämlich nach dem Augsburger Religionsfrieden (und auch dies zunächst nur von den Gegnern) lediglich die Angehörigen der lutherischen Religionspartei Protestanten genannt wurden, änderte sich dies auf breiter Basis mit dem Westfälischen Frieden, der neben den lutherischen auch den reformierten Ständen eine „exacta mutuaque aequalitas“, also eine religiöse Gleichbehandlung mit dem Katholizismus im Alten Reich gewährte. Diese rechtliche Gleichstellung der beiden wichtigsten reformatorischen Religionsparteien war eine entscheidende historische Voraussetzung für den seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert geläufigen und in der Aufklärungszeit allgemein gewordenen Protestantismusbegriff, der von nun an das bezeichnet, was Reformierte und Lutheraner im Unterschied zum römischen Katholizismus miteinander verbindet. Dabei tritt im Laufe der Zeit der ursprüngliche reichsrechtliche Gehalt des Begriffs gänzlich zurück, wodurch die konfessionstranszendierende, transkonfessionelle Tendenz des Protestantismusbegriffs noch deutlicher hervortritt. Die Folge davon ist, dass der Terminus nicht nur in Oppositionen wie derjenigen von freiem Protestantismus und verfasster evangelischer Kirche Verwendung finden kann, sondern schließlich auch jene Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zu umfassen vermag, die sich nicht direkt von der Wirksamkeit der Reformatoren Luther, Zwingli und Calvin herleiten lassen, sondern reformationsgeschichtliche Sonderbildungen darstellen, wie im Reich die täuferischen Gruppierungen oder die Sozinianer in Polen. Selbst von einem Protestantismus innerhalb des römischen Katholizismus bzw. innerhalb der orthodoxen Kirchen kann unter den Bedingungen dieses Sprachgebrauchs die Rede sein. Statt die begriffsgeschichtliche Entwicklung weiter zu verfolgen, sei lediglich ihr

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Ergebnis knapp zusammengefasst: Seiner HerProtestantismus als neuzeitkunft nach ist der uns geläufige Protestantismus- licher Reflexionsbegriff begriff neuzeitspezifischer Art. Funktional betrachtet lässt er sich als ein Reflexionsbegriff beschreiben, der auf die Antagonismen des konfessionalistischen Zeitalters, durch welche dieses sich den eigenen Untergang bereitete, dergestalt reagiert, dass sie in ihm reflexiv werden. Als wesentliche Leistung der dem Protestantismusbegriff eigenen Reflexivität hat dabei diejenige bewusster Unterscheidung zu gelten. Während die elementaren – die relative Einheitskultur des Mittelalters auflösenden – Differenzierungen, die im Zuge des konfessionalistischen Zeitalters erfolgten, dem Geist dieses Zeitalters in bestimmter Weise noch äußerlich blieben und daher mit gesteigerten Homogenitätsbestrebungen konform gehen konnten, eignet der Protestantismusbegriff sie sich reflexiv an. Das seinem entwickelten Begriff entsprechende Selbstbewusstsein des Protestantismus ist demnach von eigentümlich reflexer Differenziertheit. Trifft dies zu, dann enthält protestantisches Selbstbewusstsein die – wenn man so will: intrinsische – Verpflichtung, vom Begriff des Protestantismus, in welchem es seinen Ausdruck findet, nur einen reflektierten und differenzierten Gebrauch zu machen. Was damit gemeint ist, sei im Hinblick auf zwei Gefahren exemplifiziert, die dem Protestantismus von der seinen Begriff prägenden Geschichte her in gegenläufiger Weise drohen. Die erste Gefahr ist diejenige konfessionalistischer Regression. Sie ist dann gegeben, wenn sich der Protestantismus – der Antagonismen des konfessionalistische Zeitalters und damit seiner eigenen Entstehungsgeschichte uneingedenk – restaurativ auf eine seiner historischen Erscheinungsgestalten im 16. Jahrhundert fixiert und das Bekenntnis nur buchstäblich repetiert, statt danach trachtet, es lebendig und aktuell zu erhalten. Nach meinem Urteil ist diese Gefährdung, die von der Möglichkeit einer regressiven Rekonfessionalisierung des Protestantismus her droht, unter gegenwärtigen Bedingungen vergleichsweise gering. Zwar mögen sich namentlich im Gefolge der Wittenberger Reformation da und dort auch heute noch Neigungen finden, infolge des Fehlens einer festgeschriebenen Fortentwicklung kirchlicher Konsensbildung in der Zeit nach 1580 das Konkordienbuch als ein Dokument von zeitinvarianter und transhistorischer Bedeutung zu verherrlichen. Aber diese Tendenzen sind hierzulande eher marginal und aufs Ganze gesehen schon deshalb wenig bedrohlich, weil die Konfessionskirchen gerade im Zuge ihrer Konfessionalisierung das Definitionsmonopol der zu bekennenden christlichen Wahrheit faktisch eingebüßt haben. Bleibt die zweite, gegenläufige Gefahr, die dem Protestantismus von seiner impliziten Tendenz Christentum und Religion zu transkonfessioneller Allgemeinheit her droht. Diese Tendenz verbindet ihn mit funktionsanalogen Begriffen wie Christentum und Religion, die terminologiegeschichtlich in den gleichen historischen Zusammenhang gehören wie er. Während indes in den Protestantismus- und in den Christentumsbegriff die Erinnerung an die Geschichte eigener terminologischer Genese eingezeichnet bleibt, droht sie sich im Religionsbegriff im Zuge gesteiger-

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ter Generalisierung gänzlich zu verflüchtigen. Wählt der Protestantismus daher den modernen Allgemeinbegriff der Religion unreflektiert und undifferenziert zur Leitkategorie seiner Selbstverständigung, so läuft er Gefahr, seine Besonderheit und spezifische Historizität zu verlieren und zu einer abstrakten Überreligion ohne konkrete Positivität zu verkommen. Diese Gefahr, so scheint mir, ist unter gegenwärtigen Bedingungen sehr viel größer als diejenige konfessionalistischer Regression. Nicht dass der Protestantismus den Bezug auf Religion, welche vor allen spezifischen Annahmen als ein anthropologisches Universale zu behaupten ist, scheuen sollte oder dürfte! Aber die Identifikation religiöser Allgemeinheit und der Bezug auf sie hat ihm primär dazu zu dienen, sich in Konstruktion und Kritik von ihr zu unterscheiden. Ich denke, auf dem theologischen Markt findet sich derzeit kaum ein unproduktiveres Angebot als jenes, das in allem, was religiös als möglich erscheint, approximative Abbildungen einer sich ins Transzendente entziehenden Selbigkeit entdeckt, so dass zuletzt alles als irgendwie gleich erscheint, ohne in seiner eigentümlichen Identität erkannt zu werden. Begegnung mit Anderem, mit Fremdem gar, findet so schon vom Ansatz her nie statt, auch wenn sich das entsprechende Modell als pluralistische Theorie empfiehlt. Den schlichten Inbegriff pluralistischer Religionstheorien, wie sie etwa im Anschluss an John Hick vertreten werden, bildet in der Regel die Unterscheidung zwischen einem Realen, das an sich selbst wegen seiner strikten Transzendenz unerfassbar bleibt, und den Religionen, die – trotz und unbeschadet der Unerfassbarkeit des transzendenten Realen – als dessen annähernd wahre Wahrnehmungsgestalten gelten sollen. Jeder exklusive religiöse Geltungsanspruch wird abgewiesen, da das transzendente Reale sich allen Religionen, wenngleich auf unterschiedliche Weise erschlossen haben soll, ohne sich dabei an sich selbst zu zeigen, was vielmehr ausgeschlossen ist. Woher Hick und seine Anhänger das alles wissen, bleibt ebenso ihr Geheimnis wie der Rechtsgrund für die vorkritische Verwendung, die von Kants Vernunftkritik gemacht wird. Ebenso abstrakt wie das Postulat eines von allen Religionen in ein unerreichbares Jenseits abgehobenen und gleichwohl approximativ wahrzunehmenden Transzendenten bleibt die Annahme, in, mit und unter der Mannigfaltigkeit pluraler Religionen manifestiere sich das eine Wesen der einen Religion, welches zur Natur des Menschen gehört, um in den geschichtlichen Religionen auf unterschiedliche Weise in Erscheinung zu gelangen, ohne sich je als es selbst zu erschließen. Statt von der spezifischen Bestimmheit geschichtlicher Erscheinungen zu abstrahieren, ohne deren Wahrnehmung von Religion konkret nicht die Rede sein kann, sollte der Protestantismus viel eher das Konzept einer religiösen Streitkultur favorisieren. In deren Zusammenhang ist im Verein mit der Strittigkeit religiöser Wahrheitsansprüche, die sich nicht von vornherein harmonisieren lassen, realistisch betrachtet immer auch darum zu kämpfen, was die Bedingung der Möglichkeit jeder ordentlichen Streitkultur ist, dass nämlich der Streit in den Grenzen des Rechts sowie unter Wahrung äußerer Freiheit und leiblicher Unversehrtheit auszutragen ist.

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Auch in seinem Binnenbereich hat der Protestantismus die ihm eigentümliche Stärke, welche aus der Verschmelzung des Erbes der Reformation mit demjenigen der Aufklärung resultiert, nicht durch nivellierende Gleichschaltung, sondern durch einen reflektierten Umgang mit seinen diversen konfessionellen Ausprägungen unter Beweis zu stellen. Den Protestantismus als unionistische Kirche etablieren zu wollen, wäre kontraproduktiv. Entsprechend lässt sich konstruktive Theologie nicht unter Abstraktion von den unterschiedlichen konfessionellen Traditionen betreiben, welche den real existierenden Protestantismus bis heute bestimmen. Im Falle des hier projektierten Unternehmens ist das die Tradition der Wittenberger Reformation. Die nachfolgenden Studien setzen insofern als verpflichtendes Erbe voraus, was Gegenstand meiner zweibändigen „Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche“ (1996/98) war. Mit dem Hinweis auf die konfessionelle Differenziertheit des Protestantismus, die es im Interesse der Abstraktionsvermeidung theologisch und ekklesiologisch zu beachten gilt, soll nicht in Abrede gestellt werden, dass sich in nachreformatorischer Zeit und namentlich infolge der Kulturkämpfe im ausgehenden 19. Jahrhundert Ansätze eines gemeinprotestantischen Bewusstseins ausgebildet haben. Zu dessen Kennzeichnung wird mit Vorliebe auf die Neigung zu Individualisierung und Verinnerlichung verwiesen. Die protestantische Individualitätskultur räume dem frommen Einzelsubjekt einen grundsätzlichen Vorrang vor der kirchlichen Institution ein und habe ihren wesentlichen Sitz im Leben im Innersten des Gewissens, auf dessen Erbauung und Pflege alle religiöse Übung konzentriert sei. Die Außenwelt werde demgegenüber religiös profaniert mit der doppelten Konsequenz ihrer Entheiligung einerseits und ihrer Erhebung zum Ort beruflich-sittlicher Bewährung andererseits. Die Hochschätzung des Berufsgedankens, wie sie besonders mit der Erinnerung an Luther assoziiert wird, lässt sich dabei unschwer mit jener innerweltlichen Askese und religiös provozierten Rationalisierung der alltäglichen Lebensführung verbinden, die nach Max Weber (1864–1920) vor allem für die calvinistisch motivierte Entwicklung des modernen Protestantismus charakteristisch sein soll. Als weitere Bestimmungsmomente eines gemeinprotestantischen Bewusstseins ließen sich neben vielen anderen Aspekten eine antihierarchische Gesamtausrichtung und eine vergleichsweise große Aufgeschlossenheit für wissenschaftliche Reflexion namhaft machen. Trotz der häufig konstatierten Affinität zwischen Protestantismus und akademischer Theo- Evangelische Theologie logie wird als Gesamtüberschrift des hier verfolgten Konzepts nicht „protestantische“, sondern „evangelische“ Theologie und Glaubenslehre bevorzugt. Damit ist, wie gesagt, nicht bestritten, dass es mentale und strukturelle Gemeinsamkeiten protestantismusspezifischer Art gibt, welche die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und Frömmigkeitsbewegungen religiös, kulturell und theologisch verbinden. Doch muss man sich der Grenzen eines idealtypischen Begriffs des Protestantismus bewusst sein, damit man nicht Gefahr läuft, von dessen sowohl mentalitätsgeschichtlich wirksamer, als auch

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organisationsstrukturell relevanter konfessionellen Differenziertheit zu abstrahieren, um protestantische Identität im Wesentlichen durch den Gegensatz primär zum Katholizismus und sekundär zur Orthodoxie der östlichen Christenheit bestimmt sein zu lassen, was nicht nur ökumenisch, sondern theologisch insgesamt wenig weiterführend ist. Ökumenisch förderlich und in der Wahrnehmung der ihr aufgegebenen Sache konstruktiv kann protestantische Theologie nach meinem Urteil nur dann sein, wenn sie als evangelische, will heißen: am Evangelium orientierte Theologie mit dem begründeten Anspruch auftreten kann, im Sinne des ekklesiologischen Wesensattributs der Kirche Jesu Christi katholisch und im Sinne rechter Glaubensreflexion auch orthodox zu sein. Die Wendung „evangelische Theologie“ empfiehlt sich im Übrigen auch deshalb, weil sie mit dem Anspruch auf Katholizität und Orthodoxie zugleich das kirchliche Bekenntnis in einer Weise ernst nimmt, welche Abstraktionen von der Konfessionsbestimmtheit der reformatorischen Traditionen im Sinne eines unionistischen Protestantismus oder eines protestantischen Unionismus vermeiden hilft. Noch einmal: Der Protestantismus hat seine Stärke nicht unter Absehung, sondern durch einen reflektierten Umgang mit den konfessionellen Traditionen zu erweisen, die er in sich begreift. In der Pflege kommunikativer und verständigungsorientierter Streitkultur nach innen und nach außen entspricht, so denke ich, der Protestantismus am ehesten seinem Begriff und seiner protestantischen Bestimmung. Durch die Einsicht, dass man für das Allgemeine immer nur in besonderer und damit virtuell strittiger Weise eintreten kann, sollte protestantische Theologie nicht zuletzt ihre Rolle an der Universität definiert sein lassen. Dies beinhaltet einerseits ein grundsätzliches Ja zur Rationalitätskultur der Universität, von welcher sich – wie von unterschiedlichster Seite gelegentlich gefordert – zurückzuziehen auf die Dauer sowohl unter akademischen als auch unter kirchlichen Gesichtspunkten in hohem Maße kontraproduktiv wäre. Aber gerade die akademische Vernunft kann die Allgemeinheit ihrer staatlich geförderten Rationalitätskultur nicht in einem abstrakten Jenseits des gesellschaftlichen Streits und seiner Besonderheiten realisieren, will sie nicht zum ideologischen Schein verkommen. Die Wissenschaftlichkeit der Theologie schließt daher die Bereitschaft zu einer kritisch-konstruktiven Affirmation der kirchlich-konfessionellen Verbindlichkeiten, wie sie mit dem bekenntnismäßigen Status evangelisch-theologischer Fakultäten gegeben sind, keineswegs aus, sondern ein. Gewiss, es gibt einen Protestantismus außerhalb der Kirche, und die Fähigkeit der Universität, die kulturelle Realität protestantischen Christentums in unserer Gesellschaft wahrzunehmen, würde durch die Leugnung dieser Tatsache nachhaltig eingeschränkt. Und wahr ist auch, dass öffentliche Lehrart und individueller Glaube nicht deckungsgleich sind und unter protestantischen Bedingungen nicht in jeder Hinsicht deckungsgleich sein müssen und können. Nichtsdestoweniger spricht vieles für die Überzeugung, dass eine protestantisch geprägte Kultur der Moderne nur im Verein mit einer im Sinne bekenntnisorientierten Kirchentums verfassten evangelischen Kirche theologische

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Zukunftsaussichten hat. Die Aufgabe evangelischer Theologie kann daher nicht die einer konfessionsindifferenten Theorie freischwebender Überreligiosität sein. Bekenntnisindifferenz wird evangelischer Theologie im Übrigen auch hochschulrechtlich Theologische Fakultäten in keiner Weise abverlangt. Es ist im Gegenteil so, dass der bundesrepublikanische Verfassungsstaat den theologischen Fakultäten einen universitären Rechtsstatus zugewiesen hat, der die Pflege des Konfessionellen zur Voraussetzung hat. Der Annahme, aus der Bekenntnisneutralität des Staates, in dessen Zuständigkeitsbereich die staatlichen Universitäten gehören, folge eine innere Nötigung zur Selbstsäkularisierung der Theologie und der theologischen Fakultäten, liegt nicht nur ein theologisches Fehlurteil, sondern eine Missdeutung der tatsächlichen Rechtslage und ein elementares Missverständnis des Säkularisierungsproblems des weltlichen Verfassungsrechts zugrunde. Denn „(d)er moderne, liberal-pluralistische Verfassungsstaat ist zwar ein säkularer Staat. Aber er ist kein säkularisierender Staat, der die religiösen Gegebenheiten bekämpft, verändert oder eliminiert. ... Säkularisierung des Rechts ist Rahmensäkularisierung. Die Weltlichkeit des rechtlichen Rahmens unseres Staatskirchenrechts, das sich ja von einer verpflichtenden Staatsreligion getrennt hat, überläßt den Religionsgemeinschaften die geistliche Ausfüllung dieses Rechtsrahmens im Sinne ihres Bekenntnisses und ihrer dadurch geprägten Kirchenordnung. Auch im Satzungsrecht der Theologischen Fakultäten enthält die Verwendung allgemeiner Rechtsbegriffe nicht das Verbot der theologischen Besonderheiten ihrer Wissenschaft.“ (Heckel, 1039f.) Obwohl das Wissenschaftsverständnis des Grundgesetzes, wie es für die staatlichen Universitäten in Deutschland rechtlich bestimmend ist, Rationalitätsstandards der scientific community voraussetzt, beansprucht es keine inhaltliche Festlegung zu geben. Eine staatliche Wissenschaftszensur ist grundgesetzlich nicht nur nicht vorgesehen, sondern verwehrt. Der enge Zusammenhang von Glaubensfreiheit und Freiheit von Forschung und Lehre ist bei näherem Zusehen rechtsgeschichtlich unschwer zu erkennen. Es widerspricht daher auch keineswegs dem Wissenschaftscharakter der Theologie im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG, sondern entspricht ihm, wenn etwa evangelische und katholische Theologie vom staatlichen Hochschulrecht als gesonderte Wissenschaftsdisziplinen behandelt werden. Der konfessionelle Status theologischer Fakultäten an staatlichen Universitäten lässt sich angemessen gewiss nicht im Sinne eines bornierten Konfessionalismus wahrnehmen: Er beinhaltet vielmehr die Aufforderung an die Theologie, zu erweisen, dass ihre universitäre Wahrnehmung im wohlverstandenen Eigeninteresse eines kulturellen Rechtsstaats liegt, dessen Bürger in der Grundrechtsverwirklichung ihrer Religionsfreiheit durch universitäre Reflexionshilfen Unterstützung finden. Andererseits wäre es eine völlige Verkennung der tatsächlichen Rechtslage, wollte man der Theologie unter Berufung auf Wissenschaftlichkeit Bekenntnisindifferenz abverlangen. Einem solchen Ansinnen muss sich evangelische Theologie widersetzen, sowohl wenn es von außen, als auch und vor allem, wenn es von innen an sie herangetragen wird.

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Um noch einmal Martin Heckel zu zitieren – Ehrendoktor der EvangelischTheologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München, von der gleich zu reden sein wird: „Wenn die Theologen das Proprium ihres Auftrags und Dienstes nicht mehr auszusprechen wagen, werden sie die Existenz der Theologenfakultäten trotz aller hehren Bestandsgarantien des Verfassungsrechts zuerst aushöhlen und dann verspielen. Nach der dann konsequenten Fusionierung der Theologischen Fakultäten mit der allgemeinen Religionswissenschaft dürften sie zu Orchideenfächern schrumpfen, die Masse ihrer Lehrstühle verlieren und ihre Ausbildungsfunktionen zugunsten der kircheneigenen Theologischen Hochschulen einbüßen. ... Es steht zu hoffen, daß sich derartige Zukunftsvisionen nicht realisieren.“ (Heckel, 1038) Hinzugefügt sei, dass damit nichts Prinzipielles gegen die Errichtung religionswissenschaftlicher Studiengänge an deutschen Universitäten und gegen die mögliche Beteiligung von theologischen Fakultäten an deren Studienangebot gesagt ist. Man wird lediglich darauf zu achten haben, dass sich religionswissenschaftliche Studiengänge nicht als „trojanische Pferde“ erweisen, durch deren Einführung – gleichsam durch die Hintertür – die sukzessive Verwandlung der theologischen Fakultäten in Untereinheiten einer Allgemeinen Religionswissenschaft betrieben wird. Zu ergänzen ist fernerhin, dass der Rechtsstatus, der evangelischen oder katholischen Fakultäten bzw. staatlichen Ausbildungseinrichtungen für orthodoxe Theologie grundgesetzlich zuerkannt ist, prinzipiell allen Religionsgemeinschaften offen steht und offen stehen muss, welche eine wissenschaftliche bzw. wissenschaftsaufgeschlossene Theologie ausgebildet haben, diese an staatlichen Universitäten zu betreiben gewillt sind und im Übrigen den rechtsund kulturstaatlichen Organisationsanforderungen sowie und vor allem der Pflicht zur grundgesetzlichen Verfassungstreue genügen. Um die institutionellen Rahmenbedingungen zu Ludwig-Maximiliansverdeutlichen, unter denen in vorliegender TrakUniversität München tatreihe evangelische Theologie konkret betrieben wird, kehre ich an die eingangs erwähnte Universität Ingolstadt zurück. Sie wurde am 26. Juni 1472 gegründet, 1802 nach Landshut transferiert, 1826 schließlich nach München verlegt. Ihr Name Ludwig-Maximilians-Universität erinnert an den herzoglichen Gründer sowie an den in der Landshuter Periode regierenden Kurfürsten und späteren bayerischen König. Die LMU umfasste über die Jahrhunderte hin nur vier Fakultäten: die theologische, die medizinische, die juristische sowie die philosophische, die sich allmählich aus der „facultas artium“ herausentwickelte. Die Artistenfakultät war ursprünglich für das Theologen, Medizinern und Juristen gleichermaßen vorgeschriebene Grundstudium in den sieben „artes liberales“ des Trivium der drei Sprachkünste und des Quadrivium der vier mathematischen Künste zuständig. Bis 1833 blieb es bei vier Fakultäten, und es dauerte nochmals erhebliche Zeit, bis die heutige Zahl von weit mehr als einem Dutzend von Fachbereichen erreicht wurde. Unter ihnen befindet sich neben der Katholisch-Theologischen Fakultät und einer Ausbildungseinrichtung für Orthodoxe Theologie seit 1967 auch eine Evangelisch-Theologische Fakultät. Sie ist in

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sieben wissenschaftliche Einrichtungen gegliedert: die Abteilung für Alttestamentliche Theologie, für Neutestamentliche Theologie, für Kirchengeschichte, für Systematische Theologie, für Fundamentaltheologie und Ökumene, für Praktische Theologie sowie für Missions- und Religionswissenschaft. Der Lehrstuhl für Systematische Theologie I, zu dessen Aufgabenbereich wesentlich die Dogmatik gehört und den ich als Nachfolger von Wolfhart Pannenberg seit 1995 innehabe, ist als einziges Ordinariat dem Institut für Fundamentaltheologie und Ökumene zugeordnet. Damit ist der universitäre Sitz im Leben der nachfolgend vorgetragenen Erörterungen benannt. Was die innere Gliederung evangelischer Universitätstheologie in verschiedene Einzeldiszplinen anbelangt, so ist sie vergleichsweise jung und im Wesentlichen erst in der Neuzeit analog zum Prozess sozialer Ausdifferenzierung und Berufsspezialisierung ausgebildet worden. Fundamental ist die Unterscheidung zwischen Schriftauslegung einerseits und systematischer Theologie andererseits geworden. Sie zeichnet sich zwar ansatzweise bereits im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit ab, hat aber ihr eigentümliches Profil erst im Zuge moderner Emanzipation historisch-kritischer Schriftexegese von den normativen Systemansprüchen scholastischer oder dogmatischer Theologie gewonnen. Dass sich die historisch-kritisch orientierte Bibeltheologie dann alsbald in eine alttestamentliche und eine neutestamentliche Wissenschaft ausdifferenzierte und zu immer weitergehenden exegetischen Detaillierungen fortschritt, liegt ebenso in der Konsequenz dieser Entwicklung wie die Etablierung der Kirchengeschichte als einer eigenständigen theologischen Disziplin. Seit geraumer Zeit ist es üblich geworden, die Fächer der biblischen Exegese und der Kirchengeschichte unter dem seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gebräuchlichen Begriff der Historischen Theologie zusammenzufassen und von den systematischen Disziplinen und dem erst seit Ende des 18. Jahrhunderts verselbständigten Lehrfach der Praktischen Theologie zu unterscheiden. Dabei bleibt indes das Verhältnis der historischen zur systematischen Aufgabe der Theologie vielfach unbestimmt. Eine Folge davon ist, dass selbst der Verlauf der Demarkationslinien, die beide Fächerbereiche wechselseitig voneinander abgrenzen, nicht eindeutig fixiert ist. Einerseits hat z.B. Schleiermacher neben Schriftexegese und Kirchengeschichte auch die Dogmatik als Wissenschaft vom gegenwärtigen christlichen Glaubensbewusstsein in den Begriff der Historischen Theologie einbezogen, um schließlich der auf Kirchendienst und Kirchenregiment abgestellten Praktischen Theologie die Krone theologischer Wissenschaft zuzuweisen. Andererseits wird nicht selten die Alttestamentliche und namentlich die Neutestamentliche Wissenschaft mit dem dezidierten Normanspruch betrieben, von der gründenden Urzeit des Christentums und dessen kanonischer Richtschnur zu handeln, an der sich Systematische und Praktische Theologie verbindlich auszurichten hätten. Schließlich ließen sich auch gute Gründe dafür anführen, der Kirchengeschichte die Würde einer theologischen Basisdisziplin mit systematischen Geltungsansprüchen zuzuerkennen. Verweist doch, um nur dieses zu nennen, ihr fachtheologi-

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scher Ursprung in den konfessionellen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts auf einen Sachverhalt, der, wie gesagt, nicht unbegriffen bleiben darf, wenn der Status der Theologie, nicht zuletzt der Status theologischer Fakultäten an den staatlichen Universitäten Deutschlands erfasst werden soll: das erwähnte Faktum von Konfessionalität nämlich. Denn wie immer das Verhältnis der theologischen Einzeldisziplinen untereinander bestimmt werden mag: Tatsache ist, dass sie, um beim universitären Beispiel Münchens zu bleiben, jeweils unter dem Dach sei es der katholisch-theologischen, sei es der evangelisch-theologischen Fakultät oder der orthodoxen Ausbildungseinrichtung vereint sind, um als orthodoxe, katholische oder evangelische Theologie betrieben zu werden. Das Münchener Institut für FundamentaltheoloInstitut für Fundamentalgie und Ökumene gibt für diesen Sachverhalt eitheologie und Ökumene nen Beleg der besonderen Art (vgl. Pannenberg, Fundamentaltheologie, 203f.). Ursprünglich als ökumenisches Institut konzipiert, sollte es aus Gründen, die mit dem Institutsnamen unmittelbar zu tun haben, einige Jahre nach Gründung der Münchener Evangelisch-Theologischen Fakultät mit der entsprechenden Einrichtung der Katholischen Fakultät „extra facultates“ vereint werden. Dies scheiterte an Konkordatsschwierigkeiten, so dass nach einigem Hin und Her mit Ausnahme einer erfolgten Erweiterung des Institutsnamens alles beim Alten blieb. Analog zur katholischen Paralleleinrichtung sollte nun auch die evangelische Abteilung nicht Institut für Ökumene, sondern Institut für Fundamentaltheologie und Ökumene heißen, wobei offen blieb, was unter der in der katholischen Theologie seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gebräuchlichen, in der evangelischen Theologie bis heute nur gelegentlich verwendeten Disziplinbezeichnung genau zu verstehen ist. Verbleibt sonach Ökumenik, auch wo sie nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr in erster Linie kontroverstheologisch angelegt ist, sowohl sachlich als vielfach auch institutionell auf einen spezifischen konfessionellen Kontext bezogen, so gilt freilich ebenso, dass evangelische Theologie, um nur von dieser zu reden, sich unter neuzeitlichen Bedingungen insgesamt nicht auf die Wahrnehmung denominationeller Perspektiven fixieren und beschränken lässt. Solcher beschränkenden Fixierung steht nicht nur der allgemeine Bildungsauftrag staatlicher Universitäten, deren Teil die theologischen Fakultäten sind, sondern insbesondere die Tatsache entgegen, dass gerade in der Geschichte moderner evangelischer Theologie konfessionelle Bindung und transkonfessionelle Ausrichtung auf eigentümliche Weise zusammenwirkten. Am deutlichsten tritt dies darin zutage, dass neben dem Christentumsbegriff der Begriff der Religion zu einem, ja zu dem Leitbegriff der Selbstverständigung protestantischer Theologie in der Neuzeit werden sollte und tatsächlich geworden ist. Darauf wird im vorliegenden Religionstraktat im Einzelnen einzugehen sein. Vorerst soll der Hinweis genügen, dass die Theorie der Religion in der Geschichte evangelischer Theologie in der Neuzeit über weite Strecken den Status einer Fundamentaldisziplin einnahm. Warum dies in Deutschland nicht zur Umwandlung der theologischen in religionswissenschaftliche Fakultäten geführt

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hat, ist ein rechts- und wissenschaftsgeschichtliches Kapitel für sich ebenso wie die Frage, warum sich die Religionswissenschaft im Unterschied zu anderen Ländern an den deutschen theologischen Fakultäten nicht oder nur mühsam als selbständiges Lehrfach hat durchsetzen können. Beides mag mit der Einsicht zusammenhängen, dass Religion unbeschadet ihrer theologischen fundamentalen und universalen Funktion niemals im Allgemeinen und als solche auftritt und wirksam ist, sondern stets in der besonderen Bestimmtheit einer positiven Religion. Im konfessionell geteilten Deutschland hat man sich hiervon offenbar ein besonderes Bewusstsein bewahrt, was sich in der Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts in spezifischer Weise reflektiert, dessen religiös-weltanschauliche Grundlagen stärker von der paritätischen Koexistenzordnung bestimmt sind, wie sie in den Religionsfriedensschlüssen von 1555 und 1648 etabliert wurde, als durch das Prinzip religionsneutraler Staatssouveranität. Das tritt inklusive seiner universitätsrechtlichen und wissenschaftspolitischen Folgen an der Weimarer Reichsverfassung und am Bonner Grundgesetz erkenntlich zutage, auch wenn der privilegierte Status von Körperschaften des öffentlichen Rechts nun nicht mehr den traditionellen christlichen Konfessionskirchen vorbehalten, sondern für alle die staatliche Grundordnung respektierende Religionsgemeinschaften prinzipiell geöffnet wurde mit all den möglichen schul- und hochschulrechtlichen Konsequenzen, die dieser Vorgang impliziert. Auf die genaueren Hintergründe der konfessionsgeschichtlichen Entwicklung des Religionsrechts im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation wird im Folgenden noch genauer einzugehen sein. Hier war lediglich darauf aufmerksam zu machen, dass das moderne deutsche Staatskirchenrecht im Allgemeinen und der gegenwärtige Rechtsstatus der theologischen Fakultäten an deutschen Universitäten etwas zu tun haben mit den spezifischen Verhältnissen im konfessionell seit Mitte des 16. Jahrhunderts geteilten Deutschlands. Diese scheinen das Bewusstsein befördert zu haben, dass Religion niemals im Allgemeinen, sondern stets in der besonderen Bestimmtheit einer positiven Religion wirksam ist, die es ermöglicht, die grundgesetzlich verbürgte Religionsfreiheit nicht nur als individuelles Vorbehaltsrecht, sondern in affirmativer Gestaltung wahrzunehmen. Zentralthema moderner evangelischer Theologie, wie sie an deutschen Universitäten betrieben wurde, war in diesem Sinne in den allermeisten Fällen die positive Religion des Christentums evangelischer Provenienz, deren Verfassung sie im differenzierten Zusammenhang ihrer Disziplinen erörterte, wobei es in der Regel der Systematischen Theologie vorbehalten blieb, auf der Basis eines anthropologisch ausgewiesenen und philosophisch plausiblisierten Religionsbegriffs den eigentümlichen Geltungsanspruch des Christentums in seiner konfessionsspezifischen und konfessionsübergreifenden Gestalt namhaft zu machen. Ein expliziter Religionsvergleich fand dabei allenfalls in Ansätzen statt, wohingegen eine im entwickelten Zusammenhang der Religionsgeschichte durchgeführte Theologie der Religionen kaum je versucht oder gar geleistet wurde. In der Regel blieb es bei einer Grundlegung der christlichen Theologie durch eine allgemeine Theorie der Religion, deren

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fundamentaltheologische Bedeutung weniger kosmologisch als vielmehr anthropologisch plausibilisiert wurde, um sodann in die konkrete Geschichte des Christentums überführt und konfessionstheologisch spezifiziert zu werden. Der aktuelle Geltungsanspruch evangelischen Christentums wurde dabei, wie gesagt, besonders von der Systematischen Theologie expliziert, deren in Verbindung mit der analytischen Methode im 17. Jahrhundert aufgekommener Begriff in der – durch Schleiermacher bestätigten – Regel das System der Dogmatik und das moraltheologische System christlicher Ethik umfasste. Was den Begriff der Theologie im Allgemeinen Wissenschaftliche Theologie angeht (vgl. im Einzelnen Ebeling, 754f.), so geben das deutsche Lehnwort und sein griechisches Äquivalent keinen eindeutigen Hinweis auf einen verbindlichen Sinn, nach dessen Maßgabe er zu verwenden ist. Seine Terminologiegeschichte erweist den Theologiebegriff im Gegenteil als vieldeutig. Der Etymologie zufolge bezeichnet er die Rede und Rechenschaft vom Göttlichen. Dass dabei nicht sogleich an wissenschaftliche Rede und Rechenschaft zu denken ist, zeigt die Verwendungsweise Platons (427–348/7 v. Chr.), bei dem das Wort erstmals belegt ist. Theologie ist ihm zufolge mythische Sage und als solche im Unterschied zur philosophischen Gotteslehre unreine, strenger wissenschaftlicher Prüfung allererst zuzuführende Rede vom Göttlichen. Auch bei Aristoteles (384–322 v. Chr.) sind Theologen in der Regel Mythendichter. Allerdings kann er ansatzweise auch von theologischer Philosophie sprechen und die Metaphysik als die höchste der drei theoretischen Wissenschaften Theologik nennen. Gleichwohl bleibt in der Folgezeit das Verständnis von Theologie als mythischer Rede von Gott bestimmend. Eine vermittelnde Stellung nimmt die Stoa ein, indem sie zwischen der mythischen Theologie der Dichter, der physischen (natürlichen) der Philosophen und der politischen der Gesetzgeber auszugleichen sucht. Auch im frühen Christentum hat das Kompositum Theologie, das trotz der hervorragenden Stellung seiner beiden terminologischen Teilmomente im Neuen Testament nicht begegnet, keineswegs den Sinn einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Grund des Glaubens. Anfangs generell nur sehr zurückhaltend verwendet wird das Wort und sein terminologisches Umfeld durch Clemens von Alexandrien und entschiedener noch durch Origenes (185–254) allmählich christianisiert, wobei der neutestamentliche Gebrauch der Wortgruppe motivierend wirkte. Doch ist Theologie sowohl bei den Alexandrinern als auch bei Euseb und den griechischen Vätern der folgenden Zeit primär keine wissenschaftliche Unternehmung, sondern, wo sie recht geübt wird, wahre Gotteskunde, für welche Propheten, Apostel und Evangelisten als exemplarische Theologen autoritativ einstehen. Zur spezifischen Verwendungsweise von Theologie als Wissenschaft kam es erst im Sprachbereich der lateinischen Hochscholastik und zwar im Zusammenhang der entstehenden Universitätskultur. Nun kann Theologie das wissenschaftliche Durchdenken des Ganzen des christlichen Glaubens bezeichnen, wobei der engere Sinn des Begriffs auf die Gotteslehre als Lehre von der wesentlichen Wirk-

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lichkeit Gottes konzentriert ist, wohingegen die Wirkungen Gottes auf Menschheit und Welt unter dem Titel der göttlichen Ökonomie bedacht werden. Analog zur Anwendung des Theologiebegriffs auf die „sacra doctrina“ insgesamt kann universitär von „facultas theologica“ gesprochen werden, um die bezeichnete Wissenschaft von anderen zu unterscheiden. Ohne auf Details in der weiteren Entwicklung der Verwissenschaftlichung der Theologie und ihres Begriffs einzugehen, seien nur noch einige exemplarische theologiegeschichtliche Beispiele für das Selbstverständnis der Theologie als Wissenschaft angeführt (vgl. Pannenberg, Wissenschaftstheorie, 226–298): Eine paradigmatische Form der Selbstauffassung der Theologie als Wissenschaft ist ihre Deutung als eine abgeleitete Wissenschaft. Diese vermag ihre Prinzipien zwar nicht unmittelbar aus sich heraus zu erkennen und zu erfassen, sondern muss sie als durch Offenbarung suprarational gegeben und auf Autorität hin voraussetzen. Unter der Voraussetzung dieser Gegebenheit ist die Theologie dann allerdings in der Lage, die suprarationale Beziehung, die in den Artikeln des Glaubens grundsätzlich waltet, in rationaler Methodik zu explizieren und kohärent zu entfalten. Kennzeichnend ist diese Art von Theologieverständnis etwa für Thomas von Aquin (1225–1274) als den „doctor communis“ katholischer Theologie. Sein Theologieverständnis ist durch einen „duplex modus veritatis“ bestimmt, demzufolge es eine der natürlichen Vernunft zugängliche Weise der Wahrheit und eine solche gibt, welche die rationalen Fähigkeiten des Menschen übersteigt: „Quaedam namque vera sunt de Deo quae omnem facultatem humanae rationis excedunt, ut Deum esse triunum et unum. Quaedam vero sunt ad quae etiam ratio naturalis pertingere potest, sicut est Deum esse, Deum esse unum, et alia huiusmodi; quae etiam philosophi demonstrative de Deo probaverunt, ducti naturalis lumine rationis.“ (ScG I, 3: „Einiges nämlich über Gott ist wahr, was über jede Fähigkeit der menschlichen Vernunft hinausgeht, z.B. dass Gott dreifaltig und einer zugleich ist; anderes ist wahr, wozu auch die natürliche Vernunft gelangen kann, z.B. dass Gott ist, dass Gott einer ist und anderes dieser Art, was ja auch die Philosophen, geleitet vom Licht der natürlichen Vernunft, von Gott durch Beweise dargelegt haben.“) Der Aufbau der „Summa contra Gentiles“ (= ScG), aus der die zitierten Grundsätze stam- Die Summen des Thomas men, entspricht der durch sie umschriebenen Methodik in Inhalt und Form. In den Büchern I–III wird die Wahrheit des christlichen Glaubens dargelegt, sofern sie der Vernunft zugänglich und erforschbar ist. Buch IV entfaltet unter Beschränkung auf rationale Wahrscheinlichkeitsgründe, welche, ohne Ansprüche unmittelbarer Evidenz zu erheben, lediglich der Zurückweisung von im Namen der Vernunft vorgetragenen Verdikten der Gegner dienen sollen, die suprarationale Offenbarungswahrheit, die nicht aufgrund des menschlichen Verstandes, sondern allein auf der Basis der Heiligen Schrift zu demonstrieren ist. Auf deren wunderbeglaubigte Autorität hin werden das Mysterium der Trinität, die Inkarnation des göttlichen Logos und die eschatologische Bestimmung von Menschheit und Welt Inhalt des Glaubens und Gegenstand christlicher Theo-

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logie. Für rational erschwinglich hält Thomas hingegen die Einsicht in das Dasein Gottes und in den Wirkzusammenhang der erkennenden und wollenden Tätigkeit Gottes, durch welche die kosmische Ordnung und die Welt des Seienden ursächlich hervorgebracht wird, um zielgerichtet auf Gott als ihren Bestimmungsgrund hingelenkt zu werden. Vermag der menschliche Verstand von den sinnenfälligen Dingen her sonach einerseits zur Erkenntnis der Existenz Gottes zu gelangen und analog von göttlichen Eigenschaften zu sprechen, so bleibt ihm doch andererseits wegen seinem sinnlichen Beginnen und seiner bleibenden Bindung an die Sinnlichkeit das dreieinige Wesen Gottes verborgen, welches nur durch Offenbarung auf suprarationale Weise erschlossen werden kann. Trotz der Duplizität ihres Modus ist die von der Theologie zu bedenkende Wahrheit nach Thomas eine. Denn zweifach ist nur die menschliche Erkenntnis der göttlichen Wahrheit, wohingegen Gott die eine und einfache Wahrheit selbst ist. In ihm, dessen schöpferisches Wirken ihre Differenziertheit allererst hervorruft, finden die rationale und die suprarationale Wahrheitswahrnehmung der Theologie zuletzt ihr einvernehmliches Ziel, in dessen Erreichen sie zur Einheit der Gottesschau vollendet werden. Weil das Entgegenkommen Gottes in seiner Offenbarung durch übernatürliche Erleuchtung des natürlichen Lichts der Vernunft darauf aus ist, den menschlichen Geist zu vollkommener Einsicht in das Offenbarte emporzuheben, sind die beiden Wege der Theologie darauf angelegt, eschatologisch zu konvergieren und in das Resultat aufgehoben zu werden, welches der Grund aller theologischen, ja aller Bewegung überhaupt ist. In der Gesamtarchitektonik des thomasischen Hauptwerks, der „Summa theologiae“, tritt dieser Zusammenhang deutlicher zutage als in der früheren „Summa contra Gentiles“, sofern nun die förmliche Aufteilung der theologischen Themenbestände in rationale und suprarationale aufgegeben wird zugunsten der strukturellen Erfassung ihrer differenzierten Einheit, wie sie bei aller begrifflich unaufhebbaren Unterschiedenheit dem Glauben gewiss ist. Anders als in der „Summa contra Gentiles“, die sie formal getrennt in zwei Büchern, nämlich dem ersten und dem letzten verhandelt, werden in der „Summa theologiae“ die Traktate „Deus unus“ und „Deus trinus“ in der Prima Pars als differenzierter Zusammenhang expliziert. Die Implikationen und Konsequenzen dieser Entscheidung für den „ordo disciplinae“ der Prima Pars und die Gesamtsystematik der Summa Theologiae verdienen es, in formaler und inhaltlicher Hinsicht genau bedacht zu werden. Man hat den Unterschied des thomasischen TheDas Theologieverständnis ologieverständnisses zu demjenigen Martin LuLuthers thers (vgl. im Einzelnen Bayer 36–55) mit den Adjektiven sapiential und existentiell oder mit vergleichbaren Wendungen umschrieben. Richtig daran ist, dass die Theologie des Reformators in allen ihren Teilen, anders als dies in den Summen des Thomas der Fall ist, auf die konkrete Wahrnehmung des in der Kraft des Gesetzes den Sünder richtenden und im Geiste des Evangeliums Jesu Christi rettenden Gottes ausgerichtet ist. „(H)omo reus et perditus et deus iustificans vel salvator“ (WA 40/II, 328, 1f.) lautet daher die ebenso

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bündige wie differenzierte Antwort Luthers auf die in der wissenschaftstheoretischen Tradition vorgebene Frage nach dem „subiectum theologiae“, welches die Theologizität der Theologie ausmacht. Ihren Sitz im Leben findet diese im Spannungsverhältnis von „promissio“ und „fides“, auf deren Zusammenhang nicht nur das gottesdienstliche Geschehen, sondern auch die theologische Reflexion ausgerichtet ist, die vom Gottesdienst herkommt und auf ihn hingeht. Dabei sind es vor allem die drei Regeln der „oratio“, der „meditatio“ und „tentatio“, die Luthers Verständnis der Theologie als einer „scientia practica“ bzw. „sapientia experimentalis“ im Innersten prägen. Ihr zentraler Bestimmungsgrund wiederum ist die – die Differenz von Erkennen und Handeln, Wissen und Tun, Theorie und Praxis transzendierende – „fides“, welche sich auf das „verbum externum“ verlässt, um im leiblichen Wort Gottes, welches Jesus Christus in Person ist, kraft des Heiligen Geistes den Grund ihrer selbst und die Gewissheit ihres Heils zu finden. Indem er sie insgesamt auf das im auferstandenen Gekreuzigten manifeste richtende und rettende Handeln Gottes und seines Geistes abstellt, wie „contritio“ und „fides“ sie zum Heil des Sünders wahrnehmen, hält Luther die Theologie zur Kunst des Unterscheidens und Verbindens von Gesetz und Evangelium an. Das rechte Verständnis ihres Verhältnisses reicht höher als alle menschliche Vernunft, da der Zusammenhang der begrifflich nicht synthetisierbaren Differenz von Gesetz und Evangelium nur durch Gott und seine Offenbarung gewährleistet werden kann. Dem lutherischen Verständnis der Theologie als einer „scientia eminens practica“, deren wesentlicher Gehalt die durch den dreieinigen Gott im auferstandenen Gekreuzigten erschlossene heilsame Beziehung von „mortificatio“ und „vivificatio“, von Sündenerkenntnis und Rechtfertigungsglauben ist, wird durch die Gesamtordnung des hier vorgelegten Konzepts formal durch die Kombination der Traktatentrias Gott, Jesus Christus, Geist mit der quarternären Reihung von Schöpfung, Sünde, Versöhnung und Vollendung Rechnung getragen, in der sich der überkommene Dual von „lex“ und „evangelium“ reflektiert und indirekt zu erkennen gibt, auf dessen heilsame Bestimmung die göttliche Offenbarung nach Maßgabe lutherischer Theologie ausgerichtet zu sein hat. Damit ist keineswegs intendiert, die alte Lehre von Gesetz und Evangelium und ihre an eine spezifische geschichtliche Situation gebundene Begriffsbildung zu repristinieren und mit zeitinvarianten Geltungsansprüchen zu versehen. Die organisatorische Entscheidung enthält lediglich die – nur durch die systematische Durchführung selbst zu fundierende – hypothetische Annahme, dass die formale Funktion des mit den Begriffen „lex“ und „evangelium“ bezeichneten Gliederungsprinzips auch dann – gegebenenfalls sogar in gesteigerter Weise – erhalten bleiben kann, wenn die traditionellen Inhalte, die ihm ursprünglich zugehörten, jedenfalls zum Teil in den Hintergrund getreten sind. Unter den traditionellen Gliederungsschemata der Dogmatik dominiert bis heute auf die eine oder andere Weise das triadisch-trinitarische, welches sich in Anlehnung an das Apostolicum und Nicaeno-Constantinopolitanum die Strukturierung der dogmatischen Themenbestände von der Unterscheidung Gottes des Va-

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ters, des Sohnes und des Heiligen Geistes vorgeben lässt. Durch seinen, wenn man so will, ökonomischen Aspekt ist das trinitarische Gliederungsprinzip vermittelt mit einem von heilsgeschichtlichen Grundsätzen bestimmten, welches den dogmatischen Stoff unter den Gesichtspunkten von Schöpfung, Versöhnung und Vollendung ordnet. Trotz der formalen Vorzüge dreiteiliger Gliederungsschemata sind ihnen im Verein mit der offenen Frage genauer Verhältnisbestimmung immanenter und ökonomischer Trinität eine Reihe von inhaltlichen Problemen implizit, welche die Berücksichtigung zwei- bzw. vierteiliger Gliederungsprinzipien nahe legen. Diese Probleme betreffen insbesondere die Sünde des Menschen und die Übel der Welt sowie deren Beziehung zu Wesen und Wirklichkeit Gottes in seiner Offenbarung und Abskondität. Indem die dreiteilige Traktatenfolge Gott, Jesus Christus, Geist mit der vierteiligen Sequenz von Schöpfung, Sünde, Versöhnung und Vollendung verbunden wird, soll deutlich gemacht werden, dass die Wirklichkeit des dreieinigen Gottes theologisch nur dann auf heilsame Weise bedacht wird, wenn sie soteriologisch auf den Unterschied von Protologie und Eschatologie und namentlich auf die begrifflich nicht synthetisierbare, nur durch Gott selbst zu behebende Differenz von Sünde und Übel einerseits und Rechtfertigung, Versöhnung und Erlösung andererseits bezogen wird, wie dies durch die göttliche Offenbarung im auferstandenen Gekreuzigten nicht nur nahegelegt, sondern alternativlos gefordert ist. Die Auferweckung des Gekreuzigten und das Kreuz des Auferstandenen bilden in diesem Sinne nicht nur die innere Mitte der Person und Werk Jesu Christi bedenkenden Christologie, sondern bestimmen den Gesamtzusammenhang der Dogmatik in theologischer und ökonomischer Hinsicht. Die Gliederung der dogmatischen Themenbestände versucht dem formal Rechnung zu tragen. Bevor der architektonische Plan materialdogmaSchleiermachers Enzyklopädie tisch zur Durchführung gebracht wird, sind in den Traktaten Religion, Offenbarung und Kirche propädeutisch drei Bezugsgrößen näher zu bestimmen, die zwar keineswegs erst und nur in der Neuzeit, aber doch auch und gerade unter modernen Bedingungen systembestimmende Bedeutung erlangt haben. An der christlichen Glaubenslehre Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers und der kirchlichen Dogmatik Karl Barths wird das exemplarisch zu erörtern sein. In wissenschaftstheoretischer Hinsicht mag daher einstweilen die Bemerkung genügen, dass gemäß dem Theologieprogramm Schleiermachers, das seine Glaubenslehre bestimmt und in seiner Enzyklopädie eigens ausgearbeitet wurde, dogmatische Theologie die Wissenschaft von dem Lehrzusammenhang ist, der in einem christlichen Kirchentum zu einer bestimmten Zeit in Geltung steht. Vorgeschaltet sind der Dogmatik die Ethik, die Religionsphilosophie und die Apologetik, durch Lehnsätze aus deren Bereich die Glaubenslehre die Rahmenbedingungen absteckt, in denen sie sich kontextuell zu realisieren gedenkt. Die Ethik, die nach Schleiermacher mehr ist als lediglich Sittenlehre und die Gesamtwirklichkeit geistiger Kulturtätigkeit umfasst, wie sie dem Naturerkennen koordiniert ist, hat das allgemeine Wesen von Frömmigkeit und Religion

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zu klären. Zu der Erkenntnis besonderer Frömmigkeitsgestalten schreitet die Religionsphilosophie fort, indem sie von der Verschiedenheit religiöser Gemeinschaften überhaupt handelt. Schließlich stellt die Apologetik das Christentum seinem eigentümlichen Wesen nach dar, bis nach erfolgter häresiologischer und konfessionstypologisch-kontroverstheologischer Grenzziehung und nach Unterscheidung von christlicher Sittenlehre und christlicher Glaubenslehre deren Gegenstandsbereich und damit derjenige der systematischen Theologie als der Wissenschaft von dem Gesamtzusammenhang der in einer christlichen Kirchengemeinschaft zu einer gegebenen Zeit geltenden Lehre präzise bestimmt ist. Ist die Theologie nach Schleiermacher insgesamt eine positive Wissenschaft, die ihre thematische Einheit darin findet, auf die Bedürfnisse der Kirche hingeordnet zu sein, so gilt dies in besonderer Weise auch für die Systematische Theologie und die Dogmatik. Indes wollte Schleiermacher die Theologie insgesamt und speziell die dogmatische Theologie nicht zu einer bloßen Funktion konfessioneller Kirchlichkeit herabsetzen. Als positive Wissenschaft kann sie sich nach seinem Dafürhalten nur im Zusammenhang einer allgemeinen Religions- und Christentumstheorie bewähren. Damit ist zugleich gesagt, dass sich der Wahrheitsanspruch seiner dogmatischen Theologie als einer positiven Wissenschaft christlicher Religion evangelischer Prägung nicht im Konstatieren der positiven Gegebenheiten eines historischen Phänomens erschöpfen kann. Die systematische Intention dogmatischer Theologie negiert ihren Charakter als historische Wissenschaft zwar nicht einfachhin, weist aber zugleich über ihn hinaus und das umso mehr, als evangelisches Christentum seinem Selbstverständnis nach nicht aufgeht in einer historischen Erscheinung, sondern sich in der Offenbarung Gottes und seiner allumfassenden Wahrheit begründet weiß. Von daher scheint es nahezuliegen, die Theologie mit Karl Barth als Wissenschaft von der Positivität der Offenbarung Gottes zu bestimmen, wobei dann freilich zu fragen bleibt, ob eine offenbarungspositivistische Auffassung der Theologie mit deren Wissenschaftlichkeit kompatibel ist. Das ist gewiss nur dann der Fall, wenn die theologische Lehre von Gott und seiner Offenbarung die Wahrheit der Wirklichkeit insgesamt zu erschließen und Kosmologie und Psychologie, Selbst und Welt zu integrieren vermag. Was das Theologiekonzept angeht, das im hier Dogmatik als Disziplin projektierten Entwurf verfolgt wird, so kann sich systematischer Theologie seine genaue Fassung erst aus dem systematischen Zusammenhang seiner Durchführung erschließen. Wie das theologische System, so ergibt sich auch der Begriff der Theologie aus der Entwicklung seiner Bestimmungsmomente. Vorweg angezeigt werden kann indes, wie sich das Gesamtprojekt in den enzyklopädischen Rahmen der in Disziplinen ausdifferenzierten theologischen Wissenschaft einzufügen gedenkt. Es ist die systematische Entfaltung des evangelischen Lehrbegriffs in seiner theoretischen Gestalt, um die es im Folgenden wesentlich zu tun ist. Das Gesamtprojekt ordnet sich also in den Zusammenhang der Systematischen Theologie ein und begreift sich näherhin als evangelische Dogmatik, sofern es dieser um eine vernünftige Erschließung der Lehr-

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bestände der christlichen Tradition in ihrer reformatorischen Gestalt für die Gegenwart geht. Genetische Gesichtspunkte sind dabei gebührend zu berücksichtigen; doch richtet sich die Aufmerksamkeit nicht primär auf die historische Genese der traditionellen Lehrbestände, sondern auf deren aktuelle Geltung. Die Historische Theologie hat in diesem Sinne für die Systematische die Funktion einer Propädeutik, wobei für die Dogmatik als diejenige Disziplin, die im Unterschied zur theologischen Ethik besonders den theoretischen Aspekt des christlichen Lehrbegriffs bedenkt, die Dogmen-, Theorie- und Geistesgeschichte des Christentums von besonderer Bedeutung ist. Im angemessenen Sinne Rechnung getragen werden kann dieser Bedeutung dabei nur, wenn sie ihre Relevanz in Bezug auf die Heilige Schrift als der kanonischen Urkunde des christlichen Glaubens erweist, die nach reformatorischem Urteil als konstruktives Kriterium aller christlichen Lehre zu fungieren hat. An der biblischen Geschichte hat sich denn auch in spezifischer Weise zu entscheiden, inwiefern das geschichtlich Gegebene des Christentums, welches wissenschaftliche Theologie vernünftig zu erfassen sucht, ein der Vernunft zwar nicht positivistisch, wohl aber positiv dergestalt Vorgegebenes ist, dass sie in ihm dem offenbaren Grund ihrer selbst begegnet, ohne welchen sie nicht zu sein vermag, was sie ist, sondern im Gegenteil ihr Wesen verfehlen müsste. Die Offenbarungsthematik hat in diesem Problemzusammenhang ihren Ort. Mit ihr wird die Gotteslehre beginnen, die den Inbegriff der Theologie überhaupt und gerade der systematischen, also im entwickelten Bewusstsein ihres Begriffs betriebenen Theologie der Dogmatik ausmacht. In der Offenbarung des dreieinigen Gottes findet Theologie den Grund sowohl ihrer Einheit als auch ihrer Differenziertheit. Dies systematisch zu erfassen ist die primäre und recht eigentlich einzige Aufgabe der Dogmatik, die ihrem theologischen Begriff entspricht. Dazu gehört, dass Dogmatik ihre theologische Erkenntnis Gottes als durch diesen selbst erschlossen erfasst. Ihren Begriff der Vernunft wird diese Einsicht nicht unberührt lassen. Zu erweisen ist vielmehr, dass nicht nur die dogmatische Vernunft, sondern mit ihr die Vernunft überhaupt erst eindeutig zu sich zu kommen und ihren bestimmungsgemäßen Begriff zu realisieren vermag durch die Erkenntnis Gottes, welche dieser in seiner Offenbarung selbst erschließt. Kann dieser für das theologische Selbstverständnis grundlegende und bestimmende Erweis erst von der dogmatischen Durchführung erwartet werden, so muss vorläufig der Hinweis genügen, dass für das Beginnen der Dogmatik die heuristische, einer durchgängigen Prüfung zu unterziehende Annahme einer wechselseitigen Aufgeschlossenheit des christlichen Glaubens für die Vernunft und der Vernunft für den christlichen Glauben kennzeichnend ist. Als Theorie der christlichen Lehre, welche deren mannigfaltigen Momente auf ihre Einheit zu durchleuchten und in ihrem Zusammenhang systematisch kohärent zu entfalten sucht, ist Dogmatik eine potenzierte Reflexionsgestalt christlichen Glaubens, die dessen Sachgehalt in seiner Wahrheit und in Verbindung mit allem, was als wahr zu gelten hat, vernünftig bedenkt. Das Medium ihrer Darstellung sind entsprechend nicht Gefühlsexpressionen, auch nicht Taten der Praxis, sondern in Worte gefasste Gedanken.

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Dabei besteht der dogmatische Anspruch nicht darin, das dem Glauben eigene religiöse Verhältnis dergestalt ins Denken aufzuheben, dass es sich darin verflüchtigt. Er ist im Gegenteil auf den Erweis ausgerichtet, dass das religiöse Verhältnis des Glaubens zu seinem göttlichen Grund für Vernunft und Denken selbst wesentlich ist, so dass von einer Vernunft des Glaubens im doppelten Sinne, den diese Wendung impliziert, berechtigterweise die Rede sein kann. Die Annahme, dass das religiöse Verhältnis für Religiöse Vorstellung und Vernunft und Denken konstitutiv ist, wird in theologischer Begriff dem Zeitraum, auf den die vorliegende Studie konzentriert ist, vor allem durch Hegel und seine These einer Aufhebung religiöser Vorstellung in den absoluten Begriff auf die Probe gestellt. Zu ihr sind daher einige Bemerkungen vorauszuschicken, die vor allem den Begriff der Vorstellung betreffen, deren Form nach Hegel das religiöse Bewusstsein und seine Inhalte bestimmt, um nach Maßgabe seines Systems in die Form reinen Denkens überführt zu werden. Zu einem philosophischen Terminus ist der ursprünglich nicht der Wissenschaftssprache zugehörige Vorstellungsbegriff erst durch Christian Wolff (1679–1754) geworden. Wolff gibt mit ihm den Begriff „perceptio“ wieder, wie er bei Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) verwendet wird. Perzeption heißt die Seelenkraft, welche die Welt in ihren Momenten als geordnetes Ganzes vorstellt. Dabei unterscheidet Wolff mit Leibniz zwischen rationalen, voluntativen und emotiven Vorgängen der Weltperzeption, um als Vorstellungen im engeren Sinn schließlich nur mehr intellektuelle Bewusstseinsvorgänge gelten zu lassen. Diese Entwicklungstendenz findet im Wolffianismus und darüber hinaus ihre Fortsetzung und in Immanuel Kants (1724–1804) Dreiteilung der seelischen Funktionen in Vorstellen, Fühlen und Wollen eine vorläufige Vollendung. Zwar kann Kant gelegentlich im Zusammenhang aller drei Seelenfunktionen von Vorstellungen sprechen. So werden etwa im Begehrungsvermögen Vorstellungen als Ursachen der Wirklichkeit eines Gegenstandes betrachtet, der willentlich allererst hervorzubringen und vorstellungshaft lediglich antizipiert ist. Im engeren Sinne aber sind Vorstellungen Realisierungsgestalten des Erkenntnisvermögens, die auf das Objekt des Erkennens und die Einheit des Bewusstseins bezogen sind. Mag auch von un- oder unterbewussten Vorstellungen die Rede sein; Vorstellungen ohne jedes Wissen, die einem reinen Gefühl oder einem bloßen Willenstrieb angehören, sind nach Kants Urteil nicht denkbar. Alles, wovon sinnvoll die Rede sein kann, steht unter der Bedingung, gewusst werden zu können. Das gilt nachgerade für Vorstellungen, welche als die meinigen allesamt vom denkenden Ich als der Funktion, ihre Mannigfaltigkeit zu vereinen, müssen begleitet werden können. Nach Maßgabe der Faktoren, die der Kritik der reinen Vernunft zufolge zu jeder objektiven Erkenntnis erforderlich sind, koordiniert Kant Vorstellung sowohl mit Anschauung als auch mit Begriff. Die Anschauung ist die unmittelbare Vorstellung eines sinnlich Gegebenen. Die reinen Formen, in denen alles, was zur Anschauung kommt, vorstellig wird, sind Raum und Zeit. Indes kann es nach Kant empirische Gegenstandswahrnehmung in den Anschauungsformen von Raum und Zeit nur

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geben in Anwendung von Verstandesbegriffen, deren reine Form die Kategorien als die apriorischen Bedingungen möglicher objektiver Erkenntnisse sind. Die reinen Begriffe der Vernunft als dem Vermögen, die Verstandesregeln unter Prinzipien der Einheit zu bringen, schließlich sind die transzendentalen Ideen von Ich, Welt und Gott. Eine spekulative Möglichkeit, diese Ideen und insonderheit die Gottesidee in ihrer Unbedingtheit an sich selbst zu erfassen, sieht Kant allerdings nicht vor. Er restringiert das Verhältnis von Verstand und Vernunft auf die Beziehung des Bedingten zu einem Unbedingten, von dem nur grenzbegrifflich im Sinne regulativer, nicht aber realbegrifflich im Sinne objektiver Ideen theoretisch die Rede sein kann. Unter seinen Theoriebedingungen muss daher gelten, dass Anschauungen ohne Begriffe zwar blind, Begriffe ohne Anschauungen aber leer sind, wobei der Vorstellungsbegriff die konkrete Mitte bezeichnet, der die Abstraktion begriffsloser Anschauungen ebenso fern liegt wie diejenige anschauungsleerer Begriffe. Während Schleiermacher (1768–1834) Kant zumindest darin folgt, dass er eine spekulative Thematisierung der im frommen Selbstbewusstsein mitgesetzten religiösen Gehalte nicht vorsieht, überschreitet Hegel (1770–1831) die Grenze, die mit der Konzeption des Verhältnisses von Verstand und Vernunft als Beziehung des Bedingten zum Unbedingten gesetzt ist, um das Unbedingte durch Denkbestimmungen spekulativer Vernunft an sich selbst zu erfassen. Lässt die Schleiermacher’sche Glaubenslehre eine vom gläubigen Selbstbewusstsein und der Vorstellungswelt des religiösen Bewusstseins prinzipiell abgehobene Aussage über Gott in seiner an sich selbst gedachten Absolutheit nicht zu, ist Hegels System darauf aus, die Unbedingtheit des Absoluten in ihrer unbedingten Absolutheit zu erfassen. Ist das Unbedingte bei Kant und vergleichbar auch bei Schleiermacher eine Voraussetzung, die als nicht nur nicht definitiv bestimmt, sondern als definitiv nicht bestimmbar vorausgesetzt wird, so gilt Hegel diese Gedankenoperation lediglich als Kennzeichen einer Vernunft, die den Grenzen endlicher Verstandesbedingungen verhaftet bleibt, statt diese zu transzendieren und zur vollendenten Realisierung ihres Begriffs fortzuschreiten. Diese ist nach Hegel mit dem in Form reinen Denkens entwickelten Begriff des Absoluten erreicht. Ob Hegels absoluter Begriff die Gottesidee real erfasst und die Differenz von Sein und Begriff wirklich in sich aufgehoben hat, wird zu fragen sein, ohne dass die Antwort auf diese Frage jetzt schon gegeben werden könnte. Beabsichtigt ist im Gegenteil, diese Frage, deren Beantwortung sinnvollerweise nicht am Anfang, sondern erst als Resultat einer systematischen Gesamtkonzeption und ihrer argumentativen Durchführung zu erwarten ist, einstweilen offen zu halten und es in der Schwebe zu lassen, wie angesichts der Alternative eines spekulativen und eines nicht- bzw. antispekulativen Vernunftverständnisses theologisch zu optieren ist. Ein solcher fundamentaltheologischer Schwebezustand ist auch unter den Systembedingungen Hegels nicht gänzlich bestimmungswidrig, sondern insofern nahegelegt, als der Religionsphilosophie ein systematischer Ort zwischen Religion und Philosophie und die Aufgabe zugewiesen wird, zwischen religiöser Anschauung

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und vernünftigem Begriff zu vermitteln. Wird der religiöse Gehalt vom religiösen Bewusstsein in Form der Vorstellung gewusst, so ist es Bestimmung der Philosophie, ihn in begrifflicher Gedankenform zu erfassen, um seine Allgemeinheit und universale Gültigkeit unter Beweis zu stellen. Dabei soll das Verhältnis von Philosophie und Religion durch inhaltliche Identität bei nichtidentischer Form bestimmt sein. Religion und Philosophie beziehen sich also weder antithetisch aufeinander, noch sind sie in indifferenter Weise eins. Ist dieser Bestimmung theologisch bis hierher problemlos zu folgen, so bleibt als entscheidendes Problem, wie man sich das Verhältnis von identischem Inhalt und differenter Form zurechtzulegen hat. Soll dem Inhalt der kategoriale Status der Substanz zugewiesen und die Differenz der Formen zu einer lediglich akzidentellen erklärt werden? Dies würde weder dem Problemniveau neuzeitlichen Denkens noch gar den Denkbewegungen des Hegel’schen Systems entsprechen. Auch unter diesem Gesichtspunkt muss es daher einstweilen bei der Feststellung sein Bewenden haben, dass das Verhältnis von religiöser Vorstellung und vernünftigem Begriff offen und bis auf weiteres offen zu halten ist. Abgewiesen werden kann indes jetzt schon die abwegige Annahme, die Vorstellungswelt des religiösen Bewusstseins sei in primitiver Weise sinnlich verfasst. Das religiöse Bewusstsein weiß seine Vorstellungen durchaus von unmittelbaren sinnlichen Anschauungen unterschieden und ist dessen inne, dass seine Gehalte von anderer als lediglich sinnlicher Natur und darauf aus sind, in ihrer idealen Realität erfasst zu werden. Gleichwohl hängt die Religion an der sinnlich-leibhaften Welt und will den Zusammenhang mit dieser im Vollzug jener Welt- und Selbsttranszendierung, die ihr Wesen ausmacht, nicht aufgeben und hinter sich lassen. Ob dazu ein Recht und zwar ein solches Recht besteht, das als religiöses zugleich ein vernünftiges ist, wird zu fragen sein. Was die mögliche Antwort betrifft, sei einstweilen nur die Vermutung geäußert, dass diese wahrscheinlich nicht einfach ausfallen, sondern nur in einer doppelten Einsicht bestehen kann, die gleichwohl einen stimmigen Skopus aufweist: Religiöses Vorstellen vermag ohne begriffliches Denken seine Sinngehalte nicht verständlich zu kommunizieren; andererseits droht begriffliches Denken, welches den Anschauungsbezug und namentlich den Bezug zur religiösen Vorstellungswelt in sich aufgehoben zu haben beansprucht, bezüglich der individuellen Lebenswelt der Subjekte und der Sinnthematik, die die Prozesse ihrer intersubjektiven Verständigung bewegen, sprachlos zu werden. Mag sein, dass die der Theologie aufgetragene vernünftige Verständigungsaufgabe nur in einer Doppelbewegung von gewisser Gegenläufigkeit wahrgenommen werden kann: Sie hat die religiösen Vorstellungen gedanklich zu erschließen, zugleich aber die Erschließung der theologischen Gedanken durch religiöse Vorstellungen in bleibender Erinnerung zu behalten dergestalt, dass dem religiösen Verhältnis in der Theologie ein unveräußerliches Gedächtnis gestiftet ist. Ist damit eines der fundamentaltheologischen Zentralprobleme, die im Folgenden näher zu bedenken sind, in Grundzügen umrissen, so bleibt noch zu klären, warum und in welcher Absicht den der materialen Dogmatik gewidmeten Bänden

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drei Teilbände vorangestellt sind, die in Form von Prolegomena die Themen Religion, Offenbarung und Kirche eigens behandeln, obwohl diese doch erkenntlich vom Zusammenhang Systematischer Theologie nicht zu trennen sind, sondern ihm unveräußerlich zugehören. Man könnte sich dadurch an die im 19. Jahrhundert namentlich im Bereich der katholischen Theologie etwa der Tübinger Schule ausgebildete Unterscheidung zwischen einer seit Jahrhundertmitte ausdrücklich so genannten Fundamentaltheologie und einer speziellen Dogmatik erinnert fühlen, was auch insofern naheläge, als an meinem Münchener Lehrstuhl, wie erwähnt, Dogmatik im Rahmen eines evangelischen Instituts für Fundamentaltheologie und Ökumene betrieben wird. Bekanntlich hatte Johann Sebastian Drey (1777–1853), der Gründervater der modernen katholischen Fundamentaltheologie, in seiner acht Jahre nach der Erstauflage von Schleiermachers Enzyklopädie erschienenen „Kurze(n) Einleitung in das Studium der Theologie mit Rücksicht auf den wissenschaftlichen Standpunkt und das katholische System“ von 1819 innerhalb der einer historischen Propädeutik folgenden wissenschaftlichen Theologie eine Grundlegungsdisziplin von einer, wie er sagte, speziellen Wissenschaft unterschieden. In seiner in den Jahren 1838 bis 1847 erschienenen Apologetik hat Drey die von ihm etablierte fundamentaltheologische Disziplin dann auch eigens religionstheoretisch, offenbarungsphilosophisch und ekklesiologisch ausgearbeitet, um damit der traditionellen und von christlicher Theologie seit alters wahrgenommenen Aufgabe vernünftiger Glaubensrechenschaft, Glaubensbegründung und Kirchenapologetik eine feste, auch methodisch abgesicherte Basis zu geben. Daraus hat sich die klassische Gliederung katholischer Fundamentaltheologie in „demonstratio religiosa“, „demonstratio christiana“ und „demonstratio catholica“ ergeben, welche gelegentlich durch einen Traktat zur theologischen Erkenntnis- bzw. Prinzipienlehre und neuerdings nicht selten auch durch Erwägungen zur Theologie der Religionen ergänzt wird, wie sich aus zahlreichen einschlägigen Publikationen erweisen ließe. Ist die Voranstellung der Traktate Religion, Offenbarung und Kirche ein evangelischer Reflex auf die klassische Dreiteilung katholischer Fundamentaltheologie, wie er im reformatorischen Traditionszusammenhang auch anderwärts zu beobachten ist? Dass dies nicht oder doch nur sehr eingeschränkt der Fall ist, lässt sich durch einen Blick ins Inhaltsverzeichnis der entsprechenden Teilbände leicht ersehen. Geboten wird weder ein klassischer apologetischer Glaubwürdigkeitsbeweis der Religion überhaupt, noch der christlichen Religion und ihrer biblischen Offenbarung im Besonderen, noch gar der einer christlichen Konfessionskirche. Die Trilogie enthält vielmehr geschichtlich orientierte Studien zu ausgewählten Beispielen der Religionstheorie in der Sattelzeit der Moderne, zur Funktion des Offenbarungsbegriffs in exemplarischen Konzepten evangelischer Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts sowie zum ekklesiologischen Selbstverständnis evangelischer Kirche in der Tradition namentlich der Wittenberger Reformation. Die systematische Aufgabe von Prolegomena zur Dogmatik wird dadurch nicht bzw. nur insoweit Fundamentaltheologische Studien zu Religion, Offenbarung und Kirche

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erfüllt, als die Theologie zu einem entwickelten Bewusstsein ihrer gegenwärtigen Aufgabe am besten durch Rekonstruktion ihrer Problemgeschichte zu gelangen vermag. Dass dabei, wie im Religions- und Offenbarungstraktat der Fall, der Neuzeit besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden ist, versteht sich von selbst und bedarf keiner gesonderten Begründung. Begründungspflichtig erscheint hingegen die ekklesiologische Konzentration auf Bekenntnistexte des 16. Jahrhunderts im dritten Teilband. Doch dürfte der Sinn auch dieses Verfahrens unschwer einsichtig sein. Wissen sich die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen doch unbeschadet aller seitherigen Veränderungen ihrem Selbstverständnis und ihren satzungsgemäßen Ordnungen zufolge auch gegenwärtig noch grundlegend vom kirchlichen Neuaufbruch des 16. Jahrhunderts bestimmt, dessen ekklesiologische Konsequenzen bis heute offenkundig fortwirken, ohne von nachfolgenden Ereignissen der westlichen Christentumsgeschichte prinzipiell überholt worden zu sein. Sinn und Zweck evangelischer Theologie erschöpfen sich nicht in dem Bezug auf konfessionelle Kirchlichkeit. Doch kann ihre gegenwärtige Aufgabe ebenso wenig unter Absehung von dieser Beziehung erfüllt werden. So wie die Dogmatik ihrem Wesen nach auf theologische Ethik bezogen ist, welche die Theorie christlicher Sitte zu entfalten hat, so ist ihre systematische Reflexion des christlichen Lehrbegriffs unveräußerlich kirchenbezogen und vom christlichen Gemeinwesen in seiner konfessionellen Gestalt nicht zu trennen. Zwar stellt dogmatische Theologie keinen unmittelbaren Bekenntnisakt, keine kultisch-liturgische Übung und auch keinen unmittelbaren Frömmigkeitsvollzug dar. Doch weiß sie sich sowohl dem kirchlichen Bekenntnis als auch der gottesdienstlichen Praxis der Kirche bis hin zu ihrer äußeren Verfassung in kritischer Solidarität verbunden und darin von reiner Vernunftspekulation unterschieden. Auf den Erweis, dass solche Bindung nicht als unvernünftig, sondern als höchst vernünftig zu gelten hat, weil die Vernunft des religiösen Verhältnisses bedarf, um vernünftig zu sein, ist ihr besonderer Ehrgeiz ausgerichtet. Zu ergänzen ist, dass für die Dogmatik als Theorie des christlichen Lehrbegriffs das kirchliche Dogma im Vergleich zu Kultus und Sitte der Kirche von besonderer Bedeutung ist. Dogmatik ist, wie der Name sagt, Wissenschaft vom Dogma, wobei die Frage, was ein Dogma ist und wie es zustande kommt, selbst ein dogmatisches Problem ersten Ranges ist, das sich durch historische Untersuchungen allein nicht lösen lässt. Einstweilen muss der Hinweis genügen, dass die theologische Verbindlichkeit von Dogmen nach reformatorischem Verständnis nicht in ihrer juridischen Festlegung, sondern nur in ihrem Wahrheits- und Sachgehalt begründet liegen kann. Steht das in Geltung, gibt es keinen prinzipiellen Grund, die Begriffe Dogma und Dogmatik evangelischerseits zu inkriminieren, auch wenn im Zuge der Reformation statt von Dogmen lieber von Bekenntnissymbolen des Glaubens die Rede ist, nicht zuletzt um damit die differenzierte, aber gleichwohl unauflösliche Einheit von „fides quae“ und „fides qua creditur“ zum Ausdruck zu bringen. Dogmatik und Symbolik als Theologie des kirchlichen Glaubensbekenntnisses bilden sonach einen engen Zusammenhang, wobei das Bekenntnis unbeschadet

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seiner Verbindlichkeit nicht auf seine buchstäbliche Form zu fixieren, sondern in seinem Sinngehalt aktuell zu erschließen ist, um offen zu sein für die Belange der Gegenwart, der in zwar kritischer, aber solidarischer Zeitgenossenschaft anzugehören ein Kennzeichen rechter evangelischer Theologie sein muss. Was im ersten Band meiner „Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche“ in dieser Hinsicht symbolhermeneutisch ausgeführt ist (vgl. Wenz I, 13– 44), behält seine Gültigkeit auch für das hier projektierte Unternehmen, das als Fortschreibung des dort gemachten Anfangs verstanden werden will. Systematische Theologie, so wurde an früherer Stelle gesagt, wird im Dienste der Kirche betrieUniversität und Kirche ben, transzendiert aber die Grenzen der Denominatinen und hat eine wesentliche Öffentlichkeitsfunktion. Der akademische Status der Theologie und ihre Stellung an staatlichen Universitäten, an denen das Theologiestudium im deutschen Sprachraum traditionell etabliert ist, berechtigt und verpflichtet nicht zuletzt die Dogmatik, eine kirchliche und gesellschaftliche Aufgabe gleichermaßen zu erfüllen. Den nicht nur im orthodoxen und römisch-katholischen, sondern auch im evangelischen Bereich immer wieder begegnenden Bestrebungen, die theologische Ausbildung primär kirchlichen Hochschulen zu übertragen, sollte daher, um es zu wiederholen, nicht unbedacht Folge geleistet werden. Was unter bestimmten soziokulturellen Verhältnissen theologisch sinnvoll, gegebenenfalls sogar geboten ist, wäre unter den aktuellen bundesrepublikanischen Verhältnissen in hohem Maße kontraproduktiv. Das Studium der Theologie sollte seinen Platz an den staatlichen Universitäten daher behaupten, soweit dies irgend möglich ist. Auch wo es, wie keineswegs in allen theologischen Studiengängen der Fall, primär der Ausbildung zu einem kirchlichen Beruf dient, beinhaltet seine universitäre Vernetzung mit anderen akademischen Disziplinen eine enorme Chance, die nicht ungenutzt bleiben sollte. Nutzen zu erbringen verspricht ihre universitäre Stellung übrigens nicht nur für die Theologie selbst, sondern auch für benachbarte Disziplinen wie die Philosophie und die Philologie, die Geschichtswissenschaft, die Pädagogik und die Humanund Sozialwissenschaften bis hin zu den Naturwissenschaften. Die Theologie gehört zusammen mit Medizin und Juristerei zu den ältesten Säulen der Universität; deren akademischer Bestand ist ohne sie auf Dauer nicht zu gewährleisten. Das universitäre Studium der Theologie vollzieht sich im Spannungsfeld zwischen Kirche und Gesellschaft. Dabei ist der Kirchenbezug des Theologiestudiums selbst ein konstitutiver Aspekt von dessen gesellschaftlicher Bedeutung. Äußerlich ist er durch die schlichte Tatsache gegeben, dass eine nach wie vor nicht geringe Zahl von Studienabsolventen in den Dienst der Kirche tritt. Aber auch aus Gründen, die der Theologie intern sind, lässt sich deren Studium als Teil kirchlichen Bildungshandelns verstehen. Zusammen mit Kompetenzvermittlung im kirchlichen Bereich hat das universitäre Theologiestudium seine gesellschaftliche Funktion indes auch als Kulturhermeneutik des Christentums und im Rahmen soziokultureller Sinn- und Orientierungsfragen der Gesellschaft unter Beweis zu stellen, die

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den binnenkirchlichen Bereich im engeren Sinne transzendieren. Zu denken ist dabei nicht nur, aber auch und vor allem an die theologische und religionspädagogische Ausbildung für das weite und differenzierte Feld schulischer Erziehung. In diesen und anderen gesellschaftlichen Hinsichten hat sich die akademische Theologie in Forschung und Lehre zu bewähren, um ihren Platz an der staatlichen Universität begründet behaupten zu können. Den Beweis für das Recht der Annahme, dass sie nicht nur ursprünglich, sondern konstitutiv zur „universitas litterarum“ gehört, deren Zusammenhang sie in nicht unwesentlichen Teilen in der Differenziertheit ihrer Disziplinen reflektiert, kann die universitäre Theologie freilich nicht apriorisch und in bloß thetischer Weise, sondern allein in Form systematisch konsistenter Explikation ihres Themas und ihres Gegenstands erbringen. Nur so und nicht in der Weise axiomatischer Prämissen lässt sich auch über den Wissenschaftsstatus der Theologie und darüber befinden, ob ihre universitäre Stellung durch Lehr- und Forschungseinrichtungen für Allgemeine Religionswissenschaft, Religionsgeschichte, Religionssoziologie oder Religionspsychologie ersetzt werden kann. Letztere Frage ist zumindest implizit in nachfolgenden Erörterungen zum Religionstraktat stets präsent. Dabei wird nicht nur der elementare Zusammenhang von Theologie und Religionsphilosophie zutage treten; es wird sich auch zeigen, dass der moderne Begriff der Religion ohne theologiegeschichtliche Kenntnisse gar nicht zu fassen ist. Die Geschichte des modernen Begriffs der Religion und ihres theologischen und philosophischen Verständnisses in der Neuzeit, die in Grundzügen zu skizzieren eine wesentliche Aufgabe des Religionstraktats sein wird, gibt Anlass zu der begründeten Vermutung, dass das aktuelle Verhältnis von Theologie und Religionswissenschaft weder als indifferente Identität noch als alternativer Gegensatz verstanden werden muss. Beide sind unterschieden und gehören doch auf differenzierte Weise zusammen. Überwiegt unter quantitativen Aspekten der Unterschied jedenfalls insofern, als Thema der Religionswissenschaft auch die nichtchristlichen Religionen sind, so besteht gleichwohl selbst in dieser Hinsicht ein Zusammenhang, als sich der Wahrheitsanspruch der Theologie vermöge seiner Universalität nicht nur auf das Christentum erstreckt und umgekehrt der Religionsbegriff eine Allgemeinheit benennt, unter der Christentum und nichtchristliche Religionen gleichermaßen zu stehen kommen sollen. Da eine Theologie der nichtchristlichen Religionen im Folgenden weder entwickelt werden soll noch entwickelt werden kann, wird das Verhältnis von Theologie und Religionswissenschaft vor allem im Zusammenhang des Problems erörtert werden, wie sich christliche Theologie und eine Philosophie bzw. Wissenschaft der Religion im Allgemeinen sowie des Christentums im Besonderen zueinander verhalten. Die Dringlichkeit einer differenzierten Problembeschreibung ist nicht nur durch theoretische Notwendigkeit, sondern auch durch die institutionelle Tatsache bedingt, dass religionswissenschaftliche Studiengänge mit theologischen universitär teils in einer Fakultät, teils fakultär getrennt koexistieren. In der Regel wird der wesentliche Unterschied zwischen (christlicher) Theologie und Religionswis-

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senschaft (des Christentums) mit dem Hinweis begründet, letztere sei weltanschauungsneutral, wohingegen erstere Weltanschauungsneutralität weder voraussetze noch anstrebe, sondern durch Offenbarungsglauben und mehr oder minder direkte kirchliche Beziehungen bestimmt sei. Diese Einschätzung ist zwar in hohem Maße klärungsbedürftig, aber sie ist auch klärungsfähig, und sie wird in Form der Traktatensequenz Religion – Offenbarung – Kirche aufgegriffen, um inhaltlich kritisch und konstruktiv expliziert zu werden. Methodisch soll dabei und in den Folgetraktaten derart vorgegangen werden, dass sich ansatzweise Modularisierung Möglichkeiten zu erkennen geben, die dogmatischen Lehrinhalte evangelischer Theologie in spezifischen Maßeinheiten zu fassen, also in sog. Modulen. Zur Plausibilität der Theologie als Wissenschaft gehört nicht nur ein normierter Fächerkanon, dessen Differenziertheit und innere Einheit gleichermaßen begründungspflichtig ist, sowie eine Bestimmung und konsistente Entfaltung ihres Gehalts; die Theologie wird sich akademisch auch dadurch auszuweisen haben, dass sie den nach ihr benannten Studiengang mit einem Qualifikationsprofil und einem Bildungsziel versieht, welches es curricular, also nach Maßgabe eines pädagogisch-didaktischen Studienkonzepts zu erreichen gilt. Um eine stimmige Modularisierung der Lehr- und Lerngehalte wird man dabei langfristig nicht umhin können. Im europäischen Hochschulraum sind im Zuge des sog. Bologna-Prozesses Modularisierungsanforderungen gesamtuniversitär obligat geworden. Sie werden auch im Bereich der deutschsprachigen Theologie zu Studienreformen führen, wenngleich bislang noch nicht einmal über Rahmenrichtlinien hinreichender Konsens besteht. Um die Qualität in Forschung und Lehre zu verbessern und die Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Hochschulen im europäischen Bereich zu sichern, sieht das Bolognadekret anstelle der bisherigen Abschlüsse einheitlich gestufte und weitgehend modularisierte Studiengänge vor, die nach drei Studienjahren zum Bachelor- und nach weiteren anderthalb bis zwei Jahren zum Masterabschluss führen. Auf die möglichen Gefahren dieser Entwicklung wurde inzwischen wiederholt hingewiesen. Doch sollte man sich andererseits den Blick für gegebene Chancen nicht verstellen lassen. Sie liegen für die Theologie vor allem in dem heilsamen Zwang begründet, präzise sagen zu müssen, worin ihre Bildungsgehalte bestehen und wie sich ihr Lehr- und Lernziel in der Differenziertheit ihrer Disziplinen erkennbar identifizieren und erreichen lässt. Bei der Bestimmung entsprechender Bildungsziele werden berufsdidaktische Gesichtspunkte, die im Ansatz bei den Erfordernissen der schulischen und kirchlichen Berufspraxis nehmen, ebenso berücksichtigt werden müssen, wie fachdidaktische, an der Wissenschaftsdisziplin der Theologie selbst orientierte Aspekte. Nicht unbedacht bleiben darf ferner die Lehr- und Lernmethode, die sich nicht in der Produktion und Rezeption kognitiven Wissens erschöpfen kann, sondern um der gebotenen Persönlichkeitsbildung willen subjektförmig und kommunikativ zu gestalten ist. Am drängendsten aber ist die Frage, was an Inhalten gelehrt und gelernt werden soll. Darauf ein

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Antwortangebot aus fundamentaltheologisch-dogmatischer Perspektive zu geben, ist wesentlicher Sinn und Zweck nachfolgender Traktate und ihrer Unterabschnitte, die bewusst so gestaltet sind, dass sie je für sich gelesen werden können.

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Von Gretchen in Marthens Garten zur Rede gestellt, wie er es mit der Religion halte, antwortete Heinrich Faust nach einigem Hin und Her, Gefühl sei alles, Name Schall und Rauch. Ungefähr so hatte es kurz vor Johann Wolfgang von Goethes (1749–1832) fünfzigstem Geburtstag der junge Berliner Pfarrer Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768–1834) auch gesagt. In seinen im Frühjahr 1799 erschienenen „Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ kennzeichnet er das Wesen der Religion als Anschauung des Universums und als Gefühl jenseits von Metaphysik und Moral. Die Wirkung der Schrift im modernen Protestantismus war enorm; nur Kant (1724–1804) und Hegel (1770–1831) wurde ein vergleichbarer religionstheoretischer Einfluss zuteil. Spätestens mit seiner Dogmatik „Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt“ von 1821/22 (21830/31), in der er das unmittelbare Selbstbewusstsein, in welchem die Religion ihr frommes Wesen hat, als Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit näher bestimmte, war Schleiermacher zum protestantischen Kirchenvater des 19. Jahrhunderts arriviert. Mit dem Namen Schleiermachers ist in sachlicher und chronologischer Hinsicht der Fluchtpunkt nachfolgender Studien zu einigen Aspekten des Begriffs der Religion und ihrer Theoriegeschichte in der Neuzeit benannt, mit welchen die geplante zehnbändige Reihe zu systematischen Grundthemen moderner evangelischer Theologie in Deutschland eröffnet wird. Nach Darstellung seiner religionstheologischen Konzeption, der ausführliche Erörterungen zum moralphilosophischen und metaphysischen Denken Kants und Hegels vorangehen, werden im vorliegenden Band nur noch religionskritische Strömungen, die seit der Schwelle der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts den Geist der Zeit beeinflussten, und die theologische Religionskritik jenes Theologen kurz angesprochen, der in erklärter Gegnerschaft zu Schleiermacher den Religionsbegriff aus seiner Rolle als Zentralterm theologischer Selbstverständigung verdrängte und den Begriff bzw. die Faktizität der Offenbarung an seine Stelle setzte: Karl Barth (1886–1968). Sein Name wird sodann den Fluchtpunkt der Beiträge zum Offenbarungstraktat bezeichnen, der geschichtlich die Zeit nach Kant, Hegel und Schleiermacher, deren theologische Rezeption an Einzelbeispielen exemplifiziert wird, bis hin zur Mitte des 20. Jahrhunderts umfasst. Gretchenfrage

Einleitung

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Den auf die „Sattelzeit“ (R. Koselleck) zwischen 1770/80 und 1820/30 konzentrierten reli- Sattelzeit der Moderne gionstheoretischen Untersuchungen vorangestellt sind einerseits spezielle Beobachtungen zur neuzeitspezifischen Terminologiegeschichte des Religionsbegriffs sowie generelle Hinweise auf die nachreformatorische Historie des konfessionalistischen Zeitalters und seiner Krise, die verständlich machen sollen, wie es zur Ausbildung des modernen Begriffs der Religion und vergleichbarer Reflexionsbegriffe wie Christentum und Protestantismus kam. Man hat nicht selten die Protestation reformatorischer Stände auf dem Reichstag zu Speyer von 1529 zur Geburtsstunde des Protestantismus erklärt. Doch ist diese Bezugnahme lediglich nomineller Art und in der Sache sogar irreführend und anachronistisch. Denn sachlich geurteilt ist der Protestantismus ein Phänomen nicht des 16. Jahrhunderts, sondern der Ära nach dem konfessionalistischen Zeitalter. Das lässt sich auch terminologiegeschichtlich nachweisen. Als Abstraktum begegnet der Protestantismusbegriff erstmals 1649 bei John Milton (1608–1674). Seine Funktion, welche die ihm eigentümliche Bedeutung ausmacht, besteht in der Umschreibung dessen, was Lutheranern und Reformierten, ja schließlich allen der Reformation in affirmativer Weise verbundenen Kräften ungeachtet der Unterschiede oder gar Gegensätze ihrer konfessionell-denominationellen Lehrmeinungen gemeinsam ist. Der Begriff des Protestantismus ist ein Reflexionsbegriff, der auf die – in grausamen Kriegen zum Austrag gekommenen – Antagonismen des konfessionalistischen Zeitalters reagiert, um sie auf seine Weise zu kompensieren. Hinzuzufügen ist, dass das Bewusstsein der ihn bestimmenden Historizität in den Protestantismusbegriff selbst eingegangen ist, etwa in Gestalt der im 19. Jahrhundert aufgekommenen Unterscheidung von Alt- und Neuprotestantismus, mit der sich vielfach der Streit verbunden hat, ob die Reformation des 16. Jahrhunderts eine eher mittelalterliche oder neuzeitliche Erscheinung war. Wie immer dieser Streit entschieden werden mag: Der Protestantismus – einschließlich der in seinem Namen getroffenen Unterscheidung von Alt- und Neuprotestantismus – ist eine im Vergleich zur Reformation neue, moderne, eben neuzeitspezifische Erscheinung. Beide, der Begriff des Protestantismus und der Epochenbegriff Neuzeit gehören zusammen, wobei bekanntlich auch letzterer ein relativ spätes, als Kompositum erst im 19. Jahrhundert terminologisch belegbares Produkt jener geschichtlichen Entwicklung darstellt, deren Eigenart er bezeichnet. Die konfessionell-denominationelle Gegensätze transzendierende und hinter sich lassende Tendenz des Protestantismusbegriffs findet im Christentumsbegriff ihre konsequente Fortsetzung. Auch der uns geläufige Begriff des Christentums ist neuzeitspezifisch und von postkonfessionalistischer Art. Als historischer Reflexionsbegriff versucht er das wesentlich Christliche von den Bekenntnisalternativen widerstreitender konfessioneller Kirchentümer abzuheben und zugleich den verbleibenden gemeinsamen Nenner zu formulieren, der diese und zuletzt die gesamte okzidentale Kultur vereint und das christliche Abendland von jenen ihm frem-

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den Kulturen unterscheidet, mit denen es im Zuge der europäischen Expansion mit zunehmender Intensität konfrontiert war. Der neben Protestantismus und Christentum dritte historische Reflexionsbegriff, der in den bezeichneten geschichtlichen Zusammenhang der werdenden Neuzeit gehört, ist derjenige der Religion. Auch und gerade der Religionsbegriff, den der neuzeitliche Protestantismus nicht von ungefähr zum Zentralmedium seiner Selbstauslegung wählte, ist ein modernitätsspezifischer Begriff. Ihn kennzeichnet sowohl die vergleichsweise größte terminologische Reichweite als auch das höchste Maß an Abstraktion. Als sein typisches Charakteristikum hat im Unterschied zum überkommenen religio-Verständnis, wie es bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts und darüber hinaus in Geltung stand, Generalisierung zu gelten. Analog zu den Begriffen von Protestantismus und Christentum und in gesteigerter Fortführung von deren Generalisierungstendenz versucht der neuzeitliche Religionsbegriff gemäß seiner ursprünglichen Bestimmung jenes Allgemeine zu fassen, das allen durch ihn zu identifizierenden Erscheinungen gemeinsam ist. Dieser Befund wird durch die religionstheoretiKant, Hegel und schen Konzepte Kants, Hegels und Schleiermachers Schleiermacher grundsätzlich bestätigt, aber aus Gründen zu vermeidender Abstraktion zugleich in einer Weise fortentwickelt, die von Anfang an und prinzipiell nicht unbedacht bleiben darf. Um es am Beispiel Schleiermachers zu verdeutlichen: Die Bestimmung des Allgemeinbegriffs der Religion als Anschauung des Universums und Gefühl bzw. Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit und unmittelbares Selbstbewusstsein wird nur unter der Voraussetzung nicht gründlich missverstanden, dass sie im Kontext und untrennbaren Zusammenhang mit der These einer prinzipiellen Positivität der Frömmigkeit interpretiert wird. Das in allen Frömmigkeitsweisen mitgesetzte allgemeinreligiöse Empfinden ist noch nicht jene positive Religiosität, wie sie etwa den christlichen Glauben ausmacht. Mit der Grundbestimmung von Religion und Frömmigkeit ist zunächst lediglich auf ein unbestimmtes Transzendenz- und Absolutheitsverhältnis verwiesen, das seine christliche Bestimmtheit erst in genuin christologisch-pneumatologischen Vermittlungszusammenhängen gewinnt, in welchen der Realgrund der Wirklichkeit schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls manifest wird. Damit ist zugleich etwas über den Unmittelbarkeitsstatus frommen Selbstbewusstseins im Sinne Schleiermachers ausgesagt. Zwar manifestiert sich in der Frömmigkeit eine präreflexive Gewissheit, die unmittelbar auftritt, nämlich als Gefühl, dessen Evidenz nicht erst durch Reflexion vermittelt ist. Gleichwohl hat das für positive Religiosität charakteristische Gefühl nicht den Status vermittlungsloser, sondern vermittelter Unmittelbarkeit. Das Verhältnis zu Reflexion, Denken und verständigem Handeln ist dem frommen Gefühl daher niemals äußerlich und in konkreter Religiosität stets mitgesetzt. Für das religiöse Gefühl selbst bedeutet dies, dass es zu Bewusstsein gebracht und reflektiert werden kann und soll. Allerdings lässt es sich nach Schleiermacher nicht dergestalt in ein sich wissendes Bewusstsein aufheben, dass das fromme Selbstbewusstsein das Gefühl seiner Un-

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mittelbarkeit verlieren würde, um seine Frömmigkeit auf einen Akt praktischer Selbstätigkeit oder vernünftigen Denkens zurückzuführen. Auch und gerade im Denken des Gottesgedankens weiß sich fromme Vernunft an das religiöse Verhältnis gefühlsmäßig gebunden. Deshalb bestreitet sie Kants moralische Funktionalisierung der Religion und behauptet im Unterschied zu Hegel nicht, Gott als Grund und Inbegriff allen Denkens begrifflich erfassen zu können. Zwar muss Gott in allem Denken und in jedem Gedachten als stets mitgesetzte Voraussetzung bedacht werden. Aber die in allem Denken und in jedem Gedachten mitgesetzte Voraussetzung Gottes lässt sich – auch wo sie eigens thematisch wird, wie z.B. im Denken christlicher Theologie – nicht dergestalt auf den Begriff bringen, dass Gott als der Letzt- und Gesamthorizont allen Denkens als ins Denken eingeholt und aufgehoben gelten könnte. Folgt man Schleiermacher, dann hat sich theologisches Denken auch und gerade bei äußerster Anstrengung des Begriffs, die es nicht scheuen darf, das religiöse Gefühl für Gottes Unbegreiflichkeit zu bewahren. Dem spekulativen Ansinnen Hegels, die Religion und die ihr eigentümliche Vorstellungsform in den absoluten Begriff und die Form reinen Denkens aufzuheben, wäre damit Einhalt geboten. Ob und gegebenenfalls mit welchem Recht dies geschieht, wird zu bedenken und im Einzelnen zu erörtern sein. Bevor Letztfragen dieser Art gestellt und religionstheoretisch reflektiert werden, soll zunächst Luhmann und Habermas eine vorläufige und in ihrer Vorläufigkeit zugestandenermaßen noch recht unbestimmte Einschätzung der aktuellen religiösen Lage hierzulande gegeben werden. Dabei ist zu bedenken, welche soziale Funktion Religion unter den Bedingungen einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft wie der unsrigen nicht nur generell, sondern so erfüllt, dass von ihr begründet Nichtsubstitutierbarkeit ausgesagt werden kann. Die Systemtheorie von Niklas Luhmann wird hierfür als Referenzrahmen gewählt. Das geschieht nicht zuletzt deshalb, weil Luhmanns Theorie funktionaler Differenzierung des Gesellschaftssystems entscheidend zum soziologischen Verständnis der exemplarisch von Schleiermacher thematisierten Selbständigkeit der Religion und ihrer Unersetzbarkeit durch Denken und Handeln beitragen kann. Die spezifische Eigenbedeutung der Religion und ihre relative Unabhängigkeit von den Sinnsystemen der Metaphysik und Moral, wie Schleiermacher sie betonte, steht, so die heuristische Annahme, in einem Zusammenhang mit jener Ausdifferenzierung des Sozialsystems, wie sie sich in der Moderne sukzessiv ausgebildet hat. Dass Religion zugleich Individualität als Transzendenz sozialer Systeme erkennen lässt, wird ebenfalls zu zeigen sein und zwar am Beispiel der Theorie des kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas, die auf ihre – von Luhmanns Systemtheorie spezifisch unterschiedene – Weise ebenfalls eine elementare Affinität zu Schleiermacher aufweist, auch wenn dieses Verwandtschaftsverhältnis ihrem Autor verborgen blieb. An den Sozialtheorien von Luhmann und Habermas wird nicht nur die fundamentale Relevanz deutlich werden, welche Religion für Vollzüge gesellschaftlicher Selbstverständigung sowohl faktisch als auch unter Theoriegesichtspunkten zu-

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kommt, ihre Kontroverse kann zugleich Bezüge erschließen zu unterschiedlichen Möglichkeiten, unter neuzeitlichen Bedingungen Theologie zu betreiben. Während die Habermas’sche Kommunikationstheorie primär auf verständigungsorientiertes Handeln von individuellen Personen ausgerichtet und darin den Ansätzen vergleichbar ist, welche die positionelle Theologie des 18. und 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg bestimmen, versteht Luhmann singuläre Subjektivität als Umwelt sozialer Systeme, deren Struktur und Bestimmungsgrund individuelles Selbstbewusstsein transzendieren. Ob damit Subjektivität überhaupt der Abschied gegeben wird, lässt sich mit guten Gründen bezweifeln. Plausibler dürfte es sein, Luhmanns Systemtheorie als eine radikalisierte Handlungstheorie zu begreifen, die primär nicht auf das Verständnis individuellen Tuns, sondern auf Selbsttätigkeit überhaupt und damit zuletzt auf jenen Tätigkeitsvollzug ausgerichtet ist, den die Theologie, welche nach dem Ersten Weltkrieg führend wurde, mit der absoluten Selbstbestimmung und radikalen Autonomie Gottes in seiner Offenbarung assoziierte. Ob sich jener Tätigkeitsvollzug ohne Bezug auf singuläre Subjektivität sinnvollerweise denken lässt, wird zu fragen sein. Zwar lassen sich, so die einstweilen nur vermutungsweise geäußerte Annahme, individuelle Subjektivität und intersubjektive Vollzüge von Einzelpersonen nur unter der Voraussetzung von demjenigen angemessen verstehen, was Luhmann die „Subjektivität des Systems“ nennen kann. Doch verkommt besagte Subjektivität des Systems nur dann nicht zu einer von individuellen Vollzügen abgehobenen Struktur von subjektdestruierendem Verdinglichungscharakter, wenn sie theologisch und d.h. von Gott her und auf ihn hin gedacht wird, welcher nicht nur jede Gestalt individueller Subjektivität, sondern auch alle gesellschaftlichen Formationen transzendiert, um Individualität und Sozialität gerade auf diese Weise füreinander zu erschließen und in ihrer irreduziblen Gleichursprünglichkeit zu erweisen. Zwei methodische Bemerkungen von sachlicher Die Historizität des AllgeBedeutung für die Gesamtkonzeption der promeinbegriffs der Religion jektierten Themenreihe seien an dieser Stelle noch angefügt. Erstens: Der zu erbringende Beweis, dass Religionen in modernen und auch in postmodernen Zeiten eine prominente und nicht substituierbare Funktion zukommt, obwohl die Mitgliederzahlen traditioneller Kirchentümer eher im Schwinden begriffen sind, könnte es nahe legen, die theologische Zugangsweise durch eine religionswissenschaftliche zu ersetzen. Wenn gleichwohl auch der Religionstraktat als Prolegomenon zur evangelischen Theologie und Glaubenslehre entfaltet wird, dann vor allem aus Gründen der Abstraktionsvermeidung und in dem Interesse, die systematische Absicht im Bewusstsein ihrer historischen Perspektivität zu verfolgen. Für eine sinnvolle Verwendung des Religionsbegriffs ist es schlechterdings konstitutiv, dass das Bewusstsein seiner Historizität in ihn eingeht. Gerade in religionstheoretischer Hinsicht, so steht zu vermuten, ist die Konzentration der Wahrnehmungsperspektive die Voraussetzung dafür, die Horizonterweiterung, welche der

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moderne Religionsbegriff in seiner generalisierten Bedeutung zu erschließen verspricht, konkret und nicht unter Absehung ihrer historischen Bedeutung in den Blick zu bekommen. Analog zum Religionsbegriff ist bekanntlich auch die durch ihn bezeichnete Wissenschaft innerhalb der Geschichte neuzeitlichen Christentums entstanden und zwar in demselben Vollzug religiöser Emanzipation von den dogmatischen Lehrvorgaben kirchlicher Autorität, der auch die moderne evangelische Theologie entscheidend bestimmte. Der Unterschied von Theologie und Religionswissenschaft muss also nicht zwangsläufig auf einen Gegensatz hinauslaufen. Denn einerseits hat die evangelische Theologie namentlich des 19. Jahrhunderts den Religionsbegriff zu ihrer eigenen Leitkategorie gewählt, um sich selbst als Religionswissenschaft protestantischen Christentums zu verstehen; andererseits sind die Religionswissenschaft und der Begriff, der ihren Gegenstand benennt, keine kulturneutralen Größen, sofern ihre Genese erkennbar christentumsgeschichtlich bestimmt ist. In diesen Zusammenhang gehört auch der Hinweis, dass unter den Menschheitsreligionen vor allem das Christentum rationale Selbstverständigungsformen entwickelt hat, welche zur Ausbildung wissenschaftlicher Theologie führten. Zwar stand die Rationalität theologischer Wissenschaft über lange Zeit im primären Dienst der Kirchenlehre; doch reicht die institutionelle Verselbständigkeit der Theologie gegenüber der Kirche in ihren Anfängen weit ins Mittelalter hinein, um unter den Bedingungen der Moderne eine neue Qualität zu gewinnen. Ein begründeter Anspruch auf wissenschaftliche Beschäftigung mit Religion kann also nicht nur unter dem Titel Religionswissenschaft, sondern auch unter demjenigen evangelischer Theologie erhoben werden. Zweitens: Die Rede von Religion ist notorisch Vieldeutigkeit und Transvieldeutig. Als legendär darf inzwischen J.H. Leuzendenzbezug der Religion bas Zusammenstellung von nahezu fünfzig Definitionen gelten, die bereits vor knapp einhundert Jahren vorgenommen wurde. Es wäre keine Kunst, die stattliche Definitionsreihe weiter zu verlängern. Gewonnen wäre damit nichts. Sinnvoller dürfte es sein, in der notorischen Vieldeutigkeit des Religionsbegriffs ein Faktum von prinzipiellem Charakter insofern zu sehen, als es zum Wesen der Religion zu gehören scheint, mit den identifizierbaren Phänomenen ihrer äußeren Erscheinung niemals definitiv gleichgesetzt werden zu können. Im Vollzug der Transzendierung, der ihr Wesen ausmacht, transzendiert Religion offenbar auch jede abschließende Generaldefinition ihres Begriffs. Das ist deshalb der Fall, weil es zum Begriff der Religion gehört, über sich selbst hinaus zu weisen. Religion ist mehr und anderes als sie selbst, und das religiöse Bewusstsein weiß dies auch, wenn es zu einem entwickelten Bewusstsein seiner selbst gekommen ist: Es ist inne geworden, nicht in sich selbst, sondern in einem unverfügbaren Anderen zu gründen. Eben dieses Innesein externer Gründung in einem Transzendenten ist ein Kennzeichen religiösen Lebens. Selbstunterscheidungsvollzüge unter Einschluss von Vollzügen radikaler Selbstkritik sind daher einer zum entwickelten Bewusstsein ihrer selbst gelangten Religion nicht fremd. Die nicht nur religionsaf-

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firmative, sondern religionskritische religiöse Rede von Offenbarung gehört in diesen Zusammenhang. Im Allgemeinen weiß sich Religion auf Offenbarung bezogen, in der sich ihr transzendenter Grund erschließt, auf den sie selbsttranszendierend hingeordnet ist. Offenbarung ist unleugbar eine religiöse Kategorie. Doch verweist sie das religiöse Bewusstsein zugleich aus ihrer Immanenz hinaus auf ein Transzendentes; ohne Beziehung zu diesem vermöchte Religion nicht zu sein, was sie ist. Offenbarung ist konstruktiver Grund und abgründige Krise der Religion. Religion weiß das, sobald sie des exzentrischen Gründens, das ihr Wesen ausmacht, inne geworden ist. Ihr bloßes Dasein gilt ihr daher nicht als ihre Wahrheit. Sie ist anders, als sie faktisch ist; sie ist über sich hinaus, wenn sie recht zu sich gekommen und bei sich ist. Im zweiten Band dieser Reihe wird dies genauer zu bedenken sein und zwar vor allem in Bezug auf die abgründigste Selbsterfahrung, die das durch Offenbarung für sich selbst erschlossene religiöse Bewusstsein macht: die Erfahrung seiner Sündenverfallenheit. Hier soll lediglich festgehalten werden, dass Religion sich nicht unmittelbar aus sich selbst heraus versteht, sondern um ihres Verständnisses und ihrer Selbstverständigung willen auf Offenbarung ausgerichtet ist, durch deren Erschließung der Religion ihre religiöse Bestimmung zuteil wird. Religion und Offenbarung sind einander zugeordnet, wenngleich auf asymmetrische Weise, sofern Offenbarung den externen Grund der Religion, in welchem diese exzentrisch gründet, Religion die Wahrnehmungsgestalt der Offenbarung und sonach die Immanenz und das Innesein von deren Transzendenz bezeichnet. Offenbarung ist ein Erschließungsgeschehen, das auf religiöse Innewerdung aus ist. Religion ist offenbares Innesein, exzentrisch in Transzendenz zu gründen. Als Innesein ihres Gründens in transzendenter Externität weiß sich Religion in sich selbst von sich selbst und ihrer faktischen Verfassung unterschieden. Die Schwierigkeiten, den Religionsbegriff zu definieren und ihn auf eine definitive Identität festzulegen, mögen als Reflex dieses Sachverhalts gewertet werden. Konkret erfassen lässt sich das für Religion und ihren Begriff charakteristische Transzendierungsgeschehen nicht durch einen substantialen Wesensbegriff der Religion, sondern nur durch eine Hermeneutik, die – ohne den Anspruch, ihren Gegenstand theoretisch konstruieren und apriorisch deduzieren zu können – um geschichtliches Verständnis dessen bemüht ist, was jeweils Religion genannt wird. Ein solches Verständnis hat sich in religionswissenschaftlicher Hinsicht an einer Fülle kaum zu überschauender Phänomene empirisch zu bewähren. In der Perspektive evangelischer Theologie mag es hingegen genügen, die hermeneutische Kunst geschichtlichen Verstehens von Religion im Modus der Reflexion und damit nicht unmittelbar empirisch, sondern auf vermittelte Weise, nämlich in Bezug auf exemplarische Konzeptionen ihrer Theorie zu üben, wie dies im Folgenden geschieht. Es ist zu hoffen, dass das theologische Bemühen nicht in der Klage enden wird, mit welcher die Fausttragödie ihren Anfang nimmt: „Da steh ich nun, ich armer Tor, / und bin so klug als wie zuvor!“ (J.W. v. Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil: Nacht)

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Lit.: E.-W. Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, Stuttgart/ Berlin/Köln/Mainz 1967, 75-94. – H. Lübbe, Religion nach der Aufklärung, Graz/Wien/ Köln 1986. – W. Pannenberg, Anthropologie in theologischer Perspektive, Göttingen 1983. – W. Steck, Praktische Theologie: Horizonte der Religion – Konturen des neuzeitlichen Christentums – Strukturen der religiösen Lebenswelt. Bd. 1, Stuttgart/Berlin/Köln 2000. – G. Wenz, Die Zukunft des Christentums, in: V. Schubert (Hg.), Begegnung der Zeiten. Über Zeit, Kultur und Wissenschaft, St. Ottilien 2002, 113–135.

