121 103 3MB
German Pages [262] Year 2015
650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert
Band 3
Hrsg. von Friedrich Stadler im Namen der »Universitären Kommission zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der Universitätsgeschichte, insbesondere im Rahmen des 650-Jahr-Jubiläums« und des Forums »Zeitgeschichte der Universität Wien« (Katharina Kniefacz und Herbert Posch) International Scientific Board: Walter Rüegg (Universität Bern), Ehrenvorsitz; Gary B. Cohen (University of Minnesota); Pieter Dhondt (University of Eastern Finland); Mordechai Feingold (California Institute of Technology); Tibor Frank (Eötvös-Lornd-Universität Budapest); Maria Carla Galavotti (Universität Bologna); Michael Grüttner (Technische Universität Berlin); Konrad H. Jarausch (University of North Carolina); Trude Maurer (Universität Göttingen); Brigitte Mazohl (Universität Innsbruck); Sylvia Paletschek (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg); Ada Pellert (Deutsche Universität für Weiterbildung Berlin); Jirˇ Pesˇek (Karls-Universität Prag); Sheldon Rothblatt (University of California); Rudolf Stichweh (Universität Luzern/ Universität Bonn); Sonˇa Sˇtrbn´ov (Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik); Lszlû Szögi (Eötvös-Lornd-Universität Budapest); Heinz-Elmar Tenorth (Humboldt Universität Berlin)
Die Bände dieser Reihe sind peer-reviewed.
Margarete Grandner / Thomas König (Hg.)
Reichweiten und Außensichten Die Universität Wien als Schnittstelle wissenschaftlicher Entwicklungen und gesellschaftlicher Umbrüche
Mit einer Abbildung
V& R unipress Vienna University Press
®
MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen
www.fsc.org
FSC® C083411
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0414-8 Veröffentlichungen der Vienna University Press erscheinen im Verlag V& R unipress GmbH Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Österreichischen Nationalbank und des Rektorats der Universität Wien. Ó 2015, V& R unipress in Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Unter Verwendung einer Fotografie von Hertha Hurnaus, Arkadenhof im Hauptgebäude der Universität Wien mit »Der Muse reicht’s« von Iris Andraschek (2009), »zur Erinnerung an die nicht stattgefundenen Ehrungen von Wissenschafterinnen und an das Versäumnis, deren Leistungen an der Universität Wien zu würdigen«. Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt
Thomas König Figurationen der Wissenschaft und Universität. Annäherung an die Frage: Welche Bedeutung hat die Universität Wien? . . . . . . . . . . . .
7
Katherine Arens Ein universitärer Vielvölkerstaat: Die Universität Wien in Textbildern . .
35
Oliver Jens Schmitt Balkanforschung an der Universität Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
Klaus Taschwer Nachrichten von der antisemitischen Kampfzone. Die Universität Wien im Spiegel und unter dem Einfluss der Tageszeitungen, 1920 – 1933 . . .
99
Christian Fleck Akademische Wanderlust im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Maria Wirth Die Universität Wien am Campus Vienna Biocenter – (Austausch)beziehungen im Bereich der Life Sciences . . . . . . . . . . . 153 Herbert Posch Timeline . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Abstracts
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
Personenregister
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
Thomas König
Figurationen der Wissenschaft und Universität. Annäherung an die Frage: Welche Bedeutung hat die Universität Wien?
1.
Wissensgeschichte
Wissenschaft hat sich in den letzten 200 Jahren grundlegend verändert. Sie ist zu einem eigenständigen gesellschaftlichen Teilbereich geworden – womit gemeint ist: Wissenschaft spielt eine bedeutende Rolle im gesellschaftlichen Machtgefüge; sie ist politisch relevant; ihr wird ökonomische Potenz zugeschrieben; sie hat soziale Bedeutung, weil sie als zentraler Mechanismus für sozialen Aufstieg gilt. Was bedeutet diese umfassende Veränderung für einen Bereich menschlicher Aktivitäten, der ganz seiner eigenen Logik folgt und der zugleich so große Aufmerksamkeit von außen erhält? Am schnellsten einsichtig wird dies vielleicht auf der Ebene der Akteure, der Wissenschafter und Wissenschafterinnen: Mit dem Anbruch der Moderne ist Wissenschaft eine Berufung geblieben, sie ist aber auch ein Beruf geworden. Es ist kaum Zufall, dass diese Spannung zuerst von Max Weber artikuliert wurde,1 der nicht nur ein herausragender Vertreter sozialwissenschaftlicher Analyse war, sondern auch aus einem Land stammte, in dem »die Wissenschaft« (programmatisch im Singular) lange Zeit ein Ventil für den Modernisierungsdruck des 19. Jahrhunderts gewesen war, deren spezifische Institutionalisierung nun aber, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, selbst zunehmend Schwierigkeiten aufzuweisen begann.2 In Deutschland, wie in anderen Teilen Europas, wurde spürbar : Wissenschaft als Beruf und Berufung, das heißt, Wissenschaft hat mit einer spezifischen, nicht nach herkömmlichen Kriterien zu bewertenden Leidenschaft zu tun, aber sie ist auch ein Job (geworden), der zudem mit recht hohem sozialem Prestige ausgestattet ist, zumindest wenn man es in die oberen Reihen der wissenschaftsspezifischen Hackordnung (dem, was Robert K. Mer1 Max Weber, Wissenschaft als Beruf, in: Schriften 1894 – 1922, hg. v. Dirk Käsler, Stuttgart: Kröner 2002, 474 – 511. 2 Fritz K. Ringer, The Decline of the German Mandarins: The German Academic Community, 1890 – 1933, Cambridge, MA: Harvard University Press 1969; Georg Bollenbeck, Bildung und Kultur : Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters, Frankfurt a.M.: Insel 1994.
8
Thomas König
ton einmal so schön die »social stratification of science« nannte)3 geschafft hat. Aber weil es eben beides ist, Beruf und Berufung, lässt sich bei der Analyse der Wissenschaft die Ebene des Wissenschaftlichen niemals sauber trennen von der Ebene des Politischen.4 Natürlich findet der Bedeutungszuwachs von Wissen nicht nur in der Profession des Wissenschafters oder der Wissenschafterin seinen widersprüchlichen Niederschlag. Es ist heute politischer common sense, wenn nicht gar ein ganz üblicher talking point von Politikern, darauf hinzuweisen, dass wissenschaftliche Einrichtungen (wie die Universität eine ist) für den Standort einer Stadt oder eines ganzen Landes von entscheidender Bedeutung sind. Der Nachweis solcher Relevanz wird in der Regel in statistischen Zahlenreihen gefunden: Da wird der Output gemessen, der Anteil an der Wirtschaftskraft einer bestimmten Region vorgerechnet, und so weiter. In historischer Perspektive ändert sich dieser Ansatz dann, und zwar teils aus materialen Gründen, und teils weil die kritische Analyse des Zusammenhangs von Wissen und Macht für die Vergangenheit einfacher zu bewerkstelligen ist als für die Gegenwart. Solche Studien intendieren meist nicht nur eine historische Verortung des wissenschaftlichen Wissens, sondern auch dessen Kritik. Es handelt sich dann um Analysen, die auf die von Wissenschaftern (seltener : Wissenschafterinnen) gelieferten Handreichungen und politisch verwertbaren Konzepte hinweisen, wie etwa als »Vordenker der Vernichtung« im Nationalsozialismus5 oder als die »Modernisierer« während des Kalten Krieges.6 Diese Beispiele verweisen auch auf einen neueren historiographischen Trend, der die Bedeutung von Wissen deutlicher in den Mittelpunkt zu rücken beabsichtigt. Zuletzt hat das der umtriebige Schweizer Wissenschaftshistoriker Philipp Sarasin in ein Konzept von Wissensgeschichte gegossen, das er gegen die tradierte Form der politischen Geschichte und gegen die reformistische Form der Gesellschaftsgeschichte in Anschlag bringt.7 Man muss nicht soweit gehen wie Sarasin, um zu erkennen, dass der Versuch, »Wissenschaft als Kultur« zu verstehen, die Analysemöglichkeiten in der Historiographie in den letzten 3 Robert K. Merton, The Matthew Effect in Science, II: Cumulative Advantage and the Symbolism of Intellectual Property, in: Isis 79 (1988) 4, 606 – 623. 4 Am explizitesten festgehalten vielleicht hier : Pierre Bourdieu, The Specificity of the Scientific Field and the Social Conditions of the Progress of Reason, in: Mario Biagioli (Hg.), The Science Studies Reader, New York–London: Routledge 1999, 31 – 50, 33. 5 Götz Aly/Susanne Heim, Vordenker der Vernichtung: Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Hamburg: Hoffmann und Campe 1991. 6 David C. Engerman/Corinna R. Unger, Introduction: Towards a Global History of Modernization, in: Diplomatic History 33 (2009) 3, 375 – 385; Bernd Greiner/Tim B. Müller/Claudia Weber (Hg.), Macht und Geist im Kalten Krieg, Hamburg: Hamburger Edition 2011. 7 Philipp Sarasin, Was ist Wissensgeschichte?, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 36 (2011) 159 – 172.
Figurationen der Wissenschaft und Universität
9
Jahrzehnten erheblich erweitert haben, ohne damit in die Falle von Determinismen zu geraten, ohne aber auch »für alles und jedes eine Erklärung anbieten zu wollen«.8 Diese Entwicklung ist unter anderem deshalb so fruchtbar, weil die ursprüngliche Fokussierung auf die aus den Sozialwissenschaften kommende Diskursanalyse9 inzwischen erheblich ausgeweitet wurde, und sich nunmehr auch auf Institutionen, Akteure, Konzepte, etc. erstreckt. Sarasin zum Beispiel unterscheidet für seine Wissensgeschichte zwischen vier breiten Fragerichtungen, von denen sich nur noch eine mit »Repräsentationsformen und Medialität des Wissens« beschäftigt.10 Was hat das alles mit der Universität als Institution, und was hat das mit der Universität Wien im speziellen zu tun? An sich jede Menge. Denn wissenschaftliche Institutionen sind ja, wie Lutz Raphael schreibt, »the infrastructure that enable the new discourses […] and their technologies to spread through society.«11 Und Max Weber hat seinen eingangs angeführten Aufsatz über Wissenschaft als Beruf mit dem Hinweis auf den »Hazard« begonnen, der an Universitäten über das Gedeihen oder Verderben wissenschaftlicher Karrieren bestimmte (und nach wie vor bestimmt).12 Und doch, wenn man sich die Universitätsgeschichtsschreibung kritisch vor Augen führt,13 dann müsste die Antwort auf die Frage nach einem Zusammenhang paradoxerweise lauten: scheinbar nichts. Denn der eben skizzierte Trend hat die Universitätsgeschichtsschreibung – als eine historiographische Subdisziplin – bislang kaum erfasst. Nicht zufällig hält Sylvia Paletschek in ihrer Begutachtung des Forschungsfeldes fest, dass der Anspruch, »Universitäts- und Wissenschaftsge-
8 Michael Hagner, Ansichten der Wissenschaftsgeschichte, in: Michael Hagner (Hg.), Ansichten der Wissenschaftsgeschichte, Frankfurt a.M.: Fischer 2001, 7 – 39, 24. 9 Peter Schöttler, Sozialgeschichtliches Paradigma und historische Diskursanalyse, in: Jürgen Fohrmann/Harro Müller (Hg.), Diskurstheorien und Literaturwissenschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1988, 159 – 199; Philipp Sarasin, Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003; zu den methodologischen Schwierigkeiten einer Diskursanalyse siehe etwa Ruth Wodak, Complex Texts: Analysing, Understanding, Explaining and Interpreting Meanings, in: Discourse Studies 13 (2011) 5, 623 – 633. 10 Sarasin, Was ist Wissensgeschichte?, 167; ähnlich Lutz Raphael, Embedding the Human and Social Sciences in Western Societies, 1880 – 1980: Reflections on Trends and Methods of Current Research, in: Kerstin Brückweh/Benjamin Ziemann/Dirk Schumann/Richard F. Wetzell (Hg.), Engineering Society : The Role of the Human and Social Sciences in Modern Societies, 1880 – 1980, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2012, 41 – 56, 44 – 48. 11 Raphael, Embedding, 48. 12 Weber, Wissenschaft als Beruf, 477. 13 Pars pro toto, und als beeindruckendste Synthese der Universitätsgeschichtsschreibung aus einer Innenperspektive für unseren Zeitraum, siehe Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa. Vom 19. Jahrhundert zum Zweiten Weltkrieg (1800 – 1945), Bd. 3, München: C.H. Beck 2004.
10
Thomas König
schichte als integralen Bestandteil der Gesellschaftsentwicklung zu begreifen […], noch nicht in größeren Synthesen umgesetzt worden« sei.14 Warum dieser Mangel? Drei Gründe scheinen uns dafür ins Auge zu fallen. Zum einen liegt es wohl an der spezifischen Position, welche die normative Idee der Universität in der kollektiven Wahrnehmung gesellschaftlicher Realität einnimmt. Als spezifische Institution hat jede Universität (und so auch die Wiener) soziale, strukturelle und historische Eigenschaften. Doch der Universität als Idee kommt heutzutage eine nahezu universale Bedeutungskraft zu, die an einen Mythos gemahnt. Im Alltag wird dieser mythisierende Überschuss üblicherweise an der Konfrontation der Idee mit der an einer spezifischen Universität waltenden Realität erkennbar (in der Regel wird dann der Mythos als moralischer Referenzpunkt für das Beklagen dieser Realität verwendet). Jedenfalls wird die universale, ahistorische Idee der Universität als so selbstverständlich gesetzt, dass sie kaum noch als konstruiert, von Ideologien besetzt, von Politiken verändert wahrgenommen wird.15 Es ist schwierig, sich des scheinbar naturwüchsigen Verständnisses eines solchen Konzeptes zu entledigen und eine Reflexion darüber zu beginnen; aus wissenschaftlicher Sichtweise ist dies aber eine unabdingliche Voraussetzung für jede weiterführende, historische Reflexion. Jede einigermaßen gut ausgebildete Historikerin, jeder methodisch einigermaßen firme Historiker weiß heute um die Konstruktion solcher Begrifflichkeiten. Dass wissenschaftliche Einrichtungen in einem breiteren Kontext historisch analysiert werden können, ist durchaus schon vorgekommen.16 Doch wenn es um Universitäten geht, dann scheint es fast so, als wäre diese Einrichtung nur der Mantel, eine Äußerlichkeit, die den eigentlichen Zusammenhang von Wissen und Gesellschaft nicht (oder nur geringfügig) affiziert. Ein weiterer Grund für den von Paletschek benannten Mangel liegt also wohl auch in dem banalen, aber dennoch relevanten Umstand begründet, dass die Universität 14 Sylvia Paletschek, Stand und Perspektiven der neueren Universitätsgeschichte, in: NTM Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 19 (2011) 2, 169 – 189, 171. 15 Die Universität ist darin ähnlich dem Staat, den Menschenrechten, oder Europa – zu letzterem siehe etwa Trine Flockhart, Europeanization or EU-ization? The Transfer of European Norms across Time and Space, Journal of Common Market Studies 48 (2010) 4, 787 – 810. 16 Für Österreich bietet sich hier etwa die Geschichte des IHS an: Christian Fleck, Wie Neues nicht entstanden ist. Die Gründung des Instituts für Höhere Studien in Wien durch ExÖsterreicher und die Ford Foundation, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 11 (2000) 1, 129 – 178; Helmut Kramer, Wie Neues doch entstanden ist. Zur Gründung und zu den ersten Jahren des Instituts für Höhere Studien in Wien, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 13 (2002) 3, 110 – 132; Thomas König, Vom Naturrecht zum Behavioralismus und daru¨ ber hinaus. Konzeptionelle Grundlagen der Disziplin Politikwissenschaft in Österreich, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 41 (2012) 4, 419 – 438.
Figurationen der Wissenschaft und Universität
11
selbst meist der Ort war und ist, an dem die Akteure der historiographischen Reflexion sitzen. Auch HistorikerInnen bzw. zur Geschichte ihrer Institution arbeitende Wissenschafter und Wissenschafterinnen sind, um es vorsichtig zu formulieren, nicht vor dem blinden Fleck gefeit. Für lange Zeit ist Universitätsgeschichtsschreibung daher eine spezielle Kategorie historiographischer Apologetik gewesen. In den letzten Jahrzehnten hat sie sich markant und erfreulich davon abgelöst.17 Heute steht eine kritisch-distanzierte Einschätzung sowohl interner Vorgänge als auch externer, insbesondere politischer Beziehungen im Mittelpunkt. Dennoch ist diese Form der Historiographie bis heute getrieben von der Frage, wie sich eine Anstalt (bzw. einzelne Institute oder Disziplinen) entwickelt hat (bzw. haben). Dabei kann eine introspektive Herangehensweise – die sich auf die immanente Dynamik einer Institution konzentriert – unterschieden werden von einer rezeptiven Herangehensweise – wo die Geschichte einer Universität auf gesellschaftliche Einflüsse hin untersucht wird. Die komplementäre Sicht der Dinge – jener der Bedeutung einer Universität für die Gesellschaft – fehlt jedoch weitgehend. Welche Wirkung hat denn Universität auf Gesellschaft? Der dritte Grund, warum Universitätsgeschichtsschreibung so stark abgekoppelt ist von der Wissensgeschichte, liegt vermutlich darin begründet, dass es fragwürdig erscheint, ob man eine solche Geschichte überhaupt schreiben kann. Er ist damit auch für diesen Text in weiterer Folge von entscheidender Bedeutung. Aus organisatorischer Perspektive ist es ja so: Universität, zumal im kontinentalen Europa, war lange Zeit nicht viel mehr als eine administrativ-institutionelle Hülle,18 unter der eine Vielzahl verschiedener Praktiken, Politiken und Diskurse abgelaufen ist; in der österreichischen Hochschulorganisation waren etwa die Fakultäten als Organisationseinheiten (in Belangen der Wissensvermittlung und der Entscheidungsfindung) und die einzelnen Institute (für die Produktion von neuem Wissen) wichtiger. Allerdings ist die Annahme einer bloßen Mantelfunktion der Universität nicht in Übereinstimmung zu bringen mit dem diskursiven Bedeutungsüberschuss, von dem auch die scheinbar so autonomen Glieder profitieren. Dieser Bedeutungsüberschuss reichte in die Wissenschaft ebenso hinein wie in die Gesellschaft: es war nach beiden Seiten hin nicht gleichgültig, ob man bloß eine Forscherin an einem Institut in Wien war, oder ob dieses Institut zur dortigen Universität gehörte. Sowohl was die Selektion von gesellschaftlich respektiertem Wissen, als auch was die Rekrutierung von Personal und die Ausverhandlung von wissenschaftlicher Autonomie und politischer Macht betrifft, spielten Universitäten 17 Paletschek, Universitätsgeschichte. 18 Burton R. Clark, The Higher Education System. Academic Organization in Cross-National Perspective, Berkeley : University of California Press 1983.
12
Thomas König
zumindest für den Großteil des 20. Jahrhunderts eine wichtige, wenn nicht die zentrale Rolle. So wenig aber »die Universität« ein kohärentes Gefüge ist, so wenig kann sie als Ensemble von Macht- und Wissensstrukturen ignoriert werden. Es könnte gerade das Auseinanderklaffen dieser spezifischen generellen Wahrnehmung der Universität als Gesamtheit und der unzähligen Politiken sein, die dieses Ensemble historisch so in die Lage versetzt hat, zur institutionellen Versinnbildlichung von Wissenschaft und ihrer Autonomie zu werden; historiographisch ist dann gerade dieses Auseinanderklaffen der Ausgangspunkt, die Frage nach ihrer Bedeutung neu und in Hinblick auf die eingangs genannten, neuen Strömungen in der Geschichtswissenschaft zu stellen. Was also ist Universität, und wie ist sie analytisch zu konzeptualisieren, um sie in die in Entstehung befindliche Wissensgeschichte einzufügen? Dieser Beitrag stellt sich dieser Frage und versucht eine Antwort zu liefern. Er tut dies aus naheliegenden Gründen anhand der Universität Wien bzw. in Bezug auf die Universität Wien, hofft aber auch Anstoß für die allgemeinere Debatte liefern zu können. Denn so lange die Wissensgeschichte (ob in Sarasins Zuschnitt oder nach anderem Format) eine solch zentrale Instanz wie die Universität konzeptionell nicht zu fassen vermag, wird sie einem erheblichen Mangel unterliegen; und Gleiches wird auch für die Universitätsgeschichtsschreibung gelten müssen. Im Folgenden wird zunächst herausgearbeitet, wie unser heutiges Verständnis von Wissenschaft durch die Institution der Universität beeinflusst ist (2). Sodann wird – durch den Kunstgriff einer »Annäherung durch Distanzierung – eine wissensgeschichtliche Einordnung der Universität Wien vorgenommen (3). Dies ist nicht zuletzt deshalb spannend, weil das nähere und weitere Umfeld dieser Einrichtung in den letzten 150 Jahren starken Veränderungen ausgesetzt war. Im letzten Abschnitt wird ein Ausblick auf die in diesem Band vereinten Beiträge gegeben.
2.
Wissenschaft und Universität
Ehe wir über das Verhältnis von Wissenschaft und Universität sprechen, ist es notwendig, den Begriff der Universität selbst deutlicher zu umreißen. Beginnen wir mit den (zumindest für informierte HistorikerInnen) banalen Erkenntnissen, die dennoch festzuhalten sind: Die Universität – als heute wichtigste institutionelle Trägerin der Akkumulation, Generierung und Weitergabe wissenschaftlichen Wissens – hat erst im frühen 19. Jahrhunderts aufgrund einer massiven Reformulierung jenen Zuschnitt gefunden, für den sie heute noch im weitesten Sinne steht. Obwohl sie eine Reihe von spezifischen Binnenstrukturen aus der gleichnamigen Einrichtung des Mittelalters und der frühen Neuzeit übernahmen, litten europäische Universitäten zwischen dem 16. und 18. Jahr-
Figurationen der Wissenschaft und Universität
13
hundert grob gesprochen unter »institutional inertia«, »maintaining their corporate traditions at the price of isolation from new trends«.19 Weiter ist festzuhalten, dass die Universität im Kontext der seit rund 150 Jahren stattfindenden, enormen gesellschaftlichen Dynamik eine zunehmend zentrale Rolle spielt (woraus sich der zuvor angesprochene Mythos ergeben mag), aber immer unterschiedliche Konzeptionen davon vorherrschten, was die Universität eigentlich sein soll, welche Funktion sie übernehmen soll, etc.20 Mit anderen Worten, nicht nur die Universität als reale Einrichtung hat eine historische Entwicklung; auch die normative Idee der Universität ist selbst einem Bedeutungswandel unterlegen, den das Anrufen des Mythos vielleicht verdeckt, der aber der historiographischen Beobachtung nicht entgehen darf.21 Grob gesprochen lassen sich also drei Ebenen, was mit »Universität« gemeint ist, unterscheiden. Das eine ist die konkrete Institution, eben zum Beispiel die Wiener Alma mater Rudolfina. Das zweite ist die Universität als meist juristisch gefasste Bezeichnung für einen Typus von wissenschaftlicher Einrichtung, wie sie sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts zunächst im europäischen, dann im globalen Kontext durchgesetzt hat – mit ihren disziplinären Einteilungen, personellen und strukturellen Hierarchien, und mit ihren durchaus seltsamen Gebräuchen und Eigenheiten. Zuletzt ist die Universität auch jene normative Idee in unser aller Köpfe, die verknüpft ist mit widerstreitenden Idealen: dem Zweck reiner wissenschaftlicher Studien bar jeglicher Anwendungsorientierung; dem Zweck der wirtschaftlichen Stärkung eines nationalen Kollektivs; dem Zweck der Durchsetzung wechselnder politischer Ideale. Klarerweise korrespondieren diese drei Ebenen immer miteinander, wenn Handlungen gesetzt werden, die eine Weiterführung, eine Reform, eine Veränderung »der Univer19 Peter Burke, A Social History of Knowledge: From Gutenberg to Diderot, Cambridge: Polity Press 2000, 48. 20 Hier und im Folgenden wird vornehmlich auf Literatur verwiesen, die sich speziell mit den Universitäten in Österreich auseinandersetzt. Vom Material brauchbar, aber jeweils zu sehr in ihr formalistisches Erkenntnisprogramm gezwängt sind die Darstellungen von Marina Fischer-Kowalski, Zur Entwicklung von Universität und Gesellschaft in Österreich, in: Heinz Fischer (Hg.), Das politische System Österreichs, Wien: Europa Verlag 1974, 571 – 624; sowie Susanne Preglau-Hämmerle, Die politische und soziale Funktion der österreichischen Universität: von den Anfängen bis zur Gegenwart, Innsbruck: Inn-Verlag 1986. 21 Für Österreich seit 1945, vgl. etwa die folgenden Studien: Raoul F. Kneucker, Das Universitäts-Organisationsgesetz 1975, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 9 (1980) 3, 261 – 276; Josef Melchior, Zur sozialen Pathogenese der österreichischen Hochschulreform: eine gesellschaftstheoretische Rekonstruktion, Baden-Baden: Nomos 1993; Josef Melchior, The Managerial and Entrepreneurial Turn in Austrian Higher Education, in: European Political Science 3 (2004) 3, 13 – 22; Hans Pechar, Austrian Higher Education Meets the Knowledge Society, in: The Canadian Journal of Higher Education 34 (2004) 3, 55 – 72; Thomas König, ›Konserven des Geistes‹: Semantischer Wandel in den hochschulpolitischen Debatten der frühen 1960er Jahre in Österreich, in: Tagungsband zum 7. Österreichischen Zeitgeschichtetag, Innsbruck: Studien Verlag 2010, 64 – 71.
14
Thomas König
sität« im Sinne führen. Jede Wahl eines universitären Funktionärs, jeder wissenschaftspolitische Eingriff und Steuerungsversuch, jede Personalentscheidung und jede strukturelle Adaption tragen die Merkmale einer solchen institutionellen (Dis-)Kontinuität. Denn dass im Laufe des 19. Jahrhunderts die Universitäten in Europa prägende Orte der Wissenschaft geworden sind, lag an einer Reihe von historischen Gründen, auf die hier einzugehen den Rahmen sprengen würde. Wichtig ist die Unterscheidung in drei Verständnisebenen, weil sie uns in die Lage versetzt, die historisch sich wandelnde Bedeutung der Relation von Wissenschaft und Universität zu beleuchten. Als solchen fiel und fällt Universitäten eine spezifische Rolle in dem skizzierten Spannungsverhältnis von Wissenschaft und dem, was man »andere gesellschaftliche Teilbereiche« nennen könnte, zu. Vor allem sind Universitäten die Orte, in denen am nachdrücklichsten der Versuch etabliert wurde, Wissenschaft emphatisch im Singular zu verstehen. Sie sind damit die Versinnbildlichung des immanent wissenschaftlichen Ideals, das (ebenfalls nicht zufällig) zu Beginn des 19. Jahrhunderts geboren wurde, jenes der »reinen Wissenschaft«.22 Es ist wichtig hinzuzufügen, dass dieses doppelte Ideal – die Gesamtheit der Wissenschaft und die Gemeinsamkeit von Forschung und Lehre – nie ganz und vollständig realisiert wurde, und gern von verschiedenen politischen Regimen als Rechtfertigung benutzt wurde.23 Universität gilt als der (idealisierte) Ort, an dem Wissenschaft getrieben wird, und Wissenschaft als jene (idealisierte) Tätigkeit, die an der Universität angesiedelt ist. Eine Vielzahl von Studien hat diese wechselseitige Grundannahme inzwischen in Zweifel gezogen, und insbesondere die Idealisierung hinterfragen können; trotzdem ist die Universität bis heute untrennbar mit der Wissenschaft (als ein Ensemble spezifischer Praktiken und Normen) verbunden. Wie bedeutsam die Universität als Filter für das ist, was uns als Wissenschaft gilt, wird klar, wenn wir Wissenschaft in drei zentrale Bedeutungsebenen teilen: Die Eigenständigkeit, die Tätigkeit, und die Wirkung von Wissenschaft(en) sind nicht verständlich ohne ihre historisch-institutionelle Realisierung, und das eben zumeist im universitären Raum. Im Folgenden werden diese drei Bedeutungsebenen der Reihe nach abgehandelt, um die enge Verquickung deutlich zu machen.
22 D¦sir¦e Schauz, What Is Basic Research? Insights from Historical Semantics, in: Minerva 52 (2014) 3, 273 – 328. 23 Sylvia Paletschek, Die permanente Erfindung einer Tradition. Die Universität Tübingen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2001; Mitchell G. Ash, Bachelor of What, Master of Whom? The Humboldt Myth and Historical Transformations of Higher Education in German-Speaking Europe and the US, in: European Journal of Education 41 (2006) 2, 245 – 267.
Figurationen der Wissenschaft und Universität
15
Eigenständigkeit Die Idee, dass Wissenschaft eigenständig, d. h. in erster Linie unbeeinflusst von anderen Handlungsfeldern bleiben müsse (Politik und Wirtschaft sind in der Regel die beiden Bereiche, die genannt werden), konnte erst als Reaktion auf die Herausdifferenzierung eines staatlichen Verwaltungsapparats und das kapitalistische Vergesellschaftungsprinzip einerseits und einem (auch institutionell) eigenständigen Handlungsfeld wissenschaftlicher Aktivitäten andererseits stattfinden. Die historische Konsequenz aus dieser Reaktion war, dass Universitäten zu jenen Orten wurden, wo die Eigenständigkeit der Wissenschaft gewährt wurde (nicht ausschließlich Universitäten klarerweise, aber doch in überwiegender und dominanter Art und Weise). Dieser Prozess fand – das allein ist schon bemerkenswert – in vielen Ländern statt, die doch sehr unterschiedliche Voraussetzungen mitbrachten und die ursprünglich auch durchaus unterschiedliche Konzepte zur Domestizierung der Wissenschaften entwickelt hatten.24 Auf österreichischem Boden ist der bekannte Satz aus dem Staatsgrundgesetz, »Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei«,25 ein Resultat, zugleich aber nur eine Stufe am Wege dieser Entwicklung. In einer langen Periode steter Verrechtlichung wurden die staatlich bestimmten und errichteten Einrichtungen, wo Wissenschaft stattfinden sollte, also tatsächlich zu jenen Gewährungsorten, an denen Wissenschaft autonom sein sollte.26 All das war unbestreitbar ein großer Fortschritt; aber die Verrechtlichung hatte auch drei Konsequenzen, die heute gern übersehen werden bzw. als selbstverständlich angesehen werden, und die dennoch verantwortlich sind für einen Großteil der Verwirrungen im Diskurs, wenn (oft austauschbar) von Autonomie und Freiheit die Rede ist. Erstens ging mit der Festlegung zugleich und notwendigerweise auch eine Beschränkung einher. »Freiheit der Wissen24 Aus juristischer Perspektive, siehe Thomas Groß, Die Autonomie der Wissenschaft im europäischen Rechtsvergleich, Baden-Baden: Nomos 1992. 25 Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder, Reichsgesetzblatt, RGBl. 142/1867, Art. 17. Vgl. auch Barbara Haider, Die Protokolle des Verfassungsausschusses des Reichsrates vom Jahre 1867, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1997. 26 Sascha Ferz, Ewige Universitätsreform: das Organisationsrecht der österreichischen Universitäten von den theresianischen Reformen bis zum UOG 1993, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2000; Johannes Feichtinger, Die verletzte Autonomie. Wissenschaft und ihre Struktur in Wien 1848 bis 1938, in: Friedrich Stadler/Katharina Kniefacz/Elisabeth Nemeth/Herbert Posch (Hg.), Universität – Forschung – Lehre. Themen und Perspektiven im langen 20. Jahrhundert (650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert 1), Göttingen: Vienna University Press 2015, 261 – 292; Kamila Staudigl-Ciechowicz, Zwischen Aufbegehren und Unterwerfung. Politik und Hochschulrecht 1848 – 1945, in: Mitchell G. Ash/Josef Ehmer (Hg.), Universität – Politik – Gesellschaft (650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert 2), Göttingen: Vienna University Press 2015.
16
Thomas König
schaft« bedeutete die Freiheit für eine spezifische Personengruppe in einem spezifischen Raum. Die Rolle der Professur kann hier nicht hoch genug eingeschätzt werden: sie ergänzt die Universität als den »freien Raum« mit dem »freien Wissenschafter« (meistens waren und sind es Männer); erst in der Doppelrolle von Professor und Universität manifestiert sich die seit der liberalen Ära des 19. Jahrhunderts vielgerühmte Freiheit der Wissenschaft; damit wurde auch de facto und bisher ziemlich unhinterfragbar festgelegt, nicht nur wo diese Freiheit ausgeübt werden darf, sondern auch von wem. Zweitens war das Verhältnis zwischen Personal und Institution nicht nur eines, das sich gegenseitig ergänzte, sondern auch eines, das Spannungen barg. Die politische Proklamation von Freiheit der Wissenschaft setzte die Autonomie der Universitäten und die ihrer zentralen Protagonisten ja faktisch in eins. Doch die Eigenständigkeit der Wissenschaft konnte (und kann) sowohl auf die wissenschaftliche Handlungsebene, aber auch auf die institutionelle Organisationsebene bezogen werden. Im ersten Falle handelt es sich um wissenschaftliche Freiheit, im anderen um institutionelle Autonomie. Sollen Universitäten autonom handeln, das heißt, als eigenständige wissenschaftliche Einrichtungen eine bestimmte wissenschaftspolitische Strategie verfolgen? Oder sollen sie die Freiheit der von ihnen angestellten Wissenschafter und Wissenschafterinnen garantieren, egal ob deren Tun und Handeln einer solchen wissenschaftspolitischen Strategie eingepasst werden kann oder nicht? Diese Pole sind kein theoretisches Gedankenexperiment, sondern spätestens mit der ManagementUniversität heutigen Zuschnitts Gegenstand alltäglicher Auseinandersetzungen, Diskussionen, auch Konflikte. Es wäre aber eine Verklärung der Vergangenheit anzunehmen, dass sich diese Problematik in früheren Zeiten nicht ebenso scharf gestellt hätte. Drittens: Die garantierte Freiheit war zunächst politische Semantik. Der letzte Satz des eingangs genannten Artikel 17 des Staatsgrundgesetzes heißt: »Dem Staate steht rücksichtlich des gesammten Unterrichts- und Erziehungswesens das Recht der obersten Leitung und Aufsicht zu.«27 Die Geschichte der Universitäten in Österreich (wie auch in vielen anderen Ländern) im 20. Jahrhundert kann auch unter dem Gesichtspunkt der direkten und indirekten Einflussnahme staatlicher Stellen auf den universitären Betrieb geschrieben werden; in den letzten Jahrzehnten wäre er vielleicht allenfalls zu ergänzen durch eine zunehmende Einflussnahme auch von Seiten privatwirtschaftlicher Konzerne. Um klarzustellen: diese Art der Einflussnahme soll hier bloß konstatiert werden, und ist nicht Anlass für moralisierende Kritik (wie sie sich in Zeitungskommentaren oft ausdrückt). Sie verdeutlicht nämlich, dass die Proklamation erst den Spielraum eröffnet, die »Freiheit der Wissenschaft« spezifisch auszugestalten, zu 27 StGG Art. 17.
Figurationen der Wissenschaft und Universität
17
interpretieren, und gegebenenfalls sogar festzulegen. Wenig überraschend werden Begrifflichkeiten wie Autonomie und Freiheit im historischen Querschnitt sehr unterschiedliche Bedeutungen zugeschrieben.
Tätigkeit Soweit zur Frage, wieweit Wissenschaft durch die Institution der Universität ihre Abgrenzung von Gesellschaft erreicht hat. Was aber ist Wissenschaft? Auch die Beantwortung dieser Frage ist in höchstem Maße kontaminiert von der Einrichtung Universität. Der oben zitierte Satz aus dem Gesetzbuch ist ja nicht nur (wie schon des Öfteren vergnüglich angemerkt) grammatikalisch krumm, sondern macht auch eine ganz bemerkenswerte Unterscheidung in Wissenschaft (als etwas Bestehendes, zu Umfassendes) und Lehre (als etwas zu Praktizierendes); noch genauer, letztere ist hier ein Anhängsel von ersterer. Wenn aber Lehre etwas Nachgeordnetes ist, ist Wissenschaft dann Forschung? Diese Art der Priorisierung wäre allerdings eine (zumindest gemäß historischer Semantik) unsachgemäße Interpretation, bei der heutige Wertigkeiten unreflektiert auf eine fast 150 Jahre alte Kodifizierung gelegt werden. Der Rest des Artikels 17 des Staatsgrundgesetzes deutet an, dass es den Autoren dieses Kodex ausschließlich um Lehre, Erziehung und Unterricht ging. Eine andere, ebenfalls beliebte Programmatik liefert einen ähnlichen Hinweis: die viel beschworene »Einheit von Forschung und Lehre«, welche ja angeblich gerade das Unterscheidungskriterium der Universität von anderen wissenschaftlichen Einrichtungen sein soll. Wilhelm von Humboldt, dem sie gern zugeschrieben wird, hat zwei Gedanken formuliert, die dann später zu dieser Formel verschmolzen wurden: nämlich dass Wissenschaft »ein noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes« sei,28 und dass sich die Lehre an den Universitäten genau durch die Teilnahme an diesem Forschungsprozess auszeichne. Hinter dieser wirkmächtigen Idee steht das Spannungsverhältnis, wie Forschung und Lehre auszutarieren sind, welche dieser beiden Tätigkeiten unter Umständen zu priorisieren ist, etc. Die Verwirrungen solcher Proklamationen resultieren zum Großteil aus der Abstraktheit, mit der sie postuliert werden. »Forschung« als systematische und methodisch reflektierte Praxis hat in unterschiedlichen Bereichen höchst unterschiedliche Beschaffenheit, weshalb in der ethnographischen Analyse wis28 Wilhelm von Humboldt, Über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin, in: Wilhelm Weischedel (Hg.), Idee und Wirklichkeit einer Universita¨ t. Dokumente zur Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universita¨ t zu Berlin, Berlin: de Gruyter 1960, 193 – 202, 195.
18
Thomas König
senschaftlicher Praktiken von »epistemic cultures« gesprochen wird,29 die zuweilen eine gehörige Distanz zueinander aufweisen können. Daneben wird Wissenschaft auch noch eingeteilt in Disziplinen,30 »Kulturen«31 und »Stile«;32 all das sind informell entstandene und akzeptierte Kategoriensysteme, die zum einen helfen beim Ein- und Abgrenzen eigener wissenschaftlicher Praxis und zum anderen die faktische Fragmentierung der nach außen so gern postulierten »scientific community« manifestieren.33
Wirkung Ein weiteres (und nur in dieser Aufzählung letztes) Spannungsverhältnis, das sich aus der engen historischen Verquickung von Wissenschaft mit der Universität ergibt, betrifft jenes der Wirkung. Es ist naheliegend davon auszugehen, dass Universitäten in ihrer ersten Fassung nach der grundlegenden Reformulierung im frühen 19. Jahrhundert in erster Linie als Ausbildungsstätten wahrgenommen wurden, an denen die altbekannten geistigen Berufe – Medizin, Jurisprudenz, Theologie – ergänzt wurden durch die Philosophie, die sich für kurze Zeit zur Königsdisziplin aufzuschwingen wagte. Mit anderen Worten, die zuvor genannte Spannung zwischen Forschung und Lehre war ursprünglich wohl ein Hauptmoment, warum die Universität so erfolgreich war – als wissenschaftliche Anstalt konnte sie immer auch gleich ihre Vermittlungstätigkeit unter Beweis stellen, war nie nur wissenschaftlicher Elfenbeinturm. Trotzdem ist damit keineswegs die Zielrichtung ausgemacht, welche Wirkungen eine Universität erzielen soll oder auch erzielen kann. Es ist in diesem Bereich, dass Zäsuren über die Rolle der Universität entschieden haben. Was aktuell als die unternehmerische Universität gilt, ist nur die neueste Auflage von mehr oder minder expliziten wissenschaftspolitischen Konzepten, welche Rolle(n) die Universität in der Gesellschaft erfüllen soll.34 29 Karin Knorr-Cetina, Epistemic Cultures: How the Sciences Make Knowledge, Cambridge, MA: Harvard University Press 1999. 30 Andrew Abbott, Chaos of Disciplines, Chicago: University of Chicago Press 2001. 31 C. P. Snow, The Two Cultures, Cambridge: Cambridge University Press 1993; Roberto Sala, One, Two, or Three Cultures? Humanities Versus the Natural and Social Sciences in Modern Germany, in: Journal of the Knowledge Economy 4 (2013) 1, 83 – 97. 32 Johan Galtung, Struktur, Kultur und intellektueller Stil: ein vergleichender Essay über sachsonische, teutonische, gallische und nipponische Wissenschaft, in: Leviathan 11 (1983) 3, 303 – 338. 33 Thomas F. Gieryn, Cultural Boundaries of Science: Credibility on the Line, Chicago: University of Chicago Press 1999. 34 Clark, Higher Education System; für Österreich, siehe etwa Melchior, Austrian Higher Education.
Figurationen der Wissenschaft und Universität
19
Natürlich sind auch diese Konzepte keine fix gegebenen, monolithischen Paradigmen, sondern in gewisser Weise Kompromisse verschiedenartiger Ideen. Im Grunde drehen sie sich um zwei Interpretationen der Relevanz, zum einen jenen der immanent wissenschaftlichen (der heute unter dem Begriff der Exzellenz auf den Punkt gebracht wird) und zum anderen jenen der gesellschaftlichen (der zur Zeit mit dem aus dem Englischen entlehnten Begriff des Impact in Anwendung gebracht wird). Zusammenfassend kann man sagen, dass die nur historisch zu begreifende Verklammerung einer im Mittelalter entstandenen und um den Beginn des 19. Jahrhunderts radikal neu definierten Einrichtung der Universität mit dem in dieser Zeit immer drängenderen Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion dazu geführt hat, letztere in einer Institution mit anachronistischer hierarchischer Binnenstruktur und damit einhergehenden, nur in gelegentlichen Reformanstrengungen zu überwindenden Atavismen (Fakultäten; Lehrkanzeln) zu verankern, welche das Bild und die Funktionsweise der Wissenschaft selbst in äußerst starkem Maße affiziert hat. Dabei haben diese Ausführungen – es sei nochmals explizit festgehalten – im Wesentlichen die Ebene der Universität als konkreten Gegenstand und als normatives Ideal betroffen. Als relativierende Lockerungsübung helfen sie auch dabei, eine einzelne Institution – die ja Gegenstand des vorliegenden Bandes ist – in ihrer historischen Bedeutung besser zu verankern und zu beleuchten, ohne bloß eine apologetische Jubelschrift oder auch eine perspektivisch auf die inneren Vorgänge reduzierte Chronologie von Ereignissen zu präsentieren. Deutlich wird in diesem knappen Abriss auch, dass die Universität, als spezifische Umsetzung von Wissenschaft in eine Institution, anderen institutionellen Entwürfen etwas voraus gehabt haben muss. Die Lösung, welche die Universität in Bezug auf die für Wissenschaft in ihrer Beziehung zu Gesellschaft immer latent oder manifest vorhandenen Spannungsverhältnisse hatte – nämlich diese Spannungsverhältnisse in die Institution zu inkorporieren – dürften ja, aus einer systemtheoretischen Perspektive, gerade der Vorteil dieses institutionellen Typus gewesen sein. Autonomie vs. Freiheit, Lehre und Forschung, Exzellenz vs. Impact – die Universität bot (und bietet) ein elegantes Modell, die »reine« Wissenschaft mit der »schmutzigen« Welt nach scheinbar klaren Strukturen und anhand historisch tradierter Hierarchien zu vermitteln. Nur sind diese Strukturen selbst natürlich Gegenstand von Auslegung, bieten Spielraum für individuelle Handlungen. Was not tut ist eine Konzeption von Universität, die jenseits von wissenschaftspolitischen Vorstellungen und normativen Ideen einen analytischen Zugriff auf diese in der Wissensgeschichte so entscheidende Einrichtung erlaubt, und von dem mehr zu erwarten ist als nur die apologetische oder kritische Binnensicht.
20
3.
Thomas König
Annäherung durch Distanzierung
Wir haben uns im vorigen Kapitel mit der Bedeutung der Universität für Wissenschaft beschäftigt und haben dabei auch knapp die historischen Effekte kennengelernt, die aus dieser historisch einzigartigen institutionellen Übersetzungsleistung resultierten, und die das Bild sowie das Funktionieren von Wissenschaft selbst wieder aufs Empfindlichste beeinflusst haben. Doch wie sieht es nun mit der Bedeutung der Universität (als wichtigste institutionelle Vermittlerin von Wissenschaft und Gesellschaft) für Gesellschaft aus? Setzen wir mit einer Veranschaulichung fort. Sie ist recht wahllos herausgegriffen und dennoch haben wir sie natürlich nicht zufällig aufgenommen. Im Jahr 1958 reflektierte ein amerikanischer Literaturwissenschafter, der ein Jahr lang als Gast an der Universität Wien geweilt hatte, über seine Erfahrungen: »I heard nothing but the best of Austria before my departure. Vienna, and especially the University, were held in high esteem. Thus I was not prepared for the current lack of cultural vitality, nor for the falling-off of standards at the University. The American image of Austria is composed of Mach, Freud, Kafka, the Viennese Circle, etc. It is an image which doesn’t fit the current realities.«35
Hier schreibt sich jemand seinen Frust von der Seele; zugleich ist der Umstand, dass der Text (als Teil eines umfangreicheren Reports) in einem Archiv aufbewahrt wurde, auch Ausdruck eines Interesses daran (der Autor hat den Text nicht verworfen, sondern abgegeben; im Büro wurde der Text dann gelesen und aufbewahrt; etc.). Knapp gesagt (denn all dies ist historiographisch ausgebildeten Personen hinlänglich bekannt) lassen sich vier Dimensionen in der Interpretation eines solchen Textfragments unterscheiden: Die Intention des Autors beim Verfassen des Textes; die Rezeption des Textes bei jenen, die ihn lesen; die Aussagen über den Gegenstand, über den der Autor reflektiert; und die Position des Autors selbst, die (mehr oder weniger intentional) in dem Text ihren Niederschlag findet. Der Autor dieser Zeilen, Sherman Paul, war ein zu dem Zeitpunkt noch aufstrebender Literaturwissenschafter, der sich zeit seines Lebens mit amerikanischen Schriftstellern des 19. Jahrhunderts beschäftigte; über seine Motivation, in den späten 1950er Jahren ein Jahr am Rande der damaligen westlichen Welt zu verbringen, wissen wir heute wenig. Waren es karrieretechnische Überlegungen? Oder war es aus der gefühlten Verpflichtung, den amerikanischen Geist bis an den Rand des damaligen Einflussgebiets zu tragen? Hatte er ein intrinsisches Interesse an einem Gastaufenthalt in Wien, wie das Zitat viel35 Zitiert nach Thomas König, Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich: transatlantische »Fühlungnahme auf dem Gebiet der Erziehung« (transatlantica 6), Innsbruck: Studien Verlag 2012, 117.
Figurationen der Wissenschaft und Universität
21
leicht nahelegen würde (im Weltkrieg hatte er in der Luftwaffe gedient und war vielleicht auch in Österreich stationiert gewesen)?36 Seinen eigenen Angaben zufolge verbrachte er ein frugales Jahr in Wien; doch darüber hinaus wissen wir über seine Wege wenig Bescheid. Was sagt uns dieser Bericht über die Universität Wien? Zunächst fällt auf, wie sie mit ihrem unmittelbaren Umfeld, der Stadt Wien und der Nation Österreich in Verbindung gebracht wird: Der im selben Satz beklagte Mangel an kultureller Lebendigkeit (»cultural vitality«) und der Verfall des (wissenschaftlichen) Niveaus (»falling-off of standards«) machen das deutlich. Weiter werden konkrete Namen genannt, die offenbar als Aushängeschilder von Universität wie auch Nation gelten: »Mach, Freud, Kafka, the Viennese Circle«. Abgesehen von Kafka waren alle diese Personen auch mit der Universität Wien verbunden, wenngleich deren Verbindung zu Freud und zum Wiener Kreis keine ganz glückliche gewesen war. Zuletzt hält der Autor jener Zeilen fest, dass das Bild, welches er sich vor seinem Gastaufenthalt gemacht hatte, nicht der Realität vor Ort entspreche – ein Eingeständnis, welches für seine Frustration verantwortlich ist und die er der Leserschaft offensichtlich vermitteln möchte. Der Grund, warum wir dieses kleine Fragment aus einem umfangreicheren Bericht hier vorangestellt haben, ist weniger der Inhalt per se, der in der einen oder anderen Weise beigetragen haben mag zu einer gewissen Wirkmächtigkeit im Diskurs über die Universität Wien, und der auch heute noch dazu dienen könnte, einige bequeme Befindlichkeiten vorurteilshaft zu bestätigen. Vielmehr können wir die wissensgeschichtliche Konzeptualisierung von Universität im Allgemeinen (und der Universität Wien im Speziellen) an der weiteren Interpretation des Textes vorantreiben.37 Dazu sind drei Aspekte relevant. Zunächst, um selbst so flüchtige Erscheinungen wie jene des amerikanischen Gastprofessors einordnen zu können, ist Universität als lokale Schnittstelle von ungezählten Verbindungslinien wissenschaftlicher Aktivitäten zu konzeptualisieren. Danach können wir einen kurzen geschichtlichen Überblick, einen synthetisierten Abriss dieser Schnittstelle skizzieren. Zuletzt verorten wir diese lokale Schnittstelle in weiteren Kontexten. All dies sind Maßnahmen der Distanzie-
36 Sherman Paul, 74, A Literary Scholar, New York Times, June 4, 1995, URL: http://www.nytimes.com/1995/06/04/nyregion/sherman-paul-74-a-literary-scholar.html?pagewanted=print (abgerufen am 10. 6. 2014). 37 Am ehesten ist die folgende Interpretation von den methodologischen Reflexionen Quentin Skinners beeinflusst, vgl. Quentin Skinner, Meaning and Understanding in the History of Ideas, in: History and Theory 8 (1969) 1, 3 – 53; Erik æsard, Quentin Skinner and His Critics: Some Notes on a Methodological Debate, in: Statsvetenskaplig Tidskrift 90 (1987) 2, 101 – 116; Hartmut Rosa, Ideengeschichte und Gesellschaftstheorie. Der Beitrag der ›Cambridge School‹ zur Metatheorie, in: Politische Vierteljahresschrift 35 (1994) 2, 197 – 223.
22
Thomas König
rung, durch welche eine möglichst adäquate Annäherung ans Untersuchungsobjekt – die Universität Wien – angestrebt wird.
Figurationen von Wissenschaft Was ist die Universität Wien aus der radikal beschränkten Sichtweise des eingangs zitierten Fragments? Zunächst einmal eine räumlich lozierte Einrichtung, an die sich für den Autor des Textes bestimmte Erwartungen geknüpft haben, an der er einen konkreten Gastaufenthalt verbracht hat (während dessen diese Erwartungen mit seinen Erfahrungen konterkariert wurden), und über die er nun eine gewisse Meinung äußert. Nun ist dieses Fragment nur eines von vielen, und der Typus des Gastprofessors stellt nur eine von vielen und qualitativ sehr unterschiedlichen Verbindungslinien dar.38 Wissenschaftliche Gäste kommen und gehen, ebenso wie Studierende ihr Studium aufnehmen und beenden, Wissenschafter und Wissenschafterinnen eine Stelle annehmen, anderswo berufen werden, Kontakte geknüpft und Projekte durchgeführt werden. Sie alle bringen ein und nehmen etwas mit; was genau, lässt sich oft nur durch eingehendes Analysieren feststellen und bleibt dennoch oft vage. Das meiste ist ephemer, flüchtig, nebensächlich; in Summe aber bleibt jener zuvor schon genannte Bedeutungsüberschuss, den die Universität ausmacht. Aus historischer Perspektive, die es erlaubt, diese individuellen Verbindungslinien nachträglich zu betrachten und eingehend zu studieren (sofern die Datenlage dies zulässt), ist die Universität wohl am besten als ein räumlich verortbarer Punkt zu verstehen, an dem eine Vielzahl von derartigen Verbindungslinien zusammenlaufen. Ihr zentrales Erkennungsmerkmal ist, dass sie auf die eine oder andere Art und Weise mit Wissenschaft zu tun haben – entweder eine (oder mehrere) konkrete wissenschaftliche Aktivität(en) umfassen, oder solche Aktivitäten ermöglichen (oder verunmöglichen) sollen, oder sonst auf irgendeine Art und Weise mit Wissenschaft in Verbindung stehen, daraus ihre Legitimation schöpfen. Eine solche Verbindungslinie, und zwar nur eine sehr beiläufige und kurzlebige, haben wir eben kennen gelernt: Ein amerikanischer Gast an der Universität Wien, an der er ein Studienjahr lang gelehrt und vielleicht auch ein wenig geforscht hat. Die Verbindungslinie, die dieser Gast hergestellt hat, kann aber unterschiedlich betrachtet werden: räumlich (zwischen Wien und seiner Heimatuniversität in Illinois), wissenschaftlich-disziplinär (Literaturwissenschaft), 38 Marita Krauss, »Gedankenaustausch über Probleme und Methoden der Forschung«. Transatlantische Gastprofessoren aus Emigrantenkreisen in Westdeutschland nach 1945, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 29 (2006) 3, 243 – 259.
Figurationen der Wissenschaft und Universität
23
thematisch (Geschichte nordamerikanischer Literatur), aber auch politisch (kulturdiplomatische Funktion im Kontext des Austauschprogramms). Erst aus der Summe dieser spezifischen Aspekte ergibt sich ihre einmalige Qualität. Es muss dahingestellt bleiben, ob etwa die Gesamtzahl der Verbindungslinien mit der Reputation der Universität zusammenhängt und wieweit die Zahl dieser Verbindungslinien durch die Binnenlogik ernsthaft beeinflusst wird. Das sind Fragen, deren Beantwortung quantifizierbare Daten benötigt, die (wenigstens zur Zeit) nicht vorliegen. Die szientometrische Erfassung universitärer Leistung ist eine ganz der politischen Legitimierung verschriebene Forschungsrichtung,39 mit all den Defiziten, die damit einhergehen: Unter anderem ist sie ahistorisch (Datenzeitreihen reichen in der Regel nur wenige Jahre zurück), und sie definiert »Leistung« in einem ökonomischen (und damit politisch unmittelbar anwendbaren) Sinn, der wenig Spielraum für andere Auslegung lässt, insbesondere in Hinblick auf wissenschaftliche und intellektuelle Leistungen.40 Auch wenn der Weg der Quantifizierung aus Datenmangel und fehlenden analytischen Konzepten verschlossen ist, lässt sich die Frage nach der historischen Wirkung und Reichweite der Wiener Universität immer noch in Einzelstudien und Langzeitanalysen beantworten. Es stellt sich aber auch hier die Frage nach der Konzeptualisierung. In einem komplexen und globalen Netzwerk wissenschaftlicher Beziehungen könnte eine Universität zunächst als markante Anhäufung von Verbindungslinien skizziert werden. Doch es braucht noch zwei weitere Dinge, um zu verstehen, wie die Universität Bedeutung aus diesen Verbindungslinien schöpft. Da wäre erstens die spezifische Binnenlogik, die die Institution sich zueignet. Diese Binnenlogik bestimmt unter anderem darüber, welches des aus den zahlreichen Verbindungslinien vor Ort generierten Wissens wissenschaftlich als valide und relevant zu gelten hat. Die (internen) Maßstäbe dieser Definitionsmacht sind nicht nur wandelbar, sie sind auch nie vollständig nachvollziehbar, unter anderem, weil sie eine immanent politische wie wissenschaftliche Seite haben: heutzutage wäre in der Valorisierung und Hierarchisierung von spezifischen Verbindungslinien etwa internationale Sichtbarkeit entscheidend; vor 80 Jahren war es vielleicht die Zuschreibung einer spezifisch deutschen Wesensart. Zweitens unterliegen die Verbindungslinien selbst gewissen Ordnungsprinzipien, die mit der institutionellen Binnenlogik nicht unbedingt in Übereinstimmung stehen müssen, die aber dennoch in ihrer lokalen Ausprägung von dieser Logik beeinflusst sind. Dazu genügt es freilich nicht, die Reputation von 39 Benoit Godin/Yves Gingras, The Place of Universities in the System of Knowledge Production, in: Research Policy 29 (2000) 2, 273 – 278; Irwin Feller/George Gamota, Science Indicators as Reliable Evidence, in: Minerva 45 (2007) 1, 17 – 30. 40 Paula E. Stephan, How Economics Shapes Science, Cambridge, MA: Harvard University Press 2012.
24
Thomas König
an dieser Institution angestellten Personen zu referieren, und es genügt nicht, Fachbereiche und Forschungsgruppen darzustellen; sondern ihre Bedeutung muss plastisch, ihre Relevanz empirisch fassbar gemacht werden. Die Verbindungslinien, die unter dem Einfluss einer spezifischen organisatorischen Binnenlogik stehen, ergeben Figurationen, manche von diesen selbst wieder flüchtig, manche dauerhafter, manche von überragender Bedeutung und manche nur lokal relevant. Das eingangs zu diesem Kapitel gewählte Beispiel ist flüchtiger Teil einer recht verstetigten Figuration, eines Austauschprogramms, das anderswo ausführlicher behandelt wurde.41 Der Begriff der Figuration greift auf Norbert Elias zurück, der damit die Beschreibung und Analyse verschiedener Arten von »Verflechtungen«42 von Individuen erzielen wollte, mit der Absicht, die »Aufmerksamkeit auf die Interdependenzen der Menschen«43 zu lenken. Figurationen der Wissenschaft sind eine Weiterentwicklung dieser Heuristik. Sie bestehen gewissermaßen aus Spuren verschiedenster Art: wissenschaftlichen, intellektuellen, persönlichbiographischen, administrativ-organisatorischen, kulturellen, politischen und ökonomischen; jede Figuration hat ihre eigene Qualität, setzt sich spezifisch aus diesen genannten Spuren zusammen. An der Universität treten Figurationen der Wissenschaft notwendigerweise gehäuft auf; sie nehmen auch, aufgrund der Binnenlogik der Institution spezifische Formen an. Wie sie sich in Hinblick auf ihre gesellschaftliche Bedeutung analysieren lassen, stellt freilich ein zentrales Desiderat der Forschung dar. Eine bereits ausgelotete Möglichkeit stellen Ressourcen dar, anhand derer die gegenseitige Wertschätzung von Politik und Wissenschaft füreinander ermessen werden kann.44 Sowohl die quantitativ feststellbare Ressourcenverfügbarkeit für ein bestimmtes wissenschaftliches Vorhaben – sei es spezifisch als ein Projekt, sei es als langfristige Investition in ein erkenntnistheoretisch begründetes Konzept, oder sei es als Vorschuss in eine sich noch entwickelnde wissenschaftliche Persönlichkeit – als auch die davor stattfindende Verhandlung über diese Verfügbarkeit liefern faszinierende Einblicke in die Wertschätzung von spezifischen wissenschaftlichen Forschungsleistungen. Ressourcen sind freilich nur eine von mehreren möglichen Konstellationen, um der Frage nach der Be41 König, Fulbright Program. 42 Norbert Elias, Was ist Soziologie?, Weinheim: Juventa-Verlag 1996, 79; siehe auch Norbert Elias, Engagement und Distanzierung, in: Norbert Elias (Hg.), Arbeiten zur Wissenssoziologie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1990, 7 – 71. 43 Elias, Was ist Soziologie?, 144. 44 Mitchell Ash, Wissenschaft und Politik als Ressourcen für einander, in: Rüdiger vom Bruch/ Brigitte Kaderas (Hg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik – Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart: Steiner 2002, 32 – 51.
Figurationen der Wissenschaft und Universität
25
deutung nachzugehen, weil auch sie nur ein Teilaspekt spezifischer Figurationen sind. Es ist notwendig, in der Analyse von Figurationen der Wissenschaft drei Ebenen zu unterscheiden: den Diskurs über eine wissenschaftliche Figuration; die Ausstrahlung, welche diese Figuration insbesondere in wissenschaftlicher Hinsicht zu erzielen vermag; und die Kraft der Verstetigung, die dieser Figuration eignet. Unser Beispiel gibt Einblicke in diese drei Ebenen und die Rolle, welche die Universität darin spielt. Über die eigentliche Figuration (ein globales Austauschprogramm als spezifisches kulturdiplomatisches Produkt des Kalten Krieges)45 wird der Diskurs über die Universität mitgeprägt; sowohl wissenschaftliche Ausstrahlung als auch institutionelle Kraft der Figuration hängt zumindest im lokalen Raum an der Universität, mit der sie eine strategische Verbindung eingegangen ist. Allgemeiner gesprochen: Die Rolle, welche eine Universität in Bezug auf die drei genannten Ebenen einnimmt, ist unterschiedlich stark ausgeprägt und hängt davon ab, in welchem Ausmaß die spezifische Figuration mit der Institution verknüpft ist. Nach allem bisher Gesagten aber ist evident, dass sie als institutioneller Anker für Diskurs, Ausstrahlung und Kraft einer Figuration bedeutend ist. Umgekehrt bedeutet dies auch, dass die Analyse von Figurationen entlang dieser drei Ebenen geeignet ist, die Bedeutung der Universität zumindest in gewichtigen Ausschnitten besser zu erfassen. Bedeutung jedoch benötigt einen Kontext für Bezugspunkte; oder genauer gesagt, sie benötigt eigentlich zwei Kontexte. Der erste betrifft die historische Entwicklung der Institution selbst, der zweite Kontext eine einigermaßen präzise historische Angabe der spezifischen Reichweite dieser Bedeutung. Wie auch die Konzeptualisierung der Figurationen von Wissenschaft sind diese beiden Kontexte noch Desiderate der Wissenschaft; im Folgenden wollen wir dennoch einen ersten Aufriss basierend auf aktueller Forschung wagen.
45 Frank A. Ninkovich, The Diplomacy of Ideas: U.S. Foreign Policy and Cultural Relations, 1938 – 1950, Cambridge: Cambridge University Press 1981; Richard T. Arndt, The First Resort of Kings. American Cultural Diplomacy in the Twentieth Century, Dulles: Potomac Books 2006; Paul A. Kramer, Is the World Our Campus? International Students and U.S. Global Power in the Long Twentieth Century, in: Diplomatic History 33 (2009) 5, 775 – 806; Sam Lebovic, From War Junk to Educational Exchange: The World War II Origins of the Fulbright Program and the Foundations of American Cultural Globalism, 1945 – 1950, in: Diplomatic History 37 (2013) 2, 280 – 312.
26
Thomas König
Geschichte der Universität Wien Kehren wir zu dem Bericht des amerikanischen Besuchers zurück. Bemerkenswert ist ja nicht, dass darin eine unerwartete Wende zutage geliefert wird, sondern dass er einer von vielen Berichten ist, die vom Gewöhnlichen berichten; eine Bestätigung dessen, was uns heute über die Universität Wien aus jenem Zeitraum als selbstverständlich erscheint, auch wenn es für den Autor Ausdruck seiner persönlichen Enttäuschung war. Ähnlich dürfte der Text auch in seiner Zeit von der Handvoll Personen, die ihn gelesen haben, interpretiert worden sein. Damit machen wir bereits den Schritt in den Kontext: Beschwerden über die Universität, die schlechte Ausstattung, die Unzugänglichkeit der Professoren und die mangelnde Disziplin der Studierenden finden sich in diesen Berichten zuhauf. Die wechselvolle Geschichte der Universität Wien in jüngerer Zeit bis in die Gegenwart ist in vielen Einzeldarstellungen von Disziplinen, Köpfen, Instituten und in Bezug auf bestimmte Perioden vielfach beleuchtet worden.46 Auch wenn eine synthetische Darstellung über diese Perioden hinweg noch nicht vorliegt, so machen diese in den letzten Jahren entstandenen, auf gründlicher Quellenrecherche basierenden Publikationen, einschließlich der anlässlich des Jubiläumsjahres nun herausgegebenen Sammelbände und andere das 650jährige Gründungsdatum zum Anlass nehmende Texte, kursorisch eine Geschichte der Universität deutlich. Diese Geschichte ließe sich wie folgt skizzieren: Dem Aufstieg zu einer frühen Forschungseinrichtung und einem recht produktiven Zentrum im kulturell prosperierenden Fin de SiÀcle Wiens folgten der teils erlittene, teils selbst herbeigeführte Abstieg zur Provinzuniversität in dem klein gewordenen Österreich und die mit einigen Schmerzen unternommene Anstrengung, wieder zu einer großen, diesmal europäischen Forschungsuniversität zu werden. Von entscheidender Bedeutung waren bei diesen Vorgängen sowohl dominante, ideologisch 46 Um nur die wichtigsten Meilensteine zu nennen: Jan Surman, Habsburg Universities 1848 – 1918, phil. Diss., Wien 2012; Klaus-Dieter Mulley/Oliver Rathkolb/Sebastian Meissl (Hg.), Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne: Entnazifizierung in Österreich 1945 – 1955, Bad Vöslau: Verlag für Geschichte und Politik 1986; Gernot Heiss/Siegfried Mattl/Sebastian Meissl/Edith Saurer/Karl Stuhlpfarrer (Hg.), Willfährige Wissenschaft. Die Universität Wien 1938 – 1945, Wien: Verlag für Gesellschaftskritik 1989; Margarete Grandner/Gernot Heiss/Oliver Rathkolb (Hg.), Zukunft mit Altlasten. Die Universität Wien 1945 bis 1955, Wien: Studien Verlag 2005; Mitchell G. Ash/Wolfram Nieß/Ramon Pils (Hg.), Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus: Das Beispiel der Universität Wien, Göttingen: Vienna University Press 2010; Thomas Olechowski/Tamara Ehs/Kamila Staudigl-Ciechowicz, Die Wiener Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1918 – 1938 (Schriften des Archivs der Universität Wien 19), Göttingen: Vienna University Press 2014; Klaus Taschwer, Hochburg des Antisemitismus. Über den wissenschaftlichen Niedergang der Universität Wien im 20. Jahrhundert, Wien: Czernin 2015.
Figurationen der Wissenschaft und Universität
27
angeleitete Konzepte, die von handelnden Akteuren an der Universität umgesetzt wurden, als auch spezifische Vorstellungen darüber, welche organisatorische Binnenstruktur die Universität annehmen sollte. Betreffend die ideologisch angeleiteten Konzepte: Der deutsch-liberale Geist des 19. Jahrhunderts, der in Konfrontation mit der politischen Realität des Vielvölkerstaats einen akademischen Kompromiss fand;47 die national-deutsche Idee, die von Beginn des 20. Jahrhunderts an mit dem politischen Katholizismus eine blutige und instabile Verbindung einging, um die »reflexiv-positivistische Position« von bedeutenden Denkern wie Freud, Mach, Schlick und Kelsen institutionell auszutreiben;48 und schließlich, nach Jahren der Restauration,49 die mühselige Ablösung dieses rasch zur provinziellen Ideologie verkommenen Modells aufgrund des aufgestauten Modernisierungsdrucks sowie sozial- und später wirtschaftspolitischer Erwägungen ab den 1960er Jahren.50 Waren hier zunächst die beiden verschränkten Leitbilder Demokratie und sozialer Ausgleich in einem (nunmehr modern-staatlich gedachten) nationalen Rahmen, so hat sich die Ideologie in den letzten 20 Jahren nochmals verschoben, hin zu ökonomisch gedeutetem Wettbewerb und sozialem Aufstieg (bzw. wissenschaftlicher Stratifizierung) im erweiterten Raum Europa. In Hinblick auf die Organisationsform waren für lange Zeit die vier klassischen Fakultäten und ihr Lehrpersonal das bestimmende Maß der Organisation, mit einer starken Leitung im zuständigen Ministerium und einer schwach ausgeprägten Universitätsleitung. Diese organisatorische Struktur erfuhr an der Universität Wien insofern eine Erweiterung und Adaptierung, als die evangelisch-theologische Fakultät 1922 als fünfte Einheit angefügt wurde; auch blieb die Struktur im Wesentlichen gleich, erfuhr aber über die Regimewechsel hinweg unterschiedliche Gewichtung, und wurde mit dem nationalsozialistischen Ter-
47 Jan Surman, Science and Its Publics: Internationality and National Languages in Central Europe, in: Mitchell Ash/Jan Surman (Hg.), The Nationalization of Scientific Knowledge in the Habsburg Empire, 1848 – 1918, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2012, 30 – 56. 48 Johannes Feichtinger, Wissenschaft als reflexives Projekt: von Bolzano über Freud zu Kelsen – Österreichische Wissenschaftsgeschichte 1848 – 1938, Bielefeld: transcript 2010. 49 Christian Fleck, Autochthone Provinzialisierung: Universität und Wissenschaftspolitik nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Österreich, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 7 (1996) 1, 67 – 92; Christian H. Stifter, Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration. US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941 – 1955, Wien: Böhlau 2014; Mario Wimmer, Unter den Talaren. Bemerkungen zur Wiedereinfu¨ hrung der Amtstracht (1926) und der Einfu¨ hrung des Professorentalars (1965) an der Universität Wien, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 16 (2005) 2, 129 – 138. 50 König, Konserven des Geistes.
28
Thomas König
rorregime für kurze Zeit auch völlig umgestellt.51 Nachhaltige Reorganisation erfuhr sie aber erst 30 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem UniversitätsOrganisationsgesetz von 1975, mit welchem die Universität auch die neue Rolle einer (pejorativ so genannten) »Massenuniversität« annahm.52 Mit der Universitätsreform 2002 schließlich erlangte die Universität Wien eine Form der institutionellen Autonomie, die es ihr erlaubte, erstmals in weiten Teilen ihre eigene Binnenstruktur und -hierarchie zu etablieren. Anzumerken ist hier, dass die ideologischen Konzepte mit der organisatorischen Binnenstruktur in Verbindung standen. Dies bezog sich nicht nur auf den Zusammenhang von (universitären) Trägern dieser Ideologien und der Art und Weise, wie sie daraus die Universität gestalten versuchten; es bezog sich auch (wenngleich in wechselndem Ausmaß) auf die Art und Weise, wie die Ideologie von der Organisationsform bestimmt wurde. Im 19. Jahrhundert war dies noch eine subtile Beziehung: der Rolle der Professoren als auch im öffentlichen und politischen Diskurs wichtige Personen wurde mit der so genannten »Ordinarienuniversität« ohnehin und scheinbar naturwüchsig Rechnung getragen. Spätestens mit den Konflikten zu Beginn des 20. Jahrhunderts um die Badenischen Sprachverordnungen, und später mit den handfesten weltanschaulichen Konflikten, die in den 1930er Jahren mit der Gleispachschen Studentenordnung sogar vom Verfassungsgericht behandelt wurden; spätestens mit Schuschniggs »Hochschullagern« wurde die Universität endgültig Gegenstand gesellschaftspolitischer Visionen.53 Der totalitäre Anspruch ging nach 1945 verloren, bzw. wich zunächst der konservativ-katholischen Restauration, die sich organisatorisch auf Altbewährtes berief,54 ehe die Universität zum Hort demokratischer Mitbeteiligung stilisiert wurde und entsprechend umgemodelt wurde,55 was dann im fließenden Übergang und spätestens seit den 1990er Jahren selbst wieder ins nunmehr dominante Leistungsprinzip kippte. Bemerkenswert darin ist: Je mehr Gestaltungsspielraum (ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts) die universitären Funktionsträger erhielten, desto mehr wurde versucht, die dominanten Ideologien 51 Albert Müller, Dynamische Adaptierung und ›Selbstbehauptung‹. Die Universität Wien in der NS-Zeit, in: Geschichte und Gesellschaft 23 (1997) 4, 592 – 617. 52 Kneucker, Das Universitäts-Organisationsgesetz 1975. 53 Brigitte Lichtenberger-Fenz, »… deutscher Abstammung und Muttersprache«. Österreichische Hochschulpolitik in der Ersten Republik, Wien: Geyer-Edition 1990; Tamara Ehs, Der »neue österreichische Mensch«. Erziehungsziele und studentische Lager in der Ära Schuschnigg 1934 bis 1938, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 62 (2014) 3, 377 – 396. 54 Oliver Rathkolb, Die Universität Wien und die ›Hohe Politik‹ 1945 bis 1955, in: Grandner/ Heiss/Rathkolb (Hg.) Zukunft mit Altlasten, 38 – 50; Thomas König, Die Entstehung eines Gesetzes: Österreichische Hochschulpolitik in den 1950er Jahren, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 23 (2012) 2, 57 – 91. 55 Henrik Kreutz/Heinz Rögl, Die umfunktionierte Universitätsreform. Von der Steigerung der Produktivität zur staatlichen Förderung sozialen Aufstiegs politischer Kernschichten, Wien: WUV 1994.
Figurationen der Wissenschaft und Universität
29
in die Organisationsform einzupassen, mit dem ironischen Effekt, dass die Organisationsform mehr und mehr zum Selbstzweck der Ideologie der Universität wurde – und die größeren weltanschaulichen Werte früherer Tage aus dem Blickfeld gerückt wurden. Das Narrativ der Geschichte der Universität Wien, das zutage tritt, ist also eines von spektakulärem Aufstieg, gefolgt von ebenso spektakulärem Verfall, der von einer Phase der Normalisierung und zunehmenden Orientierung nach internationalen Maßstäben abgelöst wurde. Im Kontext dieses Narrativs wird deutlich, warum der Autor der eingangs zitierten Miszelle sich so negativ über die Universität Wien geäußert hat. Seine Erwartungshaltung war an einer früheren Periode orientiert, seine Erfahrung konfrontierte ihn mit den Auswirkungen der Periode des Niedergangs. Deshalb ist dieser Text auch keineswegs allein; kritische Äußerungen über die Universität, über die Wissenschaften und ihre Beziehung zum Staat Österreich aus diesem Zeitraum gibt es einige.56
Reichweiten von Figurationen Das Problem an Begriffen wie Aufstieg, Verfall und Normalisierung in Bezug auf eine Einrichtung wie die Universität ist allerdings, dass die in ihnen befindliche Wertung moralisierend bleibt, so lange kein Rahmen für ihre historische Einordnung angeboten wird. Die Bedeutung einer spezifischen, mit der Universität Wien verbundenen Figuration von Wissenschaft ist nur zu ermessen, wenn es ein Maß für die relative Reichweite gibt. Das ist das dritte Forschungsdesiderat: Es mangelt nämlich an einer Bestimmung solcher Reichweiten bzw. einer Reflexion jener räumlichen Kontexte, in denen eine solche Bestimmung vorgenommen wird. Reichweiten ändern sich, und entsprechend unterscheiden sich Bedeutungsrelationen im geschichtlichen Verlauf. Um sie historisch erfassen und damit eine Kontextualisierung von Figurationen von Wissenschaft leisten zu können, wäre es notwendig, Reichweiten nach zweierlei Maß zu differenzieren. Einerseits sind sie nach Bezugsräumen zu unterscheiden: Hier könnte man von primären, sekundären, etc. Reichweiten sprechen. Andererseits sind auch unterschiedliche Arten von Reichweiten auseinanderzuhalten: Ähnlich wie bei den Spuren, aus denen sich die Figurationen von Wissenschaft zusammensetzen, 56 Martin F. Herz, Understanding Austria: The Political Reports and Analyses of Martin F. Herz, Political Officer of the U.S. Legation in Vienna, 1945 – 1948, Salzburg: W. Neugebauer 1984; Dirk Raith, Wien darf nicht Chicago werden?! Ein amerikanischer Soziologe u¨ber Österreich, die Nazis und das IHS, in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie 26 (2001) 3, 46 – 65; Christian Fleck, Österreichs Wissenschaften in den Augen amerikanischer Besucher, in: wiener zeitschrift zur geschichte der neuzeit 5 (2005) 1, 119 – 134.
30
Thomas König
wäre von wissenschaftlichen, soziopolitischen, kulturellen, und ökonomischen Reichweiten zu sprechen. Bleiben wir für den weiteren Verlauf bei einer jedenfalls zentralen Art von Reichweite, nämlich der soziopolitischen. Zum einen haben sich die primären (oder unmittelbaren) Herrschaftsräume, innerhalb derer die Universität Wien in den letzten 150 Jahren verortet war, stark verändert. Das hatte auch unmittelbaren Einfluss auf die Stellung der Universität Wien selbst: Vom Zentrum einer österreichisch-imperialen akademischen Welt im Wettkampf der europäischen imperialen Mächte57 zu einer als zu groß empfundenen Einrichtung in einer als »Wasserkopf« denunzierten Hauptstadt eines Kleinstaats,58 zu einer neben einer Reihe von bedeutenden Universitäten in einem ebenso dynamischen wie gewaltsamen großdeutschen Behemoth,59 zum provinziellen Außenposten eines von zwei globalimperialen Herrschaftssystemen (wobei es hier auch noch weiterhin bei einer vom großen deutschen Nachbarn geprägten akademischen Kultur verblieb), hin zu einer von mehr als eintausend ähnlichen Institutionen im instabilen, dynamischen Forschungsraum der Europäischen Union.60 Sich verschiebende Bedeutungsräume, und daraus resultierend: unterschiedliche Perspektiven auf die Universität. Nicht nur der primäre Herrschaftsraum unterlag einem deutlichen Wandel in Gestalt, Typus, und Ausdehnung; auch die globale Herrschaftsgeschichte der letzten 150 Jahren ist wechselvoll. Man könnte dafür vielleicht bei der fortschreitenden historiographischen Debatte zu Imperien als eine vom Nationalstaat unterschiedliche Herrschaftsstruktur anknüpfen: Während der Nationalstaat eine politisch kohärente Gruppe entwickeln, klare Grenzen haben und sich kulturell wie politisch um sein Zentrum organisieren soll, zeichnet sich das Empire durch unklare und permissive Grenzen aus, und weiter dadurch, dass die kulturelle Dynamik an diesen Grenzen stattfindet, dass es multikulturell ist und
57 Die Bezeichnung in Anlehnung an den Titel des Buches von Tamson Pietsch, Empire of Scholars: Universities, Networks and the British Academic World, 1850 – 1939, Manchester : Manchester University Press 2013. 58 Christian Fleck, Transatlantische Bereicherungen: zur Erfindung der empirischen Sozialforschung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2007. 59 Vgl. aus wissenschaftspolitischer Perspektive Anne Christine Nagel, Hitlers Bildungsreformer : das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1934 – 1945, Frankfurt a.M.: Fischer 2012. 60 Thomas Banchoff, Institutions, Inertia and European Union Research Policy, in: Journal of Common Market Studies 40 (2002) 1, 1 – 21; Ýlvaro de Elera, The European Research Area: On the Way Towards a European Scientific Community?, in: European Law Journal 12 (2006) 5, 559 – 574; Meng-Hsuan Chou, Constructing an Internal Market for Research through Sectoral and Lateral Strategies: Layering, the European Commission and the Fifth Freedom, in: Journal of European Public Policy 19 (2012) 7, 1052 – 1070.
Figurationen der Wissenschaft und Universität
31
politisch streng hierarchisch organisiert.61 Allerdings ist diese idealtypische Konstruktion mehr eine Juxtaposition von Nationalstaat und Empire, während der hier präferierte Begriff der Reichweiten darauf hinzielt, in Ergänzung zum Nationalstaat als primärem Herrschaftsraum noch eine (oder vielleicht sogar mehrere) hegemoniale soziopolitische Strukturen zu verorten.62 Es ist jedenfalls klar, dass der gezeigte Wechsel an Herrschaftsräumen recht unmittelbar Auswirkungen auf die Bedeutung der mit der Universität verknüpften Figurationen von Wissenschaft hatte. Angesichts dessen ist es historisch inakkurat, von einer einigermaßen gleichmäßigen Entwicklung über den Untersuchungszeitraum hinweg auszugehen. Es ist ebenso problematisch, das heutige Wertmaß unhinterfragt an Bedeutungsrelationen früherer Perioden anzulegen, auch wenn dies regelmäßig geschieht. Um die lokalen Figurationen von Wissenschaft in ihrem historischen Kontext verstehen zu können, braucht es also auch eine historisch dynamische soziopolitische Kartographie, auf welcher die genannten Herrschaftsräume verzeichnet sind. Die Schwierigkeit ist freilich nicht nur, die gängige Idee dominanter Staatlichkeit konzeptionell zu überwinden. Schon begrifflich stoßen wir erstaunlich schnell an eine Grenze, wenn es darum geht, Formen moderner Herrschaftsorganisation jenseits des Staates zu denken.63 Hier wären relationale Begriffspaare wie Zentrum und Peripherie ebenso angebracht wie solche aus der politischen Ökonomie, also Kapitalismus und Staatlichkeit, aber auch solche der politischen Geographie, also Eurasien und der transatlantische Raum.
4.
Zur Entstehungsgeschichte dieses Bandes
Figurationen, Narrative, Reichweiten – es waren in erster Linie diese heuristischen Kategorien, die es uns reizvoll erscheinen ließen, Beiträge zur Geschichte der Universität Wien zu sammeln und in einem eigenen Band herauszugeben. Jeder dieser Beiträge soll im Einzelnen jene Geschichtsschreibung vorstellbar machen, von der wir glauben, dass sie der historischen Bedeutung von Universität gerecht zu werden vermag. Damit sollen nochmals die wesentlichen Eckpunkte unserer ursprünglichen Bandkonzeption dargelegt werden: Denn 61 Jane Burbank/Frederick Cooper, Empires in World History : Power and the Politics of Difference, Princeton: Princeton University Press 2010, 8. 62 Charles S. Maier, Among Empires: American Ascendancy and Its Predecessors, Cambridge, MA: Harvard University Press 2006; John Darwin, After Tamerlane: The Global History of Empire since 1405, New York: Bloomsbury Press 2008. 63 Weiterführend: Andreas Wimmer/Nina Glick Schiller, Methodological Nationalism and Beyond: Nation–state Building, Migration and the Social Sciences, in: Global Networks 2 (2002) 4, 301 – 334.
32
Thomas König
was in den vorigen Abschnitten vielleicht zuweilen wie eine Revolution der Universitätsgeschichtsschreibung geklungen haben mag, muss nun wieder auf den Boden der Realität akademischer Produktionsweise zurückgebracht werden. Angesichts der bescheidenen Kräfte, die diesen Band getragen haben, war es von Anbeginn unmöglich, die Bedeutung von spezifischen, mit der Universität Wien verknüpften Figurationen von Wissenschaft entlang der zuvor genannten drei Ebenen – Diskurs, Ausstrahlung, Kraft – systematisch und über eine längere Periode zu behandeln. Trotz dieses Mangels wollten wir den Versuch wagen, die Leitlinien der eingangs skizzierten Wissensgeschichte aufzugreifen, die gewohnten Pfade der Universitätsgeschichtsschreibung zu verlassen und dort nachzubohren, wo uns interessante Aspekte aufzutauchen schienen, die aber bislang vernachlässigt wurden. Figurationen der Wissenschaft stellen intermediäre Positionen dar – sie zwingen dazu, die Innenperspektive der Universität mitzudenken, sind aber auf die kontextuelle Verortung ausgerichtet. Für uns bieten spezifische Typen von Figurationen den Anlasspunkt, um die Frage nach der historischen Bedeutung der Universität Wien neu und möglichst unkonventionell zu beleuchten. Historisch haben Figurationen ihren textlichen Ausdruck in verschiedenen Formen und Quellentypen gefunden: In Zeitschriften und Zeitungen ebenso wie in literarischen Werken, in Sachbüchern und persönlichen Aufzeichnungen, Briefwechseln, in behördlichen Dokumenten, etc. – all dem Material eben, das HistorikerInnen allgemein gewohnt sind auszuwerten. Das bedeutet nicht unbedingt, dass diese Aspekte keine Aufmerksamkeit erhalten hätten; es verhält sich aber so, dass sie im eher kleinen Garten der Universitätsgeschichtsschreibung bislang kaum Berücksichtigung gefunden haben. Warum? Das liegt wohl daran, dass diese spezifische Subkategorie der Historiographie gewisse festgeschriebene Rahmen hat, die sich nur schwer sprengen lassen. Nicht zuletzt deshalb sind diese Beiträge auch außerhalb dessen, was heute allgemein als zugehörig zu dieser Art von Geschichte verstanden wird. Wir haben Personen eingeladen, sich über spezifische Aspekte der Universität Wien und ihre Außenbeziehungen Gedanken zu machen, basierend auf einem ersten rudimentären Konzept, das wir auch im Sinne der Transparenz gern zur Verfügung stellen wollen.64 Vier Prämissen standen zu Beginn der Konzeption des Bandes. – Erstens der Mut zur Lücke: Eine systematische Behandlung der genannten Themen schien uns unter den gegebenen, auch genannten Begleitumständen unmöglich, daher sollte konsequent eine Selektion der zu behandelnden Fragestellungen getroffen werden. 64 Thomas König/Margarete Grandner, Reichweiten und Außensichten https://www.academia.edu/ 9152156/ (abgerufen am 6.11. 2014).
Figurationen der Wissenschaft und Universität
33
– Zweitens sollte »Universität Wien« als ein möglichst vielschichtiger Bezugspunkt, eben als lokal bedeutender Kreuzungspunkt von vielen Wissensfigurationen verstanden werden. Beziehungen zur/von der Universität Wien werden über einzelne Personen und Einrichtungen, sowie die Fakultäten und die Gesamteinrichtung hergestellt; die Frage, wer wird als »die Universität« wahrgenommen, ist dabei jedenfalls mitzudenken. – Drittens sollte in jedem der einzelnen Beiträge der Fokus auf Querschnittmaterien gelegt werden. Damit ist gemeint, dass mehrere Disziplinen, längere Perioden, oder unterschiedliche Akteursgruppen analysiert werden. – Viertens war es notwendig, Fragestellungen spezifisch an die wechselseitige Wirkungs- und Wahrnehmungsgeschichte anzupassen, und damit über den engen Fokus auf die Institution hinauszugehen. Wiewohl die Beiträge und auch viele andere Aspekte einige Wandlungen durchgemacht haben, haben sich diese Prämissen nicht verändert; sie bilden das Grundgerüst der vorliegenden Textsammlung. Nach inhaltlicher Betreuung jener Texte, die zustande gekommen sind, und nach einigen Diskussionen, nach welchen Gesichtspunkten diese doch sehr heterogenen Texte zusammenzufassen wären, haben wir bemerkt, dass wir sehr grundsätzliche Fragen der Universitätsgeschichtsschreibung berühren – weitaus grundsätzlicher, als wir das vielleicht ursprünglich intendiert hätten. Sie haben uns aber auch vor Augen geführt, warum die Konfrontation der traditionellen Universitätshistoriographie mit der Wissensgeschichte so aufregend ist, wenngleich die konzeptionellen Schwierigkeiten noch eine große Herausforderung darstellen. Zu Beginn ihres Beitrags über Textbilder zur Universität Wien macht die amerikanische Literaturwissenschafterin Katherine Arens einen erstaunlichen Befund: Nur wenig literarische Werke der letzten beiden Jahrhunderte haben sich explizit mit dem Haus am Ring beschäftigt. Aus der dennoch beeindruckenden Fülle an Material, das sie sodann zusammenstellt, bemerkt sie, dass die Universität fixer Bestandteil des Wiener Stadtlebens war, und ihre BewohnerInnen – ProfessorInnen, wissenschaftliche Angestellte und Studierende – stets Teil der städtischen Alltagswelt waren. Daher seien die allermeisten Textbilder von einem nahezu anti-elitären Duktus getragen, der sich sogar in flüchtigeren Erscheinungsformen, wie den rund um die #unibrennt Protestbewegung vor wenigen Jahren entstandenen Gebrauchstexten, äußert. Die unterschiedlichen Hintergründe (oder Spuren), die zur Etablierung einer eigenen Wiener Schule der Balkanforschung geführt haben, beleuchtet sodann Oliver J. Schmitt in seinem Beitrag. Schmitt macht deutlich, dass ein Forschungsschwerpunkt wie der von ihm analysierte immer mehr bedeutet als nur wissenschaftliche Aktivitäten, sondern dass damit eine Reihe sozialer, politi-
34
Thomas König
scher und kultureller Verbindungen einhergehen, die – wenn man ihnen nachgeht – zuweilen erstaunliche historische Eigendynamiken entwickeln. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Rolle der Universität und ihrer maßgeblichen Akteure legt Klaus Taschwer vor. Taschwer hat ein einzigartiges Archiv von Zeitungsartikeln aus der Zwischenkriegszeit erschlossen, aus dem sich detaillierter als aus sonst irgendeinem bisher bekannten Verbund die politischen, soll heißen antisemitischen und rechtsextremen Exzesse seit 1920 sichtbar machen lassen. Dabei zeigt Taschwer auch, dass die Zeitungen selbst in die Universitätspolitik eingegriffen haben, und öffentlichkeitswirksame Instrumente der extremistischen und diskriminierenden Universitätspolitik jener Jahre waren. Ebenfalls die Außenperspektive beleuchtet Christian Fleck in seinem Beitrag über die Wahrnehmung der Universität Wien aus Sicht der Rockefeller Foundation, ihrer Mitarbeiter und der WissenschafterInnen, die ihre »Wanderlust« von der amerikanischen philanthropischen Stiftung bezahlt bekamen. Fleck behandelt eine Periode, in der akademische Mobilität noch keine Anforderung für die weitere wissenschaftliche Karriere war ; er zeigt auch noch einmal nachdrücklich auf, dass die Reputation der Universität Wien im Verlauf des Untersuchungszeitraums verfiel, wenigstens wenn man sie an dem im scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg befindlichen amerikanischen Hegemon bemaß. Zuletzt wirft Maria Wirth in ihrem Beitrag einen institutionspolitischen Blick auf die Rolle der Universität Wien in der Gründung von neuen Einrichtungen an der Schnittstelle zwischen wissenschaftlicher Praxis, wirtschaftlicher Verwertung und gesellschaftlicher Bedeutung. Die Gründung des Campus Vienna Biocenter war von Mitgliedern der Universität Wien stark forciert und von der Institution selbst stets tatkräftig unterstützt worden. Heute stellt das Biocenter eine der wichtigsten und renommiertesten Forschungsinfrastrukturen des Landes dar ; es ist auch, so die Autorin, ein »globales Dorf« in der Stadt, das dem Standort und seiner größten Universität wesentliche internationale Impulse zu geben vermochte. Zuletzt ein paar Worte des Danks: Dieser geht selbstverständlich zunächst an die Autorinnen und Autoren dieses Bandes. Weiter sei auch Herbert Posch und Katharina Kniefacz gedankt, die uns stets freundlich mit Tipps zur Seite gestanden haben. Seyma Bicakci hat uns bei der Beschaffung von Daten in großzügiger Weise unterstützt. Last not least, Margarete Grandner war die beste Mitherausgeberin, die ich mir wünschen konnte. Dass sie an dieser Einleitung nicht in dem Ausmaß mitwirken konnte wie ursprünglich geplant, ist ausschließlich dem großen Arbeitsaufwand geschuldet, der mit ihrer Position als Studienprogrammleiterin an der Universität Wien einhergeht.
Katherine Arens
Ein universitärer Vielvölkerstaat: Die Universität Wien in Textbildern
Eine 2014 informell, aber gründlich durchgeführte Umfrage unter fast 300 Fachprofis für österreichische Literatur- und Kulturgeschichte ergab etwas Unerwartetes. Gefragt wurde nach Literaturtexten, in denen die Universität Wien eine bedeutende Rolle spielt;1 die daraus resultierende Liste allerdings war keine 15 Zeilen lang, selbst wenn einzelne Szenen in Texten zu anderen Themen berücksichtigt wurden. In einigen Romanen und Theaterstücken kommen zwar kurze Erwähnungen von Vorlesungen an der Universität vor; in anderen liest man Geschichten über Universitätsprofessoren und (durchaus seltener) ihre Forschungen, die aber sonst wenig mit der Universität zu tun hatten. Der geplante Aufsatz zu den Erscheinungsformen der Universität Wien in der hohen Literatur wäre also angesichts des Fehlens eines solchen Kanons recht kurz ausgefallen. Nun weist freilich die sogenannte kritische Diskursanalyse darauf hin,2 dass beim Deuten von Repräsentationen nicht nur besondere Textarten in Betracht gezogen werden müssen, wie zum Beispiel die »Literatur«, sondern auch das Repertoire von Sprech- und Schreibhandlungen – »Performances« –, die mit sprachlichen Mitteln das Diskursobjekt realisieren und umschreiben. Es war eine reizvolle Herausforderung, dies als Anlass zu nehmen, um die Frage nach den diskursiven Repräsentationen der Universität auszuweiten und mit solchen Text- und Diskursformen zu beantworten, die neben der »hohen« Literatur existieren. Ein solches Repertoire wäre nicht nur weitaus umfangreicher als die eingangs erwähnte schmale Liste, es könnte auch leichter Rechenschaft legen über das textuelle und sprachliche Leben der Universität, ihren Ruf und ihre 1 Ich bin vielen KollegInnen für ihre Textvorschläge dankbar, besonders Günter Bischof, Geoff Chew, Gary B. Cohen, Nele Hempel-Lamer, Julie Johnson, Wynfrid Kriegleder, Ferenc L. Laczo, Jonathan J. Long, Gloria Man, Lorraine Markotic, Melanie Murphy, Helga Schreckenberger und Marianne Windsperger. Cindy Walter-Gensler leistete wichtige Hilfe beim Fertigstellen des Aufsatzes. 2 Die kritische Diskursanalyse ist mit Forschern wie Norman Fairclough, Ruth Wodak und Teun van Dijk assoziiert.
36
Katherine Arens
Stellung als Element der (österreichischen) Öffentlichkeit und ihrer gesellschaftlichen Imaginäre.3 Freilich ist die Flüchtigkeit dieses Materials ein zentrales Problem, genauer gesagt der Umstand, dass Aufzeichnungen dieser »niedrigen« Text- und Diskursformen in historischer Perspektive nur sehr selektiv zur Verfügung stehen. Dennoch: Von der ursprünglichen Aufgabenstellung – einen Abriss der Universität Wien in der österreichischen Belletristik zu liefern – verlagerte (oder : vergrößerte) sich der Schwerpunkt dieses Aufsatzes zu einer Erörterung von Diskurserscheinungen des Hauses am Universitätsring (der bis vor kurzem noch Luegerring hieß), mithin: Wer von diesem Haus spricht, und wie. Gestaltung, Stellenwert und Aussagekraft der Universität als eine Art Denkfigur oder Trope in literarischen Texten sind aber nur zu verstehen, wenn das Umfeld der sinnstiftenden Diskurse in Betracht gezogen wird: Der Ort, an dem und von dem aus man über es spricht; die Ideologien dahinter, die Identitäten sprachlich einrichten und performativ (in Handlungen) umsetzen. Zuerst behandelt der vorliegende Aufsatz die örtliche Eingrenzung der Trope Universität in Österreich, besonders im Vergleich zu Universitätsromanen aus der angelsächsischen Sphäre. Zweck dieses Vergleichs ist eine generelle Erörterung der Bedeutung von Universität als sinn- und identitätsstiftender Ort innerhalb der Gesellschaft. Danach werden die Erscheinungsformen der Universität Wien in literarischen Texten behandelt, ihre Rollenbesetzung in der Diskurswelt. Vom ersten Anfang an erweist sich nicht die Institution sondern eher ihre Bevölkerung als Schwerpunkt dieser Diskurse, einer Bevölkerung, die die Universität als Teil der Stadt Wien und des Staates Österreich darstellt. Der letzte Teil widmet sich (exemplarisch) der performativen Selbstdarstellung des »niedrigen« Universitätsvolkes (der Studierenden und wissenschaftlichen Angestellten), konkret den Uni brennt Protesten gegen die Bologna-Reformen. Dieses zeitnahe Phänomen ist auch deshalb so interessant, weil es die ideologischen Inhalte der Uni-Repräsentationen in Taten umzusetzen versucht – es dient somit als Hinweis dafür, dass die Identität der Universität Wien bis heute als Kernbestandteil der Wiener Gesellschaft und des österreichischen Staats verstanden wird und seit 150 Jahren erstaunlich stabile Ausdrucksformen gefunden hat, trotz wechselnder soziopolitischer Rahmenbedingungen.
3 Das »Imaginäre« wurde von Jacques Lacan als das Sinnbild der Wirklichkeit umschrieben, das sich das Individuum durch Sprache und Erfahrung erstellt, und aufgrund dessen Identität und Handlungsmuster gefunden werden können.
Ein universitärer Vielvölkerstaat
1.
37
Die Universität als Grundlage und Standort einer sozialen Ideologie
Europas berühmteste Universitäten nehmen in Textdarstellungen oft die Gestalt beinahe sakraler Orte an, abgetrennt vom Alltagsleben und der Bildung eines Geistesadels gewidmet. Dies ist bei der Alma Mater Rudolphina Vindobonensis nicht der Fall. Ihre textuellen Erscheinungsformen in Biographien, Geschichte und Literatur weichen von denen etwa Oxfords und Cambridges stark ab. Der »Universitätspalast« Wiens von 1884 erscheint in öffentlichen (besonders touristischen) Darstellungen als Prachtbau an der Ringstraße, aber nur selten als Tempel der Weisheit.4 Man sieht in Literatur und Filmen eher flüchtige Blicke in Seminarräume oder Büros oder Touristen, die die Philosophenstiege hinaufsteigen, um die Gedenktafel für den ermordeten Moritz Schlick zu betrachten. Ob aber im alten Gebäude in der Postgasse oder im neuen am Ring, die Universität scheint stets als Teil der Stadt Wien auf, nie abseits. Ob in Literatur, Essayistik, Zeitungen oder Tagesnachrichten, viele Textstellen handeln davon, dass das Univolk, die Bevölkerung dieses Staates der Weisheit, aus diesen Sälen und Räumlichkeiten auf die Strassen und Gassen Wiens hinauskommt, und umgekehrt sich recht umstandslos aus der Alltagswelt in die Uni hineinbewegt – wie uns schon vor anderthalb Jahrhunderten Adalbert Stifter zeigte (was im folgenden Abschnitt zu behandeln ist). Genauere Vergleiche mit anderen europäischen Universitäten ähnlichen Formats machen die wesentlichen Unterschiede in der Repräsentation schnell klar. Die Jeunesse dor¦e Englands zum Beispiel erlebt (und inszeniert) an englischen Universitäten eine Art Arkadien; nach ein paar Jahren abgeschnitten von der Aussenwelt ist sie (auf ewig, wie es scheint) dazu verurteilt, sich an das Verpasste und das Vergangene zu erinnern, an einen Ort, wo sie einmal etwas an und für sich war – eigenständig und nicht als Abgesandte der Familie, des Standes oder der Nation. Das Wiedersehen mit Brideshead (Brideshead Revisited, Evelyn Waugh, 1945) läuft beispielsweise so ab.5 Und Dorothy Sayers Detektiv Lord Peter Wimsey macht in der Gaudy Night (1935) seiner heißgeliebten Harriet Vane den Heiratsantrag beim Klassentreffen in Oxford, wobei er sie als Magistra anredet: der akademische Grad macht sie zu einer standesge4 Kurt Mühlberger erzählt die Geschichte des 1884 eröffneten Hauses am Ring, sowie der Neuorganisation der Universität nach dem Humboldtschen Modell, in Palast der Wissenschaft. Ein historischer Spaziergang durch das Hauptgebäude der Alma Mater Rudolphina Vindobonensis, Wien: Böhlau 2007. Die Gedenktafel ist bei URL: http://sciencev1.orf.at/ gastgeber/139360.html abgebildet (abgerufen am 15. 5. 2014). 5 England hatte 1848 nur drei Universitäten: Oxford, Cambridge und die neue University of London. Siehe Christophe Charle, »Pattern«, in: Walter Rüegg, A History of the University in Europe, Cambridge: Cambridge University Press 2004, Bd. 3, 53.
38
Katherine Arens
mäßen Partnerin für ihn. Thomas Hardy wiederum stellt uns in Jude, the Obscure (dt. 1901, Juda, der Unberühmte, oder 1988, Im Dunklen) den Steinmetz Jude Frawley vor : Er versucht Klassengrenzen zu überspringen und eine Universität zu besuchen, die frappant an Oxford erinnert. Er scheitert jedoch und setzt stattdessen das Mauerwerk der Hochschule instand, wobei er durch die offenen Fenster den Vorlesungen lauscht. David Edmonds und John Eidinow erzählen von Wittgenstein’s Poker (2001):6 In den Wohnstuben der Philosophen in Cambridge werden Debatten geführt und Portwein getrunken und dabei auf Lebenszeit Bündnisse geschmiedet und Konflikte produziert. Die (fiktionale) Auseinandersetzung zwischen Wittgenstein und Popper soll laut Edmonds und Eidinow einen Charakterzug britischer Philosophie widerspiegeln: hitzige Temperamentsanfälle als Zeugnis für angehendes Nationalgenie. Wenn selbst die gebürtigen Österreicher Wittengenstein und Popper zu englischen Philosophen geworden sind, sind die Grenzen aufgezeigt, welche nur die begabtesten Nicht-Engländer überschreiten dürfen. Viele andere, wie Jude Frawley, wollen dazugehören, bleiben aber Aussenseiter, auch wenn sie ihre Klassenkameraden in Londons elitären Zirkeln wiedertreffen, in Klubs oder im Parlament. Universitäten als besondere Erlebnisorte zu betonen bleibt nicht nur englischen Texten vorbehalten: Literatur und Berichte aus Frankreich und Italien referieren zwar auch auf die dortigen städtischen Universitäten, und besonders wenn Studierende auf der Strasse demonstrieren gehen. Aber betont wird immer auch, wie etwa die Pariser Universitäten von der Außenweld abgeschnitten sind, und dass ihre Studierenden für Ausserordentliches bestimmt sind. Die Pariser Êcole normale sup¦rieure (ENS) hat als geläufiges Herzstück ihrer Repräsentation den Innenhof des Hauptgebäudes in der Rue d’Ulm, wo sich Frankreichs Bildungselite von Sartre bis Foucault versammelte, um zu rauchen, Kaffee aus der Mensa zu trinken und Streitgespräche zu führen. Anders als an diesem Ort der Geistesüberlegenheit zieht die Sorbonne junge Menschen in die Metropole, und zugleich oft unter die Räder der französischen Gesellschaft (wie in Gustave Flauberts L’Êducation sentimentale [1869]). Eliteschulen wie Sciences Po (das Institut d’¦tudes politiques de Paris) entscheiden über die Zukunft ihrer Studierenden: wer aufgenommen wird, kommt direkt in die elitären Kreise der Pariser Gesellschaft und in Anstellungen, die der breiten Öffentlichkeit von vornherein verschlossen bleiben. In den USA liest man als erste ausführliche Beschreibung der modernen Universität den Aufsatz The Education of Henry Adams (1919), in dem Harvard 6 David Edmonds/John Eidinow, Wittgenstein’s Poker. The Story of a Ten-Minute Argument Between Two Great Philosophers, New York: Ecco/Harper Collins 2001 [Dt.: Wie Ludwig Wittgenstein Karl Popper mit dem Feuerhaken drohte. Eine Ermittlung, Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag 2005].
Ein universitärer Vielvölkerstaat
39
als noch fest im 19. Jahrhundert verankert und den Anforderungen des 20. Jahrhunderts nicht gewachsen dargestellt wird. In den Vereinigten Staaten tauchen Unigelände außerdem oft als Krimitatorte auf, wo ProfessorInnen MörderInnen werden, etwa um akademische RivalInnen von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Universitätsromane wie etwa David Lodges Changing Places (1975)7 zeigen die feinen Unterschiede zwischen ProfessorInnen, die es an Eliteinstitutionen geschafft haben, und solchen, die in der akademischen Provinz geblieben sind. Eine besondere Rolle nahmen Universitäten im heutigen Deutschland ein. »University academics have always enjoyed more status, deference and attention in the German-speaking world than in the United Kingdom«, meint Anthony Bushell.8 In Texten zu deutschen Universitäten werden ihre Forscher als Geisteselite beschrieben (und fast so getan, als bildeten sie die Führungsschicht der Nation).9 Bedeutende Professoren wie Hegel in Berlin tauchen in Biographien und Werken der Geschichtsschreibung auf. Studierende werden ab und zu portraitiert; sie bilden aber ein Volk für sich, das säuft, ficht und Bruderschaft trinkt. Die beiden Schichten der Uni-Welt bleiben grundsätzlich voneinander getrennt. Von all dem weichen die Repräsentationen der Universität Wien ab: Diese erscheint als Teil des Stadtbildes, eher als Sammelpunkt von Studierenden und Professoren, oder aber als Ort der Arbeit, der Träume, des Kummers und der Geistesanstrengungen. Die diskursiven Repertoires der Erscheinungsform der Universität Wien liegen nicht im unmittelbar eigenen Bereich, wie das bei vergleichbaren nationalen Flaggschiffen wie ENS, Harvard, Oxford, oder Cambridge der Fall ist. Die Alma Mater stellt sich als Mikrokosmos und wesentlicher Bestandteil der Gemeinschaft dar, der Bürger der Stadt Wien und des österreichischen Staats (in seinen wechselnden Formen). Jeder Diskurs schafft seine Bevollmächtigten (die Akteure, die durch ihn in der Gesellschaft wirksam werden) und gibt ihren jeweiligen Ideologien Ausdruck (die durch den Diskurs in der Gesellschaft wirken). Ersteres betrifft die Bevölkerung der Universität Wien. Die Belletristik hat uns insbesondere Ein7 Changing Places, London: Penguin Books 1975, erzählt von einem britischen Austauschprofessor, der an die »Euphoric State University« (Berkeley) kommt, um den Jet-Setter Morris Zapp zu ersetzen; der Roman gibt daher trotz seines UK-Ursprungs die Verhältnisse in den USA wieder. 8 Siehe Anthony Bushell, Polemical Austria. The Rhetorics of National Identity: From Empire to the Second Republic, Cardiff: University of Wales Press 2013, 201. 9 Siehe z. B. Fritz K. Ringer, The Decline of the German Mandarins. The German Academic Community, 1890 – 1933, Cambridge, MA: Harvard University Press 1969, der erste in einer Generation von Historikern, die die Forschung und Lehrtätigkeit deutscher Professoren belegen, ohne Studenten besondere Aufmerksamkeit zu widmen (außer wenn sie selber Professoren wurden).
40
Katherine Arens
sichten zum universitären Mittelbau erlaubt. Wir wollen uns diese Fundstücke in den folgenden beiden Kapiteln näher ansehen, ehe wir uns den Ideologien zuwenden. In nahezu jeder literarischen Erscheinung begegnen wir der Verflechtung von Universität, dem Alltag der Stadt Wien, und den jeweils gängigen Umgangsformen des dazugehörigen Staates – Diskurse, die immer gemeinsam auftreten. Diejenigen, die am Universitätsdiskurs teilnehmen, verkörpern verschiedenartige Rollen innerhalb dieser eigenartigen Gesellschaft. Eine Ethnologie der Universität lässt sich eruieren, eine Art Staat im Kleinen, durch den Diskurs in viele standesbewusste Schichten gegliedert. Welche Stände den Diskurs in die Wirklichkeit umsetzen, ist im Einzelnen zu besprechen.
2.
Eine Anthropologie des Herrn Studiosus
Die Wiener Studentenkultur (wie auch die Kultur der Lehrkräfte) erscheint in Literaturtexten weniger als die einer zukünftigen Elite, sondern eher als die der gesellschaftlichen Mittelschicht und insbesondere der pflichtbewussten Gruppe der Beamten – letztere ist ja auch ihr Herzstück, weil sie eng miteinander verflochten sind.10 Als Wiener Typen beanspruchen diese Studenten der Universität selbstbewusst ihre Rolle in der jeweiligen österreichischen Gesellschaft. Die Studiosi (erst viel später wird daraus das gender-neutrale StudentInnen) kommen in die Hauptstadt, um an der Rudolphina ihre Studien aufzunehmen; danach verbreiten sie sich übers ganze Land, als Fachleute und Bürger, einem Staat zu dienen, dessen Schalthebel sie nicht zu manipulieren vermögen. Solange sie in Wien wohnhaft sind, gliedern sie sich in das Strassenbild der Stadt ein und eignen sich die Kennzeichen sowie das Benehmen der mitteleuropäischen Gesellschaft an. Einige kehren wieder nach Hause zurück; andere bleiben in der Hauptstadt, um dort Assistenten, Professoren oder Beamte zu werden; immer aber vertreten sie die Gesellschaft und den Staat, nicht nur die einzelne Institution. Ein Text von Anno dazumal, ein Feuilleton von Adalbert Stifter, stellt uns in ausführlicher Weise die Studentenschaft und das typische studentische Leben zur Mitte des 19. Jahrhunderts, im violetten Licht des Vormärzes vor, in Formen freilich, die bis heute noch vertraut wirken. Stifter verrät en passant, was Studenten als Rollenspieler in der universitären Diskurswelt tun und erwarten; sein »Leben und Haushalt dreier Wiener Studenten« (1841),11 später in den Sam10 Gary B. Cohen, Education and Middle-Class Society in Imperial Austria, 1848 – 1918, West Lafayette, IN: Purdue University Press 1992, führt Beweise für diese Behauptung aus. 11 Adalbert Stifter, Leben und Haushalt dreier Wiener Studenten, in: Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Band 9.1, Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 2007, 197 – 213.
Ein universitärer Vielvölkerstaat
41
melband Wien und die Wiener aufgenommen (1844), fügt zum Repertoire der Wiener Typen den studentischen hinzu. Stifter ist es wichtig, dass Studenten vorkommen, weil »wir der Meinung sind, in einem Buche über Wien dürfe der Wiener Student und sein akademisches wie auch häusliches Leben gar nicht fehlen«.12 Seine Ethnologie beginnt mit der Ankunft dreier Studenten aus der Provinz in Wien, nach ihrem abgeschlossenen Studium der Philosophie am »Landlyceum«: »der abstrakte Student, sich durchschlagend durch alle Fährden und Abentheuerlichkeiten seines poetischen Standes, bis er endlich absolviert ist und dahin geht und Philister wird, schmählich entkleidet von aller Glorie und allem Schwunge seines vorigen Standes.«13
Stifter besteht darauf, dass »der echte Student Wiens« gerade durch solche Ankömmlinge repräsentiert wird. Ein Student aus Wien, »der Eingeborne,« bietet keineswegs ein reines Beispiel des Typus14, »weil ihm doch immer die Farbe seiner Familie, Verwandtschaft und Cotterie anklebt«.15 Der echte Student ist kein Bürger dieser Welt, außer wenn er Schulden hat; er ist kein Landsmann, kein Eingesessener, kein Stand, kein Familienglied, nicht einmal ein Liebhaber, weil er immer wechselt; sondern er ist nur ein Quartaner, ein Quintaner, Jurist, Philosoph und in den Ferien eine Zugschwalbe […].16
Die »unsichtbare Republik« der Studenten existiert nur befristet: »da vergeht sie wie der Rauch auf den Bergen, und der kahle Broderwerb steht da«.17 Sicher kommen auch einige nie aus den Universitätshallen weg, da »das akademische Moos fingerdick auf ihnen wächst«. Oder, wenn sie diese Zuflucht verlieren, »überschnappen« sie leicht »ins Philistertum«.18 Stifters drei Helden meinen schon vieles über ihre neue Situation zu wissen, es kursieren »furchtbare Sagen über Wien und das Leben daselbst«.19 Sie würden angeblich sofort »verhungern«, und »die Unschuld wird gleich am ersten Tage verführt,« da die Kosten so hochgetrieben und die Moral so tief gesunken ist. Sie hatten fest vor, zusammen zu wohnen, um solche Probleme und Sorgen zu 12 Stifter, Leben, 197. Vgl. Wolfgang Kos (Hg.), Wiener Typen. Klischees und Wirklichkeit, Wien: Wien Museum und Christian Brandstätter Verlag 2013. Der Student ist in diesem Katalog nicht vorzufinden. 13 Stifter, Leben, 197. 14 Tone Smolej, Etwas Größeres zu versuchen und zu werden. Slowenische Schriftsteller als Wiener Studenten (1850 – 1926) (Schriften des Archivs der Universität Wien 17), Göttingen: V& R Unipress 2014, liefert dafür Beweis. 15 Stifter, Leben, 197. 16 Stifter, Leben, 197 – 198. 17 Stifter, Leben, 198. 18 Stifter, Leben, 198. 19 Stifter, Leben, 199.
42
Katherine Arens
vermeiden. Sie wollten sich Bärte wachsen lassen, sie fürchteten sich vor der schlechten Stadtluft; dem Problem der bedrohten Unschuld freilich standen sie lässiger gegenüber ; sie kamen auch mit »der riesenfesten Gesundheit der Jugend« an.20 Die Protagonisten suchen neue Identitäten: »der Kandidat der Rechtsgelehrsamkeit, Franz Xaver Pfeiffer [… und] die angehenden Heilkünstler Urban Schmidt und Heinrich Quirin«, »jeder mit den eigenen Stärken und Schwächen«. »Der ehrliche Pfeiffer [war] der tüchtigste unter ihnen und daher auch bei allen Unternehmungen der Führer«; der schwächere Urban »fühlte eben seine Inferiorität«, und Quirin blieb der »Schelm« des Dreierbundes.21 Als sie schließlich im Oktober (noch in den Ferien) in Nussdorf ankommen, finden sie keine schlechte Luft, »sondern rechts waren schöne grüne Berge und links schöne grüne Auen, und aus diesen ragte ein sonnenbeglänzter, grauer, feinzackiger Thurm empor – der Thurm von St. Stephan«.22 Die letzte Strecke des Weges legen sie zu Fuss zurück. In der Stadt scheinen ihnen die Spaziergänger, Wägen, Kutscher und die schönen Herren und Damen alle ganz gesund, und ihnen fällt auf, dass der Ort »gar nicht anders aussehe als auf jedem andern Platze der Erde«.23 Leider verstößt ihre Bekleidung »gegen die Eleganz und Pfiffigkeit«; Leistungsangst kommt auf, als sie die noch leere Universität besuchen, besonders bei Urban, wegen der »vielen dünnen ersten Klassen« der Lyceumszeit.24 »Ermüdet bis zum Tode, melancholisch und betrübt durch das fortbrausende Getöse«,25 und erfolglos bei der Wohnungssuche, übernachten sie in einem Gasthaus. Als sie dort Wein bestellen, bemerken sie, dass ihr »Armengesetz« in Verfall geraten war.26 Am nächsten Morgen wachen sie verkatert auf und machen sich bald auf den Weg, jeder mit einem besonderen Auftrag: der erste setzt die Suche nach einer passenden Wohnung fort, der zweite bemüht sich um »ihre gemeinschaftliche fahrende Habe«27, der dritte soll sich über die Einschreibeverfahren an der Universität erkundigen. Alle haben Glück. Wohnhaft wird man in Zimmern in einem verfallenen Fürstenpalais »in einer Seitengasse der Vorstadt Landstraße,« das »nun wie eine verwitwete Ritterburg« dastand.28 Die Bevölkerung des zweiten Stockes ist »ein ganzes Volk von Studenten und Junggesellen«, eine Welt für sich, die auch noch »Kühe, eine Ziegenfamilie und 20 21 22 23 24 25 26 27 28
Stifter, Leben, 199. Stifter, Leben, 200 – 201. Stifter, Leben, 200. Stifter, Leben, 200. Stifter, Leben, 202. Stifter, Leben, 203. Stifter, Leben, 204. Stifter, Leben, 205. Stifter, Leben, 205 – 206.
Ein universitärer Vielvölkerstaat
43
mehrere Hühner« in einer alten Reitschule beherbergt und einen ungepflegten Garten dem Vogelvolk widmet.29 Einrichtungen kamen vom Tandelmarkt; von dort bringen sie sogar »einen unerhört großen Nachttopf nach Hause […], der dann nachts (echt republikanisch, dass es keiner zu weit habe) mitten ins Zimmer gestellt und mit einer steif gebundenen Flötenschule zugedeckt wurde«.30 Alle Geschäfte des Hauses werden gewissenhaft aufgeteilt »in die staubigen und flüssigen. Letztere untergliederten sich wieder in die reinen und stinkenden«. Am Ende sollte ihnen das zuviel werden; sie stellen »eine rüstige Hausmeisterin der Nachbarschaft« ein,31 trotz des steten Geldmangels. Mit Habe und Bleibe versorgt, suchen sie »ihr Akademieleben«.32 Ein »erstes Kollegium« wird beschrieben, in einem Universitätsgebäude, das an »einen wimmelnden Ameisenhaufen« erinnert: Schon unter dem Schwibbogen, der von der Wollzeil auf den Universitätsplatz führt, standen Gruppen bärtiger und unbärtiger Leute, sämmtlich als Musensöhne erkennbar, und lasen die ungeheuren angeklebten Zettel, auf denen Kost, Wohnung, Unterricht, Theater, Meerschaum, verlorne Gelder, Lehrbücher, verlaufene Hunde, Bälle und Konzerte angeschlagen waren; die nicht lasen, neckten sich oder rauchten gar Cigarren. […] und da unsre Freunde die Hallen betraten, schlug erst das rechte Brausen über ihnen zusammen, als wären sie in den Bauch eines ungeheuren Resonanzkastens gekommen; dicht und schwarz drängte sich die Menge durcheinander, das Schallen von tausend Fußtritten, das Gewirre der Stimmen, das Klappern der Stöcke, das Rufen, das Lachen, alles wie ein Chaos, wälzte sich durch die Räume, die Saaltüren standen offen, es strömte aus ihnen aus und ein und trieb sich auf den Stiegen auf und nieder […]; ein Professor schreitet hie und da durch die Menge, und die Hüte flogen von den Häuptern in der Gegend, wo er ging – die fröhlichen Gesichter, die zuversichtlichen Mienen, die leichte Haltung, die dem Großstädter eigen ist, die prächtigen Kleider, die grimmigen Barte – das alles imponierte unsern Freunden […].33
Zugehörigkeit zu »diese[n] kosmopolitischen Clubbs« hoffen sie durch Grüßen und Begrüßtwerden zu finden, aber letzteres bleibt beschränkt auf ein Dasein in den »Grenzgebieten«34 der Hallen. Der Ort der ersten Vorlesungsstunde ist »ein bedeutend großer Saal«: »die Thürflügel thaten sich auf und – Stille überall – denn der Professor war hereingetreten«.35 Stifter beschreibt den weiteren Vorgang nicht; »nur das erwähnen wir, daß unsre drei Freunde wacker aufhorchten
29 30 31 32 33 34 35
Stifter, Leben, 206. Stifter, Leben, 207. Stifter, Leben, 208. Stifter, Leben, 208. Stifter, Leben, 209. Stifter, Leben, 210. Stifter, Leben, 210.
44
Katherine Arens
und gewissenhaft nachschrieben«.36 Als die erste Vorlesung vorüber war, flossen die Menschen wieder aus den Hallen, lauter heitere Gesichter, glänzende Augen und all das lustige Funkeln und Flackern des eigentlich beginnenden Lebens, und das Ganze noch gehoben durch die Tatsache, daß, obwohl Wien ordentlich wimmelt von schönen Mädchen, es im Durchschnitte doch noch viel mehr schöne Männer als Damen gibt.37
Im Laufe des Winters lässt die Aufmerksamkeit nach, durch »Studentenwitze« und »Leichtsinn« ersetzt, wobei man versucht, »[dem Professor] eines anzuhängen«38. Ihre Wohnung »verwandelte sich in einen Wespenstock von Studenten, die wie Adler von allen Weltgegenden herbeigeflogen kamen, um in der alten Burg zu horsten«.39 Stifter fasst zusammen: »An allen Enden und Orten standen die Flegeljahre in Blüthe […]«.40 Neue Hobbys (Ölmalerei, Flöte, Piano, Schubertsche Lieder) und neuer Kleidungsstil werden eingeführt, als »man leider von Tag zu Tag vernünftiger, und kälter« wurde.41 So vergehen die Studentenjahre, »und man ward leider etwas im Reiche der Menschheit«.42 Pfeiffer wird Hauslehrer (»ein reicher Graf mit seiner Gemahlin […] trugen ihm die Erziehung ihres Söhnleins auf«): Pfeiffer ist Verwalter auf einer großen Herrschaft seines Grafen und hat bereits fünf Buben, mit bester Aussicht auf deren noch einige – er correspondirt mit Quirin, dem geehrten Arzte zu ***, und sie besuchen sich öfter und lieben sich noch immer. Ihre Frauen wurden Freundinnen und theilen sich Kochrezepte und Romane mit. Urban ist ein Stutzer [Dandy oder Geck] geworden.43
Hier das Los der Studentenschaft, nach Adalbert Stifter : man wird halt Normalfall, das Alltägliche nimmt seinen Lauf. Tüchtig wird man, nicht elitär oder gebildet; ungleich Goethes Wilhelm Meister findet man keine Turmgesellschaft als Oberschicht, an die man sich bindet. Wo Meister in die Welt des Geldes und der Beziehungen einheiratet, nachdem er seine Flegeljahre auf dem Theater hinter sich lässt, finden Stifters Wiener Studenten Freunde auf Lebzeit und nützliche Arbeit. Dieser erste Akt des studentischen Lebens wird im Großen und Ganzen in anderen Texten des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts wiederkehren, immer ungefähr nach demselben Muster, das Stifter umrissen hat. Arthur 36 37 38 39 40 41 42 43
Stifter, Leben, 210. Stifter, Leben, 210. Stifter, Leben, 211. Stifter, Leben, 212. Stifter, Leben, 213. Stifter, Leben, 213. Stifter, Leben, 213. Stifter, Leben, 213.
Ein universitärer Vielvölkerstaat
45
Schnitzler zeigt uns eine Menge Bürgerlicher, die studiert haben (oft Medizin); seine Therese (1928)44 musste ihr Studium abbrechen, wie auch Marlene Streeruwitz’ Helene auf Grund ihrer Ehe mit einem Mathematikdozenten – sie kehrt an die Universität zurück, um einen Vortrag Thomas Bernhards anzuhören (Verführungen, 1996).45 In seiner Familienbiographie, The Hare with Amber Eyes,46 erzählt Edmund de Waal von Elisabeth Ephrussi, die aus den Fenstern des Familienpalais am Schottentor auf die gegenüberliegende Universität schaut, flehend und wartend, sich gegen die Gepflogenheiten ihres Standes dort einschreiben zu dürfen: Elisabeth has known since she was ten that she must get from this room, her schoolroom with its yellow carpet, across the Franzenring to that room, the lecture hall of the university. It is only 200 yards away–but for a girl, it might as well be a thousand miles. There are more than 9,000 students this year [1914], and just 120 of them are female.47
Endlich Erfolg: »[S]he adds in the final, triumphant line [of her memoir]: ›I had registered at the university‹. She had escaped. She had made it from one side of the Ringstrasse to the other«.48 Sie entkam damit auch der Welt der großbürgerlichen Gesellschaftsdamen, um als Rechtsanwältin berufstätig zu werden. Andere verlaufen sich nach dem akademischen Abschluss, wie Robert Menasses Don Juan de la Mancha (2007), der zum Verführer akademischer (und anderer) Frauen wird.49 Robert Musils Ulrich, der Mann ohne Eigenschaften (1930), wird Mathematiker ; er scheitert am Anfang des Berufslebens, nimmt im August 1913 einen »Urlaub vom Leben« und verwickelt sich in die Gespräche für eine geplante (und nie stattfindende) Feier des siebzigjährigen Thronjubiläums
44 Arthur Schnitzler, Therese. Chronik eines Frauenlebens, Berlin: S. Fischer 1928. 45 Marlene Streeruwitz, Verführungen, 3. Folge. Frauenjahre, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1996. 46 Edmund de Waal, The Hare with Amber Eyes. A Hidden Inheritance, New York: Farrar, Straus and Giroux 2010 (dt. Der Hase mit den Bernsteinaugen: Das verborgene Erbe der Familie Ephrussi, Wien: Paul Zsolnay 2011). 47 de Waal, The Hare with Amber Eyes, 184. 48 de Waal, The Hare with Amber Eyes, 201. Elisabeth Ephrussis erstes Studienjahr (1919) war chaotisch (212); sie brachte das Studium trotzdem zu Ende und wurde Rechtsanwältin, indem sie auch Gedichte veröffentlichte. Was Ephrussi vorhatte, war noch gewagt, nicht nur im Hinblick auf Wünsche der Familie. Die medizinische Fakultät immatrikulierte Frauen zuerst 1900, die juridische 1919 (Bushell, Polemical Austria, 174), die philosophische 1897. Die erste Professorin der Universität, Elise Richter (1865 – 1943), legte als erste Frau die Matura für Frauen in Wien ab (1896, mit 31 Jahren), habitilierte 1905 als Romanistin (wieder als erste Frau überhaupt), wurde 1907 die erste Dozentin an der Universität Wien, dann 1921 (wiederum als erste Frau) zum Außerordentlichen Professor ernannt. 1943 nach Theresienstadt deportiert, starb Richter dort im selben Jahr. 49 Robert Menasse, Don Juan de la Mancha, oder, Die Erziehung der Lust. Roman, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2007.
46
Katherine Arens
von Kaiser Franz Joseph (1918).50 Heimito von Doderer, in seinem Roman Die Dämonen (1956), erzählt von drei Historikern, jeder am Anfang oder am Rande des nach-universitären Lebens: der Chronist, der alte Sektionsrat von Geyrenhoff; R¦n¦ Stangeler, der angehende Historiker, der eine Handschrift zu einem Hexenprozess entdeckt und sich dadurch zu etablieren hofft; und Leonhard Kakabsa, der über die lateinische Sprache aus der Arbeiterklasse zum Studium kommt, um Privatbibliothekar zu werden.51 Auch in der aristokratischen Welt gab es Restriktionen – so durfte Kronprinz Rudolf seine Matura nicht ablegen, weil andere es notwendiger hatten, wie sein Vater meinte. Rudolf aber setzte seine Studien mit Universitätsprofessoren als Hauslehrern fort. Alles aus der Uni Wien Hervorgebrachte soll angeblich der Nation dienen, sie ist Schmelztiegel der Völker und Klassen des Staates. Der studentische Stand stellt Versuchskaninchen für die Zukunft dar ; irgendwann einmal aber müssen die Studenten über die Altersgrenze des Studentenlebens hinaus schreiten und neue Ämter als Staatsdiener und Familienväter (seltener : -mütter) antreten. Dadurch wiederum gewinnt die Alma Mater neue Gesichter am gewohnten Ort. Erst die jüngere Literatur interessiert sich auch für andere Stände der Universität und für exemplarische Geschichten ihrer Leben.
3.
Nachleben an der Alma Mater: Mittelbau und Professoren
Das Leben innerhalb der Mauern des universitären Prachtgebäudes am Ring wird in Sachbüchern zur Instituts- und Fachgeschichte ausführlich beschrieben.52 Geschichten der verschiedenen Institute, Festschriften zu Professoren, 50 Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften. Roman, Hamburg: Rowohlt 1952 [1. Band 1930]. 51 Heimito von Doderer, Die Dämonen. Roman, nach der Chronik des Sektionsrates Geyrenhoff, München: Biederstein 1956. 52 Bibliographien zur Universität Wien sind online zu finden: URL: http://www.univie.ac.at/ universitaet/forum-zeitgeschichte/literatur/literaturauswahl/ und URL: http://bibliothek.uni vie.ac.at/archiv/ausgewaehlte_literatur_zur_geschichte_der_universitaet_wien.html (abgerufen am 15.5.2014). Die altehrwürdigen Geschichten sind vom Akademischen Senat der Universität Wien (Hg.), Geschichte der Wiener Universität von 1848 bis 1898. Als Huldigungsfestschrift zum fünfzigjährigen Regierungsjubiläum seiner k. u. k. apostolischen Majestät des Kaisers Franz Josef I., Wien: Alfred Hölder 1898, URL: https://archive.org/details/ge schichtederwie00vienuoft (abgerufen am 5.5.2014) und Akademischer Senat der Universität Wien/Richard Wettstein (Hg.), Die Universität Wien. Ihre Geschichte, ihre Institute und Einrichtungen, Düsseldorf: Lindner-Verlag 1929, sowie Rudolf Kink, Geschichte der kaiserlichen Universität zu Wien, Wien: Carl Gerold & Sohn 1854, URL: https://archive.org/details/ge schichtederka01untegoog (abgerufen am 20. 5.2014). Thomas König, Die Frühgeschichte des Fulbright Program in Österreich. Transatlantische »Fühlungnahme auf dem Gebiete der Erziehung«, Innsbruck: Studien Verlag 2012, erzählt Universitätsgeschichte aus der Perspektive des österreichischen Fulbright-Programms; Claudia Feigl (Hg.), Schaukästen der Wissenschaft.
Ein universitärer Vielvölkerstaat
47
Universitätsfeiern und Beschreibungen von Forschungsprogrammen liefern detaillierten Erzählstoff zur Universitätsgeschichte (durchaus mehr als zu deutschen Universitäten). Die darin angeführten Handlungen sind selten heroisch; eher zeugen sie von Ausdauer und Planung in der Forschung und Lehre, von Zusammenarbeit und von Hingabe. Antisemitismus und unangenehme Erbschaften aus dem Nationalsozialismus kommen inzwischen auch vor,53 Die Sammlungen an der Universität Wien, Wien: Böhlau 2012, bespricht die verschiedenen Sammlungen im Besitz der Universität Wien. Geschichtswissenschaften werden grundsätzlich besprochen in Fritz Fellner, Geschichtsschreibung und nationale Identität. Probleme und Leistungen der österreichischen Geschichtswissenschaft, Wien: Böhlau 2002, und Fritz Fellner/ Franz Adlgasser/Doris Corradini, »… ein wahrhaft patriotisches Werk«. Die Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 1897– 2000, Wien: Böhlau 2001. Pavel Kolrˇ, Geschichtswissenschaft in Zentraleuropa. Die Universitäten Prag, Wien und Berlin um 1900, Kempten: AVAVerlag-Allgäu 2008, ergänzt diese Ausführungen mit einer Besprechung der Geschichtswissenschaft um 1900, wie Arnold Suppan/Marija Wakounig/Georg Kastner (Hg.), Osteuropäische Geschichte in Wien. 100 Jahre Forschung und Lehre an der Universität, Innsbruck: Studien Verlag 2007, dies auch für die osteuropäische Geschichte bieten. Erna Lesky, Die Wiener Medizinische Schule im 19. Jahrhundert (Studien zur Geschichte der Universität Wien 6), Wien–Graz: Böhlau 1965, bleibt weiterhin maßgebend für Medizin; für Orientalistik liefert Wolfdieter Bihl, Orientalistik an der Universität Wien. Forschungen zwischen Maghreb und Ostund Südasien – Die Professoren und Dozenten, Wien: Böhlau 2009, ähnliches. Archivare steuern vieles dazu bei, in zwei grossen Ausführungen: Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. (Hg.), Das deutsche Archivwesen und der Nationalsozialismus. 75. Deutscher Archivtag 2005 in Stuttgart, Essen: Klartext Verlag 2006, und Generaldirektion des Österreichischen Staatsarchivs (Hg.), Österreichs Archive unter dem Hakenkreuz (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 54), Innsbruck: Studien Verlag 2010. Johann Reikerstorfer/ Martin Jäggle (Hg.), Vorwärtserinnerungen. 625 Jahre Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Wien, Göttingen: V& R unipress 2009, bietet die Geschichte der KatholischTheologischen Fakultät; Thomas Olechowski/Tamara Ehs/Kamila Maria Staudigl-Ciechowic (Hg.), Geschichte der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät 1918 – 1938. Göttingen: V& R unipress 2014, verspricht ähnliches für die Geschichte der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät 1918 – 1938. Richard Meisters Geschichte des Doktorates der Philosophie an der Universität Wien. Mit 7 Tafeln, Wien: In Kommission bei Rudolf M. Rohrer 1958, ist nach wie vor von historischem Interesse. 53 Die »braune Vergangenheit« der Universität wird in jüngster Zeit vielfach besprochen, besonders mit der Erscheinung des Bandes von Mitchell G. Ash/Wolfram Nieß/Ramon Pils (Hg.), Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus. Das Beispiel der Universität Wien, Göttingen: V& R Unipress 2010. Irene Ranzmaier, Germanistik an der Universität Wien zur Zeit des Nationalsozialismus. Karrieren, Konflikte und die Wissenschaft, Wien: Böhlau 2005, bespricht das Fach Germanistik; Oliver Rathkolb bietet einen Band zum Antisemitismus an der Universität: Oliver Rathkolb (Hg.), Der lange Schatten des Antisemitismus. Kritische Auseinandersetzungen mit der Geschichte der Universität Wien im 19. und 20. Jahrhundert (Zeitgeschichte im Kontext 8), Göttingen: V& R Unipress 2013. Sehr wichtig sind auch die Rekonstruktion der Auswirkungen der Nürnberger Rassengesetze auf die Studentenschaft nach dem Anschluss, Herbert Posch/Doris Ingrisch/Gert Dressel, »Anschluß« und Ausschluss 1938. Vertriebene und verbliebene Studierende der Universität Wien, Berlin: LIT Verlag 2008, und die Überprüfung der akademischen Würden in jener Zeit von Herbert Posch, Akademische »Würde«. Aberkennungen und Wiederverleihungen akademischer Grade an der Universität Wien, Berlin: LIT Verlag 2013. Disziplinarfälle an der Universität
48
Katherine Arens
ebenso wie die bemerkenswerten Kontinuitäten unter den Lehrenden zwischen der NS- und Nachkriegszeit.54 Letzendlich gewinnen die Forschungsaufgabe und Lehrtätigkeit der Universität Gestalt am deutlichsten in den Geschichten der betroffenen Individuen, auch wenn diese sich dadurch nicht von ihrer besten Seite zeigen, besonders in der Zeit um die Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Literatur ergänzt diese Geschichten, und nicht immer in erfreulicher Art und Weise. Die bissigste Widerspiegelung der NS-Zeit finden wir bei Ingeborg Bachmann, in einer Kurzgeschichte aus Das dreissigste Jahr (1961).55 Dort zeigt sie eine »Herrenrunde« im Wien der Nachkriegszeit, wo sich eine Gruppe älterer Männer aus der Oberschicht trifft, um sich zu betrinken und die Vergangenheit zu besprechen. Einer von ihnen ist Professor an der Universität: Er war zwei Jahre lang ohne Bezüge gewesen, aber jetzt war er wieder Professor an der Universität. Er hatte in seiner »Geschichte Österreichs« alle Seiten umgeschrieben, die die neuere Geschichte betrafen und sie neu herausgegeben. [… Der Kollege sagt dazu:] »Jeder weiss, dass er es aus Opportunismus getan hat und unbelehrbar ist, aber er weiss es auch selber. Darum sagt es ihm keiner. Aber man müßte es ihm trotzdem sagen«.56
Bachmanns Erzählung geht nicht weiter in diese Richtung, aber bezeugt das Grundproblem Österreichs in der Nachkriegszeit: die kollektive Belastung durch die große Zahl an Mitläufern und Mittätern und die engen Grenzen des Schuldbewusstseins, ja des Eingeständnisses darüber. Als zentrale Institution der neuen Republik teilt die Universität auch deren Sorgen. Die Ethik des Mitlebens zwischen »town and gown« (Stadt und akademischem Talar) wird klar umrissen. Scheitern heißt nicht nur, sich aus dem Universitätsleben zu entfernen, sondern auch aus dem Leben. Elias Canettis Roman Die Blendung (geschrieben 1931 – 1932) berichtet von Peter Kien, einem Sinologen, dessen Wohnungswände aus lauter Büchern bestehen.57 Diese angeblich wichtigste Privatbibliothek Wiens kommt in Bedrängnis, als Kien eine Ehe mit seiner Haushälterin schließt und sie daraufhin den Zugang zu einigen Regalen versperrt. Der bibliomane Kien verfällt in Wahnvorstellungen; er findet die ihm verlorenen Bände in seiner »Kopfbibliothek« wieder. Sein Bruder, der Psychiater Georg, versucht eine Behandlung, scheitert jedoch. Der Sinologe verbrennt sich und seine Bibliothek.
54 55 56 57
sind das Thema von Andreas Huber/Katharina Kniefacz/Alexander Krysl, Universität und Disziplin. Angehörige der Universität Wien und der Nationalsozialismus, Berlin: LIT Verlag 2011. Siehe z. B. Bushell, Polemical Austria, 201. Ingeborg Bachmann, Unter Mördern und Irren, in: Das dreissigste Jahr. Erzählungen, München: R. Piper & Co. Verlag 1961, 105 – 141. Bachmann, Unter Mördern und Irren, 115. Elias Canetti, Die Blendung. Roman, Wien: Verlag Herbert Reichner 1935.
Ein universitärer Vielvölkerstaat
49
Auch an der Universität bleiben heißt noch lange nicht, dass Rollen richtig besetzt werden. Ein Professor der Mathematik ist der Protagonist von Hermann Brochs Die unbekannte Größe (1933).58 Richard Hieck bringt es als Stipendiat zum Doktorgrad und zur Anstellung an »einer Universität«, wo er sich ganz der Forschung und Lehrtätigkeit widmet. Broch beschreibt das Werk als »Roman des intellektuellen Menschen, d. h. jenes Menschen, dessen Leben – ›intellektuell‹ im radikalsten Sinn verstanden – rein auf Erkenntnis abgestellt ist«;59 Hieck sehe »in seiner Wissenschaft eine Art modernes Mönchsideal«.60 Ganz im Gegensatz zum geistigen Klima der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg wollte Broch Licht auf die »Anti-Intellektualität der Zeit« werfen: auf »den Kampf gegen alles Geistige« und eine »Frage nach den Vorbedingungen, unter welchen ein außerbürgerlicher – hier ein halbproletarischer – Mensch zur Einschlagung eines rein intellektuellen erkenntnismäßigen Lebens gebracht wird«.61 Der Professor wird Mensch erst nachdem der Bruder stirbt und er sich entschliesst, sich zur Liebe – und zur Welt ausserhalb der Universität – zu bekennen. Thomas Bernhards Heldenplatz (1988)62 behandelt eine ähnlich deprimierende Thematik. Ein Professor, der von den Nazis vertrieben wurde und nach dem Krieg trotzdem nach Wien zurückgekehrt ist, begeht am Anfang des Stücks Selbstmord. In den vergangenen zehn Jahren seines Lebens hörte er die Menschenmassen, die 1938 am Heldenplatz Hitlers Einzug in Wien gefeiert hatten, immer wieder jubeln; nach seinem Tod breitet sich dieser Wahn über seine Familie hinweg aus. Die Wissenschaft kann ihr nicht mehr helfen. Das Fach Chemie gegen Schluss des Zweiten Weltkrieges bildet den ersten Teil von Johannes Mario Simmels Wir heissen euch hoffen (1980).63 Der Schweizer Chemiker, der am Institut für Chemie an der Wiener Universität arbeitet (und viel später den Nobelpreis für seine Arbeit gewinnt), bringt seine Forschung durch, trotz Bomben, den vom Nerobefehl ausgelösten Sabotageakten überzeugter nationalsozialistisch gesinnter »Kollegen«, der Doppelmoral der Kriegsund Nachkriegszeit und des Verlusts von Geliebten und der eigenen Identität. Die Forschung lebt weiter, sie muss zu Ende gebracht werden. Ruth Klüger berichtet in ihren Memoiren unterwegs verloren (2010) von einer Gastprofessur am Germanistischen Institut wenige Jahre zuvor.64 Sie war, wie sie 58 Hermann Broch, Die Unbekannte Größe. Roman (Kommentierte Werkausgabe, Bd. 2.), Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1977. 59 Broch, Die Unbekannte Größe, 243. 60 Broch, Die Unbekannte Größe, 247. 61 Broch, Die Unbekannte Größe, 243. 62 Thomas Bernhard, Heldenplatz, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2012 [Erstveröffentlichung 1988]. 63 Johannes Mario Simmel, Wir heißen euch hoffen. Roman, Ascona: Droemer Knaur Verlag & Co. 1980. 64 Ruth Klüger, unterwegs verloren. Erinnerungen, München: dtv 2010.
50
Katherine Arens
selbst meinte, dem Institut »aufgehalst« worden als Fachexpertin für Frauenliteratur : »Die Kollegen lernte ich überhaupt nicht kennen«,65 trotz des Erfolgs ihrer Vorlesungen, der über 200 HörerInnen folgten, die im übrigen zum ersten Mal von jenen SchriftstellerInnen hörten, die Klüger referierte. »Niemand hieß mich bei meiner Ankunft willkommen, niemand sagte Dankeschön, als ich ging«.66 Nach einer akademischen Laufbahn in den USA versteht Klüger die Universität als Treffpunkt für akademische Eliten, und wird von ihren Wiener KollegInnen enttäuscht. Politik liegt nicht notwendigerweise außerhalb der Interessen der ProfessorInnenschaft. Eine Verbindung zwischen Israel und Wien bildet den Kern von Doron Rabinovicis Erzählung von einem Professor, der dem Ruf ans Institut für Geschichte (Andernorts [2010]) folgte, mit einem möglichen, bis dahin unbekannten Halbbruder als direktem Konkurrenten.67 Als er in der Entscheidungszeit zwischen Israel und Wien pendelt, löst der Professor mit einem Zeitungsartikel, der als Streitschrift gelesen wird, Aufruhr aus. Infolge der Ereignisse und eines Bewusstseinswandels beschliesst er, in Israel zu bleiben und lehnt auch die Berufung ans Institut ab – oder er wird abgelehnt, wie es die Universitätsverantwortlichen darstellen wollen. Neben Dauerspuren der jugendlichen Ausgelassenheit der Adalbert-Stifterschen Studentenzeit und den bedrückenden Ergebnissen der politisch-gewaltsamen Ereignisse zur Mitte des 20. Jahrhunderts bekommen wir schließlich auch Stresserscheinungen im Mittelbau der Universität zu Gesicht. Die fiktionalen GrubenarbeiterInnen der Wissenschaft treten in einer Serie von Krimis von Martin Mucha auf.68 Der Held, Dr. Arno Lindner, widmet sich der Habilitation in klassischer Philologie. Leib und Seele hält er zusammen, indem er als externer Lektor an der Universität Wien tätig ist – ganz unten in der universitären Nahrungskette.69 Als Student musste er sich oft entscheiden, ob er essen oder Miete zahlen sollte, und seine Lage hat sich seitdem nicht wesentlich verbessert. Damals hat er im Casino gearbeitet, wo er offenbar einen Großteil der zwielichtigen Bürger aus Wiens Unterwelt kennenlernte; während er sich im akademischen Klüger, unterwegs verloren, 207. Klüger, unterwegs verloren, 209. Doron Rabinovici, Andernorts. Roman, Berlin: Suhrkamp 2010. Bisher : Martin Mucha, Papierkrieg. Kriminalroman, Meßkirch: Gmeiner Verlag 2010; Seelenschacher. Kriminalroman, Meßkirch: Gmeiner Verlag 2011; Beziehungskiller. Kriminalroman, Meßkirch: Gmeiner Verlag 2012. 69 In der Tradition von österreichischen Schriftstellern, die sich Romanfamilien aus bekannteren Vorläufern leihen, hat Mucha höchstwahrscheinlich eine Nebenfigur aus Musils Mann ohne Eigenschaften als Familienmitglied seines Lindners erkoren: Musils August Lindner, aus dem Umkreis von Ulrichs Schwester Agatha, hat als mögliches Vorbild Friedrich Wilhelm Foerster (1869 – 1966), Philosoph und Reformpädagoge, der 1913 – 1914 an der Universität Wien tätig war.
65 66 67 68
Ein universitärer Vielvölkerstaat
51
Umfeld mühsam hinaufarbeitet, muss er immer noch Nebenjobs annehmen, gesetzliche wie auch ungesetzliche. In der Tradition des roman noir können ihm Frauen kaum widerstehen, aber er bleibt ein Einzelgänger. Als Mitglied des Mittelbaues der Universität Wien ist er »ein Angestellter der Alma Mater Vindobonensis«;70 seine Chefin, Frau Ordinaria Glanicic-Werffel, bedroht ihn ständig damit, seinen Vertrag nicht mehr zu verlängern: Die Philologie ist zwar eine schöne, sinnliche und verständnisvolle Geliebte, aber Geld lässt sich mit ihr nur schwer verdienen. Sie ist eine Göttin und keine Hure. Zuerst muss man jahrelang schuften und sich quälen und nach mancher Prüfung, Arbeit und Dissertation landet man, wenn man Glück hat, an der Uni. Man beginnt, die akademische Karriereleiter hinaufzuklettern, als Externer Lektor, der niedrigsten Lebensform an einer Hochschule. Sogar die malaiischen Putzfrauen blicken auf einen herab. Kein Wunder bei einem Einkommen von zehn mal 535 Euro jährlich. Sozialversichert ist man damit selbstverständlich nicht.71 Wir Philologen sind Tänzer am Rande des Vulkans, Buhlen der Gefahr. Wir genießen das Adrenalin, denn bereits ein einfacher Beinbruch oder eine kariesbedingte Zahnextraktion kann das Ende der Existenz bedeuten.72
Der Teefeinschmecker und Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel Lindner wohnt ebenso prekär wie Stifters Studiosi. Lindner hat aber Aussichten, erklärt die Frau Doktor Ordinaria: Ein ausgezeichneter Philologe, alles rennt zu Ihnen um Rat, die Kollegen bewundern Sie, an jedem Finger fünf Mädchen, und sogar Ihre widerlichen Gesetzeswidrigkeiten schaden weder Ihrer Karriere noch Ihrer Gesundheit. Weil Sie der Einzige am Institut mit Grips sind. In zehn Jahren sitzen Sie auf meinem Stuhl wie ein Gott.73
Noch dazu ist er am Pult begabt: Er weiß, was es alles zu unterrichten gibt, und wie man Studierende für das Fach interessiert. Zu einer seiner Unterrichtsstunden bietet er detaillierten Kommentar : Um mich herum tobte der Kampf der Intellekte, den ich immer wieder durch ein paar gezielte Fragen aufstachelte, wenn er abzuebben drohte, ansonsten aber hielt ich mich zurück. Ein gutes Seminar soll von den Studenten getragen werden, der Lehrer sucht nur die Texte aus. Natürlich schaltet man sich selbst auch hin und wieder ein, schließlich gilt es Überlegenheit zu demonstrieren und sich den Respekt zu erhalten.74
Und alle paar Tage begibt er sich in die Nationalbibliothek, um seine Habilitation weiterzubringen, auch wenn er mal wegen Wohnungsproblemen im Büro schlafen muss. Die »town and gown« Grenze ist hier groß; Lindner wendet nur 70 71 72 73 74
Mucha, Papierkrieg, 69. Mucha, Papierkrieg, 29. Mucha, Papierkrieg, 37. Mucha, Seelenschacher, 142. Mucha, Seelenschacher, 92.
52
Katherine Arens
selten seine philologischen Fähigkeiten an, um sich aus brenzligen Situationen zu retten, und sein Image und seine Abenteuer stammen aus einer früheren Zeit, die von »hard-boiled« Detektiven bevölkert ist.
4.
#unibrennt
Erdichtet allerdings ist die prekäre finanzielle Lage von Muchas Held keineswegs – arm ist er und oft hoffnungslos der Zukunft gegenüber. Der Druck, unter dem Lindner und zugleich die (europäische) Gesellschaft steht, fordert neue Veranstaltungen, neue »performances« der Identitäten des Univolks. Der Vergleich der offiziellen Ideologie des österreichischen Universitätsdiskurses und die damit in Zusammenhang stehenden bildungspolitischen Reformen mit der Wirklichkeit vor Ort zwingt zu Reaktionen gegen ersteren in der Hoffnung, dadurch zweitere zu verbessern. Durch die neuen Medien werden Stimmungen an der Universität schneller verstärkt und die Stimmen aus der Universität leichter in die breitere Öffentlichkeit getragen. Die kritischen Stellungnahmen zeigen sich interessanterweise der Universität deutlich enger verbunden als der fiktive Lindner. Gelegentlich bringen die Versuche, die Ethik des Diskurses neu zu ordnen und sich etwa gegen den Bologna-Prozess und die geforderten Revisionen der Studienordnungen zu wehren, sogar die Studierenden mit dem Mittelbau der Universität zusammen. Damit kommen wir zum jüngsten Gesicht der Alma Mater Vindobonensis: Ihrer Rolle in Zusammenhang des Bologna-Prozesses und der (angeblich) vereinigten Bildungspolitik in Europa, wie sie in den medialisierten Selfies der Uni brennt Bewegung bezeugt wurde – eine Bewegung, die 2009 ihren Anfang fand. Dokumentationen zu den Frühphasen der damals noch laufenden Bewegung erschienen schon 2010 in zwei Ausgaben eines Bandes, herausgegeben von Stefan Heissenberger, Viola Mark, Susanne Schramm, Peter Sniesko und Rahel Süss.75 Hier äußert sich der Diskurs zur Universität in Texten, die sich sowohl der herkömmlichen Gattungen bedienen (Gedichte, Essays, Erzählungen, Augenzeugenberichte) als auch neuer (Twitter-Texte, Blog-Einträge, Email-Blasts). Es gibt Links zu virtuellen Pinbrettern, Hinweise zu Aufführungen und Kunstereignissen, aber auch zu Trivialem wie ausführliche Berichte zu den eigens gekochten Tagesmenüs. Vieles, was damals im Netz aufzufinden war, ist inzwischen klarerweise verschwunden, aber die Aktion hat im erwähnten Band als Zettelkasten und ar75 Stefan Heissenberger/Viola Mark/Susanne Schramm/Peter Sniesko/Rahel Süss (Hg.), Uni brennt. Grundsätzliches, Kritisches, Atmosphärisches (2., erweiterte Aufl.), Wien–Berlin: Verlag Turia + Kant 2010.
Ein universitärer Vielvölkerstaat
53
chäologische Fundstelle verlorener Sprechakte seine Vertretung gefunden, als schriftliche Zeugnisse einer Studierendenbewegung, die selbstbewusst ihre Wirklichkeit verändern wollte. Durch den Universitätsdiskurs finden Studierende auch zu Identitäten innerhalb der Gesellschaft – Identitäten gestiftet in den Uniräumlichkeiten, aber in ihren Handlungen ethisch der Aussenwelt verpflichtet. Die Dokumentation der Protestbewegung gegen die Reformen des sogenannten Bologna-Prozesses zeigt deutlich: Lindners universitäre MitbürgerInnen stellen Forderungen, und sie positionieren sich dabei bewusst als Stand der Universität und des Staates zugleich. Bildung steht im Dienst des Staates und der Staat ist Förderer der Bildung: So lautet die Ethik der Proteste. Das politische Bewusstsein des alternativen Universitätsstaates hebt aber eher die ethischen Pflichten jeder Schicht hervor als die Rechte, die ihnen zukommen sollen. Die Szene erinnert ein wenig an 1968 und darin am ehesten an den Wiener Aktionismus.76 Am 22. Oktober 2009 wurde das 1000-sitzige AudiMax der Wiener Universität von einer Studierendenflut als Protest gegen die herrschenden Studienbedingungen besetzt. Zuvor hatten KollegInnen bereits die Aula der Akademie der Bildenden Künste besetzt; vom Wiener AudiMax verbreiteten sich dann diese Proteste in alle wissenschaftlichen Institute Österreichs – und hinein in viele europäische Universitäten. In Wien umfassten Kundgebungen zuweilen bis zu 20.000 DemonstrantInnen.77
76 Die insbesondere zwischen 1962 und 1970 gemeinsam aktiven Aktionisten Günter Brus, Otto Muehl, Peter Weibel und Oswald Wiener führtenam 7. Juni 1968 vor rund 300 Zuschauern im Hörsaal 1 der Universität Wien eine Aktion Kunst und Revolution (im Volksmund Uni-Ferkelei) durch. Brus wurde 1970 wegen »Herabwürdigung der österreichischen Staatssymbole« in einer anderen Demonstration angeklagt. 77 Die ursprüngliche Website (URL: http://unsereuni.at/wiki/Aktueller_Stand_%C3%B6 sterreichweit [abgerufen am 27. 5. 2014]) läuft immer noch mit Auflistungen europaweiter Tagesereignisse, widmet sich aber immer mehr der studentischen Beratung. Die Facebook-Seite der Bewegung (URL: https://www.facebook.com/unsereuni [abgerufen am 27. 5. 2014]) beinhaltet einige der früheren Liveübertragungen und viele der Dokumentationen der ehemaligen »unibrennt« wikisite (jetzt anscheinend verloren, und weitergeleitet auf URL: unsereuni.at), sowie Links zu weiteren Dokumentationen der Geschichte (siehe auch URL: http://www.facebook.com/unsereuni?v=app_2344061033& ref=nf [abgerufen am 27. 5. 2014]). Facebook »Max Audi« (URL: https://www.facebook.com/ max.audi?fref=ts [abgerufen am 27. 5. 2014]) hält weitere Dokumentationsquellen bereit. Die ABK Proteste fanden Webdokumentation auf ihrer Website, jetzt fortgesetzt unter URL: https://www.facebook.com/malen.zahlen (abgerufen am 27. 5. 2014). Noch mehr Dokumentation ist bei URL: https://www.facebook.com/befreite.aula?composeropen=1 (abgerufen am 27. 5. 2014). zu finden. Die Demonstranten twittern unter vielen Twitternamen, einschließlich #unsereuni, #unibrennt, #audimax und #unibrennt_en (auf Englisch). Im Laufe der ersten Protestwelle arbeitete eine Aktionsgruppe für Übersetzung, die die Dokumentation in anderen Sprachen zugänglich machte, mit ausführlichen Pressemappen und Fotos, mit Links zu weiteren Blogs und Websites,und auch zu einem Livefeed
54
Katherine Arens
Der Twitter-Hashtag #unibrennt bedeutete zunächst Widerstand gegen befristete Studienzeit, gegen neue Prüfungen und Pflichtkurse (besonders »knockout Kurse«), gegen die Einführung von Kursvoraussetzungen und gegen die Regulierung des Zugangs zu besonders nachgefragten Studiengängen. Aussenstehende konnten leicht dem Glauben verfallen, dass die Studierenden sich nicht dem Konkurrenzdruck aussetzen wollten und damit auch die politische Notwendigkeit ignorierten, dass der Staat die Ausgaben für Bildung unter Kontrolle bringen muss. Die Medienberichterstattung wollte (und will) aber wohl auch geflissentlich einen anderen Aspekt des Protests unterschlagen: die ernste und gründliche Kritik des Neoliberalismus und dessen Auswirkungen auf das Bildungssystem in Europa.78 Die ErbInnen des Wiener Aktionismus also führten Blogs, twitterten, stellten Videos direkt aus dem AudiMax ins Netz, schrieben Facebook-Einträge und betreuten ein Archiv unter Creative Commons Lizenz. Es fehlte aber auch nicht an Handzetteln, Infoblättern und Sonderzeitungen; virtuelle Plakate fanden ihre Pinwände online. Die Medienpräsenz war nahezu lückenlos und jedenfalls intensiv, und es gab einen eigenen »Tag der offenen Universität«. Die Kreise, die die Besprechungen zogen, ließen es keineswegs zu, dass die Proteste auf das Univolk beschränkt werden konnten. Der bekannteste Spruch des Aufstands verlangte »Bildung für alle – und zwar umsonst«. Ebenso programmatisch war die Deklaration »Bildung statt Ausbildung«, der gegen die Einführung der BolognaStudienarchitektur gerichtet war. Gefordert wurden die faire Auswertung von Abschlüssen und erweiterte Zugangsmöglichkeiten zu Bildungsinstitutionen auf allen Ebenen und für Schüler und Studierende aus allen Gesellschaftsschichten. Ein früher Text dazu (vom 2. November 2009) verfügte über eine Präambel, welche die Studienverhältnisse mit der Gesundheit des Staats zusammenbrachte, und die versicherte, dass Studierende fähig seien, ihre eigenen Bildungswege vernünftig zu gestalten.79 StudentIn sein heißt hier Verantwortung den MitbürgerInnen gegenüber. Die kritische Auseinandersetzung mit der österreichischen (und europäiaus dem AudiMax und dessen ProgrammrednerInnen und Mitwirkenden aus Kunst, Theater und Musik. 78 Armin Thurnher liefert einen typischen Aufsatz hierzu »Protest in Zeiten des Neoliberalismus«, in: Heissenberger et al. (Hg.), Uni brennt, 297 – 304. Robert Pfaller, in der Wiener Zeitung Der Standard, nannte das »Ein Aufstand gegen die Kanalisateure des Wissens«, 29. 10. 2009, URL: http://derstandard.at/1256743629208/ (abgerufen am 10. 5. 2014) [Druckversion, 30. Oktober]. Eine Analyse der begleitenden Kommentare findet sich bei Thomas König, »Das kann doch nicht alles sein!«, in: Kurswechsel (2010) 1, 122 – 125 URL: http:// www.beigewum.at/wordpress/wp-content/uploads/kurswechsel-1-2010-koenig.pdf (abgerufen am 27. 5. 2014). 79 Heissenberger et al. (Hg.), Uni brennt, 177 – 185, bietet zwei spätere Varianten desselben Forderungsdokuments.
Ein universitärer Vielvölkerstaat
55
schen) Bildungspolitik umfasste folgende zentrale Punkte: Redemokratisierung der Bildung, Umstrukturierung der Entscheidungsverfahren der Bildungsinstitutionen und Verringerung der Macht der Universitätsleitung. Bei der Evaluierung von Studiengängen zum Beispiel sollten Lehrkräfte und Studierende beteiligt werden, nicht nur BildungsbürokratInnen. Eine barrierefreie Umgebung wurde als Voraussetzung für hochleistungsfähige Studierende gesehen, und durchgehende Anti-Diskriminierungsmaßnahmen sollten die soziale Integration ermöglichen; vollausgelastete SchülerInnen und StudentInnen, so die Kritik, würden keinen Stress mehr ertragen, besonders bei Prüfungen; Transparenz und Rechenschaftspflicht im Bildungssystem müssten auf jeder Ebene vorhanden sein. Bildung solle demokratische Willensbildung ermöglichen, nicht bloß individuelle Karrieren fördern. Sogar große historische Ungerechtigkeiten wurden thematisiert, etwa die Frage nach Shoa-Eigentum, welches sich noch »in Besitz« der Universitäten und anderer staatlicher Einrichtungen befände. »Wir bestehen auf der geschichtspolitischen Auseinandersetzung mit der Teilhabe der Wissenschaft und ihrer Institutionen, an Kolonialismus, Faschismus und Nationalsozialismus«80. Weit oben auf der Liste der Forderungen stand die Verfügbarkeit von Räumlichkeiten – die »Uni als Lebensraum«, oder, wie es später heißen sollte, »autonome Räume«.81 Die DemonstrantInnen wollten Zugang zu Räumen für studentische Vertretungen und Organisationen und sonstige kulturelle Institutionen, die diese als Begegnungsstätte und Konferenzzimmer verwenden können sollten. Um die studentische Kommunikation zu verbessern, war darin auch ein Anrecht auf Büroräume und passende Infrastruktur inkludiert, ganz im Sinne des Schlagworts »Kooperation statt Konkurrenz«. InteressenvertreterInnen sollten auch besser ins Bildungswesen eingegliedert werden, durch »gleichberechtigte Einbeziehung aller vier Kurien: Studierende, Mittelbau, Professor_innen und allgemeines Universitätspersonal«, durch Reduktion der »Dominanz von Rektorat, Unirat und Ministerium«, sowie durch »Zusammenlegung des Ministeriums für Unterricht und Kunst und des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung«.82 Die Studierenden solidarisierten sich auch mit dem universitären Mittelbau, der in vielen Hinsichten als entrechtet wahrgenommen wurde: den Drittmittelangestellten, wissenschaftlichen AssistentInnen und externen LektorInnen,83 sowie den PrivatdozentInnen mit Lehrbefugnis (venia legendi).84 Solche Situa80 81 82 83 84
Heißenberger et al. (Hg.), Uni brennt, 180. Heißenberger et al. (Hg.), Uni brennt, 178. Heißenberger et al. (Hg.), Uni brennt, 178. Heißenberger et al. (Hg.), Uni brennt, 179. Die Problematik von Gratislehrveranstaltungen aufgrund der Venia ist keineswegs neu; sie existiert in Österreich mindestens seit 1873. Neuere Entwicklungen (hervorgerufen durch
56
Katherine Arens
tionen würden durch neoliberale Maßnahmen der Regierung verschlimmert, die vom »gesunden Wettbewerb« reden, um ökonomische Missstände zu überspielen.85 Daher hieß es nicht nur »Demokratisierung der Universitäten« sondern auch »Keine Ökonomisierung von Bildung«. Diese (immer noch unvollständige) Liste an Forderungen ist um die Welt gegangen und doch meist offen geblieben. Erreicht hat #unibrennt in erster Linie einmal das Hinterfragen jener Dinge, die zuvor als selbstverständlich und notwendig dargestellt wurden. Baut der europäische Integrationsprozess Nationalgrenzen ab? Beenden Privatisierungen die Unwirtschaftlichkeit staatlicher Verwaltung? Ist Wettbewerb der beste Weg, eine gesamteuropäische Volkswirtschaft zu ermöglichen? Vor allem aber : ist Hochschulbildung nach BolognaKriterien tatsächlich das Mittel, um die Wissensgesellschaft der Zukunft zu erreichen? Vieles wurde mit dem Schlagwort des Neoliberalismus belegt, obgleich dieser Begriff sehr vage bleiben musste; das verlieh den Proklamationen zuweilen einen holzschnittartigen Zuschnitt. Jedenfalls aber, so die Protestierenden, seien diese angeblichen Vorteile Mythen, und man berief sich nicht von ungefähr auf globalisierungskritische Bewegungen wie ATTAC, die schon länger darauf hinweisen, dass dahinter eine Umverteilung nach oben abläuft, welche die nach dem Zweiten Weltkrieg auf allgemeinem Wohlstand basierenden europäischen Demokratien zunehmend aushöhlen würde.86 Die Proteste basierten also durchaus auf schon länger diskutierten, alternativen Entwürfen zu Bildungs- und Sozialpolitik auf Europaebene – Basispolitik aus den Händen der dritten Nachkriegsgeneration, eine Art Ankunftsprotest.87 Auffällig an der Bewegung war auch ihr Anfang: Jede Arbeitsgruppe war für die Umsetzung des Protestprogramms in Aktionen verantwortlich, wie auch für ihre Finanzen, ihre Berichterstattung über Aktionen und die Aufrechterhaltung der Kommunikation mit beteiligten Interessensgruppen innerhalb und ausserhalb der Universität Wien und Österreichs. Sie suchten nicht die charismatische Führungsschicht von 1968, sondern virales Marketing der sozialen Gerechtigkeit den Bologna-Prozess), wie Teilzeitarbeit für Akademiker und die Neuerfindung von »Junior Professoren« in Deutschland (oft Dozenten aus anderen europäischen Ländern, die Unterricht in den neuen Pflichtkursen abhalten und bewerten, also die nationalen Prüfungen zur Erlangung akademischer Würden) schaffen aber neue »Stände« im Universitätswesen meist ohne Aussicht auf eine permanente Anstellung und oft unterbesoldet im Vergleich zu den traditionellen universitären Arbeitsverhältnissen. 85 Als Beispiel des Weiterlebens dieser Rhetorik siehe URL: http://derstandard.at/ 1397522040137/Unsicherheit-stachelt-zu-Hoechstleistungen-an (abgerufen am 11. 6. 2014). 86 Siehe z. B. den Aufsatz von Christian Felber, Aushungern der Unis ist kein Naturgesetz, in: Stefan Heissenberger et al. (Hg.), Uni brennt, 310 – 316, der die neue Bildungspolitik in Verbindung mit dem ökonomischen Umbau des Staates unter Wolfgang Schüssel nach 2002 sieht. 87 In Anlehnung an die Politik der letzten Generation von DDR Intellektuellen, der Ankunftsgeneration.
Ein universitärer Vielvölkerstaat
57
in Blitzgeschwindigkeit. Im kreativen Chaos der Proteste bildeten die Studenten Putzteams für das AudiMax, eröffneten eine Volksküche (VoKü), führten Buch mit Postings der zu besetzenden Räume (und über Ausfallszeiten von Elektrizität, Wasser und Heizung, als Eingriffe seitens der Univerwaltung), schrieben und verteilten Annoncen zur Geldverschwendung im Universitätswesen.88 Strassentheater wurde gemacht;89 das Filmfest Viennale verlegte die Premiere eines Dokumentarfilms ins AudiMax.90 Man komponierte sogar einen Titelsong für die Besetzung, mit Äußerungen wie »Das Plenum ist unsere Festung. Die Basis sind wir!«91 Weitere Arbeitsgruppen bildeten sich, um zum Beispiel Transparente zu fertigen.92 Die »Nur-Dasitz und Nix-Tu AG« verlangte Anerkennung für ihre Tätigkeit beim Verhindern der Rücknahme des AudiMax von der Unileitung. Strassendemonstrationen setzten sich fort.93 Im Dezember 2009 gaben die Studierenden an, mit Hilfe einer »Weihnachtsprogramm AG« so lang wie möglich mit der Besetzung fortzufahren. Dann aber wurde das AudiMax während der Weihnachtsferien geräumt: Polizisten fanden hauptsächlich Obdachslose vor, die sich als stellvertretende Bankwärmer gemeldet hatten, um aus der Kälte zu kommen.94 Mittlerweile hatte auch die arrivierte Politik reagiert. Johannes Hahn, damals noch Bundesminister für Wissenschaft und Forschung, stellte 34 Mio. Euro aus einer Reserve des ministeriellen Universitätsbudgets bereit und lud DemonstrantInnen ab spätem Oktober 2009 zu einem »Hochschul-Gespräch« ein. Das war eine geschickte politische Strategie, der Bewegung ihre eigene Dynamik zu nehmen. Als Hahn Anfang 2010 in die Europäische Kommission wechselte, tagte die Gesprächsrunde weiter, aber den Studierenden fiel es schon schwer, überhaupt VertreterInnen in das Gremium zu schicken, und noch viel mehr, sich auf konkrete Verhandlungsziele zu einigen. So blieb nach den euphorischen und genialen Anfängen wenig übrig – weder auf den Strassen Wiens noch am Verhandlungstisch. 88 Ein Beispiel: die Universität musste Räume mieten, um Veranstaltungen unterzubringen, die für das besetzte AudiMax geplant waren. Eine AG schlug vor, das AudiMax oder ein kleineres Auditorium an die Unileitung zurück zu vermieten. Siehe http://unsereuni.at/wiki/index. php/Raumvermietung_(univie) (abgerufen am 28. 5. 2010). 89 Z. B. https://www.youtube.com/watch?v=d7QkUrGPCYo (abgerufen am 27. 5. 2014). 90 Siehe URL: http://www.viennale.at/ (abgerufen am 27. 5. 2014). 91 Siehe URL: https://www.youtube.com/watch?v=p4LyOX2ccMw (abgerufen am 27. 5. 2014). 92 Siehe URL: http://ichmachpolitik.at/questions/546 (abgerufen am 27. 5. 2014). 93 Siehe URL: https://www.youtube.com/watch?v=8cLg7HQUIqo oder https://www.youtube. com/watch?v=tykwlg_unAg (abgerufen am 27. 5. 2014). 94 Darüber gab es dann noch vereinzelt weitere Proteste: Die Weihnachtszeit 2009 war besonders kalt, und so galt diese Räumaktion als unmenschlich, weil man Obdachslose bei Minus-Graden auf die Strasse setzte – die Uni gehöre sowieso allen Staatsbürgern Österreichs. Eine ausführliche Chronologie der Proteste findet man in Heissenberger et al. (Hg.), Uni brennt, 339 – 345.