Der 1770 im mittelfränkischen Ansbach geborene Karl Freiherr vom Stein zum Altenstein (1770–1840) war ein ebenso mächtiger wie gebildeter Mann. Als preußischer Kultusminister von 1817 bis 1838 setzte er sich u.a. für die Erweiterung der allgemeinen Schulpflicht und den flächendeckenden Ausbau von Lehr- und Lehrerbildungsanstalten ein. Ein wirkungsvolles Bildungswerk des Schülers von Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) und des Freundes von Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770–1831), für dessen Berliner Berufung er sich stark machte, war fernerhin die Gründung der Universität Bonn und der Ausbau der Universitäten Halle, Berlin und Breslau. Altenstein war ein vom Geist seiner Zeit ergriffener und bewegter Kulturreformer; Kulturrevolutionen hingegen lagen ihm fern. Dies hinderte nicht, dass an seinem gastlichen Tische zuweilen kühl die Frage erörtert wurde, ob das Christentum noch zwanzig oder fünfzig Jahre dauern werde. So berichtet es Heinrich von Treitschke (1834–1896), der Historiograph des Preußenstaats und Herold der Bismarckschen Reichsgründung, im dritten Teil (1885) seiner „Deutschen Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert“. Mittlerweile befinden wir uns im Einundzwanzigsten Jahrhundert, und das Christentum hat immer noch nicht zu existieren aufgehört. Soviel ist Faktum. Faktum ist ferner, dass seit geraumer Zeit eine Renaissance der Religion zu beobachten ist, die zwar vor allem den außereuropäischen Raum betrifft, aber auch innerhalb Europas und hierzulande deutliche Spuren aufweist. Vom baldigen Ende der Religion ist derzeit kaum noch die Rede. Im Gegenteil: Religion hat – trotz verbleibender Rudimente eines Gewohnheitsatheismus – Konjunktur. Das war, wie wir wissen, nicht immer so. Über Jahre und Jahrzehnte hinweg wurde Religion von vielen als Restbestand vergangener Lebenswelten beurteilt, der durch den Fortschritt eines mehr und mehr ins Globale ausgreifenden okzidentalen Rationalismus zum Renaissance der Religion

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definitiven Verschwinden bestimmt sei. Man musste kein radikaler Religionskritiker sein, um zu dieser Auffassung zu gelangen; auch für das allgemeine Bewusstsein und besonders für das aufgeklärte Selbstverständnis wissenschaftlicher Öffentlichkeit war sie in mehr oder minder expliziter Weise charakteristisch. Dies, wie gesagt, hat sich geändert: Heutzutage Lübbe: Religion nach der erscheinen eher jene Säkularisationstheoretiker Aufklärung als Petrefakte, die unbelehrt auf dem einst bezogenen Standpunkt verharren, wonach der Prozess der Modernisierung den Ruin der Religion und religiös vermittelter Selbst- und Weltdeutungen zur zwangsläufigen Folge habe. Im Gegensatz zur Erwartung, sie werde im Zuge progressiver Entzauberung der Welt, wie sie dem Wesen aufgeklärter Vernünftigkeit gemäß sei, das Ende des zweiten Jahrtausends nicht überleben, darf heute die Aufklärungsresistenz der Religion als erwiesen gelten. Ihre Zukunft zu leugnen ist eine Illusion. Es gibt ohne Zweifel „Religion nach der Aufklärung“. Hermann Lübbe – Ehrendoktor der Münchener Evangelisch-Theologischen Fakultät wie der eingangs erwähnte Martin Heckel – hat in seinem gleichnamigen Buch, das als Basis einer Erstorientierung zur religiösen Lage der Gegenwart dienen soll, Religion als das kultivierte Verhalten zu prinzipiell nicht in Handlungssinn transformierbarer Daseinskontingenz beschrieben. Weder der Grund von Selbst und Welt stehen zur Disposition des Menschen, noch die Totalität seiner Lebensbedingungen; gleichwohl muss er sich zu deren Unverfügbarkeit verhalten. In kultivierter Form geschieht dies in der Religion; sie ist Kontingenzbewältigungspraxis. Mit dieser, wie er selbst sie nennt, „Ultrakurzformel“ umschreibt Lübbe die Funktion der Religion, die auch nach der Aufklärung deren Unersetzbarkeit begründet. Religion, so seine Grundthese, ist aufklärungsresistent und durch keinen noch so fortgeschrittenen Prozess aufgeklärter Emanzipation zu beseitigen. Denn die Erfahrung alternativloser Elementarabhängigkeit von Daseinsvoraussetzungen, die nicht zur Wahl und zur Disposition des Daseins stehen, bleibt auch unter Aufklärungsbedingungen dauerhaft erhalten. Zu den Bedingungen der Notwendigkeit religiöser Kultur verhält sich der Aufklärungsprozess grundsätzlich indifferent. Vier Wirkungen der Aufklärung betreffen die kulturelle Stellung der Religion in modernen Gesellschaften nach Lübbe vor allem: 1. In aufgeklärten Gesellschaften unterliegt die Wissenschaftspraxis keinerlei religiös bestimmter Weltbildkontrolle mehr. 2. Im Vollzug des Aufklärungsprozesses haben sich religiöses Bekenntnis und ziviles Recht weitgehend entkoppelt; Freiheit der Religion und des Gewissens sind verfassungsrechtlich gewährleistet. 3. Infolge der von der Aufklärung bewirkten gesellschaftlichen Säkularisierung schwindet die Bedeutung religiöser Institutionen als Instanzen sozialer Kontrolle. 4. Die Kultur der Aufklärung tendiert zu konsequenter Selbsthistorisierung und intensiviert dadurch die geschichtliche Dynamik, die zeitinvariante Geltungsansprüche nicht länger zulässt. Unbeschadet dessen führt der für die Moderne charakteristische historische Beschleunigungsprozess nach Lübbe nicht zum Ende der

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Religion; es sei im Gegenteil so, dass ihr unter den Bedingungen extrem intensivierter Geschichtlichkeit der Neuzeit in wachsendem Maße die Aufgabe traditionaler Kompensation durch dauerhafte Vergegenwärtigung kontingenter Herkunftswelten in ihrer Unumgänglichkeit zukommt. In der herkunftsindifferent sich ausbreitenden Zivilisation der Moderne fungiert Religion durch fortgesetzte Erinnerung kontingenter Herkunft identitätsstiftend: Sie macht präsent, warum ich dieser Mensch bin und kein anderer. Auch in Bezug auf die drei vorhergehenden Aspekte religionsrelevanter Gesellschaftsfolgen der Aufklärung findet Lübbe seine These von der Aufklärungsresistenz der Religion bestätigt. Die von der Aufklärung freigesetzten Prozesse der Säkularisierung führten zwar einerseits zu einer Abnahme der sozialen Mächtigkeit religiöser Institutionen, weil die Zugehörigkeit der Individuen zu ihnen in die Kompetenz privater Entscheidung gestellt wurde; sie verhalfen den Kirchen aber zugleich dazu, sich auf ihre religiöse Kernkompetenz zu konzentrieren und sich auf diese Weise innerlich zu konsolidieren. Die Entkoppelung von religiösem Bekenntnis und Bürgerrecht als ein weiteres Charakteristikum aufgeklärter Kulturen zeitigte nach Lübbe einen vergleichbaren Effekt. Die politische Neutralisierung konfessioneller Wahrheitsansprüche vergleichgültigte diese nicht und führte keineswegs zwangsläufig zu einem religiösen Indifferentismus, indem sie zusammen mit negativer auch positive Religionsfreiheit gewährte und dadurch ein religiöses Binnenleben ermöglichte, das durch die freie Konkurrrenz religiöser Wahrheitsansprüche nicht eingeschränkt, sondern weiter gesteigert wurde. Um kulturell wirksam zu sein, bedürfen religiöse Geltungsansprüche keiner politisch-rechtlichen Verbindlichkeit. Vielmehr spricht nach Lübbe vieles dafür, dass die politische Neutralisierung religiöser Wahrheitsansprüche deren kulturelle Wirksamkeit nicht hemmte, sondern förderte. Was schließlich die funktionale Ausdifferenzierung von Religion und Wissenschaft betrifft, welche nachaufklärerische Gesellschaften kennzeichnet, so hat auch sie nach Lübbe mitnichten zu einem Relevanzverlust der Religion geführt. Denn mit dem Fortschritt der Wissenschaften habe sich die Einsicht in deren religiöse Indifferenz kulturell kontinuierlich ausgebreitet. Kein noch so forcierter wissenschaftlicher Fortschritt wird je die kontingenten Daseinsfaktoren beseitigen können, die zu Religion nötigen. Anderes zu behaupten hieße aus den Wissenschaften selbst eine Religion zu machen. So wenig sich nach Lübbe Religion in WissenReligion als Kontingenzschaft überführen lässt, so wenig kann sie nach bewältigungspraxis seiner Auffassung in moralisches Handeln aufgehoben werden. Mit Schleiermacher und in erklärtem Unterschied zu Kant und Hegel erkennt Lübbe der Religion eine eigene Stellung und Funktion jenseits von Tun und Wissen zu. Die missverständnisträchtige Beschreibung der Religion als Kontingenzbewältigungspraxis darf daher keinesfalls zu einer Verwechslung des religiösen Verhältnisses mit Vollzügen absichtsgeleiteten Handelns führen. Denn Religion vollzieht sich im Unterschied zu technischem, politischem oder auch

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moralischem Handeln nicht als Handlungszweckrealisation, da es sich auf das Insgesamt dessen bezieht, was allen zweckorientierten Selbstvollzügen indisponibel vorausgeht. Religion lässt sich daher mit sittlichem Tun, das sinnvollerweise nur auf endliche Handlungsziele aus sein kann, nicht gleichsetzen. Die Autonomisierung der Moral und ihre Emanzipation von kirchlich-konfessionellen Autoritätsvorgaben als ein elementares Kennzeichen aufgeklärter Kultur erübrigt Religion nicht, sondern macht sie in unveräußerlicher Weise nötig, da gerade die nach ihrem Eigengesetz verfasste Moral einer religiösen Orientierung bedarf, „um in jeder Lebenslage lebbar zu sein. Man erkennt das, wenn man sich klarmacht, daß die Bedingungen, von denen abhängt, daß ein Leben nach den Regeln universeller Moral zugleich ein zweckmäßig geführtes Leben ist, nicht zur Disposition des sich moralisch bindenden guten Willens selbst stehen.“ (Lübbe, 214) Unfähig sie zu ersetzen, bedarf die Sittlichkeit des Lebenssinnmediums der Religion, deren Funktion moralisch nicht substituierbar ist. Religiöser Sinn kann durch zwecktätiges Handeln nicht hergestellt werden; vielmehr hat alle praktische Zwecktätigkeit eine Sinnvoraussetzung, die sich nur religiös erfassen lässt. Dabei wird die nur religiös zu erfassende Sinnvoraussetzung in der Religion als eine Voraussetzung wahrgenommen, die sich selbst voraussetzt. Jede andere Wahrnehmung wäre nicht nur nicht religiös, sondern irreligiös. Ihr Vermögen, Daseinskontingenz zu bewältigen, wird Religion daher nicht unmittelbar sich selbst zuschreiben. Der Sinn des Ganzen, über den nicht zu verfügen ist, bestätigt, gerade wenn er sich einstellt, seine Unverfügbarkeit. Zwar impliziert der kontingenzbewältigende religiöse Vollzug menschliche Selbsttätigkeit und ist ohne diese Implikation nicht, was er ist; aber die der Religion eigene und ihre Humanität eigentümlich kennzeichnende Freiheit ist „in bezug auf ihre eigenen Bedingungen keineswegs souverän, so daß sie, im Akt freier Anerkennung schlechthinniger Abhängigkeit, sich ihrerseits als von Unverfügbarem abhängig erklärt. ... Um es in theologiegeschichtlicher Erinnerung an einen altkirchlichen Lehrstreit zu sagen: Die Anerkennung unserer Daseinskontingenz hat eine anti-pelagianische Struktur, das heißt, sie ist nicht ein Mixtum aus einiger Selbstbestimmung und einigen komplementär wirksamen Gnadenbeihilfen, sondern sie ist als uneingeschränkte Selbstbestimmung zugleich uneingeschränkt von Voraussetzungen abhängig, die nicht selbstbestimmungskonstituiert sind.“ (Lübbe, 175f.; vgl. Anm. 27) Kurzum: „In die Unverfügbarkeiten des Lebens ist deren freie Anerkennung selbst eingeschlossen.“ (Lübbe, 177) Oder anders formuliert: Religion weiß sich ihrem religiösen Wesen nach offenbarungsabhängig. Ist mit letztgenannter Wendung bereits der Weg der Untersuchung vom Religions- zum Offenbarungstraktat gewiesen, so lässt sich von Lübbes Grundannahmen her unschwer auch der Gang der folgenden Erörterungen im Religionstraktat antizipieren, in dessen Zentrum nicht von ungefähr die Theoriekonzepte Kants, Hegels und Schleiermachers stehen. Eine Andeutung in dieser Hinsicht, die zugleich die Frage betrifft, warum die genannten Religionstheoretiker in der bezeichneten Reihenfolge behandelt werden, wurde bereits gegeben. Sie soll in der

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Absicht, Lübbes Funktionstheorie von Religion nach der Aufklärung geistesgeschichtlich zu kontextualisieren, noch ein wenig präzisiert werden, bevor dann zu einer um gesteigerte Konkretion bemühten Analyse der religiösen einschließlich der kirchlichen Lage der Gegenwart fortgeschritten wird. Menschliches Dasein jeder nur denkbaren Art erfordert religiöse Kontingenzbestätigungspraxis, weil, wie Lübbe in unüberhörbarem Anklang an Schleiermacher sagt, die „Erfahrung unserer schlechthinnigen Abhängigkeit von Daseinsvoraussetzungen, die nicht zur Disposition des Daseins selbst stehen“ (Lübbe, 136), unverdrängbar ist. Die Totalität der Bestimmungsgründe seiner Existenz liegt nicht in der Verfügung des Menschen, sondern bleibt unverfügbar und zwar auch unter den gesteigerten Fortschrittsbedingungen aufgeklärter Gesellschaften. Das ist der wesentliche Erklärungsgrund für die Dauerhaftigkeit religiöser Kultur nach der Aufklärung. Religion ist aufklärungsresistent, weil wissenschaftliche Rationalität die Notwendigkeit, sich zur Daseinskontingenz in ihrer Unverfügbarkeit verhalten zu müssen, niemals beseitigen kann; wo Gegenteiliges behauptet wird, geschieht dies nicht im Namen aufgeklärter Wissenschaft, sondern ideologischer Gegenaufklärung, die sich mit dem Schein der Wissenschaftlichkeit zu umgeben sucht. Im Unterschied zur Ideologie wissenschaftlicher Totalität bzw. totalisierter Wissenschaft, welche Religion weltanschaulich zu ersetzen trachtet, fungiert Religion, die sich als solche weiß und expliziert, gerade im Modus ihrer Nichtsubstituierbarkeit rationalitätsförderlich und wissenschaftsdienlich, insofern sie die Wissenschaft vor Selbsttotalisierung bewahrt und zu vernünftiger Selbstbegrenzung veranlasst. Die unaufhebbare Notwendigkeit, sich auch unter Aufklärungsbedingungen zur Daseinskontingenz in ihrer Unverfügbarkeit verhalten zu müssen, lässt sich weder durch wissenschaftlichen Fortschritt noch durch politische Emanzipationsprozesse beseitigen. Auch in politischer Hinsicht ist Religion aufklärungsresistent. Wird dies geleugnet, tritt zwangsläufig jene Totalisierung des Politischen ein, die charakteristisch ist für ideologische Systeme, wohingegen moderne Rechtsstaatlichkeit gekennzeichnet ist durch die Entkoppelung von Bürgerrechten und religiösem Bekenntnis. Dabei hat die Ausdifferenzierung von Recht und Religion keineswegs eine allgemeine Vergleichgültigung konfessioneller Religiosität zur Voraussetzung oder zur Folge. Statt konfessionellen Indifferentismus zu erzeugen, eröffnet moderne Rechtsstaatlichkeit vielmehr positive Religionsfreiheit, deren explizite Wahrnehmung hinwiederum dazu beiträgt, Politik ideologieresistent und pragmatisch zu gestalten. Die Pflege des Religiösen gehört sonach durchaus zu den Erhaltungsbedingungen eines liberalen Gemeinwesens, wie denn auch Lübbe die Aufklärungskultur insgesamt durch die Anerkennung der weder wissenschaftlich noch politisch noch auf andere Weise substituierbaren Funktion der Religion nicht eingeschränkt, sondern befestigt sieht. Das Bewusstsein der Aufklärungsresistenz der Religion ist sonach in einem dezidierten Sinne aufgeklärt zu nennen und für die moderne Verfassung funktional ausdifferenzierter Gesellschaften elementar. Religion ist weder Wissenschaft noch Politik, weder Denken noch Handeln. Sie ist in ihrer Funktion nicht substituierbar bzw. selbstsubstitutiv. Religion kann sinn-

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vollerweise nur durch Religion ersetzt werden. Dies zu wissen ist vernünftig, wohingegen der Ersatz der Religion durch Nichtreligion als unvernünftig zu gelten hat, weil er nur zum Schein erfolgt und realiter auf Pseudoreligion hinausläuft. Pseudoreligiöser Religionsersatz etwa durch Totalisierung des Politischen oder Ideologisierung der Wissenschaft wird am besten dadurch verhindert, dass sich Religion als Religion expliziert, um sich auf diese Weise als ein soziales Teilsystem in einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft begreifen zu lassen. Die erkenntliche Identifikation der Religion mit einem sozialen Teilsystem in Form einer religionsexplizit organisierten Kirche bedeutet indes keineswegs deren sektorale Begrenzung. Wohl ist die Religion nicht für alles im Leben zuständig und lässt daher neben Wissenschaft, Recht, Politik beispielsweise Ökonomie oder Kunst zu relativ autonomer Geltung kommen. Als Verhalten zu dem, was prinzipiell nicht zur Disposition menschlichen Denkens und Handelns steht, weil es als absolute Daseinskontingenz allem Denken und Handeln indisponibel zugrunde liegt, ist Religion gleichwohl nicht nur auf einen Teil des Lebens beschränkt, sondern auf dessen Ganzheit bezogen. Dass die Religion, obwohl stets nur als bestimmte auftretend, auf das Sinnganze des Lebens bezogen sei, um der Integrität des ganzen ungeteilten Daseins inne zu werden, hatte schon F.D.E. Schleiermacher (1768–1834) gesagt, dessen These einer Nichtsubstituierbarkeit der Religion durch Metaphysik und Moral das religiöse Fühlen zwar von Denken und Handeln abhebt, ohne deshalb die religiöse Provinz im Gemüt sektoral zu begrenzen. Wohl ist die Religion schon bei Schleiermacher im Sinne modernitätsspezifischer Ausdifferenzierung spezialisiert und verkirchlicht; von ihrer sozialen Segmentierung kann gleichwohl nicht die Rede sein, weil das religiöse Verhältnis sich auf das Sinnganze des Daseins bezieht, ohne dessen Wahrnehmung die Teile bzw. die jeweiligen Subsysteme des gesellschaftlichen Lebens nicht als sinnvoll erlebt werden können. Um die aktuelle Renaissance des Religiösen und die Stellung der Religion in funktional ausdifferenzierten Gesellschaften der aufgeklärten Moderne angemessen zu begreifen, ist, so denke ich, Schleiermachers Religionstheorie im Verein mit den Religionsphilosophien Kants und Hegels auch heute noch in besonders hohem Maße erinnerungswürdig. Religion, so Schleiermacher, ist das durch Wahrnehmung des Unendlichen vermittelte Innewerden des Endlichen in seiner sich gegebenen Endlichkeit. Damit ist gesagt, dass wir uns in unserem Dasein weder durch Wissen noch durch Tun selbst zu konstituieren vermögen. Dazu bedarf es der Beziehung zu einem fundierenden Grund von Selbst und Welt, welche weder durch Metaphysik als Inbegriff des Wissens noch durch Moral als Inbegriff sittlichen Tuns ersetzbar ist. Der Religion kommt somit, wie es heißt, eine eigene Provinz im menschlichen Gemüte zu; sie gehört zur conditio humana, zum Menschsein des Menschen unveräußerlich hinzu. Ein Missverständnis indes wäre es, Religion lediglich als Drittes Metaphysik und Moral beizugesellen oder gar Wissen und Tun durch bloßes Gefühl ersetzen zu wollen. Dies liefe auf einen schieren Subjektivismus hinaus. In Wahrheit ist es vielDie Nichtsubstituierbarkeit der Religion

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mehr so, dass der im religiösen Verhältnis wahrgenommene Grund von Selbst und Welt als die Bedingung der Möglichkeit sinnvollen Wissens und Tuns fungiert, welche ihrer eigentümlichen Bestimmung nur dann entsprechen, wenn sie sich nicht in ebenso vergeblichen wie verkehrten Vollzügen unmittelbarer Selbstkonstitution verzehren. Steht dies in Geltung, dann bildet Schleiermachers Religionstheorie keinen notwendigen Gegensatz zu ihren beiden klassischen Gegenstücken, wie sie von Kant (1724–1804) und Hegel (1770–1831) ausgearbeitet wurden. Was können wir wissen, was sollen wir tun, was dürfen wir hoffen, fragt Immanuel Kant. Die Antwort auf die erste Frage gibt vornehmlich die Kritik der reinen Vernunft, diejenige auf die zweite die Kritik der praktischen Vernunft und diejenige auf die dritte und letzte die Schrift über die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Man hat Kant eine moralische Funktionalisierung der Religion vorgeworfen und festgestellt, er setze diese zum bloßen Vehikel der Moral herab. Das ist nicht einfach falsch, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Zwar spielt Religion für den Begründungszusammenhang der Sittlichkeit, wie der kategorische Imperativ sie umschreibt, keine konstitutive Rolle, weil Kant die Autonomie der praktischen Vernunft nicht eingeschränkt sehen möchte. Doch bliebe die Sittlichkeit in ihrem Realisierungszusammenhang ohne Hoffnung auf tatsächliche Verwirklichung ihrer selbst, würde nicht die Religion das schließliche Übereinstimmen von Naturkausalität und Kausalität aus Freiheit, von Sinnlichkeit und Sittlichkeit durch die Annahme Gottes als des allmächtigen Herrn der Natur und des obersten Sittenrichters zur praktischen Gewissheit bringen. Analog zum Vorwurf moralischer Funktionalisierung bei Kant hat man an Hegel die behauptete Aufhebung der Religion in Metaphysik kritisiert. Auch diese Kritik geht nicht einfach ins Leere, ohne deshalb vollständig im Recht zu sein. Zwar lehrt Hegel die Aufhebung religiöser Vorstellung in den philosophischen Begriff: aber erstens ist zu bedenken, dass dieser Aufhebungsprozess nach Hegel nur die äußere Form der Religion negiert, wohingegen der religiöse Inhalt bewahrt bleiben soll; und zweitens gilt, dass der Prozess der Aufhebung nichts anderes ist als der konsequente Vollzug religiöser Erhebung von den Beschränktheiten des Endlichen zum wahren Unendlichen hin. Durchaus vergleichbar mit dem Ansatz des jungen Schleiermacher ist es auch nach Hegel das Wesen der Religion, das Endliche mit dem Unendlichen zu vermitteln, um es auf diese Weise über die Schranken seiner Endlichkeit zum Absoluten zu erheben, ohne dessen Wahrnehmung der Mensch der Fülle seines ganzen ungeteilten Daseins nicht inne werden kann. Die vorläufigen Kurzhinweise auf Klassiker der Religionstheorie dürften hinreichend plausibel gemacht haben, dass für die konstatierte Renaissance der Religion nicht nur empirische Ursachen und Tatsachen, sondern auch gute Vernunftgründe sprechen, die weder durch philosophische noch durch theologische Religionskritik zu beseitigen sind. Dass Religion schierer Unglaube ist, sollte man als Theologe Karl Barth nicht unbedacht nachsprechen und das umso weniger, als Barths theologische Religionskritik ungleich differenzierter ist, als das Epigonen gelegentlich

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erscheinen mag. Zwar besteht für das Christentum keinerlei Anlass, die diversen Erscheinungsformen des Religiösen in Geschichte und Gegenwart ungeprüft zu verhimmeln und zwar weder in außenperspektivischer noch in binnenperspektivischer Hinsicht. Das Verhältnis von Christentum und christlicher Theologie zur Religion hat vielmehr kritisch und konstruktiv zugleich zu sein, wobei konstruktive Kritik stets Selbstkritik einschließt. Gerade solche religiöse Selbstkritik des Christentums aber setzt eine vorurteilsfreie Aufgeschlossenheit für das Allgemeinphänomen der Religion voraus, welche aus Gründen der Erfahrung und der Vernunft als ein anthropologisches Universale zu gelten hat. In diesem Sinne wird ein gegenwärtiges und künftiges Christentum dezidiertes theologisches Interesse daran nehmen müssen, „dem öffentlichen Bewußtsein von der Natur des Menschen seine religiöse Dimension zurückzugeben … Denn ohne ein öffentliches Bewußtsein von der konstitutiven und unveräußerlichen Bedeutung der Religionsthematik für das Menschsein bleiben die spezifisch christlichen Aussagen über den Menschen auf ein kulturelles Abseits beschränkt und verdanken ihre Geltung nur der Zahl ihrer Anhänger, nicht aber dem Gewicht ihrer Wahrheitsansprüche.“ (Pannenberg, 7f.) Religion gehört nichtsubstituierbar zur conditio Die Positivität der Religion humana. Gleichwohl tritt sie nicht unmittelbar als anthropologisches Universale, sondern – wie die Menschheit – stets individuell in Erscheinung. Schleiermacher hat deshalb in der fünften seiner Reden von 1799 der sog. natürlichen Religion und ihrer generalisierenden Vernunfttheologie dezidiert die Positivität der Religionen kontrastiert und betont, dass der Begriff der Religion zum leeren Abstraktum werde, wenn man ihn von deren geschichtlich gewachsenen Erscheinungsgestalten ablöse bzw. diese nur als Modi eines allgemeinen Wesens in Betracht ziehe. In der Tat gibt es gelebte Religion immer nur in religiöser Bestimmtheit, die nicht nur im Falle des Christentums mit dem Anspruch auf unvergleichliche Singularität verbunden ist. Eine plurale Religionstheorie, welche diesen Sachverhalt ignorieren wollte, würde nicht nur ihrem eigenen Begriff widersprechen, sondern den Wahrheitsanspruch, der von den einzelnen Religionen geltend gemacht wird, vorweg unterlaufen. Auch das Christentum existiert bekanntlich niemals als solches, sondern stets nur in auf die eine oder andere Weise konfessionell geprägter Erscheinungsgestalt, ohne die sein Wesen nicht zu fassen ist. Selbst der neuzeitliche Protestantismus, der die engste Koalition mit dem modernen Religionsbegriff einging und sich vielfach in seinem Kontext auslegte, begegnet realiter nirgendwo in genereller Form: noch die Leuenberger Konkordie von 1973, die Kirchengemeinschaft zwischen lutherischen, reformierten und unierten Kirchen einschließlich der Waldenser proklamiert, läßt, um nur dies zu erwähnen, den besonderen Bekenntnisstatus der zur Einheit verbundenen kirchlichen Traditionen unangetastet. Indes muss man weitergehen und über die Besonderheit konfessioneller Erscheinungsgestalten des Christlichen hinausgehend sagen, dass sich das neuzeitliche Christentum, das protestantische Christentum zumal, in einer Weise ausdiffe-

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renziert hat, dass Individualität und Pluralität als Signaturen moderner Religionsund Christentumskultur gelten können, wie sie namentlich für die soziale Welt des Bürgertums charakteristisch ist. Als anthropologisches Universale tritt Religion, deren Begriff im Zusammenhang moderner Christentumsgeschichte sein eigentümliches historisches Profil erhielt, im Wesentlichen individuell und infolgedessen plural in Erscheinung. Religion und Christentum sind in der bürgerlichen Welt der Moderne vor allem Angelegenheit des einzelnen Menschen. Jeder, so Schleiermacher, soll im Ausbilden einer eigenen Überzeugung begriffen sein. Ihren primären Sitz hat die religiöse Praxis neuzeitlichen Christentums entsprechend in der privaten Lebenssphäre. Das gilt, wie gesagt, insbesondere für den Protestantismus, aber in abgemilderter Weise auch für den Katholizismus und selbst für Teilbereiche der Orthodoxie, soweit sie vom bürgerlichen Emanzipationsprozess der Moderne ergriffen sind. Mit dem im Milleniumsjahr erschienenen Neuentwurf einer Praktischen Theologie meines Fakultätskollegen Wolfgang Steck gesprochen: „Auf der Grundlage seiner religiösen Überzeugung verleiht der einzelne seinem Leben unverwechselbare Gestalt. Er eignet sich die für ihn verbindlichen religiösen Lebensmaximen auf eigenständige Weise an, versieht die ihm plausibel erscheinenden religiösen Vorstellungen und Lebensperspektiven mit individuellen Konturen und modelliert daraus seine originäre religiöse Weltsicht. Er trifft die Entscheidungen, die seinen Lebensentwurf kennzeichnen und von anderen Optionen religiöser Lebensführung charakteristisch unterscheiden, aus Motiven seiner im Gewissen verankerten religiösen Lebenshaltung. Und er gründet die ihn verpflichtende religiöse Wahrheit nicht auf die Zustimmung anderer, sondern auf seine persönliche, innere Gewißheit. Im Rahmen seiner alltagsweltlichen Lebenspraxis formt der einzelne schließlich einen originären religiösen Lebensstil aus, der ihn für ihn selbst und für andere als unverwechselbare und mit sich selbst übereinstimmende Individualität kenntlich macht. Die subjektiv verwirklichte Religion bildet die Basis für die biographische Entwicklung der religiös grundierten personalen Identität und das Fundament der um die Individualität zentrierten, mit religiösen Sinninvestitionen angereicherten und mit der persönlichen Handschrift des Autors versehenen Konstruktion der Wirklichkeit. Die Religion ist das Ferment der individuellen Lebenspraxis und das Integral der privaten Lebenswelt.“ (Steck, 117) Der für die bürgerliche Neuzeit insgesamt Religion unter den Bedinguncharakteristische Prozess religionskultureller Ingen postmoderner Individuadividualisierung und Pluralisierung scheint, litäts- und Pluralitätskultur nachdem die Politsysteme prädominanter, den Einzelnen tendenziell zum Funktionsmoment herabsetzender Allgemeinheit samt ihren Religionssurogaten untergegangen sind, eine im Vergleich zur Moderne eher noch gesteigerte Form anzunehmen. Postmoderne nennt man gelegentlich unsere Zeit. Auch dabei handelt es sich wie bei den Begriffen Protestantismus, Christentum und Religion um einen historischen Reflexionsbegriff. Auf den ersten Blick scheint er das Ende der Neuzeit und eine klare Alternative zu ihr zu bezeichnen. In

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der Tat kann er als Ausdruck eines modernitätskritischen Bewusstseins fungieren, das Einblick in die Dialektik der Aufklärung genommen hat mit dem Ergebnis, dem Projekt der Moderne den Abschied zu geben. Doch verbinden sich diese Konsequenzen keineswegs zwangsläufig oder auch nur in der Regel mit dem Begriff der Postmoderne, der keineswegs ein eindeutiges Indiz eines Antimodernismus, wie er im Umfeld der letzten Jahrhundertwende begegnete, sondern zunächst nichts weiter ist als „die vieldeutige Signatur einer Epochenschwelle“ (Steck, 209; bei S. kursiv), für die vor allem Unübersichtlichkeit kennzeichnend ist. Postmoderne: Damit ist der Geist der Zeit nicht auf den Begriff gebracht, sondern eher die Verlegenheit markiert, eben dies fehlender Eindeutigkeit wegen nicht zustande zu bringen. Indes kann aus der Wahrnehmung dieser Verlegenheit auch eine Einsicht erwachsen: Die Unübersichtlichkeit und Uneinheitlichkeit der postmodernen Lebenswelt begründet recht eigentlich keinen Gegensatz zur Moderne, sondern ist die Folgeund vorläufige Endgestalt ihres fortschreitenden Individualisierungs- und Pluralisierungsprozesses, durch dessen wachsende Beschleunigung sich die Moderne veranlasst sieht, sich in ein historisches Verhältnis zu ihren eigenen Prinzipien zu setzen. Welche Zukunftsprognosen lassen sich im Zuge solcher historischen Selbstreflexion der Moderne für die Geschichte des Christentums erstellen? Faktum ist, dass die Religionskultur spätmodernen Christentums an der charakteristischen Uneindeutigkeit, ja Widersprüchlichkeit gegenwärtiger Lebenswelt nicht nur externen, durch weiter gesteigerte Präsenz nichtchristlicher Religionen, sondern auch internen, durch gesteigerte Binnendifferenzierung gegebenen, Anteil hat. Zwar dokumentiert die eingangs konstatierte „Renaissance der Religion“ deren hohen Stellenwert in der Gegenwart. Aber dieser hohe Stellenwert kommt erstens keineswegs ausschließlich dem Christentum zugute, das sich, wie gesagt, auch hierzulande mehr und mehr in einer religiösen Multikultur vorfindet; und zweitens steht auch die Binnenverfassung gegenwärtigen Christentums im Zuge radikalisierter Individualisierung und Pluralisierung in der Gefahr, ihre charakteristischen soziokulturellen Konturen und Integrationsfunktionen, die ihr in der bürgerlichen Welt abendländischer Neuzeit weithin noch zukamen, einzubüßen. Mag dann auch die individualitätskonstitutive Funktion christlicher Tradition für eine Vielzahl von Personen, die sich an einer Patchwork-Identität nicht genug sein lassen, noch erhalten bleiben – ihre gesellschaftliche Relevanz droht dahinzuschwinden, was schließlich auch für die individuelle Prägekraft christlicher Überlieferung mittelfristig nicht folgenlos bliebe. Virulent wird dieses Problem vor allem in zweifacher Hinsicht: in Bezug auf die gesellschaftliche Stellung des Christentums und in Bezug auf seine kirchlich verfasste Gestalt. Verhält man sich durch den Begriff der Postmoderne veranlasst historisch reflektiert zur Geschichte der Moderne, so wird man unschwer erkennen, dass die vorzüglich private Erscheinungsgestalt christlicher Religion in der bürgerlichen Neuzeit in der Regel keinen Gegensatz bildete zu ihrer öffentlichen Bedeutung für die Gesamtgesellschaft. Vielmehr ist offenkundig, dass der Religion neuzeitlichen

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Christentums nicht nur eine persönlichkeitskonstitutive, sondern auch eine gesellschaftsintegrative Funktion eignete, die sie insbesondere dadurch erfüllte, dass sie als Schaltstelle von Individualität und Sozialität zwischen Einzelnem und Allgemeinem vermittelte und einen selbstverständlichen gesellschaftlichen Basiskonsens schuf, der sich nicht auf die sog. entschiedenen Christen beschränkte, sondern auch von denen geteilt wurde, die dem Christentum distanziert oder kritisch gegenüberstanden. Diese gesellschaftsintegrative Funktion des Christentums ist in Deutschland mittlerweile fraglich geworden. Verstärkt, wenn auch keineswegs veranlasst wurde diese seit längerem im Gang befindliche Entwicklung durch den Beitritt der sog. Neuen Bundesländer, in denen ein großer Prozentsatz der Bevölkerung im Wesentlichen ohne eigenes Zutun dem Christentum bis hin zu völliger Unkenntnis entfremdet ist. In der werdenden europäischen Gemeinschaft dürfte sich die Angelegenheit aufs Ganze gesehen nicht sehr viel anders darstellen. Während in den Vereinigten Staaten von Amerika das Gemeinwesen unbeschadet der strikten Trennung von Staat und Kirche und einer kaum zu überbietenden gesellschaftlichen Pluralität nach wie vor durch einen integrationsstarken, religiös imprägnierten Basiskonsens fundiert ist, scheint ein solcher selbstverständlicher common sense der Bürger in der gegenwärtigen Bundesrepublik sowie in der Europäischen Union eher im Schwinden begriffen zu sein. Soll das Christentum seine Zukunft also vornehmlich darin suchen, sich politisch als zivilreligiöse Leitkultur des Abendlandes zu empfehlen? Ich will diese Frage weder einfach bejahen noch einfach verneinen, sondern nur auf ihre zu erhöhter Aufmerksamkeit gemahnende politische Relevanz aufmerksam machen. Bedarf ein Gemeinwesen, um zu funktionieren, lediglich der formalen Rechtsintegration ohne irgendwelche Grundbestände materialer Gesinnungskonformität oder sind substantielle Gemeinschaftswerte nötig, um gesellschaftliche Fragmentierung und den schließlichen Ruin des Staates zu verhindern? Mir scheint, dass sich die Frage in dieser alternativen Form nicht sinnvoll beantworten lässt. Gewiss ist ein liberaler Rechtsstaat wie der unsere nach Maßgabe der Prinzipien der Religions- und Gewissensfreiheit zu weltanschaulicher Neutralität verfassungsmäßig verpflichtet, auch wenn der Begriff der Neutralität im Grundgesetz nicht explizit vorkommt. Indes ist Neutralität an sich selbst kein neutrales Datum. Denn Neutralität lebt von Bedingungen, die keineswegs indifferent sind. Sie gedeiht in der nötigen Nachhaltigkeit nur unter Voraussetzungen, die durch Werte und Normen wie Antitotalitarismus, Toleranz und Achtung der Menschenrechte gekennzeichnet sind. Ohne die Pflege und Förderung der geistesgeschichtlichen Motive, die zur Ausbildung dieser Normen und Werte im abendländischen Kulturkreis geführt haben, kann daher die für den modernen Rechtsstaat euro-amerikanischer Prägung charakteristische religiös-weltanschauliche Neutralität nicht erhalten bleiben. Es liegt in seinem eigenen Wesen begründet, dass der freiheitliche Rechtsstaat die Zustimmung seiner Bürger zu ihm nicht von sich aus zu gewährleisten und dauerhaft zu sichern vermag. Insofern ist er in elementarer Weise auf die Pflege von bewusstseinsbildenden Traditionsbeständen angewiesen, die zu seiner Ermögli-

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chung und Erhaltung beitragen. Gerade offene Gesellschaften und demokratisch verfasste Gemeinwesen können solcher Überlieferungen nicht entbehren. Damit ist keineswegs behauptet, dass der Zweck der Religion primär in deren gemeinschaftsstiftender und sozialintegrativer Funktion begründet liege. Diese Annahme wäre nicht nur theologisch verfehlt, sondern auch religionssoziologisch unangemessen. Der Sinn der Religion geht nicht darin auf, kollektive Werte zu erzeugen und der Staats- und Gesellschaftsmoral dienstbar zu sein. Eine diesbezügliche Funktionalisierung der Religion wäre nicht nur unter religiösen, von der Einsicht in die Selbstzwecklichkeit ihres Gegenstands bestimmten, sondern auch unter rechtlich-sittlichen Gesichtspunkten tendenziell kontraproduktiv. Haben die Klassiker der Religionsphilosophie von Émile Durkheim (1858–1917) über Max Weber (1864–1920) bis hin zu Talcott Parsons (1902–1979) besonders die sinnvermittelnde Integrationsfunktion der Religion für das zivile Gemeinwesen herausgestellt, so sind von der gleich genauer zu verhandelnden Systemtheorie funktionaler gesellschaftlicher Differenzierung Luhmann’scher Provenienz mit Nachdruck und vollem Recht auch die desintegrativen Potentiale des Religiösen und die Notwendigkeit in Erinnerung gebracht worden, das Funktionieren der Gesellschaft von der Präsenz eines ihr Ganzes repräsentierenden Integrals unabhängig zu machen. Der größte evolutionäre Gewinn des neuzeitlichen Modernisierungsprozesses der Gesellschaft besteht, so Luhmann, darin, vermöge funktionaler Differenzierung auf ein Medium gesellschaftlicher Gesamtintegration und -koordination verzichten zu können. Man wird, wie ich denke, beides zugleich sehen Religion in funktional ausmüssen: In funktional ausdifferenzierten Geselldifferenzierten Gesellschaften schaften der Moderne kann es in der Tat keinen Ort für die unmittelbare Repräsentation des Ganzen geben. Das ist gut und recht so, denn wenn es anders wäre, müsste dies als totalitär und nicht nur als das tendenzielle Ende einer funktional differenzierten Gesellschaft, sondern auch als das tendenzielle Ende liberaler Rechtsstaatlichkeit und ihrer freiheitlich-demokratischen Grundordnung beklagt werden. Die Bedenken gegen eine wie auch immer geartete zivilreligiöse Begründung des Sozialen sind daher nicht von der Hand zu weisen. Sie ernst zu nehmen, muss indes keineswegs mit einer Verbannung des Religiösen aus der Gesellschaft gleichgesetzt werden. Es sind im Gegenteil gerade die elementarreligiösen Unterscheidungsleistungen, die zwischen Transzendenz und Immanenz, Gott und Welt, Gott und Selbst etc. zu differenzieren vermögen, deren eine Gesellschaft bedarf, um differenziert funktionieren zu können. Vorauszusetzen ist dabei allerdings, dass die Religion ihre basalen Unterscheidungsvollzüge auch auf sich selbst anwendet, um die Gefahr der Selbsttotalisierung zu bannen. Dem Ganzen kann nicht unmittelbar, sondern nur auf vermittelte und differenzierte Weise gedient werden. Wo sie einen solchen Dienst, zu dem sie ihrem Wesen nach berufen ist, zu leisten vermag, ist Religion gesellschaftlich unverzichtbar. Trifft es zu, dass „(d)er freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen (lebt), die er selbst nicht garantieren kann“ (Böckenförde, 93; bei B. kursiv), dann

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wird das Christentum der Zukunft seine politische Mission vor allem darin zu finden haben, im kritischen Anschluss an die eigene religiöse Überlieferung für die Aus- und Fortbildung dieser Voraussetzungen zu wirken. Effektiv möglich sein wird ihm dies nach meinem Urteil indes gerade nicht in der Form zivilreligiöser Allgemeinheit, welche mit totalitären Gefahren im Allgemeinen besonders die Gefahr einer Selbstsäkularisierung des Christentums mit sich bringt, sondern nur in kirchlich verfasster Gestalt, welche einerseits aufgeschlossen ist für die modernitätsspezifische Individualisierung und Pluralisierung des Religiösen und andererseits deren drohende Diffusion und Konfusion zu verhindern vermag. Gewiss, es gibt ein Christentum außerhalb der Kirche und die Leugnung dieses Sachverhalts würde die Fähigkeit, die kulturelle Realität namentlich des Protestantismus in unserer Gesellschaft wahrzunehmen, nachhaltig einschränken. Nichtsdestoweniger spricht vieles für die Annahme, dass eine christlich geprägte Kultur unter postmodernen Bedingungen nur im Verein mit einem verfassten Kirchentum realistische Zukunftsaussichten hat. Mag es auf den ersten religionssoziologischen Blick auch so erscheinen, als sei kirchengebundenes Christentum gesellschaftlich ein eher peripheres und marginales Phänomen, so ergibt sich bei genauerem Hinsehen die Einsicht, dass die religiöse Vorstellungswelt eines deinstitutionalisierten Christentums im Wesentlichen von den Traditionsbeständen lebt, die in den Kirchen in institutioneller sowie dogmatisch geregelter Form und in konfessionsspezifischen Glaubensweisen gepflegt werden. Ein Plädoyer also für feste Organisationsformen religiöser Vergemeinschaftung, die sich dem dogmatischen Diktat verfasster kirchlicher Lehrautorität fügen? Ein antimodernistischer Aufruf zu konsequenter Verkirchlichung der Religion in Reaktion auf den fortgeschrittenen Prozess ihrer Deinstitutionalisierung, der Individualität zur vorherrschenden Sozialform des Religiösen in Moderne und Postmoderne hat werden lassen? Nein, eine solche Reaktion wäre nicht nur reaktionär, sondern auch unrealistisch! Namentlich unter evangelischen Bedingungen müsste ihr mit entschiedenem Protest begegnet werden. Gehört es doch zu den Grundeinsichten der Reformation, dass sich die Gewissensgewissheit christlichen Glaubens nicht durch kirchliche Autorität substituieren lässt. Dass dies auch unter katholischen und orthodoxen Voraussetzungen ausgeschlossen ist, wird man annehmen dürfen. Im Übrigen, wie gesagt, wäre es gänzlich unrealistisch, der individualisierten Religionskultur unserer postmodernen Moderne durch kirchlichen Antimodernismus bzw. durch Restitution traditionaler Glaubensvorstellungen und Frömmigkeitspraktiken der Vormoderne begegnen zu wollen; ein solcher Versuch würde nur gesteigerte Parzellierung bewirken und dem Prinzip volkskirchlicher Integration endgültig den Abschied geben. Ähnlich kontraproduktive Folgen würde eine Programm unmittelbarer denominationeller Rekonfessionalisierung zeitigen, wie es von einigen protestantischen Freikirchen verfolgt wird, aber auch im katholischen Lager gelegentlich begegnet. Der seit längerem zu beobachtende Zerfall konfessioneller Milieus, die weithin ihre prägende Orientierungskraft verloren haben, würde dadurch gewiss nicht gestoppt, sondern gesamtgesellschaftlich weiter forciert.

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Zwar sollen und dürfen die christlichen Konfessionen, um eine religionskulturelle Integrationswirkung zu erzielen, ihr eigentümliches Profil in der Tat nicht zugunsten einer konturenlosen Transkonfessionalität („Dritte Konfession“) preisgeben. Nichtsdestoweniger müssen sie sich aufgeschlossen erweisen für das, was sie nicht unmittelbar selbst sind, und offen sein für eine plurale Gestaltung des Christlichen, welche dem Individuellen sein unveräußerliches Recht belässt. Ich will, was ich meine, so sagen: Für das ChrisKirchliches Christentum im tentum ist es das entscheidende Gebot der StunGeist der Ökumene de, sich durch Vertiefung in die je eigene Bekenntnistradition und unter Vermeidung des falschen Scheins transkonfessioneller Überreligiosität auf das Gemeinchristliche zu besinnen. Dabei darf das Humane im Sinne der zivilen Notwendigkeit nicht vergessen werden, selbst unter den Bedingungen von Zwiespalt und nicht behebbarer Differenz in gerechter und friedlicher Koexistenz zusammenzuleben. Kurzum: Gefordert ist nach meinem Urteil eine Pflege des Konfessionellen im Geiste christlicher Ökumene, deren Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen durch die Prinzipien der Gewissensfreiheit und der Nichtidentifikation von Staat und Kirche bestimmt ist. Nur wenn sie ihr Bekenntnis im ökumenischen Geist pflegen und auf diese Weise den modernen Christentumsbegriff in ihr je eigenes ekklesiologisches Selbstverständnis aufnehmen, werden die verfassten Konfessionskirchen jene Integrationsleistung erbringen können, die nötig ist, um die zur Atomisierung tendierende individuelle Religionskultur der Spätmoderne vor Diffusion und Konfusion zu bewahren und ihr eine gesellschaftsfähige christliche Gestalt zu geben. In den beiden Folgeabschnitten soll die gegebene Skizze der religiösen Lage der Gegenwart sozialtheoretisch vertieft werden in der doppelten Absicht, die These von der Nichtsubstituierbarkeit von Religion in modernen Gesellschaften näher zu begründen und zugleich dem religiösen Bewusstsein der Gesellschaftstranszendenz von Individualität die nötige Geltung zu verschaffen. Den Referenzrahmen der Argumentation bilden dabei die Systemtheorie von Niklas Luhmann einerseits und die Theorie des kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas andererseits. Zu Luhmann, mit dem der Anfang zu machen ist, sei zum Zwecke der Bestätigung der vorgetragenen Analyse zur gegenwärtigen Lage von Religion und Kirche die Bemerkung vorausgeschickt, dass nach Urteil seiner Sozialtheorie die gesamtgesellschaftliche Funktion von Religion ohne Kirche aktuell nicht angemessen zu erfüllen ist. Gerade unter den Bedingungen funktional ausdifferenzierter Gesellschaften wie der unsrigen bestehe eine gesteigerte Notwendigkeit für kirchliche Organisation von Religion. Ohne in ihnen völlig aufzugehen, bildet sich das Religionssystem moderner Gesellschaften nach Maßgabe der Systemtheorie in drei Teilsystemen aus: in Diakonie, Kirche und Theologie. Dabei ist es primär die Kirche bzw. die kirchlich vermittelte geistliche Kommunikation, wie Luhmann sagt, durch deren Organisation das Religionssystem seine gesamtgesellschaftliche Funktion erfüllt. Diese Funktion ist durch diakonische Leistungen, welche seitens des Religionssystems innergesell-

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schaftlich erbracht werden, nicht zu ersetzen. So wichtig Diakonie unzweifelhaft ist: Defizite religiöser Kommunikation lassen sich durch diakonische Dienstleistungen nicht kompensieren. Es ist nach Luhmann im Gegenteil so, dass sich eine fortschreitende Verlagerung der Aktivitäten des Religionssystems auf die diakonischen Leistungskomponenten religionssystemisch kontraproduktiv und zersetzend auswirken müsste. Der funktionale Primat des Religionssystems muss daher nach seinem Urteil der Kirche als der verfassten Gestalt religiöser Kommunikation vorbehalten bleiben, wobei zu gelten hat: Kirche muss Kirche sein und bleiben, um im Sinne ihrer Kernkompetenz religiöser Kommunikation fungieren zu können. Dieser Grundsatz wird durch die moderne Privatisierung religiösen Entscheidens nicht aufgehoben, sondern im Gegenteil bestätigt. Auch durch Theologie, mittels derer sich das Der funktionale Primat der Religionssystem selbst reflektiert, was vor allem Kirche in der Form religiöser Dogmatik geschieht, kann der funktionale Primat der Kirche und der in ihr organisierten religiösen Kommunikation im Religionssystem nach Luhmann sinnvollerweise nicht bestritten werden. Gleichwohl ist Theologie für Kirche und für kirchlich vermittelte geistliche Kommunikation unerlässlich, sofern in ihr das Religionssystem reflexe Gestalt annimmt, ohne welche Reflexionsform weder kirchliche Selbstreferentialität, noch eine geklärte Beziehung zu den sonstigen sozialen Subsystemen, noch eine angemessene Erfüllung der gesamtgesellschaftlichen religiösen Funktion möglich wäre. Einstweilen dahingestellt bleibe, welche Bewandtnis es mit Luhmanns Forderung hat, die Theologie als Reflexionsgestalt des Religionssystems müsse selbst reflexiv werden, um nicht nur ihre Reflexion, sondern mit ihr die religionssystemische Differenzierung von Funktion, Leistung und Reflexion, also Kirche, Diakonie und Theologie selbst reflektieren zu können. Ist, so wäre zu fragen, die eigentümliche Funktion religionsspezifischer Reflexion, wie Luhmann sie der Theologie abverlangt, nämlich Reflexion der Beziehung des Religionssystems auf die Gesamtgesellschaft, auf die Systeme der innergesellschaftlichen Umwelt sowie auf sich selbst nicht just jene Funktion, welche die Systemtheorie als Gesellschaftslehre zu erfüllen beansprucht? Ich stelle diese Frage und mit ihr diejenige nach der Vergleichbarkeit theologischer Konzeptionen und soziologischer Metatheorien vorerst zurück, um noch einmal den entscheidenden Aspekt herauszustellen, unter dem in der Perspektive einer vorläufigen religiösen Gegenwartsanalyse auf Luhmann Bezug genommen wird: den Gesichtspunkt kirchlicher Organisation von Religion und der elementaren Reflexionsleistung, die eine kirchenorientierte Theologie in diesem Zusammenhang zu erbringen hat. Nur in der organisierten Gestalt eines spezifizierten Sozialsystems, so die soziologische Einsicht, kann Religion ihre gesamtgesellschaftliche Funktion effektiv erfüllen. Die Selbständigkeit der Kirche ist sonach nicht nur ekklesiologisch geboten, sondern zugleich ein soziales Erfordernis moderner Gesellschaften. Ohne organisierte Form steht Religion in Gefahr einer Entspezifizierung, die sie profilund wirkungslos macht bzw. in den sozialen Untergrund abwandern lässt.

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Damit soll keineswegs behauptet werden, dass Religion definitiv und restlos in die Grenzen kirchlicher Organisation einzubinden wäre. Das selbsttranszendente Wesen der Religion weist Kirche vielmehr über die Schranken ihrer organisierten Gestalt hinaus und nötigt zu ekklesiologischen Differenzierungen wie etwa der von Sichtbarkeit und Verborgenheit oder Faktizität und Bestimmung. Eine undifferenzierte Verkirchlichung des religiösen Bewusstseins ist nicht nur nicht möglich, sondern auch kirchlicherseits nicht erstrebenswert. Denn ihre religiöse Bedeutung für die Gesamtgesellschaft kann Kirche nur erfüllen, wenn sie sich in einer Weise organisiert, die für den Unterschied von sozial verfasster Kirche und individueller Religiosität offen ist und Gleichschaltungstendenzen bewusst vermeidet. Nicht nur in reformatorischer Tradition wurde und wird gegen eine Klerikalisierung der christlichen Religion mit vollem ekklesiologischen Recht protestiert. Christentum und Kirche sind nicht zu trennen, wohl aber zu unterscheiden. Es gehört zu den zentralen Aufgaben der Theologie, den differenzierten Zusammenhang beider zu reflektieren, um alternativen Entgegensetzungen ebenso zu wehren wie Indifferenzierungsbestrebungen. Eine Funktion und Reflexionsgestalt der Kirche ist evangelische Theologie gerade dann und nur dann zu nennen, wenn sie diese zu Vollzügen der Selbsttranszendenz bewegt – gemäß der reformatorischen Devise, ohne deren Befolgung Kirche ihre religiöse Funktion nicht erfüllen kann: „ecclesia semper reformanda“. Ekklesiologisch gilt es demnach ein Doppeltes zu begreifen, dass nämlich die gesamtgesellschaftliche Funktion christlicher Religion nicht ohne kirchliche Organisation, durch diese aber nur dann angemessen zu erfüllen ist, wenn Kirche sich nicht in der Partikularität ihres verfassten Systems abschließt, sondern sich als aufgeschlossen und offen erweist für kirchenorganisationsübersteigende Realisierungsgestalten des Christlichen. Kirche muss Kirche sein; aber sie kann dies nur sein als Kirche für die Welt.

2. Funktion der Religion

Lit.: I.U. Dalferth, Die Wirklichkeit des Möglichen. Hermeneutische Religionsphilosophie, Tübingen 2003. – F.W. Graf, Die Wiederkehr der Götter. Religion in der modernen Kultur, München 2004. – H. Lübbe, Religion nach der Aufklärung, Graz/Wien/Köln 1986. – N. Luhmann, Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M. 1984. – Ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1997. – Ders., Funktion der Religion, Frankfurt a.M. 1977. – Ders., Die Religion der Gesellschaft. Hg.v. A. Kieserling, Frankfurt a.M. 2000. – R. Spaemann, Funktionale Religionsbegründung und Religion, in: Philosophische Essays. Erweiterte Ausgabe, Stuttgart 1994, 208–231.

Die Theorieangebote zum Verständnis moderner Zur Kritik des säkularisieReligion sind ebenso vielfältig wie die religiösen rungstheoretischen Dogmas Kulturen, die sie zu verstehen und zu deuten suchen. Wurde die Geschichte von Religion und Christentum seit Aufklärungszeiten gerne und immer wieder nach dem Schema von Verfall und Niedergang beschrieben, so hat die vor gut drei Jahrzehnten weltweit zu beobachtende Renaissance der Religion zu einem weitgehenden Abschied vom säkularisationstheoretischen Dogma fortschreitenden Schwindens der Religion bzw. wachsender Dechristianisierung und zu differenzierteren Theoriemodellen und Deutungsmustern geführt. Drei unter ihnen verdienen besondere Aufmerksamkeit, wobei freilich auch im Blick auf sie die an älteren Deutungskonzepten unschwer zu erkennende Historizität der Fragestellungen zu beachten ist: „die vor allem in den USA entwickelte religious economics, die den religiösen Pluralismus in Marktmodellen zu erfassen versucht; erste Ansätze einer shared history, die strukturell analoge Entwicklungen in den verschiedenen Religionen und Konfessionen sowie grenzüberschreitende Kommunikations- und Austauschprozesse in den Blick nimmt; die Theorie des ‚religiösen Feldes‘, die die harten Positionskämpfe konkurrierender Religionsprofessionals und die konfliktreichen Verhandlungen über die osmotisch durchlässigen Grenzen des Religiösen zu verstehen erlaubt.“ (Graf, 19) Mein Fakultätskollege Friedrich Wilhelm Graf hat unlängst jedes dieser Konzepte eingehend analysiert und im Übrigen weitere Gründe für die allmählich herrschend werdende Auffassung beigebracht, „daß in modernen Gesellschaften sehr viel mehr Götter und Götzen verehrt werden, als man im verengten Blick auf die Erosionsprozesse in den Kirchen und anderen religiösen Großorganisationen zu sehen vermag“ (Graf, 53). Dass Religionszugehörigkeit unter den Bedingungen moderner Rechtsstaatlichkeit in die Kompetenz privater Entscheidung fällt, bedeutet nicht, dass Religion zu

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einer bloßen Privatsache geworden ist. Vielmehr lässt sich seit einigen Jahrzehnten eine Deprivatisierung des Religiösen und eine Rückkehr in die öffentlichen Räume des Staates, des politischen Diskurses und der Zivilgesellschaft beobachten. Statt die gegebene Analyse der religiösen Lage der Gegenwart fortzuschreiben oder weitere Aspekte zur kulturellen Bedeutung der Religion als eines Integrations-, aber auch Desintegrationsmediums moderner Gesellschaften und sozialer Gruppen anzuführen, sei im Folgenden eine vergleichsweise engere, aber auf ihre Weise auch fundamentalere Aufgabenstellung verfolgt. Der notorische Hinweis aller Religionstheoretiker und Kulturhermeneuten der Religion auf die extreme Vieldeutigkeit von deren Begriff darf nicht übersehen lassen, dass dessen – wenn auch nur heuristische oder hypothetische – Identifizierbarkeit die Bedingung der Möglichkeit dafür ist, Religion von Nichtreligion zu unterscheiden und nicht alles Mögliche für Religion zu erachten. Auch noch die postmoderne Dekonstruktion, die den modernitätsspezifischen Allgemeinbegriff der Religion mit Recht, wie sich zeigen wird, als ein abendländisches Konstrukt des postkonfessionalistischen Zeitalters ausweist, kommt, wenn sie denn nicht aufhören will, überhaupt von Religion zu sprechen, nicht umhin, mit dem nötigen Maß an Begriffspräzision zu sagen, was damit gemeint ist. Um einerseits die Einsicht in die Vieldeutigkeit des Religionsbegriffs und die Historizität seiner Verwendungsweisen festzuhalten und andererseits nicht in schieren Äquivokationen zu enden, welche die Sinnidentität des Terminus und damit diesen selbst destruieren, empfiehlt sich eine Doppelstrategie, welche Genese und möglichen Geltungsanspruch eines allgemeinen Begriffs der Religion gleichermaßen zu erfassen sucht. Zu zeigen ist, dass es sich beim geläufigen Allgemeinbegriff der Religion in seiner üblichen generalisierten Verwendung um einen postkonfessionalistischen Reflexionsbegriff von spezifischer, nämlich neuzeitspezifischer Historizität handelt. Dieser Nachweis wird im vierten Abschnitt geliefert; auf dessen Ergebnis ist das Folgende antizipativ insofern bezogen, als darin der Allgemeinbegriff der Religion als historisch gegeben vorausgesetzt wird, um einer förmlichen Bestimmung zugeführt zu werden. Denn ohne eine Bestimmung förmlicher Art kann von einem allgemeinen Geltungsanspruch des Religionsbegriffs nicht die Rede sein und der terminologische Sinn zerfällt in Äquivokationen. Zweck der definitorischen Bemühungen ist es Der formale Begriff der freilich nicht, einen religiösen Wesensbegriff subReligion und seine stantialer oder neosubstantialer Art zu entwifunktionale Bestimmung ckeln. Es soll im Gegenteil die Geltung des historisch vermittelten Allgemeinbegriffs der Religion konsequent auf dessen abstrakten Gebrauch beschränkt werden, um so das Bewusstsein seiner Abstraktheit in ihn selbst eingehen zu lassen. Wenn von Religion im Allgemeinen die Rede ist, dann ist zwar von Religion, aber von Religion nur in jener abstrakten Förmlichkeit die Rede, die kennzeichnend ist für den Begriff in seiner generellen Bedeutung. Der allgemeine Begriff der Religion in seiner Förmlichkeit ist denkbar ungeeignet, konkreter Religiosität Grund und Inhalt anzugeben, da diese niemals im Allgemei-

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nen, sondern stets nur in historischen und empirischen Erscheinungsgestalten existiert, an deren geschichtliche Wirklichkeit jede Religionstheorie verwiesen ist, die ihren Gegenstand konkret zu verstehen trachtet. Eine hermeneutische Religionsphilosophie, die ihren Namen verdient und „philosophische Orientierung im Denken über religiöse Orientierungen im Leben“ (Dalferth, 6; bei D. kursiv) zu geben verspricht, wird sich daher stets auf „positive“ Religiosität ausrichten und weder einen allgemeinen Religionsbegriff noch ein anderes Theoriekonstrukt als Ersatz konkreter Religion anbieten. Weder eine religiöse Philosophie noch eine philosophische Religion, sondern ein reflektiertes Verständnis konkret gelebter Religion hat Ziel einer konstruktiven und kritischen Religionshermeneutik zu sein. Vergleichbares gilt für das hier verfolgte Theologiekonzept. Beabsichtigt ist nicht, vom konkreten religiösen Vollzug zu abstrahieren und statt der faktisch gelebten Religion eine „natürliche“, an die Stelle des religiösen Gottesverhältnisses eine Metaphysik des Absoluten zu setzen. Intendiert wird vielmehr ein Verständnis konkreten Christentums in Form evangelischen Glaubens, für dessen lebendige Sinngestalt der unbestimmte Allgemeinbegriff der Religion und die Unbestimmtheit der Religiosität, die er terminologisch benennt, nur ein transitorisches und aufzuhebendes Moment darstellt. Der Begriff der Religion darf von dem differenzierten und pluralen Phänomenbestand, dessen Einheit er bezeichnet, nicht abstrahiert werden, wenn er konkrete Verwendung finden soll. Er muss offen sein für die Fülle der Erscheinungen, deren Vielfalt er umfasst. Dies ist das eine. Das andere aber bleibt gleichwohl bestehen: Um religiöse Erscheinungsformen als solche identifizieren und von anderen Manifestationsgestalten unterscheiden zu können, bedarf es einer Begriffsbestimmung der Religion, die erkennen lässt, was an Religion religiös ist und worin die Differenz von Religion und Nichtreligion besteht. In Anbetracht dieser Problemlage empfiehlt es sich, den Einheitsbegriff der Religion zunächst möglichst formal zu verwenden und ihn nicht sogleich mit bestimmten Inhalten zu assoziieren, sondern rein funktional zu bestimmen. Im Rahmen ihrer Theorie funktionaler gesellschaftlicher Differenzierung hat Niklas Luhmanns systemtheoretisch operierende Soziologie der Religion ein entsprechendes Angebot unterbreitet. Danach besteht die besondere Form gesellschaftlicher Kommunikation, auf welche der Religionsbegriff abhebt, in der Transformation unbestimmbarer in bestimmbare Komplexität. Religion bestimmt Unbestimmbares zu Bestimmbarem und macht mit der Differenz von Vertrautheit und Unvertrautheit vertraut, um auf diese Weise Sinn zu generieren und zu kontinuieren. Ohne das Unkontrollierbare kontrollierbar machen zu können, erschließt Religion ein Verhältnis zum unverfügbar Anderen, wodurch Sinn allererst ermöglicht wird. Religion ist kultureröffnender Umgang mit dem, was in keiner Weise zu unserer Disposition steht: die Kontingenz der Welt und unseres Daseins in ihr. Ihre sozial nichtsubstituierbare, weil nur durch Religion zu substituierende und damit selbstsubstitutive Funktion besteht in der Transformation unbestimmbarer in bestimmbare Kontingenz. Mit dieser – im Folgenden im Kontext der Luhmann’schen

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Systemtheorie insgesamt zu präzisierenden – Bestimmung ist, so scheint mir, die Formalität des neuzeitspezifischen Allgemeinbegriffs der Religion am besten, weil am abstraktesten umschrieben, wobei der Eindruck, der Begriff der Religion und deren Theorie könne diese ersetzen, gar nicht erst aufkommt. Die Zentralannahme systemischer Nichtsubstituierbarkeit der Religion bestätigt sich sonach auf reflexe Weise an der funktionalen Theorie selbst. Darin liegt der nicht geringste Vorzug ihres funktional bestimmten Religionsbegriffs. Bei seiner Aufnahme in die 1969 gegründete Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld Luhmanns Systemtheorie fand sich Niklas Luhmann (1927–1998) nach eigenen Angaben mit der Aufforderung konfrontiert, Forschungsbereiche zu benennen, an denen er arbeite. Seine mittlerweile legendär gewordene Antwort lautete: „Theorie der Gesellschaft; Laufzeit: 30 Jahre; Kosten: keine.“ (Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 11) Entstanden ist in der Folge die wohl erfolgreichste Theorie der Nachkriegszeit. Sie besteht aus drei Teilen: einer systemtheoretischen Grundlegung, einer Darstellung des Gesellschaftssystems insgesamt und schließlich einer Erörterung der wichtigsten gesellschaftlichen Funktionssysteme. Kennzeichnend für den Begriff des Systems, wie er in Auseinandersetzung mit der soziologischen Tradition und unter Aufnahme biologischer, evolutionstheoretischer, kybernetischer und kommunikationstheoretischer Erkenntnisse entwickelt wird, ist Selbstreferentialität. Systeme sind selbstbezügliche Operationsvollzüge, die sich autopoetisch hervorbringen und zu erhalten suchen. Dies geschieht in entscheidender Weise durch fortlaufende Reduktion von Umweltkomplexität. Ohne sie können sich Systeme weder stabil ausbilden, noch dauerhaft erhalten. Der Bezug von System und Umwelt darf dabei nicht als ein Verhältnis zweier separater Größen vorgestellt werden. Eher ist er mit einer auf systemische Selbstbezüglichkeit relationierten Relation von Aggregationszuständen zu vergleichen, deren differenzierter Zusammenhang durch ein dynamisches Komplexitätsgefälle bestimmt ist. Die Funktion des Systems, durch welche dieses systemisch wirkt, also ist, was es ist, besteht dabei, wie gesagt, wesentlich in der Reduktion der Komplexität seiner Umwelt, welche stets unvergleichlich größer ist als diejenige des Systems selbst. Nach Luhmann ist das Auftreten selbstreferentieller Funktionssysteme keineswegs auf den gesellschaftlichen Bereich beschränkt. Es gibt neben und zusammen mit sozialen auch anorganische, organische oder psychische Systeme. Menschliche Individuen etwa nennt Luhmann psychische Systeme. Auch bei ihnen handelt es sich, wenn man so will, um selbstreferentielle Funktionssysteme, die relative Identität und Invarianz ihrer selbst im Wandel dadurch herstellen und bewähren, dass sie bezogen auf ihre Umwelt deren Komplexität reduzieren. Die Nötigung zu solcher Komplexitätsreduktion ist beständig gegeben. Sie steigert sich gegebenenfalls dramatisch, wenn binnensystemisch bislang nicht vorgesehene Externeinwirkungen der Umwelt funktional integriert werden müssen, um Funktionsstörungen zu beheben und nicht zu systemdestruierenden Desastern ausarten zu lassen. Die

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Lübbesche Bestimmung der Religion als Kontingenzbewältigungspraxis ist nicht nur, aber auch auf diesen Sachverhalt bezogen. Umfasst der allgemeine Systembegriff anorganische, organische, psychische und mögliche sonstige Systeme, so ist für das soziale System der Gesamtgesellschaft als des Inbegriffs aller Systeme sozialer Interaktion nach Luhmann Kommunikation kennzeichnend. Kommunikation ist ihm zufolge diejenige Operation, welche das Gesamtgesellschaftssystem produziert und reproduziert, wobei zwischen Kommunikation und Gesellschaft ein zirkuläres Verhältnis wechselseitiger Begründung und Erhaltung besteht: „Gesellschaft ist nicht ohne Kommunikation zu denken, aber auch Kommunikation nicht ohne Gesellschaft.“ (Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 13) Die Gesellschaft konstituiert und erhält sich, indem sie kommuniziert, Kommunikation durch Kommunikation generiert und aus derselben reproduziert; Kommunikation ist das Medium sozialer Selbstpro- und -reproduktion. „Alle weiteren physikalischen, chemischen, organischen, neurophysiologischen und mentalen Bedingungen sind Umweltbedingungen. Sie können durch die Gesellschaft in den Grenzen ihrer eigenen Operationsfähigkeit ausgewechselt werden.“ (Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 13f.) Kein einzelner Mensch ist, um ein Beispiel zu geben, sozial unentbehrlich, ohne dass damit behauptet wäre, dass Gesellschaft unter Absehung von Menschen denkbar wäre. Hinzugefügt sei, dass der für das gesamtgesellschaftliche Funktionssystem charakteristische Begriff der Kommunikation reflexive Selbstbeziehung impliziert. Die Kommunikation kommuniziert auch ihr Kommunizieren. Das gesamtgesellschaftliche Kommunikationssystem enthält sonach seine eigenen Beschreibungen. „Eine Gesellschaft, die sich selbst beschreibt, tut dies intern, aber so, als ob es von außen wäre. Sie beobachtet sich selbst als einen Gegenstand ihrer eigenen Erkenntnis, kann aber im Vollzug der Operationen die Beobachtung selbst nicht in den Gegenstand einfließen lassen, weil dies den Gegenstand ändern und eine weitere Beobachtung erfordern würde. Sie muß offen lassen, ob sie sich von innen oder von außen beobachtet. Wenn sie auch das noch mitzusagen versucht, legt sie sich auf eine paradoxe Identität fest.“ (Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 15) Auf diesen Sachverhalt und damit auf das Paradoxon der Kommunikation über Gesellschaft in der Gesellschaft, wie es sich für eine Theorie der Gesamtgesellschaft ergibt, ist der Titel des Buches „Die Gesellschaft der Gesellschaft“ (1997) abgestellt, in dem Luhmann die Grundlagen seiner allgemeinen Theorie „Soziale(r) Systeme“ von 1984 fortentwickelt hat. Der umfangreichste Teil der speziellen Theorie sozialer Systeme ist der Darstellung der wichtigs- Theorie sozialer Systeme ten gesellschaftlichen Subsystembildungen gewidmet, die zwar ebenso wie die Gesamtgesellschaft, der sie angehören, auf Kommunikation angewiesen sind, sich dabei aber durch funktionale Spezifizierung auszeichnen. Folgende soziale Subsysteme, zu der sich das Gesamtgesellschaftssystem ausdifferenziert hat, sind von Luhmann im Einzelnen untersucht worden:

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1. Die Wirtschaft der Gesellschaft (1988), die sich wesentlich durch das soziale Kommunikationsmittel Geld pro- und reproduziert. 2. Die Wissenschaft der Gesellschaft (1990), die wie die Wirtschaft kein System über der Gesellschaft, sondern in ihr darstellt, und daher keine Beobachterposition außerhalb derselben einnehmen kann, sondern die gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Möglichkeit und ihrer Wirklichkeit, ihres Zustandekommens und Erhalts konsequent mitzureflektieren hat, um sich so als auf Wissen spezialisiertes soziales Subsystem zu konstituieren und zu kontinuieren. 3. Das Recht in der Gesellschaft (1993), das seine soziale Funktion anders als die Wissenschaft primär nicht durch die Unterscheidung von wahr und falsch, sondern dadurch erfüllt, dass es Rechtes und Unrechtes unterscheidet. Als Kontingenzformel, nach deren Maßgabe Reduktion von Umweltkomplexität erfolgt, fungiert Gerechtigkeit, die gleiche Fälle gleich und ungleiche ungleich zu behandeln vorschreibt und damit Konsistenz von Fallentscheidungen gewährleistet. 4. Die Kunst der Gesellschaft (1995), welche ihre subsystemische Sozialfunktion in der Gesellschaft durch Realitätsverdoppelung bewirkt: Indem das Kunstwerk die reale Realität durch eine artifizielle dupliziert, ermöglicht es eine distanziertreflektierte Beobachtung ersterer mit entsprechenden Entlastungs- und Kompensationseffekten. In die Reihe der Beiträge zu den unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen gehört fernerhin: 5. die im Jahr 2000 erschienene Abhandlung über „Die Politik der Gesellschaft“, an der Luhmann bis kurz vor seinem Tod 1998 gearbeitet hat, sowie 6. die 2002 aus dem Nachlass herausgegebene Monographie über „Das Erziehungssystem der Gesellschaft“, welche einen 1979 verfassten Text über „Reflexionsprobleme im Erziehungssystem“ ergänzt. Grundlegend für Luhmanns spezielle Theorie sozialer Systeme, in deren Zusammenhang schließlich auch seine Lehre vom sozialen Subsystem der Religion gehört, ist die Einsicht, dass die Gesellschaft der Moderne bzw. moderne Gesellschaften funktional ausdifferenziert sind. Funktional differenzierte Gesellschaften sind im Unterschied zu segmentären und stratifizierten solche Sozialsysteme, in denen Subsysteme nicht mehr nach einem gemeinsamen Differenzschema im Sinne einer gesamtgesellschaftlich legitimierten Ordnung, sondern rein funktional, mithin so unterschieden sind, dass jedes Funktionssystem für je eine besondere Funktion ausdifferenziert ist, die nicht diejenige der anderen Funktionssysteme sein kann. Das Verhältnis der Funktionssysteme zueinander ist mithin nach Maßgabe funktionaler Kompetenz und Inkompetenz bzw. systemischer Reduktion und komplexer Umwelt strukturiert. „Funktionale Differenzierung besagt, daß der Gesichtspunkt der Einheit, unter dem eine Differenz von System und Umwelt ausdifferenziert ist, die Funktion ist, die das ausdifferenzierte System (also nicht: dessen Umwelt) für das Gesamtsystem erfüllt.“ (Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 745f.; bei L. teilweise kursiv) Das Funktionieren des gesamtgesellschaftlichen Systems lässt sich unter diesen Bedingungen nicht mehr in der Logi-

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zität von Teil und Ganzem aussagen, deren traditionelle Differenz durch die von System und Umwelt ersetzt wird. Dabei ist Systemdifferenzierung nichts anderes als die Wiederholung der Differenzierung von System und Umwelt und damit der Systembildung innerhalb von Systemen, als deren logische, die systemische Selbstreferentialität mitbedenkende Strukturformel diejenige einer Differenz von Identität und Differenz zu gelten hat. Differenz hält als „unitas multiplex“ anders als Indifferenz das Differente zusammen und ermöglicht so Identität. Die soziale Funktion der Religion, die ihre Identität im Modus der Differenzierung be- Transformation unbestimmbarer in bestimmbare Komstimmt, hat Luhmann vor allem in den beiden plexität Werken „Funktion der Religion“ (1977) und „Die Religion der Gesellschaft“ (2000 aus dem Nachlass herausgegeben) analysiert. Dabei wird jeweils „Transformation unbestimmbarer in bestimmbare Komplexität“ (Luhmann, Funktion der Religion, 20) als die ihre soziale Ausdifferenzierung begründende und erhaltende Funktion der Religion in der Gesellschaft angegeben. Die Reduktion von Umweltkomplexität und transformatorische Bewältigung systemexterner Kontingenz ist eine Elementarleistung aller Systeme und damit noch kein funktionales Spezifikum der Religion. Während indes alle sonstigen sozialen Funktionssysteme die prinzipielle Bestimmbarkeit unbestimmter Umweltkomplexität voraussetzen und voraussetzen müssen, um funktionieren zu können, besteht die eigentümliche Funktionsleistung des sozialen Subsystems der Religion für die Gesellschaft in der Gewähr, dass eben dies zurecht und sinnvollerweise geschieht. Religion bestimmt Unbestimmbares zu Bestimmbarem, um auf diese Weise Sinn zu generieren und zu kontinuieren. Anders und im Anschluss an Lübbe formuliert: Im Unterschied zu sonstigen sozialen Subsystemen ist dasjenige der Religion funktional auf die Bewältigung nicht weicher, in Handlungssinn transformierbarer Kontingenz, sondern harter, also solcher Kontingenz abgestellt, die sich nicht in Handlungssinn transformieren lässt und dennoch bewältigt werden muss, wenn Sinn möglich sein soll. Ihre Funktion, harte in weiche Kontingenz zu transformieren, erfüllt die Religion wesentlich durch Operationen mit der, wie Luhmann sagt, Kontingenzformel Gott. Als Kontingenzformeln werden Symbole oder Symbolgruppierungen bezeichnet, „die dazu dienen, die unbestimmte Kontingenz eines besonderen Funktionsbereichs in bestimmbare Kontingenz zu überführen“ (Luhmann, Funktion der Religion, 201). Was für die Wirtschaft Knappheit und für das politische System Gemeinwohl oder Legitimität sind, ist für die Religion Gott. „Die Formel Gott besagt zuletzt Kompatibilität jeglicher Kontingenz mit einer Art supramodaler Notwendigkeit.“ (Luhmann, Funktion der Religion, 130) Die Kontingenzformel Gott steht dafür, dass sich schlechterdings jede Kontingenz bewältigen und die Grenzerfahrung der Sinnlosigkeit überwinden lässt; sie ist der Ausdruck und die Gewähr für die Reduzierbarkeit von Komplexität überhaupt. Indem die Religion ihre Systemoperationen auf die Kontingenzformel Gott konzentriert, erfüllt sie ihre Funktion elementarer Sinngewährleistung.

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Die charakteristischen Binärkodierungen religiöser Kommunikation entsprechen der Kontingenzformel Gott, insofern sie deren grundlegende Sinnfunktion differenziert wahrnehmen lassen. So macht der Elementardual von Transzendenz und Immanenz das in seiner Komplexität unbestimmbare und unbegreifliche Ganze grundsätzlich begreifbar und bestimmbar, indem eine jedenfalls virtuell bestimmbare und begreifbare Welt von deren transzendenter Umwelt unterschieden wird, um auf diese Weise unbestimmbare und unbegreifliche in bestimmbare und begreifliche Komplexität zu transformieren. Der Übergang von Transzendenz zu Immanenz und damit die Transformierbarkeit unbestimmbarer in bestimmbare Kontingenz wird dabei, wie gesagt, im Wesentlichen durch die Kontingenzformel Gott gewährleistet und reguliert. Die traditionellen Lehren von Schöpfung und Erhaltung gehören nach Luhmann in diesen Zusammenhang. Sie erfüllen ihre Funktion durch den Erweis, dass die Transformation von unbestimmbarer Transzendenzkomplexität in bestimmbare Immanenzkomplexität nicht nur möglich, sondern faktisch immer schon erfolgt und – Gott sei Dank – weiter beständig erfolgreich durchzuführen ist. Kurzum: Durch den Verweis auf Gott gewährleistet Religion den Sinn von Welt als der universellsten und zugleich einfachsten selbstsubstitutiven Ordnung, die allen sonstigen Ordnungen insofern zugrunde liegt, als diese Welt implizieren. Neben und zusammen mit der Kontingenzformel Gott, deren monotheistische Ausbildung gegenüber dem Polytheismus oder etwa gegenüber dem Animismus als ein erheblicher evolutionärer Religionsfortschritt gewertet wird, kommt nach Luhmann unter den sonstigen religiösen Formeln derjenigen der Offenbarung eine systemisch-systematische Zentralfunktion zu; denn sie erschließt die Möglichkeit, den transzendenten Beobachter zu beobachten, wobei Gott selbst es ist, der die Möglichkeit seiner Beobachtung erschließt und zugleich zwischen rechter und verkehrter Beobachtung seiner selbst unterscheiden lässt. Die Kontingenzformel Gott fungiert sonach einerseits als Einheitsformel des dualen Codes Immanenz/Transzendenz, um auf diese Weise Kontingenz zu absorbieren, andererseits als Selektionskriterium, das im Verhältnis von Immanenz und Transzendenz richtig und falsch zu unterscheiden lehrt. In der christologisch-pneumatologisch-trinitätstheologischen Entwicklung der Kontingenzformel des offenbaren Gottes sieht Luhmann einen mit dem Christentum zu verbindenden weiteren evolutionären Religionsfortschritt insofern, als es nun möglich ist, durch Verweis auf Gott auch das noch in ein Sinnverhältnis zu bringen, was der Wirklichkeit Gottes schlechterdings zuwider zu sein scheint: Tod und Teufel. Paradoxerweise wird dadurch auch noch das Inkommunikable kommunikabel, was an der Theologie namentlich des Kreuzestodes Jesu Christi exemplifiziert wird. Weitere dogmatikrelevante Beispiele ließen sich anfügen. Das von Luhmann verfolgte Verfahren ist stets das gleiche: „Fragen des Dogmas bis hin zu subtilsten esoterischen Konstruktionen als Konstruktionen auf ihre Funktion und ihre historisch-gesellschaftlichen Plausibilitätsbedingungen hin zu befragen.“ (Luhmann, Die Religion der Gesellschaft, 172)

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Bevor ansatzweise zu erörtern ist, ob bzw. inDie soziale Unersetzbarkeit wieweit sich die Theologie auf ein Verfahren die- religiöser Funktion ser Art einlassen kann, sei zusammenfassend noch einmal benannt, wie Luhmann die gesellschaftliche Funktion der Religion und ihre soziale Unersetzbarkeit begründet. Als Kern- und Grundfunktion der Religion und damit als die Funktion der Religion, durch welche ihre Nichtsubstituierbarkeit durch andere soziale Funktionssysteme gewährleistet wird, gilt stets die Transformierung unbestimmbarer in bestimmbare Komplexität. „Religion garantiert die Bestimmbarkeit allen Sinnes gegen die miterlebte Verweisung ins Unbestimmbare.“ (Luhmann, Die Religion der Gesellschaft, 127) Das macht sie sozial unverzichtbar und zu einer, wie es heißt, selbstsubstitutiven Ordnung. Selbstsubstitutiv ist eine Ordnung, wenn sie zwar verändert und weiterentwickelt, nicht aber durch eine andere funktionsäquivalent ersetzt werden kann. Um eine solche durch andere Ordnungen funktional nicht substituierbare und somit selbstsubstitutive Ordnung handelt es sich bei der Religion. Ihre Funktion im funktional ausdifferenzierten System moderner Gesellschaften ist unersetzbar bzw. nur durch Religion zu ersetzen. Denn jede Veränderung der Religion, auch wo sie radikal, gegebenenfalls im Sinne auf Destruktion bzw. Dekonstruktion hinauslaufender Religionskritik erfolgt, ist nach Luhmann entweder selbst direkt religiös oder erzeugt Surrogate der Religion, deren religiöser Charakter zumindest indirekt erkennbar ist. Kurzum: Auch Religionskritik kann Religion nicht ersetzen, sondern beweist auf ihre Weise deren Unersetzbarkeit, indem sie Religion entweder implizit voraussetzt oder quasireligiöse Konsequenzen zwangsläufig zur Folge hat, wobei Religionssurrogate die Funktion der Religion nur im Modus ideologischen Scheins zu erfüllen vermögen. „Man müsste,“ sagt Luhmann (Funktion der Religion, 47), „um die Funktionsstelle der Religion zu erreichen, Marxismus und Rauschsucht kombinieren können, aber Versuche dieser Art sind bisher nicht sehr überzeugend ausgefallen.“ Es ist der funktionalen Theorie der Religion vorgeworfen worden, sie spare die Wahrheitsfrage aus und sei unter Inkaufnahme von Placeboeffekten bereit, alles als Religion gelten zu lassen, was die religiöse Funktion der Kontingenzbewältigung erfülle, ohne dass ein weitergehendes Kriterium der Unterscheidung von wahr und falsch, recht und verkehrt zur Geltung gebracht würde. Hermann Lübbe hat darauf mit dem Hinweis geantwortet, Absicht funktionaler Religionstheorie sei es niemals gewesen, positive Religionen wertend zu vergleichen oder auf den Begriff zu bringen, was Religion im Unterschied zu ihrem Selbstverständnis in Wahrheit sei. Verfolgt werde weder der Zweck der Apologie einer bestimmten noch das Programm einer natürlichen Religion. Funktionale Religionstheorie bezwecke vielmehr ausschließlich, „die Religion von anderen Medien des Lebensvollzugs in einer Weise zu unterscheiden, die sichtbar macht, wieso es unsinnig wäre zu erwarten, daß die Funktion der Religion fortschrittsabhängig eines Tages entfallen könnte“ (Lübbe, 227). Funktion funktionaler Theorie der Religion sei sonach die Metakritik einer „Religionskritik, die mit dem Aufklärungsprozeß die Bedingungen

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der Nötigkeit religiösen Lebens und damit die Religion selber sich auflösen sieht“ (Lübbe, 175). In solcher Metakritik und im Erweis der Aufklärungsresistenz und Nichtsubstituierbarkeit der Religion liegt, wie mir scheint, eine unbestreitbare Leistung funktionaler Religionstheorie begründet. Sie macht plausibel, dass der Anspruch, Religion könne, sei es durch Wissenschaft, sei es durch Moral, sei es durch welche vermeintlichen Funktionsäquivalente auch immer, ersetzt werden, stets auf verkappt religiöse Ideologien mit mehr oder minder antiaufklärerischem Effekt hinausläuft. Ideologische Gegenaufklärung lässt sich sonach nur verhindern, wenn Religion individuell und sozial im Bewusstsein ihrer Nichtsubstituierbarkeit, also als Religion geübt wird. Hingegen bedrohen ideologische Gegenaufklärungen, die sich zur Ersatz-, ja zur Antireligion aufwerfen, mit der Religion auch aufgeklärte Kultur. Religion hat eine antiideologische Funktion. Weit davon entfernt, diese zu bedrohen, ist Religion nach Lübbe längst schon „in die Rolle einer kulturellen Schutzmacht der Aufklärung eingerückt“ (Lübbe, 73) und gehört ebenso wie die Wissenschaft „zu den kulturellen Bedingungen der politischen Erhaltungsfähigkeit ihrer Errungenschaften“ (Lübbe, 327). Funktional ausdifferenziert sind Religion und Wissenschaft füreinander und für den Fortbestand einer aufgeklärten Gesellschaft gerade dadurch dienlich, dass sie nicht die Rolle des jeweils anderen zu besetzen trachten, was zwangsläufig totalitäre Folgen nach der einen oder anderen Seite hin zeitigen müsste. Die Vernunft der Religion besteht nach Lübbe gerade darin, die Rationalität der Vernunft durch funktionale Relativierung freizusetzen und vor Dauerüberlastung zu bewahren. Umgekehrt erweist sich die Vernunft gerade darin als religiös gebunden, dass sie nicht den Anspruch erhebt, selbst Religion zu sein und religiös fungieren zu können. Obwohl funktional zu einem gesellschaftlichen Subsystem ausdifferenziert und von Wissenschaft und Moral, Recht, Politik und Kunst etc. unterschieden, ist die Religion in ihrer Zuständigkeit nach der Aufklärung keineswegs „auf einen schmalen Sektor residualer Lebensprobleme zurückgeworfen ..., für die säkulare Substitute bislang noch nicht zur Verfügung stehen“ (Lübbe, 172). Unbeschadet ihrer modernitätsspezifischen Spezialisierung kann von einer Segmentierung der Religion insofern nicht die Rede sein, als sie sich auf das „kontingente Ganze der Voraussetzungen unseres Lebens und damit nicht auf einen Lebenssektor (bezieht), dessen Grenzen analog zu den Grenzen anderer Lebenssektoren gezogen wären. Wie radikal auch immer, über Säkularisierungsprozesse, die religiösen Institutionen sich auf ihre säkular nicht substitutierbaren Funktionen zurückgeworfen finden mögen – es handelt sich nicht um Funktionen, deren Verhältnis zu den übrigen Funktionen des Lebens symmetrisch strukturiert wäre. Einfacher und exemplarisch ausgedrückt: Im Bücherregal behauptet das Gesangbuch, sektoral, seinen Standplatz neben der Fülle übriger nützlicher Hausbücher vom Do-it-yourselfRatgeber bis hin zur aktualisierten Anleitung für die Einkommenssteuererklärung. Aber es wäre ersichtlich unsinnig zu sagen, daß, analog zu den übrigen nützlichen Lebensanleitungen, das Gesangbuch auch seinem Gegenstandsbereich nach sekt-

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oral begrenzt sei. Durchaus asymmetrisch zu den Beziehungsverhältnissen zwischen den übrigen Lebenskunden und Lebenshilfen bezieht es sich auf unser Leben integral.“ (Lübbe, 172f.) Man wird dieser Argumentation Plausibilität Funktionale Religionstheorie nicht bestreiten können. Die Theologie dürfte und Theologie daher gut beraten sein, die Formen einer funktionalen Theorie der Religion nicht pauschal abzulehnen. Die funktionale Religionstheorie hat zum einen den theologischen Vorzug, die Unersetzbarkeit der Religion zu erweisen: Es gibt keine nichtreligiösen Funktionsäquivalente der Religion; sie ist selbstsubstitutiv, weil sie nur durch Religion ersetzt werden kann. Dies zu wissen, hat einen antitotalitären Aufklärungseffekt. Wird Religion als Religion geübt, um explizit als solche identifiziert werden zu können, fördert dies auf vermittelte Weise den Zusammenhalt einer funktional differenzierten Gesellschaft, wohingegen das Bestreben, Religion zum sozialen Epiphänomen herabzusetzen und reduktiv zum Verschwinden zu bringen, zu kryptoreligiösen Ideologien tendiert, die Entdifferenzierung zwangsläufig zur Folge haben, weil sie das gesellschaftliche Ganze unmittelbar für sich reklamieren. Religion fördert die Kunst des Unterscheidens. Nicht zuletzt darin besteht ihre Vernünftigkeit. Das ist das eine. Theologisch nicht minder wichtig aber ist das andere, dass nämlich mit dem Aufweis ihrer funktionalen Nichtsubstituierbarkeit zugleich der entscheidende Hinweis darauf gegeben ist, was Religion formaliter zu Religion macht und was sie von Nichtreligion unverwechselbar unterscheidet. Was ist Religion in dem förmlichen Sinne, der ihren Begriff ausmacht und ihn befähigt, religiöse Erscheinungen als solche zu identifizieren, ohne sogleich ihren Inhalt zu präjudizieren? Zwar darf der Begriff der Religion, um es zu wiederholen, von dem differenzierten und pluralen Phänomenbestand, dessen Einheit er bezeichnen soll, nicht abstrakt abgehoben werden; er muss offen sein für die Fülle der religiösen Manifestationsgestalten, deren Vielfalt er erfassen soll. Doch bedarf es gerade hierzu einer Bestimmung des Religionsbegriffs im formalen Sinn. Dass die funktionale Religionstheorie eine solche förmliche Bestimmung anbietet, ist ein unbestreitbarer Vorzug. Die förmliche Identität dessen, was Religion heißt, besteht in der Funktion, Unbestimmbares zu Bestimmbarem zu bestimmen und mit der Differenz von Vertrautheit und Unvertrautheit vertraut zu machen, um auf diese Weise Sinn zu generieren und zu kontinuieren. Dies lässt sich auch Kontingenzbewältigungspraxis nennen, wenn der Praxisbegriff gegen Missverständnisse abgesichert und wenn klargestellt ist, dass der Begriff der Kontingenz nicht individuellen Begrenztheitserfahrungen oder Grenzerlebnissen vorbehalten werden darf. Die für die Religion kennzeichnende Grenzwahrnehmung ist vielmehr grundsätzlicherer Art; sie verhält sich nicht nur zu diesem oder jenem Kontingenzereignis, zu dem sich zu verhalten gegebenenfalls auch auf nichtreligiöse Weise möglich wäre, sondern zu dem kontingenten (Sich-)Gegebensein von Selbst und Welt insgesamt. Religion erinnert und äußert auf entsprechende Weise, dass Selbst und Welt in ihrer Kontingenz und Endlichkeit auf ein Unbedingtes verwiesen sind, ohne wel-

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ches vom Sein der Welt und vom Dasein des Menschen in ihr nicht begründet die Rede sein kann. Kann Theologie funktionaler Religionstheorie bis hierher folgen, so unterscheidet sie sich von dieser wesentlich dadurch, dass sie den Wahrheitsanspruch, der dem religiösen Internverhältnis unveräußerlich eigen ist, nicht ausblendet. Theologie fragt nicht nur und nicht in erster Linie, welche Funktion der Glaube an Gott für den Menschen und sein Weltverhältnis erfüllt, sondern ob der Gottesglaube wahr ist. Kann die funktionale Theorie der Religion ihre Geltung auch unter der Voraussetzung eines „etsi deus non daretur“ behaupten, gilt dies für die Theologie unter keinen Umständen. Sie entspricht ihrem Begriff nur, wenn sie ihr Sein ganz von der Wahrheit ihres Inhalts abhängig weiß. Sie weiß sich damit zugleich der Binnenverfassung der Religion verpflichtet, deren innerer Sinngehalt in externer Perspektive nicht oder nur auf äußerliche, dem internen Erleben nicht gemäßer Weise erfasst zu werden vermag. Man kann Religion zweifellos wie jede innerweltliche Erscheinung in Außenperspektive betrachten und somit auch in außerreligiösen Begrifflichkeiten interpretieren, wie das in der religionssoziologischen (und religionspsychologischen) Wissenschaft geschieht. Das ist nicht ohne Erkenntnisgewinn und wissenschaftlich sinnvoll, solange die Externbetrachtung nicht entperspektiviert und totalisiert wird. Denn damit würde das in Betracht gezogene Phänomen der Religion um seine Eigenbedeutung gebracht und damit faktisch destruiert. Dem widersteht die Theologie und im Verein mit ihr eine Religionswissenschaft und eine Religionsphilosophie, die die Außenansicht der Religion mit deren Innenansicht auf differenzierte Weise zu verbinden sucht. Sie überlässt die Religion einerseits nicht ihrer internen Selbstwahrnehmung, sondern bezieht das religiöse Innenleben auf die umgebende Außenwelt. Sie blendet andererseits das Selbstverhältnis, welches allen religiösen Vollzügen unveräußerlich eigen ist, nicht aus, sondern nimmt es wahr, um es an dem Unbedingtheitsbezug zu messen, der jedes religiöse Verhältnis, das diesen Namen verdient, kennzeichnet. Als Theorie misst Theologie Religion an der ihr wesentlichen Verbindlichkeit, ohne diese unbesehen zu übernehmen, aber auch ohne sie durch Totalisierung der Externperspektive um ihre interne Verbindlichkeit zu bringen und so faktisch zu zersetzen. Wie die Ethik als Reflexionsform der Moral dieselbe zwar zu prüfen, nicht aber zu ersetzen vermag (vgl. Spaemann, 208ff.), so verhält sich die theologische Reflexion zur Religion: kritisch und konstruktiv, distanziert und anteilnehmend zugleich. Theologie wird einerseits die spezifische Unbedingtheitsform des religiösen Verhältnisses zu ihrem eigenen Anliegen machen und den religiösen Vollzug nicht durch theoretische Reflexion ersetzen wollen. Setzt Theologie gelebte Religion und religiöses Leben sonach nicht nur als externe, sondern als interne Prämisse voraus, so ist diese Voraussetzung doch andererseits keine unbedingte, sofern sie unter der Bedingung steht, ihrer Unbedingtheitsform inhaltlich genügen zu müssen. Theologie hat am religiösen Verhältnis insofern Anteil, als sie Religion denkend auf dasjenige hin relativiert, was deren Sinn und Wesen ausmacht: das

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Unbedingte. Der theologische Bezug zur Religion ist sonach konstruktiv und kritisch zugleich, sofern Theologie das religiöse Verhältnis an seinem eigenen Maßstab bemisst.

3. Religion der Gesellschaft

Lit.: J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung. Bd. 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft, Frankfurt a.M. 1981. – Ders., Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt a.M. 1985. – T. Rendtorff, Gesellschaft ohne Religion? Theologische Aspekte einer sozialtheoretischen Kontroverse (Luhmann/Habermas), München 1975. – G. Wenz, Sprechen und Handeln, in: K. Stierle/R. Warning (Hg.), Das Gespräch (Poetik und Hermeneutik XI), München 1984, 77–84. – Ders., Verständigungsorientierte Subjektivität. Eine Erinnerung an den Kommunikationstheoretiker F.D.E. Schleiermacher, in: E. Arens (Hg.), Habermas und die Theologie. Beiträge zur theologischen Rezeption, Diskussion und Kritik der Theorie kommunikativen Handelns, Düsseldorf 1989, 224–240.

Mit dem durch Auguste Comte 1839 geprägten Terminus Soziologie bezeichnet man in der Regel die Lehre vom Gesamtzusammenhang der Gesellschaft und ihrer Kultur. Comte (1798–1857) selbst gab dem Begriff eine im Wesentlichen positivistische, in der Methodik der empirischen Sozialforschung aktuell nachwirkende Bedeutung im Sinne einer „physique sociale“, einer exakt erfahrungsorientierten, auf Formulierung präziser Gesetze abzielenden Wissenschaft. Der Gang des menschlichen Geistes, so die geschichtsphilosophische, in soziologischen Säkularisierungstheoremen vom progressiven Niedergang der Religion lange nachwirkende Hintergrundsthese, sei durch das Drei-Stadien-Gesetz seines Fortschritts bestimmt, demzufolge aus dem theologischen das metaphysische und aus diesem das positivistisch-wissenschaftliche Zeitalter hervorgehe. Neben Comte ist Herbert Spencer (1820–1903) unter die Gründerväter der modernen Soziologie zu rechnen, wobei sein Entwicklungsbegriff stärker als der – im Übrigen durchaus funktionsanaloge von Comte – an biologischen Evolutionsprozessen ausgerichtet ist. In organizistischen Richtungen der Soziologie hat Spencers Biologisierung sozialgeschichtlicher Vorgänge ihre sozialdarwinistische Fortsetzung gefunden. Wie diejenigen der Soziologie im Allgemeinen, so gehen auch die Ansatzpunkte der religionssoziologischen Fragestellungen im Besonderen auf Aufklärungsimpulse zurück. Offenkundig ist die Geschichte von Soziologie bzw. Religionssoziologie aufs Engste mit dem Emanzipationsprozess der Moderne verbunden. Im Zuge dieses Emanzipationsprozesses verselbständigten sich die soziale Welt und tendenziell auch ihre Religion von den Kirchentümern, die im Zuge der Konfessionalisierung ihre soziale Gesamtrepräsentanz mehr oder minder einbüßten. Die VerselbständiSoziologie der Religion

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gung der Religionssoziologie von der Ekklesiologie und der Kirche ist selbst ein Moment dieses Entwicklungszusammenhangs. Neben der Säkularisierungsthematik, in deren Kontext z.B. Max Webers Studien zur fortschreitenden Entzauberung der Welt im Vollzug okzidentaler Rationalisierungsprozesse, aber auf ihre Weise auch Ernst Troeltschs (1865–1923) Analysen der „Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen“ von 1912 gehören, kommt innerhalb der Problemgeschichte der modernen Religionssoziologie der sog. Kompensations- und der sog. Integrationsthese zentrale Bedeutung zu. Der Kompensationstheorie zufolge zeichnet sich die Religion vor allem durch die soziale Funktion der Kompensation gesellschaftlich-individueller Mängelerfahrungen aus: Karl Marx (1818–1883) und Sigmund Freud (1856–1939) haben in diesem Sinne argumentiert, aber auch Bronislaw Malinowskis (1884–1942) Funktionsbestimmung der Religion im Sinne individueller und gesellschaftlicher Krisenkompensation könnte hier genannt werden. Nach der Integrationsthese dient die Religion insbesondere der Sanktionierung gesellschaftlicher Verhaltensweisen und fungiert so als entscheidender Faktor sozialer Integration. Für Émile Durkheim und seine Schule etwa war dieser Gesichtspunkt vorrangig; aber schon Spencer bestimmte die wesentliche Funktion der Religion als institutionelle Legitimation, wohingegen Georg Simmel (1858–1918) ihr vor allem die Aufgabe physischer Binnenstabilisierung zuwies. Die Luhmann’sche Funktionsbestimmung gesamtgesellschaftlicher Kontingenzbewältigung hat gegenüber diesen und vergleichbaren Ansätzen den Vorteil, die Sinnstiftungsleistung der Religion grundsätzlicher und zugleich spezifischer, nämlich im Hinblick auf ihre prinzipielle Nichtsubstituierbarkeit aufzufassen. Sie ist nicht nur in der Lage, die genannten Funktionsbestimmungen in sich aufzuheben, sie vermag auch Theoriekonzepte wie das Weber’sche oder das auf den Zusammenhang von Sinngebung und Sozialisation abgestellte von Peter L. Berger und Thomas Luckmann zu integrieren. Programmatisch ausgeblendet zu werden scheint in systemtheoretischer Perspektive allerdings der individuelle Aspekt der Religion. Menschen im Sinne von Einzelpersonen werden nicht als Elemente der Gesellschaft, sondern als Umwelt sozialer Systeme angesehen. Das soll entsprechend auch für das Religionssystem gelten, dessen spezifische Funktion, die hyperkomplexe Unbestimmtheit des Welthorizontes in Bestimmtheit oder doch Bestimmbarkeit zu überführen, von individuellen Bezugsgrößen strukturell abgehoben wird. Die Bereitstellung grundlegender Komplexitätsreduktion durch das Religionssystem, welche die Möglichkeit der Bestimmbarkeit und damit Welt in der sinnvollen Bedeutung des Begriffs bedingt, vollzieht sich offenbar jenseits individueller Personen, um von ihnen als Voraussetzung ihrer Selbstrealisierung je und je in Anspruch genommen und zu Bewusstsein gebracht zu werden. Gegenstand systemtheoretischer Analyse der Religion ist entsprechend nicht, jedenfalls nicht primär das religiöse Bewusstsein von Individuen, dessen Wahrnehmung im Wesentlichen einer historischen Betrachtung überlassen wird, sondern ein Vorgang, der wenn auch möglicherweise nicht subjektlos, so doch so zu denken ist, dass er

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nicht unmittelbar von einer ihm vorausgesetzten Gegebenheit individueller Subjektivität abhängig gemacht wird. Lässt sich diese Analyse im Sinne einer sozialtheGesellschaft und Individuum oretisch chiffrierten bzw. dechiffrierten Theologie verstehen, welcher die Wirklichkeit Gottes als Wirkgrund aller Weltmöglichkeit und ursprüngliche Voraussetzung individueller Subjektivität gilt? Oder reflektiert sich in ihr im Wesentlichen ein sozialgeschichtlicher Sachverhalt, der sich mit Stichwörtern wie Dehumanisierung der Gesellschaft oder Ende des Individuums umschreiben lässt? Die sozialwissenschaftlichen Kritiker Luhmanns haben ziemlich ausnahmslos in letzterem Sinne votiert. Ihrer Einschätzung zufolge ist die Tatsache, dass die Systemtheorie Individuen nicht als Elemente der Gesellschaft ansieht, sondern sie der Umwelt sozialer Systeme zuweist, als ein affirmativer Reflex der progressiven Entindividualisierung der Gesellschaft und ihres Abschieds vom Subjekt zugunsten fortschreitender Verdinglichung von Sozialverhältnissen zu werten. Haben sich Gesellschaften im Ganzen auf funktionale Differenzierung umgestellt, dann lasse sich, wie Luhmann bestätige, weder mit einem gesamtgesellschaftlichen Systemselbstbewusstsein rechnen noch gar mit individuellen Subjekten, die begründetermaßen den Anspruch erheben könnten, Reflexionszentren des Systemganzen zu sein. Man gewinnt den Eindruck, die Ich-losigkeit selbstbezüglicher Systeme in einer azentrisch strukturierten Gesellschaft marginalisiere Subjektivität zu einem sozialen Randphänomen. Die alteuropäische Tradition des Humanismus, der den Menschen ins Zentrum der sozialen Ordnung stellte und dem Individualität als deren unauflösliches Ferment galt, scheint mit dem von Luhmann diagnostizierten und mitvollzogenen Übergang vom Subjekt zum System ihr definitives Ende gefunden zu haben. Tatsache ist, dass Luhmann die Anthropologisierung der Soziologie und ihre Fundierung auf individuelle Bewusstseinsgehalte massiv kritisiert. Nach seinem Urteil ist die Zeit vorbei, in der es sinnvoll war, soziale Beziehungen auf den Einzelmenschen abzustellen. Das habe, wie für alle sozialen Subsysteme, auch für das Religionssystem der Gesellschaft zu gelten. Auch sein Funktionieren soll grundsätzlich abgehoben von der religiösen Internverfassung individueller Einzelsubjekte gewährleistet sein. Wird damit nicht das religiöse Individuum und mit ihm das Einzelsubjekt überhaupt zu einem bloßen Moment eines in sich geschlossenen Sozialsystems totaler Vergesellschaftung herabgesetzt? Die Kritiker der Systemtheorie, wie gesagt, haben diese Frage in der Regel bejaht. Luhmanns Theoriestrategie, Menschen lediglich der Umwelt der Gesellschaft zuzuweisen, statt sie als deren Elemente zu betrachten, die in der Lage sind, kommunikativ ein gesamtgesellschaftliches Selbstbewusstsein auszubilden, laufe auf einen methodischen Antihumanismus mit normativen Konsequenzen hinaus: Werde doch der durch evolutionäre Steigerung von Systemrationalität verursachte Trend zu sozialer Dehumanisierung und Verdinglichung systemtheoretisch billigend in Kauf genommen, ja beschleunigt.

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Namentlich Jürgen Habermas hat mit EinHabermas’ Theorie des wänden dieser Art den gesellschaftswissenschaft- kommunikativen Handelns lichen Alleinvertretungsanspruch der Luhmann’schen Theorie sozialer Systeme in Schranken zu weisen versucht. Zwar will er die Leistungsfähigkeit der Systemtheorie keineswegs generell in Abrede stellen. Aber ihre Reichweite soll durch Unterscheidung von System und Lebenswelt programmatisch begrenzt werden. Im betonten Unterschied zu Niklas Luhmann konzipiert Habermas daher Gesellschaft nicht nur systemisch, sondern gleichzeitig als System und Lebenswelt. Die gedankliche Basis dieses Konzepts ist vor allem in der 1981 in zwei Bänden erschienenen „Theorie des kommunikativen Handelns“ entfaltet. Während ihr grundlegender erster Themenkomplex, auf den sogleich Bezug genommen wird, einen gegen kognitiv-instrumentelle Verkürzungen der Vernunft widerständigen Begriff kommunikativer Rationalität zu entwickeln versucht, der die Basis humaner Gesellschaftsgestaltung abgeben soll, sind die beiden Folgeteile dem differenzierten Zusammenhang von System und Lebenswelt gewidmet. Habermas verschließt sich keineswegs generell der Einsicht in die funktionale Selbstregulierung gesellschaftlicher Zusammenhänge, wie sie nach seinem Urteil für Luhmanns Theorieansatz bestimmend ist. Ebenso wenig übersieht er die Grenzen der Integrationskapazität verständigungsorientierten, durch kommunikative Rationalität geleiteten Handelns sowie die Grenzen empirischer Wirksamkeit rationaler Motive überhaupt. Absicht ist es daher nicht, den systemtheoretischen durch einen kommunikationstheoretischen Ansatz zu ersetzen. Intendiert wird vielmehr, Gesellschaft bzw. Gesellschaften unter Vermeidung grundbegrifflicher Konfusionen zugleich als System und Lebenswelt zu konzipieren, um auf diese Weise Einseitigkeiten und methodische Totalisierungen zu vermeiden. Die methodische Schwäche eines absoluten Systemfunktionalismus erkennt Habermas vor allem darin, dass dieser seine theoretischen Grundbegriffe ausschließlich so wähle, als sei die Rationalisierung der Lebenswelt mit der Komplexitätssteigerung des Gesellschaftssystems bereits derart übereingekommen, dass die Lebenswelt nur noch den Status eines sozialen Subsystems einnehme. Dadurch werde er gehindert, gleichzeitig die Rationalisierung von Lebenswelten und die Komplexitätssteigerung des Gesellschaftssystems sowie seiner Subsysteme zu verfolgen und auf ihre Interferenzen hin zu reflektieren. Solche Interferenzen sind nach Habermas dialektischer, gelegentlich auch paradoxer Natur. So ermöglicht die Lebensweltrationalisierung in modernen Gesellschaften eine Art der Systemintegration, die mit dem Integrationsprinzip der Verständigung in Spannung geraten, ja in Konkurrenz treten und unter bestimmten Bedingungen desintegrierend auf die Lebenswelt zurückwirken kann. Statt sich solche paradoxe Interferenzen durch methodische Einseitigkeit systematisch zu verschließen, müsse eine Gesellschaftstheorie programmatisch darauf ausgerichtet sein, sie aufzuklären, um eine adäquate Wahrnehmung und Bearbeitung der in der Moderne auftretenden Sozialpathologien zu ermöglichen.

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System und Lebenswelt bilden unter modernen Bedingungen einen differenzierten Zusammenhang, der weder durch abstrakte Trennung noch durch Reduktionen einer Größe auf die andere oder sonstige Indifferenzierungsstrategien zu fassen ist. Die Unterscheidung und weitgehende Entkoppelung von System und Lebenswelt ist eine notwendige Bedingung des Übergangs von stratifizierten Klassengesellschaften des europäischen Feudalismus zu neuzeitspezifischen Gesellschaftsformationen und daher unveräußerlich zum Projekt der Moderne gehörig. Was Habermas kritisiert, ist daher keineswegs die Differenzierung von System und Lebenswelt als solche, sondern die Verformung und Verdinglichung der kommunikativen Strukturen der Lebenswelt durch die Imperative der namentlich durch die Medien von Geld und Macht gesteuerten und eigengesetzlich verselbständigten Subsysteme der Gesellschaft. Die verständigungsorientierten Bereiche einer kommunikativ strukturierten Lebenswelt werden, so die Zentralthese, fortschreitend den funktionalen Anforderungen formal organisierter und selbstregulativer Handlungssysteme unterworfen, was Sinn- und Freiheitsverlust mit sich führe. Habermas exemplifiziert dies an Erscheinungsformen hypertropher Kapitalisierung und Bürokratisierung, etwa an Verrechtlichungstendenzen im familialen und schulischen Bereich. Insgesamt gilt ihm die, wie er sagt, progressive Kolonialisierung der Lebenswelt als ausgemacht. Ihr sei nur dadurch zu begegnen, dass man gegenüber versachlichten Systemzusammenhängen auf dem Primat kommunikativen Handelns insistiere. Grundlegend für die Theorie des kommunikatiSystemfunktionalismus und ven Handelns ist der im bereits erwähnten ersten personale Lebenswelt Teil des gleichnamigen Buches entwickelte Begriff verständigungsorientierter Rationalität. An den Rationalitätsimplikationen gegenwärtiger soziologischer Handlungsbegriffe sowie an der Methodologie des Sinnverstehens in den Sozialwissenschaften sucht Habermas einleitend zu erweisen, dass die Rationalitätsproblematik ein durchaus internes Thema der Soziologie darstellt, da diese „in einem gleichermaßen metatheoretisch wie methodologisch grundlegenden Begriff von Verständigung“ (Habermas 1, 196) zentriert sei. Die Allgemeinheit des Begriffs kommunikativer Rationalität soll sodann auf dem Wege der Aufarbeitung klassischer soziologischer Ansätze zu einer Theorie der gesellschaftlichen Rationalisierung dargelegt werden. Habermas setzt mit Max Webers Thesen zum Strukturwandel religiöser Weltbilder ein, denen zufolge ein religionsgeschichtlicher „Entzauberungsprozess“ den Hintergrund bildet für das Auftreten des okzidentalen Rationalismus und der für die Entstehung des modernen Bewusstseins charakteristischen Ausdifferenzierung der Wertsphären Wissenschaft, Kunst und Moral. Die Logik dieser Weltbildrationalisierung, wie sie die religionssoziologischen Arbeiten Webers in universalgeschichtlicher Perspektive beschreiben, bezieht Habermas des Weiteren auf das Weber’sche Modell gesellschaftlicher Rationalisierung überhaupt, wobei die theoriestrategische Schlüsselstellung der berühmten Protestantismusstudien nachdrücklich hervorgehoben wird. Die in diesem Zusammenhang auftretenden Spannungen der Theoriekonstruktion wer-

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den zusammenfassend darauf zurückgeführt, dass Weber erstens aufgrund eines auf das Muster von Plan und Durchführung verengten Handlungsbegriffs die Rationalisierung von Handlungssystemen einseitig unter dem Aspekt der Zweckrationalität verfolgte und zweitens auf Grund seines ausschließlich handlungstheoretischen Ansatzes die Verselbständigung von selbstregulativen Subsystemen gegenüber einer handlungsorientierten Lebenswelt nicht zu fassen vermochte. Den ersten Mangel soll ein Paradigmenwechsel von teleologischem zu kommunikativem Handeln beheben. Während Webers Modell, an der Zweckmäßigkeit eines monologischen Handlungssubjekts orientiert, sprachliche Verständigung als ein abgeleitetes Phänomen einführte und „nach dem Muster der wechselseitigen Einwirkung von teleologisch handelnden Subjekten aufeinander vorstellt(e)“, gilt Habermas die „interpersonale Beziehung zwischen mindestens zwei sprach- und handlungsfähigen Subjekten ... als fundamental“ (Habermas 1, 378). Er plädiert daher dezidiert für einen soziologischen Wechsel von der Subjekt- zur Sprachphilosophie und Kommunikationstheorie, welcher zugleich die Voraussetzung dafür sei, das von der frühen Kritischen Theorie avisierte, später aber weitgehend aufgegebene Programm einer kritischen Gesellschaftstheorie wieder aufzunehmen. Denn die Aporien der Positionen von Georg Lukács (1885–1971), Max Horkheimer (1895–1973) und Theodor W. Adorno (1903–1969) sieht Habermas letztlich darin begründet, dass sie die Grenzen eines bewusstseinsphilosophischen Ansatzes nicht hinreichend zu überschreiten vermochten. Das bewusstseinsphilosophische Modell eines Objekte vorstellenden und an ihnen sich abarbeitenden monologischen Subjekts müsse aufgehoben werden in das Paradigma intersubjektiver Verständigung und Kommunikation. Offen bleibt dabei vorerst, wie die Konstitution eines kommunikativ strukturierten Handlungssubjekts gedacht und die Vorstellung einer Beziehung ohne Bezogene und damit eine Herabsetzung der Kommunikanten zu tendenziell verschwindenden Momenten eines sich selbst vollziehenden Sprach- und Sozialvollzuges vermieden werden soll. Habermas greift diese Problematik auf, indem er sich in einem weiteren theoriegeschichtlichen Kapitel dem symbolischen Interaktionismus von George Herbert Mead (1863–1931) zuwendet, wobei sein besonderes Interesse Meads Bemühungen gilt, „Vernunft auf diejenige kommunikative Beziehung zwischen Subjekten zurück(zu)führ(en), die in dem mimetischen Akt der Rollenübernahme, also darin wurzelt, daß sich Ego die auf ihn gerichteten Verhaltenserwartungen von Alter zu eigen macht“ (1, 523). Aus diesen sozialisationstheoretischen Grundannahmen ergibt sich für Mead „der genetische Primat der Gesellschaft vor dem sozialisierten Individuum“ (2, 69), den er durch die normative Instanz des „verallgemeinerten Anderen“ markiert. Habermas macht in diesem Zusammenhang allerdings zu Recht auf eine Inkonsistenz in Meads Argumentationsverfahren aufmerksam: Die Instanz des „verallgemeinerten Anderen“ wird ontogenetisch stillschweigend in Anspruch genommen, ohne phylogenetisch hergeleitet zu sein. Um diese Lücke zu schließen, wird auf Durkheims Theorie des durch religiösen Symbolismus und

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rituelle Praxis hergestellten und sich erhaltenden Kollektivbewusstseins zurückgegriffen, in dem er die vorsprachliche Wurzel kommunikativen Handelns identifiziert. Seine Geschichte hebt also mit Religion an. Ob es sich dabei um einen bloß äußerlichen, im nachfolgenden Rationalisierungsprozess sich verflüchtigenden Anfangspunkt handelt oder ob nicht am Ende Religion für das gesamte Beginnen sinnvollen Sprechens und Handelns grundlegend ist, ist eine Frage, auf die noch zurückzukommen sein wird. Sie legt sich nicht zuletzt angesichts des konstruktiven Entwurfs einer idealen Kommunikationsgemeinschaft nahe, in welcher Habermas mit Mead die Bedingung gelungener Identitätsbildung im Sinne wechselseitiger Aufgeschlossenheit verständigungsorientierter Subjekte sieht. Habermas will ihn zwar methodisch begrenzt und nicht „als Anleitung zu einer Philosophie der Geschichte“ (2, 163) verstanden wissen. Gleichwohl sollen der Entwurf idealer Kommunikationsgemeinschaft und die ihm implizite Idee einer Gleichursprünglichkeit von Individualität und Sozialität nicht als bloße Utopie gelten, sondern dem Freiheitspotential kommunikativer Lebenswelt entspringen und dieser gegenüber intransigenten Systemzwängen als bleibender Anhalt dienen. Will man dieses resistente Freiheitspotential nicht zur lebensweltlichen Selbstverständlichkeit erklären, liegt die Vermutung nahe, es lasse sich hinreichend nur aus einem Sinnzuvorkommen verstehen (und bewahren), welches jedweden Handlungssinn transzendiert und allererst konstituiert, mithin nur religiös wahrzunehmen ist. Ohne Wahrnehmung religiöser Bezüge, so denke ich, droht die Theorie kommunikativen Handelns genau jenem Formalismus zu verfallen, den sie an der transzendentalen Subjektivitätstheorie des Bewusstseins zu kritisieren nicht müde wird. Jedenfalls lässt sich die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit herrschaftsfreier Kommunikation mit dem bloßen Hinweis auf eine angeblich detranszendentalisierte Intersubjektivität der Lebenswelt nicht abtun. Um die bei Habermas kaum je zugestandenen, Projekt der Moderne sondern durch sein geschichtliches Verlaufsmodell eines permanenten Schwindens von Religion in der Moderne eher verleugneten, systematisch aber gleichwohl gegebenen religionstheoretisch relevanten Implikationen der Theorie des kommunikativen Handelns identifizieren zu können, empfiehlt es sich, deren geistesgeschichtlichen Hintergrund etwas genauer zu eruieren und auf auffällige genealogische Lücken aufmerksam zu machen. Gelegenheit dazu bieten zwölf 1985 veröffentlichte Vorlesungen zum philosophischen Diskurs der Moderne, in denen Habermas das Zentralmotiv seines Denkens ideengeschichtlich zu bewähren und gegen postmoderne Bestreitungen zu verteidigen sucht. Erklärtes Ziel ist es, die Kritik der Moderne vor Destruktion ihres konstruktiv emanzipatorischen Gehalts zu schützen, wie sie bei Friedrich Nietzsche (1844–1900), der in Vernunft nicht mehr als einen pervertierten Willen zur Macht zu erkennen vermochte, erstmals in radikaler Form verfolgt wurde, um seither im Zeichen einer nachaufklärerischen Posthistoire in modifizierter, strukturell aber vergleichbarer Form mehrfach wiederzubegegnen. Folgen

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der Verklärung des Irrationalen als des schlechthin Anderen der Vernunft findet Habermas nicht nur in Martin Heideggers (1889–1976) ursprungsphilosophischer Unterminierung des okzidentalen Rationalismus, sondern auch bei seinen Lehrern Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, die sich gemeinsam, wenn auch auf unterschiedliche Weise, einer hemmungslosen Vernunftskepsis hingegeben hätten, „statt die Gründe zu erwägen, die an dieser Skepsis selber zweifeln lassen“ (Habermas, Diskurs, 156). Wo das Ganze nur noch als das Unwahre erfahren werde, regrediere philosophisches Denken und seine Kritik, weil ohne Bezugspunkt, zur bloßen Gebärde. Ein fortgeschrittenes Stadium solcher Regression ins Prä- bzw. Irrationale sieht Habermas im Bereich der Philosophie gegenwärtig in besonderer Weise im Dekonstruktivismus eines J. Derrida (1930–2004), im erotischen Mystizismus eines G. Bataille (1897–1962) sowie in der archäologischen Machttheorie eines M. Foucault (1926–1984) gegeben. Auch die Poststrukturalismuskritik und die Kritik an Luhmanns Aufhebung des Subjektbegriffs im System gehört in diesen Zusammenhang, der es Habermas geraten sein lässt, das Projekt der Moderne gegen dessen nach seinem Urteil unbesonnene Bestreiter in konstruktiver Kritik zu verteidigen und fortzuführen. Dazu rekurriert er vor allem auf Hegels Begriff der Moderne, der das Selbstverständnis der Epoche klassisch identifiziert habe, indem er Subjektivität und die Subjektwerdung der Substanz zum Prinzip und entscheidenden Vorgang der neuen Zeit erklärt habe. Das moderne Zeitalter der Vernunft ist aus dem bergenden Raum zeit- und geschichtsloser Natur ebenso herausgetreten wie aus einer kirchlich gefügten und durch Ewigkeitswerte bestimmten Einheitskultur: Das selbsttätige, reflektierende Subjekt versteht sich als frei waltendes Organisationszentrum der Welt, als das wahrhaft Wirkende, welches die Wirklichkeit ausmacht. Indes findet sich bei Hegel nach Habermas bereits ein ausgeprägtes Bewusstsein von der Dialektik der Aufklärung, vom ambivalenten Charakter der Moderne mit ihren Widersprüchen, Entzweiungen und Entfremdungen, wie sie nicht zuletzt durch die Trennung von Glauben und Wissen hervorgerufen wurden. Das Programm Hegel’scher Philosophie angesichts solcher Situation lautet: Versöhnung der mit sich selbst zerfallenen Moderne, und zwar nicht durch restaurative Rückkehr zu fraglos-präsubjektiven Objektivitäten, wohl aber durch Überwindung aller unmittelbaren Selbstbestimmungs- und Selbstdurchsetzungsbestrebungen der Subjekte mittels der Idee wechselseitiger Anerkennung im Recht und in der Liebe. Habermas teilt diese Programmatik, wendet indes gegen Hegels entwickelte Systemkonzeption ein, diese habe die Kritik der Subjektivität trotz gegenläufiger Tendenzen zuletzt doch nur innerhalb des Rahmens einer subjektzentrierten, am Muster der Selbstbeziehung eines monologisch erkennenden und handelnden Subjekts orientierten Identitätsphilosophie durchzuführen vermocht und damit der antimodernistischen Reaktion einen weiteren Vorwand geliefert, die politischen Ideale der Aufklärung von Freiheit, Gleichheit und Solidarität pauschal zu negieren, um der Subjektivitätskultur der Neuzeit überhaupt den Abschied zu geben.