58
5.
Katherine Arens
Nach den Protesten – textuelle Verarbeitung
Die erregte Phase der Proteste ist längst vorbei, aber die Basisdemokratie gegen Bologna ist an der Donau noch vorhanden, zumindest als Textbilder, welche die performative Ethik der Situation hinterlassen hat und die uns über die Ideologie der Universität und ihres Volks informieren. Aus der Diskursperspektive kann daher keineswegs von einem Scheitern gesprochen werden: Der Uni brennt Band dokumentiert nicht nur politische Auseinandersetzungen dieser Protestbewegung, sondern auch Atmosphärisches: Interviews, Aufsätze, welche die Gedankengänge der Proteste weiterführen, Repliken von KommentatorInnen ausserhalb der Universität (einschließlich Beiträgen von Marlene Streeruwitz und Christian Fleck) und Beiträge von Arbeitsgruppen (auch einen von der »AG Squatting Teachers«). Selbst aktuelle Zeitungsausgaben enthalten immer noch Zeugnisse davon, dass die Studierenden in Wien gerne bereit sind, zur Bildungspolitik beizusteuern, und erst jüngst erinnerte die Tageszeitung Der Standard ans fünfjährige Jubiläum der Proteste.95 #unibrennt, so der Tenor, habe wenig erreicht, ausser vielleicht vage Hoffnungen zu erwecken. Die Bewegung mag vielleicht noch existieren, aber derzeit zumindest illustriert sie eher, dass die Kritik an der (neoliberalen) Politik Europas ohnmächtig ist: »Leistung«, so eine aktuelle Forderung, solle mehr als ökonomische Produktivität einschließen; Effizienzsteigerungsmaßnahmen wie der Bolognaprozess zwängen der Gesellschaft Kosten auf, die im politischen Diskurs nicht wahrgenommen werden wollten. Was noch zu betonen ist, ist eine Besonderheit in der Rhetorik der Wiener Protestbewegung. Während die Kritik des Neoliberalismus sich global immer auf Menschenrechte beruft, wird in Wien eine Ethik der Situation betont – was die Gesellschaft als Ganzes bedürfe, nicht nur was Individuen wollen. Das weist anders als herkömmlich auf Unzulänglichkeiten des neoliberalen Denkens hin, und unterstreicht damit die Bedeutung des Bildungswesens als Teil einer größeren Gesellschaft. Individuen haben weniger Anrecht auf Bildung zur Selbstverwirklichung; vielmehr nehmen sie durch Bildung Verpflichtungen der Stadt und der Republik gegenüber auf sich. Diese politische Rhetorik könnte sich mit #unibrennt als Fixpunkt des politischen Diskurses fester verwurzeln. Nicht überraschend ist daher die Tatsache, dass der Bologna-Prozess und die Proteste auch bereits in der Literatur aufgetaucht sind. Im »ersten Wiener Uni-
95 Was von der Unibrennt-Bewegung blieb, Der Standard, URL: http://derstandard.at/ 2000007128220/Was-von-der-Unibrennt-Bewegung-blieb? (abgerufen am 22. 10. 2014), sowie Produktives Scheitern einer Studentenbewegung, URL: http://derstandard.at/ 2000007103265/Fuenf-Jahre-Audimax-Produktives-Scheitern-einer-Studentenbewegung (22. 10. 2014).
Ein universitärer Vielvölkerstaat
59
Krimi«, Vatermord von Isabel Bernardi (2012),96 liest man die Geschichte dieser »strukturellen Veränderung« in den Kulturwissenschaften, welche das Institut für Geschichte abbauen und in ein »Department for Historical and Cultural Studies« eingliedern sollte.97 Diese (fiktionale) Veränderung sollte helfen, die Wiener Universität in eine »Spitzenuniversität in derselben Liga wie Princeton« zu verwandeln.98 Held der Geschichte ist der Assistent Martin Heiser, der an seiner Habilitation schreibt; er ist als Vertreter des Mittelbaus daran beteiligt, eine wichtige Berufung in der Geschichtswissenschaft durchzuführen. Dann aber findet man zwei Leichen: Einen Professor im Büro und eine Studentin im Arkadenhof vor den Gedenktafeln verstorbener Professorengrößen der Vergangenheit. In der polizeilichen Vernehmung zu den beiden Fällen erzählt Heiser vom Stress an der Uni: der Hetze nach Drittmitteln,99 der Umstrukturierung der Studiengänge im Bologna-Prozess und der Besetzung des Audimax.100 Bologna bedeute [e]ine enorme Unruhe und Arbeit, ich hab’ auch in den letzten drei Semestern überwiegend Curricula umgebaut. Also ich verstehe gut, dass die Studenten dagegen protestieren. Die Hochschullehrer waren auch nicht so dafür. Aber das kam wie ein Tsunami über uns; was es wirklich bedeutet, haben wir zu spät erkannt.101
Vom Land in die Stadt für das Studium gekommen, hilft Heiser, die Morde aufzuklären, aber er wartet immer noch darauf, ordentliches Mitglied der Universität zu werden. Noch einer von Stifters Herren Studenten sucht sein Leben nach der Promotion und gewährt uns in Vatermord Einblick in die Verflochtenheit der Universität mit der Gesellschaft und der Wissenschaft und Forschung. Das Unheil dieses Falles, so erfahren wir zuletzt, fand seinen Ursprung im Tsunami der Erneuerung mit ihren ungewollten Auswirkungen; ProfessorInnen, so die Moral der Story, haben vergessen, was sie der Gesellschaft eigentlich schulden.
96 Isabel Bernardi, Vatermord, Würzburg: Königshausen & Neumann 2012. Der Buchdeckel besteht darauf, dass der Text »der erste Uni-Krimi« sei – vielleicht weil die Autorin die Morde im Universitätsgebäude stattfinden lässt. Muchas Krimis, die wir weiter vorn schon kennen gelernt haben, handeln von Uni-Angestellten, haben aber die Uni nicht als Schauplatz. 97 Bernardi, Vatermord, 11 – 12. 98 Bernardi, Vatermord, 16. 99 Bernardi, Vatermord, 29. 100 Bernardi, Vatermord, 162. 101 Bernardi, Vatermord, 98.
60
6.
Katherine Arens
Ein universitärer Vielvölkerstaat
Die textuellen Erscheinungsformen der Alma Mater Rudolphina Vindobonensis haben sich mit der Zeit geändert, aber bezeugen immer noch, wie die Wissenschaft mit der Gesellschaft, dem Fleiß der WissenschafterInnen, der Staatsmoral und dem Wiener Stadtbild eng verbunden bleibt – wenigstens in einer bewährten Diskurstradition im Umkreis der Universität Wien. Katastrophen politischer, bildungspolitischer, ökonomischer und kultureller Art sind des öfteren über die vielen Völker dieser Uni gekommen und haben deutliche Spuren hinterlassen, aber es besteht kein Zweifel darüber, dass die Wiener ForscherInnen, Lehrkräfte und Fachleute sich lieber als DienerInnen der Wissenschaft denn als Genies oder Söhne oder Töchter des Prometheus sehen. Die Weimarsche Einstellung der deutschen Klassik bleibt ihnen meistens fremd, als ExpertInnen betonen sie eher das Wohl der Gemeinschaft innerhalb und ausserhalb der Universität. Die Diskurstropen im Umfeld der Universität Wien beginnen und enden bei der Universitätsgesellschaft und der Universität in der Gesellschaft – verkörpert und sinnstiftend in Identitäten und performances (Eingriffen) auch ausserhalb der Unigelände, wie noch die jüngste Generation an Textbildern anschaulich vor Augen führt.
Oliver Jens Schmitt
Balkanforschung an der Universität Wien1
1.
Einleitung
Die in Wien betriebene wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Balkan war seit dem beginnenden 19. Jahrhundert ein eigentlicher Spiegel des österreichischen Verhältnisses zu jenem Raum, der sich südöstlich der Reichsgrenzen bis zum Bosporus und dem Schwarzen Meer erstreckte. In Wien wurden Räume entworfen, wissenschaftliche Programme entwickelt und Einrichtungen geschaffen, die weit über die Donaumonarchie hinaus ausstrahlten und den Umgang mit der Region bis heute prägen. Der Begriff »Südosteuropa« wurde in Wien entwickelt, ebenso grundlegende Elemente des »Balkansprachbundes«, d. h. die Erforschung von Gemeinsamkeiten der untereinander nicht näher verwandten Balkansprachen, welche damit die Gemeinsamkeit der Balkanvölker hervorhebt, und nicht deren Trennung in verfeindete Kleinnationen. An der Wiener Universität wurden über Generationen Studenten aus dem Balkanraum ausgebildet, die nach ihrer Rückkehr als Wissenschaftler, Schriftsteller und Politiker prägenden Einfluss auf die im 19. und 20. Jahrhundert dort entstehenden Nationalstaaten nahmen. In Wien wurde 1850 das Wiener Abkommen zur serbokroatischen Schriftsprache geschlossen, in Wien studierte der rumänische Nationaldichter Mihai Eminescu (1850 – 1889), in Wien wurden die Grundlagen albanischer Geschichte und Sprache maßgeblich mitbestimmt. Ohne Übertreibung kann behauptet werden, dass Wien für alle Völker des Balkans bis in die Gegenwart hinein einen bedeutenden Bezugspunkt der nationalen Kultur darstellt (wie immer man dieses Konzept auch bewerten mag) und dass die Wiener Universität bei der Ausprägung nationaler Philologien, nationaler Literaturen und nationaler Geschichtsvorstellungen bis in die Zwischenkriegszeit hinein maßgebende Anstöße verlieh.2 Die Universität Wien bildete darüber hinaus 1 Für freundliche Hinweise und Kommentare danke ich Renate Pillinger, Michael Metzeltin und Gerhard Neweklowsky. 2 Gertraud Marinelli-König/Nina Pavlova (Hg.), Wien als Magnet? Schriftsteller aus Ost-, Ost-
62
Oliver Jens Schmitt
einen sozialen und intellektuellen Raum der nationalpolitischen Organisation – noch in den 1990er Jahren formierte sich hier ein bedeutender Teil der politischen Eliten des Kosovo von heute –, aber auch der Begegnung über nationale Grenzen hinweg. Das studentische Leben in Wien wurde auch von dem reichen Vereinswesen der Studenten aus den Balkanländern und deren Konationalen aus der Donaumonarchie gekennzeichnet. Wien war sozialer Ort des nationen- und sprachenübergreifenden Austausches und so bis weit in die Zwischenkriegszeit hinein ein, wenn nicht das, Zentrum des intellektuellen Austausches der kulturellen Eliten des Balkans. Beides, nationalkulturelle Formierung und gesamtbalkanische Kommunikation, kennzeichnen wissenschaftliche Ausrichtung und akademische Kultur der Wiener Balkanforschung. Es ist ein reiches Panorama, das die Wiener Balkanforschung auszeichnet: von der theoretischen Grundlegung, dem Institutionenaufbau, herausragenden und im Balkan bis heute verehrten Gelehrtenpersönlichkeiten bis hin zu einer ausgeprägten Soziabilität von Professoren und Studenten und innerhalb der Studentenschaft. Der Wechselwirkung von institutioneller Verankerung der mit dem Balkan befassten Disziplinen an der Universität und deren vielfacher Ausstrahlung in die Region hinein – sowohl wissenschaftlich wie politisch – möchte dieser Beitrag nachgehen. Im Gegensatz zur These, die den Balkan als bösartiges Konstrukt eines vermeintlich homogenen Westens betrachtet, welcher im südöstlichen Teil Europas ein ungeliebtes alter ego entdeckt und dieses mit negativen Klischees politisch und kulturell an den Rand gedrängt hätte,3 wird hier Balkan als wertneutraler Raumbegriff verstanden, wie er lange Zeit auch in West- und Mitteleuropa verwendet wurde, vor allem aber wie er auch in der Region selbst bewertet wird. Bei der postkolonialistisch inspirierten und emotional beladenen Debatte um den Balkanbegriff wurde allzu leicht übersehen, dass die innerregionalen Entwürfe eines Balkanraumes, also die Raumvorstellungen serbischer, bulgarischer, griechischer, rumänischer – weniger aber albanischer Eliten – nicht minder stark und vor allem nicht minder politisch, zumindest aber nicht unproblemittel- und Südosteuropa über die Stadt, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1996; darin zu Eminescu s. Michail F. Fridman, »Ein Rumäne in Wien«. Mihail Eminescus Studentenjahre in der österreichischen Hauptstadt, 515 – 537. Zur Verflechtungsgeschichte zwischen Wien und dem Balkan s. Oliver Jens Schmitt, »Balkan-Wien« – Versuch einer Verflechtungsgeschichte der politischen Emigration aus den Balkanländern im Wien der Zwischenkriegszeit (1918 – 1934), in: Südost-Forschungen 73 (2014) im Druck. 3 So das viel beachtete Buch von Maria Todorova, Die Erfindung des Balkans. Europas bequemes Vorurteil, Darmstadt: Primus 1999; die Verfasserin untersucht primär westeuropäische Medienerzeugnisse, die negative Klischees verbreiteten, geht aber auf die ausgeprägten innerregionalen Balkankonstruktionen, die entweder nationalen Hegemonievorstellungen dienten oder einen einheitlichen Balkan als politisches Projekt gegen bedrohliche Großmächte wie das »Dritte Reich« oder die Sowjetunion konstruierten, kaum ein.
Balkanforschung an der Universität Wien
63
matischer waren als die Balkanbilder im westlichen Europa.4 Selbst entschiedene Kritiker außerregionaler Balkanbilder mussten zugestehen, dass negative Klischees zuvorderst von Medien, kaum aber von der Wissenschaft entwickelt und verbreitet wurden.5 Dies ist in unserem Zusammenhang besonders wichtig, da wesentliche Methoden, Theorien und Deutungen in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Balkanraum bis 1918 von Wissenschaftlern aus der Donaumonarchie hervorgebracht worden waren. Eine weitere Präzisierung betrifft die Abgrenzung der Wiener Balkanforschung von der sogenannten Südostforschung – letztere wurde vor 1945 in Wien wie in Deutschland mit Blick auf jene Regionen betrieben, in denen nennenswerte deutschsprachige Bevölkerungsgruppen bestanden, also in erster Linie das historische Ungarn. Die Balkanforschung hingegen setzte sich mit dem Raum auseinander, der außerhalb der alten Donaumonarchie lag und in dem es Deutschsprachige nur in Spurenelementen gab. So ist zwischen beiden Forschungstraditionen klar zu unterscheiden, besonders mit Blick auf die Verstrickung im Nationalsozialismus, die im Falle der Südostforschung erheblich war, in der von dieser thematisch, institutionell und personell weitestgehend getrennten Balkanforschung aber sehr gering.6 4 Diana Mishkova, The Politics of Regionalist Science: The Balkans as a Supranational Space in Late Nineteenth to Mid-Twentieth Century Academic Projects, in: East Central Europe 39 (2012) 266 – 303; Diana Mishkova, The Balkans as an Id¦e-Force: Scholarly Projections of the Balkan Cultural Area, in: Civilisations. Revue internationale d’anthropologie et de sciences humaines 60 (2012) 2, 39 – 64; Diana Mishkova, In Search of Balkan Occidentalism, in: Tokovi istorije (2006) 1 – 2, 29 – 62; zu innerregionalen Balkandiskursen s. das Werk von Basiles Gunares, Ta Balkania ton Ellenon. Apo to Diaphotismo eos to A’Pankosmio Polemo, Saloniki: Epikentro 2007; s. daneben auch die zu wenig beachtete Untersuchung von Leften S. Stavrianos, Balkan Federation. A History of the Movement Toward Balkan Unity in Modern Times, Northampton, Mass.: George Banta Publishing Company 1944. Ein Beispiel innerbalkanischer Diskursbildung ist der Band Balkan i Balkanci. Beograd: Izdanje Balkanskog Instituta 1937, der einen »Balkanmenschen«, »Balkanrassen«, eine »Balkanfrau« sowie lange vor Todorova einen westlichen Balkandiskurs kritisiert (59 – 69) und wie Todorova den »Westen« als Feindbild aufbaut. 5 Einen ausgezeichneten Einblick in die innerregionale Forschungslandschaft erlaubt das Werk von Rumen Daskalov/Diana Mishkova u. a. (Hg.), Entangled Histories of the Balkans. 2 Bde., Leiden: Brill 2013 – 2014. 6 Siehe die Arbeiten von Petra Svatek, Hugo Hassinger und Südosteuropa. Raumwissenschaftliche Forschungen in Wien (1931 – 1945), in: Carola Sachse (Hg.), »Mitteleuropa« und »Südosteuropa« als Planungsraum. Wirtschafts- und kulturpolitische Expertisen im Zeitalter der Weltkriege, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2010, 290 – 311; Petra Svatek, »Wien als das Tor nach dem Südosten« – Der Beitrag Wiener Geisteswissenschaftler zur Erforschung Südosteuropas während des Nationalsozialismus, in: Mitchell G. Ash/Wolfram Nieß/Ramon Pils (Hg.), Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus: Das Beispiel der Universität Wien, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2010, 111 – 139. Zur deutschen Osteuropaforschung s. den Band der Zeitschrift »Osteuropa« 63/2 – 3 (2013): Zeit im Spiegel. Das Jahrhundert der Osteuropaforschung, darin besonders Ulrich Schmid, Ende und Neubeginn der Philologie.
64
Oliver Jens Schmitt
Der Aufbau von Balkanwissenschaften in Wien ist in mehrere zeitliche Phasen zu gliedern: 1) Eine vorinstitutionelle Phase vom Beginn bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. »Vorinstitutionell« bezieht sich dabei auf das Fehlen universitärer bzw. Akademieeinrichtungen. Das wissenschaftliche Interesse am Balkan wurde in dieser Phase von anderen staatlichen Einrichtungen – Bibliotheken, der Zensurbehörde, dem diplomatischen Dienst – getragen. 2) Die Phase der Institutionalisierung in der Monarchie: diese setzt mit der Einrichtung eines Lehrstuhls für Slawistik ein (1849) und wird mit der Schaffung eines Seminars für osteuropäische Geschichte (1907) abgeschlossen. In diesem Zeitraum baute auch die Kaiserliche Akademie ihre Balkanforschung auf (Balkankommission), hinzu kamen die balkankundlichen Institutionen im seit 1878 okkupierten und 1908 annektierten BosnienHerzegowina (Landesmuseum in Sarajevo). 3) Nachwirkung der Monarchiezeit, zugleich aber einsetzender Rückbau in der Zwischenkriegszeit, geprägt vom Verschwinden der historischen Balkanforschung; zugleich wird das Wiener Paradigma in Belgrad, Bukarest, München und auch Prag weitergeführt. 4) Einen tiefen Einschnitt bedeutete die nationalsozialistische Herrschaft, die führende Gelehrte ermordete, und das Wiener Paradigma durch eine eigene Südostforschung ersetzte.7 Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Periode bis zum Zweiten Weltkrieg; die in die Gegenwart hineinreichende Phase soll späteren Bearbeitern zur vertieften Bewertung überlassen bleiben. Zugleich konzentriert sich diese Arbeit auf jene Epoche, in der ein eigentliches Paradigma einer Wiener Balkanforschung entstanden ist. Nach 1945 wurde dieses nur in wenigen Teilbereichen fortgesetzt. Eine Ausrichtung nur auf universitäre Institutionen und die Beschreibung von deren Entwicklung griffe aber zu kurz und würde dem Verständnis der Stellung der Wiener Universität in der internationalen Balkanforschung kaum dienen. Vielmehr sollen auch in Wien entwickelte Konzepte und Methoden sowie prägende Gestalten vorgestellt werden. Zuerst aber ist zu bestimmen, was mit Balkanforschung genau gemeint ist. Das heute verbreitete Verständnis von Balkanologie umfasst im Wesentlichen die Volkskunde (mit all ihren rasch wechselnden Namen: heute am besten wohl als Balkananthropologie zu bezeichnen) sowie die Sprachwissenschaft. Die in Wien traditionell starke Perspektiven für die Slavistik, 31 – 54, und Stefan Troebst, Sonderweg zur Geschichtsregion. Die Teildisziplin Osteuropäische Geschichte, 55 – 80. 7 Dazu Mathias Beer/Gerhard Seewann (Hg.), Südostforschung im Dritten Reich, München: Oldenbourg 2002.
Balkanforschung an der Universität Wien
65
archäologische und historische Beschäftigung mit dem Balkan ist in dieser Sicht nicht vertreten. In unserem Zusammenhang aber sollen mit Blick auf die wissenschaftliche Ausstrahlung sowohl die Philologie, die Sprachwissenschaft, die Archäologie, die Geschichte sowie die Anthropologie behandelt werden. Dabei geht es darum herauszuarbeiten, welchen genuinen Beitrag, auch im Sinne eines eigenen Paradigmas, die Wiener Forschung geleistet hat und welche Formen der Wissensübertragung in den Balkanraum zu beobachten sind. Die Untersuchung ist nicht von der Vorstellung mechanischer Transfers geleitet – ohnehin wird deutlich werden, dass sich viele aus dem Balkan stammende Absolventen der Wiener Balkanforschung eigenständig entwickelten und sich, sofern sie politisch tätig wurden, nicht selten gegen das Land ihres Studienortes wandten. Die Bedeutung der vorinstitutionellen Phase für die Wiener Balkanforschung ergibt sich schon aus der Nachhaltigkeit der damals entwickelten Konzepte. Der heute noch gängige Begriff »Südosteuropa« wurde von dem in Wien seit 1810 als Zensor und dann als Skriptor an der Hofbibliothek wirkenden Bartholomäus Kopitar (1780 – 1844) entwickelt. In einer Besprechung in der »Wiener allgemeinen Literaturzeitung« führte er den Begriff »südöstliches Europa« in die wissenschaftliche Diskussion ein.8 Kopitar ist darüber hinaus eine Schlüsselfigur der Wiener Balkanforschung, der spätere Strukturen und Charakteristika des Wiener Forschungsstandorts gleichsam vorwegnahm: er prägte nicht nur Forschungskonzepte, sondern bildete auch bedeutende Gelehrte aus – wie den Begründer der Wiener Slawistik und Balkansprachforschung Franz von Miklosich (1813 – 1891) – und unterhielt enge Beziehungen zu führenden Intellektuellen der Balkanvölker, wie z. B. dem Schöpfer der neuserbischen Schriftsprache und Ideologen der großserbischen Idee Vuk Stefanovic´ Karadzˇic´ (1787 – 1864).9 Kopitars Begriffsbildung wurde von Trägern der vorinstitutionellen Wiener Balkanforschung weitergeführt.10 Kopitar wirkte auch in einem weiteren Kernbereich der Wiener Balkanforschung nach: 1829 arbeitete er als erster den sogenannten Balkansprachbund heraus: das Albanische, Bulgarische und Rumänische hätten eine gemeinsame »Sprachform« mit drei verschiedenen »Sprachmaterien« (Lexik).11 Die moderne Balkanlinguistik betrachtet Kopitar 8 Konrad Clewing/Oliver Jens Schmitt, Südosteuropa – Raum und Geschichte, in: Konrad Clewing/Oliver Jens Schmitt (Hg.), Geschichte Südosteuropas. Regensburg: Pustet 2011, 10; zu Kopitar s. Ingrid Merchiers, Cultural nationalism in the South Slav Habsburg lands in the early nineteenth century : the scholarly network of Jernej Kopitar (1780 – 1844), München: Sagner 2007. 9 Matthias Bernath (Hg.), Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Bd. 2., München: Oldenbourg 1976, 470. 10 Zu den Anfängen der Balkanlinguistik Victor A. Friedman, After 170 years of Balkan linguistics: Whither the Millennium?, in: Victor A. Friedman, Studies on Albanian and other Balkan languages, Peja: Dukagjini 2003, 485 – 502, 486. 11 Victor A. Friedman, Contact and Consciousness in the Balkan Sprachbund, in: Victor A.
66
Oliver Jens Schmitt
daher als eine Art Ahnherrn, der die vergleichende Untersuchung der slawischen, altbalkanischen (Albanisch, bei Kopitar noch nicht das Neugriechische), romanischen (Rumänisch, Aromunisch, Judezmo/Judenspanisch der Sepharden), türkischen und Romani-Sprachen begründete. War Kopitar der Mann der Handschriften und Bibliotheken, so eröffnete Ami Bou¦ (1794 – 1881), aus einer Hamburger Hugenottenfamilie stammend, den langen Reigen österreichischer Balkanreisender bzw. im Feld arbeitender Wissenschaftler. Seine Interessen waren nicht nur geographisch, historisch und archäologisch, sondern auch stark naturwissenschaftlich geprägt: Bou¦ kam von der Geologie, und sein Hauptwerk »La Turquie d’Europe« (Paris 1840, dt. Wien 1889) bot ein umfassendes Panorama von der Volkskunde bis zur Meteorologie. Bou¦ war in vielem ein wissenschaftlicher Pionier : die von ihm bereisten Gebiete im heutigen Bosnien, Serbien und Makedonien hatte zuvor kein europäischer Forschungsreisender betreten, und Bou¦s Feldforschung bedeutete für die europäische Kartographie eine Revolution, da erstmals durch Autopsie die bis dahin gültigen Aussagen der antiken Geographen überprüft werden konnten. Vor Bou¦ hatten die osmanischen Behörden aus Sicherheitsüberlegungen fremde Reisende von strategisch sensiblen Gegenden ferngehalten. Am konsequentesten verwendete den Südosteuropabegriff Johann Georg von Hahn (1811 – 1869). Hahn stammte aus Hessen und trat in den Verwaltungsdienst des jungen griechischen Staates ein, wechselte aber auf Empfehlung des auch als politischer Schriftsteller herausragenden österreichischen Diplomaten Anton Prokesch von Osten12 1847 in den konsularischen Dienst der Donaumonarchie, zuerst im epirotischen Ioannina, dann ab 1851 bis zu seinem Tode auf der damals als Hafen wichtigen Ägäisinsel Syros.13 War Kopitar Anreger und Mitbegründer einer sprachwissenschaftlichen Balkanforschung in Wien, so legte von Hahn die Fundamente der in Österreich stets bedeutsamen Albanologie: seine »Albanesische[n] Studien« (Jena 1854) sind bis heute ein Grundlagenwerk jeder Beschäftigung mit dem albanischen Raum und seiner Kultur. Sprachwissenschaft, Volkskunde (besonders Märchenforschung14), Anthropologie, Geographie, Geschichte vereinigen sich als umfassendes wissenschaftliches Programm in Hahns opus magnum. Hahn wirkte durch seine sprachwissenschaftlichen Interessen stark auf seine albanischen Gewährsleute ein, die in Friedman, Studies on Albanian and other Balkan languages, Peja: Dukagjini 2003, 457 – 477, hier 472. 12 Daniel Bertsch, Anton Prokesch von Osten (1795 – 1876). Ein Diplomat Österreichs in Athen und an der Hohen Pforte. Beiträge zur Wahrnehmung des Orients im Europa des 19. Jahrhunderts, München: Oldenbourg 2005. 13 Gerhard Grimm, Johann Georg von Hahn, Wiesbaden: Harrassowitz 1964. 14 Johann Georg von Hahn, Griechische und albanesische Märchen. 2 Bde., Leipzig: W. Engelmann 1864.
Balkanforschung an der Universität Wien
67
der Folge wichtige Beiträge zur Entwicklung einer albanischen Schriftsprache leisteten. Im Auftrag der österreichischen Regierung erforschte Hahn das Innere der Balkanhalbinsel (heutiges Ostalbanien, Makedonien, Kosovo, Serbien, Nordgriechenland), um Möglichkeiten eines Bahnbaus von Belgrad nach Saloniki und der Flussschifffahrt an Drin und Vardar zu erkunden. Seine geographisch-landeskundlichen Studien veröffentlichte er an der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften.15 Neben Bou¦ kann Hahn als eigentlicher Begründer der geographischen Balkankunde gelten: um 1860 konnte der innere Balkan mit einiger Sicherheit kartographisch erfasst werden. Erst damals wurde die Idee eines riesigen Gebirges, das von der Adria bis zum Schwarzen Meer reichte (catena mundi, Weltenkette), in das Reich antiker Mythen verwiesen. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die in und von Wien aus betriebene und geförderte Balkanforschung ein ausgereiftes Forschungsprogramm erarbeitet und in großen Werken bereits umgesetzt. Kennzeichnend war zum ersten die Erfassung des gesamten Balkans, was sich damals freilich politisch noch einfacher darbot. Mit Ausnahme des seit 1815 autonomen Serbien und des seit 1830 unabhängigen Griechenland gehörte die gesamte Balkanhalbinsel zum Osmanischen Reich, die Fürstentümer Walachei und Moldau unterstanden ihm als tributpflichtige Vasallenstaaten. Ami Bou¦s »europäische Türkei« war also eine politische Bezeichnung (türkisch=osmanisch), während Kopitar und Hahn ihre Raumkonzeption von politischen Bezügen lösten – und ihrerseits damit eine letztlich hochpolitische Begrifflichkeit einführten. Denn wenn der Raum südöstlich und südlich der Reichsgrenzen nicht mehr als »türkisch/osmanisch« erfasst wurde, sondern unter einem rein geographischen Begriff, wurde er damit auch entosmanisiert, ein Prozess, der mit der Lösung Serbiens und Griechenlands bereits begonnen hatte und den die Donaumonarchie genauestens beobachtete und zu beeinflussen trachtete. Bou¦ wie Hahn waren an der Ausarbeitung von Plänen beschäftigt, die der verkehrstechnischen Durchdringung des Balkans von Österreich aus dienten, und damit auch der Ausdehnung der österreichischen Vormachtstellung auf dem Balkan. Die Verschränkung von wissenschaftlicher Pionierarbeit und einer im weitesten Sinne politischen Dimension dieser Tätigkeit war also schon früh in der Wiener Balkanforschung angelegt. Doch auch jene Gelehrten, die keine Feldforschung betrieben, sollten in der politischen Geschichte des Balkans eine ganz herausragende Stellung einnehmen.
15 Reise von Belgrad nach Salonik, Wien: Kaiserliche Akademie der Wissenschaften 1858; Reise durch die Gebiete des Drin und Wardar, Wien: Kaiserliche Akademie der Wissenschaften 1863.
68
2.
Oliver Jens Schmitt
Die institutionalisierte Balkanforschung in Wien
Aus der vorinstitutionellen Phase erwuchsen dauerhafte wissenschaftliche Einrichtungen der Balkanforschung. Es war der bedeutendste Schüler Kopitars, Franz Ritter von Miklosich, der nach einer Laufbahn an der Hofbibliothek auf den 1849 eingerichteten Lehrstuhl für slawische Philologie berufen wurde und von dieser Stellung aus eine umfassende philologische und kulturhistorische Wirkung entfaltete, die weit über den Bereich der slawischen Sprachen hinausgriff.16 Die Bedeutung des Gelehrten Miklosich und des von ihm vertretenen Faches wird schon bei einem Blick auf seinen cursus honorum deutlich: 1850 wurde er zum ordentlichen Universitätsprofessor ernannt, 1851 zum Mitglied der Kaiserlichen Akademie gewählt, 1854 bekleidete er das Amt des Rektors der Universität Wien, von 1854 bis 1879 saß er der Prüfungskommission für Mittelschullehrer vor, 1862 wurde er in das Herrenhaus berufen, 1864 in den erblichen Adelsstand erhoben. »Miklosich zählte […] auch zu jener geistigen Elite der Slawen Österreichs, die es im Staate und in der Welt zu großem Ansehen und zu hohen Ehren brachten«.17 Das wissenschaftliche Werk übertraf jedoch noch die glanzvolle Ämterlaufbahn: 34 Bücher in 44 Bänden, 108 oftmals umfangreiche Aufsätze umfasst sein Œuvre, das mit einer Rezension von Franz Bopps Vergleichender Grammatik in den »Jahrbüchern der Literatur« 108 (1844) 43 – 70 einsetzte. Damit hatte Miklosich sein Interessensgebiet gleichsam in nuce abgesteckt. Philologische und historische Grundfragen der kirchenslawischen Kultur; philologische Erschließung und die Edition der ältesten slawischen Sprachdenkmäler, systematische Bestandsaufnahme des Wort- und Formenbestandes aller slawischen Sprachen, Eingliederung der slawischen Sprachen in die europäische vergleichende und historische Sprachforschung, Erfassen der Kontakte der slawischen Sprachen mit ihren Nachbarsprachen (Lehngut, Germanoslavica, Balkanlinguistik), Erkennen der slawi16 Walter Lukan (Hg.), Franz Miklosich (Miklosˇic´): neue Studien und Materialien anlässlich seines 100. Todestages (Österreichische Osthefte. Sonderheft 33), Wien: Typographische Anstalt 1991; Katja Sturm-Schnabl (Hg.), Der Briefwechsel Franz Miklosich’s mit den Südslaven, Maribor : Obzorja 1991; Jozˇe Toporisˇic´ (Hg.), Miklosˇicˇev zbornik, Ljubljana: Slovenska Akademija Znanosti in Umetnosti v Ljubljani 1992; zur Geschichte der älteren Wiener Slawistik grundlegend ist die Abhandlung von Stanislaus Hafner, Geschichte der österreichischen Slawistik, in: Josef Hamm/Günther Wytrzens (Hg.), Beiträge zur Geschichte der Slawistik in nichtslawischen Ländern, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1985, 11 – 88; Juliane Besters-Dilger/Heinz Miklas (Hg.), Slawistik an der Universität Wien 1849 – 1999, Wien: Institut für Slawistik 1999; Giovanna Brogi Bercoff/ Pietre Gonneau/Heinz Miklas (Hg.), Contribution l’histoire de la slavistique dans les pays non slaves/ Beiträge zur Geschichte der Slawistik in den nichtslawischen Ländern, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2005; 150 Jahre Slawistik an der Universität Wien = Wiener Slavistisches Jahrbuch 45 (1999). 17 Hafner, Geschichte, 48.
Balkanforschung an der Universität Wien
69
schen Volkskulturen von der Sprache her und nicht zuletzt das Bewußtsein, als Wissenschaftler zwischen der westeuropäischen und der ost- und südosteuropäischen Wissenschaft vermitteln zu müssen,
umreißt Stanislaus Hafner Miklosichs wissenschaftliches Programm.18 Dieses wandte sich ganz der älteren Geschichte slawischer und nichtslawischer Sprachen und Kulturen des Balkans zu, wobei er als Vorbilder Jacob Grimm und Wilhelm von Humboldt ansah; die Literatur seiner Zeit ließ er außer Betracht. Sehr wohl aber beteiligte er sich an sprachpolitischen Unternehmungen wie dem »Becˇki knjizˇevni dogovor«, jenem in Wien am 16. März 1850 von mehreren kroatischen und serbischen Intellektuellen verabschiedeten Programm einer serbokroatischen Schriftsprache. Zu Miklosichs Hauptwerken zählen die Vergleichende Grammatik der slavischen Sprachen, 2 Bde., Wien 1852 – 1856 und erweitert in 4 Bde. 1875 – 1883; das Lexicon palaeoslovenico-graeco-latinum, Wien 1862 – 1865 sowie das Etymologische Wörterbuch der slavischen Sprachen, Wien 1886. Bis weit in das 20. Jahrhundert verwendet wurden seine Ausgaben byzantinischer und mittelalterlicher slawischer Urkunden in kyrillischer Schrift.19 In seinen Arbeiten zum Altkirchenslawischen verfocht er die Theorie, dieses sei im pannonischen Raum von Vorfahren der Slowenen entwickelt worden, eine These, von der er trotz überzeugender Einwände nicht abwich. Zu einem Balkanforscher im umfassenden Sinne machten Miklosich Forschungen zu den Beziehungen zwischen einzelnen Balkansprachen, so den slawischen Elementen im Rumänischen und den Turzismen, vor allem aber auch seine Untersuchungen zum Albanischen und der Romasprache. Aufgrund der zwölfteiligen Akademieabhandlung Über die Mundarten und die Wanderungen der Zigeuner Europa’s (Wien 1872 – 1881) darf man Miklosich auch als einen der Ahnherrn der kulturwissenschaftlichen Roma-Forschung ansehen.20 Miklosich erhob die Philologie zur Leitdisziplin in der Wiener Beschäftigung mit dem Balkanraum. Sein Forschungsansatz entwickelte sich zu einem eigentlichen Paradigma. Diese Entwicklung verdankte sich auch seiner Fähigkeit, mit Vatroslav Jagic´ (1838 – 1923) einen kongenialen Schüler heranzuziehen, der über Jahrzehnte eine zentrale Gestalt (süd-)slawischer Kultur in der Donaumonarchie und darüber hinaus darstellte und zudem der Institutionalisierung der Beschäftigung
18 Hafner, Geschichte, 48 – 49. 19 Monumenta Serbica spectantia historiam Serbiae, Bosnae, Ragusii, Wien: Braumüller 1858; gemeinsam mit Joseph Müller, Acta et diplomata Graeca medii aevi sacra et profana. 6 Bde., Wien: C. Gerold 1860 – 1890. 20 Vgl. Birgit Igla, Das Romani von Ajia Varvara: deskriptive und historisch-vergleichende Darstellung eines Zigeunerdialekts, Wiesbaden: Harrassowitz 1996, 1 – 2; Viorel Achim, The Roma in Romanian History, Budapest: CEU Press 2004, 21 – 23.
70
Oliver Jens Schmitt
mit dem Balkanraum einen weiteren Impetus verlieh.21 Jagic´ schuf mit dem »Archiv für slavische Philologie« ein Zentralorgan der neuen Wissenschaft, von dem er zwischen 1876 und 1920 37 Bände betreute. Als Wissenschaftsorganisator erkämpfte er Räumlichkeiten für sein wachsendes Institut. 1893 erwirkte er die Einrichtung einer zweiten Lehrkanzel, die sich mit slawischer Altertumskunde beschäftigen sollte, Geschichte also gleichsam als Hilfswissenschaft für die Königsdisziplin der Philologie. Die Berufung Konstantin Jirecˇeks (1854 – 1918) aus Prag stellt Jagic´s größten wissenschaftspolitischen Erfolg dar. Sein eigenes Seminar wuchs zu einer Kaderschmiede slawischer Intellektueller heran: In diesem gesamtslawisch geführten und recht liberal orientierten Seminar wurden bei einer Elite der slawischen Völker die Grundlagen für die wissenschaftliche Fundierung des potenzierten und differenzierten nationalkulturellen Gruppenbewußtseins der kleinen slawischen Völker geschaffen, die für die Bewältigung der intraslawischen Integrations- und Desintegrationsprozesse, zunächst innerhalb der gesamtösterreichischen Bildungseinheit und später beim Aufbau nationalstaatlicher Konzepte, bei gleichzeitiger Wahrung der gesamtslawischen Solidarität benötigt wurden.22
Das wissenschaftliche Erbe Kopitars und Miklosichs setzte er im Sinne einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Philologie fort. Seine Forschungen galten altslawischen Textzeugen wie dem kurzlebigen Buchdruck im montenegrinischen Cetinje (1494) oder dem mittelbulgarischen Zlatoust/Chrysostomos. Sein Hauptwerk ist die 1913 in Berlin erschienene Entstehungsgeschichte der kirchenslavischen Sprache. Jagic´ führte auch Wissenschaftsgeschichte als neue Teildisziplin in die Diskussion ein. In seiner Istorija slavjanskoj filologii, SanktPetersburg 1910, umfasste er das gesamte geistige Leben der slawischen Völker […], wie es sich in ihren Sprachen, in schriftlichen Denkmälern, sowohl in den literarischen Werken einzelner Persönlichkeiten als auch in der kollektiven Kraft volkstümlichen Schaffens und schließlich auch in Glaubensdingen, Überlieferungen und im Brauchtum widerspiegelt.
Sein Schaffen konzentrierte sich auf erstens wissenschaftliche Erörterungen über die slawischen Sprachen, indem [es] nicht nur die Sprachdenkmäler, sondern auch die Besonderheiten der Dialekte der lebendigen Sprachen untersucht und auch die Literatursprachen mit all ihren mitunter recht komplexen Entstehungs- und Entwicklungsbedingungen nicht unbeachtet läßt; zweitens: die Geschichte der slawischen Literaturen einschließlich der Bemühungen, ganze Epochen zu deuten und einzelne Werke zu werten, und drittens die Geschichte der 21 Die Bände Med¯unarodni znanstveni skup o Vatroslavu Jagic´u, Zagreb: Hrvatski studiji sveucˇilisˇta 2005; Ivo Frangesˇ (Hg.), Jagic´ev zbornik, Zagreb: Zavod za Znanost o Knjizˇevnosti 1986 zeugen von der anhaltenden Verehrung Jagic´s besonders in Kroatien. 22 Hafner, Geschichte, 61 – 62.
Balkanforschung an der Universität Wien
71
Lebensweise (istorija bytovuju), die die Eigentümlichkeiten des Volkslebens in allen ihren Erscheinungsformen zum Ausdruck bringt.23
Im Gegensatz zu Kopitar und Miklosich kam den nichtslawischen Völkern des Balkans – welche die Mehrheit der Bevölkerung der Region bilden – in Jagic´s Forschung kaum Bedeutung zu. Die eigenartige Verengung des Balkanbildes auf die Südslawen und dort wiederum auf die Westsüdslawen unter Vernachlässigung von Bulgaren und Makedoniern, wie sie auch in der Gegenwart zu beobachten ist, also ein eigentlicher »Jugozentrismus«, wurde bereits um 1900 von einem Gelehrten wie Jagic´ geprägt, dessen wissenschaftliche und politische Interessen, sofern sie den Balkan betrafen, stark auf die westsüdslawische Welt konzentriert waren. Freilich bestimmte Jagic´ die philologische Forschung nicht alleine – in der von ihm maßgeblich geprägten Balkan-Kommission der Akademie untersuchte Ljubomir Mileticˇ das Ostbulgarische (1903) und die Rhodopenmundarten der bulgarischen Sprache (1912), Matteo Giulio Bartoli (1873 – 1946) Das Dalmatische sowie Paul Kretschmer und Karl Dietrich (1865 – 1935) neugriechische Dialekte. Jagic´s ausgeprägtes Selbstbewusstsein wird auch an seiner umfangreichen Autobiographie erkennbar.24 Eine Photographie, die Jagic´ neben den führenden serbischen Historikern Aleksa Ivic´ (1881 – 1948) und Jovan Radonic´ (1873 – 1956), letzterer ein führender Vertreter großserbischer Ideen, zeigt, bringt das geradezu patriarchalische Selbstverständnis Jagic´s zum Ausdruck.25 Unter seinen Schülern erlangten besonders Matija Murko, der noch von Miklosich ausgebildet worden war und als Erforscher bosnisch-muslimischer Heldenepik Bekanntheit erlangte (1861 – 1952), sein Nachfolger auf dem Wiener Lehrstuhl, der Spezialist für serbo-kroatische Dialektforschung Milan Resˇetar (1860 – 1942), der Schriftsteller Ivan Franko (1856 – 1916), Paul Diels (1882 – 1963) sowie der Indogermanist und Albanologe Norbert Jokl (1877 – 1942) besondere Bedeutung. Vatroslav Oblak (1864 – 1896), der 1886 – 1891 bei Jagic´ studiert hatte, befasste sich mit dem Slowenischen, Bulgarischen und serbo-kroatischer Dialektologie; am bedeutendsten sind seine Macedonischen Studien (1896), in denen er die südlichsten slawischen Dialekte im Ägäischen Makedonien (heutiges Nordgriechenland), die der altkirchenslawischen Sprache zugrunde lagen, untersuchte.26 Trotz aller Ausstrahlung im Fach und darüber hinaus – unter Jagic´ kam es zu einer thematischen Konzentration, oder wenn man will Verengung, auf die slawischen Sprachen. Zwar hatten Kopitar und 23 24 25 26
Hafner, Geschichte, 57 – 58. Spomeni mojega zˇivota, Beograd: Srpska Kraljevska Akademija 1930. Dejan Medakovic´, Serben in Wien, Novi Sad: Prometej 2001, 197. Gerhard Neweklowsky, Der Beitrag der österreichischen Slawistik zur Erforschung der bosnischen, kroatischen und serbischen Dialekte, in: Wiener Slavistisches Jahrbuch 45 (1999) 119 – 126.
72
Oliver Jens Schmitt
Miklosich ebenfalls den Schwerpunkt auf das Slawische gelegt, doch in ihren Forschungen stets den ganzen Balkan im Blick gehabt. Unter Jagic´ vollzog sich eine Wende – es entstand eine Slawistik, nicht eine Balkanphilologie. Balkanlinguistik wurde in Wien zunehmend außerhalb der Slawistik betrieben: hier kommt der Indogermanistik und der Romanistik eine herausragende Rolle zu. Mit Paul Kretschmer (1866 – 1956) und Wilhelm Meyer-Lübke (1861 – 1936) widmeten sich zwei der herausragenden Wiener Gelehrten der Jahrhundertwende den Sprachen des Balkanraumes. Kretschmer war 1899 als Ordinarius der allgemeinen vergleichenden Sprachwissenschaft nach Wien berufen worden und lehrte bis 1937.27 Innerhalb des breiten romanistischen Werks des Schweizers Meyer-Lübke ist für die Balkanforschung sein Interesse für das Rumänische, das er in allen seinen vergleichenden Arbeiten immer mit einbezog, wie für das Albanische bedeutsam.28 Seine Untersuchungen zur griechischen Sprachgeschichte übten einen starken Einfluss auf Schüler wie Norbert Jokl und Studenten aus den Balkanländern aus, so den bekannten rumänischen Linguisten Sextil Pus¸cariu (1877 – 1948), Professor in Czernowitz und Klausenburg, oder den Begründer der albanischen Linguistik Eqrem C ¸ abej (1908 – 1980).29 Mit der Berufung Konstantin Jirecˇeks an das Seminar für slawische Philologie verstärkte sich die disziplinäre Ausdifferenzierung der Wiener Balkanforschung:30 Geschichte wurde einem eigenen Lehrstuhl übertragen, auch wenn dieser offiziell »slawische Altertumskunde« in enger Anbindung an die Philologie zum Gegen27 Georg Renatus Solta, Kretschmer, Paul, in: Deutsche Biographie, URL: http://www.deutschebiographie.de/ppn118888455.html (abgerufen am 2. 2. 2015). 28 Die lateinischen Elemente im Albanesischen von G. Meyer, neubearbeitet von W. MeyerLübke, in: Gustav Gröber, Grundriss der romanischen Philologie. Bd.1., Strassburg: Trübner 1904 – 1906, 1038 – 1057; sowie: Romanisch, Albanisch, in: Mitteilungen des Rumänischen Instituts der Universität Wien 1 (1914) 1 – 42. Zur Beschäftigung mit dem Aromunischen s. die Skizze von Max Demeter Peyfuss, Aromunische Forschungen in Österreich im XIX. Jahrhundert, in: Revue roumaine d’histoire 35 (1996) 3 – 4, 203 – 221. 29 Shaban Demiraj, Eqrem C ¸ abej. NjÚ jetÚ kushtuar shkencÚs, Tirana: Akademia e Shkencave 2008, darin C ¸ abejs Nachruf auf Kretschmer 210 – 215: »er bleibt einer der Klassiker der Linguistik, einer jener Gelehrten, die ein System erarbeitet haben und Ergebnisse vorlegten, die Bestand haben werden«; s. auch Zymer Neziri/Megzad Baliu (Hg.), Eqrem C ¸ abej, Prishtina: Instituti albanologjik 2003; zur Wiener Romanistik: Robert Tanzmeister (Hg.), Zeichen des Widerspruchs. Kritische Beiträge zur Geschichte des Wiener Instituts für Romanistik, Wien: Institut für sozio-semiotische Studien 2002. 30 Walter Leitsch/Manfred Stoy, Das Seminar für osteuropäische Geschichte der Universität Wien 1907 – 1948, Wien–Köln–Graz: Böhlau 1983, 15 – 59; Alojz Ivanisˇevic´/Oliver Jens Schmitt, Konstantin Josef Jirecˇek, in: Arnold Suppan u. a. (Hg.), Osteuropäische Geschichte in Wien, Innsbruck–Wien–Bozen: Studien Verlag 2007, 41 – 89 mit der einschlägigen Literatur. Die Wiener Balkangeschichtsforschung ignorieren fast ganz: Reinhard Härtel, Geschichte des Mittelalters und Historische Hilfswissenschaften, und Fritz Fellner, Geschichte als Wissenschaft. Der Beitrag Österreichs zu Theorie, Methodik und Themen der Geschichte der Neuzeit, in: Karl Acham (Hg.), Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften. Bd. 4., Wien: Passagen Verlag 2002, 127 – 159 bzw. 161 – 238.
Balkanforschung an der Universität Wien
73
stand hatte. Zwar hatte Jirecˇek auch einige Arbeiten zur Literaturgeschichte von Dubrovnik vorgelegt, doch verstand er sich in erster Linie als Historiker. Der aus einer hochgebildeten Prager Intellektuellenfamilie stammende Jirecˇek verkörperte einen neuen Typus eines Lehrkanzelinhabers, da er keine rein universitäre Laufbahn verfolgt hatte. 1876 hatte er als 22jähriger eine Geschichte Bulgariens vorgelegt, das sich damals eben gegen die osmanische Herrschaft erhob. Damit war der junge Gelehrte europaweit berühmt geworden. Im autonomen Fürstentum Bulgarien wurde er als Staatssekretär für den Aufbau des Erziehungswesens berufen. So kam er in mehrjährigen intimen Kontakt mit der neuen bulgarischen Elite und erlebte das, was heute als »state-building« bezeichnet werden könnte. Enttäuscht von Intrigen und Parteikämpfen im jungen Staat, kehrte er an die Universität in Prag zurück, wo er zunächst Gegenwartsforschung betrieb. Seine Monographie zum Fürstentum Bulgarien von 1881 stellt eine umfassende wissenschaftliche Landesmonographie aufgrund eigener Feldforschung dar. Die strenge Wissenschaftlichkeit unterschied das Werk von den reiseberichtartigen Darstellungen älterer österreichischer Balkanforscher wie Ami Bou¦ und Felix Kanitz. Diese methodische Leistung geriet aber in den Schatten von Jirecˇeks Werk als Mittelalterhistoriker des westlichen Balkans. Noch vor seiner Berufung nach Wien hatte sich Jirecˇek von der bulgarischen Geschichte ab- und der serbischen Geschichte zugewandt. Als erster erkannte er die herausragende Bedeutung des Archivs von Dubrovnik für die mittelalterliche Geschichte des Balkans. Die sehr großen Urkundenverluste in Bosnien, Serbien, Montenegro, Albanien und Bulgarien machen die archivalischen Denkmäler des alten Ragusa zur Schatzkammer des mittelalterlichen Balkans. Jirecˇek erforschte diese Schätze in systematischer Weise über Jahrzehnte. Gegen Ende seines Lebens legte er als summa die Geschichte der Serben (2 Bde., Gotha 1911 – 1918) sowie die vierbändige Akademieabhandlung Staat und Gesellschaft im mittelalterlichen Serbien (Wien 1912 – 1919) vor. Die sorgfältige Bearbeitung im Sinne eines klassischen Positivismus hat die Bände gleichsam alterslos gemacht – sie bilden auch heute noch Ausgangspunkt jeder Beschäftigung mit dem serbischen Mittelalter. Methodisch wegweisend sind auch Jirecˇeks Arbeiten zum Christlichen Element in der topographischen Nomenclatur der Balkanländer (Wien 1897) und die Abhandlung Die Romanen in den Städten Dalmatiens während des Mittelalters (3 Bde., Wien 1901 – 1904). Ebenfalls über den südslawischen Bereich hinaus gingen seine Untersuchungen zum spätmittelalterlichen Albanien. Während Jagic´ sich also auf das Slawische konzentrierte, führte Jirecˇek das von Philologen geprägte Modell einer gesamtbalkanischen Perspektive weiter, die zwar die Südslawen in den Mittelpunkt stellte, aber auch Romanen und Albaner berücksichtigte. Griechen, Türken und Roma aber kamen bei Jirecˇek nur am Rande vor. Das Verhältnis zwischen Jirecˇek und Jagic´, den beiden Ko-
74
Oliver Jens Schmitt
ryphäen der Wiener Balkanforschung um die Jahrhundertwende erwies sich als vielschichtig: Jagic´ sah sich offenbar als primus inter pares, der Jirecˇek zu dem Wiener Lehrstuhl und dann zur Wahl in die Akademie verhalf, der Jirecˇek auch privat einlud, zugleich aber in dem jüngeren Kollegen eine ausführende Kraft seiner wissenschaftlichen Pläne sah. Jirecˇeks eigene Vorhaben wurden in der Balkan-Kommission der Akademie nie umgesetzt. Hatte Jagic´ 1893 gewünscht, dass Jirecˇek besonders auch byzantinische Geschichte betriebe, so wurde er enttäuscht (und brachte dies in seinen Erinnerungen auch zum Ausdruck). Jirecˇek begründete in Wien keine Byzantinistik – diese baute erst Herbert Hunger (1914 – 2000) nach 1945 auf – überhaupt blieb Jirecˇeks Nachwirkung in Wien gering, da er keinen kongenialen Wiener Schüler hatte. Umso bedeutsamer wirkte er auf die Wissenschaft in den Balkanländern ein: eine ganze Generation vor allem bulgarischer und serbischer Geisteswissenschaftler war bei ihm ausgebildet worden, und sein methodischer Ansatz wirkt besonders in der serbischen Mittelalterforschung bis in die Gegenwart nach. Jirecˇek verstand sich selbst als Archivforscher und Quellenkritiker. Seine Sprache ist ausgesprochen nüchtern und stand im Widerspruch zu nationalromantischen Erzählungen, wie sie zu seiner Zeit in Serbien, Bulgarien und Rumänien gerade von neuen sogenannten Kritischen Schulen überwunden wurden, wobei der Wiener Einfluss im serbischen Fall besonders spürbar war. In der Erschließung archivalischen Materials und der Interpretation bedeutender schriftlicher Quellen wie etwa des Gesetzbuches (Zakonik) des serbischen Zaren Stefan Dusˇan (1331 – 1355) erblickte Jirecˇek die Hauptaufgabe historischer Forschung. Jirecˇek war kein Programmatiker in dem Sinne, dass er sein wissenschaftliches Credo ausführlich begründet hätte. Problematisch erwies sich sein Erbe in der impliziten Schaffung eines serbischen Geschichtsraumes, in den Bosnien und auch Dubrovnik miteinbezogen wurden, eine Sichtweise, die in der heutigen serbischen Mittelalterforschung weiterhin vorherrscht. Jirecˇek konstruierte diesen Raum vornehmlich aufgrund des von ihm aufgefundenen Materials: neben Serbien wurden Bosnien und Dubrovnik selbst von dem Material im ragusanischen Archiv am besten beleuchtet. Da Jirecˇek versuchte, Tagespolitik aus seinem Werk fernzuhalten, setzte er sich kaum mit politischen Raumkonzepten seiner Zeit auseinander. Diese Verweigerung machte sein Werk aber nicht gefeit vor nationalpolitischer Vereinnahmung. Die Verehrung für Jirecˇek, die bis heute anhält, äußert sich auf verschiedene Weise: die deutsche Südosteuropa-Gesellschaft verleiht eine Jirecˇek-Medaille an herausragende Wissenschaftler aus Südosteuropa. Die Reverenz gilt aber nur dem Namen Jirecˇeks. In deutscher Sprache sind seine Werke nicht neu aufgelegt worden, und die Südosteuropa-Gesellschaft mit ihrem Interesse an Gegenwartsfragen zeigt kaum Interesse an jener Epoche, die im Mittelpunkt von Jirecˇeks Schaffen stand. In Bulgarien und Serbien hingegen wird Jirecˇek als Gelehrter im jeweiligen
Balkanforschung an der Universität Wien
75
nationalen Rahmen betrachtet. Jirecˇeks gesamtbalkanische Interessen gehen in diesem Blick verloren. Besondere Wertschätzung brachten ihm die Vordenker kurzlebiger balkanischer Einheitsbestrebungen entgegen, die in der Zwischenkriegszeit einen starken Balkanstaat und einen Balkanismus als Modell des »Dritten Wegs« errichten wollten.31 Heute wird Jirecˇek außerhalb sehr kleiner Fachzirkel kaum mehr gelesen, obwohl viele seiner Ergebnisse von jüngeren Forschungen bestenfalls ergänzt, kaum aber überholt worden sind. Ohne Zweifel aber ist Konstantin Jirecˇek der bedeutendste Balkanhistoriker, ja der wichtigste Historiker des östlichen Europa überhaupt, der je an der Wiener alma mater gelehrt hat. Nicht nur Jirecˇek entglitt Jagic´s Zugriff, auch institutionell bahnte sich eine einschneidende Veränderung an, als 1907 ein Seminar für osteuropäische Geschichte eingerichtet wurde, ein Jahr nachdem Berlin eine ähnliche Einrichtung erhalten hatte.32 Es handelte sich um ein stark politisch geprägtes Unterfangen, bei dem der frühere österreichisch-ungarische Botschafter in St. Petersburg, Fürst Franz de Paula Liechtenstein, eine bedeutsame Rolle spielte. Das Seminar sollte sich mit den Nachbarn der Monarchie im Osten und Südosten auseinandersetzen. Jirecˇek wurde provisorischer Leiter des Seminars, bot seine Lehrveranstaltungen jedoch weiterhin unter »Slavischer Philologie« an. Neben Jirecˇek versuchte sich Hans Uebersberger (1877 – 1962) einen Namen zu verschaffen, der die russische Geschichte zu betreuen hatte. War Jirecˇek von frühen Erfahrungen in der Politik ganz zur Wissenschaft zurückgekehrt, so trat mit Uebersberger der politisch ehrgeizige, in den Medien präsente Historiker auf, der oftmals eher einem Historiker-Publizisten glich. Die Einrichtung des Seminars führte zu einer institutionellen Trennung von Philologie und Geschichte, die erst 2013 durch die Vereinigung der Fachbibliotheken Slawistik und Osteuropäische Geschichte sowie die Einrichtung eines gemeinsamen Studienganges nach über hundert Jahren wenigstens teilweise wieder aufgehoben wurde. In den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg kam die Wiener Balkanforschung, wenngleich deutlich zögernder als die ungarische Balkanistik, mit einer Dimension in Berührung, die Jirecˇek seit seiner bulgarischen Zeit gemieden hatte.
31 Balkan i Balkanci, 157. 32 Leitsch/Stoy, Seminar, 60 – 101.
76
Oliver Jens Schmitt
3.
Österreichisch-ungarische Wissenschaft und Politik auf dem Balkan
In eine neue Epoche der Verquickung von Wissenschaft und Politik trat die Wiener Balkanforschung mit der Okkupation Bosnien-Herzegowinas 1878 ein. Zum Aufbau einer Verwaltung gehörte auch die Einrichtung wissenschaftlicher Institutionen. Diese dienten neben der wissenschaftlichen Forschung auch der Entwicklung einer eigenen bosnischen Landesidentität. Wissenschaft und Politik verschränkten sich in der österreichisch-ungarischen Elite in besonders enger Weise. Es wurde ein eigenes österreichisch-ungarisches Modell des Aufbaus von Nationen auf dem Balkan entwickelt, das sowohl im Falle der muslimischen Bosnier wie der Albaner zum Tragen kam. Hierbei kam insbesondere ungarischen Elitevertretern große Bedeutung zu, während Vertreter der westlichen Reichshälfte deutlich zurückstanden. Wegen der engen Verbindung der ungarischen mit der Wiener Balkanforschung und den politischen Weiterungen für die Gesamtmonarchie ist der Gegenstand aber auch in unserem Zusammenhang bedeutsam. Ein Blick auf einige herausragende Vertreter dieses Paradigmas der Verflechtung von Wissenschaft und Balkanpolitik soll dies veranschaulichen. Benjmin Kllay von Nagykllû (1839 – 1903) verfasste nicht nur eine bedeutende Geschichte des serbischen Aufstands (dt.1910), sondern prägte auch die Serbienpolitik der Monarchie als Geschäftsträger in Belgrad, als Gemeinsamer Finanzminister und damit auch Hauptverantwortlicher für die Verwaltung Bosniens und der Herzegowina. Sein Plan einer bosnischen Landesidentität für alle Bewohner ungeachtet der Konfessions- und Religionszugehörigkeit scheiterte aber.33 Mit Kllay verbunden war der zweite Vertreter der ungarischen Balkanforschung und -politik, der zudem ein besonderes Naheverhältnis zur Wiener historischen Balkanforschung pflegte: Ludwig (Lajos) von Thallûczy (1857 – 1916), ein magyarisierter Ungarndeutscher (eig. Strommer), wurde zu einem der Begründer der mittelalterlichen bosnischen und albanischen Geschichte.34 Im Auftrag des Ballhausplatzes verfasste Thallûczy auch die erste albanische Geschichte, die vom Außenministerium unter dem Namen des albanischen Übersetzers Zef Curani und dem fiktiven Erscheinungsort Alexandria in Ägypten verbreitet wurde.35 Wie Kllay war Thallûczy eine treibende
33 Gerhard Seewann in: Matthias Bernath (Hg.), Biographisches Lexikon der Geschichte Südosteuropas. Bd. 2, München: Oldenbourg 1976, 321 – 323. 34 Dzˇevad Juzbasˇic´/Imre Ress/Andreas Gottsmann (Hg.), Lajos Thallûczy. Der Historiker und Politiker, Sarajevo – Budapest: Akademie der Wissenschaften und Künste von BosnienHerzegowina/Ungarische Akademie der Wissenschaften – Institut für Geschichte 2010. 35 Edition und Untersuchung bei: Ludwig von Thallûczy, TÚ ndodhunat e Shqypnis prej nji Gege
Balkanforschung an der Universität Wien
77
Kraft bei den »nation-building«-Vorhaben der Monarchie in Bosnien wie Albanien. In beiden Fällen ging es der Monarchie darum, die serbische Expansion abzulenken, einmal, indem die südslawischen Muslime Bosniens als eigene nationale Gemeinschaft konstituiert wurden – und nicht als »muslimische Serben« –, zum anderen, indem die muslimischen, katholischen und orthodoxen Albaner zu einer Nation zusammengefasst wurden, die die serbische Expansion zur Adria blockieren sollte. Dabei wirkten in der Donaumonarchie kleine Zirkel von Wissenschaftler-Politikern zusammen, die in ihre Unternehmungen auch Gelehrte einbanden, die der Politik fernstanden.36 Die Forschung war so gewiss politisiert, doch wurde sie auf höchstem Niveau betrieben. Mit Kllay verband Thallûczy die unmittelbare politische Tätigkeit: am Aufbau eines albanischen Staates nahm er regen Anteil und entwarf sogar albanische Landesfahnen;37 im Ersten Weltkrieg wirkte er als Zivillandeskommissär in Serbien.38 Österreichische, in der Regel an Wien gebundene Gelehrte wirkten an diesen Projekten ebenfalls mit, doch fällt auf, dass sie im Gegensatz zum ungarischen Modell keine Doppelfunktionen bekleideten.39 Konstantin Jirecˇek beteiligte sich in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg gemeinsam mit Thallûczy und dem kroatischen Gelehrten Milan von Sˇufflay (1879 – 1931, ermordet von serbischen Agenten) an der Herausgabe der Acta et diplomata res Albaniae mediae aetatis illustrantia (2 Bde., Wien 1913 – 1918), dem noch heute gültigen Quellenwerk zur mittelalterlichen albanischen Geschichte – dass 1912 – 1914 serbische und österreichisch-ungarische Diplomaten mittelalterliche Dokumente verwendeten, um Grenzen zu ziehen, hebt die Bedeutung dieser Balkanmediävistik zusätzlich hervor. Die drei Gelehrten trugen auch die Heraus-
36
37 38
39
qÚ don vendin e vet. PÚrktheu nga gjermanishtja Stefan Zurani. Transkriptoi, dokumentoi e komentoi Raim Beluli, ShkodÚr : Botime FranÅeskane 2008. Krisztin Csaplr-Degovics, Ludwig von Thallûczy und die Historiographie Albaniens, in: Südost-Forschungen 68 (2009) 205 – 246; Krisztin Csaplr-Degovics, Ludwig von Thallûczy und die Albanologie: Skizzen eines Experiments zur Nationsbildung, in: Dzˇevad Juzbasˇic´/ Imre Ress/Andreas Gottsmann (Hg.), Lajos Thallûczy. Der Historiker und Politiker, Sarajevo – Budapest: Akademie der Wissenschaften und Künste von Bosnien-Herzegowina/Ungarische Akademie der Wissenschaften – Institut für Geschichte 2010, 141 – 163, ausführlich auch Nathalie Clayer, Aux origines du nationalisme albanais, Paris: Karthala 2007, 160 – 170. Csaplr-Degovics, Ludwig von Thallûczy, 160 – 161; als Heraldikforscher war Thallûczy dazu auch besonders befähigt. Dniel Szabû, Lajos Thallûczy als Zivillandeskommissär im besetzten Serbien, in: Dzˇevad Juzbasˇic´/Imre Ress/Andreas Gottsmann (Hg.), Lajos Thallûczy. Der Historiker und Politiker, Sarajevo–Budapest: Akademie der Wissenschaften und Künste von Bosnien-Herzegowina/ Ungarische Akademie der Wissenschaften – Institut für Geschichte 2010, 171 – 180. Kurt Gostentschnigg, Die Verflechtung von Wissenschaft und Politik am Beispiel der österreichisch-ungarischen Albanologie, in: Südost-Forschungen 58 (1999) 221 – 245; Kurt Gostentschnigg, Albanerkonvikt und Albanienkomitee. Instrumente der Handels- und Verkehrspolitik Österreich-Ungarns gegenüber Albanien im Dienste des informellen Imperialismus, in: Südost-Forschungen 65/66 (2006/2007) 313 – 337.
78
Oliver Jens Schmitt
gabe der Illyrisch-albanischen Forschungen, eines heute noch grundlegenden Sammelbandes zur älteren albanischen Geschichte, der ebenfalls serbischen Ansprüchen auf die Region von Shkodra und Lezha in Nord- und Mittelalbanien mit historischen Argumenten entgegentreten sollte. Der Unterschied zwischen dem politisch tätigen Thallûczy und dem sich auf seine Forschung bewusst beschränkenden Jirecˇek wird gerade in diesem Werk deutlich. Weitere Quellenpublikationen Thallûczys dienten der symbolischen Absteckung ungarischer Interessen in der Adria.40 Im Umfeld der österreichisch-ungarischen Verwaltung Bosnien-Herzegowinas entwickelte sich auch die mit Wien eng verflochtene Balkanarchäologie, die mit dem Namen von Carl Patsch (1865 – 1945) untrennbar verbunden ist.41 Patsch wirkte als Kustos des »Landesmuseums für Bosnien-Herzegowina« in Sarajevo (1898 – 1918) und als Leiter des »Bosnisch-herzegowinischen Instituts für Balkanforschung« (1904 – 1918). Sohn eines deutschböhmischen Gutsverwalters Tiroler Abstammung, war er teilweise in Wolhynien aufgewachsen und brachte von Haus aus Kenntnisse des Tschechischen, Polnischen und Russischen mit. Nach seiner in Prag verteidigten Dissertation zu Strabos Quellen zur Geschichte seiner Zeit (1889) ging er 1893 als Gymnasiallehrer nach Sarajevo und entfaltete eine ausgedehnte Reisetätigkeit in Bosnien und der Herzegowina. Die Entdeckung des heiligen Hains des Quellgotts Bindus bei Bihac´, der von dem illyrischen Stamm der Japoden verehrt wurde, machte Patsch bekannt. Patsch begründete nicht nur die althistorische und archäologische Erforschung Bos40 Joseph Gelcich/Ludovicus Thallûczy, Diplomatarium relationum Reipublicae Ragusanae cum Regno Hungariae, Budapest: Magyar Tudomnyos Akad¦mia 1887; vgl. Andreas Gottsmann, Ludwig von Thallûczy und die österreichisch-ungarischen Interessen am Adriaraum, in: Dzˇevad Juzbasˇic´/Imre Ress/Andreas Gottsmann (Hg.), Lajos Thallûczy. Der Historiker und Politiker, Sarajevo–Budapest: Akademie der Wissenschaften und Künste von Bosnien-Herzegowina/Ungarische Akademie der Wissenschaften – Institut für Geschichte 2010, 129 – 139. 41 Karl Nehring, Der im Südost-Institut aufbewahrte Nachlaß von Carl Patsch. Briefe an Carl Patsch 1888 – 1914, in: Südost-Forschungen 57 (1998) 287 – 294; Rudolf Egger, Carl Patsch, in: Akademie der Wissenschaften Wien (Hg.), Almanach für das Jahr 1945 95 (1947) 163 – 182; Alois Hajek, Carl Patsch, in: Südost-Forschungen 12 (1953) 263 – 269; Leitsch/Stoy, Seminar, 154 – 171. Bedeutsam ist der von Daniel Baric herausgegebene Band Arch¦ologies m¦diterran¦ennes (Revue germanique internationale 16), Paris 2012, darin zu Patsch: Daniel Baric, Arch¦ologie classique et politique scientifique en Bosnie-Herz¦govine habsbourgeoise: Carl Patsch Sarajevo (1891 – 1918), 73 – 85 (unter Benützung von Patschs Autobiographie, die im Münchner Hauptstaatsarchiv liegt); Nathalie Clayer, Carl Patsch et le Mus¦e national de Tirana (1922 – 1935): Construction nationale et expertise mus¦ologique, 87 – 100; Tchavdar Marinov, Entre Berlin, Vienne et Sofia: la contribution germanophone dans la formation des ¦tudes thraces en Bulgarie, 105 – 113. Zur Geschichte der österreichischen Archäologie Ingomar Weiler, Alte Geschichte, Klassische Archäologie und Altertumskunde, in: Karl Acham (Hg.), Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften, Bd. 4., Wien: Passagen Verlag 2002, 83 – 126, der allerdings auf Patsch nicht näher eingeht.
Balkanforschung an der Universität Wien
79
niens, er wirkte auch als Wissenschaftsorganisator, sowohl in den von ihm geleiteten Instituten wie über die Zeitschriften »Glasnik zemaljskog muzeja« und die »Wissenschaftliche[n] Mittheilungen aus Bosnien und der Herzegowina«.42 In der Reihe »Zur Kunde der Balkanhalbinsel« veröffentlichten österreichische und ungarische Balkanforscher wie Franz Baron Nopcsa (1877 – 1933) oder Theodor Ippen (1861 – 1935) grundlegende Studien zu Nordalbanien. Patsch selbst publizierte in acht Teilen Archäologisch-epigraphische Untersuchungen zur Geschichte der römischen Provinz Dalmatien (1896 – 1912), die Monographie Die Lika in römischer Zeit (1900), das auch geographisch-anthropologisch ausgerichtete Werk zum Sandschak Berat in Albanien (1904) sowie 1911 Bosnien und die Herzegowina in römischer Zeit. Als die Schüsse von Sarajevo fielen, waren Wien und die mit ihm verbundenen Institutionen und Gelehrten zweifellos in jeder Hinsicht führend in der Erforschung des Balkans. Der Krieg führte nicht zwangsläufig zu einer Unterbrechung der Forschungen. Gerade die Archäologie konnte im 1916 besetzten Nord- und Mittelalbanien wichtige Ausgrabungen durchführen, die von Camillo Praschniker (1884 – 1949) und Arnold Schober (1886 – 1959) geleitet wurden, und in den Schriften der Balkankommission der Akademie 1919 ihre Archäologischen Forschungen in Albanien und Montenegro vorlegten.43 Vertreter der Wiener albanologischen Linguistik wirkten entscheidend an der »Komisia letrare« in Shkodra mit (1916 – 1918), die unter österreichischer Verwaltung die Grundlage einer modernen albanischen Schriftsprache legte – albanische wie österreichische Wissenschaftler arbeiteten hier zusammen, ein Beispiel dafür, dass von einem einseitigen Wissenstransfer nicht gesprochen werden kann, vielmehr von einer wechselseitigen Befruchtung von Theorieangebot und empirischer Evidenz.44
4.
Die Wiener Balkanforschung nach dem Ende der Monarchie
Der Zusammenbruch der Donaumonarchie bedeutete auch für die Wiener Balkanforschung das Ende einer Epoche. Es war mehr als symbolisch, dass ihre beiden führenden Vertreter, Konstantin Jirecˇek und Vatroslav Jagic´, 1918 bzw. 1920 verstarben und ihre Lehrstühle vorübergehend vakant blieben. Die 42 Oliver Bagaric´, Museum und nationale Identitäten: eine Geschichte des Landesmuseums Sarajevo, in: Südost-Forschungen 67 (2008) 144 – 167. 43 Hermann Vetters, Praschniker, Kamillo (Camillo), in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815 – 1980. Bd. 8, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1983, 241; Gudrun Wlach, Arnold Schober – Leben und Werk, Forum Archaeologiae 63/VI/ 2012. URL: http://farch.net (abgerufen am 2. 2. 2015). 44 Tomor Osmani, Komisia letrare shqipe nÚ ShkodÚr 1916 – 1918, ShkodÚr : CP 2012.
80
Oliver Jens Schmitt
historische Balkanforschung wurde bis 1934 am Leben erhalten, da Carl Patsch, der von den Behörden des entstehenden südslawischen Staates 1918 gezwungen wurde, sein wissenschaftliches Lebenswerk in Sarajevo aufzugeben, nach Wien ging. Nach 1918 baute er zunächst das »Forschungsinstitut für Osten und Orient« auf. 1921 wurde er an die Universität berufen. Patsch lehrte auch an der Hochschule für Welthandel. Wieder bewies er Tatkraft bei der Errichtung wissenschaftlicher Einrichtungen. Sein »Institut für Balkankunde« sollte an der Hochschule angesiedelt sein, entwickelte sich aber schwebend zwischen dieser und der Universität.45 Als Universitätsprofessor lehrte Patsch am Seminar für slawische Philologie, an dem vorerst der Lehrstuhl Jagic´s bis zur Berufung von Fürst Nikolaj S. Trubeckoj (1890 – 1938) verwaist war, nach eigener Aussage von der Ethnographie, Altertumskunde und Frühgeschichte der slavischen Völker ausgehend […] die Geschichte der Balkanhalbinsel in vorrömischer, römischer und nachrömischer Zeit bis zur Besiedlung durch die Slaven und von da an die Geschichte der Südslaven im Mittelalter und in der frühen Neuzeit im Zusammenhang mit der Universalgeschichte.46
Von seinem Lehrstuhl aus entfaltete Patsch eine reiche publizistische Tätigkeit, darunter sein »Meisterwerk«47, die in den Sitzungsberichten der Akademie der Wissenschaften erschienenen Beiträge zur Völkerkunde Südosteuropas (1925 – 1937). Die internationale Ausstrahlung Patschs wird an seinem umfangreichen Briefwechsel deutlich, den er mit führenden Balkangelehrten seiner Zeit unterhielt, so mit dem bedeutenden dalmatinischen Archäologen Don Frane Bulic´ (1846 – 1934), dem wichtigsten albanischen Linguisten des 20. Jahrhunderts, Eqrem C ¸ abej (1908 – 1980), dem serbischen Mittelalterhistoriker Mihailo Dinic´ (1899 – 1970), dem bulgarischen Kunsthistoriker und späteren (von den Kommunisten hingerichteten) Ministerpräsidenten Bogdan Filov (1883 – 1945), dem serbischen Historiker und Politiker Stojan Novakovic´ (1842 – 1915), von Wiener Wissenschaftlern wie Jirecˇek, Norbert Jokl oder Fürst Nikolaj S. Trubeckoj ganz zu schweigen.48 Als Patsch 1934 in den Ruhestand ging, wurde der Lehrstuhl, der sich der Balkangeschichte widmete, auf Betreiben des Unterrichtsministers Kurt von Schuschnigg nicht wieder besetzt. Die Leitung des Balkan-Instituts übernahm der mit Patsch eng befreundete Fürst Trubeckoj.49 So setzte der Ständestaat der historischen Balkanforschung an der Universität Wien für lange Jahrzehnte ein institutionelles Ende. 45 Leitsch/Stoy, Seminar, 154 – 171. 46 So Patsch, zitiert bei Leitsch/Stoy, Seminar, 161. 47 So Gerhard Seewann in: Matthias Bernath (Hg.), Biographisches Lexikon der Geschichte Südosteuropas. Bd. 3, München: Oldenbourg 1976, 405 – 406. 48 Verzeichnis bei Nehring, Südost-Institut. 49 Leitsch/Stoy, Seminar, 169.
Balkanforschung an der Universität Wien
81
Mit Jirecˇek und Carl Patsch hatte die Wiener Balkanforschung ein eigenes Profil gewonnen: sie nahm den Balkan als europäischen Kulturraum wahr, und nicht nur als Krisenherd. Das Interesse am Altertum und am Mittelalter sollte danach in der außerbalkanischen Forschung, in Mittel- und Westeuropa sowie Nordamerika, nie mehr so stark werden wie am Wiener Seminar zwischen 1893 und 1934. Die Schüler der beiden Gelehrten wirkten in ihren Ländern prägend, in Wien selbst aber versiegte ihr Einfluss. Der Verzicht Wiens auf eine historische Balkanforschung bedeutete, dass Österreich das Feld der aufstrebenden Konkurrenz in Rumänien, Jugoslawien und im Deutschen Reich überließ, wo 1930 in München das Südost-Institut gegründet wurde.50 Das Belgrader »Balkanski institut« und das Bukarester »Institutul de studii balcanice« unter Leitung von Victor Papacostea (1900 – 1962) vereinigten führende Gelehrte, die in neugeschaffenen Zeitschriften mitwirkten. Besonders das Belgrader Institut diente auch den nationalen Plänen einer regionalen Hegemonie, verbrämt mit dem Motto »Der Balkan den Balkanländern«. Während in München und Bukarest die bis heute bestehenden »Südost-Forschungen« und »Revue des ¦tudes sud-est europ¦ennes« (herausgegeben von dem 1913 von Nicolae Iorga [1871 – 1940] begründeten »Institut d’¦tudes sud-est europ¦ennes«), in Belgrad und Bukarest die wissenschaftlich hochwertigen, aber kurzlebigen Zeitschriften »Revue des ¦tudes balkanologiques« und »Balcania« aus der Taufe gehoben wurden, war in Wien das »Archiv für slavische Philologie« verstummt.51 Wie sehr sich die Wiener und die Münchner Schule (und auch die kurzlebige Leipziger Schule unter Georg Stadtmüller) unterschieden, zeigt die Konzentration des Südost-Instituts auf für das Deutsche Reich außenpolitisch relevante Fragen und das deutsche Element in Südosteuropa. Zwar zeichnete sich die südosteuropäische Schule an der Münchner Universität bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts durch enge Verbindung zur Byzantinistik und Osmanistik aus, doch wurde sie Opfer des Hanges deutscher Ministerialbürokratien, Regionalwissenschaft an gegenwartsaktueller Bedeutung zu messen, was dazu führte, dass sich die deutsche Balkangeschichtsforschung in weiten Teilen auf die wissenschaftliche Bewältigung des zweimaligen Zerfalls Jugoslawiens verengt hat und den Balkan als mehrheitlich nichtslawischen Kulturraum aus den Augen verlor. Gewiss war auch die Wiener Balkanforschung nicht völlig frei von politischen Bezügen. Doch gerade der Vergleich mit der Budapester Balkanologie zeigt den anderen Zugang der Wiener Schule zum europäischen Südosten: er wurde als Kultur50 Dass der Münchner Leiter des Südost-Instituts Fritz Valjavec dies klar erkannte, zeigen Leitsch/Stoy, Seminar, 171. 51 Das Belgrader Institut gab Programmschriften heraus wie Balkan i Balkanci oder Knijiga o Balkanu I, Beograd: Izdanje Balkanskog Instituta 1936; zum Bukarester Institut s. NicolaeS¸erban Tanas¸oca, En souvenir de Victor Papacostea, in: Revue des ¦tudes sud-est europ¦ennes 50 (2012) 5 – 8; sowie Victor Papacostea, La Balkanologie, in: ebda., 9 – 19.
82
Oliver Jens Schmitt
raum sui generis studiert, und nicht als europäisches Exotikum oder als Verlängerung eines als slawisch wahrgenommenen östlichen Europas. Freilich fehlte 1934 auch ein geeigneter Nachfolger, der Jirecˇeks und Patschs Werk hätte würdig weiterführen können. Bis 1945 wurden wiederholt Pläne von sogar zwei Professuren für Balkangeschichte bzw. Geschichte Südosteuropas, wie es aus politischer Rücksicht auf regionale Empfindlichkeiten heißen sollte, erwogen, als Kandidaten aber fasste das Dekanat der Philosophischen Fakultät der Universität Wien reichsdeutsche Professoren wie Georg Stadtmüller (1900 – 1985), den in Wien geborenen Fritz Valjavec (1909 – 1960) oder den 1945 berufenen, aber nie angestellten Byzantinisten Berthold Rubin (1911 – 1990) ins Auge. So blieb der am Seminar ausgebildete Extraordinarius Alois Hajek, Verfasser zweier zu Unrecht vergessener Bücher zur bulgarischen Geschichte des 19. Jahrhunderts, die viele schwer zugängliche bulgarische und russische Quellen erschließen. Hajek, der keinerlei internationale Strahlkraft erlangte,52 war wissenschaftlich letztlich ein Verwalter und Epigone.53 Hatte Jirecˇek die Balkanmediävistik geschaffen, Patsch die Grundlagen einer Alten Geschichte Südosteuropas gelegt, so beschränkte sich Hajek gerade einmal auf die Epoche von Jirecˇeks Jugendwerk. Der »lange Schlaf«, wie es Walter Leitsch und Manfred Stoy 1983 ausdrückten, der historischen Balkanforschung in Wien begann daher 1934. Die Balkanforschung verlagerte sich bis 1938 vollständig in den Bereich der Sprachwissenschaft, wo sie aber bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten umso glänzender vertreten war – dieser Glanz ist mit dem Namen des Fürsten Trubeckoj verbunden, auf dem Feld der Albanologie mit jenem Norbert Jokls. Im Dezember 1918 hatte die Regierung Deutsch-Österreichs nichtdeutsche Professoren von ihren Verpflichtungen entbunden, was in der Slawistik mit Schwerpunkt Balkanforschung vor allem Milan Resˇetar traf, der nach Agram berufen wurde. Im Dezember 1922 wurde der vakante Lehrstuhl nach einigem Zögern mit Trubeckoj besetzt. Dessen vielseitiges Schaffen kann hier nur mit Blick auf die Balkanforschung behandelt werden, seine allgemein slawistischen Arbeiten, seine Stellung als Theoretiker des Eurasiertums müssen unbeachtet bleiben. Neben Kristian Sandfeld (1873 – 1942) ist Trubeckoj maßgeblicher Begründer der Theorie des Balkansprachbunds, der den Zusammenhang der nicht näher verwandten Sprachen der Region untersucht. Am Ersten Internationalen Linguistikkongress in Den Haag 1928 formulierte Trubeckoj folgermaßen:
52 Alojs Hajek, Bulgarien unter der Türkenherrschaft, Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt 1925; Bulgariens Befreiung und seine staatliche Entwicklung unter seinem ersten Fürsten, München–Berlin: Oldenbourg 1939. 53 Leitsch/Stoy, Seminar, 185 – 193 zeichnen Hajeks Versuche nach, sich dem Ständestaat und dem NS-System anzupassen, sowie seine zeitweise Relegierung vom Lehrbetrieb nach 1945.
Balkanforschung an der Universität Wien
83
so gehört z. B. das Bulgarische einerseits zur slawischen Sprachfamilie (zusammen mit dem Serbokroatischen, Polnischen, Russischen u.s.w.), andererseits zum balkanischen Sprachbund (zusammen mit dem Neugriechischen, Albanesischen und Rumänischen«.54
Trubeckoj stand in einer Tradition der Balkanlinguistik, die bereits wesentliche Elemente dieser Gemeinsamkeiten herausgearbeitet hatte. Schon Kopitar hatte erkannt, dass der nachgestellte Artikel, der Verlust des Infinitivs sowie die Futurbildung mit »wollen« diesen Sprachen gemeinsam ist. Miklosich hatte auf die besondere Bildung der Zahlen von 11 bis 19 (»eins auf zehn, zwei auf zehn« usw.) hingewiesen. Die Vorstellung eines Balkansprachbunds wirkte weit über den wissenschaftlichen Bereich hinaus, belegte er doch eindrucksvoll, dass die Sprachgruppen des Balkans über Jahrhunderte hinweg in engster Beziehungen gestanden waren und keineswegs in uralter Erbfeindschaft gelebt hatten. Panbalkanische Vordenker knüpften gerne an die Wiener Schule an – Miklosich und Jirecˇek etwa gehörten zu den Säulenheiligen des Belgrader »Balkanski institut«, das einen »Balkan und Balkanier« unter – freilich nicht offen deklarierter – großserbischer Herrschaft propagierte.55 Trubeckojs Wirken verhinderte aber nicht, dass, wie im Bereich der Geschichte, auch in der Sprachwissenschaft Wien nach 1918 seine führende Stellung verlor, die von Prag übernommen wurde. Das Schicksal des Gelehrten steht dabei sinnbildlich für die Gründe des Niedergangs: hatte der Ständestaat die historische Balkanforschung faktisch eingestellt, so verstarb Trubeckoj an den Strapazen von Verhören und Hausdurchsuchungen durch die Gestapo, denen er ausgesetzt war.56 Ebenfalls ein Opfer des Nationalsozialismus wurde der führende Wiener albanologische Linguist der Zwischenkriegszeit, Norbert Jokl (1877 – 1942). Jokl war 1901 zum Doktor der Rechte promoviert worden und hatte danach bei 54 Helmut, Schaller, Geschichte der Südosteuropalinguistik, in: Uwe Hinrichs/Uwe Büttner (Hg.), Handbuch der Balkan-Linguistik, Wiesbaden: Harrassowitz 1999, 91 – 115, hier 107; Stanislaus Hafner/Heinz Miklas/Eleonore Ertl, Geschichte der österreichischen Slawistik, in: Giovanna Borgi Bercoff/Pierre Gonneau/Heinz Miklas (Hg.), Contribution l’histoire de la slavistique dans les pays non slaves, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2005, 27 – 87, hier 27 – 45. Als Lehrer litt Trubeckoj am Typus der mitteleuropäischen Universität, die er als »eher unglückliche, hybride Bildung zwischen Fachausbildungs- und Forschungsstätte« empfand (35). Sein Schüler und Schwiegersohn A.V. Isacˇenko meinte, »er wollte und konnte sich weder dem nicht immer befriedigenden Niveau der Nachkriegshörerschaft, noch den allzu praktischen und simplistischen Anforderungen der Lehramtskandidaten anpassen und baute von allem Anfange an seine Vorlesungen auf kompromisslos wissenschaftlicher Basis auf« (36). Zu Trubeckojs Werk als Kulturtheoretiker s. Nikolaj S. Trubetzkoy, Russland – Europa – Asien. Ausgewählte Schriften zur Kulturwissenschaft, hg. von Fedor B. Poljakov. Redaktion und Vorwort von Heinz Miklas, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2005. 55 Balkan i Balkanci, 157. 56 Hafner/Miklas/Ertl, Geschichte, 45.
84
Oliver Jens Schmitt
Vatroslav Jagic´ und Paul Kretschmer Indogermanistik, Romanistik und Slawistik studiert. 1908 legte er eine zweite Dissertation zum Thema Ein urslavisches Entnasalierungsgesetz vor. Er habilitierte 1913 und wurde 1923 zum außerordentlichen Universitätsprofessor und Oberbibliothekar der Universitätsbibliothek ernannt. 1927 erhielt er den Titel eines Hofrats verliehen.57 Jokl war Indogermanist und in diesem Feld vor allem Albanologe. Die sprachwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Albanischen war in Österreich seit von Hahn besonders in Graz (Gustav Meyer, 1850 – 1900) gepflegt worden. In zahlreichen Abhandlungen – eine größere Monographie legte er nicht vor – setzte sich Jokl mit der Sprachgeschichte des Albanischen im Zusammenhang mit dessen Nachbarsprachen auseinander.58 In engem Briefwechsel stand er mit führenden Persönlichkeiten der österreichischen und ungarischen Albanerforschung wie Carl Patsch, dem kroatischen Gelehrten Petar Skok (1881 – 1956) oder dem ungarischen Geologen, Paläoanthropologen und Balkanreisenden Franz Baron Nopcsa. Den deutschen Historiker Georg Stadtmüller, der versuchte, die »Urheimat« der Albaner in der mittelalbanischen Mati-Region zu bestimmen, beriet er ebenfalls. Die albanische Gemeinschaft in Wien, aber auch herausragende Intellektuelle des jungen albanischen Staates hielten zu ihm regen Kontakt, so AleksandÚr Xhuvani (1880 – 1961), der das albanische Bildungswesen aufbaute, NikollÚ Gazulli (1895 – 1946), der Dichter Ndre Mjeda (1866 – 1937), Mark Harapi (1890 – 1973) und der albanische Nationaldichter, der Franziskanerpater Gjergj Fishta (1871 – 1940), den Jokl bei seiner einzigen Reise nach Albanien in Tirana im November 1937 persönlich traf.59 Jokl veröffentlichte (posthum) eine Würdigung Fishtas in der diesem gewidmeten Gedenkschrift (1943).60 Nach dem »Anschluss« Österreichs an das »Dritte Reich« 57 Hermann Ölberg (Hg.), Akten des Internationalen Albanologischen Kolloquiums zum Gedächtnis an Univ. Prof. Dr. Norbert Jokl, Innsbruck: AMOE 1977; Petrit Kotrri, Norbert Jokl und seine Studien zur Albanischen Sprache, Peja: Dukagjini 2003; Oskar Pfeiffer (Hg.), Norbert Jokl – Sprachliche Beiträge zur Paläo-Ethnologie der Balkanhalbinsel, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1984; Ronald Zwanziger, Nobert Jokl – Albanologe und Bibliothekar, in: Biblos 31 (1982) 243 – 250; Triedhilde Krause, Vatroslav Jagic´ und Norbert Jokl in ihrer Korrespondenz, in: Biblos 41 (1992) 63 – 74; Utz Maas, Verfolgung und Auswanderung deutschsprachiger Sprachforscher 1933 – 1945, URL: http:// www.esf.uni-osnabrueck.de/biographien-sicherung/j/157-jokl-norbert (abgerufen am 2. 2. 2015). 58 Z. B. Die magyarischen Bestandteile des albanischen Wortschatzes, in: Ungarische Jahrbücher 7 (1927) 2, 46 – 84; Balkanlateinische Studien, in: Balkanarchiv 4 (1925) 195 – 217. 59 Etliche von Jokls albanischen Kollegen wurden Opfer des anderen Totalitarismus des europäischen 20. Jahrhunderts: Gazulli wurde 1946 von den albanischen Kommunisten ermordet, Harapi starb im Elend; s. Kolec Topalli, Communist Persecution in Albanian Studies, URL: http://www.albanianhistory.net/texts21/AH2010.html (abgerufen am 29. 4.2014). 60 Kotrri, Norbert Jokl 161 – 167. Die Hochachtung, die Jokl im kommunistischen Albanien genoss, wurde deutlich, als in den Studime filologjike 1972/4, 165 – 185, der offiziösen
Balkanforschung an der Universität Wien
85
wurde Jokl wegen seiner jüdischen Herkunft entlassen. Der Altorientalist Viktor Christian (1885 – 1963) schlug ihm vor, einen Antrag auf »gnadenweise Gleichstellung« mit »Mischlingen ersten Grades« zu stellen, was der Linguist Paul Kretschmer mit einem Gutachten unterstützte. Der Dozentenbund aber lehnte dies ab, und Christian und Kretschmer hatten beim Rektorat ebenfalls keinen Erfolg. Es begann ein jahrelanges Planen, um Jokl nach Albanien zu holen, wofür sich Italien und aus Albanien AleksandÚr Xhuvani einsetzte. Als die Erlaubnis zur Auswanderung 1942 erteilt wurde, wollte Jokl nicht ohne seine Bücher ausreisen. Viktor Christian, damals Dekan, befand sich bereits in einem innerparteilichen Konflikt mit dem SD und glaubte, seine Stellung mit der Denunzierung Jokls zu verbessern. Jokl wurde umgehend von der Gestapo verhaftet. Christian und andere Nationalsozialisten wollten Hand auf Jokls albanisches Wörterbuch legen. Von Jokls Familie scheint niemand überlebt zu haben. Es ist unklar, ob Jokl in Wien an Misshandlungen gestorben ist oder in einem Sammellager Selbstmord verübte.61 Neben Jokl setzte Maximilian Lambertz (1882 – 1963)62 die albanologische Tradition besonders von Hahns fort; zugleich ist auch sein Schicksal mit den Fährnissen des 20. Jahrhunderts verbunden. Lambertz widmete sich besonders der Erforschung der albanischen Dichtung und Epik. Sein Interesse an der albanischen Kultur war im Kontakt mit Hirten im griechischen Theben entstanden, die der albanischsprachigen orthodoxen Gruppe der Arvaniten angehörten. Lambertz hatte im Krieg an der »Komisia letrare« mitgearbeitet und veröffentlichte 1922 eine Sammlung albanischer Märchen. Ihm verdankt man auch die Übersetzung des albanischen Nationalepos »Die Laute des Hochlands« von P. Gjergj Fishta sowie vergleichend angelegte Studien zur albanischen Epik im balkanischen Kontext.63 Sein Versuch, sich in Wien zu habilitieren, scheiterte 1923. Als Sozialdemokrat wurde er 1934 aus dem Schuldienst entfernt. Nach einem Zweitstudium der evangelischen Theologie wurde er Lektor an der Universität Wien. Entfalten konnte sich Lambertz erst in der DDR: als Mitglied der Zeitschrift für Geschichte seine Briefe an den albanischen Gelehrten und Bildungspolitiker Xhuvani ediert wurden. 61 Ausführliche Analyse der Akten bei Gerd Simon, Tödlicher Bücherwahn. Der letzte Universitätsrektor im 3. Reich und der Tod seines Kollegen Norbert JOKL, URL: http://home pages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/buecherwahn.pdf (abgerufen am 2. 2. 2015). 62 URL:http://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_L/Lambertz_Maximilian_1882_1963.xml(abgerufen am 2.2.2015). 63 Maximilian Lambertz, Albanische Märchen und andere Texte zur albanischen Volkskunde, Wien: Alfred Hölder 1922; s. Shaban Sinani, Lambertz, studiues e mbledhÚs i traditÚs gojore shiqptare. Rreth koleksionit »Midis Drinit dhe VjosÚs«, in: Ardian Marashi/Albert Rakipi (Hg.), ShqipÚri-Austri. Reflektim historiografik. Tirana: Botimet albanologjike 2013, 249 – 266; TefÚ Topalli/Edlira Bushati, Kontributi gjuhÚsor i Maximilian Lambertz nÚ gazetÚn »Posta e ShqypniÚs«, in: ebd., 267 – 274.
86
Oliver Jens Schmitt
KPD machte er rasch Karriere. Schon 1946 wirkte er als Dekan in Leipzig. Die Universität Wien, die ihm 1923 die Habilitation und 1938 die Approbierung der Dissertation verweigert hatte, verlieh ihm posthum 1982 den Titel eines Magisters der Theologie. Trubeckoj, Jokl und Lambertz stehen für eine letzte Blüte sprach- und literaturwissenschaftlicher Balkanforschung, zu einem Zeitpunkt, als die geschichtswissenschaftliche Beschäftigung mit dem Raum weitgehend verkümmert war.
5.
Balkanstudentische Lebenswelten in Wien
Die Wiener Balkanforschung wurde von Studenten aus dem Balkanraum mindestens ebenso geprägt wie von bedeutenden Gelehrtengestalten. Dabei kam nicht nur Lehrer-Schüler-Verhältnissen Bedeutung zu, sondern auch dem vielgestaltigen Studentenmilieu, das sich in Wien herausbildete. Aus Bulgarien, Rumänien und Serbien stammten 1860 0,8 %, 1880 1,7 %, 1900 2,8 % der Wiener Studentenschaft.64 Diese Zahlen sagen aber weniger aus als etwa die Angabe, dass zwischen 1878 und 1918 rund 1.000 Bulgaren in Wien studiert hatten, darunter nicht weniger als 17 spätere Mitglieder der Bulgarischen Akademie – für den seit 1878 autonomen bulgarischen Staat war Wien eine wichtige Kaderschmiede. Zwischen 1900 und 1910 stellten Bulgaren die größte ausländische Studentengemeinschaft an der Universität Wien.65 Am meisten bulgarische Studenten kamen aber unmittelbar nach 1918 nach Wien – politische Unruhen in Bulgarien mit zeitweiliger Schließung der Universität, günstigere Lebenshaltungskosten als im Heimatland und jahrzehntelange Beziehungen, gestärkt durch das Bündnis im Weltkrieg, erklären die erstaunliche Zahl von 2.000 bulgarischen Studenten im Jahre 1921.66 Auf jeden Fall übertraf die politisch-kulturelle Bedeutung die numerische bei allen Balkanvölkern in deutlichem Maße. 64 Gary B. Cohen, Die Studenten der Wiener Universität von 1860 bis 1900. Ein soziales und geographisches Profil, in: Richard Georg Plaschka/Karlheinz Mack (Hg.), Wegenetze europäischen Geistes II. Universitäten und Studenten. Die Bedeutung studentischer Migrationen in Mittel- und Südosteuropa vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1987, 290 – 316, hier 293. 65 Peter Bachmaier, Die Bedeutung Wiens für die bulgarische studierende Jugend 1878 – 1918, in: Richard Georg Plaschka/Karlheinz Mack (Hg.), Wegenetze europäischen Geistes II. Universitäten und Studenten. Die Bedeutung studentischer Migrationen in Mittel- und Südosteuropa vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1987, 344 – 361, 344; Vladko Murdarov, Die Wiener Slawistik und die bulgarische Sprachwissenschaft 1822 – 1849 – 1918 (Miscellanea Bulgarica 14), Wien: Verein »Freunde des Hauses Wittgenstein« 2001, 148 – 200. 66 Kristina Popova, Die bulgarischen Studenten in Wien 1918 – 1944, in: Christo Choliolcˇev/ Karlheinz Mack/Arnold Suppan (Hg.), Bulgarisch-österreichische Beziehungen 1878 – 1996, Wien: Verein »Freunde des Hauses Wittgenstein« 1998, 75 – 85.
Balkanforschung an der Universität Wien
87
Die Nationalhistoriographien der Balkanländer haben deshalb der Erforschung ihrer jeweiligen Konationalen an der Wiener alma mater erhebliche Aufmerksamkeit gewidmet. Kaum aber wurde versucht, Wien als gesamtbalkanischen Ort wissenschaftlich-kultureller Tätigkeit in den Blick zu nehmen. Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fand im Milieu von Wiener Gelehrten und niedergelassenen balkanorthodoxen Kaufleuten, von denen einige wie die Familien Sina und Dumba in die österreichische Elite aufstiegen, ein reges Geistesleben statt. Der bulgarische Publizist Ivan Dobrovski (1812 – 1896), der 1850/ 51 die Zeitschrift »Mirozrenie« herausgab, bewegte sich in diesem Umfeld, zwischen Miklosich, dem serbischen Sprachschöpfer Vuk Stefanovic´ Karadzˇic´ und der orthodoxen Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit am Fleischmarkt im 1. Bezirk.67 Nicht nur für die Slawen der Monarchie, sondern auch für Balkanorthodoxe war Wien einer jener Orte, an dem sie einen starken kulturell-wissenschaftlichen Austausch pflegten, der strukturell in ihren Heimatregionen nicht möglich war und bald darauf wegen der wachsenden Gegensätze innerregional nicht betrieben wurde. Die nationale Sichtweise ist freilich nicht ganz falsch, waren doch die Studenten seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem in nationalen Vereinen organisiert. Wie stark Nationalitätenpolitik und nationale Frage der Habsburgermonarchie die aus dem Balkan stammenden Studenten in ihrem nationalen Denken und ihrer kulturellen Praxis geprägt hat, ist in vergleichender Untersuchung bislang noch kaum dargestellt worden. Dabei haben führende Wissenschaftler und Politiker der Balkanländer wesentliche Eindrücke gerade in Wien empfangen – dass viele von ihnen, wie angedeutet, sich politisch gegen Österreich stellten, widerspricht dieser Beobachtung nicht. Die Prägungen reichen dabei vom starken Nationalismus der späten Monarchie bis zum »roten Wien«, das seinen Eindruck auf linksorientierte Studenten der Zwischenkriegszeit nicht verfehlte. Die Bedeutung der Wiener Universität als sozialer und kultureller Ort der Nationsfindung kann hier nur gestreift werden: schon 1838 hatten rumänische Theologen in Wien eine Lesegemeinschaft gegründet. 1868 wurde mit der »Romnia« ein Nationalverein ins Leben gerufen. Am meisten Ruhm erlangte die 1871 eingerichtete »Gesellschaft Junges Rumänien«, als deren Sekretär der spätere Nationaldichter Mihai Eminescu amtete.68 Ein reiches 67 Nadja Danova, »Malkite Balkani« va˘v Viena, in: Lilia Kirova (Hg.), Balkanite – mnogolikite izmerenija na evropejskata kultura, Sofia: Faber 2010, 126 – 149. 68 Dan Berindei, Rumänische Studenten im Ausland und die Entstehung des modernen Rumänien im 19. Jahrhundert, in: Richard Georg Plaschka/Karlheinz Mack (Hg.), Wegenetze europäischen Geistes II. Universitäten und Studenten. Die Bedeutung studentischer Migrationen in Mittel- und Südosteuropa vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1987, 83 – 100; Hans-Peter Hye, Rumänische Vereine in Wien bis 1914/16, in: Anuarul Institutului de Istorie Cluj Napoca 33 (1994) 137 – 155; Corneliu Cra˘-
88
Oliver Jens Schmitt
Vereinswesen besaßen ebenso Bulgaren, Makedonier und Albaner : der 1869 gegründete bulgarische Verein »Napreda˘k« (Fortschritt) unterstützte in der Tradition der bulgarischen Nationalbewegung, die wesentlich auch eine Bildungsbewegung war, das Studium junger Lehrer. Nach der Auflösung des »Napreda˘k« (1893) pflegte der Nachfolgeverein »Balkan« mit seinen mehr als 100 Mitgliedern panslawisches Gedankengut, ohne dass die bulgarischen Studenten in großer Zahl staatsfeindliche Kundgebungen austroslawischer Studenten massiv unterstützt hätten.69 In der Zwischenkriegszeit differenzierte sich das bulgarische Milieu in Bulgaren und Makedonier aus: Wien als zeitweilige Zentrale der Balkanpolitik der Komintern wurde zu einem Ort, an dem neue nationale und ideologische Identifikationen ausverhandelt wurden. Die Bulgaren zerfielen in die Vereine »Otec Paisij« und »Christo Botev«. Das makedonische Vereinsleben war von starken Spannungen zwischen rechts- und linksgerichteten Gruppierungen der »Inneren makedonischen revolutionären Organisation« gekennzeichnet.70 Noch mehr als für Rumänen, Bulgaren und Makedonier war die Universität Wien für die Albaner über Jahrzehnte ein eigentlicher Brennpunkt nationalen Kultur- und Wissenschaftslebens – die Tradition der habsburgischen Albanienpolitik wirkte dabei zumindest kulturell in die Zwischenkriegszeit fort. Der 1904 gegründete Verein »Dija« entfaltete eine protostaatliche Tätigkeit, indem er eigene Schulbücher und einen Kalender herausgab; das 1906 von dem Vereinsvorsitzenden Gjergj Pekmezi (1872 – 1938) und Maximilian Lambertz veröffentlichte Lehrbuch der albanischen Sprache blieb lange Jahre ein Standardwerk. 1918 sammelte der Verein »Albania« die albanische Studentenschaft.71 Zwischen 1920 und 1929 betreute der Verein mit »DialÚria« eine anspruchsvolle Kulturzeitschrift, in der führende Gestalten des albanischen Geisteslebens publizierten.72 All diese Vereine waren weit mehr als Orte studentischer Geselligkeit im Kreise von Landsleuten: in Wien entstanden Nuclei nationalkultureller Aktivisten, die schon als Studenten, erst recht aber nach ihrer Rückkehr in ihre Herkunftsländer auf diese einwirkten, wobei die
69 70
71
72
ciun, Societa˘¸tile academice romne din Viena (1861 – 1918), Oradea: Logos ’94 2001, 58 ff. und 340. Bachmaier, Bedeutung, 348. Popova, Studenten, 81; Antje Helmstaedt, Die kommunistische Balkanföderation im Rahmen der sowjetrussischen Balkanpolitik zu Beginn der zwanziger Jahre, Berlin: Freie Universität 1976; Julia Masetovic/Stefan Neumeyer (Hg.), Balkanföderation und Arbeiterbewegung. 3 Bde., Wien: Arbeitsgruppe Marxismus 2001 – 2002. Kurt Gostentschnigg, Die Aktivitäten der albanischen StudentInnen in Österreich bis 1939, in: Albert Ramaj (Hg.), Poeta nascitur – historicus fit. Ad honorem Zef Mirdita, St. Gallen–Zagreb: Albanisches Institut Hrvatski institut za povijest 2013, 1123 – 1145, hier 1125, 1133, 1144; detaillierte prosopographische Darstellung bei Uran Asllani, StudentÚt shqiptarÚ tÚ AustrisÚ dhe veprimtaria e tyre, Tirana: Ilar 1992 – 1998 (sic). Gostentschnigg, Aktivitäten, mit ausführlichen Inhaltsangaben.
Balkanforschung an der Universität Wien
89
Strahlkraft von der Normierung von Nationalsprachen bis zur Ausarbeitung nationalpolitischer Konzepte und revolutionärer Pläne reichte. Die Studenten aus dem Balkan in Wien belegten schwerpunktmäßig nicht Geisteswissenschaften an der Universität, sondern technische Fächer an der Technischen Hochschule, der Hochschule für Bodenkultur sowie den Militärschulen.73 Dennoch entfaltete die Wiener Balkanforschung eine besondere, auch besonders langfristig wirkende Ausstrahlung auf den Balkanraum. »[…] und so haben an dieser Universität fast alle namhaften serbischen Historiker studiert, Wissenschaftler, die endlich bei den Serben diese Wissenschaft weiterentwickeln sollten«, fasst der serbische Historiker Dejan Medakovic´ die Bedeutung Wiens für die serbische Geschichtsforschung zusammen.74 Der eigentliche Begründer der kritischen Historiographie in Serbien, Ilarion Ruvarac (1832 – 1905), hatte in den 1850er Jahren in Wien Jus, Geschichte und Philosophie studiert. Zur selben Generation gehören Öura Danicˇic´ (1825 – 1882), ein Schüler Miklosichs, und Valtazar Bogisˇic´ (1834 – 1908), der (ab 1863) wie Kopitar und Miklosich an der Hofbibliothek wirkte und gemeinsam mit Jirecˇek die Statuten von Dubrovnik edierte. Breitere Wirkung entfalteten die Dissertanten Jirecˇeks, so Jovan Radonic´, der 1896 mit einer Arbeit zum bosnischen Großwoiwoden Sandalj Hranic´ Kosacˇa (ca. 1370 – 1435) promovierte und 1911, gestützt auf Wiener Archivalien, die Monographie Grof Öord¯e Brankovic´ i njegovo doba herausbrachte. Stanoje Stanojevic´ (1874 – 1937) arbeitete bei Jirecˇek zum spätmittelalterlichen serbischen Geschichtsschreiber Konstantin dem Philosophen.75 Jirecˇeks Schüler gaben die Wiener Methode an der Belgrader Universität auch nach 1945 weiter – ´ irkovic´ (1928 – 2009) kann in noch der Doyen der serbischen Mediävistik, Sima C diese Tradition gestellt werden –, die Jirecˇek-Medaille der deutschen Südosteuropa-Gesellschaft hat er in besonderem Sinne verdient, nicht zuletzt auch wegen seiner nüchternen, nationalistischen Exzessen abholden Forschungsrichtung.76 Unter den bulgarischen Schülern Jirecˇeks ragen Peta˘r Nikov (1884 – 1938), der über das bulgarische Teilreich von Vidin im 14. Jahrhundert promovierte, später Professor an der Universität Sofia und Mitglied der bulgarischen Akademie war, Pavel Oresˇkov (1884 – 1953) sowie Ivan Velkov (1891 – 1958), 1938 – 1944 Direktor des archäologischen Museum in Sofia, heraus.77 Kein anderer 73 Bachmaier, Bedeutung, 344. Vgl. auch Marcella Stern, Die im Zeitraum von 1897 bis 1918 an der Universität Wien promovierten Frauen aus dem Gebiet des heutigen Rumänien, in: Revue roumaine d’histoire 35 (1996), 3 – 4, 219 – 228. 74 Medakovic´, Serben, 196. 75 Medakovic´, Serben, 196 – 199. ´ irkovic´a, 76 Siehe die Gedenkschrift von Srd¯an Rudic´ (Hg.), Spomenica akademika Sime C Belgrad: Istorijski institut 2011. 77 Iskra Schwarcz, Die bulgarischen Studenten und das Seminar für osteuropäische Geschichte
90
Oliver Jens Schmitt
Absolvent der Wiener Universität aus der Balkanregion erlangte derartige politische Bedeutung wie der Serbe Jovan Cvijic´ (1865 – 1927), der als serbischer Staatsstipendiat in Wien Geographie studierte und eine gründliche Ausbildung in Meteorologie, Kartographie und Klimatologie erhielt. Zurück in Serbien, entwickelte er sich zu einem Führer des serbischen Nationalismus in der Wissenschaft. Seine anthropogeographischen Forschungen dienten der Legitimierung zunächst des großserbischen, dann des großserbisch geprägten jugoslawischen Staatswesens, dessen Grenzen Cvijic´ auf den Pariser Vorortkonferenzen als Experte maßgeblich prägte.78 In der politischen Wirkung am nächsten kam ihm Jirecˇeks Bukowiner Dissertant Ion Nistor (1876 – 1962), der nach 1918 den Anschluss der Bukowina an das Königreich Groß-Rumänien bewerkstelligte und maßgeblich an der Zerstörung des mehrsprachigen Kulturlebens in Czernowitz beteiligt war. Nistor stieg zum Rektor der Czernowitzer Universität auf, wo er herausragende Gelehrte durch rumänische Gymnasiallehrer ersetzte; als Mitglied der Liberalen Partei war er für den antisemitischen Geist in der Zwischenkriegszeit mitverantwortlich – wie andere Absolventen der Wiener Universität wurde er dann selbst zum Opfer des gewalttätigen 20. Jahrhunderts. Zwischen 1950 und 1955 war er in einem kommunistischen Lager inhaftiert. Seine Werke wurden in Rumänien erst nach 1989 wieder zugänglich.79 Ganz anders gestaltete sich die Beziehung albanischer Absolventen zur Wiener Universität: während Belgrad und Bukarest sich nach 1918 als neue Metropolen des europäischen Südostens von dem verarmten Wien absetzten, zog es albanische Studenten weiterhin an die alma mater Rudolfina. Die Nationalaktivisten von vor 1918 übernahmen nun auch offizielle Positionen: der Vereinsleiter der »Dija«, Gjergj Pekmezi, stieg zum albanischen Konsul in Wien auf, wo er aufgrund seiner wissenschaftlichen Arbeit – u. a. bei der »Komisia letrare« – in der albanischen Gemeinschaft Ansehen genoss. Wie im Falle der Makedonier bildete Wien auch für die Albaner ein politisches Zentrum, in dem sich Studentenmilieu (1907 – 1918) in: Milcˇo Lalkov/Harald Heppner/Rumjana Preshlenova (Hg.), Österreich, Österreich-Ungarn und die Entwicklung der bulgarischen Eliten 1815 – 1918, Sofia: Prof. Marin Drinov 1999, 84 – 107, hier 91 ff. 78 Ljubinka Trgovcˇevic´, Die erste im Ausland ausgebildete Professorengeneration der Universität Belgrad, in: Richard Georg Plaschka/Karlheinz Mack (Hg.), Wegenetze europäischen Geistes II. Universitäten und Studenten. Die Bedeutung studentischer Migrationen in Mittelund Südosteuropa vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1987, 101 – 113, hier 108 – 113; Konrad Clewing/Edvin Pezo, Jovan Cvijic´ als Historiker und Nationsbildner. Zu Ertrag und Grenzen seines anthropogeographischen Ansatzes zur Migrationsgeschichte, in: Markus Krzoska/Hans-Christian Maner (Hg.): Beruf und Berufung: Geschichtswissenschaft und Nationsbildung in Ostmittel- und Südosteuropa im 19. und 20. Jahrhundert, Münster : LIT Verlag, 2005, 265 – 297. 79 Marianne Hausleitner, Die Rumänisierung der Bukowina. Die Durchsetzung des nationalstaatlichen Anspruchs Großrumäniens 1918 – 1944, München: Oldenbourg 2001, 91 – 92, 100 – 120, 119 f. und besonders 144 – 150.
Balkanforschung an der Universität Wien
91
und Nationalaktivismus überschnitten. Es gab kaum einen führenden albanischen Politiker und Intellektuellen, der sich in der Zwischenkriegszeit nicht in Wien aufgehalten hätte. Die Bedeutung Wiens für die Balkanintelligenz und die Stellung der Studenten aus dem Balkan fanden auch ihren Niederschlag in Memoiren und der schönen Literatur. Oft zitiert ist Heimito von Doderers Erwähnung bulgarischer Studenten in der Strudlhofstiege.80 Elias Canetti beschrieb bulgarische Studenten, die lautstark Lieder anstimmten.81 Konstantin Jirecˇek wurde zu einer der Hauptfiguren der berühmten Satire Baj Ganju des bulgarischen Schriftstellers Aleko Konstantinov (1863 – 1897): der schlitzohrige Baj Ganju besuchte Jirecˇek in Prag und versuchte, Kost und Logis zu schnorren.82 Das studentische Milieu in der Zwischenkriegszeit erfasste atmosphärisch wohl am besten Aleks Buda (1911 – 1993). Der aus einer wohlhabenden Familie im mittelalbanischen Elbasan stammende Buda hatte 1929 das Gymnasium in Salzburg abgeschlossen und bis 1935 in Wien bei den führenden Vertretern der Balkanwissenschaft studiert. Buda zeigte sich vom »roten Wien« stark beeindruckt. Nach 1945 übernahm er Spitzenpositionen in der entstehenden albanischen Wissenschaft. 1972 wurde er von Diktator Enver Hoxha (1900 – 1985) zum Gründerpräsidenten der albanischen Akademie bestellt. Bis zu seinem Lebensende unterhielt Buda beste Beziehungen nach Österreich, auch zum Institut für osteuropäische Geschichte. Obwohl Buda als Chefhistoriker ein extrem nationalistisches und xenophobes Geschichtsbild prägte, wurde er nach 1989 vom offiziellen Österreich ausgezeichnet – die Aufarbeitung der Verstrickungen österreichischer Wissenschaft mit dem kommunistischen Totalitarismus, so zeigt das Beispiel Budas, steht noch ganz in den Anfängen.83 In seinen nach dem Sturz des Kommunismus verfassten Memoiren entwirft Buda ein nostalgisch-idealisiertes Bild der Wiener Balkanforschung, die zu erwähnen unter dem von ihm mitgeprägten albanischen Totalitarismus weitestgehend tabu gewesen war. In der Zwischenkriegszeit pflegten albanische Studenten ein geselliges Miteinander, die nach 1945 ganz unterschiedliche Lebenswege nahmen: nicht weniger als 130 Absolventen der 80 Bachmaier, Bedeutung, 345. 81 Popova, Studenten, 76. 82 Aleko Konstantinofs Baj Ganju, herausgegeben, übersetzt und erläutert von Gustav Weigand, Leipzig: Barth 1908; das Jirecˇek gewidmete Exemplar befindet sich in der Fachbibliothek Osteuropäische Geschichte und Slawistik. Ein zweites Mal (halb)literarisch verarbeitet wurde das Institut für osteuropäische Geschichte in Ismail Kadare, MosmarrÚveshja – mbi raportet e ShqipÚrisÚ me vetveten, Tirana: Onufri 2010. 83 Tatjana Haxhimihali (Hg.), Aleks Buda. Kujtime, Tirana: MÚsonjÚtorja 2005; Oliver Jens Schmitt, Genosse Aleks und seine Partei oder : Zu Politik und Geschichtswissenschaft im kommunistischen Albanien (1945 – 1991), in: Michael Krzoska/Hans Christian Maner (Hg.), Beruf und Berufung. Geschichtswissenschaft und Nationsbildung in Ostmittel- und Südosteuropa im 19. und 20. Jahrhundert. Münster : LIT 2005, 143 – 166.
92
Oliver Jens Schmitt
Wiener Universität wurden zur Zeit des albanischen Kommunismus eingekerkert, mehr als 30 hingerichtet.84 Männer wie Buda hingegen machten Karriere und erinnerten nach 1990 nur verschämt an das Schicksal ihrer einstigen Studienkollegen. Besondere Verehrung brachte Buda in der Rückschau Carl Patsch und Norbert Jokl entgegen. Patschs Seminar sei »ein balkanischer Mikrokosmos« gewesen, in dem serbische, kroatische, slowenische, bulgarische und rumänische Studenten verkehrt und unter dem ausgleichenden Einfluss des Professors keine nationalen Gegensätze bestanden hätten. Patsch hätte dem Balkan »ein warmes Verständnis« entgegengebracht.85 Buda und seine albanischen Kommilitonen trieben einen eigentlichen Kult um alle Professoren, die Interesse an ihrem »kleinen und armen Balkanland« bekundeten.86 Paul Kretschmer rühmten sie, weil er 1902 auf dem Orientalistenkongress in Hamburg für das lateinische Alphabet zur Schreibung des Albanischen eingetreten sei – mitten in der erbitterten Auseinandersetzung, ob die mehrheitlich muslimischen Albaner das arabische Alphabet aufgeben sollten, war dies eine Stellungnahme, die westorientierten Nationalaktivisten besonders willkommen war.87 Carl Patsch, der 1945 bei einem Bombenangriff ums Leben kam, sei einen »heroischen Tod« inmitten seiner Bücher gestorben.88 Während Patsch seine Studenten mit türkischem Kaffee und albanischen Zigaretten bewirtete, empfing der in bescheidenen Verhältnissen lebende Norbert Jokl albanische Studenten sonntags zu Tee und Biscuits in seiner Wohnung in der Neustiftgasse im 7. Gemeindebezirk; albanologische Spaziergänge führten auch die Neustiftgasse hinab und dem Ring entlang. Buda betonte, dabei habe »auch der Professor von uns profitiert«,89 eines der wenigen Signale, dass Buda kein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis konstruieren wollte. Wiener Gelehrte waren eng in das studentische Vereinsleben mit einbezogen: die albanischen Studenten und Exilpolitiker trafen sich im Caf¦ »Greilinger«, die »Albania« tagte im Hotel »Hubertushof«, beide im 8. Gemeindebezirk, also nahe bei der Universität und dem Balkan-Institut (Liebiggasse) gelegen. Carl Patsch, Norbert Jokl, Franz Baron Nopcsa, der Diplomat und Albanienkenner Theodor Ippen diskutierten mit albanischen Studenten über albanische Kultur und Wissenschaft. Wie vor 1918 Jagic´ südslawische Studenten um sich geschart hatte, so war die Wiener Balkanforschung in der Zwischenkriegszeit von albanischer, bulgarischer und makedonischer Soziabilität gekennzeichnet. Die Wege zwischen dem akademischen und dem politischen Milieu waren für die Stu84 85 86 87 88 89
Gostentschnigg, Aktivitäten, 1144. Haxhimihali (Hg.), Aleks Buda 116. Haxhimihali (Hg.), Aleks Buda 108. Haxhimihali (Hg.), Aleks Buda 105. Haxhimihali (Hg.), Aleks Buda 109. Haxhimihali (Hg.), Aleks Buda 112.
Balkanforschung an der Universität Wien
93
denten kurz, während die Wiener Professorenschaft sich direkter politischer Tätigkeit enthielt. Carl Patsch hatte zwischen 1922 und 1924 auf Einladung des Österreich eng verbundenen Ministers Karl Gurakuqi (1895 – 1971) versucht, nach dem Vorbild des Landesmuseums in Sarajevo ein albanisches Nationalmuseum aufzubauen. Doch standen ihm kaum Mittel zur Verfügung. Von der verarmten Republik Österreich hatte Albanien nichts zu erwarten – nun rang Frankreich mit Italien um Einfluss in dem jungen Staat, eine Konkurrenz, die auch auf dem Feld der Archäologie ausgetragen wurde, in dem Österreich in der Zwischenkriegszeit als Akteur verdrängt wurde. Doch wirkte gerade in der albanischen Archäologie der Wiener Einfluss besonders stark, denn der Begründer dieser Wissenschaft, Hasan Ceka (1900 – 1998), war ein Schüler Patschs, sein Erbe wird von seinem Sohn Neritan Ceka (geb. 1941) weitergeführt. Und Patschs Einfluss auf die Illyrerforschung ist hoch anzusetzen, übersetzte doch Karl Gurakuqi eine entsprechende Broschüre ins Albanische.90 Unter dem Kommunismus wurde der Illyrerkult, die Vorstellung einer illyrisch-albanischen Kontinuität zu einem quasireligiösen Dogma. Das Wiener Kulturleben übte auf Buda und seine Kommilitonen starke Anziehungskraft aus – sie sangen beliebte Arien nach, führten Theaterstücke auf, besuchten gemeinsam kulturelle Veranstaltungen. Wie stark studentische Soziabilität und politische Eindrücke wirkten, zeigt ein zweites Memoirenwerk: Alexandru Vaida-Voeved (1872 – 1950) studierte in Wien Medizin und stieg rasch zu einem der politischen Führer der Rumänen Siebenbürgens auf; im Rumänien der Zwischenkriegszeit war er mehrfach Premierminister. Er gilt als Pate der faschistischen Legionärsbewegung, als Vorkämpfer des minderheitenfeindlichen »numerus valachicus«, den er als Führer der »Rumänischen Front« lautstark einforderte. Die Memoiren dieses Nationalisten enthalten aber längere deutsche und ungarische Zitate, und überhaupt wird die tiefe Prägung durch Kultur und akademischen Habitus der späten Monarchie bei ihm deutlich. Seine Erinnerungen an die Wiener Studentenzeit lassen erkennen, wie Studenten aus dem südöstlichen Europa die kulturelle Praxis nationalen Denkens in Wien einübten: Vaida war Mitglied des »Jungen Rumänien«, in Wien sympathisierte er mit Lueger, der ihn tief beeindruckte und dessen Parole von den »Judäo-Magyaren« ihm besonders gefiel. Vaida erzählt, wie rumänische Studenten das Verbindungsleben übernahmen, den entsprechenden Ehrenkodex, die Rituale, deren Schlüsselbegriffe Vaida kannte (Paukboden, Frühschoppen, Bummel, Fuchsmajore usw.), und wie in diesem Milieu Verbindungen über die nationalen Grenzen hinweg entstanden. Wien
90 Clayer, Carl Patsch, 99 – 100.
94
Oliver Jens Schmitt
war, wie schon bemerkt, das akademische Laboratorium des Balkanismus und seines ideologischen Gegenparts, des Nationalismus.91
6.
Gibt es ein balkanologisches Paradigma, eine Wiener balkanologische Schule?
Gelehrtengeschichte, Institutionengeschichte, Lebenswelten von Studenten und Professoren, die Verbindung von Wissenschaft und Gesellschaft führen zur Frage, was von der großen Zeit der Wiener Balkanforschung blieb und ob man forschungsgeschichtlich von einem Wiener Paradigma sprechen kann. Die an der Universität Wien gepflogene Beschäftigung mit dem Balkan zeichnet sich durch einige besondere Elemente aus, die teilweise bis in die Gegenwart bestehen: der Balkan wurde als Gesamtraum in seiner ethnischen Vielfalt betrachtet, und zwar dezidiert als mehrheitlich nichtslawischer Raum. Der Balkan wurde als Kulturraum wahrgenommen, dessen sprachliche, gesellschaftliche und religiöse Schichtung nur durch die Untersuchung von Wechselwirkung und Beziehungen zwischen den einzelnen Gruppen verstanden werden kann. Er wurde als alter europäischer Kulturraum verstanden, nicht als Krisenherd: daher umfasste das wissenschaftliche Interesse das Altertum als vollwertigen Teil historischer Betrachtung. Die wissenschaftliche Beschäftigung begann mit der Philologie und dem, was man heute Anthropologie nennen würde, die historische und archäologische Erforschung wuchsen daraus hervor. In ihrer vollen Ausbildung umschloss die Wiener Schule Philologie mit Linguistik, Geschichte, Archäologie, »Völkerkunde« und Geographie. Obwohl die Beschäftigung mit dem Balkan stets auch an politische Interessen gebunden war – ob nun Bücher zensuriert, Bahnlinien gebaut oder der österreichisch-ungarische Einfluss gesichert werden sollten –, genoss die Wiener Schule auf dem Balkan höchstes Ansehen, gerade bei Gelehrten, die Nationalismus durch eine gesamtbalkanische Sichtweise überwinden wollten. Der rumänische Balkanologe Victor Papacostea hob in einer programmatischen Schrift 1943 hervor: »par bonheur, la science occidentale est demeur¦e objective […] Ce courant a continu¦ se d¦velopper par la participation de certaines grandes personnalit¦s, comme par exemple Kopitar, Miklosich, Jirecˇek […]«.92 Wesentliche Wiener Gelehrte der Jahrhundertwende erfreuen sich bis in die Gegenwart hinein in Serbien, Rumänien, Bulgarien oder Albanien eines hervorragenden Rufes. Trotz der offensichtlich vorhandenen Verbindung zur Po91 Alexandru Vaida-Voevod, Memorii. Bd. 1., Cluj-Napoca: Dacia 2006, 79 – 87. 92 Victor Papacostea, La P¦ninsule balkanique et le problÀme des ¦tudes compar¦es, in: Balcanica 6 (1943) IV – XXI, hier XI.
Balkanforschung an der Universität Wien
95
litik der Donaumonarchie wurde im Balkan die Wiener Wissenschaft nicht vorwiegend als Instrument in der Hand imperialer Strategie angesehen. Gewiss erklärt sich diese Einschätzung auch dadurch, dass nach 1918 Österreich keine politische Konkurrenz der neuen Balkanstaaten mehr darstellte bzw. im albanischen Fall vor 1945 Anerkennung für die österreichische Forschungsleistung zum Ausdruck gebracht werden konnte, während diese zur Zeit der kommunistischen Diktatur ganz unter das Verdikt des Imperialismus fiel. Regionalwissenschaft und Politik waren in Wien ineinander verschränkt, doch ist die wissenschaftliche Ausstrahlung auf die Region zu stark, die Wechselwirkung zwischen den wissenschaftlichen Eliten in Wien und dem Balkan zu eng, als dass eine Reduzierung der Wiener Balkanforschung auf politische Interessen der Deutung förderlich wäre. Während in den Balkanstaaten selbst eine rein nationale Sichtweise vorherrschte, wurden in Wien der gesamtregionale Blick und der Vergleich gepflegt: nicht umsonst hat die Wiener Linguistik den Balkansprachbund herausgearbeitet, nicht umsonst wurden hier eine antike und mittelalterliche Geschichte geschrieben, die den Gesamtraum in größere Zusammenhänge setzten, nicht umsonst betrachteten Studenten aus dem Balkan Wien als gesamtbalkanischen Ort des akademischen Austausches, wie er im Balkan selbst so nicht bestand. Keinesfalls herrschte ein mechanischer Transfer von Methoden und Theorien vor, vielmehr bestand zwischen Gelehrten und Studenten aus Wien und dem Balkan ein enges Wechselverhältnis, was sich auch an der akademischen Soziabilität zeigt, dem Umgang von Studenten und Professoren. Wien war freilich kein akademisches Idyll: viele Studenten aus dem Balkan kamen in Kontakt mit den Nationalitätenkämpfen vor 1918, dem politischen Extremismus der Zwischenkriegszeit. Wien war ein politischer Ort für zahlreiche Balkannationen, und der Weg vom studentischen Milieu zu politisch aktiven Diasporakreisen war kurz. Viele wichtige Kapitel der Kulturgeschichte des Balkans wurden in Wien ausgehandelt, vom südslawischen Sprachabkommen von 1850 bis zu den albanischen Literatenkreisen in den 1920er Jahren. Was die Absolventen in ihre Heimatländer mitnahmen, reichte von der strengen quellenkritischen Methode der Historiker, der vergleichenden Balkanlinguistik der Sprachwissenschaftler bis zur österreichischen Tradition der Sozialdemokratie. Eine Ausbildung in Wien bedeutete in vielen Fällen keine loyale Bindung an Österreich – gerade Serben und Rumänen engagierten sich nach dem Studium politisch gegen die Donaumonarchie und deren kulturelles Erbe. Austria victa victores cepit, könnte man hingegen mit Blick auf Serbien (Jugoslawien) und das Groß-Rumänien der Zwischenkriegszeit sagen, während die besiegten Albaner und Bulgaren ihre Beziehungen zu Wien in den 1920er Jahren weiterhin intensiv pflegten. Die Strahlkraft Wiens schwand aber in den 1930er Jahren – wirtschaftliche Not und anders gelagerte Interessen des Ständestaats hatten die Balkanforschung ge-
96
Oliver Jens Schmitt
schwächt, bevor der Nationalsozialismus mit Fürst Nikolaj Trubeckoj und Norbert Jokl zwei der herausragenden Gelehrten zum Schweigen brachte. Belgrad, Bukarest und Prag lösten für wenige Jahre Wien als Zentren der Balkanforschung ab, standen aber wesentlich unter dem Einfluss des Wiener Paradigmas. Dieses lebte nach 1945 in einzelnen nationalen Schulen fort, so der serbischen und der albanischen Geschichtsforschung, die sich auf Jirecˇek und Patsch zurückführten. In Österreich selbst kehrte die Balkanforschung für lange Jahrzehnte zu ihren slawistisch-philologischen Wurzeln zurück. Die Kontinuität der Wiener Balkanforschung liegt in der Beschäftigung mit den Sprachen der Region. Versucht man die Frage nach der Ausstrahlung der Wiener Balkanforschung zusammenzufassen, so erscheinen folgende Elemente von zentraler Bedeutung: im Gegensatz zu der erst in der Zwischenkriegszeit aufkommenden »Südostforschung«, die klar politisch-hegemonialen Zielen des Nationalsozialismus diente, war die Wiener Balkanforschung zwar seit dem frühen 19. Jahrhundert eng mit staatlichen Institutionen (Zensur, Bibliothek, diplomatischer Dienst) verbunden, doch durchlief sie einen Prozess stetiger Professionalierung und zunehmender Entpolitisierung – die (gewiss nie absolute) Politikferne der universitären Balkanforschung wurde von weiten Teilen der Professorenschaft gepflegt, politisierende Professoren wie Hans Uebersberger (übrigens ein Russland-, kein Balkanspezialist) genossen in diesem Milieu keinen besonders guten Ruf und standen weltanschaulich der »Südostforschung« nahe. Besonders im Vergleich mit der stark politisierten ungarischen Balkanforschung fällt die im Falle Jirecˇeks (nach einem stark politikgeprägten Beginn der Laufbahn) ostentative Politikferne des Wiener Professorenmilieus auf. Dies trifft auf ihre Studentenschaft aber deutlich weniger zu: die Wiener Universität war in der späten Monarchie eine Schule nicht nur der wissenschaftlichen Methode, sondern auch der Theorie und Praxis des Nationalismus, in der Zwischenkriegszeit auch der Sozialdemokratie. Zahlreiche Absolventen der Universität, gerade aber der mit der Balkanforschung verbundenen Geisteswissenschaften, erfuhren ihre politische Sozialisierung an der Wiener Universität. Die Bilder, die diese nationalen Eliten von ihrer Wiener Studienzeit kultivierten, änderten sich dabei: hatte Österreich-Ungarn vor 1918 eine Gefahr gerade für serbische und rumänische Nationalpläne dargestellt, so konnte nach 1918 angesichts der Machtlosigkeit des klein gewordenen Österreich eine neutrale Erinnerung an ein Wien gepflegt werden, das auf das kulturell-wissenschaftliche Moment reduziert wurde. Dieser Strang ist gerade bei Wissenschaftlern zu beobachten, die im Kommunismus Karriere gemacht hatten und nach dem Fall der Diktaturen ein Wienbild entwarfen, das ebenso sentimental wie national war : die Wiener Universität wird dabei weiterhin durch ein nationales Prisma wahrgenommen, als Ort nationaler Bildung und nationaler
97
Balkanforschung an der Universität Wien
Selbstbehauptung und Selbstverwirklichung, eine Praxis, die bis in die Gegenwart ihren Ausdruck in zahlreichen Gedenktafeln und Büsten berühmter Persönlichkeiten verschiedener »Nationalkulturen« an Wiener Instituten findet. Die gewandelte Wahrnehmung Wiens – vom faszinierend-bedrohlichen imperialen Zentrum, das anzog wie abstieß, zum »Wissenschaftswien« als nationalkulturellem Erinnerungsort – erklärt auch, jedoch nicht nur, das Weiterwirken des Wiener balkanologischen Paradigmas. Gerade die geringe Politisierung bzw. die weltanschauliche Liberalität der Wiener Balkanforschung wurde von den aus dem Balkan stammenden, in der Regel stark politisierten und politisch aktiven Absolventen nach ihrer Rückkehr geschätzt (das direkte Erleben ist hingegen weniger gut fassbar): so sehr gerade serbische und rumänische Absolventen politisch auf Distanz zu Wien standen (für Albaner gilt mit Ausnahme der Zeit von 1945 – 1991 eher das Gegenteil), so sehr schufen sie doch ihre ganz eigene Vorstellung eines »Weltösterreich«, an dem sie teilhatten und durch dessen kulturelles Prestige sie sich bisweilen bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts in ihren Heimatländern wissenschaftlich und gesellschaftlich legitimierten. Die Vorstellung von einer politisch neutralen Wiener Balkanforschung konnte dabei erst entstehen, als sich innerregional eine deutlich national politisierte Forschungslandschaft ausbildete und nach 1945 totalitäre Systeme die wissenschaftliche Arbeit in ihre Dienste zwangen bzw. nahmen. Gerade die innerregionale wissenschaftspolitische Konkurrenz ließ die Wiener Forschung und die Universität Wien als neutralen Ort der kulturell-wissenschaftlichen Begegnung als Kontrast in einem neuen Licht erscheinen, in einer Aureole einer guten alten Zeit, die von kommunistischen Eliten vor 1989 nur privat erinnert wurde, jedoch, wie erwähnt, in gezielter Weise. Diese Wahrnehmungsmuster sind nicht nur aus generationellen Gründen zu einem Ende gekommen – der Zerfall des sozialistischen Jugoslawien, die tiefen gesellschaftlichen und kulturellen Umwälzungen am ganzen Balkan haben zu einer Neuorientierung der innerregionalen Balkanforschung geführt, bei der Wien zwar ein Bezugs-, nicht mehr aber der hauptsächliche Fixpunkt ist. *** Wer im Jahre 2015 einen historischen Blick auf die Wiener Balkanforschung wirft, erzählt jedoch keine Geschichte von Aufstieg und Niedergang – in den letzten rund drei Jahrzehnten hat sich erneut eine Forschungslandschaft entwickelt, die von der Indogermanistik (Albanologie) über die Romanistik (Rumänistik), die stets reich vertretene Slawistik, die nach 1945 stark aufblühende Byzantinistik und Neogräzistik, die Geschichte, Sozialanthropologie, orthodoxe Theologie bis hin zur Politikwissenschaft den Balkanraum umfasst. Damit ist
98
Oliver Jens Schmitt
der Anschluss an die prägende Zeit der Wiener Balkanforschung wieder hergestellt. Die Balkanforschung spiegelt im Kleinen die Entwicklung der österreichischen Wissenschaft in den letzten zwei Jahrhunderten wieder. Die Herausforderung der Gegenwart besteht in der Bündelung und Institutionalisierung der vielen Disziplinen und Zugänge – ein Balkaninstitut, wie es Carl Patsch geschaffen hatte, fehlt in Wien, nicht aber in Belgrad, Bukarest, Sofia, Saloniki oder Regensburg, das die Nachfolge Münchens angetreten hat.
Klaus Taschwer
Nachrichten von der antisemitischen Kampfzone. Die Universität Wien im Spiegel und unter dem Einfluss der Tageszeitungen, 1920 – 19331 In memoriam Eckart Früh (1942 – 2014)
1.
Prolog: Öffentliches Schämen für die Alma mater
Im November 1931 erhielt der damalige Rektor der Universität Wien, der Pathologe Rudolf Maresch (1868 – 1936), einen Brief, der in der bis dahin 566-jährigen Geschichte der Universität Wien beispiellos war. Verfasst hatte das Schreiben Fritz Brügel (1897 – 1955), der zehn Jahre zuvor an der Universität Wien mit einer Arbeit über die Geschichte der Deutschen in Böhmen zum Doktor der Philosophie promoviert worden war. Nachdem der Alumnus zehn Jahre lang den Titel eines Dr. phil. geführt hatte, war er nun über die politische Zustände an seiner Alma mater so erbost, dass er sein Doktordiplom zerriss und die Teile am 21. November mit folgendem Begleitschreiben in ein Kuvert steckte:2 Eure Magnifizenz! Als Kandidat der Philosophie habe ich bei meiner Promotion das Gelöbnis abgelegt, das den Doktoren meiner Fakultät vorschreibt, in der uneigennützigen Bemühung für die Wahrheit nicht zu erlahmen und danach zu streben, daß ihr Licht, in dem das Heil des Menschengeschlechts beschlossen ist, nur um so strahlender leuchte. Die letzten Vorgänge an der Wiener Universität haben mir, wenn ich dieses Beweises noch bedurft hätte, gezeigt, daß die Promotionsformel jeden Sinn verloren hat; daß 1 Der Autor bedankt sich herzlich bei Margarete Grandner (Wien), Thomas König (Wien), Johannes Feichtinger (Wien) und Oliver Hochadel (Barcelona) sowie einer anonymen Gutachterin oder einem anonymen Gutachter für zahlreiche Korrekturen und Verbesserungsvorschläge früherer Fassungen dieses Texts. 2 Brief Fritz Brügels an den Rektor der Universität Wien vom 21. November 1931, Archiv der Universität Wien, Akte Fritz Brügel, GZ 375. Studienjahr 1931/32. Für eine detaillierte Rekonstruktion von Brügels Vita und seinem Protest vgl. Sabine Lichtenberger/Herbert Posch »… ein Vorbild geistiger und menschlicher Integrität«. Fritz Brügels Protest gegen antidemokratische, antisemitische und deutschnationale Tendenzen an der Universität Wien 1931, in: Zwischenwelt, Jänner 2012, 27 – 33.
100
Klaus Taschwer
sich in den Anschlagkästen, ungehindert vom Rektorat, eine Gesinnung breitmacht, die weder mit den Gesetzen der österreichischen Republik, noch mit den Doktorgelöbnissen der einzelnen Fakultäten vereinbar ist. Rektor und Senat mögen über diesen Zwiespalt hinwegkommen; ich fühle mich durch mein Gelöbnis verpflichtet, einer Universität, die alle Gesetze der Humanität zwar in ihren Promotionsformeln führt, aber in Wahrheit für nichts achtet, mein Diplom als Doktor der Philosophie zerrissen zurückzugeben, und zu ersuchen, meinen Namen aus der Doktorenliste jener Institution, die sich Alma mater Vindobonensis Rudolfina nennt, zu streichen. Ihnen, Herr Rektor, bleibt es überlassen, Ihre Haltung mit dem Gelöbnis, das Sie seinerzeit geleistet haben, für vereinbar zu halten.
Dieses Schreiben wurde von Brügel auch publik gemacht: Es erschien nur einen Tag später unter dem Titel »Einer, der sich der Universität schämt« als offener Brief in der Arbeiter-Zeitung, dem Parteiblatt der damaligen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und kurz darauf in der Dezemberausgabe der SozialistischAkademischen Rundschau, dem Organ der sozialdemokratischen Studierenden und Universitätsangehörigen.3 Brügel, der Leiter der Sozialwissenschaftlichen Studienbibliothek der Arbeiterkammer, betätigte sich journalistisch sowie als Aktivist auch in der sozialdemokratischen Bildungsarbeit. Das Protestschreiben blieb nicht ohne Antwort. Sie erfolgte allerdings nicht durch den amtierenden Rektor Rudolf Maresch, sondern durch seinen Vorgänger, Prorektor Hans Uebersberger (1877 – 1962). Der Professor für osteuropäische Geschichte, ein deklarierter Sympathisant des Nationalsozialismus,4 ließ Brügel drei Tage später die folgende lakonische Nachricht zukommen: Auf Ihre Zuschrift vom 21. d. M teile ich Ihnen mit, daß ich die Pedellenkanzlei angewiesen habe, Ihren Verzicht auf das philosophische Doktorat der Wiener Universität in das Promotionsprotokoll aufzunehmen. Sie sind nunmehr nicht mehr berechtigt, den Titel des Doktors der Philosophie zu führen.5
Damit war der Fall öffentlicher Renitenz für die gewählten Vertreter der Universität Wien vorerst erledigt. Doch was hatte Fritz Brügel zu seiner Tat bewogen? Und warum schickte er ausgerechnet am 21. November 1931 diesen Brief an den Rektor und die sozialdemokratischen Medien? Eine mögliche Antwort 3 Einer, der sich der Universität schämt, Arbeiter-Zeitung, 22. 11. 1931; Sozialistisch-Akademische Rundschau 4 (Dezember 1931) 10, 161. 4 Uebersberger war zwar erst seit 1933 NSDAP-Mitglied. Nachdem er 1934 eine Professur in Deutschland übernommen hatte, um der Zwangspensionierung durch das austrofaschistische Unterrichtsministerium zu entgehen, rühmte er sich allerdings, »als erster in Wien entlassener nationalsozialistischer Rektor ein Märtyrer für den Nationalsozialismus« gewesen zu sein. Zitiert nach Werner Philipp, Nationalsozialismus und Ostwissenschaften, in: Nationalsozialismus und die deutsche Universität (Universitätstage 1966. Veröffentlichung der Freien Universität Berlin), Berlin: de Gruyter 1966, 43 – 62, 46. 5 Zitiert nach Lichtenberger/Posch, »… ein Vorbild«, 28.
Nachrichten von der antisemitischen Kampfzone
101
ergibt sich bei einem kurzen Blick in die Zeitungen, die in der Woche zuvor erschienen und vom Bibliothekar Brügel wohl auch gelesen worden waren. Allein in den sieben Tagen finden sich zahlreiche Artikel, die allesamt die Umstände an der Universität behandelten: Tabelle 4.1: Überschriften aus verschiedenen Wiener Tageszeitungen, Kalenderwoche vor dem 21. 11. 1931 »Der Rektor dankt seinen Hakenkreuzlern« (Arbeiter-Zeitung, 14. November 1931) »Der Rektor mit den Radaustudenten solidarisch« (Der Wiener Tag, 14. November 1931) »Die Universität den Hitler-Buben ausgeliefert […] Blutige Zusammenstöße vor der Universität« (Arbeiter-Zeitung, 15. November 1931) »Unruhen an der Universität. Heimwehrstudenten als Ordner« (Neue Freie Presse, 16. November 1931) »Nationalistische Studenten als Ordner an der Universität. Eine seltsame Verfügung des Rektors« (Neue Freie Presse, 16. November 1931) »Die Hakenkreuzler wollen die Herren der Universität sein« (Wiener Sonn- und Montagszeitung, 16. November 1931) »Hakenkreuzterror an allen Wiener Hochschulen. Die ›judenfreie Woche‹ hat begonnen« (Der Abend, 16. November 1931) »Der Hochschulterror wird unerträglich. Hakenkreuzstudenten fordern ein Studentenrecht nach ihrem Sinne, beschimpfen das Parlament und drohen mit Gewalt – Prorektor Uebersberger billigt namens des Rektors und des akademischen Senats ›Ziele und Mittel‹ der deutschen Studentenschaft« (Wiener Allgemeine Zeitung, 17. November 1931) »Der Universitätsskandal in Permanenz. Die Rektorenkonferenz ist vom Hakenkreuzterror restlos begeistert« (Der Wiener Tag, 17. November 1931) »Herr Uebersberger und seine Hakenkreuzler« (Arbeiter-Zeitung, 17. November 1931)
Der zuletzt genannte Text in der sozialdemokratischen Parteizeitung ArbeiterZeitung vom 17. November ging dann weiter wie folgt: Die Universität war gestern das, was sie ist: eine Kaserne des Nationalsozialismus. Uniformierte Hakenkreuzler standen herum, bereit, jeden zu verprügeln, dessen Gesicht ihnen nicht gefiel, draußen auf der Ringstraße standen Polizisten herum, um die Hakenkreuzler zu schützen, und im Rektorat saßen die Herren Rektoren, um zu beraten, was man für die Radaumacher tun könne. Um 11 Uhr vormittags versammelte sich die sogenannte Deutsche Studentenschaft, und Professor Uebersberger, der gewesene Rektor, stattete seinen Lieblingen einen Besuch ab; der neue Rektor, Professor Maresch, begab sich mit einer Grippe zu Bett, der alte Rektor mit einer Rede zu den
102
Klaus Taschwer
Hakenkreuzlern. Er teilte den Knüppelträgern der Wissenschaft mit, dass die Rektoren für das rassenschützlerische Studentenrecht zu kämpfen entschlossen seien. Dieses Studentenrecht werde bald kommen.6
Dass solche Nachrichten einen sozialdemokratischen Alumnus der Universität Wien an seiner Alma mater verzweifeln ließen, ist nicht schwer nachvollziehbar, zumal über solche und ähnliche Vorfälle seit zumindest zwei Jahren sehr gehäuft und seit rund acht Jahren regelmäßig wiederkehrend in Zeitungen zu lesen gewesen war. Das gibt erste Beweise darauf, dass die Universität Wien früh zu einer Art Brutstätte des Nationalsozialismus geworden war.
2.
Das Quellenmaterial und seine Verwendung
Im Folgenden soll versucht werden, auf Grundlage der Berichterstattung in Tageszeitungen einige politische Entwicklungen an der Universität Wien in der Zwischenkriegszeit zu rekonstruieren. Diese Berichte geben nicht nur eine Außensicht auf die Universität Wien und vermitteln einige neue Einsichten in ihre turbulente Geschichte zwischen 1918 und 1933. Die damaligen Printmedien, die als Parteizeitungen zum Teil Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln waren, haben in diese Geschichte auch selbst eingegriffen. Zeitungsberichte waren damit nicht nur Spiegel der Ereignisse, sondern mitunter Brenngläser, die das universitätspolitische Klima – manchmal als ganz bewusste Strategie der Eskalation und des Terrors – weiter aufheizten. Die Quellengrundlage bildet ein Textkorpus, der in der Arbeiterkammer angelegt worden war – allerdings nicht von Fritz Brügel, sondern von einem seiner Nachfolger, dem Literaturhistoriker und Archivar Eckart Früh (1942 – 2014). Das von Früh geleitete Tagblattarchiv der Arbeiterkammer entstand selbst wieder durch die Zusammenführung zweier Zeitungsausschnittsammlungen.7 Zum einen ging es auf das Redaktionsarchiv der Tageszeitung Neues Wiener Tagblatt zurück, das von 1867 bis 1945 geführt wurde und als einziges Wiener Zeitungsarchiv den Zweiten Weltkrieg überstand. Der andere Teil stammt vom Archiv des sozialdemokratischen Parlamentsklubs, das von 1907 bis Februar 1934 existierte.8 Seit 2002 ist das von Eckart Früh geschaffene Tagblattarchiv, das insgesamt rund zwei Millionen Zeitungsausschnitte zu verschiedensten Schlagworten und Personen umfasst, Teil der Wienbibliothek im Rathaus. 6 Herr Uebersberger und seine Hakenkreuzler, Arbeiter-Zeitung, 17. 11. 1931. 7 Zu Theorie und Praxis der Sammlung von Zeitungsausschnitten vgl. Anke te Heesen, Der Zeitungsausschnitt: Ein Papierobjekt der Moderne, Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch 2006. 8 Eckart Früh, Das Tagblatt-Archiv, in: Sigurd Paul Scheichl/Wolfgang Duchkowitsch (Hg.), Zeitungen im Wiener Fin de SiÀcle, Oldenbourg: Verlag für Geschichte und Politik 1996, 254 – 256.
Nachrichten von der antisemitischen Kampfzone
103
Die einzigartige Sammlung wurde bereits von vielen Historikerinnen und Historikern für zahllose Einzelstudien benützt. Der Textkorpus, der unter dem Stichwort »Hochschulen« angelegt wurde, umfasst für die Jahre 1917 bis 1938 immerhin rund 2.300 Artikel aus mehreren Dutzend verschiedenen Tageszeitungen. Dazu kommen zahlreiche parlamentarische Anfragen, Sitzungsberichte, Gesetzesentwürfe und Gesetzestexte aus den ehemaligen Beständen des sozialdemokratischen Parlamentsklubs, die sich ebenfalls in den rund achtzig Mappen neben den Tageszeitungsartikeln finden. Schließlich umfasst der Bestand auch noch etliche Agenturmeldungen und Hintergrundtexte des »Archivs für publizistische Arbeit« zum Thema Hochschulen. Dieses »Archiv« war eigentlich ein Informationsdienst, der 1913 von Ludwig Munzinger in Berlin gegründet worden war und einmal pro Woche aktuelle Hintergrundinformationen zu Personen und Sachthemen an deutschsprachige Zeitungsredaktionen (so eben auch jene des Neuen Wiener Tagblatts) lieferte. Rund ein Drittel der Zeitungstexte handelt zumindest auch von der Universität Wien, die – gemessen an der Zahl der Studierenden – noch 1913 die viertgrößte Hochschule der Welt war, wie sich einer solchen Meldung des Informationsdiensts entnehmen lässt, das auch als Munzinger-Archiv bekannt ist.9 Diese Artikelsammlung ist naturgemäß nicht vollständig. Dennoch vermittelt sie zumindest bis zum Jahr 1933, in dem die Pressefreiheit massiv eingeschränkt wurde, einen guten Überblick über die Geschehnisse an Österreichs mit Abstand wichtigster Universität. Das liegt auch daran, dass in der Sammlung Zeitungen aus allen politischen Blickwinkeln und Lagern vertreten sind.10 Die meisten Artikel, nämlich 667, stammen aus der liberalen Neuen Freien Presse, der damals international angesehensten Zeitung Österreichs, danach folgen die linke Arbeiter-Zeitung mit 496 Artikeln, die rechtskatholische Reichspost mit 363 und – eine Besonderheit der Sammlung – die rechtsextreme Deutschösterreichische Tages-Zeitung (DÖTZ) mit immerhin 149 Artikeln. Die DÖTZ existierte von 1921 bis 1933 und trug ab 1926 den Untertitel »Hauptblatt der NSDAP – Hitlerbewegung«. Trotz ihrer erheblichen innenpolitischen und universitätspolitischen Bedeutung ist die Zeitung medien- und zeithistorisch noch wenig erforscht.11 Dazu finden sich im Bestand »Hochschulen« noch zahlreiche Artikel 9 Die Hochschulen der Welt vor und nach dem Kriege, Lieferung 592, 12632 vom 30. 12. 1925. Die Meldung beruht auf der wenig bekannten Studie von Enrique Sparn, Las universidades con ms de 4000 estudiantes: su dustribuciûn geogrfica sobre la tierra y crecimiento del numero de matriculados en los fflltimos diez aÇos (1913 a 1923 – 1924). Contribuciûn a la historia de la cultura espiritual del siglo XX, Cûrdoba: Academia Nacional de Ciencias 1925. 10 Für die Presselandschaft der Zwischenkriegszeit vgl. u. a. Kurt Paupi¦, Handbuch der österreichischen Pressegeschichte 1848 – 1959. Zwei Bände, Wien/Stuttgart: Braumüller 1960 und 1966; Gabriele Melischek/Josef Seethaler (Hg.), Die Wiener Tageszeitungen: Eine Dokumentation. Band 3: 1918 – 1938, Frankfurt a.M.: Peter Lang 1992. 11 Einige wenig analytische Daten und Fakten finden sich bei Paupi¦, Handbuch, Bd. 1, 110 und
104
Klaus Taschwer
aus rund zwei Dutzend weiteren Tages-, Wochen- und Monatszeitungen, die zum Teil beachtlichen Einfluss auf die Universitätspolitik der Zeit nahmen, wie etwa die Wiener Sonn- und Montagszeitung.12 Im Hinblick auf die Verteilung nach Jahren fällt auf, dass die meisten Artikel aus den Jahren 1925 bis 1933 stammen. Einzig das Jahr 1928 – eines der ruhigsten an der Universität Wien – fällt aus der Reihe.
Grafik 4.2: Verteilung der Tageszeitungsartikel in der Sammlung »Hochschule« des ehemaligen Tagblattarchivs von 1918 bis 1938.
Melischek/Seethaler (Hg.), Die Wiener Tageszeitungen, 105 – 109. Die beste Darstellung der Rolle der DÖTZ im Kontext der nationalsozialistischen Presse der Ersten Republik findet sich in Wolfgang Duchkowitsch (Hg.), Die österreichische NS-Presse 1918 – 1933. Bestandsaufnahme und Dokumentation, Wien: Literas 2001, 64, 70 – 71, 76. Die Funktion der DÖTZ ab 1926 wird hier als »einer Parteizeitung entsprechend« bezeichnet. 12 Die Liste umfasst außerdem, um die wichtigsten zu nennen, das Neue Wiener Tagblatt (mit 128 Artikeln), Wiener Neueste Nachrichten (72), die staatliche Wiener Zeitung (68), die TagesPost, das Fremden-Blatt, Die Zeit, Die Wiener Abendpost, Der Abend, Das Neue-8-Uhr-Blatt, Wiener Stimmen, Das Neue Wiener Journal, Der Tag (ab 1930: Der Wiener Tag) mit den Nebenausgaben Die Stunde und Der Morgen, Die Waage, Deutsche Arbeiterpresse, Neues Grazer Tagblatt, Wiener Allgemeine Zeitung, Arbeiterwille, Der Kampf, Das Interessante Blatt, Das Kleine Blatt, Die Rote Fahne, Vorwärts, Salzburger Wacht, Volkszeitung, Neues Wiener Extrablatt, Neuigkeitsweltblatt, Volkskampf, Linzer Tagblatt, Christlichsoziale Arbeiterzeitung, Freiheit!, Wiener Montagsblatt, Der christliche Ständestaat, Der Stürmer u. a.m. Die Artikel des Tagblattarchivs sind auf A4-Papier aufgeklebt oder kopiert, mit dem Namen der Zeitung und dem Datum, aber nicht immer mit einer Seitenzahl versehen, weshalb im Folgenden bei den Quellenangaben der Artikel mitunter die Seitenzahlen fehlen. Eine digitale Kopie der Artikel befindet sich im Archiv der Universität Wien.
Nachrichten von der antisemitischen Kampfzone
105
Zusätzlich zu diesem Korpus werden im Folgenden unter anderem noch Zeitungsartikel zu wichtigen Personen der Universität Wien (ebenfalls aus dem Tagblattarchiv) herangezogen sowie zwei Dutzend Berichte aus der New York Times, um diesen Außenansichten noch einen weiteren Blickwinkel zu geben. Dass diese Ausschreitungen selbst in den USA so breites mediales Echo fanden, mag darauf hindeuten, wie außergewöhnlich diese gewaltsamen Vorfälle auch für internationaler BeobachterInnen waren. Die Artikelsammlung »Hochschulen« des ehemaligen Tagblattarchivs ist bereits in zahlreichen Einzelstudien zur österreichischen Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte verwendet worden – freilich meist immer nur in sehr spezifischen Ausschnitten: etwa zur Studentenpolitik, zu Unruhen am Institut für Anatomie oder zur Geschichte der Nationalökonomie an der Universität Wien.13 Hier soll damit zweierlei versucht werden: In einem ersten Teil wird die eskalierende Gewalt an der Universität Wien nach dem Ersten Weltkrieg nachgezeichnet. Berichte über die immer häufigeren und brutaleren Ausschreitungen stellen das wichtigste Thema des Textkorpus dar. Im zweiten Teil stehen dann einige ausgewählte Zeitungsartikel im Zentrum, die besonderes Augenmerk verdienen. Es kann nämlich gezeigt werden, dass mit diesen Texten aktiv versucht wurde, Einfluss auf die Universitätspolitik auszuüben. Spezifisches Interesse gilt dabei der DÖTZ als Beispiel dafür, wie eine Zeitung zur Radikalisierung der Lage beitrug. Tatsächlich nützten deutschnationale, proto-nazistische und nationalsozialistische Universitätsangehörige dieses rechtsextreme 13 Die wichtigsten dieser Arbeiten sind Brigitte Lichtenberger-Fenz, »… deutscher Abstammung und Muttersprache«. Österreichische Hochschulpolitik in der Ersten Republik, Wien–Salzburg: Geyer-Edition 1990; Helge Zoitl, »Student kommt von Studieren!« Zur Geschichte der sozialdemokratischen Studentenbewegung in Wien, Zürich–Wien: Europaverlag 1992; auch im Zusammenhang mit den Ausschreitungen vgl. Birgit Nemec/Klaus Taschwer, Terror gegen Tandler. Kontext und Chronik der antisemitischen Attacken am I. Anatomischen Institut der Universität Wien, 1910 bis 1933, in: Oliver Rathkolb (Hg.), Der lange Schatten des Antisemitismus. Kritische Auseinandersetzungen mit der Geschichte der Universität Wien im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen: Vienna University Press der V& R unipress 2013, 147 – 171; Kurt Bauer, Schlagring Nr. 1. Antisemitische Gewalt an der Universität Wien von den 1870er bis in die 1930er Jahre (noch unveröffentlichtes Manuskript, erscheint 2015 im Sammelband Alma mater antisemitica); zur Nationalökonomie vgl. die neuen Arbeiten von Hansjörg Klausinger, u. a. Academic Anti-Semitism and the Austrian School: Vienna, 1918 – 1945. Department of Economics Working Paper No. 155 (2013), Wien: WU Wien. Der bis heute beste Überblick über die wissenschaftlichen Leistungen der Zwischenkriegszeit verwendet als so gut wie einzige Quellen ebenfalls Zeitungsartikel, höchstwahrscheinlich den auch hier verwendeten Korpus: Engelbert Broda, Naturwissenschaftliche Leistungen im gesellschaftlichen Zusammenhang, in: Norbert Leser (Hg.): Das geistige Leben Wiens in der Zwischenkriegszeit, Wien: Österreichischer Bundesverlag 1981, 119 – 132. Unverwendet blieben die Artikel allerdings in einer anderen Arbeit zur Wissenschaftsberichterstattung in der Presse: Ulrike Felt, Wissenschaft auf der Bühne der Öffentlichkeit. Die »alltägliche« Popularisierung der Naturwissenschaften in Wien, 1900 – 1938. Unveröffentlichte Habilitationsschrift an der Universität Wien 1997.
106
Klaus Taschwer
und antisemitische Blatt als Sprachrohr ihrer Anliegen, und etliche Artikel lassen darauf schließen, dass es Verbindungen zwischen führenden Köpfen der Universität und der Redaktion der DÖTZ gegeben haben muss.
3.
Erste Berichte aus dem universitären Kampfgebiet
Zahlreiche Publikationen der letzten Jahrzehnte haben die politischen Entwicklungen an der Universität Wien nach 1918 immer wieder und aus verschiedenen Gesichtspunkten dargestellt und dabei insbesondere die Studentenpolitik in den Blick genommen.14 Eine umfassende Geschichte der gewaltsamen Auseinandersetzungen und der Krawalle fehlt allerdings nach wie vor, obwohl das Haus am Ring Schauplatz eines sich über Jahre hinziehenden akademischen Bürgerkriegs war.15 Im Wikipedia-Eintrag zur Universität Wien jedoch lässt sich davon wenig erahnen. Hier heißt es im Abschnitt zur Zwischenkriegszeit wie folgt: Schon lang vor dem ›Anschluss‹ von 1938 waren demokratiefeindliche und antisemitische Studenten, von einigen Professoren wohlwollend toleriert, an der Universität aktiv. 1928 fanden Hochschulkrawalle statt, 1932 waren ebenfalls Studentenkrawalle zu verzeichnen, die mit Demonstrationen vor dem Haupteingang der Universität verbunden waren.16
Diese verharmlosenden und unrichtigen Angaben haben als einzige, unzuverlässige Quelle eine von der Bundespolizeidirektion Wien im Jahr 1949 herausgegebene Festschrift. Darin werden für das Jahr 1928 en passant »einige Hochschulkrawalle« erwähnt, die freilich neben der Ordnungsaufgabe am 10. Deutschen Sängerbundesfest »gänzlich verblassten«. Einziger Beleg für die Krawalle des Jahres 1932 ist in der mehr als 60 Jahre alten Polizei-Festschrift ein Foto.17 Die Artikel der Sammlung »Hochschulen« im Tagblattarchiv sprechen eine andere Sprache und erzählen eine völlig andere, weitaus dramatischere Ge14 Vgl. u. a. Brigitte Lichtenberger-Fenz, »…deutscher Abstammung«; Helge Zoitl, »Student kommt von Studieren!«; Herbert Posch, Studierende und die Universität Wien in der Dauerkrise 1918 bis 1938, in: Herbert Posch/Doris Ingrisch/Gert Dressel (Hg.), »Anschluß« und Ausschluss 1938. Vertriebene und verbliebene Studierende der Universität Wien (Emigration – Exil – Kontinuität. Schriften zur zeitgeschichtlichen Kultur- und Wissenschaftsforschung 8), Wien–Berlin: Lit Verlag 2008, 61 – 97. 15 Einen gelungenen Kurzüberblick gibt demnächst Kurt Bauer, Schlagring Nr. 1; mit Fokus auf die Auseinandersetzungen um das Anatomische Institut von Julius Tandler vgl. Nemec/ Taschwer, Terror gegen Tandler. 16 Eintrag zu »Universität Wien«, URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Universität_Wien (abgerufen am 10. 4. 2015), Hervorhebungen im Original. 17 Bundespolizeidirektion Wien (Hg.), 80 Jahre Wiener Sicherheitswache, Wien: Verlag für Jugend und Volk 1949, 57 und 63 (für das Foto).
Nachrichten von der antisemitischen Kampfzone
107
schichte: Sie berichten spätestens 1920 das erste Mal von antisemitischen Ausschreitungen an der Universität Wien – dem Auftakt zu einer bis 1933 andauernden und sich radikalisierenden Gewalt- und Terrorwelle an der Alma mater Rudolphina und anderen Wiener Hochschulen. Wenn es ein bestimmendes Thema in den 2.300 Artikeln gibt – also zugleich eine dominierende mediale Außensicht auf die Universität Wien in der Ersten Republik – dann sind es diese gewaltsamen Auseinandersetzungen, die über die Jahre hunderte Verletzte forderten und Dutzende Schließtage zur Folge hatten. »Hakenkreuzler« und »Terror« zählen im Zusammenhang mit der Universität Wien entsprechend zu den am häufigsten verwendeten Begriffen in den Überschriften, die ein verheerendes Bild der Zustände an der Alma mater Rudolphina zeichneten. Auslöser der Ereignisse Ende April 1920 war eine deutschnationale Protestversammlung in der Aula der Universität gegen einen angeblich korrupten Hochschulfunktionär jüdischer Herkunft. Die antisemitischen Schlägertrupps zogen durch die Straßen und verwüsteten unter anderem die jüdische Mensa in der Alser Straße. Am Morgen des nächsten Tages, also am 27. April 1920, besetzten antisemitische Studierende die Universitätsrampe und attackierten ihre jüdischen Kolleginnen und Kollegen. Schließlich kam es zu einer regelrechten Straßenschlacht, die zur ersten vom Rektor verordneten Schließung der Universität nach dem Ersten Weltkrieg führte.18 1920 hatten antisemitische Krawalle an der Universität Wien bereits eine lange Tradition. Ihren Beginn markierten die Auseinandersetzungen um den Chirurgen Theodor Billroth (1829 – 1884) am 10. Dezember 1875. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es etliche weitere gewalttätige Zusammenstöße, etwa im Gefolge der Badenischen Sprachenverordnung 189719 oder im November 1908, als es zu schweren Auseinandersetzungen zuerst zwischen deutschnationalen und jüdischnationalen Studenten, wenig später zwischen deutschnationalen und italienischen Studenten kam, die für eine italienische Rechtsfakultät an der Universität Wien demonstrierten.20 Doch ab 1920 wurde die Universität von einer Gewaltspirale erfasst, die in ihrer 650jährigen Geschichte einzigartig ist. Die Gründe, warum es dazu kam, sind komplex und bedürfen eigener soziolo18 Vgl. u. a. Demonstration antisemitischer Hochschüler, Neue Freie Presse, 27. 4. 1920, 4 – 5; Die Studenten setzen die Ausschreitungen fort, Arbeiter-Zeitung, 28. 4. 1920. Für eine gute Zusammenfassung dieser und weiterer Krawalle an der Universität Wien vgl. auch Bruce Pauley, Eine Geschichte des österreichischen Antisemitismus. Von der Ausgrenzung zur Auslöschung, Wien: Kremayr & Scheriau 1993, 132 – 146, hier 140 – 141. 19 Vgl. Oliver Rathkolb, Gewalt und Antisemitismus an der Universität Wien und die BadeniKrise 1897. Davor und danach, in: Oliver Rathkolb (Hg.): Der lange Schatten des Antisemitismus. Kritische Auseinandersetzungen mit der Geschichte der Universität Wien im 19. und 20. Jahrhundert. Göttingen: Vienna University Press der V& R unipress 2013, 69 – 92. 20 Vgl. Brigitte Hamann, Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators. München–Zürich: Piper 1996, 387 – 393.