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Um dies zu verhindern, schlägt Habermas einen anderen Ausweg aus den Aporien der Subjektphilosophie vor. Seine Alternative lautet nicht: postmoderne Irrationalität versus moderne Rationalität, sondern: kommunikative versus subjektzentrierte Vernunft. Der selbstdestruktive Solipsismus des modernen Subjekts, so abermals die entscheidende These, sei abzulösen „durch das Paradigma der Verständigung zwischen sprach- und handlungsfähigen Subjekten“ (Habermas, Diskurs, 345). Sprachlich erzeugte Intersubjektivität allein sei in der Lage, die Antagonismen der Neuzeit zu überwinden und ihren humanen Gehalt gegen eine radikale Vernunftkritik zu retten, die für die Verabschiedung der Moderne den Preis eines undurchsichtigen Irrationalismus zu zahlen habe. In der Traditionsreihe derer, bei denen Habermas geistesgeschichtlichen Anhalt für seine Intersubjektivitätstheorie sucht, um die sprachtheoretische Wende kritischer Gesellschaftstheorie nicht als diskontinuierlichen Bruch, sondern als anschlussfähige Fortführung des Projekts der Moderne in Erscheinung treten zu lassen, begegnen neben den jüngeren Repräsentanten des „linguistic turn“ auch Kommunikationstheoretiker älteren Datums wie etwa Wilhelm von Humboldt (1767–1835), der schon zu seiner Zeit von den Strukturen des Gesprächs her, das er als Zentrum der Sprache begriff, das Ideal gesellschaftlicher Rationalität zu erschließen trachtete, welches Habermas vorschwebt. Ohne weitere Namen zu benennen, sei lediglich vermerkt, dass einer kaum oder gar nicht Erwähnung findet, der in der Genealogie einer um kritische und konstruktive Fortschreibung des Projekts der Moderne bemühten Kommunikationstheorie eigentlich nicht fehlen dürfte: F.D.E. Schleiermacher (1768–1834). Man muss kein Kenner neuzeitlicher Theologiegeschichte oder gar Verehrer des Kirchenvaters des 19. Jahrhunderts sein, um diesen Ausfall überraschend zu finden. Mögen die Gründe hierfür kontingenter Natur sein, so bleibt das Faktum gleichwohl bemerkenswert, weil es sich als Indiz nicht nur eines historiographischen Mangels, sondern eines sachlichen Defizits in doppelter Hinsicht werten lässt. Zum einen: Obwohl unter empirischen Gesichtspunkten Intersubjektivität zweifellos die Voraussetzung für die Ausbildung selbstreferentieller Subjektivität ist, da sich realexistierendes Sichwissen in Gestalt individuellen Selbstbewusstseins ohne Sozialität und sozial vermittelte Weltbezüge nicht denken lässt, kann das Selbstverhältnis von Subjekten ebenso wenig auf sprachliche Interaktionen reduziert oder einlinig aus ihnen abgeleitet werden. Subjektivität lässt sich weder nach Seinsart der Dinge bestimmen und aus einer in der Dingwelt vorfindlichen Objektivität begründen, noch allein auf kommunikative Vollzüge zurückführen und zu deren Moment herabsetzen. Denn personale Kommunikationsvollzüge sind ohne Selbstverhältnisse der in Beziehung tretenden Personen nicht zu denken. Intersubjektivität impliziert Subjektivität auf konstitutive Weise. Damit ist nicht gesagt, dass Kommunikation eine akzidentielle Relation in solitärer Substantialität gegebener Subjekte darstellt; es wird lediglich in Abrede gestellt, dass Selbstverhältnisse sich als bloße Funktion sprachlicher Beziehungen verstehen lassen, und behauptet, Kommunikative versus subjektzentrierte Vernunft

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dass Selbstbeziehung und Beziehung zu Anderem nur in einem und aus einem Beziehungszusammenhang heraus begriffen werden können. Das hat u.a. Dieter Henrich in Hegel’scher Perspektive gegen Habermas geltend gemacht. Eine entsprechende Einsicht ließe sich aber auch von Schleiermacher her gewinnen, dessen Denken sich im Übrigen mit guten Gründen als eine Theorie der Kommunikation kennzeichnen lässt. Näheres hierzu habe ich in der Studie „Verständigungsorientierte Subjektivität. Eine Erinnerung an den Kommunikationstheoretiker F.D.E. Schleiermacher“ ausgeführt, die in dem – Texte zur theologischen Rezeption, Diskussion und Kritik der Theorie kommunikativen Handelns enthaltenen – Sammelband „Habermas und die Theologie“ von 1989 veröffentlicht wurde (vgl. Wenz, Subjektivität, 224–240). In diesem Beitrag sowie in einer Notiz zum Thema „Sprechen und Handeln“, die in den Arbeitsergebnissen der Forschungsgruppe „Poetik und Hermeneutik XI“ über „Das Gespräch“ von 1984 dokumentiert ist (vgl. Wenz, Sprechen und Handeln, 77–84), sind auch die Gründe benannt, warum sich eine die Gleichursprünglichkeit von Selbstbeziehung und Beziehung zu Anderem, von Individualität und Sozialität behauptende Intersubjektivitätstheorie ohne Wahrnehmung religiöser Bezüge nicht angemessen entwickeln lässt. Dies tendenziell ausgeblendet zu haben, ist das zweite sachliche Defizit der Theorie des kommunikativen Handelns, auf das die Nichtbeachtung Schleiermachers im Werk von Habermas hindeutet. Diese Nichtbeachtung ist umso bedauerlicher, als sich Schleiermachers Verständnis der Welt des Christentums unschwer mit Habermas’schen Formulierungen umschreiben und als ein Sozial- und Sozialisationszusammenhang bestimmen lässt, der sich in unauflöslicher Verschränkung von traditionsgeprägten Bildungsprozessen und individuellen Sinnschöpfungen und Innovationen allein über das Medium kommunikativer Verständigung reproduziert. Dabei ist zu ergänzen, dass verständigungsorientierte Intersubjektivität Individualität und Vielfalt nur dann nicht ausschaltet, wenn Sprache als wesentliches Vollzugsorgan von Dialogizität nicht vorweg auf zeitinvariante Regelsysteme festgelegt, sondern offengehalten wird für das, was man mit Humboldt die nie endende Bestimmbarkeit nennen könnte. Bereits die Schleiermacher’sche Sozialtheorie reflektiert den Unterschied von System und Lebenswelt und bringt die lebensweltlichen Freiheitspotentiale und ihre emanzipierende Kraft gegen verdinglichende Systemzwänge in Stellung, ohne die gesellschaftliche Notwendigkeit organisierter Funktionssysteme zu leugnen. Im Unterschied zu Habermas hebt er allerdings die soziale Unentbehrlichkeit expliziter religiöser Bezüge dezidiert hervor, wohingegen jener lange dazu neigte, sie in Abrede zu stellen, obwohl sie implizit gegeben und theoretisch rekonstruierbar sind, sobald man ausdrücklich auf die Sinnbestände reflektiert, von denen die Theorie des kommunikativen Handelns stillschweigend Gebrauch macht. Dass kommunikatives Handeln von einem Sinnressourcen verständiSinn lebt, den es voraussetzt und nicht von sich gungsorientierten Handelns aus zu setzten vermag, scheint Habermas – darin dem späten Max Horkheimer vergleichbar – mittlerweile selbst einzuräumen.

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Nicht nur lasse sich die kulturelle Modernisierung des Abendlandes nur aus dem jüdisch-christlichen Überlieferungszusammenhang erklären; dessen religiöses Erbe sei darüber hinaus für das normative Selbstverständnis der ins Globale ausgreifenden okzidentalen Neuzeit eine dauerhafte und unersetzbare Sinnressource. Zwar eignet sich Habermas den Horkheimersatz, dass es eitel sei, einen unbedingten Sinn zu retten ohne Gott, nicht ohne Vorbehalte an, doch bestreitet auch er nicht die Unmöglichkeit, Religion durch Philosophie, sei es in ihrer metaphysischen oder nachmetaphysischen Gestalt, zu ersetzen. Auch diskurstheoretisch lässt sich die gesellschaftliche Funktion von Religion offenbar nicht substituieren. Es ist im Gegenteil so, dass gerade unter den modernen Bedingungen nachmetaphysischen Denkens, wie Habermas sie in seinem eigenen Konzept voraussetzt, eine aus Vernunft zu leistende Sinnvergewisserung, die auf das Ganze des Daseins und auf einen Letztgrund von Selbst und Welt ausgerichtet ist, nicht mehr zu erwarten ist. „De consolatione philosophiae“ zu handeln, wie der eingekerkerte Boethius im Jahr 524, ist ein philosophisch offenbar längst aufgegebenes Unternehmen. Nachmetaphysische Philosophie scheint es aus Entlastungsgründen gerne Theologen oder sonstigen Sachwaltern der Religion zu überlassen, von integrem Heil zu sprechen und in heillosen Situationen Trost zu spenden. Der Gestus solcher Zurückhaltung kann unterschiedlich ausfallen und zwischen generösem Überlegenheitsausdruck und dem Eingeständnis echter Bedürftigkeit oszillieren. Indes bleibt durch dieses Schwanken, wie es bei Habermas selbst unschwer zu beobachten ist, die Tatsache unberührt, dass Religion im so genannten nachmetaphysischen Zeitalter philosophisch oder anderweitig nicht zu ersetzen ist. Bewährt die systemtheoretische These funktionaler Nichtsubstituierbarkeit von Religion insoweit ihr Recht, so wird man ihr auch in der Annahme nicht widersprechen wollen, dass der Sinnbegriff different zum Begriff individueller Subjektivität zu bestimmen ist, sofern Subjekte als sinnhaft konstituierte Identitäten und sprachlich agierende Beziehungsgrößen Sinn bereits zur Voraussetzung haben und nicht ursprünglich generieren. Gleichwohl dürfte sich Sinn ebenso wenig ohne Bezugnahme auf das Personsein selbstbewusster Entitäten sinnvoll denken lassen. Dem scheint zu widersprechen, dass individuierte Personen systemtheoretisch nicht als elementare Bestandteile sozialer Systeme, sondern als deren Umwelt in Betracht kommen. Doch kann man dieser Betrachtung in religionstheoretischer Perspektive durchaus einen Sinn abgewinnen, sofern sich in jener Zuweisung ein verschlüsselter Hinweis auf die sozial unaufhebbare Gesellschaftstranszendenz menschlichen Personseins erkennen lässt, wie sie durch Religion begründet und zu Bewusstsein gebracht wird. Das religiöse Bewusstsein nimmt in der Gewissheit, dass Selbst und Welt nicht unmittelbar in sich gründen, sondern durch den Bezug zu einem fundierenden Grund jenseits von Selbst und Welt bestimmt sind, sich selbst in dem ihm eigenen Personsein als ebenso selbst- wie welttranszendierend wahr. Religion lässt Personen nicht aufgehen in der Welt, auch nicht in der Welt der Gesellschaft und der Totalität ihrer sozialen Vermittlungsgestalten. Im religiösen Bewusstsein wird der Mensch dessen und damit der

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Tatsache inne, dem sozialen Diesseits der Gesellschaft, dem er zugehört, zugleich jenseitig zu sein. Als Jenseits im Diesseits der objektiven Welt der Gesellschaft und der sozial vermittelten Na- Die Luhmann-Habermas Kontroverse tur fungiert das zum religiösen Bewusstsein seiner selbst gelangte Personsein, dessen eigentümliche Verfassung sich im Medium bedingten Wissens bzw. des Wissens von Bedingtem nicht hinreichend erfassen lässt, zugleich als dynamisches Prinzip der Weltveränderung, sofern es jede denkbare Welt und mit ihr jede empirische Gestalt von Gesellschaft auf dasjenige hin orientiert, von dem es ursprünglich herkommt: auf die Unbedingtheit Gottes, dessen unvordenkliche und aller Praxis zuvorkommende Wirklichkeit sinnvolle Möglichkeiten allererst erschließt und ohne den allenfalls von unbestimmten und in ihrer Unbestimmtheit nicht bestimmbaren, nicht aber von bestimmbaren und bestimmten Möglichkeiten die Rede sein könnte. Ist es aber ihre grundlegende und nicht substituierbare Funktion, unbestimmbare in bestimmbare Kontingenz zu transformieren, dann kann die Religion der Gesellschaft nicht auf ein soziales Segment beschränkt werden. So nötig und unverzichtbar ihre subsystemische Organisation auch ist: die funktionale Ausdifferenzierung, in deren Zusammenhang sie erfolgt, lässt sich im Sinne eines offenen Systems der Freiheit nur dann erfolgreich durchführen, wenn Religion, ohne aufzuhören ein gesellschaftliches Teilsystem zu sein und als solches organisiert zu werden, zugleich die Systemumwelt bildet, die im Sinne von Welt als Inbegriff bestimmbarer Möglichkeiten überhaupt die fundamentale Basis erschließt, ohne welche jede Form vernünftiger Weltgestaltung von vorneherein schlechterdings unmöglich wäre, weil diese Voraussetzung ihre Grundbedingung ist. Als Grundbedingung möglicher Weltgestaltung durch Denken und Handeln ist Religion dann aber zugleich die Gewähr dafür, dass keine bestimmte Wirklichkeit absolut notwendig, sondern ihrem Prinzip nach kontingent ist. Diese Einsicht ist ihrerseits die Voraussetzung dafür, im Prozess humaner Weltgestaltung ungebrochen fortzufahren und mit der Krisenhaftigkeit, die aller weltlichen Realität und nicht zuletzt aller gesellschaftlichen Realität innewohnt, einsichtig und konstruktiv umzugehen. In einer erhellenden Analyse der theologischen Implikationen der sozialtheoretischen Kontroverse zwischen Luhmann und Habermas hat Trutz Rendtorff diesen Sachverhalt herausgearbeitet und zugleich gezeigt, in welche eklatanten Widersprüche die gängige Rede von einem Schwund der Religion in der modernen Gesellschaft zu der fundamentalen Bedeutung steht, die ihr für deren Aufbau tatsächlich zukommt. Indem er die elementare Relevanz von Religion für die soziale Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit der Moderne in der Theoriegestalt nachweist, in welcher diese bei Luhmann und Habermas durchgeführt wird, weist er das an quantifizierenden Vorstellungen ihrer Bedeutung orientierte historische Vorurteil eines fortschreitenden religiösen Niedergangs in der Geschichte der Neuzeit, wie es nicht nur in der Theorie des kommunikativen Handelns, sondern auch in der Systemtheorie begegnet, gebührend in Schranken. Die verbreitete Be-

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hauptung einer Krise der Religion in der Moderne sei, so Rendtorff, kein Indiz von Rückgang, sondern im Gegenteil von der Lebendigkeit ihrer gesteigerten Reflexivität. Revidiere man alle gegenständlichen Vorstellungen von Religion und Gesellschaft in ihrem Verhältnis zueinander, welche historische Pauschalurteile zur zwangsläufigen Folge haben müssten, und fasse stattdessen konkrete Prozesse sozialer Selbstverständigung ins Auge, wie sie in Sozialtheorien methodisch reflektierte Gestalt gewinnen, dann trete die Basisfunktion von Religion für den Aufbau von Gesellschaft offen zutage und es erhelle, dass Religion mit systematischer Notwendigkeit zum Thema werde, wo immer Gesellschaft sich selbst thematisiert: „dem Thema Religion kann man nicht entgehen. Eine Theorie der Gesellschaft kann nicht ohne eine Theorie der Religion entworfen werden.“ (Rendtorff, 18) Das bestätige sich nicht zuletzt an den kontroversen Sozialtheorien von Luhmann und Habermas. Was die Grunddifferenz des Ansatzes der Theorie des kommunikativen Handelns einerseits und der Systemtheorie andererseits angeht, so reflektiert sich in ihr nach Rendtorff die für die Geschichte neuzeitlicher Theologie charakteristische Alternative, Religionstheorie entweder als Theorie des religiösen Bewusstseins und der Frömmigkeit individueller Subjekte zu betreiben, oder sie strikt theologisch als Gotteslehre oder Theorie des Absoluten zu konzipieren. Dass beide Ansatzmöglichkeiten keine sich ausschließenden Gegensätze sind und sein können, ist unschwer zu erkennen. Entsprechendes gilt auch für die Theorieansätze von Luhmann und Habermas, deren Differenz Rendtoff auf den Unterschied einer transhistorischen, vom individuellen Bewusstsein endlicher Subjekte strukturell abstrahierenden Universaltheorie und einer am historischen Bewusstsein orientierten und damit individualitätsgebundenen Betrachtungsweise zurückführt. So wenig sich „die Spannung zwischen einer die Weltzeit umfassenden Theologie und einer auf die religiöse Lebensführung bezogenen Erfahrung“ (Rendtorff, 38) beseitigen lasse, so notwendig sei es, eine systemtheoretische Gesellschaftslehre mit einer primär lebensweltorientierten Sozialtheorie zu vermitteln und umgekehrt. Die Theorie der Religion kann dafür als Paradigma dienen: denn „in der Thematisierung der Religion wird sich die Gesellschaft selbst zum Thema“ (Rendtorff, 15).

4. Religion als neuzeitspezifischer Begriff

Lit.: U. Barth, Religion in der Moderne, Tübingen 2003. – M. Buntfuß, Die Erscheinungsform des Christentums. Zur ästhetischen Neugestaltung der Religionstheologie bei Herder, Wackenroder und De Wette, Berlin/New York 2004. – E. Feil, Religio. Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs vom Frühchristentum bis zur Reformation, Göttingen 1986. – Ders., Religio. II. Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs zwischen Reformation und Rationalismus (ca. 1540–1620), Göttingen 1997. – Ders., Religio. III. Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs im 17. und frühen 18. Jahrhundert, Göttingen 2001. – W. Kern u.a. (Hg.), Handbuch der Fundamentaltheologie. Bd. 1: Traktat Religion, Freiburg/Basel/Wien 1985. – D. Korsch, Religion mit Stil. Protestantismus in der Kulturwende, Tübingen 1997. – F. Wagner, Was ist Religion? Studien zu ihrem Begriff und Thema in Geschichte und Gegenwart, Gütersloh 1986.

So elementar die gesellschaftliche Relevanz von Religion auch ist: die Komplexität ihrer Bedeu- Das religiöse Verhältnis tung lässt sich nur schwer auf den Begriff bringen. In seiner geläufigen Verwendung ist der Religionsbegriff extrem vieldeutig und ändert seinen terminologischen Gehalt je nach kontextuellem Gebrauch. Ein univoker Bedeutungskern, der Sinnidentität in allem Wandel begründet und prinzipielle Äquivokation vermeidet, lässt sich, so will es scheinen, am ehesten durch eine funktionale Bestimmung erreichen. Kann die Nichtsubstituierbarkeit der Funktion als erwiesen gelten, deren Erfüllung Religion genannt wird, dann ist damit ein Unverwechselbares benannt, welches eine präzise Unterscheidung von Religion und Nichtreligion und eine synonyme Verwendung des Religionsbegriffs erlaubt. Religion, so wurde im Anschluss an Lübbe und Luhmann gesagt, transformiert Unbestimmbares in Bestimmbares und ermöglicht es so, Kontingenz zu bewältigen und zwar, wenn man so will, Kontingenz von der prinzipiellen Art. Warum ist überhaupt etwas und nicht nichts? Was ist die Bedingung der Möglichkeit meiner selbst in Unterschiedenheit zu allem, was ich nicht bin? Fragen dieser Art lassen sich weder durch Selbst- oder Welterfahrung einer Antwort zuführen, sondern nur in einem religiösen Verhältnis bewältigen, das auf den fundierenden Grund von Selbst und Welt ausgerichtet ist. Denn es geht in ihnen zwar auch, aber keineswegs nur um die Überführung problematischer Kontingenzerfahrungen individuellen Lebens in Sinnzusammenhänge. Zur Disposition stehen Sinn und Unsinn meiner und aller Existenz, also Sinn oder Sinnlosigkeit von Selbst und Welt überhaupt und im Ganzen. Auf dieses allen konkreten Problemlagen zuvorkommende und sie

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transzendierende Problem ist die Religion bezogen, und eben dies macht die Identität ihrer Funktion und ihres Begriffs aus. Weit davon entfernt, die Antwort auf Fragen zu sein, die keiner stellt, steht sie in einem für ihr Wesen konstitutiven Verhältnis zu Problemen, die jeder kennt und die jedem alternativlos gestellt sind, ohne dass sie einer Lösung durch Selbst- und Welterfahrung zugeführt werden könnten; dies ist vielmehr prinzipiell unmöglich. Betrachtet man religiöse Phänomene in externer Perspektive, wird man Religion wohl am ehesten als soziales Sinnsystem beschreiben, das diverse Vorstellungsgehalte, kultische Vollzüge und ethische Verbindlichkeiten beinhaltet, deren funktionale Einheit mit der Transformation unbestimmbarer in bestimmbare Kontingenz anzugeben ist. Fasst man den religiösen Grundvollzug selbst ins Auge, wird man von der Beziehung eines Subjekts zu einem fundierenden Grund von Selbst und Welt sprechen oder – unter stärkerer Berücksichtigung der sozialen Dimension – von Religion als dem Inbegriff humaner Selbstdeutungskultur, worin das Bedürfnis nach einer Unbedingtheitsdimension des eigenen Lebenssinns explizite und gemeinschaftlich artikulierte Gestalt annimmt (vgl. U. Barth, 3ff.; 29ff., bes. 72ff.; 89ff. u.a.). Religion intendiert Letztbegründung. Sie ist die lebensweltlich elementare Form der BezugnahLetztbegründungsintention me auf Unbedingtes, dessen Idee sie gedanklich in Anspruch nimmt, ohne es durch Vernunft und Denken allein für erschwinglich zu erachten. Ihrem Selbstverständnis gemäß hält sich Religion für nicht durch Metaphysik ersetzbar, so sehr sie mit dieser die Ausrichtung auf Letztbegründung teilt. Auch eine Substitution durch Moral kommt für sie kaum in Frage. Religion hat zweifellos ethische Implikationen ebenso wie z.B. ästhetische; aber sie wird damit nicht einfach zu einer Form der Sittlichkeit oder der Kunst. Zwar teilen, worauf gleich näher einzugehen sein wird, nachgerade religiöse und ästhetische Erfahrung den Sinnerfüllungs- und Unterbrechungs-, Widerfahrnis- und Transzendierungscharakter (vgl. U. Barth, 235ff.), der für beider Erlebnisstruktur kennzeichnend ist. Das hebt ihre Unterscheidbarkeit und Unterscheidungsbedürftigkeit gleichwohl nicht auf. Als humane Selbstauslegung „sub specie aeternitatis“ vollzogen ist religiöse Deutungskultur ihrem Wesen nach darauf angelegt, in ihrer Unbedingtheitsdimension vom Unbedingten selbst erschlossen und gedeutet zu werden. Erst das macht sie zu dem, was sie ist, und von anderen kulturellen Deutungsmustern prinzipiell unterscheidbar. Die religiöse Deutung deutet nicht dieses oder jenes, sondern ist auf jenen alles fundierenden Sinngrund aus, dessen Letztbegründungsmacht die Voraussetzung dafür ist, dass überhaupt Bedeutsamkeit und nicht alles bedeutungslos ist. Nur so vermag aus religiöser Deutung die kulturelle Kompetenz zu erwachsen, mit den unüberwindlichen Grunddifferenzen des Daseins in der Welt sinnvoll umzugehen: mit der Differenz von Sein und Nichts, Leben und Tod, Sinn und Unsinn etc.. Sie erwächst aus der Kraft, einen einheitlichen Zusammenhang zwischen unvereinbar Differentem herzustellen, über den kein Mensch und nichts in

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der Welt von sich aus verfügt. Auf diese Kraft ist das religiöse Verhältnis ausgerichtet, um die Fä- Differenzkompetenz higkeit des konkreten Umgangs mit dem zu erwerben, was in keiner Weise in unserem Vermögen steht. Religion ist so gesehen Differenzkompetenz bezüglich des in unabschließbaren Differenzen verlaufenden eigenen Lebens (vgl. D. Korsch, 1ff.; 17ff.; 69ff. u.a.). Solche Differenzkompetenz ermöglicht es, zu differenzieren zwischen dem endlichen Dasein und dem Unendlichen, zwischen Bedingtem und Unbedingtem, zwischen dem unverfügbar Anderen und dem Eigenen sowie dem eigenen Menschsein und dem Menschsein Anderer, deren Anderssein um Gottes, meiner selbst und des Nächsten willen anzuerkennen ist. Differenzierungsleistungen dieser Art sind unersetzbar, wenn Menschen ihre Egozentrizität denkend und handelnd transzendieren und kultiviert zusammen leben wollen, wobei Religion allerdings nur dann als Bedingung der Möglichkeit und dauerhaftes Förderungsmittel der Kultur zu fungieren vermag, wenn sie Potentiale der Differenzierung und der Begrenzung auch in Bezug auf sich selbst zu entwickeln vermag, um dem Ganzen auf prinzipiell antitotalitäre Weise dienlich zu sein. Als innerweltliches Phänomen der Beziehung zu dem, was nicht von dieser Welt ist, ist Religi- Selbst- und Welttranszenon, was sie ist, allein im Über-sich-hinaus. Das dierung dürfte, wie bereits erwähnt, der prinzipielle Grund für die Schwierigkeit sein, den Begriff der Religion zu definieren und in substanzhafter Weise zu erfassen. Im Übrigen aber ist, wie sich zeigen wird, die generalisierende Tendenz, welche die Verwendung des Religionsbegriffs im Allgemeinen kennzeichnet, eine Folge des geschichtlichen Grundes seiner Ausbildung. Der Religionsbegriff in seiner uns gebräuchlichen Verwendung ist ein postkonfessionalistischer Reflexionsbegriff neuzeitspezifischer Prägung, der die fatalen Folgen der Konfessionskriege reflektiert und sie auf seine Weise zu kompensieren sucht. Bemerkenswert an diesem Sachverhalt ist nicht, dass der Religionsbegriff in einem historischen Kontext entstanden ist und eine differenzierte Terminologiegeschichte aufzuweisen hat; das gilt, so wenig es kontextfreie Termini gibt, für andere Begriffe auch. Bemerkenswert ist vielmehr, dass der Begriff der Religion überhaupt erst unter den neuzeitspezifischen Bedingungen, die seine moderne Bedeutung prägten, zu jener Leitkategorie theologischer Selbstverständigung werden konnte, die er vorher nicht war. Dass die zweite Leitkategorie, die als Prinzip moderner Theologie fungiert, nämlich die Kategorie der Offenbarung dem Religionsbegriff in Konstruktion und Kritik eng verbunden ist, wird im zweiten Teilband eigens zu zeigen sein. Die Problematik einer rechten Verhältnisbestimmung von Religion und Offenbarung wird sich aber schon im ersten Teil andeuten, etwa an der unterschiedlichen Weise, wie Schleiermacher und Hegel den Begriff der Religion handhaben. Dass Offenbarung ein Grundphänomen fast aller entwickelten Religionen darstellt, leugnen beide nicht. Während indes Schleiermacher den offenbaren Gehalt der Religion zum funktionalen Implikat des religiösen Bewusstseins erklärt, in

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einem Anderen zu gründen, insistiert Hegel auf der realen Unterscheidbarkeit von religiösem Bewusstsein und Gehalt der Religion, den an sich selbst zu erfassen das Bestreben seiner Religionsphilosophie ist. Objektiviert sich nach Schleiermacher in den Gehalten der Religion die religiöse Gewissheit des Grundes von Selbst und Welt, so gilt Hegel dieser Vorgang, auch wenn er keineswegs beliebig, sondern vom Gefühl strikter Notwendigkeit begleitet vollzogen wird, als aporetisch, sofern er den Grund der Religion nur in Dependenz vom Begründeten, nämlich dem religiösen Bewusstsein, und nicht an sich selbst zu erfassen vermag. Theologische Aufgabe sei es demgegenüber, das Absolute, wie es sich von sich aus offenbare, zu denken und von dorther die Religion zu begründen. Auf andere Weise ließe sich die Geltungsfrage bezüglich der Gehalte des religiösen Bewusstseins nicht beantworten. Denn unter den Bedingungen des religiösen Bewusstseins selbst bleibe die Beziehung zu dessen intendierten Grund stets nur intramental. Ob es eine Alternative zu dieser Alternative und Der vormoderne Religionsdie Möglichkeit einer Synthese von Hegel und begriff Schleiermacher geben könne, wird zu fragen sein. Zuvor jedoch ist noch einmal die generelle Frage nach dem Begriff der Religion zu stellen und zwar so, dass die terminologiegeschichtlichen Gründe seiner allgemeinen Bedeutung erkennbar werden. Was ist Religion? Eine erste Antwort auf diese Frage muss sicherlich lauten: zum einen ein Lehnwort aus dem Lateinischen, zum anderen ein moderner Begriff, wobei das eine mit dem anderen nur bedingt etwas zu tun hat. Von seiner Herkunft her gehört der Terminus, wie unschwer zu erkennen ist, in den Zusammenhang abendländischer Geistesgeschichte, näherhin in den Kontext der römischen Antike. Auch wenn die etymologische Ableitung von „religio“ im Einzelnen strittig ist, überwiegt im antiken Latein eindeutig die Denotation von „cultus deorum“ im Sinne der Verpflichtung zu kultisch-ritueller Verehrung der Götter. Der Sprachgebrauch Ciceros (106–43 v. Chr.) ist dafür exemplarisch. Zwar wurde von den christlichen Vätern, allen voran Lactantius (gest. n. 317) und Augustin (354–430), nachdrücklich der untrennbare Zusammenhang von Gottesverehrung und Gotteserkenntnis betont und „religio“ nicht nur von „relegere“ (gewissenhaft beobachten/immer wieder durchgehen), sondern auch von „religari“ ([an Gott] gebunden sein) her verstanden; doch bleibt von allen sonstigen Bedeutungsnuancen abgesehen das Verständnis vorherrschend, demzufolge „religio“ vor allem das korrekte, von „superstitio“ unterschiedene kultische Handeln bezeichnet. Diese Bedeutung erhielt sich auch im Mittelalter und bis weit in die Frühneuzeit hinein. Erst dann wurde zwar zögerlich, aber mit innerer Konsequenz im Laufe des 17. und des frühen 18. Jahrhunderts ein anderes Verständnis des Begriffs ausgebildet, das spätestens seit 1750 als das bestimmende zu gelten hat: Religion bezeichnet nun im Wesentlichen ein Allgemeines, das den christlichen Konfessionen einerseits innewohnt, ihnen andererseits aber übergeordnet ist und letztlich den Anspruch auf nicht nur christliche, sondern universalanthropologische Relevanz erhebt. In seinem auf vier umfangreiche Bände angelegten Monumentalwerk zur Termi-

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nologiegeschichte des religio-Begriffs hat Ernst Feil minutiös nachgewiesen, dass von einer Antike, Mittelalter und Neuzeit verbindenden Bedeutungskontinuität des Terminus nicht die Rede sein kann. Erst in der Moderne wird der Wortsinn in der uns vertrauten Weise generalisiert und Religion jener Allgemeinbegriff, der in umfassender Weise die spezifischen Differenzen aller besonderen Erscheinungen in sich begreift, die ihrem Wesen nach religiös zu nennen sind. Für die Zeit vom frühen Christentum bis zur Reformation ergibt sich nach Feil im Einzelnen folgender Befund: Als ein Oberbegriff für ein Allgemeines, das allen subsumierten Größen trotz und unbeschadet ihrer spezifischen Besonderheit gemeinsam ist, war „religio“ den Römern unbekannt. Der – im Griechischen äquivalenzlose – Begriff bedeutet kein anthropologisches Universale, sondern vor allem die penible Sorgfalt bei der Durchführung jener Vollzüge, welche der Mensch aus Gerechtigkeitsgründen der Allmachtstellung der Gottheit schuldet. Er steht damit auf einer Bedeutungsebene mit Begriffen wie „pietas“, „cultus“, „ritus“ oder auch „ceremoniae“. Religion ist die Tugend, Gott oder den Göttern die gebührende Verehrung durch Gebet, Opfer und dergleichen zu erweisen. Die frühchristliche Rezeption ändert daran im Grundsatz nichts, außer dass sie das Christentum als „vera religio“ von der „falsa religio“ heidnischer Gottesverehrung unterscheidet, die in Wahrheit nur „superstitio“, also Götzendienst zu leisten vermag. Selbst wenn die den Römern bekannte etymologische Ableitung des Religionsbegriffs von „religari“ als Bindung an Gott bzw. Göttliches für bedeutsamer erachtet wird, ändert das nichts daran, dass „religio“ in der vorchristlichen und frühchristlichen Antike keinen Sammelbegriff mit universalanthropologischer Allgemeinbedeutung darstellt. Das bleibt auch unter mittelalterlichen Bedingungen so. Wenn im Mittelalter ein Sammelbegriff zur Bezeichnung diverser transzendenzbezüglicher Überzeugungsbestände verwendet wird, dann ist entweder von „sectae“ im (von „sequi“ abgeleiteten) Sinne von Gefolgschaften oder von „leges“ die Rede, nicht aber von „religiones“. „Religio“ bleibt primär Bezeichnung einer frommen Tugend, welche angemessen keineswegs alle „sectae“, sondern nur die Gefolgschaften Christi zu üben vermögen, wohingegen diejenigen, welche anderen „leges“ Folge leisten, nur Idolatrie hervorbringen. Besonders deutlich tritt die klassisch-christliche Konzeption nach Feil bei Thomas von Aquin (1225–1274) zutage, der „religio“ im Anschluss an Cicero den „virtutes morales“ zurechnet und als Untertugend der Kardinaltugend „iustitia“ aufführt, welche im Wesentlichen das der Gerechtigkeit Gottes naturgemäß geschuldete Verhalten betrifft. Dabei akzentuiert Thomas die im Unterschied zu den Weltchristen vollkommene Gotteshingabe der Religiosen, wie die Mitglieder des Klosterstandes bzw. klosterähnlicher Genossenschaften signifikanterweise genannt werden. Eine seinen Rahmen sprengende Ausnahme von dem skizzierten begriffsgeschichtlichen Befund scheint allerdings ein bemerkenswerter Text von Philipp Melanchthon aus dem Jahre 1540 zu machen. Es handelt sich dabei um eine von Martin Luther mitunterzeichnete Eingabe an Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen (1503–1554), in der von französischen „Weltweisen“ die Rede ist, unter denen

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die Meinung kursiere, „es sey aller völcker zu allen zeitten ein religion gewesen, allein die namen sind geendert“ (WA [= Weimarer Ausgabe der Werke Martin Luthers] B [= Briefe] 9, 24, 151f.). Dass dieses Konzept, welches der „praeceptor Germaniae“ dezidiert ablehnte, von Humanisten im damaligen Frankreich tatsächlich vertreten wurde, hat sich bisher nicht verifizieren lassen. Unzweifelhaft indes ist, dass es im Laufe der Frühneuzeit und der werdenden Moderne außerordentlich einflussreich werden sollte und zwar aus Gründen, die mit der Reformation ursächlich zusammenhängen. Nach geläufiger Sicht der Dinge bilden die AnDer moderne Allgemeintagonismen des konfessionalistischen Zeitalters begriff der Religion den entscheidenden geschichtlichen Hintergrund nicht nur für die Moderne insgesamt, sondern auch für den modernen Allgemeinbegriff der Religion, dessen Anfänge zumindest der Sache nach, die er bezeichnet, nicht erst in der Goethezeit zu suchen und zu finden sind. Ursprünglich und von ihrer Intention her war die Reformation eine Bewegung zur Reform der Kirche, deren Einheit sie keineswegs auflösen wollte. Gleichwohl erbrachte der Verlauf des 16. Jahrhunderts aus Gründen, die einseitige Schuldzuweisungen verbieten, die Konfessionalisierung und schließlich die Spaltung der westlichen Christenheit. Damit war eine im Vergleich zur relativen Einheitskultur des Mittelalters grundlegend neue Situation gegeben. Das Bewusstsein einer bisher nicht gekannten Differenz bestimmte den Geist der Zeit. Da sich die konfessionellen Gegensätze kommunikativ nicht dauerhaft beheben ließen, kam es in Europa zu einer Vielzahl blutiger Konflikte, die durch die besagten Konfessionsgegensätze zwar nicht ausschließlich verursacht, aber doch erheblich mitbedingt waren. Auf diese Situation, so scheint es, ist der moderne Religionsbegriff wesentlich bezogen. Funktionsanalog zur fortschreitenden Emanzipation etwa des Rechts von Bekenntnisprämissen versucht er die Folgelasten konfessioneller Auseinandersetzungen dadurch zu bewältigen, dass er einen dem konfessionellen Streit enthobenen allgemeinchristlichen, ja allgemeinmenschlichen Standpunkt benennt und erschließt. Die Devise lautet: Es gibt eine religiöse Bindung über konfessionelle Verpflichtungen hinaus und jenseits dieser. Vermittelt ist die generalisierende Verwendung des Religionsbegriffs in der werdenden Moderne durch das Erbe der „theologia naturalis“, mit deren Hilfe traditionellerweise die Besonderheit geoffenbarter Gotteserkenntnis auf die Allgemeinheit der Menschenvernunft bezogen wurde. Hieran konnte die Entwicklung des modernen Religionsbegriffs anschließen mit dem Ziel, die streitveranlassenden Konfessionsdifferenzen in ein humanes Allgemeines aufzuheben. Indes verlief der begriffsgeschichtliche Prozess offenbar langsamer als die sachliche Entwicklung, die er terminologisch reflektiert. Nicht nur in der Zeit zwischen 1540 und 1620 hält sich die Terminologiegeschichte des Religionsbegriffs in den Bahnen der Konvention; auch im weiteren Verlauf des 17. Jahrhunderts lässt sich bis ins 18. Jahrhundert hinein kein begrifflicher Umbruch verzeichnen. „Religio“ wird weiterhin vor allem auf die sorgsame Verehrung Gottes gedeutet, wohingegen

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ein universalanthropologisch generalisiertes Verständnis im neuzeitspezifischen Sinne die seltene Ausnahme bleibt. Feil exemplifiziert dies an einer schwer überbietbaren Fülle von Belegen. Eigens erwähnt sei lediglich, dass den regionalen Entwicklungen in Frankreich und England besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Das geschieht aus gutem Grund, weil das Konzept einer auf allgemeiner Menschenvernunft basierenden „religio naturalis“ in Sonderheit mit Denkern dieser Länder in Verbindung gebracht wird, wobei dem durch konfessionspolitische Auseinandersetzungen besonders gezeichneten England eine Führungsrolle zukommt. Bemerkenswert ist vor allem die charakteristische Beschreibung, die Edward Lord Herbert von Cherbury (1583–1648) dem transkonfessionellen Vernunftallgemeinen zuteil werden lässt, welches nach seinem Urteil den wesentlichen Inhalt natürlicher Religion vor aller Offenbarung ausmacht. Fünf „Notitiae communes circa Reli- Religio naturalis vel rationalis gionem“ werden eigens benannt: 1. Es gibt ein höchstes „Numen“. 2. Ihm gebührt Verehrung. 3. Wesentlicher Teil des „cultus divinus“ ist die Tugendübung. 4. Verfehlungen sind durch Reue und Umkehr zu büßen. 5. Aus Gottes Gerechtigkeit und Güte folgen zeitlicher und ewiger Lohn sowie zeitliche und ewige Strafe. Bleiben in der um Vermittlung bemühten gemäßigt rationalistischen Religionslehre John Lockes (1632–1704) die kritischen Spitzen gegen die Kirche noch verdeckt, so treten sie im sog. englischen Deismus offener zutage, auch wenn dessen Repräsentanten ihrerseits in aller Regel um Ausgleich durchaus bemüht waren. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang etwa ein Mann wie John Toland (1670– 1722), dessen Hauptwerk von 1696 den programmatischen Titel „Christianity not mysterious“ trägt. Das Christentum sollte frei und abgesehen von supranaturalen Wundern bzw. wunderbaren Offenbarungen zu vernünftiger Darstellung kommen. Den Standpunkt des ausgereiften Deismus repräsentiert sodann Matthew Tindal (1657–1733) mit seinem 1730 in London erstmals erschienenen unvollendeten Werk „Christianity as old as the Creation“. Auch diesem Titel lässt sich die Grundthese der ganzen Schrift unschwer entnehmen. Die Wahrheit des Christentums ist identisch mit der Ursprungsnatur der Vernunft, Offenbarung nichts anderes als aktuelle Manifestation natürlicher Religion, wie sie im Wesen der Vernunft gründet, als deren Ursprungsmythos, wenn man so will, der Schöpfungsgedanke fungiert. Weil aber für Tindal der christliche Monotheismus als vernunftgemäß zu gelten hat, deutet er den Polytheismus ebenso wie alle anderen vernunftabweichenden Gehalte, wie sie sich in der geschichtlichen Entwicklung positiver Religion bzw. positiver Religionen ausgebildet haben, als historischen Abfall von der uranfänglichen Vernunftwahrheit der Schöpfung. Die Grundmaxime lautet stets, dass eine Offenbarung und die ihr entsprechende positive Religion niemals durch einen formalen Autoritätsbeweis als göttlich erwiesen werden können, sondern nur durch ihren der Vernunft unmittelbar einleuchtenden Sachgehalt. Da dies nach seinem Urteil auch für das Christentum als positive Religion gilt, scheut Tindal sich nicht, dessen Wesensgehalt als grundsätzlich allen Vernunftbegabten zugäng-

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lich zu behaupten. Um Christ zu sein muss man nicht notwendig dem Christentum als einer positiven Religion angehören, obzwar es nach Tindal nicht nur richtig, sondern notwendig ist zu sagen, dass das geschichtliche Christentum die einzige positive Religion ist, in welcher die natürliche Theologie im Wesentlichen unverstellt zur äußeren Erscheinung gelangt ist. War das lediglich in seinen Grundzügen umrisseFides et ratio ne neue Denken, wie es sich in der Ausbildung des Allgemeinbegriffs natürlicher Religion dokumentiert, anfangs eine vorrangig westeuropäische, namentlich englische Angelegenheit, so verschaffte es sich mit einer insbesondere durch die sozioökonomischen Folgelasten des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) bedingten Verspätung auch in Deutschland Eingang. Kennzeichnend hierfür ist vor allem das LeibnizWolff ’sche System. Mit der Grundannahme, dass zwischen „fides“ und „ratio“ fundamentale Übereinstimmung herrsche, ein Widerspruch zwischen Offenbarungsaussagen und Vernunftwahrheiten mithin auszuschließen sei, bildete es die Basis der deutschen Aufklärung des 18. Jahrhunderts, die weithin christlich bestimmt blieb und mit der pietistischen Bewegung trotz mancher Spannungen eine differenzierte Einheit bildete, jedenfalls kaum je radikal religionskritische und christentumsfeindliche Gestalt annahm, wie dies andernorts gelegentlich der Fall war. Für England ist in diesem Zusammenhang auf Einzelgestalten wie David Hume (1711–1776) zu verweisen, der als kritischer Positivist die natürliche Religion und eine ihr entsprechende Theologie konsequent zu destruieren trachtete, für das vorrevolutionäre Frankreich auf die große Schar der Religions- und Kirchenkritiker, die sich im Kreis der „Enzyklopädisten“ sammelte und in Voltaire (1694–1778) ihren bekanntesten Vertreter fand. Im Unterschied hierzu schritt die Aufklärung in Deutschland mit zumeist christlichem Vorzeichen bedächtiger und unter weitgehender Wahrung von Traditionskontinuität fort. Folgt man den Untersuchungen Feils, der zu den meisten der hier nur gestreiften Sachverhalte reiche Belehrung bietet, dann gibt der Religionsbegriff selbst und aufs Ganze gesehen den besten Beleg ab für ein weit ins 18. Jahrhundert hineinreichendes Traditionskontinuum, sofern der Prozess seiner modernitätsspezifischen Bedeutungstransformation sehr zögerlich vonstatten ging. Bis zur Mitte des Aufklärungssäkulums bezeichnete „religio“ zumeist einen „modus colendi Deum“ (Christian Wolff ), um erst mit der beginnenden Sattelzeit jene von der Tradition signifikant abweichende Bedeutung anzunehmen, die in den Religionsphilosophien Kants, Schleiermachers und Hegels vorausgesetzt ist. Das konvergiert mit der Beobachtung, dass das Lehnwort „Religion“ erst um diese Zeit fester Bestandteil deutschen Sprachgebrauchs wurde. Mochten Länder wie Frankreich oder England schon früher zu einem modernen Verständnis von Religion gelangt sein: der Anspruch, „vera religio“ sei allein die eigene Religion, wird nach Preisgabe der auf das Christentum beschränkten Verwendung des Begriffs auch dort nur in Ausnahmefällen aufgegeben. Wo aber von „religio naturalis“ gesprochen wird, wie sehr früh etwa bei Jean Bodin (1529/30–1596), da geschieht

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dies anfangs durchaus nicht im Sinne einer Entgegensetzung zur „religio relevata“. Auch ist die inhaltliche Bedeutung der Wendung keineswegs klar festgelegt. Bei Tommaso Campanella (1568–1639) etwa kann die „religio naturalis“ – im Unterschied zur „religio animalis“ der Tierwelt, zur „religio rationalis“ des natürlichen Menschen sowie zur „religio supranaturalis“, wie allein Gottes Gnade sie erschließt – die Gottesverehrung der unbelebten Kreatur bezeichnen. Wie auch immer: Es mussten hundert Jahre nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges vergehen, bis sich in den gebildeten Schichten Europas der modernitätsspezifische Begriff der Religion mit seinem Anspruch auf transkonfessionelle Vernünftigkeit und allgemeinmenschliche Geltung mehr oder minder fest etabliert hatte. Die folgenden Studien heben einige GesichtsKlassische Religionstheorien punkte zu den geschichtlichen Hintergründen der Moderne des neuzeitlichen Begriffs der Religion und insbesondere zu exemplarischen Theoriegestalten seiner Explikation im Kontext des modernen Protestantismus hervor. Diese Beschränkung der Perspektive dürfte, wie bereits einleitend vermerkt, die Bedingung dafür sein, die Horizonterweiterung, welche der neuzeitspezifische Religionsbegriff in seiner generalisierten Bedeutung zu erschließen verspricht, nicht abstrakt, sondern konkret, nicht in Absehung, sondern unter Wahrnehmung seiner eigentümlichen Historizität in den Blick zu bekommen. Dazu gehört die Einsicht, dass mit einem dem modernen Religionsbegriff der abendländischen Welt entsprechenden Äquivalent in anderen Zeiten und anderen Kulturbereichen nicht ohne weiteres gerechnet werden darf. In der Anwendung des Allgemeinbegriffs der Religion auf bestimmte „Religionen“ wird man dies um der Vermeidung unstatthafter Abstraktionen willen berücksichtigen müssen und das umso mehr, als auch Komposita wie Religionsgeschichte etc. ihren genuinen Sinn im Leben der modernen europäischen Geistesgeschichte gewonnen haben. Was schließlich die Kriterien betrifft, nach denen die Auswahl der nachfolgend vorzustellenden Religionstheorien der europäischen Neuzeit getroffen wird, so zählt vor allem die systematische Fähigkeit, einen in sich klaren und unverwechselbaren Begriff der Religion auszubilden und zu entwickeln, der in die Lage versetzt, religiöse Verhältnisse als solche zu identifizieren und von nichtreligiösen zu unterscheiden, sie in ihrer Differenziertheit untereinander zu vergleichen und ohne Anwendung eines sachfremden Maßstabes aus sich selbst heraus zu beurteilen. Das legt eine Konzentration auf philosophische Konzepte der Religionstheorie von vorneherein nahe, weil die Philosophie als klassische Grundlagenwissenschaft Religion in dem ihr eigentümlichen Begriff und damit als Religion zu erfassen sucht, wohingegen einzelne Religionswissenschaften wie etwa die Religionspsychologie einen aus sich heraus und damit philosophisch entwickelten Begriff der Religion zumindest virtuell zur Voraussetzung haben, um ihren Gegenstand überhaupt identifizieren zu können und ihn nicht von vornherein bloß als Epiphänomen in Betracht zu ziehen. Was ist Religion an sich selbst, und was sind die konstruktiven Bestimmungsmomente ihres Begriffs? Das ist die wesentliche Frage, auf die welche

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die folgenden Analysen eine Antwort suchen, wobei – um es zu wiederholen – historisch davon auszugehen ist, dass der neuzeitliche Religionsbegriff und sein Verständnis im Sinne der „religio naturalis“ durch das metaphysische Erbe der „theologia naturalis“ vermittelt ist, mit deren Hilfe traditionellerweise die Besonderheit geoffenbarter Gotteserkenntnis auf die Allgemeinheit der Menschenvernunft bezogen wurde. Nur am Rande vermerkt sei, dass die tendenzielle Gleichsetzung von „religio naturalis“ und „rationalis“ durch ein Verständnis natürlicher im Sinne von urständischer Religion vorbereitet ist, deren Urtümlichkeit zwar nicht immer, aber häufig mit Uranfänglichkeit im chronologischen Sinne assoziiert wurde; die Religion „in statu integritatis“ konnte sodann als die integre Vernunftreligion nach Maßgabe genuiner Schöpfungsordung gelten, welche unter postlapsarischen Bedingungen zu restaurieren einzige Aufgabe der „religio revelata“, der Offenbarungsreligion sei. Ein zweites Kriterium für die Auswahl exemplaVehikel der Moral rischer Religionstheorien der Neuzeit ist durch das Maß ihrer Wirkung im modernen Protestantismus insbesondere Deutschlands bezeichnet. Die zugegebenermaßen etwas steile These, auf die weite Teile der Argumentation abgestellt sind, besteht dabei in der Annahme, dass sich alle nennenswerten Religionstheorien im Umkreis des deutschen Protestantismus strukturell auf die Systeme Kants, Hegels oder Schleiermachers zurückführen und als Variationen oder Kombinationen von deren Theorieansätzen erweisen lassen. Statt eine Vielzahl von Namen zu nennen, werden daher im Wesentlichen nur die Religionskonzepte Kants, Hegels und Schleiermachers im Zusammenhang des jeweiligen Gesamtsystems vorgestellt. Um das zu Erwartende im Vorgriff knapp zu skizzieren: Das Problem, in welches Verhältnis er seine beanspruchte Allgemeinheit zur Besonderheit bestimmter Einzelreligionen und namentlich zur Positivität des Christentums und der überlieferten christlichen Gehalte zu setzen habe, hat den vernunftbegründeten Begriff natürlicher Religion von Anfang an begleitet. Doch ist es in ein neues Stadium seiner Entwicklung eingetreten, als Kant (1724–1804) begann, die Aufklärung über sich selbst aufzuklären und ihr damit ein kritisches Bewusstsein ihrer selbst zu verschaffen. Denn zu einem über sich selbst aufgeklärten Bewusstsein gehört die Einsicht, dass vernünftige Religion ihre allgemeine Gültigkeit weder im bloßen Gegensatz noch in einem übergeordneten Jenseits positiver Religion, sondern nur im kritisch-konstruktiven Durchgang durch deren Traditionsbestände erweisen kann. In diesem Sinne ist Kants religionsphilosophisches Programm, wie er es in seiner Schrift über die „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ von 1793 ausgearbeitet hat, darauf angelegt, die Vernunftaufgeschlossenheit der christlichen Gehalte kritischkonstruktiv zu erweisen. Dabei wird aus epistemologischen Gründen die Religion des Christentums wesentlich der Sphäre praktischer Vernunft zugeordnet, um in den Dienst sich realisierender Moral gestellt zu werden. Indem sie hoffen lässt, dass Sittlichkeit und Sinnlichkeit keinen definitiven Gegensatz bilden, sondern dank der vernünftigerweise zu postulierenden, wenn auch nicht zu beweisenden

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Einheit von noumenaler und phänomenaler Wirklichkeit in Gott letztendlich koinzidieren, fungiert die Religion als Vehikel der Moral, deren Beförderung sie dient. Nach Hegel (1770–1831), in dessen System sich der subjektive Idealismus Fichtes (1762– Erhebung zum Unendlichen 1814) über den objektiven Schellings (1775– 1854) zum absoluten fortentwickelte, verkennt die Beschränkung der Religion auf die Realisierung moralischer Zwecke deren wahres Wesen. Dieses ist nicht nur auf die Aufhebung der Trennung von theoretischer und praktischer Vernunft, sondern auf die Erhebung über den Geist der Entzweiung, wie er die Kant’sche Reflexionsphilosophie bestimmte, überhaupt angelegt. Der Verstand müsse, statt sich auf seine Beschränktheit zu fixieren, zur Vernunft gebracht werden; dazu verhelfe neben Kunst insbesondere Religion, indem sie das Endliche über seine Schranken hinausführe und zum wahrhaft Unendlichen als der dialektischen Einheit von Einheit und Verschiedenheit, Identität und Differenz erhebe. Die Durchführung dieser religionsphilosophischen These ist nichts Geringeres als Hegels Gesamtsystem, aus dem sie resultiert. Das vermittels der Wissenschaft der Logik im Durchgang vom Sein über das Wesen zum Begriff in seiner idealen Reinheit entwickelte Denken entäußert sich an die Natur als Anderes der Idee, um sich in der Weise subjektiven und objektiven Geistes zum absoluten Geist zu erheben, wie er sich in Kunst, Religion und zuletzt in der Wissenschaft als dem Wissen des Wissens manifestiert, welche im absoluten Begriff sich vollendet. Der Terminus „Aufhebung“ hat im philosophischen Sprachgebrauch Hegels einen dreifachen Wortsinn: er bedeutet Bewahrung, Erhebung, aber auch bestimmte Negation. Je nachdem, wie der differenzierte Zusammenhang der Bedeutungsmomente wahrgenommen wurde, konnte die Hegel’sche These zu vollziehender Aufhebung religiöser Vorstellung in den philosophischen Begriff entweder religionsaffirmativ oder religionskritisch rezipiert werden. Unter den Religionskritikern der linkshegelianischen Schule sei vor allem Ludwig Feuerbach (1804–1872) genannt. An seine gattungsgeschichtliche schloss die sozioökonomische Religionskritik von Karl Marx (1818–1883) an, wobei beiden Ansätzen gemeinsam ist, Religion durch Reduktion auf ihre Genese als Epiphänomen zu erweisen und in ihrer Scheinhaftigkeit zum Verschwinden zu bringen. Das gilt entsprechend auch für die psychoanalytische Kritik Sigmund Freuds (1856–1939), der die Religion insbesondere von der unbewältigten Faktizität infantiler Abhängigkeit ableitete, sowie für Friedrich Nietzsche (1844–1900), der im religiösen Bewusstsein einen lebensverneinenden Willen am Werke sah, welchem der vitale Wille zur Macht ein Ende zu bereiten habe. Die möglichen religionskritischen Folgen des Gefühl schlechthinniger Hegel’schen Systems ließen es weiten Teilen ins- Abhängigkeit besondere der protestantischen Theologie geraten erscheinen, sich lieber an das Religionsverständnis Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers (1768–1834) zu halten. Dieser wurde als Kirchenvater des 19.

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Jahrhunderts u.a. deshalb verehrt, weil er der Religion eine, wie er selbst sagte, eigene Provinz im Gemüt des Menschen erobert hatte. Tatsächlich war Schleiermacher schon in seinen „Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ von 1799 mit der These an die Öffentlichkeit getreten, Religion lasse sich weder moralisch funktionalisieren wie bei Kant noch in Metaphysik überführen, wie dies bei einigen Denkern des Deutschen Idealismus der Fall sein sollte; ihr komme vielmehr eine Stellung jenseits von Metaphysik und Moral zu. Religion sei weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung des Universums und Gefühl oder, wie Schleiermacher später befand, unmittelbares Selbstbewusstsein bzw. Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit. In der Religion, so ist damit gesagt, wird der Mensch fühlend der Ganzheit seines ungeteilten Daseins inne, wie es im Verein mit der Welt in der Absolutheit Gottes gründet. Religion ist, um seine berühmte Formel zu zitieren, Sinn und Geschmack fürs Unendliche. Was damit genau gemeint ist, wird Gegenstand ausführlicher Erörterungen im zwölften und dreizehnten Kapitel sein. Einstweilen sei nur auf die durch Wendungen wie diese indizierte Nähe der Religion zur Kunst eigens hingewiesen, deren sensible Wahrnehmung und programmatische Thematisierung eine nicht unbedeutsame Traditionslinie protestantischen Religionsverständnisses charakterisiert, die lange Zeit eher vergessen war, sich neuerdings aber erhöhter Aufmerksamkeit erfreut und daher im gegebenen Zusammenhang zu einer etwas eingehenderen exkursartigen Zwischenbemerkung Anlass geben soll (vgl. im Einzelnen Buntfuß, 1ff.); die Ästhetik Hegels und seine These vom religiösen Ende der Kunst wird in den ihm gewidmeten Kapiteln eigens besprochen werden. Die betonte Verbindung von religiösem Erleben und ästhetischer Erfahrung ist nicht allein für Religion und Kunst Schleiermacher bedeutsam, sondern in Zusammenhang mit ihm, aber auch unabhängig von seinem kunstreligiösen Ansatz kennzeichnend für eine stattliche Reihe von Denkern der Zeit. Die Galerie der Ästhetikotheologen reicht von Hamann und Herder über die Frühromantik bis hin zu Schleiermachers Berliner Fakultätskollegen Wilhelm Martin Leberecht de Wette (1780–1849). Sein poetologisches Bibelverständnis, durch das er als Exeget namentlich des Alten Testaments zu Berühmtheit gelangte, ist charakteristisch für seine ästhetische Religionsauffassung insgesamt, der er durch populäre Bildungsromane („Theodor oder des Zweiflers Weihe“; „Heinrich Melchthal oder Bildung und Gemeingeist“) breitenwirksam Geltung zu verschaffen vermochte. Angeregt durch den jungen Schleiermacher und mehr noch geprägt durch die phänomenologisch orientierten Analysen der Formationen des menschlichen Geistes, wie der Kantianer Jakob Friedrich Fries (1773–1843) sie vorgenommen hatte, verortet de Wette den humanen Sitz im Leben der Religion im herzlichen Gefühl. Anders als für den Redner von 1799 taugt für de Wette dabei allerdings auch der prinzipiellen Möglichkeit nach keineswegs alles dazu, Gegenstand der Anschauung des unendlichen Ganzen und Anlass für das Innewerden ungeteilten Daseins im Menschen zu werden. Es ist nicht die Natur, auch nicht die Geschichte, sondern das formvoll-

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endete Kunstschöne, an dem sich das Unendliche im Endlichen vorzüglich anschauen lässt. Daher rührt die eigentümliche Nähe der Religion zur Kunst. Nicht dass jene in diese oder diese in jene aufgelöst werden und die modernitätsspezifische Ausdifferenzierung beider rückgängig gemacht werden sollte. Die Kunst soll Kunst, die Religion Religion sein: Aber beide sind unbeschadet ihrer irreduziblen Unterschiedenheit zum Zusammenwirken insofern bestimmt, als Kunst ein Gefühl des Göttlichen erweckt und Religion der artifiziellen Schöpfungen insbesondere der Musik und Poesie bedarf, um ihrer innersten Wahrnehmung angemessenen Ausdruck zu verschaffen. Die der Religion eigentümliche, vom endlichen Wissen der Empirie und Reflexion unterschiedene Überzeugungsgewissheit ahnungsvollen Glaubens ist, wie de Wette mit Schleiermacher sagt, im Wesentlichen fühlendes Innesein. Differenzierte Form nimmt das religiöse Gefühl in Gestalt der Begeisterung, der Ergebung und der Andacht an. Ästhetische Formen des religiösen Ausdrucks entsprechen den drei Gestalten religiösen Gefühls: Begeisterung artikuliert sich vornehmlich in Poesie, Ergebung nach Weise des Dramas, Andacht schließlich im Modus der Lyrik. Vor und über allem aber ist es die heilige Musik, in welchem sich das religiöse Fühlen den ihm angemessensten ästhetischen Ausdruck verschafft. In ihr, der Musik, finden die Gefühlsstimmungen der religiösen Begeisterung, der Ergebung und Andacht zu vollendetem Einklang zusammen. De Wettes ästhetisches Religionsverständnis abstrahiert keineswegs von den konkreten Überlieferungsbeständen des Christentums, sondern erbaut sich nachgerade an ihnen. Es sind die geschichtlichen Erscheinungsformen positiven Christentums, die den Anlass geben zu ihrer ästhetischen Interpretation. Darin stimmt de Wette nicht nur mit Schleiermacher, sondern auch mit jenem Theologen überein, dessen an sinnlichem Empfinden und geschichtlichem Verstehen orientiertes Denken den Hauptanstoß gab zu einem ästhetischen Religions- und Christentumsverständnis: Johann Gottfried Herder (1744–1803). Der Grundsatz seines Welt- und Selbstverständnisses kann auf die Formel gebracht werden, dass ich bin, weil ich mich fühle. Dabei ist das originäre Selbstgefühl, welches elementare Existenzgewissheit ausmacht, durchaus taktiler Natur. Durch den Tastsinn wird der Mensch ursprünglich fühlend der gegenständlichen Welt und seiner selbst inne und gelangt im Ausgang vom unmittelbaren Empfinden realen Seins als der unvordenklichen Voraussetzung allen Denkens zu einem differenzierten Subjekt-Objekt-Bewusstsein, welches in der ihm eigenen – Sinnlichkeit transzendierenden, aber nicht unsinnlichen – Besonnenheit der genuinen und in ihrer Art unauflöslichen Differenzeinheit von Leib und Seele bzw. Leib, Seele und Geist durchgängig eingedenk bleibt. Der Begriff der Ästhetik ist in diesem Sinne nicht auf die Lehre vom Kunstschönen zu beschränken, sondern bezeichnend für ein Gesamtkonzept humaner Selbst- und Weltwahrnehmung, wie es vergleichbar bereits in den „Aesthetica“ des für Herder und Kant gleichermaßen einflussreichen A.G. Baumgarten (1714–1762) begegnet. Fühlen der Außenwelt und Innewerden seiner selbst sind ursprünglich eins und lassen sich auch im Zuge ihrer onto- und phylogenetischen

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Differenzierung nicht trennen, da Körperlichkeit als unhintergehbares Konstituens von realexistierender Subjektivität fungiert, deren Vernünftigkeit sich primär nicht in abstraktem Denken, sondern in leibhafter Wahrheit erfüllt. Entsprechend vollendet sich der Sinn der Religion in der Darstellung des Göttlichen in endlicher Gestalt, wie sie in der antiken Statue zum Vorschein kommt, um in der Inkarnation des Logos als dem realen Inbegriff des Christentums offenbar zu werden. Weit davon entfernt, zu einem religionskritischen Topos erklärt zu werden, kann Anthropomorphismus die Leitkategorie Herder’scher Theologie bezeichnen. Nicht umsonst steht die Gottebenbildlichkeit des Menschen im Zentrum nicht nur hebräischer Poesie und ihrer Schöpfungshieroglyphe, sondern auch des neutestamentlichen Zeugnisses von Jesus Christus als der Ikone Gottes. Was seine Wirkung im Protestantismus des 19. Ästhetikotheologie Jahrhunderts angeht, so kann sich der „Herderismus“ trotz solch hervorragender Folgegestalten wie etwa de Wette mit dem Einfluss Kants, Hegels und Schleiermachers nicht messen, wenngleich sich bei Letztgenanntem viele Elemente der Herder’schen Religionsästhetik wiederfinden lassen. Wo immer freilich die protestantische Moderne in der Folge der Sattelzeit die Vernunft des Menschen postrationalistisch mit Anschauung konstitutiv assoziierte und die religiöse Vorstellung nicht in den reinen Begriff aufgehen lassen wollte, da waren auf die eine oder andere Weise auch Herder und sein Programm einer ästhetischen Konzeptionalisierung der jüdischchristlichen Religion und ihrer Überlieferungsbestände präsent. In die Geschichte der Metamorphose des religiösen Lebens und Denkens in den Jahren von 1750 bis 1850 gehört trotz ihrer notorischen Unterschätzung in der Theologiehistoriographie gewiss auch jene Traditionslinie hinein, die das Heil der Religion primär weder von moralischer Praxis noch von Theorieanstrengungen spekulativer Vernunft, sondern vom ästhetischen Gefühlsleben erwartete. Nicht Kunst statt Religion oder Kunstreligion lautet die Behauptung, die den bezeichneten Überlieferungszusammenhang theologisch interessant macht. Das Interesse richtet sich vielmehr auf den aestetikotheologischen Anspruch, dass eine Religionstheorie, welche die sinnliche Gestalt des Menschen ernst nimmt, der moralischen Funktionalisierung der Religion und der Aufhebung ihrer Vorstellungen in den absoluten Begriff zu wehren und ihre Eigenständigkeit zusammen mit derjenigen der Kunst der Wissenschaft gegenüber zu behaupten hat. Schleiermacher hat diesen Anspruch exemplarisch vertreten nicht zuletzt gegen Hegel, dessen System für die These vom Ende der Kunst und der Aufhebung der religiösen Vorstellung in den wissenschaftlichen Begriff paradigmatisch ist. Wie sich für ihn der Zusammenhang von Ästhetik und Religion darstellt, wird, wie gesagt, Gegenstand eines eigenen Abschnitts sein (vgl. I,10). Gegen Schleiermachers Annahme der Nichtsubstituierbarkeit der Religion durch Handeln und Denken, die er sowohl gegen die Kant’sche Moraltheologie als auch gegen die spekulative Theologie der Hegel’schen Metaphysik vertrat, haben radikale Kritiker, die auf die klassische Zeit der Philosophie des Deutschen Idea-

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lismus folgten, geltend gemacht, dass Religion – weit davon entfernt, für das Menschsein des Menschen unveräußerlich zu sein – ihrem Wesen nach nichts anderes sei als ein Epiphänomen, welches sich restlos auf nichtreligiöse Sachverhalte zurückführen und aus deren Zusammenhang genetisieren lasse. Feuerbach und Marx, aber auch Nietzsche, Freud und andere sind für diese Entwicklung beispielhaft. Aber auch Vertreter der Dialektischen Theologie, die den religionstheologischen Kirchenvater des 19. im beginnenden 20. Jahrhundert systematisch in Misskredit brachten, gehören in ihren weiteren Kontext. Bekanntlich sahen sich Karl Barth (1886–1968) und die Vertreter der sog. Theologie der Krise, die nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs bestimmend wurden, durch Schleiermachers Religionsverständnis in ihrer Annahme bestätigt, dass im 19. Jahrhundert die Theologie in Wahrheit als Anthropologie behandelt wurde und damit zurecht im Feuerbach’schen Sinne zu kritisieren sei. Barth knüpft deshalb dezidiert an Feuerbachs Religionskritik an, um sie theologisch zu überbieten. Als Möglichkeit des Menschen sei Religion Unglaube, dem erst im Durchgang durch Gottes Gericht aufgrund der reinen Gnadengabe des Evangeliums offenbare Rettung zuteil werden könne. Einen positiven Anknüpfungspunkt für die Offenbarung biete das religiöse Bewusstsein nicht; vielmehr könne rechter Glaube erst aus dessen Radikalkrise erwachsen, welche identisch sei mit der Autonomiekrise des neuzeitlichen Menschen überhaupt. Theologische Religionskritik ist bei Barth also stets Neuzeitkritik, wodurch die modernitätsspezifische Bedeutung des Religionsbegriffs „e negativo“ noch einmal bestätigt wird. In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts hat der Religionsbegriff, der von der Dialektischen Theologie vornehmlich kritisch verwendet wurde, eine Renaissance erfahren und zwar nicht nur innerhalb der evangelischen Theologie, wo er sich seit Aufklärungszeiten besonderer Beliebtheit erfreute, sondern weit darüber hinaus. Das dürfte, wie zu vermuten steht, aufs Engste mit der Tatsache zusammenhängen, dass nach einer Phase der Krise der Moderne und entsprechenden antimodernistischen Tendenzen das Bewusstsein des konstitutiven Zusammenhangs der Gegenwart mit der Neuzeit seit geraumer Zeit wieder im Wachsen begriffen ist, mögen unsere Tage nun postmodern oder wie auch immer heißen. Die klassischen Religionstheorien der Sattelzeit der Moderne gewinnen unter diesen Voraussetzungen erneute Aktualität nicht zuletzt in sozialtheoretischer Hinsicht.

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Lit.: A. Gotthard, Der Augsburger Religionsfrieden, Münster 2004. – Chr. Link, Staat und Kirche in der neueren deutschen Geschichte. Fünf Abhandlungen, Frankfurt a.M. 2000. – H. Schilling, Aufbruch und Krise. Deutschland 1517–1648, Berlin 1988 (21994). – W. Schulze, Deutsche Geschichte im 16. Jahrhundert. 1500–1618, Frankfurt a.M. 1987. – G. Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Eine historische und systematische Einführung in das Konkordienbuch, 2 Bde., Berlin/New York 1996/8. – E.W. Zeeden, Grundlagen und Wege der Konfessionsbildung in Deutschland im Zeitalter der Glaubenskämpfe, in: HZ 185 (1958), 249–299.

Der im Zusammenhang der Reformation erfolgte Prozess der Konfessionalisierung hatte zur Folge, dass sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts im Abendland differente Kirchentümer etablierten, die gleichermaßen die Wahrheit des einen christlichen Glaubens für sich beanspruchten und sie den anderen absprachen. Ein in der Welt des Mittelalters so nicht gekannter Gegensatz, welcher nicht nur die Denominationen in ihrem Verhältnis zueinander, sondern alle Sphären des Gemeinwesens betraf, ließ sich kommunikativ nicht beheben. Die Folge davon waren Religionskriege, wie sie Europa bisher nicht gesehen hatte. Nach deren verheerendem Ende mussten die Grundvoraussetzungen zivilen Zusammenlebens notwendigerweise relativ unabhängig von Prämissen der widerstreitenden konfessionellen Traditionen gestaltet werden. Dieser Emanzipationsprozess, aus dem die in mehr oder minder eigengesetzliche Subsysteme funktional ausdifferenzierte Gesellschaft der Moderne resultiert, betrifft vor allem die Sphäre des Rechts, der Politik, der Ökonomie und der Wissenschaften. Er lässt sich aber ebenso an der Genese des modernen Religionsbegriffs geltend machen, der in seinen Zusammenhang gehört. Der neuzeitspezifische Religionsbegriff sucht primär die Frage zu beantworten, was den widerstreitenden Konfessionen in ihrem Widerstreit gemeinsam ist. Darin ist er dem Christentumsbegriff weithin funktionsanalog. Erst sekundär wird er über den Christentumsbegriff hinaus ausgeweitet, um auch die nichtchristlichen Religionen zu umfassen. Das ändert nichts an der Tatsache, dass der moderne Religionsbegriff in den Kontext nachreformatorischer Christentumsgeschichte gehört, in der er sich historisch ausgebildet hat, um die ihm eigentümliche Integrationsfunktion wahrnehmen zu können. Die historische Kenntnis des ursprünglichen „Sitz im Leben“ des neuzeitlichen Religionsbegriffs kann davor bewahren, Widerstreit der Konfessionen

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von ihm aktuell einen unreflektierten und allzu unmittelbaren Gebrauch zu machen. Zu registrieren ist insbesondere Folgendes: Es gibt keine allgemeine Religion bzw. keine Religion im Allgemeinen. Generell und generalisierend von Religion zu reden ist vielmehr um der spezifischen Situation einer bestimmten Religion willen, nämlich der christlichen, nötig geworden. Das schließt nicht aus, Religion ein anthropologisches Universale zu nennen, das konstitutiv zum Menschsein des Menschen gehört und sich in der Menschheitsgeschichte in universaler Weise identifizieren lässt. Doch ergibt sich auch diese Einsicht nicht in vermittlungsloser Unmittelbarkeit, sondern ist selbst christentumsgeschichtlich vermittelt. Die Wahrnehmung des Sachverhaltes christentumsgeschichtlicher Vermittlung des neuzeitspezifischen Allgemeinbegriffs der Religion lässt diesen für den aktuellen interreligiösen Dialog keineswegs unbrauchbar werden. Die Einsicht in seine historische Genese und genuine Funktion kann im Gegenteil dazu verhelfen, dass einerseits die generalisierende Tendenz des modernen Begriffs der Religion nicht zu Abstraktionen führt, die der Positivität konkreten religiösen Lebens äußerlich bleiben, und dass andererseits doch zugleich das konkrete religiöse Leben in seiner jeweiligen Besonderheit in Beziehung gesetzt wird zu einem Allgemeinen, das mit der Identität des Eigenen zugleich den differenzierten Zusammenhang verstehen und verständigungsorientiert gestalten lehrt, der zwischen dieser und derjenigen des Anderen waltet. Zwar lassen sich die besonderen Religionen nicht einem Abstraktum religiöser Allgemeinheit subsumieren, das es realiter nirgends gibt; sie können aber durch den Allgemeinbegriff der Religion veranlasst werden, ihren Sinnanspruch in einer die Schranken ihrer Besonderheit transzendierenden, auf allgemein menschliche Verbindlichkeit hin angelegten Weise zur Geltung zu bringen. Human und damit dem Begriff der Religion als eines anthropologischen Universale gemäß können auf allgemeinmenschliche Verbindlichkeit hin angelegte religiöse Ansprüche indes nur dann geltend gemacht werden, wenn religiöse Differenzen kommunikativ und im Rahmen einer Rechtsordnung ausgetragen werden, die Unversehrtheit von Leib und Leben auch dann gewährleistet, wenn sich die Differenzen als unbehebbar erweisen sollten. Die Grundbedingung sinnvollen religiösen Dialogs ist daher die beiderseitige Anerkennung, dass auch religiös Dissentierende und solche, deren religiöser Dissens sich kommunikativ nicht beheben lässt, in ihren Menschen- und Bürgerrechten zu achten sind. Noch bevor sich der moderne Religionsbegriff in seiner Allgemeinheit von den Antagonismen konfessioneller Denominationen emanzipierte, hat das Recht seine relative Unabhängigkeit gegenüber deren Besonderheiten behauptet: Auch in dieser geschichtlichen Hinsicht lässt sich für die Gegenwart und den aktuellen religiösen Diskurs einiges lernen. Es legt sich daher nahe, die historische Hinführung zu den religionstheoretischen Großkonzepten der Sattelzeit der Moderne mit Ausführungen zu Konfessionalisierung und Religionsfriede ihren Anfang nehmen zu lassen. Im Verlauf der Reformation des 16. Jahrhunderts kam es zur konfessionellen Spaltung der westlichen Christenheit und zur Entstehung und Konsolidierung meh-

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rerer eigenständiger Kirchentümer. Dieses Ergebnis, das von den Reformatoren ursprünglich keineswegs intendiert war, konnte auch durch die erheblichen Erfolge der Gegenreformation nicht mehr rückgängig gemacht werden. Indes blieb die Reformation bekanntlich keine einheitliche Erscheinung, sondern führte – abgesehen vom Anglikanismus – zu zwei unterschiedlichen Konfessionstypen, dem Luthertum und dem Reformiertentum. Zu den sog. schwärmerischen Nebenströmungen der Reformation zählen neben mystisch-spekulativen Einzelgestalten die sozialrevolutionär-apokalyptisch gestimmten Täufer oder Anabaptisten sowie die Antitrinitarier, welche die kirchliche Dreieinigkeitslehre im Interesse der Einheit Gottes für schrift- und vernunftwidrig erklärten. Reformationsgeschichtlich höchst einflussreich erwies sich ferner der – Motive der Renaissance fortführende – Humanismus, dessen Rückkehr zu den geschichtlichen Ursprüngen das Studium der biblischen Ursprachen und der Kirchenvätertexte reichlich förderte. Überblickt man den Gesamtzusammenhang der Reformationsgeschichte, so erscheint als wichtigstes Resultat die Begründung konfessioneller Kirchentümer, ja mehr noch die Konfessionalisierung des öffentlichen Lebens. Im Bedeutungswandel der Begriffe Bekenntnis und Konfession reflektiert sich der Trend der historischen Entwicklung auf signifikante Weise. Wenngleich beide Termini bis heute einen personalen Akt der Glaubensäußerung sowie dessen inhaltliche Dokumentation benennen können, so ist doch im Zuge der neueren Wortgeschichte die Verwendung der Begriffe als kirchliche Gruppenbezeichnung führend geworden. Konfession heißt dann so viel wie Denomination, nämlich eine bestimmte christliche Glaubensgemeinschaft. Eine analoge Primärdenotation hat sich mittlerweile auch mit dem Begriff des Bekenntnisses verbunden. Nun lässt sich die Bedeutung von Konfession als Bezeichnung einer Sonderorganisation zwar nicht vor dem Ende des 17. Jahrhunderts nachweisen, was als ein Beleg dafür gewertet werden mag, dass die lebendige Erinnerung an genuine Bedeutungsgehalte des Bekenntnis- oder Konfessionsbegriffs einseitig gruppenspezifische Fixierungen im Sinne denominationeller Verwendung geraume Zeit verhindert hat. Der Sache nach war die Etablierung konfessioneller Kirchentümer indes bereits ein gutes Jahrhundert zuvor Ereignis geworden. Die gruppenspezifische Festlegung des Konfessionsbegriffs ist daher keine eigentliche Neuerung, sondern zieht nur die Konsequenz aus einer Entwicklung, die das Reformationszeitalter kennzeichnete und deren terminologische Folge durch Wendungen wie „Anhänger der Augsburger Konfession“ gleichsam vorherbestimmt war. In signifikanter Weise ist sonach der Bedeutungswandel des Konfessionsbegriffes paradigmatisch für das, was üblicherweise als Prozess der Konfessionalisierung beschrieben wird. Der Prozess der Konfessionalisierung, den die Terminologiegeschichte des Bekenntnis- und Konfessionsbegriffs „in nuce“ – wenngleich mit eigentümlicher Verspätung – reflektiert, schreitet spätestens seit der Mitte des 16. Jahrhunderts laufend fort, um im 17. Jahrhundert sowohl seinen Höhepunkt als auch seinen hisDie okzidentale Kirchenspaltung

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torischen Niedergang zu erleben. Dabei ist unter Konfessionalisierung nicht nur Konfessionsbildung im Sinne „geistige(r) und organisatorische(r) Verfestigung der seit der Glaubensspaltung auseinanderstrebenden verschiedenen christlichen Bekenntnisse zu einem halbwegs stabilen Kirchentum nach Dogma, Verfassung und religiös-sittlicher Lebensform“ (Zeeden, 251) zu verstehen, sondern eine konfessionalistische Durchdringung und Formierung der gesamten Sozialgemeinschaft einschließlich des Rechtslebens und der Wissenschaft. Eng verbunden ist dieser Prozess der „Durchkonfessionalisierung“ (Zeeden, 297) in Deutschland mit Genese und Ausbildung des frühabsolutistischen territorialen Fürstenstaates und seiner institutionell und flächenmäßig organisierten Sozialdisziplinierung, die historisch als epochaler Modernierungsschub zu beurteilen sind. Folgt man H. Schilling, dann sind es vor allem drei komplexe Zusammenhänge, die der deutschen Geschichte im Aufgang der Neuzeit die Richtung gewiesen haben: „ – die frühmoderne Staatsbildung, die in den meisten europäischen Ländern Nationalstaatsbildung, in Deutschland dagegen Territorialstaatsbildung unter dem Dach eines vorstaatlichen Reiches war; – die frühneuzeitliche, den endgültigen Umbruch Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts vorbereitende Modernisierung, die über die mit Staatsbildung bezeichnete politische Modernisierung hinaus einen gesellschaftlichen, kulturellen und ökonomischen Fundamentalvorgang der europäischen Neuzeit ausmacht; – die Konfessionalisierung, die nicht als Rückschlag, sondern als ein spezifischer Teil der frühneuzeitlichen Modernisierung begriffen wird, der in dem zwischen drei Konfessionskirchen gespaltenen Reich besonders ausgeprägt war und daher innerhalb einer deutschen Geschichte besondere Beachtung verlangt. Das alles läuft auf die These von einer Vorachsenzeit im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts hinaus, in der sich bereits vieles an staatlicher und gesellschaftlicher Formierung anbahnte, das in der nachfolgenden Krise nochmals in Frage gestellt wurde und sich daher erst seit dem ausgehenden 17. und im 18. Jahrhundert fest zu etablieren vermochte.“ (Schilling, 11f.) In kirchen- und theologiegeschichtlicher PersRömisch-katholische, pektive, die zugleich den Blick für die bei aller lutherische und reformierte historischen Funktionsäquivalenz gegebenen er- Konfessionalisierung heblichen Unterschiede der drei großen aus der Reformation hervorgegangenen konfessionellen Kirchentümer schärfen lehrt, lässt sich das vorläufige Ergebnis des Konfessionalisierungsprozesses im Anschluss an Schilling (vgl. 267) durch folgende Stichwörter markieren: Trient, Kloster Bergen und Genf. Das erste Stichwort verweist auf das Konzil, das von 1545 bis 1563 in Trient tagte und eine theoretische und praktische Konsolidierung der sog. altgläubigen Kirche erbrachte. In lehrmäßiger Hinsicht sind vor allem die Dekrete über die Annahme der heiligen Bücher und der Überlieferungen (DH [H. Denzinger, Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum, ed. P. Hünermann] 1501–1505), über die Ursünde und die Rechtfertigung (DH 1510–1583), über die Sakramente im Allgemeinen und vor allem über das

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Sakrament der Eucharistie (DH 1600–1661) sowie Lehre und Kanones (Lehrverurteilungen) über das Messopfer (DH 1738–1759) hervorzuheben. Eine Zusammenfassung der tridentinischen Lehrentscheide bietet das sog. Trienter Glaubensbekenntnis (DH 1862–1870), in dem es u.a. heißt: „Ich anerkenne die heilige katholische und apostolische Römische Kirche als Mutter und Lehrerin aller Kirchen; und ich gelobe und schwöre dem Römischen Bischof, dem Nachfolger des seligen Apostelfürsten Petrus und Stellvertreter Jesu Christi wahren Gehorsam.“ (DH 1868) Damit war der Trend der weiteren, von der Barockscholastik systematisch bedachten Entwicklung vorgezeichnet: Die Authentizität christlicher Lehre vermag allein die kirchliche Tradition zu gewährleisten, wie sie im Lehramt der Kirche und insbesondere im Amt des Bischofs von Rom zum repräsentativen Bewusstsein ihrer selbst gelangt. Das I. Vatikanische Konzil hat daraus die Konsequenz gezogen, dem Papst einen universalkirchlichen Jurisdiktionsprimat zuzuerkennen und ihm unter bestimmten Bedingungen Unfehlbarkeit seiner Lehrentscheidungen zu attestieren. Das Trienter Traditionsprinzip war damit in ein dezidiertes Autoritätsprinzip überführt worden. Erst das II. Vatikanische Konzil setzte andere Akzente, über deren Bedeutung und Reichweite innerhalb der römisch-katholischen Kirche allerdings bis heute nicht definitiv entschieden ist. Schwerer als das Stichwort Trient lässt sich der Hinweis auf Kloster Bergen bei Magdeburg identifizieren. Er bezieht sich auf die mit dem sog. Bergischen Buch, der Konkordienformel von 1577 (vgl. Wenz II, 467–539), und dem anschließenden Konkordienbuch von 1580 vollzogene konfessionelle Formierung der Wittenberger Reformation. Das Konkordienbuch als deren wichtigstes Corpus Doctrinae enthält folgende Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche: die altkirchlichen Glaubensbekenntnisse, näherhin das Symbolum Apostolicum, Nicaeno-Constantinopolitanum und Athanasianum, die Confessio Augustana von 1530 und ihre Apologie, die Schmalkaldischen Artikel, einen Traktat Melanchthons „De potestate et primatu papae“, Luthers Kleinen und Großen Katechismus sowie die erwähnte Konkordienformel, die Lehrstreitigkeiten innerhalb der Wittenberger Reformation zu beheben suchte. Für theologische und historische Einzelheiten verweise ich auf meine in den Jahren 1996 und 1998 erschienene zweibändige „Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche“. Trotz gemeinsamer antirömischer Haltung kam es auch im binnenreformatorischen Bereich bald zu erheblichen Differenzen, die zur Spaltung der reformatorischen Bewegung in getrennte Konfessionen und Kirchentümer führte. Ein gegenüber dem Wittenberger selbständiger Typus reformatorischen Christentums war zuerst in der deutschsprachigen Schweiz entstanden, wo der humanistisch geprägte Ulrich Zwingli (1484–1531) seit Anfang der Zwanziger Jahre Zürich zu einem zweiten Zentrum der Reformation gemacht hatte; die theologische Differenz zu Luther wurde vor allem in der Abendmahlsfrage offenkundig, über die es auf dem Marburger Religionsgespräch von 1529 zu keiner Verständigung kam. Ein weiterer Mittelpunkt der Reformation wurde das Genf Johannes Calvins (1509–1564),

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welcher durch die – mit Zwinglis Züricher Nachfolger Heinrich Bullinger (1504– 1575) im Consensus Tigurinus von 1549 erreichte – Verständigung in der Abendmahlsfrage die Union des später so genannten Reformiertentums ermöglichte und so zum Gründer eines dem lutherischen gegenüber eigenständigen reformatorischen Kirchenwesens wurde. Lediglich angemerkt sei, dass die reformierte Konfessionalisierung bisweilen als „Zweite Reformation“ bezeichnet wird. Nach seiner endgültigen Durchsetzung in Genf (1555) und in der Schweiz entwickelte sich der Calvinismus zu einer religiösen Großmacht in ganz Europa. Während das Luthertum außerhalb Deutschlands vor allem in den skandinavischen und baltischen Ländern zur Alleinherrschaft gelangte, wurden die Grundsätze Calvins in klassischer Weise in der unter Führung von John Knox (ca. 1514–1572) errichteten reformierten schottischen Staatskirche verwirklicht. In Frankreich befanden sich die reformierten Hugenotten zwar auf lange Zeit in der Situation einer unterdrückten Minderheit; doch darf ihr soziokultureller Einfluss ebenso wenig wie der ihrer niederländischen Glaubensgenossen unterschätzt werden. Zu gewissen Erfolgen gelangte die Reformation überdies in Ost- und Südosteuropa, wohingegen Italien und insbesondere Spanien von evangelischen Einflüssen weitgehend unberührt blieben. Die teilweise von Katharern und Humiliaten angeregten und unterstützten Waldenser konnten in den Alpentälern von Piemont und Savoyen trotz mehrfacher Verfolgungen immerhin ihren Bestand erhalten. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass Konfessionalisierungsprozess mit dem Tridentinum, der konkordistischen Forund Frühmoderne mierung des Luthertums und der Etablierung der reformierten Konfession calvinistischer Prägung die wichtigsten Eckpunkte einer Entwicklung markiert sind, die im letzten Viertel des Reformationsjahrhunderts zur Ausdifferenzierung dreier bekenntnismäßig und rechtlich scharf abgegrenzter Konfessionskirchen und zur Verfestigung ihres institutionellen und ideologischen Gegensatzes führten. „Nun existierten in sich geschlossene Weltanschauungssysteme mit Ausschließlichkeitsanspruch. Das betraf nicht nur den jeweils als einzig richtig angesehenen Weg zum Heil mit seinen religiösen Praktiken und kirchlichen Institutionen, sondern auch weite Bereiche des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens.“ (Schilling, 274) Diese ideologisch exklusive weltanschauliche Strukturierung und Durchorganisation des gesamten Lebens war eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Etablierung und Befestigung des frühmodernen Fürstenstaates, dessen Bürokratie und Zentralregierung eine immer differenziertere und effektivere Gestalt annahm. In diesem Sinne bedeutet die Konfessionalisierung „einen jener Fundamentalvorgänge, die die europäische Neuzeit hervorbrachten“ (Schilling, 275). Dass der im Rahmen der Konfessionalisierung statthabende politische und gesellschaftliche Wandel das späte 16. Jahrhundert als Vorsattelzeit der Moderne kennzeichnet, wird durch das Schicksal des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bestätigt, das als vor- und überstaatliche Institution zwar noch weit in die Frühmoderne und Moderne hineinragt, machtpolitisch aber seit der Abdankung

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(1556) Karls V. (1500–1558) mehr und mehr hinter den Einfluss der Fürsten zurücktritt, die in ihren Territorien zu Trägern der neuzeitlichen Staatlichkeit werden. Zwar sah es nach der großen Zeit der Fürstenreformation in den vierziger Jahren bzw. um die Mitte des Jahrhunderts noch einmal so aus, als könne es dem Kaiser gelingen, „Reformation und Fürstenmacht zu brechen und an die Stelle von Territorialität und Mehrkonfessionalität doch noch die Katholizität eines einheitlichen Kaiserstaates zu setzen“ (Schilling, 227). Doch schon der nach Maßgabe des Passauer Vertrags (1552) zustande gekommene Augsburger Religionsfriede (1555), in dessen Folge Bikonfessionalität, später dann sogar Trikonfessionalität unter dem Dach des vorstaatlichen Reiches gewährleistet wurden, beendete Karls Pläne katholisch-cäsaristischer Einheitlichkeit. Damit war ein Prozess zum vorläufigen AbReligionsfriede von 1555 schluss gekommen, der für die Genese der Neuund 1648 zeit und für die Stellung der Religion in der Moderne von entscheidender Bedeutung ist. Um zunächst nur den rechtlichen, näherhin den religionsrechtlichen Aspekt der Entwicklung ins Auge zu fassen: Was Deutschland betrifft, so besiegelte der Augsburger Religionsfriede von 1555 gegen den erklärten Willen Karls, der bis zum Tode seinem mittelalterlichen Kaiserideal einer „unio imperii et ecclesiae“ treu blieb, die konfessionelle Spaltung insofern, als er beständigen und dauerhaften Frieden sowohl für die altgläubigen Reichsstände als auch für die ständischen Vertreter der Augsburgischen Konfession rechtlich zusicherte. Kein Reichsstand sollte künftig wegen seiner Zugehörigkeit zur Confessio Augustana reichsrechtlich belangt oder mit Krieg überzogen werden. Neben dem Verzicht auf Waffengewalt und der Anerkennung zweier Glaubensformen im Reich wurde Parität in den Reichsstädten und das ansatzweise Individualrecht ungehinderten Übergangs in ein Territorium der eigenen Konfession gewährt. Ein neues, vom Mittelalter abgehobenes Kapitel der Geschichte war damit aufgeschlagen. Allgemeine Religionsfreiheit im Sinne moderner Rechtsstaatlichkeit gewährte der Augsburger Religionsfriede freilich noch keineswegs. Vielmehr blieb nach Maßgabe des Grundsatzes, der später mit der Formel „cuius regio, eius religio“ umschrieben wurde, der Religionsentscheid, das „ius reformandi“, ausdrücklich dem Landesherrn vorbehalten, wohingegen den Untertanen für die Lande der Reichsstände lediglich das Auswanderungsrecht eingeräumt wurde. Allenfalls in Reichsstädten lassen sich Frühformen individueller Religionsfreiheit entdecken. Hinzuzufügen ist, dass der Fortbestand der geistlichen Fürstentümer im Reichstagsabschied durch das „reservatum ecclesiasticum“ gesichert wurde, demgemäß ein die alte Glaubensgemeinschaft verlassender Fürstbischof sein Territorium aufzugeben hatte; das Zugeständnis einer Duldung von zur CA gehörigen Rittern, Städten und Gemeinden in geistlichen Territorien wurde lediglich in Gestalt einer Deklaration König Ferdinands (1503–1564), der sog. Declaratio Ferdinandea, gegeben (vgl. im Einzelnen Gotthard, bes. 63ff.). Trotz dieser Einschränkungen bleibt der Augsburger Religionsfriede ein epocha-

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les Datum. Zwar bewirkte er nicht Religionsfreiheit im modernen Sinne, sondern lediglich eine religionsrechtliche Gleichstellung katholischer und evangelischer Fürstenstaaten, deren frühabsolutistische Sozialdisziplinierung den Homogenisierungsdruck auf die Bevölkerung im Vergleich zu mittelalterlichen Zeiten eher verstärkte. Gleichwohl spricht sehr viel für die Vermutung, dass der Verzicht auf die alte Glaubenseinheit im Reich, wie sie 1555 Rechtsfaktum geworden war, und die reichsrechtliche Anerkennung konfessionellen Dissenses eine der entscheidenden historischen Voraussetzungen für die Ausbildung und Realisierung von Religionsfreiheit und der Idee religiöser Toleranz darstellen. Mit W. Schulze zu reden: „Toleranzideen … haben ihren Ursprung in einer komplizierten Gemengelage verschiedener Argumente. Sie können – wie der Blick auf das europäische 16. Jahrhundert zeigt – durchaus auf der Basis einer humanistischen Grundüberzeugung von der Würde und der Gottähnlichkeit des Menschen entwickelt werden. Dies scheint jedoch die Ausnahme zu sein, so bemerkenswert solche Auffassungen auch sind. Im viel bedeutsameren Kontext der konkreten konfessionspolitischen Auseinandersetzungen, in denen ja erst die Duldung der anderen Konfession durchgesetzt werden mußte, scheint Toleranz erst denkmöglich zu werden nach der Legitimierung und Akzeptierung des konfessionellen Dissenses und dem Verzicht auf die alte Einheit des Glaubens. Erst auf dieser Grundlage konnten dann Auffassungen entwickelt werden, die aus politischen und wirtschaftlichen Motiven heraus verschiedene Bekenntnisse in einem Gemeinwesen akzeptierten.“ (Schulze, 264) Mit der tendenziellen Loslösung des ReichsSäkularisierung des Reichsrechts von äußerer Abhängigkeit gegenüber rechts kirchlicher Gewalt und von der inneren Bindung an geistliche Vollmacht der Konfessionen bahnt sich an, was man pauschal die moderne Säkularisierung nennen kann. Allerdings wird der Säkularisierungsbegriff häufig sehr undifferenziert verwendet. Nicht nur, dass er gelegentlich mit dem klosterrechtlichen und staatskirchenrechtlichen Begriff der Säkularisation im Sinne von Laisierung von Klosterleuten bzw. der staatlichen Einziehung kirchlicher Hoheitsrechte sowie entsprechender Nutzung kirchlichen Vermögens verwechselt wird; auch ansonsten fehlt ihm nicht selten die nötige Kontur. Es empfiehlt sich daher, ihn primär im Sinne der Befreiung von öffentlichem Gewissenszwang und entsprechender Privatisierung religiösen Entscheidens zu verwenden. Für diesen Prozess kommt dem Augsburger Religionsfrieden eine zwar nur anfängliche, aber dennoch sehr folgenreiche Bedeutung zu, weil durch ihn eine Ordnung begründet wurde, die friedliche Koexistenz durch rechtliche Neutralisierung des weder theologisch noch politisch-militärisch beizulegenden und im Übrigen geistig unvermindert weiter tobenden Konfessionskampfes auf bemerkenswert lange Zeit ermöglichte. Immerhin sechzig Jahre lang hat der Augsburger Kompromiss von 1555 dem Reich den äußeren Frieden erhalten. Wie die jüngst edierten Quellen zum Augsburger Reichstag des Jahres 1566 belegen, konsolidierte sich die Lage und die kon-

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fessionellen Gruppen lebten in friedlicher Koexistenz und fanden mitunter sogar zu Kooperation zusammen, etwa in Fragen der inneren Sicherheit oder der außenpolitischen Abwehr der Türkengefahr. Dennoch konnte der Augsburger Religionsfriede langfristig konfessionell bedingte Verfassungskonflikte nicht verhindern, die Anfang des 17. Jahrhunderts zum offenen Ausbruch kamen und schließlich einen dreißigjährigen Krieg über Deutschland heraufführten, der durch eine Reihe von Religionskriegen im übrigen Europa flankiert war. Das erste Jahrzehnt des Dreißigjährigen Krieges, um nur von diesem zu reden, brachte Kaiser Ferdinand II. wichtige Erfolge, die er im Sinne einer dezidiert monarchischen Ausgestaltung der Reichsverfassung nutzen wollte. Im größeren Rahmen wiederholte sich gleichsam die Entwicklung der Jahre nach der Schmalkaldischen Niederlage der reformatorischen Stände. Am unentschiedenen Ende des langen und großen Krieges kommt man auf das Ergebnis von 1555 zurück. Der Augsburger Religionsfriede wird 1648 bekräftigt und faktisch auf die Reformierten ausgedehnt. Zwei in allen die Religion berührenden Fragen auseinandertretende und nur zu gütlichem Ausgleich befugte Reichstagskurien, das Corpus Catholicorum und das Corpus Evangelicorum, sollen die konfessionelle Parität repräsentieren und gewährleisten. Auch zeigen sich zum Zweck des Ausgleichs der fixen Regel, wonach das Jahr 1624 als Normaljahr für den Besitzstand geistlicher Güter und die Konfessionszugehörigkeit festgesetzt wurde, gewisse Ansätze einer Stärkung der religiösen Rechte des Einzelnen, sofern unter Wahrung des konfessionell bedingten Auswanderungsrechts ein landesherrlicher Auswanderungszwang abgewiesen und den von der Konfession des Landesherrn abweichenden Untertanen Möglichkeiten der Religionsausübung gewährt werden. Die unter den Bedingungen moderner Rechtsstaatlichkeit selbstverständlichen Rechte der Religions- und Gewissensfreiheit nehmen konkretere Formen an. Auch wenn diese Entwicklung von der ReformaDie Zwei-Regimente-Lehre tion weder geplant noch direkt bewirkt wurde, der Wittenberger wird man gleichwohl sagen dürfen, dass sie in Reformation bestimmter Weise den theologischen Prämissen Martin Luthers entsprach. Erinnert sei lediglich an die von ihm geforderte Unterscheidung von „politia“ und „ecclesia“, der leiblich-äußeren Sphäre zivil-politischer Freiheit und der geistlichen, die innere Seele des Menschen betreffenden Sphäre des Glaubens, hinsichtlich derer jeder Zwang konsequent zu vermeiden ist. Das im Gewissensbezug zu Gott begriffene Innere der Menschenseele kann und darf nicht zur Disposition der Politik und ihrer Machtmittel gestellt werden, deren Zuständigkeit vielmehr auf Erhalt und Förderung von Leib und Leben zu beschränken ist, welche antitotalitäre Beschränkung die eigentümliche Grenze, aber auch Würde allen weltlichen Geschäfts ausmacht. Man vergleiche in diesem Zusammenhang exemplarisch Luthers Haltung zu den Türkenkriegen, die von dem Grundsatz bestimmt ist, dass ein Religionskrieg, der Glaubensangelegenheiten mit Gewalt durchzusetzen bestrebt ist, niemals ein gerechter Krieg sein kann. Zu verweisen wäre ferner auf die unter mittelalterlichen Bedingungen durchaus revolutionäre

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Forderung der Abschaffung des sog. Großen Bannes, dessen mangelnde Unterscheidung geistlicher und weltlicher Strafe Luther ebenfalls als unstatthafte Vermengung von „potestas ecclesiastica“ und „potestas civilis“ kritisierte. Man lese dazu beispielsweise Luthers 1523 erschienene Schrift „Von weltlicher Oberkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ (WA 11, [229] 245–281), die als paradigmatisch gelten kann, auch wenn sich ihr Ansatz bei Luther nicht konsequent durchgehalten hat. Man lese ferner – um auf das Corpus Doctrinae des Luthertums und seine wichtigste Schrift direkten Bezug zu nehmen – den letzten und umfangreichsten Artikel der Confessio Augustana (= CA), der für deren Entstehungsgeschichte von entscheidender Bedeutung ist: CA XXVIII, De potestate ecclesiastica, Von der Bischofen Gewalt. Einer seiner Grundsätze lautet: „Sine vi humana, sed verbo“ (CA XXVIII, 21), „ohn menschlichen Gewalt, sonder allein durch Gottes Wort“ (BSLK [= Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Hg. im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930] 124, 4f.) soll ein Bischof wirken und sein kirchliches Amt ausüben. Dieser Grundsatz plädiert, wie durch die Vorgeschichte des Artikels bestätigt wird, für eine klare Unterscheidung weltlicher und geistlicher Vollmachten, deren Vermischung für eines der zu reformierenden Grundübel der Kirche der Zeit erachtet wird. Mögen auch Päpste und Bischöfe geistliches und weltliches Amt in Personalunion geschichtlich vereint haben und noch vereinen, so ändert die Anerkennung dieses historischen Faktums, wie sie von seiten der Wittenberger Reformation keineswegs grundsätzlich verweigert wurde, nichts an der Tatsache, dass auch bei gegebener personaler Vereinigung theologisch strikt zwischen „potestas ecclesiastica“ und „potestas civilis“ zu unterscheiden ist. Mit der Pflicht zu solcher Differenzierungsleistung ist der Theologie eine ihrer entscheidenden Aufgaben gestellt, nämlich nach ihren Möglichkeiten für die Vermeidung totalitärer Entwicklungen zu sorgen, wie sie zwangsläufig aus der Vermischung von „potestas ecclesiastica“ und „potestas civilis“ folgen. Es gehört neben dem Scheitern gesamtkirchlicher Reform und der folgenden abendländischen Kirchenspaltung zur – mit schuldhaftem Versagen untrennbar verbundenen – geschichtlichen Tragik der Wittenberger Reformation, das mit der sog. Zwei-Reiche- oder Zwei-Regimente-Lehre formulierte Theorieprogramm in ihrer politischen Einflusssphäre nicht konsequent realisiert und zur Durchsetzung gebracht zu haben. Es bedurfte des Schreckens verheerender Konfessionskriege, um religiöser Toleranz und der Freiheit des Gewissens dauerhafte Rechtsanerkennung zu verschaffen. Dieses Faktum darf nicht unberücksichtigt bleiben, wenn man die historische Leistung der Aufklärung theologisch gerecht beurteilen will. Erst durch die Aufklärung kam es zur allgemeinen Durchsetzung von Religionsund Gewissensfreiheit, wenngleich deren Prinzipien in den Grundsätzen der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre bereits angelegt waren. Im ekklesiologischen Zusammenhang des dritten Teilbandes wird hierauf und auf die Entstehungsbedingungen des modernen Staatskirchenrechts noch genauer einzugehen sein. Hier genügt es, die wichtigsten Etappen des lang andauernden und

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sich örtlich und zeitlich in verschiedenen Geschwindigkeiten vollziehenden Prozesses zusammenfassend zu benennen. Entscheidend für sein Beginnen ist das Zerbrechen der religiösen Einheit im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und die in der Folge vollzogene Ausdifferenzierung von säkularer Herrschaftsordnung des Staates einerseits und der Kirche(n) andererseits, wie sie seit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 ansatzweise gegeben ist. Dieser versuchte die schwere Verfassungskrise, in die das Reich durch die Auflösung der religiösen Homogenität des mittelalterlichen Corpus Christianum geraten war, dadurch zu bewältigen, dass er zwei widerstreitenden Religionsparteien, nämlich den sog. Altgläubigen und den Anhängern der Augsburgischen Konfession, Rechtsparität auf Reichsebene jedenfalls im Grundsatz zusprach. Dadurch wurden konfessionelle Absolutheitsansprüche tendenziell neutralisiert und in Ansätzen eine Friedensordnung über den streitenden Parteien errichtet. Ein Schritt von epochaler und für die Entstehung der Neuzeit grundlegender Bedeutung war damit getan. Der Augsburger Religionsfriede vermochte trotz seiner kontroversen Interpretation in der katholischen und evangelischen Publizistik über ein halbes Jahrhundert hin die von kaiserlichen-ständischen Differenzen vielfach überlagerten Konfessionsgegensätze rechtlich auszugleichen. Mit dem Dreißigjährigen Krieg und der Frontstellung der katholischen Liga und der evangelischen Union geriet die religionspolitische Lage indes erneut völlig aus dem Gleichgewicht, bis schließlich der Westfälische Friede von 1648 im Anschluss an den Augsburger, den er fortschrieb, angesichts der Pattsituation die Balance auf Kompromissbasis wiederherstellte und das Zeitalter der Religionskriege in Deutschland beendete. Auf Reichsebene blieb der Frieden von Münster und Osnabrück staatskirchenrechtlich bis 1806 bestimmend. Dass, um auf das Jahr 1555 zurück zu kommen, Landesherrliches Kirchender Augsburger Friedensschluss zwar „politische regiment Koexistenz zwischen inhaltlich unversöhnten Weltanschauungen“ (Gotthard, 20), nicht aber individuelle Religionsfreiheit ermöglichte, wird sofort klar, wenn man die Lage in den Territorien betrachtet, für die von Ausnahmeregelungen abgesehen konfessionelle Homogenität noch geraume Zeit bestimmend blieb. Das Kirchenregiment samt dem „ius reformandi“, dem Recht, den Bekenntnisstand zu bestimmen, lag beim Landesherrn. Das trifft nicht nur für die evangelischen, sondern vergleichbar auch für die katholischen Gebiete zu, wenngleich sich für sie die Verhältnisse weniger in der Praxis, als in der Theorie zum Teil anders darstellten. Für die Begründung des landesherrlichen Kirchenregiments hatte man sich reformatorischerseits zunächst vor allem auf die Suspension der Jurisdiktionsgewalt der katholischen Bischöfe berufen, wie sie für die evangelischen Territorien im Augsburger Religionsfrieden erfolgt war. Kraft Reichsrecht seien danach die bischöflichen Rechte auf den Landesherrn übergegangen, der diese zwar nicht unmittelbar, aber auf vermittelte und differenzierte Zivile Koexistenzordnung widerstreitender Religionsparteien

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Weise auszuüben befugt sei. Auf Feinheiten der Theorie des sog. Episkopalsystems ist hier nicht einzugehen. Doch muss, ohne Schönfärberei betreiben zu wollen, in Rechnung gestellt werden, dass sich die evangelischen Juristen durchaus redliche, obzwar letztlich vergebliche Mühe gegeben haben, die Lehre vom landesherrlichen Summepiskopat mit theologischen Grundsätzen der Reformation kompatibel zu gestalten. Ein Beleg dafür ist die Lehre von der „duplex persona“ des Landesherrn, derzufolge dieser in Wahrnehmung seiner bischöflichen Rechte nicht nach Maßgabe seiner „potestas civilis“ und umgekehrt in Wahrnehmung seiner weltlichen Vollmacht nicht als Bischof zu handeln berufen sei. Erschien unter der Bedingung der genuinen Theorie des Episkopalsystems das landesherrliche Kirchenregiment als ein abgeleitetes und gewissermaßen aus der Not geborenes Recht, so wird es in der Theorie des Territorialsystems konsequent aus dem Wesen der staatlichen Hoheit abgeleitet. Die kirchliche Jurisdiktionsvollmacht des Fürsten ist ein Implikat der Souveränität seiner Territorialherrschaft. Als Korporation untersteht die Kirche vollumfänglich der Leitungsgewalt des Landesherrn. Ihre Befugnisse beschränken sich ausschließlich auf das spirituelle Gebiet, wohingegen sie als „societas externa“ keine eigentliche Rechts- und Regelungskompetenz hat. Erst die Theorie des Kollegialismus, die unter dem Vorzeichen des rationalen Naturrechts der Aufklärung entwickelt wurde, kennt ein Selbstverwaltungsrecht der Kirche als äußere Gesellschaft, deren Verfassung als vertraglicher Zusammenschluss und Verband im Sinne des Vereinswesens bestimmt und dem unmittelbaren Zugriff der Staatshoheit entnommen wird. Das landesherrliche Kirchenregiment wird dadurch tendenziell limitiert. Auch wenn sich der Kollegialismus, der die Kirche zwar nicht in ihrem inneren, wohl aber in ihrem äußeren Wesen nach Weise eines gesellschaftlichen Kollegiums verstand, um sie so vom Staat tendenziell zu unterscheiden, staatskirchenrechtlich nur als beschränkt wirksam erwies, wurde das kirchliche Selbstbestimmungsrecht im Zuge des Aufklärungszeitalters allmählich ausgebaut. Verbunden war dies mit einem wachsenden Trend zu allgemeiner staatskirchlicher Toleranz, die schließlich auch Minderheiten zugute kam, wenngleich eine religionsunabhängige staatsbürgerliche Parität sich keineswegs mit einem einzigen Schritt einstellte. Es bedurfte der Zerstörung des ancien régimes und des Endes des alten Kirchenrechts im Reichsdeputationshauptschluss von 1803, um jene Phase in der Entwicklung des Staats-Kirche-Verhältnisses einzuleiten, die schließlich zur Durchsetzung uneingeschränkter Religionsfreiheit sowie zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Kirche bei gleichzeitiger Beschränkung der kirchlichen Jurisdiktion auf ihren von der staatlichen Gerichtsbarkeit klar unterschiedenen Bereich führte. Die im aufgeklärten Fürstenstaat bereits angelegte Tendenz zur Säkularisierung wichtiger Sozialbestände wie Ehe und Familie, Erziehung, Krankenfürsorge und Altenpflege wird fortgesetzt. Indem ehemals in den kirchlichen Zuständigkeitsbereich fallende Sozialaufgaben in staatliche Verantwortung übernommen werden, kann sich die Kirche verstärkt auf ihre religiöse Kernkompetenz konzentrieren, was die Ausdifferenzierung von Staat und Kirche weiter beschleunigt. Daraus wird erkenn-

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bar, warum kirchliche Rekonfessionalisierungsbewegungen mit der Entwicklung staatlicher Entkonfessionalisierung durchaus zusammenstimmen können. Staatskirchenrechtlich bewirkt die Verselbständigung des Staatlich-Politischen eine fortschreitende Emanzipation der bürgerlichen Rechtsstellung von der Konfessionszugehörigkeit. Unvermeidbar war diese Entwicklung, die schließlich zur Ausbildung einer Ordnung religiöser Parität auch auf Landesebene führte, nicht zuletzt deshalb geworden, weil sich infolge des Reichsdeputationshauptschlusses die konfessionelle Homogenität der Bevölkerung in nahezu allen deutschen Territorien aufzulösen begann. Während sich die Entwicklung des StaatskirAktuelles Staatskirchenrecht chenrechts seit dem Ende des Alten Reichs auf der Ebene der deutschen Einzelstaaten abspielte, unter denen in protestantischer Perspektive Preußen von besonderem Interesse ist, wurden dessen verfassungsrechtliche Grundlagen in der Weimarer Republik Gegenstand der Reichsverfassung. Vorangegangen war das Ende der Monarchie, mit der das landesherrliche Kirchenregiment definitiv fiel, und eine grundstürzende Umwälzung des Staates infolge der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg. Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung von 1919, der nach dem Desaster des Nationalsozialismus und seines Kirchenregimes zusammen mit den Artikeln 136, 138, 139 und 141 WRV in das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 inkorporiert wurde (Art. 140 GG), befindet in Abs. 1 in bündiger Kürze: „Es besteht keine Staatskirche.“ Damit war eine Entwicklung besiegelt, die sich tendenziell seit langem abzeichnete, nun aber definitive Gestalt angenommen hatte. Konfessionell-religiösen Ansprüchen auf staatliche Alleingeltung war endgültig die Rechtsbasis entzogen. Alle Bewohner des Reichs sollten volle Glaubens- und Gewissensfreiheit genießen. Zugleich wurde die ungestörte Religionsausübung verfassungsgemäß gewährleistet und unter staatlichen Schutz gestellt (Art. 135 WRV; vgl. Art. 4 Abs. 1.2 GG). Die Garantie der Religionsfreiheit beschränkt sich demnach nicht auf ihre negative, sondern beinhaltet auch eine positive Seite. Nicht nur ist, mit Art. 4 GG zu reden, die Freiheit des Glaubens und des Gewissens unverletztlich; entsprechendes gilt auch für die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ (Art. 4 Abs. 2 GG) Obwohl die Verfassung von Weimar die Lösung des Staates von den Kirchen und allen sonstigen religiös-weltanschaulichen Gemeinschaften entschieden betonte, verfolgte sie ebenso wenig wie das bundesrepublikanische Grundgesetz, das an sie anschloss, ein striktes Trennungskonzept, um die Kirchenfrage zu einer Angelegenheit des bloßen Privatrechts zu machen. Mit ihrer Qualifikation als Körperschaft öffentlichen Rechts wurde den Kirchen ihr öffentlich-rechtlicher Status gesichert, freilich nicht in Form eines Privilegs, sondern im Sinne einer Rechtsstellung, die zu erwerben im Prinzip allen Religionsgemeinschaften verfassungsmäßig möglich ist. Während das Staatskirchenrecht Frankreichs und der USA aus gegenläufigen Primärmotiven, nämlich einmal den Staat vor der Kirche, das andere Mal

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die Kirche vor dem Staat zu schützen, ein striktes Trennungsmodell verfolgt, hat man im Hinblick auf das deutsche Modell, demzufolge Staat und Religionsgemeinschaft im Rahmen der für alle geltenden Gesetze zur Kooperation im Interesse des Allgemeinwohls bestimmt sind, von einer „hinkenden Trennung“ (U. Stutz) gesprochen. Was dies genau bedeutet und wie das System einer Koordination von Staat und Kirche bei grundsätzlicher Unterschiedenheit theologisch auszufüllen ist, wird im Ekklesiologietraktat angesprochen werden. Nicht minder wichtig aber ist in diesem Zusammenhang die konkrete Wahrnehmung der ekklesiologischen Aufgabe, die das Recht der Kirche stellt, ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes selbständig zu ordnen und zu verwalten (Art. 140 GG / Art. 137 Abs. 3 WRV). Denn nur wenn sie einen ekklesiologisch klaren Begriff ihrer selbst hat, ist die Kirche in der Lage, ihr Gemeinschaftsleben verständig zu gestalten und selbstbewusst zu vollziehen. Das staatlich gewährte Selbstbestimmungsrecht der Kirche, das neben Religionsfreiheit und Nichtidentifikation von Staat und Kirche als die dritte tragende Säule der staatskirchenrechtlichen Verfassungsordnung der WRV und des GG zu gelten hat, enthält für diese die ekklesiologische Pflicht, sich auf ihr Wesen und ihre Bestimmung zu besinnen.