108
Klaus Taschwer
gischer Analysen.21 Ein entscheidender Faktor war aber zweifellos die ökonomische Krisensituation der Zwischenkriegszeit, die bei Verschärfungen der wirtschaftlichen Not fast zwangsläufig zu Ausschreitungen an der Universität Wien führte, wie sich auch anhand der medialen Berichterstattung zeigen lässt: In den kurzen Phasen des wirtschaftlichen Aufschwungs – etwa 1921/22, 1924 bis 1926 oder 1928/29 – gab es auffällig weniger Gewalt auf akademischem Boden. Zweitens machte sich die Militarisierung der Gesellschaft und insbesondere der politischen Parteien nach dem Ersten Weltkrieg auch an den Universitäten und Hochschulen bemerkbar. Dass die gewaltsamen Übergriffe an der Universität Wien zum Gutteil antisemitisch motiviert waren, lag drittens an einem überproportional hohen Anteil von Lehrenden und Studierenden jüdischer Herkunft, der durch den Ersten Weltkrieg und die Zuwanderung ostjüdischer Studierender weiter anstieg – bei gleichzeitiger Verschlechterung der allgemeinen ökonomischen Lage. Während des Ersten Weltkriegs betrug dieser Anteil bei den Studierenden zum Teil weit über 50 Prozent, zu Beginn der Ersten Republik immer noch über 40 Prozent. An der medizinischen Fakultät war er besonders hoch.22 Das wussten zunächst vor allem christlichsoziale Politiker für antisemitische Propaganda zu nützen. So etwa schlug der junge Engelbert Dollfuß (1892 – 1934) als Vertreter der katholischen Fraktion der Deutschen Studentenschaft am 24. September 1920 in der Tageszeitung Reichspost eine radikale Lösung der »Fremdländer«-Frage an der Universität Wien vor – und den Numerus clausus für inländische Hörerinnen und Hörer jüdischer Herkunft: Hier hilft kein Herumdoktern, weg mit allen fremden Juden aus dem Osten, Beschränkung aller derer, die diesen den Weg vorbereitet haben, den so genannten bodenständigen Juden, auf die ihnen […] nach ihren Köpfen gebührende Zahl! Nur so können wir unserer heimischen Jugend den akademischen Boden sichern […].23
Tags zuvor war ebenfalls in der Reichpost ein Bericht über eine Rede des damaligen Nationalratsabgeordneten, Prälaten, katholischen Theologieprofessors, früheren Dekans und späteren Bundeskanzlers Ignaz Seipel erschienen, in der 21 Die Erklärung, dass es vor allem der Neid gegenüber der dank besserer Bildung sozial aufgestiegenen jüdischen Bevölkerung war, mag zwar für Deutschland plausibel sein und gilt zum Teil wohl auch für Wien, vgl. Götz Aly, Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800 – 1933, Frankfurt a.M.: S. Fischer 2011. Für die spezielle Situation in Wien – vor allem an der Universität – greift das Argument zu kurz, zumal hier eine starke Zuwanderung von sozial deklassierten jüdischen Studierenden aus dem Osten auch noch für eine typische »Etablierte/Außenseiter-Situation« sorgte, die zu Ausgrenzungen führt, vgl. Norbert Elias/John L. Scotson, Etablierte und Außenseiter, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1990. 22 Vgl. Leo Goldhammer, Die Juden Wiens. Eine statistische Studie, Wien–Leipzig: R. Löwit Verlag 1927, 39 – 40. 23 »Fremdländer«-Frage in der Wiener Universität, Reichspost, 24. 9. 1920.
Nachrichten von der antisemitischen Kampfzone
109
dieser ebenfalls einen Numerus clausus für Jüdinnen und Juden an höheren Schulen, Hochschulen und Universitäten »nach dem Bevölkerungsschlüssel« (konkret: Beschränkung auf zehn Prozent) forderte und diesen Vorstoß laut Reichspost-Bericht mit folgenden Worten rechtfertigte: Dieser Antisemitismus sei ebenso wie jener, zu dem uns der wirtschaftliche Kampf zwingt, ein reiner Notwehrantisemitismus. Ein anderer sei der großen Rasse der Österreicher und insbesondere der Wiener überhaupt fremd. Die Gefahr von Pogromen besteht bei dem Charakter unseres Volkes nicht.24
Der Ruf nach einer Beschränkung des Hochschulzugangs für jüdische Studierende wurde vor allem an der Universität selbst laut. Die Deutsche Studentenschaft, die 1919 gegründete Dachorganisation deutscher Studentinnen und Studenten, aus der in Österreich jüdische aber auch sozialdemokratische Studierende ausgeschlossen blieben, heftete sich diese Forderung auf ihre Fahnen. Obwohl die Deutsche Studentenschaft im Wesentlichen nur aus deutschnationalen, deutsch-völkischen, katholischen und bald auch nationalsozialistischen Fraktionen bestand, maßte sie sich die allgemeine Vertretung der Hörerinnen und Hörer an und – was vielleicht noch wichtiger war – wurde als solche auch von den Rektoren und dem zuständigen Ministerium anerkannt. Einer dieser Rektoren war der Geologe Karl Diener (1862 – 1928), der die Universität Wien im Studienjahr 1922/23 leitete und in einem Reichspost-Artikel die Forderung der Deutschen Studentenschaft nach dem Numerus clausus dem Prinzip nach unterstützte. Diener räumte allerdings ein, dass eine solche Zugangsbeschränkung mit der Verfassung schlecht vereinbar sei. Umso heftiger kritisierte er die Zunahme der Zahl jüdischer Studierender aus dem Osten – mit programmatischen Sätzen, die in den folgenden Jahren von antisemitischen Personen und Gruppen immer wieder zitiert wurden: In der geradezu erschreckenden Invasion solcher rassen- und wesensfremder Elemente, deren Kultur, Bildung und Moral tief unter jener der bodenständigen deutschen Studentenschaft stehen, liegt der wahre Krebsschaden unserer akademischen Verhältnisse. Der Abbau der Ostjuden muss heute im Programm jedes Rektors und Senats einer deutschen Hochschule einen hervorragenden Platz einnehmen. Der fortschreitenden Levantisierung Wiens muss wenigstens an den Hochschulen Einhalt geboten werden.25
Der »Abbau der Ostjuden« hatte mithin anders zu erfolgen als durch einen offiziellen Numerus clausus für jüdische Studierende, nämlich durch informelle Zugangshürden und durch Bevorzugung inländischer Hörerinnen und Hörer. 24 Die Wahlen. Abg. Dr. Seipel für den Numerus clausus an den Hochschulen, Reichspost, 23. 9. 1920, 2 (Hervorhebungen im Original). 25 Das Memorandum der deutschen Studentenschaft, Reichspost, 10. 12. 1922.
110
Klaus Taschwer
Eine Methode, die von so gut wie allen Rektoren der Wiener Universität zwischen 1920 und 1933 toleriert oder gar aktiv unterstützt wurde, war die Ausübung physischer oder psychischer Gewalt. Im Dezember 1922 war dann in den Medien im Zusammenhang von Gewaltaktionen erstmals von einer neuen Gruppe zu hören, die dafür verantwortlich zeichnete: den »Hakenkreuzlern«.26 Damals war der Begriff noch weiter gefasst als heute und umfasste neben den frühen nationalsozialistischen auch andere militante rechte und antisemitische Gruppen.27 Ein Jahr später, im November 1923, wurde dann der erste Höhepunkt der antisemitischen Studentenkrawalle nach dem Ersten Weltkrieg erreicht, wovon zahlreiche Berichte im Tagblattarchiv zeugen. Vorausgegangen waren den Ausschreitungen Ende Oktober deutschvölkische Proteste gegen den neu berufenen Professor für Klassische Philologie, Alfred Kappelmacher (1876 – 1932), der jüdischer Herkunft war.28 Es gab aber noch drei weitere wichtige Gründe für die Eskalation: Erstens hatte der Akademische Senat der Universität Wien dem antisemitischen Ruf nach einem Numerus clausus eine offizielle Absage erteilt. Zweitens war am 9. November 1923 in der Aula der Universität der »Siegfriedskopf« eingeweiht worden, ein Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs, das auf die sogenannte Dolchstoßlegende anspielte: Laut dieser Verschwörungstheorie seien die deutsche und die österreichische Armee vor allem von Sozialdemokraten und dem internationalen Judentum verraten und »von hinten erdolcht« worden – entsprechend antisozialistisch, antisemitisch und antidemokratisch war das Denkmal konnotiert. Drittens hatte der gescheiterte Putsch der Nationalsozialisten in München vom 8. und 9. November 1923 die Spannungen erneut verschärft. Die Universitätsleitung hatte daraufhin den Studierenden das Tragen von Farben und Insignien untersagt, was zu neuerlichen heftigen Protesten führte: Etwa 200 mit Totschlägern und Schlagringen bewaffnete »Hakenkreuzler« bahnten sich ihren Weg in unterschiedliche Gebäude und Lehrveranstaltungen, wo sie den Ausschluss jüdischer Studierender forderten. Neun Schwerverletzte waren die Folge.29 26 Vgl. Pack schlägt sich…, Arbeiter-Zeitung, 14. 12. 1922 (mit antisemitischen Untertönen: »Hakenkreuzler« gegen »Hakennäsler«, d.A.). 27 Vgl. Kurt Bauer, Nationalsozialismus. Ursprünge, Anfänge, Aufstieg und Fall, Wien–Köln–Weimar : Böhlau 2008, 120. 28 Der Hakenkreuzterror auf der Universität, Arbeiter-Zeitung, 25. 10. 1923; Krawallszenen an der Wiener Universität, Neue Freie Presse, 25. 10. 1923, 4. Der skandalöse Terrorismus auf den Hochschulen, Arbeiter-Zeitung, 26. 10. 1923, 7 und Kampfansage der hakenkreuzlerischen Studenten, Arbeiter-Zeitung, 27.10. 1923, 5. 29 Sperrung der Universität, Reichspost, 19. 11. 1923; Hakenkreuzstudenten sprengen Vorlesungen, Der Abend, 19. 11. 1923; Hakenkreuz gegen Wissenschaft, Arbeiter-Zeitung, 20. 11. 1923; Wieder Hakenkreuzkrawalle auf der Universität, Arbeiter-Zeitung, 30. 11. 1923.
Nachrichten von der antisemitischen Kampfzone
111
Zwar kam es von 1924 bis etwa 1926 zu einem Rückgang antisemitischer Ausschreitungen an der Universität Wien, doch die Berichte im Tagblattarchiv zeigen, dass auch in diesen Jahren immer wieder Krawalle aufflammten. So hatte der Mord an einem sozialdemokratischen Gemeinderat in Mödling durch Mitglieder rechtsradikaler Wehrverbände Ende Mai 1925 mehrtägige Ausschreitungen an allen Wiener Hochschulen zur Folge: Ein kommunistischer Student hatte in der Aula der Universität eine Demonstration gegen den Mord organisieren wollen, was von den Hakenkreuzlern genützt wurde, um abermals mit Provokationen und Gewalt zu reagieren.30 Die nächsten Höhepunkte der studentischen Gewaltexzesse folgten dann im Jahr 1927. Diesmal hatten die Ereignisse von Schattendorf und die darauf folgenden Unruhen die Stimmung entsprechend angeheizt: Im burgenländischen Ort erschossen Ende Jänner rechte Paramilitärs zwei unbewaffnete Personen (darunter ein achtjähriges Kind) bei einer Demonstration des linken Republikanischen Schutzbundes. Das Gerichtsurteil im Juli führte zu gewaltsamen Protesten, die mit dem Justizpalastbrand endeten. Bereits im Juni gab es an der Universität Wien schwerste Unruhen mit elf Schwerverletzten, worüber auch die New York Times ausführlich berichtete.31 Einige Tage später schrieb diese Zeitung dann über »Viennese students, who are once more taking to politics instead of the study of books. […] In fact, the whole political situation of the country has been upset by the students.«32
4.
Die Universität als Bürgerkriegsschauplatz
Was sich ziemlich genau zwei Jahre später im Hauptgebäude der Universität Wien zutrug, war der New York Times abermals einen kurzen Bericht wert. An diesem 20. Juni 1929 hatte sich nämlich etwas ereignet, das bis dahin in der neueren Geschichte von Wiens wichtigster Hochschule noch nie vorgekommen war. Eine Demonstration von NS-Studenten in der Aula der Universität war eskaliert, und der Mob, vermutlich verstärkt durch Parteigenossen aus Deutschland, attackierte die Pedelle und versuchte, das Büro des Rektors und
30 Hakenkreuzkrawalle an den Hochschulen, Arbeiter-Zeitung, 27. 5. 1925; Fortdauer der Gewalttätigkeiten auf den Hochschulen, Arbeiter-Zeitung, 28. 5. 1925; Neue Zusammenstöße an den Hochschulen, Der Tag, 28. 5. 1925; Sperrung sämtlicher Wiener Hochschulen, Neue Freie Presse 29. 5. 1925; Autonomie oder Terror? Arbeiter-Zeitung, 29. 5. 1925; Hakenkreuzterror mit behördlicher Unterstützung, Arbeiter-Zeitung, 29. 5. 1925; Neuerliche Krawalle vor der Universität, Reichspost, 30. 5. 1925, 4 – 5. 31 Student riot in Vienna, The New York Times, 12. 6. 1927. 32 Vienna students revive old feud, The New York Times, 19. 6. 1927.
112
Klaus Taschwer
Priesters Theodor Innitzer (1875 – 1955) zu stürmen, wie die New York Times berichtete. Dann aber passierte das Außergewöhnliche: As a result, for the first time in centuries, police entered the university precincts, till now considered inviolable. Pending the arrival of the police, Democratic, Socialist and Jewish students had defended the rector from the attacks of the extremists […].33
Laut inländischen Zeitungsberichten hätten die Polizisten nur kurz die Aula betreten, und außerdem wären auch katholische Studenten als Verteidiger Innitzers aufgetreten. Auslöser für den außergewöhnlichen Einsatz sei jedenfalls gewesen, dass die Glasscheiben beim Eingang eingeschlagen worden waren und die Pedelle vom NS-Studentenmob attackiert wurden.34 In der Ersten Republik gab es aufgrund der Gewalttaten auf universitärem Boden viele Diskussionen um die räumliche Autonomie der Universität. Selbst bei ärgsten Ausschreitungen war es der Polizei nach einem ungeschriebenen Gesetz untersagt, den akademischen Boden der Universität zu betreten, was letztlich den rechtsextremen Unruhestiftern in die Hände spielte. Die Universitätsleitung verteidigte dieses Gewohnheitsrecht ebenso wie im Jahr 1927 der damalige Wiener Polizeipräsident Johann Schober. Er war im Juni dieses Jahres während heftiger Unruhen vom sozialdemokratischen Bürgermeister Karl Seitz vergeblich dazu aufgefordert worden, an der Universität für Ruhe zu sorgen.35 Es ist weniger eine Ironie der Geschichte als ein anschauliches Beispiel für die Zustände der Universität Wien in den 1920er Jahren, dass ausgerechnet das Rektorat des späteren Wiener Erzbischofs und Kardinals Innitzer von linken, jüdischen und demokratisch eingestellten Studenten durchwegs öffentlich gelobt wurde.36 Der Theologieprofessor, der sich im März 1938 diskreditierte, als er eine feierliche Erklärung für den »Anschluss« mit »Heil Hitler!« unterzeichnete, war als Rektor im Studienjahr 1928/29 jedenfalls um »innere Abrüstung« bemüht.37 Und es sollte ihm auch über weite Strecken gelingen, jüdische und sozialdemokratische Studierende vor Übergriffen des rechten Mobs zu schützen. Erleichtert wurde seine Amtsführung auch durch den wirtschaftlichen 33 Student riot in Vienna, The New York Times, 21. 6. 1929. 34 Vgl. u. a. Demonstrationen gegen den Rektor, Neues Wiener Abendblatt 20. 6. 1929; Die Ausschreitungen an der Universität, Neue Freie Presse, 20. 6. 1929, Heimwehrüberfall auf den Rektor der Universität, Arbeiter-Zeitung, 21. 6. 1929. 35 Vgl. Walter Höflechner, »Die Baumeister des künftigen Glücks«. Fragment einer Geschichte des Hochschulwesens in Österreich vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis in das Jahr 1938, Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1988, 268 – 269. 36 Innere Abrüstung?, Sozialistisch-Akademische Rundschau 1 (20. Oktober 1928) 2, 1. In eben dieser Zeitschrift hieß es 15 Monate später : »Angelegenheiten, die unsere sozialistische Studentenschaft betrafen, suchte er [Innitzer, d.A.] immer objektiv zu entscheiden.« (Sozialistisch-Akademische Rundschau 3 (März 1930) 3, 3). 37 Vgl. Innere Abrüstung?, Sozialistisch-Akademische Rundschau 1 (20. Oktober 1928) 2, 1.
Nachrichten von der antisemitischen Kampfzone
113
Aufschwung in diesen Jahren, in denen das Volkseinkommen erstmals wieder jenes des Jahres 1913 überschritt.38 Hatte Innitzer als Rektor, so gut es eben ging, für Ruhe an der Universität gesorgt und »auf Fairness im Kampf der studentischen Gruppen«39 gedrängt, so verfolgte sein Nachfolger Wenzel Gleispach eine diametral entgegengesetzte Politik, wie sich bald zeigen sollte. Der Strafrechtsprofessor Gleispach galt nicht nur als Anhänger des Nationalsozialismus, sondern auch der Heimwehrbewegung und wurde in der Arbeiter-Zeitung dafür auch prompt als »Heimwehrrektor« bezeichnet40 – nachdem er nach ersten Gewalttaten rechtsextremer Studenten Ende Oktober 1929 den sozialdemokratischen Studierenden und ihren Flugblättern die Schuld für die Ausschreitungen gegeben hatte. Zu besonders brutalen Gewalttaten kam es am 7. November 1929, einen Tag nach der offiziellen Amtseinführung Gleispachs. Bei Schlägereien verletzten Heimwehr-Studenten sieben Personen schwer, nachdem die Angreifer die Vorlesung des Anatomie-Professors Julius Tandler gestört hatten. Die Krawalle griffen auch auf das Hauptgebäude über, und die Universität musste wieder einmal gesperrt werden.41 Die antisemitischen Studenten durften bei ihren Gewalttaten auf die Unterstützung oder zumindest Duldung durch die Universitätsleitung bauen. Der gesamte Herbst war von ständigen gewaltsamen Übergriffen auf Studierende an der Universität Wien und auch an der Technischen Hochschule begleitet. Das entsprach der Taktik der NSDAP in Deutschland und auch in Österreich: Es ging um das gezielte Schüren von Gewalt – zum einen sollte das in Arbeitervierteln geschehen, zum anderen an Orten mit hohem Anteil jüdischer Personen wie eben an der Universität Wien. Dazu gab es mediale Unterstützung. Schon zu Beginn des Wintersemesters 1929/30 hatte die Deutschösterreichische Tages-Zeitung, die seit vielen Jahren über beste Beziehungen zu wichtigen Personen in der Universitätsleitung verfügte, eine neue antisemitische Offensive gestartet. So veröffentlichte sie noch im Oktober unter dem Titel »Rasse und Wissenschaft« (Untertitel: »Die fortschreitende Verjudung unserer Hochschulen«) eine Liste sämtlicher jüdischer Universitätslehrerinnen und -lehrer der Universität Wien. Im Vorwort dazu hieß es in nicht ganz fehlerfreiem Deutsch: 38 Vgl. Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien: Ueberreuter 1994, 56. 39 Das Wintersemester an der Universität Wien, Sozialistisch-Akademische Rundschau 3 (März 1930) 3, 3. 40 »Der Heimwehrrektor ›Graf‹ Gleispach«, Arbeiter-Zeitung, 1. 11. 1929, 7. Diese Allianz scheint ungewöhnlich. Doch genau zu dieser Zeit wurde an einer möglichen Kooperation von Heimwehr und NSDAP unter der Führung von Ernst Rüdiger Starhemberg geschmiedet, die allerdings scheiterte, vgl. Klaus Taschwer, Ein adeliger Herr Karl, Der Standard, 12. 12. 2011, URL: http:// derstandard.at/1323222859059 (abgerufen am 5. 2. 2015). 41 Vgl. Nemec/Taschwer, Terror gegen Tandler, 163 – 164.
114
Klaus Taschwer
Immer wieder gebot uns die vaterländische Pflicht und das völkische Verantwortungsbewußtsein an der Befreiung unserer höchsten Kulturstätten vom fremdrassigen Judentume mitzuarbeiten! Ebenso wenig wie deutsche Professoren an der jüdischen Universität in Palästina lehren, ebenso wenig sollen im deutschen Vaterlande Professoren jüdischer Volkszugehörigkeit die Lehrer deutscher Studenten sein! Dazu ist vor allem notwendig zu wissen, wer von den Hochschullehrern Jude ist und wer Deutscher, denn es ist nicht nur unser Recht, sondern unsere völkische Pflicht, den deutschen Lehrer zu hören, dem Heimat, Volk, Rasse, Vaterland und Deutschtum heilige Begriffe […] sind!42
Unter den sodann genannten jüdischen Professoren findet sich unter anderem der Philosoph Moritz Schlick, der in Wahrheit allerdings weder die DÖTZKriterien »jüdische Volkszugehörigkeit oder jüdische Abstammung« erfüllte, sondern ein aus Berlin stammender Protestant war. Bei zwei Hochschullehrern, dem Soziologen Max Adler (1873 – 1937) und dem 1905 zum Katholizismus konvertierten Rechtswissenschafter Hans Kelsen (1881 – 1973), gab es zudem in Klammern den Vermerk »Marxist«. Im Sommer 1930 endete nicht nur die Amtszeit Gleispachs als Rektor, sondern auch die Lehr- und Forschungstätigkeit Hans Kelsens: Er hatte eine Professur in Köln erhalten und diese auch aufgrund verschiedener Schikanen in Wien – an der Universität wie am Verfassungsgerichtshof43 – angenommen. Die Arbeiter-Zeitung (AZ) nahm den Weggang Kelsens (obwohl dieser »kein Sozialdemokrat« und »ein Gegner des Marxismus« sei, so die AZ) Anfang Juli 1930 zum Anlass, um den wissenschaftlichen Verfall der Universität Wien zu kritisieren.44 Das Resümee fiel schonungslos aus: Ein Kartell der Klerikalen mit den Hakenkreuzlern hat unsere Hochschulen monopolisiert. Ist eine Lehrkanzel zu besetzen, so entscheidet nur noch die Gesinnung über die Berufung; nur der Streit um die Kartellquote der beiden kartellierten Gruppen stört zuweilen die Eintracht. […] Und so geht es nicht nur bei der Berufung auf Lehrkanzeln der Gesellschaftswissenschaften. […] Alles entscheidet – nur die wissenschaftliche Bewährung nicht. Geht es so weiter, so wird die Wiener Universität in wenigen Jahren auf das Niveau der letzten Provinzuniversität heruntergewirtschaftet, wird damit ein großes Kulturerbe unseres Landes vertan sein.45
42 Rasse und Wissenschaft, DÖTZ, 13. 10. 1929. Fünf Jahre zuvor (am 23. 4. 1924) war eine ähnliche Liste unter dem gleichen Titel ebenfalls in der DÖTZ erschienen. 43 Zu den Details vgl. u. a. Rudolf Aladr M¦tall, Hans Kelsen. Leben und Werk, Wien: Deuticke 1969, 54 – 57. 44 Die Kelsen gehen, die Gleispach bleiben, Arbeiter-Zeitung, 11. 7. 1930, 2 – 3. 45 Ebd., 3.
Nachrichten von der antisemitischen Kampfzone
115
Noch dramatischer waren die Zustände bei den Studierenden. Rund um die Studentenwahlen im Februar 1931 verwandelten nationalsozialistische Schlägertrupps das Hauptgebäude der Universität, aber auch das Anatomische Institut Tandlers in einen »Kriegsschauplatz«, wie es in einem der zahllosen Zeitungsartikel über die Übergriffe hieß.46 Nicht nur die inländischen Zeitungen, auch die New York Times berichteten wieder ausführlich über den rechtsextremen Terror, der etliche Verletzte forderte und letztlich dazu dienen sollte, ein Klima der Einschüchterung zu schaffen. Die sozialdemokratischen Studierenden und andere nicht in der Deutschen Studentenschaft organisierten Gruppen hatten nämlich zum Boykott der undemokratischen Wahlen aufgefordert. Mit den Übergriffen sollte erreicht werden, möglichst viele Studierende quasi an die Urnen zu zwingen.47 Die ständig wiederkehrenden Gewalttaten der rechtsextremen Studenten wurden von Gleispachs Nachfolger im Rektorat, dem Osteuropahistoriker Hans Uebersberger, ebenso geduldet wie vom Pathologen Rudolf Maresch, dem Adressaten des eingangs zitierten Briefs von Fritz Brügel. Maresch war aber eindeutig gemäßigter als sein Vorgänger – und auch als sein Nachfolger, der exponierte NS-Sympathisant und deklarierte Antisemit Othenio Abel (1875 – 1946). Der Paläontologe wurde am 24. Juni 1932 einstimmig zum Rektor der Universität Wien gewählt, was von der Deutschen Studentenschaft und der DÖTZ einhellig begrüßt wurde. Abel versicherte dem Blatt auch umgehend, dass mit mir ein durch und durch nationaler Professor die Leitung unserer deutschen Hochschule übernehmen [wird], der, wie ich Ihnen auch jetzt gerne wieder bestätige, es als seine erste Pflicht ansieht, deutschen Studenten in ihrem Kampfe um die Reinerhaltung unserer Wiener Universität treu zur Seite zu stehen […].48
Sehr kritisch hingegen stand die Deutsche Studentenschaft der gleichzeitig erfolgten Wahl Ernst Peter Picks (1872 – 1960) zum neuen Dekan der medizinischen Fakultät gegenüber. Der international renommierte Pharmakologe, der jüdischer Herkunft war, wurde in Form eines Flugblatts, das die Arbeiter-Zeitung zitierte und kritisch kommentierte, wie folgt zum Rücktritt aufgefordert: Offener Brief der Leitung der Deutschen Studentenschaft an Herrn Prof. Dr. Pick! Die Deutsche Studentenschaft nimmt mit Entrüstung davon Kenntnis, dass Sie wider Erwarten Ihre Wahl zum Dekan der medizinischen Fakultät angenommen haben. Nach wie vor steht die Deutsche Studentenschaft auf ihrem 1923 kundgetanen Standpunkt, dass Professoren jüdischer Volkszugehörigkeit akademische Würdenstellen nicht bekleiden dürfen. Wollen Sie bedenken, dass Sie sich an einer deutschen Hochschule 46 Unter anderem: Hakenkreuz studiert, Wiener Allgemeine Zeitung, 4. 2. 1931. 47 Students beat Jews at Vienna University, The New York Times, 3. 2. 1931; Fascists fight Police at Vienna University, The New York Times, 4. 2. 1931. 48 Wie man den nationalen Rektor verleumdet!, DÖTZ, 29. 6. 1932.
116
Klaus Taschwer
befinden und dass die deutschen Studenten als ihre Führer nur deutsche Lehrer anerkennen! Schon im Interesse eines ordnungsgemäßen Lehrbetriebes hoffen wir auf Ihre Einsicht.49
Gezeichnet war der Brief von den drei Vertretern der Deutschen Studentenschaft, für die Katholisch-Nationalen war das Josef Klaus (1910 – 2001), der nach 1945 als ÖVP Politiker Karriere machen und von 1964 bis 1970 österreichischer Bundeskanzler werden sollte. Sein Antisemitismus wird in einschlägigen Biografien entweder verschwiegen oder mit einer bald danach erfolgten Umorientierung »um quasi 180 Grad hin zur CV – Verbindung ›Rudolfina‹« klein geredet.50 Das ist falsch, denn erstens war Klaus bereits seit 1929 Mitglied der »Rudolfina«, und zweitens waren damals viele der führenden CV-Vertreter – damals noch ohne »Ö« vor dem CV – prononciert antisemitisch.51 Bereits zu Beginn des ersten Semesters unter Abels Rektorat kam es zu besonders gewaltsamen Kämpfen an der Universität Wien. Auslöser waren die blutigen Auseinandersetzungen rund um das Arbeiterheim Simmering, wo am 16. Oktober 1932 ein Angriff bewaffneter Nationalsozialisten auf die sozialdemokratische Bildungseinrichtung in einem Blutbad mit vier Toten endete, unter ihnen zwei Angreifer. Die »Vergeltung« folgte postwendend: Tags darauf wurden bei Attacken der nationalsozialistischen Studenten an der Universität Wien zehn jüdische Hörer verletzt, an der Technischen Hochschule waren es gleich 15 Studenten. Die Rektorenkonferenz, angeführt von Abel, beschloss daraufhin eine dreitätige Sperre der Wiener Hochschulen – nicht, um die NS-Übergriffe zu verhindern, sondern damit sich »derartige Vorfälle, wie sie sich gestern in Simmering ereignet haben, nicht wiederholen«,52 und in den ergänzenden Worten der Reichspost: »zum Protest gegen die marxistischen Bluttaten in Simmering«.53
49 Vgl. Hakenkreuzlerdrohungen gegen einen Dekan der Universität Wien, Arbeiter-Zeitung, 26. 6. 1932. 50 Josef Klaus: Frommer Reformer – vor Kreisky, Die Presse, 13. 8. 2010, URL: http://diepresse. com/home/zeitgeschichte/587435 (abgerufen am 7. 10. 2014). 51 Eines von vielen prominenten Beispielen für prononcierten Antisemitismus im CV ist Emmerich Czermak, der sich schon in der Deutschen Gemeinschaft gegen jüdische Professoren engagierte und von 1929 bis 1932 mit Unterbrechungen Unterrichtsminister war. Czermak, geehrt mit der höchsten Auszeichnung des CV, dem Wollek-Band, verkündete 1936 vor CV-Funktionären: »Die Judenfrage existiert daher sicherlich auch für uns CVer, aber wir haben sie im CV gelöst […]: wir sind judenrein. Bei uns ist der Arierparagraf erfüllt«. Ebenfalls Träger des Wollek-Bandes war Friedrich Funder, Herausgeber der antisemitischen Reichspost. Zum Antisemitismus im ÖCV vgl. das entsprechende, etwas beschönigende Kapitel in Gerhard Hartmann, Der CV in Österreich. Seine Entstehung, seine Geschichte, seine Bedeutung, Kevelaer: Lahn Verlag 2011, 117 – 126. 52 Die Wiener Hochschulen auf drei Tage geschlossen, Reichspost, 18. 10. 1932. 53 Ebd.
Nachrichten von der antisemitischen Kampfzone
117
Als dann Ruhe eintrat, öffnete der Rektor am 20. Oktober die Universität Wien wieder für den normalen Betrieb. Das war allerdings voreilig, denn es erfolgten sofort neuerliche NS-Gewalttätigkeiten: Am 26. Oktober kam es am Anatomischen Institut von Julius Tandler zu einer Schlacht unter Einsatz von Schlagringen, Peitschen, Messern und Ruten. Abermals gab es zahlreiche Verletzte, und Abel sah sich zur neuerlichen Schließung des Hauptgebäudes und aller Nebengebäude und Institute der Universität Wien genötigt.54 Das war aber nicht die einzige Nachwirkung der gewaltsamen Auseinandersetzungen: Verletzte amerikanische Studenten schalteten das Konsulat ein. Das wiederum hatte zur Folge, dass nicht nur der Rektor, sondern auch das Unterrichtsministerium und Kanzler Dollfuß mit der Sache befasst wurden. Rektor Abel musste sich beim US-Botschafter entschuldigen, dass die Gastfreundschaft gegenüber den ausländischen Studierenden auf das Schlimmste verletzt worden sei, wie die New York Times berichtete.55 In der DÖTZ freilich wurde die Sorge um die US-amerikanischen Studenten als unbegründet abgetan: Es handle sich bei ihnen ja gar nicht um Amerikaner, sondern in mindestens 87 der 120 Fälle – wie an den Nachnamen leicht erkennbar sei – um Juden.56 Als »Beweis« erfolgte eine Aufzählung der 87 Namen, dazu in Klammer die Ergänzung, ob die Studierenden mosaisch oder konfessionslos sind. Für diese detailreiche Auflistung musste die nationalsozialistische Redaktion der DÖTZ Zugang zu einem Studierendenregister erhalten haben – vermutlich zu jenem der Quästur, da die Zeitung auch bestens über alle USamerikanischen Ärzte Bescheid wusste, »die zu Fortbildungszwecken als Frequentanten medizinische Spezialkurse besuchen«. Unter diesen sei der Prozentsatz der Juden »noch viel größer«.57
5.
Öffentliche Meinungsmache bei Habilitationen
Dieser jeglichen Datenschutz missachtende Artikel gehört im Bestand »Hochschulen« im Tagblattarchiv zu den spätesten aus der DÖTZ. Wenige Monate später wurde das offizielle Organ der NSDAP ab April 1933 zensuriert und im Juli 1933 verboten. Ziemlich genau zehn Jahre zuvor – und wenige Monate nach der Gründung der Zeitung – waren die ersten Texte der DÖTZ über die Universität Wien erschienen. Die universitätspolitische Berichterstattung war von Beginn an sehr gut informiert, und schon bald wird dem heutigen Leser klar, dass über 54 Vgl. u. a. Neue Unruhen an der Universität, Neue Freie Presse, 26. 10. 1932. 55 2 Americans Hurt in Vienna Rioting, The New York Times, 27. 10. 1932; American Students Protected in Vienna, The New York Times, 28. 10. 1932. 56 Der Amerikanismus an der Wiener Universität, DÖTZ, 29. 10. 1932. 57 Ebd.
118
Klaus Taschwer
die Zeitung direkt in Belange der Universität eingegriffen werden sollte. Ein erstes Zeugnis dafür ist die Auseinandersetzung um die Habilitation des Physikers Karl Horovitz (1892 – 1958), in deren Verlauf die DÖTZ eine wichtige Rolle spielen sollte.58 Horovitz war jüdischer Herkunft und noch dazu sozialdemokratisch engagiert – nach dem Ersten Weltkrieg gute Gründe, um an der Universität Wien keine Karriere machen zu können. In der Habilitationskommission entschied man sich zwar mit sieben zu null Stimmen für den 31jährigen Physikassistenten, der wissenschaftlich bestens qualifiziert war. Das einzige fachfremde Mitglied der Kommission, der Historiker Heinrich Srbik (1878 – 1951), wollte in der Sitzung allerdings wissen, ob Horovitz Kommunist sei, was von den anwesenden Physikern wahrheitsgemäß dementiert wurde. Dennoch erschien in der DÖTZ zwei Wochen später ein Artikel, der Srbiks falsches Vorurteil als Tatsache ausgab. Darin heißt es wie folgt: Seitens akademischer Behörden wird gelegentlich gegen antisemitische Kundgebungen in der Studentenschaft eingewendet, man soll keinen Lärm schlagen, sondern im Stillen arbeiten. Dieser Grundsatz hat gewiss viel für sich, jedoch unter der Voraussetzung, dass die zuständigen Stellen auch wirklich im Stillen arbeiten. […] Bei der Wiener philosophischen Fakultät ist gegenwärtig das Gesuch des Assistenten am ersten physikalischen Institute, Dr. Karl Horovitz, eines kommunistischen Juden, um Habilitation als Privatdozent für Physik anhängig, und die Kommission sprach sich für eine Zulassung aus. Die Entscheidung liegt nunmehr beim Professorenkollegium, dessen starke arische Mehrheit es noch in der Hand hat, den Kommissionsantrag abzulehnen. Dieser Fall zeigt aber auch, dass es gar nicht notwendig ist, erst nach einer Abänderung des Staatsgrundgesetzes zu rufen, denn in diesen steht nirgends, dass ein Jude von arischen Professoren habilitiert werden, zum Professor vorgeschlagen oder zum akademischen Amtswalter gewählt werden muss.59
Ob Srbik selbst hinter dem Text steckt, lässt sich heute nicht mehr klären. Offensichtlich ist aber, dass der Autor über das Ergebnis der Kommissionssitzung genau Bescheid wusste. Für ein Mitwirken Srbiks spricht, dass die Veröffentlichung des Artikels zeitlich exakt geplant war : Genau einen Tag nach Erscheinen des ungenierten Aufrufs stimmten die Professoren der Fakultät nämlich über Horovitz ab. Als Mitglied der antisemitischen Professorenclique »Bärenhöhle«, die von Othenio Abel vermutlich 1922 gegründet worden war, um Habilitationen 58 Für den Fall Horovitz vgl. Peter Goller, »Ein starkes Stück. Versuchte Habilitation eines kommunistischen Juden …« Universitäten im Lichte politischer und rechtlicher Willkür am Beispiel des Habilitationsverfahrens von Karl Horovitz (1892 – 1958) an der Wiener Universität 1923 – 1925, in: Jahrbuch des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes 1998, 111 – 134. 59 Ein starkes Stück. Versuchte Habilitation eines kommunistischen Juden …, DÖTZ, 6. 12. 1923.
Nachrichten von der antisemitischen Kampfzone
119
und Berufungen von jüdischen WissenschafterInnen an der philosophischen Fakultät zu verhindern, hatte Srbik auch eine entsprechende Agenda.60 Möglicher Kontaktmann zur DÖTZ oder Autor des Texts könnte auch Wilhelm Bauer gewesen sein, seit 1923 Ordinarius für Geschichte, enger Freund Srbiks, gelegentlicher Autor für die DÖTZ und ebenfalls Mitglied der »Bärenhöhle«, der insgesamt 18 Professoren angehörten.61 Die entscheidende Sitzung des Professorenkollegiums wurde vom Historiker Hans Uebersberger geleitet, auch er Mitglied der antisemitischen Professorenclique, der ein weiteres Mal auf eine »kommunistische Parteirichtung von Horovitz« hinwies. Diese Lüge wurde zwar von vier Physikprofessoren sofort korrigiert, von der Mehrheit der »arischen« Professoren aber geglaubt: Bei der anschließenden Abstimmung erhielt Horovitz bei sechs Enthaltungen nur 20 Ja-, aber 34 Nein-Stimmen der antisemitischen Mehrheit und scheiterte. Der über das Ergebnis konsternierte Physiker erfuhr erst ex post vom Aufruf in der DÖTZ und verlangte in einem Leserbrief an die Zeitung eine Richtigstellung: Er sei nämlich Sozialdemokrat und gehöre keiner Religionsgemeinschaft an. Die Zeitung konterte unmittelbar unter dem abgedruckten Leserbrief mit folgender Polemik: Na also! Kein Kommunist, sondern nur waschechter Sozialdemokrat. Aber auch kein Jude? Der Herr Assistent und Doktor wird doch nicht im Ernste behaupten wollen, dass er aufgehört hat, Jude zu sein, weil er, obwohl als Jude geboren, konfessionslos geworden ist.62
Der Fall Horovitz sorgte für einiges Aufsehen in der Öffentlichkeit. Zahlreiche Zeitungen berichteten darüber, und sozialdemokratische Politiker machten dieses und ähnlich fragwürdige Habilitationsverfahren sogar zum Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage.63 Das war wohl ein Grund, warum sich antisemitische Kartelle an der Universität Wien (wie an der philosophischen Fakultät die erwähnte »Bärenhöhle« oder an der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Kreis um Othmar Spann) bei ähnlichen Verfahren in der Folgezeit etwas weniger öffentlicher Methoden der Meinungsbildung befleißigten. 60 Vgl. Klaus Taschwer, Geheimsache Bärenhöhle. Wie eine antisemitische Professorenclique nach 1918 an der Universität Wien jüdische Forscherinnen und Forscher vertrieb, URL: https://www. academia.edu/4258095 (abgerufen am 21. 11. 2014; Printfassung im Erscheinen). 61 Zu Bauers journalistischem Schaffen für die DÖTZ zwischen 1923 und 1925 vgl. Elisabeth Schulz, Wilhelm Bauer. Studien zu Leben und Werk (Dissertationen der Universität Wien 142), Wien: VWGÖ 1979, 122 – 123. Ich danke einem anonymen Gutachter/einer anonymen Gutachterin für den Hinweis auf Bauers Tätigkeit für die DÖTZ. 62 DÖTZ, 11. 12. 1923. 63 Zur Anfrage der Sozialdemokraten und den anderen thematisierten Fällen vgl. Wissenschaftliche Qualität oder Parteibekenntnis?, Der Tag, 16. 7. 1924, 7; Wer darf in Österreich nicht Professor werden, Arbeiter-Zeitung, 16. 7. 1924.
120
Klaus Taschwer
Als man es dann doch wieder einmal versuchte, ging der Schuss nach hinten los: Bei der offensichtlich missglückten öffentlichen Intervention, die Ende November 1925 in der DÖTZ erschien, handelte es sich um eine polemische Abrechnung mit der Schumpeter-Schule an der Universität Wien. Der Autor, vermutlich Othmar Spann oder ein Mitglied des Spann-Kreises, griff darin Hans Mayer (1879 – 1955) scharf an, der in der Öffentlichkeit »nur durch die wiederholte Habilitierung östlicher Juden vorübergehend bekannt« geworden sei.64 Damit sollte indirekt die anstehende Habilitation des Nationalökonomen Franz Xaver Weiss (1885 – 1956) verhindert werden, da dieser jüdischer Herkunft war. Eine Woche, nachdem der Text erschienen war, wurde in der akademischen Fachgruppensitzung der Deutschen Gemeinschaft, einem weiteren einflussreichen antisemitischen und antimarxistischen Geheimzirkel, darüber debattiert, ob der Artikel nicht »zu scharf« und deshalb »ungeschickt« ausgefallen sei.65 Tatsächlich dürfte die Polemik in der Fakultät eine Gegenbewegung und eine kurzfristige Solidarisierung mit Mayer und Weiss ausgelöst haben. Weiss jedenfalls wurde 1926 als letzter Nachwuchsforscher jüdischer Herkunft an der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät in der Ersten Republik habilitiert.66 Die DÖTZ wurde bei anstehenden Habilitationsverfahren allem Anschein nach aber noch in anderer Weise eingesetzt – nämlich als eine Art öffentliches Bekenntnisorgan für die rechte Gesinnung: Als sich der katholische Soziologe Ernst Karl Winter Ende der 1920er Jahre an der Fakultät für Rechts- und Staatswissenschaften für Allgemeine Gesellschaftslehre habilitieren wollte, habe ihm der damalige Dekan Alexander Hold-Ferneck (1875 – 1955) folgende eindeutige Bedingung gestellt: »Solange Sie nicht in der Dötz einen Leitartikel für den Anschluss schreiben, werden Sie nicht habilitiert werden.«67 Winter, ein erklärter Anschluss- und NS-Gegner, verweigerte das falsche Bekenntnis und scheiterte. Er versuchte es im Studienjahr 1934/35 dann noch einmal, als er bereits 3. Vizebürgermeister der Stadt Wien war und scheiterte abermals. In diesem Jahr war Hold-Ferneck Rektor der Universität Wien. 64 Grenznutzens Glück und Ende. Der ruhmlose Untergang einer vielgerühmten Lehre. – Josef Schumpeter und Johann Mayer als letzte Bannerträger, DÖTZ, 28. 11. 1925, 3 – 4, hier 4 (Hervorhebung im Original). Der Wirtschaftsjournalist Egon Scheffer, der bis 1926 bei der DÖTZ für das Ressort Volkswirtschaft zuständig war, gehörte dem Spann-Kreis an. 65 Vgl. Michael Siegert, Numerus Juden raus. Professoren nehmen sich Freiheit der Wissenschaft, in: Neues Forum 241/242 (Jänner/Februar 1974), 35 – 37, hier 36. 66 Vgl. Die Rechtsfakultät gegen die Spannschen Treibereien, Arbeiter-Zeitung, 25. 12. 1925, 6; Die juridische Fakultät über den mangelnden Ehrenschutz im Preß- und Strafrecht, Neue Freie Presse, 25. 12. 1925, 18. Für eine Analyse dieser Intervention vgl. Hansjörg Klausinger, Krise und Niedergang der Nationalökonomie an der Wiener Universität nach 1917 (unveröffentlichtes Manuskript 2014), 32 – 33. Kopie im Eigentum des Verfassers. 67 Vgl. Ernst Holzbauer, Ernst Karl Winter, in: Friedrich Stadler (Hg.), Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft, Wien–München: Jugend und Volk, 458 – 462, 459.
Nachrichten von der antisemitischen Kampfzone
6.
121
Außensichten auf die Innenansichten
Dass es gute Kontakte zwischen den führenden Köpfen der Universität und der DÖTZ gegeben haben muss, belegt eine andere Episode, die sich bereits 1926 zutrug und an der ebenfalls wieder ein Professor der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät beteiligt war. Der Handelsrechtler Josef Hupka (1875 – 1944) war 1926/27 Dekan dieser Fakultät geworden und protestierte in dieser Funktion bei Rektor Hans Molisch (1856 – 1937), einem renommierten Botaniker und prononcierten Deutschnationalen, gegen verhetzende Inhalte in Anschlagkästen in der Aula der Universität Wien. Diese Anschlagkästen und -bretter, an denen täglich tausende Personen vorbeigingen und daher eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Informationsverbreitung und Agitation an der Universität Wien spielten, standen wenig überraschend auch regelmäßig im Mittelpunkt der virulenten politisch-rassistischen Auseinandersetzungen. So wurden sie auch immer wieder mit Artikeln aus Tageszeitungen bestückt, die der Deutschen Studentenschaft zumeist mit jenen der DÖTZ: »[…] am Anschlagbrett der Deutschen Studentenschaft aber prangt das Hakenkreuzblättchen in täglich frischem Glanze«, wie man wiederum aus der Arbeiter-Zeitung erfahren kann.68 Wohl nicht ganz zufällig erfuhr die Redaktion der DÖTZ – vielleicht sogar durch Molisch selbst – von Hupkas Protest, der in der Zeitung prompt als der »erste Terrorakt des jüdischen Dekans Hupka« (so der Untertitel des Artikels) öffentlich gemacht und zugleich denunziert wurde.69 Nach weiteren antisemitischen Provokationen im Text folgte noch eine Ankündigung: Die akademische Jugend Wiens veranstaltet am Sonnabend eine Einspruchskundgebung gegen die Verjudung der Universität! […] Möge der Freiheitsgeist sie stets erfüllen, um unser Volk von der jüdischen Diktatur zu befreien!70
Da Text und Demonstration ohne Folgen waren und Hupka im Amt blieb (er sollte der letzte rechts- und staatswissenschaftliche Dekan jüdischer Herkunft in der Ersten Republik sein), mussten die Hakenkreuzler ein weiteres Mal nachsetzen – und zwar in den Anschlagkästen. Da war dann ab Anfang Dezember 1926 unter anderem Folgendes zu lesen, wie die Neue Freie Presse unter dem Titel »Eine Kulturschande an der Universität« berichtete: ›Die Juden sind die minderwertigste Köterrasse, die auf der Welt ihr Unwesen treibt.‹ Sie sind ›eine scheußliche Bastardrasse, die größte Promenadenrasse, welche, behaftet mit allen Lastern eines typischen Bastards, überall Fäulnis und Morast verbreitet!‹ Sie 68 Wem der Universitätsfestsaal und sonst noch alles gehört, Arbeiter-Zeitung, 28. 10. 1925, Hervorhebung im Original. 69 Jüdische Zensur an der Wiener Universität?, DÖTZ, 3. 11. 1926. 70 Ebd.
122
Klaus Taschwer
wollen ihre Leichen nicht sezieren lassen, weil sonst herauskommen würde, dass ›ihr Körper der Sitz aller Abnormitäten ist‹, und dass ihr Gehirn andere Windungen hat als nichtjüdische Gehirne, weshalb gerade der unsinnige Pazifismus nur in jüdischen Gehirnen geboren wurde.71
Außerdem würde man bei einem Rundgang durch die Universität »auf Schritt und Tritt hakenkreuzgeschminkte Anschlagtafeln mit den absurdesten und lächerlichsten Hetzereien gegen die Juden« finden, hieß es in dem Bericht. Darüber hinaus wären zahlreiche Porträts von Hitler und Bilder aus der HitlerBewegung affichiert. Das Resümee des Artikels, der noch zahlreiche weitere antisemitische Diffamierungen zitierte: »An vielen Stellen scheint sich die Universität überhaupt in eine hakenkreuzlerische Kolportageeinrichtung verwandelt zu haben.«72 Diesen Vorwurf der »Kulturschande an der Universität« und das erst zwei Wochen nach Aushang der Hetzplakate erlassene Verbot derselben durch Molisch konnte die DÖTZ nicht akzeptieren. Unter dem wortidenten Titel, nämlich »Eine Kulturschande an der Universität«, und wie fast immer ohne Autor (sondern bloß mit »von akademischer Seite« gezeichnet), wurde folgendermaßen auf den kritischen Artikel in der Neuen Freien Presse reagiert: Nicht der Antisemitismus oder Proarismus kann jemals als ›Kulturschande‹ an der Universität bezeichnet werden! Antisemitismus ist Kulturnotwendigkeit! Kulturschande an der Universität sind jene jüdischen Professoren, die die Jugend (wie Braßloff) durch Zoten sittlich vergiften, die sie (wie Kelsen) durch demokratischen Irrsinn geistig verführen, die sie (wie Adler) durch bolschewistische Blutlehren politisch verderben! Nicht die Knebelung der angeblich ›antisemitischen‹ Kulturarbeit und der Gehorsam gegenüber der jüdischen Pressediktatur bringt der Alma mater Ruhe und Ansehen, sondern allein die Pensionierung der jüdischen Verführer und Hetzer!73
7.
Ein Fall erfolgreicher öffentlicher Intervention
Besonders heftige mediale aber auch handgreifliche Auseinandersetzungen gab es dann um ein Gesetz, das der Universität Wien 1930 eine Avantgarderolle beim akademischen Antisemitismus im deutschsprachigen Raum sicherte: Wenzel Gleispach, Professor für Strafrecht und im Studienjahr 1929/30 Rektor der Universität Wien, hatte eine Studentenordnung ausgearbeitet, die am 1. Februar 1930 von der Rektorenkonferenz abgesegnet und am 20. März 1930 vom Akademischen Senat der Universität Wien beschlossen wurde. Sie bestand im We71 Zitiert nach Eine Kulturschande an der Universität, Neue Freie Presse, 10. 12. 1926. 72 Ebd. 73 Eine Kulturschande an der Universität, DÖTZ, 11. 1. 1927, Hervorhebungen im Original.
Nachrichten von der antisemitischen Kampfzone
123
sentlichen darin, das sogenannte Volksbürgerprinzip als entscheidendes Kriterium für die Studentenschaft einzuführen: Die ordentlichen Hörer der Universität Wien »gleicher Abstammung und Muttersprache« sollten eine sogenannte »Studentennation« bilden, jene »gemischter Abstammung« die »gemischte Nation«. Das lief freilich auf eine Einteilung nach »rassischen« Kriterien hinaus. Knapp zehn Jahre nach den oben erwähnten Vorstößen von Engelbert Dollfuß und Ignaz Seipel sollte die Universität Wien damit zwar nicht durch einen gesetzlich fixierten Numerus clausus, aber doch durch eine Verordnung jüdischen Studierenden den Zugang zur Universität Wien erschweren können. Die Veröffentlichung dieser Studentenordnung am 9. April 1930 führte sofort zu heftigen öffentlichen Debatten.74 Allein in den ersten 14 Tagen nach der Veröffentlichung des Texts erschienen in den österreichischen Tageszeitungen Dutzende Artikel: in der nationalsozialistischen und katholisch-konservativen Presse (also im Wesentlichen der DÖTZ und der Reichspost) eindeutig befürwortend, in der liberalen und linken Presse ebenso eindeutig ablehnend. Der erste Universitätsprofessor, der sich in einer Zeitung kritisch zum Entwurf äußerte, war der Rechtswissenschafter Josef Hupka. In einem umfangreichen Artikel in der Neuen Freien Presse machte der Jurist auf die rassistischen Implikationen der Studentenordnung aufmerksam, indem sie das »physische und bekanntlich recht problematische Merkmal der Abstammung zum juristischen Prinzip einer neuartigen öffentlich-rechtlichen Gliederung der Studentenschaft« erhebe. Zudem zerpflückte er ihre rechtlichen Grundlagen und kam zum Schluss, »daß die Studentenordnung der verfassungsmäßigen Grundlage ermangelt«.75 Knapp ein Monat später erschien in der Wiener Sonn- und Montagszeitung, die ausführlich über universitätspolitische Belange berichtete und von antisemitischer Seite als »Sonn- und Montagsjüdin« denunziert wurde76, ein weiterer, nicht gezeichneter Artikel gegen die Studentenordnung und Rektor Gleispach.77 Dieser eher polemische Text, der sich inhaltlich im Wesentlichen auf Hupkas Argumente stützte, führte zur strafgerichtlichen Verfolgung des verantwortlichen Chefredakteurs Ernst Klebinder (1878 – 1936), der in seiner Zeitung auch in den Wochen und Monaten danach nichts unversucht ließ, um die Studentenordnung zu Fall zu bringen. So nahmen auf seine Aufforderung hin auch Schriftsteller wie Thomas Mann (1875 – 1955), Hermann Hesse (1877 – 1962), Heinrich Mann (1871 – 1950), oder Stefan Zweig (1881 – 1942) in der Wiener 74 Für umfangreiche Rekonstruktionen vgl. Lichtenberger-Fenz, »… deutscher Abstammung«, 84 – 138 und Walter Höflechner, »Die Baumeister«, 360 – 388. 75 Die Studentenordnung der Universität Wien, Neue Freie Presse, 23. 4. 1930. 76 Vgl. Höflechner, »Die Baumeister«, 357, Fn. 329. 77 Seine Magnifizenz der Rektor. Der Wiener Universitätsskandal, Wiener Sonn- und Montagszeitung, 19. 5. 1930, 4.
124
Klaus Taschwer
Sonn- und Montagszeitung kritisch dazu Stellung.78 Das Verfahren landete schließlich vor dem Verfassungsgerichtshof, der Gleispachs Studentenordnung am 23. Juni 1931 aufhob.79 Die DÖTZ hielt das Erkenntnis schlicht für »ein Schandurteil des von jüdisch-marxistischem Geiste durchsetzten Verfassungsgerichtshofes«.80 Auf die Ablehnung der Gleispach’schen Studentenordnung folgten sowohl im Juni wie auch im Herbst besonders heftige und gewaltsame Proteste der antisemitischen und nationalsozialistischen »Radaustudenten«.81 Nachdem sich sowohl Prorektor Hans Uebersberger als auch Rektor Maresch mit der Deutschen Studentenschaft solidarisiert hatten, nahm das – wie eingangs erwähnt – Fritz Brügel zum Anlass, seine Promotionsurkunde zu zerreißen und an seine Alma mater zurückzuschicken. Seine Aktion blieb einzigartig und letztlich wirkungslos: Die politische Radikalisierung an der Universität Wien schritt bis zum Ende der Ersten Republik weiter fort. Eine Eindämmung der Attacken der Nationalsozialisten konnte nur dadurch erreicht werden, dass die Universität Wien nach dem Ende der Republik unter die autoritäre Kuratel der Regierung gestellt und die universitäre Autonomie stark beschnitten wurde. Die Pressezensur und das Verbot unter anderem der DÖTZ und der Arbeiter-Zeitung, die fortan aus dem Exil in Brünn und dann aus Paris nur mehr kurz über Angelegenheiten der Universität Wien berichtete, taten ein Übriges. Im Jahr 1945, also 14 Jahre später machte Brügel dann die Streichung seines Namens aus der AbsolventInnenliste rückgängig: Der aufrechte Alumnus der Universität Wien war als tschechoslowakischer Staatsbürger in den diplomatischen Dienst seines Staates eingetreten und benötigte dafür sein Doktordiplom. Ein entsprechendes Schreiben seines Anwalts wurde am 1. Juni 1946 von Rektor Ludwig Adamovich sen. (1890 – 1955) – übrigens ein früherer Unterstützer von Gleispachs Studentenordnung82 – positiv beantwortet: Die Philosophische Fakultät und der Akademische Senat der Universität Wien hatten beschlossen, das Diplom neuerlich auszustellen, gegen Erstattung der anfallenden Kosten.83
78 Vgl. Lichtenberger-Fenz, »…deutscher Abstammung«, 100. 79 Zur eigenwilligen Begründung des Verfassungsgerichtshofs vgl. Lichtenberger-Fenz, »…deutscher Abstammung«, 128 – 129. 80 Die Wiener Universität ist eine deutsche Universität!, DÖTZ, 4. 6. 1931. 81 Der Begriff war Anfang der 1930er Jahre so geläufig, dass ihm im kommentierten Vorlesungsverzeichnis der nationalsozialistischen Studenten sogar ein eigener, launiger Text gewidmet war, vgl. Wiener Universitäts-Führer 1932/33, 14 – 19. 82 Vgl. Lichtenberger-Fenz, »… deutscher Abstammung«, 124 und 129. 83 Vgl. Lichtenberger/Posch, »… ein Vorbild«, 32.
Nachrichten von der antisemitischen Kampfzone
8.
125
Resümee und Ausblick
Es gibt zwar einige Autobiografien von mehr oder weniger prominenten AbsolventInnen der Universität Wien, die in ihren Erinnerungen an die Zwischenkriegszeit gewaltsame Übergriffe an ihrer Alma mater schildern.84 Und auch im Archiv der Universität Wien finden sich einzelne Dokumente der psychischen und physischen Bedrohung für jüdische und linke HörerInnen.85 Das ganze Ausmaß dieses einseitigen akademischen Bürgerkriegs, in dem sich die linken und sozialdemokratischen Studierenden mitunter freilich auch handfest gegen die antisemitischen und rechtsextremen Angreifer zur Wehr setzten, wird aber erst durch die umfangreiche Berichterstattung in den Tageszeitungen im In- und Ausland offensichtlich, wie in diesem Text gezeigt werden sollte. Diese Außensichten in Form von Zeitungsartikeln können belegen, dass deutschnationale, nationalsozialistische und zum Teil auch katholische Studierende an der Universität Wien zwischen 1920 und 1933 ein Klima der antisemitischen Einschüchterung und Gewalt erzeugten. Sie weisen aber auch darauf hin, dass die meisten Rektoren dieser Zeit – mit Ausnahme insbesondere Theodor Innitzers (1928/29) – die Ausschreitungen nicht eindeutig verurteilt, sondern eher geduldet, wenn nicht sogar offen unterstützt haben. Entsprechend erscheint die Universität Wien zumindest in linken und liberalen Medien ab den späten 1920er Jahren immer mehr als eine Hochburg der »Hakenkreuzler« und des gelebten Antisemitismus. Eine wichtige Rolle in diesem politischen Kampf um die Universität Wien spielte die Deutschösterreichische Tages-Zeitung, die ab 1926 das offizielle Parteiorgan der NSDAP in Österreich war. Etliche Artikel in diesem Blatt zeigen, dass es zwischen den verschiedenen Universitätsleitungen und der Redaktion der DÖTZ ein Naheverhältnis gegeben haben muss, denn vielfach wurde die Zeitung von Rektoren für öffentliche Stellungnahmen oder Rechtfertigungen genützt. Der antisemitischen Hetze in der Universitätsberichterstattung dieses Blattes wurde jedenfalls nicht ein einziges Mal entgegengetreten. Wie genau die Verbindungen zwischen den Universitätsleitungen und der DÖTZ-Redaktion
84 U.a. Josef Klaus, Macht und Ohnmacht in Österreich. Konfrontationen und Versuche, Wien–München: Molden 1971, 24 – 26; Heinrich Drimmel, Die Häuser meines Lebens. Erinnerungen eines Engagierten, Wien: Amalthea-Verlag 1975, 169; Minna Lachs, Warum schaust du zurück. Erinnerungen 1907 – 1941, Wien–München–Zürich: Europaverlag 1986, 150 – 155; Bruno Kreisky, Zwischen den Zeiten. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten, Wien: Siedler und Kremayr & Scheriau 1986, 169 – 174. 85 Vgl. Linda Erker, »Die jüdischen Studenten mögen sich entfernen und zwar besser sofort.« Eine Momentaufnahme der Universität Wien im Oktober 1932 (Unveröffentlichtes Manuskript, das auf Protokollen verprügelter StudentInnen 1932 beruht; der Bestand wurde erst 2014 im Archiv der Universität von der Autorin entdeckt.)
126
Klaus Taschwer
organisiert waren, wäre eine Frage für universitätsgeschichtliche und kommunikationswissenschaftliche Folgestudien. Der Korpus »Hochschulen« des ehemaligen Tagblattarchivs stellt nicht nur für diese spezifische Problemstellung einen guten Ausgangspunkt dar. Diese Artikelsammlung liefert auch viele ergänzende Auskünfte im Zusammenhang mit der politischen, aber auch der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklung der Hochschulen in der Zwischenkriegszeit – und kann dadurch bei der Kontextualisierung von Informationen aus den jeweiligen Universitätsarchiven, aber etwa auch bei der politischen Einschätzung vieler UniversitätsprofessorInnen eine hilfreiche Rolle spielen, um nur zwei konkrete Beispiele zu nennen. Dieser Textkorpus regt darüber hinaus, wie ebenfalls zu zeigen war, zu neuen universitätshistorischen Fragestellungen an, für die bereits jetzt sehr viel mehr zusätzliches Quellenmaterial in Form von Zeitungsartikeln zur Verfügung steht: Im Rahmen des Projekts ANNO der Österreichischen Nationalbibliothek sind schon heute zahlreiche Zeitungen bis zum Jahr 1943 digitalisiert verfügbar. Ab Ende 2015 werden diese Bestände dann auch vollständig nach Stichworten durchsuchbar sein,86 was nicht nur der Universitätsgeschichtsschreibung nach dem 650-Jahr-Jubiläum der Universität Wien völlig neue Möglichkeiten eröffnen wird.
86 Auskunft von Christa Müller, Projektleiterin von ANNO per E-Mail vom 20. 10. 2014.
Christian Fleck
Akademische Wanderlust im Wandel
Obwohl Mobilität zu den seit langem bestehenden Prozessen innerhalb der Institution Wissenschaft gehört, ist sie ein wenig erforschter Teil des akademischen Lebens. Das gilt zum einen für die vertikale Mobilität, wo zwar beispielsweise die Diskriminierung aufgrund von Geschlecht oder Ethnizität Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, andere Mobilitätsphänomene (wie der Wandel der sozialen Zusammensetzung des Lehrkörpers) hingegen unbeachtet blieben. Auch der transnationale Vergleich vertikaler Mobilität ist ein Desideratum.1 Zum anderen gilt das aber auch für die andere Form von Mobilität, die Wanderungen von Personen zwischen Universitäten und Ländern, sei es temporär oder permanent. Auch hier ist das qua Forschung generierte Wissen eher anekdotisch denn systematisch. Ganz anders verhält es sich, wenn man das kollektiv geteilte Wissen der Mitglieder der akademischen Welt als Bezugspunkt wählen würde: Darüber, dass regionale Mobilität zum Anforderungsprofil heutiger akademischer Berufsanfänger zählt, herrscht ebenso Konsens wie die Meinungen über die (Neben-)Folgen starker oder schwacher Wanderlust auseinander gehen. Von den verschiedenen Facetten des hier nur angerissenen Themas Wanderung2 soll hier nur ein sehr kleiner Aspekt behandelt werden. Am Beispiel zeitweiliger Studien- und Forschungsaufenthalte, die von einer privaten Stiftung über mehrere Jahrzehnte hinweg gefördert wurden, werden drei Vergleiche angestellt: Erstens der Vergleich über Perioden hinweg, zweitens der Vergleich 1 Man vergleiche die dürftige Behandlung dieses Themas in den folgenden Standardwerken: Walter Rüegg, (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 3: Vom 19. Jahrhundert zum Zweiten Weltkrieg (1800 – 1945), München: C.H. Beck 2004, John L. Heilbron (Hg.), The Oxford companion to the history of modern science, Oxford: Oxford University Press 2003, Theodore M. Porter/Dorothy Ross (Hg.), The Cambridge history of science, Vol. 7: The modern social sciences, Cambridge: Cambridge University Press 2003. Aktuell zum Thema: Christine Musselin, The market for academics, New York: Routledge 2010. 2 Ausnahmeweise ist das deutsche Wort Wanderung hier eindeutiger als das Fremdwort Mobilität, wo ja regelmäßig die soziale die regionale in den Hintergrund rückt.
128
Christian Fleck
zwischen Disziplinen und drittens der Vergleich der Herein- mit den Hinausgehenden (wobei über die Hereinkommenden weniger Daten vorhanden sind als über die Hinausgehenden). Vereinzelt werden auch andere Facetten akademischen Wanderns angesprochen werden können. Der lokale Bezugspunkt der folgenden Ausführungen ist die Universität Wien. Die Stiftung, die in der Regel einjährige Aufenthalte finanzierte, ist die Rockefeller Foundation (richtiger : verschiedene Einzelstiftungen und »Programme«, die allesamt zum von John D. Rockefeller Sen. begründeten philanthropischen Universum gehören3). Die Rockefeller Foundation (künftig: RF) vergab im Zeitraum von 1922 bis 1963 Stipendien an Personen, die entweder von der Universität Wien nominiert wurden oder aus dem Ausland kamen, um vorübergehend an dieser Universität zu studieren. Gefördert wurden Absolventen aller (traditionellen) Fakultäten (mit Ausnahme der theologischen). Wien bzw. Österreich waren nahezu während der gesamten Laufzeit des europäischen Stipendienprogramms der Rockefellers (1917 bis 1970) auf die eine oder andere Weise Empfänger von Stipendien und Stipendiaten. Datengrundlage der folgenden Ausführungen ist das Archivmaterial, das im Rockefeller Archive Center in Sleepy Hollow, New York liegt.4 Neben den Aufzeichnungen über die Bezieher sog. Fellowships (Fellowship Cards) wurden zwei publizierte Verzeichnisse (Directories)5 herangezogen. Letztere enthalten kurze standardisierte Einträge der fast 10.000 ehemaligen Fellows. Neben dem Namen, Geburtsland und Geburtsjahr, dem akademischen Abschluss (gelegentlich auch die graduierende Institution), dem Land, in welchem sie zum Zeitpunkt des Stipendienantritts lebten, werden auch noch Daten über die Stipendiendauer, das oder die Länder, in denen das Stipendium konsumiert wurde und die Abteilung der Stiftung, in deren Kompetenz das Fellowship fiel, genannt. Am Ende findet man bei den meisten eine Angabe über ihren Aufenthaltsort nahe dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der beiden Nachschlagewerke, also um 1950 und um 1970. Diese 5 bis 10 Zeilen verzeichnen vieles nicht, was man für eine soziologische oder wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung gerne an Informationen zur Hand hätte (schon bei der Feststellung des Geschlechts scheitert man in jenen Sprachen, die Vornamen aufweisen, aus denen das Geschlecht nicht mit Sicherheit abgelesen werden kann), dass diese Daten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, bislang nicht systematisch ausgewertet wurden, kann aber nicht auf
3 Vgl. als knappen Überblick: Christian Fleck, Transatlantische Bereicherungen. Zur Erfindung der empirischen Sozialforschung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2007, 56. 4 URL: http://www.rockarch.org/ (abgerufen am 4. 2. 2015). 5 Rockefeller Foundation, Directory of fellowship awards for the years 1917 – 1950, New York: Rockefeller Foundation 1951, Rockefeller Foundation, Directory of fellowships and scholarships: 1917 – 1970, New York: Rockefeller Foundation 1972.
Akademische Wanderlust im Wandel
129
die Dürftigkeit der Daten zurückgeführt werden. (Über Gründe für dieses Desinteresse hier zu spekulieren ist unnötig.) Die folgende Darstellung beginnt mit einer knappen Schilderung des Kontextes des Stipendienprogramms der RF. Danach folgt das Porträt einer (im statistischen Sinn) willkürlichen Auswahl von Personen, die an der Universität Wien studiert haben und ein RF Fellowship erhielten. Dazu ziehe ich insbesondere die Fellowship Cards heran, die stiftungsinternen standardisierten Aufzeichnungen über die Stipendiaten, die in der Regel weit detailliertere Angaben enthalten als die Directories.6 Im zweiten Teil werde ich auf der Grundlage der Daten in den beiden Directories ein Kollektivporträt der Wiener Fellows und der in Wien studierenden Ausländer entwerfen, um abschließend Erklärungen für die gefundenen Besonderheiten anzubieten.
1.
Philanthropen als Wissenschaftsförderer
Die finanzielle Unterstützung von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durch nicht-staatliche Stellen reicht weit in die Geschichte der Universitäten zurück.7 Am Beginn des 20. Jahrhunderts entstand in den Vereinigten Staaten dann etwas, was alsbald »scientific philanthropy« genannt wurde und in der Doppeldeutigkeit recht gut auch die beiden Seiten dieses neuen Phänomens zum Ausdruck brachte: Die von Magnaten wie Andrew Carnegie und John D. Rockefeller Sen. ins Leben gerufenen Stiftungen widmeten sich nicht nur breitflächig der Förderung der Wissenschaften, sondern bedienten sich bei der Planung und Durchführung auch in zunehmendem Maße der Wissenschaftler und wissenschaftlicher Methoden. Warum Plutokraten ihr Vermögen der Förderung der Wissenschaften stifteten, dürfte sehr eng mit dem hohen Ansehen der modernen Wissenschaft zusammenhängen: Die bahnbrechenden und populären Entdeckungen des 19. Jahrhunderts trugen zur Vermehrung des Ansehens des Unternehmens Wissenschaft enorm bei und der Gestus der Wissenschaftler dieser Epoche, drückende Probleme lösen zu können – man denke nur an Infektionskrankheiten, Kunstdünger und Pflanzenzucht – machten die 6 Andere, in Akten Niederschlag findende Aktivitäten der (Mitarbeiter der) RF, die hier nicht behandelt werden, stammen aus Tagebüchern der Mitarbeiter und Aufzeichnungen über grants, die an Institutionen oder Individuen gingen. 7 Vgl. die (wenigen) Hinweise in den vier Bänden Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa. An keiner Stelle wird dort die temporäre Finanzierung von Forschungsaufenthalten durch Dritte thematisiert, geschweige denn analysiert. Mir als Nichthistoriker scheint der Beginn in einer doppelten Innovation während des Ersten Weltkriegs zu suchen sein, als das schon länger bestehende Sabbatical, also das (teilfinanzierte) Forschungsfreisemester, durch ein Stipendienprogramm des National Research Council ergänzt wurde, s. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, 42 – 43 und 65 – 66.
130
Christian Fleck
Wissenschaft für jene attraktiv, die ihr mit wenig menschenfreundlichen Praktiken erworbenes Vermögen einem Zweck zuführen wollten, der im breiteren Publikum zustimmungsfähig war und darüber hinaus erwarten ließ, dass der Ruhm des Stifters markant vermehrt werden würde. Da für die Umsetzung und Administration des Stifteranliegens dann auch noch Wissenschaftler engagiert wurden, nahm der Einfluss der Stifter auf das Alltagsgeschäft ab und die Autonomie der Wissenschaft zu: Dem Stifter und den von ihm ausgewählten Repräsentanten in den Aufsichtsorganen, die in ihrer sozialen Zusammensetzung ihm ähnlich waren, standen hochqualifizierte Angestellte zur Seite und manchmal gegenüber, die mit der zu fördernden Klientel mehr gemein hatten als mit der Lebenswelt der Reichen. Viele der Stiftungsmitarbeiter kamen aus der Wissenschaft und manche gingen danach wieder dorthin zurück.8 Von den verschiedenen Fördermaßnahmen interessiert hier nur die Vergabe von ein- oder mehrjährigen Stipendien. Die Rockefeller Foundation begann damit während des Ersten Weltkriegs, als sie dem neu gegründeten US-amerikanischen National Research Council Mittel zur Vergabe an junge Physiker und Chemiker zur Verfügung stellte. Stipendien wurden auch in einem Feld vergeben, dem die RF bzw. ihr Vorläufer (die Rockefeller Sanitary Commission) während der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts den größten Teil ihrer Fördergelder zugute kommen ließ: die Verbesserung der sanitären Bedingungen und der medizinischen Versorgung in weniger entwickelten Teilen der Welt durch Investitionen unter anderem in die Ausbildung des Personals. Wohl auf diesem Weg etablierte sich die Idee, den Kreis der Bezugsberechtigten über die Grenzen der USA hinaus auszudehnen: In harmony with the principle that trained leadership is essential to all progress, the Rockefeller Foundation in its desire to promote medical education and public health on an international basis has not limited its aid to centers and citizens of the United States. Through the International Health Board, the China Medical Board, and the Division of Medical Education, promising individuals in thirteen different countries were granted during 1920 fellowships which enabled them to pursue advanced courses in preparation for institutional or government service as teachers, investigators, or administrators.9
8 Vgl. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, Kap. 2 und verschiedene Beiträge in den beiden Sammelbänden von Giuliana Gemelli (Hg.), The »unacceptables«: American foundations and refugee scholars between the two wars and after, Brussels: P.I.E.-P. Lang 2000, Giuliana Gemelli (Hg.), American foundations and large-scale research: Construction and transfer of knowledge, Bologna: CLUEB 2001. 9 The Rockefeller Foundation, Annual report 1920, New York: Rockefeller Foundation 1920, 36, URL: http://www.rockefellerfoundation.org/uploads/files/9e0a45a5-d2ba-4b82-bb6c-3cf9bc 0141c1-1920.pdf (abgerufen am 4. 2. 2015).
Akademische Wanderlust im Wandel
131
In bemerkenswertem Tempo übernahmen die Abteilungen der RF, die sich stärker der Förderung der wissenschaftlichen Forschung verschrieben hatten, die Praxis der Vergabe von Stipendien an Nicht-Amerikaner.10 Auch bei der Organisation der Auswahl und Vergabe griff die RF auf Praktiken zurück, die sie im Rahmen der Public Health und Medizinförderung entwickelt hatte, nämlich lokale Repräsentanten zu rekrutieren, auf deren Vertrautheit aufgebaut werden konnte. Diese waren zumeist Professoren, die in den nächsten Jahren den Mitarbeitern der RF Kandidaten für Stipendien vorschlugen. Schrittweise wurde die Zahl der Länder erweitert, aus denen Fellows rekrutiert wurden. Eine Möglichkeit der Bewerbung um ein Stipendium war zu keinem Zeitpunkt des Programms vorgesehen, wohl aber verloren die lokalen Repräsentanten an Bedeutung, einerseits weil die RF in Paris ein europäisches Büro einrichtete und ihre dortigen Mitarbeiter regelmäßig durch Europa reisten, und zum anderen weil den ehemaligen Fellows informell ein Vorschlagsrecht eingeräumt wurde. Nach der 1929 erfolgten Reorganisation des unübersichtlich gewordenen philanthropischen Imperiums der Rockefellers und der Konzentration aller wissenschaftlichen Aktivitäten in der RF, war die Administration in fünf Abteilungen gegliedert: in Fortführung der älteren Tradition gab es weiterhin eine Abteilung für International Health; daneben wurden Abteilungen für Medizin, Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften und Geisteswissenschaften geschaffen. Jede Abteilung hatte zumindest einen Vertreter im Pariser Büro, und die Mitarbeiter verfügten in der Regel über eine fundierte akademische Bildung, manche hatten Professorenstellen (vorübergehend) zugunsten der Tätigkeit in der RF verlassen, sie alle gehörten zu den ersten Kohorten der neuen Berufsgruppe der Wissenschaftsadministratoren. Die Beschäftigungsdauer der Mitarbeiter variierte zwischen wenigen Jahren und Jahrzehnten, einige, wie etwa Beardsley Ruml und Warren Weaver, erlangten Prominenz auch jenseits engerer Kreise.11
10 Im Jahresbericht (30) liest sich das beispielsweise dann so: »With a view to assisting the authorities of the new University of Belgrade (Jugoslavia) to work out wisely their plans for a modern medical school, the university was invited to send a delegation of four to visit Western Europe, Great Britain, and the United States. The Foundation also expressed a willingness to consider fellowship aid for a carefully selected personnel.« 11 Zu Ruml siehe Fleck, Transatlantische Bereicherungen, 66 – 70; zu Warren Weaver siehe dessen Autobiographie, Scene of change: A lifetime in American science, New York: Scribner 1970.
132
2.
Christian Fleck
Fellowship Cards
Die Karteikarten, die in der Rockefeller Stiftung über die Stipendiaten angelegt wurden und dazu dienten, den eigenen Mitarbeitern einen raschen Überblick zu geben, sind weit detaillierter als die standardisierten Minibiografien der Directories. Auf diesen maschinschriftlichen, A5-formatigen Karten findet man Angaben über allfällige Ehepartner und Kinder, die Höhe des Stipendiums, aber auch Hinweise auf »prospective position« (nach Ende des Stipendiums) und im Einzelfall unterschiedlich detaillierte Angaben über den Verlauf des Stipendiums, sowie allfällige spätere Kontakte der Stiftung mit dem früheren Fellow. Die Zahl der Einträge und damit die Zahl der vorhandenen Karteikarten variiert deutlich, ohne dass man aus dem Umfang eindeutige Schlüsse ziehen kann. Die dicht beschriebenen Fellows sind nicht immer die bedeutendsten, sondern gelegentlich bloß jene, bei denen mehr oder ungewöhnliche Probleme zu notieren waren. Einige wenige Beispiele mögen illustrieren, was auf diesen Karteikarten zu finden ist.12 Der erste Fall betrifft eine der frühesten österreichischen Fellows, deren Name auf der Karte als »Ephrussi, E. (Mme de Waal)« angegeben ist; im 1950 Directory fehlt ein Eintrag über sie, aber in der Ausgabe 1972 kann man über sie folgendes lesen: Waal, Elizabeth [sic!] Ephrussi de (Austria) Dr jur. Univ. of Vienna, Austria 1923 (LSRM) 1925 – 27. Studied U.S.A., France. Political Science. Address unknown.
Die Karteikarte erwähnt darüber hinaus noch, dass Frau Ephrussi während ihres Stipendiums, das im Juni 1925 von der Laura Spelman Rockefeller Memorial (LSRM) Stiftung genehmigt und Ende September des gleichen Jahres angetreten wurde, die »Relationship of American political ideas compared with those in European countries« studieren wolle; das einjährige Stipendium wurde um ein weiteres Jahr verlängert und endete im Oktober 1927. Für 1932 ist eine Wohnadresse in Paris verzeichnet und unter der Überschrift »Positions held since end of fshp [fellowship]« findet man die lapidare Notiz »Married. Living in Paris«. Die letzte Zeile der Karte lautet: »12/19/41 [also: 19. Dezember 1941] TBK’s [=Tracy B. Kittredge] revised List of SS [social sciences] fellows: Married and living in the U.S. in 1938.« Durch Zufall stieß ich im Rockefeller Archive Center in anderen Beständen der RF auf einen weiteren Hinweis auf Frau Ephrussi de Waal. Der berühmte niederländische Mediävist Johan Huizinga war Berater der Rockefeller Stiftung für die Auswahl niederländischer Stipendiaten und kam deswegen in den Genuss 12 Alle folgenden Zitate aus: Rockefeller Foundation, Record Group 10.2 Fellowship Recorder Cards, Rockefeller Archive Center (RAC), Sleepy Hollow, New York.
Akademische Wanderlust im Wandel
133
eines so genannten Special Fellowship, um die USA bereisen zu können (die Empfänger dieser Reisezuschüsse sind in den Directories nicht verzeichnet). Huizinga kam auf unbekanntem Weg in den Besitz eines Manuskripts von Ephrussi, aus dem er in seiner Aufsatzsammlung Wege der Kulturgeschichte ausführlich zitiert: Vor mir liegt das Manuskript eines unveröffentlichten Aufsatzes einer jungen Österreicherin, Elisabeth Ephrussi (jetzt Frau E. de Waal), die Amerika so stark empfunden und so voll erfaßt hat, daß ich früher gemeint habe, sie sei Amerikanerin, und das junge Land selbst komme in ihr zu Worte. Unter dem Titel ›Outlines of an Heroic Age‹ will sie in einer gewaltig kühnen Umkehrung der landläufigen Schemata die heutige Entwicklung Amerikas auffassen, nicht als die letzte Entfaltung einer weit fortgeschrittenen Kultur, sondern als ein Beginn, als ein heroisches Zeitalter, in dem das Unausgeglichene noch heftig zusammenprallt, in dem das Rauhe noch geschliffen, die Kraft noch vergeistigt werden muß.13
Huizinga referiert Ephrussis Text weiter und endet mit dem Urteil, in ihrem Text »werde darnach gerungen, einem Unbekannten Form zu geben, wie es formlos brodelt in der Dichtung von Walt Whitman«14 – kein zu verachtender Vergleich für eine junge Schriftstellerin. Das dachte sich offenbar auch einer der in Europa stationierten Mitarbeiter der Rockefeller Foundation, John Van Sickle, als er sich bemüßigt fühlte, seine Leseeindrücke an seinen Kollegen und Vorgesetzten in New York Edmund E. Day zu berichten: Dear Rufus:Here I am back again in Paris after almost two month [sic] absence. Pat and I had a delightful time in the Austrian Tirol and the Bavarian Alps, and I had a chance to renew my study of German and to read quite a few interesting books. I have just finished reading Heuzinga’s [sic] »Wege der Kulturgeschichte«. My attention was drawn to the book by a long and eulogistic review in one of the Viennese newspapers. […] Judging by the publicity the book is getting I think we can be well satisfied with the money spent by the »Laura Spellman [sic]« in bringing Heuzinga [sic] to the States. […] Incidentally, in this same chapter Heuzinga [sic] gives a nice boost to one of our old Austrian fellows who we thought had disappeared into the abyss of marriage.15
Vor wenigen Jahren tauchte Frau Ephrussi aus dem Winkel der Vergessenen plötzlich auf:16 Ihres Enkels Schilderung der verworrenen Familiengeschichte 13 Johan Huizinga, Wege der Kulturgeschichte. Studien, München: Drei Masken Verlag 1930, 369. 14 Huizinga, Wege, 370. 15 September 30, 1930, General Correspondence, RF, Record Group 2, box 47, folder 387, RAC. Der Satz mit dem »money spent […]« wurde (wohl vom Empfänger) handschriftlich unterstrichen. 16 Sir Henry de Waal, Ephrussi-Waals Sohn, hatte mir 2001 noch mitgeteilt, dass seine Mutter ihre wissenschaftliche Arbeit nicht fortgesetzt habe, Brief an den Verf. vom 10. Dezember 2001.