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Lit.: R. Descartes, Meditationes de Prima Philosophia. (Meditationen über die Grundlagen der Philosophie), Hamburg 1994 (PhB 250a). – Chr. Dipper, Deutsche Geschichte 1648– 1789, Frankfurt a.M. 1991 (Darmstadt 1997). – G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. 3 (Werke 20), Frankfurt a.M. 1971. – E. Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens, 5 Bde., Gütersloh (1949) 41968 (51975). – W. Reinhard, Konfession und Konfessionalisierung in Europa, in: ders. (Hg.), Bekenntnis und Geschichte. Die Confessio Augustana im historischen Zusammenhang, München 1981, 165–189. – H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 1: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur defensiven Modernisierung der Reformära 1700–1815, München 1987 (21989).

Die im Zusammenhang der Reformation erfolgte Konfessionalisierung der westlichen Christenheit hat im 16. und 17. Jahrhundert für Generationen das geschichtliche Leben in Deutschland und Europa bestimmt. Anders als in der relativen Einheitskultur des Mittelalters, in der bestehende Unterschiede im Wesentlichen durch gradualistische Stufenordnungen bewältigt wurden, war das konfessionelle Zeitalter durch das Faktum nicht mehr behebbarer Differenz und Pluralität bestimmt. Die progressive Auflösung der mittelalterlichen Welt führte allerdings nicht sogleich zu funktional ausdifferenzierten Systemen, wie sie seit Mitte des 18. Jahrhunderts auftreten und für plurale Gesellschaften der Moderne kennzeichnend sind. Die historische Novität eines unter den überkommenen kirchlich-gesellschaftlichen Bedingungen nicht mehr zu beseitigenden Gegensatzes wurde vielmehr dadurch kompensiert und halbwegs erträglich gestaltet, dass man den besagten Gegensatz externalisierte. Infolgedessen standen sich im Zeitalter des Konfessionalismus innerlich weitgehend homogene Sozialgebilde äußerlich different gegenüber. Mit Wolfgang Reinhard zu reden: „Als ... das umfassende System ‚Christenheit‘ der zunehmenden Komplexität der sich wandelnden Welt nicht mehr gewachsen war, reagierte es mit Differenzierung. Diese Ausdifferenzierung konnte jedoch nicht mit einem Schritt zum heutigen Zustand führen; ein Gesellschaftssystem, das ein autonomes Teilsystem Religion neben ebensolchen Teilsystemen Familie, Wirtschaft, Politik, Wissenschaft usf. umschließt, war noch nicht einmal denkbar. Näher lag die Ausdifferenzierung neuer Totalsysteme des bisherigen Typs, aber mit religiöser oder räumlicher Begrenzung. Obwohl diese neuen Systeme am Totalanspruch des alten festhalten, verlieren sie doch durch ihren partikularen Charakter an Plausibilität und geraten durch die bloße Tatsache Das konfessionalistische Zeitalter

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ihrer Pluralität unter Konkurrenzdruck. Beides ist Anlaß zu verschärfter Anwendung systemstabilisierender Verfahren.“ (Reinhard, 176f.) In der Theologie reflektierte sich dieser Sachverhalt wesentlich darin, dass der Heterodoxievorwurf, mit dem sich die Konfessionen wechselseitig bedachten, zu gesteigerten konfessionellen Orthodoxieansprüchen führte. Nicht von ungefähr wird das konfessionelle Zeitalter in der Theologiehistoriographie als das Zeitalter der Orthodoxie rubriziert. Ob nun lutherische, reformierte oder tridentinische Orthodoxie – in ihrer Gegensätzlichkeit entsprechen sich die Konfessionsparteien darin, dass sie je für sich die Rechtgläubigkeit ihrer konfessionellen Kirchentümer behaupteten und in scholastischer Manier zu begründen und zu verteidigen suchten. Die theologischen Leistungen im Zeitalter der Orthodoxie sind in allen Lagern in hohem Maße Dogmatik zwischen Reforbeeindruckend. Für das Luthertum genügt es, mation und Aufklärung Namen wie M. Chemnitz (1522–1586), J. Gerhard (1582–1637), J.A. Quenstedt (1617–1688) oder auch J.W. Baier (1647–1695), D. Hollaz (1648–1713), Ä. Hunnius (1550–1603), L. Hutter (1563–1616), J.F. König (1619–1664) u.a. als Beleg hierfür anzuführen. Männer wie sie waren es, die der Kirche der Wittenberger Reformation ihre stabile konfessionelle Identität verschafften und zur Herausbildung einer spezifisch lutherischen Konfessionskultur verhalfen. Entsprechendes gilt für die Vertreter der Dogmatik der reformierten Orthodoxie und der tridentinischen Barockscholastik. Namentlich die um 1600 beginnende Phase der Hochorthodoxie kann man mit guten Gründen als das klassische Zeitalter konfessioneller Kirchlichkeit bezeichnen und das umso mehr, als sich die orthodoxe Theologie keineswegs im Doktrinären erschöpfte, sondern mit einer außerordentlich lebendigen Frömmigkeitskultur verbunden war. Die Rede von einer kalten und starren Orthodoxie ist ein eklatantes Vorurteil, das auf schierer Unkenntnis beruht. Gleichwohl erzeugten die Antagonismen des konfessionalistischen Zeitalters, die in Religionskriegen von schrecklicher Grausamkeit ausgetragen wurden, im Laufe der Zeit ein – wenn auch zunächst nur von Einzelnen artikuliertes – Verlangen, die konfessionell motivierten Konflikte hinter sich zu lassen und einen religiösen Standpunkt jenseits alternativer Konfessionsgegensätze einzunehmen. Um die Dringlichkeit dieses Verlangens zu erDer Große Krieg und seine messen, braucht man sich nur ansatzweise die Auswirkungen Zustände vor Ende des Dreißigjährigen Krieges zu vergegenwärtigen. Das Elend in Deutschland war „zu einem so ausschweifenden Grade gestiegen, daß das Gebet um Frieden von tausendmal tausend Zungen ertönte und auch der nachteiligste noch immer für eine Wohltat des Himmels galt. Wüsten lagen da, wo sonst tausend frohe und fleißige Menschen wimmelten, wo die Natur ihren herrlichsten Segen ergossen und Wohlleben und Überfluss geherrscht hatte. Die Felder, von der fleißigen Hand der Pflügers verlassen, lagen ungebaut und verwildert, und wo eine junge Saat aufschoss oder eine lachende Ernte winkte, da zerstörte ein einziger Durchmarsch den Fleiß eines ganzen Jahres, die letzte Hoffnung des verschmachtenden Volks. Verbrannte Schlösser, verwüste-

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te Felder, eingeäscherte Dörfer lagen meilenweit herum in grauenvoller Zerstörung, während daß ihre verarmten Bewohner hingingen, die Zahl jener Mordbrennerheere zu vermehren und, was sie selbst erlitten hatten, ihren verschonten Mitbürgern schrecklich zu erstatten. Kein Schutz gegen Unterdrückung, als selbst unterdrücken zu helfen. Die Städte seufzten unter der Geißel zügelloser und räuberischer Besatzungen, die das Eigentum des Bürgers verschlangen und die Freiheiten des Krieges, die Lizenz ihres Standes und die Vorrechte der Not mit dem grausamsten Mutwillen geltend machten.“ Man lese Friedrich Schillers (1759– 1805) „Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs“, aus dessen fünftem Buch zitiert wurde, oder sein „dramatisches Gedicht“ „Wallenstein“ – Mord und Totschlag allerorten: „Ein Tummelplatz von Waffen ist das Reich, / Verödet sind die Städte, Magdeburg / Ist Schutt, Gewerb und Kunstfleiß liegen nieder, / der Bürger gilt nichts mehr, der Krieger alles, / Straflose Frechheit spricht den Sitten Hohn, / Und rohe Horden lagern sich, verwildert / Im langen Krieg, auf dem verheerten Boden.“ (Wallensteins Lager, Prolog) Die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Großen Krieges waren katastrophal. Die Bevölkerungsstatistik spricht in ihrer Gesamtbilanz eine schreckliche Sprache, auch wenn hinsichtlich der Kriegsereignisse zwischen Schongebieten, Übergangsbereichen und Zerstörungsgebieten zu unterscheiden ist. Ungefähr 40% der Landbevölkerung und etwa ein Drittel der Stadtbevölkerung waren im Laufe der Kriegswirren umgekommen. Es bedurfte mehrerer Generationen, um den enormen Aderlass zahlenmäßig auszugleichen. Erst 1750 war der Gleichstand der Bevölkerungsentwicklung zum Jahre 1600 wiederhergestellt. In der Zwischenzeit, deren sozialgeschichtliche Entwicklung in Deutschland hier zumindest nebenbei ins Auge gefasst werden soll, um nicht dem ideologischen Schein einer rein geistesgeschichtlichen Betrachtung zu verfallen, war die Bevölkerung weiteren Elementargefährdungen ausgesetzt. Das Klima, das in vorindustrieller Zeit für das Leben der Menschen erheblich bedeutsamer war als in heutigen Tagen, wurde in der Zeit von 1550 bis 1720 von einer „Kleinen Eiszeit“ bestimmt. Missernten waren die häufige Folge der ungünstigen Wetterlagen. Die vielfach unterernährten Menschen wurden Opfer von Krankheiten und Seuchen. Auch wirtschaftlich überwogen lange Zeit die Hindernisse, die einem dauerhaften Aufschwung entgegenstanden. „Die territoriale Fragmentierung, die Auswüchse der Zwergstaaterei, die Verlagerung der internationalen Handelswege, der Ausschluß von der überseeischen Kolonialexpansion, das Gewicht der Kümmerwirtschaften auf dem Lande, die Zähflüssigkeit der punktuellen ökonomischen Modernisierung und noch viele andere sozioökonomische und soziokulturelle Binnenschranken des Ançien Régime ließen sich hier anführen.“ (Wehler I, 119) Nur hier und da zeigten sich Ansätze eines zu Blüte gelangenden Gewerbelebens und eines im Aufschwung begriffenen Agrarkapitalismus. Freilich erwiesen sich in den ländlichen Gebieten, wie sie von der überwiegenden Mehrzahl der Bevölkerung bewohnt wurden, die überkommenen Feudalstrukturen als außerordentlich beharrlich. Von einem Ende des Feudalismus kann in Hinblick auf die Zeit von 1648 bis

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1789 nicht gesprochen werden; es tritt in Deutschland erst im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein. Entsprechendes gilt, um zu den politischen Aspekten der Zeit nach dem Großen Krieg zu gelangen, für das Ständewesen. Auch die sog. Ständegesellschaft kommt recht eigentlich erst im beginnenden 19. Jahrhundert an ihr definitives Ende. Doch zeichnet sich eine Tendenz zu ihrer Auflösung schon geraume Zeit vorher ab. Verantwortlich dafür ist der forcierte Ausbau des frühabsolutistischen bzw. absolutistischen Territorialstaats mit seiner dezidierten Herrschaftszentrierung. Die Ständegesellschaft entwickelt sich fortschreitend zur Untertanengesellschaft. In der souveränen Obrigkeitsgestalt „trat der frühmoderne, sich zu absolutistischen Regierungsformen aufschwingende Staat zu allen Untertanen in eine gleichmäßige Distanz, schwächte schrittweise die alten grundherrschaftlichen und genossenschaftlichen Verbände und setzte so allmählich die förmliche Gegenüberstellung von Herrscher und Beherrschten durch. Die ständischen Unterschiede von Privilegien wurden dabei zunächst nicht beseitigt, wohl aber zu staatlichen Konzessionen umgestaltet und damit gleichsam privatisiert. Sie verloren jedoch zunehmend ihre alte Bedeutung und wurden von den Fürsten auf ihre soziale Funktion im Staate beschränkt. Das späte Naturrecht griff dann selbst diese Geburtsunterschiede an und entwarf an ihrer Stelle die Vision einer auf Eigentum gegründeten Staatsbürgergesellschaft. Frühestes Merkmal allgemeiner Untertanenschaft wie moderner Staatlichkeit war die Steuer.“ (Dipper, 78) Beispielhaft für diese Entwicklung sind in Deutschland die preußischen Verhältnisse. Preußen kann auch in anderer Hinsicht als paAbsolutistische Fürstenradigmatisch gelten, insofern es neben den Habs- staaten burger Landen den zukunftsträchtigsten deutschen Fürstenstaat darstellte. Dass dem Territorialstaat die Zukunft gehört, war schon im 16. Jahrhundert klar zutage getreten und durch die Ergebnisse des Dreißigjährigen Krieges bestätigt worden. Das Reich hingegen erstarrte mehr und mehr zu einem Staatsgebilde, das über seine spätmittelalterlich-frühneuzeitliche Entwicklung nicht mehr hinausgelangte. Allerdings wird man einräumen müssen, dass es bis zu seinem definitiven Ende zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen nicht unerheblichen Beitrag zur Rechtssicherheit leistete, indem es die Existenz der Reichsstände einschließlich der Klein- und Kleinstterritorien vor expansionistischen Übergriffen des Großterritorialabsolutismus sicherte. Ansonsten allerdings degenerierte das Heilige Römische Reich Deutscher Nation fortschreitend zu einem politischen Monstrum, dem im Wesentlichen nur noch das Dasein einer machtentleerten Hülle zukam. Ein Beleg dafür ist die Tatsache, dass auch die Habsburger konsequent den Weg zum absolutistischen Fürstenstaat einschlugen und der Idee eines kaiserlichen Absolutismus zugunsten der Zentralisierung und Steigerung ihrer Landeshoheit den Abschied gaben. Das führte zu einem wachsenden territorialstaatlichen Antagonismus von Preußen und Österreich. Im Innern haben sich sowohl Österreich als auch Preußen in hohem Maße um effiziente bürokratische Rationalisierung bemüht. Neben dem Militär entwickelte sich die Bürokratie zu einem vorrangigen Herrschaftsinstrument und Herrschafts-

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träger. Die Verwaltungsbehörden wurden dabei nicht selten auch zu den entscheidenden Instanzen der Planung und Durchführung jener Reformen von oben, welche dem Reformabsolutismus seinen Namen gegeben haben. Das „Bildungsbürgertum als verstaatlichte Intelligenz“ (Wehler I, 210) fand hier ein ihm angemessenes Betätigungsfeld, um seine „bürgerlichen“ Ideen wirksam werden zu lassen, soweit das möglich war. „Überall im Alten Reich, in klassischer Reinheit jedoch im protestantischen Norden und im Osten der deutschen Staatenwelt ausgebildet, kann man im Verlauf des 18. Jahrhunderts einen eigentümlichen Sozialtypus vordringen sehen: Das ist der akademisch geschulte, überwiegend an Karrieren im Staats- und Stadtdienst gebundene Bildungsbürger: Er hat im deutschsprachigen Mitteleuropa eine höchst folgenreiche historische Rolle gespielt.“ (Wehler I, 210) Das deutsche Bildungsbürgertum nutzte seine historische Rolle nicht zuletzt dazu, jene Ideen zu soziokultureller Wirkung zu bringen, die man als aufgeklärt zu bezeichnen gewohnt ist. Auch anderwärts war das aufstrebende Bürgertum Der Aufstieg des Bürgertums der wesentliche Träger der Aufklärung und ihrer Ideen, wobei hinzuzufügen ist, dass diese im reformatorischen Bereich erheblich mehr Anklang fanden als in traditionell katholischen Gebieten. Dieser für Deutschland, aber auch darüber hinaus zweifellos berechtigte Hinweis soll indes nicht revozieren, dass es keineswegs nur und wohl auch nicht in erster Linie geistesgeschichtliche Gründe waren, welche die Aufklärung bewirkten. Eine zumindest ebenso große Bedeutung kommt hierfür dem Desaster des Dreißigjährigen Krieges und dem durch die Katastrophe bewirkten Zwang zu, eine religiös-kulturelle Basis zivilen Zusammenlebens unabhängig von jenen konfessionellen Antagonismen zu finden, welche den gewaltsamen Konflikt mitverursacht hatten. Um auf den Übergang vom konfessionalistischen Zeitalter der Orthodoxie zu demjenigen der Aufklärung zurückzukommen, so ist für die Frühaufklärung, der sich auf seine Weise der Pietismus beigesellte, zum einen die Ausbildung einer inneren Selbständigkeit des Menschen gegen die Kirchentümer und ihre Bekenntnisansprüche auffällig; das Subjekt emanzipiert sich fortschreitend von den mehr und mehr als autoritär empfundenen Vorgaben der konfessionellen Überlieferungen. Zum anderen zeigt sich die Tendenz zu einer transkonfessionellen Perspektive und das Bemühen, mittels der Vernunft eine allgemeinverbindlich-humane Basis zu gewinnen, welche von den Gegensätzen der konfessionellen Traditionen nicht betroffen ist. Bei genauerem Zusehen erweisen sich subjektive Emanzipation und Orientierung an humaner Allgemeinheit als zwei Aspekte ein- und desselben Sachverhalts, insofern sich das um Emanzipation bemühte Subjekt mit der Berufung auf die allgemeine Menschenvernunft legitimiert, die ihrerseits als jedem Menschenwesen natürlicherweise gegeben vorgestellt wird. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts zeichnet sich der skizzierte, zunächst nur von Einzelnen repräsentierte Entwicklungstrend mehr oder minder deutlich ab, um sich in neuen Gedanken über den Staat und sein Verhältnis zur Kirche auszuwir-

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ken. Bereits in der Zeit der HugenottenverfolNeuerungen in Staatslehre, gungen war der französische Publizist und Staats- Jurisprudenz und Naturrechtslehrer Jean Bodin (1530–1596) für Tole- wissenschaft ranz auf der Basis einer natürlichen Religiosität eingetreten, welche alle positiven Religionen umfasst und folgende Inhalte hat: ein Gott, Verbindlichkeit des vernünftigen Sittengesetzes und Glauben an Freiheit, Unsterblichkeit und jenseitige Vergeltung von Gut und Böse. Unter der Bedingung der Akzeptanz dieser Grundsätze sollte allen Religionen prinzipiell das gleiche Recht im Staate eingeräumt werden. Bodin führt das in seinem staatsrechtlichem Hauptwerk „De la république“ (1576) im Einzelnen aus. Basis der Argumentation ist das Naturrecht, dem auch der Monarch unterstellt ist. Die staatliche Souveränität ist von jeder inneren und äußeren Bindung, also auch von jeder religiös-konfessionellen Vorgabe frei. Damit hat Bodin den Absolutismus geistig vorzubereiten geholfen. Doch ist die von ihm geforderte souveräne Staatsgewalt nicht schrankenlos, sondern an das Naturrecht gebunden, dessen Wahrung höchster Staatszweck ist. Sein Vergleich verschiedener Staatsformen, der auf Charles de Montesquieu (1689–1755) vorausweist, baut auf diese Einsicht auf. An Bodin konnte nicht nur die Naturrechtslehre von Hugo Grotius (1583–1645) anschließen, sondern auch die Staatstheorie der englischen Aufklärung bei Thomas Hobbes (1588–1679) und John Locke (1632–1704) sowie die Verbindung von Zweifel und Toleranz bei Pierre Bayle (1647–1706). Für Deutschland sind im gegebenen Zusammenhang vor allem Samuel Pufendorf (1632–1694) und sein Schüler Christian Thomasius (1655–1728) zu nennen. Gemeinsam ist allen das Bemühen, in der Vernunftnatur des Menschen eine allgemeine Basis für ziviles Zusammenleben unter den Bedingungen konfessioneller Differenz und Gegensätzlichkeit zu finden. Nachhaltig unterstützt wurde diese Entwicklung durch die Bewegung einer neuen europäischen Wissenschaftlichkeit, wie sie namentlich in den Universitäten und Handelsstädten der Niederlande zu früher Blüte gelangte. Nachzulesen ist dies im zweiten Teil der großangelegten „Geschichte der neueren evangelischen Theologie im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens“ von Emanuel Hirsch. Dort kann man sich auch über die Folgen der Kopernikanischen Revolution und die neuen astronomischen, physikalischen und sonstigen Einsichten bei Johannes Kepler (1571–1630), Galileo Galilei (1564– 1642) sowie Isaac Newton (1643–1727) u.a. im Kontext des Wandels der Naturphilosophie informieren. Eigens zitiert werden soll lediglich die bemerkenswerte Feststellung, „daß wir für das Zeitalter bis 1740 den positivistischen Naturalismus des Hobbes mit seinen agnostischen Folgerungen als ein lediglich am Rande stehendes drohendes Fragezeichen und im Gegensatz dazu die Sonderstellung des denkenden menschlichen Geistes sowie seine Fähigkeit, zu einer angemessenen Gotteserkenntnis zu gelangen, als ein im Wahrheitsbewußtsein des Zeitalters sicher und unerschüttert Gegebenes betrachten dürfen“ (Hirsch I, 156; bei H. teilweise gesperrt). An Descartes wird dies sogleich beispielhaft zu belegen sein.

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Das heißt nach Hirsch freilich nicht, „daß in ethisch-religiöser Hinsicht antikchristliche Metaphysik und die auf sie gebauten dogmatischen Hauptlehren der Kirche unverändert fortgepflanzt wurden. Indem die alte Unterscheidung von Körper und Seele oder Geist von dem neuen wunderbaren Erlebnis der Vollmacht und Weltbedeutung der Vernunft gestützt und gedeutet wird, tritt sie zugleich unter neue, ihren Sinn abwandelnde Bedingungen. Die Vernunft wird nun Sinndeuterin des menschlichen Lebens und seines Gottesverhältnisses. An der Vernunft wird sich der Mensch seiner besonderen Stellung im Ganzen der Wirklichkeit bewußt. Auf das Zeitalter, welches den Tiefen des nach seinem ewigen Heil fragenden Gemüts in seiner Beziehung auf die christliche Offenbarung den Schlüssel zum Verständnis von Gott, Welt und Mensch entnommen hatte, folgt nun eines, das ihn der hellen klaren Besinnung auf die vernünftigen Grundlagen der Wahrheitserkenntnis zu entnehmen entschlossen ist.“ (Hirsch I, 157; bei H. teilweise gesperrt) Wie in Naturwissenschaft, Jurisprudenz und Das Beispiel von René Staatslehre wurde schließlich auch im religiösen Descartes Bereich die Vernunftnatur des Menschen zum zentralen Bezugspunkt der Erkenntnis, was sich an der neuzeitspezifischen Geschichte des Religionsbegriffs ablesen lässt. Da die Grundzüge der terminologiegeschichtlichen Entwicklung bereits dargestellt sind, sei die Genese aufgeklärter Vernunftreligion nur noch in der exemplarischen Gestalt vorgestellt, die diese in René Descartes’ (1596–1650) „Meditationes de prima philosophia in qua dei existentia et animae immortalitas demonstratur“ von 1641 erhalten hat. Die Wahl des Beispiels ist nicht willkürlich: hebt doch mit Cartesius, wie immer wieder gesagt wird, das Denken der neueren Zeit an. Als ein Zeuge unter vielen sei Hegel zitiert, der in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (Dritter Teil. Zweiter Abschnitt) mit Descartes die philosophische Neuzeit ihren Anfang nehmen lässt: „Hier können wir sagen, sind wir zu Hause und können wie der Schiffer nach langer Umherfahrt auf der ungestümen See ‚Land‘ rufen; Cartesius ist einer von den Menschen, die wieder mit allem von vorn angefangen haben; und mit ihm hebt die Bildung, das Denken der neueren Zeit an.“ (Hegel, 120) Epochemachend ist Descartes nach Hegel deshalb, weil nach Maßgabe seines Prinzips das Denken unter Zurücksetzung nicht nur dieser oder jener, sondern aller äußerlichen Autorität in sich geht, um allein von sich her zu beginnen: „was für etwas Festes gelten soll, muß sich bewähren durch das Denken.“ (Ebd.) Das gilt auch für den Gottesgedanken. Doch wäre es nach Descartes grundfalsch, diesen für bloß menschlich erdacht und erfunden zu erachten. Cartesianisch geurteilt, ist die Idee Gottes mitnichten bloße Funktion des denkenden Ich, sondern eine Voraussetzung des Denkens, ohne welche das Ich sich selbst nicht zu denken vermag. Das Beginnen neuzeitlichen Denkens, für das Descartes exemplarisch ist, ist zwar autoritäts-, aber keineswegs von Anfang an und mit prinzipieller Notwendigkeit theologiekritisch. Die weichenstellende Wichtigkeit dieser Einsicht rechtfertigt es, den Inhalt der Descartesschen Meditationen im bewussten Unterschied zur gerafften Darstellung der bis-

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herigen Entwicklung in jener bedächtigen Ausführlichkeit zu entfalten, die der meditativen Form gemäß ist. „De omnibus dubitandum est“, lautet der Grundsatz der ersten Meditation. Alle äußeren Methodischer Zweifel Voraussetzungen des Denkens müssen aufgegeben und der Radikalität des Zweifels preisgegeben werden, damit das Denken – von allem, was es nicht selbst ist, abstrahierend – sich ganz in sich selbst versenke. Um zu sicherer und klarer Erkenntnis der Wahrheit zu gelangen, ist an allen Dingen, insbesondere an den materiellen, zu zweifeln, damit das Denken von den Sinnen abgelenkt und auf sich selbst bezogen werde. Wenn der Philosoph im Verein mit dem menschlichen Alltagsbewusstsein anfänglich der irrigen Meinung war, all jenes dürfe unmittelbar für wahr gehalten werden, was den Sinnen und ihrer Vermittlung zu verdanken sei, so hat er sich bald überzeugt, dass die Sinnlichkeit uns bisweilen täusche. Es sei insofern ein Gebot der Klugheit, den Sinnen niemals ganz zu trauen, sondern sie prinzipiellem Zweifel auszusetzen. Dieser Zweifel ist von grundsätzlicher Bedeutung insofern, als er die gesamte Sinnenwelt betrifft. Descartes versucht das unter vielfältigen Aspekten zu erläutern, etwa im Hinblick auf die Tatsache, dass Wachsein und Träumen niemals durch absolut sichere Kennzeichen unterschieden werden können. Auch sei, um nur noch dieses zu nennen, nicht auszuschließen, dass ein ebenso böser wie allmächtiger Dämon bewirkt haben könnte, dass es überhaupt keine Erde, keinen Himmel, kein ausgedehntes Ding, keine Gestalt, keine Größe, keinen Gott gibt und dass dies alles genau so, wie es jetzt vorkomme, bloß da zu sein scheine. Aus diesen und anderen Gründen sieht sich der Denker zu dem Zugeständnis genötigt, dass an allem, was er früher für wahr gehalten hat, zu zweifeln möglich und notwendig sei: „de omnibus dubitandum est.“ Nachdem eingesehen ist, dass all dies nicht gewiss sei und nicht zweifelsfrei existiere, an dessen Cogito, ergo sum Dasein auch nur im Geringsten gezweifelt werden könne, gelangt die zweite Meditation zu der mit der ersten untrennbar verbundenen Einsicht, es sei unmöglich, dass das zweifelnde Denken im Vollzug seiner selbst nicht existiere. Die Existenzgewissheit zweifelnden Denkens ist ein unbezweifelbares, weil unmittelbares Implikat zweifelnden Denkens selbst. Alles kann und muss denkend bezweifelt werden; das Zweifeln selbst aber ist, indem es zweifelt, seiner selbst zweifellos und unbezweifelbar gewiss. Die Gewissheit rein selbstreferentiellen Denkens ist der zweite, den ersten fundierende Grundsatz cartesianischer Philosophie. Um die argumentative Pointe zu wiederholen: Mittels der Methode prinzipiellen Zweifels ist alles fernzuhalten bzw. zu entfernen, was auch nur im Geringsten bezweifelt werden kann. Was Gegenstand des Zweifelns sein kann, ist so zu behandeln, als ob es nicht existiere bzw. in seiner Existenz ersichtlich falsifiziert sei. Angestrebt wird durch dieses Verfahren das Ziel, zu einem schlechterdings Gewissen vorzudringen oder mit Gewissheit zu erkennen, dass es nichts Gewisses gibt. Der springende Punkt der Argumentation besteht in der Ein-

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sicht, dass alles bezweifelt werden kann, nur das Zweifeln selber nicht. Wie immer es um die Täuschungen der Sinnenwelt bestellt sein mag, jede noch so weitreichende Täuschung wird es nicht zustandebringen zu erweisen, dass ich nicht bin, so lange ich denke, dass ich etwas sei: „cogito, ergo sum“. Ähnlich hatte, worauf hier nur am Rande verwiesen werden kann, bereits Augustin argumentiert, etwa in seiner frühen Auseinandersetzung mit der Skepsis oder in der – De civitate Dei XI,26 wiederholten – These aus dem 39. Kapitel der um das Jahr 390 verfassten Schrift „De vera religione“, wo folgende Erkenntnisregel entwickelt wird: „Omnis qui se dubitantem intellegit, verum intellegit, et de hac re quam intellegit certus est; de vero igitur certus est. Omnis ergo qui utrum sit veritas dubitat, in se ipso habet verum unde non dubitet; nec ullum verum nisi veritate verum est. Non itaque oportet eum de veritate dubitare qui potuit undecumque dubitare.“ (XXXIX, 205f.) Wer einsieht, dass er zweifelt, sieht mit Gewissheit etwas Wahres ein und ist so eines Wahren gewiss, dass durch den Zweifel, ob es überhaupt Wahres gebe, nicht fraglich, sondern im Gegenteil mit unbezweifelbarer Gewissheit bestätigt und zur Evidenz gebracht wird. Niemand kann daher an der Wahrheit zweifeln, der überhaupt zweifeln kann. Reflexem Zweifel eignet nicht bezweifelbare Selbstgewissheit. Das sagt auch Descartes, wobei er mit Augustin darin einig ist, dass die im Zweifeln bzw. im Denken implizierte unmittelbare Daseinsgewissheit mentaler und nicht körperlicher Art ist. Wie es in der Meditationsüberschrift heißt: „De natura mentis humanae: Quod ipsa sit notior quam corpus.“ Im Denken und allein im Denken bin ich meiner Existenz gewiss. Denn das Denken ist es, das von mir ebenso wenig getrennt werden kann wie die Ichgewissheit meiner selbst von ihm. Ich bin, ich existiere, das ist gewiss. Wie lange aber? Nur, so lange ich denke. Daraus ergibt sich, dass jenes Ich, in Bezug auf das ich weiß, dass ich existiere, als „res cogitans“ zu bestimmen ist. „Sed quid igitur sum? res cogitans; quid est hoc? nempe dubitans, intelligens, affirmans, negans, volens, nolens, imaginans quoque, et sentiens.“ (II, 23) „Was aber bin ich demnach? Nun, – ein denkendes Wesen! Was heißt das? Ein Wesen, das zweifelt, einsieht, bejaht, verneint, will, nicht will und das sich auch etwas bildlich vorstellt und empfindet.“ Dabei ist hinzuzufügen, dass der menschliche Geist als reine Substanz (pura substantia) zu gelten hat: Denn wenn auch alle seine zufälligen Bestimmungen wechseln, z.B. wenn er andere Dinge erkennt, anderes will, anderes fühlt usw., so wird darum doch nicht der Geist selbst ein anderer; der menschliche Körper dagegen wird allein schon dadurch ein anderer, dass sich die Gestalt zumindest einiger seiner Teile ändert. Daraus folgt, dass zwar der Körper sich verändert und leicht dahinschwindet, der Geist aber seiner Natur nach unsterblich ist. Das erste der beiden selbst gesteckten Ziele der Gott existiert Descartes’schen Meditationen ist damit erreicht, nämlich einen Beweis für die Unsterblichkeit der Seele zu geben, genauer und mit dem modifizierten Titel der unter des Autors eigener Aufsicht gedruckten Zweitausgabe gesagt: die substantielle Verschiedenheit

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des menschlichen Geistes vom Körper („animae humanae a corpore distinctio“) zu demonstrieren, aus der sich dann die Einsicht in die Unsterblichkeit der Seele ergibt. Den noch ausstehenden Beweis für das Dasein Gottes verspricht die dritte Meditation zu geben: „De deo, quod existat“. Sie setzt mit einer erneuten Vergewisserung des bisher erreichten Ergebnisses ein. Ich bin gewiss, dass ich ein denkendes Wesen bin: „Sum certus me esse rem cogitandem.“ Täusche mich, wer es vermag, niemals wird er doch bewirken, dass ich nichts bin, solange ich mir bewusst bin, etwas zu sein. Diese Einsicht ist eine Erleuchtung, die durch das „lumen naturale“ unmittelbar gegeben ist. Alles aber, was das natürliche Licht mir zeigt, wie z.B. dass daraus, dass ich zweifle, folgt, dass ich bin, und dergleichen – das kann keineswegs zweifelhaft sein. Nun ist es aber durch das natürliche Licht zugleich evident, dass eine Wirkursache mindestens ebenso sachhaltig sein muss, wie die Wirkung derselben. Diese Einsicht des „lumen naturale“ ist für den Gottesbeweis von entscheidender Bedeutung. Denn wenn der Bedeutungsgehalt irgendeiner meiner Vorstellungen so groß ist, dass ich dessen gewiss bin, dass der entsprechende Sachgehalt weder in der gleichen noch in einer vollkommeneren Form in mir enthalten ist, dass folglich ich selbst nicht Ursache dieser Vorstellung sein kann, so ergibt sich daraus notwendig, dass ich nicht allein bin, sondern dass noch irgendeine andere Sache, welche die Ursache dieser Vorstellung ist, existiert. Was aber die Vorstellungen körperlicher Dinge betrifft, so kommt in ihnen erkenntlich nichts so Großes vor, was nicht aus mir selbst hätte hervorgebracht werden können. Anders stellt es sich im Hinblick auf die Gottesidee dar. Ausschließlich die „idea Dei“ ist eine Vorstellung von der Art, bei der ernsthaft zu erwägen ist, sie sei etwas, was nicht aus mir selbst hervorgegangen sein kann. Um eine Wiederholung der Missverständnisse zu vermeiden, die sich an dieser Stelle in Bezug auf seinen „Discours de la Méthode“ von 1637 eingestellt hatten, räumte Descartes bereits in der Vorrede der Meditationen ein, dass das Wort „Vorstellung“ zweideutig sei, weil es entweder eine Tätigkeit meines Denkens und damit erkenntlich nichts Vollkommeneres als mich in meiner Ureigenschaft als Denker oder aber einen Bedeutungsgehalt bezeichne, der, obgleich im Denken wahrzunehmen, doch dieses und damit den Denker transzendiere, um ihm als Grund seines Denkens vorstellig zu werden und einzuleuchten. Allein in diesem Vorstellungssinne sei die Gottesidee, wie sie dem Denken gegeben sei, aufzufassen. Mit der Gottesidee, sagt Descartes, ist dem Denken im bezeichneten Sinne die Vorstellung eines vollkommenen Wesens gegeben, das vollkommener ist als das Ich der Menschenseele, welche im Denken ihrer Existenz gewiss ist. In der Gottesidee wird ein allervollkommenstes Wesen, ein „ens perfectissimum“ vorstellig. Warum ist das so, und wieso soll die Existenz dieses Wesens bewiesen werden können? Zur ersten Frage ist zu sagen, dass sich die Idee eines absolut vollkommenen Wesens mit der Erkenntnis der Unvollkommenheit des Ich verbindet, das im Denken seiner gewiss ist. Das denkende Ich weiß sich, wenn es seiner gewiss ist, als nicht unmittelbar in sich, sondern in einem Anderen gründend. Dieses Andere kann nichts Sinnliches sein, weder ein Teil der körperlichen Welt noch deren Summe, welche

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im Einzelnen und insgesamt Gegenstand des Zweifels ist und keinen beständigen Gewissheitsgrund zu geben vermag, wie ihn das Denken voraussetzt und voraussetzen muss. Einen die endliche Selbstgewissheit des denkenden Ich vollendenden Gewissheitsgrund kann nur die Idee eines vollkommensten Wesens geben, das Gott genannt wird. Die Idee der unendlichen Substanz ist dem im Denken seiner selbst gewissen Ich zu denken notwendig, weil dieses sich im Denken als endliche Substanz wahrnimmt. Die Notwendigkeit, die Gottesidee zu denken, geht nach Descartes aus der geklärten Selbstwahrnehmung und Einsicht des Ich in sich selbst hervor. Wie sollte ich begreifen, dass ich zweifle, dass ich etwas wünsche, d.h. dass mir etwas mangelt und ich nicht ganz vollkommen bin, wenn gar keine Vorstellung von einem vollkommeneren Wesen in mir wäre, womit ich mich vergleiche und so meine Mängel erkenne? Mit dem Bewusstsein meiner selbst ist das Bewusstsein meiner Endlichkeit stets und alternativlos mitgesetzt, und ich erkenne ganz klar, dass ich von irgendeinem von mir verschiedenen Wesen abhänge, das Selbst und Welt transzendiert und, wenn es denn ist, ein „ens perfectissimum“ sein muss. Existiert ein solches allervollkommenstes Wesen und lässt sich seine Existenz beweisen? Descartes bejaht diese Frage, weil die denknotwendige Idee Gottes als bloß gedachte, also als Vorstellung, die kein Dasein in sich enthält, nicht die Idee des vollkommensten Wesens wäre. Denn ein vollkommenstes Wesen ohne Existenz ist kein „ens perfectissimum“. Die Idee Gottes ist also, wenn sie denn überhaupt gedacht wird, was zu vermeiden nach Descartes unmöglich ist, als die Idee des „ens perfectissimum“ zu denken, das existiert, weil es ohne zu existieren, nicht wäre, was es ist und als was es vom Denken gedacht werden muss. In Gott sind Wesen und Dasein eins, und Denken und Sein lassen sich theologisch nicht scheiden. Mit der Idee Gottes ist damit zugleich der Beweis seiner Existenz gegeben. Damit ist das Titelversprechen des Buches eingelöst. Die verbleibenden drei Meditationen haben Res cogitans, res extensae die Aufgabe, neben der möglichen Entstehung von Irrtum das Wesen und Dasein der materiellen Dinge zu erklären, welche die sinnliche Körperwelt der „res extensae“ ausmachen. Was den Irrtum betrifft, so kommt er aus unrichtigem Gebrauch menschlicher Wahlfreiheit, nämlich durch unverständige, vom Denken nicht hinreichend erleuchtete Willenstätigkeit zustande. Dabei liegt der Mangel nicht im Willen und seinen Akten als solchen begründet. Die Willensakte sind nämlich, sofern sie von gottgegründetem Denken geleitet sind, durchaus gut, und wollen zu können ist unvergleichlich angemessener als willenlos zu sein. Irrtum und Bosheit sind also nicht dem Willen als solchem, der eine gute Gabe Gottes ist, sondern allein dem verkehrten Willen zuzurechnen, der auf etwas aus ist, was vernünftigerweise nicht gewollt werden kann. Was hinwiederum die materiellen Dinge der sinnlichen Welt betrifft, so ist davon auszugehen, dass sie als körperliche „res extensae“ von der „res cogitans“ der Geistseele substantiell unterschieden sind. Gleichwohl sind im Falle des Menschen Körper und Geistseele trotz ihrer substantiellen Unterschiedenheit so eng verbun-

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den, dass sie eine Art von Einheit bilden. An den Gefühlen von Lust und Schmerz tritt das nach Descartes mit besonderer Evidenz zutage. Sie lehren mich, dass ich meinem Körper nicht nur gegenwärtig bin wie ein Schiffer seinem Schiff, sondern dass ich ganz eng mit ihm verbunden und gleichsam vermischt bin, so dass ich mit ihm eine Einheit bilde. Sonst würde ich nämlich, der ich nichts als ein denkendes Wesen bin, im Falle der Verletzung meines Körpers nicht Schmerz empfinden, sondern würde die Verletzung mit reinem Verstand wahrnehmen, ähnlich wie der Schiffer visuell wahrnimmt, wenn irgendetwas am Schiff zerbricht. In der Wahrnehmung enger Körperverbundenheit der Geistseele ist die andere immer schon mitgesetzt, dass nämlich mein Leib neben vielen anderen Körpern existiert, von denen er auf mannigfach zuträgliche oder unzuträgliche Weise beeinflusst werden kann, wobei sich das Zuträgliche im Lustgefühl, das Unzuträgliche im Gefühl des Schmerzes Geltung verschafft. Beide Gefühle indizieren, dass etwas ist, was ich nicht unmittelbar selbst bin. Die Grundkennzeichnung für das von der „res cogitans“ unterschiedene Nicht-Ich ist „res extensa“. Die Körperwelt besteht aus ausgedehnten Entitäten. Ausgedehntsein ist die Wesensnatur des Körpers, wohingegen alle weiteren körperlichen Bestimmungen lediglich sekundäre Qualitäten oder Modi sind. Vermittelt ist der Zusammenhang der „res extensae“ durch Bewegung. Nebeneinander und Nacheinander oder Raum und Zeit sind entsprechend die grundlegenden Bestimmungen des körperlichen Universums. Alle von der „res cogitans“ unterschiedenen Verhältnisse lassen sich nach Descartes auf räumliche Ruhe und zeitliche Bewegung zurückführen und auf rein mechanische Weise begreifen. Für das denkende und im Denken existenzgewisse Ich gilt das offenkundig nicht. Es muss daher bei der klaren Einsicht in die Verschiedenheit von „res cogitans“ und „res extensae“ auch dann bleiben, wenn die Annahme einer engen Verbindung von Seele und Leib, wie im Falle des Menschen, nicht zu leugnen ist. Die Einheit von Seele und Leib falsifiziert die Behauptung ihrer Differenz nicht, sondern hat sie zur Voraussetzung. Die Seele gehört als „res cogitans“ dem Denken, der Leib als „res extensa“ der Ausdehnung an. Beide sind substantiell verschieden, und ihr Zusammenhang ist weder allein von der „res cogitans“, noch gar von den „res extensae“ her zu begreifen. Zu begreifen ist der Zusammenhang von Seele und Leib, welcher niemals ein bloß physisch-mechanischer sein kann, nur unter der Prämisse der Idee Gottes, der als erwiesene Einheit von Denken und Sein in seiner Idealität nicht nur die unvollkommene Seele auf vollkommene Weise begründet und zu sich kommen lässt, sondern zugleich deren Zusammenhang mit der Körperwelt der „res extensae“ ermöglicht und vermittelt. Die Gottesidee ist also nicht nur für das Selbstverständnis des Ich, sondern auch für dessen Weltverhältnis unerlässlich. Bleibt zuletzt erneut zu fragen, wie das Ich zur Idee Gottes gekommen ist. Diese ist weder aus den Ichgewissheit und Gottesidee Sinnen geschöpft, die stets nur kontingente, niemals notwendige Vorstellungen erfassen, noch hat das Ich sie sich nach Weise einer Erdichtung geformt, denn sie ist vollendet in sich, ohne für Additionen oder

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Subtraktionen zugänglich zu sein. Man ist daher genötigt, sie als angeboren, also dem Ich unveräußerlich und wesentlich zugehörig zu behaupten. Das Ich ist nicht, was es ist, ohne die Gottesidee als eine „idea innata“. Descartes illustriert dies mit dem schönen Vergleich, wonach Gott, als er den Menschen schuf, diesem als „res cogitans“ die Idee seines Schöpfers wie ein Stempelzeichen eingeprägt habe, um das Menschengeschöpf als sein schöpferisches Kunstwerk persönlich zu signieren. Übrigens braucht dieses Zeichen, wie Descartes hinzufügt, gar nicht etwas von dem Werke selbst verschiedenes zu sein; sondern einzig allein daher, dass Gott mich geschaffen hat, ist es ganz glaubhaft, dass ich gewissermaßen nach seinem Bilde und Gleichnis geschaffen bin und dass dieses Gleichnis – in dem die Idee Gottes steckt – von mir durch die selbe Fähigkeit erfasst wird, durch die ich mich selbst erfasse. Indem ich mein Augenmerk auf mich selbst richte, sehe ich nicht nur ein, dass ich ein unvollständiges, von einem Anderen abhängiges Wesen bin, ein Wesen, das nach Größerem und nach Besserem ohne Ende strebt, sondern zugleich, dass der, von dem ich abhänge, dieses Größere nicht nur endlos fortschreitend und als bloße Möglichkeit, sondern wirklich unendlich in sich befasst – und also Gott ist. Descartes hat das Denken von allen äußerlichen Prämissen befreit und die Vernunft allein auf sich selbst gegründet. Seine Philosophie wusste ihren Wahrheitsanspruch daher allen konfessionell gebundenen Lehrsystemen samt ihren theologischen Gegensätzen überlegen. Der Übergang von Orthodoxie zur Aufklärung ist in seinem Werk schon vor der Mitte des 17. Jahrhunderts auf exemplarische Weise vollzogen. Das ist wahr. Unwahr hingegen und falsch ist es zu behaupten, Cartesius habe die Selbstgewissheit des Ich zur unmittelbar evidenten Grundlage einer anthropozentrischen Philosophie erklärt. Denn Basis seines philosophischen Systems, das in der Absicht einer Neubegründung der Metaphysik konzipiert wurde, ist die Idee des unendlichen Gottes und nur auf vermittelte Weise die Selbstgewissheit des denkenden Ich, dessen Endlichkeit ihm feststeht. Zwar eröffnet die Selbstgewissheit des denkenden Ich den Zugang zum Gottesgedanken; dieser ist aber sachlich grundlegend sowohl für die Selbstwahrnehmung des Ich als auch für die Erkenntnis der Dinge der Welt. Indem er die Idee Gottes zur impliziten Voraussetzung der Selbstwahrnehmung des Ich, ohne welche diese nicht denkbar ist, erklärt und zugleich deutlich gemacht hat, dass die Verbindung von Seele und Leib und damit das Bewusstsein der gegenständlichen Welt an der Gottesidee als der Bedingung ihrer Möglichkeit hängt, hat Descartes Subjektivität, welche unter Berufung auf ihn zum Epochenindex der Neuzeit erklärt wurde, hinsichtlich ihrer Begründungsfunktion in einen höheren Erkenntnisgrund aufgehoben.

7. Kritik rationaler Metaphysik

Lit.: R. Eisler, Kant-Lexikon, Berlin 1930 (Nachdr. Hildesheim 1961). – D. Grünbein, Vom Schnee oder Descartes in Deutschland, Frankfurt a.M. 2003. – E. Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens, 5 Bde., Gütersloh (1949) 41968 (51975). – Kant’s gesammelte Schriften. Hg.v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Erste Abtheilung: Werke, Berlin 1910ff. (= Akad. Ausg.). – R. Malter, Kant-Bibliographie 1968ff. (Lfd. in Kant-Studien). – J.-J. Rousseau, Emil oder über die Erziehung. Vollständige Ausgabe. In neuer deutscher Fassung besorgt von Ludwig Schmidts, Paderborn 1971. – G. Wenz, Theoretische Vernunftkritik in praktischer Absicht. Eine unparteiische Erinnerung an Immanuel Kants Philosophie, in: W. Thiede (Hg.), Glauben aus eigener Vernunft? Kants Religionsphilosophie und die Theologie, Göttingen 2004, 11–66.

Als dem aus einem französischen Adelsgeschlecht Rationalismus und stammenden René Descartes am 10. November Empirismus 1618 in einem als Winterquartier aufgeschlagenen Militärlager nahe Neuburg an der Donau der methodische Grundgedanke seiner rationalistischen Philosophie kam (vgl. Grünbein I.3. Ein Kaff bei Ulm), hatte Francis Bacon (1561–1626), seines Zeichens Baron von Verulam und Viscount of St. Alban, in England bereits Ansätze für eine zweite Hauptrichtung aufgeklärten Denkens geschaffen: für die empiristische. Beide Aufklärungsrichtungen teilen die Absicht, sich von vorgegebenen Autoritäten durch konsequenten Vernunftgebrauch zu emanzipieren. Doch verfolgen sie dieses Ziel in höchst unterschiedlicher, z.T. gegenläufiger Richtung. Während der am Leitbild der Mathematik orientierte Rationalismus cartesianischer Provenienz die Vernunft apriorisch auf sich selbst zu gründen sucht, bindet der den Realwissenschaften verpflichtete Empirismus die Vernunft an die sinnliche Erfahrung und an aposteriorische Verfahrensweisen. Die empirische Richtung aufgeklärter VernünfDeismus und englische tigkeit hat durch John Locke (1632–1704), auf Aufklärung den neben Herbert von Cherbury (1583–1648) der englische – in den Jahren 1696 bis 1736 zur Blüte gelangte – Deismus zurückgeführt zu werden pflegt, eine feste philosophische Grundlage gewonnen. Lockes Erkenntnislehre, die neben seiner politischen Theorie den wirkungsmächtigsten Teil seiner Philosophie bildet, ist durch die Annahme bestimmt, dass das menschliche Bewusstsein, bevor es sinnliche Eindrücke empfange, eine „tabula rasa“ oder ein leerer Raum sei. Die Vorstellung angeborener bzw. dem Bewusstsein vor aller

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Erfahrung innewohnender Ideen musste er deshalb ablehnen. Auch Gedankengebilde haben seiner Auffassung nach ihren Ursprung in Sinneseindrücken oder in Reflexionen auf den Gehalt sinnlicher Wahrnehmungen. Das gilt nicht zuletzt für die Gottesidee, die sich nach Locke keineswegs apriorisch, sondern wie alle Bewusstseinsinhalte nur empirisch gewinnen lässt und zwar auf folgende Weise: Indem wir die Dinge der Welt und namentlich uns selbst erfahren, stellt sich unmittelbar das Bewusstsein der Endlichkeit ein. Dieses Wissen um die eigene Endlichkeit und die Endlichkeit der Erfahrungsgegenstände enthält den Gottesgedanken insofern in sich, als ohne die ewige Existenz Gottes nicht erklärt werden könnte, warum dies, was als Endliches über den Konstitutions- und beständigen Erhaltungsgrund seiner selbst ersichtlich nicht selbst verfügt, überhaupt ist und nicht nicht. Hält Locke die Existenz Gottes sonach aus Gründen der Erfahrung für vernunftevident, so ändert sich dies bei David Hume (1711–1776), dessen Bestreitung jeder Art von Vernunftapriorität, wie sie namentlich in seiner Kritik am Kausalitätsprinzip zutage trat, Kants Versuch eines apriorischen Beweises der objektiven Gültigkeit der Kategorien entscheidend motivierte. Die Radikalisierung des empiristischen Standpunktes führte zu prinzipieller Metaphysikskepsis und -kritik. Anders als die deistischen Vertreter vernünftiger Religion einschließlich John Locke trachtete Hume als kritischer Positivist danach, die natürliche Theologie zu destruieren. Das Zerstörungswerk galt sowohl den Gottesbeweisen als auch der Annahme einer unsterblichen Seele und eines Lebens der zukünftigen Welt. In den 1779 erschienenen Dialogen über die natürliche Religion („Dialogues concerning Natural Religion“), die sein Vermächtnis an die Nachwelt sein sollten und durch Hamanns Übersetzung in Deutschland rasche Verbreitung fanden, lässt Hume aus der Perspektive dreier Gesprächspartner Gedanken zum Verhältnis von Vernunft und Religion, Wissenschaft und Skepsis vortragen. Demea vertritt einen fideistischen Offenbarungspositivismus, der mit dem Unvermögen menschlicher Vernunft begründet wird, das Göttliche zu begreifen; Cleanthes repräsentiert den Standpunkt eines Apologeten der „religio rationalis“; Philo schließlich argumentiert als konsequenter Skeptiker und tendiert trotz einiger auf Ausgleich bedachter Zugeständnisse dazu, die natürliche Theologie nicht nur des Theismus, sondern auch des Deismus zu destruieren. Humes eigene Position ist diejenige des skeptischen Philo: Einen sicheren Beweis für die Existenz Gottes als eines ebenso notwendigen wie allmächtigen, vollkommenen wie intelligiblen Welturhebers gibt es nicht; der Glaube an Gott beruht, so Hume, im Wesentlichen nicht auf vernünftigen Gründen, sondern auf einem irrationalen Bedürfnis der Psyche des physischen Mängelwesens Mensch. Grund für diesen die rationale Theologie zersetzenden Skeptizismus ist zum einen Humes strikter Empirismus im Allgemeinen und seine empiristische, antirationalistische Fassung des Kausalitätskonzepts im Besonderen, derzufolge jeder Schluss von einer irdischen Wirklichkeit auf eine erfahrungstranszendente Ursache von vorneherein unmöglich ist. Generell geht Hume von der Annahme aus, dass Kau-

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salaussagen nicht die Existenz notwendiger, sondern lediglich regelmäßiger, d.h. zur kognitiven Gewohnheit gewordener Zusammenhänge konstatieren; man studiere hierzu vor allem die Schriften „Treatise of Human Nature“ (1739) und „Enquiry concerning Human Understanding“ (1748). Doch selbst wenn man hypothetisch voraussetzen wollte, dass die Welt transzendent verursacht sei und in Gott ihren Ursprung habe, bleibe das Problem, wie sich angesichts realen Übels in der Welt Gottes Allmacht mit seiner Intelligenz und Vollkommenheit vereinen lasse. Eine rationale Lösung dieses Problems im Sinne von Leibnizens Theodizee hält Hume für unmöglich, so dass seine Haltung in Bezug sowohl auf das Sein als auch auf das Wesen Gottes skeptisch bleibt. Die Rekonstruktion der EntstehungsgeschichHumes Natural History of te der Religion, wie Hume sie in der Schrift „The Religion Natural History of Religion“ von 1757 vornimmt, bestätigt ihm seine skeptische These einer Irrationalität des Glaubens. Das Christentum sei keineswegs so alt wie die Schöpfung und die Vernunftreligion natürlicher Religion mitnichten ursprünglich. Den Ursprung der Religionsgeschichte markiert kein Monotheismus, der die gegebene Welt auf ein Prinzip zurückführt, dessen Vernünftigkeit und Universalität er für ausgewiesen hält, sondern ein Polytheismus, der mit einer Viel-, ja einer Unzahl göttlicher Wirkmächte rechnet, die sich begrifflich nicht vereinen lassen, sondern die Begriffstranszendenz des Sinnlichen repräsentieren, die alles Prinzipiendenken sprengt. Am Anfang waren weder die abstrahierende „ratio“ noch eine ihr entsprechende natürliche Religion, sondern ein sinnlicher Polyzentrismus und ein „feeling“, welches das Gegebensein des Gegebenen gefühlsunmittelbar empfindet und auf diese Weise zugleich die Ursprungsform des Glaubens („belief“) darstellt. Der Monotheismus sei hingegen ein Reflexionsprodukt, ohne freilich einen vernünftigen Beweis seiner Rationalität leisten zu können; diesen bleibt er nach Humes Urteil ebenso schuldig wie die natürliche Theologie, deren liebstes Kind er ist. Statt eine monotheistische Vernunftreligion mit ursprungsmythischer Bedeutung zu versehen, wie der Deismus dies tue, sei der unmittelbaren Empfindung Referenz zu erweisen, wonach wie alle Wahrnehmungen so auch die Perzeptionen der Religion im Gefühl begännen. Mit dieser These hat Hume übrigens nicht nur auf erklärte Sensualisten und empirische Positivisten, sondern auch auf Denker wie Hamann und Jacobi sowie auf andere Repräsentanten des Antirationalismus in Deutschland Eindruck gemacht. Das Ziel, die aufgeklärte Vernunftreligion aus Aufklärungsgründen zu beseitigen und mit ihr Die Aufklärung in Frankreich alle Metaphysik aus der Wissenschaft zu verweisen, verbindet Hume mit den radikalen Denkern der französischen Aufklärung seiner Zeit, unter denen Voltaire (1694–1778) der bekannteste ist. Auch dieser erklärte die Sinneserfahrung zur Basis aller Erkenntnis mit der Konsequenz grundsätzlicher Reserve aller Metaphysik gegenüber. Exemplarisch hierfür ist sein Kampf gegen den überlieferten Vorsehungsglauben, wie er in dem durch das Erdbeben von Lissabon 1755 veranlassten Roman „Candide oder der Optimismus“

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(1759; deutsch: 1778) dokumentiert ist. Eine Fortentwicklung erfuhr der skeptisch-skeptizistische Empirismus Voltaires im Materialismus eines Julien Offray de Lamettrie (1709–1751) und Baron Paul Heinrich Dietrich d’Holbach (1723– 1789), im Naturalismus und Vitalismus eines Georges Louis Leclerc Graf von Buffon (1707–1788) und Jean Baptiste Robinet (1735–1820) sowie im sensualistischen Positivismus eines Jean-Baptiste d’Alembert (1717–1783) oder Étienne Bonnot de Condillac (1715–1780). „Der Atheismus auf materialistischer Grundlage, der Pantheismus auf naturalistischer oder vitalistischer Grundlage und die wissenschaftliche Ausschaltung des Gottesgedankens auf Grund skeptisch-positivistischen Stehenbleibens bei den Erfahrungstatsachen, das sind die drei negativen religiösen Möglichkeiten alles den Menschen als Naturwesen einordnenden erfahrungswissenschaftlichen Weltverständnisses auch im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert geblieben. Auch wenn unter den Franzosen des achtzehnten Jahrhunderts ein Denker vom Range Humes fehlt, die Herausarbeitung dieser drei Typen ist eine geistes- und religionsgeschichtlich weitreichende Leistung. Sie war bestimmt, die ältere und in England und Deutschland noch lange fortwirkende Verbindung von strenger Naturwissenschaft und echtem Gottesglauben für das öffentliche Bewußtsein abzulösen und damit die große Krise der Religion im neunzehnten Jahrhundert einzuleiten.“ (Hirsch III, 93f.; bei H. teilweise gesperrt) Gänzlich eigene Wege ging, um kurz auch von Rousseaus savoyischer Vikar diesem zu reden, Jean-Jacques Rousseau (1712– 1778), und zwar nicht zuletzt in religionsphilosophischer Hinsicht. Zusammengefasst hat er sein Verständnis natürlicher Religion in dem berühmten Glaubensbekenntnis, das er einen savoyischen Vikar auf einem Hügel der Poebene vor der mächtigen Kette der Alpen im Lichte der aufgehenden Morgensonne ablegen lässt. Aufgezeichnet ist die Konfession im vierten Buch des Erziehungsromans „Emile“ von 1762. Die Grundmaxime lautet: „Geben wir nichts auf das Vorrecht der Geburt, auf die Autorität der Kirchenväter und der Pfarrer, sondern unterziehen wir alles, was sie uns seit der Kindheit gelehrt haben, der Prüfung des Gewissens und der Vernunft. Und wenn sie schreien: Unterwirf deine Vernunft! Dasselbe könnte mir jeder Betrüger sagen. Wenn ich meine Vernunft unterwerfen soll, brauche ich vernünftige Gründe dazu.“ Damit ist gesagt: Jeder Offenbarungsanspruch ist an Maßstäben der Vernunft zu bemessen und hat seine Gültigkeit nur, sofern er der „religio naturalis“ entspricht, welche nach Rousseau die vernünftige Religion ist. Ihre Glaubensartikel lassen sich auf drei reduzieren: 1. Es existiert eine erste Ursache, deren tätiger Wille die Materie bewegt. 2. Der die Materie bewegende tätige Wille, welcher die Wirklichkeit der Welt bewirkt, ist von höchstem Verstand, da er den Kosmos zweckmäßig eingerichtet und nach rechten Gesetzen geordnet hat, wohingegen das Böse allein auf die unverständige Willkür des Menschen zurückzuführen ist. 3. Der Mensch ist frei und seiner Freiheit bewusst, da ihm sein Denken die Gewissheit aktiver Subjektivität der objektiven Materiewelt gegenüber vermittelt. Zugleich weiß der zum Bewusstsein seiner selbst gelangte Mensch mit Gewissensgewissheit, was er zu tun und zu lassen

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hat. Seine Bestimmung ist es, der ursprünglichen Wesensnatur der Schöpfung als eines harmonischen Ganzen zu entsprechen und an die Stelle der natürlichen Selbstliebe („amour de soi“), die gut und gottgeboten ist, nicht selbstsüchtige Eigenliebe („amour propre“) treten zu lassen, die als ebenso verkehrt wie unnatürlich zu beurteilen ist. Bereits in seinem „Diskurs über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen“ von 1755 hatte Rousseau die Schöpfungsbestimmung des Menschen mit einem natürlichen Urzustand assoziiert, in dem die Menschen als edle Wilde in harmonischer Eintracht untereinander und mit der Natur lebten. Der Fall aus dem „status integratis“ in den „status corruptionis“ wird mit dem Übergang zu Privateigentum und Arbeitsteiligkeit verbunden, welche die den modernen Staat kennzeichnende Ungleichheit bewirkt hätten. Dem entgegenzuwirken und die Integrität des Urzustandes sozial zu restaurieren, ist Zweck und Ziel des politischen Programms, das Rousseau verfolgt. Durch Gesellschaftsvertrag (1762: „Du Contrat Social ou Principes du Droit Politique“) entsagen die Einzelsubjekte ihrer Selbstsucht und ordnen sich dem Allgemeinwillen („volonté générale“) unter, der als staatlicher Souverän monarchische, oligarchische oder sonstige auf Einzelwillen basierende Herrschaftsformen ablöst. Als bürgerliche Staatsreligion („réligion civile“) wiederum fungiert jene natürliche Vernunftreligion, deren Grundgehalte im Bekenntnis des savoyischen Vikars bündig zusammengefasst sind. Im Unterschied zur Radikalität revolutionären Das Leibniz-Wolff’sche Denkens in Frankreich in den Jahrzehnten vor System und der Einfluss der Französischen Revolution ist die Aufklärung Spinozas in Deutschland unter betont religiös-christlichem Vorzeichen vorangeschritten. Neben pietistischen Einflüssen ist das vor allem der Leibniz-Wolff ’schen Philosophie zu danken, welche die Aufklärung in Deutschland nachhaltig bestimmte. Sie brachte, um noch einmal Emmanuel Hirsch zu zitieren, „die innre Verbindung zwischen den Mächten der neuen Wissenschaft und Weltanschauung und dem deutschen evangelischen Christentum und schuf den Boden für die saubere begriffsklare Geistigkeit des deutschen achtzehnten Jahrhunderts. Sie verschmolz mit der schon geschilderten neuen naturrechtlichen Anschauung von Staat und Kirche zu einem Ganzen und gab in dieser Verbindung dem gesamten Denken und Leben im protestantischen Deutschland den festen Widerhalt, dessen es bei der auf nüchterne Verbesserung der öffentlichen Einrichtungen und erzieherische Hebung des Volks gehenden allgemeinen Richtung bedurfte. Es gelang ihr für geraume Zeit, einen schmerzhaften Zwiespalt zwischen dem neuen europäischen Geist und dem evangelischen Christentum zu verhüten.“ (Hirsch II, 5) Geistesgeschichtlich wirkte im Leibniz-Wolff ’schen System nicht die empiristische, sondern die rationalistische Richtung vernünftiger Aufklärung fort, wie sie bei Descartes ihren Ausgang genommen hatte. Die Differenz der beiden von diesem in Anschlag gebrachten Substanzen „res cogitans“ und „res extensa“ hatte Baruch de

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Spinoza (1632–1677) dadurch zu beseitigen versucht, dass er sie als Attribute einer einzigen Substanz betrachtete, die er mit der Wendung „deus sive natura“ umschrieb. Indem er auf diese Weise den cartesianischen Dualismus von Denken und Ausdehnung aufhob, machte er zugleich das Zusammenwirken von Seele und Körper vorstellbar, bei welchen beiden es sich lediglich um zwei Erscheinungsweisen ein und desselben handeln sollte. Kann man darin einen Fortschritt über Descartes hinaus entdecken, so wurde Spinozas Auffassung, alles endliche Seiende sei ein Modus der unendlichen Substanz Gottes, bald schon unter Pantheismus- bzw. Atheismusverdacht gestellt, obwohl der Akosmismusvorwurf viel zutreffender wäre. Verstärkt wurden die theologischen Vorbehalte Spinoza gegenüber durch die Bibelkritik, die dieser in seinem 1670 anonym erschienenen „Tractatus Theologico-Politicus“ geübt hatte. In der neben einer Studie über Descartes einzigen seiner Schriften, die der dem Judentum entstammende, biblisch-talmudisch geschulte, aber bereits 1656 aus der Synagoge ausgeschlossene Denker zu Lebzeiten publizierte, werden einerseits Grundgedanken politischer Philosophie im Anschluss an Hobbes, andererseits Prinzipien kritischer Schriftexegese entfaltet. Die Auslegung der Heiligen Schrift, deren Methodik sich nach Spinoza in nichts von der Methodik rationaler Naturerklärung unterscheidet, ist kritisch dann, wenn sie elementare Differenzierungsleistungen zustande zu bringen und dabei zu der Unterscheidung zwischen dem bleibend Gültigen und demjenigen anzuleiten vermag, was der Vergangenheit einer religiösen Geschichte anheimgegeben ist, welche die Gegenwart nicht länger verpflichtet und bindet. In der großen Masse ihres Inhalts handelt es sich bei der Heiligen Schrift nach Spinoza um ein Dokument vergangener Religionsgeschichte, der nur historisches Interesse gebührt. Aktuell verbindlich ist die Bibel nach seinem Urteil lediglich in dem göttlichen Liebesgebot, dem zu gehorchen das Wesen sowohl der christlichen als aller Frömmigkeit überhaupt ausmacht. Die Implikationen des frommen Gebots, welches den Inbegriff des biblischen Geltungsanspruchs benennt, kann Spinoza mit einigen Grundsätzen umschreiben, die sich inhaltlich nicht wesentlich von den Prinzipien natürlicher Religion unterscheiden, wie Herbert von Cherbury sie formulierte. Während indes für Herbert die „religio naturalis“ rationale Einsichten von definitiver Gültigkeit erschließt, trägt sie nach Spinoza noch erkenntliche Spuren der Akkomodation an das beschränkte Durchschnittsbewusstsein an sich, die es philosophisch aufzuheben gilt, um wahrhaft zur Vernunft zu gelangen. Der theologisch-politische Traktat von 1670 erfüllt seinen Zweck also nicht allein dadurch, dass er die Verbalinspirationslehre, die die Calvinisten im Umkreis Spinozas vertraten, zugunsten einer „religio rationalis“ zersetzt, die alles Suprarationale als irrational kritisiert und aus dem Frömmigkeitsleben ausscheidet; er zielt vielmehr darauf, den Bibelglauben samt seiner verständigen Anteile durch philosophisches Begreifen insgesamt zu transzendieren und zu jener „amor intellectualis Dei“ hinzuführen, zu der alle Religion hinstrebt, um sich in reine Vernunft aufzulösen. In seinem Hauptwerk, der erst 1677 nach seinem Tode unter den Opera postuma erschienenen Ethik, hat Spinoza dieses Ziel klar umrissen.

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Die „Ethica ordine geometrico demonstrata“ setzt direkt mit der Idee Gottes ein, um von ihr Spinozas absolute Substanz aus die cartesianische Philosophie umzubilden. Ihr Dualismus von Denken und Ausdehnung, der scharf zwischen geistiger und körperlicher Wirklichkeit schied, wird, wie gesagt, aufgehoben, indem „res cogitans“ und „res extensa“ als zwei sich entsprechende Seiten der all-einen unendlichen Substanz begriffen werden, deren attributive Modi sie sind. Als letztbegründende Ursache von allem ist die unendliche Substanz, die Spinoza Gott oder „natura naturans“ nennt, auf keine Ursache außerhalb ihrer selbst zurückzuführen, sondern als „causa sui“ zu denken, welche die „natura naturata“ der endlichen Ideen und der durch sie erschlossenen endlichen Dinge auf unableitbare und absolute Weise zu Stand und Wesen bringt. Zur Einsicht in die alles bestimmende Wirklichkeit der absoluten Substanz, ohne deren Wirken nichts ist, was ist, und nichts Seiendes entsprechend erkannt werden kann, gelangt die Philosophie, deren Vernunft nicht in der endlichen Verstandeswelt aufgeht, durch intellektuelle Intuition, welche die kontingente Erfahrungserkenntnis ebenso übersteigt wie alle Formen reflexiver Rationalität, um beiden als fundierende Basis zugrunde zu liegen. In der intuitiven Wahrnehmung der unendlichen Substanz erfüllen sich Anfang und Ende der Philosophie des Spinoza, und ihr gesamtes Beginnen ist begriffen in der „amor intellectualis Dei“, welche besagte Intuition praktisch ist. In ihr weiß sich der endliche Geist in allem, was ihm an Seinsbewusstsein zusammen mit dem Bewusstsein seiner selbst gegeben ist, in einer präreflexiven und alles Reflexionsvermögen transzendierenden Weise als Modus der absoluten Substanz, die seinen alleinigen Ursprung und Zweck ausmacht. Ein im eigentlichen Sinne Anderes der unendlichen Substanz stellt dabei das endliche Denken und Sein nicht dar, wie denn auch beider Differenz in der substantiellen Indifferenz des Absoluten sich relativiert und zum bloßen Moment verflüchtigt. Der spinozistischen Entdifferenzierungsten- Die Monadenlehre von denz, welche Differenz nur als Modus der absolut Leibniz in sich gründenden Identität gelten lässt, suchte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) in seiner sog. Monadologie dadurch zu begegnen, dass er das von der göttlichen Urmonade durchwaltete Universum sowohl dieser gegenüber als auch in sich selbst deutlicher differenzierte, um damit der Besonderheit des endlich Bestimmten die nötige Geltung zu verschaffen. Die Identität der einzelnen Monaden in der Welt, die je für sich einen Mikrokosmos bilden, bzw. ihre Differenz untereinander ist durch unterschiedliche Grade der Deutlichkeit ihrer Vorstellungen bestimmt, so dass sich eine Monadenhierarchie von ganz undeutliche Vorstellungen ausbildenden Monaden, welche die Materie bilden, über die durch Gedächtnis ausgezeichneten beseelten Monaden hin zu den Geistmonaden ergibt, die ein entwickeltes Bewusstsein ihrer Vorstellungen haben. Die Urmonade schließlich gewährleistet als der zureichende Grund des Universums der Monaden mit dem Prinzip der Widerspruchsfreiheit die prästabilierte Harmonie der verschiedenen Monaden in ihrem differenzierten Verhältnis zuein-

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ander dergestalt, dass die wirkliche Welt als die beste aller möglichen zu gelten hat. Letzteres ist in den 1710 erschienenen „Essais de Théodicée“ in Bezug auf das Problem der metaphysischen, physischen und moralischen Übel apologetisch ausgeführt, während die spätere „Monadologie“ eine knappe Zusammenfassung der ganzen Leibniz’schen Philosophie enthält. In schulmäßiger Form systematisiert und zu groWolff über Gott, Welt und ßer Breitenwirkung gebracht wurde die MonaMenschenseele denlehre durch Christian Wolff (1679–1754), dessen – um mit dem Titel einer seiner Schriften zu reden – „Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen“ (1720) exemplarisch jene rationale Metaphysik repräsentieren, deren Problematik Kant erkenntnistheoretisch aufzuweisen bemüht war. Was die Seele als den inneren Wesensgrund des Lebendigen angeht, so ist sie im Sinne der Tradition durch Substantialität, Geistigkeit, Unität und Immortalität bestimmt. Substantiell ist die Menschenseele, um nur von dieser zu reden, als der tragende Grund aller geistigen Akte, der sich im identischen Bewusstsein bekundet, welches das Ich von sich selbst hat. Das subsistierende Sein der Seele wird dabei nach Wolff unter den in sich bestehenden Entitäten als einzige mit unmittelbarer Gewissheit erkannt, da die Eigentümlichkeit der Seele, welche ihre Substanz ausmacht, im Selbstbewusstsein besteht. Seele ist ihrer selbst bewusste Subjektivität, Seelenlehre Ontologie von Subjektivität, welche jene als subsistierendes Sein im substantiellen Sinne denkt. Genau hier wird Kants Kritik der metaphysischen Psychologie ansetzen, um mit der Substantialität der Seele auch deren substantielle Immaterialität im Sinne reiner Geistexistenz sowie ihre substantielle Unität und Immortalität zu problematisieren. Der metaphysische Weltbegriff der rationalen Schulphilosophie denkt den Kosmos als einheitlichen Inbegriff alles Seienden und als ein zusammengesetztes Ganzes in Raum und Zeit miteinander kausal verknüpfter endlicher Dinge. Prinzip der Erkenntnis des kosmischen Ordnungszusammenhangs ist der Satz vom zureichenden Grund, der mit der Einheit der Welt zugleich deren Einzigkeit verbürgt, weil zwei als möglich gedachte Welten durch ihn in Wirklichkeit zu einer zusammengeordnet werden. Ist der ontologische Status der Welt soweit geklärt, so wird von Kant zwar nicht die strenge Allgemeingültigkeit des Kausalitätsprinzips und der durch sie begründeten kosmologischen Notwendigkeiten in Frage gestellt, wohl aber die implizite Voraussetzung der von Wolff entfalteten Weltontologie, dass der Kosmos ein an sich existierendes Einheitsganzes sei und als solches erkannt werden könne. Mit diesem Vorbehalt ist zugleich der entscheidene Einwand gegen den theoretischen Anspruch der Wolff ’schen Ontotheologie vorbereitet, die primär auf dem Leibniz’schen Beweis des Daseins Gottes „e contingentia mundi“ beruht. Nach Maßgabe des Prinzips vom zureichenden Grund bedarf alles, was ist, der Annahme einer bewirkenden Ursache, um in seinem Sein erklärt und erkannt zu werden. Um die Frage, warum überhaupt etwas ist und nicht nichts, angesichts der Kontingenz alles Seienden einer stimmigen Antwort zuzuführen, ist die Voraussetzung eines

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schlechthin notwendigen einfachen, absoluten und unendlichen Wesens, das in sich gründet und allein aus sich heraus wirklich ist, nach Wolff alternativlos. Welt und Seele können diese Wirklichkeit nicht sein, weil sie den zureichenden Grund ihrer Wirklichkeit nicht in sich tragen: Gerade in ihrer und durch ihre Unterschiedenheit voneinander, welche sich in der leibseelischen Verfassung des Menschen reflektiert, geben sie sich nämlich als endlich und nicht im strengen Sinne notwendig, sondern als kontingent zu erkennen. „Ens necessarium“ und absolut zureichender Grund für Welt und Seele ist Gott allein, dessen Dasein der Kontingenzbeweis wissenschaftlich zu begründen vermag. Ein zweiter, später entwickelter Beweisgang, der vom Begriff des allervollkommensten Wesens ausgeht, das die Möglichkeitsgründe aller Realität in sich enthält, bestätigt Wolff die Richtigkeit dieses Ergebnisses. Demgegenüber wird zu zeigen sein, dass Immanuel Kant (1724–1804) we- Kants Metaphysikkritik der das kosmologische, noch das ontologische Argument noch sonstige Formen eines Gottesbeweises für schlüssig hält, um infolgedessen den Gottesgedanken zu einer Idee zu erklären, von der lediglich regulativer, nicht aber realer Gebrauch zu machen ist. Die „Kritik der reinen Vernunft“ (1781 = KrV A; 21787 = KrV B) als Basistext Kant’scher Philosophie, der in den „Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können“ von 1783 populär aufbereitet wurde, hat die Funktion einer theoretischen Propädeutik metaphysischen Vernunftgebrauchs und ist durch die Leitfrage bestimmt: Sind synthetische Urteile „a priori“ möglich? Synthetische sind im Unterschied zu analytischen solche Urteile, deren Prädikat nicht schon im Subjektbegriff impliziert ist, die vielmehr einen inhaltlichen Erkenntniszuwachs formulieren (Erweiterungsurteile statt Erläuterungsurteile). Apriorisch hinwiederum ist ein synthetisches Urteil dann, wenn es eine Erkenntniserweiterung vor aller Erfahrung, also nicht auf aposteriorische Weise bewirkt. Die entscheidende Frage ist demnach, ob und inwiefern sich Erkenntnisse in Form synthetischer Urteile gewinnen lassen, die ohne empirische Anteile in der Vernunft selbst begründet liegen. Kant bejaht diese Frage, aber mit einer signifikanten Einschränkung: Synthetische Urteile vor aller Erfahrung sind möglich, aber sie sind möglich nur in Bezug auf mögliche Erfahrung. Der Grundsatz seiner nichtempirischen Theorie der Empirie, welche die Bedingungen der Erfahrbarkeit von Gegenständen erkundet, ist damit umschrieben. Nach Kant, der darin dem sensualistischen Empirismus verpflichtet ist, fängt Erfahrung mit Transzendentale Ästhetik Sinnlichkeit an, da alle Anschauung materialiter durch Sinnesdaten bedingt ist. Dabei sind vom Dingbegriff zunächst alle Assoziationen spezifischer Körperlichkeit fernzuhalten. Der Dingbegriff soll anfänglich nichts als reines Sein im Sinne unbestimmter Materie bezeichnen, ein bloßes Etwas, das im Begriffe steht, Gegenstand äußerer Sinne zu werden oder doch werden zu können. Damit dieses sich ermögliche, ist nach Kant Bewegung in Anschlag zu bringen. Bewegung muss die formale Grundbestimmung eines materialen Etwas

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sein, das Gegenstand sinnlicher Sinnerfahrung sein soll, weil allein durch Bewegung die äußeren Sinne affiziert werden können. Naturwissenschaft ist sonach wesentlich Bewegungslehre. So wenig Erfahrung einerseits ohne Sinneseindrücke zustande kommt, deren Daten als materialiter vorgegeben wahrgenommen werden, so wenig werden die Erfahrungsgegenstände durch Sinnlichkeit allein erkannt, insofern sie nicht als amorphe Masse, sondern nach Maßgabe gleichbleibender Form in Erscheinung treten. Sinnlich gegebene Gegenstände werden, wenn immer sie wahrgenommen werden, in Form von Raum und Zeit wahrgenommen. Diese Anschauungsformen sind, wie die transzendentale Ästhetik (von griech. aisthesis = Wahrnehmung) zu zeigen versucht, nicht durch Sinnlichkeit, also aposteriorisch gegeben, sondern liegen aller sinnlichen Anschauung als Bedingung ihrer Möglichkeit apriorisch zugrunde. Raum und Zeit sind die transzendentalen Voraussetzungen der Existenz der Dinge als Erscheinung. Als apriorische Form der Anschauung äußerer Apriorische Formen der Sinnlichkeit hat der Raum zu gelten, weil alle Anschauung äußeren Sinnesdaten räumlich geformt sind. Das eine Datum bietet sich den äußeren Sinnen im örtlichen Unterschied zu anderen dar; die äußere Erscheinungswelt ist gegeben als räumlich verfasstes Nebeneinander bzw. als eine Mannigfaltigkeit von Örtern im Sinne gegeneinander abgegrenzter Teilräume. Der Raum als solcher hingegen – selbst nicht lokalisierbar – ist apriorische Form und Bedingung der Möglichkeit aller Anschauung, aber kein Angeschautes, womit zugleich gesagt ist, dass alle sinnlich wahrnehmbaren Örter relative, niemals absolute Raumgrößen sind. Die traditionelle Vorstellung eines absoluten Raumes (Newton) wird abgewiesen. Zwar ist es nach Kant nicht nur nahe liegend, sondern in gewisser Weise unvermeidlich, die Idee eines Inbegriffs aller Ortsrelationen im Sinne eines absoluten Weltraumes und zuletzt die Idee einer allen Teilräumen unteilbar vorgegebenen göttlichen Immensität auszubilden, welche die Einheit des Raumes begründet. Noch in der Schrift „De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis“ von 1770, die bereits die wichtigsten Prämissen transzendentaler Ästhetik enthält, wird ausdrücklich die Möglichkeit zugestanden, den Raum die Allgegenwart als Phänomen (vgl. Sectio IV, § 22. Scholion), also eine Gotteserscheinung zu nennen. Doch als eine metaphysische Realitätsaussage wollte Kant die Rede vom unendlichen Weltraum als Inbegriff aller Teilräume sowie von dem die Einheit des Weltraums begründenden absoluten Raum als einem Attribut der ungeteilten Immensität Gottes schon damals nicht verstanden wissen. Die Entwicklung geht eindeutig dahin, die allumfassende Einheit des Raumes mit seiner Funktion als apriorischer Erkenntnisform äußerer Sinnlichkeit zu begründen. Eine „unendliche gegebene Größe“ (KrV B39) ist der Raum, dessen Teile infinit simultan sind, nicht in der Weise eines realitätsbezeichnenden Begriffs, sondern als apriorische Form aller Anschauung, die stets räumlich verfasst und durch Ortsrelationen bestimmt ist. Vergleichbares gilt für die Zeit als die apriorische Form aller Selbstanschauung

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des inneren Sinnes. Auch der innere Sinn ist der Sinnlichkeit zuzurechnen. Er unterscheidet sich aber von den äußeren Sinnen dadurch, dass er für die interne Einheit ihrer externen Differenziertheit steht. Der innere Sinn ist, wenn man so will, die sensitive Seele des Leibes und seiner Körperglieder, deren äußeren Sinnen die Sinnesdaten räumlich präsent sind. Indem der „sensus internus“ die äußeren Sinne und deren externe Daten innerlich vereint, verzeitlicht er deren Räumlichkeit. Dabei ist der innere Sinn an sich nichts weiter als ein Fühlen, in welchem das durch die äußeren Sinne im räumlichen Nebeneinander Gefühlte simultan wahrgenommen wird, wodurch eine Sukzession der äußeren Anschauung nach Weise eines zeitlichen Nacheinanders eintritt. In der Selbstaffektion des Gemüts, wie sie sich im inneren Sinn kraft originärer Imagination vollzieht, ist die Zeit als kontinuierliche Einheitsgröße manifest. Das Nebeneinander der Erscheinungen im Raum, wie die äußeren Sinne sie vorstellig machen, wird demgemäß vom inneren Sinn als zeitidentisch wahrgenommen, womit die Einheit der räumlichen Erscheinungen überhaupt erst hergestellt wird. Wie dem inneren Sinn für die äußeren Sinne kommt sonach der Zeit für den Raum eine Begründungsfunktion zu. Doch kann von einer absoluten Gleichzeitigkeit ebenso wenig die Rede sein wie von einer Absolutheit der Zeit überhaupt, sofern die Zeit nur ist, was sie ist, in Relation zu den Raumerscheinungen, die sie kontinuierlich vereint. Wie der innere Sinn Seele der äußeren Sinne nur sein kann in Beziehung auf sie, so kommt Zeit nicht in Ablösung von den Dimensionen des Raumes, sondern nur als Raumzeit – will heißen: raumrelativ – in Betracht. Gleichwohl ist die Annahme absoluter Zeit im Sinne eines Inbegriffs und Einheitsgrundes aller Zeit nicht einfachhin vermeidbar, da sich nichts Zeitliches benennen lässt, das nicht selbst die unveränderliche Einheit unendlicher Zeit zur Voraussetzung hätte. Kein fühlendes Wesen einschließlich des menschlichen Subjekts, welches real und damit unter den Bedingungen der Zeit existiert, kommt, weil in seiner Fortdauer auf externe Erhaltung angewiesen, als Grund und Ursprung des unendlichen Ganzen der Zeit und als Garant ihrer Einheit in Frage. Zeit, so will es scheinen, lässt sich nicht anders fassen denn als Ewigkeitsphänomen. In dem erwähnten Scholion der Schrift von der Form der Sinnes- und Verstandeswelt und ihren Gründen erwägt Kant selbst diese Gedanken, um dann allerdings zu einem entsprechenden Ergebnis zu gelangen wie in seiner Raumlehre: So alternativlos sich die Idee der absoluten Zeit als beständiger Inbegriff und ewiger Einheitsgrund alles Zeitlichen aufdrängt, so wenig lassen sich mit der Annahme einer alle Zeiten in sich begreifenden Weltseele und mit der die Einheit der Zeit begründenden Ewigkeit Gottes konkrete Begriffe und Realitätsaussagen verbinden. Absolut ist die Zeit nur als Erkenntnisform, näherhin als apriorische Form der Anschauung des inneren Sinnes, welche nur in Beziehungen jener Relativität, die alle konkreten Zeitverhältnisse bestimmt, in Geltung steht. Klärt die transzendentale Ästhetik die Möglichkeitsbedingungen sinnlicher Anschauung auf, mit der alle menschliche Erkenntnis beginnt, so ist es Aufgabe der transzendentalen Analytik, deren Fortschritt zu Verstandesbegriffen zu bedenken,

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ohne welche Gegenstandserkenntnis nicht ist, was sie ist. Während das Erkenntnisvermögen der Sinnlichkeit auf das Einzelne in den Gegenständen der Erfahrung gerichtet ist, vermag der Verstand als das Vermögen zu denken und sich durch Begriffe etwas vorzustellen, die Eigentümlichkeit sinnlicher Anschauungen in allgemeine Regeln zu fassen, um so Einheit der Objekterkenntnis zu ermöglichen. Sinnlichkeit und Verstand lassen sich im Erkenntnisbeginnen allenfalls im Stadium abstrakter Anfänglichkeit, konkret hingegen nicht trennen, da Erkenntnis nur in ihrem Zusammenwirken wirklich ist. Es gilt der Grundsatz, dass Gedanken ohne Inhalt leer, Anschauungen ohne Begriffe hingegen blind sind (vgl. KrV B 75). Einerseits ist der Verstand als das aktiv spontane Vermögen, Gegenstände gedanklich zu identifizieren und urteilend zu erkennen, auf Sinnlichkeit angewiesen, nämlich auf rezeptiven Empfang der Gegebenheit des Gegenstandes in Gestalt einer raumzeitlich geformten Anschauung. Andererseits bedarf die sinnliche Anschauung der gedanklichen Erfassung durch verständiges Begreifen, um nicht augenblicklich in nebulöser Konfusion zu vergehen. Aufgabe der transzendentalen Analytik ist es, die apriorischen Formen des Verstandes zu erheben, welche die Möglichkeit der Erkenntnis bedingen, indem sie durch urteilende Anwendung von Begriffen auf raumzeitliche Anschauungen Einheit in deren Mannigfaltigkeit stiften. Es ist im gegebenen Zusammenhang nicht möglich, aber auch nicht nötig, Kants Lehre von den logischen Momenten aller Verstandesurteile und die ihr entsprechende Kategorienlehre sowie die komplizierte Frage zu erörtern, wie die ihrem Wesen nach apriorischen Kategorien durch produktive Einbildungskraft auf Gegenstände der Sinne anwendbar sind. Festzuhalten ist lediglich, dass einerseits sinnvolle Verstandestätigkeit durchweg auf Gegenstände bezogen ist, welche in den Anschauungsformen von Raum und Zeit erscheinen, und dass andererseits ohne den urteilenden Bezug apriorischer Verstandesbegriffe auf das anschauliche Mannigfaltige keine Erfahrungserkenntnis möglich ist. Zu letzterem bedarf es verständiger Synthesis, deren Möglichkeit von der Voraussetzung eines synthetisierenden Prinzips abhängt, das selbst nicht Produkt der Synthesis sein kann, wenn es denn die Funktion der Synthetisierung des Mannigfaltigen der Anschauung in der Weise verständigen Urteilens erbringen soll. Kant umschreibt dieses Prinzip mit der viel zitierten Wendung: „Das: Ich denke, muß all meine Vorstellungen begleiten können“ (vgl. KrV B 131). Jede Erkenntnis, so ist damit gesagt, steht unter der Bedingung, gewusst werden zu können. Um aber nicht für jeden Erkenntnisgegenstand ein je eigenes Bewusstsein annehmen zu müssen, was offensichtlich absurd wäre, weil es Synthesis des Mannigfaltigen nicht möglich, sondern unmöglich machen würde, muss das Bewusstsein im Wissen des Gewussten auf sich bezogen und seiner selbst bewusst sein. In diesem Sinne werden alle Bewusstseinsgegenstände vom Ich- oder Selbstbewusstsein begleitet, ohne welches verständige Synthesis der Anschauungen in ihrer Mannigfaltigkeit nicht denkbar wäre. Das Bewusstsein überhaupt ist als selbstreferentielle Größe die Bedingung der MögTranszendentale Analytik

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lichkeit verständiger Gegenstandserfahrung und Erkenntnis. Als transzendentale Apperzeption, wie Kant in Anlehnung an einen Leibniz’schen Begriff sagen kann, fungiert es als Synthesis sinnlicher Anschauungen, deren Einheit sie durch verständiges Urteil stiftet, ohne aus ihnen ableitbar zu sein. Damit ist bereits angedeutet, dass das „Ich denke“ mit Individualsubjekten und deren kognitiven, voluntativen und emotiven Selbstvollzügen nicht gleichgesetzt werden darf, weil Individuen, die sich empirisch identifizieren lassen und sich selbst in ihrer Individualität auf empirisch vermittelte Weise identifizieren, in ihrer Selbstwahrnehmung die einheitsstiftende Synthesisfunktion transzendentaler Apperzeption zur Bedingung ihrer Möglichkeit haben. Soll empirische Apperzeption nicht in unzusammenhängender Vielfalt vergehen, ist ihr in allen Fällen eine transzendentale vorauszusetzen, die nicht als bestimmtes Subjekt, sondern als bloße Einheit zu denken ist, die jedem bestimmten Bezug vorhergeht. Kants Transzendentalsubjekt ist reine Synthesisfunktion. Als die Bedingung der Möglichkeit jeder Gegenstandserkenntnis ist es in keiner Weise gegenständlich zu fassen. Die mit sinnlichen Anschauungen anhebende und verständig fortschreitende Erkenntnis endet Transzendentale Dialektik mit Vernunftbegriffen, die auszubilden sie nicht umhin kann, will sie den Stoff der Anschauung unter die Einheit des Denkens bringen. Das „Ich denke“ transzendentaler Apperzeption ist ein solcher Begriff; indes ist sein Status ein problematischer, sofern es sich bei ihm um einen bloßen Grenzbegriff des Phänomenalen handelt, der weder Erfahrungsgegenstand zu werden vermag, noch Gegenstand ontologischer Transzendenzaussagen. In der transzendentalen Dialektik als dem letzten Teil der Kritik der reinen Vernunft, deren Thema das sog. Noumenale ist, wird dies im Einzelnen aufgewiesen. In dreifacher Hinsicht macht die Vernunft, die Kant als „das Vermögen der Einheit der Verstandesregeln unter Principien“ (KrV B 359) umschreibt, vom Begriff des Noumenalen ideellen Gebrauch: in psychologischer, in kosmologischer und in theologischer Hinsicht. Menschenseele, Weltganzes und Gott – das sind jene Grenzbegriffe, welche die rein mit sich selbst beschäftigte theoretische Vernunft nach Maßgabe kategorischer, hypothetischer und disjunktiver Schlussverfahren ausbildet. Mit transzendenten Wesenheiten indes haben die transzendentalen Vernunftideen Kant zufolge schlechterdings nichts zu tun; was sie markieren, ist die Totalität der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten. Hingegen gleicht der Ontologe, der Seinsaussagen über Transzendent-Noumenales zu treffen beansprucht, nach Kants spöttischem Hinweis einer Taube, die meint, im luftleeren Raum höher fliegen zu können als im Bereich irdischer Atmosphäre. Dass der Schluss der Vernunft, um bei der Idee Kritik der metaphysischen der Menschenseele zu beginnen, vom transzendenSeelenlehre talen Begriff des Subjekts als des reinen „Ich denke“, das alle meine Vorstellungen begleiten können muss, ohne Mannigfaltiges in sich zu enthalten, auf die absolute Einheit dieses denkenden Subjekts bzw. auf ein Unbedingtes der kategorischen Synthesis in ihm auf einen Paralogismus, also auf

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einen Trugschluss hinausläuft, durch welchen die Vernunft sich selbst hintergeht, gilt Kant als ausgemacht. Die traditionelle Seelenmetaphysik als die Lehre von einer immateriellen, in ihrer Einfachheit inkorruptiven Substanz von selbstidentisch-personaler Spiritualität, welche nicht nur als Lebensprinzip alles Materiellen fungieren, sondern in ihrer Immortalität das unbedingte Prinzip zeitlos-überzeitlicher Ewigkeit in sich tragen soll, gilt ihm daher als obsolet. Lässt sich doch nach seinem Urteil in allen seelenmetaphysischen Theorien ein- und derselbe Grundfehler nachweisen, nämlich die Einheit des Bewusstseins im Sinne einer Objektanschauung vorstellig zu machen und mit der Kategorie der Substanz bzw. analogen Verstandesbestimmungen in Verbindung zu bringen, obwohl das die Einheit des Bewusstseins identifizierende „Ich denke“ nichts weiter bezeichnet als bloße Einheit im Denken, ohne jede gegebene Anschauung, auf welche Verstandesbegriffe Anwendung finden können. Die transzendentaldialektische Auflösung des seelenmetaphysischen Paralogismus ergibt, dass es sich beim Begriff transzendentaler Apperzeption um einen theoretischen Grenzbegriff handelt, von dem lediglich regulativer, aber nicht objektiver Gebrauch zu machen ist. Zwar gilt apodiktisch, dass in allen Verstandesurteilen das „Ich denke“ bestimmendes Subjekt und nie lediglich Prädikat desjenigen Verhältnisses ist, welches das Urteil ausmacht; doch lässt sich dieser Gewissheit kein objektives Wissen vom Subjekt als einer für sich bestehenden Substanz entnehmen. Zwar ist das Ich transzendentaler Apperzeption zweifelsfrei singulär im Sinne eines logisch einfachen Subjekts, das nicht in eine Pluralität von Subjekten aufgelöst werden kann; gleichwohl wäre es verfehlt, hieraus auf ein individuelles Wesen zu schließen, das als einfache Substanz aller Verstandestätigkeit zugrunde liegt. Zwar ist das Bewusstsein alles Mannigfaltigen mit einem identischen Wissen um sich selbst notwendig verbunden zu denken; die Identität sich wissender Subjektivität kann indes nicht als selbstbewusstes Personsein eines in allem Wechsel der Zustände substantiell mit sich einigen Denkwesens nach Weise einer Objektanschauung vorstellig gemacht werden. Zwar geht die Differenz des „Ich denke“ von allem Nichtich aus dessen identischem Wissen um sich notwendig hervor, da alle Erfahrungsgegenstände vom Ich als solche erkannt werden, die von ihm verschieden sind; die Möglichkeit eines dinglosen Ichbewusstseins oder gar die Tatsächlichkeit der Existenz bloß denkender Wesen ohne Erfahrungsweltbezug kann dadurch dennoch nicht zur Gewissheit gebracht werden. Kurzum: Die Analysis des Ichbewusstseins im Denken erbringt für die objektive Selbsterkenntnis nichts. Die Einheit des dem theoretischen Vernunftgebrauch zugrundeliegenden Bewusstseins für eine objektive Subjektanschauung zu nehmen und mit einem vorhandenen Bewusstsein des Ich von sich selbst zu identifizieren, ist ein Trugschluss. In Wahrheit ist das die Einheit des Bewusstseins identifizierende „Ich denke“ nur Einheit im Denken ohne gegebene Anschauung. Den Paralogismen der reinen Vernunft bezüglich ihrer psychologischen Ideen entsprechen deren Antinomien in Bezug auf die Ideen der Kosmologie. Inhalt der kosmologischen Ideen der reinen Vernunft ist die unbedingte Einheit der objekti-

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ven Bedingungen in der Erscheinung und damit Kritik der metaphysischen der Begriff der Welt insofern, als er die absolute Kosmologie Totalität in der Synthesis der Bedingungen aller möglichen Dinge bezeichnet. Bei der Ausbildung der Weltidee gerät die Vernunft in eine vierfache Antithetik: Der erste Widerstreit der den Kosmos betreffenden transzendentalen Ideen besteht zwischen der Behauptung eines zeitlichen Anfangs und einer räumlichen Begrenzung der Welt und ihrer behaupteten Anfangslosigkeit und räumlichen Unendlichkeit. Die zweite Antinomie ergibt sich bezüglich der These, alle zusammengesetzten Dinge in der Welt bestünden aus Teilen und überall bestehe nichts als das Einfache oder das aus Einfachem Zusammengesetzte, sowie der antithetischen Verneinung dessen. Die dritte Antinomie als die in bestimmter Hinsicht bedenklichste bzw. bedenkenswerteste besteht in dem Widerstreit zwischen der kosmologischen Annahme einer den Kausalitätsgesetzen der Natur entnommenen Kausalität durch Freiheit im Sinne einer „absolute(n) Spontaneität der Ursachen, eine Reihe von Erscheinungen, die nach Naturgesetzen läuft, von selbst anzufangen“ (KrV B 474), und der gegenteiligen These eines naturkausalen Determinismus. Die vierte kosmologische Vernunftantinomie schließlich leitet bereits zur transzendentalen Theologie über, sofern in der Thesis behauptet wird, zur Welt gehöre etwas, das – entweder als ihr Teil oder als ihre Ursache – ein schlechthin notwendiges Wesen ist, wohingegen die Antithesis die Existenz eines schlechterdings notwendigen Wesens generell bestreitet. Da die Vernunft sich mit dem Widerstreit ihrer selbst vernünftigerweise nicht abfinden kann, drängt sie notwendig auf eine Auflösung der besagten kosmologischen Antinomien, welche freilich nach Kant nur eine kritische sein kann, da sie in der Erfahrung niemals vorkommt. Als Schlüssel kritischer Lösung dient dabei in Sonderheit die Verabschiedung der Annahme, „daß die Welt (der Inbegriff aller Erscheinungen) ein an sich existirendes Ganzes sei“ (KrV B 535). Ohne die auf bloßem Schein beruhende, durch theoretischen Vernunftgebrauch nicht gedeckte Annahme einer als an sich seiendes Ganzes existierenden Welt lösen sich die kosmologischen Antinomien gleichsam von selbst auf, um der Einsicht zu weichen, dass die Welt nur die regressive Synthesis in der Reihe der Erscheinungen bezeichnet und nicht ein Ding an sich selbst, welches in der Erscheinung anzutreffen ist. Kann sonach die Vernunftidee der Welt vernünftigerweise nur im Sinne eines regulativen Prinzips Verwendung finden, so hat eine wissenschaftlich verfahrende Kosmologie von einem metaphysischen Weltbegriff und seinen supranatural-transmundanen Implikationen theoretisch Abschied zu nehmen und sich auf die natürliche Welt als den Inbegriff aller Dinge zu beschränken, sofern sie Gegenstände sinnlicher Erfahrung sein können. Dabei ist die Wissenschaft der natürlichen Welt in dem nach Prinzipien geordneten Ganzen der Erkenntnis, das Kant System nennt, wesentlich Körperlehre, also Lehre von den räumlichen Gegenständen der äußeren Sinne, wohingegen der Seelenlehre als der Lehre von der Zeitanschauung des inneren Sinns der Status einer strengen Naturwissenschaft bestritten wird. Eine „stricte dictu“ rationale Wissenschaft ist die Körperlehre ihrerseits nur dann zu

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nennen, wenn sie die Gegenstände der äußeren Sinne nicht lediglich empirisch umschreibt und nach Erfahrungsgesetzen ordnet, sondern die Gesetze aller möglichen Gegenstandserfahrung durch äußere Sinne apriorisch erkennt. In seiner Schrift „Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft“ von 1786 hat Kant Grundzüge rationaler Naturwissenschaft als reiner Vernunfterkenntnis entwickelt. Eine Ergänzung findet die nach apriorischen Prinzipien des Verstandes entwickelte Lehre von den reinen Gesetzmäßigkeiten der räumlichen Natur durch die am Gefühl, wie es dem Seelenvermögen des inneren Sinns zukommt, orientierte Urteilskraft, deren Kritik Kant seine gleichnamige Schrift von 1790 gewidmet hat. Behandelt wird darin das Vermögen ästhetischer und teleologischer Beurteilung der Naturdinge, wobei der erste Teil die Kritik des Geschmacks als der Beurteilung des Schönen und des Geistesgefühls als der Beurteilung des Erhabenen, der zweite Teil hingegen die Beurteilung der Dinge als Naturzweck in Ansehung ihrer inneren Möglichkeit (Vollkommenheit) sowie das Urteil ihrer relativen Zweckmäßigkeit (Nützlichkeit) zum Inhalt hat. Während die ästhetische Urteilskraft als das Vermögen, die formale Zweckmäßigkeit der Natur durch das Gefühl der Lust und Unlust zu beurteilen, erkenntlich nur zu subjektiv evidenten Resultaten zu kommen vermag, scheint das teleologische Urteilsvermögen, welches die realen Zweckmäßigkeiten der Natur namhaft zu machen bestrebt ist, zu objektiven Ergebnissen zu gelangen. Würde dies zutreffen, dann wäre die rationale Naturwissenschaft über ihre metaphysischen Anfangsgründe im Rahmen mechanischer Körperlehre hinausgeführt und einer Bewegung ansichtig, die nicht lediglich räumlich, sondern in dezidiertem Sinne zeitlich-geschichtlich zu nennen wäre, nämlich zielgerichtet offen für die Belange beseelter Entitäten und namentlich für die Zwecke vernünftiger Menschenwesen. Indes wird diese Erwartung enttäuscht. Wie der Seelenlehre als der Lehre von der Zeitanschauung des inneren Sinnes der Status einer strengen Naturwissenschaft bestritten wird, so kann nach Kants „Kritik der Urteilskraft“ von einer objektiven Gültigkeit teleologischer Urteile bezüglich einer realen Zweckmäßigkeit der Natur nicht wirklich die Rede sein. Der Begriff einer objektiven Zweckmäßigkeit der Natur ist lediglich ein kritisches Vernunftprinzip für die reflektierende Urteilskraft ohne theoretischen Beweischarakter. Mit dieser Feststellung ist zugleich der Versuch Kritik der Gottesbeweise der Vernunft abgewiesen, aufgrund ästhetischund der Ontotheologie teleologischer Urteile über die Natur theoretisch auf einen obersten Lenker derselben zu schließen, dessen absolute Zwecktätigkeit den Sinn des natürlichen Ganzen garantiert. Ein physikoteleologischer Gottesbeweis ist nach Kant theoretisch nicht durchzuführen. Relative Überzeugungskraft vermag die Physikotheologie nur im Zusammenhang praktischen Vernunftgebrauchs und sonach im ethikotheologischen Kontext zu gewinnen, wohingegen sie für sich genommen keinen Anspruch auf objektive Gültigkeit hat. Die Urteile der Physikotheologie über eine in der Welt durchgängig zu beobachtende Zweckordnung haben zwar, insofern sie den Forderungen der Moraltheologie entgegenkommen, ein durch diese bedingtes relatives Recht; der physikoteleologische Schluss auf das

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Dasein einer Ursache, welche der als zweckmäßig zu beurteilenden Welteinrichtung proportioniert ist, entbehrt gleichwohl jedes rationalen Beweischarakters. Ebenso unmöglich wie der physikoteleologische ist nach Kant der kosmologische Beweis des Daseins Gottes zu führen, der ersterem insofern zugrunde liegt, als er dessen Anliegen in die Konsequenz treibt. Nahm der physikoteleologische Beweis von einer bestimmten Erfahrung seinen Ausgang, um von einer zweckmäßig erscheinenden Weltordnung auf deren überweltlichen Verursacher zu schließen, so sieht der kosmologische von jeder bestimmten Welterfahrung ab und beansprucht, aufgrund des bloßen empirischen Daseins als solchen das Dasein Gottes beweisen zu können. Das kosmotheologische Basisargument umschreibt Kant wie folgt: „Wenn etwas, was es auch sei, existirt, so muß auch eingeräumt werden, daß irgend etwas nothwendigerweise existire. Denn das Zufällige existirt nur unter der Bedingung eines anderen als seiner Ursache, und von dieser gilt der Schluß fernerhin bis zu einer Ursache, die nicht zufällig und eben darum ohne Bedingung nothwendigerweise da ist.“ (KrV B 612) Der Gedanke einer Existenz unbedingter Notwendigkeit wird sodann mit demjenigen unter allen Begriffen möglicher Dinge verbunden, welcher „nichts der absoluten Nothwendigkeit Widerstreitendes in sich hat“ (KrV B 613). Es ist dies der Begriff eines schlechthin notwendigen Wesens („ens necessarium“), welches die Bedingungen zu allem Möglichen unbedingt in sich enthält und damit als Wesen von der höchsten Realität („ens realissimum“) zu gelten hat, dessen Dasein Identitätsimplikat seines Begriffs sein soll. Die Existenz Gottes, der als absolute Einheit vollständiger Realität Grund und Ursprung alles Möglichen ist, scheint damit bewiesen. Obwohl er „nicht allein für den gemeinen, sondern auch den speculativen Verstand die meiste Überredung bei sich führt“ (KrV B 632), erzeugt der „a contingentia mundi“ ausgehende und von der weltbegründenden Notwendigkeit des Absoluten auf das Dasein eines allerrealsten Wesens schließende kosmologische Beweis nach Kants erkenntniskritischem Urteil nichts als bloßen Schein. Denn wenngleich der Begriff des „ens realissimum“ der einzige ist, durch den ein „ens necessarium“ gedacht werden kann, so ist die Behauptung der Existenz des solchermaßen Gedachten nichtsdestoweniger eine Erschleichung, die verkennt, dass synthetische Urteile vor aller Erfahrung nur in Beziehung auf mögliche Erfahrung, nicht aber in Ablösung von dieser möglich sind. Kurzum: Kosmotheologie macht vom transzendentalen Ideal der „omnitudo realitatis“ statt des einzig möglichen regulativen einen konstitutiven Gebrauch. Vom regulativen Prinzip der Vernunft, um der Funktionseinheit ihrer Erkenntnis von allem Möglichen und Wirklichen willen die Idee eines Absolutnotwendigen und Allerrealsten auszubilden, einen irregulären, nämlich konstitutiven Gebrauch zu machen, ist schließlich auch der kritische Einwand, der gegen das sog. ontologische Argument angeführt wird, auf das sich nach Kant zuletzt alle spekulativen Beweisformen des Daseins Gottes reduzieren lassen. Der ontologische Beweis abstrahiert nicht nur – wie der kosmologische im Unterschied zum physikoteleologischen – von aller bestimmten, sondern von Erfahrung überhaupt, um gänzlich „a priori“ und rein begrifflich auf die Existenz des Absoluten zu schließen.

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Verknüpfte der kosmologische Beweis den aus der Erfahrung unbestimmter Kontingenz resultierenden Gedanken absoluter Notwendigkeit mit dem Begriff der höchsten Realität, um aus ihr die Existenz des „ens realissimum“ zu folgern, kehrt das ontologische Argument das Verfahren um, um von der Idee der höchsten Realität auf das absolut-notwendige Dasein eines in höchstem Maße realen Wesens zu schließen. Was alle Realität in sich enthält und von aller Bedingung unabhängig der unbedingt zureichende Grund alles Bedingten ist, beinhaltet seinem Begriff nach die schlechterdings notwendige Existenz seiner selbst, womit, so der Schluss, das Dasein Gottes bewiesen sei, weil jeder andere Schluss sich selbst widerspreche und damit zersetze. Dem hält Kant entgegen, dass die Behauptung der Nichtexistenz dessen, was der Begriff „ens necessarium“ bzw. „ens realissimum“ benennt, nicht den mindesten Widerspruch enthalte. „Wenn ich das Prädicat in einem identischen Urtheile aufhebe und behalte das Subject, so entspringt ein Widerspruch, und daher sage ich: jenes kommt diesem nothwendiger Weise zu. Hebe ich aber das Subject zusammt dem Prädicate auf, so entspringt kein Widerspruch; denn es ist nichts mehr, welchem widersprochen werden könnte. Einen Triangel setzen und doch die drei Winkel desselben aufheben, ist widersprechend, aber den Triangel sammt seinen drei Winkeln aufheben, ist kein Widerspruch. Gerade eben so ist es mit dem Begriffe eines absolut nothwendigen Wesens bewandt. Wenn ihr das Dasein desselben aufhebt, so hebt ihr das Ding selbst mit allen seinen Prädicaten auf; wo soll alsdann der Widerspruch herkommen?“ (KrV B 622f.) Die logische Nichtwidersprüchlichkeit des Satzes „Gott ist nicht“ wird durch die Einsicht bestätigt, die Kant bereits in seiner Schrift über den einzig möglichen Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes von 1763 (vgl. Akad. Ausg. II, 63–163) vorgetragen hatte, dass nämlich Existenz gar kein reales Prädikat, also ein Begriff von irgendetwas sei, was zu dem Begriff eines Dinges hinzukomme, da es lediglich dessen absolute Position oder Setzung und sonst nichts bezeichne. In diesem Sinne enthalten hundert wirkliche Taler nicht das mindeste mehr als hundert mögliche, womit gemeint ist, dass in einem Existierenden nichts mehr gesetzt ist als in einem bloß Möglichen. Dass ein allerrealstes Wesen sei, besagt insofern nichts weiter als der Begriff des allerrealsten Wesens selbst. Eine wirkliche, über den bloßen Begriff Gottes hinausgehende Aussage ist also mit dem Satz, dass Gott existiere, nicht gemacht. Die Vernunft hat sich deshalb bei der Idee Gottes zu bescheiden, um von ihr lediglich einen regulativen und keinen konstitutiven Gebrauch zu machen. Während er 1763 um der Denkbarkeit der Dinge willen die Existenz eines „ens realissimum“ noch meinte annehmen zu müssen, was bei aller vorhergehenden Kritik auf eine Erneuerung des ontologischen Arguments hinauslief, genügt Kant 1781 die bloße Idee eines Inbegriffs aller Realität als Voraussetzung der inneren Möglichkeit und Denkbarkeit der Dinge, ohne dass von Existenz und objektiver Realität dieser Idee die Rede sein könnte und müsste. Die Annahme, die dem Verstand zur durchgängigen Bestimmung seiner Begriffe vorauszusetzende Voraussetzung sei ein wirkliches Wesen, entbehrt nach dem Urteil der Kritik der reinen Vernunft jedes fundierenden Grundes. Wie an allen Gottesbeweisen, so ist

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denn auch am ontologischen als dem gründlichsten von ihnen „alle Mühe und Arbeit verloren“ (KrV B 630): „für Objecte des reinen Denkens ist ganz und gar kein Mittel, ihr Dasein zu erkennen, weil es gänzlich a priori erkannt werden müsste; unser Bewußtsein aller Existenz aber (es sei durch Wahrnehmung unmittelbar, oder durch Schlüsse, die etwas mit der Wahrnehmung verknüpfen) gehört ganz und gar zur Einheit der Erfahrung; und eine Existenz außer diesem Felde kann zwar nicht schlechterdings für unmöglich erklärt werden, sie ist aber eine Voraussetzung, die wir durch nichts rechtfertigen können.“ (KrV B 629)

8. Religion als Beförderungsmittel der Moral

Lit.: J. Bohatec, Die Religionsphilosophie Kants in der „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“. Mit besonderer Berücksichtigung ihrer theologisch-dogmatischen Quellen, Hamburg 1938 (Nachdr. Hildesheim 1966). – Kant’s gesammelte Schriften. Hg.v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Erste Abtheilung: Werke, Berlin 1910ff. (= Akad. Ausg.). – Ders., Vorlesungen über die philosophische Religionslehre. Hg.v. K.H.L. Pölitz, Leipzig 1830 (Darmstadt 1982).

Drei Fragen sind es, welche die um Selbstaufklärung bemühte Vernunft nach Immanuel Kant (1724–1804) wesentlich bewegen: „1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich thun? 3. Was darf ich hoffen?“ (KrV B 833; bei K. gesperrt) Die erste Frage hat die theoretische, die zweite die praktische, die dritte die Philosophie der Religion zu beantworten. Was die Antwort auf die erste Frage anbelangt, so fiel sie in Bezug auf die überkommene rationale Metaphysik wesentlich kritisch aus. Das Land des Verstandes, heißt es gegen Ende der transzendentalen Analytik der „Kritik der reinen Vernunft“, ist eine Insel der Wahrheit, „umgeben von einem weiten und stürmischen Oceane, dem eigentlichen Sitze des Scheins, wo manche Nebelbank und manches bald wegschmelzende Eis neue Länder lügt und, indem es den auf Entdeckungen herumschwärmenden Seefahrer unaufhörlich mit leeren Hoffnungen täuscht, ihn in Abenteuer verflechtet, von denen er niemals ablassen und sie doch auch niemals zu Ende bringen kann“ (KrV B 295). Die Rede ist von metaphysischen Exkursionen. Um weitere Irrfahrten im uferlosen Meer der Metaphysik zu vermeiden, dessen unendlicher Horizont kein erreichbares Ziel erkennen und keine Spur des Fortschritts aufkommen lässt, will Kant konsequent das Land der Erfahrungswelt im verständigen Auge behalten und von Vernunftideen nur regulativen Gebrauch machen in Beziehung auf sie. Durch seine Erkenntniskritik hält er es für hinreichend erwiesen, dass sich von noumenalen Gegenständen aus dem einfachen Grunde keine theoretisch-ontologische Einsicht gewinnen lässt, weil allen Begriffen eine Anschauung und zwar eine sinnliche Anschauung unterlegt werden können muss, um ihnen objektive Realität zu verschaffen. Von der Natur übersinnlicher Gegenstände wie Gott, intelligibles Weltganzes und unsterbliche Menschenseele hingegen gibt es nach Kant keine reale Erkenntnis, die rational erschwinglich wäre. Für das Verständnis der Religion konnte dies nicht folgenlos bleiben. Der neuzeitspezifische Allgemeinbegriff der Religion verdankt seine Bedeutung, Theoretische Vernunftkritik in praktischer Absicht

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wie erwähnt, im Wesentlichen einem durch die Spaltung der westlichen Christenheit initiierten Prozess der Differenzierung zwischen konfessionell strittigen und solchen – das menschliche Transzendenzverhältnis betreffenden – Überzeugungsbeständen, die überkonfessionellen Anspruch auf fundamental- und universalanthropologische Geltung erheben. Die für den generalisierten Begriff der Religion in der Moderne kennzeichnende Differenzierung zwischen der ihm eigenen Allgemeinheit und der Besonderheit spezifischer Überlieferungen reflektiert sich in der Unterscheidung etwa zwischen natürlich-vernünftiger und positiv-geoffenbarter Religion, wie sie seit Herbert von Cherbury (1583–1648) immer wieder begegnet, oder zwischen individueller Privatreligion und professioneller Fachgelehrtentheologie im Dienste öffentlich-kirchlicher Religion, wie sie sich exemplarisch bei Johann Salomo Semler (1725–1791) findet. Umgriffen waren diese Unterscheidungen unbeschadet ihrer Differenziertheit in aller Regel von der selbstverständlichen Gewissheit bewusstseins- und subjektivitätstranszendenter Realität der traditionellen Grundannahmen rationaler Metaphysik. Das wird mit Kant paradigmatisch anders: Gott, Schöpfungswelt und unsterbliche Seele verlieren den Status theoretisch verifizierbarer Realitäten und substantialer Vorgegebenheiten, um Funktionen moralischer Selbstverständigung der auf praktischen Vernunftgebrauch verwiesenen Subjektivität des Menschen zu werden. Das Wesen der Religion und die Einheit ihres Begriffs, den Kant in allen religiösen Erscheinun- Kants Moralreligion gen gewahrt wissen will, hängt nach seinem Urteil an deren Moraldienlichkeit: „Ich glaube an einen einigen Gott, als den Urquell alles Guten in der Welt, als seinen Endzweck; – ich glaube an die Möglichkeit, zu diesem Endzweck, dem höchsten Gut in der Welt, sofern es am Menschen liegt, zusammenzustimmen; – ich glaube an ein künftiges ewiges Leben, als der Bedingung einer immerwährenden Annäherung der Welt zum höchsten in ihr möglichen Gut.“ (Akad. Ausg. XX, 298) So steht es zu lesen in der Antwort auf die Frage, welches die wirklichen Fortschritte sind, welche die Metaphysik seit Leibnizens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht hat (Akad. Ausg. XX, 253–351). Das moralreligiöse Credo Kants bekennt erstens das allverpflichtende Wesen Gottes, der als oberster Sittenherr und Schöpfer der Welt Naturkausalität und Kausalität aus Freiheit zu vereinen vermag, zweitens die Freiheit des Menschen, der seine Pflicht gegen alle natürlichen Widerstände zu behaupten und durchzuführen imstande ist, sowie drittens die Unsterblichkeit als einen Zustand, in welchem sich Sittlichkeit und Sinnlichkeit in einem moralisch wohlproportionierten Verhältnis befinden werden. Damit ist die dem Gesetz praktischer Vernunft folgende wahre Lehre der einen natürlichen und rationalen Religion umschrieben, welche die Bemessungsgrundlage aller statutarischen Lehren historischer Religionen und ihres offenbarungstheologisch aufbereiteten Kirchenglaubens bilden. Gesagt ist zugleich, dass es Religionsphilosophie nur im Zusammenhang und auf der Basis einer Philosophie der Sittlichkeit geben kann, weil sich religiöse Hoffnungsgründe angemessen nur pflegen lassen, wenn klar ist, was moralisch zu tun und zu lassen

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ist. Der Erörterung von Kants Religionsverständnis muss daher eine Skizze seiner praktischen Philosophie notwendig vorausgehen. Man denke sich, heißt es sinngemäß in der Methodenlehre der „Kritik der praktischen Vernunft“ (Akad. Ausg. V, 1–163) von 1788, die Geschichte eines redlichen Mannes, den man durch Anerbieten hoher Gewinne sowie durch Androhung ebensolcher Verluste nicht nur des Geldes allein, sondern des Ranges und des äußeren Ansehens dazu bewegen will, eine unschuldige Person wider besseres Wissen anzuklagen und zu verleumden. Auf Weigerung hin wird der Druck allmählich gesteigert bis hin zur Androhung des Todes; zuletzt bietet man Weib und Kind gegen den Unglücklichen auf, die flehentlich um Nachgiebigkeit bitten, damit Witwenschaft und Waisentum, äußerste Not und mögliche sonstige Drangsal von ihnen abgewendet werde. Doch auch in diesem Augenblicke, „darin er wünscht den Tag nie erlebt zu haben, der ihn einem so unaussprechlichen Schmerz aussetzte“ (Akad. Ausg. V, 156), bleibt der äußerer und innerer Folter ausgesetzte Redliche seinem gefassten Vorsatz der Redlichkeit treu, ohne äußerlich zu wanken und innerlich zu zweifeln. Mit der Evidenz der Gewissensgewissheit, die sein Personsein ausmacht, weiß er, dass das aus moralischer Pflicht Gesollte, weil es unbedingt und nicht bloß bedingungsweise gefordert ist, unter allen Umständen getan werden muss und auch getan werden kann. Nun erzähle man diese Geschichte einem Zehnjährigen und lege sie ihm zur Beurteilung vor: er wird nach Kant „stufenweise von der bloßen Billigung zur Bewunderung, von da zum Erstaunen, endlich bis zur größten Verehrung und einem lebhaften Wunsche, selbst ein solcher Mann sein zu können ..., erhoben werden“ (ebd.). „Quod erat demonstrandum“: Im Menschen waltet, sobald er zum entwickelten Bewusstsein seiner selbst kommt, in Form reinen Gesetzes der Wille, der Vernunft als einem Allgemeinverbindlichen unbedingt zu entsprechen. Dieser Allgemeinwille ist vom besonderen Wollen des Einzelnen unterschieden, so wie das „Ich denke“ transzendentaler Apperzeption vom empirischen Ich zu unterscheiden ist. Doch ist der Unterschied beide Male nicht als Trennung misszuverstehen, sofern hier wie dort ein Zusammenhang besteht, der im Falle praktischen Vernunftgebrauchs in der Forderung Ausdruck findet, dass alles besondere Wollen dem Allgemeinwillen um der Selbstentsprechung praktischer Vernunft willen zu entsprechen habe. Hinzuzufügen ist, dass die Analogie theoretischer und praktischer Vernunft nach Kant in der Tatsache sowohl ihre Bestätigung als auch ihre Grenze findet, dass die notwendige Annahme der Einheitsfunktion transzendentaler Apperzeption zu keinen synthetischen Urteilen berechtigt, welche theoretische Erkenntnisse vernunfterweiternder Art erschließen, wohingegen im praktischen Vernunftgebrauch die Gewissheit der objektiven Realität von subjektiver Freiheit als dem Vermögen spontanen, empirietranszendenten Vernunfthandelns auf ebenso elementare wie unveräußerliche Art mitgesetzt ist. Von daher versteht es sich, dass der praktische Gebrauch der Vernunft als der, wie Kant sagt, kanonische zu gelten hat. Den pädagogischen Zweck, auf narrative Weise zur Einsicht in die Erhabenheit des aller Sinnlichkeit überlegenen Sittengesetzes praktischer Vernunft zu erheben,

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hatte Kant in großem Stil bereits in seiner 1785 Das Sittengesetz praktischer erschienenen „Grundlegung der Metaphysik der Vernunft Sitten“ verfolgt, die als eine Erziehungsgeschichte des Menschengeschlechts gelesen werden kann. Sie nimmt ihren Ausgang von der jedermann zugänglichen sittlichen Vernunfterkenntnis, um über diverse moralphilosophische Zwischenstufen zum obersten – in der Sittenerkenntnis des gemeinen Mannes implizit, wenngleich auf begrifflich unentwickelte Weise immer schon enthaltenen – Prinzip der Moralität zu führen und auf diese Weise den Grund zur „Metaphysik der Sitten“ zu legen, die Kant im Jahre 1797 in zwei Teilen publizierte. Der Kritik der praktischen Vernunft kommt nicht nur in zeitlicher, sondern auch in sachlicher Hinsicht eine Mittelstellung insofern zu, als sie durch Abweisung aller empirischen Beimischungen die praktische Vernunft in ihrer Reinheit konstruktiv zur Geltung zu bringen bestrebt ist. Entscheidend ist dabei die Einsicht, dass das menschliche Glückseligkeitsstreben niemals der Bestimmungsgrund von Moralität und Sittlichkeit sein kann, sollen diese ihrem Begriff entsprechen. Glückseligkeit ist zwar „nothwendig das Verlangen jedes vernünftigen, aber endlichen Wesens und also ein unvermeidlicher Bestimmungsgrund seines Begehrungsvermögens“ (Akad. Ausg. V, 25). Doch darf das durch Lust und Unlust gekennzeichnete Begehrungsvermögen – Kant bestimmt es als das Vermögen, durch seine Vorstellungen Ursache der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein – keineswegs zur Basis praktischer Vernunft erklärt werden, wenn diese in ihrer Reinheit zur Geltung kommen soll. Dies ist nur auf apriorische, rein vernunftorientierte und nicht auf aposteriorische, sinnlich vermittelte Weise möglich. Grundsätze reiner praktischer Vernunft können daher nur als solche gedacht werden, „die nicht der Materie, sondern blos der Form nach den Bestimmungsgrund des Willens enthalten“ (Akad. Ausg. V, 27). Wird dies konsequent erfasst, dann lassen sich alle denkbaren Grundsätze reiner praktischer Vernunft auf ein Prinzip reduzieren, das als Grundgesetz der Moral fungiert: „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Princip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“ (Akad. Ausg. V, 30) Damit ist mit einer möglichen Variante umschrieben, was Kant den kategorischen Imperativ nennt. Der Imperativ, der aus dem Grundgesetz der Moral folgt, ist kategorisch, weil er unbedingt, nämlich aus reinen Vernunftgründen gebietet und nicht lediglich hypothetisch und unter bedingungsweiser Berücksichtigung sinnlichen Strebens des Begehrungsvermögens. Ein hypothetischer Imperativ, der die praktische Notwendigkeit einer möglichen Handlung lediglich mit dem Hinweis begründet, sie sei zur Realisierung einer bestimmten Absicht gut, nimmt diese nur als Mittel zum Zweck; der kategorische Imperativ hingegen gebietet die Handlung ohne Beziehung auf eine Absicht und einen außerhalb des Gebots liegenden Zweck, sondern auf rein selbstzweckliche und daher nicht lediglich assertorische, sondern apodiktische Weise. Das Grundgesetz der Moral selbst macht die Handlung, die geschehen soll, objektiv als notwendig vorstellig und damit zur Pflicht. Davon unterscheidet sich der kategorische Imperativ lediglich darin, dass er das durch das

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Grundgesetz der Moral in Form reinen Willens praktischer Vernunft zur Pflicht Gemachte nach Art einer praktischen Regel auf konkretes Wollen anwendet, damit eine in subjektiver Willkür gewollte und insofern zufällige Handlung eine notwendige und vernünftige werde. Dabei ist die Vorschrift, die der kategorische Imperativ macht, in keiner Weise heteronom, weil sie aus keinem fremden Gesetz, sondern aus dem der Vernunft eigenen hervorgeht. Indes ist Vernunftautonomie nach Kant gerade das Gegenteil unmittelbarer Selbstbestimmung individueller Subjekte, die als sittlich grundverkehrt beurteilt werden muss. Auch darf vernünftige Auto- bzw. Eleutheronomie mit der Indifferenzfreiheit eines „liberum arbitrium“ willkürlicher Wahl mitnichten verwechselt werden. Autonome Freiheit als Freiheit vernünftigen Willens enthält Willkür ausschließlich in Form eines aufgehobenen Moments und entspricht ihrem Begriff ausschließlich und nachgerade darin, dass sie alles besondere Wollen an den einen Willen bindet, der nichts als das Allgemeinverbindliche will. Pflicht ist in diesem Sinne diejenige Handlung, Die Freiheit vernünftigen die jedermann vernunftnotwendig und in AchWillens tung vor sich selbst als eines intelligiblen Vernunftwesens zu vollziehen hat. Zwar ist der Mensch gegenständlich betrachtet als intelligibles Vernunftwesen nicht erkennbar, und auch die empirische Selbsterfahrung vermag ihm eine objektive Einsicht seiner Noumenalität nicht zu verschaffen, worin sich nach Kant bestätigt, dass Theorie zu empirietranszendenten Realitätsannahmen weder befähigt noch befugt ist. Gleichwohl vermittelt die Gewissensgewissheit des nach Maßgabe praktischer Vernunft Gesollten dem Menschen das Selbstbewusstsein einer Freiheit, die alles Sinnliche übersteigt und nichtsdestoweniger als objektive Realität praktisch unbezweifelbar gewiss ist. Mit der Metaphysik der Sitten gesprochen: „Der Begriff der Freiheit ist ein reiner Vernunftbegriff, der eben darum für die theoretische Philosophie transscendent, d.i. ein solcher ist, dem kein angemessenes Beispiel in irgend einer möglichen Erfahrung gegeben werden kann, welcher also keinen Gegenstand einer uns möglichen theoretischen Erkenntniß ausmacht und schlechterdings nicht für ein constitutives, sondern lediglich als regulatives und zwar nur bloß negatives Princip der speculativen Vernunft gelten kann, im praktischen Gebrauch derselben aber seine Realität durch praktische Grundsätze beweiset, die als Gesetze eine Causalität der reinen Vernunft, unabhängig von allen empirischen Bedingungen (dem Sinnlichen überhaupt) die Willkür zu bestimmen, und einen reinen Willen in uns beweisen, in welchem die sittlichen Begriffe und Gesetze ihren Ursprung haben.“ (Akad. Ausg. VI, 221) An der gewissen Präsenz eines reinen Willens praktischer Vernunft im Menschen hängt nach Kant nicht weniger als das menschliche Personsein. Um noch einmal die Metaphysik der Sitten zu zitieren: „Person ist dasjenige Subject, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind. Die moralische Persönlichkeit ist also nichts anders, als die Freiheit eines vernünftigen Wesens unter moralischen Gesetzen (die psychologische aber bloß das Vermögen, sich der Identität seiner selbst in den verschiedenen Zuständen seines Daseins bewußt zu werden), woraus dann

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folgt, daß eine Person keinen anderen Gesetzen als denen, die sie (entweder allein, oder wenigstens zugleich mit anderen) sich selbst giebt, unterworfen ist.“ (Akad. Ausg. VI, 223) Vernünftig und dem Personsein der Person entsprechend sind diese Gesetze dann, wenn sie mit der Achtung des eigenen Personseins zugleich das Personsein aller Menschenwesen zu achten gebieten, was nichts anderes heißt, als dass jeder Mensch als Selbstzweck und niemals als bloßes Mittel zum Zweck oder gar als Sache zu gelten habe. Kant kann daher den kategorischen Imperativ mit Worten seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten auch so formulieren: „Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ (Akad. Ausg. IV, 385–463, hier: 429) In den diversen Formen des kategorischen Imperativs ist stets das eine und invariante Pflicht- Recht und Moral gesetz der Freiheit umschrieben, welches Grund und Inhalt der Metaphysik der Sitten bildet. Für deren konkrete Durchführung, die hier nur skizziert werden kann, ist die Unterscheidung von Legalität und Moralität bestimmend. Gemeinsam ist beiden die pflichtgemäß geforderte Übereinstimmung mit dem Sittengesetz. Unterschieden sind sie dadurch, dass Legalität lediglich äußere, Moralität hingegen innere Konformität mit dem Gesetz sittlicher Freiheit verlangt. Die Gliederung der Metaphysik der Sitten in Rechts- und Tugendlehre orientiert sich hieran: Während Rechtsgesetze nur die äußere Handlung und deren Gesetzmäßigkeit betreffen, gehen Tugendgesetze die inneren Bestimmungsgründe der Handlungen und damit die subjektiven Maximen an. Die Rechtslehre ist lediglich an juridischer Legalität interessiert, durch welche die äußere Sphäre der Freiheit gewährleistet wird; die Tugendlehre hingegen fordert, dass die Triebfedern der pflichtgemäßen Handlungen selbst den Grundsätzen reiner Pflicht entstammen. Was das Recht als den Inbegriff der BedingunPrivatrecht und öffentliches gen anbelangt, „unter denen die Willkür des ei- Recht nen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“ (Akad. Ausg. VI, 230), so lautet ihr allgemeines Gesetz: „handle äußerlich so, daß der freie Gebrauch deiner Willkür mit der Freiheit von jedermann nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen könne.“ (Akad. Ausg. VI, 231) In der Äußerlichkeit des Rechts und seiner Funktion, die externen Bedingungen der Freiheit zu ermöglichen und zu sichern, liegt es begründet, dass es mit der Befugnis, zu zwingen, elementar verbunden ist, wohingegen die Tugend ihrem inneren Zwecke gemäß jeden Zwang moralisch ausschließt. Die Rechtspflichten bestehen aus natürlichen einerseits und bürgerlichen andererseits: Die ersteren regelt das Privatrecht als Inbegriff der Gesetze, die keiner äußeren Bekanntmachung bedürfen; die zweiten ordnet das öffentliche Recht, deren Gesetze äußerer Bekanntmachung bedürfen. Das Privatrecht hat das äußere Mein und Dein zum Gegenstand und handelt im Wesentlichen von der Art, etwas Äußeres als das Seine zu haben oder etwas Äußeres

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zu erwerben. Das Privatrecht äußerer Erwerbung hinwiederum unterteilt sich in Sachenrecht, persönliches Recht und in das, wie es heißt, auf dingliche Art persönliche Recht (Ehe-, Eltern-, Hausherrnrecht etc.). Der Übergang von Privatrecht zu öffentlichem Recht ist durch die Einsicht vermittelt, dass natürliche Rechtsansprüche nur unter der Bedingung ihrer bürgerlichen Sanktionierung mit Erfolg geltend gemacht werden können. Es bedarf mithin eines durch Verfassung konstituierten öffentlichen Rechtszustandes, der die differenten Willen vereinigt, damit sie dessen, was rechtens ist, überhaupt teilhaftig werden können. Das öffentliche Recht besteht näherhin aus Staats-, Völker- und Weltbürgerrecht. Letzteres ist durch das rechtliche Prinzip friedlicher Koexistenz aller Völker charakterisiert. Kants philosophischer Entwurf „Zum ewigen Frieden“ aus dem Jahre 1795 (Akad. Ausg. VIII, 341–386) gehört in diesen Zusammenhang. Er enthält nicht nur ein entschiedenes Plädoyer für eine republikanische Staatsverfassung, welche auf den Prinzipien der Freiheit, Gleichheit und Solidarität erbaut ist, sondern auch zukunftsweisende Vorschläge für einen völkerrechtlich geordneten Föderalismus freier Staaten, der dem Weltbürgerrecht dergestalt Geltung verschafft, dass die Verkehrung des Rechts an einem Platz der Erde überall wahrgenommen wird. Mögliche Widersprüche zwischen Realpolitik und Moral stellt Kant faktisch, nicht aber prinzipiell in Rechnung. Dass alles, was in der moralischen Theorie als recht erkannt ist, auch für die Praxis gelten müsse, wurde bereits 1793 klargestellt, nämlich in Reflexionen „Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis“ (Akad. Ausg. VIII, 273–313). Während die Rechtslehre („ius“) als erster Teil des Pflicht und Tugend Systems der allgemeinen Pflichtenlehre, deren Anfangsgründe die Metaphysik der Sitten enthält, nur die äußere Nötigung der freien Willkür durch das Gesetz betrifft, ist für die Tugendlehre („ethica“) der Selbstzwang der Freiheit entscheidend, durch welchen die Pflicht als innerer Zweck allen Tuns und Lassens gesetzt wird. Das oberste Prinzip der Tugendlehre gebietet: „handle nach einer Maxime der Zwecke, die zu haben für jedermann ein allgemeines Gesetz sein kann“ (Akad. Ausg. VI, 395). Als Zwecke, die zugleich Pflichten sind, kommen für Kant lediglich zwei in Frage, welche unbeschadet ihrer Unterschiedenheit einen einigen Zusammenhang ausmachen: eigene Vollkommenheit und fremde Glückseligkeit. Die Tugend, nach eigener sittlicher Vollkommenheit zu streben, ist eine durch seine Selbstzwecklichkeit unmittelbar geforderte Pflicht des Menschen gegen sich selbst. Der Mensch erfüllt diese Pflicht gegen sich selbst dadurch, dass er erstens seine sinnlich-animalische Natur erhält und nicht zugrunde richtet oder verkommen lässt und dass er zweitens durch Meidung von Lastern sein moralisches Wesen kultiviert, damit dieses seines sinnlichen Wesens Herr sei und bleibe. Um solche Selbstbeherrschung leisten zu können, muss der Mensch seine Intelligiblität erkennen und Einsicht gewinnen in den Unterschied seiner noumenalen und seiner phänomenalen Seinsweise. Dazu ist Selbsterkenntnis und Gewissenserforschung nötig, welche beide zu den elementaren sittlichen Pflichten des Menschen gegen sich selbst zu rechnen sind.

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Ist das erste Gebot aller Pflichten, die der Mensch gegen sich selbst hat, auf sittliche Selbsterkenntnis zum Zwecke moralischer Vervollkommnung ausgerichtet, so bezwecken die Tugendpflichten gegen andere deren Glückseligkeit. Im Einzelnen handelt es sich dabei um die Liebespflichten der Wohltätigkeit, der Dankbarkeit und der Teilnahme sowie um Achtungspflichten, die Hochmut, üble Nachrede und Spott vermeiden. Dabei kommt als Bezugsgröße tugendhafter Pflichtübung gegen andere stets und ausschließlich der Mitmensch in Frage, wohingegen von Pflichten des Menschen gegen nichtmenschliche Wesen im Falle untermenschlicher Wesen wie etwa der Tiere oder Pflanzen nur indirekt und im Falle übermenschlicher Wesen überhaupt nicht die Rede sein kann. Die Religionslehre, sofern sie Pflichten gegen Gott zum Inhalt hat, liegt, wie Kant zum Schluss seiner Metaphysik der Sitten eigens betont, außerhalb der Grenzen der reinen Moralphilosophie. Denn zur philosophischen Moral gehört nicht das Materiale der Religion im Sinne gegebener Pflichten gegen („erga“) Gott, sondern nur das Formale derselben im Sinne des Inbegriffs aller Pflichten als („instar“) göttlicher Gebote, wodurch „nur die Beziehung der Vernunft auf die Idee von Gott, welche sie sich selber macht, ausgedrückt wird“ (Akad. Ausg. VI, 487). In diesem Sinne kann Kant die Ausbildung der Idee Gottes als Pflicht des Menschen gegen sich selbst bezeichnen, die der Stärkung subjektiver Maximen dient, aber keine objektiven Verbindlichkeiten zur Dienstleistung einem transzendenten Wesen gegenüber begründet. Entsprechendes gilt für die Ideen von Freiheitswelt und unsterblicher Menschenseele, die wie die Gottesidee zu Postulaten praktischer Vernunft erklärt werden. Kants Kritik der theoretischen Beweise des Postulate praktischer Daseins Gottes enden mit der lakonischen Fest- Vernunft stellung, „daß alle Versuche eines bloß speculativen Gebrauchs der Vernunft in Ansehung der Theologie gänzlich fruchtlos und ihrer inneren Beschaffenheit nach null und nichtig sind, daß aber die Principien ihres Naturgebrauchs ganz und gar auf keine Theologie führen; folglich, wenn man nicht moralische Gesetze zum Grunde legt oder zum Leitfaden braucht, es überall keine Theologie der Vernunft geben könne. Denn alle synthetische Grundsätze des Verstandes sind von immanentem Gebrauch; zu der Erkenntnis eines höchsten Wesens aber wird ein transscendenter Gebrauch derselben erfordert, wozu unser Verstand gar nicht ausgerüstet ist.“ (KrV B 664) Die Idee eines höchsten Wesens muss für den theoretischen Vernunftgebrauch demgemäß ein bloßes, wenngleich fehlerfreies Ideal bleiben, ein Begriff, dessen Realität zwar nicht widerlegt, aber ebenso wenig bewiesen werden kann wie die auf Freiheit hin angelegte Zweckmäßigkeit der natürlichen Welt oder die Unsterblichkeit und Ewigkeitsbedeutung der Menschenseele. Zu beheben ist dieses Defizit theoretischer Vernunft nur durch praktischen Vernunftgebrauch und eine ihm entsprechende Moral- bzw. Ethikotheologie, welche zusammen mit der unsterblichen Menschenseele und der Realität bzw. Realisierbarkeit einer intelligiblen Welt der Freiheit auch das Dasein Gottes zu postulieren berechtigt und befähigt ist.

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Postulate sind nach Kants eigener Definition praktische Sätze von unmittelbarer Gewissheit; theoretisch betrachtet handelt es sich um Hypothesen, die in praktischer Vernunftabsicht notwendig sind (vgl. Logik § 38; Akad. Ausg. IX, 112). Moralische Freiheit ist nach Kant der einzige Begriff des Übersinnlichen, welcher nicht nur die subjektive Evidenz seiner Geltung, sondern zugleich den Anspruch objektiver Realität unmittelbar mit sich führt, Natur durch spontanes Handeln zweckmäßig gestalten und durchdringen zu können. Daher darf und muss sich praktische Vernunft in der Lage wissen, das Dasein Gottes, die Beständigkeit des intelligiblen Ich sowie die schließliche Wirklichkeit einer Welt realisierter Freiheit als theoretische Hypothesen mit praktischer Vernunftgeltung zu postulieren. Während die theoretische Vernunft unvermögend ist, ihrem Verlangen nach einer absoluten Totalität der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten objektive Geltung zu verschaffen, ist die der spekulativen – aus Gründen zu fordernder Selbstentsprechung der Vernunft – vorzuordnende praktische Vernunft mit Vernunftnotwendigkeit dazu bestimmt, die unbedingte Totalität ihres Gegenstandes als „conditio sine qua non“ ihrer selbst in Anschlag zu bringen. Kants Primärbezeichnung für die unbedingte Totalität des Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft ist das höchste Gut. Fungiert als oberstes Gut der Sittlichkeit Tugend als Würdigkeit zur Glückseligkeit, so beinhaltet das höchste und vollendete Gut die Einheit von Tugend und Glückseligkeit. Dabei bleibt die Tugend als das oberste Gut die Bedingung des höchsten Gutes insofern, als die vollendete Einheit von Tugend und Glückseligkeit nur nach Maßgabe der Tugendhaftigkeit gedacht werden kann; ein praktischer Ungedanke, der tendenziell der Unsittlichkeit zuneigt, wäre nach Kant indes nicht nur die Forderung einer nicht tugendbedingten Glückseligkeit, sondern auch die metaphysische Annahme beständiger Inkongruenz von Tugend und Glückseligkeit. Um sie zu vermeiden, ist praktische Vernunft nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, die Idee des höchsten Gutes und mit ihr diejenige Gottes, der unsterblichen Seele und der intelligiblen Welt realisierter Moral auszubilden. Die Idee der Existenz Gottes ist ein konstitutives Implikat der Idee des höchsten Gutes, da nur ein Wesen, das absoluter Sittenrichter und allmächtiger Herr der sinnlichen Welt zugleich ist, die Übereinstimmung von Naturkausalität und Kausalität aus Freiheit, Sinnlichkeit und Sittlichkeit, Glückseligkeit und Tugend zu gewährleisten vermag. Aus diesem Grund ist es moralisch notwendig, das Dasein Gottes anzunehmen. Das moralische Postulat Gottes als eines höchsten ursprünglichen Gutes wiederum ist mit demjenigen einer die Intelligibilität der Freiheit gewährleistenden und die Einheit von Glückseligkeit und Sittlichkeit realisierenden Welt untrennbar verbunden. Diese wird als abgeleitetes höchstes Gut in der Idee eines Reiches Gottes vorstellig, in der Natur und Sitte vollkommen (also nach Maßgabe der Sittlichkeit) eins sind. Zusammen mit dem höchsten Wesen Gottes und einer intelligiblen Welt hat schließlich auch die Unsterblichkeit der Menschenseele als Postulat der reinen praktischen Vernunft Anspruch auf moralische Objektivität, sofern nur unter Voraussetzung einer ins Unendliche fortdauernden Ichexistenz verlässlich auf eine letztendliche Übereinstim-

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mung von Tugend und Glückseligkeit gehofft werden kann, die den Gesetzen der Pflicht gemäß ist. Kants Postulatenlehre erklärt die Religion zu einer Funktion der Moral. So zweifelsfrei dies fest- Ethikotheologie steht, so wenig eindeutig ist die Bestimmung, die dem Funktionszusammenhang von Moral und Religion im Gesamtsystem zuteil wird. Noch in den beiden Auflagen der „Kritik der reinen Vernunft“ scheint Kant von einer konstitutiven Bedeutung des Gottesgedankens für die Grundlegung der Ethik überzeugt gewesen zu sein. „Ohne ... einen Gott und eine für uns jetzt nicht sichtbare, aber gehoffte Welt“, so heißt es dort, „sind die herrlichen Ideen der Sittlichkeit zwar Gegenstände des Beifalls und der Bewunderung, aber nicht Triebfedern des Vorsatzes und der Ausübung, weil sie nicht den ganzen Zweck, der einem jeden vernünftigen Wesen natürlich und durch eben dieselbe reine Vernunft a priori bestimmt und nothwendig ist, erfüllen“ (KrV B 841). Zwar sei die Moralität bereits an sich mit Glückseligkeit verbunden zu denken, da sie gemäß ihrer Maxime die Vermittelbarkeit der Freiheit aller ermögliche und so zur Ursache allgemeiner und dauerhafter Wohlfahrt werde. „Aber dieses System der sich selbst lohnenden Moralität ist nur eine Idee, deren Ausführung auf der Bedingung beruht, daß jedermann thue, was er soll ...“ (KrV B 837f.). Da dies faktisch nicht der Fall ist, sieht sich die intelligible Welt der Moral einer anderen konfrontiert, in welcher Moralität keine unmittelbare Gegebenheit darstellt und doch real werden soll. Um im Prozess ihrer Realisierung nicht zu scheitern, bedarf die praktische Vernunft notwendig der Idee einer „höchste(n) Vernunft, die nach moralischen Gesetzen gebietet“ (KrV B 838) und zugleich als Ursache der Natur fungiert; denn allein sie garantiert die schließliche Übereinkunft von Sittlichkeit und Glück. Kant lässt, um es zu wiederholen, keinen Zweifel an seiner Überzeugung aufkommen, „daß die moralische Gesinnung als Bedingung den Antheil an Glückseligkeit und nicht umgekehrt die Aussicht auf Glückseligkeit die moralische Gesinnung zuerst möglich mache“ (KrV B 841). Der Gottesgedanke verweist die praktische Vernunft also nicht an ein fremdes Anderes, sondern an das Andere ihrer selbst – gleichwohl an ein Anderes, welches das religiöse Verhältnis als moralisch unaufhebbar erscheinen lässt. Das ist deshalb der Fall, weil das Problem der faktischen Realisierung der praktischen Vernunft für deren Begründung durchaus konstitutive Funktion hat. An dieser systementscheidenden Stelle hat Kant in der „Kritik der praktischen Vernunft“ und in der „Kritik der Urteilskraft“ nicht unwesentliche Umakzentuierungen vorgenommen mit der Folge, dass der Zusammenhang von Sittlichkeit und Glückseligkeit und damit auch derjenige von Moral und Religion nun weitaus äußerlicher gefasst wird. Es blieb der Kantschrift vorbehalten, die sich ausdrücklich dem Thema der Religion widmete, diese Entwicklungstendenz fortzusetzen und zu vollenden. Was der Titel der Schrift über „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ programmatisch verheißt, löst bereits ihr erstes Wort, das als durchgängiger Grundsatz zu gelten hat, in der nötigen Deutlichkeit ein; es zeigt der Religion ihre Grenzen auf: „Die Moral, so fern sie auf dem Begriffe des Men-

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schen als eines freien, eben darum aber auch sich selbst durch seine Vernunft an unbedingte Gesetze bindenden Wesens gegründet ist, bedarf weder der Idee eines andern Wesens über ihm, um seine Pflicht zu erkennen, noch einer andern Triebfeder als des Gesetzes selbst, um sie zu beobachten.“ (Akad. Ausg. VI, 3) Die Anfangszeilen der Vorrede zur ersten Auflage der Religionsschrift stellen definitiv klar, dass die Moral weder zum Wollen noch zum Vollbringen der Religion bedürfe, vielmehr autark und selbstsuffizient sei. Wenn sie dennoch in eine Beziehung zur Religion trete, so geschehe dies einzig und allein aus der Autonomie ihrer eigenen Maximen heraus. In keiner Weise als Grund, sondern lediglich als Folge der Moral müsse die Religion also betrachtet werden. Die Grundsätze von Kants vernünftiger Moralreligion, die mit dem Wesen der Religion zugleich Streit der Fakultäten die Einheit ihres Begriffs benennen, wurden bereits eingangs in Form jenes Credos umschrieben, welches der Philosoph analog zu den drei Artikeln der altkirchlichen Symbole in der Absicht formulierte, die praktischen Fortschritte seines Denkens gegenüber der überkommenen Metaphysik zur Geltung zu bringen. An ihnen haben sich auch die dogmatischen Traditionsbestände des Christentums zu bemessen, wie sie im Kanon der Schrift grundgelegt sind. Alle Bibelauslegung muss demnach an den Prinzipien der Sittlichkeit orientiert sein, welche als Maßstab der Kritik und Rekonstruktion der gesamten christlichen Überlieferungsgeschichte und der von ihr beanspruchten Offenbarungsgehalte fungieren. Es gilt die hermeneutische Devise: Wahrhaft religiös ist allein, was der Realisierung übersinnlich begründeter Sittlichkeitszwecke unter den Bedingungen der Sinnlichkeit dient, wohingegen der Glaube an einen bloßen Geschichtssatz „todt an ihm selber“ (Akad. Ausg. VII, 66) ist. Die Annahme von Geschichtstatsachen zur religiösen Pflicht zu erklären, gilt Kant als ausgemachter Aberglaube. Zwar stellt er in Rechnung, dass religiöse Vergemeinschaftung unter irdischen Bedingungen nur im Medium der Geschichte statthaben kann. Zum Kirchenglauben gehöre daher durchaus historische Gelehrsamkeit, wie sie in der theologischen Fakultät gepflegt werde. Nichtsdestoweniger finde Theologie – analog zu Juristerei und Medizin als den beiden anderen positiven Wissenschaften, die mit ihr zusammen die sog. oberen Fakultäten bilden – das Fundament ihrer Geltung erst in der sog. unteren Fakultät der Philosophie, näherhin in der reinen Vernunfterkenntnis der Metaphysik der Sitten, weil diese allein die Kongruenz von historischem Kirchenglauben und Vernunftglauben zu erweisen und damit das Christentum als Religion der Religionen, nämlich als jene historische Religion zu beweisen vermag, die mit der einen Vernunftreligion und ihrem Formgesetz materialiter wesentlich übereinstimmt. Den stolzen Anspruch, dass die Philosophie ihre Magd sei, räumt Kant im „Streit der Facultäten“ der Theologie unter diesen Bedingungen bereitwillig ein, wobei, wie er ironisch hinzufügt, noch immer die Frage bleibe, ob diese, die Philosophie, „ihrer gnädigen Frau die Fackel vorträgt oder die Schleppe nachträgt“ (Akad. Ausg. VII, 28). Seine Religionsschrift von 1793 lässt keinen Zweifel aufkommen, wie Kant die

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Rolle der Philosophie als „ancilla theologiae“ verDie Religion innerhalb der standen wissen wollte. Zwar beansprucht er Grenzen der bloßen Vernunft nicht, die historische Religion des Christentums aus bloßer Vernunft zu konstruieren, wohl aber durch bloße Vernunft zu rekonstruieren, um sie auf diese Weise in reiner Gestalt zum Vorschein kommen zu lassen. Dabei wird vorweg und stillschweigend ausgeschieden, was dem moralischen Zweck vernünftiger Religion entweder nicht dient oder gar widerspricht. Für Letzteres gibt die Lehre von der „praedestinatio gemina“ ein Beispiel, welche als freiheitsdestruktiv und unsittlich beurteilt wird. Als moralisch indifferent hinwiederum werden Trinitäts-, Zweinaturenlehre oder etwa die Lehre von der leibhaften Auferstehung angesehen, sofern sie dem Buchstaben nach nichts Praktisches hergeben und nur unter der Voraussetzung überlieferungswürdig sind, dass man einen moralischen Sinn in sie hineinträgt. Bringt man die Lehrbestände historischen Christentums in Abzug, die, wenn nicht moralwidrig, so doch moralisch indifferent sind und daher getrost vergessen werden können, so verbleiben Hamartiologie, Soteriologie und ekklesiologisch vermittelte Eschatologie als Hauptstücke einer Religionsphilosophie in praktischer Absicht, wie Kant sie verfolgt. Die Gliederung seiner Religionsschrift entspricht diesem Sachverhalt. Ihr erstes Stück handelt von der Einwohnung des bösen Prinzips neben dem guten: oder über das radikale Böse in der Menschennatur, also von den Gehalten der Sündenlehre, ihr zweites von dem Kampf des guten Prinzips mit dem bösen um die Herrschaft über den Menschen, also von der Lehre von Sühne und Versöhnung, ihr drittes schließlich vom Sieg des guten Prinzips über das böse und von der Gründung eines Reiches Gottes auf Erden, also von Ekklesiologie und Eschatologie. Ein Epilog vom Dienst und Afterdienst unter der Herrschaft des guten Prinzips oder von Religion und Pfaffentum ist als viertes und letztes Stück beigegeben; es enthält die erwähnten hermeneutischen Grundsätze der Verhältnisbestimmung von vernünftiger und historischer Religion, welche die Religionsschrift kennzeichnen und von Kant im Streit der Fakultäten aus Anlass eines Konflikts mit der Zensurbehörde infolge des Wöllnerschen Religionsedikts in ihrer Rechtmäßigkeit vehement verteidigt wurden. Die empirische Situation, in der sich der Mensch in Bezug auf sich selbst und in Bezug auf Hamartiologie die Menschenwelt vorfindet, ist nach Kant durch das Böse gekennzeichnet. Denn in der Gattung der Menschheit herrscht ein natürlicher Hang vor, trotz klaren Bewusstseins der sittlichen Maxime von dieser abzuweichen. Die Naturbedingtheit dieses Hanges, der von den Neigungen menschlicher Sinnlichkeit herrührt, wäre freilich auf unmoralische Weise missverstanden, würde sie mit der Vorstellung naturkausaler Zwangsdeterminierung assoziiert. Es ist im Gegenteil so, dass der sinnlichkeitsbedingte, nicht sinnlichkeitsbegründete natürliche Hang zum Bösen trotz seiner Universalität und Radikalität in jedem der Fälle, die den einen Fall der Sünde ausmachen, als Schuld zuzurechnen ist. Lässt sich der Mensch, statt seine sinnliche Natur in sittlicher Freiheit zu gestalten, in

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mutwilliger Selbstverkehrung von dieser bestimmen, so ist dies sein Vergehen, das nicht auf eine ihm fremde Natur – und sei es die befremdliche Vergänglichkeitsnatur des eigenen irdischen Daseins – geschoben werden kann. Der Mensch ist an dem, was im Unterschied zum bloßen Übel, welches der sittlichen Bewährung aufgegeben ist, das Böse genannt wird, selbst schuld, weil das Böse nichts ist als der Wille, der sich von der Sinnlichkeit beherrschen lässt und in moralisch fataler Selbstverkehrung freiwillig um seine Freiheit bringt und der Herrschaft der Natur ausliefert. Kurzum: Sünde ist in Sinnlichkeit pervertierte Freiheit und als solche Schuld. Was das Unwesen des menschlichen Hanges zum Bösen näherhin betrifft, so lassen sich drei Stufen desselben namhaft machen: „Erstlich ist es die Schwäche des menschlichen Herzens in Befolgung genommener Maximen überhaupt, oder die Gebrechlichkeit der menschlichen Natur; zweitens der Hang zur Vermischung unmoralischer Triebfedern mit den moralischen (selbst wenn es in guter Absicht und unter Maximen des Guten geschähe), d.i. die Unlauterkeit; drittens der Hang zur Annehmung böser Maximen, d.i. die Bösartigkeit der menschlichen Natur, oder des menschlichen Herzens.“ (Akad. Ausg. VI, 29) In der Bösartigkeit des Menschen tut sich der Abgrund des „peccatum originale“ in jener Bodenlosigkeit auf, der die „peccata actualia“ mehr oder minder tief verfallen sind. Dennoch weigert sich Kant aus Gründen sittlicher Zurechnungsfähigkeit des Menschen, dessen radikale Bösartigkeit, deren universale Faktizität er nicht bestreitet, im strengen Sinne Bosheit zu nennen, als man darunter eine Gesinnung versteht, „das Böse als Böses zur Triebfeder in seine Maxime aufzunehmen“ (Akad. Ausg. VI, 37). Dieses sei teuflisch und finde beim Menschen nicht statt. Um an der sittlichen Zurechnungsfähigkeit des Menschen auch unter der Bedingung des radikalen Bösen festhalten zu können, wird hamartiologisch ausgeblendet, was teuflische Bosheit zu heißen hätte. Auch im Falle der Ursünde bleibt der Mensch Gottes Geschöpf, das zum Guten bestimmt und auf diese Bestimmung hin zu verpflichten ist, wenn anders menschliche Sünde, wie moralisch erforderlich, als persönliche Schuld gewertet werden können soll. Wie immer man Kants Hamartiologie in dogmengeschichtlicher Retrospektive zu beurteilen hat: Dass auch sie auf die Realisierung sittlicher Freiheit und damit auf Moraldienlichkeit hin angelegt ist, steht außer Zweifel. Noch im denkbar stärksten Einwand gegen menschliche Freiheit, welcher deren Verkehrung in Sinnlichkeit betrifft, bringt sich das Interesse an deren Wirklichkeit ungebrochen zur Geltung. Das Böse ist zwar Hindernis, keinesfalls aber Schranke der Moralität, als deren Funktion sich die Religion auch in hamartiologischer Hinsicht zu erweisen hat. Wie die Hamartiologie wird auch die christliche Christologie Soteriologie moralisch funktionalisiert, was sich in der Herabsetzung der Christologie zu ihrem Moment vorbereitet. Religionsphilosophisch bedeutsam ist Jesus Christus lediglich als personifizierte Idee des guten Prinzips, dessen Kampf mit dem Bösen das zweite Hauptstück der Kant’schen Religionsschrift bedenkt. Indem er das Ur-

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bild der moralisch vollkommenen Menschheit darstellt, welchem nachzueifern allgemeine Menschenpflicht ist, repräsentiert Jesus Christus anschaulich den sittlichen Anspruch des Guten auf den Menschen und kann als inkarniertes Sittengesetz gelten. Weil indes die objektive Verbindlichkeit des Sittlichen durch die praktische Vernunft als solche gewährleistet ist, bedarf es keineswegs notwendig eines Erfahrungsbeispiels, um die Idee moralisch gottgefälliger Menschheit zu beglaubigen. Das anschauliche Exempel dient lediglich als pädagogische Vorstellungshilfe, die darauf angelegt ist, sich im Verlaufe der Erziehung des Menschengeschlechts sukzessiv zu erübrigen. Der individuellen Existenz und geschichtlichen Faktizität Jesu Christi kommt allenfalls indirekte und keineswegs konstitutive moralreligiöse Bedeutung zu, wie denn generell gilt, dass das Historische, das nichts zur Besserung beiträgt, „etwas an sich ganz Gleichgültiges (ist), mit dem man es halten kann, wie man will“ (Akad. Ausg. VI, 111). Drei Schwierigkeiten, deren Auflösung der Soteriologie aufgegeben ist, stehen der Verwirkli- Soteriologie chung der in Jesus Christus personifizierten Idee der Gott wohlgefälligen Menschheit entgegen: 1. Das Vorbild der Heiligkeit, das uns im Sohne Gottes vor Augen gestellt ist, erscheint uns, die wir vom Bösen ausgehen, stets unendlich fern und niemals erreichbar, da wir das vollbrachte Gute der Tat nach zu jedem Zeitpunkt als dem Sittengesetz unzulänglich ansehen müssen. Dennoch kann der im kontinuierlichen Fortschritt zum Guten begriffene Mensch davon ausgehen, dass Gott, dessen Begreifen nicht an die Beschränktheit diskursiven Denkens gebunden ist, in seiner reinen intellektuellen Anschauung den Progress der Besserung um der ihn leitenden Gesinnung willen auch der Tat nach als ein vollendetes Ganzes beurteilt. 2. Das Vertrauen des Menschen auf die Unveränderlichkeit seiner einmal angenommenen sittlichen Gesinnung, welches nicht weniger ist als das Vertrauen auf moralische Glückseligkeit und die Güte Gottes überhaupt, ohne das die Tugendübung keinen dauerhaften Bestand hat, kann unter Bedingungen der Endlichkeit niemals den Charakter sicherer Gewissheit annehmen. Dennoch kann den Menschen eine Art von „Syllogismus practicus“, der freilich nicht vom physischen Wohlergehen, sondern von dem bisher geführten Lebenswandel auf den dahinterstehenden Vorsatz rückschließt, davon überzeugen, dass dem ständigen Fortschreiten tätiger Besserung eine immer kräftiger werdende Gesinnung entspricht, welche darauf hoffen lässt, dass man auch in Zukunft nicht vom rechten Pfad der Tugend abkommt. Jener Pfad, so Kant, dürfe als geradewegs in den Himmel führend vorgestellt werden, wobei die Vorstellungen vom Himmel wie von der Hölle allerdings nur insoweit relevant seien, als sie der Beförderung der Moral bzw. der Verhinderung der Unmoral dienten. 3. Die letzte und „dem Anscheine nach größte Schwierigkeit“ (Akad. Ausg. VI, 71), die der Realisierung der in Jesus Christus exemplifizierten Sittlichkeitsidee entgegensteht, ist mit dem Problem gegeben, dass der Mensch auch nach vollzogener Umkehr zur Sittlichkeit mit einem Rückstand behaftet bleibt. „Wie es auch mit

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der Annehmung einer guten Gesinnung an ihm zugegangen sein mag und sogar, wie beharrlich er auch darin in einem ihr gemäßen Lebenswandel fortfahre, so fing er doch vom Bösen an, und diese Verschuldung ist ihm nie auszulöschen möglich.“ (Akad. Ausg. VI, 72) Auch der gebesserte Mensch wird demnach seine verkehrte Vergangenheit nicht los, sie bleibt ein durch keine Zukunft einholbarer Vorwurf. Denn die Übung der Tugend kann, weil der Mensch zu ihr an sich pflichtmäßig verbunden ist, keine überschüssigen Werke hervorbringen und somit geschehenes Unrecht nie abgelten und gutmachen. Auch ein noch so behender und ausdauernder moralischer Fortschritt kann offenbar nicht der verdienten Strafe entgehen. Denn die Idee der Gerechtigkeit erlaubt es ausnahmslos nicht, geschehenes Unrecht gut sein zu lassen. Strafe muss sein und zwar durchaus im strengen Sinne proportionaler Vergeltung. Es liegt nahe, bei Jesus Christus als einem Nothelfer Zuflucht zu nehmen und die Schuld ihm zu übergeben: Kant versperrt diesen Ausweg. Das Wesen der Moral erlaube es nicht, das eigene Unrecht auf einen Anderen zu schieben und von ihm tilgen zu lassen. Echt sozinianisch lehrt er, dass Schuld „keine transmissible Verbindlichkeit (ist), die etwa wie eine Geldschuld (bei der es dem Gläubiger einerlei ist, ob der Schuldner selbst oder ein anderer für ihn bezahlt) auf einen andern übertragen werden kann, sondern die allerpersönlichste, nämlich eine Sündenschuld, die nur der Strafbare, nicht der Unschuldige, er mag auch noch so großmüthig sein, sie für jenen übernehmen zu wollen, tragen kann“ (Akad. Ausg. VI, 72). Von einer „satisfactio vicaria“ oder gar von stellvertretendem Strafleiden im Sinne überkommener Versöhnungstheologie kann und darf daher moralisch nicht länger die Rede sein. Gleichwohl gibt Kant den Stellvertretungsgedanken nicht einfachhin preis; vielmehr nimmt er Stellvertretendes Strafleiden ihn aus seiner christologischen Externität ins Innere des in Besserung begriffenen Menschen zurück, um Sühne und Versöhnung als ein vor dem „forum internum“ des Gewissens statthabendes Geschehen aufzufassen, das unbeschadet seiner Differenziertheit einen Zusammenhang bildet. Die soteriologische Pointe wird durch den Gedanken markiert, dass im Vollzug der Sinnesänderung selbst schon diejenigen Übel mitenthalten sind, „die der neue, gutgesinnte Mensch als von ihm (in andrer Beziehung) verschuldete und als solche Strafen ansehen kann, wodurch der göttlichen Gerechtigkeit ein Genüge geschieht“ (Akad. Ausg. VI, 73f.). Indem der in Besserung begriffene gutgesinnte neue Mensch die Bosheit des physisch mit ihm identischen, moralisch geurteilt aber abgesonderten alten bereut, büßt er durch erlittene Gewissenspein vergangenes Schuldvergehen und erduldet stellvertretend Strafe, um auf diese Weise Sühne zu leisten und gerechte Versöhnung zu ermöglichen. Indem der erstehende neue Mensch sich als den alten aufopfert und unter Negation seiner auf sich bezogenen empirischen Subjektivität zur ideellen sich erhebt, leistet er durch den damit verbundenen Schmerz Sühne für die Sünden des alten, vergehenden Menschen und übernimmt so dessen Strafe. Denn ob der Mensch „gleich physisch (seinem em-

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pirischen Charakter als Sinnenwesen nach betrachtet) eben derselbe strafbare Mensch ist und als ein solcher vor einem moralischen Gerichtshofe, mithin auch von ihm selbst gerichtet werden muß, so ist er doch in seiner neuen Gesinnung (als intelligibles Wesen) vor einem göttlichen Richter, vor welchem diese die That vertritt, moralisch ein anderer, und diese in ihrer Reinigkeit, wie die des Sohnes Gottes, welche er in sich aufgenommen hat, oder (wenn wir diese Idee personificieren) dieser selbst trägt für ihn und so auch für alle, die an ihn (praktisch) glauben, als Stellvertreter die Sündenschuld, thut durch Leiden und Tod der höchsten Gerechtigkeit als Erlöser genug und macht als Sachverwalter, daß sie hoffen können, vor ihrem Richter als gerechtfertigt zu erscheinen, nur daß (in dieser Vorstellungsart) jenes Leiden, was der neue Mensch, indem er dem alten abstirbt, im Leben fortwährend übernehmen muß, an dem Repräsentanten der Menschheit als ein für allemal erlittener Tod vorgestellt wird“ (Akad. Ausg. VI, 74f.). Stellt die nach praktischen Vernunftprinzipien erfolgte kritische Rekonstruktion der Soteriolo- Ekklesiologie und Eschatologie gie und namentlich der traditionellen Theorie vom Strafleiden Jesu Christi das Zentrum der Kant’schen Religionsschrift dar, so thematisiert deren drittes Stück das nach errungenem Sieg des guten Prinzips über das Böse anbrechende Reich Gottes auf Erden (vgl. im Einzelnen Bd. III, Epilog). Das Kommen des Reiches vollzieht sich nicht in Form eines supranaturalen Wunders, sondern „durch Errichtung und Ausbreitung einer Gesellschaft nach Tugendgesetzen und zum Behuf derselben“ (Akad. Ausg. VI, 94). Zweck der Kirche und des auf die Heilige Schrift gegründeten Offenbarungsglaubens ist es, die Menschennatur auf historische Weise zur Moral zu bewegen, um durch Sammlung eines Volkes Gottes unter ethischen Gesetzen der eschatologischen Hoffnung eine sittliche Berechtigungsbasis zu verleihen. Als Wegweiser kirchlicher Sendung, welcher dieser ihre Richtung vorgibt, fungiert dabei der reine Religionsglaube, in dessen Alleinherrschaft allmählich überzugehen nach Kant sowohl die prinzipielle als auch die geschichtliche Bestimmung des Kirchenglaubens ausmacht. Je konsequenter sich besagter Transitus vollzieht, um so näher rückt das Reich Gottes. Seine endgültige Ankunft indes bleibt unvorstellbar, da man sich vom Eschaton keinen Begriff machen kann. Wie die Idee Gottes, so ist auch diejenige seines Reiches nicht theoretisch konstitutiv, sondern lediglich praktisch-regulativ und hypothetisch-approximativ zu verwenden. Das Eschaton ist nur als ein im Kommen Begriffenes zu begreifen. Die Vernunftgewissheit seiner Annäherung und der baldigen Ankunft des Reiches Gottes erlangt man nur auf dem Wege eines konsequenten moralischen Gesinnungsfortschrittes, welcher allein mit dem Entgegenkommen göttlicher Gnade rechnen darf.

9. Denken des Absoluten

Lit.: M. Frank, Eine Einführung in Schellings Philosophie, Frankfurt a.M. 1985. – Ders./ G. Kurz (Hg.), Materialien zu Schellings philosophischen Anfängen, Frankfurt a.M. 1975. – G.W.F. Hegel, Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hg.v. der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Hamburg 1968ff. Die Rechtsphilosophie wird zitiert nach: G.W.F. Hegel Grundlinien der Philosophie des Rechts. Hg.v. J. Hofmeister, Hamburg 41967. Sperrungen bleiben unberücksichtigt. – H. Heine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland (1834), Stuttgart 1997. – D. Henrich, Fichtes ursprüngliche Einsicht, Frankfurt a.M. (1966) 1967. – Ders., Konstellationen. Probleme und Debatten am Ursprung der idealistischen Philosophie (1789–1795), Stuttgart 1991. – Ders., Grundlegung aus dem Ich. Untersuchungen zur Vorgeschichte des Idealismus. Tübingen-Jena (1790–1794), 2 Bde., Frankfurt a.M. 2004. – V. Hösle, Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität. Bd. 1 u. 2, Hamburg 1987. – R. Kroner, Von Kant bis Hegel, 2 Bde., Tübingen 1921/4. – W. Schulz, Die Vollendung des Deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings, Pfullingen 1975.

Der Weg „Von Kant bis Hegel“ verlief nicht schnurgerade und lässt sich nicht derart einlinig nachzeichnen wie in dem gleichnamigen Werk Richard Kroners (1884–1974), das 1921–24 in zwei Bänden erschienen und für den Neuhegelianismus der Weimarer Ära einflussreich geworden ist. Zu komplex ist das Netzwerk der Probleme und Debatten am Ursprung der idealistischen Philosophie. Das diskursive „Kraftfeld“ mündlicher Kommunikation und literarischen Austausches, innerhalb dessen sich die großen Systementwürfe des Deutschen Idealismus ausbildeten, lässt sich nur im Rahmen einer detaillierten Konstellationenforschung erschließen, welche die jeweiligen Theorieentwürfe nicht isoliert betrachtet, sondern den einzelnen Autor und die Genese seines Denkens unter Berücksichtigung der vielfältigen Faktoren des Geistes seiner Zeit begreift. Die von Dieter Henrich geleiteten Forschungen zur Entstehungsgeschichte der klassischen deutschen Philosophie nach Kant in Tübingen und Jena während der auf das Revolutionsjahr 1789 folgenden Jahre bieten hierfür ein paradigmatisches Beispiel. Sie öffnen den Blick für die vielfältigen Problemlagen und Gruppierungen, die zu bedenken sind, um das rasant verlaufende und enorm folgenreiche Entstehen der nachkantischen klassischen deutschen Philosophie verständlich zu machen, welches Henrich mit der Explosion einer Supernova vergleicht: „Für die Chronologie sind die beiden Jahrzehnte am Ausgang des 18. Jahrhunderts eine Von Kant zu Hegel

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verschwindend kleine Spanne Zeit ... Doch das Bewußtsein der Menschheit und die Gedanken der Philosophen sind in ihr weiter vorangekommen als in vielen Epochen säkularer Stagnation.“ (Henrich, Konstellationen, 49) Die von Henrich und seinen Mitarbeitern geleisteten Forschungsarbeiten haben einen Denkraum erschlossen, der neben der intellektualgeschichtlichen Situation an der Jenaer Universität u.a. die Diskussionszusammenhänge im Homburger Kreis und die philosophisch-theologischen Problemlagen im Tübinger Stift zur Studienzeit Hegels (1770–1831), Hölderlins (1770–1843) und Schellings (1775– 1854) umfasst. In letzterer Hinsicht kommen insbesondere die Debatten um den Supranaturalisten Gottlob Christian Storr (1746–1805) in Betracht, die sich im Kontext der 1789 erschienenen Elementarphilosophie Carl Leonhard Reinholds (1758–1823) und Johann Gottlieb Fichtes (1762–1814) „Versuch einer Kritik aller Offenbarung“ von 1792 vollzogen. Storr, den neben dem genannten Tübinger Dreigestirn Männer wie Friedrich Gottlieb Süskind (1767–1829), die beiden Flatts (Johann Friedrich: 1759–1821; Carl Christian: 1772–1843), Friedrich Immanuel Niethammer (1766–1848) und der Radikalkantianer Carl Immanuel Diez (1766–1796) zum theologischen Lehrer hatten, versuchte zum Teil gegen Kant, zum Teil aber auch mit Mitteln aus dessen Philosophie die Orthodoxie und die Autorität des kirchlichen Bibelglaubens zu verteidigen, was heftigen Widerstand der kommenden Geister des Deutschen Idealismus herausforderte. Die Kant- und Fichterezeption der Stiftler sowie ihr Studium Friedrich Heinrich Jacobis (1743–1819), dessen 1789 in zweiter Auflage erschienenes Spinozabüchlein nicht nur wegen des angeblichen Spinozismus von Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781), sondern auch wegen des Glaubensphilosophen eigener Lehre im Stift gespannte Aufmerksamkeit fand, erscheint unter diesem Gesichtspunkt in einem neuen Licht. Detaillierteste Informationen, die hier lediglich benannt werden können, enthält vor allem Henrichs voluminöses Werk „Grundlegung aus dem Ich“. Sie betreffen insonderheit Diez (vgl. Henrich, Grundlegung, 93ff.). Die Stationen seines Kantischen Philosophierens, die mit den Mitteln Kants durchgeführte Theologiekritik, sein Studium und seine Kritik von Reinhold sowie sein Entwurf zu einer Theorie der ersten Gründe aller Philosophie werden im Kontext der zeitgenössischen Debatten, an denen er persönlichen Anteil hatte, in schwer überbietbarer Genauigkeit rekonstruiert. Theologiegeschichtlich interessant sind dabei insbesondere die gegensätzlichen Reaktionen, welche die Kantisch-Fichte’schen Religionstheorien der frühen 90er Jahre auf Seiten von Diez und der Tübinger Dogmatik hervorgerufen haben (vgl. Henrich, Grundlegung, 764ff.). Für Diez ging die Kantisch-Fichte’sche Religionskritik nicht weit genug, wohingegen sie für die Tübinger Lehrer Storr und J.F. Flatt (vgl. Henrich, Grundlegung, 27ff.) sowie für den späteren Nachfolger Storrs, Süskind, „immer noch viel zu weit ging“ (Henrich, Grundlegung, 787), weil sie trotz Einräumung von ihrer Möglichkeit den Anspruch der christlichen Offenbarung bestritt, „Autorität auch für die menschliche Vernunft zu sein“ (Henrich, Grundlegung, 804). Das belegen die Tübinger Ant-

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worten auf Kant und Fichte, unter denen die Storrschen „Annotationes“ hervorragen, in der nötigen Deutlichkeit. In einer ersten Bilanz (vgl. Henrich, GrundleZum Begriff der Selbstgung, 846–883), die nachdrücklich der Lektüre offenbarung Gottes empfohlen sei, macht Henrich darauf aufmerksam, welcher Wandel im Verständnis des Offenbarungsbegriffs sich in den Tübinger Debatten zur Religionstheorie abzuzeichnen beginnt, wenn diese in einen weiteren Entwicklungshorizont hineingestellt werden. Während die Tübinger Dogmatiker und ihre Gegner im Streit um die von Kant bestimmte Religionstheorie unter Offenbarung anfangs gemeinsam, wenngleich mit alternativer Bewertung, einen Akt göttlicher Mitteilung übervernünftiger und damit dem Eigenvermögen der Vernunft grundsätzlich entzogener Wahrheit verstanden, weist der weitere Fortgang der Debatte über diesen Begriff der Offenbarung hinaus, sofern von den Repräsentanten des werdenden Idealismus unter ihr nicht eine supranaturale Belehrung, sondern ein Prozess verstanden wird, „in dem sich Gottes eigentliches Wesen entfaltet und dahin gelangt, dass es für die Menschen kenntlich wird. Theologisch lässt sich das so ausdrücken, dass das, was offenbar wird, und dies, dass es offenbar wird, als ein und dasselbe zu verstehen ist. Dass Gottes Wesen aber wirklich auch erfasst wird, ist selbst Folge des Prozesses der Selbstentfaltung, die als solche immer auch Selbstentfaltung für die Menschen und damit Selbstoffenbarung ist.“ (Henrich, Grundlegung, 848) Henrich zeigt, dass die Umstellung des Begriffs supranaturaler Offenbarung auf denjenigen göttlicher Selbstoffenbarung im Entwicklungsprozess der Menschenvernunft, wie er bei allen Unterschieden seit Fichtes früher Ichphilosophie unter dem Einfluss Jacobis durch Schelling, Hölderlin und Hegel tendenziell gleichlaufend erfolgte, mit einer Kant gegenüber durchaus neuen Fundierung der Philosophie elementar verbunden war. Der Zusammenhang zwischen dem verwandelten Sinn von Offenbarung und der Konzeption, welche die jungen Stiftler seit Mitte der 90er Jahre auszubilden begannen, kann hier nicht weiter verfolgt werden: Verwiesen sei hierzu auf die einschlägigen Kapitel im zweiten Band des Henrich’schen Werkes, in dem nach einer namentlich an Niethammer, Süskind und Johann Benjamin Erhard orientierten Darstellung von Kantischen Positionen im Widerstreit (vgl. Henrich, Grundlegung, 943ff.) die Systemperspektiven entfaltet werden, die durch die Ich-Lehre Reinholds und Jacobis eröffnet wurden (vgl. Henrich, Grundlegung, 1395ff.) und die Moralphilosophie auf den Weg zum Absoluten führten (vgl. Henrich, Grundlegung, 1467ff.), in dem Schellings erste Fundamentalphilosophie ihre Basis finden sollte (vgl. Henrich, Grundlegung, 1551ff.); verwiesen sei fernerhin auf die terminologiegeschichtlichen Ausführungen im Offenbarungstraktat der vorliegenden Trilogie, die bei Jacobis Theorie eines in allem Wissen vorauszusetzenden, aber nicht nach der Grundform von Wissen zu denkenden Unbedingten ihren Ausgang nimmt (vgl. Bd. II, 2). Die Bedeutung, welche diese Theorie namentlich in ihrer Verbindung mit der Explikation des Kantianismus in den Fichte’schen Wissenschaftslehren für die weitere geistesgeschichtliche Entwicklung gewonnen

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hat, ist auch von Henrich entschieden betont worden: „Im philosophischen Terminus ‚Selbstmanifestation‘“, so heißt es, „wird eine Sprache gesprochen und eine Begriffsform gebraucht, die von der Kantischen so weit wie nur irgend möglich entfernt scheint. Wenn aber der Kantianismus auf die Wissenschaftslehre Fichtes umgeschrieben wurde und diese mit Jacobis Grundgedanken kombiniert worden ist, ergibt sich die Schrittfolge, die zum Gedanken der Selbstmanifestation führt, erstaunlich schnell und scheinbar ohne Zwang. Sie führt dazu, dass nunmehr sogar innerhalb der Fundamentalphilosophie von Offenbarung gesprochen werden darf – jedoch so, dass sich der Sinn der Rede von Offenbarung gänzlich verändert, dabei aber auch spekulativ vertieft.“ (Henrich, Grundlegung, 869f.) So kann schließlich gesagt werden: „Die entschiedensten Gegner Storrs waren also in einer Person zugleich die Restauratoren und Reformatoren einer Offenbarungslehre.“ (Henrich, Grundlegung, 880) Darauf und auf die Nachwirkungen dieser Konstellation wird zurückzukommen sein. Für die im Folgenden zu gebende Entwicklungsskizze, die den Weg von Kant (1724–1804) Fichtes ursprüngliche Einsicht zu Hegel (1770–1831) im Eilmarsch zu durchmessen hat, muss es einstweilen bei der Feststellung sein Bewenden haben, dass mit Johann Gottlieb Fichtes (1762–1814) Denken und namentlich mit der Veröffentlichung seiner Schriften des Jahres 1794 ein Bezugspunkt gesetzt war, dem für die Ausbildung der nachkantischen Philosophie eine Bedeutung ersten Ranges zukam, weil sich alle philosophischen Theorieversuche der Zeit auf ihn einzustellen hatten (vgl. Henrich, Konstellationen, 10). Begründet ist Fichtes philosophiegeschichtliche Schlüsselstellung im Wesentlichen darin, dass er dem von Kant ausgehenden Impuls, der alle maßgeblichen Denkanstrengungen der Zeit beherrschte, jene Wendung gab, welche in Zustimmung und Ablehnung die Gesamtorientierung des spekulativen Idealismus bestimmte. Unter den Kraftzentren in dessen Entwicklungsgeschichte bleibt deshalb Fichtes Wissenschaftslehre von 1794 das kraftvollste. Dass auch den späteren Gestalten der Wissenschaftslehre ein selbständiger Rang zuerkannt werden muss, der gegenüber dem Hegel’schen System „der Verteidigung fähig und somit als zweite(r) Gipfel der Entwicklung der klassischen deutschen Philosophie anzuerkennen“ (Henrich, Konstellationen, 109) ist, soll unter Berufung auf Henrich einstweilen nur thetisch geäußert werden. Das Recht zu dieser Voraussetzung wird ebenfalls erst unter dem Stichwort der Offenbarung erwiesen werden und zwar in Gestalt einer Würdigung insbesondere der Spätphilosophie Schellings, die in gewisser Hinsicht als eine Konsequenz und Folgegestalt der Fichte’schen Wissenschaftslehre von 1804 gelten kann. Die transzendentale Apperzeption als das Vermögen, die Einheit der Bewusstseinsgehalte zu stiften, wurde von Kant zur obersten Bedingung der Erkenntnis erklärt. Mit dem Bewusstsein des Ich-denke, das alle meine Vorstellungen begleiten können muss, war ein von Descartes eingeführter, den Geist der Neuzeit spezifisch prägender Gedanke erneut aufgegriffen, jedoch nicht im Sinne der Annahme einer Substanz, deren Wesen im Denken besteht. Die Vorstellung des Ich als

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einer „res cogitans“ wurde von Kant im Gegenteil entschieden abgewiesen. In theoretischer Hinsicht wird das Ich als der Inbegriff vom Subjekt des Bewusstseins überhaupt vielmehr auf die Funktion restringiert, Einheit der Mannigfaltigkeit der Bewusstseinsgegenstände zu stiften. Damit mag es zusammenhängen, warum der Weg zur Grundlegung der Philosophie aus dem Ich nicht umstandslos beschritten wurde und Raum für „nachkantische Positionen ohne Ich-Lehre“ (vgl. Henrich, Grundlegung, 1395ff.) blieb. Die Grundlegung der Philosophie aus dem Ich Transzendentale Apperzepverstand sich unter den Bedingungen der theoretion und Ichphilosophie tischen Philosophie Kants nicht von selbst und ist von seinen Schülern auch keineswegs schnurstracks unternommen worden. Nun zeigt freilich Kants Philosophie, dass das alles Erfahrungsbewusstsein vereinende reine Selbstbewusstsein des Ich-denke die Gegenstände der Erfahrung nicht nur theoretisch zu bedingen, sondern praktisch derart zu gestalten bestimmt ist, dass sie dem Sittengesetz konform werden. Daraus entsteht die Aufgabe, das theoretische Bewusstsein der Freiheit, wie es mit dem alle Vorstellungen begleitenden sichwissenden Ich gegeben, aber nicht wirklich erfasst ist, zusammenzudenken mit dem Bewusstsein der Realität der Freiheit, wie es für die praktische Philosophie kennzeichnend ist. Die Schwierigkeiten, die sich der Lösung dieser Aufgabe von Kant her entgegenstellen, hat Henrich unter besonderer Berücksichtigung der internen Spannungen von dessen Moralphilosophie und -theologie und dem unbehobenen Doppelstatus der Lehre von den Ideen minutiös aufgewiesen (vgl. Henrich, Grundlegung, 1467ff.). Kants Ideenlehre changiert zwischen einer Theorie notwendiger Fiktionen und einer praktisch in vermittlungsloser Unmittelbarkeit in Anschlag gebrachten Gewissheit der Realität des Idealen. Auf diese Aporie und ihre Bewältigung ist das Denken Fichtes angelegt als des „Selbständigste(n) unter allen denen, die Kant nachfolgen wollten“ (Henrich, Grundlegung, 1704). Seine frühe Wissenschaftslehre, auf die in Kritik und Konstruktion der kreative Kantianismus der Zeit in allen seinen Gestalten Bezug nahm, ist durchgängig bestimmt vom Begriff selbstbewusster Selbsttätigkeit. Indem Fichtes Denken sein Gesamtbeginnen im Prinzip des tätigen Ich beschlossen weiß, revoziert es nicht etwa den Primat, den Kant der praktischen Philosophie eingeräumt hat, sondern steigert ihn im Gegenteil theoretisch zu, um auf diese Weise die Differenz überhaupt aufzuheben, in welcher sich theoretische und praktische Philosophie unter Kant’schen Bedingungen im Verhältnis zueinander befinden. Theorie und Praxis sind für Fichte protologisch identisch, so dass die Gleichung Ich = Ich gilt, und sie sind zugleich und ursprünglich darauf angelegt, in der Konsequenz zweckursächlicher Tätigkeit, welche die Gegenständlichkeit des Nichtich zu durchdringen gewillt und in der Lage ist, eschatologisch zu konvergieren, wobei Protologie und Eschatologie einen differenzierten Zusammenhang bilden, der im Grunde des Ich eins ist. Mit solcher Gewissheit der Realität ihrer Freiheitsidee hebt Fichtes Wissenschaftslehre an, wenn sie sagt, das Ich setze sich selbst. Von Ansätzen in seinem „opus postumum“ abgesehen hatte Kant das Ich tran-

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szendentaler Apperzeption nur hinsichtlich seiner Begründungsfunktion für anderes Wissen und nicht daraufhin untersucht, wie es an sich selbst zu denken sei. Über die These reiner Selbstreferentialität des „Ich denke“ gelangte seine Selbstbewusstseinstheorie nicht hinaus, um alles weitere dem praktischen als einem vom theoretischen unterschiedenen Vernunftgebrauch zu überlassen. Fichtes Ansatz geht darüber insofern hinaus, als er das reflexionsphilosophisch nicht hinreichend zu begreifende Wesen des Ich auf eine ursprüngliche Tathandlung zurückführt, von der her sich seine Reflexivität allererst erschließt. Soll die Reflexionstheorie des Ich nicht in einer „petitio principii“ enden, muss das Ich als eine sich selbst voraussetzende Voraussetzung aufgefasst werden. Denn nur wenn das Ich ursprünglich bei sich selber ist, kann es reflexiv zu sich kommen und jene selbstreferentielle Einheit sein, als welche Kant es in Anschlag bringt. Statt Ergebnis von Selbstreflexion ist das Ich nach Fichte bereits deren Ermöglichungsgrund. U.a. dies meint der grundlegende Satz der Wissenschaftslehre von 1794, demzufolge das Ich sich schlechthin selbst setzt, um als selbstreferentielle Differenzeinheit hervorzugehen. Im Grundvollzug ursprünglicher Tathandlung ist das Ich Produktion und Produkt in einem. Doch verbleibt das Problem, wie die Differenz von Produktion und Produkt in einem Vollzug unmittelbar begriffen sein soll. Um dieses Problem zu beheben und das Selbstbewusstsein als aus sich selbst hervorgehend und zugleich in sich selbst zurückgehende Tätigkeit erklären zu können, korrigierte Fichte die anfängliche Grundformel seiner Wissenschaftslehre, um ihr seit 1797 folgende Fassung zu geben: Das Ich setzt sich schlechthin als sich selbst setzend. Die Formel ist erkenntlich darauf abgestellt, das Resultat tätigen Setzens als eine auf sich selbst zurückgehende Tätigkeit zu fassen, um das sich setzende Ich als ein sich wissendes begreifen zu können. Doch iteriert auch in dieser Variante das Problem, um deren Lösung willen sie formuliert wurde. Soll sich nämlich das Gesetzte des setzenden Ich nicht wiederum auf ein abstraktes Gesetztsein reduzieren, vielmehr die intendierte Einheit von Setzen und Gesetzsein repräsentieren, muss das Ich eben jene Einheit von Setzen und Gesetztsein schon für sich in Anspruch nehmen. Es spricht für die Größe des Denkens Fichtes, dass er sich das Scheitern seiner Theorie einer Die Aporie der SelbstSelbstherleitung des Ich durch ursprüngliche setzungslehre Tathandlung eingestanden hat, um seit der Wissenschaftslehre von 1801/02 die ursprüngliche Formel von der Selbstsetzung des Ich durch eine neue zu ersetzen: Selbstbewusstsein ist eingesetztes Auge des Ich (vgl. Henrich, Fichtes ursprüngliche Einsicht, 25–37). Damit ist metaphorisch zum Ausdruck gebracht, dass sich das selbstbewusste Ich konstruktivem Begreifen entzieht und nicht aus sich selbst heraus genetisieren lässt, weil die auf Selbstgenetisierung gerichtete Ichtätigkeit das Resultat, welches sie erstrebt, bereits voraussetzt und in Anspruch nehmen muss. Das Ich ist als Selbstbewusstsein sich gegeben. In den folgenden Jahren hat Fichte der Einsicht in das Sich-Gegeben-Sein des selbstbewussten Ich eine offenbarungstheologische Fassung gegeben. Selbstbewusstsein ist in der Wissenschaftslehre von 1804 Manifestation Gottes in seiner unvordenklichen Absolutheit. Die „Anwei-

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sung zum seligen Leben“ von 1806 bestätigt diesen Befund. Es wäre reizvoll und lehrreich, von dem damit erreichten Stadium seiner Denkentwicklung Fichtes 1792 erschienenen „Versuch einer Kritik aller Offenbarung“ einer kritischen Relektüre zu unterziehen und noch einmal die Gründe und Gegengründe des sog. Atheismusstreits zu erwägen, den sein Aufsatz „Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung“ von 1798 ausgelöst hatte. Wie Fichtes Denken so hat auch dasjenige FriedSchellings intellektuale rich Wilhelm Joseph Schellings (1775–1854) seiAnschauung des Absoluten nen Ausgang „Vom Ich als Prinzip der Philosophie“ genommen. Sein gleichnamiger, 1795 erschienener Text erklärt das Bewusstsein, das wir von uns selbst besitzen, zur Grundlage allen Philosophierens. Ähnlich hatte sich Schelling bereits in einem Text „Über die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt“ geäußert, der 1794 noch vor Fichtes Wissenschaftslehre veröffentlicht und von diesem in hohem Maße geschätzt wurde. Beide Denker waren sich in dem Bestreben einig, Kants Kritiken idealistisch zu überbieten und ihnen im reinen Selbstbewusstsein ein konstruktives Prinzip ihrer Einheit zu geben. „Die Philosophie ist noch nicht am Ende“, schreibt Schelling am Abend des Epiphaniasfestes 1795 an Hegel: „Kant hat die Resultate gegeben: die Prämissen fehlen noch. Und wer kann Resultate verstehen ohne Prämissen?“ (Frank/ Kurz, 119) Dass die Prämissen von Kants Resultaten nur in einem entwickelten Verständnis der Synthesis transzendentaler Apperzeption gefunden werden können, darin waren sich Fichte und Schelling ebenso einig wie in der Überzeugung, dass das Selbstbewusstsein des „Ich denke“ reflexionsphilosophisch nicht zu erund zu begründen sei. In Einklang mit Fichte unterscheidet daher der frühe Schelling das absolute Ich, wie er es nennt, vom Reflexions-Ich, das sich seiner selbst stets nur auf bedingte – nämlich durch Bezug auf das, was es nicht unmittelbar selbst ist, vermittelte – Weise bewusst wird. Das unbedingte oder absolute Ich erschließt sich nicht durch Reflexion, der es immer schon vorausgesetzt ist, sondern nur durch intellektuelle oder, wie Schelling lieber sagt, intellektuale Anschauung. Dass es sich bei dieser um eine nichtsinnliche Anschauung handelt, beinhaltet bereits ihr erstmals in Fichtes Aenesidemus-Rezension 1792 begegnender Name. Mit der sinnlichen Anschauung ist sie lediglich darin zu vergleichen, dass sie dem Bewusstsein und dem Ich der Reflexion das sie Begründende und Bedingende auf gleichsam seinshafte Weise vorstellig macht. Indes handelt es sich bei dem unbedingten Grund, der in intellektualer Anschauung vorstellig wird, nicht um das Sein eines Seienden, sondern, wenn man so will, um das Sein selbst als eine sich selbst voraussetzende Voraussetzung von reflektierendem Ichsubjekt und reflektiertem Gegenstandsobjekt. Durch die Wahl der Formulierung ist bereits angedeutet, worin sich Schellings Denkweg von demjenigen Fichtes entfernen wird. Hatte dieser in Anlehnung an jenen das Unbedingte, welches sich intellektualer Anschauung erschließt, anfangs als absolutes Ich umschrieben, so ersetzt Schelling den Ichbegriff bald schon durch andere Benennungen des Absoluten, um dessen Verwechslung mit dem Selbstbe-

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wusstsein des Reflexions-Ich zu vermeiden. Das Absolute intellektualer Anschauung ist absolute Identität im Sinne präsynthetischer Indifferenz von synthetisierendem Ich als der Funktion der Vereinheitlichung des Differenten und von Differenz, deren Andersheit die Differenziertheit des Differenten ausmacht und beständige Synthetisierungsleistung erfordert, damit das Ich realisiere, was zu sein es sich bewusst ist: Synthesis des Differenten als Differentem und nicht bloße Sichselbstgleichheit, welcher das Nicht-Ich lediglich als Ichmodus erscheint. Philosophie des Absoluten kann demgemäß nach Schelling nie allein Ichphilosophie sein, sondern hat sich in der differenzierten Einheit von Wissenschaftslehre und Naturphilosophie zu gestalten. „Ideen zu einer Philosophie der Natur“ hatte Schelling bereits 1797 im jugendlichen Alter von 22 Jahren skizziert. In der „Darstellung (s)eines Systems der Philosophie“ von 1801 ist der absolute Idealismus in der Einheit von Transzendentalund Naturphilosophie zu jenem Spinozismus der Vernunft entfaltet, dessen Grundsatz die totale Indifferenz des Subjektiven und des Objektiven besagt. Die im Jahr darauf konzipierten und 1803 im Druck erschienenen „Vorlesungen über die Methode des Akademischen Studiums“ geben die Grundzüge des Systementwurfs in allgemeinverständlicher Weise wieder. Neue Akzente werden sodann in den „Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit“ von 1809 und in dem nachgelassenen Fragment über „Die Weltalter“ (1811–15) gesetzt. Schellings Philosophie findet ihren Abschluss in den „Vorlesungen zur Philosophie der Mythologie und Offenbarung“, die er in seinen letzten Lebensjahrzehnten bis 1845 mehrfach vorgetragen hat. Stellte die Forschung den späten Schelling lanDie Unvordenklichkeit des ge Zeit in eine schroffe Antithese zum transSeins zendentalphilosophisch vermittelten Idealismus und in die irrationalistische Tradition der Theosophie eines Jakob Böhme (1575– 1624), so erbrachte das 1955 erschienene Werk von Walter Schulz „Die Vollendung des Deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings“ eine entscheidende Wende. Auch Schellings Spätphilosophie, so Schulz, sei aus dem Kontext des Fichte’schen Problems der Selbstsetzung des Ich zu verstehen. Die Frage der auf sich gestellten Vernunft nach der Möglichkeit ihrer Selbstkonstitution ist aus dieser heraus nicht beantwortbar. Indem ihrem Selbstvollzug die unaufhebbare Faktizität ihres reinen „Dass“ immer schon zuvorkommt, wird die Vernunft der Unvordenklichkeit ihres Grundes gewahr und erhält einen Begriff ihrer Unbegreiflichkeit. Der Freiheit des Absoluten ist die Funktion vorbehalten, die Vernunft mit sich selbst zu vermitteln. Dass das Absolute diese Funktion erfüllt hat und erfüllt, lässt sich nicht „a priori“, sondern nur „a posteriori“ erweisen. Neben der negativen Philosophie des Apriorischen ist deshalb eine positive Philosophie des Aposteriorischen, ein philosophischer Empirismus der Faktizität der Offenbarung nötig. Parallelen zum Denken des späten Fichte sind, wie Walter Schulz mit Recht bemerkt hat, unübersehbar. In seiner Einführung in Schellings Philosophie hat Manfred Frank an drei For-

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men erinnert, mit denen Dieter Henrich in einer Heidelberger Vorlesung aus dem Wintersemester 1965/66 das Gemeinsame und je Eigene der drei idealistischen Systeme charakterisierte: Fichte habe ein Unbedingtes im Ich entdeckt, Schelling dies Unbedingte im Ich als solches erfasst, Hegel dieses Unbedingte im Ich als solches zu denken unternommen (vgl. Frank, 24). Dieser Überbietungsanspruch Fichte und Schelling gegenüber besteht nicht grundlos, hat vielmehr ein nicht zuletzt wirkungsgeschichtlich begründetes Recht, ernst genommen zu werden. Ohne die nachgerade in den Spätphilosophien der beiden Erstgenannten wirksamen religiösen Motive, auf die im Anschluss an Schleiermacher zurückzukommen sein wird (vgl. Bd. II,5), gering zu schätzen, soll daher unter den Konzeptionen des nachkantischen Idealismus der Systementwurf Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770–1831) mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht und im Einzelnen dargestellt werden. Die Entwicklung dieses Entwurfs vollzog sich nach Urteil seines Urhebers in einer Zeit, da die Metaphysik endgültig aus der philosophischen Wissenschaft verbannt zu sein schien. Psychologie, Kosmologie und Theologie entbehrten der ontologischen Basis, die ihnen traditionell zukam. Beweise vom Dasein Gottes, von einem transzendenten Grund der Welt sowie von der Immaterialität der Menschenseele zogen, so Hegel, nur noch historisches, aber kein sachliches Interesse mehr auf sich. Verantwortlich gemacht für diesen Zustand wird vor allem die Kant’sche Philosophie und ihre Lehre, dass alles theoretische Erkennen an Sinnesdaten gebunden und das Endliche zu transzendieren nicht in der Lage sei. Daraus habe sich die allgemeine Überzeugung ergeben, dass allein das Praktische wesentlich sei, wohingegen die Metaphysik nur Hirngespinste zu erzeugen vermöge. Angesichts dieser für die Metaphysik desolaten Lage begrüßt es Hegel im Interesse von deren Kritik der Entzweiung Wiederbelebung , dass die für Kants Erkenntnistheorie charakteristische Trennung von Inhalt und Form der Erkenntnis als unhaltbar durchschaut worden sei. Einerseits soll nach Kant das den Sinneseindruck und damit den materialen Gehalt der Erkenntnis Bedingende ein Datum sein, welches der Anwendung der Kategorien vorausgeht und unabhängig von den apriorischen Formen der Erkenntnis ist; andererseits muss das Ding an sich – als unbekannte, allem Erkenntnisvermögen zuvorkommende Größe eingeführt – ein Verhältnis zum Erkenntnisvermögen haben, um als Existierendes identifiziert und als Ursache des Sinneseindrucks bestimmt werden zu können. Es gilt der berühmte Spruch Friedrich Heinrich Jacobis (1743–1819), demzufolge man ohne Voraussetzung eines Realismus, wie er im Begriff des Ding-an-sich umschrieben sei, in das Kant’sche System nicht hineinkommen und mit jener Voraussetzung nicht darin bleiben könne. Überwinden lasse sich diese Aporie, die Hegel in dem unaufgehobenen Gegensatz von Sein und Sollen bzw. in der schlechten Unendlichkeit stetigen, über das Stadium bloßer Approximation niemals hinausgelangenden moralischen Fortschreitens praktisch reproduziert findet, allein durch Behebung der Entzweiung von Denken und Sein und durch die Verabschiedung der irrigen An-

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nahme, dass der Stoff der Erkenntnis je ohne deren Form gegeben sei. Mag es dem Alltagsbewusstsein auch so erscheinen, als sei die Gegenstandswelt außerhalb des Denkens als eine diesem jenseitige Welt der Dinge an sich gegeben, so erweist sich diese Voraussetzung bei genauerem Zusehen gleichwohl als naiv bzw. als eine Abstraktion, die konsequent festgehalten mit dem gedanklich bestimmten Inhalt diesen selbst verliert und in inhaltsleerer Unbestimmtheit endet. Philosophische Aufgabe sei es demnach zu begreifen, dass alle Gegebenheiten gedanklich vermittelt und Gedanken nur dann nicht gehaltlos sind, wenn sie Inhalte bewegen. Dieser Aufgabe der Philosophie nicht gerecht geworden zu sein, sondern ihre Erfüllung systematisch verstellt zu haben, ist Hegels schwerwiegendster Vorwurf an die Adresse Kants, in dessen Kritizismus der gemeine Menschenverstand und das alltägliche Erfahrungsbewusstsein Herrschaft über das Denken gewonnen hätten. Kant habe es systematisch versäumt, die Reflexionsformen des Verstandes vernünftig fortzuentwickeln und sie über ihre Beschränktheit hinauszuführen, und sich statt dessen mit dem kritischen Resultat begnügt, dass die Verstandesformen keine Anwendung auf die Dinge an sich finden können, die damit gänzlich unbegriffen blieben. Demgegenüber beurteilt Hegel die Ichphilosophie Fichtes als einen erheblichen Fortschritt, sofern diese dem von allem Inhalt abgeschiedenen Schatten des Ding-an-sich-Gespenstes den Garaus gemacht und erkannt habe, dass Materie und Form der Dinge aus einem vernünftigen Prius hervorgehen. Allerdings habe Fichte jenem Prius im Anschluss an Kants transzendentale Apperzeption lediglich subjektive Geltung verschafft, indem er es mit der überempirischen Tathandlung eines mehr oder minder unmittelbar in Anschlag gebrachten Selbstbewusstseins assoziierte. Statt das Ich mit einem System notwendiger Vorstellungen, welche die Objektivität der Welt ausmachen, zu verbinden, habe er das Nicht-Ich nur als Schranke des Ich und nicht als dessen eigenes Bestimmungsmoment zu denken vermocht. Bestehe demnach gegenüber dem subjektiven Idealismus Fichte’scher Transzendentalphiloso- Heines Spott phie Schellings Einsicht zurecht, Ich und NichtIch nicht lediglich durch äußere Reflexion zu verbinden, sondern als ursprünglich eins wahrzunehmen, so leide dessen System eines sog. objektiven Idealismus an dem Mangel, die Idee des Absoluten durch intellektuale Anschauung unmittelbar erfassen zu wollen, statt sie als Resultat eines alle Inhalte durchlaufenden und in sich befassenden Vermittlungsprozesses zu begreifen. Weil er das Absolute auf einen Schlag und nicht im Durchgang durch Gegensätze und Widersprüche offenbar sein lassen wollte, geriet Schelling seine Einheit zu unterschiedsloser Identität und zu jener Indifferenz, welche Hegel in der Vorrede zu seiner „Phänomenologie des Geistes“ von 1807 (= Phän.) spöttisch mit der Nacht verglich, „worin, wie man zu sagen pflegt, alle Kühe schwarz sind“ (Phän. XIX). Zu einem ähnlichen Urteil gelangte Heinrich Heine (1797–1856), der im dritten Buch seiner von romantischer Ironie durchtränkten Schrift „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ Anfang der dreißiger Jahre die Anhänger von Schellings intellek-

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tualer Anschauung als Nachahmer jener Derwische karikierte, die „sich solange im Kreise herumdrehen, bis sowohl objektive wie subjektive Welt ihnen entschwindet, bis beides zusammenfließt in ein weißes Nichts, das weder real noch ideal ist, bis sie etwas sehen, was nicht sichtbar, hören, was nicht hörbar, bis sie Farben hören und Töne sehen, bis sich das Absolute ihnen veranschaulicht“ (Heine, 134f.). Vom Heineschen Spott blieb im Übrigen auch Fichtes ichphilosophische Selbstbeziehungstheorie nicht verschont, deren Gedankenoperation, so die ironische Pointe, „uns an den Affen (mahnt), der am Feuerherde vor einem kupfernen Kessel sitzt und seinen eigenen Schwanz kocht. Denn er meinte: die wahre Kochkunst besteht nicht darin, dass man objektiv kocht, sondern auch subjektiv des Kochens bewusst wird.“ (Heine, 109) Zurück zu Hegel, mit dessen Theorie des AbsoTheorie des Absoluten luten, um ein letztes Mal das dritte Buch von Heines deutscher Religions- und Philosophiegeschichte zu zitieren, die durch Kants die Metaphysik zermalmende Vernunftkritik (Heine, 104: „er hat den Himmel gestürmt, er hat die ganze Besatzung über die Klinge springen lassen, der Oberherr der Welt schwimmt unbewiesen in seinem Blute ...“) begonnene Revolution der Denkungsart zu einem konstruktiven Abschluss gelangt ist (vgl. Heine, 138), auch wenn dies dem Philosophen, den man von Jugend an den Alten nannte, am Ende selbst verborgen geblieben sein mag: „Als Hegel auf dem Totbette lag, sagte er: ‚nur Einer hat mich verstanden‘, aber gleich darauf fügte er verdrießlich hinzu: ‚und der hat mich auch nicht verstanden‘.“ (Heine, 108) Am 27. August in Stuttgart geboren studierte der „Alte“ von 1788 bis 1793 als Tübinger Stiftler in freundschaftlicher Verbindung mit Schelling und Hölderlin. Es folgen die Jahre von 1793 bis 1800 als Hauslehrer, zuerst in Bonn, dann in Frankfurt. 1801 habilitiert sich Hegel in Jena. Sechs Jahre später, 1807, erscheint „Die Phänomenologie des Geistes“. Nachdem er infolge der Kriegswirren Jena hatte verlassen müssen, wird Hegel Schriftleiter einer Zeitung in Bamberg, sodann Gymnasialdirektor in Nürnberg, wo er 1812 bis 1816 die beiden Teile seiner „Wissenschaft der Logik“ publiziert. 1816 wird er als Nachfolger von J.F. Fries nach Heidelberg berufen, wo er mit der „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse“ eine Gesamtdarstellung seines Systems in Form eines Vorlesungshandbuches gibt. 1818 erhält Hegel einen Ruf auf den bislang unbesetzten Fichte-Lehrstuhl in Berlin. Dort wirkt er mit großem Erfolg bis zu seinem Tode am 14. November 1831. Als viertes Hauptwerk erschienen 1821 die „Grundlinien der Philosophie des Rechtes“, daneben Neuausgaben der „Enzyklopädie“ (21827; 31830) und des ersten Bandes der Logik. Die Zweitauflage der Phänomenologie und eine Schrift über „Die Beweise vom Dasein Gottes“ wurden begonnen. Ansonsten widmete Hegel alle Kraft seinen Vorlesungen, in denen er die wichtigsten Themenbestände seines Systems ausarbeitete. Dass das der Philosophie zu denken gebende Absolute dem Intellekt nicht auf unmittelbare Weise zur Anschauung zu bringen und nicht als Prinzip, sondern nur als Resultat eines gedanklichen Vermittlungsprozesses zu erkennen sei, belegt in der

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nötigen Klarheit bereits die „Phänomenologie des Geistes“, wie immer man ihre problemati- Das Wahre ist das Ganze sche Anlage und Stellung im Ganzen des Hegel’schen Systems ansonsten bewerten mag. Selbst wenn ihr nur eine propädeutische und keine konstitutive Systemfunktion zuzuerkennen ist, zeigt die Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins, als welche die „Phänomenologie“ ursprünglich konzipiert war, anhand der dargestellten Gestalten des Erfahrungsprozesses deutlich die Methode auf, durch deren Verfahren die Hegel’sche Philosophie ihren Inhalt gewinnt: Sie vollzieht ihren dialektischen Gang in konsequenter Abstraktion von Abstraktionen, wie sie das Beginnen des Denkens momentan bestimmen, um in dessen fortschreitenden Verlauf aufgehoben und in jene konkrete Fülle überführt zu werden, welche gehaltvolles Denken zu vermitteln erstrebt, ohne sie unmittelbar erlangen zu können. In diesem Sinne befasst die „Phänomenologie“, indem sie das Werden des Wissens in Anbetracht der verschiedenen Gestalten des Geistes verfolgt, die Stationen des von der sinnlichen Gewissheit ausgehenden und über Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Vernunft zum entwickelten Geist sich erstreckenden Weges in sich, um sich zu reinem Wissen zu erheben und als Wissenschaft des Absoluten zu vollenden. Es gilt: „Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen. Es ist von dem Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist“ (Phän. XXIII). Der Entwicklungsgang des spekulativen Systems, in den Umgang mit dessen Grundbestimmungen die „Phänomenologie“ exemplarisch einführt, ist damit vorgezeichnet. Nach Maßgabe der „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“ von 1830 (= Enz.) lässt sich Hegels System grob in drei Teile gliedern, in die Wissenschaft der Idee an und für sich, der Idee in ihrem Anderssein und der Idee, die aus ihrem Anderssein in sich zurückkehrt. Die dreiteilige Systemkonzeption kompliziert sich, wenn man sie von der Unterscheidung von Logik und Realphilosophie überlagert sein lässt und ferner in Rechnung stellt, dass die Logik sowohl eine Dreiteilung in Seins-, Wesens- und Begriffslogik als auch eine Zweiteilung in die Seinsund Wesenslogik umfassende objektive Logik einerseits und die subjektive Logik des Begriffs andererseits aufweist. Was das Verhältnis von Logik und Realphilosophie angeht, so wird man Entsprechungen im Sinne von direkten Analogien schon deshalb nicht erwarten dürfen, weil die Logizität des zwangsläufig mit einem univoken, also unmittelbar sinnidentischen Logos analogans operierenden Analogieprinzips mit der dialektischen Logik Hegels und der Dialektik des Gesamtsystems kaum kompatibel ist. Zu vermuten ist vielmehr, dass die realphilosophische Entwicklung diejenige der logischen Bestimmtheitsweisen, wie sie von der Seins- über die Wesens- zur Begriffslogik sich vollzieht, nicht auf gleichsam abbildhafte Weise wiederholt, sondern im Prozess ihrer Fortbildung stets neu durchläuft dergestalt, dass von einem – in beständiger inversibler Selbstexplikation statthabenden – echten Systemprozess die Rede sein kann. Im Hinblick auf die 1812/16 in erster Ausgabe erschienene „Wissenschaft der Logik“ selbst bedeutet dies, dass sie einerseits

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das Systemganze strukturiert und strukturell das Systemganze ist; doch ist sie das strukturierte Systemganze nicht unmittelbar, sondern nur antizipativ in Gestalt des über sich selbst hinausführenden ersten Teils des Systems. Das Beginnen der Logik als der Wissenschaft der Wissenschaft der Logik oder: Idee an und für sich bestätigt, dass aller Anfang die Idee an und für sich weniger schwer als leer ist. Statt ein axiomatisches Prinzip vorauszusetzen, aus dem sich alles weitere ergibt, hat die „Logik des Seins“ (= L[S]; vgl. GW XXI), die im Folgenden nach der Ausgabe von 1832 zitiert wird, ihren Anfang bei jener vermittlungslosen Unmittelbarkeit zu nehmen, die bar jeder internen und externen Bestimmung aller Inhalte ledig nichts ist als leeres Sein, welches in Wahrheit Nichts ist, um erst als Werden bzw. im Werden begriffen recht begriffen werden zu können. Denn an sich selbst ist das Sein bloß einfache Gleichheit mit sich, schlechthinnige Ununterschiedenheit und somit der leerste Begriff, ja völlig unbestimmte, nichtige Begriffsleere als solche, wie sie in reiner Anfänglichkeit gegeben ist. Liegt es in der Natur des Anfangs selbst, reines Sein zu sein und sonst nichts, so muss es dem weiteren Fortgang logischen Beginnens und seiner Resultate überlassen werden, zu differenzierteren Bestimmungen zu gelangen. Ebenso gedankenlos wie inhaltsleer wäre hingegen der Anspruch, das resultierende Ganze des Systems prinzipiell und auf uranfängliche Weise haben zu wollen. Weder die Idee der Welt oder des Ich noch auch diejenige Gottes, welcher doch nach Hegel das unbestrittenste Recht hätte, „daß mit ihm der Anfang gemacht werde“ (L[S], 54), lassen sich unmittelbar begreifen, wenn sie wahrhaft und wirklich begriffen werden sollen. Es hat dabei zu bleiben: Der Anfang der Philosophie, für welchen historisch das einfache Sein der Eleaten steht, ist ein indifferent Eines, das keine weitere Bedeutung hat und das man hingehen lassen muss, um über es hinwegzuschreiten und seine Abstraktheit in entwickeltere Begriffsgestalten aufzuheben. Das logische Denken kann beim bestimmungslosen Gedanken leeren Seins, der schlechterdings nichts denkt, nicht verweilen, sondern hat ihn faktisch immer schon überschritten. Vermittelt durch die Einsicht in die Nichtigkeit anfänglichen Seins von diesem über das Nichts zum Werden gelangt, erfasst es sich dabei selbst als inhaltlich im Werden begriffen und bringt dies dadurch zur Geltung, dass es Unbestimmtheit als Qualität qualitätslosen Seins bestimmt. Eben dadurch hebt es das reine, in Wahrheit nichtseiende Sein vermöge der gedachten Einheit von Sein und Nichts, wie sie durch Entstehen und Vergehen im Werden begriffen ist, ins Dasein auf. Nicht Sein als solches, sondern erst Dasein ist bestimmtes Sein. Erst im Dasein werden der Unterschied von Sein und Nichts real und Sein und Nichts zu bestimmtem Sein und bestimmtem Nichts im Unterschied zum reinen Sein als reinem Nichts, mit welchem die Logik ihren Anfang macht. Um es vorstellungsnäher auszudrücken: In völliger Klarheit reinen Lichts gibt es ebenso viel und ebenso wenig zu sehen wie in absoluter Finsternis: „Reines Licht und reine Finsterniß sind zwey Leeren, welche dasselbe sind. Erst in dem bestimmten Lichte – und das Licht wird durch die Finsterniß bestimmt, – also im getrübten Lichte, eben so erst in der

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bestimmten Finsterniß, – und die Finsterniß wird durch das Licht bestimmt, – in der erhellten Finsterniß kann etwas unterschieden werden, weil erst das getrübte Licht und die erhellte Finsterniß den Unterschied an ihnen selbst haben, und damit bestimmtes Seyn, Daseyn, sind.“ (L[S], 75) Es kann hier nicht weiter verfolgt werden, wie die Bestimmtheit des Seins gegen Anderes (Qualität) sich zu dem sich innerhalb seiner selbst bestimmenden Sein (Quantität) fortbestimmt, um in der qualitativ bestimmten Quantität ihr seinslogisches Maß zu finden. Auch die Durchführung der als Reflexionslogik konzipierten Logik des Wesens, in welchem, wie Hegel sagt, das in sich gegangene Sein als erinnertes selbstbezüglich wird und Verstand annimmt, muss unerörtert bleiben. Vermerkt sei nur, dass das reine Scheinen bzw. die bloße Reflexion in sich, welches bzw. welche das Wesen als die Wahrheit des Seins an sich ist, in der Erscheinung ins Dasein tritt und existent wird, um sich schließlich mit der Erscheinung zu vereinen und wesentliche Wirklichkeit als die manifeste Einheit von Reflexion und Erscheinung zu werden, nämlich Begriff. In der subjektiven Logik des Begriffs, welche die objektive Logik des Seins und des Wesens, aus der sie resultiert, in sich aufhebt, vollendet sich die Entwicklung reinen Denkens. Bedachte die Logik des Seins als Lehre vom Begriff an sich den Gedanken in seiner Unmittelbarkeit, die Logik des Wesens als Lehre vom Fürsichsein des Begriffs den Gedanken in seiner Vermittlung und Reflexion, so ist in der Logik des Begriffs der Gedanke aus der reflexiven Differenz, der er seine unmittelbare Identität hingab, zurückgekehrt in sich selbst und entwickeltes Beisichsein als Identität von Identität und Differenz. Der Begriff, wie ihn die subjektive Logik entwickelt, ist an sich selbst nichts anderes als reines Logik des Begriffs Selbstbewusstsein im Sinne des „Ich denke“, das nach Kant als Einheit der Vorstellungen in ihrer Mannigfaltigkeit fungiert. Indes tritt die reine sich auf sich selbst beziehende Ich-Einheit, welche der Begriff als solcher ist, nach Hegel nicht unmittelbar als allen Vorstellungsinhalten gegenübergestelltes Transzendentalsubjekt auf, sondern als ein Vermitteltes insofern, als es sich in bewusster Abstraktion von aller inhaltlichen Bestimmtheit als Negationsfähigkeit überhaupt weiß. Das allein sich selbst wissende Ich des Begriffs ist Selbstbewusstsein nicht in vermittlungsloser, sondern in vermittelter Unmittelbarkeit, sofern es, indem es sich selbst weiß, sich als Negation jeder möglichen Negation, nämlich jedweder Bestimmtheit und damit als Negationsfähigkeit überhaupt, als Denken, Bestimmen, Ich im Allgemeinen oder Ichheit weiß. Die Allgemeinheit des Ich ist als Negation jeder möglichen Negation deshalb bestimmt, weil jede Negation oder Bestimmtheit unter der Bedingung allgemeinen Wissenkönnens aller Bestimmtheit und damit unter der Bedingung von Ichheit als Denken und Bestimmen im Allgemeinen steht. Im Wissen der Bestimmtheit hebt das Ich jede Bestimmtheit in sich auf oder – was dasselbe ist – das Ich negiert die Bestimmtheit und macht sie mit sich identisch. Das Ich weiß im Wissen der Bestimmtheit mithin sich selbst. Jede mögliche Bestimmtheit ist demnach als Gesetztsein des Ich zu begreifen, das Ich selbst hingegen als das Setzen überhaupt, was nichts anderes ist

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als allgemeine Negationsfähigkeit, mit sich identische Negation. Anders gesagt: Ich als Setzen überhaupt ist ein Setzen, das sich über sein Gesetztsein setzt, ohne selbst je Gesetztsein zu sein. Denn auch den ausdrücklichen Gedanken „Ich“ negiert das Ich – als Setzen überhaupt, als Denken seiner selbst – als sein Negat wieder; im Gedanken „Ich“ nämlich denkt das denkende Ich eben sich, womit der Gedanke „Ich“ zugleich negiert ist. Da aber der Ich-Gedanke der Ort des Gedachtwerdens von Bestimmtheit ist, ist mit seiner Negation durch das Ich schon die Möglichkeit der Negation von Bestimmtheit überhaupt gegeben. Die Bestimmung des Ich als Negationsfähigkeit überhaupt ist wieder erreicht. Die Gleichheit des Ich im Denken, Fühlen und Handeln besteht einzig in der Funktion, alle möglichen Negationen (Bestimmtheiten) negieren zu können. Die Allgemeinheit des Begriffs scheint sonach identisch zu sein mit dem absoluten Ich, zu welchem Fichte Kants transzendentale Einheit der Apperzeption erhoben hatte. Indes insistiert Hegels Logik des Begriffs nicht unvermittelt auf dessen Unmittelbarkeit, sondern lässt deren Vermittlung durch Negation jedweder Negation dadurch zu bleibender Geltung kommen, dass die Negationsfähigkeit überhaupt, welche das Ich ist, auf sich selbst bezogen wird. Ich als Negationsfähigkeit überhaupt muss sich selbst dieser Negationsfähigkeit unterstellen und seine absolute Negativität auf sich selbst anwenden. Die Allgemeinheit des Ich hat somit zu Besonderheit zu werden, das Ich muss sich an Bestimmtes (Gedanken, Gefühle, Taten) entäußern, etwas sein. Kurz: Das Ich muss Negation der allgemeinen Negationsfähigkeit werden. Dies ist für das Ich als Allgemeinheit freilich nicht bloße Forderung, sondern interne Notwendigkeit. Indem es sich nämlich über das Setzen und Negieren der Bestimmtheit hergestellt hat, trug es immer schon eine Differenz in sich, denn es blieb als Negation aller Bestimmtheit (Unbestimmtheit) negativ auf Bestimmtheit bezogen. Diese Differenz nimmt das Ich als Besonderes „wahr“. Indem das Ich durch die Negation seiner allgemeinen Negationsfähigkeit anerkennt, dass es im Negieren der Negation von dieser negativ abhängig und als Bestimmen der Bestimmtheit von dieser bestimmt bleibt, gibt es dem Anderen seiner selbst recht und hört auf, abstrakt selbstbestimmend, bloß aktiv zu sein. Damit hat Hegel der Philosophie seiner Zeit gegenüber eine radikale Wende vollzogen. Das Bestimmte tritt in seinem Denken offenbar logisch gleichwertig neben das Bestimmen, die Differenz wird nicht zum bloßen Akzidens in sich identischer Identität herabgesetzt, das Nicht-Ich ist nicht weiter rein passiv-ohnmächtiges Material unmittelbar selbstmächtiger Tätigkeit des Ich. Das Ich bedarf des Anderen; es ist, was es ist, nur im Anderen seiner selbst. Die Selbstentäußerung des Ich führt nach Hegel Identität von Identität und indes keineswegs zur Selbstveräußerung, sofern Differenz das Ich im Anderen eben sich selbst vorfindet. In der Einzelheit schließen sich Allgemeinheit und Besonderheit, Bestimmen und Bestimmtes, Identität und Differenz, Ich und Nicht-Ich zu manifester Einheit zusammen. Die Negation seiner Negationsfähigkeit und die damit gegebene Entäußerung zum Besonderen weiß das Ich als vermittelt in ihm selbst. Das Ich weiß

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somit, dass die Bestimmtheit, als die es sich setzt, sie selbst ist; über seine Bestimmtheit bezieht sich das Ich somit auf sich selbst zurück. Damit ist nach Hegel alles Außen eingeholt, die Einzelheit als die vollendete Entwicklung des Ich offenbar. Ich ist nunmehr Bestimmendes als Einheit von Bestimmen und Bestimmtem, Denkendes als Einheit von Denken und Gedanke, Handelndes als Einheit von Tätigkeit und Tat, Ich als Einheit von Ich und Nicht-Ich, Ichheit und Ichbestimmung – lebendige Identität von Identität und Differenz. Die Beziehung auf sich schließt den Gedanken einer Beziehung auf Anderes und die Beziehung auf Anderes den Gedanken der Beziehung auf sich ein. Damit ist nach Hegel der Begriff bedingungsfrei sich produzierender Selbstbeziehung erreicht. In der Einzelheit hat das Andere aufgehört, Fremdes zu sein, es ist als Anderes wahrhaft angeeignet. Damit ist das Ich Selbstbestimmendes geworden. Es expliziert im Anderen sich selbst. Es bezieht sich im Negieren nur noch auf sich selbst, ist somit absolute Negativität. Sonach ist die Struktur der Selbstexplikation im Anderen entwickelt und der volle Begriff der Subjektivität erfasst. In der Durchführung der subjektiven Logik als der Logik des Begriffs wird im Einzelnen entwickelt, was im gegebenen Zusammenhang nur skizziert werden konnte: Als die Aufhebung des Seins und des Wesens ist der Begriff das aus allem, was ist und erscheint, zurückgezogene, in sich gegangene, nur auf sich selbst bezogene Freie, die in reiner Innerlichkeit sich selbst präsente Subjektivität reinen Selbstbewusstseins. Formal und abstrakt erweist sich die Subjektivität dadurch, dass sie von äußerlicher Objektivität innerlich geschieden ist. Aus der Aufhebung dieser Trennung, nämlich aus der Anwendung ihrer Negationsfähigkeit überhaupt auf die bloße Ichheit der Subjektivität geht jene Totalität hervor, welche der objektive, im zweiten Teil der subjektiven Logik bedachte Begriff ist. Der Begriff in seiner Objektivität ist der seine Innerlichkeit transzendierende, ins Dasein tretende reelle, mit sich identische Begriff. Vollendet ist der Begriff als der sich entsprechende und seine Subjektivität und Objektivität zu absoluter Totalität vermittelnde Begriff als die Idee des Absoluten, in welcher Subjektivität und Objektivität sich im Anderen ihrer selbst ganz bei sich wissen, um sich im Denken des Absoluten zu vollenden. In der Idee, welche der abschließende Teil der Begriffslogik bedenkt, ist die Vernunft durch Aufhebung alles Bedingten zur Unbedingtheit Gottes selbst erhoben. Es ist die Aufgabe der Realphilosophie zu erweisen, dass die Idee realer Begriff und begriffene Die Idee in ihrem Anderssein Realität nicht nur in Wahrheit, sondern auch in Wirklichkeit ist. Bevor auf den – bei allen Schwierigkeiten seiner Näherbestimmung – offenkundigen Zusammenhang der drei Bestimmungsmomente der Begriffslogik mit der realphilosophischen Lehre vom subjektiven, objektiven und absoluten Geist einzugehen ist, sind zunächst einige knappe Bemerkungen zur Hegel’schen Naturphilosophie und zum Problem des Übergangs von der Logik zur Realphilosophie vorauszuschicken. Mit dem vollendeten Verlauf seiner gedanklichen Entwicklung hat der Begriff sich zur Wissenschaft der Logik ausgebildet,