134
Christian Fleck
der Ephrussis wurde zu einem Bestseller und dank seines Engagements wurde nun sogar einer ihrer Romane veröffentlicht.17 Über Frau Ephrussis kurze akademische Karriere wissen wir erst seither ein wenig. Weder die Karteikarte noch das Directory weisen ein Geburtsjahr aus – dieses fehlt in den gedruckten Verzeichnissen häufiger bei Frauen – doch dank ihres Enkels wissen wir nun, dass sie ihr Studium der Rechtswissenschaften im Alter von 24 Jahren abschloss. Wie es dazu kam, dass sie der damals in Wien inexistenten Disziplin Politikwissenschaften zugeordnet wurde, interessierte den Enkel nicht, doch über den weiteren Lebensweg kann man in seinem Buch ebenso viel lesen wie man dort auch ein Foto von Elisabeth findet. Als Juristin hätte sie es bei den Mitarbeitern der RF in Paris und New York schwerer gehabt, für ein Fellowship akzeptiert zu werden, doch wird man in ihrem und einigen anderen frühen Fällen ohnehin annehmen dürfen, dass die Stiftungsmitarbeiter auf die Auswahl damals noch nicht aktiv Einfluss nahmen. Das Stipendium verdankte Frau Ephrussi dem Wiener Neuzeithistoriker Alfred Francis Pribram, der möglicherweise die junge Frau in einem der Salons des jüdischen Bürgertums in einem der Ringstraßenpalais kennengelernt hatte: Das Palais Ephrussi befand sich schräg gegenüber dem Hauptgebäude der Universität Wien, Ecke Schottengasse.18 Mit den Daten aus den publizierten Directories und den Karteikarten kann man einige wenige Linien ihrer Biografie rekonstruieren, doch farbig kann das Bild nicht werden. Um letzteres zu erreichen benötigt man reichhaltigere Sammlungen, wie sie beispielsweise Familien trotz erzwungenen Ortswechsels manchmal zu bewahren vermögen. Die Familiengeschichte, die Elisabeth Ephrussis Enkel schrieb, erzählt dem Leser, dass der Enkel noch ein paar Seminararbeiten aus der Studentenzeit gefunden hat, dass die Großmutter aber stärkeres Interesse an Literatur als an Wissenschaft hatte. Demgemäß spielen in des Enkels Erzählung weder Ephrussis Amerikaaufenthalt noch jenes Manuskript eine Rolle, das Huizinga so beeindruckte.19 Ein anderer, der zu den ersten von Pribram ausgewählten Fellows gehörte, war der bei Stipendienantritt gerade einmal 23 Jahre alte Oskar Morgenstern, der in dem Jahr, in welchem er ein letztlich dann dreijähriges Stipendium antrat, sein Studium mit einem Dr. rer. pol. abgeschlossen hat. Seine insgesamt viel 17 Edmund de Waal, The hare with amber eyes: A hidden inheritance, London: Chatto & Windus 2010. 18 In Karlheinz Rossbacher, Literatur und Bürgertum: Fünf Wiener jüdische Familien von der liberalen Ära zum Fin de SiÀcle (Literatur und Leben 64), Wien: Böhlau 2003 spielen die Pribrams keine Rolle und die Familie Ephrussi wird nur nebenher erwähnt. 19 In der Einleitung zum posthum veröffentlichten Roman von Elisabeth von Ephrussi, Donnerstags bei Kanakis: Roman, Wien: Zsolnay 2014 erfahren wir, dass sich Elisabeth Ephrussi nach 1945 um die Restitution des Familienvermögens bemühte und dabei jene Erfahrungen machte, die mittlerweile keine historische Überraschung mehr sind.
Akademische Wanderlust im Wandel
135
umfangreichere Karteikarte enthält über die drei Jahre in den U.S.A., Kanada, England, Frankreich und Italien nur den Hinweis, dass er Economics studieren werde (oder studiert habe) und danach findet sich eine Liste von Spezialinteressen: »Business Cycles: General Economic Theory ; Theory of Money and Banking in relation to Problems of Econ. Stabilization; Theory of Distribution with reference to Wages«.20 Der Großteil der Einträge auf den insgesamt drei Karteikarten betrifft die spätere Kooperation zwischen Morgenstern und der RF, während seiner Zeit als Leiter des Instituts für Konjunkturforschung in Wien und nach seiner Emigration als Professor an der Princeton University. Aus dem »Special Research in Aid Fund – European Scholars«, einem Sondertopf für von den Nazis vertriebene europäische Wissenschaftler, erhielt Morgenstern ab September 1938 drei Jahre lang einen Lohnzuschuss in Höhe von $ 2.000. Der Betrag entspricht heute dem Gegenwert von rund $ 33.000. Das wären knapp weniger als 60 % des Medianeinkommens, womit der Bezieher eines derartiges Einkommen heute in den USA unter der Armutsgrenze liegen würde. In den 1930er Jahren mussten sich viele Akademiker mit einem Jahreseinkommen in der Höhe des Lohnzuschusses Morgensterns zufrieden geben.21 Im zweiten Jahr in Princeton gewährte ihm die RF einen »grant in aid« in Höhe von $ 2.500, damit er sein Buch über die »economic history of post-war Austria« fertig stellen könne, und als dieses im November 1941 immer noch nicht abgeschlossen war, erhielt er nochmals denselben Betrag genehmigt. Morgensterns Wirtschaftsgeschichte Österreichs fand in seinem Tagebuch noch öfter Erwähnung, zu einem Abschluss kam das Vorhaben allerdings nie, da die Zusammenarbeit mit John von Neumann für ihn immer bedeutender wurde und keine Zeit für andere wissenschaftliche Projekte ließ.22 Morgensterns Tagebuch enthält viele Details über sein Leben, doch die Zuwendung durch die Rockefeller Foundation findet dort keine Erwähnung, während diverse Einladungen von Mitgliedern der Familie Rockefeller penibel verzeichnet werden. Im Tagebuch findet sich auch ein 20 Morgensterns Perspektive kann man nun in der digitalen Edition seiner Tagebücher nachlesen. Die Einträge während des RF-Fellowships beginnen am 5. Oktober 1925 und reichen bis 26. November 1928, siehe: Oskar Morgenstern Tagebuchedition URL: http://gams.unigraz.at/archive/objects/o:ome.b25-27/methods/sdef:TEI/get?mode=b25-27 (abgerufen am 12. 1. 2015). 21 Vgl. https://www.census.gov/prod/2013pubs/acsbr12-02.pdf (abgerufen am 12. 1. 2015) und die Studie von Beardsley Ruml, Teaching salaries then and now: A 30 year comparison with other occupations and industries, New York: Free Press 1955. 22 Im Morgenstern Nachlass findet sich kein Exemplar dieser Wirtschaftsgeschichte; es mag sein, dass Morgensterns damalige Mitarbeiterin Gertrud Lovasy (1900 – 1974) das Material an sich genommen hat; siehe die digitale Edition des Tagebuchs von Morgenstern, URL: http://gams.uni-graz.at/archive/objects/o:ome.b41-43/methods/sdef:TEI/get?mode=194306-27 (abgerufen am 4. 2. 2015).
136
Christian Fleck
Hinweis darauf, dass die Theory of Games and Economic Behavior, das Buch das Morgenstern gemeinsam mit John von Neumann schrieb und das ihn berühmt machte, nur erscheinen konnte, weil John Rockefeller jun. (vermutlich) persönlich einen Zuschuss zu den Druckkosten leistete.23 Eine der Karteikarten mit den wenigsten Einträgen betrifft den Wiener Astrophysiker Walter E. Bernheimer, der dank des Fellowships das Jahr 1931 in jenem Land verbringen konnte, in dem er schon zehn Jahre davor studiert hatte. War es damals die ehrwürdige Universität Uppsala gewesen, so forschte er nun an der Universität Lund bei Knut Lundmark über »anagalactic nebulae« und verlängerte den Aufenthalt dort um weitere drei Monate auf eigene Kosten. Wie der verheiratete Privatdozent und Assistent an der Universitätssternwarte diesen Luxus finanzierte, erfährt man natürlich nicht. Bemerkenswerterweise stammt der erste Karteikarteneintrag aus der Zeit unmittelbar vor Genehmigung des Stipendiums: Die beiden Europa bereisenden Mitarbeiter der RF, Wilbur E. Tisdale und Franck B. Hanson notieren in ihrem gemeinsamen Reisetagebuch über ein in Wien geführtes Gespräch folgendes: Oct. 1930: Prof. [Kasimir] Graff (Univ. Vienna) says that B will never be Director of the Institute [der Universitätssternwarte], but his position of Asst. is assured and that everything possible will be done to enable him to do effective work. On the other hand, he is 1 of 2 men who are being considered for Director of the Astronomical Observatory at Tubingen.
Im März 1933 hält dann Tisdale (WET) auf Bernheimers Karte jenen Teil eines Gesprächs mit dem Harvard Astronomen Harlow Shapley fest, der die Aussichten des ehemaligen Fellows auf akademischen Erfolg weiterhin eher negativ sieht. 3/20/33 WET’s Diary (Harvard): Interview with Prof. Shapley : S. states B. is one of the coming lights of Europe. Neither S. nor WET is sure that B. is a Jew, but S. feels that B. ought to succeed Wolff [vermutlich richtig: Max Wolf] at Heidelberg.
Shapley war einer der US-amerikanischen Wissenschaftler, der sich von Beginn an für die von den Nazis vertriebenen Kollegen einsetzte. Zugleich war er in seinem Fach eine unbestrittene Autorität, was seinem Urteil wohl einiges Gewicht gab.24 Von Shapleys guter Meinung über ihn hatte Bernheimer nichts mehr, falls er davon je Kenntnis erhielt. Im Dezember 1937 verstarb er im Alter von 45 Jahren (die Karteikarte verzeichnet im Rahmen der Recherchen zum 23 Davon findet man keine Erwähnung in: John von Neumann and Oskar Morgenstern, Theory of games and economic behavior, 60th-anniversary ed., Princeton NJ: Princeton University Press 2007. 24 Harlow Shapley, Through rugged ways to the stars, New York: Scribner 1969, vgl. zur USamerikanischen Flüchtlingshilfe Christian Fleck, Etablierung in der Fremde: Hilfe für vertriebene Wissenschaftler in den USA nach 1933, Frankfurt a.M.: Campus 2015.
Akademische Wanderlust im Wandel
137
Directory 1950 als Auskunftsperson eine(n) »J. Gabriel of the U. of Vienna«, mutmaßlich der damalige Rektor der Universität, der Theologe Johannes Gabriel). Dem Nachruf aus der Feder des gegenüber der RF Auskunft gebenden Wiener Professors Graff25 kann man einen Hinweis auf die soziale Stellung Bernheimers entnehmen: Sein Vater Stephan war Ordinarius für Augenheilkunde an der Universität Wien; er selbst war 1910 als Einjährig Freiwilliger im Tiroler Kaiserjäger-Regiment und hatte während des Ersten Weltkriegs zuerst als Leutnant an der Front und danach bis Kriegsende als Leiter einer Feldwetterstation gedient. 1922 promovierte er und 1928 erfolgte die Habilitation, was 1931 zur Ernennung zum ordentlichen Assistenten führte und später zur Ernennung zum außerordentlichen Professor. Nach den Nürnberger Rassegesetzen wären die beiden Bernheimer wohl als Jude klassifiziert und verfolgt worden, der Übertritt des Vaters zum evangelischen Glauben hatte diesem vermutlich das Avancement zum Ordinarius ermöglicht. Die Witwe des jüngeren Bernheimer Margarethe (von) Gayer, eine Tochter des letzten k.u.k. Ministers des Inneren und vormaligen Polizeipräsidenten von Wien Edmund (Ritter von) Gayer, und ihr Sohn überlebten die Nazi-Herrschaft.26 Auch die Karteikarte Viktor [sic] Weisskopfs ist vergleichsweise karg und bietet dennoch genug Hinweise darauf, dass diesen theoretischen Physiker mit der Universität seiner Geburtsstadt nur wenig verbindet, verließ er sie doch dank der Empfehlung Hans Thirrings schon als 20jähriger. Die RF führt Weisskopf dennoch als Österreicher.27 Mit 24 Jahren, bloß ein Jahr nach seinem Doktorat in Göttingen, wurde er vom Institut für theoretische Physik der Universität Berlin, wo er als Assistent Erwin Schrödingers im Frühjahr 1932 zu arbeiten begonnen hatte, für ein einjähriges Stipendium nominiert, [t]o pursue studies on quantum mechanics of dispersion and refraction and of quenching resonance fluorescene, and on theory of collisions, at Inst. of Theoretical Physics, Copenhagen with Prof. N[iels]. Bohr, and at Trinity College, Cambridge, with Prof. R[alph]. H. Fowler.
25 K[asimir] Graff, Anzeige des Todes von Walter E. Bernheimer, in: Astronomische Nachrichten 264 (1938) 1, 343. 26 Siehe: http://www.hohenemsgenealogie.at/en/genealogy/familygroup.php?familyID=F293 82& tree=Hohenems (abgerufen am 10. 2. 2015). 27 Üblicherweise basierend auf der Staatsbürgerschaft. Allerdings zeigt der Fall eines anderen theoretischen Physikers, Guido Beck, der sogar in Wien promovierte, dass dem nicht immer so sein musste. Beck wird von der RF auf der Fellowship Karteikarte als Deutscher geführt, er fehlt allerdings in beiden Directories, doch sein Name findet sich auf der Liste der von der RF unterstützten Deposed Scholars (auch dort als Deutscher). Zu dessen wechselhaftem Leben s. sein Oral History Interview mit John Heilbron vom 22. April 1967, zugänglich unter URL: http://www.aip.org/history/ohilist/4500.html (abgerufen am 4. 2. 2015).
138
Christian Fleck
Zwei Wochen nach dem Ende des Stipendiums notiert ein RF Mitarbeiter, dass Weisskopf eine Stelle bei Wolfgang Pauli an der ETH Zürich angenommen habe, und weitere zwei Monate danach, dass es ihm dort gefalle.28 Drei weitere Notizen machen deutlich, dass die RF ihre Karteikarten auch als Archiv nutzte. Unter dem Datum 13. November 1945 liest man, dass »W. an outstanding contributor in the Atomic bomb research project« gewesen sei. 1950 wird für das erste Verzeichnis seine Adresse am MIT notiert und im August 1963 aus einem Artikel der New York Times zitiert: W’s book, Knowledge and Wonder, Doubleday Anchor Book … makes an excellent beginning for anyone who wants to know what life and the universe look like through the eyes of modern science.« Das Buch habe 1962 den Preis der Edison Foundation für das beste Wissenschaftsbuch für junge Leser gewonnen und sein Autor sei vom MIT beurlaubt, um als Generaldirektor das »CERN, the european center for nuclear research in Geneva« zu leiten. Ein RF Stipendiat, dessen Aktivitäten während des Fellowships auf den Karteikarten sehr genau festgehalten wurden, über dessen späteres Leben die Mitarbeiter der RF aber keine ergänzende Recherchen anstellten, war Ludwig Bertalanffy, der schon 1937 seinem Namen seinen Adelstitel hinzufügte: in einem von ihm verfassten Curriculum Vitae und in der Folge auf den Karteikarten der RF.29 Seine »present« und seine »prospective position« waren Privatdozent für theoretische Biologie, und sein einjähriges Stipendium begann mit der Ankunft im New Yorker Hafen an Bord des Linienschiffs New York, seine Ehefrau folgte ihm drei Monate später. Bertalanffy studiert vornehmlich bei dem nur zwei Jahr älteren Exil-Russen und Begründer der mathematischen Biologie Nicolas Rashevsky in Chicago, wenngleich ihm, wie Franck B. Hanson [FBH] anlässlich eines Interviews feststellte und nicht zu notieren vergaß, mathematische Fähigkeiten fehlten (»his mathematics is nil«). Obwohl Bertalanffy Rashevsky zu Dank verpflichtet sein hätte müssen, da sich letzterer für sein Stipendium eingesetzt hatte, scheint es zwischen den beiden nicht zu einer produktiven Diskussion gekommen zu sein. Bertalanffy besuchte vornehmlich andere Biologen und Labors und hielt Vorträge. Zu den Personen, die auf den Karteikarten vermerkt sind, gehören auch vertriebene deutsche und antinazistische österreichische Wissenschaftler, wie Richard Goldschmidt, Viktor Hamburger und Herbert Feigl. Aus anderen Quellen ist bekannt, dass Bertalanffy mit Rudolf Carnap, Carl G. Hempel und Charles W. Morris Diskussionen fortführte,
28 Vgl. Victor F. Weisskopf, Mein Leben: Ein Physiker, Zeitzeuge und Humanist erinnert sich an unser Jahrhundert, Bern: Scherz 1991. 29 Das CV liegt dem Tagebucheintrag von Warren Weaver vom 1. August 1936 bei, wo ausführlich über Rashevskys Fürsprache zugunsten Bertalanffys berichtet wird.
Akademische Wanderlust im Wandel
139
die er in Wien mit dortigen Neopositivisten geführt hatte.30 Unter dem Datum 4. Mai 1938 findet man dann auf Bertalanffys Karteikarte eine bemerkenswerte Notiz: B. has learned that his chief sponsor in Vienna has been sent to a concentration camp. B. thinks that he also will go to a concentration camp upon his return to Vienna, although neither he nor his chief nor their wives are Jewish. They think they have dropped careless remarks in the past about the Nazis which may get them into trouble and which have already got his chief into difficulties. Under these circumstances he naturally asks for a renewal of his fellowship. B. is letting it be as widely known as possible on his visits here that he is seeking a post in this country, but while many people are interested in his work, it does not fit into the usual academic organization of our universities.31
Dank der Dissertation Veronika Hofers wissen wir über Bertalanffys Opportunismus hinlänglich Bescheid und die kleine Meldung von seiner Fellowship Card ergänzt, was Hofer herausgefunden hat.32 Ein Monat später wird Bertalanffy mitgeteilt, dass er keine Verlängerung seines Stipendiums bekommen werde, woraufhin er Empfehlungsschreiben von amerikanischen Professoren anbietet, was von dem RF Mitarbeiter abgelehnt wird. Bertalanffy erkundigt sich daraufhin, ob er nicht als »deposed scholar« behandelt werden könnte und die RF bereit wäre, irgendeiner amerikanischen Universität für ein oder zwei Jahre Geld zukommen zu lassen, um ihn zu beschäftigen.33 [A]nswer is he is not actually a deposed scholar and does not fall in the distinguished group we have assisted in this way.
Das Ehepaar Bertalanffy kehrt Anfang Oktober 1938 nach Wien zurück und im November 1939 informiert Herbert Feigl die RF, dass seines Wissens Bertalanffy »is not in trouble and is at work in Vienna«. Im September 1941 schickt Bertalanffy an die RF einen Sonderdruck »Aus der Einleitung des Herausgebers«, weniger als fünf Jahre danach teilt er in einem Brief seine »war experiences« mit (der dem Karteikarteneintrag korrespondierende Brief konnte von mir leider nicht ausfindig gemacht werden) und erkundigt sich, ob die RF ihn nicht finanziell unterstützen könnte, damit er seine »international scientific connec30 David Pouvreau, The dialectical tragedy of the concept of wholeness: Ludwig von Bertalanffy’s biography revisited, Litchfield Park, AZ: ISCE Publishing 2009, 53. 31 Weder Richard Wettstein (1863 – 1931) noch Jan Versluys (1873 – 1939), die beiden Professoren für Botanik, denen Bertalanffy tatsächlich nahestand, wurden von den Nazis verfolgt oder konnten von ihnen verfolgt werden. Ob es daher die Person, von der Bertalanffy als sein »chief« berichtete, überhaupt gab, darf bezweifelt werden. 32 Veronika Hofer, Organismus und Ordnung. Zu Genesis und Kritik der Systemtheorie Ludwig von Bertalanffys, phil. Diss., Wien 1996. 33 Zur Praxis der Flüchtlingshilfe für vertriebene Wissenschaftler s. Fleck, Etablierung.
140
Christian Fleck
tions« wieder aufnehmen könne. Die Behandlung dieses Wunsches wird auf die Zeit nach einer ersten Reise eines Vertreters der RF nach Wien vertagt34 – und dann offenbar negativ beschieden. Dafür erhält Bertalanffy von der RF einen Hinweis auf eine offene Stelle in Cleveland, scheint daran interessiert, hat aber angeblich Probleme, ein Visum und einen Pass zu bekommen und bittet die RF diesbezüglich um Hilfe, was diese höflich für unmöglich erklärt. Nach Bertalanffys Übersiedlung nach Nordamerika (nach einem Studienjahr in London 1948/49, beginnt er an der Universit¦ de Montr¦al und wechselt 1950 an die University of Ottawa, gefolgt von weiteren Ortswechseln in den USA und Kanada) beantragt er 1951 wiederum finanzielle Unterstützung, die ihm verweigert wird. 1957 kreuzen sich dann nochmals die Wege eines Mitarbeiters der RF mit jenen von Bertalanffy. Doch mehr als ein knapper Hinweis darauf resultiert daraus nicht. Einen Naturwissenschaftler, der in der Geschichte der Universität Wien eine besonders unrühmliche Rolle spielte, findet man unter den deutschen Fellows des Studienjahres 1931/32: Der physikalische Chemiker Jörn Lange fuhr gemeinsam mit seiner Frau für neun Monate in die USA, um an der Columbia University »calorimetry of protracted chemical processes« bei Frederick Barry zu studieren. Anschließend reiste der damals 27jährige, wiederum begleitet von seiner Frau, nach Kopenhagen, wo er drei Monate bei Johannes N. Brønsted studierte. Die letzte Eintragung auf seiner Karteikarte berichtet über Langes finale Aktivität am Institut für physikalische Chemie der Universität Wien, dem er zuerst als Assistent und dann als außerordentlicher Universitätsprofessor angehörte: 9/12/45 New York Times: L. appeared before the Austrian People’s Court charged with destroying what was described as the ›finest electronic microscope in the world‹ and of having killed two scientists who tried to stop him. The prosecutor will call for sentence of death. L. said in his defense today that he thought he was doing his duty as a German in keeping the microscope from the Russians[.]
Die Zusammenfassung des Zeitungsberichts ist in wesentlichen Zügen zutreffend. Der fanatische Nazi Lange wurde tatsächlich zum Tode verurteilt. Die Vollstreckung wurde wegen eines Gnadengesuchs verschoben. Am Vorabend der Urteilsvollstreckung entzog sich Lange im Jänner 1946 der Hinrichtung durch Selbstmord.35 34 Die ersten Vertreter der RF bereisten Europa schon Anfang 1947, s. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, 430 – 447. 35 Vgl. Wolfgang Reiter/Reinhard Schurawitzki, Über Brüche hinweg Kontinuität: Physik und Chemie an der Universität Wien nach 1945 – eine erste Annäherung, in: Margarete Grandner/Gernot Heiss/Oliver Rarthkolb (Hg.), Zukunft mit Altlasten: Die Universität Wien 1945 bis 1955 (Querschnitte 19), Innsbruck; Wien u.a: Studien-Verlag 2005, 252 f.
Akademische Wanderlust im Wandel
141
Es wäre nicht Wien, könnte man geneigt sein, hier hinzuzufügen, wenn Langes Taten nicht auch in belletristischer Form Niederschlag gefunden hätten: Johannes Mario Simmel gehörte zu jenen Personen, die sich im Keller des Institutsgebäudes versteckt hielten – was Lange nicht wusste. Simmel widmete in Wir heißen euch hoffen einige Seiten diesem Verbrechen.36
3.
Fellows nach 1945
Die wenigen Beispiele von Fellows der Vorkriegszeit müssen genügen, um die Diversität der von der philanthropischen Stiftung der Rockefeller Familie auf Vorschlag von Alfred Pribram und anderen Wiener Professoren Geförderten zu illustrieren. Während aus dem Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften viele der Fellows später zu Berühmten in ihren Disziplinen wurden, sind in den »harten« Wissenschaften kaum Vertreter zu finden, die von einer österreichischen Universität entsandt wurden und später in ihren jeweiligen Feldern zu prominenten Figuren avancierten. Werfen wir einen Blick auf ein ähnlich willkürliches Sample von Nachkriegs-Fellows, bevor wir uns dem Gruppenvergleich widmen; wegen der geringen Zahl von Fellows ist die Auswahl hier weit leichter. Als ein erstes Beispiel eines Nachkriegs-Fellows sei der 1919 geborene Philosoph Ernst Topitsch behandelt. Aus Topitschs Karteikarten erfahren wir, dass er sein Doktorat 1946 abschloss, sich 1951 habilitierte und seine »present« und »prospective position« Assistent am Institut für Philosophie der Universität Wien sei. Sein Aufenthalt »primarily in Harvard, but other places may be authorized« war der »Social Philosophy« gewidmet, »to study American methods of empirical research and to broaden his knowledge of American sociology and social psychology.« Er traf Ende September 1953 in New York ein und wollte, ehe er nach Boston weiterreiste, auch noch die »Herren« der »Partisan Review« treffen.37 Von der Redaktion des Merkur habe er nämlich erfahren, dass Partisan Review seinen Aufsatz »Soziologie des Existenzialismus« übersetzen wolle und er wolle die »Einzelfragen (Honorar, eventuell Sonderdrucke)« gerne mündlich besprechen. Dazu kam es dann nicht, aber Topitsch meldete sich umgehend aus Cambridge, Massachusetts und wiederholte gegenüber der Zeitschrift sein Anliegen. Während diese beiden Briefe in deutscher Sprache geschrieben wurden, wechselte Topitsch Anfang Oktober ins Englische und adressiert nicht mehr die Herren, sondern Philip Rahv, einen der beiden damaligen Editors der Partisan 36 Johannes Mario Simmel, Wir heißen euch hoffen, München: Droemer Knaur 1980. 37 Das folgende stammt nicht aus der RF Karteikarte sondern aus dem Archiv der Partisan Review und wurde mir freundlicherweise von Edith Kurzweil, New York, zur Verfügung gestellt.
142
Christian Fleck
Review. Topitsch teilte Rahv mit, dass er die Höhe des Honorars akzeptiere und äußert den Wunsch nach 30 Sonderdrucken.38 In Topitschs Fall sind auf der Fellowship-Karteikarte die persönlichen Kontakte, die er vor Ort pflegte, nicht verzeichnet, aber Vorträge, die er während seines neunmonatigen Aufenthalts in den USA hielt, finden Erwähnung: Im März 1954 hält er einen Vortrag über »Society, Technology, and the Structure of Metaphysics« vor der American Academy of Arts and Sciences und dem Institute of Unified Science in Boston und spricht zum selben Thema etwas später auch in New York. Das pompös Institute of Unified Science benannte Unternehmen war nichts weniger als Philipp Franks Versuch, den Wiener Kreis am Harvard Square fortzuführen, ein Unternehmen mit wechselvollem Geschick.39 Soweit Frank erfolgreich war, war er es dank des Interesses von Mitarbeitern der RF und den Geldern, die diese für diese Aktivität frei gaben. Warren Weaver, der langjährige und legendäre Leiter der naturwissenschaftlichen Abteilung der RF, zeigte nicht nur deutlich sein persönliches Interesse, sondern war sogar in der Lage, seine Kollegen der geistes- und der sozialwissenschaftlichen Abteilungen als Unterstützer zu gewinnen. In einem Brief an Harlow Shapley drückt Weaver seine Besorgnis aus: I am not at all sure that we are going to be able to do anything to help them [Charles W. Morris, Philipp Frank], for it is pretty far on the periphery of our interest at a time when the center of our interest finds it difficult to pay its daily board bills.40
Topitschs Kontakte mit dem Zentralorgan der New Yorker Intellektuellen dieser Zeit, der Partisan Review, wurden auf der RF Karteikarte vermerkt. Aus dem Briefverkehr Topitschs mit Rahv geht hervor, dass dieser den österreichischen Philosophen als Rezensenten von Büchern Eric Voegelins und Leo Strauss’ gewinnen konnte und auch weitere Aufsätze von ihm – ausdrücklich genannt wird »Prometheus und Sisyphos«41 – für eine Übersetzung und Veröffentlichung geeignet hält. In seinem Antwortbrief kündigt Topitsch einen nochmaligen Besuch New Yorks an und fragt Rahv, ob dieser eine Gelegenheit für eine Wiederholung des Vortrags vermitteln könne. Er bittet ihn dann auch noch »to arrange a meeting with some other interesting people, perhaps Prof. Wright Mills or Sidney Hook?«42 Rahv vermittelt einen Veranstalter für einen Vortrag, 38 Brief Topitsch an Partisan Review, 26. August 1953 aus Wien, 26. September 1953 und 3. Oktober 1953 aus Cambridge. 39 Gerald Holton, From the Vienna Circle to the Harvard Square: The Americanization of a European World Conception, in: Friedrich Stadler (Hg.) Scientific Philosophy : Origins and Developments (Vienna Circle Institute Yearbook 1), Dordrecht u. a.: Springer 1993, 47 – 74. 40 RF 1, 100, box 35, folder 283 Philipp Frank, Institute for the Unity of Science, RAC. 41 Ernst Topitsch, »Prometheus und Sisyphos: Die Mythen des technischen Zeitalters,« Wort und Wahrheit 9 (1954) 20 – 28. 42 Topitsch an Rahv 25. März 1954. Mills zählte damals dank White Collar (1951) zu den
Akademische Wanderlust im Wandel
143
verneint, einen Kontakt mit C.W. Mills herstellen zu können, bietet aber an, den Österreicher Hook vorzustellen. Die Rezension von Strauss’ Natural Right and History erscheint unter dem pointierten Titel »Creeping Nihilism« im September 1954 in Partisan Review. Der Briefwechsel mit Rahv endet mit einem Schreiben Topitschs noch vor dem Vortrag in New York. Dieses Schreiben enthält eine Formulierung, bei der nicht leicht zu entscheiden ist, ob sie idiosynkratisch, paranoid oder vielleicht doch zutreffend ist: »Es [der Vortrag] wird fuer mich auf laengere Zeit die letzte Gelegenheit sein, (relativ) frei zu sprechen« – Topitsch meinte sicher nicht den Vortragstil. Von jemandem wie Topitsch, der sich zeitlebens seines Realismus und seiner Unerschrockenheit rühmte, ist es jedenfalls bemerkenswert zu lesen, was er dem Wien der 1950er Jahre zutraute. Auf Topitschs Karteikarte findet man auch die Titel und geplanten Publikationsorte der während seines Stipendiums verfassten Artikel und den Hinweis auf sein Ersuchen an Leland DeVinney, dem Wiener Institut für Philosophie Mittel für den Ankauf von Büchern zur Verfügung zu stellen. Karteikarten anderer, nach 1945 nominierter Stipendiaten enthalten ebenfalls wissenschaftshistorisch aufschlussreiche Details über die Welt der Universitäten und ihres Personals. Auf der Karte eines Robert Hindel, geb. 1921 in Niederösterreich, der ab Oktober 1950 in Harvard studierte und sich entschloss, nicht nach Wien zurückzukehren (vielleicht auch, weil sich sein Interessensgebiet von »Public Opinion research to Clinical Psychology and projective tests« verlagerte; was aus ihm später wurde, konnte ich nicht herausfinden), findet man einen knappen Hinweis über die Enttäuschung seines Wiener Protektors August M. Knoll, die dieser in einem Gespräch mit Joseph H. Willits von der RF äußerte: »H. could have erected a good position in due time […] he [Knoll] had hoped to have him as an assistant at the Univ. of Vienna.« Ein anderer Wiener, dessen Stipendium anders als geplant verlief, war der Psychologe Erich Mittenecker, der als 28jähriger Anfang November 1950 im Hafen von New York eintraf, die USA aber Anfang April 1951 schon wieder verließ. Die Karteikarte gibt den Grund kommentarlos wieder : »2/27/51 Prof. H. Rohracher – R. requests M’s return to Austria to help carry to completion the program of psychological examinations which the University of Vienna is setting up for the Austrian government.« Über den zwölfmonatigen Stipendienaufenthalt des bei Stipendienantritts immerhin schon 37jährigen Ökonomen Wilhelm Weber in Stanford, Berkeley und an der Columbia University in New York notierten die Mitarbeiter neben aufstrebenden Soziologen, während der Philosoph Sidney Hook, der eine Professur an der New York University hatte, in der amerikanischen Öffentlichkeit weit über sein Fach hinaus bekannt war : beispielsweise weil er in den 1930er Jahren gemeinsam mit John Dewey am Versuch beteiligt war, Leo Trotzki gegen die stalinistischen Beschuldigungen in Form eines Tribunals zu verteidigen.
144
Christian Fleck
dem Üblichen bloß, dass »W. will have four dependents at home« (wobei das Zahlwort händisch unterstrichen wurde). Ein Jahr nach der Abreise Webers findet man eine längere Notiz über die Gastprofessur, die Weber im Anschluss an das Stipendium am Bologna Center der Johns Hopkins University antrat: KWT [Kenneth W. Thompson]-PD [personal diary, ?]: There is one problem about W which NSB [Norman S. Buchanan] may want to know in considering his request [Weber hatte die RF um die Unterstützung seiner »study on structural changes in Austrian economy« ersucht]. He has not been successful in his teaching at the Bologna Center. Grove Haines [der Gründer des Bologna Centers der School of Advanced International Studies der Johns Hopkins University] told me that W had failed completely in his instruction there. He was domineering[,] arrogant and showed little interest in his students. My view would be that he was out of place in Bologna where the atmosphere tends to be much more relaxed than in German or Austrian universities. He probably failed to adjust to the system of ›give and take‹ prevalent in Bologna classrooms. W is no creative genius but he is a solid hardworking and dependable economist. When RF gave him the fellowship, we thought of him in these terms and I believe this estimate still holds.
Obwohl auch noch eine andere wenig lobende Stimme zitiert wird – »poor quality of W« – erhielt das Institut für Wirtschaftswissenschaften der Universität Wien im März 1957 den Gegenwert von $ 3.000 [2013 etwa $ 25.000] für die Erforschung des Strukturwandels der österreichischen Ökonomie, was zu dem viel beachteten zweibändigen Gemeinschaftswerk Österreichs Wirtschaftsstruktur gestern – heute – morgen führte, in dessen Vorwort sich der Herausgeber Weber bei »der Rockefeller Foundation für einen grant« bedankt, »mit dessen Hilfe das Werk gestartet werden konnte«.43
4.
Ein kollektivbiografischer Versuch über RF Fellows an der Universität Wien
Die Liste der Nachkriegsstipendiaten ist nicht nur hier, sie war auch in der Wirklichkeit weit kürzer als jene derer, die zwischen 1922 und 1941 ausgewählt worden waren. Im Folgenden versuche ich, die verschiedenen Gruppen von Stipendiaten vergleichend darzustellen, und dabei immer wieder die Vorkriegsder Nachkriegsperiode gegenüberzustellen. Neben den aus Österreich zeitweilig weggehenden RF Stipendiaten (künftig kurz Hinausgehende, n=105) besuchten auch Stipendiaten aus anderen Ländern das Land und seine Universitäten; die 43 Wilhelm Weber (Hg.), Österreichs Wirtschaftsstruktur gestern – heute – morgen. Strukturwandlungen der österreichischen Volkswirtschaft in der Vergangenheit und ihre Bedeutung für Strukturprobleme der Gegenwart und der Zukunft, Berlin: Duncker & Humblot 1961.
Akademische Wanderlust im Wandel
145
Angaben in den beiden Directories erlauben es nicht zu sagen, welche Forschungsstätten bzw. Universitäten diese Gäste (künftig Hereinkommende, n=24) tatsächlich frequentierten; der Einfachheit halber wollen wir annehmen, dass diese Gäste etwa im selben Maße wie die heimischen Stipendiaten die Universität Wien anderen Stellen vorzogen, dass also zwei von drei Hereinkommenden der Universität Wien wegen um ein Stipendium bei der RF vorstellig geworden waren. Neben diesen beiden Gruppen kann man in den Personalverzeichnissen drei weitere mit Österreichbezug identifizieren: 38 Personen graduierten an einer der heimischen Universitäten (heimisch hier im Sinne der jeweils aktuellen Staatsgrenzen, also vor 1918 mit Einschluss der cisleithanischen Teile des Reiches), 16 in Österreich Geborene graduierten an einer anderen denn einer österreichischen Universität und vier Personen kamen aufgrund gewöhnlicher akademischer Berufsmobilität zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Karriere an eine österreichische Universität, traten ihr Stipendium aber von anderswo aus an. Als 1961 der letzte österreichische Stipendiat, der 34-jährige Mediziner und spätere Professor für Virologie der Universität Wien, Christian Kunz, sein Fellowship antrat, war er der 105. Österreicher, dem die RF auf diesem Weg Geld zukommen ließ. In anderen (europäischen) Ländern setzte die RF das Stipendienprogramm noch etwas länger fort – Anfang der 1970er Jahre begann die RF, den Großteil ihrer Fördermaßnahmen an damals noch so genannte Entwicklungsländer zu vergeben. Warum die RF die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses Österreichs zehn Jahre vor beispielsweise Deutschland einstellte, konnte ich den eingesehenen Archivmaterialien nicht entnehmen – man wird aber nicht ganz daneben liegen, wenn man vermutete, dass die Qualität der Kandidaten dabei eine wesentliche Rolle spielte. In den 15 Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg wurden insgesamt 89 Fellows ausgewählt, in den zwölf Jahren ab 1949, als die ersten beiden Nachkriegsfellows ihren Auslandsaufenthalt begannen – die Medizinerin Edith Simandl ging in die USA und der Psychiater Kurt Pateisky nach Schottland – waren es hingegen nur 16. Worauf ist die doch deutliche Verringerung zurückzuführen? War es eine veränderte Auswahlpolitik durch die RF oder spielten andere Faktoren eine Rolle? Um sich der Beantwortung dieser Frage zu nähern, kann man die Gruppe der Österreicher, die zeitweilig das Land verließen, mit zwei der anderen Gruppen von Fellows vergleichen: Einerseits Personen, die in Österreich geboren wurden, hier aber keinerlei Ausbildung genossen, und andererseits Personen, die anderswo geboren wurden, aber an österreichischen Universitäten einen Studienabschluss erwarben. Die beiden Directories enthalten nicht immer, aber doch in einigen Fällen Angaben zu Geburtsländern bzw. Orten, an denen Studienabschlüsse erworben wurden. Wenn man diese beiden Gruppen in analoger Weise in Vorund Nachkriegsstipendiaten aufteilt, ergibt sich ein interessantes Muster : Von
146
Christian Fleck
den 25, die nur in Österreich geboren wurden (Victor Weisskopf mag dafür als Illustration dienen) und zu irgendeinem Zeitpunkt außerhalb Österreichs Bezieher eines RF Fellowships waren, traten 13 ihr Stipendium vor und zwölf nach dem Krieg an. Die geringe Fallzahl verbietet weitgehende Deutungen, aber die Gleichverteilung auf die beiden Zeiträume bei dieser Vergleichsgruppe steht doch in einem deutlichen Gegensatz zur schiefen Verteilung der österreichischen RF-Fellows. Betrachtet man jene nicht in Österreich Geborenen, die an einer österreichischen Universität ihr Studium abschlossen und zum Kreis der RF Fellows gehören, dann findet man 33 Namen, die vor dem Krieg, aber nur fünf Namen, die nach 1945 ein Stipendium erhielten. Das Muster entspricht den geborenen Österreichern und lädt zum Schluss ein, es müsse wohl die Qualität der höheren Bildung gewesen sein, die nach 1945 zur deutlichen Reduktion der Fellows führte. Einen noch deutlicheren Hinweis auf mögliche Gründe der schiefen Verteilung der Fellows liefern die Daten über die hereinkommenden Fellows (also Personen, die des von der RF finanzierten Studiums wegen vorübergehend nach Österreich kamen): das waren vor dem Krieg 67, danach aber nur vier. Es ist vermutlich nicht übertrieben, den Schluss zu ziehen, dass die Qualität der österreichischen Wissenschaft der Grund für den Attraktivitätsrückgang war. Das gilt sowohl für Personen, die von der RF für ein Stipendium als qualifiziert genug betrachtet wurden, und für die nach 1945 geringere Zahl jüngerer Wissenschaftler, die an einem Studienaufenthalt in Österreich interessiert waren. Routinemäßig würden österreichische Historiker wohl auf die missliche ökonomische und die unsichere politische Lage hinweisen, die zum Verfall der Attraktivität Wiens bzw. Österreichs als Destination akademischer Wanderung beitrugen. Dagegen spricht, dass in den 1950er und 1960er Jahren die materiellen Unterschiede zwischen den westeuropäischen Staaten nicht besonders dramatisch waren. Wären sie es gewesen, hätte es wohl einen stärkeren Andrang vor dem Büro der RF in Paris gegeben, ein Stipendium zu ergattern, das es einem erlaubt hätte, diese Misere zumindest vorübergehend zu verlassen. Tatsächlich bekamen vor dem Krieg fast sechsmal so viele Österreicher ein Stipendium denn danach. Wenigstens die Geschlechterproportion hat sich während der beiden Zeiträume nicht zu Ungunsten der Frauen verschlechtert. Da deren Anteil bei gerade einmal knapp unter 6 Prozent lag, ist der Vergleich der Vorkriegs- mit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eigentlich unzulässig. Von den sechs Frauen, die jemals von der Universität Wien aus ein Stipendium antraten, taten das vor dem Krieg zwei im sozialwissenschaftlichem und drei im Public Health Bereich, der vor allem die Krankenschwesternaus- und -weiterbildung zum Gegenstand hatte. Die vorhin erwähnte Medizinerin Edith Simandl ist die einzige Frau in der
147
Akademische Wanderlust im Wandel
Medizin und aus der Nachkriegsgeneration. Naturwissenschaftlerinnen kamen nicht in den Genuss irgendeines Stipendiums. Die hinausgehenden österreichischen Stipendiaten verteilen sich wie in Tabelle 5.1 dargestellt auf Universitäten und Disziplinen. Dabei wurden hier nicht nur die von der Universität Wien nominierten, sondern alle Personen als Wiener gezählt, die von einer dortigen Adresse aus weg gingen. Vor dem Krieg wiesen 27 Personen eine andere Adresse als die der Universität Wien auf, nach 1945 waren es nur drei. Tabelle 5.1: Hinausgehende RF Fellows aus Wien, nach Disziplingruppe, Zeitraum und Zahl der Frauen (jeweils Ziffer nach dem +)
Public Health
Vor 2. WK Wien Rest-Ö 4+3 0
Nach 2. WK Wien Rest-Ö 0 0
Anteil an allen RF 30 %
Medizin Naturwissenschaften
14 22
12 4
2+1 1
3 0
20 % 20 %
Sozialwissenschaften Geisteswissenschaften
25 + 2 0
1 0
8 0
0 0
13 % 7%
Erläuterung: »Anteil an allen RF« nach Directory 1950, Rest auf 100 % entfällt auf Krankenschwestern, die dort separat ausgewiesen sind. Das heißt, dass 30 % aller Stipendien an Bewerberinnen und Bewerber aus dem Bereich Public Health gingen; je 20 % an Medizin und Naturwissenschaften, aber nur 13 % an die Sozialwissenschaften und 7 % an die Geisteswissenschaften. Eigene Berechnung.
Die Dominanz der Universität Wien im höheren Bildungswesen Österreichs wird an der Verteilung der hinausgehenden Fellows deutlich: Von den insgesamt 105 Personen, die ihr Stipendium von Österreich aus antraten, hatten 67 ihr Studium an dieser Universität absolviert, gefolgt von zwölf, die an der Universität Innsbruck graduierten, elf von der Universität Graz und sechs, die an anderen österreichischen Hochschulen ihr Studium beendeten. Dabei wurden allerdings nicht alle Absolventen der Universität Wien auch von dieser für ein Stipendium nominiert. Obwohl zwischen dem Studienende und dem Antritt des Stipendiums zumeist nur wenig Zeit verging, scheinen in den Directories nicht alle Absolventen der Universität Wien auch als von ihr »Entsandte« auf. Während die beiden Provinzuniversitäten Graz und Innsbruck nur gering niedrigere Nominierungszahlen aufweisen, gehen diese Daten für die Universität Wien deutlich auseinander. Von den 67 Absolventen der Universität Wien wurden nur 42 auch von ihr nominiert, während 21 von anderen Stellen entsandt wurden: Zwei von der Universität Graz, wo sie offenkundig nach Studienende eine Stelle fanden, und 19 von anderen Adressen in Wien. Neben dem Institut für Konjunkturforschung, Museen und der Volkshochschule findet sich in den standardisierten Daten an der Stelle, an der normalerweise ein Institut steht, bei
148
Christian Fleck
österreichischen Fellows vielfach der Hinweis auf »independent study«, was eine höfliche Umschreibung akademischer Arbeits- oder zumindest Erwerbslosigkeit war : Privatgelehrte, andere Berufe Ausübende, oder schlicht Einkommenslose. Zwischen den beiden Perioden stieg das mittlere Alter, in dem künftige Fellows ihren Studienabschluss erreichten, nur unmerklich an: Waren es vor dem Krieg bei einer breiteren Streuung im Mittel 25,4 Jahre, stieg dieser Wert nach 1945 auf 25,7 an. Ein wenig deutlicher ist bei annährend gleich bleibender Streuung das Alter bei Stipendienantritt: Die Hälfte aller Vorkriegs-Fellows trat das Stipendium vor Vollendung des 30. Lebensjahres an, nach 1945 waren es 32 Jahre. Um die Verteilung auf Disziplingruppen einordnen zu können, kann man (leider nur bis 1950) die Proportionen aller Stipendiaten der RF heranziehen und zumindest für die Zeit vor dem Krieg einen Vergleich vornehmen. Überdeutlich wird, dass die österreichische Gruppe von der Gesamtgruppe (rechte Spalte in Tabelle 5.1) massiv abweicht. Der überproportional große Anteil an Fellows aus dem Bereich der Sozialwissenschaften kann wohl nur so gedeutet werden, dass Wien in der Zwischenkriegszeit ein produktiver und attraktiver Platz für Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler war, da ja auch in der Gruppe der hereinkommenden jungen Wissenschaftler diese Gruppe stark vertreten ist.44 Tabelle 5.2: Nach Österreich hereinkommende RF Fellows nach Disziplingruppe, Zeitraum und Zahl der Frauen (jeweils Ziffer nach dem +)
Public Health
Vor 2. Wk 1+3
Nach 2.Wk 0
Medizin Naturwissenschaften
13 + 13 16
0 2
Sozialwissenschaften Geisteswissenschaften
19 0
0 2
Zu den bekanntesten jungen Wissenschaftlern, die mittels eines Stipendiums der RF vorübergehend in Österreich studierten, gehören der polnische Mathematiker und Philosoph Alfred Tarski, der finnische Psychologe Eino Kaila, der französische Philosoph Louis Rougier, denen man allen dreien eine Affinität zum neopositivistischen Wiener Kreis attestieren kann, sowie der britische Historiker A.J.P. Taylor, der nachmalige Labour-Parteichef Hugh Gaitskell, der ebenso wie der Professor der Universität Sofia Oskar Anderson wegen der Nationalökonomie nach Wien gekommen war. Der schwedische Physiker Hans 44 Vgl. ausführlicher : Fleck, Transatlantische Bereicherungen, Kap. 2.
149
Akademische Wanderlust im Wandel
Pettersson verbrachte zwei Forschungsjahre am Wiener Radiuminstitut, während der Mitbegründer des Jiddischen Wissenschaftlichen Instituts YIVO in Wilna/Vilnius Max Weinreich, der später mit diesem Institut nach New York übersiedelte, Wien 1932 – 34 neben anderen Ländern wohl eher besuchte, als dass er hier Soziologie studiert habe. Die 71 Hereinkommenden verteilten sich sehr ungleich auf Disziplinen (Tabelle 5.3): Tabelle 5.3: Nach Österreich kommende Stipendiaten, nach Einzeldisziplinen Public Health, Krankenpflege und Hebammen
15
Naturwissenschaften Medizin
11 9
Ökonomie Geschichte Mathematik Psychologie Soziologie Politische Wissenschaften Physik andere
8 4 4 4 4 3 3 6
Von den vorhin Erwähnten abgesehen, scheinen die nach Wien Gekommenen in ihrer weiteren wissenschaftlichen Karriere eher zu den weniger Prominenten gehört zu haben. Die biografischen Angaben in den Directories erlauben auch, etwas über die Wanderung nach Stipendienende zu sagen. Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit sollte die Politik der Verfolgung und Vertreibung, die die beiden Diktaturen nach 1934 bzw. 1938 betrieben, auch ehemalige Fellows der RF getroffen haben. Ein Vergleich der Abwanderung der Vor- mit der Nachkriegsgeneration sollte dann das Ausmaß gewöhnlicher akademischer Wanderung deutlich machen. Von den 59 RF Fellows, die aus Wien nominiert wurden und über die Daten vorhanden sind, befanden sich Ende der 1940er Jahre nur noch 28 (wieder) in Österreich – 24 hatten eine Adresse in den USA, drei lebten in Deutschland und je eine(r) in Dänemark, Schottland, Kanada und Australien. Bemerkenswerterweise waren alle Bezieher eines Public Health Stipendiums, sowie jeder zweite Mediziner und Naturwissenschaftler wieder in Wien, aber nur jeder vierte Sozialwissenschaftler. Vollzieht man denselben Vergleich auf der Grundlage der Angaben des Directory 1972 ergibt sich kein grundsätzlich neues Muster. Von den elf Personen, die erst nach 1945 ein Stipendium antraten (und von denen eine Adresse bekannt war) lebten zehn wieder in Österreich, nur ein einziger Sozialwissenschaftler (der unbekannt verbliebene Robert Hindel) war
150
Christian Fleck
in die USA ausgewandert. Die 44 vor dem Krieg nominierten Fellows, von denen 1972 Adressen veröffentlicht wurden, verteilen sich ähnlich wie zwei Jahrzehnte davor : 20 von 44 waren in den USA, 19 wieder oder noch immer in Österreich, und je eine(r) in Dänemark, Schottland, Kanada, Deutschland oder im Dienst der Vereinten Nationen. Wiederum sind alle Bezieherinnen von Public Health Stipendien nach Österreich zurückgekehrt, gefolgt von zwei Drittel der Mediziner und knapp mehr als der Hälfte der Naturwissenschaftler. Von den Sozialwissenschaftlern ist nun nur noch ein Fünftel in Österreich tätig, während zwei Drittel in den USA leben. Nimmt man an, dass die Daten über diese kleine Gruppe österreichischer Wissenschaftler der 20. Jahrhunderts eine in Grenzen repräsentative Stichprobe darstellen, dann kann man folgern, dass zwei von zehn Wissenschaftlern im Laufe des Berufslebens das Land verlassen haben (je zur Hälfte gingen sie nach Deutschland und in die USA), dass aber jeder zweite, der die Zeit der Diktaturen miterlebte, sich ins Ausland retten musste und von dort auch nicht mehr wieder nach Österreich zurückkehrte. Die wissenschaftlichen Disziplinen wurden dabei sehr ungleich von (erzwungener) Abwanderung affiziert: während etwa acht von zehn Sozialwissenschaftlern das Land permanent verlassen mussten, traf dieses Schicksal nur die Hälfte der Naturwissenschaftler und nur ein Drittel der Mediziner.
5.
Schluss
An dem Stipendienprogramm der RF scheinen mir folgende zwei Facetten bemerkenswert gewesen zu sein. Das Auswahlverfahren in Form der Nominierung durch lokale Vertrauenspersonen und frühere Stipendiaten scheint bei den aus Österreich Hinausgehenden vor dem Krieg durchaus positiv funktioniert zu haben und der bei derartigen Konstellationen hoch wahrscheinliche Nepotismus fand zumindest in Wien eher nicht statt. Die Nominierungsmöglichkeit durch Alumni – und wohl auch das deutliche Interesse einiger Mitarbeiter der RF an den Wiener Ökonomen – funktionierten in diesem Fall nahezu vorbildlich und auch hinreichend flexibel. Zugleich muss man aber wohl konstatieren, dass im Verlaufe des rund halben Jahrhunderts, in dem das Stipendienprogramm in Kraft war, die Produktivität und die Reputation Österreichs und seiner damals zentralen Universität, nämlich jener Wiens, rapide verfiel. Damit eng verbunden war wohl auch, dass die Stipendiaten die sie entsendende Universität nach ihrer Rückkehr nicht in dem Maße befruchten konnten, die der institutionelle Gewinn einer derartigen Praxis sein könnte. Die österreichischen Stipendiaten, die permanent nach Österreich zurückkehrten, brachten wohl nur persönliche Reiseerinnerungen mit sich,
Akademische Wanderlust im Wandel
151
nicht aber irgendeine Variante amerikanischen Denkens oder Praxis des Forschens. Politische Umstände, an deren Herbeiführung bekanntermaßen gebildete Kreise Österreichs nicht unbeteiligt waren, unterbanden das erfolgreich, sodass man schließlich sagen wird müssen, den größten Nutzen zogen aus diesem Stipendienprogramm jene rund drei Dutzend, denen ein früherer Auslandsaufenthalt die spätere Etablierung in der Fremde erleichterte.45
45 Vgl. weiterführend: Fleck, Etablierung.
Maria Wirth
Die Universität Wien am Campus Vienna Biocenter – (Austausch)beziehungen im Bereich der Life Sciences
1.
Einleitung
Der Campus Vienna Biocenter ist einer der wichtigsten Forschungsstandorte in Österreich und umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure. Hierzu gehören ein Grundlagenforschungszentrum von Boehringer Ingelheim (Institut für Molekulare Pathologie, IMP), je ein Zentrum der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien und die Max F. Perutz Laboratories (MFPL) als gemeinsame Gründung der beiden Universitäten. Außerdem beherbergt er zwei Forschungseinrichtungen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Institut für Molekulare Biotechnologie, IMBA, und Gregor-Mendel-Institut für Molekulare Pflanzenbiologie, GMI), einen FH-Studiengang für molekulare Biotechnologie, Biotech-Firmen und Akteure aus dem Bereich der Wissenschaftskommunikation (Open Science). Gemeinsam sind diese Einrichtungen heute Arbeits- und Studienort für mehr als 2000 Personen aus über 40 Nationen.1 Die für die Life Sciences charakteristische Neigung zur Konzentration und Clusterbildung, die den Austausch von Wissen, vielfältige Kooperationen und Entwicklungen ermöglichen soll, ist hier somit gut sichtbar und wurde – internationalen Beispielen folgend – von der Politik auch gefördert. Seine Geschichte ist eng mit der Universität Wien verbunden. So gehörte diese nicht nur zu den Gründungsmitgliedern des Wiener Biozentrums als Keimzelle des heutigen Campus Vienna Biocenter. Die Universität Wien bzw. ihre VertreterInnen haben bereits in dessen »Vorgeschichte« eine wichtige Rolle gespielt und auch in Folge zu dessen Wachsen beigetragen. Gleichzeitig haben sie durch die Präsenz am Campus zahlreiche Impulse erhalten, die auch ihre eigene Entwicklung beeinflusst haben. Der Campus ist ein Ort, an dem gemeinsame Projekte umgesetzt wurden und sich personelle und institutionelle Verflechtungen ergeben haben. Er stellt heute eine »Marke« dar, mit der die Universität Wien im 1 Campus Vienna Biocenter, URL: http://www.viennabiocenter.org/sites/about/glance.html (abgerufen am 23. 12. 2014).
154
Maria Wirth
Verbund mit den anderen Einrichtungen an die Öffentlichkeit tritt – sei dies im Rahmen eines Webauftritts, gemeinsamer Programme oder Veranstaltungen.
2.
Das Wiener Biozentrum
Die Entstehung des Wiener Biozentrums reicht in die 1980er bzw. – wenn man die vorausgehende Entwicklung berücksichtigt – bis in die 1950er Jahre zurück und steht in engem Zusammenhang mit Boehringer Ingelheim und dem Biochemiker sowie späteren Wissenschaftsminister Hans Tuppy.
2.1
Die »Vorgeschichte« – Boehringer Ingelheim in Wien
Boehringer Ingelheim, heute der größte forschende Pharmabetrieb in Deutschland und weltweit das größte Pharmaunternehmen, das sich in Familienbesitz befindet, wurde 1885 in Ingelheim am Rhein gegründet. Der Ausbau zum weltweit agierenden Konzern erfolgte vor allem durch Ernst Boehringer in den Jahren nach 1945.2 Eine erste bedeutende Etappe war Wien, wo Boehringer Ingelheim mit der Übernahme der Firma Bender seine erste Auslandsgesellschaft errichtete. Diese fungierte zunächst nur als Vertriebs- und Produktionsstelle, wurde Anfang der 1960er Jahre mit der Arzneimittelforschungsges.m.b.H. aber um eine eigene Forschungsabteilung erweitert.3 Wesentlich für deren Errichtung war, dass Ende der 1950er Jahre die Position eines Forschungsleiters für den Boehringer-Standort in Biberach an der Riß frei geworden war und für deren Besetzung Hans Tuppy als geeigneter Kandidat erwogen wurde. Tuppy hatte 1948 ein Studium der Chemie an der Universität Wien abgeschlossen und hiernach ein Jahr am Biochemischen Institut in Cambridge und mehrere Monate am Carlsberg Laboratorium in Kopenhagen verbracht. Als sich Ernst Boehringer bei ihm meldete, um ihm die freie Position anzubieten, lehnte Tuppy, der 1958 auf das neue Extraordinariat für Biochemie an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien bestellt wurde, zwar ab. Da Boehringer den Kontakt halten wollte, bot er Tuppy in Folge jedoch nicht nur eine Konsulentenstelle bei Boehringer Ingelheim an. Es wurde mit der Arznei-
2 Boehringer-Ingelheim Zentral GmbH (Hg.), 100 Jahre Boehringer-Ingelheim, Ingelheim am Rhein 1985. 3 Boehringer Ingelheim Regional Center Vienna, Unternehmensgeschichte, URL: http://www. boehringer-ingelheim.at/company_profile/history.html (abgerufen am 11. 3. 2014).
Die Universität Wien am Campus Vienna Biocenter
155
mittelforschungsges.m.b.H. auch ein Forschungsstandort in Wien errichtet, dessen Leitung von Hans Tuppy auch für einige Zeit übernommen wurde.4
2.2
Das Institut für Molekulare Pathologie (IMP)
In diesem Institut, das 1974 als Ernst Boehringer Institut für Arzneimittelforschung in die Firma Bender eingegliedert wurde, führte Peter Swetly Ende der 1970er Jahre die noch junge Gentechnik ein. Hieraus resultierte nicht nur eine Zusammenarbeit mit dem US-Biotech-Pionier Genentech, es führte auch zur Überlegung, gemeinsam Grundlagenforschung zu betreiben. Motivation war hierfür neben der guten Zusammenarbeit, dass Boehringer Ingelheim (mit Ausnahme von Bender) damals noch stark auf Chemie fokussiert war und großes Interesse daran hatte, seine Forschung vermehrt auf die neuesten Erkenntnisse der molekularen Krebsforschung auszurichten. Genentech befand sich auf Expansionskurs und war an einem Engagement in Europa interessiert. Als möglicher Standort wurde Wien zunächst jedoch nicht erwogen, da es im Bereich der Biowissenschaften bzw. Gentechnik damals nur wenig zu bieten hatte. Zu einer Option wurde Wien erst, nachdem eine Reihe von Städten ausgeschieden war5 und sich eine großzügige Unterstützung von Seiten der Politik abzeichnete. Von größter Bedeutung für die folgende Entwicklung war jedoch, dass die Unternehmen eine Nähe zur Universität zu einer Auflage machten. Peter Swetly bekam von den Firmen daher zunächst den Auftrag, abzuklären, ob eine Ansiedlung des geplanten Instituts im neunten Wiener Gemeindebezirk möglich wäre, wo sich damals die thematisch verwandten Universitätsinstitute befanden. Als sich dies als nicht durchführbar erwies und von Vizebürgermeister Hans Mayr das Gelände des ehemaligen Hornyphon-Werks von Philips angeboten wurde, kam die Überlegung einer Übersiedlung in den dritten Bezirk auf. Maßgeblich war hierfür, dass wenig zuvor das Betriebsgelände des vormaligen Hornyphon-Werks (in unmittelbarer Nachbarschaft zum Schlachthof und Viehmarkt Sankt Marx) in den Besitz des Wiener Wirtschaftsförderungsfonds (WWFF) gelangt war. Zugleich forderten Boehringer Ingelheim und Genentech,
4 Maria Wirth, Der Campus Vienna Biocenter. Entstehung, Entwicklung und Bedeutung für den Life Sciences-Standort Wien, Innsbruck: Studien Verlag 2013, 26. 5 London wurde als Standort wieder verworfen, da hier die technischen Assistenten als zu schlecht angesehen wurden. Heidelberg wurde ausgeschlossen, weil befürchtet wurde, dass jüdische ForscherInnen nicht in eine deutsche Stadt kommen würden. Vermutlich wurde eine Stadt in Deutschland aber auch deswegen abgelehnt, da Genentech in diesem Fall eine zu große Nähe zu Boehringer Ingelheim befürchtet hätte. Vgl. Wirth, Campus Vienna Biocenter, 30.
156
Maria Wirth
dass zwei neue fachnahe Lehrstühle errichtet werden sollten, um die akademische Dichte im Umfeld des geplanten Forschungsinstituts zu erhöhen.6 Die folgenden Gespräche mit Vertretern jener Institute, die für eine Übersiedlung in Frage kamen, verliefen ebenso positiv wie Verhandlungen mit der Politik und mündeten 1985 in einer schriftlichen Unterstützungserklärung, in der Ferdinand Lacina als Minister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr für sein Ressort, das Wissenschaftsministerium und die Stadt Wien Folgendes zusagte: Eine Unterstützung der Stadt Wien und des Bundes für den Institutsaufbau und die Einrichtung von zwei zusätzlichen Lehrstühlen für die Bereiche Biotechnologie und Gentechnik, die dem Arbeitsgebiet des Forschungsinstituts verwandt sein sollten.7 Hinzu kam die Bereitschaft, über den Bau eines neuen Universitätsgebäudes in Sankt Marx zu verhandeln. Wesentlich war hierfür, dass damals erste Schritte in Richtung einer aktiven Technologie- und Biotechnologie-Politik gesetzt wurden8 und sowohl Lacina als auch Mayr als wesentliche Förderer von Seiten der Politik in den Life Sciences einen Wissenschaftsbereich mit Zukunftspotential sahen. So verbanden sie – wenn auch ohne konkrete Vorstellungen – mit der Unterstützung des Vorhabens die Hoffnung, dass sich hieraus »etwas entwickeln« könnte. Für die VertreterInnen der Universität war hingegen ausschlaggebend, dass ein Zentrum der Biowissenschaften geschaffen werden sollte, das die bislang über mehrere Gebäude verteilten Institute unter einem Dach zusammenführen und ihnen eine Kooperation mit dem neuen Forschungsinstitut erlauben würde. Zugleich waren auch die Raumverhältnisse an den Instituten und die Hoffnung, dass es mit dem neuen Gebäude möglich sein würde, WissenschaftlerInnen aus dem Ausland anzusprechen, sowie die Ankündigung, dass zwei neue Lehrstühle eingerichtet werden sollen, relevant. Folge der Zusage Lacinas war, dass – nach einer entsprechenden Grundsatzvereinbarung vom 3. April 1985 – im Juni desselben Jahres von Boehringer Ingelheim und Genentech beschlossen wurde, das neue Forschungsinstitut in Wien aufzubauen. Die Unterzeichnung des Gesellschaftsvertrags, mit dem die formelle Gründung des IMP (zunächst unter dem Namen »Institut für Oncogenforschung«) vorgenommen wurde, erfolgte am 2. September 1985. Wichtige Prozesse, die sich in der Folge abspielten, waren der Bau eines modernen Forschungsgebäudes, für das es (neben der Zurverfügungstellung des Geländes) von Seiten der Stadt Wien und des Bundes eine Unterstützung von 146 Millionen Schilling gab, sowie die Suche nach einem wissenschaftlichen Leiter. Hierfür 6 Peter Swetly im Gespräch: Den Standort mitgeprägt, in: Chemiereport (2010) 4, 24 – 26; Wirth, Campus Vienna Biocenter, 29 – 34. 7 Schreiben von BM Dkfm. Ferdinand Lacina an Boehringer International GmbH und Genentech vom 13. 6. 1985. Zitiert nach: Wirth, Campus Vienna Biocenter, 36 – 37. 8 Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, Österreichische Forschungskonzeption 80, Wien 1983.
Die Universität Wien am Campus Vienna Biocenter
157
wurde ein internationales Komitee zusammengestellt, das Max Birnstiel von der Universität Zürich nach Wien holen konnte. Dieser gab dem IMP jene Form und Struktur, die es im Wesentlichen noch heute aufweist. Die offizielle Eröffnung des IMP erfolgte im Mai 1988.9 In den folgenden Jahren hat sich das Institut, das schwerpunktmäßig in der Erforschung von komplexen Krankheitsmechanismen, der Molekular-, Zell- und Neurobiologie sowie der disziplinübergreifenden Technologieentwicklung tätig ist, zu einem äußerst erfolgreichen Grundlagenforschungszentrum entwickelt. Seit 1993 wird es von Boehringer Ingelheim alleine getragen.10
2.3
Die beteiligten Institute und ein neues Universitätsgebäude
Welche Universitätsinstitute Teil des geplanten Biozentrums sein sollten, für das zuweilen sogar jenes in Basel11 als Vorbild zitiert wurde, stand aufgrund der gewünschten thematischen Nähe, der von Swetly geführten Gespräche und Verhandlungen an der Universität Wien spätestens im Frühsommer 1986 fest. Es sollten das 1958 gegründete Institut für Biochemie (Medizinische Fakultät), das 1972 eingerichtete Institut für Allgemeine Biochemie (Naturwissenschaftliche Fakultät), das 1976 geschaffene Institut für Molekularbiologie (Medizinische Fakultät) sowie das 1985 eingerichtete Institut für Mikrobiologie und Genetik (Naturwissenschaftliche Fakultät) sein. Hierbei handelte es sich großteils um kleinere Institute, denen damals folgende Personen vorstanden: Hans Tuppy bzw. in dessen Vertretung Ernst Küchler (Institut für Biochemie),12 Helmut Ruis (Institut für Allgemeine Biochemie), Erhard Wintersberger (Institut für Molekularbiologie) und Rudolf Schweyen (Institut für Mikrobiologie und Genetik). Angesiedelt waren sie bisher an verschiedenen Standorten im Bezirk Alsergrund.13 Für welche Bereiche die neuen Lehrstühle eingerichtet wurden, stand ebenfalls bis Frühsommer 1986 fest: Am Institut für Biochemie (Naturwissen9 IMP, Das I.M.P. Seine Aufgabe, seine Architektur, seine Technik, o. O. o. J. [Wien 1988]; IMP, I.M.P., Wien 1989; IMP, 20 Years IMP, Wien 2008. 10 Wirth, Campus Vienna Biocenter, 35 – 39. 11 Petra Hieber/Matthias Brauchbar, Das Biozentrum der Universität Basel. 25 Jahre erfolgreich, Basel: Biozentrum der Universität Basel 1996; Hans-Peter Hauri, Das Biozentrum der Universität Basel. Der Dynamik des Lebens auf der Spur, Basel: Biozentrum Basel 2001. 12 Der Grund war hierfür, dass Tuppy im Laufe der Zeit folgende Funktionen bekleidete: FWFPräsident 1974 – 1982, Rektor der Universität Wien 1983 – 1985, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1985 – 1987, Bundesminister für Wissenschaft und Forschung 1987 – 1989. 13 Genauer gesagt war das Institut für Mikrobiologie und Genetik in der Althanstrasse 14, und die anderen Institute waren auf die Adressen Währinger Strasse 10, 17 und 38 verteilt.
158
Maria Wirth
schaftliche Fakultät) sollte ein zweiter Lehrstuhl für Biochemie/Molekulare Entwicklungs- und Zellbiologie und an der Medizinischen Fakultät ein Lehrstuhl für Molekulare Genetik bzw. darüber hinaus ein neues Institut geschaffen werden. Besetzt wurden beide Lehrstühle 1991. Gerhard Wiche übernahm den neuen Lehrstuhl an der Naturwissenschaftlichen Fakultät, dessen Etablierung mit einer Umbenennung des Instituts in »Institut für Biochemie und Molekulare Zellbiologie« verbunden war, Wolfgang Schneider jenen an der Medizinischen Fakultät.14 Gleichfalls 1986 haben auch die genannten Universitätsinstitute ihre Anträge auf Übersiedelung an das Wissenschaftsministerium geschickt und die Dekanate sowie der Akademische Senat einer Übersiedlung zugestimmt. Ausgangspunkt für die Errichtung des neuen Gebäudes war, dass Vizebürgermeister Mayr sich im Zuge der Ansiedlung des IMP in Wien nicht nur dazu bereit erklärt hatte, dessen Gründung zu unterstützen, sondern auch das an das IMP-Gebäude angrenzende Grundstück frei zu halten und dieses im Rahmen eines Baurechts zu einem Anerkennungszins zur Verfügung zu stellen. Die für das Bauvorhaben wesentlichen Verträge wurden im April 1989 unterzeichnet. Der Spatenstich wurde im November desselben Jahres gesetzt. Die Übergabe des neuen Gebäudes an der Ecke Dr. Bohr-Gasse/Rennweg an die Universitätsinstitute erfolgte im Mai 1992.15
2.4
Erste Kooperationen und ein gemeinsames PhD-Programm
Für die Schaffung des Wiener Biozentrums war bereits am 9. Juni 1988 ein Kooperationsvertrag zwischen dem IMP und der Republik Österreich unterzeichnet worden. Hauptziel des Vertrags war es, »eine Konzentration der durch die Universität und die Industrie eingebrachten personellen, geistigen und materiellen Mittel« zu ermöglichen, um »die für eine zeitgemäße Forschung wichtige kritische Masse deutlich zu überschreiten.« Gelten sollte der Vertrag zunächst für fünf Jahre und dann in eine unbefristete Vereinbarung übergehen. Ende 2000/Anfang 2001 wurde er durch eine neue Vereinbarung ersetzt, mit der aus dem »Wiener Biozentrum« das »Vienna Bio Center« wurde. 14 Wirth, Campus Vienna Biocenter, 57 – 61. 15 Ernst Michael Kopper (Hg.), Universität Wien. Biozentrum Dr. Bohrgasse. Labor- und Institutsgebäude der Formal- und Naturwissenschaftlichen Fakultät und der Medizinischen Fakultät der Universität Wien. Eine Dokumentation zur Eröffnung im November 1992, Wien: Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei 1992; Elmar Schübl, Der Universitätsbau in der Zweiten Republik. Ein Beitrag zur Entwicklung der universitären Landschaft in Österreich, Horn/Wien: Berger 2005, 170 f; Wirth, Campus Vienna Biocenter, 66 – 69.
Die Universität Wien am Campus Vienna Biocenter
159
Geregelt wurde in diesen Verträgen die gemeinsame Nutzung von Infrastruktur, die durch einen direkten Zugang vom Universitätsgebäude zum IMP unterstützt wurde. Hierzu zählten etwa einzelne wissenschaftliche Facilities, der im IMP-Gebäude installierte Hörsaal, die nach Max F. Perutz benannte Bibliothek16 und eine ebenfalls im IMP-Gebäude untergebrachte Cafeteria, die sich (besonders nach einer im Zusammenhang mit der IMBA-Gründung vorgenommenen Vergrößerung) zu einem wichtigen, Institutionen übergreifenden Treffpunkt am Campus entwickeln sollte.17 Zum anderen wurde auch die gemeinsame Anschaffung von Großgeräten in Aussicht gestellt,18 wovon zumindest vereinzelt – so im Fall der Massenspektroskopie – Gebrauch gemacht wurde. Weitere Formen der Zusammenarbeit – betreffend den Zugang zu bestimmten Geräten oder die gemeinsame Arbeit an Forschungsprojekten – wurden durch die Schaffung des Wiener Biozentrums auf freiwilliger Basis prinzipiell möglich.19 Zudem wurden 1993 auch ein gemeinsamer (vor allem wissenschaftliche Vorträge und Diskussionen, aber auch organisatorische und strategische Fragen umfassender) jährlicher »Recess« eingeführt, gemeinsame Vorlesungs- und Seminarreihen entwickelt und 1993/1994 ein internationales PhD-Programm gestartet. Ausgangspunkt für die Etablierung des PhD-Programms (wie es sie in ähnlicher Form an anderer Stelle bereits gab20) war, dass es für Max Birnstiel wichtig war, StudentInnen bzw. DissertantInnen am IMP ausbilden bzw. beschäftigen zu können. Dies sollte dem IMP nicht nur einen akademischen Charakter verleihen, sondern auch dazu beitragen, junge Leute ans Institut zu holen und es dadurch lebendig zu halten. Nachdem das IMP bereits bei seiner Eröffnung 1988 StudentInnen beschäftigt hatte, war Birnstiel gemeinsam mit Helmut Ruis als einer der wichtigsten Unterstützer des Wiener Biozentrums dann auch daran beteiligt, das internationale PhD-Programm zu lancieren. Die finanziellen Voraussetzungen für die Teilnahme der Universität Wien bot ein vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) am 20. Dezember 1993 genehmigtes Wissenschaftskolleg über »Regulatorische Mechanismen in der Molekular- und
16 Die im IMP-Gebäude untergebrachte Bibliothek wurde zunächst auch gemeinsam bestückt. Mittlerweile hat sich die Universität zurückgezogen. 17 In der Vereinbarung aus 2000/2001 wurde der Zugang zur Cafeteria nicht mehr explizit angeführt. 18 Wirth, Campus Vienna Biocenter, 75 – 77. 19 Interview mit Univ.-Prof. Dr. Andrea Barta, geführt am 7. 3. 2014, Aufzeichnung bei der Autorin. 20 Vgl. hierzu das »International PhD Programme« des European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg, das auf das Jahr 1983 zurückgeht: http://www.embl.de/training/ eipp (abgerufen am 10. 11. 2014).
160
Maria Wirth
Zellbiologie«, das das erste geförderte Projekt dieser Art war.21 Die Wissenschaftskollegs waren mit dem im Jänner 1993 vorgestellten »Rahmenmemorandum für Spezialforschungsbereiche« eingeführt worden, um die Ausbildungsbedingungen von DissertantInnen zu verbessern. Ab Oktober 2004 wurden sie von den Doktoratskollegs als neuer Programmlinie des FWF abgelöst.22 In Folge haben die Doktoratskollegs, die kompetitiv eingeworben werden müssen, die finanzielle Basis für die weitere Durchführung von PhD-Programmen durch die Universität gebildet.23 Darunter befindet sich nach wie vor das internationale Vienna Biocenter (VBC) PhD-Programm, in das mit dem Wachsen des Campus (wie beim gemeinsamen »Recess«24 und den Seminar- und Vorlesungsreihen25) weitere Institutionen eingebunden wurden. So nehmen am Programm,26 das die Studierenden mit der Promotion an der Universität Wien oder der Medizinischen Universität Wien abschließen, heute auch das IMBA und GMI teil.27
3.
Vom Wiener Biozentrum zum Campus Vienna Biocenter – neue Akteure und Gebäude
War mit der Gründung des Wiener Biozentrums der Grundstein für den Campus Vienna Biocenter gelegt, markieren die späten 1990er bzw. frühen 2000er Jahre eine zweite wichtige Phase in dessen Entwicklung. Innerhalb weniger Jahre sind – vor dem Hintergrund einer forcierten Förderung der Life Sciences – neue Einrichtungen und Gebäude entstanden. Hierzu gehören die »Plattform Gentechnik & Wir« (heute Open Science), die Firma Intercell (heute Valneva), ein FH-Studiengang für molekulare Biotechnologie, zwei neue Institute der Öster21 Dieses wurde von Helmut Ruis beantragt, der von Seiten der Universität Wien einer der wichtigsten Unterstützer des »Wiener Biozentrums« war. 22 Vgl. zur Entwicklung in Deutschland, wo die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) bereits 1990 ein Graduierten-Programm gestartet hatte: Deutsche Forschungsgemeinschaft, 20 Jahre Graduiertenkollegs. Nährböden für neue Promotionskulturen: innovativ, interaktiv, international, Bonn 2010, URL: http://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/ge schaeftsstelle/publikationen/20_jahre_graduiertenkollegs.pdf (abgerufen am 10. 3. 2014). 23 Wirth, Campus Vienna Biocenter, 78 – 82. 24 Am »Recess« haben zuletzt IMP, MFPL, IMBA und GMI sowie zwei nicht am Campus angesiedelte Einrichtung teilgenommen: das Forschungszentrum für Molekulare Medizin (Ce-M-M) und das Institute of Science and Technology Austria (IST Austria). 25 In diese sind heute IMP, MFPL, IMBA und GMI eingebunden. 26 Für das Programm ist charakteristisch, dass die Studierenden in einer Arbeitsgruppe der am Programm teilnehmenden Institutionen forschen, gleichzeitig aber eine institutionenübergreifende Betreuung erhalten. 27 Vienna Biocenter (VBC) PhD Programme, URL: http://www.vbcphdprogramme.at (abgerufen am 5. 3. 2014).
Die Universität Wien am Campus Vienna Biocenter
161
reichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA und GMI), die MFPL sowie die Errichtung von fünf neuen Gebäuden.
3.1
Open Science und das Vienna Open Lab
Ein erster neu gebildeter Akteur ist die »Plattform Gentechnik & Wir«, aus der später »dialoggentechnik« bzw. »Open Science« hervorging. Ihre Bildung steht in Zusammenhang mit dem Gentechnik-Volksbegehren von 1997. Nachdem es bereits in Zusammenhang mit der Eröffnung des IMP zu einer ersten Kontroverse über die Gentechnologie gekommen war, führten die Freisetzungsanträge für gentechnisch veränderte Pflanzen, die ab Ende 1995/Anfang 1996 beim Gesundheitsministerium eingebracht wurden, zu einer heftigen Auseinandersetzung über die Gentechnologie. Damit verbunden war die Durchführung eines Volksbegehrens im April 1997, das mehr als 1,2 Millionen Unterschriften erreichte. Meinungsumfragen hatten eine weitgehende Ablehnung der Bio- bzw. Gentechnologie bereits angekündigt. Gleichzeitig hatten diese aber auch einen niedrigen Wissensstand konstatiert, dem unter anderem die im Jänner 1997 vorgestellte, von den wissenschaftlichen Gesellschaften (Berufsgesellschaften) getragene »Plattform Gentechnik & Wir« begegnen wollte. Zu dieser stießen mit Karl Kuchler, Andrea Barta und Tim Skern bald auch drei Vertreter der Universität Wien (heute Medizinische Universität Wien) am Campus Vienna Biocenter und waren bereits in deren erste große Aktivität eingebunden: die Organisation einer Ausstellung mit dem Titel »Gentechnik pro & contra«. Nachdem Anfang 2001 angesichts der gestiegenen Aktivität der Plattform und der daraus resultierenden Notwendigkeit, einen neuen Rahmen zu schaffen, der Verein »dialoggentechnik« gegründet worden war, der sich 2013 in »Open Science« umbenannte, wurde dieser dann auch am Campus Vienna Biocenter angesiedelt. Räumlich beheimatet war er zunächst im 1992 errichteten Universitätsgebäude, heute ist er nach mehreren Ortswechseln im so genannten »Campus Vienna Biocenter 5« untergebracht.28 Die Aktivitäten, die der Verein seither im Bereich der Wissenschaftkommunikation gesetzt hat, umfassen die Organisation von Dialog- und Informationsveranstaltungen ebenso wie die Ausarbeitung und Verbreitung von Informationsmaterialien. Besonders aktiv ist er in der Kinder- und Jugendbildung, wozu auch der Betrieb des Vienna Open Lab zählt. Nachdem bereits die Ausstellung »Gentechnik pro & contra« über einen kleinen »Mitmach-Bereich« verfügt hatte und Laborkurse für SchülerInnen bereits in der Frühzeit von 28 Wirth, Campus Vienna Biocenter, 81 – 84.
162
Maria Wirth
»dialoggentechnik« fallweise in den Räumlichkeiten der Universität Wien am Campus abgehalten wurden, stellte die Etablierung eines ständigen Open Labs – wie es dies am Cold Spring Harbor Laboratory29 oder an der Universität Göttingen30 bereits gegeben hatte – ein wichtiges Anliegen dar. Umgesetzt konnte dies im 2006 neu eröffneten Life Sciences-Zentrum der Österreichischen Akademie der Wissenschaften am Campus Vienna Biocenter werden, worauf Österreich über sein erstes »Mitmach-Labor« verfügte (zunächst mit einem Laborraum, ein zweites Labor wurde im Jänner 2014 eröffnet).31 Inzwischen sind in Kooperation mit »dialoggentechnik« bzw. »Open Science« weitere offene Labore in Österreich entstanden – so 2008 an der Universität Graz, 2011 an der Fachhochschule Oberösterreich (Wels) und 2013 an der Universität Linz.32 Wie auch das Open Lab in Wien verfolgen sie das Ziel, einer breiten Öffentlichkeit den Zugang zu Wissenschaft und Forschung zu ermöglichen und StudentInnen bzw. (Nachwuchs-) WissenschaftlerInnen in der Wissenschaftskommunikation zu trainieren – sind doch auch viele Studierende vom Campus Vienna Biocenter in die Abhaltung von Laborkursen eingebunden.
3.2
Intercell (Valneva) und zwei neue Gebäude
Die Gründung des Biotech-Unternehmens Intercell (heute Valneva) reicht ebenfalls ins Jahr 1997 zurück. Eingebunden waren in sie nicht nur ehemalige Mitarbeiter des IMP, sondern auch Vertreter der Universität Wien. Seitens des IMP zählen hierzu Max Birnstiel, Walter Schmidt und Michael Buschle, seitens der Universität Alexander von Gabain, der 1993 eine Professur für Mikrobiologie am Institut für Mikrobiologie und Genetik übernommen hatte, und dessen Student Aaron Hirsch.33 Die Geschichte von Intercell beginnt einerseits damit, dass die Arbeitsgruppe Max Birnstiels nach dessen Ausscheiden aus dem IMP Ende 1996 im Institut für Mikrobiologie und Genetik eine neue Unterkunft fand. Andererseits stellten das Vorhandensein von zwei Technologieplattformen sowie der Entschluss, hierauf aufbauend eine Firma gründen zu wollten, einen wichtigen Punkt dar.34 Der 29 Dolan DNA Learning Center, URL: http://www.dnalc.org (abgerufen am 14. 3. 2014). 30 XLAB Göttinger Experimentallabor für junge Leute, URL: http://www.xlab-goettingen.de (abgerufen am 14. 3. 2014). 31 Mitmachlabor erweitert sein Angebot, Der Standard (online), 30. 1. 2014, http://derstandard. at/1389858749064/Mitmachlabor-erweitert-sein-Angebot (abgerufen am 14. 3. 2014). 32 Wirth, Campus Vienna Biocenter, 88. 33 Mit Ausnahme von Alexander von Gabain sind diese mittlerweile nicht mehr für das Unternehmen tätig. 34 Max Birnstiel, Moving from Zurich to Vienna – Up or Down?, in: Biological Chemistry (1999)
Die Universität Wien am Campus Vienna Biocenter
163
Gesellschaftsvertrag zur Gründung der Intercell Biomedizinische Forschungsund Entwicklungsges.m.b.H. wurde am 3. Dezember 1997 unterzeichnet. Der Firmenaufbau erfolgte sowohl mit ausländischem Risikokapital, dem Geld privater Investoren und durch öffentliche Förderungen. Zugleich unterstützte Brigitte Ederer als damalige Wiener Finanz- und Wirtschaftsstadträtin den Aufbau von Intercell durch die Bereitstellung der erforderlichen Labore. So hat sie zunächst zur Errichtung eines Ytong-Gebäudes und später zur Errichtung der so genannten »Vienna Life Science Laboratories« beigetragen. Im provisorischen Ytong-Gebäude nahm Intercell seinen operativen Betrieb mit 1. Jänner 1999 auf. Die Übersiedlung in die »Vienna Life Science Laboratories« folgte in der zweiten Jahreshälfte 2000. Die Entwicklung, die Intercell danach nahm, war lange eine Erfolgsgeschichte. Wichtige Etappen in seiner Entwicklung waren die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft 2000 sowie erste strategische Partnerschaften mit etablierten Pharmaunternehmen ab 2001/2002. Mit dem im Februar 2005 durchgeführten Börsengang wurde Intercell der erste Biotech-Wert an der Wiener Börse. 2008 erhielt es die Erlaubnis für die kommerzielle Produktion eines prophylaktischen Impfstoffes gegen die Japanische Enzephalitis (Ixiario) und brachte damit seinen ersten Impfstoff heraus. Ab 2010 musste es jedoch mehrere Rückschläge hinnehmen, womit die Aktie zu fallen begann und ein Rückzug großer Pharmafirmen aus der Kooperation mit Intercell einsetzte. Das Unternehmen musste reduziert werden und wurde 2013 schließlich mit dem französischen Unternehmen Vivalis unter dem Namen »Valneva« fusioniert.35 In den späten 1990er und frühen 2000er Jahren hat das Unternehmen nicht nur andere WissenschaftlerInnen darin bestärkt, seinem Weg zu folgen. Es hat auch jene Hoffnungen, dass sich um den Kern des Wiener Biozentrums »etwas entwickeln« könnte, erfüllt und den Bund und die Stadt Wien darin bestärkt, die Life Sciences und Biotechnologie zum Förderschwerpunkt zu erklären.36 Hiervon haben aufgrund des hier vorhandenen Potentials sowohl das Vienna Biocenter, in weiterer Folge aber auch andere Standorte profitiert. So trug die Entwicklung von Intercell sowohl zur Errichtung der bereits genannten »Vienna Life Sciences Laboratories« als auch des so genannten »Campus Vienna Biocenter 2« bei, was auch mit einem Ausbau des Universitätstandorts Dr. Bohr-Gasse verbunden war.
2, 111 f; Alexander von Gabain, Max, the Vienna Biocenter and Other »Spin Off«, in: Biological Chemistry (1999) 2, 115 f. 35 Wirth, Campus Vienna Biocenter, 89 – 91. 36 Werner Clement/Walter Kolb/Robert Neuberger, Medizin-, Pharma-, Biotechnologie-Cluster Wien (Studie des Industriewissenschaftlichen Instituts), Wien 1999; Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, Grünbuch zur österreichischen Forschungspolitik, Wien 1999.
164
Maria Wirth
Die »Vienna Life Sciences Laboratories« (heute »Campus Vienna Biocenter 5«) wurden im August 2000 eröffnet.37 Eingezogen sind in das neue Gebäude neben Intercell nicht nur weitere Firmen im Bereich der Life Sciences, sondern auch die strukturbiologischen Abteilungen des Instituts für Theoretische Chemie und Molekulare Strukturbiologie. So fanden einerseits zwei neu besetzte Lehrstühle für Strukturbiologie, die Kernspinresonanzspektroskopie für Biopolymere und Kristallographie von Biomolekülen, ihre erste Unterkunft am Campus Vienna Biocenter. Andererseits übersiedelte die bisher in der Althanstraße ansässige Spektroskopie nach Sankt Marx. Dass die Universität im neuen Gebäude ebenfalls Platz finden sollte, machte nicht nur die Etablierung der Strukturbiologie mit ihren spezifischen Raumanforderungen möglich,38 sondern trug auch wesentlich zur Errichtung des Gebäudes bei.39 Ein weiteres Gebäude, der so genannte »Campus Vienna Biocenter 2«, wurde im April 2004 eröffnet. Die mit seiner Errichtung verbundene Intention war vor allem jene, ein »Gründerzentrum« bzw. einen »Inkubator« für neue Firmen zu schaffen, wie es dies in anderen Life Sciences-Zentren – wie dem Cluster München-Martinsried – bereits gab.40 Dieser sollte den als Schwachstelle identifizierten Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in eine wirtschaftliche Anwendung unterstützen. Unter den Mietern, die in das neue Gebäude eingezogen sind, befanden sich daher auch vier Firmen – darunter die sich damals in Expansion befindliche Intercell AG und der Biotech-Startup AFFiRiS, der für erste Forschungen zunächst einen Platz im Universitätsgebäude gemietet hatte, in seiner Anfangsphase aber auch auf »kurzem Dienstweg« auf die Infrastruktur des IMP zurückgreifen konnte.41 Gleichfalls haben sich aber auch hier akademische Einrichtungen niedergelassen, nachdem eine Zeit lang auch von der Schaffung eines nicht verwirklichten Pflanzenmolekularbiologiezentrum die Rede war. So übersiedelten einerseits die Abteilung für Cytologie und Genetik42 bzw. das Ordinariat von Dieter Schweizer und mit ihm siebeneinhalb weitere Planstellen vom Institut für Botanik (Rennweg 14) in die Dr. Bohr-Gasse und bildeten das (mittlerweile ins Universitätsgebäude übersiedelte) Department für 37 Wirth, Campus Vienna Biocenter, 92 – 95. 38 Interview mit Univ.-Prof. Dr. Peter Schuster, geführt am 21. 11. 2013, Aufzeichnung bei der Autorin. 39 Rede von Univ.-Prof. Dr. Alexander von Gabain bei der Eröffnung der »Vienna Life Science Laboratories« am 31. 8. 2000. Zitiert nach: ARWAG Holding AG/Bundesimmobiliengesellschaft, Biocenter, Wien o. J., 52. 40 Alice Schmatzberger, Biotechnologie Cluster Wien. Entwicklungen in Wien 1998 – 2000 (Studie des Wissenschaftszentrums Wien), Wien 2001, 16 – 20. 41 Wirth, Campus Vienna Biocenter, 108 – 112. 42 Eine Verlegung der Abteilung ans Biocenter war bereits 1995 empfohlen worden. Vgl.: Österreichische Biochemische Gesellschaft/Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Evaluation of Biochemical Sciences in Austria, Wien 1995, 73.
Die Universität Wien am Campus Vienna Biocenter
165
Chromosomenbiologie.43 Anderseits wurde der »Campus Vienna Biocenter 2« auch zur neuen Adresse des jungen FH-Studiengangs für molekulare Biotechnologie.
3.3
Der FH-Studiengang für molekulare Biotechnologie
Der Studiengang wurde im Zuge der »Biotech-Offensive« der späten 1990er bzw. frühen 2000er Jahre etabliert. Für seine Entwicklung war eine Studie der Boston Consulting Group relevant, die dem Standort Wien Ansätze für einen international erfolgreichen Biotech-Cluster attestierte, gleichzeitig aber eine Ausbildungslücke zwischen der Höheren Technischen Lehranstalt (zu enge technische Ausrichtung) und der Universität (zu enge akademische Ausrichtung) feststellte.44 Weiter war für seine Schaffung wesentlich, dass ausgehend vom Beschluss der Bundesregierung aus dem Jahr 1990 und der Verabschiedung des Fachhochschul-Studiengesetzes 1993 eine neue Achse im tertiären Bildungssystem aufgebaut wurde.45 Mit seiner Entwicklung wurde (auf Anfrage der Stadt Wien) Erwin HeberleBors beauftragt, der seit 1987 am Institut für Mikrobiologie und Genetik der Universität Wien beschäftigt war. Wie er rückblickend festhält, sollte der Studiengang eine Verbindung des englischen College-Systems mit fachlichen Kenntnissen und Zusatzqualifikationen (darunter die Schulung von ökonomischem Denken auf dem Weg zum selbständigen Unternehmer) bringen. Der gesamte Prozess erfolgte in enger Kooperation mit der Universität Wien. Hierzu gehörte nicht nur, dass der Aufbau des Studiengangs in Absprache mit dem Rektorat vorgenommen wurde, sondern auch dass in die Curriculum-Entwicklung Mitglieder der Universität Wien, aber auch Vertreter der Universität für Bodenkultur Wien und der Industrie eingebunden wurden. Träger des neuen Studiengangs wurde die im Herbst 2001 gegründete FH Campus Wien, der im Sommer 2004 der Status einer Fachhochschule verliehen wurde.46 Seinen Betrieb nahm der Studiengang 2002/2003 in den Räumlichkeiten der Universität Wien, an der Ecke Dr. Bohr-Gasse/Rennweg auf, nachdem eine 43 Interview mit Univ.-Prof. Dr. Dieter Schweizer, geführt am 3. 12. 2013, Mitschrift bei der Autorin. 44 The Boston Consulting Group (BCG), Position und Perspektiven von Österreich in der Biotechnologie – Erfolgsfaktoren für eine internationale Positionierung, Wien 2002. 45 Österreichischer Wissenschaftsrat, Fachhochschulen im österreichischen Wissenschaftssystem. Analysen, Perspektiven, Empfehlungen, Wien 2012, URL: http://www.wissen schaftsrat.ac.at/news/Empfehlung_Fachhochschulen.pdf (abgerufen am 10. 3. 2014). 46 FH Campus Wien, Chronologie, URL: http://www.fh-campuswien.ac.at/die_fh/chronologie (abgerufen am 10. 3. 2014).
166
Maria Wirth
Ansiedlung am Campus Vienna Biocenter – wie auch beim »Gründerzentrum« – ausdrücklich von der Stadt Wien gewünscht worden war. Die Übersiedlung in den »Campus Vienna Biocenter 2« erfolgte 2004, nachdem ein zunächst geplanter Ausbau der Terrasse im Universitätsgebäude nicht verwirklicht werden konnte. Im »Campus Vienna Biocenter 2« war der Studiengang – wie bereits zuvor – in Untermiete der Universität Wien untergebracht und konnte auch auf die Infrastruktur des Departments für Chromosomenbiologie, fallweise aber auch auf die der anderen Akteure am Campus zurückgreifen. 2011 bezog er seine eigenen Räumlichkeiten in der neu errichteten »Marxbox«, dem bis dato letzten am Campus fertiggestellten Gebäude.47 Von der Ansiedlung am Campus Vienna Biocenter hat der Studiengang nicht nur dahingehend profitiert, dass MitarbeiterInnen der Universität(en) – und partiell auch der anderen Institute am Campus – hier unterrichtet haben (und es noch heute tun). Sie hat auch dazu beigetragen, dass ein Teil der Studierenden die notwendigen Praktika am Campus absolvieren konnte. Mittlerweile hat der Studiengang Kooperationen mit 35 österreichischen und 60 internationalen Partnern aufgebaut und neben dem Lehrbetrieb auch bereits zwei Forschungsgruppen zu den Themen »Signalling Pathways« und Allergieforschung installiert. Eingebunden sind in diese ebenfalls eine Reihe von Partnern – darunter das IMP.48
3.4
Das Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) und das Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie (GMI)
Die größte Erweiterung, für die noch vor dem »Campus Vienna Biocenter 2« der Grundstein gelegt wurde, betrifft die Ansiedlung von zwei neuen Forschungseinrichtungen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Sankt Marx. Ausgangspunkt für die Schaffung des zuerst gegründeten Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA) war das 1990 begonnene Human Genome Project. Dieses führte zusammen mit dem allgemeinen Aufschwung der Life Sciences dazu, dass sich auch die ÖAW stärker in einem Wissenschaftsbereich engagieren wollte, der immer wichtiger wurde. Zugleich spielte eine Rolle, dass sich das IMP längst zu einer erfolgreichen Forschungseinrichtung entwickelt hatte. In der Akademie wurde daher die Idee entwickelt, ein neues For47 Interview mit Univ.-Prof. Dr. Erwin Heberle-Bors, geführt am 7. 3. 2014, Aufzeichnung bei der Autorin. 48 FH Campus Wien/Verein zur Förderung des Fachhochschul-, Entwicklungs- und Forschungszentrums im Süden Wiens, 10 Jahre Molekulare Biotechnologie der FH Campus Wien im Vienna Biocenter. 500 kluge Köpfe für Österreichs Biotechnologie, Wien 2013.
Die Universität Wien am Campus Vienna Biocenter
167
schungsinstitut nicht nur nach dessen Vorbild, sondern auch in Kooperation mit dem IMP aufzubauen, damit dieses – was Präsident Werner Welzig wichtig war – in einem fachverwandten Kontext etabliert werden konnte. Welche Form das IMBA haben sollte, hat sich jedoch erst nach und nach geklärt. So war in den ersten Entwürfen zur Schaffung eines »Instituts für humane Zell- und Molekularbiologie« noch zu lesen, dass dieses eine weitere Abteilung eines »vergrößerten IMP« sein sollte. Später war von der Schaffung eines »Partnerinstituts« die Rede. Der Grundgedanke, dass dieses eine Struktur und ähnliche Spielregeln wie das IMP haben sollte, blieb jedoch erhalten und bildete die Basis für die Nutzung gemeinsamer Infrastrukturen. Eine wesentliche Unterstützung für die Institutsgründung gab es von Seiten der Stadt Wien, indem sie sich bereit erklärte, bei der Errichtung eines neuen Gebäudes zu helfen. Der Aufbau des IMBA erfolgte im Rahmen einer als »IMP-IMBA Genome Research Center« bezeichneten Forschungsinitiative der ÖAW und Boehringer Ingelheims. Der Gesellschaftsvertrag zur Errichtung des »Instituts für molekulare und zelluläre Bioinformatik GmbH« (wie das IMBA bis 2002 hieß) wurde am 6. September 1999 unterzeichnet. Am 29. September 1999 folgte die Unterfertigung eines (ersten) Forschungskooperationsvertrags zwischen der ÖAW, IMBA, IMP und Boehringer Ingelheim. Die (vor allem die Finanzierung und den Institutsaufbau betreffenden) aufschiebenden Bedingungen, unter denen der Vertrag geschlossen worden war, wurden zwischen März und August 2000 erfüllt. Hierzu gehörte eine Finanzierungszusage des Wissenschaftsministeriums über jährlich 100 Millionen Schilling und eine Erklärung der Stadt Wien, den Institutsaufbau durch 216 Millionen Schilling zu unterstützen. Wissenschaftlicher Leiter wurde Josef Penninger, der 2002/2003 seine Tätigkeit aufnahm. Gleichfalls wurde auch das IMBA 2003 operativ.49 Erste Arbeiten wurden – bis zur Fertigstellung des neuen Institutsgebäudes – im IMP vorgenommen. Zugleich fand Penningers Gruppe eine erste provisorische Unterkunft in den Räumlichkeiten der Universität Wien am Campus Vienna Biocenter.50 Das Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie (GMI) als jüngeres und kleineres Institut wurde im Dezember 2000 als Institut für Zell- und Entwicklungsbiologie (IZEB GmbH) gegründet. Seine Entstehungsgeschichte hängt mit der Schließung des Instituts für Molekularbiologie in Salzburg und der Intention, den dort tätigen WissenschaftlerInnen einen neuen Rahmen zu schaffen, zusammen. Das 1966 gegründete Salzburger Institut51 wurde zwar auch 49 Wirth, Campus Vienna Biocenter, 112 – 113. 50 Interview mit Univ.-Prof. Dr. Andrea Barta, geführt am 7. 3. 2014, Aufzeichnung bei der Autorin. 51 Hans Tuppy, Das Institut für Molekularbiologie, in: Otto Hittmair/Herbert Hunger (Hg.), Akademie der Wissenschaften. Entwicklung einer österreichischen Forschungsinstitution, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1997, 91 – 93.
168
Maria Wirth
Ende der 1990er Jahre positiv evaluiert. Entwicklungsmöglichkeiten bot es jedoch keine, da es von Seiten des Landes und der Stadt Salzburg keine Unterstützung für eine Erweiterung gab. Die Stadt Wien bekannte sich hingegen nicht zuletzt wegen der mit dem Campus Vienna Biocenter gemachten Erfahrungen zum Life Sciences-Standort und signalisierte der ÖAW eine weitere Unterstützung für die Übersiedlung des Salzburger Instituts (bzw. Teilen davon) nach Wien. So bot sie einen einmaligen Übersiedlungszuschuss in der Höhe von 37.500.000 Schilling an, worauf die ÖAW beschloss, ein zweites Institut am Campus Vienna Biocenter zu errichten.52 In der Folge wurde an der Festlegung der Struktur des neuen Instituts gearbeitet und im Jänner 2001 auch eine international besetzte ExpertInnengruppe eingesetzt, um das Profil zu klären. Ergebnis der Beratungen war die Empfehlung, ein Institut für grundlagenorientierte Forschung auf den Gebieten der Zellund Entwicklungsbiologie und Genetik bei Pflanzen zu gründen, worauf das Institut für Zell- und Entwicklungsbiologie GmbH (IZEB) 2002 in »GMI – Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie GmbH« umbenannt wurde. Zum ersten wissenschaftlichen Leiter war bereits Ende 2000 Dieter Schweizer bestellt worden, der sich nicht nur stark für dessen Ausrichtung als Pflanzeninstitut eingesetzt hatte, sondern später auch Leiter des universitären Departments für Chromosomenbiologie am Campus wurde. Die ersten Gruppen nahmen ab 2003/2004 ihre Arbeit in verschiedenen provisorischen Unterkünften auf – darunter auch in mehreren örtlich verstreuten Räumlichkeiten der Universität Wien im Botanischen Institut (Rennweg), im Universitätszentrum Althanstraße II (UZA II) und am Campus Vienna Biocenter. Die Eröffnung des neuen Life Sciences-Zentrums erfolgte im Mai 2006. Nachdem zunächst an die Errichtung von zwei Gebäuden gedacht worden war, zogen das IMBA und das GMI nun in ein gemeinsames Haus. Zugleich fand in diesem auch das Vienna Open Lab sein Zuhause, das heute als gemeinsame Initiative von Open Science und IMBA betrieben wird. Wesentlich für die Errichtung des Gebäudes war, dass die Stadt Wien in Zusammenhang mit der IMBA-Gründung zugesagt hatte, ein Darlehen für den Ankauf des Baugrunds (26 Millionen Schilling) und die Errichtung eines neuen Forschungsinstituts auf einem weiteren Teil des ehemaligen Hornyphon-Geländes (190 Millionen Schilling) zu geben. Der entsprechende Darlehensvertrag wurde im Oktober 2000 unterzeichnet. Der Kaufvertrag mit dem WWFF folgte im Dezember 2000/Jänner 2001. Im Juni 2003 wurde der Spatenstich gesetzt.53 Wie auch das 52 Eine dritte Neugründung im Bereich der Life Sciences ist das Forschungszentrum für Molekulare Medizin (Ce-M-M), das am AKH angesiedelt wurde, um eine enge Zusammenarbeit zwischen der Grundlagenforschung und der klinischen Forschung zu erreichen. Vgl. zum Ce-M-M: URL: http://www.cemm.oeaw.ac.at (abgerufen am 14. 3. 2014). 53 Wirth, Campus Vienna Biocenter, 121 – 125.
Die Universität Wien am Campus Vienna Biocenter
169
1992 eröffnete Universitätsgebäude wurde das neue Life Sciences-Zentrum der ÖAW direkt mit dem IMP verbunden. Später wurde auch ein Durchbruch zum »Campus Vienna Biocenter 2« vorgenommen. Die Einbindung ins Vienna Biocenter ermöglichte für beide Neugründungen einen effizienten Start. Hierzu gehört auch die Teilnahme am internationalen PhD-Programm, das seit 2010 durch die Vienna Biocenter Summer School als weiteres institutionenübergreifendes Projekt von IMP, MFPL, IMBA und GMI ergänzt wird und sich an Studierende vor dem Master richtet.54
3.5
Die Max F. Perutz Laboratories (MFPL)
Die bereits mehrfach angesprochenen Max F. Perutz Laboratories (MFPL) wurden 2005 etabliert. Ihre Entwicklungslinien reichen jedoch ebenfalls bis in die 1990er Jahre zurück. Wie erwähnt, bildete die Aussicht, dass das neue Universitätsgebäude eine engere Kooperation zwischen den beteiligten Instituten ermöglichen sollte, eine wichtige Motivation für die Übersiedlung der Universitätsinstitute nach Sankt Marx. Da sich diese in der Praxis – auch nach der Einführung eines regelmäßigen Treffens der Professoren, der Wahl eines Haussprechers und einem gemeinsam herausgegebenen Forschungsbericht – nur mühsam entwickelte, begannen einige VertreterInnen des Mittelbaues (Andrea Barta, Tim Skern, Karl Kuchler, Ren¦e Schroeder und Gustav Ammerer) mit der Unterstützung einiger Professoren (Helmut Ruis, Ernst Küchler und Rudolf Schweyen) über eine Strukturreform nachzudenken. Diese sollte nicht nur eine effizientere Verwaltung von Ressourcen und raschere Entscheidungen ermöglichen, sondern auch einen gemeinsamen Außenauftritt und eine bessere Position, um Forschungsgelder einzuwerben. Nicht zuletzt sollte eine Reform aber auch dazu beitragen, mit den anderen Akteuren am Campus besser kooperieren, aber auch in Konkurrenz treten zu können – verfügte doch insbesondere das IMP, das nach der Gründung des IMBA eng mit diesem in einem »neuen Block« verbunden war, über eine großzügige Finanzierung.55 Erste Besprechungen mit dem Rektorat fanden um die Jahrtausendwende statt und beschäftigten sich mit der Forschungsinfrastrukturfinanzierung. Im Jahr 2002 wurden unter Einbeziehung eines Wirtschaftsprüfers auch bereits konkrete Modelle für die Schaffung einer GmbH mit dem Namen Max F. Perutz Laboratories entwickelt, nachdem bereits zuvor die im IMP-Gebäude unterge54 Vienna Biocenter Summer School, URL: http://www.vbcphdprogramme.at/summer-school (abgerufen am 14. 3. 2014). 55 Wirth, Campus Vienna Biocenter, 129 f; Interview mit Univ.-Prof. Dr. Georg Winckler, geführt am 11. 12. 2013, Aufzeichnung bei der Autorin.
170
Maria Wirth
brachte Bibliothek nach dem aus Österreich stammenden Nobelpreisträger für Chemie benannt worden war. Zur Diskussion standen damals die Etablierung einer ForschungsgesmbH, in die der Drittmittelbereich, aber auch Aufgaben der Bewirtschaftung (Gebäudeverwaltung, Instandhaltung, Wartung) eingebracht werden sollten, und die Schaffung einer reinen BetriebsführungsgesmbH. 2003 wurde von Rektor Georg Winckler auch ein Gutachten über die weitere Entwicklung der Universität am Campus Vienna Biocenter bei Kim Nasmyth und Gottfried Schatz in Auftrag gegeben, die die Situation am Campus gut kannten. So hatte Schatz (Biozentrum Basel) bereits jenem Komitee angehört, das Birnstiel als Leiter des IMP nach Wien geholt hatte. Nasmyth hatte zu den ersten Mitarbeitern des IMP gezählt, dieses nach Birnstiel bis 2006 auch geführt und war (wie Schatz) an einer Stärkung der Universität am Campus interessiert – würde dies doch auch eine Stärkung des gesamten Campus bedeuten. Grundlage des Gutachtens war die Durchführung einer Reihe von Interviews, die mit VertreterInnen der Universität, aber auch Mitgliedern der anderen Institutionen am Campus (IMP, IMBA und GMI) geführt wurden. Die im Gutachten sehr allgemein gehaltenen Vorschläge enthielten vor allem Folgendes: die Zusammenführung der am Vienna Biocenter angesiedelten Institute56 zu einer möglichst umfassenden Einheit mit einem wissenschaftlichen Direktor an der Spitze, eine Zentralisierung der technischen Ressourcen sowie eine neue Personalentwicklung, die gezielt in junge WissenschaftlerInnen investieren sollte. Festgehalten wurden damit Vorschläge, wie sie auch in den 1999 von der Biochemischen Gesellschaft und dem Wissenschaftsministerium herausgegebenen »Empfehlungen für die zukünftige Entwicklung der molekularen Biowissenschaften in Österreich« vorhanden waren.57 Als mit 1. Jänner 2004 das neue Universitätsgesetz (UG 2002) voll wirksam wurde, brachte dies nicht nur die Autonomie und Vollrechtsfähigkeit der Universitäten, die nun unter anderem für ihre Gebäude selbst verantwortlich sein sollten. Es führte auch zu einer Ausgliederung der Medizinischen Fakultäten der Universitäten Wien, Graz und Innsbruck und deren Umwandlung in eigene Universitäten. In der Dr. Bohr-Gasse, wo einst Institute der Naturwissenschaftlichen und der Medizinischen Fakultät angesiedelt waren, verlief die 56 Dies betrifft die 1992 in die Dr. Bohr-Gasse übersiedelten Institute ebenso wie die später hier angesiedelten Lehrstühle bzw. Abteilungen. 57 Den Empfehlungen lag eine Evaluierung zugrunde, an der sich universitäre und außeruniversitäre Einrichtungen in Wien, Graz, Innsbruck und Linz beteiligten. Die Evaluierung wurde durch die European Molecular Biology Organization (EMBO) organisiert. Hierzu gehörte vor allem die Auswahl der ExpertInnen, die die Evaluierung und Formulierung der Empfehlungen durchführen sollten. Vgl.: Österreichische Biochemische Gesellschaft/Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr, Empfehlungen für die zukünftige Entwicklung der molekularen Biowissenschaften in Österreich, Wien o. J. [Wien 1999].
Die Universität Wien am Campus Vienna Biocenter
171
universitäre »Trennlinie« durch das Gebäude. Eine klare Zuordnung der Infrastruktur war nicht immer möglich, wodurch eine Klärung der Frage vordringlich wurde, wer hierfür verantwortlich sein sollte. Hinzu kam, dass entschieden werden musste, wo eine vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) ausgeschriebene Stiftungsprofessur für Bioinformatik angesiedelt werden sollte, um die sich das »Konsortium Dr. Bohrgasse« 2004 erfolgreich beworben hatte. Dem von Andrea Barta und Karl Kuchler geleiteten Konsortium hatten neben der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien auch die Veterinärmedizinische Universität Wien sowie weitere Institutionen des Campus als assoziierte Unterstützer angehört. Vorgeschlagen wurde von diesem die Schaffung eines Center for Integrative Bioinformatics Vienna (CIBIV). An dessen Spitze sollte – nachdem auch für die Entwicklung des Besetzungsvorschlages ein institutionenübergreifendes Komitee (Universität Wien, Medizinische Universität Wien, Veterinärmedizinische Universität Wien, IMP, IMBA) gebildet worden war – Arndt von Haeseler (damals Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf) stehen. Die damit verbundenen Mittel machten beinahe fünf Millionen Euro aus und stellten für damalige Verhältnisse eines der finanziell attraktivsten Pakete für Bioinformatik im europäischen Raum dar, wodurch die Stiftungsprofessur eine zusätzliche Unterstützung für die Gründung der Max F. Perutz Laboratories bot. Errichtet wurden diese mit der Zustimmung der Universitätsräte der Medizinischen Universität und der Universität Wien am 23. März 2005. Wie im Gesellschaftsvertrag festgehalten wurde, beteiligten sich die Universität Wien mit 60 Prozent und die Medizinische Universität mit 40 Prozent an der neuen GmbH. Als Aufgaben wurden die Forschungstätigkeit sowie der Betrieb und die Verwaltung jener der MFPL zugeordneten Gebäude und Raumressourcen einschließlich der dazugehörenden Sonderausstattung (Labore) genannt. Desgleichen sollte sie auch für den Aufbau des Forschungsbereichs Bioinformatik und die Etablierung des CIBIV zuständig sein,58 das zunächst im IMBA, später im »Campus Vienna Biocenter 5« untergebracht war. Die neue GmbH wurde nun also mit einem weiten Aufgabenbereich ausgestattet. Wesentlich war hierfür, dass es für Rektor Georg Winckler eine möglichst umfassende Lösung mit der Medizinischen Universität – auch in Hinblick auf deren zukünftige Entwicklung – geben sollte.59 Für den Aufbau der GmbH wurden ebenfalls 2005 zunächst ein administrativer Leiter, ein Übergangsdirektorium und ein Scientific Advisory Board installiert, wie es dies auch am IMP, IMBA und GMI gibt. Die Ausschreibung 58 Wirth, Campus Vienna Biocenter, 129 – 132. 59 Interview mit Univ.-Prof. Dr. Georg Winckler, geführt am 11. 12. 2013, Aufzeichnung bei der Autorin.
172
Maria Wirth
für die wissenschaftliche Leitung der MFPL erfolgte im Sommer 2005. Zudem wurde auch Kim Nasmyth von den Rektoren der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien (Georg Winckler und Wolfgang Schütz) zum »Suchbeauftragten« bestellt, um einen renommierten Forscher bzw. eine renommierte Forscherin nach Wien zu holen. Dies wurde mit der Bestellung von Graham Warren erreicht, der von Yale nach Wien wechselte und mit 1. Jänner 2007 wissenschaflticher Gründungsdirektor der MFPL wurde. Damit verbunden war auch die Leitung des Departments für Medizinische Biochemie an der Medizinischen Universität Wien60 und die Leitung des neuen Zentrums für Molekulare Biologie, in dem (ebenfalls mit 1. Jänner 2007) die molekularbiologisch arbeitenden Gruppen der Universität Wien am Campus Vienna Biocenter zusammengeführt wurden.61 Auf personeller Ebene war die Schaffung der MFPL durch die Einrichtung von zehn jungen Forschergruppen durch die beiden Universitäten verbunden.62 In weiterer Folgen waren die MFPL als institutionell abgesicherter Joint Venture dann auch jener Rechtsträger, mit dem sich die Universität Wien und die Medizinische Universität Wien an der Umsetzung der »Vision 2020« beteiligten.
4.
Jüngste Entwicklungen – Die »Vision 2020« und die Gründung der Campus Science Support Facility GmbH (CSF) sowie weitere Gebäude
Ausgangspunkt für die Entwicklung der »Vision 2020« und die damit verbundene Etablierung einer Campus (Science) Support Facilities GmbH (CSF)63 war die Diskussion um die Schaffung einer so genannten »Elite-Universität«, die mittlerweile mit dem Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) in Klosterneuburg umgesetzt wurde. Wichtig ist hierbei, dass die VertreterInnen des Campus Vienna Biocenter im Vorfeld von dessen Gründung nicht nur wiederholt um Inputs gebeten worden waren, sondern der Campus bzw. dessen Umland auch als möglicher Standort in Diskussion war. Nachdem die Ent60 Die der Medizinischen Fakultät angehörenden Institute waren bereits 2000 zum Institut für Medizinische Biochemie zusammengeschlossen und mit 1. Jänner 2004 in das Department für Medizinische Biochemie übergeleitet worden. 61 Vgl. hierzu im Detail: Maria Wirth, Die molekularen Biowissenschaften der Universitäten am Campus Vienna Biocenter und die Gründung der Max F. Perutz Laboratories, in: Karl A. Fröschl/Gerd B. Müller/Thomas Olechowski/Brigitta J. Schmidt-Lauber (Hg.), 650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert, Band 4: Fakultäten – Zentren – Disziplinen, Wien: Vienna University Press 2015, 253 – 263. 62 Wirth, Campus Vienna Biocenter, 140 – 144. 63 In den ersten Entwürfen, den Förderverträgen und im Gesellschaftsvertrag wurde die Bezeichnung »Campus Support Facility GmbH« verwendet.
Die Universität Wien am Campus Vienna Biocenter
173
scheidung für Klosterneuburg gefallen war, gab es durchaus ein gewisses Bedauern. Gleichzeitig wurde sie aber auch zum Anlass genommen, über eine weitere Stärkung des Standorts nachzudenken. Eine wichtige Plattform war der 2001 geschaffene Verein »Campus VBC Vienna Bio Center«. Mit diesem hatten sich die verschiedenen Akteure des Campus erstmals ein Sprachrohr gegeben und einen Rahmen geschaffen, um die weitere Entwicklung zu debattieren. Ergebnis der gemeinsamen Überlegungen war die Entwicklung der »Vision 2020«, die vor allem auf die Schaffung wissenschaftlicher Infrastrukturen abzielte. Entscheidend war hierfür, dass angesichts der »Großtechnisierung« der Molekularbiologie in immer kürzeren Abständen immer teurere Geräte erworben und von SpezialistInnen betreut werden mussten, existierende Förderprogramme aber nur selten Investitionen in Infrastruktur und das zum Betrieb erforderliche Personal erlaubten. Verhandlungen mit der Stadt Wien und dem Wissenschaftsministerium wurden ab 2006 geführt und endeten 2008 mit einer Förderzusage über 52 Millionen Euro.64 Die Förderverträge wurden Anfang 2011 unterschrieben, nachdem der Gesellschaftsvertrag zur Errichtung der CSF bereits am 12. Juli 2010 unterzeichnet worden war. Gesellschafter der neuen GmbH, die mittlerweile eine Reihe wissenschaftlicher Core Facilities und eine Kinderbetreuung aufgebaut hat,65 wurden der Verein »Campus VBC Vienna Bio Center«, MFPL, IMBA und GMI.66 Für die Geschichte des Campus Vienna Biocenter ist die »Vision 2020« neben den damit verbundenen Mitteln von großer Bedeutung, weil sie einen wichtigen Schritt in der Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure darstellt. Kollaborative Projekte und die gemeinsame Nutzung von Infrastruktur hatte es zwar seit der Gründung des Wiener Biozentrums gegeben. Mit dem Wachsen des Campus war auch ein gemeinsamer Verein gegründet worden. Eine institutionelle Verflechtung brachte jedoch erst die Realisierung der »Vision 2020« durch die Gründung der CSF, mit der das erste derartige Infrastrukturprojekt in Österreich umgesetzt wurde. Die von der CSF betreuten Facilities sind heute in den verschiedenen Gebäuden des Campus untergebracht und schaffen so eine zusätzliche Klammer. Weitere rezente Entwicklungen am Campus Vienna Biocenter betreffen die Fertigstellung von drei zusätzlichen Gebäuden. So wurde 2008 ein neues Gebäude für Intercell eröffnet und ebenfalls 2008 das so genannte »Solaris-Gebäude« fertiggestellt, mit dem der Campus erstmals auf vormaliges ViehmarktGelände expandiert ist. Untergebracht ist hier unter anderem die bereits ge64 Campus Vienna Biocenter : Ausbau um 52 Millionen Euro, Wiener Zeitung, 19. 12. 2008. 65 Eine Kinderbetreuung für den Campus war zwar in den verschiedenen Strategiepapieren zur »Vision 2020« enthalten. Sie wurde aber nicht im Rahmen von deren Förderung aufgebaut. Heute wird sie gemeinsam mit den Wiener Kinderfreunden betrieben. Vgl. im Detail: URL: http://www.csf.ac.at (abgerufen am 10. 11. 2014). 66 Wirth, Campus Vienna Biocenter, 152 f.
174
Maria Wirth
nannte Biotech-Firma AFFiRiS. 2011/12 folgte die Komplettierung der »Marxbox«, in der heute der FH-Studiengang für molekulare Biotechnologie angesiedelt ist. Abgeschlossen ist die Entwicklung des Campus damit jedoch nicht. Als dynamischer Körper verändert er sich ebenso wie seine Akteure ständig weiter.
5.
Schluss
Zusammenfassend betrachtet, kann man aber bereits jetzt feststellen, dass sich der Campus Vienna Biocenter in seiner noch jungen Geschichte äußerst erfolgreich entwickelt hat,67 wobei zu den erstaunlichsten Aspekten zählt, dass der Campus ohne großen Masterplan entstanden ist. Auch wenn am Beginn die Überlegung stand, dass das IMP in Nachbarschaft zur Universität starten sollte und seitens der Politik hiermit die Hoffnung verbunden war, dass sich daraus »etwas entwickeln« könnte, war damals für niemand voraussehbar, was aus dem Wiener Biozentrum werden sollte. Dass dieses kontinuierlich gewachsen ist, sich hier Vorzeigefirmen im Bereich der Life Sciences (wie Intercell/Valneva oder AFFiRiS) entwickelt und weitere akademische Einrichtungen (wie IMBA und GMI) angesiedelt haben, ist ebenso ein Teil seiner Erfolgsgeschichte wie der Umstand, dass der Campus den molekularen Biowissenschaften in Wien zu einem enormen Aufschwung verholfen hat. Heute zählt Wien die Life Sciences zu den wichtigsten Stärkefeldern,68 wobei der Campus Vienna Biocenter hierfür ein wichtiges »Zugpferd« war.69 Von Seiten der Öffentlichkeit hat der Campus Vienna Biocenter von Beginn an großes Interesse gefunden. Hierzu gehört nicht nur, dass die Medien über seine verschiedenen Entwicklungsschritte berichtet haben, der Campus in Zusammenhang mit der Debatte um die Gentechnik thematisiert wurde und der Öffentlichkeitsarbeit – auch in Reaktion hierauf – eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden musste.70 Auch der wissenschaftliche Output – zuletzt etwa die Züchtung von »Minihirnen« am IMBA71 – hat wiederholt das Augen67 So wurde der Campus Vienna Biocenter unlängst vom Wissenschaftsjournalisten Klaus Taschwer auch als das »wahrscheinlich […] beste österreichische Beispiel des vergangenen Vierteljahrhunderts« für eine positive Entwicklung bezeichnet. Vgl.: In der Champions League der Forschung, Der Standard. Forschung Spezial, 18./19. 6. 2014, 25. 68 Stärkefelder der Wiener Forschung: URL: https://www.wien.gv.at/forschung/staerkefelder/ (abgerufen am 14. 3. 2014). 69 Wirth, Campus Vienna Biocenter, 98 – 100. 70 Neben »Open Science« und dem »Open Lab« verfügen die Institutionen am Campus über eigene Abteilungen für Öffentlichkeitsarbeit, wie es beim IMP seit Beginn der Fall war. 71 Von der Tageszeitung »Der Standard« wurde dies in einem Rückblick auf das Wissenschaftsjahr 2013 auch als der »wissenschaftliche Höhepunkt 2013« bezeichnet. Vgl.: Diese
Die Universität Wien am Campus Vienna Biocenter
175
merk auf den Campus gelenkt. Hierzu (aber auch zur großen Akzeptanz der Life Sciences bei den Fördergebern) gehört gleichfalls, dass eine Reihe hochdotierter Wissenschaftspreise an MitarbeiterInnen des Campus Vienna Biocenter gegangen sind – darunter mehrere Wittgenstein-Preise und ERC-Grants,72 die gemeinsam mit zahlreichen Publikationen in internationalen Fachjournalen auch die Sichtbarkeit des Campus in der internationalen scientific community verdeutlichen.73 Der Campus selbst hat sich zu einem »globalen Dorf« in der Stadt entwickelt, wobei eine internationale Ausrichtung seit den »Kindertagen« des IMP für ihn chararkteristisch ist. Gleichfalls haben die internationale Ausbildung und Tätigkeit vieler seiner ProtagonistInnen (insbesondere was die Gründergeneration betrifft) zweifellos auch die Entwicklung des Campus mitgeprägt. Dies betrifft sowohl die Übertragung internationaler Erfahrungen nach Österreich (wie die Verwirklichung des internationalen PhD-Programms oder die Installierung des Vienna Open Lab), als auch auch das Campus-Modell als solches. Internationale Vorbilder (wie Basel oder später München-Martinsried) und die (besonders von der Politik forcierte) Umsetzung des Wissensdreiecks aus Forschung, Bildung und Innovation (im Sinne einer praxisorierten Umsetzung von Forschungsergebnissen) spielen in der Geschichte des Campus somit ebenso eine Rolle wie der Umstand, dass dieser auch für andere Standorte Vorbildcharakter hatte. So wurden etwa an der Universität Graz bereits in den 1980er Jahren Wünsche laut, ein (universitäres) Biozentrum nach dem Vorbild des Vienna Biocenter aufzubauen, oder bei der Schaffung des Life Sciences-Zentrum Vienna Muthgasse an der Universität für Bodenkultur in den 1990er Jahren auf die Dr. Bohr-Gasse verwiesen74 – zeigt die jüngere Entwicklung in den Life Sciences doch klar in die Richtung, größere Zentren zu verwirklichen, wie es dies am Campus Vienna Biocenter (was Österreich betrifft) schon früh der Fall war. Die Universität Wien hat neben und mit den anderen Einrichtungen in den verschiedenen Entwicklungsstufen des Campus eine wichtige Rolle gespielt. So lassen sich Verbindungen zu ihr bereits bei der Gründung der Arzneimittelforschungsges.m.b.H. von Boehringer Ingelheim in Wien feststellen. In den 1980er Jahren wurde die Ansiedlung der Universität auf dem ehemaligen Hornyphon-Gelände zu einer zentralen Bedingung für die Errichtung des IMP in vielen Gaben der Wissenschaft, Der Standard (online), 23. 12. 2013, http://derstandard.at/ 1385172074794/Diese-vielen-Gaben-der-Wissenschaft (abgerufen am 14. 3. 2014). 72 Insgesamt handelt es sich um 10 Wittgenstein-Preise und 24 ERC-Grants, die an MitarbeiterInnen des Campus Vienna Biocenter verliehen wurden. Vgl.: VBC at a glance, URL: http:// www.viennabiocenter.org/sites/about/glance.html (abgerufen am 17. 11. 2014). 73 Eine detaillierte Übersicht über die Publikationen geben die wissenschaftlichen Jahresberichte, die über die Webseiten der Institutionen am Campus Vienna Biocenter abrufbar sind. 74 Wirth, Campus Vienna Biocenter, 103 und 146.
176
Maria Wirth
Wien und die Begründung des Wiener Biozentrums. In Folge waren VertreterInnen der Universität Wien in die Schaffung neuer Akteure am Campus (wie Open Science, Intercell oder den FH-Studiengang für molekulare Biotechnologie) eingebunden und haben die Räumlichkeiten der Universität als erste (provisorische) Unterkunft für neue Einrichtungen am Campus (wie nach der Gründung von IMBA und GMI) gedient. Es ist zu gemeinsamen Projekten gekommen, zu denen an erster Stelle das internationale PhD-Programm und die Entwicklung und Umsetzung der »Vision 2020« zählen. Gleichzeitig sind durch das Aufeinandertreffen unterschiedlicher »Player« am Campus aber auch Konkurrenz- und Vergleichssituationen entstanden, die auch die Entstehung der MFPL beeinflusst haben. Als gemeinsame Gründung der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien stellen diese eine weitere, diesmal interuniversitäre Form der Zusammenarbeit mit Pioniercharakter in der österreichischen Universitätslandschaft dar. Generell kann der Campus Vienna Biocenter nicht nur als Ort bezeichnet werden, an dem es immer wieder zu unterschiedlichen (Austausch-)Beziehungen zwischen der Universität Wien und ihren Nachbarinstitutionen gekommen ist. Er hat auch den molekularen Biowissenschaften an der Universität Wien (später auch der Medizinischen Universität) zu zahlreichen Impulsen verholfen, die weit über den universitären Rahmen hinaus Beachtung gefunden haben.
Herbert Posch
Timeline
Jahr
Universität Wien
1848 Rektor 1847/48: Sebastian Jenull (Dekane: KATH Johann Scala, IUR Joseph Georg Hanny, MED Johann Alexander Lerch, PHIL Franz Raule) Petition der Studenten und Professoren an der Wiener Universität mit der Forderung nach Lehr- und Lernfreiheit (12. März), Gründung der Akademischen Legion Gründung II. Hautklinik (MED) Rektor 1848/49: Wilhelm Edl. v. Well Nach Niederschlagung der Revolution Verlust der Alten Universität
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Abschaffung der Studienhofkommission
Liberal-demokratische Revolution, getragen von Professoren, Doktoren und Studenten der Universität Wien (März bis Oktober 1848)
Errichtung eines »Ministeriums des öffentlichen Unterrichtes« (23. März)
Abdankung Kaiser Ferdinand I. (2. Dezember), Thronbesteigung Kaiser Franz Josephs I.
Verkündung der Lehr- und Lernfreiheit Franz Frh. v. Sommaruga wird erster Unterrichtsminister (30. März) Einführung der Habilitation der Privatdozenten
Pillersdorfsche Verfassung
Berufung des Prager Philosophieprofessors Franz Serafin Exner in den wissenschaftlichen Beirat des Unterrichtsministeriums (April) 1849 Rektor 1849/50: Andreas R. v. Baumgartner (Dekane der Prof.: KATH Johann Schwetz, IUR Joseph Kudler, MED Karl Rokitansky, PHIL Karl Edl. v. Littrow; Dekane der Dr.: KATH Georg Anibas, IUR Eugen Alexander Megerle Edl. v. Mühlfeld, MED Johann Alexander Lerch, PHIL August Wehli) Errichtung von Doktorenkollegien (für »doctores non legentes«) und Professorenkollegien an jeder Fakultät (Umbau zu einer Ordinarienuniversität)
Leo Graf Thun-Hohenstein wird Minister für Cultus und Unterricht (Juli 1849 – 1860)
Provisorisches Gesetz über die Organisation der akademischen Behörden: Selbstverwaltung der Universitäten
Oktroyierte Märzverfassung
178
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Aufwertung der Philosophischen Fakultät durch Verlegung von zwei Jahrgängen an die nunmehr achtklassigen Gymnasien. Erhebung der EvangelischTheologischen Lehranstalt zur Fakultät (aber außerhalb der Universität) Ausgliederung der Akademischen Nationen aus dem Verband der Universität. Gründung Physiologisches Institut (MED) Gründung Philologisches Seminar (PHIL)
Beginn der ThunHohensteinschen Universitäts- und Unterrichtsreform. Forschung und Lehre werden vereinigt; Grundsatz der Lehr- und Lernfreiheit
»Entwurf der Organisation der Gymnasien und Realschulen in Österreich« (8 Jahre, Matura)
1850 Rektor 1850/51: Sigismund Schultes (Dekane der Prof.: KATH Stefan Teplotz, IUR Moritz v. Stubenrauch, MED Karl Damian Schroff, PHIL Franz Miklosich; Dekane der Dr.: KATH Marcel Jenisch, IUR Eugen Alexander Megerle Edl. v. Mühlfeld, MED Joseph Schneller, PHIL August Wehli) Gründung I. Physikalisches Institut (PHIL) Gründung II. Medizinische Klinik (MED) 1851 Rektor 1851/52: Joseph Pipitz (Dekane der Prof.: KATH Wenzel Kozelka, IUR Ignaz Grassl, MED Johann Dlauhy, PHIL Eduard Fenzl; Dekane der Dr.: KATH Ernst Hauwirth, IUR Eugen Alexander Megerle, MED Joseph Schneller, PHIL Joseph Franz Dwarzak) Gründung UniversitätsKinderklinik (MED) Gründung Institut für Meteorologie und Geophysik (PHIL) 1852 Rektor 1852/53: Karl Rokitansky (Dekane der Prof.: KATH Joseph Schreiner, IUR Johann Springer, MED Franz Kurzak, PHIL Franz Xaver Zippe; Dekane der Dr.: KATH Mathias Gogala, IUR Wenzel Franz Kolisko, MED Joseph
Aufhebung der Verfassung durch »Silvesterpatent« (31. Dezember)
179
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Schneller, PHIL Sebastian Brunner) 1853 Rektor 1853/54: Franz Miklosich (Dekane der Prof.: KATH Joseph Kaerle, IUR August Nowak/Johann Springer, MED Johann Anton Raimann, PHIL Karl Kreil; Dekane d. Dr.: KATH Johann Schwetz, IUR Wenzel Franz Kolisko, MED Joseph Johann Knolz, PHIL Sebastian Brunner) Gründung Geographisches Institut (PHIL) 1854 Rektor 1854/55: Joseph Schreiner (Dekane der Prof.: KATH Dominik Mayer, IUR Franz Xaver Haimerl, MED Johann Dlauhy, PHIL Albert Jäger ; Dekane d. Dr.: KATH Ferdinand Breunig, IUR Wenzel Franz Kolisko, MED Joseph Johann Knolz, PHIL Johann Edl. v. Hoffinger) Gründung des Histologischembryologischen Instituts (MED) Erster Entwurf für ein neues Universitätsgebäude (Siccardsburg/van der Nüll)
Gründung des Instituts für österreichische Geschichtsforschung
1855 Rektor 1855/56: Johann Springer (Dekane der Prof.: KATH Stephan Teplotz, IUR Leopold Neumann, MED Johann Anton Raimann, PHIL Franz Xaver Miklosich; Dekane der Dr.: KATH Johann Michael Häusle, IUR Karl Krammer, MED Joseph Johann Knolz, MED Johann Nep. Rem¦le)
Konkordat zwischen Österreich und der röm.-kath. Kirche
1856 Rektor 1856/57: Karl Damian Schroff (Dekane der Prof.: KATH Wenzel Kozelka, IUR Moritz v. Stubenrauch, MED Karl Rokitansky, PHIL Karl Edl. v. Littrow; Dekane d. Dr.: KATH Anton Gruscha, IUR Karl Krammer, MED Aloys Aitenberger, PHIL Joseph Arenstein)
Österreich
180
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
1857 Rektor 1857/58: Johann Nep. Kaiser (Dekane der Prof.: KATH Johann Schwetz, IUR Johann Springer, MED Franz Kurzak, PHIL Karl Kreil; Dekane d. Dr.: KATH Stephan Teplotz, IUR Karl Krammer, MED Aloys Aitenberger, PHIL Eduard Frh. v. Sacken) Zweiter Entwurf für ein Universitätsgebäude (Siccardsburg/van der Nüll) 1858 Rektor 1858/59: Johann Kutschker (Dekane der Prof.: KATH Joseph Kaerle, IUR Ignaz Grassl, MED Johann Dlauhy, PHIL Andreas R. v. Ettingshausen; Dekane d. Dr.: KATH Anton Wappler, IUR Karl Krammer, MED Aloys Aitenberger, PHIL Sigismund Gschwanderer) Gründung II. Augenklinik (MED)
Österreichische Niederlagen auf dem italienischen Kriegsschauplatz gegen Frankreich, Abtretung der Lombardei
1859 Rektor 1859/60: Ignaz Grassl (Dekane der Prof.: KATH Dominik Mayer, IUR Ludwig Arndts, MED Karl Rokitansky, PHIL Franz Pfeiffer ; Dekane d. Dr.: KATH Anselm Ricker, IUR Karl Krammer, MED Michael V. Viszanik, PHIL Moriz Hörnes) 1860 Rektor 1860/61: Johann Oppolzer (Dekane der Prof.: KATH Vinzenz Seback, IUR Franz Xaver Haimerl, MED Franz Kurzak, PHIL Franz Karl Lott; Dekane der Dr.: KATH Benedict Gsell, IUR Karl Krammer, MED Michael v. Viszanik, PHIL Joseph Vogel)
Auflösung des »Ministeriums für Cultus und Unterricht« (21. Oktober)
»Oktoberdiplom«
1861 Rektor 1861/62: Andreas R. v. Ettingshausen (Dekane der Prof.: KATH Ernest Müller, IUR Johann Springer, MED Johann Dlauhy, PHIL Johann Vahlen; Dekane d. Dr.: KATH Andreas R. v. Ettingshausen, IUR Dominik Mayer, MED Michael V. Viszanik, PHIL Hermann Blodig)
Einrichtung eines »Unterrichtsrathes« (Februar 1861, Aufnahme der Tätigkeit erst 1864, Auflösung 1867)
Februarpatent» »Protestantenpatent«, weitgehende Gleichstellung der evangelischen mit der röm.-katholischen Kirche
181
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
1862 Rektor1862/63: Dominik Mayer (Dekane der Prof.: KATH Anton Horny, IUR Moriz v. Stubenrauch, MED Karl Rokitansky, PHIL Joseph Aschbach; Dekane d. Dr.: KATH Joseph Danko , IUR Franz Egger, MED Karl Bernt, PHIL Johann Alexander Lerch) Eröffnung PathologischAnatomisches Institut, 9., Spitalgasse 4 1863 Rektor 1863/64: Franz Xaver Haimerl (Dekane der Prof.: KATH Vincenz Seback, IUR Joseph Unger, MED Franz Kurzak, PHIL Karl Edler v. Littrow; Dekane d. Dr.: KATH Ernest Müller, IUR Franz Egger, MED Karl Bernt, PHIL Emerich Gabelly) Gründung MineralogischPetrographisches Institut (PHIL) Gründung Geologisches Institut (PHIL) Gründung I. Zoologisches Institut (PHIL) Gründung I. Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten (MED) 1864 Rektor 1864/65: Joseph Hyrtl (Dekane der Prof.: KATH Joseph Danko, IUR Ludwig Arndts, MED Joseph Späth, PHIL Franz X. Ritter v. Miklosich; Dekane der Dr.: KATH Jospeh Kisser, IUR Franz Egger, MED Karl Bernt, PHIL Emil Hornig)
Statut für die »Landschaftliche technische Hochschule am Joanneum in Graz« (1873 Übernahme durch Staat)
1865 Rektor 1865/66: Albert Jäger (Dekane der Prof.: KATH Joseph Kisser, IUR Wilhelm Emil Wahlberg, MED Johann Dlauhy, PHIL Robert Zimmermann; Dekane d. Dr.: KATH Clemens Kickh, IUR Franz Egger, MED Johann Alexander Lerch, PHIL Hermann Ferdinand Burian) Feier des 500-Jahr-Jubiläums
Hochschulrang für das »Polytechnische Institut« in Wien (heute: »Technische Universität Wien«)
1866 Rektor 1866/67: Joseph Kisser (Dekane der Prof.: KATH
Österreichische Niederlage bei Königgrätz gegen Preußen,
182
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Abtretung Venetiens, Ende des Deutschen Bundes Gründung des »Wiener Frauen-Erwerb-Vereins«
Anton Gruscha, IUR Julius Glaser, MED Karl Rudolf Braun, PHIL Ludwig Karl Schmarda; Dekane d. Dr.: KATH Anton Horny, IUR Karl Wolfgang Tremel, MED Johann Alexander Lerch, PHIL Hermann Suttner) 1867 Rektor 1867/68: Leopold Hasner R. v. Artha/Leopold Neumann (Dekane der Prof.: KATH Franz Laurin, IUR Heinrich Siegel, MED Johann Dlauhy, PHIL Ottokar Lorenz; Dekane d. Dr.: KATH Karl Dworzak, IUR Karl Wolfgang Tremel, MED Johann Alexander Lerch, PHIL Karl Beitz) Anton v. Hye legt sieben Standortprojekte für den Universitätsneubau vor
Österreich
Wiederherstellung des »Ministeriums für Cultus und öffentlichen Unterricht« (2. März)
Dezemberverfassung
»Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei« (Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, Art. 17, 21. Dezember)
Ausgleich mit Ungarn (Doppelmonarchie) Gründung von »ArbeiterBildungs-Vereinen«
1868 Rektor 1868/69: Karl Rudolf Braun (Dekane der Prof.: KATH Vincenz Seback, IUR Moritz Heyssler, MED Ernst Brücke, PHIL Emanuel Hoffmann; Dekane d. Dr.: KATH Karl Krückl, IUR Karl Wolfgang Tremel, MED Johann Alexander Chrastina, PHIL Johann Baptist R. v. Hoffinger) Gründung Institut für allgemeine und experimentelle Pathologie (MED) Der Architekt Heinrich v. Ferstel tritt dem Baukomitee für das neue Universitätsgebäude bei
Gesetzliche Regelung des Verhältnisses der Kirche zur Schule (sogenanntes »SchuleKirche-Gesetz«) – Außerkraftsetzung von jenen Teilen des Konkordats, die mit der Verfassung von 1867 in Widerspruch stehen (25. Mai)
1869 Rektor 1869/70: Karl Edl. v. Littrow (Dekane der Prof.: KATH Josef Tosi, IUR Georg Phillips, MED Josef Späth, PHIL Josef Stefan; Dekane d. Dr.: KATH Lorenz Mayer, IUR Josef Kopp senior, MED Johann Alexander Chrastina, PHIL Sigmund Gschwandtner)
»Grundsätze des Unterrichtswesens bezüglich der Volksschulen« (sogenanntes Reichsvolksschulgesetz, 14. Mai)
Einrichtung der Realschule als siebenklassige »mittlere« Schule ohne Latein
183
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich Einrichtung von Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten
Baubeginn Chemisches Institutsgebäude, 9., Währinger Straße 10 (Architekt: Heinrich von Ferstel) 1870 Rektor 1870/71: Vincenz Seback (Dekane der Prof.: KATH Anton Wappler, IUR Karl Habietinek/Peter Harum, MED Karl Rudolf Braun, PHIL Viktor Edl. v. Lang; Dekane d. Dr.: KATH Martin Bauer, IUR Josef Kopp senior, MED Johann Alexander Chrastina, PHIL Josef Krist) Kaiser Franz Joseph I. verfügt den Bau des neuen Universitätsgebäudes am ehemaligen Paradeplatz Gründung Klinik für Psychiatrie und Nervenkrankheiten (MED) Gründung Institut für medizinische Chemie (MED)
Kündigung des Konkordats von 1855
1871 Rektor 1871/72: Anton Frh. Hye v. Glunek (Dekane der Prof.: KATH Karl Krückl, IUR Friedrich Maassen, MED Karl Langer, PHIL Karl Tomaschek; Dekane d. Dr.: KATH Johann Leinkauf, IUR Josef Kopp senior, MED Theodor Helm, PHIL Hermann Suttner)
Eröffnung einer »Höheren Bildungsschule für Mädchen« in Wien
Provisorische Schul- und Unterrichtsordnung für die allgemeinen Volksschulen
1872 Rektor 1872/73: Josef Späth (Dekane der Prof.: KATH Hermann Zschokke, IUR Leopold Neumann, MED Karl Langer, PHIL Theodor Sickel; Dekane d. Dr.: KATH Karl Haubner, IUR Josef Kopp sen., MED Theodor Helm, PHIL Emerich Gabely) Gründung Germanistisches Institut (PHIL) Vollendung Chemisches Institutsgebäude, 9., Währinger Straße 10 (Arch. Heinrich v. Ferstel)
Gründung der Hochschule für Bodenkultur
1873 Rektor 1873/74: Johann Vahlen (Dekane: KATH Karl Werner, IUR Heinrich Siegel, MED Karl Langer, PHIL Eduard Suess)
»Gesetz betreffend die Organisation der Universitätsbehörden« (27. April, RGBl Nr. 63/1873, Grundlage für die universi-
Eröffnung der »Zentralanstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus« (Hohe Warte 38)
Wiener Weltausstellung
184
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Ausgliederung der Doktorenkollegien, Akademischer Senat statt Konsistorium wird oberste Behörde der Universität, Zuständigkeit des Universitätskanzlers auf die Theologische Fakultät beschränkt, Wahl zu akademischen Würden unabhängig von der Konfession
tären Organisationsstrukturen bis 1975)
Börsenkrach, Beginn der Wirtschaftskrise
Gründung II. Physikalisches Institut (PHIL) Gründung Mineralogisches Institut (PHIL) Gründung Paläontologisches (PHIL) Gründung Pflanzenphysiologisches Institut (PHIL) Baubeginn für das neue Universitätsgebäude, 1., Franzensring 3 (heute: 1., Universitätsring 1)
Gründung eines sechsklassigen »Lyceums« in Graz (Prototyp einer »mittleren Mädchenschule«) Eröffnung Erste Wiener hochquellwasserleitung
1874 Rektor 1874/75: Wilhelm Emil Wahlberg (Dekane: KATH Martin Bauer, IUR Moriz Heyssler, MED Karl Wedl, PHIL Wilhelm Hartel) Gründung Kunsthistorisches Institut (PHIL) Baubeginn der Universitätssternwarte beim Türkenschanzpark (Arch. Fellner & Helmer) 1875 Rektor 1875/76: Karl Langer (Dekane: KATH Anselm Ricker, IUR Friedrich Maassen, MED Karl Wedl, PHIL Franz C. Schneider)
Gründung II. Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten (MED) 1876 Rektor 1876/77: Josef Stefan (Dekane: KATH Anton Wappler, IUR Josef Zhishman, MED August E. Vogl, PHIL Robert Zimmermann)
Erscheinen des Buches von Theodor Billroth über das Medizinstudium mit Polemik gegen jüdische Studenten aus Galizien und Ungarn, in der Folge erste antisemitische Ausschreitungen an der Universität Wien
185
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Gründung Institut für Alte Geschichte, Archäologie und Epigraphik (PHIL) 1877 Rektor 1877/78: Karl Werner (Dekane: KATH Karl Krückl, IUR Johann Adolf Tomaschek, MED Richard Ladislaus Heschl, PHIL Joseph Loschmidt) Gründung EnglischAmerikanisches Institut (PHIL) Gründung Institut für romanische Philologie (PHIL) Gründung Mathematisches Institut (PHIL) 1878 Rektor1878/79: Heinrich Siegel (Dekane: KATH Hermann Zschokke, IUR Lorenz R. v. Stein, MED Richard Ladislaus Heschl, PHIL Karl Schenkl) Zulassung von Frauen als Hospitantinnen (Gasthörerinnen ohne Möglichkeit eines Studienabschlusses) Gründung Institut für Pädagogik (PHIL) Eröffnung der Universitätssternwarte, 18., Türkenschanzstraße 17 (Arch. Helmer & Fellner)
Österreich-Ungarn okkupiert Bosnien-Herzogowina
1879 Rektor 1879/80: Ernst R. v. Brücke (Dekane: KATH Martin Bauer, IUR Karl Samuel Grünhut, MED Eduard Hofmann, PHIL Adolf Lieben)
Zweibundvertrag zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich
1880 Rektor 1880/81: Ottokar Lorenz (Dekane: KATH Anselm Ricker, IUR Anton Menger, MED Eduard Hofmann, PHIL Heinrich R. v. Zeissberg) 1881 Rektor 1881/82: Anselm Ricker (Dekane: KATH Anton Wappler, IUR Karl Menger, MED August E. Vogl, PHIL Julius Wiesner) 1882 Rektor 1882/83: Friedrich Maassen (Dekane: KATH Karl Krückl, IUR Gustav Demelius,
Gründung der ersten jüdischnationalen
Wahlrechtsreform (Zensusgrenze herabgesetzt)
186
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
MED August E. Vogl, PHIL Max Büdinger) Gründung Neurologisches Institut (MED) Pathologisch-Anatomisches Institut, 9., Spitalgasse 4 Aufstockung u. Erweiterung um Hörsaaltrakt
Studentenverbindung »Kadimah«
1883 Rektor 1883/84: Karl Wedl/ Victor Edl. v. Lang (Dekane: KATH Hermann Zschokke, IUR Adolf Exner, MED Gustav Braun, PHIL Gustav Tschermak) Botanischer Garten (3., Rennweg 14), Verkleinerung durch Straßenbauten (Jacquingasse) bis 1890 auf rund 6 ha
Österreich
Erweiterung des Zweibundes zum Dreibund durch Einbeziehung Italiens
1884 Rektor 1884/85: Hermann Zschokke (Dekane: KATH Martin Bauer, IUR Wilhelm Emil Wahlberg, MED August E. Vogl, PHIL Theodor Gomperz) 11. Oktober : Eröffnung neues Hauptgebäudes, 1., Franzensring 3 (1., Universitätsring 1, Arch. Heinrich v. Ferstel) 1885 Rektor 1885/86: Josef R. v. Zhishman (KATH Anselm Ricker, IUR Johann Adolf Tomaschek, MED Karl Toldt, PHIL Ludwig R. Barth v. Barthenau) 1886 Rektor 1886/87: Robert Zimmermann (Dekane: KATH Franz Xaver Pölzl, IUR Karl Samuel Grünhut, MED Ernst Ludwig, PHIL Jakob Schipper) Gründung Institut für slawische Philologie und Altertumskunde (PHIL) Eröffnung Anatomisches Institut, 9., Währinger Straße 13 1887 Rektor 1887/1888: August E. Vogl (Dekane: KATH Hermann Zschokke, IUR Anton Menger, MED Hanns Kundrat, PHIL Albrecht Schrauf)
Gründung des Christlichsozialen Vereins und der Partei »Vereinigter Christen« (Karl Lueger)
187
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Gründung Orientalisches Institut (PHIL) Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (Viktor Adler)
1888 Rektor 1888/89: Eduard Suess/ Victor Edl. v. Lang (Dekane: KATH Joseph Kopallik, IUR Karl Menger, MED Eduard R. v. Hofmann, PHIL Friedrich August Benndorf) Gründung Institut für Hygiene (MED) Anatomisches Institutsgebäude (9., Währinger Straße 13) eröffnet. 1889 Rektor 1889/90: Franz Xaver Pölzl (Dekane: KATH Franz M. Schindler, IUR Gustav Demelius, MED August E. Vogl, PHIL Edmund Weiss) Botanischer Garten (3., Rennweg 14), Erweiterung 1890 Rektor 1890/1891: Wilhelm R. v. Hartel (Dekane: KATH Wilhelm Neumann, IUR Emil Schrutka Edl. v. Rechtenstamm, MED Emil Zuckerkandl, PHIL Leo Reinisch) Gründung UniversitätsZahnklinik Wien (MED) 1891 Rektor 1891/1892: Adolf Exner (Dekane: KATH Laurenz Müllner, IUR Karl Gross, MED Ernst Ludwig, PHIL Julius Hann)
Gründung des ersten Mädchengymnasiums im deutschsprachigen Raum (Wien)
1892 Rektor 1892/93: Ernst Ludwig (Dekane: KATH Martin Bauer, IUR Friedrich Maassen, MED Eduard R. v. Hofmann, PHIL Friedrich Müller) Errichtung der Mensa academica 1893 Rektor 1893/94: Gustav Tschermak (Dekane: KATH Anselm Ricker, IUR Emil Brunnenmeister, MED August Emil Vogl, PHIL Gustav R. v. Escherich) Botanischer Garten (3., Rennweg 14), Errichtung von 11 Glashäusern inkl. Palmenhaus 1894 Rektor 1894/95: Laurenz Müller (Dekane: KATH Franz
Gründung der israelitischtheologischen Lehranstalt in Wien
188
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Xaver Pölzl, IUR Karl R. v. Czyhlarz, MED Anton Weichselbaum, PHIL Josef Karabacek) Gründung Bibliothek für Rechtswissenschaft (Abt. I: Modernes Recht und Allgemeines Recht, Abt. II: Rechtsgeschichte) 1895 Rektor 1895/96: Anton Menger (Dekane: KATH Josef Kopallik, IUR Eugen Philippovich v. Philippsberg, MED Julius R. Wagner v. Jaueregg, PHIL Albrecht Penck) Beginn der »Volksthümlichen Universitätsvorträge« 1896 Rektor 1896/97: Leo Reinisch (Dekane: KATH Franz M. Schindler, IUR Edmund Bernatzik, MED Max Gruber, PHIL Alfons Huber) Gründung II. Zoologisches Institut (PHIL)
Akademischer Rang für die Veterinärmedizin-Ausbildung (unter Militärverwaltung)
1897 Rektor 1897/98: Karl Toldt (Dekane: KATH Wilhelm Neumann, IUR Wenzel Lustkandl, MED Victor Ebner R. v. Rofenstein, PHIL Leopold Gegenbauer) Zulassung von Frauen als ordentliche Hörerinnen zum akademischen Studium an der philosophischen Fakultät der Universität Wien Gabriele Possaner v. Ehrenthal promoviert als erste Frau an der Universität Wien (Dr. med. univ.) (2. April, Nostrifikation ihres an der Universität Zürich erworbenen Doktorats)
Waidhofener Erklärung: die »wehrhaften Studentenverbindungen« sprechen jüdischen Studenten Ehre und Satisfaktionsfähigkeit ab
Badenische Sprachenverordnung: die Bürokratie in Böhmen und Mähren soll zweisprachig sein, führt zu Parlamentskrise
Krawalle in Folge der Badenischen Sprachenverordnung: deutsch-nationale Studenten ziehen sich in die Universität zurück, Sturm durch die Polizei
Karl Lueger wird Bürgermeister von Wien
1898 Rektor 1898/99: Julius Wiesner (Dekane: KATH Bernhard Schäfer, IUR Adolf Menzel, MED Theodor Puschmann, PHIL Wilhelm Tomaschek) Gründung österreichisches archäologisches Institut (PHIL)
Eröffnung der »Exportakademie des k.k. Handelsmuseums« (Vorläufer der heutigen Wirtschaftsuniversität)
189
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Gründung Musikwissenschaftliches Institut (PHIL) Gründung ZentralRöntgeninstitut (GuidoHolzknecht-Institut) (MED) Neue Instruktion für die Landesschulinspektoren
1899 Rektor 1899/1900: Wilhelm Neumann (Dekane: KATH Albert Ehrhard, IUR Karl Stooss, MED Emil Zuckerkandl, PHIL Karl Grobben) Gründung Institut für Neutestamentliche Wissenschaft (KATH) Gründung Institut für Kirchengeschichte und Patrologie (KATH) Gründung Institut für Fundamentaltheologie und Apologetik (KATH) Gründung Institut für Kirchenrecht (KATH) Gründung Institut für Pastoraltheologie (KATH) 1900 Rektor 1900/01: Emil Schrutka Edl. v. Rechtenstamm (Dekane: KATH Heinrich Swoboda, PHIL David Heinrich v. Müller, IUR Josef Frh. v. Schey v. Koromla, MED Karl Toldt) Institut für Alttestamentliche Wissenschaft gegründet (KATH) Institut für allgemeine und indogermanische Sprachwissenschaft gegründet (PHIL) 1901 Rektor 1901/02: Jakob Markus Schipper (Dekane: KATH Franz Xaver Pölzl, PHIL Franz Mertens, IUR Ernst Frh. v. Schwind, MED Alexander Kolisko) 1902 Rektor 1902/03: Karl Gussenbauer (Dekane: KATH Rudolf R. v. Scherer, PHIL Eugen Bormann, IUR Siegmund Adler, MED Ernst Ludwig) Institut für theoretische Physik gegründet (PHIL)
Zulassung von Frauen zum Medizinstudium in Österreich
um 1900: Forderungen nach einer italienischen Fakultät in Innsbruck, Forderungen nach einer Katholischen Universität in Salzburg
Einführung des sechsklassigen »Mädchenlyceums«
190
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
1903 Rektor 1903/04: Gustav R. v. Escherich (Dekane: KATH Franz Martin Schindler, PHIL Franz Exner, IUR Hans Sperl, MED Anton Weichselbaum) Ausschreitungen an Universität Wien zwischen deutsch-nat. und klerikalen Studierenden (7. November 1903) Institut für Moraltheologie gegründet (KATH) 1904 Rektor 1904/05: Franz Martin Schindler (Dekane: KATH Wilhelm Anton Neumann, PHIL Wilhelm Meyer-Lübke, IUR Friedrich Frh. v. Wieser, MED Viktor R. v. EbnerRofenstein) 28. November : Ausschreitungen an Universität Wien von italienischen Studenten für Verlegung italienischer Kurse aus Innsbruck an zu schaffenden italienische Universität in Triest, Polizeieinsatz Pharmakognostisches Institut gegründet (PHIL) Pharmakologisches Institut gegründet (MED) Eröffnung Neubau Pharmakologisches Institut, 9., Währinger Straße 13a, angebaut an Anatomisches Inst., und Neubau Physiologisches Institut, 9., Währinger Straße 13 (Hoftrakt hinter Anatomischem Inst.), Areal der ehem. Gewehrfabrik 1905 Rektor 1905/06: Eugen Philippovich v. Philippsberg (Dekane: KATH Heinrich Swoboda, PHIL Josef Maria Perntner, IUR Emil Schrutka Edl. v. Rechtenstamm, MED Emil Zuckerkandl) 3. Juni: Elise Richter legt als erste Frau in ÖsterreichUngarn ihre Habilitation vor (bereits 1904 gedruckt erschienen) wegen Vorurteilen, Ängsten und
Bergakademie in Leoben erhält Hochschulrang (»Montanistische Hochschule Leoben«)
Erster »Volkshochschultag« in Wien
Die österreichisch-ungarische Staatsbürgerin Bertha v. Suttner erhält als erste Frau den Friedensnobelpreis
191
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Widerständen frauen- und judenfeindlicher nationaler, konservativer, klerikaler Kreise und aus Angst liberaler Minister vor Massenprotesten und Unruhen wird die Habilitation erst 1907 rechtsgültig Eröffnung Neubau Botanisches Institut, 3., Rennweg 14, Bauzeit 1903 – 1904, ersetzt langgestreckten »Gärtnertrakt« aus dem 18. Jh. 1906 Rektor 1906/07: Wilhelm Meyer-Lübke (Dekane: KATH Georg Reinhold, PHIL Friedrich Jodl, IUR Edmund Bernatzik, MED Hans Horst Meyer)
Russische Revolution (»Petersburger Blutsonntag«), in deren Folge erste Duma
1907 Rektor 1907/08: Viktor R. v. Ebner-Rofenstein (Dekane: KATH Cölestin Wolfsgruber, PHIL Friedrich Johann Becke, IUR Eugen Philippovich v. Philippsberg, MED Richard Paltauf) 25. August: Elise Richter Habilitation von 1905 wird ministeriell anerkannt, sich ist die erste habilitierte Frau Österreich-Ungarns. Sie bleibt die nächsten 20 Jahre unbezahlte Privatdozentin an der Philosophischen Fakultät Institut für osteuropäische Geschichte und Südostforschung gegründet
»Lex Apponyi« als Höhepunkt der auf Magyarisierung ausgerichteten Hochschulpolitik in Ungarn
1908 Rektor 1908/09: Franz Exner (Dekane: KATH Johannes Döller, PHIL Oswald Redlich, IUR Adolf Menzel, MED Artur Schattenfroh)
Einführung 8-klassiges »Realgymnasium« als einer dem Gymnasium gleichberechtigten »Mittelschule«, dessen Matura auch zum Hochschulstudium berechtigt
Eröffnung Hygiene Institut, 9., Kinderspitalgasse 15, Inst. f. Allgemeine & Experimentelle Pathologie, Allgemeine Untersuchungsanstalt für Lebensmittel, Serotherapeutisches Institut, 1942 – 1945 Institut für Rassenbiologie, später
Beck’sche Wahlrechtsreform: Abschaffung des Kurienwahlrecht und Einführung des allgemeinen gleichen, geheimen, direkten Männerwahlrechts ab 24 Jahren, Frauen bleiben von der Wahl ausgeschlossen Österreich-Ungarn annektiert Bosnien-Herzegowina
192
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Klinische Institute für Hygiene, für Virologie u. Inst. f. Umwelthygiene 1909 Rektor 1909/10: Heinrich Swoboda (Dekane: KATH Franz Xaver Pölzl, PHIL Richard Wettstein R. v. Westersheim, IUR Karl Stooss, MED Alexander Kolisko) 1910 Rektor 1910/11: Edmund Bernatzik (Dekane: KATH Georg Reinhold, PHIL Emil Reisch, IUR Josef Frh. v. Schey v. Koromla, MED Ferdinand Hochstetter) erste Wiener Universitätsreise Anthropologisches Institut gegründet Institut für Radiumforschung, 9., Boltzmanngasse 3 wird eröffnet (finanz. v. Karl Kuppelwieser, Akademie d W. übertragen, nur Forschung, keine Lehre) Projekt für ein eigenes Universitätsbibliotheksgebäude, großzügiger Entwurf von Otto Wagner (9., Boltzmanngasse/Währinger Straße 38 – 42, unrealisiert) 1911 Rektor 1911/12: Oswald Redlich (KATH Cölestin Wolfsgruber, PHIL Josef v. Hepperger, IUR Ernst Frh. v. Schwind, MED Ernst Ludwig) 16. Dezember : der 10.000 Student inskribiert im StJ 1911/12 (erstmalig in 561 Jahren wird diese Marke erreicht) Errichtung der ersten heilpädagogischen Station der Welt an der Wiener Univ.Kinderklinik (Erwin Lazar) 4. November : Eröffnung Neue Universitätskliniken, 9., Spitalgasse 23, 19 Kliniken (I. & II. Univ.-Frauenklinik (1904 – 08), I. Med. Univ.Klinik, Univ.-Klinik f. Kehlkopf- und Nasenkrankheiten, Univ.Kinderklinik (1909 – 11), insg. rd. 2.200 Betten und Institut f.
1. Internationaler Frauentag (19. März)
193
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
patholog. Anatomie, Inst. f. med. Chemie Inst. f. gerichtl. Medizin sowie Verwaltungsund Wirtschaftsgebäude) 1912 Rektor 1912/13: Anton Weichselbaum (Dekane: KATH Johannes Döller, PHIL Leopold v. Schröder, IUR Moriz Wlassak, MED Hans Horst Meyer) Institut für Ur- und Frühgeschichte gegründet
Erster Balkankrieg
1913 Rektor 1913/14: Richard Wettstein R. v. Westersheim (KATH Nivard Schlögl, PHIL Rudolf Wegscheider, IUR Siegmund Adler, MED Richard Paltauf) 10./11. Dezember wieder eingeführte Immatrikulationsfeiern für alle neuen Studierenden zur Förderung des Zusammenhalts Eröffnung Physikalisches und Mathematisches Institut, 9., Boltzmanngasse 5 – 7/ Strudlhofgasse 4, (Bauzeit 1910 – 1913)
Zweiter Balkankrieg
1914 Rektor 1914/15: Georg Reinhold (Dekane: KATH Alois Musil, PHIL Edmund Hauler, IUR Friedrich Frh. v. Wieser, MED Julius Tandler) I. Philosophisches Institut gegründet Hauptgebäude der Universität Wien wird zur Hälfte in ein Verwundetenspital umgestaltet (August), als Filialspital des nahen AKH. Großer Festsaal wird Speiseund Aufenthaltsraum für Verwundete, kleiner Festsaal Operationssaal, halber Arkadenhof wird Spitalsgarten (10. Sept. beginnt Spitalsbetrieb, September : 447, Oktober 512 Kranke in Betreuung) Orientreise der Universität Wien
Ermordung des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo (28. Juni), Ultimatum an Serbien
1915 Rektor 1915/16: Adolf Menzel (Dekane: KATH Josef Lehner,
Beginn erster Weltkrieg (28. Juli 1914)
194
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
PHIL Wilhelm Wirtinger, IUR Friedrich Frhr. v. Wieser, MED Julius Tandler) Entfall des geplanten 550 Jahr Jubiläums 1915 Neues Histologisches, Embryologisches, Neurologisches Institut (9., Schwarzspanierstraße/ Währinger Straße 13) werden ung. 1915 eröffnet) Neue Chemische Institute (9., Währinger Straße 38 – 42) 1916 Rektor 1916/17: Emil Reisch (Dekane: KATH Alois Musil, PHIL Alfons Dopsch, IUR Hans v. Voltelini, MED Julius Tandler) Auflösung des Verwundetenspitals, das gesamte Hautgebäude wird wieder für Lehr- und Forschungszwecke genutzt Universitätsklinik für Kieferchirurgie (MED) gegründet
Ermordung Ministerpräsident Karl Graf Stürgkh durch Friedrich Adler (21. Oktober)
1917 Rektor 1917/18: Hans Horst Meyer (KATH Martin Grabmann, PHIL Eduard Brückner, IUR Hans v. Voltelini, MED Artur Schattenfroh)
Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg »Sixtus-Affäre« Oktoberrevolution in Russland; das Russische Kaiserreich scheidet aus dem I. Weltkrieg aus; Ende des Zarenreiches, Beginn des russischen Bürgerkrieges
1918 Rektor 1918/19: Friedrich Johann Becke (Dekane: KATH Theodor Innitzer, PHIL Eugen Oberhummer, IUR Karl Grünberg, MED Albin Haberda)
Ausgedehnter Streik der Industriearbeiter : Beendigung des Krieges gefordert (Jänner) »Völkermanifest« (16. Oktober)
Kaiser Franz Joseph I. stirbt (21. November), Kaiser Karl I. besteigt den Thron
1. REPUBLIK 1918 Ein theologisches, zwei juridische, ein medizinisches und acht philosophische Institute werden eröffnet. Durch die notwendige Umwidmung verschiedener staatlicher und militärischer Gebäude erhält die Universität neue Räumlichkeiten Universität Wien leidet unter finanziellen Schwierigkeiten,
Nach der Auflösung der k.u.k. Armee strömten viele Heimkehrer, mehrere Maturajahrgänge gleichzeitig, an die Universitäten
Konstituierung der Provisorischen Nationalversammlung Deutschösterreichs durch die deutschsprachigen Mitglieder des cisleithanischen Abgeordnetenhauses im Niederösterreichischen Landhaus (21. Oktober) Waffenstillstand von CompiÀgne beendet den
195
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Hilfe von außen (Schweiz, Schweden und andere skandinavische Länder, USA und Argentinien)
1919 Rektor 1919/20: Ernst Frhr. v. Schwind (Dekane: KATH Heinrich Swoboda, PHIL Karl Diener, IUR Wenzel Gleispach, MED Albin Haberda) Zulassung von Frauen zum Studium auch an der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien
Staatswissenschaftliches Studium wird an der rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät eingeführt
Österreich Ersten Weltkrieg. Kaiser Karl I. verzichtet »auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften« (11. November) Ende der HabsburgerMonarchie und Proklamation der Republik Deutschösterreich als »Bestandteil der Deutschen Republik« (12. November)
Otto Glöckel UntStSekr für Unterricht (15. März 1919 – 22. Oktober 1920)
Abschaffung der Todesstrafe
Protestversammlung Universität, Akademie der Wissenschaften und Akademie für Bildende Künste zur Erhaltung des österreichischen Kunstbesitzes (29. April) Demonstration gegen den Friedensvertrag von Studenten und Professoren aller Wiener Hochschulen am Ring vor der Universität Wien (15. Juni) Der Friedensvertrag von St.Germain-en-Laye schließt in Art. 234 – 246 österreichische ForscherInnen aus internationalen Forschungsorganisationen aus bzw. aus allen nicht explizit ausgenommenen internationalen Verträgen und damit auch Forschungskooperationen (StGBl. 303 v. 21. Juli 1920, S.1130 – 1136) (10. September) Neuregelung der Hochschuldienstverhältnisse (StGBl. Nr. 557 vom 5. Dezember 1919, StGBl. Nr. 571 vom 18. Dezember 1919, StGBl. Nr. 600 vom 18. Dezember 1919) »Exportakademie« wird »Hochschule für Welthandel« (heutige Wirtschaftsuniversität) Vollzugsanweisung: Mittelschulreife und Zulassung von Offizieren zu
Einführung des Frauenwahlrechts
Friedensvertrag von SaintGermain-en-Laye
Umbenennung »Deutschösterreichs« in »Österreich« (21. Oktober)
Sozialgesetze (Achtstundentagsgesetz, Arbeiterurlaubsgesetz, Arbeitslosenversicherung, Kollektivverträge, Arbeiterkammergesetz u. a.)