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welche die Grundlage des Systems der Wissenschaften, die sie ist, nur dann zu sein vermag, wenn sie der Logizität des Begriffs gemäß realphilosophisch sich zu explizieren in der Lage ist. Verschlossen in reinem Denken wäre die Idee zwar absolut im logischen, nicht aber im Sinne des absoluten Geistes, in dem die Einheit der logischen Idee und der Wirklichkeit sich offenbart, deren sich entwickelnde Vernünftigkeit zu bedenken Aufgabe der philosophischen Realwissenschaft ist. Um im absoluten Sinne absolut zu sein, muss die Vernunft den Gegensatz, der zwischen Idee und Realität zu walten pflegt, in sich begreifen. Die logische Idee hat sich daher an die Realphilosophie zu entäußern, um im Durchgang durch sie ihre absolute Wahrheit zu bewähren. Naturphilosophie ist nach Hegel Wissenschaft der Philosophie der Natur Idee in ihrem äußersten Anderssein. In der Natur ist die Idee sich selbst äußerlich. Äußerlichkeit macht mithin die ideelle Bestimmung der Natur aus. Das Außersichsein der Idee in der Natur bedeutet nicht nur deren Unterschiedensein von sich, sondern ein Sich-Entgegen-Sein. Indes darf dies nicht zu dem Missverständnis führen, die Natur sei an sich geistwidrig und in der Lage, einen Dualismus aufzurichten. Geistwidrig ist nicht die Natur als solche, sondern lediglich der Ungeist, der auf naturhafte Weise Geist zu sein beansprucht. Demgegenüber ist es die Bestimmung der Natur, die ihrem wahren Begriff entspricht, aufgehoben und von der abstrakten Äußerlichkeit ihres Seins befreit zu werden. Statt sich auf die natürliche Unmittelbarkeit seiner selbst zu fixieren und die äußere Sinnlichkeit in ihrer Blöße zum wahrhaft Wirklichen zu verklären, abstrahiert der Begriff, der die Natur begreift, von der Abstraktheit ihrer natürlichen Äußerlichkeit, um sich nicht weiter von dieser befremden zu lassen. Dass im stufenweisen Fortschritt des Begreifens der Natur mit Rückständen im Sinne von – wenn man so will – natürlichem Kontingenzschutt zu rechnen ist, leugnet Hegel nicht. Das bloße Sein in seiner schieren Zufälligkeit begreifen zu können, beansprucht er nicht nur nicht, er weist vielmehr einen entsprechenden Anspruch an die Philosophie zurück. Der Widerspruch der Idee, als der die Natur in ihrer Äußerlichkeit auftritt, ist nicht dadurch aufzulösen, dass der Begriff sich in eine Befangenheit durch ihn zwingen lässt. Statt den Antagonismus zwischen Naturnotwendigkeit und regelloser Zufälligkeit, welcher den Widerspruch der als Natur sich selbst äußerlichen Idee in seiner Widersprüchlichkeit bestimmt, begrifflich zu fixieren und so auf Dauer zu stellen, ist er der Ohnmacht der Natur zuzurechnen, deren der Begriff nur – aber nun auch gerade dadurch! – mächtig zu werden vermag, dass er sie in ihrer Ohnmacht ohnmächtig sein lässt. Zwar setzt die Natur der Philosophie insofern Grenzen, als sie sich – auch wenn sich Spuren der Begriffsbestimmung bis ins Partikularste hinein verfolgen lassen – in ihrer äußersten Äußerlichkeit begrifflich nicht ausschöpfen lässt. Doch kann, meint Hegel, die Natur in diesem Äußersten der Ordnungslosigkeit getrost sein gelassen werden. Statt sich im Zufälligen bzw. im Abarbeiten am Gegensatz von Naturnotwendigkeit und natürlicher Regellosigkeit zu erschöpfen, rät Hegel der Vernunft in dieser Hinsicht zu vernünftiger Gelassen-

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heit, die das Sein in seiner kontingenten Blöße sein lässt, wissend, dass es in Wahrheit nichts ist. Der stufenweise Entwicklungsgang, in welchem die Natur begriffen ist, vollzieht sich nach Hegel in drei Schritten: Der erste nimmt seinen Ausgang beim Begriff der Natur in der Bestimmung jenes Auseinanders, welches die Äußerlichkeit des Natürlichen und das Sichentgegensein der Idee im Äußersten ausmacht. Raum und Zeit im bloßen Sinne des Werdens und Vergehens bezeichnen in ihrer gänzlichen Abstraktheit dieses ganz abstrakte Auseinander und damit den Anfang der Naturphilosophie, deren ersten Teil Hegel Mechanik nennt. Sie umfasst neben der Lehre von Raum und Zeit die sog. endliche Mechanik als Lehre von Materie und Bewegung sowie die absolute Mechanik, in der u.a. die Gravitation abgehandelt wird. Physik ist die zweite Abteilung der Naturphilosophie überschrieben, welche die Natur in der Bestimmung der Besonderheit denkt. Unter dem Titel einer Physik der allgemeinen Individualität, wie es heißt, werden die freien physischen Körper, nämlich das Licht und seine Polarität, die sog. lunarischen und kometarischen Körper sowie die Planeten, die Elemente Luft, Feuer, Wasser und Erde sowie der sog. elementarische Prozess behandelt, der namentlich auf meteorologische Phänomene bezogen ist. Ein zweiter Unterabschnitt gilt der Physik der besonderen Individualität, in der spezifische Schwere, Kohäsion, Klang und Wärme erörtert werden. Schließlich folgt die Physik der totalen Individualität, die den Magnetismus, die Elektrizität und den chemischen Prozess zum Thema hat. Die dritte Abteilung der Naturphilosophie ist mit der Wendung organische Physik überschrieben und handelt von der geologischen, vegetabilischen, also pflanzlichen, und der animalischen, tierischen Natur, deren Gattungsprozess in die Philosophie des subjektiven Geistes überleitet. Um nur auf den Gattungsprozess näher einzuTierreich und Menschengehen, mit dessen begrifflicher Wahrnehmung wesen Hegels Naturphilosophie endet, so gilt, dass im Geschlechtsverhältnis der tierische Organismus als die entwickeltste Form äußerer Natur weder nur auf sich selbst, wie in seiner Gestalt, noch auf ein bloßes Anderes, wie im Prozess der Assimilation, sondern auf ein Anderes von Art seiner selbst bezogen ist, um auf diese Weise seine artspezifische Gattung zu reproduzieren. Indem es Selbstbezug und Beziehung auf Anderes in sich aufhebt, ist das animalische Geschlechtsverhältnis die vitalste Form des Lebens, indem die Natur sich vollendet, freilich so, dass in der Vollendung Leben und Tod koinzidieren. Der „Proceß der Fortpflanzung geht in die schlechte Unendlichkeit des Progresses aus. Die Gattung erhält sich nur durch den Untergang der Individuen, die im Processe der Begattung ihre Bestimmung erfüllt, und insofern sie keine höhere haben, damit dem Tode zugehen.“ (Enz. § 370; vgl. GW XX) Gattungswesen sterben und nur sterbliche Lebewesen begatten sich. Tod und Leben, Leben und Tod gehen in der organischen Natur gleichgültig ineinander über. Was in der Hegel’schen Mechanik die Gravitation, in der Physik der chemische Prozess, ist in der Organik das Geschlechtsverhältnis. Im erfüllten Streben der Kör-

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per nach Vereinigung vollendet sich auf den unterschiedlichen Ebenen des Natürlichen alles Bisherige, um mit der Vollendung des Ganzen diesem zugleich ein Ende zu bereiten. Der unaufgehobene Gegensatz von Tod und Leben ist die Wahrheit der Natur, in welcher diese ihren Begriff realisiert und zugleich über sich hinausweist auf den Geist, welcher den natürlichen Gegensatz von Tod und Leben in sich begreift und ihn so zu transzendieren vermag. Kurzum: Der Mensch ist das Lebewesen, das um seinen Tod weiß und sich im Unterschied zu allem Natürlichen differenziert zum Gegensatz von Tod und Leben zu verhalten vermag. Auf diese Weise kommt es zur Geburt des Geistes aus dem Tod der Natur: „Mit der Einsicht in den Tod als die letzte Bestimmung der Natur erfährt der Geist deren unheilbare Negativität. Er muß sich aus ihr zurückziehen, muß seinen letzten Sinn außerhalb der Natur suchen; sie kann ihm Wahrheit und Sein nicht bedeuten. Allerdings kann der Geist nicht in einem Dualismus zur Natur verharren; auch in der Natur muß er schließlich, trotz all ihrer Endlichkeit, ein Abbild der Idee, eine Hieroglyphe der Vernunft erkennen; und diese Aufgabe wird von der Naturphilosophie erfüllt, mit der die Philosophie der schwierigsten Aufgabe gerecht wird – auch in ihrem ganz Anderen sich selbst zu entdecken.“ (Hösle II, 337) Wie Hegels Naturphilosophie ist auch seine PhiPhilosophie des subjektiven losophie des subjektiven Geistes in drei Teile geGeistes gliedert: Die Anthropologie bedenkt den subjektiven Geist, wie er an sich oder unmittelbar ist, als Seele oder Naturgeist, wie Hegel sagen kann. Gegenstand der Phänomenologie des Geistes ist sodann das Bewusstsein, der subjektive Geist für sich oder vermittelt, im Verhältnis oder in der Besonderung. Die Psychologie schließlich hat den sich in sich selbst bestimmenden Geist als Subjekt für sich zum Inhalt. Was die Menschenseele in ihrem unmittelbaren Sein betrifft, so ist sie äußerlich durch Faktoren ethnischer, geographischer und sonstiger Art sowie durch die Individualnatur des Geschlechts oder des natürlichen Verlaufs der Lebensalter, aber etwa auch durch den Wechsel von Wachen und Schlafen bestimmt. Ihrer selbst wird sie ursprünglich inne im präreflexiven Gefühl unmittelbarer Selbstvertrautheit, das sich in diverse Einzelgefühle besondert, bis die fühlende Seele durch Gewohnheit als den „Mechanismus des Selbstgefühls“ (Enz. § 410) heimisch wird in sich selbst und stabilen Bestand gewinnt und wirkliche Seele wird in der Weise vollzogener Einheit äußerer Leiblichkeit und fühlender Seeleninnerlichkeit. Das Verhältnis von Leib und Seele kann weder durch die Unterscheidung leiblicher Materialität und seelischer Immaterialität, noch überhaupt so bestimmt werden, dass beide zunächst als selbständig gegeneinander vorausgesetzt und erst sekundär vermittelt werden. Die wirkliche Seele ist nicht anders als in der Weise durchgebildeter und individuierter Leiblichkeit; umgekehrt kann vom Leib des Menschen nur als einem beseelten die Rede sein, wohingegen er sonst lediglich als toter Körper in Betracht kommt. Durch Ausbildung einer die abstrakte Gewissheit unmittelbarer Sinnlichkeit transzendierenden Bewusstseinswelt, von deren Gegenständlichkeit er sich selbst unterschieden weiß, gelangt der Mensch als die leibhafte Seele, die er ist, zum Be-

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wusstsein seiner selbst, um selbstbewusstes Ich zu sein. Welche reale, phänomenologisch zu erfassende Entwicklung das Selbstbewusstsein des Menschen ihrem Begriff entsprechend zu nehmen hat, ist in der subjektiven Logik strukturell insofern vorgezeichnet, als Subjektivität nicht durch unmittelbare Selbstbestimmung und abstrakte Autonomie, sondern auf vermittelte Weise, nämlich dergestalt zu sich selbst kommt, dass er sich im Anderen expliziert, um durch Anerkennung und Liebe wahrhaft wirklich zu sein. Damit er entwickeltes Selbst werde, bedarf der Mensch des anderen Ich, mit welchem Du eine gemeinsame Wirwelt des Geistes auszubilden seine kulturelle Bestimmung ist. Was Hegel in der „Phänomenologie des Geistes“ über den Kampf um Anerkennung, über das Herr-Knecht-Verhältnis sowie über das im Durchgang durch Stoizismus und Skeptizismus zu Vernunft und geistiger Bildung gelangende Selbstbewusstsein ausführt, gehört in diesen Zusammenhang. Dessen Entfaltung im enzyklopädischen System bestätigt, dass die Subjektivität des Menschen nicht schon in der Ichunmittelbarkeit ihrer selbst, sondern erst im Geist rechtlicher, moralischer und sittlicher Wirklichkeit jene selbstbewusste Objektivität erlangt, die vernünftig zu leben erlaubt. Die Bestimmungsmomente des subjektiven Geistes, durch deren Aufhebung er geistige Objektivität erlangt, sind der zu freier Intelligenz bestimmte theoretische und der zu vernünftigem Wollen bestimmte praktische Geist. Die Wirklichkeit der Theorie ist das Erkennen, welches seinen Anfang nimmt in sinnlich-fühlender Anschauung, sich fortentwickelt in der die Momente der Erinnerung, der Einbildungskraft und des Gedächtnisses enthaltenden Vorstellung und sich vollendet im Denken, in welchem das Gedächtnis Gedanke wird. Letzterer Erkenntnisvorgang verdient religionsphilosophisch besondere Aufmerksamkeit, als in ihm die These zu vollziehender Aufhebung religiöser Vorstellung in den philosophischen Begriff anthropologisch vorbereitet ist. Die Wirklichkeit der Praxis wiederum, auf welche die theoretische Entwicklung subjektiven Geistes in ihrem gesamten Beginnen hingeordnet ist, trachtet danach, das im Denken Gedachte in die Tat umzusetzen, was dadurch geschieht, dass der Wille sich durch Aufhebung bloßer Neigung und formaler Willkür vernünftig bestimmt und rechtliche, moralische und sittliche Gestalt annimmt. Die rechtliche, moralische und sittliche WirkPhilosophie des objektiven lichkeit, in welcher der freie Geist sich realisiert, Geistes ist Inhalt der Philosophie des objektiven Geistes, wie Hegel sie in der zweiten Abteilung der Geistphilosophie seiner „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“ in Grundzügen skizziert und in den „Grundlinien der Philosophie des Rechtes“ von 1821 (= R) im Einzelnen ausgeführt hat. Die materiale Einteilung entspricht dem Stufengang der Entwicklung der Idee freien Vernunftwillens, der in seiner Unmittelbarkeit einzelne Person oder Persönlichkeit ist. Äußeres Dasein gibt die Individualperson ihrer Freiheit im Eigentum, durch welche die Sphäre des Rechts als solchen, also des abstrakten oder formellen Rechts konstituiert ist. Die Sphäre der Moralität als zweite Realisierungsstufe der Idee freien Vernunftwillens wird dadurch erschlossen, dass dieser aus dem

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äußeren Dasein seiner Freiheit, wie er es im Eigentum hat, in sich zurückgeht, um in sich reflektiert sein Dasein innerhalb seiner selbst zu haben und sich als subjektive Einzelheit dem Allgemeinen gegenüber ein besonderes Recht, eben das der Moral zu verschaffen. Aufgehoben ist die durch ihren momentanen Gegensatz bedingte Abstraktheit äußeren Rechts und innerer Moral in der Sittlichkeit als der Einheit und Wahrheit beider. Daraus geht hervor, dass Hegel Sittlichkeit und Moralität im Unterschied zum gewöhnlichen Sprachgebrauch nicht gleichbedeutend, sondern „in wesentlich verschiedenem Sinne“ (R § 33) verwendet, sofern in der Sittlichkeit die Freiheit des Geistes nicht in moralischer Innerlichkeit verharrt, sondern substantiell, nämlich in der Einheit von freier Subjektivität und Objektivität existiert. Die unmittelbare Existenzform substantieller Sittlichkeit ist die Familie, die reflex vermittelte – aus der identischen Unmittelbarkeit der Sitte in die Differenz herausgehobene – diejenige der bürgerlichen Gesellschaft, die voll entwickelte schließlich die substantielle Sittlichkeit des Staates „als die in der freien Selbständigkeit des besonderen Willens ebenso allgemeine und objektive Freiheit“ (ebd.). Als Manifestationsgestalt des Geistes seines Volkes steht der an sich selbst souveräne Einzelstaat in einem geschichtlichen Verhältnis zu anderen Staaten und deren Volksgeistern, um in der Weltgeschichte als dem, wie Hegel sagt, Weltgerichte in den Weltgeist aufgehoben zu werden, „dessen Recht das höchste ist“ (ebd.). Auch wenn das Recht des im Verlauf der Geschichte sich offenbarenden Weltgeistes, dessen Manifestationsgestalten die Philosophie der Weltgeschichte zu bedenken hat, das höchste ist, so kann dessen Wirklichkeit gleichwohl nicht als das wahrhaft Absolute gelten. Die Philosophie des Absoluten ist nach Hegel vielmehr dazu bestimmt, das Geschichtliche ästhetisch, religiös und wissenschaftlich zu transzendieren, um in die Idee des Absoluten selbst einzukehren, deren Absolutheit den Geist der geschichtlichen Welt und aller Menschenvernunft übersteigt und in der als ihrem Resultat der gesamte Gang der Philosophie und mit ihm diese selbst aufgehoben sind. Zwar münden die Philosophie des subjektiven und die Philosophie des objektiven Geistes in den Geist der Weltgeschichte ein, in welchem sie vereint sind; doch ist die Philosophie dadurch nicht der Sphäre der Endlichkeit ent- und zum wahrhaft Unendlichen erhoben, was erst durch Kunst, Religion und eben jene Wissenschaft geschieht, welche als Inbegriff der Philosophie des Absoluten die Differenz von Logik und Realphilosophie in sich aufzuheben und damit die Philosophie insgesamt zu vollenden vermag, indem sie die Idee des Absoluten selbst ergreift. Die Erhebung zu ihr aber wird, um es zu wiederholen, der Philosophie nicht durch weltgeschichtliche Einsicht zuteil, sondern nur mittels Kunst und Religion als den beiden Konstitutionselementen der Philosophie des Absoluten, die nach Hegel nichts anderes ist als spekulative Theologie.

10. Vom Kunstschönen zur Religion

Lit.: G.W.F. Hegel, Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hg.v. der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Hamburg 1968ff. – Ders., Vorlesungen über Ästhetik. Hg.v. H.G. Hotho, 3 Bde., Berlin 1835–38. – G. Rohrmoser, Art. Ästhetik II, in: TRE 1, 554–566.

Denken des Absoluten vollzieht sich als ErhePhilosophie des Absoluten: bung des Endlichen zum Unendlichen, um auf- die entwickelte Einheit der gehoben zu werden in der absoluten Idee Gottes. Idee und ihres Andersseins Ihren Anfang nimmt die Philosophie des Absoluten, in deren Schluss das ganze System beschlossen ist und in jene sich wissende Wahrheit eingeht, welche der all-einige Gott in der vollendeten Einheit von Denken und Sein selbst ist, in der Wahrnehmung des Kunstschönen. Ihre symbolischen, klassischen und romantischen Formen, wie sie im System der Einzelkünste von Architektur, Skulptur sowie Malerei, Musik und Poesie konkrete Gestalt annehmen, bedenkt Hegels Ästhetik, welche „die ästhetische Bewegung des klassischromantischen Zeitalters, sie abschließend, zusammenfaßt“ (Rohrmoser 558). In der Redekunst der – von Prosa wie der Verstand von der Vernunft unterschiedenen – Poesie, welche sich in Epik, Lyrik und Drama entfaltet, verflüchtigt sich fortschreitend die sinnliche Form künstlerischen Schaffens, und die Kunst, welche das Absolute allein in sinnlicher Form zu Bewusstsein zu bringen vermag, gelangt an ihr Ende. Entscheidend für Hegels These vom Ende der Kunst ist das Argument, dass die Kunst in der Religion als vollendendes Ende der Kunst Form der Medien, durch welche sie sich realisiert, eine interne Beschränktheit aufweist, deren Erfassung die Transzendierung der Kunstsphäre zur notwendigen Folge haben muss. Zwar sitzt die Kunst, indem sie das Absolute in der Weise sinnlicher Gestaltung zu Bewusstsein bringt, keineswegs unmittelbar der sinnlichen Erscheinung auf, die sie vielmehr formt und mit einem geistigen Sinn vereint. Gleichwohl bleibt sie in ihrer Art beschränkt, weil mit dem sinnlichen Medium, dessen sie sich bedient, eine interne Grenze gesetzt ist, die dem Absoluten nicht entspricht. Beugen sich daher, wie Hegel sagt, unsere Knie vor dem Kunstwerk zurecht nicht mehr, weil dieses nicht als die höchste Weise gelten kann, in welcher die Wahrheit sich ihre Existenz verschafft, so führt die Religion über die Kunst insofern hinaus, als sie das Absolute aus deren Gegenständlichkeit in die reine Innerlichkeit der Subjektivität eingehen lässt, damit es

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nicht länger als ein Äußerliches, sondern im Herzen aufs Innigste vorstellig werde. Warum schließlich auch die Innigkeit religiöser Vorstellung und die in sich gekehrte Andacht frommen Sinns nach Hegel nicht als höchste und vollendete Form der Erschließung des Absoluten bewertet werden kann, wird am Ende der religionsphilosophischen Erwägungen zu fragen sein. Ihren Anfang hingegen haben die religionsphilosophischen Erwägungen, wie gesagt, bei der Ästhetik als der Lehre vom Kunstschönen zu nehmen, weil in ihr das Beginnen der Philosophie des Absoluten als solches thematisch wird. Während die in der Philosophie der Weltgeschichte sich vollendende Philosophie des objektiven Geistes, welche äußeres Recht, innere Moral und konkrete Sittlichkeit thematisiert, Begriff und Realität des Endlichen noch nicht grundsätzlich transzendiert, ist das in der Ästhetik der Fall. Denn das Kunstschöne als ihr Gegenstand verharrt nicht bei den Erkenntnissen und Taten des endlichen Geistes, sondern führt über diesen hinaus, um ihn mit dem Unendlichen zu vereinen. Indem sie den endlichen Geist zum Absoluten erhebt, ist die Kunst mit Religion und spekulativer Philosophie, in welcher die Wissenschaft zum entwickelten Bewusstsein ihrer selbst gelangt, materialiter eins. Unterschieden ist sie von beiden durch ihre Form, in der sie das Absolute erfasst. Ist die religiöse Form der Erfassung des Absoluten von der reflektierten Art des vorstellenden Bewusstseins und die wissenschaftliche Form diejenige spekulativen Denkens, so erfasst die Kunst das Absolute in Form eines Wissens von sinnlicher Gestalt, welche darauf angelegt ist, in reflektierte Vorstellung und spekulatives Denken aufgehoben zu werden. Am detailliertesten entwickelt hat Hegel seine Theorie der Kunst in Vorlesungen zur Ästhetik, die er in Berlin mehrfach vorgetragen hat. Von seinem Schüler Heinrich Gustav Hotho (1802–1873) wurden sie 1835 in drei Bänden herausgegeben; 1842 erfolgte eine zweite verbesserte Auflage. Die Edition Hothos, über deren Prinzipien sich der Herausgeber in seiner Vorrede zur Erstauflage vom 26. Juni 1835 detailliert ausgesprochen hat, beruht nur zum geringen Teil auf Hegels eigenen Manuskripten, sondern basiert im Wesentlichen auf Nachschriften der Lehrveranstaltungen von 1823, 1826 und 1828/29. Gegenstand der Hegel’schen Vorlesungen zur Ästhetik ist die Idee des Kunstschönen. Sie handeln also vom Schönen nur insofern, als es durch Kunst hervorgebracht ist. Während die Schönheit der Natur unmittelbar und, wenn man so will, auf geistlose Weise gegeben ist, ist das Kunstschöne aus dem Geist geboren und daher vermittelter Natur, also von kultureller Art. Da aber der Geist und seine Produktionen nach Hegels Urteil unvergleichlich höher stehen als die Natur und ihre Erscheinungen, ist auch das Kunstschöne seiner Auffassung zufolge der Schönheit der Natur kategorial überlegen. Ja, man wird sagen müssen, dass der entwickelte Begriff des Schönen recht eigentlich dem Kunstschönen vorzubehalten ist, da sich auch das Naturschöne in Wahrheit nur dem artifiziellen Blick geistvoller Betrachtung erschließt. Das Naturschöne ist dazu bestimmt, ins Kunstschöne überführt zu werden. Es ist lediglich ein transitorisches Moment im Begriff der Schönheit. Ihrem abstrakten Begriff gemäß ist Schönheit der sinnliche Schein des Absolu-

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ten als der differenzierten Einheit von Denken Das Naturschöne und das und Sein, Subjektivität und Objektivität, Begriff Kunstschöne und Realität. Im Schönen scheint das Absolute unmittelbar, nämlich in sinnlicher Gestalt auf. Anfängliche Konkretion gewinnt der sinnliche Schein des Absoluten, wie gesagt, im Naturschönen, das freilich flüchtig und zum Verschwinden bestimmt ist, wohingegen erst im Kunstwerk das Schöne dauerhafte Gestalt annimmt. Lediglich angemerkt sei, dass nach Hegel das Naturschöne nicht schon in der anorganischen Natur, in der es sich lediglich vorbereitet, sondern erst in der organischen zum Vorschein kommt, um schließlich im Tier ersichtlich zu Tage zu treten. Doch bleibt selbst die Schönheit des Tieres, obwohl die pflanzliche Welt und den anorganischen Kosmos an Formgestalt bei weitem übertreffend, noch verschlossen in sich, um als das, was sie ist, erst für den Menschen offenbar zu werden, der vermittels seines Vermögens, sich zu sich selbst zu verhalten, aufgeschlossen ist für die Schönheit im Allgemeinen und das Naturschöne im Besonderen. Lässt die Natur auch in der harmonischen Tiergestalt das Schöne nur flüchtig erahnen, so gelangt dieses zu seinem entwickelten Begriff, in der die allgemeine Idee der Schönheit und die Besonderheit des Naturschönen ihre Abstraktheit verlieren und sich zu konkreter Einheit verbinden, im Kunstschönen menschlicher Gestaltung. Während die natürliche Gestalt des Menschen dem Tier an Schönheit nur insofern überlegen ist, als sie von Gedanken beseelt und vom Geiste durchdrungen wird, offenbart sich im gestalteten Kunstwerk in sinnlicher Form der Geist für den Geist. Seinem allgemeinen Begriff zufolge ist das Kunstschöne eine geistgemäße sinnliche Äuße- Der Künstler und sein Werk rungsform des aus dem äußeren Dasein gänzlich in sich gegangenen Geistes. Seine besondere Bestimmtheit hinwiederum gewinnt es im Kunstwerk. Die Gestalt, die das Kunstschöne im Kunstwerk annimmt, ist von vielfältigster Art, aber stets idealer Natur insofern, als es das Werk der Kunst ist, Natürliches ideal zu gestalten, um es zum sinnlichen Medium des Geistes in seiner Absolutheit werden zu lassen. Dabei kommt dem Künstler als dem Produzenten des Kunstwerks eine entscheidende Mediatisierungsfunktion zu, wenngleich die Rolle des Kunstrezipienten bzw. des rezipierenden Publikums ästhetisch nicht unbedacht bleiben darf, da es konstitutiv zum Begriff der Kunst gehört, als solche nicht nur gestaltet, sondern auch wahrgenommen zu werden. Vom Handwerker – auch vom Kunsthandwerker – unterscheidet sich der Künstler durch die produktive Einbildungskraft seiner Phantasie, welche ihn nicht nur zu natürlichen Reproduktionen, sondern zu Kunstprodukten befähigt, die dem geistigen Innenleben der Subjektivität Ausdruck verschaffen. Indes darf sich der künstlerische Ausdruck nicht in bloß subjektiver Expression erschöpfen, sondern muss objektive Gestalt annehmen, um als Kunstprodukt Gültigkeit beanspruchen zu können. Subjektive Manier und persönlicher Stil allein machen noch längst keinen Künstler. Erst wo die Differenz zwischen ihm und seinem Kunstwerk

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aufgehoben ist und künstlerische Subjektivität und Objektivität sich vermittelt haben, wird die Idee des Kunstschönen real und das Absolute kommt sinnlich zum Vorschein. Konkret realisiert sich das Kunstschöne, welches im Kunstwerk Gestalt annimmt, in den typischen Formen des Symbolischen, des Klassischen und des Romantischen, die zueinander in einem dialektischen Entwicklungsverhältnis stehen. In der symbolischen Form wird die Idee des Kunstschönen gesucht und erstrebt, in der klassischen ist sie realisiert und in der romantischen wird sie auf eine höhere Form der Geistigkeit hin überschritten, wie sie in der Religion ausgeprägt ist. Die symbolische Kunstform, die Hegel insbeSymbolkunst und hebräische sondere mit der orientalischen Kultur assoziiert, Poesie ist eine Vorkunst bzw. ein bloßer Anfang der Kunst insofern, als im Symbolischen Zeichen und Bezeichnetes, äußere Gestalt und innerer Sinngehalt noch nicht zu manifester Einheit gelangen. Diese ist erst in der Klassik erreicht, die im antiken Griechenland zu höchster Blüte gelangte. In der Kunst der griechischen Antike, wie sie sich exemplarisch in der Plastik präsentiert, sind sinnliche Form und geistiger Inhalt unveräußerlich vereint, wodurch die Idee des Kunstschönen als solche realisiert ist. Weil aber der Geist in der griechischen Kunst wie in der Idee des Kunstschönen überhaupt an der Form der äußeren Sinnlichkeit hängt, die er zwar durchdringt, ohne sie doch entbehren zu können, ist er noch nicht als Geist manifest und zu der ihm eigenen geistigen Absolutheit gelangt. Deshalb treibt die klassische Kunst mit Geistesnotwendigkeit über sich hinaus, um in der romantischen Kunstform, wie sie im postantiken Abendland in Erscheinung tritt, sich zu überbieten und die Idee des Kunstschönen überhaupt zu transzendieren. Damit gelangt das Kunstschöne insgesamt an sein Ende, um in die Sphäre der Religion einzugehen, in welcher die Kunst bestimmt negiert, als Moment der Erinnerung bewahrt und zu einer höheren Form der Wahrheit und Wahrnehmung des Absoluten erhoben wird. Das Symbol bedeutet seinem Wesen nach stets ein Anderes, nicht aber sich selbst. Seine Struktur ist diejenige der Verweisung. Bild und Sache, Zeichen und Bezeichnetes differieren wesentlich mit der Folge, dass das Wesentliche nur unwesentlich zur Erscheinung kommt bzw. die Erscheinung das Wesen niemals zu erfassen vermag. Manifestierendes und Manifestiertes gelangen zu keiner konkreten Einheit. Darin besteht die Schwäche bzw. bloße Anfänglichkeit der symbolischen Kunstform. Das Beginnen der Symbolkunst hebt mit einer unmittelbaren und unbestimmten Verwunderung an, welcher sie rätselhaften Ausdruck verleiht. Hegel spricht in diesem Zusammenhang von unbewusster Symbolik. In ihr sind Gestalt und Gehalt noch nicht different, sondern als indifferente Einheit gegeben. Erst allmählich treten äußere Form und innerer Sinngehalt auseinander, ohne dass sich bereits ein entwickeltes Bewusstsein dieser Differenz einstellt. Dies ist die phantastische Phase der Symbolkunst, in welcher es zu dämmern und das Dunkel rätselhafter Verwunderung zu weichen beginnt. Der Morgen orientalischer Symbolkunst bricht an, sobald die phantastischen Symbole der mythologischen Vor-

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stellungswelt als Sinnbilder für eine ihrem Eigensinn äußerliche Bedeutung eines Anderen wahrgenommen werden. Diese Wahrnehmung tritt nach Hegel in der hieroglyphischen Kunst des alten Ägypten ein. Die Zeichen stehen nun erkenntlich für ein Anderes, und die symbolische Kunst kommt zum Bewusstsein ihrer selbst. Voll entwickelt ist das Selbstbewusstsein der symbolischen Kunstform in der hebräischen Poesie. Ihr Wesen ist die Erhabenheit bzw. das in sie eingegangene und in ihr zum Ausdruck gebrachte Bewusstsein, dass keine Gestalt je dem Sinngehalt zu entsprechen vermag, dem zu entsprechen ihre Bestimmung ist. In der Symbolik der Erhabenheit transzendiert die Bedeutung jedwede Art ihrer sinnlichen Darstellung, um sich als das ganz Andere Geltung zu verschaffen. Das Verhältnis von Symbol und Symbolisiertem verfestigt sich in einem unvermittelten Gegensatz. Zwar kann die symbolische Kunst auch die Form des erhabenen Pantheismus annehmen, demzufolge alles Gott und nichts Welt ist. Da indes der Pantheismus sich in Wahrheit als Akosmismus zu erkennen gibt, liegt es in der Konsequenz der symbolischen Kunstform, die Welt und ihre Erscheinungsgestalten für nichts und für im Grund bedeutungslos zu erachten und allen Sinn einer absoluten Transzendenz anheimzustellen, die allem jenseitig ist. Ein radikales Bilderverbot, wie es für die hebräische und auf ihre Weise auch für die islamische Kunst kennzeichnend ist, folgt aus der Erkenntnis völliger Nichtwahrnehmbarkeit des Absoluten. Die symbolische Kunst vollendet sich so in der Einsicht ihrer Nichtigkeit. Der unendliche Gott und Gott in seiner Unendlichkeit allein ist der schlechterdings Erhabene; die endliche Welt hingegen erscheint als entgöttert, ja als gottlos und wird – ihres ehemals wundersamen Charakters beraubt – entweder ganz der Prosa bloßer Verständigkeit überlassen oder als Hort des Bösen und der Sünde auf ein ausständiges Eschaton hin gemieden, wie das in der Apokalyptik der Fall ist. An diesem äußersten Ende kündigt sich ein Neues an: Die symbolische Kunstform beginnt, in die klassische umzuschlagen, welche in Griechenland ihre heitere Wohnstatt findet. Als transitorisches Zwischenglied fungiert die Tradition der in Israel und seinem heidnischen Umfeld gleichermaßen heimischen Weisheit, welcher Allegorie, Metapher, Bildrede und Gleichnis als adäquate Explikationsformen dienen. Ihr formales Strukturgesetz ist dasjenige der Analogie, die sowohl Univokation als auch Äquivokation zu vermeiden sucht und auf ein „tertium comparationis“ aus ist, mittels dessen Zeichen und Bezeichnetes als eins und verschieden zugleich zur Geltung gebracht werden sollen. Doch erfüllt sich nach Hegel das Gleichnis erst in der klassischen Kunstform, in welcher der differenzierte Zusammenhang von zeichenhafter Gestalt und bezeichnetem Gehalt als manifeste Einheit von Einheit und Verschiedenheit zur Anschauung kommt. In der klassischen Kunstform stehen Gehalt und Gestalt in einem perichoretischen Verhältnis und Die Klassik der griechischen Antike durchdringen sich wechselseitig. In der antiken griechischen Skulptur wird diese Perichorese von Innen und Außen, von Geist und Körper paradigmatisch vorstellig. Der geistige Gehalt geht vollständig in seine

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Darstellungsgestalt ein, ohne ihr äußerlich zu bleiben, und die Darstellungsgestalt bringt sich als reine Explikationsform ihres geistigen Gehalts zur Anschauung. Damit ist die Idee des Kunstschönen realisiert. Schöneres gab es nie, Schöneres gibt es nicht, Schöneres kann und wird es nicht geben. Form und Gehalt sind vollendet in eins gebildet. Zwar trägt auch die klassische Kunstform anfänglich noch Spuren des Symbolischen an sich und hat sich erst allmählich zu ihrer Idealität emporgearbeitet. Die ästhetische Degradierung alles Extrahumanen und die Reinigung der Götterwelt von bloß Naturhaftem gehört in den Zusammenhang dieses Prozesses. Aber am Ende der Entwicklung stehen die inkarnierten Gottheiten in je und je idealer Gestalt da, um nichts zu sein als reine Schönheit in vollkommener individueller Einzelheit jenseits aller Vergleichung: so und nicht anders. In der klassischen Kunst vollendet sich das Kunstschöne und realisiert seinen Begriff – und kommt doch zugleich an sein Ende. Warum? Weil die Klassik kein entwickeltes Bewusstsein ihrer Endlichkeit hat, das prägend in sie eingeht. Das klassische Schöne muss deshalb ein geistig Vergangenes werden, weil ihm der Tod äußerlich bleibt. Daher stirbt es mit Zwangsnotwendigkeit. An der fatalen Macht des Endlichkeitsschicksals zerbricht seine Idee. Äußerlich ratifiziert wird dies nach Hegel in der Satire, durch welche sich die klassische Kunstform in der römischen Welt selbst aufzulösen beginnt. In ihr sucht sich die Subjektivität im Modus der Negation aller äußeren Realitätsgestalt zu entwinden, um sich in reiner Innerlichkeit zu befestigen. Die Satire gefällt sich in der Auflösung der äußeren Form, im Witz, für dessen Esprit alle Gestalt zuletzt als geistlos erscheint. Doch kann es beim Zwiespalt zwischen der tendenziell zynischen Ironie einer auf die eigene Leere zurückgezogenen Subjektivität und der Objektivität äußerer Sinngestaltungen, wie er neben der Satire auch in anderen Formen der Destruktionskunst zur Erscheinung kommt, nicht sein Bewenden haben mit der Folge, dass aus dem Ende der klassischen Kunstform das Beginnen der romantischen geistesnotwendig hervorgeht. Das wesentliche Charakteristikum der romantischen Kunstform besteht darin, dass sie die ErDie christliche Romantik kenntnis des Endes der Kunst und das Bewusstsein, deren Form notwendig überschreiten zu müssen, bereits in sich enthält und entsprechend zum Ausdruck bringt. Das Wissen um das Ende der Kunst und den Tod alles Sinnlichen gehört konstitutiv zum Begriff der Romantik, der nach Hegel nicht auf eine spezifische Phase postantiker Bildungsgeschichte des Abendlands einzuschränken ist, sondern diese insgesamt umfasst. In der romantischen Kunstform bereitet sich das die Kunst transzendierende Wissen vor, welches in Religion und spekulativer Philosophie seine adäquate Form finden wird, dass nämlich der Geist seine Existenz in sich selber zu haben bestimmt ist und dazu der sinnlichen Gestalt nicht konstitutiv bedarf, deren Ende er mithin getrost hinzunehmen und in einen rein geistigen Sinnzusammenhang zu integrieren vermag. Die antike Schönheit in der ihr eigenen Sinngestalt gilt der romantischen Kunstform nicht mehr als das Höchste, da sie auf eine geistige Schönheit ausgerichtet ist, welche die

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Hinfälligkeit alles Sinnlichen in sich aufzuheben vermag. „Schönster Herr Jesus“: „Alle die Schönheit / Himmels und der Erden / ist gefasst in dir allein.“ (EG 403) Den vom Osterlicht erhellten Augen christlicher Romantik erscheint der Crucifixus als verwirklichter Inbegriff geistiger Schönheit. In einem ganz anderen Grade als in der symbolischen und klassischen Kunstform ist die Religion in der Romantik Grund, Mitte und Ziel allen Kunstschaffens, wobei die Kondeszendenz des Unendlichen zum Endlichen und dessen Erhebung zum Unendlichen das Themenspektrum signifikant bestimmt. Innige Schönheit wahrzunehmen und zum Ausdruck zu bringen, die der körperlichen Idealität nicht mehr bedarf, prägt den Stil romantischer Kunst. Während in der griechischen Schönheit das Innere der geistigen Individualität ganz in das Äußere der leiblichen Gestalt eingebildet ist, ist die romantische Kunst von einer alle sinnlichen Formationen aufhebenden Geistesinnerlichkeit beseelt, die selbst noch angesichts der Hinfälligkeit der irdischen Existenz und des Untergangs der ganzen sinnlichen Welt Frieden im Geiste jenes Gottes zu finden vermag, der sich im auferstandenen Gekreuzigten offenbart. Von marginalen Notizen und Assoziationen zu Hegels Berliner Ästhetikvorlesungen kann eine Die Einzelkünste Entwicklung seines Systems der einzelnen Künste noch weniger erwartet werden als eine Detailexplikation der romantischen Kunstform. Zur Einteilung der Einzelkünste sei daher lediglich vermerkt, dass diese in der Regel nach Maßgabe der verschiedenen Sinne erfolgt, welche durch das in der sinnlichen Realität sich darbietende Kunstwerk vornehmlich affiziert werden. Weil aber Geruch, Geschmack und Tastsinn nach Hegel die Fähigkeit abgeht, Kunst zu rezipieren, verbleiben nach seinem Urteil lediglich Gesicht und Gehör, um zwischen bildenden und tönenden Künsten zu differenzieren. Beide werden ergänzt durch die Künste der Rede, welche an der erinnernden Vorstellung des Sinnlichen im Geiste orientiert sind. Lassen sich sonach gesichtsorientierte, gehörorientierte und vorstellungsorientierte Künste unterscheiden, so bevorzugt Hegel gleichwohl ein anderes Einteilungsprinzip, das er dem üblichen fundierend vorschaltet. Es ist durch die Weisen bestimmt, das Absolute zur Darstellung zu bringen und der Ordnung der Kunstformen analog. Die der symbolischen Kunstform gemäße Einzelkunst ist die Architektur; der klassischen Kunstform ist die Skulptur zuzuordnen, wohingegen für die Kunstform der Romantik die Einzelkünste der Malerei, der Musik und der Poesie typisch sind. In der symbolförmigen Kunst der Architektur ist das Verhältnis von schaffendem Geist und zu formender Materie noch verhältnismäßig äußerlich. Zunächst noch ganz der Gestaltung einer humanen Behausung gewidmet, die dem Menschen kulturellen Schutz vor der ihn bedrohenden Natur gewährt, emanzipiert sich die Baukunst erst allmählich von ihrer handwerklichen Ursprungsbestimmung, um architektonische Gebilde hervorzubringen, die keinem lediglich äußeren Nutzen dienen, sondern von selbstzwecklicher Art sind. Zu denken ist an Repräsentationsbauten, an Totenstätten wie die Pyramiden oder an Tempel sowie an Sphinxe, Obe-

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lisken oder Stelen jedweder Art. In der Gestalt namentlich der Säule deutet sich bereits die Möglichkeit der Skulptur an und damit der Übergang zu den Formationen der klassischen Kunst. Dass die Architektur auch über romantische Potentiale verfügt, illustriert Hegel an den mittelalterlichen Domen, deren äußere Form nach seiner Auffassung allerdings ganz auf das innere Leben abgestellt ist, das sie erfüllt. Die Skulptur als das typische Werk der klassischen Kunst ist vom architektonischen Symbolismus wesentlich dadurch abgehoben, dass sie im Unterschied zum kunstvollen Bau ausschließlich für sich selbst steht und sich von sonstigen Zwecken gänzlich emanzipiert hat. Sie ist nichts als Kunst und damit das Kunstwerk par excellence. In ihr hat sich der Geist dem Materiellen dergestalt eingebildet, dass die äußere Form als reines Medium ihres geistigen Gehalts erscheint. Andererseits bleibt der Sinngehalt der Skulptur deren äußerer Form verhaftet und ist insofern noch nicht zu rein ideeller Darstellung gelangt. Darin unterscheidet sich die klassische Kunst elementar von den romantischen Künsten, in denen die äußere Darstellungsform fortschreitend zurückgenommen wird bis hin zu dem Punkt, an dem sich Sinn nur mehr auf ideelle Weise äußert und die Kunst in Religion übergeht. Der approximative Prozess religiöser Aufhebung der Kunst nimmt seinen Ausgang bei der Malerei, die im Durchgang durch Relief und vergleichbare Übergangsformen aus der Dreidimensionalität der Plastik eine Raumdimension tilgt und sich auf die zweidimensionale Fläche zurücknimmt, um ihr sinnliches Material ganz auf Flächigkeit zu beschränken. Damit wird die äußere Erscheinung, die malerisch zur Darstellung gebracht wird, bewusst zum Schein herabgesetzt und alle Aufmerksamkeit auf den geistigen Gehalt konzentriert, der allein durch innere Schau zu erfassen ist. Einen entscheidenden Schritt weiter geht die Musik als die innerste Mitte der romantischen Künste, welche ganz vom Prinzip subjektiver Gefühlsinnerlichkeit bestimmt ist. Sie hebt den verbleibenden äußeren Schein der Malerei in sich auf, sofern sie dem Medium, in dem sie sich äußert, keinen festen äußeren Bestand zuteil werden lässt, da das musikalische Erklingen der Töne mit deren Verklingen koinzidiert. Die Äußerlichkeit der Form ist in Auflösung begriffen, ihr Sinngehalt nur im Inneren des Gemüts zu erfassen, welches zum Schwingen zu bringen die Bestimmung der Musik als der romantischsten aller Künste ist. In der Poesie schließlich als der letzten der romantischen Künste vollendet sich der Prozess fortschreitender Rücknahme der Äußerlichkeit sinnlicher Ausdrucksform, und die Kunst insgesamt gelangt an ihr Ende, um in Religion aufgehoben zu werden. Um den Begriff der Poesie zu erfassen und in seinen Momenten zu entwickeln, unterscheidet Hegel erstens das poetische vom prosaischen Kunstwerk, welche beide sich zueinander wie Vernunft und Verstand verhalten, bestimmt sodann zweitens den besonderen poetischen Ausdruck, um schließlich drittens die mit Epik, Lyrik und Drama (Tragödie, Komödie und eigentliches Drama) gegebenen Gattungsunterschiede der Poesie im Einzelnen zu erörtern. Interessieren soll im gegebenen Zusammenhang nur mehr der zweite Aspekt, also die spezifische Weise des Ausdrucks, durch welche sich die Poesie von Malerei und Musik unterscheidet.

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Ist doch der eigentümlichen Ausdrucksform der Poesie der entscheidende Hinweis auf den Modus des Übergangs von Kunst zu Religion zu entnehmen. Die Malerei ist als bildende eine gesichtsorienÄußere Anschauung und tierte, die Musik als tönende eine gehörorientierinnere Vorstellung te, die Poesie als eine redende eine vorstellungsorientierte Kunst. Was meint hier Vorstellung? Die präzise Beantwortung dieser Frage ist umso wichtiger, als die Form der Vorstellung die Redekunst der Poesie mit der Religion verbindet. Der Vorstellung, sagt Hegel, sind Sehen und Hören in ihrer sinnlichen Äußerlichkeit vergangen, um nur noch in der Erinnerung präsent zu sein. In der Form der Vorstellung ist die sinnliche Seh- und Hörerscheinung in die Erinnerung eingegangen und in dieser negiert, bewahrt und ihrer geistigen Bestimmung zugeführt. In der Vorstellung gewinnt die äußere Realität selber geistige Existenz. Humane Verständigung, die in der Poesie Kunstgestalt annimmt, wäre ohne die Erinnerungsform der Vorstellung nicht denkbar. Worte bedeuten dasjenige, was sie im Satzzusammenhang besagen, nicht als äußere Klanggebilde oder in ihrer buchstäblichen Sichtbarkeit, sondern als Erinnerungszeichen inneren Hörens und Sehens. Just dieses findet in der Poesie kunstfertig statt mit dem Ziel, sich über die Schranken der sinnlichen Endlichkeit zum Absoluten zu erheben, welche Erhebung in Gestalt der Religion mittels andächtigen Eingedenkens und kultischer Praxis zum Inbegriff aller Daseinsvollzüge wird. Es liegt daher in der inneren Konsequenz der Philosophie des Absoluten, von der Ästhetik zur Religionsphilosophie fortzuschreiten. Der Fortschritt vom Kunstschönen zur Religion konveniert mit dem Übergang von der Anschauung zur Vorstellung, welche in der Philosophie des subjektiven Geistes Momente des Erkennens und Vollzugsformen der theoretischen Tätigkeit des Subjekts bezeichnen. Dadurch entwickelt sich das formelle Wissen der Gewissheit, wie es diesem in seiner Unmittelbarkeit eignet, zur Konkretheit inhaltlicher Vernunft und damit zu einem Wissen fort, das dessen Begriff gemäß ist. Zwar ist der Prozess begrifflicher Erhebung in der Subjektphilosophie noch keineswegs zur Vollendung gelangt, was im Durchgang durch die Philosophie des objektiven Geistes erst in der Philosophie des Absoluten geschieht. Gleichwohl können die Bestimmungsmomente von Anschauung und Vorstellung, wie sie in der Lehre von der subjektiven Erkenntnis entwickelt werden, zumindest einen Vorbegriff verschaffen von der ebenso erheblichen wie erhabenen Bedeutung, die ihnen in der Philosophie des absoluten Geistes zukommt, in der nicht nur Endliches angeschaut und vorstellig wird, sondern das Absolute zur Anschauung und Vorstellung kommt. Es lohnt sich daher, die für den Gesamtzusammenhang des Systems und nachgerade für die Religionsphilosophie so wichtigen Termini dort aufzusuchen, wo sie in Hegels Denken eingeführt werden. Erkenntnis beginnt mit Anschauung. In ihr nimmt die theoretische Tätigkeit des subjektiven Geistes ihren Anfang. Ursprünglich unmittelbar mit dem des Gefühl koinzidierend wird der subjektive Geist des momentan bloß äußerlich Gefühlten durch Aufmerksamkeit, wie Hegel sagt, inne, um so zu geistiger Anschau-

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ung zu gelangen, in welcher das Angeschaute als Angeschautes identifiziert wird. Durch Erinnerung, Einbildungskraft und Gedächtnis werden die Anschauungen des subjektiven Geistes sodann zu dessen Vorstellungen fortentwickelt. Indem die theoretische Intelligenz im Vollzug ihrer selbst den Inhalt ihrer Anschauungen sich erinnernd einbildet, behält sie das Angeschaute bildhaft im Gedächtnis, um es sich beständig vorstellig machen zu können. Vorstellung ist insofern erinnerte Anschauung. Näherhin gilt, dass die im Unterbewussten wie in einem „nächtlichen Schacht“ (Enz. § 453) aufbewahrten Anschauungen durch die reproduktive Einbildungskraft zu Bewusstsein gebracht werden, um als Anschauungen im Geiste vorstellig zu werden. Indem die sinnlichen Anschauungen geistige Vorstellungen werden, ist der Intelligenz die Möglichkeit eröffnet, sie durch Zeichen ihrer Phantasie zu symbolisieren und auf diese Weise Rede, Sprache und Schrift auszubilden. Die Sprache als System der Rede, wie es in der Schrift konserviert ist, darf als vorzügliches Intelligenzprodukt deshalb gelten, weil sie den vorstellig gewordenen Anschauungen, die ursprünglich nur in der fühlenden Empfindung waren, ein höheres Dasein gibt, durch das sie allererst zu geistiger Existenz gelangen. Als Medium subjektiven Geistes, durch welches sich dieser mit allem Anderen und zugleich mit sich selbst vermittelt, enthält die Sprache dessen ganze Entwicklung in sich, sofern sie ihrem elementaren Material nach aus Tönen, Lauten und Gebärden besteht, welche den Menschen von Natur aus eigen sind, und ihrer grammatischen Form gemäß ein Werk des zu sich gekommenen Subjekts ist, das seine Verstandeskategorien als Prägemal in sie einzeichnet, um einen charakteristischen Prozess des Verstehens zu eröffnen, in welcher der Verstand zur Vernunft kommt und Geist wird. Indem der Geist das in der Sprache Bezeichnete im Gedächtnis behält und im Namen die Sache selbst erkennt, vermag er das Vorgestellte derartig sich anzuverwandeln, dass ein Wort genügt, um bei der Sache zu sein. Inwendiger Gedanke schließlich wird das im GeVorstellung und Begriff sprochenen auswendig Gewusste mittels des Gedächtnisses. Ist im Gedächtnis die zur Vorstellung gelangte Anschauung momentan noch als sinnliche präsent, so hebt sie das Denken nach Hegel in reine Geistigkeit auf. Im Denken wird gewusst, dass das, was ist, nur ist, insofern es Gedanke ist, und der Gedanke nur gedacht wird, wenn das in ihm Gedachte auch tatsächlich ist. Denken ist das Wissen der Einheit von Begriff und Sein. Ob dieses Wissen realiter erschwinglich ist, muss die entscheidende Frage an die Hegel’sche These zu vollziehender Aufhebung religiöser Vorstellung in den absoluten Begriff sein.

11. Erhebung des Endlichen zum Unendlichen

Lit.: Hegels theologische Jugendschriften nach den Handschriften der Kgl. Bibliothek in Berlin hg.v. H. Nohl, Tübingen 1907 (= N). – G.W.F. Hegel, Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hg.v. der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Hamburg 1968ff. – Ders., Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil I: Einleitung. Der Begriff der Religion (= RPh I). Teil II: Die bestimmte Religion (= RPh II). Teil III: Die vollendete Religion (= RPh III). Hg.v. W. Jaeschke, Hamburg 1983ff. Die Zitate im Text werden nach Jaeschkes Seitenzählung aufgeführt. – Ders., Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Bd. I-IV. Hg.v. G. Lasson (PhB 171), Hamburg 1968. – W. Jaeschke, Die Religionsphilosophie Hegels, Darmstadt 1983.

Religion – darin mit dem Denken eins – erhebt. In ihrem Vollzug transzendiert das Endliche seine Religiöse Erhebung Schranken, um in seiner Beschränktheit negiert, in seiner Wahrheit bewahrt und seinem Begriff nach im Unendlichen vollendet zu werden. Stets sind die drei Bedeutungen der Rede von Aufhebung mitzubedenken, wenn das Wesen religiösen Vollzugs im Sinne Hegels verstanden werden soll: bestimmte Negation, Bewahrung und erhöhende Vollendung. Dabei ereignet sich religiöse Erhebung als Sicherheben des Endlichen und Erhobenwerden desselben durch das Unendliche zugleich und in einem. Denn das wahrhaft Unendliche ist nicht durch den Gegensatz zum Endlichen bestimmt, um dieses abstrakt zu negieren. Wäre dem so, dann hätte das Unendliche am Endlichen seine Grenze, womit es seinem Begriff widerspräche. Wahrhaft unendlich und seinem Begriff entsprechend ist das Unendliche nur, wenn es das Endliche zu umfassen vermag, um sich als Einheit seiner selbst und seines endlichen Anderen zu erweisen. Das Unendliche realisiert seinen Begriff nicht dadurch, dass es sich als unvermittelte Alternati- Begriff des Unendlichen ve des Endlichen geltend macht und durch bloße Verneinung definiert, was erkenntlich auf seine Verendlichung hinauslaufen würde, sondern dadurch, dass es das Endliche in sich begreift und es zu sich erhebt. Die Wahrnehmungs- und Vollzugsgestalt dieses Prozesses ist die Religion als Erhebung des Endlichen zum Unendlichen. Mit dem unendlichen Fortgang von einem Endlichen zu einem anderen ist dies nicht zu verwechseln. Denn dadurch würde Endlichkeit nicht verändert, sondern als solche verunendlicht. Das bloße Übergehen von einem zum Andern ist steter Progress des Endlichen im Sinne schlechter Unendlichkeit, die langweilige Wiederholung des immerwährend Selben bloßer Endlichkeit. Der wahrhafte Übergang, wie er im Vollzug religiöser Erhebung statthat,

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besteht nicht in schierem Wechsel und in der perennierenden Veränderung, sondern in der Aufhebung des Endlichen ins Unendliche, welches dieses negiert, bewahrt und vollendet. Um einem lediglich formelhaften Gebrauch der religionsphilosophischen Wendung der Erhebung des Endlichen zum Unendlichen zu wehren, ist zu vermerken, dass Hegels Philosophie des Endlichen den Gesamtzusammenhang von Naturphilosophie sowie der Philosophie des subjektiven und des objektiven Geistes umfasst, in dessen Entwicklung der Endlichkeitsbegriff Transformationen seiner Bedeutung durchläuft, die sich weder der Alternative von Univokation und Äquivokation fügen, noch analog zu fassen sind, weil sich die jeweilige Bedeutung des Begriffs des Endlichen nur dialektisch erschließt. Das Endliche endet. So besagt es sein Begriff. Wird das Endliche, wie der Alltagsverstand und eine ihm entsprechende Logik es wollen, als das alleinig Bestehende genommen und als absolut insistent gedacht, verewigt man das Ende, ohne es zu begreifen. Begriffen werden kann das Endliche als Endliches nur, wenn es als das sein Ende in sich begreifende Endliche begriffen wird. Begreift das Endliche sein Ende in sich, so ist dieses aufgehoben und das Endliche über seine Grenze hinaus. Über seine Schranke durch Begreifen seiner Beschränktheit erhoben, transzendiert das Endliche Vollendung des Endlichen sich selbst auf das Unendliche hin. Die Möglichkeit dieses Übergangs zu bestreiten, ist nach Hegel nichts als Gedankenlosigkeit, der das Bewusstsein fehlt, dass in der Bestimmung der Schranke als Schranke und im begriffenen Begriff des Endlichen über die endliche Beschränktheit bereits hinausgegangen ist. Wohl ist es wahr, dass das bewusstlose Endliche nicht über seine Schranke hinaus ist und hinaus sein kann, weil die Schranke für es nicht Schranke ist. Da der Stein, um ein Beispiel zu geben, nicht reflex auf sich bezogen ist, ist seine Beschränktheit keine Schranke für ihn, er mithin in seinem Sein nicht seiner Beschränktheit enthoben. Gleichwohl ist die Reflexion auf den bezeichneten Sachverhalt diesem nicht äußerlich, sondern dem Begriff des Steins gemäß, ohne dem von seinem Sein nicht die Rede sein kann. Als Etwas, das da ist, kann auch das endliche Dasein des Steines nicht ohne Unendlichkeitsbezug sein. Verstanden freilich wird dies erst in der Sphäre des subjektiven Geistes, begriffen gar erst durch die Philosophie des Absoluten, deren Mitte die Religionsphilosophie bildet. Ihr Endlichkeitsbegriff hat die naturphilosophischen Schranken längst transzendiert, um all das in sich zu begreifen, wovon die Philosophie des subjektiven und des objektiven Geistes handelt. Der religionsphilosophische Endlichkeitsbegriff umfasst demgemäß nicht nur das natürliche Sein, sondern alles Wesen sowie alle Entwicklungsgestalten subjektiven und objektiven Geistes, kurzum: Ich und Welt in ihrer Gottunterschiedenheit. Erst dem religiösen Verhältnis geht im Durchgang durch die Ästhetik und im Verlauf seiner eigenen Entwicklung das wahrhaft Unendliche auf, welches die Endlichkeit von Ich und Welt insgesamt in sich begreift, indem es diese, ohne sich durch einen abstrakten Gegensatz zu ihr zu bestimmen, bestimmt negiert, bewahrt und vollendet.

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Das Wesen der Religion hat Hegel seit seinen theologischen Jugendschriften, die von Hermann Leben, Liebe, Geist Nohl 1907 nach den Handschriften der Kgl. Bibliothek in Berlin herausgegeben worden sind (= N), als „eine der wichtigsten Angelegenheiten unseres Lebens“ (N 3) beschäftigt. Der Standpunkt, den die Arbeiten der Tübinger und Berner Zeit (1788–1796) wie „Volksreligion und Christentum“ (vgl. N 1–71), „Das Leben Jesu“ (vgl. N 73–136) sowie die Fragmente zur Positivität der christlichen Religion (vgl. N 137–239) einnehmen, ist dabei zunächst im Wesentlichen derjenige einer aufgeklärten Vernunftreligion kantischer Prägung. Das ändert sich mit dem in Frankfurt entstandenen Manuskript „Der Geist des Christentums und sein Schicksal“ (1798/99; vgl. N 241–342). Die Trennung der Wirklichkeit in Sein und Sollen, wie Kant sie vorgenommen habe, überwinde nicht nur nicht den Ungeist der Zerrissenheit, der Veräußerung und der Entfremdung, wie er das zeitgenössische Christentum im Unterschied zur antiken Polisreligion bestimme, sondern bestätige und bekräftige ihn und mache eine christliche Volksreligion unmöglich. Das Mittel zur Überwindung der unseligen Entzweiung der Zeit ist mit den Wendungen Liebe und Leben umschrieben. Der Dichterfreund Hölderlin gab im Kontext des Frankfurt-Homburger Bundes der Geister die wesentliche Weisung: „Wir trennen uns nur“, steht im „Hyperion“ (1797) in scharfer Kritik am Kantianismus und seiner ichphilosophischen Zuspitzung bei Fichte geschrieben, „um inniger einig zu sein, göttlicher, friedlich mit allem, mit uns. Wir sterben, um zu leben. ... und darum ist sich alles gleich, was nur ein Leben ist in der göttlichen Welt, und es gibt in ihr nicht Herren und Knechte.“ (Zweiter Band. Zweites Buch) Mit Hegel zu reden: „Der Geliebte ist uns nicht entgegengesetzt, er ist eins mit unserm Wesen; wir sehen nur uns in ihm – und dann ist er doch wieder nicht wir – ein Wunder, das wir nicht zu fassen vermögen.“ (N 377) Die Liebe ist die vollzogene Identität der Verschiedenen. In ihr gewinnt das Leben selbst seine Einheit. „In der Liebe ist dies Ganze nicht als in der Summe vieler Besonderer, Getrennter enthalten; in ihr findet sich das Leben selbst, als eine Verdoppelung seiner Selbst, und Einigkeit desselben ...“ (N 379). Kurz: „In der Liebe ist das Getrennte noch, aber nicht mehr als Getrenntes – als Einiges und das Lebendige fühlt das Lebendige.“ (Ebd.) Im Frankfurter Systemfragment von 1800 ist die Konzeption lebendiger Liebe als Einheit der Verschiedenen in ihrer Verschiedenheit zu religionsphilosophisch konzentrierter Darstellung gebracht. Leben, heißt es mit einer im Kreise der Geistesbündler geläufigen Wendung, ist „die Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung“ (N 348), in der Entgegensetzung und Beziehung einen differenzierten Zusammenhang ausmachen. Erfasst und realisiert wird dieser Zusammenhang im religiösen Geist der Liebe, in welchem die Verschiedenen als Verschiedene eins sind, weil ihre Verschiedenheit, ohne aufzuhören, ihren trennenden Charakter verloren hat. Während die Indifferenz bloßen Einheitsgefühls konkrete Unterschiede nicht aufkommen lässt und die Reflexion den Gegensatz von Einem und Anderem sistiert, um so die Schranken des Endlichen unendlich iterieren zu

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lassen, vereint der Geist der Religion das differente Endliche in lebendiger Liebe, in dem er es über sich hinaus zum Unendlichen erhebt, welches alles Endliche in der Einheit von Einheit und Verschiedenheit begreift. In der Religion hebt sich die Beschränktheit des Endlichen auf und wird zum Unendlichen erhoben. Eben jener Vollzug der Erhebung des Menschen „vom endlichen Leben zum unendlichen Leben – ist Religion“ (N 347). Wenn Hegel das unendliche Leben, zu welchem Religion erhebt, Geist im Sinne lebendiger Einigkeit des Mannigfaltigen nennt, dann darf dies nicht ohne weiteres mit der späteren Forderung einer Aufhebung religiöser Vorstellung in den philosophischen Begriff assoziiert werden. Es ist im Gegenteil so, dass sich nach Auffassung des Frankfurter Systemfragments der bezeichnete Prozess der Erhebung nur in, durch und als Religion zu vollziehen vermag: „Die Philosophie muß eben darum mit der Religion aufhören.“ (N 348) Nicht die Religion sei in Philosophie, sondern die Philosophie in Religion aufzuheben, weil das Denken, welches als Denken die Schranken der Reflexion nicht prinzipiell hinter sich zu lassen in der Lage sei, allein im religiösen Vollzug zu jener Entschränkung gelange, welche die Unumschränktheit göttlicher Totalität als den reflexionsphilosophisch nicht auszudenkenden Grund aller Menschenvernunft erleben und erkennen lasse. Dass Hegel schon bald danach das Verhältnis von Religion und Philosophie anders bestimmen und von einem Primat letzterer gegenüber ersterer reden konnte, ist entscheidend durch einen Wandel seines Philosophiebegriffs bedingt, der nun nicht mehr der durch reflexive Brechungen und Trennungen charakterisierten Bewusstseinsphilosophie vorbehalten, sondern spekulativ gefasst wird. Eine Veranlassung, diesen Wandel als grundstürzenden Bruch zu deuten, besteht indes für 1800 und die unmittelbar folgenden Jahre nicht: Denn die philosophische Spekulation ist in ihrer Absicht, den reflexionsphilosophischen Standpunkt zu überwinden, wesentlich religiös motiviert. Der in der Religion waltende Geist des Lebens Spekulativer Karfreitag und der Liebe, welcher das Endliche zum Unendlichen erhebt, erweist seine machtvolle Identität und Stärke gerade darin, sich nicht durch Gegensätze bestimmen zu lassen, sondern das Differente noch in seiner äußersten Widrigkeit zu umfassen und in sich aufzuheben. Dies hat Hegel 1802/03 zu der Forderung an das Denken veranlasst, das Nichts nicht nur alles endlich Bestimmten, sondern den Tod des unendlichen Gottes selbst als Moment der höchsten Idee zu begreifen, um so die Reflexionsphilosophie der Subjektivität in spekulative Vernunftphilosophie zu überführen: „Der reine Begriff aber, oder die Unendlichkeit, als der Abgrund des Nichts, worinn alles Seyn versinkt, muss den unendlichen Schmerz, der vorher nur in der Bildung geschichtlich und als das Gefühl war, worauf die Religion der neuen Zeit beruht, das Gefühl: Gott selbst ist todt, ... rein als Moment, aber auch nicht als mehr denn als Moment, der höchsten Idee bezeichnen, und so dem, was etwa auch entweder moralische Vorschrift einer Aufopferung des empirischen Wesens oder der Begriff formeller Abstraction war, eine philosophische Existenz geben, und also

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der Philosophie die Idee der absoluten Freyheit, und damit das absolute Leiden oder den speculativen Charfreytag, der sonst historisch war, und ihn selbst, in der ganzen Wahrheit und Härte seiner Gottlosigkeit wiederherstellen, aus welcher Härte allein ... die höchste Totalität in ihrem ganzen Ernst und aus ihrem tiefsten Grunde, zugleich allumfassend, und in die heiterste Freyheit ihrer Gestalt auferstehen kann, und muß.“ (GW IV, 413f.) Was es mit dem ebenso langen wie viel zitierten Schlusssatz der 1802 bald nach der Differenzschrift („Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie“ [1801]) erschienenen Abhandlung „Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjectivität in der Vollständigkeit ihrer Formen, als Kantische, Jacobische und Fichtesche Philosophie“ näherhin auf sich hat, ist dem Religionskapitel der „Phänomenologie des Geistes“ von 1807 zu entnehmen, in welcher die in den Jenaer Jahren erfolgte Grundlegung der Religionsphilosophie ihren Abschluss findet. Gleichwohl soll die Darstellung der Hegel’schen Philosophie der Religion nicht auf der Basis der „Phänomenologie“, auch nicht im Anschluss an die einschlägigen Passagen der verschiedenen Fassungen der „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“, sondern auf der Grundlage der Vorlesungen erfolgen, die Hegel als akademischer Lehrer an der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität zur Religionsthematik zu halten hatte. Das erste religionsphilosophische Kolleg fand 1821 statt. Vieles spricht dafür, dass das Erscheinen der Erstauflage der Schleiermacher’schen Glaubenslehre den entscheidenden Anstoß dazu gab. Die Grundlage der Vorlesung bildete ein im selben Jahr angefertigtes, später ergänztes Manuskript. 1824 wiederholte Hegel die religionsphilosophische Vorlesung auf Manuskriptbasis, wohingegen er sich nach einem Bericht Philipp Konrad Marheinekes in den Kollegien von 1827 und 1831 primär auf Nachschriften aus dem jeweils vorangegangenen Jahrgang stützte. Die Texte der verschiedenen Kollegienjahrgänge sind einschließlich des Manuskripts von Walter Jaeschke herausgegeben worden (RPh I-III). Wegen ihres Vorzugs eines verhältnismäßig streng durchkomponierten systematischen Aufbaus soll die Vorlesung von 1827 als primäre Orientierungsquelle dienen. Der Gang der religionsphilosophischen Argumentation vollzieht sich in drei Schritten: 1. Der Vorlesungen über die Philosophie der Religion Begriff der Religion; 2. Die bestimmte Religion; 3. Die vollendete Religion. Zum ersten: Religion ist das Bewusstsein des absoluten Wesens. Mit ihrem Begriff ist sonach derjenige Gottes untrennbar verbunden. Als Gottesbeziehung, die sie ihrem Wesen nach ist, geht die Religion Theorie und Praxis gleichermaßen an. In theoretischer Hinsicht ist die religiöse Beziehung zu Gott Wissen Gottes, in praktischer Hinsicht Kultus. Religiöse Theorie und Praxis lassen sich zwar unterscheiden, nicht aber trennen, sofern der konkrete religiöse Vollzug der Gottesbeziehung stets beides zugleich ist. Theoretisch realisiert sich das Wesen der Religion, deren Begriff die bereits angesprochene Erhebung des Endlichen zum Unendlichen ist, durch Entwicklung des Gottesbewusstseins. Im Status abstrakter Anfänglichkeit ist das Bewusstsein Gottes und mit ihm die Religion ver-

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mittlungslos unmittelbar oder substanzhaft verfasst dergestalt, dass das Prinzip der bloßen Einheit und reinen Beziehung der absoluten Wirklichkeit auf sich selbst es ist, zu dem sich der Geist über alles Sinnliche erhebt. Das religiöse Beginnen hebt theoretisch mit dem Bewusstsein Gottes als absoluter Identität an, der alles Differente lediglich akzidentell ist. Die weniger pantheistische als vielmehr akosmostische Theologie des Spinozismus kann dafür als Beleg angeführt werden. Spinoza ist religiöser Theoretiker im emphatiReligion als Bewusstsein des schen Sinne insofern, als er stets nur das Eine in absoluten Wesens seiner absoluten Identität mit sich zu denken vermag. Doch kann es dabei nicht sein Bewenden haben, wenn anders Gott nicht verschlossen in sich selbst, sondern offenbar sein soll für das religiöse Bewusstsein, das als Gottesbeziehung überhaupt erst differenziert in Erscheinung tritt, wenn aus dem reinen Denken des Einen die Differenz zwischen Wissen und Gewusstem hervorgeht, ohne welche das religiöse Verhältnis nicht als Beziehung und damit als das verstanden zu werden vermag, was es ist. Hegel kann daher sagen, erst mit dem Unterschied fange Religion als solche an. „Hier erst haben wir zwei, Gott und das Bewußtsein, für das er ist.“ (RPh I, 278) Theologisch ist die Setzung des subjektiven Geistes, für den das Absolute ist, als Gottes Manifestation im Sinne der Erschließung des Endlichen durch das Unendliche aufzufassen. Anthropologisch und vom endlichen Bewusstsein her realisiert sich das religiöse Gottesverhältnis in der Weise bewusster Selbsttranszendenz des Endlichen auf das Unendliche und auf den absoluten Geist hin. Dabei beginnt der Erhebungsprozess mit der Unmittelbarkeit der Glaubensgewissheit, um in der Unterscheidung subjektiven Gefühls und objektiver Vorstellung reflexive Gestalt anzunehmen. Schließlich wird die Form religiöser Vorstellung in diejenige des Denkens überführt, in dem Gott und Gottesbewusstsein spekulativ als eins und verschieden zugleich erfasst werden und gemeinsam in den absoluten Begriff eingehen, welcher dazu bestimmt ist, die Religion im dreifachen Sinne des Wortes aufzuheben. Das theologische Theorem, welches das Absolute zu denken erlaubt, ist nach Hegel die Trinitätslehre als Inbegriff der Wahrheit der offenbaren Religion. Doch kann diese Wahrheit niemals allein theoretisch bestehen, sie muss immer auch praktisch ergriffen werden. Zum Begriff der Religion gehört daher die Praxis des Kultus wesentlich hinzu, wie er in Opferhandlungen, sakramentalen Vollzügen und namentlich in der Andacht des Herzens statthat, damit im bewussten Tun des Guten der Wahrheit Gottes entsprochen werde. Ist das religiöse Bewusstsein im theoretischen Verhältnis ganz in seinen göttlichen Gegenstand versenkt, ohne um sich und sein Erfülltsein von ihm realiter zu wissen, so wird es im praktischen Verhältnis eben dessen und damit seiner Bestimmung gewahr, mit Gott tatsächlich und in Wirklichkeit übereinzukommen. Auf diese Übereinkunft ist das religiöse Tun des Kultus ausgerichtet. Es zielt darauf, „mich in Gott zu wissen und Gott in mir“ (RPh I, 331). Dabei setzt der Kultus voraus, „daß die Versöhnung Gottes mit dem Menschen an und für sich vollendet ist, daß es nicht darum zu tun ist, diese Versöhnung erst absolut zustande zu bringen, sondern sie braucht nur für mich,

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den Besonderen, hervorgebracht zu werden, weil ich im Praktischen als dieser Einzelne wirklich bin. Dieser Versöhnung, die an und für sich vollbracht ist, teilhaft zu sein, ist das Tun des Kultus.“ (RPh I, 332) Sein innerster Sinn erfüllt sich in dem geistlichen Genuss, „daß ich bei Gott in Gnaden bin, daß sein Geist in mir lebendig ist“ (RPh I, 333). Dieser Genuss wird Taten des Geistes notwendig zeitigen. Notwendige Vernunftwahrheiten können nieDie Religionen und ihre mals durch zufällige Geschichtswahrheit begrün- Geschichte det werden, hatte Lessing (1729–1781) gesagt. Glaubwürdig ist das historische Zeugnis des Christentums und der Religionen nach seinem Urteil daher nur, wenn deren Traditionsbestände sich als vernünftig erweisen lassen. Das scheint ganz der Standpunkt natürlicher Vernunftreligion zu sein, die von der Historizität aller bestimmten Religionen abstrahiert. Indes stellt sich bei näherem Zusehen das Verhältnis von Vernunft und Geschichte bei Lessing weniger äußerlich dar, als es auf den ersten Blick den Anschein haben mag. Denn wie der einzelne Mensch erst im Laufe seiner Individualentwicklung zur Vernunft kommt, so bedarf auch das Menschengeschlecht einer geschichtlichen Erziehung, um vernünftig zu sein bzw. zu werden. Die Geschichte kann so als die Genese der Vernunft gelten, die vernünftigerweise nicht zu vernachlässigen, sondern sorgsam in Betracht zu ziehen ist. Das betrifft insbesondere jene Knotenpunkte der Geschichte, die Lessing mit dem Offenbarungsbegriff markiert. Offenbarungen sind wesentliche Mittel geschichtlicher Realisierung der Vernunft, die Religionsgeschichte das vorzügliche Medium, die Menschheit zur Vernunft zu bringen. In seiner 1780 erschienen Schrift „Die Erziehung des Menschengeschlechts“ hat Lessing das im Einzelnen dargetan, wobei er nach Maßgabe eines an Joachim von Fiore (ca. 1130–1202) erinnernden Geschichtsschemas das dritte Zeitalter des Geistes und der Vernunft kurz vor dem Anbruch sah. Die Bedeutung des Lessing’schen Textes für die idealistische Philosophie ist schwer zu überschätzen und allenfalls noch mit der Relevanz der Mittlerrolle zu vergleichen, die dem Dichter durch seine Erwähnung in Jacobis Spinozabriefen zuwuchs. Das lässt sich unter anderem an Hegels Religionsphilosophie deutlich machen. Damit die Religion in Theorie und Praxis zur Realisierung ihres Begriffs und zur wirklichen Begriff und Formen der Naturreligion Einsicht in die Versöhnung Gottes und des Menschen gelange, wie sie in der vollendeten Religion des Christentums in Wahrheit und Tat offenbar ist, bedarf es nach Hegel der vorhergehenden Erscheinung bestimmter Religionen und der bewussten Wahrnehmung der in ihnen manifesten Geschichte des Geistes. Davon handelt der zweite Teil seiner religionsphilosophischen Vorlesungen. Den Anfang der Religionsgeschichte und ihre erste Stufe markiert die Religion der Natur. In ihr, die nur mit Vorbehalt Religion zu nennen ist, hat sich der Geist noch nicht hinreichend vom Natürlichen und seiner ursprünglichen Einheit mit diesem emanzipiert. Indem er die Naturreligion zu einer unterentwickelten Gestalt der Religionsgeschichte erklärt, grenzt sich Hegel zugleich gegen die nach seinem Urteil in hohem Maße irrige Annahme ab, die erste Religion sei

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die wahrhafteste und vortrefflichste gewesen, im Vergleich zu der alles weitere als Verfall eingeschätzt werden müsse. In die Irre führe mithin auch die Vorstellung einer Verwirklichung göttlicher Bestimmung des Menschen in einem Urstand am Anbeginn der Zeiten. „Daß der Mensch in jenem ersten Zustand die höchste Kenntnis des Guten und der Natur gehabt habe, ist wohl schon angenommen worden, aber ganz absurd.“ (RPh II, 427) Weit davon entfernt, einen anfänglichen Urstand als „status integritatis“ originaler Gerechtigkeit zu verhimmeln, nennt Hegel das Paradies vielmehr einen Ort bzw. Zustand menschlicher Unzurechnungsfähigkeit, kurzum: einen Tiergarten, aus welchem herausgefallen zu sein nicht als fatales Menschengeschick zu beklagen, sondern als ein der geschöpflichen Bestimmung des Menschen entsprechendes Glück („felix culpa“) zu begrüßen ist. Die angebliche Unschuld eines ersten Menschen am Anfang der Geschichte seines Geschlechts könnte allenfalls in seiner natürlichen Indifferenz gegenüber dem Unterschied von Gut und Böse bestanden haben, wie sie der Infantilität jedes unmündigen Kleinkinds zu attestieren sei. Hingegen sei es als grundverkehrte Unmöglichkeit zu beurteilen, auf dieser Stufe bewusst zu verharren. Die Entzweiung des Bewusstseins, wie sie in der reflexen Erkenntnis des Guten und des Bösen statthat, ist durchaus der Bestimmung des Menschen gemäß, wenngleich nur als aufzuhebendes Durchgangsmoment, sofern die arbiträre Freiheit, Gut und Böse zu unterscheiden und in formaler Entscheidung zwischen beiden zu wählen, lediglich ein Abstraktum der Freiheit darstellt. „Dieser Standpunkt der formalen Freiheit, wo der Mensch Gutes und Böses sich gegenüber hat und über beiden steht, der Herr beider ist, das ist ein Standpunkt, der nicht sein soll, und zwar nicht so, daß er gar nicht sein, nicht hervortreten sollte – das ist vielmehr wegen der Freiheit notwendig, sonst ist er nicht frei, nicht Geist –, aber es ist ein Standpunkt, der aufgehoben werden, der mit der Versöhnung, in der Vereinigung mit dem Guten sich endigen muß.“ (RPh II, 426) Was die Formen der – mit der aufgeklärten „religio naturalis“ nicht zu verwechselnden – Naturreligion angeht, so ist als erste die Zauberei zu nennen, in der das Bewusstsein des Menschen auf die Vorstellung des Geistigen als einer natürlichen Macht über die Natur fixiert ist. In der Religion des Insichseins, wie es heißt, als der zweiten Form der Naturreligion, wird die Äußerlichkeit der Zauberei zurückgenommen und in die Innerlichkeit eines Wesens verlagert, das die empirische Zufälligkeit der äußeren Natur transzendiert, um als alles durchdringende „natura naturans“ zu walten, die in substanzhafter Natürlichkeit aller Dinge mächtig ist und neben sich nur Unselbständiges und Gleichgültiges, nicht aber wahrhaft Wirkliches gelten lässt. Während für die Naturreligion der Zauberei Eskimos, Afrikaner und Chinesen als Beispiele herhalten müssen, ist für die zweite – dem bereits erwähnten Spinozismus verwandte – Form nach Hegel der Buddhismus paradigmatisch, dessen absolute Substanz in leerer Innerlichkeit verharrt. Sie wird im Hinduismus als der nach Hegel dritten Form der Naturreligion in eine Unzahl natürlicher Göttermächte ausdifferenziert, aber dennoch von der Einheit des Brahma zusammengehalten.

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Die vierte und letzte Form der Naturreligion schließlich stellt bereits eine Übergangsform dar, weil sich in ihr der Geist prinzipiell über das Natürliche zu erheben und reflex zu werden beginnt. Infolgedessen entzweit sich das natürliche Eine bzw. die Einheit alles umfassender Natur, um zwiefache Gestalt anzunehmen, diejenige nämlich des Lichts als des natürlich Guten und diejenige der Finsternis als des natürlich Bösen. Am manichäischen Dualismus wird dies illustriert, bis schließlich der äußerliche Kampf der Söhne des Lichts gegen die Söhne der Finsternis in jenen wiederholten Kreislauf und Innenzirkel von Leben und Tod, Sterben und Auferstehen aufgehoben wird, der nach Hegel kennzeichnend ist für die ägyptische Religion. In ihr tritt das religiöse Prinzip der aus der Natur in sich gegangenen, Negation in sich begreifenden Subjektivität erstmals zutage, wenngleich in noch rätselhafter Weise, die erst in der griechischen Religion der Schönheit zur Klarheit gelangt. „Dort ist das Rätsel gelöst; die Sphinx ist nach einem bedeutungs- und bewunderungsvollen Mythos von einem Griechen getötet und das Rätsel so gelöst worden: der Inhalt sei der Mensch, der freie, sich wissende Geist.“ (RPh II, 532) In der Kunstreligion, wie es in der „Phänomenologie“ heißt, ist der Gegenstand, in welchem sich der Geist anschaut, in die reine Form des Selbst eingegangen: „Diese Form ist die Nacht, worin die Substanz verrathen ward, und sich zum Subjecte machte.“ (Phän. 654) Den Religionen der zweiten Stufe bestimmter Griechische und jüdische Religion, die Hegel gelegentlich unter der Über- Religion schrift Religionen der geistigen Individualität zusammenfasste, ist trotz wechselnder Reihenfolge ihrer Behandlung die Aufhebung des Natürlichen ins Geistige bzw. der Übergang aus der Form der Substanz in diejenige des Subjekts gemeinsam. Eine Darstellung des Islam fehlt bemerkenswerterweise. Die griechische Religion, die 1827 an erster Stelle behandelt wird, verklärt das Natürliche im Geiste der Schönheit, um es auf künstlerische Weise zur Manifestationsgestalt des Göttlichen und zum Wahrzeichen der Freiheit werden zu lassen. In der griechischen Religion der Schönheit ist die Idee des Kunstschönen in klassischer Form realisiert. Während die symbolische Kunstform des Orients im Allgemeinen und Ägyptens im Besonderen mehr ein Suchen nach Verbildlichung des Absoluten als eine Kunst wahrhafter Darstellung gewesen ist, gelangt in der Gestalt der griechischen Statue als der zentralen Größe klassischer Kunstform die Einheit von Idee und Fom zu einzigartiger Vollendung. Die Sinnlichkeit des natürlichen Menschenkörpers wird in der Skulptur zum Medium des Geistes, dessen Innerlichkeit alles Äußere beseelt. In den Ausführungen zur Ästhetik im vorhergehenden Abschnitt (I,10) ist hierzu das Nötige gesagt, so dass nur noch auf die wechselnde Stellung aufmerksam zu machen ist, die dem Judentum im Vergleich zum Griechentum im System zukommt. Weil in der griechischen Religion der Schönheit das Geistige noch mit der Äußerlichkeit der sinnlichen Natur behaftet ist, in welcher es sich manifestiert, ist das Göttliche in ihr noch nicht als reiner Geist erfasst. Mit diesem Mangel wird im gegebenen Zusammenhang die Notwendigkeit der Erhebung von der Religion der

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Schönheit zu derjenigen der Erhabenheit begründet. In ihr „erst ist das Endliche beherrscht vom Geiste, der Geist sich erhebend, erhoben über die Natürlichkeit, Endlichkeit, nicht mehr behaftet und getrübt von dem Äußerlichen, was bei der Form der Schönheit noch der Fall ist“ (RPh II, 534). Erst in der jüdischen Religion ist Gott als Geist, als geistige subjektive Einheit und damit recht eigentlich als Gott offenbar, der diesen Namen verdient. „Diese subjektive Einheit ist nicht Substanz – denn sie ist subjektiv –, wohl aber ist sie absolute Macht; das Natürliche ist nur ein durch sie Gesetztes, Ideelles, nicht Selbständiges. Erscheinend, offenbarend ist sie nicht im natürlichen Material, sondern wesentlich im Gedanken: Der Gedanke ist die Weise ihres Daseins, Erscheinens.“ (RPh II, 561) In der Allmacht des einen Gottes ist im Unterschied zur Religion der Schönheit alle sinnliche Gestalt aufgehoben. Während sich die Griechen ein bestimmtes menschliches Bild ihrer Gottheiten machten, herrscht in der jüdischen Religion Bilderverbot. Gott ist „hier gestaltlos – nicht für die sinnliche Vorstellung, sondern nur für den Gedanken. Die in sich unendliche reine Subjektivität ist die Subjektivität, die wesentlich denkend ist.“ (RPh II, 563) Die Subjektivität Gottes, wie sie sich in der jüdischen Religion manifestiert, ist nach Hegel indes noch nicht konkreter Geist. Statt im Anderen als einem Anderen sich selbst zu explizieren, entspricht sie in ihrem Selbstvollzug der Logizität unmittelbarer Selbstbestimmung. Um es zunächst unter dem Gesichtspunkt göttlicher Weltbeziehung zu verdeutlichen: Gott ist in seiner Gottheit über alles, was er nicht unmittelbar selbst ist, in absoluter Transzendenz schlechterdings erhaben. Erhabenheit ist in der jüdischen Religion entsprechend das entscheidende Charakteristikum der Beziehung Gottes zur Welt. „Die Welt wird als Manifestation dieses Subjekts gefaßt, aber als Manifestation, die nicht affirmativ ist oder die, indem sie zwar affirmativ ist, doch den Hauptcharakter hat, daß das Natürliche, Weltliche negiert wird als ein Unangemessenes für das Subjektive, so daß das Erscheinen Gottes sogleich als Erhabenheit über die Erscheinung an der Realität gefaßt ist.“ (RPh II, 569) Während in der griechischen Religion das Geistige sich sinnlich offenbart, vertilgt in der jüdischen Religion die göttliche Erhabenheit „den Stoff, das Material, an dem das Erhabene erscheint. Das Material wird ausdrücklich zugleich als unangemessen gewußt; es ist nicht bewußtlose Unangemessenheit. Denn zur Erhabenheit ist es nicht genug, daß das Substantielle an und für sich ein Höheres ist als seine Gestalt, sondern erst dies, daß in dieser die Unangemessenheit zugleich gesetzt ist.“ (RPh II, 570) Die Schranke der jüdischen Religion ist nach Hegel mit der Abstraktheit der Idee unmittelbarer Selbstbestimmung göttlicher Subjektivität gegeben. Gott ist in ihr abstrakte, nicht trinitarisch konkrete Einheit. Ihr Offenbarwerden im Christentum ist vorbereitet durch die römische Religion der Zweckmäßigkeit, die ihrem Wesen nach ein Übergangsphänomen darstellt. Über die jüdische Religion der Erhabenheit weist sie insofern hinaus, als sie – den Gedanken unmittelbarer göttlicher Selbstbestimmung transzendierend – in Gott Zwecke setzt. Dabei handelt es sich aber um Zwecke von beschränkter, endlicher und äußerlicher Art und nicht

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um den absoluten Zweck, der rein geistig ist und erst im Christentum offenbar wird. In ihm ist der Geist weder als Substanz noch als bloßes Selbst, sondern als Selbstbewusstsein von realem Dasein dergestalt offenbar, dass Gott im Geist die ewige Einheit seiner selbst und seines Anderen als des inkarnierten Sohnes ist. In der christlichen Offenbarung ist die Idee in der Einheit des Begriffs und der Realität, von Denken und Sein manifest. Deshalb ist das Christentum als offenbare Religion die vollendete und absolute, die Religion der Religionen. Ihr Inbegriff ist die Lehre von der Trinität, in der Gott als Dreieiniger gewusst und als der wahrhaft absolute Geist vollendeter Einheit von Einheit und Verschiedenheit erkannt wird. Diese offenbare Erkenntnis ist nach Hegel die Angel, um die sich die ganze Weltund Religionsgeschichte dreht. Durch sie ist das Christentum, was es ist: „Wer von Gott nicht weiß, daß er dreieinig ist, der weiß nichts vom Christentum. Daß Christus moralisch usw. gewesen sei, das wissen auch die Mohammedaner.“ (Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Zweite Hälfte. Dritter Teil. Die römische Welt. Dritter Abschnitt: Das Christentum [Lasson III, 722]) Die Philosophie der offenbaren Religion bedenkt Die vollendete Religion die Wahrheit der Idee Gottes in ihren drei Modes Christentums menten, wie sie an sich selbst ist, in ihrem Fürbezug und Anderssein sowie in ihrem An-und-Für-sich-Sein. Die Gliederung in die drei Reiche des Vaters, des Sohnes und des Geistes entspricht dem. Behandelt werden immanente Trinitätslehre, Christologie und Pneumatologie. Allerdings weist die Stoffeinteilung nicht unerhebliche Varianten auf, wie denn auch die Gliederungsprinzipien wechseln können. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang neben den religionsphilosophischen Vorlesungen selbst auf die „Phänomenologie“, deren – in den Gesamtzusammenhang der Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins nicht ohne Schwierigkeiten einzuordnende – Religionskapitel zwar die Basis für die spätere Religionsphilosophie bildet, ohne die formale Architektur von dieser schon erreicht zu haben. Nicht unerhebliche Systemprobleme werfen auf ihre Weise auch die verschiedenen Fassungen der „Enzyklopädie“ auf, welche die offenbare Religion in den Kontext der philosophischen Lehre von den Vernunftschlüssen stellt. Hinzu kommt, dass die Stellung der Gottesbeweise im religionsphilosophischen System nicht eindeutig ist. Doch bleibt davon die Tatsache unberührt, dass die unterschiedlichen Beweise vom Dasein Gottes Momente des Prozesses religiöser Erhebung bezeichnen, dessen Entwicklung sie beschreiben. Ihre Verschiedenheit bestimmt sich nach den jeweiligen Ausgangspunkten der Erhebung des Geistes aus dem Endlichen zu Gott, auf die sich ihre Gedankenentwicklungen beziehen. Im sog. teleologischen Beweis ist es die zweckmäßige Bestimmung der kosmischen Entitäten, von der aus auf einen weisen Urheber des Seins geschlossen wird, im sog. kosmologischen Beweis ist es die Zufälligkeit aller weltlichen Dinge, von der aus sich das Denken zur Idee eines wahrhaft notwendigen Seins erhebt, im sog. ontologischen Beweis schließlich der dem endlichen Geist zu denken aufgegebene Begriff des Absoluten, der unter Aufhebung seiner bloß subjektiven Form zur objektiven Erkenntnis des Gottseins Gottes führen soll.

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Letzterer Beweis, der erst im Christentum ausgebildet wurde und nach Hegel allein der wahrhafte ist, nimmt seinen Ausgang nicht von der vermeintlichen Selbständigkeit eines Gegebenen, sondern ist bestrebt, die absolute Identität des Denkens und Seins im Sinne des Gesamtsystems unter Integration all seiner Vermittlungsmomente zu explizieren. Man hat Hegel mit Recht einen Erneuerer des ontologischen Arguments und der metaphysischen Ontotheologie genannt. Sein Ziel ist indes nicht die Repristination der „ratio Anselmi“, auch nicht in der Form, die ihr Descartes und die Rezipienten des Cartesianismus gegeben haben, wohl aber der Aufweis eines Seins des Begriffs des notwendigen Wesens, auf den auch unter erkenntniskritischen Bedingungen nur um den Preis der Selbstaufgabe der Vernunft verzichtet werden kann. Dass sich dieser Sinn nicht anfänglich, sondern nur als Resultat der philosophischen Gedankenentwicklung erschließt, gilt sowohl für die Gottesbeweise als auch für die Religionsphilosophie insgesamt, welche die anderen philosophischen Disziplinen voraussetzt, um aus ihnen hervorzugehen. Womit die Religion beginnt, dass nämlich Gott als der Inhalt der Religion, auf den bezogen zu sein ihr Wesen ausmacht, die absolute Wahrheit sei, ist Ergebnis der ganzen Philosophie, welche vom reinen Denken in seiner logischen Entwicklung ausgeht, sich sodann auf das Anderssein der Natur einlässt, um sich vom endlichen Geist in seiner Beziehung auf die Natur durch den objektiven hindurch zum absoluten Geist zu erheben. Der absolute Geist, wie er sich in seiner SelbstofDer trinitarische Gott fenbarung dem religiösen Bewusstsein erschließt, ist an sich selbst reine Idee im Sinne entwickelter Einheit von Einheit und Verschiedenheit, wie sie aus der Logik des Seins und des Wesens hervorgeht, um in der Logik des Begriffs spekulativ erfasst zu werden. Die Logik bedenkt, wenn man so will, das ewige Sein Gottes vor und außerhalb der Erschaffung der Welt, auf dessen Erfassung die traditionelle Lehre von der immanenten Trinität oder der Wesenstrinität ausgerichtet ist. Hegel rezipiert diese nach Maßgabe seiner Systembegriffe Liebe, Leben und Geist, um Gottes ewige Gottheit als Selbstexplikation im Anderen zu erfassen. Dem entspricht das trinitarische Personverständnis: „Das Wahre der Persönlichkeit“, sagt Hegel, „ist eben dies, sie durch das Versenken, Versenktsein in das Andere zu gewinnen.“ (RPh III, 211) Gott als die geistvermittelte Einheit seiner selbst und seines Anderen ist als ewige Liebe und ewiges Leben realiter nicht denkbar, ohne als Schöpfer gedacht zu werden. In der Schöpfung, wie sie als geschaffene Welt und Menschheit in Erscheinung tritt, wird die Gott interne Unterschiedenheit extern. Das ewige Moment der Gottheit, welches der Logos als deren zweite Person repräsentiert, differenziert den Unterschied, in dem es sein göttliches Wesen hat, aus, um eine externe Welt aus Gott hervorzubringen, in der das Andere Gottes als Anderes sein endliches Dasein hat. Ist das Unterscheiden im immanenten trinitarischen Verhältnis Gottes zu sich selbst, wie es in der Wesenstrinität statthat, „nur eine Bewegung, ein Spiel der Liebe mit sich selbst, wo es nicht zur Ernsthaftigkeit des Andersseins, der Trennung und Entzweiung kommt“ (RPh III, 216), so tritt der Unterschied nun in seiner Eigen-

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tümlichkeit, das Andere Gottes als Anderes und zwar als in sich verschiedenes Anderes, kurzum: als Welt in der differenzierten Einheit von Natur und endlichem Geiste zutage. „Daß der Unterschied sei, dazu ist erforderlich das Anderssein, daß das Unterschiedene das Anderssein sei als Seiendes. Es ist nur die absolute Idee, die sich selbst bestimmt und die, indem sie sich bestimmt, als in sich absolut frei in ihr selbst sicher ist. So ist sie dies, indem sie sich bestimmt, dies Bestimmte als Freies zu entlassen, so daß es als Selbständiges ist, als selbständiges Objekt. Das Freie ist nur für das Freie vorhanden; nur für den freien Menschen ist ein anderer auch als frei. Es ist die absolute Freiheit der Idee, dass sie in ihrem Bestimmen, Urteilen, das Andere als ein Freies, Selbständiges entläßt. Dies Andere, als ein Freies, Selbständiges entlassen, ist die Welt überhaupt.“ (RPh III, 217) Mit der Schöpfung ist das interne Andere Gottes extern geworden, nicht hingegen zwangsläu- Die göttliche Ökonomie fig Entzweiung und Trennung von Gott gesetzt. Sie tritt erst mit dem Fall der Sünde ein, der darin besteht, dass sich das endliche Geschöpf, statt sich durch Selbstunterscheidung von seinem Schöpfer mit sich und seiner Geschöpflichkeit zu identifizieren, zu verabsolutieren bestrebt ist und sein will wie Gott. Damit ist aus dem Anderen Gottes ein Gott Fremdes geworden, in dem der schöpferische Wille Gottes als Unwille waltet. Die Rückkehr von Menschheit und Welt zu Gott ist durch das religionsgeschichtlich wachsende, in Israel übermächtig werdende Bewusstsein der Entzweiung des endlichen Geistes mit sich und seiner Wahrheit und durch das immer dringendere Bedürfnis motiviert, dass die Entfremdung sich behebe. Mit dem Erscheinen des Gottmenschen, der in Kreuz und Auferstehung die Versöhnung zwischen Gott und Mensch verwirklicht, und mit seiner Verherrlichung im Geiste der Gemeinde wird das ersehnte Heil real. Hegels Christologie ist Theanthropologie. In Jesus Christus hat sich das absolute Wesen ans Endliche entäußert, um dem Endlichen als Endlichem ein unveräußerliches Recht zu geben in ihm selbst. Dass die „ansichseiende Einheit der göttlichen und menschlichen Natur“ (RPh III, 235f.), wie das christologische Dogma sie bedenkt, dem – im unendlichen Schmerz seiner Entfremdung von Gott mit sich entzweiten – Bewusstsein in Form sinnlicher Anschauung erscheinen musste, hat Hegel nicht in Abrede gestellt, sondern eigens betont. Die Frage kann daher lediglich sein, wie der Zusammenhang zwischen der notwendigen Einzelheit der Erscheinung des Gottmenschen und der geschichtlichen Faktizität Jesu Christi zu bestimmen ist. Dass der Gottmensch einer und einzig zu sein hat, begründet Hegel vor allem mit der Einheit und Einzigkeit der Offenbarung, die er als Wesenserschließung des Absoluten und damit im strengen Sinne als Selbstoffenbarung auffasst. Das Medium der Selbstoffenbarung Gottes gehört diesem wesentlich zu und hat an dessen Einheit und Einzigkeit unveräußerlichen Anteil, was die Annahme einer Mehrzahl von Mediatoren bzw. einer Pluralität gottmenschlicher Individuen ausschließt. Der Gottmensch ist dieser da und kein anderer, und sein Erscheinen ist nicht lediglich eine göttliche Manifestation unter vielen, sondern sie gilt ein für allemal.

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Die ein für alle Male bestehende Geltung des einen und einzigen Gottmenschen hat nach Hegel freilich zur Voraussetzung, dass dessen Einzelheit nicht exklusiv gefasst und ausschließlich Jesus Christus in seiner geschichtlichen Besonderheit vorbehalten wird. Sein Kreuzestod selbst steht dafür, dass der Sohn Gottes nicht sein wollte, was er ist, ohne die verlorenen Söhne, die durch seine Selbsthingabe zu retten er gekommen war. Der Sinn der Sendung Jesu Christi, den er in seiner Predigt vom Reiche Gottes und der Liebe selbst angekündigt hatte, erfüllt sich sonach am Kreuz, welches im Lichte Osterns das Sein Jesu als gänzliche Proexistenz und seine Einzelheit als allgemein, nämlich für alle gegeben erweist. Indem in der Auferweckung des Gekreuzigten dem Endlichen im Äußersten seiner Hingabe göttliche Anerkennung zuteil wird, wird soteriologisch offenbar, was Versöhnung heißt: Dem Gott und dem Nächsten ganz hingegebenen endlichen Jesus ist der unendliche Gott selbst ganz hingegeben zum Heil von Menschheit und Welt. Im Geist der Gemeinde, deren Entstehen und Bestehen die Hegel’sche Philosophie der vollendeten Religion in ihrem dritten Teil bedenkt, wird diese Wahrheit im Glauben wahrgenommen, um ihr im Leben durch Liebe zu entsprechen. Die Genese der Gemeinde geht in eins mit der Entstehung des Glaubens, dass im gekreuzigten Der existierende Geist Jesus Gott selbst in seinem ewigen Leben österlich in Erscheinung getreten und sich als versöhnende Liebe erwiesen hat. Die Absolutheit des unendlichen Gottes negiert das Endliche keineswegs abstrakt, sondern inkarniert sich schöpferisch in ihm, um es von seiner Selbstverkehrtheit durch Hingabe zu befreien und ihm himmlische Vollendung auf österlich-pfingstliche Weise zuteil werden zu lassen. Was die Frage betrifft, welche empirische Bewandtnis es mit dem Erscheinen des Gekreuzigten nach seinem Kreuzestode habe, so tut die Kirche nach Hegel recht daran, „wenn sie solche Untersuchungen nicht anerkennen kann; denn sie gehen von dem Gesichtspunkt aus, als ob es auf das Sinnliche der Erscheinung ankomme, auf dies Historische, als ob in solchen Erzählungen von einem als historisch Vorgestellten nach geschichtlicher Weise die Beglaubigung des Geistes liege. Man sagt, man müsse die heiligen Schriften behandeln wie profane Autoren. Das kann man tun, was das bloß Geschichtliche, Endliche, Äußerliche betrifft. Das andere ist das Auffassen mit dem Geiste; jenes Profane ist nicht die Beglaubigung des Geistes.“ (RPh III, 253f.) Im österlichen Geist Pfingstens bleibt zwar der gekreuzigte Jesus von Nazareth unvergessen; aber er wird erinnert nicht lediglich als Vergangenheitsgestalt, sondern als der, welcher in, mit und unter der Erinnerung der Seinen an ihn sich selbst als lebendiges Subjekt seines Gedächtnisses erweist, um in der Kraft des Geistes gegenwärtig und zukunftsmächtig zu sein. Im geistgewirkten Glauben verharrt die Gemeinde nicht länger in der Distanz zu ihrem Grund und Gegenstand, sondern wird in die Versöhnungswirklichkeit Gottes, wie sie im auferstandenen Gekreuzigten offenbar ist, hineingenommen: „So ist die Gemeinde selbst der existierende Geist, der Geist in seiner Existenz, Gott als Gemeinde existierend.“ (RPh III, 254) Die Erhaltung der Gemeinde in ihrem Bestand vollzieht sich nach Hegel in dem

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Geist, der auch ihre Entstehung bewirkte. Er ist wirksam in Wort und Sakrament als den Mitteln, durch welche sich das gewisse Bewusstsein der gottmenschlichen Versöhnung, wie sie im Kreuz des Auferstandenen geschehen ist, vermittelt, damit der Mensch in Glaube und Liebe Anteil gewinne an der offenbaren Wirklichkeit des dreieinigen Gottes und diese durch die Kirche hindurch und über diese hinaus zu herrschen beginne in aller Welt. Die Philosophie trägt für Gegenwart und Zukunft des Reiches Gottes und seiner Herrschaft Wesentliches bei, sofern sie der theologischen Verflüchtigung christlicher Inhalte in Verstandesprosa und lyrischen Gefühlspietismus Einhalt gebietet und die religiösen Vorstellungen vernünftig zu begreifen sucht. Das kann nach Hegel nur kritisch und konstruktiv zugleich geschehen, sofern begreifendes Denken einerseits die Form der religiösen Vorstellung, für welche die Differenz von Vorstellendem und Vorgestelltem konstitutiv ist, aufzuheben hat, um der Versöhnung wahrhaft gewahr zu werden und sie als sich wissendes Selbstbewusstsein des Geistes realisieren zu können, andererseits aber den Gehalt der offenbaren Religion voraussetzt, weil der Begriff die Wahrheit, die er begreift, nicht unmittelbar aus sich heraus produziert, sondern als an und für sich seiend auf religiös vermittelte Weise erkennt. Was das genau bedeutet, wie mithin das Verhältnis von religiöser Vorstellung und begreifendem Denken präzise zu bestimmen ist, sollte eine der entscheidenden Fragen nicht nur der theologischen, sondern der Hegelrezeption im 19. Jahrhundert insgesamt werden. Für das Verständnis der Vorstellung, in deren Religiöse Vorstellung und Form sich nach Hegel der religiöse Inhalt auch begriffliches Denken des Christentums als der Religion der Religionen darbietet, ist festzuhalten, dass sie zwar Sinnlichkeit impliziert, aber deren Unmittelbarkeit bereits transzendiert hat. In reflexer Form wiederholt sich der Übergang von Ästhetik zur Religionsphilosophie in dieser, sofern die religiöse Wahrheit einschließlich derjenigen des Christentums mit sinnlicher Gewissheit anhebt, ohne welche das offenbare Absolute nicht zu Bewusstsein zu bringen ist. Der Gottmensch als die manifeste Einheit des Endlichen und des Unendlichen muss in Raum und Zeit erscheinen, damit die Versöhnung Gottes und des Menschen nicht bloßer Gedanke bleibe. Wie im Religionskapitel der „Phänomenologie“ hat Hegel auch später immer wieder betont, dass der irdische Jesus als „dieser da in seinem bestimmten Hier und Jetzt“, der in der Unmittelbarkeit sinnlichen Seins und in substantieller Gegenständlichkeit in Erscheinung trat, unveräußerlich zur Christologie, ja zur Wahrheit des Christentums überhaupt hinzugehöre. Indes darf das, wie es heißt, unmittelbare Dasein des seienden Selbstbewusstseins, in dem Gott als Mensch offenbar ist, nicht auf Sinnlichkeit fixiert werden, soll die religiöse Wahrheit des Christentums erkannt werden. Die äußere Historizität des Irdischen muss daher als am Kreuz endend und als in ihrer sinnlichen Endlichkeit österlich aufgehoben vorstellig werden, wie das in der christlichen Gemeinde in der Kraft des göttlichen Pfingstgeistes tatsächlich der Fall ist. Nicht schon in der unmittelbaren Begegnung mit dem historischen Jesus, sondern erst in der Vorstellung des auferstandenen Gekreuzigten, in welcher der irdi-

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sche Jesus auf die vermittelte Weise der Erinnerung präsent ist, erlangt das Christentum die ihm eigentümliche religiöse Form. Um die Wahrheit Jesu Christi wahrzunehmen, muss dem Christentum das sinnliche Sehen und Hören ihres Herrn in bestimmter Weise vergangen sein und die Sinnlichkeit die Vorstellungsform des Gedächtnisses und der Andacht annehmen, deren Sehen religiöse Schau und deren Hören der Gehorsam des Glaubens ist. Am Christusbild der Kunst lässt sich nach Hegels Ästhetik die Tendenz dieses Entwicklungsprozesses anfänglich verfolgen, deren Konsequenz die Lehre von der Geistpräsenz Jesu Christi in seiner Gemeinde formuliert. Indes soll es auch beim religiösen Gedenken Jesu Christi nicht sein Bewenden haben, sofern nach seinem Urteil das Denken allein die Form abgibt, in der die Wahrheit des in Jesus Christus in der Kraft des Heiligen Geistes offenbaren Gottes wahrhaft begriffen ist. Im absoluten Begriff vollendeter Vernunft ist nach Hegel die offenbare Religion des Christentums und mit ihr alles, was Religion zu nennen ist, durch Philosophie als spekulative Theologie zwar nicht abstrakt ersetzt, sofern Aufhebung immer auch Bewahrung bedeuten soll; sie hat aber ihre Nichtsubstituierbarkeit durch tätiges Denken insofern eingebüßt, als in der Aufhebung des Unterschieds von Religion und philosophischer Theologie deren herkömmliche Differenz als Differenz prinzipiell vergangen ist. In ihrem materialen Gehalt in philosophische bzw. theologische Theorie eingegangen, kann Religion ihre religiöse Form und Gestalt nach Hegel aus bedachten Gründen nicht länger behaupten. Die für das religiöse Bewusstsein charakteristische Struktur, sein Gegründetsein in der unbedingten Einheit Gottes als des inneren Grundes von Subjektivität und die Differenz aller Entitäten und Subjekte einschließlich des Ich selbst von Gott in unaufhebbarer Simultaneität zugleich, also als Einheit eines Zweifachen in seiner Zwiefachheit zu erfassen, wird Hegel zufolge überboten durch den gedanklichen Anspruch absoluten Denkens, aller Differenz inne und nicht länger durch Externität bestimmt zu sein, auch nicht durch die externe Differenz eines nach Urteil des religiösen Bewusstseins nachgerade in seinem offenbaren Begriff als unbegreiflich wahrzunehmenden Gottes, dessen Sein in unvordenklicher Weise alles Denken und Handeln transzendiert. Diesem spekulativen Überbietungsanspruch und damit der These zu leistender Aufhebung religiöser Vorstellung in den philosophischen Begriff reinen Denkens hat sich Schleiermacher widersetzt. Nach seinem Urteil ist das religiöse Verhältnis gedanklich nicht aufzuheben. Der Religion muss vielmehr eine weder durch Praxis noch durch Theorie substituierbare Bedeutung für das Leben des Geistes zuerkannt werden.

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Lit.: W. Dilthey, Das Leben Schleiermachers, 2 Bde., hg.v. M. Redeker, Berlin 1966–70. – K. Nowak, Schleiermacher. Leben, Werk und Wirkung, Göttingen 2001. – F.D.E. Schleiermacher, Kritische Gesamtausgabe (= KGA), hg.v. H.-J. Birkner/G. Ebeling/ H. Fischer/H. Kimmerle/K.-V. Selge, Berlin/New York 1980ff. – Ders., Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Aufgrund der zweiten Auflage (1830/31), hg.v. M. Redeker, 2 Bde., Berlin 1960 (= GL). Die Erstauflage der Glaubenslehre von 1821/22 wurde hg.v. H. Peiter, in: KGA I/7, 1 u. 2. – G. Wenz, Sinn und Geschmack fürs Unendliche. F.D.E. Schleiermachers Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern von 1799, München 1999 (Bayerische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse. Sitzungsberichte 1999/2).

Religion ist ihrem Wesen nach weder Denken Anschauung des Universums noch Handeln, sondern Anschauung des Univer- und Gefühl sums und Gefühl. Ihr muss daher neben Wissen und Tun anthropologische Eigenständigkeit zuerkannt werden, wohingegen jede metaphysische oder moralische Funktionalisierung des Religiösen konsequent zu vermeiden ist. Der Unterschied der Religion zu Metaphysik und Moral bedingt allerdings keinen Gegensatz: Denn als das neben Denken und Handeln dritte Grunddatum des Menschseins ist Religion zugleich Fundament und Basis allen menschlichen Wissens und Tuns, so dass Metaphysik und Moral ohne sie keinen beständigen Grund haben. Mit diesen Thesen (vgl. im Einzelnen Wenz, 3–52) trat im Juni 1799 ein bislang unbekannter Berliner Prediger an die Öffentlichkeit. 1768 in Breslau als Sohn eines reformierten Feldgeistlichen geboren, hatte er seine Erziehung in Herrnhuter Gefilden, in Bildungsanstalten der Brüderunität des Pietismusgrafen Nikolaus von Zinzendorf (1700–1760) empfangen, im Pädagogium zu Niesky zuerst, dann im Seminarium zu Barby an der Elbe nahe Magdeburg. Dort indes nahmen bald schon religiöse Zweifel überhand, die Orthodoxiekrise erwies sich als unabwendbar: „mit zitternder Hand und mit Thränen“ (KGA V/1, 51, 49f.) beichtet der Zögling dem frommen Vater Anfang 1787 schriftlich seinen Glaubensschwund und bittet dringlich, ihn aus Barby dorthin zu entlassen, wo er im Geiste offenbar längst schon angelangt war, ins aufgeklärte Halle. Dem betrübten Vater („O! Du unverständiger Sohn! wer hat Dich bezaubert, daß Du der Wahrheit nicht gehorchest? welchem Christus Jesus vor die Augen gemahlet war, und nun von Dir gecreuzigt wird.“ [KGA V/1, 53, 1–3]) bleibt nichts, als den verlorenen Sohn in die

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Welt, deren Ehre er angeblich sucht, ziehen zu lassen, damit er selbst sehe, ob seine „Seele von ihren Träbern kann satt werden“ (KGA V/1, 53, 15f.). Schleunigst möge er sich in Halle „zu einem Schulamt tüchtig machen“ (KGA V/1, 56, 118f.); eine Fortführung des Theologiestudiums gedenke der Vater jedenfalls nicht zu finanzieren, denn er will, wie der Sohn bereits richtig vermutet hatte, dem „Vaterland nicht wol einen heterodoxen Lehrer mehr geben“ (KGA V/1, 51, 75f.). Der weitere Gang der beruflichen Dinge war dennoch ein anderer: Das theologisch-philosophische Studium in Halle namentlich bei J.A. Eberhard (1739– 1809) eröffnet neue Perspektiven, der Kritizismus wird konstruktiv verarbeitet, das pietistische Erbe in transformierter Gestalt bewahrt: Nach einigem Hin und Her, das hier nachzuerzählen nicht nötig ist, tritt der schon verloren geglaubte Sohn in der Nachfolge seines Vaters als „Herrnhuter höherer Ordnung“, wie er selbst sich nennt, ins Pfarramt ein: 1796 erhält er die reformierte Predigerstelle an der Charité in Berlin, die er bis 1802 innehat, um schließlich Theologieprofessor in Halle und dann an der neugegründeten Humboldt-Universität in Berlin zu werden, wo er nach einer außerordentlich wirkungsreichen Tätigkeit als Theologe, Kirchenpolitiker und Philosoph 1834 stirbt. Man hat Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher Kirchenvater des (1768–1834) den Kirchenvater des 19. Jahrhun19. Jahrhunderts derts genannt. Diesen Ruhm verdankt er vor allem seinen fünf „Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ von 1799, mit denen er derselben – mit seinen Worten zu reden – eine eigene Provinz im Gemüt des Menschen zu verschaffen bzw. zurückzuerobern suchte. Den sozialgeschichtlichen Kontext der Reden bildet die Berliner Salonkultur, an die Schleiermacher insbesondere durch Henriette Herz (1764–1847) Anschluss gewann, sowie der Kreis der Frühromantiker, dem er durch die enge Freundschaft mit Friedrich Schlegel (1772–1829) verbunden war. Die vertrauten Briefe über Schlegels Werk „Lucinde“ gehören literarisch ebenso in diesen Zusammenhang wie die 1800 erschienenen „Monologen“, welche Grundzüge einer Ethik der Individualität entfalten. 1803 publiziert Schleiermacher „Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre“, die eine Kritik der Pflichtenethik Kants und Fichtes enthalten; 1805 erscheint die poetisch gestaltete „Weihnachtsfeier“. Sein Wirken an der Berliner Universität und in der philosophischen Klasse der Königlichen Akademie der Wissenschaften umfasst das gesamte Bildungsspektrum der Zeit. Schleiermacher liest über Ästhetik, Dialektik, philosophische Ethik, Geschichte der Philosophie, Hermeneutik, Pädagogik, Psychologie und Staatslehre. Welche Funktion er der Theologie im System der Wissenschaft zuerkennt, legt er in der „Kurzen Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen“ von 1810 dar. Das neben der theologischen Enzyklopädie und den Reden, die 1806 und später in nicht unerheblich modifizierter Form neu aufgelegt wurden, dritte theologische Hauptwerk, das im Folgenden genauer in Betracht gezogen werden soll, ist Schleiermachers Dogmatik, die 1821/22 in erster, 1830/31 in einer durch zwei Sendschreiben an Friedrich Lücke (vgl. KGA I/10, 307–394) vorberei-

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teten zweiten Auflage unter dem signifikanten Titel erschien: „Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt.“ Die „Christliche Sittenlehre“, die das praktische Seitenstück zur Glaubenslehre bildet, ist wie etliche andere theologische Werke nicht zum literarischen Abschluss gebracht und erst aus dem Nachlass herausgegeben worden. Religion ist Erhebung des Endlichen zum Unendlichen, hieß es bei Hegel. Bei Schleiermacher Reden über die Religion liest sich das so: Das Endliche kommt zum Bewusstsein seiner selbst und zur vollendeten Bestimmung seines Begriffs, dem es in Theorie und Praxis zu entsprechen hat, nur durch Wahrnehmung des Unendlichen, wie es in der Religion als Anschauung des Universums und Gefühl statthat. „Anschauen des Universums, ich bitte“, spricht der Redner, „befreundet Euch mit diesem Begriff, er ist der Angel meiner ganzen Rede, er ist die allgemeinste und höchste Formel der Religion, woraus Ihr jeden Ort in derselben finden könnt, woraus sich ihr Wesen und ihre Gränzen aufs genaueste bestimmen laßen.“ (KGA I/2, 213, 34– 37) Drei Bestimmungsmomente charakterisieren nach Schleiermacher den Anschauungsbegriff im Allgemeinen: Alles Anschauen geht zum einen von einem Einfluss des Angeschauten auf den Anschauenden aus, „von einem ursprünglichen und unabhängigen Handeln des ersteren, welches dann von dem lezteren seiner Natur gemäß aufgenommen, zusammengefaßt und begriffen wird“ (KGA I/2, 213, 39– 214,1); alles Anschauen ist zum andern unmittelbare Wahrnehmung des Einzelnen, von dem abzusehen und zu abstrahieren nicht Sache der Anschauung ist (vgl. KGA I/2, 215, 3–7); wegen ihres unsystematischen, der individuellen Einzelheit hingegebenen Charakters ist das Feld der Anschauung drittens nicht nur ein weites, sondern ein potentiell unbeschränktes (vgl. KGA I/2, 216, 17f.). Die religiöse Anschauung weist der Anschauung im Allgemeinen entsprechende Bestimmungsmomente auf. Beider Unterschied besteht ausschließlich darin, dass die religiöse Anschauung als Anschauung des Universums „alles Einzelne als einen Theil des Ganzen, alles Beschränkte als eine Darstellung des Unendlichen“ (KGA I/2, 214, 14f.) hinnimmt, wohingegen die Anschauung im Allgemeinen nicht direkt und explizit auf den Zusammenhang des Einzelnen mit dem Ganzen, des Endlichen mit dem Unendlichen gerichtet ist, obwohl auch sie diesen Zusammenhang indirekt und implizit voraussetzen muss. Denn es gilt: „Alles Endliche besteht nur durch die Bestimmung seiner Gränzen, die aus dem Unendlichen gleichsam herausgeschnitten werden müßen. Nur so kann es innerhalb dieser Gränzen selbst unendlich sein und eigen gebildet werden, und sonst verliert Ihr alles in der Gleichförmigkeit eines allgemeinen Begrifs.“ (KGA I/2, 213, 5-9) Die Präsenz des Ganzen im Einzelnen, des Unendlichen im Endlichen wahrzunehmen – dies ist die Eigenart der religiösen Anschauung als Anschauung des Universums. Im Übrigen teilt sie, wie gesagt, die Bestimmungsmomente der Anschauung im Allgemeinen: wie diese nimmt sie ihren Ausgang vom Angeschauten, nämlich von den „eigenen Darstellungen und Handlungen“ (KGA I/2, 211, 34) des Universums, von dessen „unmittelbaren Einflüßen ... sie sich in kindlicher Paßivität ergreifen und erfüllen

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laßen (will)“ (KGA I/2, 211, 35f.). Dabei bleibt sie stets und ohne Systematisierungsabsicht bei der Einzelanschauung stehen, „bei den unmittelbaren Erfahrungen vom Dasein und Handeln des Universums“ (KGA I/2, 215, 7f.) mit der Konsequenz, dass der Stoff der religiösen Anschauung ein ebenso unbeschränkter wie unerschöpflicher ist. Wenngleich nach Schleiermacher im Grundsatz Der Stoff religiöser alles Endliche zur Manifestationsgestalt des UnAnschauung endlichen und zum Stoff religiöser Anschauung werden kann, macht er die Mediationsformen der Anschauung des Universums doch nicht im Sinne planer Parität, sondern in der Weise dreier konzentrischer Kreise vorstellig, um vom „äußersten Vorhof“ (KGA I/2, 223, 22) zum „innerste(n) Heiligthum“ (KGA I/2, 223, 21) der Religion hinzuführen. Der äußerste Vorhof des religiösen Heiligtums ist durch die extrahumane Natur umschrieben. Echte religiöse Anschauung und echtes religiöses Gefühl lassen sich aus ihren einzelnen Kräften indes ebenso wenig gewinnen wie aus der zahllosen Masse, welche den unermesslichen Weltraum erfüllt: „Der Raum und die Maße machen nicht die Welt aus und sind nicht der Stoff der Religion; darin die Unendlichkeit zu suchen, ist eine kindische Denkungsart. Als nicht die Hälfte jener Welten entdekt war, ja als man noch gar nicht wußte, daß leuchtende Punkte Weltkörper wären, war dennoch das Universum nicht weniger herrlich anzuschauen als jezt, und es gab nicht mehr Entschuldigung für den Verächter der Religion als jezt.“ (KGA I/2, 225, 12– 18) Nicht die Überfülle der Massen im endlosen Weltraum, bestenfalls die Gesetze, denen die äußere Natur folgt, können eine Urahnung von Religion erzeugen. Doch bleibt es auch angesichts der erstaunlichen und bewunderungswürdigen Ordnung natürlichen Seins und Werdens bei Schleiermachers Urteil, dass die äußere Natur nicht „für den ersten und vornehmsten Tempel der Gottheit“ (KGA I/ 2, 223, 20f.) zu erachten sei. Mit dem Weltall hat Schleiermachers Universum also nur sehr bedingt etwas zu tun. Unvergleichlich näher als die äußere Natur steht dem religiösen Wesen das innere Leben des Humanen, wobei der Mensch allerdings nicht als auf sich allein gestellt und in solipsistischer Selbstbezüglichkeit, sondern im intersubjektiven Verein mit der Menschheit in Betracht kommen soll: „(U)m die Welt anzuschauen und um Religion zu haben, muß der Mensch erst die Menschheit gefunden haben, und er findet sie nur in Liebe und durch Liebe.“ (KGA I/2, 228, 15–17) Schleiermacher illustriert dies an der biblischen Schöpfungsgeschichte als „einer der ältesten Urkunden der Dichtkunst und der Religion“ (KGA I/2, 227, 34f.): „So lange der erste Mensch allein war mit sich und der Natur, waltete freilich die Gottheit über ihm, sie sprach ihn an auf verschiedene Art, aber er verstand sie nicht, denn er antwortete ihr nicht; sein Paradies war schön, und von einem schönen Himmel glänzten ihm die Gestirne herab, aber der Sinn für die Welt ging ihm nicht auf; auch aus dem Innern seiner Seele entwikelte er sich nicht; aber von der Sehnsucht nach einer Welt wurde sein Gemüth bewegt, und so trieb er vor sich zusammen die thierische Schöpfung ob etwa sich eine daraus bilden möchte. Da erkannte die Gottheit, daß

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ihre Welt nichts sei so lange der Mensch allein wäre, sie schuf ihm die Gehülfin, und nun erst regten sich in ihm lebende und geistvolle Töne, nun erst ging seinen Augen die Welt auf. In dem Fleische von seinem Fleische und Bein von seinem Beine entdekte er die Menschheit, und in der Menschheit die Welt; von diesem Augenblik an wurde er fähig die Stimme der Gottheit zu hören und ihr zu antworten, und die frevelhafteste Übertretung ihrer Geseze schloß ihn von nun an nicht mehr aus von dem Umgange mit dem ewigen Wesen. Unser aller Geschichte ist erzählt in dieser heiligen Sage.“ (KGA I/2, 227, 35–228, 14) Die heilige Sage der biblischen Schöpfungsgeschichte ist nach Schleiermacher ein klarer Beleg dafür, dass den eigentlichen Stoff der Religion nicht die extrahumane Natur, sondern die Menschheitsgeschichte darstellt: „Die Menschheit selbst ist Euch eigentlich das Universum, und Ihr rechnet alles andere nur in so fern zu diesem als es mit jener in Beziehung kommt oder sie umgiebt.“ (KGA I/2, 228, 27– 30) Schleiermacher will über diesen Gesichtspunkt erklärtermaßen „nicht hinausführen“ (KGA I/2, 228, 30f.); er plädiert aber entschieden dafür, nicht lediglich aus moralischen Motiven Interesse an der Menschheit zu nehmen: „Wirkt auf die Einzelnen, aber mit Eurer Betrachtung hebt Euch auf den Flügeln der Religion höher zu der unendlichen ungetheilten Menschheit; sie suchet in jedem Einzelnen, seht das Dasein eines Jeden an als eine Offenbarung von ihr an Euch.“ (KGA I/2, 229, 1–4) In der Individualität des Einzelnen die Menschheit als ganze anzuschauen und zu fühlen, das Sein und Werden des Individuums als Manifestation der Menschheit und ihrer Geschichte wahrzunehmen – das ist Religion. Letzteren Aspekt, den der Menschheitsgeschichte, hebt Schleiermacher eigens hervor, wenn er sagt: „Geschichte im eigentlichsten Sinn ist der höchste Gegenstand der Religion, mit ihr hebt sie an und endigt mit ihr ... und alle wahre Geschichte hat überall zuerst einen religiösen Zwek gehabt und ist von religiösen Ideen ausgegangen. In ihrem Gebiet liegen dann auch die höchsten und erhabensten Anschauungen der Religion.“ (KGA I/2, 232, 38–233, 6) Selbst die Anschauung der MenschheitsgeDas innerste Zentrum der schichte führt allerdings noch nicht ins innerste Religion Zentrum der Religion, vielmehr verweist das geschichtliche Werden auf ein Eschaton, das zwar nicht als einfachhin Geschichtsjenseitiges vorzustellen ist, zugleich aber alles Menschheitsgeschichtliche transzendiert: „Nach einer solchen Ahndung von etwas außer und über der Menschheit strebt alle Religion.“ (KGA I/2, 235, 9f.) Dessen Transzendenz, in welchem Endliches und Unendliches vollkommen vereint sind und das Differente unmittelbar koinzidiert, entzieht sich indes jedem Begriff und jeder Form diskursiver Beschreibung und ist in seiner Unbegreiflichkeit nur präsent in jenem seinerseits unbeschreiblichen „erste(n) geheimnisvolle(n) Augenblik“ (KGA I/2, 221, 20), in dem sich das Universum nicht nur allem Tun, sondern auch allem Denken zuvorkommend in präreflexiver Evidenz erschließt. „Dieser Moment ist die höchste Blüthe der Religion. Könnte ich ihn Euch schaffen, so wäre ich ein Gott ...“ (KGA I/2, 222, 6f.)

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Da Schleiermacher indes kein Gott, auch kein Gottmensch, sondern ein Mensch ist, bleibt ihm nichts, als seiner religiösen Rede gleich zu Anfang entsprechenden Einhalt zu gebieten und ihr Beginnen zu unterbrechen, um durch Schweigen jene „heilige Stille“ (KGA I/2, 206, 15) hervorzurufen, ohne deren konzentrierte Sammlung es unmöglich ist, „das Dargestellte aus sich selbst zu verstehen“ (KGA I/2, 206, 24f.). Da man indes, um zu reden, nicht nichts sagen kann, iteriert das Problem: Denn zwangsläufig verstellt die Darstellung das Darzustellende; die intendierte unmittelbare Wesensschau der Religion lässt sich nicht herstellen, sondern lediglich vorbereiten in der Erwartung, dass das Selbstverständliche, um welches es in der Religion geht, sich von sich aus einleuchtend zu verstehen gibt. Die Rede sein kann vom Religiösen freilich stets nur in reflexiver Gebrochenheit. Die Unterscheidung der beiden Grundterme zur Benennung des Wesens der Religion ist dafür an sich selbst ein Indiz: Anschauung des Universums und Gefühl – wie bei jeder sinnlichen Wahrnehmung Sinn und Gegenstand für einen Augenblick eins sind, um erst nachträglich sich zu sondern, so sind auch im Ureindruck der Religion Anschauung und Gefühl „ursprünglich Eins und ungetrennt“ (KGA I/2, 222, 17). Um den Blick für die unmittelbare Wesensschau der Religion zu öffnen, unterbricht sich Schleiermacher daher ein weiteres Mal selbst, um innezuhalten und „einen Augenblik darüber zu trauern, daß ich von beiden (sc. Anschauung und Gefühl) nicht anders als getrennt reden kann; der feinste Geist der Religion geht dadurch verloren für meine Rede, und ich kann ihr innerstes Geheimniß nur schwankend und unsicher enthüllen. Aber eine nothwendige Reflexion trennt beide, und wer kann über irgend etwas, das zum Bewußtsein gehört, reden, ohne erst durch dieses Medium hindurch zu gehen.“ (KGA I/2, 220, 32– 37) Die Einsicht in die Alternativlosigkeit dieses Verfahrens darf indes nicht zu dem Fehlschluss verleiten, „daß religiöse Anschauungen und Gefühle auch ursprünglich in der ersten Handlung des Gemüths so abgesondert sein dürfen, wie wir sie leider hier betrachten müßen. Anschauung ohne Gefühl ist nichts und kann weder den rechten Ursprung noch die rechte Kraft haben, Gefühl ohne Anschauung ist auch nichts: beide sind nur dann und deswegen etwas, wenn und weil sie ursprünglich Eins und ungetrennt sind.“ (KGA I/2, 221, 14–19) Poetisch gesprochen: „Wer sich selbst nicht anUnmittelbares Innesein des schaut wird nie das Ganze begreifen / Wer nicht Ganzen das Ganze gesucht findet auch nimmer sich selbst.“ (KGA I/2, 127, 4f. [Gedanken III/33]) Wie sich die äußere Gegenstandswelt sinnlich nicht anders in Erfahrung bringt, als dass man ihrer durch Fühlung innewird, so ist auch die Anschauung des Universums elementar mit Gefühl verbunden, welches gleich dieser zum unveräußerlichen Wesen der Religion gehört. Auf sinnliche Eindrücke bezogene Gefühle sind relativ zu nennen, weil in ihnen passives Empfinden und aktives Gestalten stets und untrennbar zusammenwirken. Im Unterschied dazu ist das Eigentümliche des religiösen Gefühls, welches der Anschauung des Universums korrespondiert, in seiner absoluten Elementarität zu suchen, sofern es des Sich-Gegeben-Seins von handelnder und denkender Selbst-

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tätigkeit überhaupt inne wird. Mit Schleiermacher zu reden: „aber daß ein Handeln in Euch hervorgebracht, die Selbstthätigkeit Eures Geistes in Bewegung gesezt wird, das werdet Ihr doch nicht den Einflüßen äußerer Gegenstände zuschreiben? Ihr werdet doch gestehen, daß das weit außer der Macht auch der stärksten Gefühle liege, und eine ganz andere Quelle haben müße in Euch.“ (KGA I/2, 218, 31– 35) Indem er des im Endlichen sich zur Anschauung bringenden Unendlichen gewahr und des Universums fühlend inne wird, erschließt sich dem religiösen Menschen das Sich-Gegebensein seiner selbst in der Ureigenheit seiner ebenso unaufhebbaren wie irreduziblen Individualität und zugleich die unaufhebbare und irreduzible Andersheit anderer Individuen in der unbegrenzten Vielfalt einer gemeinsam gegebenen Welt. Als Anschauung des Universums und Gefühl Religion im Verhältnis zu ist die Religion neben Denken und Handeln das Metaphysik und Moral „nothwendige und unentbehrliche Dritte“ (KGA I/2, 212, 20f.) des Menschenwesens. Religion darf daher, wie eingangs gesagt, nie zur bloßen Funktion von Metaphysik und Moral herabgesetzt werden. Der Unterschied zur Metaphysik als dem systematischen Inbegriff des Denkens bzw. dem Begriff, welchen das Denken von sich selbst hat, besteht darin, dass die Religion das Universum, auf welche ihre Anschauung gerichtet ist, um seiner gefühlsmäßig inne zu werden, nicht der „Natur nach zu bestimmen und zu erklären“ (KGA I/2, 211, 29f.) begehrt. Die Metaphysik hingegen „geht aus von der endlichen Natur des Menschen, und will aus ihrem einfachsten Begriff, und aus dem Umfang ihrer Kräfte und ihrer Empfänglichkeit mit Bewußtsein bestimmen, was das Universum für ihn sein kann, und wie er es nothwendig erbliken muß. Die Religion lebt ihr ganzes Leben auch in der Natur, aber in der unendlichen Natur des Ganzen, des Einen und Allen; was in dieser alles Einzelne und so auch der Mensch gilt, und wo alles und auch er treiben und bleiben mag in dieser ewigen Gährung einzelner Formen und Wesen, das will sie in stiller Ergebenheit im Einzelnen anschauen und ahnden.“ (KGA I/2, 212, 2–10) Dem wesensmäßigen Unterschied der Religion von der Metaphysik auf der einen Seite entspricht auf der anderen Seite derjenige zur Moral, welche das Universum „aus Kraft der Freiheit und der“, wie es heißt, „göttlichen Willkühr des Menschen es fortzubilden und fertig zu machen“ (KGA I/2, 211, 31f.) sucht. „Die Moral geht vom Bewußtsein der Freiheit aus, deren Reich will sie ins Unendliche erweitern, und ihr alles unterwürfig machen; die Religion athmet da, wo die Freiheit selbst schon wieder Natur geworden ist, jenseit des Spiels seiner besondern Kräfte und seiner Personalität faßt sie den Menschen, und sieht ihn aus dem Gesichtspunkte, wo er das sein muß was er ist, er wolle oder wolle nicht. So behauptet sie ihr eigenes Gebiet und ihren eigenen Charakter nur dadurch, daß sie aus dem der Spekulazion sowohl als aus dem der Praxis gänzlich herausgeht, und indem sie sich neben beide hinstellt, wird erst das gemeinschaftliche Feld vollkommen ausgefüllt, und die menschliche Natur von dieser Seite vollendet.“ (KGA I/2, 212, 10–20) Unbeschadet ihrer unaufhebbaren Unterscheidung von Metaphysik und Moral

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ist das Verhältnis der Religion zu Denken und Handeln durch keinen abstrakten Gegensatz bestimmt, sondern ein Verhältnis differenzierten Zusammenhangs. Religion nämlich ist menschlichem Wissen und Tun nicht einfach nebengeordnet, sie hat vielmehr für beide eine konstitutive Bedeutung, sofern gilt: „Spekulazion und Praxis haben zu wollen ohne Religion, ist verwegener Übermuth, es ist freche Feindschaft gegen die Götter, es ist der unheilige Sinn des Prometheus, der feigherzig stahl, was er in ruhiger Sicherheit hätte fordern und erwarten können. Geraubt nur hat der Mensch das Gefühl seiner Unendlichkeit und Gottähnlichkeit, und es kann ihm als unrechtes Gut nicht gedeihen, wenn er nicht auch seiner Beschränktheit sich bewußt wird, der Zufälligkeit seiner ganzen Form, des geräuschlosen Verschwindens seines ganzen Daseins im Unermeßlichen. Auch haben die Götter von je an diesen Frevel gestraft. Praxis ist Kunst, Spekulazion ist Wißenschaft, Religion ist Sinn und Geschmak fürs Unendliche. Ohne diese, wie kann sich die erste über den gemeinen Kreis abentheuerlicher und hergebrachter Formen erheben? wie kann die andere etwas beßeres werden als ein steifes und mageres Skelet?“ (KGA I/ 2, 212, 22–35) Die Antwort ist eindeutig: Ohne Wahrnehmung des Unendlichen, wie sie in der Religion geschieht und gepflegt wird, verfehlen Metaphysik und Moral sich selbst und die endliche Bestimmung, die ihnen von ihrem Begriff her in theoretischer und praktischer Hinsicht aufgegeben ist. Vorausgesetzt ist dabei, dass allein die Religion direkt auf das Unendliche hingeordnet ist, wohingegen Denken und Handeln ihrem Wesen nach auf das Endliche bezogen und lediglich indirekt und vermittelt durch die Religion mit einem Unendlichkeitsbezug versehen sind. Unmittelbar plausibel ist diese Voraussetzung, solange sich Wissen und Tun mit dem Endlichen Die Neuauflagen der Reden bescheiden und nicht selbst den Anspruch einer Totalitäts- und Absolutheitswahrnehmung erheben. Spätestens aber mit Schellings Lehre von der intellektualen Anschauung, wie er sie in seinen „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums“ von 1802 zusammenfassend vorgetragen hat, war dieser Fall eingetreten und vom philosophischen Denken ein metaphysisches Wissen des Unendlichen und Ganzen beansprucht. Schleiermachers Verständnis der Religion stand damit, wie es scheint, vor der Alternative, entweder die Behauptung der Unabhängigkeit der Religion von der Metaphysik preiszugeben oder die religiöse Selbständigkeit im abstrakten Gegensatz zum Denken und damit in der Weise gleichsam vermittlungsloser Unmittelbarkeit und eines bloßen Subjektivismus zu behaupten. Diese Alternative zu vermeiden, ist das bewegende Motiv der Fortschreibung des Religionskonzepts von 1799 in den beiden Auflagen der Schleiermacher’schen Glaubenslehre von 1821/22 bzw. 30/31 sowie in den Neuauflagen der Reden von 1806, 1821 und 1831 (vgl. KGA I/12) – die Letztausgabe war im 19. Jahrhundert wirkungsgeschichtlich bestimmend, bis die von Rudolf Otto veranstaltete Säkularausgabe der Erstauflage veränderte Rezeptionsbedingungen schuf. Vermeidbar ist die bezeichnete Alternative nur, wenn dem Denken einerseits mit Gründen bestritten werden kann, dass das von ihm beanspruchte absolute Wissen ein reales Wissen von der Art ist, welches in Gedanken wirklich

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erfasst zu werden vermag, und wenn ihm andererseits verständlich zu machen ist, dass das in der Religion Wahrgenommene unbeschadet der Unersetzbarkeit religiöser Wahrnehmung gerade jener unbedingte Grund ist, welcher als die Bedingung der Möglichkeit allen Denkens (und Handelns) fungiert, auf den hin sonach alles Denken (und Handeln) angelegt und ausgerichtet ist. Genau auf diesen Beweis zielt Schleiermachers religionstheoretische Argumentation. Dabei tritt seit der Zweitauflage der Reden von 1806 der Anschauungsbegriff zwar terminologisch offenkundig zurück, was durch dessen philosophische Beanspruchung durch Schelling sicher mitveranlasst ist. Aber erstens verschwindet der Begriff der religiösen Anschauung auch in den Neuauflagen der Reden keineswegs völlig, sondern wird in bestimmten Argumentationszusammenhängen ausdrücklich beibehalten und zwar bemerkenswerterweise dort, wo Schleiermacher die Religion nicht lediglich als drittes Gemütsvermögen neben Denken und Handeln, sondern als ursprünglichen Identitätsgrund des Gemüts erweisen will. Bereits dadurch ist die Vermutung nahegelegt, die sich zweitens in sachlicher Hinsicht durchweg bestätigt, dass nämlich die terminologische Dominanz des Gefühlsbegriffs in den Neuauflagen der Reden und in der Glaubenslehre nicht als eine Rücknahme der religionstheoretischen Grundannahme Schleiermachers, sondern als deren Bekräftigung zu deuten ist. Denn dezidiert festgehalten wird auch und gerade unter den durch Schellings Theorie der intellektualen Anschauung geschaffenen Bedingungen, dass die zurecht behauptete Wahrnehmung eines transzendenten Grundes der Einheit von Realem und Idealem der Religion vorzubehalten und nicht durch einen Akt philosophischen Wissens oder durch rein begriffliche Vermittlung zu erschwingen sei. Wenn Schleiermacher die Wahrnehmung des Gefühl als unmittelbares transzendenten Grundes vornehmlich mit dem Existentialverhältnis Gefühlsbegriff in Verbindung bringt, dann geschieht das vor allem in der Absicht, sie als eigentümlich religiös zu identifizieren und kritisch gegenüber metaphysischen Absolutheitsansprüchen des Denkens und vergleichbaren Totalitätsbestrebungen moralischen Handelns abzusetzen. Die konstruktive Pointe der vorgenommenen kritischen Unterscheidung wäre indes verkannt, wollte man den aus situativen Gründen terminologisch dominierend gewordenen Gefühlsbegriff einseitig mit der Assoziation des bloß Subjektiven bzw. einer gleichsam vermittlungslosen Unmittelbarkeit des Religiösen verbinden und ihn auf diese Weise in einen Gegensatz zu der sachlichen Intention bringen, die anfänglich mit dem Anschauungsbegriff bzw. mit der These ursprünglicher Einheit von Anschauung und Gefühl im religiösen Wahrnehmungsvollzug verfolgt wurde. Denn – um lediglich das Verhältnis von Religion und Metaphysik in Betracht zu ziehen – die behauptete Differenz des religiösen Gefühls zu Denken und Wissen ist kein abstrakter Gegensatz. Zwar ist das religiöse Gefühl vom gegenstandsbezogenen Selbstbewusstsein und seinen Wissensgehalten ebenso unterschieden wie vom in sich reflektierten Denken des Ich, das alles Gewusste begleitet. Doch ist das religiöse Gefühl ebenso wenig ohne internen Bezug zu Denken und

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Wissen. Als ein Beleg dafür darf die Tatsache gelten, dass im entwickelten System Schleiermachers der Gefühlsbegriff mit der Wendung „unmittelbares Selbstbewusstsein“ umschrieben bzw. gleichgesetzt wird. Indem Schleiermacher den Gefühlsbegriff mit dem des unmittelbaren Selbstbewusstseins verbindet, stellt er zum einen klar, dass das fromme Gefühl ein Sich-Wissen durchaus enthält und nicht mit unterbewussten oder gar unbewussten Zuständen zu verwechseln ist. Andererseits macht die dem Ausdruck „Selbstbewusstsein“ hinzugefügte Bestimmung „unmittelbar“ deutlich, dass das fromme Gefühl kein reflex mediatisiertes oder willensbestimmtes Bewusstsein von sich selbst ist, „welches“, wie es heißt, „mehr einem gegenständlichen Bewußtsein gleicht“ (GL § 3,2). Statt mit einer durch Selbstbetrachtung vermittelten Vorstellung von sich selbst gleichgesetzt zu werden, ist das unmittelbare Selbstbewusstsein im Sinne Schleiermachers eher einer grundierenden Stimmung zu vergleichen, in welcher in präreflexiver und allen Willensvollzügen zuvorkommender Weise das Ich unmittelbar seiner selbst und der ungeteilten Gänze seines Daseins inne wird. Schleiermacher legt diese Deutung nicht zuletzt deshalb nahe, weil er H. Steffens (1773– 1845) Beschreibung des Gefühls als unmittelbare Gegenwart des ganzen ungeteilten Daseins anmerkungsweise als der seinigen „sehr verwandt“ (GL § 3,2 Anm.) qualifiziert. Handelt es sich also beim Gefühl, das als unmittelbares Selbstbewusstsein bzw. an anderer Stelle als „unmittelbares Existentialverhältniß“ (KGA I/10, 318, 18) umschrieben wird, um eine Totalitätswahrnehmung, wie sie der Unterscheidung von Selbst und Welt in bestimmter Weise vorausgeht, so liegt es nahe, mit Schleiermachers Gefühlsbegriff einen Anspruch zu verbinden, der auf die zentrale Frage bezogen ist, welche Kants Transzendentalphilosophie hinterlassen, nicht aber befriedigend beantwortet hatte. Seine Religionstheorie wäre dann nicht lediglich als romantisches Fündlein, sondern als ein eigenständiger Beitrag zur Lösung des für die Systemkonzeptionen des Deutschen Idealismus insgesamt bestimmenden Problems der Konstitution von Subjektivität zu werten. Indem er des im Endlichen sich zur Anschauung Religiöse Sozialisierung bringenden Unendlichen gewahr und des ganzen ungeteilten Daseins fühlend inne wird, erschließt sich, so wurde gesagt, dem religiösen Menschen das Sich-Gegebensein seiner selbst in der Ureigenheit seiner ebenso unaufhebbaren wie irreduziblen Individualität und zugleich die unaufhebbare und irreduzible Andersheit anderer Individuen in der unbegrenzten Vielfalt einer sozial strukturierten Welt. In der dritten und vierten seiner Reden, die von religiös gebildeter Geselligkeit (vgl. im Einzelnen Wenz, 23–27) handeln, hat Schleiermacher den differenzierten Zusammenhang von Individualität und Sozialität, wie er für das Leben der Religion kennzeichnend ist, eigens thematisiert. Die Maxime ist durch den Grundsatz der ebenfalls 1799 konzipierten „Theorie des geselligen Betragens“ vorgegeben: „Alles soll Wechselwirkung seyn.“ (KGA I/2, 170, 12f.) In der Wechselwirkung dialogisch verfasster und verständigungsorientierter Geselligkeit hat sich das Gemeinschaftsleben religiöser Individuen zu vollziehen. Religiöse Gemeinschaft bildet sich nicht im Rahmen sta-

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tutarischer Kirchendoktrin, sondern in Formen gegenseitiger Mitteilung, um in freien bürgerlichen Assoziationen, wie Schleiermacher sie in der Berliner Salonkultur vorfand, exemplarische Gestalt anzunehmen. Im Sinne dieses dialogisch-kommunikativen Ansatzes lässt sich, wie an anderer Stelle bereits gesagt, die Welt der Religion als ein Sozial- und Sozialisationszusammenhang bestimmen, der sich in unauflöslicher Verschränkung von traditionsgeprägten Bildungsprozessen und individuellen Sinnschöpfungen und Innovationen allein über das Medium kommunikativer Verständigung reproduziert. Gesellig ist die Religion demgemäß in der differenzierten Einheit von individueller Identität und Andersheit, deren Gleichursprünglichkeit sie ihrem Wesen gemäß ausbildet, um ihr kommunikativ zu entsprechen mit dem Ziel vollendeter Bildung, dass nämlich jeder sich als „ein Compendium der Menschheit“ (KGA I/2, 232, 20f.) erweise. „Je mehr sich Jeder“, heißt es zum Schluss der vierten Rede, „dem Universum nähert, je mehr sich Jeder dem Andern mittheilt, desto vollkommner werden sie Eins, keiner hat ein Bewußtsein für sich, jeder hat zugleich das des Andern, sie sind nicht mehr nur Menschen, sondern auch Menschheit, und aus sich selbst herausgehend, über sich selbst triumfirend sind sie auf dem Wege zur wahren Unsterblichkeit und Ewigkeit.“ (KGA I/2, 291, 32–37) Die fünfte und abschließende Rede SchleierNatürliche und positive machers hat die unter paradigmatischem Bezug Religion auf Judentum und Christentum behandelte Positivität der Religionen zum Inhalt, ohne deren Wahrnehmung das entwickelte allgemeine Religionsverständnis abstrakt bleiben müsste. Denn was Religion ihrem Wesen nach ist, lässt sich nur im Erscheinungszusammenhang der einzelnen Religionen, nicht abgehoben von diesen in Erfahrung bringen. In der Konsequenz dieser These erteilt Schleiermacher dem seit der Aufklärung verbreiteten Theorem einer natürlichen Religion eine dezidierte Absage: „Die sogenannte natürliche Religion ist gewöhnlich so abgeschliffen, und hat so philosophische und moralische Manieren, daß sie wenig von dem eigenthümlichen Charakter der Religion durchschimmern läßt.“ (KGA I/2, 296, 37–40) Reale Existenz kommt ihr stets nur im Zusammenhang positiver Religion zu, welche sie negiert. Weit davon entfernt, eine „eigne individuelle Darstellung der Religion“ (KGA I/2, 310, 12) zu sein, besteht ihr Wesen „ganz eigentlich in der Negation alles Positiven und Charakteristischen in der Religion, und in der heftigsten Polemik dagegen“ (KGA I/2, 310, 34–36). Mehr als ein „Sträuben gegen Alles Bestimmte und Wirkliche“ (KGA I/2, 311, 12f.) hat sie nicht zu bieten. „Darum ist sie auch“, wie es in romantischer Aufklärungskritik heißt, „das würdige Produkt des Zeitalters, deßen Stekenpferd eine erbärmliche Allgemeinheit und eine leere Nüchternheit war, die mehr als irgend etwas in allen Dingen der wahren Bildung entgegenarbeitet.“ (KGA I/2, 310, 36–39) Erweist sich sonach die natürliche Religion in ihrer ursprünglichen Allgemeinheit und unbestimmten Gleichförmigkeit als untauglich, das Religiöse in den Religionen zu erfassen, so stellt sich umso dringlicher die Frage, wie man, ohne

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einerseits die Positivität der Religion aufzulösen und ohne andererseits in einem unendlichen Chaos zu enden, zu einer allgemeinen Idee dessen gelangt, „was eigentlich das Wesen einer bestimmten Form der Religion ausmacht“ (KGA I/2, 298, 37f.). Schleiermacher beantwortet diese Frage mit dem Hinweis auf eine Grund- bzw. Zentralanschauung, auf welche in den positiven Religionen alle religiösen Einzelanschauungen bezogen seien. „Dadurch kommt auf einmal ein bestimmter Geist und ein gemeinschaftlicher Charakter in das Ganze; Alles wird fixirt was vorher vieldeutig und unbestimmt war; von den unendlich vielen verschiedenen Ansichten und Beziehungen einzelner Elemente, welche Alle möglich waren, und Alle dargestellt werden sollten, wird durch jede solche Formation Eine durchaus realisirt; alle einzelnen Elemente erscheinen nun von einer gleichnamigen Seite, von der, welche jenem Mittelpunkt zugekehrt ist, und alle Gefühle erhalten eben dadurch einen gemeinschaftlichen Ton und werden lebendiger und eingreifender in einander.“ (KGA I/2, 303, 28–36) Im Falle des Christentums ist nach SchleiermaDer Mittler cher alle religiöse Anschauung und alles religiöse Gefühl hingeordnet auf die Erscheinungsgestalt Jesu Christi als des Inbegriffs, Ursprungs und Zieles christlichen Glaubens. Indem es in ihm des Universums gewahr und des Absoluten innewird, ist das Christentum, was es ist. Weil aber in der Person des Gottmenschen Jesus Christus nicht weniger und nichts anderes als die Einheit von Endlichem und Unendlichem als solche vorstellig wird, auf welche alle Religionen bestimmungsgemäß bezogen sind, kann das auf die Mittlergestalt konzentrierte Christentum als die Religion der Religionen gelten, in welcher deren Wesen in vollendeter Weise zur Erscheinung kommt. In der Menschwerdung Gottes erfüllt sich in offenbarer Weise, was in allen Formen religiöser Anschauung und religiöser Gefühle verheißungsvoll zum Vorschein kommt, dass nämlich „Alles Endliche höherer Vermittlungen bedarf um mit der Gottheit zusammenzuhängen“ (KGA I/2, 321, 16f.).

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Lit.: U. Barth, Bewußtsein schlechthinniger Abhängigkeit. Anmerkungen zu Konrad Cramers Schleiermacherintepretation, in: J. Stolzenberg (Hg.), Subjekt und Metaphysik. Konrad Cramer zu Ehren aus Anlass seines 65. Geburtstags, Göttingen 2001, 41–59. – K. Cramer, Die subjektivitätstheoretischen Prämissen von Schleiermachers Bestimmung des religiösen Bewußtseins, in: D. Lange (Hg.), Friedrich Schleiermacher. 1768–1834. Theologe – Philosoph – Pädagoge, Göttingen 1985, 129–162. – F.D.E. Schleiermacher, Kritische Gesamtausgabe (= KGA), hg.v. H.-J. Birkner/G. Ebeling/H. Fischer/H. Kimmerle/ K.-V. Selge, Berlin/New York 1980ff. – Ders., Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. Aufgrund der zweiten Auflage (1830/31), hg.v. M. Redeker, 2 Bde., Berlin 1960 (= GL). – Ders., Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen. Kritische Ausgabe hg.v. H. Scholz, (Leipzig 1910) Darmstadt 1973 (5. unveränd. Auflage) – Ders., Ethik (1812/ 13), mit späteren Fassungen der Einleitung, Güterlehre und Pflichtenlehre, hg.v. H.J. Birkner, Hamburg 1981. – G. Wenz, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, in: P. Neuner/G. Wenz (Hg.), Theologen des 19. Jahrhunderts, Darmstadt 2002, 21–38. – Ders., Die Lehre vom Übel in Schleiermachers Dogmatik von 1830/31. Ein Beitrag zum Problem versöhnten Lebens angesichts natürlicher Leiden der Menschen in der Welt, in: F. Schönemann/Th. Maaßen (Hg.), Prüft alles, und das Gute behaltet! Zum Wechselspiel von Kirchen, Religionen und säkularer Welt (FS H.-M. Barth), Frankfurt a.M. 2004, 493– 524.

In Analogie zur Behauptung unaufhebbarer PosiEnzyklopädie der theolotivität konkreter Religion gilt Schleiermacher die gischen Wissenschaften Theologie, welche den Gehalt der Religon in methodisch geregelter Weise reflektieren und möglichst begriffsscharf zur Sprache bringen soll, als „eine positive Wissenschaft, deren Theile zu einem Ganzen nur verbunden sind durch ihre gemeinsame Beziehung auf eine bestimmte Glaubensweise“ (KGA I/6, 325, 3–5). Bereits im ersten Paragraphen der „Kurze(n) Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen“ wird dies bündig festgestellt. Gleichwohl bleibt die Theologie als eine positive Wissenschaft auf einen wissenschaftlichen Allgemeinkontext bezogen, den sie in der Gestalt philosophischer Theologie in den enzyklopädischen Zusammenhang ihrer Wissenschaft integriert. Notwendig ist dies nach Schleiermacher aus mehreren Gründen: Um sich als positive Wissenschaft entfalten zu können, setzt die Theologie zum einen voraus, dass es sich bei der Glaubensweise bzw. bei der durch sie bestimmten religiösen Gemeinschaft, der ihre Aufmerksamkeit gehört, um einen Wesensausdruck der zum Menschsein des Menschen gehörenden Religion handelt. Ein allge-

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meines Vorverständnis von Religion als einem anthropologischen Universale zu entwickeln, ist daher die erste Aufgabe philosophischer Theologie. Sie nimmt diese in Anlehnung an die „Ethik“ wahr, welche in Schleiermachers Wissenschaftssystematik als Grundwissenschaft für alle Disziplinen fungiert, die es mit dem geschichtlichen Leben des Menschen und der Menschheit zu tun haben. Erforderlich ist zum zweiten eine Differenzierung und Klassifizierung diverser religiöser Erscheinungsweisen, ohne welche „das eigenthümliche der geschichtlich gegebenen Glaubensgenossenschaften“ (KGA I/6, 334, 20f.) nicht erfasst werden kann: „Und hiezu ist der Ort in der Religionsphilosophie.“ (KGA I/6, 334, 21f.) Es verbleiben als eigentliche Aufgabe philosophischer Theologie zum dritten noch Apologetik und Polemik: Ihre Aufgabe ist es, das differenzierte Verhältnis des Christentums zu anderen religiösen Gemeinschaften sowie dessen konfessionelle Binnendifferenzierung in Konstruktion und Kritik aufzuweisen, um auf diese Weise „die eigentlich geschichtliche Anschauung des Christenthums“ (KGA I/6, 350, 18f.) zu begründen, wie sie in der historischen Theologie statthat. Die historische Theologie als das Herzstück der positiven Wissenschaft christlicher Theologie verfolgt nach Schleiermacher drei Lehr- und Lernziele: „Kenntniß des Urchristenthums, Kenntniß von dem Gesamtverlauf des Christenthums und Kenntniß von seinem Zustand in dem gegenwärtigen Augenblikk“ (KGA I/6, 358, 19–22). Die Kenntnis des Urchristentums vermitteln vorzüglich Exegese und Hermeneutik des neutestamentlichen Kanons als Ursprungsnorm und Richtschnur christlicher Kirche, die Kenntnis von deren Entwicklung im Laufe der Zeiten ist Gegenstand der kirchengeschichtlichen Disziplin, die Kenntnis von dem gegenwärtigen Zustand des Christentums schließlich Aufgabe von Statistik und Dogmatik. Während die kirchliche Statistik den gesellschaftlichen Zustand der Kirche in der Gegenwart darzustellen hat, entfaltet die Dogmatik in systematisch-kohärenter Weise die in einer christlichen Kirchengesellschaft gegenwärtig geltende Lehre, wobei aus pragmatischen Gründen zwischen Glaubenslehre und Sittenlehre zu unterscheiden ist. Bleibt hinzuzufügen, dass die Theologie als positive Wissenschaft eine „scientia eminens practica“ ist, insofern sie insgesamt auf die Praxis der Kirchenleitung hingeordnet ist gemäß dem Grundsatz: „Die christliche Theologie ist ... der Inbegriff derjenigen wissenschaftlichen Kenntnisse und Kunstregeln, ohne deren Besiz und Gebrauch eine zusammenstimmende Leitung der christlichen Kirche, d.h. ein christliches Kirchenregiment nicht möglich ist.“ (KGA I/6, 328, 6-9) Während der christliche Glaube an und für sich „weder zu seiner Wirksamkeit in der einzelnen Seele noch auch in den Verhältnissen des geselligen Familienlebens“ (KGA I/6, 328, 11–13) des theologischen Apparats bedarf, ist dieser für die adäquate Ausrichtung des öffentlichen Kirchendienstes in der Lokalgemeinde ebenso unverzichtbar wie für die übergemeindliche Leitung der Kirche. Schleiermachers theologisches Hauptwerk „Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt“ entspricht exakt der enzyklopädischen Bestimmung der Dogmatik, wie sie in der „Kurzen

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Darstellung des theologischen Studiums“ vorgestellt ist. „Dogmatische Theologie“, so befindet Der christliche Glaube der Leitsatz des ersten Paragraphen der Erstauflage von 1821/22, „ist die Wissenschaft von dem Zusammenhange der in einer christlichen Kirchengesellschaft zu einer bestimmten Zeit geltenden Lehre.“ Um den vorausgesetzten Begriff christlicher Kirchengesellschaft präzise erfassen zu können, bedarf die Dogmatik den Grundsätzen der Enzyklopädie gemäß des Kontexts philosophischer Theologie, durch welche ihre Prolegomena und namentlich die seit der zweiten Auflage der Glaubenslehre von 1830/31 sog. Lehnsätze (vgl. KGA I/10, 377f.) gestaltet werden. Die Rahmenbedingungen philosophischer Theologie sind in erster Linie durch die von der christlichen Sittenlehre zu unterscheidende allgemeine Ethik bestimmt. Auf der Grundlage der seit 1811 mehrmals in Vorlesungen vorgetragenen „Dialektik“, welche die Basis seiner Wissenschaftssystematik bildet, begreift Schleiermacher sie als die der spekulativen Physik korrespondierende spekulative Geistes-, Kultur- und Geschichtswissenschaft. Hat die Physik als spekulative Naturwissenschaft das Einwohnen der Vernunft in der Natur zum Thema, so deutet die Wissenschaft der Ethik den Gesamtzusammenhang vernünftigen Einwirkens auf die Natur. Grund und Inbegriff aller durch das sittliche Handeln im Laufe vernünftiger Menschheitsgeschichte hervorgebrachten und hervorzubringenden Kulturgüter ist das höchste Gut, auf welches alle menschlichen Tugenden und Pflichten hingeordnet sind. Daraus ergibt sich die Trias von Güter-, Tugend- und Pflichtenlehre, wobei die Güterethik als die Basiswissenschaft der Sittenlehre zu gelten hat, welche Tugend- und Pflichtenlehre als ihre für sich genommenen abstrakten Realisierungsmomente in sich aufhebt. Die spezifische Klassifizierung der sittlichen Güter, welche in der Kraft der Tugend pflichtmäßig Wirklichkeit erlangen, resultiert nach Schleiermacher aus der Ordnung der verschiedenen Arten des Vernunfthandelns bezüglich der Natur. In ihrer organisierenden Funktion formt die Vernunfttätigkeit die Natur zu ihrem Instrument, wobei das allgemeine (identische) Organisieren der Vernunft sowohl die technische Naturbeherrschung als auch die Regelung des staatlich-politischen Zusammenlebens durch das Recht betrifft, wohingegen das individuelle Organisieren auf die freie Geselligkeit zu beziehen ist. In ihrer erkennenden Funktion wiederum macht die Vernunft die Natur zu ihrem Symbol, um in dieser ihrer selbst gewahr und ansichtig zu werden, wobei das allgemeine (identische) Symbolisieren Wissensproduktion im kommunikativen Medium der Alltags- bzw. Wissenschaftssprache bewirkt, wohingegen das individuelle Symbolisieren u.a. der den Regeln der Kunst entsprechenden Artikulation des im religiösen Gefühl unmittelbar Präsenten im Rahmen der Kirche dient (vgl. Ethik 1812/13, § 196-§ 232). Die Lehnsätze aus der Ethik, die das sich selbst gleiche Wesen der Frömmigkeit als der Basis aller Wesen der Frömmigkeit kirchlichen Gemeinschaften umschreiben, bestimmen dieses als ein von Wissen und Tun differentes unmittelbares Selbstbe-

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wusstsein, näherhin als das von allen anderen Gefühlen unterschiedene Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit, welches die höchste, allerdings nie rein auftretende Stufe menschlichen Selbstbewusstseins bildet. Gehört das Fühlen insgesamt „ganz und gar der Empfänglichkeit“ (GL § 3,3) an, so besteht das fromme Fühlen eben darin, „daß wir uns unsrer selbst als schlechthin abhängig, oder, was dasselbe sagen will, als in Beziehung mit Gott bewußt sind“ (GL § 4, Leitsatz). Um zu wissen, was damit gemeint ist, gilt es zunächst die beiden Elemente zu unterscheiden, die mit jedem existenten Selbstbewusstsein gegeben sind: „ein ... Sichselbstsetzen und ein Sichselbstnichtsogesetzthaben, oder ein Sein, und ein Irgendwiegewordensein“ (GL § 4,1). Diesen beiden Elementen, wie sie im existenten Selbstbewusstsein, welches Schleiermacher das zeitliche nennt, zusammen sind, entspricht in dem Subjekt an und für sich betrachtet dessen Empfänglichkeit und Selbsttätigkeit. Auch sie gehören unscheidbar zusammen. Denn einerseits trifft zu, dass wir das Bewusstsein unserer selbst und der Selbigkeit unseres Selbst, welches Selbstbewusstsein in allen unseren Bewusstseinsvollzügen mitgesetzt ist, nie allein, sondern nur unter Bezug auf wechselnde Bewusstseinsvollzüge und damit nur unter Voraussetzung von Empfänglichkeit haben. Umgekehrt gilt, dass von wechselnden Bewusstseinszuständen und von Empfänglichkeit eines Subjekts nur unter der Voraussetzung jenes Bewusstseins der Selbigkeit des Subjekts die Rede sein kann, welches selbst nicht wiederum mit einem bestimmten veränderlichen Bewusstseinszustand identifiziert werden darf und somit offenbar nur auf einen spontanen Akt des Subjekts selbst, also auf dessen Selbsttätigkeit zurückzuführen ist. Anders als einige seiner radikal-idealistischen Duplizität des Zeitgenossen will Schleiermacher allerdings festSelbstbewusstseins halten, dass das Subjekt im spontan erzeugten Bewusstsein seiner Einheit im Wechsel dieser Bewusstseinszustände „nicht diese Zustände selber (erzeugt), sondern nur das Bewußtsein davon, daß sie die seinen sind“ (Cramer, 141). Existentes Selbstbewusstsein ist also zwar stets mit dem Bewusstsein relativer, niemals aber mit dem Bewusstsein schlechthinniger Freiheit, sondern stets zugleich mit dem relativer Abhängigkeit verbunden. Kurzum: Unser existentes Selbstbewusstsein ist „als Bewußtsein unseres Seins in der Welt oder unseres Zusammenseins mit der Welt, eine Reihe von geteiltem Freiheitsgefühl und Abhängigkeitsgefühl; schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl aber, d.h. ohne ein auf dasselbe Mitbestimmende bezügliches Freiheitsgefühl, oder schlechthinniges Freiheitsgefühl, d.h. ohne ein auf dasselbe Mitbestimmende bezügliches Abhängigkeitsgefühl gibt es in diesem ganzen Gebiete nicht.“ (GL § 4,2) Indes bleibt Schleiermacher bei der Einsicht in die Duplizität des Selbstbewusstseins argumentativ nicht stehen. Was das Gefühl selbsttätiger Freiheit betrifft, so gilt allerdings das bereits Gesagte, dass in ihm das Gefühl der Abhängigkeit stets mitgesetzt ist mit der Folge, dass es ein schlechthinniges Freiheitsgefühl „für uns gar nicht geben“ (GL § 4,3) kann: „sondern, wer ein solches zu haben behauptet, der täuscht entweder sich selbst, oder er trennt, was notwendig zusammengehört. Denn sagt das Freiheitsgefühl eine aus uns herausgehende Selbsttätigkeit aus: so

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muß diese einen Gegenstand haben, der uns irgendwie gegeben worden ist, welches aber nicht hat geschehen können ohne eine Einwirkung desselben auf unsere Empfänglichkeit.“ (Ebd.) Kann demnach ein schlechthinniges Freiheitsgefühl in keinem zeitlichen Sein seinen Ort haben, so rechnet Schleiermacher gleichwohl mit einem schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl des existenten Subjekts. Indes kann dieses „auf keine Weise von der Einwirkung eines uns irgendwie zu gebenden Gegenstandes ausgehn, denn auf einen solchen würde immer eine Gegenwirkung stattfinden, und auch eine freiwillige Entsagung auf diese würde immer ein Freiheitsgefühl mit einschließen“ (ebd.). Von schlechthinnigem Abhängigkeitsgefühl kann und muss allerdings insofern die Rede sein, als uns unser ganzes Dasein in der Einheit der Duplizität von Selbsttätigkeit und Empfänglichkeit als nicht aus unserer selbsttätigen Freiheit hervorgegangen zu Bewusstsein kommt. Das ist gemeint, wenn Schleiermacher sagt: „Allein eben das unsere gesamte Selbsttätigkeit, also auch, weil diese niemals Null ist, unser ganzes Dasein begleitende, schlechthinnige Freiheit verneinende Selbstbewußtsein ist schon an und für sich ein Bewußtsein schlechthinniger Abhängigkeit; denn es ist das Bewußtsein, daß unsere ganze Selbsttätigkeit ebenso von anderwärts her ist, wie dasjenige ganz von uns her sein müßte, in Bezug worauf wir ein schlechthinniges Freiheitsgefühl haben sollten.“ (Ebd.) Im religiösen Gefühl wird wahrgenommen, dass sich das Ich als es selbst in der Duplizität seiner Selbsttätigkeit und Empfänglichkeit, welche das Ganze seines Daseins charakterisiert und welche es an sich selbst ist, nicht frei erzeugt hat; im Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit geht dem Subjekt sein SichGegeben-Sein auf und das Ureigenste wird ihm als Gottesdatum bewusst. „Um es in einem scheinbaren Paradox zu formulieren: Es steht nicht nur nicht in unserer Macht, in bestimmten Zuständen der Empfänglichkeit zu sein, sondern es steht auch nicht in unserer Macht, die Macht zu sein, die wir sind, insofern wir mit Bezug auf diese Zustände in theoretischer und praktischer Absicht selbsttätig, das heißt frei sind.“ (Cramer, 148) Das Bewusstsein schlechthinniger Abhängigkeit ist sonach „gerade dasjenige Bewußtsein von Unmittelbares Selbstbewusstsein und Gefühl der Duplizität des Selbstbewußtseins, welches, schlechthinniger indem es das Bewußtsein von der Unverfügbar- Abhängigkeit keit des Momentes seiner Freiheit selber enthält, auf sich selbst als ein Bewußtsein verweist, das kein Fall der Verwirklichung der Interdependenz von beziehungsweisem Freiheitsbewußtsein und beziehungsweisem Abhängigkeitsbewußtsein ist. Das Bewußtsein von der Duplizität des Selbstbewußtseins als derjenigen Funktionseinheit von Selbsttätigkeit und Empfänglichkeit, die wir sind, die zu sein wir uns aber nicht selbsttätig erzeugt haben, kann nicht selber nach dem Modell dessen rekonstruiert werden, was jemals bewußter Inhalt unter der Bedingung dieser Funktionseinheit sein kann. In genau diesem Sinne ist es ‚weder ein Wissen noch ein Tun‘, sondern das Bewußtsein von der durchgängig faktizitären Bestimmtheit all unseres Wissens und Tuns unter der Bedingung unserer Freiheit.“ (Cramer, 152) Im Gefühl ist nicht nur die von Wis-

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sen und Wollen vorausgesetzte Einheit von Idealität und Realität ursprünglich, nämlich in der Weise unmittelbaren Selbstbewusstseins präsent; als allgemeines bzw. schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl ist das unmittelbare Selbstbewusstsein zugleich auch der religiöse – durch keinen Denk- und Handlungszusammenhang aufzuhebende – Ort der Präsenz des transzendenten Grundes, an dessen absolutem Sein menschliche Subjektivität als Einheit von Selbsttätigkeit und Empfänglichkeit ihre unhintergehbare Voraussetzung hat. Die argumentative Nähe zu Spätgestalten der Philosophie Fichtes und Schellings, in denen diese der Aporie der Zirkelhaftigkeit des sich selbst setzenden Selbstbewusstseins zu entkommen suchen, dürfte bei dieser Argumentationsfigur offenkundig sein. Sie wird noch deutlicher, wenn man den entsprechenden Argumentationsgang in Schleiermachers „Dialektik“ in Betracht zieht, in welcher das unmittelbare Selbstbewusstsein nicht lediglich – wie in der Glaubenslehre – innerhalb seiner empirisch-zeitlichen Funktionalität, sondern gleichsam an sich selbst erfasst werden soll. Beide Male wird mit dem Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit das SichGegebensein von Subjektivität thematisiert und menschliche Freiheit auf ihre unvordenkliche und handlungstranszendente Voraussetzung hin durchsichtig gemacht. Zwar sind durch die Einsicht, dass menschliche Subjektivität sich nicht ursprünglich zu dem gemacht hat, was sie ist, selbsttätiges Denken und Handeln des Menschen keineswegs abstrakt in Frage gestellt, insofern Schleiermacher das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit nur im Zusammenhang mit dem Gefühl der Freiheit und niemals ohne dieses Bestand gewinnen lässt. Abhängigkeitsgefühl und freie Selbsttätigkeit des Menschen stehen also keineswegs im Widerstreit; es ist vielmehr im Gegenteil so, dass die in Denken und Handeln geübte freie Selbsttätigkeit im Abhängigkeitsgefühl der unvordenklichen und all seinem Handeln zuvorkommenden Konstitutionsbedingung ihrer Möglichkeit und des Grundes ihrer Einheit inne wird und so zur Bestimmung ihrer selbst gelangt. Doch ist die vom Abhängigkeitsgefühl begleitete Selbstbestimmung ihrem Wesen nach und daher stets von der Art, dass sie sich als eine endliche und darin menschliche, will heißen: dezidiert gottunterschiedene begreift und jede Art der Selbsttotalisierung verboten sein lässt, sei diese nun durch das Denken im Sinne des absoluten Begriffs eines der Totalvermittlung fähigen Wissens oder durch Handeln erstrebt. Im religiösen Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit wird das Selbstbewusstsein des Sich-Gegebenseins seiner selbst dergestalt inne, dass es des absoluten Grundes und transmundanen Ewigkeitswertes seiner selbst gewahr, ebendadurch aber zur Anerkennung seiner Gottunterschiedenheit und individuellen Endlichkeit ebenso wie zur Anerkennung irreduzibler Andersheit Anderer in einer gemeinsam gegebenen Welt bestimmt wird. Erst von dieser Einsicht her erschließt sich, so Glaubenslehre und denke ich, die eigentliche Pointe des SchleierDialektik macher’schen Religionsverständnisses und die Einheit von deren differenzierten Gestalten, wie sie, um bei den gegebenen Beispielen zu bleiben, in der Glaubenslehre einerseits und in der Dialektik anderer-

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seits ausgearbeitet sind. Mag man im Hinblick auf die Glaubenslehre zweifeln, ob Schleiermacher das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit tatsächlich im Sinne einer metastufigen Konstitutionstheorie von Subjektivität und nicht vielmehr als ein reines Zustandsgefühl verstanden haben wollte (vgl. U. Barth, 41–59), so expliziert er es in der Dialektik zweifellos als Bewusstsein des Subjekts von der Struktur seiner Subjektivität, also als Konstitutionstheorie von Selbstbewusstsein bzw. als Metatheorie sich wissenden Wissens. Das reflexionsvermittelte Wissen des Subjekts bezüglich der Konstitution seiner Subjektivität, welches die Dialektik enthält, lässt indes die Unmittelbarkeit des Selbstbewusstseins, das die Glaubenslehre dem schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl assoziierte, nicht hinter sich, sondern erinnert es im Innersten seiner selbst dergestalt, dass es im reflexen Wissen um sich der Unverfügbarkeit seines Grundes nicht anders denn in der religiösen Weise unmittelbaren Inneseins und damit auf eine es selbst begrenzende Weise gewiss ist. Die Dialektik Schleiermachers bietet erkenntlich keine spekulative Selbstbewusstseinstheorie im Hegel’schen Sinne des absoluten Begriffs des Begriffs. Absolut kann das Wissen von Schleiermachers Dialektik nur insofern genannt werden, als es im Wissen des Absoluten des Grundes und der Grenze seiner selbst zugleich gewahr wird. Die ontologisch unhintergehbare, weil auf kein äußeres Sein zurückführbare Reflexivität des Wissens, welche in allem Bewusstsein wirksam ist, vollendet sich nach Schleiermacher nicht in der Gewissheit reinen Selbstgenetisierungsvermögens des Wissens, also nicht als absolutes Selbstbewusstsein, weil jede Form von Selbstbewusstsein an sich selbst endlich ist. Das religiöse Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit wird dessen absolut und unveräußerlich inne, um in der Weise dessen, was Schleiermacher unmittelbares Selbstbewusstsein nennt, alle kognitiven und voluntativen Selbstbewusstseinsvollzüge emotiv zu begleiten. Um nicht missverstanden zu werden: Die durch kein äußeres Sein zu begrenzende Unbeschränktheit des Wissenkönnens leugnet Schleiermacher nicht nur nicht, er bringt sie vielmehr dialektisch zur Geltung und reiht sich damit ein in den Zusammenhang jener Denker, deren Metaphysik, wenn man sie so nennen will, nicht als restaurativer Rückgang hinter Kant, sondern als konstruktive Fortentwicklung von dessen Kritizismus verstanden sein will. Das Sein des Absoluten ist kein vom Fürbezug losgelöstes transzendentes Sein im Sinne eines unkritischen metaphysischen Realismus, geschweige denn ein irgendwie geartetes Seiendes. Die durch das Sein des Absoluten gesetzte Grenze des Denkens ist diesem nicht extern, sondern intern insofern, als sie, ohne aufzuhören, Grenze zu sein, zugleich als Grund des Denkens manifest ist. Als in seinem Ursprung gründend erfasst sich das sich wissende Selbstbewusstsein zugleich als von diesem begrenzt und umgekehrt. Konsequente Selbstaufklärung des Wissens und Religion können demnach nach Schleiermacher nicht nur, sie müssen vielmehr zusammenbestehen, wie denn auch die absolute Reflexion der Dialektik und das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit der Glaubenslehre einen zwar differenzierten, aber unbeschadet seiner Differenziertheit einigen Zusammenhang bilden. Die durch kein äußeres Sein begrenzte Unbeschränktheit des Wissenkönnens wird durch Religion nicht revoziert, son-

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dern bestätigt, insofern die Frömmigkeit das Subjekt über alles weltlich Seiende zu Gott erhebt. Das Innesein dessen, wie es im Gefühl als unmittelbarem Selbstbewusstsein statthat, begründet indes keinen absoluten Subjektstatus, welcher der Welt enthoben ist, sondern schließt das Subjekt mit der Welt durch das Endlichkeitsbewusstsein, welches das ungeteilte Ich mit dem Weltganzen verbindet, aufs Innerste zusammen. Da aus dem Wesen der Frömmigkeit, wie die Das Wesen protestantischen Lehnsätze aus der Ethik es umschreiben, religiöse Christentums Vergemeinschaftung und Kirchenbildung konsequent hervorgeht, handeln die anschließenden Lehnsätze aus der Religionsphilosophie von den verschiedenen Entwicklungsstufen und Arten religiöser Gemeinschaften, um sie nach den Gesichtspunkten von Fetischismus, Polytheismus und Monotheismus sowie unter dem Aspekt zu differenzieren, ob sie nach Weise ästhetischer Frömmigkeit das Sittliche dem Natürlichen oder nach Weise teleologischer Frömmigkeit das Natürliche dem Sittlichen unterordnen. Nach Maßgabe dieser Differenzierungen wird schließlich unter Hinzufügung des christologischen Kriteriums das eigentümliche Wesen des Christentums bestimmt. Dieses ist, wie es im ersten Lehnsatz aus der Apologetik heißt, „eine der teleologischen Richtung der Frömmigkeit angehörige monotheistische Glaubensweise, und unterscheidet sich von andern solchen wesentlich dadurch, daß alles in derselben bezogen wird auf die durch Jesum von Nazareth vollbrachte Erlösung“ (GL § 11, Leitsatz). Näherbestimmt wird der hiermit umschriebene Wesensbegriff des Christentums dadurch, dass Schleiermacher ihn nach außen gegen mögliche doketische, nazoräisch-ebionitische, manichäische und pelagianische Häresien abgrenzt und nach innen auf den Gegensatz von Protestantismus und Katholizismus bezieht. Dieser Gegensatz soll dadurch bedingt sein, „daß ersterer das Verhältnis des Einzelnen zur Kirche abhängig macht von seinem Verhältnis zu Christo, der letzere aber umgekehrt das Verhältnis des Einzelnen zu Christo abhängig von seinem Verhältnis zur Kirche“ (GL § 24, Leitsatz). Zwar ist Schleiermacher der Überzeugung, dass sich zu besagtem Gegensatz „(e)ine zu jetziger Zeit innerhalb der abendländischen Kirche aufzustellende Glaubenslehre ... nicht gleichgültig verhalten (kann), sondern ... einem von beiden Gliedern angehören (muß)“ (GL § 23, Leitsatz); gleichwohl vertritt er als Protestant hinsichtlich des römischen Katholizismus die Annahme, „daß anderes dort Einheimische und uns ebenso Fremde doch von der Art ist, daß wir es neben dem Unsrigen glauben bestehen lassen zu dürfen, also anders als das Unsrige gestaltet, aber ebenso christlich“ (GL § 24,1). Gilt für christliche Glaubenssätze insgesamt, dass Status und Form sie „Auffassungen der christlich frommen Gedogmatischer Sätze mütszustände in der Rede dargestellt“ (GL § 15, Leitsatz) sind, so sind dogmatische Sätze Glaubenssätze „von der darstellend belehrenden Art, bei welchen der höchst mögliche Grad der Bestimmtheit bezweckt wird“ (GL § 16, Leitsatz), was entsprechend für die Zusammensetzung dogmatischer Sätze zu umfassenden Systemgebilden gilt und ihre mit christlicher, im Falle

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Schleiermachers evangelischer Kirchlichkeit verbundene Wissenschaftlichkeit ausmacht. Dabei können alle Sätze, welche die christliche Glaubenslehre aufzustellen hat, „gefaßt werden entweder als Beschreibungen menschlicher Lebenszustände, oder als Begriffe von göttlichen Eigenschaften und Handlungsweisen, oder als Aussagen von Beschaffenheiten der Welt“ (GL § 30, Leitsatz), wobei die erstgenannte Gestalt des dogmatischen Satzes nach Schleiermachers Urteil auch die grundlegende ist, weil seine Glaubenslehre sich durchgängig als wissenschaftliche Explikation christlichen Selbstbewusstseins versteht. Der erste Teil der materialen Glaubenslehre, welcher das fromme Selbstbewusstsein, „wie es in Der Glaubenslehre erster Teil: Selbst jeder christlich frommen Gemütserregung immer schon vorausgesetzt wird, aber auch immer mit enthalten ist“ (Überschrift), zu entwickeln hat, beginnt der besagten Dreigestalt dogmatischer Sätze entsprechend mit der Beschreibung des Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit, wie es an sich selbst ist. Thema ist das Sichgegebensein des Daseins in seiner Gänze. Das fromme Gefühl als reines Innesein sich gegebener Endlichkeit nimmt wahr, dass alles, was ist, sowohl als Einzelnes, als auch in seiner Gesamtheit nicht unmittelbar in sich selbst gründet, sondern in seinem Gegebensein auf einen transzendenten Grund verweist. Eben diese Wahrnehmung aber und nichts anderes ist das allgemeine Wesen der Religion, wie es materialdogmatisch vor allem in der Lehre von der Schöpfung und Erhaltung entfaltet wird. Beide Lehren besagen je auf ihre Weise, dass das Weltdasein als Inbegriff dessen, was ist, „nur in der schlechthinnigen Abhängigkeit von Gott besteht“ (GL § 36, Leitsatz). Thema Schleiermacher’scher Protologie ist also nicht oder jedenfalls nicht primär eine wie auch immer geartete Kosmogenese, welche die chronologischen Uranfänge des Weltalls zu ergründen sucht. Gehandelt wird vielmehr von der Ursprungstatsache, derer die Frömmigkeit inne wird, nämlich dass alles Endliche sein Sein und seinen Bestand dem Unendlichen verdankt. Was den göttlichen Grund betrifft, wie er im unmittelbaren Selbstbewusstsein der Frömmig- Gott keit unveräußerlich mitgesetzt ist, so beansprucht Schleiermacher nicht, Gottes Wesen an sich selbst zu erfassen; ein solch spekulativ-metaphysischer Anspruch wird vielmehr entschieden zurückgewiesen. Gegenstand der Dogmatik sind Gottes Wesen und Eigenschaften nur auf indirekte Weise, nämlich um das im Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit kopräsente Innesein absoluter Ursächlichkeit theologisch zu thematisieren. Das Verhältnis der absoluten Ursächlichkeit des göttlichen Schöpfers und Erhalters zur Kreatur und der Gesamtheit kreatürlicher Kausalität wird dabei als ein Zusammenhang erkannt, der durch die Simultaneität von Identität und Differenz gekennzeichnet ist. Gott verhält sich zu seiner Schöpfung immanent und transzendent zugleich. Dabei wird Gottes Daseinsimmanenz von Schleiermacher mit den Attributen göttlicher Allmacht und Allwissenheit, Gottes Daseinstranszendenz mit denjenigen der Ewigkeit und Allgegenwart verbunden. Allmächtig ist Gott, insofern er in allem, was ist, begründend und erhaltend wirkt, um in der Gesamtheit des endlichen

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Seins sich vollkommen darzustellen. Dabei verdeutlicht das Attribut der Allwissenheit, dass Gottes allmächtiges Wirken nicht „nach der Analogie der toten Kräfte“ (GL § 51,2), sondern im lebendigen Sinne schlechthinniger Geistigkeit zu denken sei. Ewig und allgegenwärtig hinwiederum ist Gott, insofern er als schlechthin zeitund raumlose Ursächlichkeit mit allem Zeitlichen die Zeit selbst und mit allem Räumlichen den Raum selbst bedingt und sich so als Herr von Zeit und Raum als der Sphäre alles Irdischen erweist. Ebenso wenig wie die Frömmigkeit nach Schleiermacher beansprucht, sich auf ein metaphysiWelt sches Wissen von Gott zu gründen, setzt sie nach seinem Urteil eine wie auch immer geartete empirische Kenntnis von einem paradiesischen Ursprungszustand der Welt voraus. Mit der Möglichkeit einer solchen Kenntnis wird nicht nur nicht gerechnet, sie wird ausdrücklich bestritten. Gleichwohl wird gelehrt, dass im Selbstbewusstsein der Frömmigkeit die Gewissheit vollkommener Integrität gottgegebenen Daseins ursprünglich mitgesetzt ist. Dogmatisch explizite Gestalt nimmt diese Gewissheit in dem Grundsatz an, „daß die Gesamtheit des endlichen Seins, wie sie auf uns einwirkt, und so auch die aus unserer Stellung in derselben hervorgehenden menschlichen Einwirkungen auf das übrige Sein dahin zusammenstimmt, die Stetigkeit des frommen Selbstbewußtseins möglich zu machen“ (GL § 57,1). In diesem und nur in diesem Sinne schließt das fromme Gefühl das Bewusstsein ursprünglicher Vollkommenheit der Menschenwelt in sich. Die Behandlung des urständischen Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit im protologischen Teil der Glaubenslehre beinhaltet eine Abstraktion insofern, als das fromme Selbstbewusstsein nach Schleiermachers eigenem Urteil in seinem reinen Wesen und seiner wechsellos beständigen Sichselbstgleichheit nirgends und niemals in Erscheinung tritt, sondern stets nur in momentaner Verbindung mit dem sinnlichen Selbstbewusstsein, in welchem sich die unmittelbare Koinzidenz des Differenten, wie sie im Gefühl statthat, aufgelöst und der Selbst-Welt-Gegensatz in trennungsscharfer Reflexivität ausgebildet hat. Der sinnlichen Selbstbewusstseinsstufe, die durch wechselnde Mischungsverhältnisse relativer Abhängigkeit und relativer Freiheit bestimmt ist, gehören alle realen Wissens- und Handlungsvollzüge des irdischen Menschen an. Auf sie ist das religiöse Selbstbewusstsein stetig bezogen, um sich mit ihnen zur Einheit des Moments zu verbinden. Auf welche Weise dies geschieht, das entscheidet über Hemmung bzw. Förderung der Frömmigkeit. Damit ist das Thema benannt, dem der zweite Der Glaubenslehre Teil der Schleiermacher’schen Glaubenslehre gezweiter Teil: widmet ist, welcher die durch den Gegensatz von Hemmung (Unlust) und Förderung (Lust) der Frömmigkeit bestimmten Tatsachen des christlichen Selbstbewusstseins entwickelt, nämlich Sünde und Gnade. Vorweg fernzuhalten ist dabei das Missverständnis, als ließen sich das Bewusstsein der Sünde und das der Gnade voneinander absondern und trennen. „Vielmehr, da die Energie des Gottesbewußtseins nie eine schlechthin größte ist, und ebensowe-

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nig die Hineinbildung desselben in die Erregungen des sinnlichen Selbstbewußtseins eine schlechthin stetige: so ist eine begrenzende Unkräftigkeit desselben mitgesetzt, welche gewiß sündlich ist. Ebensowenig kann aber auch in einem wirklich christlichen Bewußtsein der Zusammenhang mit der Erlösung völlig Null sein, weil es sonst, bis er wiederhergestellt wird, ein unchristliches wäre gegen die Voraussetzung.“ (GL § 63,3) Kurzum: Im christlichen Selbstbewusstsein ist das Bewusstsein der Sünde realiter niemals ohne das Bewusstsein der Gnade gegeben und umgekehrt, „weil es nämlich nirgend absolute Seligkeit gibt oder absolute Nullität des Gottesbewußtseins“ (GL § 62,1). Lediglich der diskursive Charakter der dogmatischen Darstellung macht Unterscheidungen erforderlich, „so daß wir zuerst von der Sünde und hernach von der Gnade handeln, beides nach allen drei Formen dogmatischer Sätze“ (GL § 64, Leitsatz). Was die Entwicklung des Bewusstseins der Sünde Das Bewusstsein der Sünde: als eines Zustandes des Menschen betrifft, so gilt Selbst der Grundsatz: „Wir haben das Bewußtsein der Sünde, sooft das in einem Gemütszustand mitgesetzte oder irgendwie hinzutretende Gottesbewußtsein unser Selbstbewußtsein als Unlust bestimmt, und begreifen deshalb die Sünde als einen positiven Widerstreit des Fleisches gegen den Geist.“ (GL § 66, Leitsatz) Dabei sind wir uns, wie Schleiermacher hinzufügt, „der Sünde bewußt teils als in uns selbst gegründet, teils als ihren Grund jenseit unseres eignen Daseins habend“ (GL § 69, Leitsatz). Ersterer Aspekt wird im Lehrstück von den „peccata actualia“, letzterer in demjenigen vom „peccatum originale“ verhandelt. Die Schwierigkeiten der traditionellen Erbsündenlehre versucht Schleiermacher dabei durch die Annahme eines die Existenz des Einzelnen gleichsam gattungsmäßig bestimmenden Gesamtlebens der Sünde zu lösen, welches sowohl die gänzliche Unfähigkeit des Menschen zum Guten als auch die Allgemeinheit der Erlösungsbedürftigkeit bewirkt. Als die Gesamttat und Gesamtschuld des menschlichen Geschlechts ist die Erbsünde indes stets mit der vom einzelnen Menschen verschuldeten Sünde verbunden zu denken. Das eine ist vom anderen zwar zu unterscheiden, nicht aber zu trennen. Es gilt die durch Erfahrung bestätigte theologische Regel: „Aus der Erbsünde geht in allen Menschen immer die wirkliche Sünde hervor.“ (GL § 73, Leitsatz) Das Unwesen der Sünde, wie es in der zwieträchtigen Einheit von „peccatum originale“ und Welt „peccata actualia“ in Erscheinung tritt, bringt für die Beschaffenheit der Welt das Phänomen des Übels zwangsläufig mit sich. Denn nach Schleiermacher ist das Übel eine Funktion der Sünde und nicht etwa die Sünde eine Folge übler Verfassung der Welt. Zusammengefasst ist diese Annahme in dem Satz, „daß ohne die Sünde in dieser Welt nichts sein würde, was mit Recht für ein Übel gehalten werden könnte, sondern was unmittelbar mit der Vergänglichkeit des menschlichen Einzellebens zusammenhängt, würde höchstens als eine unvermeidliche Unvollkommenheit aufgefaßt werden; und die den menschlichen Bestrebungen entgegentretenden Äußerungen natürlicher Kräfte nur als Reizmit-

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tel, um diese in noch höherem Grade der Herrschaft des Menschen zu unterwerfen.“ (GL § 75,3) Schleiermacher behauptet also nicht, dass etwa Sterblichkeit und Tod des Menschen durch die Tat der Sünde allererst verursacht worden seien. Indes seien sie ohne Sünde nicht eigentlich Übel zu nennen, zu denen sie im Sinne der Frömmigkeit erst im sündigen Zusammenhang werden (vgl. im Einzelnen Wenz, Lehre vom Übel, 498ff.). Dies entspricht der Grundthese, welche der Leitsatz formuliert: „Ist die Sünde in dem Menschen gesetzt: so findet er auch in der Welt als seinem Ort beharrlich wirkende Ursachen von Lebenshemmungen, d.h. Übel.“ (GL § 75, Leitsatz) Was schließlich Gottes Verhältnis zur Sünde und Gott den ihr zwangsläufig folgenden Übeln bzw. die göttlichen Eigenschaften betrifft, welche sich auf das Bewusstsein der Sünde und der durch sie verschuldeten Übel bezieht, so handelt Schleiermachers Glaubenslehre hiervon unter den Stichwörtern der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes. Unter Heiligkeit Gottes versteht er „diejenige göttliche Ursächlichkeit, kraft deren in jedem menschlichen Gesamtleben mit dem Zustande der Erlösungsbedürftigkeit zugleich das Gewissen gesetzt ist“ (GL § 83, Leitsatz). Die Gerechtigkeit Gottes hinwiederum gilt ihm als „diejenige göttliche Ursächlichkeit, kraft deren in dem Zustand der gemeinsamen Sündhaftigkeit ein Zusammenhang des Übels mit der wirklichen Sünde geordnet ist“ (GL § 84, Leitsatz). Dieser Zusammenhang, der das Übel als Strafe der Sünde qualifiziert, ist allerdings unmittelbar nur für die sog. geselligen Übel zu behaupten, in denen eine menschliche Tatfolge zur Ursache übler Lebenshemmungen wird. Anders stellt es sich in Bezug auf die natürlichen Übel dar, die den Einzelnen als Einzelnen treffen und lediglich einen indirekten, subjektiv vermittelten Bezug zur Sündenproblematik aufweisen, wohingegen objektiv keineswegs das Übel eines Individuums ursächlich auf seine Sünde zurückgeführt werden darf. Lässt sich sonach nicht annehmen, „daß für jeden das Maß seiner Sünde auch das seines Übels sei“ (GL § 77,2), so gilt allerdings in Bezug auf die Menschheit als ganze, „daß in welchem Maß in der Gesamtheit des menschlichen Geschlechts die Sünde zunimmt, auch das Übel zunehmen muß“ (GL § 77,1). Zu ihrem Finalgrund gelangt Schleiermachers Das Bewusstsein der Gnade: Glaubenslehre mit der Entwicklung des BewusstSelbst seins der Gnade, in deren Zusammenhang sich die Gesamtkonzeption vollendet. Das „Grundbewußtsein eines jeden Christen von seinem Gnadenstande“ (GL § 91,1) ist ein differenziertes insofern, als Christus in ihm als Verursacher der Begnadung, der Christ als der die Gnade Empfangende vorstellig wird. Entsprechend ist vom christlichen Zustand göttlichen Gnadenbewusstseins derart zu handeln, „daß zuerst entwickelt werde, wie vermöge dieses Bewußtseins der Erlöser gesetzt ist, dann aber wie der Erlöste“ (GL § 91,2). Die christologische Lehre vom Erlöser wird traditionellerweise unterschieden in die Lehrstücke „De persona Jesu Christi“ und „De officio Christi“. Schleiermacher folgt dieser Aufteilung und handelt zunächst von der Person und dann, wie er sagt,

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vom Geschäft Christi. Vorausgesetzt ist dabei aber ausdrücklich folgender Grundsatz: „Die eigentümliche Tätigkeit und die ausschließliche Würde des Erlösers weisen aufeinander zurück, und sind im Selbstbewußtsein der Gläubigen unzertrennlich eines.“ (GL § 92, Leitsatz) Vergeblich wäre es sonach, „dem Erlöser eine höhere Würde beizulegen, als die Wirksamkeit, die ihm zugleich zugeschrieben wird, erfordert, indem aus dem Überschuß der Würde doch nichts erklärt wird, und ebenso ihm eine größere Wirksamkeit zuzuschreiben, als aus der Würde, die man ihm zugestehen will, folgen kann“ (GL § 92,2). Sind demnach die Lehre von der Person und vom Geschäft Christi zwar der Form ihrer einzelnen Lehrsätze gemäß verschieden, so sind sie doch von ihrem Gesamtinhalt her geurteilt identisch. Grundlegend für sie ist, wie es an späterer Stelle heißt, ein „Total-Eindruck“ (GL § 99, Zusatz) der Erscheinungsgestalt Jesu Christi. Schleiermachers Lehre von der Person Jesu Christi, wie er sie in Auseinandersetzung mit der kirchlichen Überlieferung kritisch rekonstruiert, ist im Wesentlichen durch zwei Grundsätze bestimmt: Der erste bezeichnet Jesus Christus als geschichtliches Urbild der Frömmigkeit, der zweite entfaltet diese These dahingehend, dass er den Erlöser zwar durch die Selbigkeit der Natur vollen Anteil haben lässt an der Menschheit, ihn aber zugleich „durch die stetige Kräftigkeit seines Gottesbewußtseins“ (GL § 94, Leitsatz) in singulärer Weise von ihr abhebt. Das schlechthin kräftige Gottesbewusstsein des Menschen Jesus Christus ist nach Schleiermacher recht eigentlich ein Sein Gottes in ihm. Dabei ergeben eindringliche Reflexionen über den Ausdruck „Sein Gottes in irgend einem andern“ (GL § 94,2), dass recht eigentlich Jesus Christus der „einzige ursprüngliche Ort“ (ebd.) für ein Sein Gottes im andern ist. „Ja wir werden nun rückwärtsgehend sagen müssen, wenn erst durch ihn das menschliche Gottesbewußtsein ein Sein Gottes in der menschlichen Natur wird, und erst durch die vernünftige Natur die Gesamtheit der endlichen Kräfte ein Sein Gottes in der Welt werden kann, daß er allein alles Sein Gottes in der Welt und alle Offenbarung Gottes durch die Welt in Wahrheit vermittelt, insofern er die ganze neue eine Kräftigkeit des Gottesbewußtseins enthaltende und entwickelnde Schöpfung in sich trägt.“ (Ebd.) In der Bezeugung dieser Wahrheit wird Schleiermacher schließlich auch die verbleibende Wahrheit der traditionellen Dreieinigkeitslehre finden, die er im Übrigen in den Anhang seiner Dogmatik verweist, weil sie nicht notwendig in den Explikationszusammenhang christlichen Selbstbewusstseins gehöre und in ihrer überlieferten Durchführung aporetisch sei. Schleiermachers Lehre von der dem Personsein entsprechenden Gesamttätigkeit Jesu Christi, die sich in traditioneller Hinsicht an der Theorie von „munus triplex“ (prophetisches, hohepriesterliches und königliches Amt) orientiert, ist ebenfalls durch zwei Grundsätze bestimmt. Sie besagen, dass Jesus Christus die Gläubigen vermöge seiner erlösenden Tätigkeit „in die Kräftigkeit seines Gottesbewußtseins“ (GL § 100, Leitsatz), vermöge seiner versöhnenden Tätigkeit „in die Gemeinschaft seiner ungetrübten Seligkeit“ (GL § 101, Leitsatz) aufnimmt. Auffällig und von Schleiermacher selbst bemerkt ist dabei die Tatsache, dass im gege-

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benen Kontext „das Leiden Christi gar nicht zur Sprache kommt, so daß auch nicht einmal Gelegenheit gewesen ist, die Frage aufzuwerfen, ob und inwiefern es zur Erlösung oder zur Versöhnung gehört“ (GL § 101, 4). Begründet wird diese Zurückhaltung damit, dass Jesu Christi Erlösung- und Versöhnungswirken recht eigentlich in seinem aktiven Leben und nicht in seiner Passion bestehe. Soteriologische Bedeutung sei entsprechend nicht „in dem Leiden selbst, sondern nur in der Hingebung in dasselbe“ (ebd.) zu finden. Dem entspricht, dass das österliche Geschehen der Erweckung und Erhöhung des Gekreuzigten nahezu völlig aus Schleiermachers Christologie ausgeblendet ist. Was in Jesus Christus in der differenzierten Einheit seiner Person und seines Werkes urbildlich realisiert ist, gereicht dem Menschen dadurch zum Heil, dass er in der Kraft des Heiligen Geistes zur Lebensgemeinschaft mit dem Erlöser und Versöhner erwählt und in sie aufgenommen wird, wodurch seine Wiedergeburt und ein anfängliches Leben gottgefälliger Heiligkeit bewirkt wird. Die Wiedergeburt geschieht durch Bekehrung und Rechtfertigung, die Heiligung durch Kampf gegen die verbleibende Sünde sowie durch fortschreitendes Bemühen um gute Werke. Fügt man hinzu, dass Bekehrung und Rechtfertigung als die beiden konstitutiven Elemente der Wiedergeburt ihrerseits jeweils zweifach differenziert sind, nämlich in Buße und Glaube einerseits und in Sündenvergebung und Adoption im Sinne des Vollzugs der Aufnahme in die Gotteskindschaft andererseits, so ist Schleiermachers Lehre vom „ordo salutis“ bereits vollständig umschrieben. Statt auf Einzelheiten näher einzugehen, sei lediglich betont, dass Individualität und Sozialität in Schleiermachers Soteriologie im Verhältnis völliger Parität und Gleichursprünglichkeit stehen. Weder darf die prinzipielle Individualität der Christusbeziehung des Glaubens geleugnet und der Einzelne zum bloßen Funktionsmoment kirchlichen Gesamtlebens herabgesetzt werden, noch lässt sich die Individualität frommen Selbstbewusstseins ablösen von der Kirche, in der die Lebensgemeinschaft Jesu Christi soziale Gestalt annimmt. Letzteres wird durch die schon in quantitativer Hinsicht bemerkbare Zentralstellung der Ekklesiologie im Gesamtsystem unterstrichen. Nach Maßgabe der Glaubenslehre handelt die Ekklesiologie von der Beschaffenheit der Welt in Welt Bezug auf die Erlösung und zwar so, dass zunächst unter dem Aspekt der Erwählung und Geistmitteilung vom Entstehen der Kirche, sodann vom Bestehen derselben in ihrem Zusammenhang mit der Welt und schließlich in Form sog. prophetischer Lehrstücke von ihrer eschatologischen Vollendung gehandelt wird. Den „eigentliche(n) Kern“ (GL § 114, 2) bildet dabei der zweite Themenabschnitt, bei dessen Entfaltung zwei Gesichtspunkte leitend sind: der Aspekt zeitinvarianter Selbigkeit kirchlichen Wesens und der Aspekt kirchlichen Wandels im empirischen Lauf der Zeiten. Mit Schleiermachers Worten: „Wenn die Gemeinschaft der Gläubigen als ein geschichtlicher Körper im menschlichen Geschlecht in stetiger Wirksamkeit dasein und fortbestehen soll: so muß sie beides in sich vereinigen, ein sich selbst Gleiches, vermöge dessen sie im

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Wechsel dieselbe bleibt, und ein Veränderliches, worin sich jenes kundgibt.“ (GL § 126,1) Die Lehre von den wesentlichen und unveränderlichen Grundzügen der Kirche beinhaltet diejenigen kirchlichen Haupttätigkeiten, durch welche das Beginnen der Kirche nicht nur anfänglich, sondern dauerhaft bestimmt ist. Anders formuliert: Das ekklesiologisch Unveränderliche „gründet sich wesentlich darauf, daß die Kirche nur durch dasjenige fortbestehen und zu ihrer Vollkommenheit gelangen kann, wodurch sie auch entstanden ist“ (GL § 126,2). Systematisch geordnet werden die Konstitutions- und Erhaltungsfaktoren der Kirche, welche ihr unveränderliches Wesen ausmachen, unter drei Aspekten, die in sich jeweils zweigeteilt sind: „Die christliche Gemeinschaft ist ohnerachtet des von ihrem Zusammenbestehen mit der Welt unzertrennlichen Wandelbaren doch immer und überall sich selbst gleich, insofern erstlich das Zeugnis von Christo in ihr immer dasselbige ist, und dies findet sich in der heiligen Schrift und im Dienst am göttlichen Wort; zweitens insofern die Anknüpfung und Erhaltung der Lebensgemeinschaft mit Christo auf denselben Anordnungen Christi beruht, und diese sind die Taufe und das Abendmahl; endlich insofern der gegenseitige Einfluß des Ganzen auf den Einzelnen und der Einzelnen auf das Ganze immer gleich geordnet ist, und dieser zeigt sich im Amt der Schlüssel und im Gebet im Namen Jesu.“ (GL § 127, Leitsatz) Die Lehre von dem Wandelbaren hinwiederum, was der Kirche vermöge ihres Zusammenseins mit der Welt zukommt, ist auf die ekklesiologische Differenz von sichtbarer und unsichtbarer Kirche konzentriert, welche Differenz sich in den beiden Sätzen zusammenfassen lässt, „daß die erste eine geteilte ist, die andere aber ungeteilt eine, und daß die erste immer dem Irrtum unterworfen ist, die andre aber untrüglich“ (GL § 149, Leitsatz). Schleiermachers Ekklesiologie schließt mit einem Ausblick auf die eschatologische Vollen- Gott dung der Kirche im Reiche Gottes, der – obwohl menschliches Fassungsvermögen übersteigend und das reale Frömmigkeitsbewusstsein transzendierend – unter der Anleitung des Parakleten nicht nur Trost zu spenden vermag, sondern auch Hoffnungsgründe erschließt, welche die endgültige Überwindung des Todes und das aus dem Jüngsten Gericht hervorgegangene Leben der ewigen Seligkeit mit Glaubensgewissheit erwarten lassen. Den Fluchtpunkt aller eschatologischen Erwartungen aber bildet die Wiederkunft Jesu Christi, mit der zuletzt auch dies endgültig und universal offenbar sein wird, was in Bezug auf die Erlösung von Gott und den göttlichen Eigenschaften zu lehren ist: Dass nämlich der absolute Urgrund allen Seins und allen Seienden nichts anderes ist als reine Weisheit und Liebe.

14. Religionskritische Strömungen

Lit.: E. Biser, Nietzsche – Zerstörer oder Erneuerer des Christentums?, Darmstadt 2002. – L. Feuerbach, Sämtliche Werke, hg.v. W. Bolin/F. Jodl, Bd. XI: Jugendschriften, Stuttgart 1962 (= SW XI); Bd. VI: Das Wesen des Christentums, Stuttgart 1960 (=SW VI). – G. Keller, Sämtliche Werke in sieben Bänden. Bd. I: Gedichte, hg.v. K. Kauffmann, Frankfurt a.M. 1995 (= SW I); Bd. II: Der grüne Heinrich. Erste Fassung, hg.v. Th. Böning u. G. Kaiser, Frankfurt a.M. 1985 (= SW II). – Ders., Gesammelte Briefe. In vier Bänden hg.v. C. Helbling, Bd. I, Bern 1950. – K. Marx, Thesen über Feuerbach, in: ders./F. Engels, Die deutsche Ideologie, Berlin 1953, 583–585. – Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866: Bürgerwelt und starker Staat, München (1983) 1998. – Jean Paul, Sämtliche Werke, Abt. I., Bd. II: Siebenkäs. Flegeljahre, München 31971 – G. Wenz, Art. Religionskritik, in: TRE 28, 687–699. – Ders., Der Himmel auf Erden. Gottfried Keller als literarischer Adept Feuerbachscher Religionskritik, in: J. Rohls/G. Wenz (Hg.), Protestantismus und deutsche Literatur, Göttingen 2004, 197–214.

Der sozialgeschichtliche Kontext der für den Protestantismus des 19. Jahrhunderts prägenden Religions- und Christentumstheorien Kants, Hegels und Schleiermachers ist durch das kontinuierliche Werden der bürgerlichen Gesellschaft bestimmt. Diese hat sich nach ersten Ansätzen in der Frühneuzeit seit dem späten 18. Jahrhundert forciert ausgebildet, um in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr oder minder konturierte Formen anzunehmen. Drei Aspekte sind nach Thomas Nipperdey für den Entstehungsprozess der bürgerlichen Moderne charakteristisch: „1. Die vom Staat durch das Recht fixierte Ungleichheit der ständischen Gesellschaft geht – langsam und mit Überhängen ständischer Relikte – in die rechtliche Gleichheit der staatsbürgerlichen Gesellschaft über. 2. Das den sozialen Status bestimmende ständische Merkmal der Geburt wird durch das moderne Prinzip der Leistung und des Berufes abgelöst: die Berufs- und Leistungsgesellschaft entsteht. 3. Diese wird in der spezifischen Weise des 19. Jahrhunderts eine Klassengesellschaft, d.h. der Besitz, die ökonomische Lage und die Stellung in der Produktion bestimmen zusammen mit dem meist anders begründeten sozialen Prestige die Schichtung der Gesellschaft.“ (Nipperdey I, 255) Als eine der wichtigsten Trägergruppen der soziokulturellen Transformation ständischer in bürgerliche Gesellschaftsstrukturen tritt in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die akademisch gebildete Beamtenschaft in Erscheinung. Durch sie wird die politisch-staatliche Umformung der ständisch-korporativen Ordnung wesentlich bewirkt. Zusammen mit anderen Akademikern, unter denen Zur soziokulturellen Situation

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die evangelischen Pfarrer in mehrfacher Hinsicht hervorragen, bilden Staatsbeamte die soziale Gruppe des sog. Bildungsbürgertums als der treibenden Kraft der im Werden begriffenen bürgerlichen Moderne im Allgemeinen und der modernen Bürgerreligion eines freien Protestantismus im Besonderen. Freilich kann das Bildungsbürgertum seinen politischen und religiösen Einfluss nur beschränkt geltend machen. Die Gesellschaft bleibt trotz ihrer fortschreitenden Dekorporierung stark segmentiert. Die Grenzen der politischen Stände von Beamtentum, Adel und Militär sind zwar prinzipiell durchlässig, faktisch aber zumeist fest und klar umschrieben. Auch innerhalb des Bürgertums, das sich bewusst von sozialen Unterschichten abheben will, zeigen sich nicht unerhebliche Verwerfungen. Hinzu kommen die Gegensätze von Stadt und Land sowie der weithin noch geschlossenen konfessionellen Milieus. Kurzum: Von einer halbwegs homogenen deutschen Bürgergesellschaft konnte zu Zeiten Kants, Hegels und Schleiermachers mitnichten die Rede sein. Gleichwohl zeigen sich charakteristische TenStrukturwandel der denzen und soziokulturelle Entwicklungstrends, Öffentlichkeit die von der Religionsgeschichte mitbewirkt wurden und sich religionsgeschichtlich reflektieren. Kennzeichnend ist vor allem das Vordringen des Individuellen. „Die bürgerliche Gesellschaft ist in einem spezifischen Gegensatz zur alten Welt eine Gesellschaft der Einzelnen, der Individuen.“ (Nipperdey I, 264) Die Menschen emanzipieren sich von der Vorgegebenheit traditionaler Ordnungen, um ihr Leben selbst und auf eigene Weise zu gestalten. An die Stelle der Korporationen tritt die freie Assoziation, der Verein gleichgesinnter Individuen. Das für die sich ausbildende bürgerliche Gesellschaft höchst bedeutsame Vereinswesen wiederum ist signifikant für das zivile Verhältnis von Staat und Gesellschaft insgesamt. Der Staat lässt einen gesellschaftlichen Freiraum autonomer Selbstgestaltung der Bürger zu, auch wenn er deren Vereinsaktivitäten anfangs strikt entpolitisiert. Erst in der zweiten Jahrhunderthälfte kann das Vereinswesen die Gestalt politischer Organisationen im Sinne des modernen Parteienwesens annehmen. Gleichwohl: Schon in der ersten Jahrhunderthälfte erringen die Bürger das Recht, sich selbstbestimmt zu positionieren, und Positionalität wird entsprechend ein Signum der Zeit und ihrer Religiosität. Der Differenzierung von Staat und Gesellschaft aber entspricht, um als letzten und möglicherweise wichtigsten Entwicklungstrend nur noch diesen zu nennen, die funktionale Ausdifferenzierung der Berufswelt, ja der sozialen Welt insgesamt, in der sich Wissenschaft und Kunst, Wirtschaft und Recht immer mehr von einem substantialen Einheitsganzen emanzipieren und eigengesetzliche Gestalt annehmen. Auch und gerade an der sozialen Stellung der Religion lässt sich dieser Prozess funktionaler Ausdifferenzierung der Gesellschaft exemplarisch verdeutlichen. Zum protestantischen Kirchenvater des 19. Jahrhunderts ist Schleiermacher nicht zuletzt deshalb geworden, weil er der Religion eine eigene Provinz im Gemüt und eine Stellung zugewiesen hat, die sie von anderen Verhältnissen im Menschenleben nicht zuletzt in funktionaler Hinsicht eindeutig unterscheiden lässt.

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Unbeschadet der tiefgreifenden Umformungen, die der Prozess der Entstehung und Ausgestaltung der bürgerlichen Moderne auch hierzulande mit sich brachte, blieb Deutschland bis weit ins 19. Jahrhundert hinein ein christlich, ja kirchlich geprägtes Land. „Religion und Kirche sind eine das Dasein, das Bewußtsein und Verhalten des Menschen bestimmende Selbstverständlichkeit und Macht, sie bleiben auch für Staat, Gesellschaft und Kultur von entscheidender Bedeutung. Wo es um den Sinn des Lebens und auch die ‚Wahrheit‘ geht, da geht es in diesem Jahrhundert immer auch um die Religion.“ (Nipperdey I, 403) Zwar weist der Untertitel der Schleiermacher’schen Reden von 1799 explizit darauf hin, dass es unter den Gebildeten der damaligen Zeit Verächter der Religion gegeben hat, und auch die Bildungsreligion eines Goethe wird man nicht ohne weiteres christlich nennen können. Dennoch kann von einer Dechristianisierung Deutschlands in der Goethezeit nicht die Rede sein. Um 1815 herum lässt sich im Gegenteil sogar eine weite Bevölkerungsteile erfassende Erweckungsbewegung verzeichnen, die im Verein mit Idealismus, Romantik und politischer Restauration eine Wendung zur Religion und eine Renaissance des Christentums bewirkte, die später Rekonfessionalisierungsformen und Formen eines modernen Konfessionalismus annehmen sollte. Seit dem zweiten Jahrhundertdrittel allerdings verändert sich, was die allgemeine Akzeptanz des Christentums betrifft, allmählich der Zeitgeist, und es kommt zwar nicht im Sturm, aber kontinuierlich anschwellend religionskritischer Gegenwind auf. Erkennbar markieren die 30er Jahre eine Epochenschwelle. Wollte man das lange neunzehnte Jahrhundert verkürzen und nicht 1789, sondern später beginnen lassen, dann böte sich dafür weniger das Jahr 1800 als das Jahr 1830 an. Am 18. November 1831 stirbt Hegel, am 22. März 1833 Goethe, am 12. Februar 1834 Schleiermacher. Die klassische Periode der großen Dichter und Denker geht zu Ende und es bildet sich das Bewusstsein einer neuen Zeit heraus, das sich je nach Perspektive als Zeit der Epigonen und des geistigen Niedergangs oder des wissenschaftlichen Aufstiegs beschreiben lässt. Rechnet man den Szientismus forschungsorienIndustrielle und Szientistitierter Wissenschaft zu den Charakteristika der sche Revolution Moderne, dann sprechen manche Gründe dafür, deren forciertes Beginnen überhaupt erst in den dreißiger, vierziger und fünfziger Jahres des 19. Jahrhunderts anzusetzen und die vorhergehende Zeit der idealistischen Systeme einem Alteuropäismus zuzuweisen, der die Neuzeit in ihrer transatlantischen Ausprägung noch vor sich hatte. Erst im Zuge der Industriellen Revolution nimmt der Prozess der Säkularisierung die radikale Form konsequenter Verweltlichung der Welt an mit der wissenschaftstheoretischen und -praktischen Folge, dass die Annahme einer welttranszendenten Instanz zu einer Hypothese ohne grundlegende Bedeutung für die Forschung herabgesetzt wird. Die forschungspraktische Marginalisierung Gottes erweist sich allerdings bei genauerem Zusehen als religionstheoretisch durchaus ambivalent, sofern sie den alten Glauben nicht ersatzlos streicht, sondern durch einen – mit einer Formel von David Die Epochenschwelle der 1830er Jahre

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Friedrich Strauß zu reden – neuen Glauben ersetzt, in dem die Wissenschaft die Gestalt einer Weltanschauung annimmt, um als solche religionsanalog zu fungieren. Man kann sich diese Ambivalenz unter Bezug auf die Notwendigkeit erklären, in welcher die nichtsubstituierbare bzw. selbstsubstitutive Funktion des Religiösen wesentlich begründet liegt, nämlich unbestimmbare in bestimmbare Kontingenz zu transformieren. Wird die Welt nicht mehr durch ein Jenseits begrenzt, hört sie auf, diesseitig zu sein, und dehnt sich, wenn man so will, explosionsartig zu einem Unendlichen aus, dessen Hyperkomplexität kein Maß mehr kennt. Die Welt droht zum immensen Chaos zu werden. Um die Ungeheuerlichkeit, zu welcher eine ihrer Externbestimmung entledigte, gleichsam außenlose Welt zu entarten droht, zu kompensieren bzw. gar nicht erst aufkommen zu lassen, muss die Wissenschaft notwendigerweise sinngenerierende Funktionen erfüllen und die Form einer Weltanschauung annehmen, welche die Welt für den Menschen zu einer geheuren, weil bestimmbaren und in bestimmter Weise vorstellbaren Größe werden lässt, was die Voraussetzung jeden sinnvollen Weltumgangs in Theorie und Praxis und nicht zuletzt die Prämisse aller wissenschaftlichen Tätigkeiten ist. Man kann das dann auch so sagen: Als Weltanschauung schickt sich die Wissenschaft an, die Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit zu erfüllen. Die Schwierigkeit, diese transzendentale Aufgabe in der wissenschaftspezifischen Weise empirischer Forschung zu erfüllen, reflektiert sich in der Vielzahl weltanschaulicher Positionen, die aus der konkreten Wahrnehmung dieser Aufgabe hervorgegangen sind, ohne sie einer abschließenden Einheitslösung zuzuführen. Ihre Weltanschauungen zu einem synthetischen Weltbild zu vereinen und die Welt als identisches Ganzes vorzustellen, ist der Wissenschaft bekanntlich bis heute nicht gelungen, wobei zu fragen ist, ob es sich dabei lediglich um einen verbliebenen Forschungsmangel, der empirisch dereinst möglicherweise zu beheben ist, oder um ein Grundsatzproblem empirischer Wissenschaften handelt, die, wenn sie denn forschen, prinzipiell zu keinem Ende ihrer Forschungen gelangen können. Auf Fragen und Zusammenhänge dieser Art wird im Offenbarungstraktat im Anschluss an Plausibilitätsverluste von Religion und Christentum die positive Philosophie des späten Schelling, der nicht von ungefähr der Vollender des Deutschen Idealismus genannt wird, noch eigens eingegangen werden (vgl. II,5). Hier soll vorerst nur die äußere Beobachtung notiert werden, dass in der Zeit nach Hegels, Goethes und Schleiermachers Tod die Verwissenschaftlichung des Denkens und zugleich die empirisch-szientifische Spezialisierung und weltanschauliche Positionalisierung der Wissenschaften enorm zunimmt. In Entsprechung zu dieser Entwicklung büßt fortschreitend auch die Philosophie ihre um ein Höchstmaß an integrativer Einheit bemühte Systemgestalt ein und differenziert sich in einzelne Strömungen aus, die – positionell verfasst – nebeneinander existieren. Unter religionskritischen Gesichtspunkten verdient vor allem die linkshegelianische Bewegung Interesse, die im Unterschied zu den eher konservativen Rechtshegelianern auf revolutionäre Umwälzung der be-

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stehenden Verhältnisse ausgerichtet ist. Doch dürfen daneben etwa auch die erheblichen religions- und christentumskritischen Folgewirkungen der von Arthur Schopenhauers (1788–1860) Willensmetaphysik ausgehenden lebensphilosophischen Strömung nicht übersehen werden, die in Friedrich Nietzsche (1844–1900) ihren überragenden Vertreter gefunden hat. Erheblicher noch sind die Langzeitfolgen, die der Positivismus eines Auguste Comte (1798–1857) oder John Stuart Mill (1806–1873) und schließlich der Evolutionsbiologismus von Charles Darwin (1809–1882) für Religion und Christentum in ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz zeitigten. Im Geiste einer dem Empirismus verpflichteten wissenschaftlichen Rationalität, der etwa über den Wiener Neopositivismus bis hin zur analytischen Philosophie der Gegenwart fortwirkt, wurden mit den Themen der Metaphysik weithin auch diejenigen der Religion zu Scheinproblemen erklärt. Zwar überwiegt, wie gesagt, um die Mitte des 19. Jahrhunderts nach wie vor der Geist einer (vielfach unkritischen) Selbstverständlichkeit, mit der Christentum und Religion als feste Bestandteile des Gemeinwesens und des individuellen Lebens praktiziert oder auch nur hingenommen werden. Doch mehren sich die Anzeichen kommender religiöser Bedeutungseinbußen; ja gelegentlich tritt ein durch die politischen Revolutionsbemühungen forcierter Religionshass offen zutage, der vor allem in den sozialen Unterschichten breite Resonanz findet. Karl Marx (1818–1883) war es, der die Feuerbach’sche Religionskritik sozioökonomisch transformierte und in den Dienst seines kommunistischen Revolutionsprogramms stellte. Weite Teile der Arbeiterbewegung wurden dadurch der Kirche noch mehr entfremdet, als sie es ohnehin schon waren. In Kreisen des gebildeten Bürgertums vermied man zwar in der Regel eine dezidiert religionskritische Einstellung; doch hinterließen auch hier neben und nach Feuerbach Gestalten wie der bereits genannte Schopenhauer oder Eduard von Hartmann (1842–1906) bleibenden Eindruck, aber etwa auch Richard Wagner (1813–1883), dessen Kunst, obwohl auf ihre Weise religiös, mit überkommenem Christentum nur noch höchst bedingt etwas zu tun hat. Einen zusätzlichen – mittel- und langfristig sicher noch bedeutsameren – Legitimationsverlust der Religion im Allgemeinen und des Christentums im Besonderen bewirkten, wie erwähnt, die weltanschaulichen Konsequenzen, die von Vielen aus den Fortschritten der Naturwissenschaften gezogen wurden. Materialismus, Positivismus und Darwinismus beginnen populär zu werden und die Funktion eines Ersatzes traditioneller Metaphysik und Religiosität anzunehmen. Um Allgemeinplätze zu vermeiden, seien einige ausgewählte Beispiele prominenter Religionskritik in gebotener Kürze eigens skizziert. Das Geheimnis der Theologie ist die AnthropoDas Beispiel des Grünen logie; aus Kandidaten des Himmels sollen daher Heinrich Studenten der Erde werden (vgl. Feuerbach, SW VI, 325): Was Ludwig Feuerbach (1804–1872) am Ende des Revolutionsjahrs 1848 in Heidelberg über „Das Wesen der Religion“ vortrug, wurde von vielen als Befreiung und purgatorische Läuterung empfunden. „(K)larer, strenger, aber auch glühender und sinnlicher“ empfinde er seither alles, schrieb der Schweizer Dichter

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Gottfried Keller (1819–1890) an einen Züricher Freund (Brief an Wilhelm Baumgartner vom Winter 1849, in: Briefe I, 275). Ohne das Zwielicht überweltlichen Scheins erstrahle die immanente Welt unendlich viel schöner, und ein befristetes Leben, das von jeder Jenseitshoffnung über die Todesgrenze hinaus Abschied genommen habe, werde ungleich intensiver und inniger erlebt als ein solches, das auf Transzendenz schiele, statt den vergänglichen Tag auszukosten und dem reinen Augenblick zu frönen, dessen raumzeitliche Flüchtigkeit mehr verheiße als alle Ewigkeiten zusammen. „Trinkt, o Augen, was die Wimper hält, / von dem goldnen Überfluß der Welt!“ („Abendlied“, 1879; Keller, SW I, 407) In seinem Roman „Der grüne Heinrich“ hat Keller den Eindruck, den Feuerbach auf ihn machte, literarisch reflektiert (vgl. Wenz, 197–214). Der Philosoph tritt mit Vollbart und grünem Jagdkleid in der edlen Gestalt eines Grafen auf – hohe Stirn, freier Blick, naturwüchsig und wild entschlossen, kurzum: das genaue Gegenteil stubenverhockten Zopfgelehrtentums. Genauso war der Heidelberger Feuerbach dem Dichter erschienen, als ein – mit dem Grünen Heinrich zu reden – uriger Vogel, der „mit seinem monotonen, tiefen und klassischen Gesang den Gott aus der Menschenbrust wegsingt“ (Keller, SW II, 850) Heinrich, sein literarischer Schöpfer und mit ihm viele Zeitgenossen und Spätgeborene wurden dadurch an der Religion irre. Feuerbach gilt bis heute als der Religionskritiker schlechthin. Warum? Weil er die Religion nicht nur äußerlich, sondern von innen heraus kritisierte und sie durch Verständnis ihres Wesens zum Verschwinden bringen wollte. Lange bevor von Religionskritik explizit die Rede war, lassen sich vielfältige Formen derselben Formen der Religionskritik identifizieren und zwar auch und gerade im Kontext der Religion, zu der die Möglichkeit partiellen oder prinzipiellen Dissenses elementar hinzugehört. Je dezidierter die eigene religiöse Position bestimmt ist, desto deutlicher fallen in der Regel die Abgrenzungen gegen Häretiker und Schismatiker aller Art aus. Insofern ist Religionskritik seit alters ein religionsinternes Phänomen. Sie wird primär im Interesse affirmativer Begründung und Bestätigung wahrer Religion geübt und vollzieht sich auf der ideellen Basis von Unterscheidungen wie etwa derjenigen zwischen Faktizität und Normativität. Die mittelalterliche Religionskritik gehört weithin in diesen Zusammenhang, und auch für die antiken Ansätze, an die im Renaissancehumanismus angeknüpft werden konnte, trifft zu, dass sie philosophische Kritik der Religion zumeist im Sinne von deren Reinigung z.B. von widervernünftigen Mythologemen oder unstatthaften Anthropomorphismen übten. Dieser Rahmen wird grundsätzlich auch von der Religionskritik der Stoa nicht gesprengt, wenn diese zwischen kontingent erworbenen religiösen Vorstellungen einerseits und einem vernunftfundierten Wesen humaner Religiosität andererseits unterscheidet. Im Unterschied zur religionsinternen bzw. auf das reine Wesen der Religion gerichteten Religionskritik von Antike und Mittelalter stellt die neuzeitliche Religionskritik ein Genus eigener Art dar, insofern sie in ihren radikalen Gestalten kon-

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sequent darauf abzielt, Religion durch Aufweis ihrer Genese zu destruieren und restlos zum Verschwinden zu bringen. In ihrer radikal-genetischen Form ist Religionskritik erst ein Phänomen der Moderne, wobei hinzuzufügen ist, dass sich in der bezeichneten Transformation im Modus des Gegensatzes der Wandel reflektiert, welcher dem Religionsbegriff in der werdenden Neuzeit selbst zuteil wurde. Seiner tendenziell universalanthropologischen Verallgemeinerung entspricht, wenn man so will, in der Weise des Widerspruchs die generalisierende Tendenz, mit der moderne Kritik der Religion deren Bedeutung für das Menschsein des Menschen überhaupt in Abrede stellt. Erst unter den Bedingungen der Moderne konnte die Zweideutigkeit der Wendung „Kritik der Religion“, die sich sowohl als Genetivus subjectivus als auch als Genetivus objectivus verstehen lässt, in ein eindeutig negativ-destruktives Verständnis überführt werden, sofern als Sinn und Zweck modernitätsspezifischer Religionskritik der Erweis fungiert, dass Religion an sich selbst nichts sei, sofern sie sich ohne Relikte auf nichtreligiöse Faktoren reduzieren und aus diesen gänzlich erklären lasse. Als ein aktuelles Beispiel radikaler Religionskritik ist etwa die zu einer „historisch-genetischen TheDas Beispiel von Günter Dux orie der Kultur“ (2000) fortentwickelte Theorie einer „Logik der Weltbilder“ (1982) von Günter Dux anzuführen. Nach Dux soll das prinzipielle Ende der Religion deshalb gekommen sein, weil die subjektivistische Logik der Welterklärung menschheitsgeschichtlich ausgedient habe und mehr und mehr irrelevant werde. Alle Gottesvorstellungen, welche Religion und Religionen bestimmen, sind nach Duxens biosoziologischer Rekonstruktion der die Naturgeschichte fortsetzenden Menschheitsgeschichte auf eine subjektive Matrix der Welterklärung zurückzuführen, wie sie sich im frühen Kindheitsstadium im Umgang mit erwachsenen Bezugspersonen ontogenetisch und analog in einem primitiven Stadium der Menschheitskultur auf phylogenetische Weise ausgebildet habe. Ihr gemäß werden Erfahrungsgegenstände als selbsttätige Agenten und handlungskompetente Subjekte vorgestellt, um Ereignisse der Gegenstandswelt zu verstehen und in ihrem Vorkommen plausibel zu machen. Kurzum: Gott und Götter – zwischen Monotheismus und Polytheismus besteht in dieser Hinsicht nach Dux kein wesentlicher Unterschied – sind ins Transzendente hypostasierte und personalisierte Handlungsmächte, wie der kindlich-primitive Mensch sie in Gegenständen und gegenständlichen Geschehnissen wirksam weiß. Indem die Religion einer Welterklärungsstrategie verhaftet bleibt, die im anthropologischen Organisationsplan nur als transitorisches Durchgangsmoment von zugestandenermaßen erheblicher Dauer vorgesehen war, wird sie zur Ideologie im Sinne einer durch die geschichtliche Entwicklung grundsätzlich überholten Form des Denkens. Statt dem subjektivistischen Schema der Welterklärung, durch welches sich Religion definiere, länger aufzusitzen, empfiehlt Dux ein funktional-relationales, welches das subjektivistische seit den Anfängen der griechischen Naturphilosophie abzulösen beginne. Dabei plädiert er nicht nur für eine Eliminierung der Subjektivität im Naturverständnis und eine strikte Objektivierung des Wissens von der Natur, son-

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dern versucht auch jene – für das Selbstverständnis der Moderne kennzeichnende – Subjektlogik zu überwinden, derzufolge Subjektivität für alle menschlichen Selbstbezüge einschließlich ihrer genetischen Rekonstruktion bereits in Anspruch zu nehmen sei. Auch wenn die Kant’sche Transzendentalphilosophie diesbezüglich ganz andere Wege weist, Die Kant’sche Initiative hat man doch nicht ohne Grund den Königsberger Vernunftkritiker zum ersten erklärt, der Religionskritik im modernen Sinne übte. Bezeichnenderweise tritt der Begriff Religionskritik bzw. Kritik der Religion erstmals im unmittelbaren Umkreis Kants auf, nämlich bei dessen Schüler und Nachlassverwalter Johann Heinrich Tieftrunk (1759–1837). Tieftrunk hatte 1790 einen „Versuch einer Kritik der Religion und aller religiösen Dogmatik, mit besonderer Rücksicht auf das Christenthum“ erscheinen lassen, dem bald eine „Censur des christlichen protestantischen Lehrbegriffs nach den Principien der ReligionsKritik“ (3 Bde. 1791; 1794; 1795) folgte. Wie in des Meisters eigener Schrift über „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ von 1793 wird Kritik reflexiv als Unternehmen einer um Selbstaufklärung bemühten Vernunft, Religionskritik mithin als der Versuch verstanden, das religiöse Bewusstsein auf seine theoretische und praktische Vernünftigkeit hin zu überprüfen. Als entscheidendes Urteilskriterium fungiert der Gedanke vernünftiger Selbstbestimmung des Menschen. Zum Gegenstand der Kritik werden also nicht lediglich bestimmte Inhalte oder Repräsentationsgestalten von Religion, sondern das Verhältnis des religiösen Bewusstseins zur Vernunftautonomie als solches. Nicht ob ein Fremdbetrug mittels Religion statthat, ist die entscheidende Frage, sondern ob das menschliche Bewusstsein sich selbst betrügt, wenn es sich in einem religiösen Verhältnis zur Transzendenz Gottes zu befinden meint. Es liegt in der inneren Konsequenz des kantischen Begriffs der Religionskritik als Kritik des religiösen Bewusstseins, es im Unterschied zu vormaligen Formen der Religionskritik nicht bei einem abstrakten und in solcher Abstraktheit unbegriffenen Gegensatz von Vernunft und Religion belassen zu können. Vernünftige Religionskritik und vernünftige Religionsbegründung sind vielmehr wechselseitig aufeinander zu beziehen. Wer Religion vernünftig kritisieren will, muss ihre Gehalte aus Vernunftgründen rekonstruieren können. Der Religionskritik ist unter diesen Bedingungen die anspruchsvolle Aufgabe gestellt, im Vollzug der Kritik das Kritisierte konstruktiv zu genetisieren und zu begreifen. Als gelöst kann diese Aufgabe erst dann gelten, wenn die Gehalte des religiösen Bewusstseins nicht schierer Unvernunft anheimgestellt, sondern einer durch Selbstanwendung ihrer Prinzipien kritisch über sich selbst und ihre Konstitutionsprobleme aufgeklärten Vernünftigkeit übereignet werden. Dabei spitzt sich in Kritik und Konstruktion alles auf die Frage zu, ob die menschliche Vernunft des religiösen Verhältnisses bedürfe, um zu sich selbst zu kommen und sich selbst verstehen zu können, oder ob das nicht der Fall sei. Dass die Antworten auf diese Frage unterschiedlich ausgefallen sind und nach wie vor

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unterschiedlich ausfallen, ändert nichts an der Tatsache, dass Religionskritik und apologetische Theologie unter den Bedingungen der Moderne in aller Regel auf eine gemeinsame Problemkonstellation bezogen sind, die im Religionsbegriff selbst exemplarische Ausdrucksgestalt angenommen hat, insofern dieser normalerweise ebenso formal wie allgemein das Verhältnis oder die Beziehung des Menschen zu einem seine Subjektivität tragenden Grund beschreibt, ohne als solcher bereits darüber zu entscheiden oder auch nur entscheiden zu können, ob es sich bei diesem Bezug um eine Externbeziehung auf ein wahrhaft göttliches Anderes oder lediglich um ein menschliches Selbstverhältnis handelt. Dass die Voraussetzung Gottes nötig sei, damit der Mensch seine Welt und vor allem sich selbst verstehe, wurde weder von Kant noch von seinen Schülern einfachhin in Abrede gestellt. Rückführung religiöser Formationen auf Vernunfttätigkeit und vergewissernde Begründung derselben in Sinngehalten der Religion greifen vielmehr ineinander. Das gilt trotz des spektakulären Atheismusstreits auch für J.G. Fichte, der in seinem „Versuch einer Critik aller Offenbarung“ (1792) Religionskritik konsequent nach kantischen Prinzipien übte, um diesen Prinzipien eine spekulativ-ichphilosophische Fundierung zuteil werden zu lassen, die sich nach mehrfacher Umgestaltung der Wissenschaftslehre in der – der Schelling’schen Spätphilosophie vergleichbaren – Einsicht in die Unverzichtbarkeit und Unvordenklichkeit des religiösen Grundes der Vernunft vollenden sollte. Mag diese Entwicklung unter den Bedingungen einer Theorie des Absoluten, wie Hegel sie konzipierte, als problematisch erscheinen, so bleiben gleichwohl auch in Hegels Programm einer Aufhebung religiöser Vorstellung in den philosophischen Begriff Kritik und Konstruktion des Religiösen dialektisch vermittelt. Erst in der Schule Hegels treten die im Aufhebungsbegriff integrierten Momente philosophischer Negation und Bewahrung der Religion auseinander, um sich lehrmäßig zu verselbständigen. Während die Alt- oder Rechtshegelianer – pauschal geurteilt – dazu neigen, die gegebene Religion gedanklich zu konservieren und zu positivieren, tendieren die Jung- bzw. Linkshegelianer dazu, sie einem destruktiven Kritizismus preiszugeben. Handelte es sich bei dieser Unternehmung zunächst eher um eine Angelegenheit kleiner intellektueller Zirkel, so fand die von Hegels Philosophie inspirierte Religionskritik nach Vorstößen von Bruno Bauer (1809–1882) und David Friedrich Strauß (1808–1874) spätestens mit dem Auftreten von Ludwig Feuerbach einen bemerkenswerten Widerhall im öffentlichen Bewusstsein. Die entscheidende Pointe der Feuerbach’schen Das menschliche GattungsReligionskritik besteht in der Annahme, Religion wesen als Wahrheit der Reliberuhe auf einer Projektion, durch welche sich gion bei Feuerbach das menschliche Bewusstsein die Unendlichkeit seines eigenen Wesens gegenständlich zur Anschauung bringe. Nicht Gott habe den Menschen, sondern der Mensch habe Gott nach seinem eigenen Bilde erschaffen. In der Schrift über „Das Wesen des Christentums“ von 1841 wird dies im Einzelnen entfaltet, wobei seit der zweiten Auflage von 1843 u.a. Luther als Gewährsmann der Projektionsthese angeführt wird: Habe er doch ausdrücklich den

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Glauben zum Schöpfer der Gottheit erklärt. Obschon sich auch eine Reihe sonstiger religionskritischer Argumente finden, wie etwa das Anthropomorphismusargument bzw. die überkommene – im 19. Jahrhundert namentlich durch das sog. Dreistadiengesetz Auguste Comtes revitalisierte und neuerdings etwa bei Dux begegnende – Annahme, die Religion sei dem Kindheitsstadium der Menschheitsgeschichte zuzurechnen, bleibt die Grundannahme Feuerbach’scher Religionskritik stets die gleiche: In der Religion wird dem menschlichen Bewusstsein die eigene Unendlichkeit vorstellig, wobei als Subjekt unendlichen Bewusstseins nicht der individuelle Einzelmensch, sondern die Menschheitsgattung zu gelten hat. Der Mensch, der sich nach Feuerbach im religiösen Verhältnis lediglich zu sich selbst verhält, verhält sich demnach im Bewusstsein der Religion zu sich selbst nicht qua Individuum, sondern qua Gattungswesen. Wo das menschliche Wesen der Gattung als Wahrheit der Religion erkannt wird, löst sich deren falscher Schein, das irdische Menschenwesen als transzendente Gottheit zu betrachten, von selbst auf. Erfüllt sich der Sinn der Religion danach recht eigentlich in ihrem Vergehen, so teilt sie darin die Bestimmung des Individuums, mit dessen egoistischem Unsterblichkeitsstreben Feuerbach den Ursprung der Religion unmittelbar in Verbindung bringt. Nicht wenn es sich religiös zu verhimmeln und zu verewigen sucht, gelangt das menschliche Individuum zur Vollendung. Es vollendet sich im Gegenteil nur, wenn es in seine Sterblichkeit einstimmt und seine Besonderheit verständig und willig hingibt an die Allgemeinheit der Menschengattung, deren Begriff Feuerbach gelegentlich durch den der Natur ersetzen kann. Religionskritik und Individualitätskritik gehören für ihn deshalb untrennbar zusammen, ja eine naturphilosophisch fundierte Individualitätskritik erweist sich bei genauerem Zusehen als das eigentliche Movens Feuerbach’scher Religionskritik. Die tendenzielle Absage an das Einzelsubjekt und die Besonderheit des Individuellen zugunsten der menschlichen Gattungsallgemeinheit kündigt sich bereits in Feuerbachs Frühschrift „De ratione, una, universali, infinita“ (Feuerbach, SW XI, 11ff.; dt.: SW IV, 299ff.) an und ist offenkundig in den 1830 anonym publizierten „Gedanken über Tod und Unsterblichkeit“ (Feuerbach, SW XI, 69ff.), die mit der gereimten Bitte an das Gelehrtenpublikum eingeleitet wird, „den Tod in die Akademie der Wissenschaften zu rezipieren“: „Er ist“, so heißt es zur Begründung, „der beste Arzt auf Erden, / Dem nie noch fehlschlug eine Kur; / Und mögt ihr noch so krank auch werden: / Es heilt vom Grund aus die Natur.“ (Feuerbach, SW XI, 71) In Achtung vor diesem natürlichen Allheilmittel gelte es Abstand zu nehmen von dem Wunsche individueller Unsterblichkeit; damit erübrige sich die Religion, als deren Wahrheit sich die menschliche Gattungsnatur zu erkennen gebe. Ist Religion das bewusstlose Selbstbewusstsein Religion als Reflex sozialer des Menschen zu nennen, in welchem diesem Entfremdung bei Marx sein eigenes Wesen lediglich auf tendenziell befremdliche Weise gegenständlich wird, insofern er nicht weiß, dass es das seinige ist, so wird der Verblendungszusammenhang, dessen mangelnde Aufgeklärtheit die Bedingung der Möglichkeit der Existenz des Religiösen darstellt, augenblick-

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lich dann erhellt, wenn das Wissen des Menschen von Gott als das Wissen des Menschen von sich selbst durchschaut wird. Mit dieser Einsicht beansprucht Feuerbach zugleich die spekulative Vernunft Hegel’scher Provenienz auf den Boden der Tatsachen herabgeholt zu haben. Daran konnte die Religionskritik von Karl Marx (1818–1883) anschließen. Im ersten Satz der Einleitung seiner Schrift „Zur Kritik der Hegelschen Religionsphilosophie“ von 1844 heißt es in diesem Sinne: „Für Deutschland ist die Kritik der Religion im Wesentlichen beendigt, und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.“ Allerdings geht Marx darin über Feuerbach hinaus, dass er dessen Bestimmung menschlichen Wesens im Sinne natürlicher Gattungsallgemeinheit anthropologisch in einen geschichtlich-soziokulturellen Praxiszusammenhang aufhebt. Es sei nicht genug – so Marx in seinen 1845 geschriebenen, von Engels 1888 mit einigen redaktionellen Veränderungen erstmals publizierten „Thesen über Feuerbach“ –, das Faktum der religiösen Selbstentfremdung und der Verdoppelung der Welt in eine vorgestellte und eine wirkliche Welt dadurch beheben zu wollen, dass man das religiöse in das menschliche Wesen auflöst. „Die Tatsache nämlich, daß die weltliche Grundlage sich von sich selbst abhebt und sich, ein selbständiges Reich, in den Wolken fixiert, ist eben nur aus der Selbstzerrissenheit und dem Sichselbst-Widersprechen dieser weltlichen Grundlage zu erklären. Diese selbst muss also erstens in ihrem Widerspruch verstanden und sodann durch Beseitigung des Widerspruchs praktisch revolutioniert werden.“ (These 4) Religionskritik als die Voraussetzung aller Kritik muss demgemäß notwendig in revolutionäre Praxis umschlagen. Um mit der letzten These über Feuerbach zu reden: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ (These 11) Religionskritik und Revolutionsprogramm bilden bei Marx mithin nicht nur einen unauflöslichen Zusammenhang, es besteht vielmehr ein eindeutiges Gefälle hin zum revolutionären Imperativ. In Abkehr von der regressiven Bindung Feuerbachs an die Naturphilosophie und von der daraus resultierenden Reduktion des geschichtlich-gesellschaftlichen Wesens des Menschen auf eine immergleiche Gattungsallgemeinheit identifiziert Marx das menschliche Wesen in seiner Wirklichkeit als „das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“ (These 6), um infolgedessen die menschliche Religion als gesellschaftliches Produkt zu erfassen, nämlich als praktische Konsequenz einer bestimmten Gesellschaftsform, von deren revolutionärer Umgestaltung er nicht nur das Ende der Religion, sondern zugleich die Behebung jener tatsächlichen Mängel erwartet, als deren indirekter Ausdruck die Religion nach seinem Urteil zu gelten hat. Worum es in Marxens Religionskritik im Entscheidenden geht, ist demnach die Beantwortung der Frage, wie die Unvernunft politisch-gesellschaftlich verfasst ist, um das Entfremdungsprodukt der Religion hervorbringen zu können. Indem er mittels reduktionistischer Methodik nicht lediglich die Beschaffenheit der Religion zu erklären, sondern deren Grund in der Beschaffenheit faktischer Zustände zu erheben versucht, formt er die von Feuerbach übernommene radikale Religionskritik zu einer radikalkritischen Gesellschaftstheorie um. Religion ist – kurz gesagt

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– ein Epiphänomen entfremdeter soziopolitischer Verhältnisse. Dabei geht die Entwicklungstendenz dahin, den Gedanken praxismotivierenden Protests gegen das tatsächliche Elend, den Marx anfangs ebenfalls mit der Religion verbinden konnte, dergestalt zurückzunehmen, dass die Religion zu einer ohnmächtigen Ausdrucksgestalt realexistierenden Elends, zu einem bloßen „Opium des Volkes“ erklärt wird, in welcher Funktion sie interessenbestimmtem Missbrauch wehrlos ausgesetzt sei. In diesem Zusammenhang kann Marx die Religion dann auch mit dem Begriff der Ideologie in Verbindung bringen, der von Antoine Louis Claude Destutt de Tracy (1754–1836) eingeführt wurde, um die Behauptung religiöser Gehalte mit dem ökonomischen Vorteilsstreben bestimmter Gesellschaftsgruppen zu erklären. Gerade in dieser Hinsicht zeigt sich in besonderer Weise, was für den bestimmenden Begriff von Marxens Religionskritik generell gilt: Sie ist Moment seines Programms der Revolution, als deren bewegendes Subjekt das Proletariat fungiert. Dabei bleibt Marx bei aller gegebenen Transformation der Religionskritik Feuerbachs insofern verbunden, als er die Überwindung des individuellen Privategoismus, in welchem jener das spezifische Movens zur Ausbildung der Religion entdeckt hatte, zum Ziel seines gesellschaftspolitischen Revolutionsprogramms erklärte. Das strukturelle Grundproblem dieses Programms bleibt freilich ungelöst; es besteht darin, wie es zu einer Überwindung jenes Egoismus kommen soll, als dessen verheerendste Gestalt Marx die bürgerliche Kapitalwirtschaft gilt, wenn das Allgemeine ohne die besondere Rolle des Proletariats nicht herbeizuführen ist, dessen Freiheitsrealisierung ihrerseits nicht verständlich zu machen ist ohne jene – aus der pervertierten gesellschaftlichen Situation nicht ableitbaren – Voraussetzungen, von denen wie das Bewusstsein der Freiheit, so auch deren Verwirklichung lebt. Neben Feuerbach und Marx kommt in der Religionskritik und ApoGeschichte moderner Religionskritik nur noch theose des Herrenmenschen Friedrich Nietzsche (1844–1900) eine Spitzen- bei Nietzsche stellung zu. Durch ihn wurde der Tod Gottes sprichwörtlich, und Feuerbachs Anthropologisierung der Theologie vollendete sich in einer programmatisch erklärten Apotheose des Menschen. Es ist das Prinzip radikaler Selbstbestimmung des souveränen, absolut seiner selbst mächtigen Menschenwesens, welches die aphoristisch formulierte und mit Moralkritik aufs Engste verbundene Religionskritik Nietzsches bestimmt. Im Hintergrund steht eine antiplatonische Metaphysik des Willens zur Macht, welche die Basis für den Atheismus radikalautonomer menschlicher Freiheit abgibt. Religion ist für Nietzsche Selbstkorrumpierung, Selbstentzweiung, Selbstentfremdung des Menschen, insofern dieser in jener alles Vermögen Gott und sich selbst die verbleibende Schwäche zurechnet, womit er seine Lebensmacht, statt sie zu steigern, auf ein verschwindendes Minimum reduziert. Das Unwesen, welches die Religion treibt, ist somit nihilistische Lebensverneinung, welche durch den sich selbst wollenden und seiner selbst mächtigen Willen mittels Umwertung aller religiösen Werte einschließlich des Gottesgedankens zu überwinden ist. Nietzsches Religionskritik erfüllt sich

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entsprechend in der menschlichen Selbstzuschreibung der Allmachtsattribute des toten bzw. zu tötenden Gottes. Der im Übermenschen sich realisierende Wille zur Macht beansprucht nicht weniger als göttliche Aseität. Im Unterschied zu Feuerbach und Marx wird der religionskritische Gedanke unmittelbarer Selbstbestimmung des Menschen nicht mehr auf indirekte Weise – sei es im Vermittlungszusammenhang von Individuum und Gattung oder Individuum und Gesellschaft – zur Geltung gebracht, sondern direkt und als solcher. Will der Mensch er selbst und als er selbst frei sein, ist für einen Gott außer ihm kein Platz; denn die der Gottesbeziehung implizite Abhängigkeit ist mit dem freien Selbstsein des Menschen unvereinbar. In ihrer Radikalität, deren Breitenwirkung nicht Religion als illusionäre unterschätzt werden darf, blieb Nietzsches ReliWunscherfüllung und gionskritik unübertroffen. Selbst Sigmund Freuds kollektive Zwangsneurose (1856–1939) Theorie der Religion als illusionäbei Freud rer Wunscherfüllung bzw. kollektiver Zwangsneurose, welche religiöse Vorstellungen und Vollzüge als sekundäre Einkleidungen von primär unbewusst ablaufenden Prozessen deutete, um sie auf die Faktizität infantiler Abhängigkeitssituationen zu reduzieren, erreichte nicht die Grundsätzlichkeit Nietzsches. Als Beitrag zur Religionspsychologie mit religionskritischem Gesamtergebnis hat sie gleichwohl großes Aufsehen erregt und ein hohes Maß an öffentlichem Einfluss erlangt. Zentraler Gegenstand traditioneller religionspsychologischer Betrachtungen war die Einzelperson in ihren Bewusstseinsvollzügen. Bevorzugt analysiert wurde das individuelle religiöse Bewusstsein in seinen kognitiven, voluntativen und emotiven Bestimmtheiten, wie sie durch dasjenige bewirkt sein sollten, was jeweils als Religion qualifiziert wurde. Das Grundproblem einer bewusstseinspsychologisch ansetzenden Religionspsychologie bestand in der präzisen Erfassung des Zusammenhangs von psychischer Struktur und religiösem Gehalt. Entweder wurde die religiöse Verfasstheit des Individuums als konstante Größe und die religiösen Inhalte als vergleichsweise variabel in Anschlag gebracht, womit sie der religiösen Individualität tendenziell äußerlich blieben; oder die religiösen Inhalte wurden als substantiell vorausgesetzt, währenddessen die psychischen Konstellationen des religiösen Individuums als eher akzidentell und ephemer gelten sollten. Ungelöst blieb in beiden Fällen die strukturelle Grundfrage jeder Religionspsychologie, wie nämlich der objektive Gehalt von Religion und die psychische Verfassung des Einzelsubjekts im individuellen religiösen Bewusstsein vermittelbar sind. Über die Aporien der bewusstseinpsychologischen führte die psychoanalytisch geprägte Religionspsychologie Freuds insofern hinaus, als sie die Manifestationsformen individueller Religiosität als symptomatischen Ausdruck unbewusster Prozesse im psychischen Leben der religiösen Individuen wertete. Die religiösen Gehalte wurden in diesem Sinne zwar nicht als bewusste Setzungen individueller Subjektivität ausgegeben, aber ebenso wenig als substantiell vorhanden behauptet, da ihre Objektivität auf unbewusste Beweggründe im Seelenleben des Individu-

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ums zurückzuführen sei. Durch diese Reduktion wurden die religiösen Gehalte als Epiphänomene gedeutet, deren Genese tiefenpsychologisch zu rekonstruieren und durch entsprechende Diagnose und Therapie aufzuklären und zum Verschwinden zu bringen seien. Während die Archetypenlehre C.G. Jungs (1875–1961) die religiöse Vorstellungswelt auf ein sog. kollektives Unterbewusstes zurückführte, dessen urtümliche Traumbilder im Mythos und in den Symbolen der Religion ihren Ausdruck finden sollten, sind die Gehalte und Vollzüge der Religion nach Freud im Wesentlichen nichts anderes als sekundäre Vergegenständlichungen unbewusster Motivationslagen des individuellen, freilich stets in soziale Zusammenhänge eingebundenen Einzelsubjekts. Bildet das unbewusste Bestimmtsein von infantiler Abhängigkeit nach seinem Urteil das Hauptmoment religiösen Wesens, so tritt als zweites Moment die Deutung der Religion als kollektiver Zwangsneurose hinzu, die im Ödipuskomplex ihren wesentlichen Auslöser hat. Wege ganz anderer Art geht die sprachanalytiReligionskritik und sche Religionskritik, welche den klassischen Ge- Sprachanalyse gensatz von Religion und Religionskritik dadurch überbieten wollte, dass sie das Sprechen über religiöse Gegenstände generell für sinnlos erklärte: Wie metaphysische sind religiöse Sätze Behauptungen ohne angebbaren Sinn. Der Vorwurf semantischer Sinnlosigkeit, demgemäß religiöse Aussagen weder wahr noch falsch sind, wurde in seiner ursprünglichen Radikalität allerdings auch innerhalb der sprachanalytischen Philosophie nur bedingt aufrechterhalten. Ihre Religionskritik hat nicht nur durch die erwiesene Unhaltbarkeit der anfänglichen Forderung, alle sinnvollen Sätze müssten sich entweder auf Definitionen oder auf Protokollsätze von Sinnesdaten reduzieren lassen, sondern auch dadurch einen grundlegenden Wandel erfahren, dass der späte Wittgenstein (1889–1951), um nur diesen zu nennen, von einem logisch-empiristischen Sprachideal zur Beschreibung faktischer Sprachspiele überging, deren mögliche Vielfalt er zu beschreiben suchte. Diese sprachpragmatische Wende hat u.a. zur Folge, dass den nichtdeskriptiven, den evokativen und expressiven Funktionen religiöser Sprache sowie der Bedeutung performativer Äußerungen für religiöse Sprechakte erhöhte Aufmerksamkeit zugewendet wurde. Jahrzehnte nach Wittgensteins „Ordinary Language“-Spätphilosophie kam es zu einer weiteren Korrektur der positivistischen Anfänge der analytischen Sprachphilosophie. Der von Willard van Orman Quine (1908–2000) initiierte sog. semantische Interpretationismus betont mit Nachdruck den konstruktiven Charakter sprachlicher Welterfassung, womit dem Positivismus weitgehender Abschied gegeben und der Anschluss zu klassischen Themen traditioneller Philosophie wiederhergestellt ist. In anderer Weise gilt dies auch für die semantisch-ontologische Theorie von Lorenz B. Puntel: Trotz dezidierter Absage an eine spekulative Logik im Hegel’schen Sinne, deren Dialektik er für methodisch nicht nachvollziehbar hält, entwickelt Puntel auf der Basis seiner – durch eine kritisch-systematische Darstellung der Wahrheitstheorien in der neueren Philosophie (1978) vorbereiteten – sprachanalytisch-formallogischen Theorie der Wahrheit Grundsätze einer neuen,

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schrittweise das Sein im Ganzen artikulierenden Ontologie, die für theologische Themenbestände nicht nur aufgeschlossen, sondern elementar auf die in der Gottesthematik zu ihrer Bestimmtheit gelangenden Thematik des Absoluten bezogen ist. Wie sich alles verhält, sagt Puntel im Anschluss an Wittgenstein, ist das Absolute, wobei nach christlichem Verständnis die Selbstmitteilungsgeschichte des personalen Schöpfergottes in seiner absoluten Freiheit es ist, welche der Welt als der maximalen Propositionenproposition ihre höchste Bestimmtheit zuteil werden lässt. Ein Sachverhalt ist unter diesen Prämissen theologisch dann wahr, wenn er sich als Bestandteil des durch Gottes Selbstoffenbarung bestimmten Universums identifizieren lässt, dessen universales Sein im Ganzen bewusst zu erfassen und zu artikulieren zwar mit der Natur und Struktur des menschlichen Geistes selbst gegeben ist, ohne dass dessen Totalitätsauffassung bereits von Anbeginn jene maximale Bestimmtheit erreicht hätte, die sich nach Puntel nicht schon mit der Idee des Absoluten als solcher, sondern erst mit der personalen Selbsterschließung des Schöpfergottes in der Geschichte einstellt. Ganz anders als in ihren religionskritischen Anfängen erscheint die sprachanalytische Tradition nunmehr als mit christlicher Überlieferung versöhnt. Wie auch immer: An Radikalität ist die Religionskritik Nietzsches unübertroffen. „Wenn einmal mein Herz so unglücklich und ausgestorben wäre, daß in ihm alle Gefühle, die das Dasein Gottes bejahen, zerstört wären: so würd’ ich mich mit diesem meinem Aufsatz erschüttern und – er würde mich heilen und mir meine Gefühle wiedergeben.“ Mit dieser Anmerkung macht Jean Paul (1763–1825) im „Erste(n) Blumenstück“ seines „Siebenkäs“ den Anfang der „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei“ (Werke I/2, 270). Was folgt ist schrecklich und grauenvoll: „Jetzo sank eine hohe edle Gestalt mit einem unvergänglichen Schmerz aus der Höhe auf den Altar hernieder, und alle Toten riefen: ‚Christus! ist kein Gott?‘ Er antwortete: ‚Es ist keiner.‘ Der ganze Schatten jedes Toten erbebte, nicht bloß die Brust allein, und einer um den andern wurde durch das Zittern zertrennt. Christus fuhr fort: ‚Ich ging durch die Welten, ich stieg in die Sonnen und flog mit den Milchstraßen durch die Wüsten des Himmels; aber es ist kein Gott. Ich stieg herab, soweit das Sein seine Schatten wirft, und schauete in den Abgrund und rief: ‚Vater, wo bist du?‘ aber ich hörte nur den ewigen Sturm, den niemand regiert, und der schimmernde Regenbogen aus Wesen stand ohne eine Sonne, die ihn schuf, über dem Abgrunde und tropfte hinunter. Und als ich aufblickte zur unermeßlichen Welt nach dem göttlichen Auge, starrte sie mich mit einer leeren bodenlosen Augenhöhle an; und die Ewigkeit lag auf dem Chaos und zernagte es und wiederkäuete sich. – Schreiet fort, Mißtöne, zerschreiet die Schatten; denn Er ist nicht!‘ Die entfärbten Schatten zerflatterten, wie weißer Dunst, den der Frost gestaltet, im warmen Hauche zerrinnt; und alles wurde leer. Da kamen, schrecklich für das Herz, die gestorbenen Kinder, die im Gottesacker erwacht waren, in den Tempel und warfen sich vor die hohe Gestalt am Altare und sagten: ‚Jesus! haben wir keinen Vater?‘ – Und er antwortete mit strömenden Tränen: ‚Wir sind alle Waisen, ich und ihr, wir sind ohne Vater.‘“ (Werke I/2, 273)

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„O Vater! o Vater! wo ist deine unendliche Jean Pauls Traum und Brust, daß ich an ihr ruhe? – Ach, wenn jedes Ich Nietzsches Wirklichkeit sein eigner Vater und Schöpfer ist, warum kann es nicht auch sein eigner Würgengel sein? ...“ (Werke I/2, 274) Was für Jean Paul ein erschütternder Traum war, aus dem es ein Erwachen in Freudentränen des Glaubens und des Gebets gab, ist für Nietzsche Wirklichkeit geworden, die er durch ins Äußerste gesteigerten Willen des Menschen zur Macht und zu absoluter Autonomie ebenso zu bewirken wie zu bewältigen trachtete. In der Radikalität seiner Religionskritik war der Röckener Pfarrerssohn einer der wenigen, die zu begreifen suchten, was es heißt, ein Atheist zu sein. Dabei wäre es allerdings ein elementares Missverständnis, den dezidierten Atheismus Nietzsches auf Vernunftgründe zurückzuführen. Es ist im Gegenteil die Konsequenz des ir- und antirationalistischen Ansatzes eines Schopenhauers, die ihn gleichermaßen zu seiner Theologiekritik wie zu seiner – die abendländische Philosophiegeschichte seit Sokrates und Platon als fortschreitende Verfallsgeschichte deutenden – Vernunftkritik brachte. In seinem Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ von 1819 hatte Arthur Schopenhauer (1788–1860) im Anschluss an Kant die gegenständliche Erfahrungswelt als vorstellungshaft insofern bestimmt, als sie durch die Anschauungs- und Verstandesformen des erkennenden Subjekts bestimmt ist. Dabei reduzierte Schopenhauer die Verstandesformen auf die Kausalitätskategorie; gemäß dem Satz vom Grund ist alles in der Vorstellungswelt bedingt, wohingegen Unbedingtes nicht in ihr vorkommt. Unbedingt ist nicht die vorgestellte Erscheinungswelt, sondern der Wille, dessen phänomenaler Drang sie hervortreibt. Er liegt nach Schopenhauer den Phänomenen gleich einem Ding-an-sich wesentlich zugrunde. Indes ist der zur Erscheinung drängende Wille nicht verständig und nicht von noumenaler Natur, sondern von ebenso vitaler wie irrationaler Art. Er ist leibhafter Lebenswille und als solcher primär un- bzw. unterbewusst wirksam, um erst sekundär zu Bewusstsein zu kommen und selbstbewusste Gestalt anzunehmen. Wie unser Leib in Lust und Leid indiziert, dass wir nicht nur verständig vorstellende, sondern durch Triebwillen bestimmte Lebewesen sind, so ist der Willensdrang zum Leben nach Schopenhauer bestimmend für die im Modus der Vorstellung präsente Erscheinungwelt insgesamt. Der weder den Formen der Anschauung noch der Kausalitätskategorie des Verstandes unterworfene und damit raum-, zeit- und grundlose Willensdrang zum Leben rückt bei Schopenhauer just in die Stelle ein, die traditionellerweise Gott eingenommen hatte, wobei der eigentümliche Atheismus seiner Philosophie, wenn man so will, nachgerade darin besteht, nicht nur das absolute Vernunftwesen durch irrationalen Lebensdrang zu ersetzen, sondern auch diesen noch durch konsequenten Verzicht auf individuelle Selbsterhaltung und Aufgabe des Lebenswillens seiner göttlichen Stellung zu berauben. Da die Lebenswirklichkeit an sich selbst unvernünftig und im Gegensatz zur idealistischen Annahme nicht vernünftig strukturiert, sondern irrationaler Natur ist, kann es nach Schopenhauer vernünftiges Leben nur noch in der Weise bewussten Lebensverzichts geben. Diese

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Annahme ist grundlegend für den metaphysischen Pessimismus, der sowohl Schopenhauers soteriologisch konzipierte Kunsttheorie, die in Richard Wagner einen genialen Adepten fand, als auch seine Mitleidsethik mitsamt ihren buddhistischen Anleihen kennzeichnet. Die Volksmetaphysik der christlichen Religion hinwiederum hat nach Schopenhauer der Grundannahme seiner Philosophie dadurch Rechnung zu tragen, dass sie das traditionelle Verhältnis von Sünde und Gnade auf den Zusammenhang von Lebensbejahung und Lebensverneinung deutet und den Weltverzicht als die einzig mögliche Weise der Erlösung verkündet. Schopenhauers antiidealistischer Pessimismus, Religionskritischer demzufolge alles Wirkliche im Wesentlichen Irrationalismus nicht vernünftig, sondern irrational ist, hat durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch seine Wirkung entfaltet und in dessen letztem Drittel namentlich in Eduard von Hartmann (1842–1906) einen wichtigen und einflussreichen Rezipienten gefunden. Seine evolutionstheoretisch angereicherte „Philosophie des Unbewussten“ ist nicht nur für Sigmund Freud, sondern auch für Friedrich Nietzsche bedeutsam geworden. Bereits in seiner Erstlingsschrift über „Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik“ von 1872 hatte Nietzsche an der apollinischen Rationalitätskultur, die Winckelmann und die Weimarer Klassik mit dem antiken Griechenland assoziiert hatten, dionysische Kritik geübt, welcher im Laufe seiner Entwicklung mit der sokratisch-platonischen Philosophietradition die Vernunftidee insgesamt zum Opfer fallen sollte. Die Wahrheit, so Nietzsche, ist eine Illusion und ihre Unterscheidung von der Lüge dient einzig und allein dem Interesse vitaler Selbsterhaltung. In „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ wird dementsprechend der bildungsbürgerliche Idealismus des eben entstandenen Zweiten Deutschen Reichs als Ideologie entlarvt. Eine neue, der ersten gegenüber ungleich radikalere Aufklärung habe Metaphysik als herrschaftsstabilisierende Illusion, Moral als sozialem Egoismus dienenden Schein zu durchschauen und Religion als vom Irdischen ablenkende Vertröstung auf angeblich jenseitige Welten zu destruieren, die den Willen zum Leben schwächt. Ihn zu stärken, ja ihn zu absoluter Selbstbestimmung zu ermächtigen, ist Nietzsches Absicht. Anders als Schopenhauer plädiert er nicht für Lebensverzicht, sondern dafür, den vitalen Lebenswillen die Macht über alles ergreifen zu lassen und jedwedem den totalen Krieg zu erklären, der sich ihm entgegenstellt. Ich bin, der ich bin: Jenseits von Gut und Böse und unter Absehung von Wahrheit und Wert, die dem Nihilismus preiszugeben sind, plädiert Nietzsche für die Selbstapotheose des Herrenmenschen, der nach dem Tode Gottes entschlossen seines allein dem eigenen Geschick verpflichteten messianischen Amtes waltet. Mit den Schriften „Der Antichrist. Fluch auf das Christentum“ (1888) und „Ecce homo. Wie man wird, was man ist“ (1889) endet Nietzsches publizistisches Werk. Als Kompilation erscheint aus dem Nachlass 1901 „Der Wille zur Macht“. „Diese Welt ist der Wille zur Macht – und nichts außerdem! Und auch ihr selber seid dieser Wille zur Macht – und nichts außerdem!“ (KGW VII/3, 339) Was ist, gründet ursprünglich in vitalem Seinstrieb, in dem der Wille sein genuines Wesen

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hat. Alles ist Wille, dessen dranghaftes Wollen allein auf Durchsetzung, Erhalt und Steigerung eigenen Seins und Vermögens ausgerichtet ist. Der Trieb zur Macht als Inbegriff des Eigenvermögens nimmt im Menschen die Form eines Urwillens unmittelbarer Selbstbestimmung an, dem alle kognitiven, emotiven und voluntativen Vollzüge zu dienen haben mit dem Ziel, das herkömmliche Sein des Humanen auf ein übermenschliches Herrentum hin zu transzendieren. In der herrischen Transzendenzgestalt des Übermenschen vollendet sich der Wille zur Macht, der auf nichts außer sich selbst basiert. Nietzsches konsequent nihilistische Destruktion ontologischer Restbestände zugunsten absolut selbstbestimmten Willens lässt sich als Dekonstruktion in konstruktiver Absicht insofern beschreiben, als die These vom Tode Gottes, in der sich der Abschied von traditioneller Metaphysik und Moral erfüllt, zur Annahme aktiv vollzogenen Gottesmordes fortentwickelt wird. Mit ihm nimmt das Beginnen des Übermenschen seinen selbsttätigen Anfang, um fernerhin keiner metaphysischen oder moralischen Macht, sondern nur noch dem eigenen Willen und seinem Vermögen verpflichtet zu sein. In der Selbstapotheose des Menschen nimmt der den Gottesgedanken willentlich nihilierende Atheismus manifest anthropotheistische Gestalt an, womit Feuerbach in die Konsequenz getrieben, zugleich aber die eingangs gewonnene Einsicht bestätigt wird, dass Religion nicht oder nur durch Religion ersetzt werden kann.

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Lit.: U. Barth, „Letzte Gedanken“. Ihr epistemischer Status in Religion und Philosophie, in: D. Korsch/J. Dierken (Hg.), Subjektivität im Kontext. Erkundungen im Gespräch mit Dieter Henrich, Tübingen 2004, 187–210. – D. Henrich, Religion und Philosophie – letzte Gedanken – Lebenssinn. Drei Versuche, auf Rückfragen von Ulrich Barth zu antworten, in: a.a.O., 211–231. – O. Marquard, Felix culpa? – Bemerkungen zu einem Applikationsschicksal von Genesis 3, in: M. Fuhrmann u.a. (Hg.), Text und Applikation. Theologie, Jurisprudenz und Literaturwissenschaft im hermeneutischen Gespräch (Poetik und Hermeneutik IX), München 1981, 53–71. – M. Murrmann-Kahl, Subjekt(ivität) und/oder System? Systemtheoretische Perspektiven auf ein „alteuropäisches“ Thema, in: Subjektivität im Kontext, 143–158. – W. Schmidt (Hg.), Die Religion der Religionskritik, München 1972.

Religion ist ein anthropologisches Universale. Sie gehört unveräußerlich zur „conditio humana“. Der Mensch ist seinem Wesen nach religiös. Diese Annahme wird durch die modernen Formen radikaler Religionskritik weniger falsifiziert, als verifiziert. Denn bei ihrem Versuch, Religion als Epiphänomen zu erweisen und durch genetische Erklärung zum Verschwinden zu bringen, erweisen sich die diversen Gestalten neuzeitlicher Kritik der Religion je auf ihre Weise selbst als religiös. Mit Recht ist im Titel eines von W. Schmidt herausgegebenen Sammelbandes zum Thema (vgl. Lit.) von der „Religion der Religionskritik“ gesprochen worden. Dieses Recht wird durch Feuerbachs Verhimmlung der Gattung und durch Marxens säkulareschatologischen Sozialutopismus ebenso bestätigt wie durch Nietzsches Apotheose des menschlichen Willens zur Macht. Weitere Beispiele, die den implizit religiösen Charakter expliziter Religionskritik belegen, ließen sich unschwer hinzufügen. Es ist Aufgabe konstruktiver Kritik moderner Religionskritik, deren religiöse Implikate aufzuweisen und deutlich zu machen, dass es keine Aktion der Gegenaufklärung, sondern im Sinne aufgeklärter Vernunft ist, die Unaufhebbarkeit der Religion zu behaupten und dafür zu plädieren, Religion als Religion zu üben. Steigert es doch erkenntlich die Durchsichtigkeit der Verhältnisse, wenn Religion als solche identifizierbar und mit einem expliziten Bewusstsein ihrer selbst versehen ist, wohingegen Religionssurrogate, welche die Einsicht in ihren religiösen Charakter etwa dadurch verstellen, dass sie sich ein religionskritisches Ansehen geben, faktisch den Obskurantismus einer Gegenaufklärung befördern. Wo Religion als Religion gepflegt wird, werden elementare Unterscheidungsleistungen erbracht, die allReligion der Religionskritik

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gemeiner Differenzierung dienen. Bewusste oder unbewusste Verdrängung expliziter Religionskultur zeitigt dagegen mehr oder minder totalitäre Konsequenzen. Dass nachgerade die sozial ausdifferenzierten Gesellschaften aufgeklärter Moderne durch die Anerkennung funktionaler Unersetzbarkeit von Religion nicht behindert, sondern befördert werden, ist anzunehmen. Zwar haben sich in aufgeklärten Gesellschaften religiöses Bekenntnis und ziviles Recht weithin entkoppelt, und die Wissenschaftspraxis unterliegt keiner unmittelbar religiös bestimmten Weltbildkontrolle mehr; auch die soziale Kontrolle ist im Zuge fortschreitender Säkularisierung nicht mehr primär oder gar ausschließlich religiösen Institutionen überlassen. Doch führte diese Entwicklung, in deren Verlauf die religiöse Zugehörigkeit der Individuen rechtlich in die Kompetenz privater Entscheidung gestellt wurde, nicht zur sozialen Marginalisierung des Religiösen. Aus dem Prozess progressiver Entzauberung der Welt, wie sie dem Wesen aufgeklärter Vernünftigkeit entspricht, folgt keineswegs zwangsläufig das Ende der Religion. Gegen diese Annahme sprechen vielmehr sowohl empirische als auch prinzipielle Gründe. Empirisch geurteilt kann von einem fortschreitenden Schwund des Religiösen kaum die Rede sein; weitaus evidenter erscheint die These einer Renaissance der Religion, wenn man mit dieser nicht sogleich spezifische Formen verfasster Kirchlichkeit assoziiert, so wichtig diese für die geordnete Pflege des Religiösen zweifellos sind. Grundsätzlich aber gilt, dass die Bedingungen, die zur Religion nötigen, durch keinen noch so fortgeschrittenen Prozess sozialer Emanzipation zu beseitigen sind. Kein wie auch immer gearteter gesellschaftlicher Fortschritt wird, mit Hermann Lübbe zu reden, die Erfahrung einer Elementarabhängigkeit von Daseinsvoraussetzungen beseitigen, die nicht zur Disposition vernünftiger Wahl stehen. Dies ist der prinzipielle Grund für die Aufklärungsresistenz der Religion als des Verhältnisses zu dem, was allem denkenden und wollenden (Sich-)Verhalten vorhergeht. Sich in der Pflege dieses Verhältnisses zu üben und es als religiöses wahrzunehmen und zu explizieren, darf als vernünftig gelten, wohingegen die Leugnung des Religiösen und seiner aufklärungsresistenten Notwendigkeit als unaufgeklärt zu beurteilen ist. Religion kann nicht bzw. nur durch Religion ersetzt werden. Der nicht substituierbare bzw. Kritik der Religionskritik selbstsubstitutive Charakter von Religion ist systemtheoretisch durch Niklas Luhmann mit deren Funktion beschrieben worden, unbestimmbare in bestimmbare Komplexität zu transformieren. Während alle sozialen Funktionssysteme, um ihre spezifische Leistung transformatorischer Bewältigung systemexterner Kontingenz erbringen zu können, die prinzipielle Bestimmbarkeit unbestimmter Umweltkomplexität voraussetzen und voraussetzen müssen, ist es die Funktion von Religion, die ihren eigentümlichen und unersetzbaren Charakter ausmacht, jene prinzipielle Bestimmbarkeit durch Transformation unbestimmbarer in bestimmbare Komplexität zu gewährleisten und auf diese Weise jenen elementaren Sinn zu vermitteln, auf den alle Sinnvollzüge angewiesen sind, weil ohne ihn Sinn nicht möglich und alles sinnlos wäre.

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Ihre Funktion, unbestimmbare in bestimmbare Komplexität zu transformieren, nimmt Religion unter den Bedingungen ausdifferenzierter Gesellschaften der Moderne in Gestalt eines sozialen Subsystems wahr. Diese subsystemische Spezialisierung darf indes mit Segmentierung nicht verwechselt werden. Zwar ist nicht jede soziale Funktion von eigentümlich religiöser Art, und dass dies so ist, ist nicht nur vernünftig, sondern auch im Sinne aufgeklärter Religion. Doch bedeutet deren funktionale Unterscheidung von anderen Funktionen des Gesellschaftssystems mitnichten eine sektorale Beschränkung. Es ist im Gegenteil so, dass die Funktion der Religion für das Funktionieren einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft insgesamt grundlegend und unverzichtbar ist. Es gehört zu den auch theologisch schätzenswerten Leistungen funktionaler Religionstheorie, plausible Gründe für die Aufklärungsresistenz und die Nichtsubstituierbarkeit der Religion unter den gesellschaftlichen Bedingungen der Moderne beigebracht und auf diese Weise einen konstruktiven Beitrag zur Kritik der Religionskritik geleistet zu haben. Bedeutsam und in hohem Maße theologisch relevant ist fernerhin die förmliche Fassung, die funktionale Theorie dem Religionsbegriff zu geben vermag. Sie erlaubt es zum einen, Religion formaliter als Religion zu identifizieren und von Nichtreligion unverwechselbar zu unterscheiden, was für eine sinnvolle Verwendung des Religionsbegriffs, die prinzipielle Äquivokationen verhindert, unerlässlich ist. Die bloße Förmlichkeit, die dem funktionalen Religionsbegriff eigen ist, verhindert zum anderen, dessen Inhalt in substantialer Weise zu präjudizieren und etwa auf die Gestalt einer natürlichen Religion festzulegen. Dass eine solche präjudizierende Festlegung nicht geschieht, ist auch und gerade unter theologischen Gesichtspunkten ein eindeutiger Vorteil. Denn damit wird vermieden, dass ein allgemeiner Wesensbegriff der Religion an die Stelle ihrer Positivität als der konkreten geschichtlichen Bestimmtheit ihrer Lebensgestalt gesetzt wird. Indem die Abstraktheit des modernen Allgemeinbegriffs der Religion in dessen funktionale Bestimmung eingeht, kommt der Verdacht gar nicht erst auf, Religion könne in jener allgemeinen Form, die ihr genereller Begriff benennt, konkret in Erscheinung treten und gelebt werden. Dass der Religionsbegriff in seiner generalisieReligion als generalirenden Verwendung ein neuzeitspezifischer Resierender Abstraktionsflexionsbegriff ist, für dessen Ausbildung die begriff konfessionalistischen Antagonismen des nachreformatorischen Zeitalters der Christentumsgeschichte entscheidend sind, wurde terminologiegeschichtlich im Einzelnen aufgewiesen. Dieses Faktum bedarf daher keines weiteren Belegs. Erneut hervorzuheben ist lediglich, wie mit diesem Faktum systematisch umzugehen ist. Dabei ist zum einen zu konstatieren, dass der Erweis der Historizität seiner Genese den Anspruch des Allgemeinbegriffs der Religion auf die ihn bestimmende generelle Bedeutung nicht notwendig aufhebt. Die formale Universalisierbarkeit des Religionsbegriffs ist durch den Hinweis auf die historischen Gründe seiner Entstehung nicht falsifiziert. Es ist im Gegenteil so, dass die für ihn spezifische Generalität seiner Verwendung als ein unveräußerliches

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Implikat seiner Bedeutung zu gelten hat, wenn das im Religionsbegriff terminologisch Erfasste universale Relevanz haben soll. Ist Religion unersetzbar, dann ist auch ihr Begriff nach Maßgabe des von ihm Begriffenen nicht oder nur durch terminologische Äquivalente zu ersetzen. Stellen die historischen Gründe seiner Ausbildung also noch keinen Einwand gegen seine generelle Bedeutung dar, so wird der Allgemeinbegriff der Religion diese doch nur dann adäquat zur Geltung bringen, wenn die Erinnerung an die Historizität seiner Entstehung in seine gegenwärtige Verwendung eingeht, um sie aufzuschließen bzw. offen zu halten für die Besonderheit der Phänomene, deren Allgemeinbedeutung er zu begreifen sucht. Das geschieht am vorteilhaftesten dadurch, dass der Allgemeinbegriff der Religion, statt ihn als einen substantialen Wesensbegriff mit inhaltlich präjudizierender Bedeutung aufzufassen, in jener funktionalen Förmlichkeit begriffen wird, wie das in der Systemtheorie der Fall ist. Generelle Verwendung kann der Allgemeinbegriff der Religion in verständiger Weise nur im Zuge jener Abstraktion finden, die bereits für seine terminologiegeschichtliche Ausbildung kennzeichnend ist. Der Allgemeinbegriff der Religion ist ein Abstraktionsbegriff, der eine Funktion bezeichnet, die funktional nicht ersetzt werden kann und deren explizite Form der Religionsbegriff im Kern der Bedeutung, die seine Identität ausmacht, benennt. Ein substantiales Wesen der Religion im Sinne einer „religio naturalis“ hingegen ist mit dem funktional bestimmten Allgemeinbegriff der Religion nicht zu assoziieren. Er ist daher nicht darauf angelegt, positive Religionen wertend zu vergleichen oder auf den Begriff zu bringen, was diese ungeachtet ihres Selbstverständnisses in Wahrheit sind. Seine Bedeutung geht vielmehr auf in der Benennung einer Funktion, die, um sinnvolle Funktionalität überhaupt zu erreichen, erfüllt werden muss und deren explizite einer lediglich impliziten Erfüllung funktional geurteilt überlegen ist. Gibt es zweifellos vernünftige Gründe, nicht nur die Aufklärungsresistenz, sondern zugleich Allgemeinheit und die Aufklärungsförderlichkeit von Religion in eigentümliche Besonderheit von Religion ihrer anerkannten Nichtsubstituierbarkeit bzw. Selbstsubstitutivität zu behaupten, so wäre es – noch einmal – unaufgeklärt und der Genese und Geltung des Allgemeinbegriffs der Religion widersprechend, mit diesem Aufweis das Programm einer natürlichen Religion zu verbinden. Von konkreter Wahrnehmung der Funktion der Religion, welche deren Allgemeinbegriff förmlich benennt, kann allein im Zusammenhang positiver Religiosität die Rede sein. Deren eigentümliche Besonderheit muss durch fortschreitende Abstraktion von der Abstraktheit des Allgemeinbegriffs der Religion erfasst werden. Ein erster Schritt zur konkreten Erfassung positiver Religion ist mit der Einsicht getan, dass ihr die innerliche Wahrnehmung des religiösen Verhältnisses unveräußerlich zugehört. Religion ist ohne religiöses Innesein nicht angemessen zu erfassen. Der Begriff der Religion darf sich daher nicht auf deren Außenwahrnehmung beschränken, vielmehr hat die religiöse Binnenperspektive in ihn einzugehen, um zu Bewusstsein zu bringen, was Religion ist bzw. zu sein beansprucht. Zwar kann die Be-

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schränkung auf die Außenperspektive ihrer Wahrnehmung für das Begreifen von Religion durchaus nützlich sein, wo sie als Beschränkung gewusst wird. Eine methodisch unreflektierte Abstraktion von religiösem Bewusstsein als der Innenseite der Religion wäre hingegen unangemessen. Denn die Subjektförmigkeit der Religion gehört unveräußerlich zu ihrem objektiven Begriff. Zumindest für den neuzeitspezifischen Religionsbegriff wird man dies entschieden zu behaupten haben. Es ist im gegebenen Zusammenhang nicht erneut in die Debatte um die adäquate Theorie der Gesellschaft einzutreten, wie sie anhand der sozialtheoretischen Kontroverse zwischen Niklas Luhmanns Systemtheorie und der Theorie kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas exemplarisch dargestellt wurde. Wie immer man in diesem Streit optiert: Dass sich unter Absehung von der Subjektförmigkeit der Religion deren Begriff adäquat bestimmen ließe, wird man ernsthaft nicht behaupten wollen. Damit ist nicht gesagt, dass sich die soziale Funktion der Religion in subjektiver Bewusstseinsbildung erschöpft. Indes geht sie ebenso wenig in Systemzusammenhängen auf, deren Funktionieren ohne Rücksicht auf Subjektivität und Selbstbewusstsein beschrieben werden könnte. Die Bestimmung des Begriffs der Religion als Transformation unbestimmbarer in bestimmbare Komplexität wird man daher im Interesse der Abstraktionsvermeidung in Beziehung zu setzen haben mit ihrer binnenperspektivisch ausgerichteten Beschreibung als Verhältnis zu einem fundierenden Grund von Selbst und Welt, das seiner selbst inne ist. Methodisch brauchbar ist die Systemtheorie für Religionsphilosophie und Theologie jedenfalls nur unter der Voraussetzung, dass man durch sie keinen Gegensatz zu subjektitätstheoretischen Zugangsweisen begründet sein lässt. Dazu gehört die Einsicht, dass systemische Selbstreferenz mit Bewusstseinsreflexivität nicht deckungsgleich und nicht ohne Zwang zur Deckung zu bringen ist (vgl. Murrmann-Kahl, 157). Dass für die Annahme einer Beziehung zwischen der Funktion der Religion, unbestimmbare in System und Subjekt bestimmbare Komplexität zu transformieren, und ihrer unersetzbaren subjektivitätskonstitutiven Bedeutung auch unter systemtheoretischen Bedingungen gute Gründe sprechen, ist im Anschluss an Trutz Rendtorff gezeigt worden, demzufolge der Zuweisung menschlicher Personalität an die Umwelt sozialer Systeme ein verschlüsselter Hinweis auf deren Gesellschaftstranszendenz zu entnehmen ist, wie sie im religiösen Verhältnis begründet und zu Bewusstsein gebracht wird. Unter diesem Gesichtspunkt ließe sich noch einmal erörtern, ob der sozialtheoretischen Kontroverse, Gesellschaft entweder systemisch oder zugleich als System und Umwelt zu konzipieren, tatsächlich ein unaufhebbarer Gegensatz zugrunde liegt oder ob sich in ihr nicht lediglich eine Perspektivendifferenz reflektiert, die keine Alternative zu begründen vermag. Religionstheoretisch jedenfalls ist davon auszugehen, dass sich der Sinngehalt der Religion weder allein unter dem Aspekt individueller Subjektivität noch allein in einer vom Bewusstsein endlicher Subjekte abstrahierenden Universaltheorie subjektloser Funktionsvollzüge erschließen lässt.

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Zwar hat es seine Richtigkeit, den Sinn, der dem religiösen Verhältnis eigen ist, nicht aufgehen zu lassen in Vollzügen subjektiver Selbstdeutung, sofern Subjekte als sinnhaft verfasste Größen Sinn nicht ursprünglich generieren, sondern bereits zur Voraussetzung ihrer Selbst- und Weltwahrnehmung haben. Doch lässt sich religiöser Sinn ebenso wenig ohne Bezugnahme auf das Personsein selbstbewusstser Entitäten erfassen. In der Beziehung zu dem fundierenden Grund von Selbst und Welt, welche das religiöse Verhältnis ausmacht, werden Subjekte zwar über sich selbst hinausgeführt; sie transzendieren darin aber nicht nur sich selbst, sondern auch die Welt, in der und in deren sozialen Vermittlungszusammenhängen sie sich vorfinden. Der Transzendenzcharakter der Religion, der eine transmundane Perspektive und ein Personsein erschließt, in dem Subjekte sich selbst jenseitig sind, kann daher auch nicht in intersubjektive Kommunikationsvollzüge aufgelöst werden und das umso weniger, als sich die Idee herrschaftsfreien Diskurses, auf welche die Habermas’sche Theorie des kommunikativen Handelns angelegt ist, ohne religiöse Anteile gar nicht aufrechterhalten und vor ideologischer Entartung bewahren lässt. Ideologieverdacht müsste sich spätestens dann einstellen, wenn Selbstverhältnisse von Subjekten zu bloß transitorischen Momenten überindividueller Sozialvollzüge herabgesetzt werden sollten. Zwar lässt sich Individualität ohne Sozialisation realiter nicht denken; gleichwohl geht sie in Sozialzusammenhängen nicht auf. Individualität und Sozialität sind daher als gleichursprünglich zu denken, was ohne Wahrnehmung religiöser Bezüge schwer möglich sein dürfte. Als klassischer Beleg hierfür wurde Schleiermachers religiös fundiertes Konzept kommunikativer Subjektivität angeführt, auf das die im ersten Traktat vorgelegten Studien zur Religionstheorie in der Sattelzeit der Moderne fokussiert waren. Von Schleiermacher war zu lernen, dass sich menschliches Personsein in der Welt in der diffe- Verhältnis zu einem renzierten Einheit von äußerem Welterleben und fundierenden Grund von Selbst und Welt einer inneren Lebensdeutung vollzieht, die jedes einzelne Erlebnis auf das Ganze von Selbst und Welt übersteigt, ohne dass das Ganze von Selbst und Welt und deren Einheit je in der Weise bloßer Selbst- und Welterfahrung gegenwärtig wird. Auf das Ganze von Selbst und Welt ausgreifend präsentiert sich dem personalen Leben deren Einheitsgrund vielmehr als das Absolute, im Verhältnis zu dem es der inneren Begrenztheit seiner Freiheit ebenso gewahr wird wie der Endlichkeit der äußeren Welt. Die förmliche Gestalt dieser Wahrnehmung ist die Religion. Religion ist das sein Personleben durchwirkende Verhältnis eines Subjekts zu einem fundierenden Grund von Selbst und Welt. Im religiösen Verhältnis wird personalem Leben bewusst, dass seine subjektive Freiheit, aus der heraus es denkt und handelt, ebenso wenig in sich gründet und zur Selbsterhaltung fähig ist wie die gegebene Welt sich dergestalt von selbst versteht, dass ihr Sein und das Seiende in ihr unbezweifelbare Gewissheit vermitteln könnte. Solche Gewissheit vermag nur das Unbedingte und das von allem Bedingten losgelöste und freie Absolute zu geben, auf welches sich personales Lebens im religiösen

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Verhältnis bezogen weiß. Am Verhältnis zu ihm entscheidet sich zuletzt, ob personales Leben sein Leben als Ganzes und das Ganze der Welt, in der es lebt, im unabsehbaren Wechsel von Glück und Unglück grundsätzlich gutheißen kann oder nicht. Ohne religiösen Bezug lässt sich der Totalitätsanspruch personalen Lebens nicht wahrnehmen, und sobald er wahrgenommen wird, hat sich auf mehr oder minder explizite Weise bereits ein religiöses Verhältnis eingestellt. Doch was ist das Absolute, in welchem Selbst und Welt nach Maßgabe des religiösen Verhältnisses gründen? Dass es nicht auf dinghafte Weise vorstellig und zum Gegenstand substantiviert werden kann, leuchtet unmittelbar ein, weil es damit zwangsläufig relativiert und um seine Absolutheit gebracht wäre. Dieser entspricht offenbar nur eine vollkommene Loslösung von allem Relativen, wie es für Weltund Selbstzüge kennzeichnend ist. Doch was ist mit einem absolut Losgelösten überhaupt zu verbinden außer jener Verbindung, die auch noch in der äußersten Abhebung eines Grundes von allem Gegründeten statthat? Die kritische Antwort, die Kant auf diese Frage in theoretischer Hinsicht gegeben hat, ist bekannt. Von den transzendenten Ideen der Vernunft einschließlich des transzendentalen Ideals kann lediglich regulativer, nicht aber konstitutiver Gebrauch im Sinne objektiver Erkenntnis gemacht werden. Metaphysische Realitätsaussagen gegenständlicher Art sind unstatthaft. Weder kann die Welt als unbedingte Einheit der objektiven Bedingungen in der Erscheinung und Inbegriff aller möglichen Dinge in ihrer absoluten Totalität Gegenstand realer Erkenntnis sein, noch kann die transzendentale Apperzeption als das alles Vorstellen und Begreifen begleitende reine Bewusstsein des Ich denke, welches das Mannigfaltige sinnlich vermittelter und verständig geordneter Erfahrung synthetisch zu formaler Einheit vereint, im Sinne einer objektiven Seelenmetaphysik aufgefasst werden. Was hinwiederum das transzendentale Ideal anbelangt, so führt uns nach Kant die Idee von einem All der Realität („omnitudo realitatis“), so unumgänglich sie der Vernunft zu denken aufgegeben ist, keineswegs zur Erkenntnis realer Existenz eines „ens realissimum“, das als „ens originarium“, „ens summum“ und als „ens entis“ zu gelten hätte. Denn die Vernunft macht von der Idee einer „omnitudo realitatis“ nur im Sinne des Begriffs durchgängiger Bestimmung der Dinge überhaupt Gebrauch, ohne damit die Behauptung zu verbinden oder verbinden zu können, dass der Inbegriff aller Realität real und in der Gestalt eines objektiv Existierenden gegeben sei. Eine solche Behauptung ist nach Kant nicht nur nicht vernunftgeboten, sondern theoretisch unstatthaft: Zur Objektivierung, Hypostasierung und Personifizierung des transzendentalen Ideals besteht kein vernünftiger Grund; vernünftigerweise kann es nur regulative Verwendung finden. Damit verlieren nach Kant auch die theoretiTranszendenz und transschen Verfahren, das Dasein Gottes zu beweisen, zendentale Philosophie ihre rationale Beweiskraft. Nicht nur der physikotheologische und der kosmologische, auch der ontologische Beweis, auf den die beiden anderen hinauslaufen, ist vernünftig zu führen unmöglich. Zwar kommt, wie gesagt, die Vernunft nicht umhin, die Idee der „omnitudo realitatis“ um der

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durchgängigen Bestimmung und Verstehbarkeit der Dinge willen als ideales Substrat vorauszusetzen. Diese Idee für ein wirkliches Wesen zu halten besteht hingegen kein vernünftiger Grund. Dieser Grund wird auch dadurch nicht hergestellt, dass man die Existenz eines die absolute Einheit des vollständigen Realität in sich begreifenden Wesens oder die vernunftnotwendige Annahme eines unbedingt Notwendigen zu erweisen sucht. Denn diese Annahme beweist das Dasein eines „ens necessarium“ ebenso wenig wie das eines „ens perfectissimum“. Zwar folgt aus der Existenzannahme eines „ens necessarium“ unmittelbar die eines „ens perfectissimum“, weil der Begriff eines absolut Notwendigen den eines allervollkommensten Wesens enthält und umgekehrt. Ein notwendiger Vernunftgrund zu einer solchen Annahme besteht aber in beiden Fällen nicht. Weder für das Dasein eines „ens necessarium“ noch für das eines „ens perfectissimum“ lässt sich ein vernünftiger Beweis führen. Es muss daher damit sein Bewenden haben, dass für Objekte des reinen Denkens keinerlei Mittel besteht, ihr Dasein zu erkennen, weil Existenzerkenntnis einen Erfahrungsbezug notwendig impliziert. Wie von den Ideen der Seele und der Welt ist daher auch vom transzendentalen Ideal theoretisch nur regulativer und kein objektiver Gebrauch zu machen. Daran ändert die Tatsache nichts, dass nach Kant die praktische Vernunft aus Gründen der Sittlichkeit nicht nur berechtigt, sondern in bestimmter Weise sogar verpflichtet ist, zusammen mit der Unsterblichkeit der Menschenseele und der Realität bzw. Realisierbarkeit einer intelligiblen Welt der Freiheit auch das Dasein Gottes zu postulieren. Postulate sind nach Kant Sätze, die theoretisch als Hypothesen, praktisch aber als Ausdrücke gewisser Notwendigkeit und notwendiger Gewissheit zu gelten haben. Während die theoretische Vernunft unvermögend ist, ihrem Verlangen nach einer absoluten Totalität der Bedingungen in einem gegebenen Bedingten objektive Geltung zu verschaffen, ist die praktische Vernunft mit Vernunftnotwendigkeit dazu bestimmt, die unbedingte Totalität ihres Gegenstandes als conditio sine qua non ihrer selbst in Anschlag zu bringen und das höchste Gut realer Einheit von Tugend und Glückseligkeit nach Maßgabe der Sittlichkeit zu postulieren. Die Realität des höchsten Guts, die zu postulieren praktische Vernunftnotwendigkeit besteht, beinhaltet dabei die Existenz Gottes insofern, als nur ein Wesen, das absoluter Sittenrichter und allmächtiger Herr der sinnlichen Welt zugleich ist, die Übereinstimmung von Naturkausalität und Kausalität aus Freiheit, Sinnlichkeit und Sittlichkeit zu gewährleisten vermag. Aus diesem Grund ist es nach Kant moralisch notwendig, das Dasein Gottes anzunehmen, auch wenn dieses theoretisch nicht bewiesen werden kann. An dieser Problemkonstellation haben sich je auf ihre Weise alle Denker abgearbeitet, die als- Kant und die Folgen bald eine philosophiegeschichtliche Ära von epochaler Bedeutung begründen sollten, wobei sie allesamt an Kant anschlossen, ohne sich mit dessen Lösungsangeboten einfachhin zufrieden zu geben. Es war vor allem die Frage nach dem epistemischen Status jener letzten Gedanken, welche Kants Ideenlehre thematisierte, ohne zu einem eindeutigen Ergebnis zu gelangen, an der

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sich die Auseinandersetzungen um eine angemessene Kantrezeption entzündeten. Deren mögliche Alternativen wurden bald schon durch den Tübinger Kreis um den Altsupranaturalilsten Gottlob Christian Storr auf der einen und durch den frühvollendeten Theologiedissidenten Carl Immanuel Diez auf der anderen Seite markiert. Eine neue, den bezeichneten Gegensatz transzendendierende Fassung wurde dem Kantianismus sodann durch Fichtes frühen ichphilosophischen Versuch gegeben, die Unterscheidung von Idealität und Realität von einer Einheit umgriffen sein zu lassen, in der Begriff und Sein ursprünglich koinzidieren, sofern das intelligible Ich in genuiner Tathandlung die Realität seiner selbst und evidente Gewissheit unbedingter Freiheit zu gewährleisten vermag. Schellings Frühphilosophie schloss an Fichtes Bestreben an, des unbedingten Grundes im Ich gewahr zu werden, bildete dessen Ansatz aber in konstruktiver Kritik zu einem Konzept weiter, demzufolge sich das Unbedingte als absolute Voraussetzung von reflektierendem Ichsubjekt und reflektiertem Gegenstandsobjekt in intellektualer Anschauung erschließt. In diesen Zusammenhang gehört auch Schleiermachers Verständnis des religiösen Gefühls als eines Inneseins des ganzen ungeteilten Daseins, in welchem dem frommen Ich mit dem unmittelbaren Bewusstsein seiner selbst zugleich die Gewissheit aufgeht, im Absoluten zu gründen, von welchem Selbst und Welt schlechterdings abhängig sind. Was endlich Hegel anbelangt, so schließt auch sein System in Kritik und Konstruktion an Kant an, wobei die absolute Idee als unbedingter Grund von Selbst und Welt durch einen fortschreitenden Prozess dialektischer Gedankenvermittlungen erhoben werden soll, um nicht länger bloß unmittelbare Voraussetzung, sondern zugleich Resultat des Denkens zu sein. Inwiefern Hegels Anspruch gedanklicher Totalvermittlung des Absoluten und insbesondere seine These vollzogener Aufhebung religiöser Vorstellung in den absoluten Begriff zurecht besteht, blieb freilich fraglich und wurde bald schon Anlass erneuten Streits über den epistemischen Status jener letzten Gedanken, die in der Idee des Absoluten inbegriffen sind. Dass die Gründe, die zu diesem Streit führten Der epistemische Status und ihm jene Dauerhaftigkeit verliehen, die für transzendentaler Ideen und die Realität der Offenbarung ihn kennzeichnend sind, durch den bloßen Verweis auf Offenbarung nicht zu beseitigen sind, kann nur von demjenigen in Abrede gestellt werden, der die durch Kant vorgegebene Problemkonstellation ignoriert. Denn unter deren Voraussetzung und unter den Bedingungen, die seit Fichtes „Versuch einer Kritik aller Offenbarung“ von 1792 die Diskussion beherrschten, kann der Begriff der Offenbarung nicht länger im Sinne suprarationaler Belehrung oder als Bezeichnung eines göttlichen Aktes Verwendung finden, vermittels dessen übervernünftige und dem vernünftigen Begreifen grundsätzlich entzogene Wahrheiten mitgeteilt werden. Nicht dass der Offenbarungsbegriff durch Kants Vernunftkritik erledigt und aus dem rationalen Diskurs ausgeschieden worden wäre: Denker wie Fichte, Schelling, Schleiermacher und Hegel belegen, dass das Gegenteil der Fall ist. Aber ihre Konzeptionen verweisen ebenso eindeutig auf eine kritische Bedeutungstransformation des Of-

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fenbarungsbegriffs, der nicht länger auf suprarationale Mitteilung übervernünftiger Sachverhalte oder auf eine Bestätigung der traditionellen Gehalte vorkritischer Metaphysik, sondern auf einen Prozess abgestellt ist, in dem Gottes-, Selbst- und Welterkenntnis einen zwar differenzierten, aber gleichwohl untrennbaren Zusammenhang darstellen. Fichtes ursprünglicher Einsicht in den unbedingten Grund des Ich, der dessen Intelligibilität Realität und begründete Aussicht verschafft, sich in der Welt des Nichtich zu realisieren, lässt sich ebenso als göttliches Offenbarungsereignis beschreiben wie Schellings intellektuale Anschauung. Hegels Gesamtsystem hinwiederum versteht sich erklärtermaßen als Resultat progressiver Selbsterschließung des Absoluten, und auch mit Schleiermachers Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit kann unschwer der Gedanke an ein göttliches Erschließungsgeschehen verbunden werden, sofern im unmittelbaren Selbstbewusstsein das Bewusstsein Gottes als des unbedingten Grundes von Selbst und Welt mitgesetzt ist. Indes ist in allen genannten Konzepten vom Offenbarungsgedanken ein von seiner traditionellen Verwendung charakteristisch unterschiedener Gebrauch gemacht. Wie erheblich die konzeptionellen Differenzen ansonsten auch ausfallen, gemeinsame Annahme ist, dass von Gottes Offenbarung unter Absehung von Selbst- und Welterschließungsvollzügen nicht die Rede sein kann. Das göttliche Offenbarungsereignis ist nur in Bezug zum Geschehen der Selbst- und Welterschließung zu fassen, wohingegen es ohne diesen Bezug als leere Behauptung gelten müsste. Der Begriff göttlicher Selbstoffenbarung entspricht dem insofern, als er Gottes Wesen als ein Sicherschließen begreift, das unabhängig vom Geschehen der Selbst- und Welterschließung nicht erkannt und nicht thematisiert werden kann. Was bedeutet dies für die Ausgangsfrage nach dem epistemischen Status jener letzten Gedanken, welche die Vernunftideen Kants benennen und die in der Gottesidee ihren absoluten Inbegriff finden? In der Leere völliger Abstraktion, die zuletzt nicht mehr erkennen ließe, inwiefern das Absolute Relatives zu begründen vermag, endet die gedankliche Bezugnahme auf Kants transzendentales Ideal erkenntlich nur dann nicht, wenn dieses als ein absolut Gründendes gedacht wird, das von sich aus Beziehung erschließt und im Verein mit erschlossenen Selbst- und Weltbezügen zugleich jenes Verhältnis ermöglicht, das im gedanklichen Bezug auf die Idee des Absoluten in Anspruch genommen wird. Doch bleibt auch unter diesen Argumentationsbedingungen die Frage erhalten, welcher Status der Offenbarungserkenntnis zukommt und wie der Gehalt zu bestimmen ist, der sich in Form von Offenbarung zu erkennen gibt. Erschließt sich in der Offenbarung Gott als Gott und damit als er selbst in der ihm eigenen Wirklichkeit und Wahrheit? Oder ist die Rede von der göttlichen Selbstoffenbarung lediglich Ausdruck einer unbedingten Basisgewissheit, in welcher das sich auf sich beziehende Ich im Vollzug seiner Selbstaufklärung des unverfügbaren Prinzips seiner selbst und des Einheitsgrundes seiner Weltvollzüge innewird? Wie ist der dem religiösen Verhältnis eigentümliche Bezug nach Maßgabe des Offenbarungsbegriffs aufzufassen? Übt der Offenbarungsbegriff seine Reflexionsfunktion für das religiöse Bewusstsein nicht

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just dadurch aus, dass er den konstruktiven Charakter religiöser Selbst- und Weltdeutungen tilgt, um dem Grund des religiösen Bewusstseins das Ansehen einer nichtgesetzten bzw. sich selbst voraussetzenden und erschließenden Voraussetzung zu geben? Kann der Status des absoluten Grundes, der im religiösen Verhältnis als offenbares Prinzip des Seins und der Einheit von Selbst und Welt in Anschlag gebracht wird, ein anderer sein als der eine Präsupposition, deren Bestimmung, ohne einer weiteren theologischen Explikation fähig zu sein, darin aufgeht, notwendige Voraussetzung für die Selbstverständigung von Subjektivität in Bezug auf Selbst und Welt zu sein? Vergegenständlicht sich das religiöse Bewusstsein in dem, was es Offenbarung nennt, nicht lediglich die Unbedingtheit der ihm eigenen Gewissheit in äußerlicher Form? Dass Fragen dieser Art nicht von gestern, sondern auch heute noch in hohem Maße relevant und für Letzte Gedanken ernstzunehmende Unternehmungen religionsphilosophisch-theologischer Selbstverständigung entscheidend sind, mag in exemplarischer Kürze an einem niveauvollen Gegenwartsdisput verdeutlicht werden. In einer Rede aus Anlass der Verleihung der Ehrendoktorwürde der theologischen Fakultät der Universität Marburg an Dieter Henrich hat der Hallenser Theologe Ulrich Barth die erörterte Frage nach dem epistemischen Status letzter Gedanken in Religion und Philosophie zum Gegenstand eindrücklicher Erwägungen gemacht und dabei die These vertreten, es genüge, letzte Gedanken inklusive der Gottesidee als notwendige Selbstdeutungen religiöser Subjektivität zu verstehen, ohne über die Sinnerschließungsfunktion von Letztbegründungsideen hinaus nach deren Wahrheit zu fragen. Da eine Lösung des Problems religiöser Gegenständlichkeit, so Barth, durch Bezugnahme auf sinnliche oder sinnlich zugängliche Tatsachen von vorneherein nicht in Frage komme, sei bezüglich des Objektbestands des religiösen Bewusstseins ein höherer Realismus in Anschlag zu bringen, der allerdings keine bewusstseinsunabhängige Realität verbürge, sondern Manifestationsgestalt des mit der von Religion intendierten unbedingten Gewissheit verbundenen Notwendigkeitsmoments sei. Das für den höheren Realismus charakteristische Setzen-alsnicht-gesetzt sei ein vom Gefühl der Notwendigkeit begleiteter epistemischer Zustand, in dem die Produktivität des eigenen Vorstellens nicht nur faktisch, sondern programmatisch negiert werde, womit der vorgestellte Sachverhalt den Charakter des in seiner Bestimmtheit alternativlos Vorgegebenen erhalte. Eine transzendente Wirklichkeit könne mit dem solchermaßen Vorgegebenen begründetermaßen gleichwohl nicht verbunden werden. Die Rede von Offenbarung sei demnach im Wesentlichen nichts anderes als Ausdruck des der religiösen Gewissheit unmittelbar impliziten Evidenzgefühls, in dem diese sich selbst erschlossen ist und ihren Grund gefunden hat. Der Begriff Offenbarung bezeichnet so gesehen das unvordenkliche und allem realen Handeln zuvorkommende Sein unbedingter Gewissheit, welches das Wesen der Religion ausmacht. Die Offenbarungsgehalte aber sind Explikationsgestalten einer Selbstdeutung, in welcher das religiöse Bewusstsein seine Gewissheit kommunikativ expliziert und die Unbedingtheitsdimension von

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Lebenssinn auf differenzierte Weise zum Ausdruck bringt. Kurzum: Der offenbare Gott ist als innerer Grund religiöser Subjektivität zu denken. Dieter Henrich hat dieser Annahme und Barths Vorschlag, sich bei der Erklärung religiö- Religiöse Selbstdeutung und Wahrheitsfrage ser Selbstdeutungsvollzüge von Subjektivität und ihrer Bezugnahme auf einen fundierenden Grund von Selbst und Welt auf die Sinnthematik zu beschränken und die Wahrheitsfrage zu sistieren, dezidiert widersprochen: „Nein, auf diesen Verzicht können wir uns gar nicht einlassen – welche Vorteile er auch immer versprechen mag.“ (Henrich, 223) Der Verdacht, dass der absolute Grund, auf den hin sich das Ich im Vollzug der Aufklärung seiner selbst und seiner Welt übersteigt, eine bloße Fiktion darstelle, lasse sich nicht dadurch ausräumen, dass man ihm den Status einer notwendigen Präsupposition und unvermeidbaren Sinnhypothese zuerkenne. Es genüge daher nicht, die Letztbegründungsgedanken, deren Inbegriff die Idee des Absoluten sei, eine strikt intentionale Fassung zu geben und sie auf die Sinnfunktion transzendentaler Einheitsstiftung zu restringieren. Denn nachgerade eine Religionstheorie könne auf die Wahrheitsfrage unmöglich verzichten, wenn sie den Gewissheitsanspruch des religiösen Bewusstseins, in Realität fundiert zu sein, ernst nehmen wolle. Dem ist aus mehreren Gründen zuzustimmen: Das religiöse Verhältnis ist auf einen fundierenden Grund bezogen, dessen Offenbarung zwar nur im Verein mit einem Erschließungsgeschehen erfasst werden kann, in welchem das Ich zu sich selbst kommt und des Einheitssinnes seines Lebens gewahr ist; aber das Leben des Subjekts vollzieht sich nicht nur in der Weise eines Selbstverhältnisses, das in Form religiöser Offenbarung zur Gewissheit seiner gottgegebenen Icheinheit gelangt, sondern auch und zugleich als personales Sein in der Welt. Der Realitätsanspruch, der mit religiöser Offenbarungsgewissheit verbunden ist, erstreckt sich also nicht nur auf Selbstbezüge, sondern umfasst auch Weltbezüge, ja den Bezug zur Welt insgesamt, deren Sinn durch subjektive Sinnvergewisserung allein nicht gewährleistet, sondern nur dann behauptet werden kann, wenn er sich real bewährt. Religionsphilosophie und Metaphysik können aus diesem Grund nicht dergestalt in Subjektivitätstheorie überführt werden, dass ontologische Bezüge ausfallen. Denn das Absolute, welches sich dem religiösen Bewusstsein erschließt, ist diesem nicht lediglich als Einheitsgrund des Ich, sondern als Grund von Selbst und Welt offenbar. Nicht minder gewichtig ist ein zweiter Einwand, den Henrich gegen eine auf extentionales Letztbegründungsdenken verzichtende Theorie religiöser Sinndeutung vorbringt. Er betrifft deren zentrale These, die Idee des Absoluten sei eine notwendige Selbstdeutung, deren Notwendigkeit in der Offenbarungsgewissheit des religiösen Bewusstseins zur Einsicht gebracht werde, ohne darüber hinaus näher bestimmt und etwa im Sinne des traditionellen Gottesgedankens realbegrifflich expliziert werden zu können. Von Gott als Gott kann nicht bzw. nur in der Weise der Symbolisierung einer notwendigen Präsupposition des religiösen Bewusstseins die Rede sein, vermittels derer sich das Ich des unvordenklichen Ursprungs und Grundes seiner Selbst und des Seins seiner Welt vergewissert. Dem

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hat Henrich entgegengehalten, dass der Status eines in der Verfassung des Subjekts begründeten voraussetzenden Denkens, wie es für Vollzüge religiöser Besinnung kennzeichnend sei, mit der Kategorie der Selbstdeutung nur unzureichend erfasst werde. Seine Argumentation läuft nach eigenem Bekunden darauf hinaus, „dass der Ausgang von der Bewegung der Selbstdeutung und die Umwendung zur Gewissheit, dass diese Bewegung insgesamt und mit ihr der Gehalt der Selbstdeutung in der Gestalt letzter Gedanken in einen einzigen Zusammenhang gehören, den wir seinerseits zwar in der Form einer Selbstdeutung gewinnen, den wir aber durchaus nicht als Selbstdeutung verstehen können“ (224). Die religiöse Selbstdeutung, wie sie im SubjektDie Krise des religiösen verhältnis zu einem fundierenden Grund von Bewusstseins und die Selbst und Welt tatsächlich statthat, lässt sich Theologie der Offenbarung nicht angemessen als Selbstdeutung verstehen, weil in ihrem Vollzug mit einer Kehre zu rechnen ist, in deren Verlauf der Gehalt der auf Ursprung und Sinngrund von Ich und Welt bezogenen Selbstdeutung des religiösen Bewusstseins deren eigenen Status als Deutung überholt und umgreift. Damit ist nicht nur ein weiterer Hinweis darauf gegeben, warum im religiösen Beziehungszusammenhang von Offenbarung zu reden ist, es muss zugleich die Frage gestellt werden, ob sich das Geschehen, das der Offenbarungsbegriff benennt und auf welches das religiöse Verhältnis ausgerichtet ist, subjektivitätstheoretisch hinreichend erfassen und in einer Theorie des religiösen Bewusstseins angemessen zur Darstellung bringen lässt. Ist es nicht so, dass sich religiöse Deutung vor allem auch deshalb nicht als Selbstdeutung deuten lässt, weil das Subjekt, indem ihm der Grund von Selbst und Welt zur Einsicht kommt, sich selbst fraglich und seiner Grundlosigkeit, ja Abgründigkeit gewahr wird? Stellt sich für das religiöse Bewusstsein in seinem Verhältnis zum absoluten Grund von Ich und Welt, auf den es bezogen ist, nicht eine Situation ein, die als Zugrundegehen beschrieben werden muss? Ja, mehr und schlimmeres noch: Muss nicht auch von einem Zugrunderichten und Zugrundegerichtetwerden die Rede sein? Bereits der Religionstheorie Kants gegenüber wurde trotz der im Vergleich zur Aufklärungsphilosophie bemerkenswerten Tiefe seiner Hamartiologie nicht nur von Theologen die kritische Frage gestellt, ob er das radikal Böse wirklich radikal genug gedacht habe, wenn er in seiner Lehre von der Einwohnung des bösen Prinzips neben dem guten in der menschlichen Natur die These vertrat, der Mensch als „animal rationale“ tue zwar Böses, aber nicht um des Bösen willen. Konsequenter noch wurde in der Schleiermacherrezeption das hamartiologische Problem geltend gemacht und das nicht von ungefähr: Ist es doch die Sündenlehre in ihrer Form als Lehre vom „peccatum originale“, in der traditionellerweise die stärksten Einwände gegen den Menschen auch und gerade als religiöses Subjekt vorgebracht werden. In der Erkenntnis der Ursünde als Schuld wird sich das religiöse Bewusstsein selbst zuwider, und seine göttliche Vernunftbestimmung ist im nur mehr als Vorwurf präsent. Auch Hegel blieb von entsprechenden Einwänden nicht verschont, ja man hat zurecht gesagt, dass die Qualifikation seines Systems als negative Philosophie,

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die durch eine positive Philosophie unvordenklicher Offenbarungsfaktizität transzendiert werden müsse, hamartiologisch bedingt sei: „die Philosophie wird – und zwar von der Hamartiologie her – zur Philosophie der Faktizität.“ (Marquard, 65) Davon wird im Offenbarungstraktat anhand von Fallbeispielen zur Kant-, Schleiermacher- und Hegelrezeption im Einzelnen die Rede sein. Gezeigt werden soll dabei auch, dass der dezidierte Einsatz bei der unvordenklichen Faktizität der Offenbarung, wie er für Karl Barths (1886–1968) Theologie der Krise kennzeichnend werden sollte, im Laufe des 19. Jahrhunderts ansatzweise vorbereitet wurde. Es ist nicht ohne Belang, dass Sören Kierkegaard (1813–1855) sowohl als Schüler des späten Schelling als auch als Lehrer des frühen Barth zu gelten hat. Ein gegenläufiger Beweis ist freilich ebenso zu erbringen: Die Geschichte der Dialektischen Theologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt erkennen, dass man im Zuge der Krise der Theologie der Krise vielfach wieder auf Problemstellungen zurückgriff, die man soeben erst souverän verabschiedet zu haben meinte. An den Entwürfen namentlich von Emil Brunner (1889–1966) und Rudolf Bultmann (1884–1976), aber auch von Paul Althaus (1888–1966), Werner Elert (1885– 1954) und Emanuel Hirsch (1888–1972) sowie Paul Tillich (1886–1965) wird dies detailliert verdeutlicht werden. Deutlich werden wird dabei auch, dass sich der spannungsvolle Zusammenhang von Religionsphilosophie und Offenbarungstheologie nicht einseitig auflösen lässt. Der Versuch ihrer dialektischen Vermittlung, wie er in Hegels spekulativem System klassische Gestalt angenommen hat, scheint dadurch erneute Attraktivität zu gewinnen. Dem ist nicht einfach zu widersprechen. Doch dürfte die Grenze theologischer Hegelrezeption mit seiner These vernünftig zu leistender Aufhebung religiöser Vorstellung und der in ihr vorstellig werdenden Offenbarungsfaktizität erreicht sein. An dieser Stelle ist bei allen sonstigen Vorbehalten, die von Hegel her gegen ihre Konzeptionen geltend zu machen sind, Schleiermacher und Barth der Vorzug zu geben, wobei die künftigen Gedankenanstrengungen nicht nur auf die argumentative Begründung dieses Vorzugs, sondern auch und vor allem auf die Frage auszurichten ist, ob deren Verhältnis notwendig, wie von Barth nahegelegt, ein alternativer Gegensatz sein muss. Die Vermutung jedenfalls scheint nicht völlig abwegig zu sein, dass sich die moralische und metaphysische Unersetzbarkeit von Religion nur im Verein mit der Annahme unvordenklicher Offenbarungskontingenz behaupten lässt und umgekehrt. Die Einsicht in die praktische und theoretische Unaufhebbarkeit des religiösen Verhältnisses in seiner Nichtsubstituierbarkeit und die Anerkennung, dass alles Begreifen der Offenbarung unter der Bedingung der Unbegreiflichkeit ihres Ergehens steht, bedingen sich wechselseitig. Religionsphilosophische und offenbarungstheologische Primäraufgabe in theoretischer Hinsicht wäre es von daher, die Vernunft nachdenklich zu machen. Dass solche Nachdenklichkeit nicht zum Schaden der Vernunft gereicht, sondern ihrer Wesenserfüllung dient, ist eine Annahme, die es zu bewähren gilt. Die These lautet, dass es ohne einen Begriff vom Unbegreiflichen kein Sein der Vernunft und kein vernünftiges Sein gibt.

Register erstellt von Markus Göring

Namensregister Adorno, T.W. 81, 83 Althaus, P. 271 Anhalt, Georg Fürst v. 13 Aristoteles 24 Augustin 92, 126 Bacon, F. 131 Baier, J.W. 119 Barth, K. 28 Barth, U. 90, 268f. Bataille, G. 83 Bauer, B. 248 Baumgarten, A.G. 101 Bayle, P. 123 Berger, P.L. 77 Beza, T. 13 Biser, E. 240ff. Bodin, J. 96f., 123 Böhme, J. 173 Brunner, E. 271 Bucer, M. 13 Buffon, L.L. Graf v. 134 Bullinger, H. 13, 109 Bultmann, R. 271 Calvin, J. 13f., 108f. Campanella, T. 97 Canisius, P. 10 Celtis, C. 10 Chemnitz, M. 119 Cherbury, H. v. 95, 131, 136, 151 Cicero 92f. Clemens v. Alexandrien 24 Comte, A. 76, 244, 249

d’Alembert, J.B. 134 d’Holbach, P.H.D. 134 Darwin, C. 76, 244 de Condillac, B. 134 de Lamettrie, J.O. 134 de Wette, W.M.L. 100ff. Derrida, J. 83 Descartes, R. 123ff., 135ff., 169, 208 Destutt de Tracy, L.C. 251 Diez, C.I. 167 Drey, J.S. 34 du Jon, F. 13 Durkheim, É. 58, 77, 81f. Dux, G. 246f., 249 Eberhard, J.A. 214 Eck, J. 10 Elert, W. 271 Erhard, J.B. 168 Euseb v. Caesarea 24 Farel, W. 13 Feil, E. 93ff. Ferdinand I., König 110 Ferdinand II., Kaiser 112 Feuerbach, L. 99, 103, 244f., 248ff., 257f. Fichte, J.G. 47, 99, 167ff., 180, 199, 201, 214, 230, 248, 266f. Flacius, M. 13 Flatt, C.G. 167 Flatt, J.F. 167 Foucault, M. 83 Frank, M. 173f. Freud, S. 77, 99, 103, 252f., 256 Fries, J.F. 100, 176

Namensregister

Galilei, G. 123 Gerhard, J. 119 Goethe, J.W. v. 40, 46, 94, 242f. Graf, F.W. 63 Grotius, H. 123

273

Kroner, R. 166

Lactantius 92 Laski, J. 13 Leibniz, G.W. 31, 96, 133, 135, 137f., 143, 151 Lessing, G.E. 167, 203 Habermas, J. 43f., 60, 79ff., 262f. Leuba, J.H. 45 Hamann, J.G. 100, 132f. Locher, J. 10 Hartmann, E. v. 244, 256 Locke, J. 95, 123, 131f. Heckel, M. 19f., 48 Hegel, G.W.F. 31ff., 40, 42f., 47, 49f., 52f., Lübbe, H. 48ff., 67, 69, 71ff., 89, 259 83, 85, 91f., 96, 98ff., 102, 124, 166ff., Luckmann, T. 77 187ff., 197ff., 215, 231, 240ff., 248, 250, Ludwig der Reiche, Herzog v. Niederbayern/ Landshut 9, 20 253, 266f., 270 Luhmann, N. 43f., 58, 60f., 65ff., 77ff., 83, Heidegger, M. 83 87ff., 259, 262 Heine, H. 175f. Lukács, G. 81 Henrich, D. 85, 166ff., 268ff. Luther, M. 9, 13f., 17, 26f., 93f., 108, 112, Herder, J.G. 100ff. 113, 248 Herz, H. 214 Hick, J. 16 Malinowski, B. 77 Hieronymus v. Prag 13 Marheineke, P.K. 201 Hirsch, E. 123f., 135, 271 Marnix, P. 13 Hobbes, T. 123, 136 Marx, K. 77, 99, 103, 244, 249ff., 258 Hölderlin, F. 167f., 176, 199 Mead, G.W. 81f. Hollaz, D. 119 Melanchthon, P. 9, 10, 13, 93, 108 Horkheimer, M. 81, 83, 85f. Mill, J.S. 244 Hotho, H.G. 188 Milton, J. 41 Humboldt, W. v. 84f. Montesquieu, C. de 123 Hume, D. 96, 132ff. Hunnius, Ä. 119 Newton, I. 123, 140 Hus, J. 13 Niethammer, F.I. 167f. Hutter, L. 119 Nietzsche, F. 82, 99, 103, 244, 251f., 254ff. Nipperdey, T. 240ff. Jacobi, F.H. 133, 167ff., 174, 201, 203 Nohl, H. 199 Johann Friedrich, Kurfürst v. Sachsen 93 Jung, C.G. 253 Oekolampad, J. 13 Kant, I. 16, 31f., 40, 42f., 49ff., 96, 98ff., Origenes 24 131ff., 150ff., 166ff., 174ff., 179f., 199, Otto, R. 220 201, 214, 222, 231, 240f., 247f., 255, Pannenberg, W. 21f. 264ff., 270f. Parsons, T. 58 Karl V., Kaiser 110 Paul, J. 254f. Keller, G. 244f. Perkins, W. 13 Kepler, J. 123 Platon 24, 251, 255f., Kierkegaard, S. 271 Pufendorf, S. 123 Knox, J. 13 Puntel, L.B. 253f. König, J.F. 119

274

Register

Storr, G.C. 167ff., 266 Strauß, D.F. 242f., 248 Süskind, F.G. 167f.

Quenstedt, J.A. 119 Reinhard, W. 118f. Reinhold, C.L. 167f. Rendtorff, T. 87f., 262 Reuchlin, J. 10 Robinet, J.B. 134 Rousseau, J.-J. 134f.

Thomas v. Aquin 25f., 93 Thomasius, C. 123 Tieftrunk, J.H. 247 Tillich, P. 271 Tindal, M. 95f. Schelling, F.W.J. 99, 167ff., 172ff., 220f., Toland, J. 95 Treitschke, H. v. 47 230, 243, 248, 266f., 271 Troeltsch, E. 77 Schiller, F. 120 Schilling, H. 107 Van Orman Quine, W. 253 Schlegel, F. 214 Schleiermacher, F.D.E. 21, 24, 28f., 32, 34, Vermigli, P. 13 40, 42f., 49ff., 84f., 91f., 96, 98ff., 174, Voltaire 96, 133f. 201, 212, 213ff., 225ff., 240ff., 263, Wagner, F. 89ff. 266f., 270f. Wagner, R. 244, 256 Schopenhauer, A. 244, 255f. Weber, M. 17, 58, 77, 80f. Schulz, W. 173 Winckelmann, J. 256 Schulze, W. 111 Wittgenstein, L. 253f. Semler, J.S. 151 Wolff, C. 31, 96, 135, 138f., 151 Simmel, G. 77 Wyclif, J. 13 Sleidan, J. 13 Spencer, H. 76f. Zanchi, H. 13 Spinoza, B. de 135ff., 167, 173, 202ff. Zinzendorf, N. Graf v. 213 Steck, W. 55f. Zwingli, U. 13f., 108f. Steffens, H. 222 Stein zum Altenstein, K. Freiherr vom 47

Sachregister Absolutes 32, 88, 140ff., 172f., 175ff., 187ff., 198, 201ff, 263f. Absolutismus, absolutistisch 121ff. Allgemeinwille 135, 152 Anschauung 31ff., 100ff., 139ff., 172ff., 185, 195f., 213ff. Anthropomorphismus 102, 245, 249 Antinomien 144f. Apologetik 28f., 34, 226, 232 Ästhetik, ästhetisch 100ff., 139ff., 187ff., 232

– Ästhetikotheologie 100ff. – siehe auch Wahrnehmung Atheismus 134, 248, 251, 255 Aufhebung 53, 99, 181, 185, 197f., 212, 248 Aufklärung 48ff., 71f., 96, 113, 119, 122f., 131ff. Augsburger Religionsfriede 11, 14, 23, 110ff. Bekenntnis 10, 15, 18f., 35, 41, 48f., 51, 54, 60, 94, 106ff., 114, 116, 122, 259

Sachregister

– Augsburger Bekenntnis, Confessio Augustana 10f., 106, 108, 110, 113f. – siehe auch Konfessionalität, Konfessionalisierung, Konkordienbuch Beruf 17, 240f. Bewusstsein – religiöses Bewusstsein 32, 40ff., 91f., 201f., 212, 221ff., 247, 252, 262, 267ff. – Bewusstseinsphilosophie 81, 200 – siehe auch Selbstbewusstsein Bibel, biblisch siehe Heilige Schrift Bürgertum, bürgerlich 55f., 122, 240f. Calvinismus, calvinistisch siehe Genfer Reformation, Reformierte Christentum 15, 23f., 37f., 41f., 54ff., 104, 199, 203, 206ff., 224, 232 Christologie, Jesus Christus, Gottmensch 162ff., 207, 209ff., 224, 236ff. Confessio Augustana siehe Augsburger Bekenntnis Dasein, Existenz (von Selbst und Welt) 48ff., 89f., 125ff., 138ff., 158, 195ff., 228f., 233 – Dasein Gottes, Existenz Gottes 26, 124ff., 138f., 132ff., 138f., 146ff., 157f., 174, 207ff., 254, 264f. – siehe auch Gottesbeweise Deismus 95, 131ff. Denken 31, 43, 101, 124ff., 143f., 178ff., 187ff., 200, 211f., 219ff., 231 Dialektische Theologie 103, 271 Ding-an-sich 174f., 255 Dogmatik 24, 27ff., 34ff., 119, 226f. Dreieinigkeit Gottes, Trinität 25ff., 70, 106, 161, 202, 207f., 211, 237 Dreißigjähriger Krieg 96f., 112, 114, 119ff. Eigenschaften Gottes siehe Gottes Eigenschaften Einheit der Reformation 13f. Empirismus 131ff., 139, 173, 244 Ende der Kunst 100, 102, 187ff. Endlichkeit, Unendlichkeit, Endlichkeitsbewusstsein 52f., 99f., 128ff., 187ff., 197ff., 215ff., 232f.

275

England 95f., 123, 131, 134 Enzyklopädie der theologischen Wissenschaften (Hegel) 176f., 185, 201 Episkopalsystem 115 Erhebung 99, 187, 195, 197ff. Erkenntnis (von Selbst, Welt, Wahrheit) 124ff., 131ff., 137ff., 141ff., 150ff., 174f., 185, 195f., 264ff. – Erkenntnis Gottes 26, 30, 92, 123, 157, 191, 207, 264 Erster Weltkrieg 44, 103, 116 Erweckungsbewegung 242 Eschatologie 161, 165, 170, 191, 238f. Ethik (bei Schleiermacher) 28ff., 214, 226f., 232 Ethikotheologie 146, 157, 159f. Evangelische Theologie 10, 13f., 17ff., 34ff., 45f., 62 Existentialverhältnis 221f. Existenz siehe Dasein Fakultäten, theologische 10, 18ff., 37, 160f. Frankreich 93ff., 109, 116, 123, 131, 133ff. frommes Selbstbewusstsein siehe Bewusstsein Frömmigkeit 28f., 35, 42f., 88, 136, 227f., 232ff. Fundamentaltheologie 33f. – siehe auch Institut für Fundamentaltheologie und Ökumene, München funktional ausdifferenzierte Gesellschaften 43, 49, 51f., 58, 68f., 72f., 118, 241 funktionale Religionstheorie, funktionaler Religionsbegriff 64ff., 89ff., 260f. Gefühl 99ff., 129, 133, 184, 213ff., 227ff., 254 – Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit 40, 42f., 100, 228ff., 267 Gegenreformation 10, 14, 106 Genfer Reformation, Calvinismus 11ff., 17, 107ff., 136 – siehe auch Reformierte Gesetz und Evangelium 27 Gewissen 17, 48, 55, 59f., 111ff., 134, 152ff., 164, 236

276

Register

Glaubenslehre, Der christliche Glaube (Schleiermacher) 28f., 32, 40, 201, 214f., 220ff., 226ff. Gott – Gottesidee, Gottesgedanke 32, 43, 74, 124ff., 132ff., 143, 148, 158f., 165, 187, 200, 206ff., 246, 255, 267ff. – Gottesbeweise 25f., 126ff., 132f., 138f., 146ff., 157, 174, 176, 207f., 264f. – Eigenschaften Gottes 21, 25ff., 93, 133, 140f., 206ff., 233ff., 267 – Gottesverhältnis, Gottesbewusstsein, Gottesbeziehung 65, 124, 201f., 228, 234ff., 252, 267 – Gotteslehre 24ff., 88, 151, 157, 200, 207ff., 216ff., 216ff., 233ff. – Gott als Kontingenzformel 69f. – siehe auch Erkenntnis Gottes, Dasein Gottes, Reich Gottes, Tod Gottes Gradualismus 12f., 118 Grundgesetz der Moral siehe kategorischer Imperativ Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland 19f., 23, 57, 116f.

Institut für Fundamentaltheologie und Ökumene, München 21f., 34 Institutionen, religiöse 48f., 59, 72, 259 Integrationsthese 77 Intellektuale Anschauung 172f., 220f., 266 Intersubjektivität 81ff. Jesuiten, Gesellschaft Jesu 10 Jesus Christus siehe Christologie

kategorischer Imperativ, Grundgesetz der Moral 153f. Kausalität 132, 138, 145, 158, 255 Kirchenlehre, Ekklesiologie 18, 34ff., 60ff., 117, 165, 210f., 238f. Kirchenspaltung, abendländische 10, 94, 105ff., 151 Kollegialismus 115 Kompensationsthese 77 Komplexitätsreduktion 65ff., 77f., 259f. Konfessionalisierung, konfessionalistisches Zeitalter 10ff., 15f., 41, 59f., 76, 94, 104ff., 115f., 118f., 122, 242 Konfessionalität, Konfessionskirchen 10ff., 34f., 51, 59f., 91ff., 104ff., 118f., 151, Heilige Schrift, Bibel 9f., 13, 21, 100, 106, 226, 241f. 136, 160, 167, 210, 216f., 239 Konkordienbuch, Bergisches Buch, Heiliges Römisches Reich Deutscher NaBekenntnisschriften 11f., 15, 17, 108, tion, Reichstage, reichsrechtlich 11, 12, 113 14, 23, 41, 107, 109ff., 114ff., 121f. Konkordienformel 11f., 108 Herrnhut 213f. Körperschaft öffentlichen Rechts 23, 116 Homburger Kreis 167 Homogenisierung 12, 15, 111, 114ff., 118, Kritik der praktischen Vernunft (Kant) 53, 152ff. 241 Kritik der reinen Vernunft (Kant) 31, 53, Hugenotten 109, 123 139ff., 150, 159 Humanismus 9f., 78, 94, 106, 108, 111, 245 Kritik der Urteilskraft (Kant) 146, 159 Ich, Ich-Philosophie 124ff., 142ff., 168ff., Kunst 68, 100ff., 186, 187ff., 205 Kurze Darstellung des theologischen 179f. Studiums (Schleiermacher) 28f., 214, Idealismus 99f., 166ff., 222, 242f., 256 225ff. Ideologie 72f., 246, 251, 256, 263 Individualisierung, Individualität 17, 43f., Landesherrliches Kirchenregiment 114ff. 55ff., 78, 85, 183ff., 205, 217ff., 238, Lebenswelt 56, 79ff. 249, 252, 263 Letztbegründung 90, 268ff. Industrielle Revolution 242 Leuenberger Konkordie 54 Innerlichkeit, Verinnerlichung 17, 141, Logik 178ff. 181, 184ff., 192ff., 204f., 261

Sachregister

277

Luthertum, Lutheraner, lutherisch 11ff., 27, Pietismus 96, 122, 135, 213f. Pluralisierung, Pluralität, pluralistisch, 12f., 41, 54, 106ff., 113, 119 19, 54ff., 65, 73, 118f., 144, 209 – siehe auch Wittenberg, Luther, M. – pluralistische Religionstheorien 16, 54 Meditationen über die Grundlagen der Phi- Polytheismus 95, 133, 232 Positivität losophie (Descartes) 124ff. Metaphysik 52f., 133, 138ff., 150ff., 174, – der Offenbarung 29, 132 – der Religion 16, 23, 42, 54f., 65, 71 219ff., 244, 256f. – der Theologie als Wissenschaft 29, 160, Moderne 48f., 55f., 82ff., 94, 97, 103, 225f. 240ff. – Positivismus, positivistisch 76, 96, 123, – siehe auch Sattelzeit der Moderne 132ff., 244, 253 Monadenlehre 137f. Postmoderne 55ff. Monotheismus 95, 133 Postulat 157f., 265 Natürliche Religion, Religiosität, Theologie prästabilierte Harmonie 137f. 54, 95ff., 122f., 132ff., 151, 203, 223f., Preußen 47, 116, 121f. Projektion 248f. 260f. Protestantismus 14ff., 22, 40ff., 54f., 59, Naturphilosophie 123, 173, 182ff., 198, 80, 97ff., 232, 240f. 249f. Naturrecht 121, 123 Rationalisierung 17, 79ff., 121 Negationsfähigkeit 179f. Rationalismus 95ff., 131ff. Neuzeit 41f., 55f., 103, 107, 109f., 124 Rationalität 18f., 25f., 45, 150f., 255f., 270 Nichtsubstituierbarkeit der Religion 43f., 51ff., 65f., 71ff., 86ff., 212, 243, 259ff. Realphilosophie 177, 181f. Recht 155ff., 185ff. Offenbarung 25ff., 40, 46, 91, 95f., 167ff., Rechtfertigung 10, 27f., 107, 165, 238 Rechtsstaat 51, 57f. 209, 266ff. Reden über die Religion (Schleiermacher) Öffentlichkeit 36, 54, 56f., 155f., 241 40, 54, 100, 214ff., 242 Ökumene, ökumenisch 10f., 18, 21f., 34, Reformierte, reformierte 14, 41, 54, 106ff., 60 112, 119, 213f. Opium des Volkes 251 – siehe auch Genfer Reformation Orthodoxie, orthodox regulatives Prinzip 144ff. – als Wesensattribut der Kirche 18 Reich Gottes 158, 161, 165, 207, 210f., – Ostkirchen 14, 18, 20, 22, 36, 55, 59 239 – lutherische, reformierte, tridentinische Reichsdeputationshauptschluss 115f. O. 119, 122, 130, 167, 213 Religion Österreich 121f. – Begriff, Definition 45f., 48, 54, 64f., 73ff., 89ff., 151, 199f., 215ff., 245 Pantheismus 134, 191 – als neuzeitspezifischer, postkonfessionaParalogismen 143f. listischer Allgemeinbegriff 44f., 91f., Passauer Vertrag 11, 110 94ff., 104f., 150f., 260f. Pessimismus 255f. Phänomenologie des Geistes (Hegel) 176f., – als anthropologisches Universale 55, 225f., 258f. 184ff., 201, 211 Philosophie 33, 81ff., 97ff., 123ff., 131ff, – als Kontingenzbewältigungspraxis 48ff., 65ff., 89f. 150ff., 160f., 166ff., 195, 200f., 212, – als Funktion der Moral 98f., 159ff., 213 221, 243ff., 264ff.

278

Register

– als Opium des Volkes 251 – Aufklärungsresistenz der Religion 48ff., 259f. – Renaissance der Religion 47, 52f., 63, 259 – Religionsfreiheit 19, 23, 49, 51, 110f., 116f. – siehe auch Bewusstsein - unmittelbares Selbstbewusstsein, Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit, Natürliche Religion, Positivität der Religion, Selbsttranszendierung der Religion, Zivilreligion Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (Kant) 53, 98, 159ff., 247 Religionskritik 71f., 167, 242ff., 258ff. – radikal-genetische 245ff., 258 – theologische 40, 53f., 103 Religionsphilosophie, Religionstheorie 28ff., 52ff., 58, 64f., 88, 97ff., 150, 161ff., 187ff., 197ff., 221f., 226, 232, 262, 268ff. Religionswissenschaft, allgemeine 20ff., 37, 44ff., 74 Rom (antikes Rom) 92f., 192, 206f. Römisch-katholische Kirche 13f., 36, 107f., 110, 114, 232 Romantik 190ff., 214, 242

Sensualismus 133f., 139 Sinn 33, 50, 65, 69f., 85f., 89f., 259 Skeptizismus 132, 185 Soteriologie 162ff., 202f., 238f. Soziales System 12, 43f., 52, 61, 66ff., 78f., 86, 90, 259ff. Soziologie 66, 76ff. Sprachanalytische Philosophie 253f. Staatskirchenrecht 19, 23, 111ff. Stoa 24, 185, 245 Sündenlehre, Hamartiologie 26ff., 161f., 164f., 234ff., 270f. Systemtheorie 43f., 60f., 65ff., 78f., 86ff., 259ff.

Territorialsystem 115f. Theologie – als Wissenschaft 18ff., 24ff., 61f., 73f., 160, 225ff. – Begriffsgeschichte 18ff. – konfessionelle Theologie 10, 17f. – Theologiestudium 36ff., 214 – Theologische Fakultäten siehe Fakultäten, theologische – siehe auch Ethikotheologie Theorie des kommunikativen Handelns 43f., 60, 79ff., 262f. Tod Gottes 200f., 251f., 256f. Säkularisierung 19, 48f., 58f., 63f., 72, 76f., Toleranz 111, 123 Transzendentale Apperzeption 143f., 152, 111f., 115, 242, 259 169ff., 264 – Selbstsäkularisierung 19, 59 Sattelzeit der Moderne 40f., 96, 105, 109 Transzendentale Philosophie 139ff., 173, 175, 222, 264ff., Schmalkaldischer Bund, Schmalkaldische Tridentinum, Konzil von Trient, tridentiArtikel 11, 108, 112 nisch 12, 14, 107ff., 119 Schöpfung, Welt, Kosmos 138, 144f., 209, Trinität siehe Dreieinigkeit Gottes 216f., 233f. Tübinger Stift 168f., 176 Seele 126ff., 138f., 141, 143ff., 184 Tugend 93, 155ff., 227 Selbstbewusstsein 44, 78ff., 1238, 131ff., 137f., 142ff., 169ff., 187ff., 221f., Universität 228ff., 249 – als Ort der Theologie 18ff., 36ff., 123 – unmittelbares Selbstbewusstsein, Bewusstsein schlechthinniger Abhängig- – Berlin 47, 201, 214 – Bielefeld 66 keit, fommes Selbstbewusstsein 32, – Bonn 47 40ff., 212f., 228ff. – Breslau 47 Selbstsetzung des Ich 171ff., 228 Selbsttranszendierung der Religion 33, 46, – Halle-Wittenberg 9f., 47 – Jena 167 62, 202

Sachregister

– Marburg 268 – Ludwig-Maximilians-Universität München / Landesuniversität Ingolstadt 9f., 20ff. Vatikanische Konzilien 108 Vorstellung 31ff., 53, 127ff., 142f., 153, 169f., 179, 195f., 211f., 255 Wahrnehmung 31f., 44f., 73f., 101f., 128ff., 137, 140ff., 190, 215, 218, 220ff., 233, 261ff. Weimarer Reichsverfassung 23, 116f.

279

Westfälischer Friede 14, 23, 114 Widerspruchsfreiheit 137, 148 Wissenschaft 11, 19, 23ff., 34ff., 48ff., 72ff., 99, 123f., 160, 226f., 242f. – siehe auch Theologie als Wissenschaft Wissenschaft der Logik (Hegel) 99, 176ff. Wissenschaftslehre (Fichte) 168ff., 248 Wittenberg, Wittenberger Reformation 9ff., 17, 34, 108, 112f., 119 Zivilreligion, zivilreligiös 57ff., 135 Zweifel 123, 125ff. Zwei-Regimente-Lehre 112f.

Studium Systematische Theologie 10 Bände. Bei Abnahme der Reihe 10% Ermäßigung

Der zweite Band der evangelischen Dogmatik von Gunther Wenz bietet Fallstudien zur Problemgeschichte evangelischer Theologie in Deutschland während des 19. und 20. Jahrhunderts. Herangezogen werden die kritischen Rezipienten Schleiermachers, Hegels und Kants, wobei Erweckungstheologen, der späte Schelling und Ritschl samt seinen Schülern besondere Berücksichtigung finden. Erwägungen zu den Versuchen einer kulturprotestantischen Synthese sowie zum Historismus und seinen Problemen leiten über zur Theologie der Krise bei Karl Barth. Ihre Krise wiederum wird an Brunners und Bultmann, Elert, Althaus und Hirsch sowie an Tillich dargestellt.

Band 2: Gunther Wenz

Im Mittelpunkt von Band 3 steht die Entwicklung von Grundzügen evangelischer Ekklesiologie. In Zusammenhang mit der ökumenischen Bewegung skizziert Wenz Geschichte und gegenwärtige Verformung unter Bezug auf den Ökumenischen Rat der Kirchen, die Konfessionellen Weltbünde, die Leuenberger Kirchengemeinschaft sowie auf die EKD und die VELKD. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Lehre vom Kirchlichen Amt und dem Dialog mit der römisch-katholischen Kirche.

ISBN 3-525-56710-3

Offenbarung Problemhorizonte moderner evangelischer Theologie 2005. 285 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-56705-7

Band 3: Gunther Wenz

Kirche Perspektiven reformatorischer Ekklesiologie in ökumenischer Absicht 2005. 284 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-56706-5

In Vorbereitung: Band 4: Gott ISBN 3-525-56707-3

Band 5: Christus ISBN 3-525-56708-1

Band 6: Geist Band 7: Schöpfung ISBN 3-525-56711-1

Band 8: Sünde ISBN 3-525-56712-X

Band 9: Versöhnung ISBN 3-525-56713-8

Band 10: Vollendung ISBN 3-525-56714-6