196
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Hochschulstudien (15. Dezember) 1920 Rektor 1920/21: Alfons Dopsch (Dekane: KATH Georg Reinhold, PHIL Karl Luick, IUR Hans Kelsen, MED Albin Haberda) Eröffnung eines »Heilpädagogischen Seminars« in Wien
Trauerfeier der Wiener Hochschulen im Großen Festsaal der Universität Wien (1. November)
Bruch der Koalition zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten (10. Juni)
Neuregelung der Habilitation (allgemeine Lehrbefugnis) (StGBl. Nr. 415 vom 2. September 1920)
Nationalversammlung beschließt Verfassung der Republik Österreich (1. Oktober) Das gemischtsprachige Südkärnten entscheidet sich in einer Volksabstimmung für den Verbleib bei Österreich (10. Oktober) Gründung des Völkerbundes (10. Jänner) und erstes Zusammentreten (15. November); Österreich wird Völkerbundmitglied (15. Dezember)
Neuregelung der Gebühren für akademische Grade und Prüfungen (BGBl. Nr. 451 vom 8. August 1921)
Besetzung der im Friedensvertrag von Trianon Österreich zugesprochenen westungarischen Komitate (»Burgenland«) (November) Ödenburg/Sopron und Umgebung fallen nach manipulierter Abstimmung an Ungarn (14.–16. Dezember) Zwei Restaurationsversuche in Ungarn durch den ehemaligen Habsburger König Karl IV. scheitern
Institut für Geschichte der Medizin (MED) gegründet
1921 Rektor 1921/22: Riehl G (Dekane: KATH Johannes Döller, PHIL Hans Molisch, IUR Ernst Frhr. v. Schwind, MED Arnold Durig) Elise Richter wird als erste Frau zur ao. Professorin ernannt an der Philosophischen Fakultät Wahl der »Studentenkammer« Evangelisch-theologische Fakultät wird in die Universität Wien aufgenommen, 20. Juli, seit 1821 Lehranstalt, seit 1850 selbständige Fakultät in Wien, seit 1861 Promotionsrecht, seit 1904 organisiert in folgenden Institute: Institut für alttestamentliche Wissenschaft (EVANG) Institut für neutestamentliche Wissenschaft (EVANG) Institut für Kirchengeschichte (EVANG) Institut für systematische Theologie (EVANG) Institut für Kirchenrecht (EVANG) Institut für praktische Theologie (EVANG)
Neufestsetzung von Unterrichtsgeldern und Befreiungen (TU, BOKU) (BGBl. Nr. 446 vom 8. August 1921, BGBl. Nr. 450 vom 8. August 1921)
197
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
1922 Rektor 1922/23: Karl Diener (Dekane: KATH Josef Lehner, PHIL Hermann Junker, IUR Moriz Wlassak, MED Alfred, Fischel, EVANG Richard Adolf Hoffmann) Institut für christliche Philosophie und Mystik gegründet (KATH) Psychologisches Institut gegründet (PHIL) Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte gegründet (PHIL) »Wiener Internationale Hochschulkurse« gegründet: Sprachkurse und Vortragsreihen geistes- und kulturgeschichtlicher Themen, soll die Verständigung der Nationen fördern.
Wien wird von Niederösterreich abgetrennt und selbständiges Bundesland (mit eigener Steuerhoheit ! »Rotes Wien«)
1923 Rektor 1923/24: Johannes Döller (Dekane: KATH Theodor Innitzer, PHIL Franz E. Sueß, IUR Hans Sperl, MED Alfred, Fischel, EVANG Josef Bohatec) Kriegerdenkmal »Siegfriedskopf« in der Aula des Hauptgebäudes enthüllt (9. November) Institut für Ägyptologie und Afrikanistik gegründet (PHIL) Institut für Kriminologie (IUR) gegründet Pharmazeutisch-Chemisches Institut gegründet (PHIL)
Gründung des Republikanischen Schutzbundes (sozialdemokratisch)
1924 Rektor 1924/25: Hans Sperl (Dekane: KATH Ernst Tomek, PHIL Hans Uebersberger, IUR Hans Voltelini, MED Richard B. Wasicky, EVANG Karl Völker)
1925 Rektor 1925/26: Karl Luick (Dekane: KATH Konstantin Hohenlohe-Schillingfürst, PHIL Felix Maria ExnerEwarten, IUR Wenzel Gleispach, MED Richard B. Wasicky, EVANG Gustav Entz)
Genfer Protokolle (4. Oktober, Österreich erhält Völkerbundanleihe und wird unter internationale Finanzkontrolle gestellt, bis 1926)
Hochschulgebühren werden an die Hyperinflation angepasst (BGBl. Nr. 77 vom 2. März 1924)
Gründung der RadioVerkehrs-AG. (RAVAG) in Wien Einführung der SchillingWährung Bei Schussattentat wird Bundeskanzler Ignaz Seipel ernsthaft verletzt (Juni) Verträge von Locarno: Deutschland Frankreich und Belgien verzichten auf Änderung ihrer Grenzen (Elsaß-Lothringen bei Frankreich)
198
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Institut für Leibeserziehung gegründet 1926 Rektor 1926/27: Hans Molisch (Dekane: KATH Franz Zehentbauer, PHIL Karl Patsch, IUR Karl Gottfried Hugelmann, MED Richard B. Wasicky, EVANG Fritz Wilke) Einführung der Talare für akademischen Funktionäre der Universität Wien (nach über 140 Jahren Talarverbot) auf Anregung des deutschnationalen Historikers Hans Uebersberger, Kostümentwurf von Rudolf Bacher/Akademie der bildenden Künste; KATH: goldgelb, EVANG: lichtviolett, IUR: hellpurpur, MED: lindgrün, PHIL: dunkelblau), erstmals öffentlich getragen bei der Rektorsinauguration
Ende der Kontrolle der Finanzen Österreichs durch den Völkerbund
1927 Rektor 1927/28: Heinrich Peham (Dekane: KATH Wenzel Pohl, PHIL Othenio Abel, IUR Hans Mayer, MED Leopold Arzt, EVANG Karl Beth) Erneuerung der Prüfungsordnung
Zusammenstoß zwischen Republikanischem Schutzbund und Frontkämpfervereinigung in Schattendorf fordert zwei Todesopfer (30. Jänner) Brand des Justizpalastes in Wien; bei Demonstrationen infolge des Freispruches der Angeklagten im SchattendorfProzeß (15. Juli) Schaffung der »Hauptschule« und Neuregelung des »Mittelschulwesens«. Eröffnung eines »Zweiten Bildungsweges« (»Arbeitermittelschule«, »Aufbauschule«) (2. August)
1928 Rektor 1928/29: Theodor Innitzer (Dekane: KATH Leopold Krebs, PHIL Oswald Menghin, IUR Rudolf Köstler, MED Leopold Arzt, EVANG Richard Adolf Hoffmann) Frauen an EvangelischTheologischer Fakultät als Studierende zugelassen Institut für Völkerkunde gegründet
Neue Prüfungsvorschrift für das »Lehramt an Mittelschulen« (Ausbau des pädagogischen Begleitstudiums)
199
Timeline (Fortsetzung) Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
1929 Rektor 1929/30: Wenzel Gleispach (Dekane: KATH Nivard Schlögl, PHIL Gustav Jäger, IUR Alexander HoldFerneck, MED Leopold Arzt, EVANG Josef Bohatec) Botanischer Garten (3., Rennweg 14), erweitert um Hostschen Garten (heutiger südlichster Teil oberhalb Kustodentrakt Belvedere)
mehrtätige gewalttätige Hochschulkrawalle mit antisemitischem Hintergrund und politische Konflikte erreichen anlässlich der Inauguration des neuen Rektors der Universität einen Höhepunkt. Am 7. November findet am Anatomischen Institut eine regelrechte Schlacht zwischen rechten und linken Studierenden statt. Tags darauf beschließt Rektorenkonferenz Sperre sämtlicher Wiener Hochschulen (November)
Zusammenbruch der Bodencreditanstalt, Fusion mit der Creditanstalt (6. Oktober)
1930 Rektor 1930/31: Hans Uebersberger (Dekane: KATH Josef Lehner, PHIL Richard Meister, IUR Gustav Walter, MED Roland Grassberger, EVANG Karl Völker) Gleispach’sche Studentenordnung von Universität Wien erlassen (Volksbürgerprinzip statt Staatsbürgerprinzip, jüdische Studierende aus Vertretung und Mitbestimmung ausgeschlossen) (20. Juni) Abschluss der Elektrifizierung des Hauptgebäudes der Universität Wien an der Ringstraße
Heinrich Srbik, BM für Unterricht (16. Oktober 1929 – 30. September 1930)
»Korneuburger Eid« der Heimwehren – Verwerfung der parlamentarischen Demokratie, Plädoyer für einen Führerstaat und Ständeorganisation (18. Mai) Letzte freie Nationalratswahl der I. Republik: SDAP stimmenstärkste Partei, aber CSP bildet Regierung mit Großdeutschen und Landbund (9. November)
Jahr
Universität Wien
1931 Rektor 1931/32: Rudolf Maresch (Dekane: KATH Theodor Innitzer, PHIL Ernst Späth, IUR Alfred VerdrossDrossberg, MED Roland Grassberger, EVANG Gustav Entz) Gleispachsche Studentenordnung vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben (20. Juni), gefolgt von anhaltenden schweren antisemitischen Studentendemonstrationen und Gewalttätigkeiten in Wien
Emmerich Czermak (CSP), BM für Unterricht (30. September 1930 – 20. Mai 1932)
New Yorker Börsenkrach (»Schwarzer Freitag«, 24./25 Oktober), »Große Depression« der Weltwirtschaft Verfassungsreform, auf Druck der faschistischen Heimwehr wird Bundespräsident nach dem Muster autoritärer Trends gestärkt (Einführung Direktwahl), Schwächung des Parlaments, Stärkung der Exekutive auf Kosten der Legislative, der Mehrheit auf Kosten der Minderheit, des Bundes auf Kosten der Länder (7. Dezember)
NS-Krawalle gegen den verfilmten Anti-Kriegsroman »Im Westen nichts Neues«, weitere Aufführungen vom Innenminister untersagt (Jänner) Zusammenbruch der Creditanstalt, größte österreichische Bank, Höhepunkt der Bankenkrise (24. Mai)
200
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
(23. Juni). An den Säulen der Universitätsrampe bringen NS-Studenten Plakate mit der Aufschrift »Juden Eintritt verboten« an. Die Krawalle dauern mehrere Tage an. NS-Studentenbund NSDStB (organisiert nach dem »Führerprinzip«) erringt die Mehrheit in der Deutschen Studentenschaft, die, obwohl ohne gesetzliche Grundlage vielfach als legitime Studierendenvertretung betrachtet wird (Juli 1931, 14. Deutscher Studententag in Graz) 1932 Rektor 1932/33: Othenio Abel (Dekane: KATH Ernst Tomek, PHIL Heinrich Srbik, IUR Friedrich Woess, MED Ernst Peter Pick, EVANG Fritz Wilke)
Mordversuch an designiertem Rektor Othenio Abel durch Karl Camillo Schneider während Grabdenkmalerrichtung für Richard Wettstein am Zentralfriedhof (30. Juni 1932) Institut für Lebenswirtschaftskunde gegründet
Österreich
Pfrimer-Putschversuch (steirische Heimwehren) scheitert (13. September). Im Grazer Hochverratsprozess wird Pfrimer freigesprochen, ebenso 7 mitangeklagte Putschisten (Dezember)
Im Wahlkampf geraten in Wien-Liesing Nationalsozialisten und Sozialdemokraten auf dem Marsch zu einer Wahlversammlung in eine Auseinandersetzung. Ein NSMedizinstudent ersticht den Schutzbündler Karl Schaffhauser (21. April) Anton Rintelen (CSP), BM für Unterricht (20. Mai 1932 – 24. Mai 1933)
Landtagswahlen in Wien, Niederösterreich, Salzburg: Desaster von Heimatblock und Großdeutscher Volkspartei, Verluste der CSP, Zugewinne der NSDAP
Gemeinderatswahlen in der Steiermark und in Kärnten: Gewinne der NSDAP (24. April)
Regierung Dollfuß I – CSP Landbund und Heimatblock – mit nur 1 Stimme Mehrheit im Parlament (20. Mai) NS-Gauparteitag in Wien, Massenkundgebung auf dem Heldenplatz, anschließend Marsch über die Ringstraße, Widerstand des »Roten Wien«, 42 gewalttätige Auseinandersetzungen (29. September–2. Oktober) In Simmering bei Auseinandersetzungen mehrere Tote und über 70 Verletze (16. Oktober) Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise (Winter 1932/33) Vertrag von Lausanne: neue Völkerbundanleihe
201
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
1933 Rektor 1933/34: Ernst Tomek (Dekane: KATH Konstantin Hohenlohe-Schillingfürst, PHIL Adolf Franke, IUR Ferdinand DegenfeldSchonburg, MED Wilhelm Kerl, EVANG Karl Beth) Drastischer Rückgang der deutschen Studierenden an der Universität Wien und anderen österreichischen Hochschulen infolge der 1.000-Mark-Sperre (27. Mai) durch das Deutsche Reich – in Kraft bis 1936 Im Austrofaschismus kommt es zur Entlassung mehrere Professoren und Relegierung zahlreicher Studierender Polizeiwachstuben werden in allen Universitäten und Hochschulen eingerichtet, ab Sept./Okt. patroulliert neue Hochschulwache (Innsbruck und Leoben: Gendarmerie, alle anderen: Polizei) in den Hochschulen.
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Kurt Schuschnigg (CSP/VF), BM für Unterricht (24. Mai 1933 – 14. Mai 1936), bzw. Hans Pernter (VF), StSekr im BM für Unterricht (29. Juli 1934 – 14. Mai 1936)
Adolf Hitler wird Reichskanzler im Deutschen Reich (30. Jänner)
Straßenschlacht in Innsbruck zwischen Heimwehr und NSStudenten (43 Verletzte, Bundesheereinsatz) (29. Mai)
Höhepunkt der Arbeitslosigkeit in Ö: rd. 600.000 Menschen (402.000 behördlich unterstützt, rd. 200.000 weitere »ausgesteuert«, d. h. ohne staatl. Arbeitslosenunterstützung) (Februar) Ausschaltung des Parlaments (4. März), Bundeskanzler Dollfuß regiert unter Berufung auf das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz von 1917 autoritär ohne Parlament Einschränkung der Pressefreiheit, Zensur, Versammlungsverbot (7. März), Verbot des Sozialdemokratischen Schutzbundes (30. März), Verbot parteipolitischer Betätigung von Beamten (»abfällige Kritik am Staat und an den verantwortlichen obersten Staatsorganen in Wort oder Schrift, während des Dienstes oder außerhalb desselben«) (31. März), Streikverbot (21. April), Verbot von Wahlen in Ländern und Gemeinden (10. Mai), Gründung der »Vaterländischen Front« (20. Mai), Verbot der Kommunistischen Partei (KPÖ) (26. Mai), Ausschaltung Verfassungsgerichtshof (27. Mai) Ausschreitungen bei der »Türkenbefreiungsfeier« der Heimwehr vor Schloß Schönbrunn, in Erinnerung an den Sieg über die Türken 1683 (14. Mai) Verbot NSDAP und Steirischer Heimatschutz, agiert aus dem Untergrund illegal weiter, geleitet von nach Deutschland
»Deutsche Studentenschaft« aufgelöst (Erl. vom 26. Juli 1933, durchgeführt 21. September 1933) Einsetzung einer regimetreuen staatlichen »Sachwalterschaft der Hochschülerschaft in Österreich« (Vorläufer der ÖH) (Erl. BM Unt. GZ.26773/I/ 33 vom 29. September 1933) Sachwalter Österreich 1933 – 1935 Hptm.i.R. Karl Stein, 1935 – 1937 Heinrich Drimmel; Sachwalter Universität Wien 11/33 – 01/34 Josef Klaus (in der 2. Republik Bundeskanzler), 1934 – 1937 Heinrich Drimmel (in der 2. Republik Unterrichtsminister)
Vorübergehende besondere Disziplinarvorschriften für Studierende (BGBl. Nr. 474 vom 16. Oktober 1933) Einführung Hochschülerschafts- und Fürsorgebeitrag (BGBl. Nr. 68 vom 20. Dezember 1933)
202
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich geflüchteten österreichischen NS-Führern Unterzeichnung eines Konkordats mit dem »Heiligen Stuhl«, Privilegierung der Katholischen Kirche auch in Bildungsfragen (5. Juni) »Trabrennplatzrede« Dollfuß (11. September) über Errichtung eines christlichautoritären Ständestaates Errichtung von Anhaltelagern (29. September): politische GegnerInnen des Austrofaschismus können ohne richterliche Anhörung oder gerichtliche Verurteilung von der Exekutive auf (un) bestimmte Zeit in Haft genommen werden (u. a. in Wöllersdorf) Dollfuß überlebt Revolverattentat im Parlament leicht verletzt (3. Oktober) Bundeskommissär für Personalangelegenheiten eingerichtet im Bundeskanzleramt (BGBl. Nr. 556 vom 15. Dezember 1933), Arbogast Fleisch ernannt (MRP 905/10, vom 3. November 1933) Einführung der Todesstrafe auf standrechtlicher Grundlage (10. November) »Doppelverdienergesetz«, Entlassung verheirateter weiblicher Bundesbediensteter (BGBl. Nr. 545 vom 15. Dezember 1933)
1934 Rektor 1934/35: Alexander Hold-Ferneck (Dekane: KATH Franz Zehentbauer, PHIL Dietrich Kralik, IUR Adolf Merkl, MED Wilhelm Kerl, EVANG Josef Bohatec) Im Kleinen Festsaal wird im Rahmen der volkstümlichen Universitätsvorträge der 50jährige Bestand des Hauptgebäudes gefeiert (Festschrift »Ruhmeshalle« von Richard Meister),
Änderung der Habilitationsnorm von 1920, Möglichkeit der vorzeitigen Beendigung der Arbeitsverhältnisse von Lehrenden (BGBl. Nr. 34) Aufgrund der anhaltenden NS-Ausschreitungen Bundeskommissär zur direkten staatlichen Verwaltung der Hochschule für Bodenkultur (Otto Skrbensky) eingesetzt (MVBl.
NS-Terrorwelle (bis 12. Februar : 419 NSAnschläge) parallel dazu finden Sondierungen verschiedene Fraktionen des Dollfuß-Regimes mit den Nationalsozialisten statt Bürgerkrieg (12.–16. Februar 1934) Verbot der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (und Beschlagnahmung ihres Vermögens). Über 300 Tote auf beiden Seiten, tausende
203
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Inaugurationsfest des neugewählten Rektors entfällt wegen der wirtschaftlichen und politischen Krise
vom 26. April 1934), dem Rektor und Professorenkollegium unterstellt werden. (Skrbensky wird im NS entlassen, dominiert ab 1945 die ministerielle Hochschulverwaltung.) Gesetz zur Aufrechterhaltung der Disziplin unter den Studierenden (BGBl. Nr. 232 vom 6. September 1934)
Verhaftungen, Nach Niederschlagung werden neun Sozialdemokraten von den Standgerichten zum Tode verurteilt und hingerichtet
Bundeskommissär zur »Aufrechterhaltung der Disziplin« (Otto Skrbensky) ernannt (20. September 1934, BMfUnt Erl. 27096/1 – 1) Neuregelung der Disziplinargewalt über Bundeslehrer an Hochschulen (BGBl. Nr. 334 vom 26. Oktober 1934) Montanistische Hochschule Leoben wird aufgelöst und mit der Technische Hochschule Graz zusammengelegt (BGBl. Nr. 208 vom 7. August 1934) 1935 Rektor 1935/36: Oswald Menghin (Dekane: KATH Wenzel Pohl, PHIL Egon Schweidler, IUR Ludwig Adamovich sen., MED Wilhelm Kerl, EVANG Karl Völker)
Hochschulermächtigungsgesetz (BGBl. Nr. 266 vom 1. Juli 1935), Abschaffung der universitären Autonomie, erlaubt Unterrichtsminister direkten Eingriff in Universitätsangelegenheiten, Ernennung und Absetzung der studentischen Vertretung u. ä. Hochschulerziehungsgesetz (BGBl. Nr. 267 vom 1. Juli 1935): Neben Forschung und Lehre wird staatspolitische Erziehung der Studierenden zur gleichwertigen Aufgabe der Universität (Einführung von ideologischen Pflichtvorlesungen, von Schulungsdiensten in Hochschullagern und vormilitärischen Übungen)
NS-Terrorwelle (15. Mai–15. Juli 155 NSAnschläge in Wien u. Umgebung). Bombenattentate in Hochschule für Bodenkultur, Handelsgericht, Rundfunkzentrale und Justizpalast, vereiteltes im Bundeskanzleramt Proklamation der berufsständischen autoritären »Maiverfassung« (1. Mai), Österreich wird Bundesstaat in Gestalt einer autoritären Kanzlerdiktatur NS-Putschversuch, Ermordung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß in Wien (25. Juli 1934), zahlreiche Studierende in Putschversuch involviert, Niederschlagung durch Militär, Polizei und Heimwehr ; Schuschnigg übernimmt das Amt des Bundeskanzlers (30. Juli)
204
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Inskriptionseinspruchsverordnung gegen ausländische Studierende (BGBl. Nr. 359 vom 4. September 1935) 1936 Rektor 1936/37: Leopold Arzt (Dekane: KATH Leopold Krebs, PHIL Hans Hirsch, IUR Ferdinand Kadecka, MED Wilhelm Kerl, EVANG Fritz Wilke) Ermordung Moritz Schlicks (22. Juni) Bau eines Auditorium Maximum an Universität Wien für 1.020 HörerInnen, 14. Dezember : Eröffnung und katholische Weihe durch Kardinal Theodor Innitzer, Radio-Life-Übertragung Rektors-Rede
1937 Rektor 1937/38: Ernst Späth (Dekane: KATH Johannes Hollnsteiner, PHIL Alfred Himmelbauer, IUR Heinrich Mitteis, MED Egon Ranzi, EVANG Karl Beth)
Erhöhung der Hochschulgebühren (BGBl. Nr. 33 vom 31. Jänner 1936, BGBl. Nr. 34 vom 31. Jänner 1936, BGBl. Nr. 52 vom 15. Februar 1936) Hans Pernter (VF), BM für Unterricht (14. Mai 1936 – 11. März 1938) Hochschullagerverordnung (MVBl. vom 5. Mai 1936, BGBl. Nr. 149 vom 14. Mai 1936), ab WS 1935/36 verpflichtende Teilnahme an Hochschullagern eingeführt (erstmals im Sommer 1936 abgehalten) 80-Jahrfeier des ÖCV katholischer farbentragender Studentenverbindungen wird staatstragend gefeiert: Festgottesdienst Schottenkirche, Festumzug, Festempfang Hofburg mit Reden von Kardinal Innitzer, Kanzler Schuschnigg und Präs. Ender (6. Dezember) Studiengebührenbegünstigungen nur für Mitglieder der Vaterländischen Front (MVBl. Erl. 41 vom 5. Jänner 1937) Vorbereitung Ordnungsschutzgesetz und Gesetz über die Aufrechterhaltung der Disziplin unter den Studierenden an den Hochschulen, das erlaubt, studentische Briefe und Telegramme staatlich zu beschlagnahmen, zu öffnen und zu lesen (BGBl. Nr. 280 vom 17. August 1937) Anerkennung deutscher Reifezeugnisse und akademischer Grade in Österreich (BGBl. Nr. 424 vom 18. Dezember 1937, BGBl. Nr. 413 vom 7. Dezember 1937)
Einführung Allg. Bundesdienstpflicht, allg. Wehrpflicht (für Männer im Alter von 18 – 42) »Juliabkommen« mit dem Deutschen Reich (11. Juli) formelle Anerkennung der österreichischen Souveränität bei de facto Stärkung des deutschen Einflusses auf Ö, NS-Vertreter in Regierung aufgenommen, verhaftete Nationalsozialisten freilassen
205
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Auflagen für den Betrieb von Studentenheimen (BGBl. Nr. 146 vom 11. Mai 1937) Verordnung über die Betätigung von studentischen Vereinen (BGBl. Nr. 348 vom 16. Oktober 1937) Wiedererrichtung der selbstständigen und vollständigen Montanistischen Hochschule (BGBl vom 3. April 1937) 1938
Einstellung bzw. Amnestierung aller Disziplinarstrafen und Verweise gegen Studierende wegen illegaler politischer Betätigung (MVBl. Erl. 5567 vom 17. Februar 1938)
Schuschnigg bei Hitler, »Berchtesgardener Abkommen« (12. Februar) Plan einer Volksbefragung für ein »freies und deutsches, unabhängiges und soziales für ein christliches und einiges Österreich« für den 13. März (9. März)
NATIONALSOZALISMUS 1938 Amtierender Rektor Späth legt Amt zurück, am 15./16. März Ernennung/ prov. Rektor 1937/ 38 Fritz Knoll (–1943), Prorektor Hans Hirsch (–1940 [+]), Arthur Marchet (ab 1940) am 19. März die Dekane: (KATH Ernst Tomek, PHIL Viktor Christian, IUR Ernst Schönbauer, MED Eduard Pernkopf, EVANG Gustav Entz) Nach der Machtübernahme durch NationalsozialistInnen folgt die Vertreibung und Deportation von Jüdinnen/ Juden und politischen GegnerInnen aus dem Lehrkörper und der Studierendenschaft; an Universität Wien werden fast 45 % aller ProfessorInnen und DozentInnen entlassen, die Zahl der Studierenden sinkt um 42 %. Lehrende werden auf den »Führer« Hitler vereidigt, der »Hitlergruß« (22. März) wird eingeführt, Hakenkreuze und Hitlerbilder werden in allen Amtsräumen aufgehängt. Wiedereröffnung der nach dem »Anschluss« geschlossenen Technischen
Oswald Menghin (NSDAP), BM für Unterricht (12.–13. März 1938), Min. für Unterricht der österreichischen Landesregierung (13. März–31. Mai 1938)
Einmarsch deutscher Truppen in Österreich (12. März), Verhaftungswellen von RegimegegnerInnen setzen ein, »Anschlußrede« von Adolf Hitler auf dem Wiener Heldenplatz (15. März)
Kontingentierung der Verleihung von Ehrendoktor, Ehrensenator, Ehrenbürger oder Ehrenmitglied (REM RdErl. vom 22. März 1938 – WA 420, WU, Z II a (a)), verlängert 1940 und 1942
Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich (13. März)
Vorläufige Verfügungen über die Hochschulorganisation
»Prominententransport« als erste Deportation ins KZ Dachau (1. April)
206
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Hochschule in Wien sowie der Universität Wien (25. April 1938) Gründung des Hochschulinstituts für Leibesübungen
(GBlfLdÖ. Nr. 14 vom 24. März 1938)
1939 Institut für Wirtschaftswissenschaften (Abt. 1: Volkswirtschaftslehre und -politik; Abt. II: Finanzwissenschaft und -gesetzgebung; Abt. III: Betriebswirtschaft; Abt. IV: Gesellschaftslehre) (IUR) gegründet Entfernung der Denkmäler jüdischer Professoren (Anton Menger, Josef Sonnenfels, Julius Wiesner, Adolf Mussaffia, Eduard Hanslick, Julius Glaser, Adolf Lieben, Guido Goldschmiedt, Josef Unger, Ernst Fleischl, Heinrich Bamberger, Emil Zuckerkandl, Moritz Kaposi, Karl Stoerck, Leopold Oser, Josef Herzig, Eduard Sueß, Ludwig Mauthner) Studentenweltspiele 1939 in Wien (22 Nationen; Ehrengäste REMin Rust, ital. Unterrichtminister Bottai,
Abänderung und Aufhebung des Hochschulerziehungsgesetzes (GBlfLdÖ. Nr. 15 vom 24. März 1938, GBlfLdÖ. Nr. 319 vom 9. August 1938) Arthur Seyß-Inquart (NSDAP), Min. für Inneres & Kulturelle Angelegenheiten d. österr. Landesregierung (31. Mai 1938 – 1. Mai 1939), mit Staatskommissar Friedrich Plattner als Leiter der Angelegenheiten des Unterrichts und Kultus (Abt. IV) (31. Mai 1938 – 1. Mai 1939) Begünstigungen (Studienverkürzung) für nationalsozialistische Studierende die im Austrofaschismus gemaßregelt wurden (GBlfLdÖ. Nr. 544 vom 4. November 1938) Friedrich Plattner, Staatskommissar für Erziehung, Kultus und Volksbildung in Wien (1. Mai 1939 – 1. Juni 1940): Liquidation und Übertragung der Aufgaben an das Reichserziehungsministerium Berlin bzw. an die Reichsstatthalter Einführung des »Reichsstudentenwerks« (GBlfLdÖ. Nr. 334 vom 17. März 1939)
Aberkennung akademischer Grade (GBlfLdÖ. Nr. 716 vom 19. Juni 1939, Durchführungsverordnung GBlfLdÖ. Nr. 946 vom
Österreich
»Volksabstimmung« der NS mit 99 % für »Anschluss« (10. April)
»Reichspogromnacht« (9. November)
»Ostmarkgesetz«: Österreich wird Ostmark, Umwandlung der ehemaligen 9 Bundesländer in 7 Reichsgaue (14. April, RGBl I 1939, S. 7)
Nichtangriffspakt Deutsches Reich – Sowjetunion (23. August), Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Polen, Beginn Zweiter Weltkrieg (1. September)
207
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
ungar. StSekr Stolpa (20.–27. August)
10. August 1939), Kundmachung Gesetz über die Führung akademischer Grade vom 7. Juni 1939 zunehmend werden Studierende »mit Erbkrankheiten und schweren Leiden« dauerhaft vom Studium ausgeschlossen (aufgrund der Richtlinien für die gesundheitliche Auslese zum Hochschulstudium REM Erl. vom 16. Dezember 1935 – W I i 4310) Reichshabilitationsordnung (REM RdErl. vom 17. Februar 1939 – WA 2920/38 Z II a (a)) 1938/39 Angleichung Semestereinteilung ans Dritte Reich: WS 1. November–28. Februar, SS 1. April–30. Juni 1938/39 Für Studierende der ersten drei Semester werden Leibesübungen als Pflichtfach eingeführt 1938/39 Ausschluss und Vertreibung jüdischer Studierender und Lehrender abgeschlossen mit Einziehung aller noch vereinzelt gewährten Sondererlaubnisse 1938/39 Zulassung zum Studium ohne Matura/ Reifeprüfung bzw. Zulassung zu Sonderreifeprüfungen für bestimmte Studienrichtungen 1938/39 Studentische Erntehilfe angeordnet wegen Arbeitskräftemangel in Landwirtschaft und Semesterschluss um zwei Wochen auf den 15. Juli vorgezogen RdErl des REM Arbeitspensum von 3 Halbjahren in 1 Jahr zu bewältigen (3 Trimester 3,5 Monaten mit je 1 Monat vorlesungsfreier Zeit Herbsttrimester 1939: Aufnahmesperre an der MED Fakultät wegen »Überfüllung« Verkürzung der Studienzeit aufgrund von Akademiker-
Österreich
208
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
mangel: MED: 8 Trimester (=2,5 Jahre), IUR und PHIL 6 Trimester (=2 Jahre) 1940 Intern. Sommerhochschulkurse beginnen am Semmering im Hotel Panhans (veranstaltet von Universität Wien, Akademischer Auslandsstelle Wien und Reichsstudentenführung) (15. Juli) Gründung Institut für Rechtsvereinheitlichung Gründung Institut für Lebenswirtschaftskunde (seit 1942 Institut für Fächer des Frauenschaffens)
Trimestergliederung: I. Trimester 1940: 8. Jänner–22. März, II. Trimester 1940: 15. April–31. Juli, III. Trimester 1940: 2. September–22. Dezember Rassistische Zugangsbeschränkungen treten voll in Kraft Unterstellung aller Hochschulen und Universitäten direkt unter das Reichserziehungsministerium Berlin per 1. Februar 1940 Schaffung Amt des Kurators der wissenschaftlichen Hochschulen in Wien per 1. April 1940 (Landeshauptmann a.D. Walter v. Boeckmann 1940 – 1945)
1941 Gründung Institut für spezielle Dogmatik (KATH)
Sonderförderung der Kriegsteilnehmer beim Hochschulstudium (REM RdErl. vom 20. April 1941 – WJ 1400 K I, R V; RdErl. vom 12. August 1941 – WJ 2340 I und II; RdErl. vom 30. April 1942 – WJ 6822 Z III a (b); RdErl. vom 9. Mai 1944 – WJ 721/44 Z III a; RdErl. vom 1. uli 1944 – WJ 1000/44 E IV, E V, V) Verordnung über die Reichshochschule für Musik Mozarteum in Salzburg (RGBl I S.350 vom 25. Juni 1941)
1942 Institut für Rassenbiologie an Universität Wien eröffnet (1945 aufgelassen), untergebracht im Hygieneinstitut in 9., Kinderspitalgasse 15 Institut für Zeitungswissenschaft an Universität Wien eröffnet (heute Publizistik- und Kommunikationswissenschaft), untergebracht in 1., Heßgasse 7
Promotion gefallener Soldaten (REM RdErl. vom 28. Jänner 1942 – WA 2590/41)
Wehrsportliche Ausbildung der Studenten (REM RdErl. vom 8. Dezember 1942 – K I 8101 (18.11.442 (28))
Reichseinheitliche Schließung aller Schulen für Jüdinnen und Juden
209
Timeline (Fortsetzung) Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
1943 Rektor 1943/44 – 1944/45: Eduard Pernkopf (Dekane: KATH Ernst Tomek, PHIL Arthur Marchet, IUR Ernst Swoboda, MED Herbert Fuhs, EVANG Gustav Entz) Verlagerung von Bibliotheken und Forschungseinrichtungen aus Wien hinaus zwecks Sicherung vor erwarteten Bombardments Institut für Theaterwissenschaft an Universität Wien errichtet (heute Theater-, Film- und Medienwissenschaft) in 1., Michaelerplatz (Hofburg, Batthyanistiege) Institut für Dolmetschausbildung an Universität Wien errichtet (heute Zentrum Translationswissenschaft) Institut für germanischdeutsche Volkskunde an Universität Wien errichtet (heute Institut für Europäische Ethnologie) Institut für Geschichte des Postwesens an Universität Wien errichtet (1945 aufgelassen)
Immatrikulation der zum Wehrdienst eingezogenen Maturanten (REM RdErl. vom 15. Jänner 1943 – WJ 3740 (b))
Moskauer Deklaration über die Wiederherstellung eines unabhängigen österreichischen Staates (31. Oktober)
1944 Erste Fliegerbombentreffer auf das Hauptgebäude der Universität Wien (September)
Studentischer Ausgleichsdienst für Frauen zum Zwecke der Zulassung zum Studium (REM RdErl. vom 14. April 1944 – K I b 8600/15.01.42 (537)) Totaler Kriegseinsatz (Beschränkung der Zulassung und der Fortsetzung des Studiums (REM RdErl. vom 1. September 1944 – RV 391/ 44, ergänzt RdErl. vom 20. Oktober 1944 – RV 550/44)
1945 26 Bombentreffer am Hauptgebäude der Universität Wien, Dekanat der Juridischen Fakultät samt Akten zerstört (21. Februar), Anatomisches Institut u. a. zerstört Prof. Jörn Lange erschießt die Assistenten Kurt Horeischy und Hans Vollmar von der
NS-Deutschland kapituliert, Universitätsprofessoren setzen sich ab
Jahr
Universität Wien
Fachliche Grundausbildung für studierende Kriegsteilnehmer (REM RdErl. vom 2. Oktober 1943 – WJ 2380 E III, E VII (b)) Sonderförderung der Kriegswaisen des Weltkrieges (REM RdErl. vom 26. Oktober 1943 – WA 1808)
Eröffnung einer Technischen Hochschule in Linz-Wilhering
210
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Widerstandsgruppe am Chemischen Institut, als sie ihn hindern wollen, ein wertvolles Elektronenmikroskop kurz vor Eintreffen der Roten Armee zu zerstören (4. April 1945) Kurzfristig dient Hauptgebäude Roter Armee als Verbandsplatz, Kaserne und Pferdestall Rektor 1945 SS: Viktor Christian (16.–25. April) II. REPUBLIK 1945 Wiedereröffnung der Universität Wien (29. Mai)
Ernst Fischer (KPÖ), StSekr für Volksaufklärung, Unterricht und Erziehung (27. April–20. Dezember 1945) mit UStSekr für Hochschulen Karl Lugmayer
Rektor 1945 SS–1946/47: Ludwig Adamovich sen. (Dekane: KATH Johann Karl Jellouschek, PHIL Wilhelm Czermak, IUR Ferdinand Degenfeld-Schonburg, MED Leopold Arzt, EVANG Gustav Entz) Einrichtung des »Quadripartite Committee on Educational Affairs« (ab 1947: »Educational Directorate«)
Felix Hurdes (ÖVP), BM für Unterricht (20. Dezember 1945 – 23. Janner 1952)
Beginn der »Entnazifizierung der Universitäten« bei Studierenden und Lehrenden Zulassung von Frauen zum Studium auch an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien 1945 Institut für europäische Rechtsgeschichte (IUR) gegründet
Verordnung über den Erwerb, die Führung und den Verlust inländischer akademischer Grade (StGBl. Nr. 78 vom 9. Juli 1945)
Gründung der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) durch katholische, sozialistische und kommunistische Studierende in Wien per Verordnung des Unterrichtsstaatsamtes (StGBl. Nr. 170 vom 3. September 1945)
Wiederherstellung der Republik Österreich. Bildung einer Konzentrationsregierung zwischen ÖVP, SPÖ und KPÖ (27. April 1945) unter interalliierter Besatzung (USA, GB, F, UdSSR) Wiederherstellung rechtstaatlicher Strukturen (StGBl. Nr. 4 vom 1. Mai 1945, VerfassungsÜberleitungsgesetz, StGBl. Nr. 6 vom 1. Mai 1945, RechtsÜberleitungsgesetz) NS-Verbotsgesetz (StGBl. Nr. 18 vom 8. Mai) Auflösung und Verbot der NSDAP mit allen Gliederungen, Registrierungspflicht aller Mitglieder oder ParteianwärterInnen von NSDAP, SS, SA, NSKK, NSFK zwischen 1. Juli 1933 – 27. April 1945; Sühnemaßnahmen; Ausnahmebestimmung im § 27 Kriegsverbrechergesetz (StGBl. Nr. 32 vom 26. Juni 1945) Erste Nationalratswahl (25. November 1945) Schilling wieder eingeführt (30. November 1945)
211
Timeline (Fortsetzung) Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
1946
1. Hochschülerschaftsverordnungsnovelle (Direktwahl des Zentralausschusses der ÖH) (BGBl. Nr. 191 vom 19. September 1946)
Unterzeichnung des GruberDe-Gasperi-Abkommens über Südtirol
1947 Rektor 1947/48: Johannes Sölch (Dekane: KATH Albert Mitterer, PHIL Herbert W. Duda, IUR Alfred VerdrossDrossberg, MED Walther Schwarzacher, EVANG Gustav Entz) Akademische Senat beschließt die Gründung eines Universitätsmuseums
2. Hochschülerschaftsverordnungsnovelle (Funktionen und Wahlordnung) (BGBl. Nr. 249 vom 28. Oktober 1947)
Nationalsozialistengesetz (StGBl. Nr. 25 vom 6. Februar 1947)
1948 Rektor 1948/49: Wolfgang Denk (Dekane: KATH Michael Pfliegler, PHIL Herbert W. Duda, IUR Karl Wolff, MED Karl David Lindner, EVANG Gustav Entz) Gründung der »Wiener Hochschulzeitung« (später »Österreichische Hochschulzeitung«)
Hochschulassistentengesetz 1948 (BGBl. Nr. 32 vom 3. Februar 1949)
Jahr
Universität Wien erste ÖH-Wahlen: 75 % ÖVPnahe Union österreichischer Akademiker FÖST, 21,7 % VSStÖ, Kommunistische Studentengruppe 3 % j Demonstrationen und Ausschreitungen wegen NSKundgebungen bei den Wahlveranstaltungen
1949 Rektor 1949/50: Richard Meister (Dekane: KATH Johannes Kosnetter, PHIL Hans Letimeier, IUR Johann Schima, MED Ernst Lauda, EVANG Erwin Schneider) Gründung der »Summer School of the University of Vienna«
Kriegsverbrechergesetz 1947 (StGBl. Nr. 32 vom 26. Juni 1947) Sommer : erste MarshallplanKonferenz: Österreich in Marshallplan-Hilfe einbezogen 1. Lohn-Preisabkommen (1. August 1947) Hungerdemonstrationen Währungsreform Unterzeichnung des Marshallplan-Abkommens im US-Kongress (3. April) und zwischen Österreich und den USA (2. Juli) Minderbelastetenamnestie von 1948 (weitere Amnestien 1955 und 1957) 2. Lohn-Preisabkommen (16. September 1948) Gründung des Verbands der Unabhängigen (VdU)
3. Lohn-Preisabkommen (3. Dezember 1949)
212
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Erstes ÖH-Gesetz: ÖH ist gesetzliche Interessenvertretung nach dem Grundsatz der studentischen Selbstverwaltung, ihre Organe werden nach demokratischen Wahlen nach Nationalratswahlgrundsätzen gewählt (BGBl. Nr. 174 vom 12. Juli 1950)
31. August: Ende der Lebensmittelbewirtschaftung
Institut für Kirchenrecht (IUR) gegründet Institut für allgemeine Chemie (MED) gegründet Universitätsmuseum eröffnet 1950 Rektor 1950/51: Johannes Gabriel (Dekane: KATH Franz Arnold, PHIL Erich Schenk, IUR Wilhelm Winkler, MED Karl Fellinger, EVANG Erwin Schneider) Institut für Soziologie an Universität Wien errichtet Deutschnational-freiheitliche Gruppierungen treten erstmals bei ÖH-Wahlen an und erreichen zusammen 18 % 1951 Rektor 1951/52: Alfred Verdross-Drossberg (Dekane: KATH Karl Johann Jellouschek, PHIL Johannes Radon, IUR Hans Kreller, MED Hermann Chiari, EVANG Wilhelm Kühnert) Gründung »Universitätsbund Alma Mater Rudolphina« (27. April 1951) »Wahlblock österreichischer Akademiker« löst »Union« als hegemoniale konservative Fraktion ab ÖH organisiert demonstrativen Sitzstreik an verschiedenen Orten Wiens gegen drohende Erhöhung der Studiengebühren Institut für Völkerrecht und internationale Beziehungen (IUR) gegründet Wiederaufbau des Hauptgebäudes der Universität Wien und Rückführung der Bibliotheksbestände abgeschlossen, 28. Juni 1951: Feierliche Wiedereröffnung von Universitätsgebäude und Universitätsbibliothek 1952 Rektor 1952/53: Wilhelm Czermak (†)/Alfred VerdrossDrossberg (Dekane: KATH Johannes Gabriel, PHIL Leo
4. Lohn-Preisabkommen (1. Oktober 1950) Sept./Oktober : Kommunistische Streikbewegung
5. Lohn-Preisabkommen (16. Juli 1951)
Ernst Kolb (ÖVP), BM für Unterricht (23. Jänner 1952 – 31. Oktober 1954)
213
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien Santifaller, IUR Heinrich Demelius, MED Hermann Chiari, EVANG Gustav Entz) Projekt für ein eigenes Universitätsbibliotheksgebäude, Wettbewerbssieger Architekten Alfred Dreier und Otto Nobis (1952) (unrealisiert, wurde später NIG) Wiederaufnahme der »Wiener Internationalen Hochschulkurse« Institut für medizinische Physik (MED) gegründet
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Doktorat unter den Auspizien des Bundespräsidenten eingeführt (BGBl. Nr. 58 vom 5. März 1952)
in Wien erste große Studierendendemonstration auf der Ringstraße gegen Erhöhung der Studiengebühren (gegen den Willen der konservativen ÖHFührung)
1953 Rektor 1953/54: Leopold Schönbauer (Dekane: KATH Michael Pfliegler, PHIL Leopold Fuchs, IUR Willibald Plöchl, MED Franz Theodor Brücke, EVANG Gottfried Fitzer) neugegründeter RFS erreicht bei ÖH-Wahlen 32,1 % Forschungsinstitut für Genossenschaftswesen gegründet
Hochschultaxengesetz (BGBl. Nr. 102 vom 25. Juni 1953)
Bau des Ringturms in Wien am Donaukanal
1954 Rektor 1954/55: Johannes Radon (Dekane: KATH Johannes Kosnetter, PHIL Karl Maria Swoboda, IUR Roland Graßberger, MED Franz Theodor Brücke, EVANG Johann Karl Egli)
Heinrich Drimmel (ÖVP), BM für Unterricht (1. November 1954 – 2. April 1964)
Berliner Außenministerkonferenz (Sowjetunion beharrt auf Besetzung Österreichs bis zum Abschluß eines Friedensvertrags mit Deutschland)
1955 Rektor 1955/56: Karl Johann Jellouschek (Dekane: KATH Franz Arnold, PHIL Edmund Hlawka, IUR Theodor Pütz, MED Tassilo Antoine, EVANG Erwin Schneider)
HochschulOrganisationsgesetz (BGBl. Nr. 154 vom 13. Juli 1955) regelt das Universitätsrecht und damit auch Studierendenrechte neu, allerdings ohne inhaltliche Neuerungen; Zementierung der Ordinarienuniversität; Klärung der Grenze zwischen staatlichem und autonomem Wirkungsbereich, Kategorien der Lehrkräfte, einheitliche akademische Terminologie, Titelverleihungen, gesetzliche Verankerung der Rektorenkonferenz und die
Moskauer Memorandum (Sowjetunion verzichtet gegen entsprechende Ablöse auf ihr zugestandene Vermögenswerte in Ostösterreich, Österreich verpflichtet sich zur immerwährenden Neutralität) (15. April) Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrages im Wiener Belvedere (15. Mai) Nationalrat beschließt immerwährende Neutralität Österreichs (26. Oktober)
Institut für Religionswissenschaft (KATH) gegründet Institut für theoretische Astronomie (PHIL) gegründet
214
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Schaffung des Akademischen Rates festgelegt Institut für Rechtsvergleichung (IUR) gegründet Institut für Staats- und Verwaltungsrecht (IUR) gegründet Institut für Wirtschafts- und Sozialpolitik (IUR) gegründet
Österreich tritt den Vereinten Nationen (UNO) bei (14. Dezember)
1956 Rektor 1956/57: Johann Schima (Dekane: KATH Franz Loidl, PHIL Hugo Hantsch, IUR Friedrich Schwind, MED Richard Bieling, EVANG Georg Fohrer) Akustische Sanierung Grosser Festsaal im Hauptgebäude der Universität Wien, Erweiterung Universitätsarchiv
Bundesheer an ungarischösterreichischer Grenze nach Ungarnaufstand am 4. November 1956
1957 Rektor 1957/58: Erich Schenk (Dekane: KATH Karl Johann Jellouschek, PHIL Othmar Kühn, IUR Hans Lentze, MED Arnold Pillat, EVANG Wilhelm Kühnert) Gründung Institut für Religionswissenschaften an KATH Fakultät der Universität Wien Gründung zehn neuer Institute an IUR Fakultät der Universität Wien: Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, Institut für Europäische Rechtsgeschichte, Institut für Kirchenrecht, Institut für Rechtsvergleichung, Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen, Institut für Wirtschafts- und Sozialpolitik, Institut für Genossenschaftswesen, Institut für Soziologie, Institut für Agrarpolitik und Agrarsoziologie, Institut für Arbeits- und Sozialrecht Gründung von drei neuen Instituten und vier neuen Kliniken an MED Fakultät der Universität Wien: Institut für allgemeine Biologie und Vererbungslehre, Institut für
Österreich tritt nach der Wiederherstellung seiner vollen Souveränität durch den Staatsvertrag (1955) dem Europarat bei (16. April 1956) Erster Zusammentritt eines Beratungskörpers des Bundesministers für Unterricht in Hochschulangelegenheiten (»Akademischer Rat«)
Bildung der »Paritätischen Kommission für Lohn- und Preisfragen«
Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) macht Wien zu ihrem Hauptsitz (9. Oktober 1957)
215
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Medizinische Physik, Institut für Anästhesiologie, Universitätsklinik für Kieferchirurgie, Universitätsklinik für Neurochirurgie, Universitätsklinik für Orthopädie, Universitätsklinik für Urologie Gründung mehrerer Institute an PHIL Fakultät der Universität Wien: Philosophisches Institut wird geteilt in zwei Institute für Philosophie, ein Institut für Pädagogik, ein Institut für Psychologie; Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte erhält wieder ein Ordinariat; Gründung Chemisch-analytisches Institut, Organisches Institut, Institut für physikalische Chemie, Institut für anorganische Chemie; Institut für Byzantinistik, Institut für Indiologie; Eröffnung Institut für theoretische Astronomie; Wiederbegründung Institut für Volkskunde (war 1945 als NS-Gründung aufgelöst worden) Err. Universitätssportheim der Universitätsturnanstalt UTA (später Universitätssportinstitut USI) in 5652 Dienten/ Salzburg, Dorf 11 1958 Rektor 1958/59: Erwin Schneider (Dekane: KATH Johannes Gabriel, PHIL Albin Lesky, IUR Alfred VerdroßDroßberg, MED Hans Zacherl, EVANG Fritz Zerbst) Institut für Soziologie (IUSjReStWi) gegründet Institut für Agrarpolitik und Agrarsoziologie (IUR) gegründet Gründung Institut für Biochemie (MED) Das Wiener Atominstitut als interuniversitäres Institut gegründet Nach Demolierung des NSWehrmachtskommandoge-
Beitritt Österreichs zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), in Verfassungsrang seit 1964 Feierliche Eröffnung der Stadthalle (Arch.: Roland Rainer) (21. Juni 1958)
216
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Beginn des Schulfernsehens (ab 1962 regelmäßiger »Schulfernsehtag«)
Einführung der 45-StundenArbeitswoche
bäudes, Wien 1., Universitätsstraße 7, Grundsteinlegung für Neues Institutsgebäude (NIG), 21.500 m2, Arch.: Alfred Dreier, Otto Nobis
1959 Rektor 1959/60: Tassilo Antoine (Dekane: KATH Michael Pfliegler, PHIL Hans Spreitzer, IUR Slawtscho Sagoroff, MED Hans Zacherl, EVANG Gottfried Fitzer) Organisch-Chemisches Institut gegründet Institut für Volkskunde an Universität Wien wiederrichtet (1945 aufgelöst, heute: Europäische Ethnologie) Analytisch-Chemisches Institut gegründet Institut für anorganische Chemie gegründet
Gründung der »Österreichischen Studentenförderungsstiftung«, größte aller österreichischen Heimträger (20 Heime und über 200 Mietwohnungen)
Gründung der EFTA
1960 Rektor 1960/61: Othmar Kuehn (Dekane: KATH Johannes Kosnetter, PHIL Richard Pittioni, IUR Roland Graßberger, MED Heinrich Hayek, EVANG Johann Karl Egli) Der erste Computer für wissenschaftliche Forschung in Österreich, wird im neuerrichteten Neuen Institutsgebäude (NIG) am Institut für Statistik aufgestellt (ein Burroughs 205 Datatron mit 1.600 Elektronenröhren); Aufgrund guter Kontakt von Statistiker Slawtscho Sagoroff – er bemühte sich seit den 1950er Jahren um einen Computer für statistische Anwendungen – finanziert von Herstellerfirma Burroughs und Rockefeller Foundation (genutzt auch vom Institut für theoretische Physik, für Physikalische Chemie, für Mineralogie und für Psychologie) 1961 Rektor 1961/62: Franz Arnold (Dekane: KATH Franz Loidl, PHIL Ferdinand Steinhauser,
14. Dezember 1960: Unterzeichnung Gründungsakte der OECD (Umformung der 1948 gegründeten OEEC) per 1. Jänner 1961, Österreich ist Gründungsmitglied Die Schottentorpassage (»Jonas-Reindl«) vor Universität Wien wird eröffnet
Konstituierende Generalversammlung des
Gipfeltreffen in Wien: Der russische Staatschef Nikita
217
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
IUR Heinrich Demelius, MED Hans Hoff, EVANG Erwin Schneider) Studierende streiken für Unibudgeterhöhung, 2.000 StudentInnen (5 % aller Studierenden) demonstrieren auf der Wiener Ringstraße Institut für Volkskunde an Universität Wien wiederrichtet (1945 aufgelöst, heute: Europäische Ethnologie) II. Philosophisches Institut (PHIL) gegründet Institut für Arbeits- und Sozialrecht (IUR) gegründet Institut für Anästhesiologie (MED) gegründet Institut für Byzantinistik und Neogräzistik an Universität Wien gegründet
Österreichischen Auslandsstudentendienstes
Chruschtschow trifft den USPräsidenten John F. Kennedy
Schulgeldfreiheit an allen öffentlichen Schulen
Max Ferdinand Perutz, geb. 1914 in Wien, im NS emigriert nach Großbritannien, erhält den Nobelpreis für Chemie
Hochschulassistentengesetz 1962 (BGBl. Nr. 216 vom 11. Juli 1962)
Das Zweite Vatikanische Konzil wird eröffnet.
1962 Rektor 1962/63: Roland Graßberger (Dekane: KATH Karl Binder, PHIL Hans Bobek, IUR Willibald Plöchl, MED Adolf Lindner, EVANG Wilhelm Kühnert) Am 7. März 1962 wurde im ausschließlich Lehr- und Forschungszwecken dienenden Atomreaktor des Atominstituts der österreichischen Universitäten (TU Wien) die erste Kettenreaktion ausgelöst; Stadionallee 2; 4.800 m2, Arch.W. Legler, Fritz Purr ; der Forschungsreaktor Type TRIGA Mark II geht in Betrieb und im Herbst 1962 startet der volle Unterrichtsund Forschungsbetrieb Eröffnung des Neuen Institutsgebäudes (NIG) der Universität Wien in der Universitätsstraße 7 für 16 geisteswissenschaftliche Institute Orthopädische Universitätsklinik (MED) gegründet Urologische Universitätsklinik (MED) gegründet
Gründung Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Linz (BGBl. Nr. 189 vom 5. Juli 1962) Gründung Universität Salzburg
218
Herbert Posch
(Fortsetzung) Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
1963 Rektor 1963/64: Albin Lesky (Dekane: KATH Karl Hörmann, PHIL Nikolaus Hofreiter, IUR Johann Schima, MED Josef Böck, EVANG Fritz Zerbst) Institut für Arbeits- und Sozialrecht an Universität Wien errichtet Neurochirurgische Universitätsklinik (MED) gegründet
Erstes StudienbeihilfenGesetz – ein sozialpolitischer Meilenstein: Rechtsanspruch auf finanzielle Unterstützung bei sozialer Bedürftigkeit
Habsburgkrise (heftige Auseinandersetzungen über umstrittene Loyalitätserklärung und Einreise Otto Habsburgs)
1964 Rektor 1964/65: Karl Fellinger (Dekane: KATH Walter Kornfeld, PHIL Walther Kraus, IUR Friedrich Schwind, MED Leopold Breitenecker, EVANG Gottfried Fitzer) Institut für Fundamentaltheologie an Universität Wien errichtet
Theodor Piffl-Percevic (ÖVP), BM für Unterricht (2. April 1964 – 2. Juni 1969)
Regierung Klaus (ÖVP) gebildet (April)
14. Oktober : Feierliche Inauguration der wiedereröffneten Salzburger Universität j Konstituierung des bis heute als Förderverein der Universität Klagenfurt bestehenden Kärntner Universitätsbundes
Erstes Volksbegehren in der Geschichte der Republik Österreich (ORFjösterr. Rundfunk GesmbH) (5.–12. Oktober) Olympische Winterspiele in Innsbruck
Jahr
Universität Wien
Institut für römisches Recht und antike Rechtsgeschichte (IUR) gegründet Institut für österreichische und deutsche Rechtsgeschichte (IUR) gegründet Institut für allgemeine und vergleichende Physiologie (MED) gegründet Eröffnung der neuadaptierten und erweiterten Gebäude »Sensengasse 2, Gerichtsmedizin« Fassadenrenovierung Botanisches Institut, 3., Rennweg 14 1965 Rektor 1965/66: Nikolaus Hofreiter (Dekane: KATH Beda Thum, PHIL Eberhard Clar, IUR Günther Winkler, MED Leopold Breitenecker, EVANG Wilhelm Dantine)
600-Jahr-Feiern der Universität Wien,
Olah-Krise (Kontroversen um Person und Politik des sozialistischen Innenministers Franz Olah enden mit seinem Sturz, Verurteilung und Gründung einer eigenen Partei)
Unterrichtsministerium setzt im Jänner 1965 für die seit Jahren laufenden Pläne der Studienrechtsreform als beratendes ExpertInnengremium den »Rat für Hochschulfragen« ein, der im Februar und April tagt und das AHStG vorbereitet März/April: Affäre um den neonazistischen Professor
10 Jahre Staatsvertrag, 20 Jahre Republik
Wien wird Sitz der OPEC (Organisation of Petroleum
219
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
internationale VertreterInnen von 204 Hochschulen nehmen teil, Großer Fackelzug der ÖH von der alten Jesuitenuniversität zum Hauptgebäude an Ringstraße; Festakte im Großen Musikvereinssaal, im Wiener Rathaus, in der Stadthalle, im Schloß Schönbrunn, im Großen Festsaal der Universität; großer ProfessorInnen-Umzug im Talar über Ringstraße in den Stephansdom zu Dankgottesdienst und Kranzniederlegung am Grab des Dom- und Universitätsgründers, Ehrendoktoratsverleihungen im Burgtheater, Jubiläumsausstellung in Akademie der Bildenden Künste, Festvorstellung Staatsoper, zahlreiche Publikationen Institut für Japanologie an Universität Wien errichtet Institut für Staatswissenschaften an Universität Wien errichtet Beginn der laufenden Erweiterung und Sanierung der Gebäude »Währinger Straße 38 – 42, Boltzmanngasse 3 – 7/ Strudelhofgasse 4«; 26.900 m2, Arch.: Fritz Purr u. a.
Taras Borodajkewycz an der Hochschule für Welthandel (heute WU) wird virulent – ÖH an der Hochschule für Welthandel unterstützt Borodajkewycz, ebenso wie Unterrichtsminister Drimmel. Bei antifaschistischer Demonstration (31. März) erschlägt ein rechtsradikaler Chemiestudent der Wiener Universität, Gunther Kümmel, den kommunistischen Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger (stirbt am 2. April)
Exporting Countries) (24 Juni 1965), die Zentrale befindet sich vis--vis Uni Wien am Dr.-Karl-Lueger-Ring 10
Allgemeines Hochschulstudiengesetz (AHStG) (BGBl. Nr. 177 vom 15. Juli 1966) regelt das Studien- und Prüfungswesen an den wissenschaftlichen Hochschulen und eröffnet ein Jahrzehnt der Universitätsreformdiskussionen, Rechte und Pflichten der Lehrenden und Studierenden werden festgelegt, ebenso die Gestaltung der Studien u. a. Einführung der akademischen »Magister«-Grade unterhalb des Doktorates als erster Studienabschluß
ÖVP-Alleinregierung unter Bundeskanzler Klaus
1966 Rektor 1966/67: Karl Hörmann (Dekane: KATH Josef Pritz, PHIL Siegfried Korninger, IUR Winfried Kralik, MED Franz Seelich, EVANG Karl Lüthi)
220
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Erster Ball der Universität Wien (8. Juni) Institut für Zeitgeschichte an Universität Wien errichtet Institut für Judaistik an Universität Wien errichtet
Österreich Erste Vietnam-Demonstration der sozialistischen MittelschülerInnen und StudentInnen
Baubeginn des Leopold-FiglObservatorium am Mitterschöpfl Institut für Krebsforschung, 9., Borschkegasse 8 (err. 1953, Aufstockung 1959 und 1964, Inkorporierung in Uni Wien 1966), seit 2004 MUW 1967 Rektor 1967/68: Friedrich Schwind (Dekane: KATH Alexander Dordett, PHIL Hans Wieseneder, IUR Wilhelm Weber, MED Joseph Tappeiner, EVANG Wilhelm Kühnert) Institut für Liturgiewissenschaft an Universität Wien errichtet Einführung Matrikelnummer und Umstellung der Inskription und Studierendenverwaltung an Universität Wien auf EDV ab WS 1968/69 (BGBl. Nr. 300 vom 19. Juli 1967, AHStG 1. Durchführungsverordnung) Studentendemonstrationen für Vorrang für Bildung und Forschung (10. und 24. Oktober) 1968 Rektor 1968/69: Walther Kraus (Dekane: KATH Franz Loidl, PHIL Rudolf Hanslik, IUR Walter Selb, MED Felix Mainx, EVANG Fritz Zerbst) Studierendenbewegung in Österreich und Wien im Vergleich zu Paris und Berlin ruhig, aber politischer Aufbruch und Linksentwicklung der Studierenden wird manifest – »InstitutsvertreterInnen« fordern die hier bisher nicht präsente ÖH als studienrichtungsspezifische InteressenvertreterInnen
Personalvertretungsgesetz räumt auch LehrerInnen bedeutendes Mitspracherecht im Schulwesen ein
FLAG: Familienbeihilfe und Fahrtkostenbeihilfe werden eingeführt
Forschungsförderungsgesetz (BGBl. 377 vom 25. Oktober 1967) Einrichtung des FWF und FFG
Projektierung einer »Hochschule für Bildungswissenschaften in Klagenfurt«
Bau der U·Bahn in Wien wird beschlossen
Flüchtlingswelle aus der Tschechoslowakei
221
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien heraus j Teach-in »Kunst und Revolution« im Hörsaal 1 des NIG an der Universität Wien (7. Juni 1968); wird vor allem auf Grund der Medienberichte zum Skandal des Jahres 1968 (»Uniferkelei«). Otto Mühl, Peter Weibel, Oswald Wiener und Franz Kaltenbäck halten simultan Vorträge, zerstückelt von Valie Export, gleichzeitig beginnt Günther Brus mit einer »Körperaktion«: Er fügt sich mit einer Rasierklinge Schnitte zu, beschmiert sich mit Kot, onaniert und singt dazu die Bundeshymne. Währenddessen peitscht Mühl einen Masochisten aus. Vehemente Reaktionen der Öffentlichkeit, auch von studentischer Seite und vom SÖS. Einige TeilnehmerInnen werden verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt Studentendemonstrationen nach Ermordung Rudi Dutschkes in Berlin an Rampe der Uni Wien (12. April) und vor Springer-Filiale in Mariahilfer Straße Tumulte bei der Rektorsinauguration (17. Oktober), führen in Folge zur Abschaffung der feierlichen Inaugurationszeremonie Österreichische Studentenunion löst Wahlblock als hegemoniale konservative Fraktion ab Institut für Theoretische Chemie an Universität Wien errichtet Institut für Politikwissenschaft an Universität Wien errichtet Institut für Statistik ersetzt den Datatron-Elektronenröhren-Rechner durch einen IBM 360/44-TransistorenComputer – er bewältigt auch administrative Aufgaben, wie die Inskription der damals 20.000 Studierenden
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
222
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Alois Mock (ÖVP), BM für Unterricht (2. Juni 1969 – 21. April 1970)
Volksbegehren zur Einführung der 40-StundenArbeitswoche (Mai)
Institut für Finanzrecht an Universität Wien errichtet Eröffnung des Leopold-FiglObservatorium am Mitterschöpfl, 2572 St. Corona/NÖ, Fürtleben 10/ Schöpfl Baubeginn Universitätssportzentrum (USZ I) der Universität Wien, Auf der Schmelz 6; Arch.: Fritz Purr 1969 Rektor 1969/70: Fritz Zerbst (Dekane: KATH Johannes Emminghaus, PHIL Otto Novotny, IUR Erwin Melichar, MED Leopold Schmetterer, EVANG Wilhelm Dantine) Nach den Ereignissen des Vorjahres werden keine feierlichen Inaugurationen der neuen Rektoren mehr durchgeführt (bis 1991) Demonstrationen anlässlich des Aufenthalts des Schah von Persien in Österreich und der Inauguration des neuen USPräsidenten Nixon 1970 Rektor 1970/71: Richard Biebl (Dekane: KATH Rudolf Weiler, PHIL Herbert Hunger, IUR Adolf Nußbaumer, MED Hans Tuppy, EVANG Gottfried Fitzer)
Institut für Meeresbiologie an Universität Wien errichtet
1971 Rektor 1971/72: Alexander Dordett (Dekane: KATH Hubertus Mynarek, PHIL Karl Lintner, IUR Walter Fasching, MED Hans Tuppy, EVANG Karl Lüthi) Die Rechenanlage (IBM 360/ 44) des Instituts für Statistik
Studienförderungsgesetz (BGBl. Nr. 421 vom 22. Oktober 1969), Einführung von Studienbeihilfen und Begabtenstipendien, Studienbeihilfebehörde zur Administration der Stipendien geschaffen Einrichtung der Studienkommissionen (Drittelparität) neue Bundesregierung (Kreisky I) löst die Universitäten und Hochschulen aus dem Unterrichtsministerium und gründet ein eigenes Wissenschaftsministerium (BM für Wissenschaft und Forschung) Hertha Firnberg (SPÖ), BM für Wissenschaft und Forschung (26. Juli 1970 – 24. Mai 1983) Gründung der Hochschule für Bildungswissenschaften in Klagenfurt (BGBl. Nr. 48 vom 21. Jänner 1970)
Bildung einer SPÖMinderheitsregierung unter Bundeskanzler Bruno Kreisky
Bundesgesetz über geistesund naturwissenschaftliche Studienrichtungen (GNStG) (BGBl. Nr. 326 vom 30. Juni 1971)
Oktober : Bildung einer SPÖAlleinregierung unter Bundeskanzler Bruno Kreisky
Einführung der Schülerfreifahrt und
Inbetriebnahme des einmillionsten
Dezember : Entschluss, die UNO-City im Wiener Donaupark zu errichten
223
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
wird ausgegliedert und als interfakultäres Rechenzentrum geführt, das auch von anderen Universitäten, von Behörden und für Administration genutzt wird
Schulfahrtbeihilfe, Abschaffung der Aufnahmeprüfung an Allgemeinbildenden Höheren Schulen
Telefonanschlusses in Österreich
Abschaffung der allgemeinen Studiengebühren (Hochschultaxen), ausländische Studierende zahlen weiter (BGBl. Nr. 76 vom 15. Februar 1972) Benützung der Universitätsbibliotheken mit Ausnahme der Fernleihe kostenlos
Einführung der Mehrwertsteuer in Österreich
1972 Rektor 1972/73: Günther Winkler (Dekane: KATH Raphael Schulte, PHIL Ernest Troger, IUR Werner Ogris, MED Hugo Husslein, EVANG Georg Sauer) Planungs-/Baubeginn »Juridicum« (Schottenbastei 10 – 16) für die Juridische Fakultät der Universität Wien; Arch.: Ernst Hiesmayr Eröffnung Verfügungsgebäude (9., Währingerstraße 17) Objekt wurde 1967 übernommen, 1968 wird Hintertrakt (»Kavalierstrakt«, Biochemie) umgebaut, Vorder- und Seitentrakte werden 1970 abgerissen, 1972 Neubau fertiggestellt, 3.900 m2
1973 Rektor 1973/74: Siegfried Korninger (Dekane: KATH Karl Hörmann, PHIL Werner Welzig, IUR Erich Streißler, MED Hugo Husslein, EVANG Alfred Raddatz) Eröffnung Universitätssportzentrum der Universität Wien, 15., Auf der Schmelz 6a Baubeginn Gebäude 9., Borschkegasse 8a; Arch. S. Stein, Lucia Aichinger, Immunologie und Krebsforschung
Anlaufen der »Schulbuchaktion« (Gratisschulbuchsystem)
Neues ÖH-Gesetz (HSG): vollständiges Selbstverwaltungsrecht (BGBl. Nr. 309 vom 20. Juni 1973)
Die beiden österreichischen Verhaltensforscher Karl von Frisch und Konrad Lorenz erhalten den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.
Erste Volksbefragung in Wien über den Bau eines neuen Zoologischen Instituts auf dem Gelände der Universitätssternwarte. Eine Mehrheit spricht sich gegen den Bau aus (21. –26. Mai 1973)
Hans Kelsen stirbt in Berkeley (Schöpfer der österreichischen Bundesverfassung)
Einführung der »Fristenlösung«, Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruches, wichtige Forderung der Frauenbewegung Schriftstellerin Ingeborg Bachmann stirbt in Rom
224
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich Erdölkrise: Internationale Energiekrise beginnt sich auf die Wirtschaftsentwicklung auszuwirken
1974 Rektor 1974/75: Siegfried Korninger (Dekane: KATH Jacob Kremer, PHIL Kurt L. Komarek, IUR Herbert Hausmaninger, MED Franz Seitelberger, EVANG Christoph Link) Institut für Pharmakologie und Toxikologie an Universität Wien errichtet
Einrichtung einer Arbeitsgruppe zur Vorbereitung eines auf österreichische Verhältnisse abgestimmten Fernstudienkonzeptes durch Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg
Der »autofreie Tag« wird eingeführt – eine Benzinsparmaßnahme
Universitätsorganisationsgesetz (UOG ’75): Einbeziehung
Simon Wiesenthal, Leiter des jüdischen
Der Ankauf und die Wartung leistungsfähiger Rechenanlagen sind kostenintensiv, die Rechenanlagen der TU Wien und der Universität Wien werden zum Interuniversitären EDVZentrum (IEZ) vereint. Mangels ausreichender DatenFernverarbeitung wird trotzdem je Universität eine eigene Rechenanlage installiert – ein CDC Cyber 73 Rechner löste die alte IBM 360/ 44 Anlage ab (5jähriger Mietvertrag, danach 1980 auf eine CDC Cyber 170 – 720 aufgerüstet). Im Straßenbahntunnel unter der Zweierlinie, in dem heute die U2 verkehrt, wird eine erste Datenleitung verlegt, die die beiden Rechenanlagen verbindet. Forschungsinstitut für Versuchstierzucht (2003: Institut für Labortierkunde und -genetik), Himberg/NÖ, Brauhausgasse 34; 1965 Geschenk v. Kitty WünschekDreher für ein Institut für Forschungszwecke der Medizinischen Fakultät; Institutsgebäude, Kesselhaus und Wohnhaus, Arch.: Norbert Schlesinger, Bauzeit: 1968 – 1974, seit 2004 MUW 1975 Rektor 1975/76 – 1976/77: Franz Seitelberger (Dekane
Bundespräsident Franz Jonas stirbt in Wien, Rudolf Kirchschläger wird sein Nachfolger Friedrich August von Hayek erhält den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften
225
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
alte Fakultäten 1975/76: KATH Walther Kornfeld, PHIL Giselher Guttmann, IUR Wilfried Platzgummer, MED Otto Kraupp, EVANG Fritz Zerbst) Universität Wien wird von fünf auf acht Fakultäten aufgeteilt (Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät wird Rechtswissenschaftliche und Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, aus Philosophischer Fakultät wird Grund- und Integrativwissenschaftliche, Geisteswissenschaftliche und Formal- und Naturwissenschaftliche Fakultät), KATH, EVANG und MED bleiben weitgehend unverändert. Partnerschaftsvertrag Universität Wien mit EötvösLorand-Universität Budapest
von Mittelbau und Studierenden in kollegiale Entscheidungsorgane; Ausweitung der staatlichen Steuerung, Bezeichnung aller wissenschaftlichen Hochschulen als Universitäten; Funktionsdauer Rektor und Dekane auf zwei Jahre verdoppelt, kleinste organisatorische Einheit ist das Institut. Organisation der Universitäten in Fakultäten, die alten Philosophischen Fakultäten werden aufgeteilt; zentrale Verwaltung und besondere Universitätseinrichtungen. Demokratisierung der Universitäten, neben den ProfessorInnen gibt es – in vielen Belangen drittelparitätisch – nun auch Mittelbau (AssistentInnen u. DozentInnen) und Studierende, die mitbestimmen, auch das Allgemeine Verwaltungspersonal ist vertreten. (BGBl. Nr. 258 vom 11. April 1975)
Dokumentationsarchivs, veröffentlicht die SSMitgliedschaft des FPÖBundesparteiobmanns Friedrich Peter in einer Einheit, die zahllose Kriegsverbrechen begangen habe, wobei eine persönliche Täterschaft Peters nicht nachgewiesen werden konnte. Bundeskanzler Bruno Kreisky stellt sich massiv vor Peter und gegen Wiesenthal, woraus eine lange und harte Kontroverse entsteht
Errichtung Gebäude der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien am Schottenring 21 (Palais Sturany, err. 1874 – 1880, Arch. Fellner & Helmer); rd. 2.800 m2, Arch.: Bundesgebäudeverw. I Wien) Erweiterung Gebäude »Währinger Straße 13a«; 4.800 m2, Arch.: Bundesgebäudeverw. I Wien
Beschlussfassung des ersten Teils der Familienrechtsreform – Frauen werden Männern gegenüber vor dem Gesetz gleichberechtigt Die »Fristenregelung« tritt im Zuge der großen Strafrechtsreform in Kraft
Einführung der 40-StundenArbeitswoche Terroranschlag auf den Sitz der OPEC in Wien (gegenüber Universität Wien)
1976 Dekane neue Fakultäten 1976/ 77: KATH Walther Kornfeld, GEWI Richard G. Plaschka, GRUWI Giselher Guttmann, NAWI Edmund Hlawka, SOWI Wilhelm Weber, IUR Wilfried Platzgummer, MED Otto Kraupp, EVANG Wilhelm Dantine Baubeginn Biozentrum (UZA I), Althanstraße 14; 15.000 m2,
Beschlussfassung des »Volksgruppengesetzes«
»Arena«-Besetzung des ehemaligen
226
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Arch.: Kurt Hlaweniczka, Karl Schwanzer, Gerhard Krampf
1977 Rektor 1977/78 – 1978/79: Kurt L. Komarek (Dekane: KATH Josef Müller, GEWI Günther Wytrzens, GRUWI Herbert Zdarzil, NAWI Karl Schlögl, SOWI Peter Gerlich, IUR Theodor Tomandl, MED Otto Kraupp, EVANG Wilhelm Dantine)
Partnerschaftsvertrag Universität Wien mit Universität Warschau Baubeginn Erweiterung und Generalsanierung 3., Rennweg 14 (Botanik); 5.800 m2, Arch.: Kurt Zöhrer
1978 Institut für Afrikawissenschaften an Universität Wien errichtet (seit 1923 Teil der Orientalistik) Partnerschaftsvertrag Universität Wien mit Universität Triest
1979 Rektor 1979/80 – 1980/81: Winfried Platzgummer (Dekane: KATH Gisbert Greshake, GEWI Hans
Österreich Auslandsschlachthofs St. Marx unter studentischer Beteiligung, große Solidarisierungswelle, KünstlerInnen aus aller Welt treten auf, trotzdem schleift Gemeinde Wien die »Arena« (nur ein kleiner Teil bleibt erhalten, bis heute ein wichtiger kultureller Knotenpunkt) Olympische Spiele in Innsbruck Die Wiener Reichsbrücke stürzt ein
Die österreichische Rektorenkonferenz erklärt, man solle den Bildungsschwerpunkt der Universität Klagenfurt für die anderen österreichischen Universitäten nutzbar machen (insbes. Fachdidaktik und Unterrichtstechnologie, Lehrerfortbildungsmodelle). (Memorandum 1. Februar 1977) Errichtung eines »Österreichlehrstuhles« an der Universität Minnesota und eines »Österreichstuhles« in Stanford
Politische Bildung wird zum Unterrichtsprinzip erhoben (Grundsatzerlass des Unterrichtsministeriums); damit entsteht ein Bedarf an LehrerInnenfortbildung quer über die Fächergrenzen Errichtung des Interuniversitären Forschungsinstitutes für Unterrichtstechnologie, Mediendidaktik und Ingenieurpädagogik an Universität für Bildungswissenschaften Klagenfurt (1988 aufgelöst)
Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Zwentendorf: Ablehnung mit 50,47 %, Gesetz gegen die Nutzung der Kernenergie
Gründung des iff als »Interuniversitäres Forschungsinstitut für Fernstudien« der
Die SPÖ unter Bruno Kreisky gewinnt zum dritten Mal die absolute Mehrheit
Eröffnung des ersten Teilstücks der Wiener U-Bahn (U1 zwischen Reumannplatz und Karlsplatz, 25. Februar 1978)
227
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Schwabl, GRUWI Ludwig Prokop, NAWI Karl Lintner, SOWI Wilhelm Weber, IUR Rudolf Hoke, MED Wilhelm Auerswald, EVANG Karl Lüthi)
Universitäten Wien, Graz, Innsbruck und Salzburg, der Technischen Universität Wien, der Wirtschaftsuniversität Wien, der Universität Linz und der Universität für Bildungswissenschaften Klagenfurt (Gründungserlass, 27. April 1979) j Leitung: Philosoph Peter Heintel
Adaptierung von Teilen der Alten Universität, 1., Postgasse 7 – 9; 3.100 m2, Arch.: Alois Machatschek, Gerhard Molzbichler – Archiv der Universität Wien übersiedelt aus Hauptgebäude am Ring dorthin (Postgasse 9), in die Räume der alten Universitätsbibliothek (bis 1884), Eröffnung 1980 Institut für Byzantinistik der Universität Wien übersiedelt aus Hauptgebäude am Ring in die alte Jesuitenuniversität (Postgasse 7) Die ersten Mikrocomputer (Micro-Systems 8001 mit zwei 8-Zoll-Diskettenlaufwerken) werden in den BenutzerInnenräumen des EDV-Zentrums installiert. Auf ihnen ist zur Datenerfassung das Textverarbeitungsprogramm WordStar verfügbar, die sehr intensiv genutzt Eröffnung Erweiterungsbau 9., Borschkegasse 8a, Institut für Immunologie und Krebsforschung
1980 Institut für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft an Universität Wien errichtet Informationsaktion »Die Universität geht in die Außenbezirke« Eröffnung 1., Postgasse 7 – 9, Universitätsarchiv, Inst. f. Byzantinistik (Adaptierung von Teilen der Alten Universität)
Österreich
Erste gesamtösterreichische Informationswoche der Universitäten und Hochschulen, Tag der offenen Tür
Eröffnung der Wiener UNOCity (23. August 1979): Wien wird dritter UNO-Sitz
Ministervereinbarung über die Zusammenarbeit der deutschen Fern-Universität Hagen und des iff
Wiederwahl von Rudolf Kirchschläger zum Bundespräsidenten Flüchtlingswelle nach Verhängung des »Kriegsrechtes« aus Polen
228
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich Freizeitzentrum und Hochwasserschutzschutz Donauinsel eröffnet nach zehnjähriger Bauzeit. (30. Mai)
1981 Rektor 1981/82 – 1982/83: Richard G. Plaschka (Dekane: KATH Josef Lenzenweger, GEWI Herwig Wolfram, GRUWI Johann Mader, NAWI Karl Burian, SOWI Wilhelm Weber, IUR Rudolf Welser, MED Wilhelm Holczabek, EVANG Albert Stein) 1982 Eröffnung Biozentrum (UZA I), 9., Althanstraße 14 Frauenanteil unter den Studierenden der Universität Wien erreicht erstmals 50 %Marke Eröffnung der Erweiterung Gebäude Währinger Straße 13a
Informationsaktion »Die Wiener Hochschulen kommen nach Niederösterreich«
1983 Rektor 1983/84 – 1984/85: Hans Tuppy (Dekane: KATH Ernst Christoph Suttner, GEWI Gerhard Oberhammer, GRUWI Johann Mader, NAWI Ferdinand Stangler, SOWI Gerhart Bruckmann, IUR Karl Wenger, MED Wilhelm Holczabek/Otto Kraupp, EVANG Albert Stein/HansChristoph Schmidt-Lauber) Beginn Adaptierung Hauptgebäude, Universitätsring 1; 39.000 m2, Arch.: Gerhard Krampf, Ertan Ilicali, Martin Schwanzer Adaptierung des ehemaligen WU-Hauptgebäude für die Universität Wien, 19., FranzKlein-Gasse 1/ Gymnasiumstraße 50; 13.000 m2, Arch.: Kurt Hlaweniczka
Heinz Fischer (SPÖ), BM für Wissenschaft und Forschung (24. Mai 1983 – 21. Jänner 1987)
Rücktritt Bruno Kreiskys; »Kleine Koalition« (SPÖ/FPÖ) unter Bundeskanzler Fred Sinowatz
KunsthochschulStudiengesetz
Kulturzentrum Gassergasse in Wien 5., wird polizeilich geräumt (von Gemeinde Wien 1980/81 nach einem kurzen Aufflackern von Jugendunruhen alternativen Gruppen zur Verfügung gestellt (Nachwirkungen bis in die 1990er Jahre).
Erste Konferenz der »DonauUniversitäten« in Wien
Papst Johannes Paul II. spricht in Wien am Heldenplatz im Rahmen des Katholikentages (10. September 1983)
1984 Institut für Religionspädagogik an Universität Wien errichtet Fertigstellung »Juridicum« (1., Schottenbastei 10 – 16) 1985 Rektor 1985/86 – 1986/87: Wilhelm Holczabek (Dekane: KATH Wolfgang Lnger, GEWI Gerhard Oberhammer,
Besetzung der Stopfenreuther Au bei Hainburg durch UmweltaktivistInnen gegen den Bau eines Kraftwerks an der Donau Studienberechtigungsgesetz: Einführung »studienrichtungsbezogener
Einführung des Unterrichtsgegenstandes »Informatik« an allen
229
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
GRUWI Rudolf Wernhart, NAWI Othmar Preining, SOWI Leopold Schmetterer, IUR Theo Öhlinger, MED Otto Kraupp/Arnulf Fritsch, EVANG Hans-Christoph Schmidt-Lauber/Georg Sauer) 600-Jahrfeier der KatholischTheologischen Fakultät der Universität Wien
Studienberechtigungen« für NichtmaturantInnen
allgemeinbildenden höheren Schulen
Österreichische Universitäten erhalten erstmals Zugriff auf internationale Datennetze (EARN – European Academic Research Network) und Usenet
Das Hundertwasserhaus in Wien wird eröffnet
Die Konsolidierung des Bundesbudgets wird zu einer politischen Priorität erklärt – Konflikte über die Hochschulfinanzierung nehmen an Schärfe zu Sigurd Höllinger wird Sektionschef für die Universitäten
»Waldheim-Debatte«: im Bundespräsidentschaftswahlkampf führen Fragen über die NS-Vergangenheit des ÖVPKandidaten Ex-UNOGeneralsekretärs Kurt Waldheim zu grundsätzlichen Diskussionen, Anfang der Abkehr vom Mythos »Österreich als Erstes Opfer Hitlers« – Kurt Waldheim wird trotzdem/deswegen zum Bundespräsidenten gewählt
100-Jahrfeier des Hauptgebäudes der Universität Wien Partnerschaftsvertrag Universität Wien mit Humboldt-Universität Berlin/ DDR Partnerschaftsabkommen Universität Wien mit dem Institute of European Studies Chicago/USA Beginn der Übersiedelung einiger Institute der Universität Wien in das ehemalige WelthandelGebäude am Währinger Park Institut für Klassische Archäologie an Universität Wien errichtet (getrennt vom 1868 gegr. Inst. für Alte Geschichte), Eröffnung Archäologie-Zentrum Dolmetschinstitut (FranzKlein-Gasse 1) eröffnet 1986 Department für Mikrobiologie, Immunbiologie und Genetik an Universität Wien errichtet
Neue Großrechenanlage IBM 3083 (Plattenplatz: 12,7 GB) für datenintensive Berechnungen, das Interuniversitäre Rechenzentrum wird aufgegeben. Eigenständiges EDV-Zentrum der Universität
230
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Hans Tuppy (ÖVP), BM für Wissenschaft und Forschung (21. Jänner 1987 – 24. April 1989)
Bundespräsident Waldheim von USA auf »watchlist« gesetzt (Einreiseverbot)
Reform der Oberstufe der Allgemeinbildenden Höheren Schulen, Einführung des »Unterrichtspraktikums« statt des bisherigen »Probejahres« für angehende LehrerInnen
»Große Koalition« (SPÖ/ ÖVP) unter Bundeskanzler Franz Vranitzky Streichungen und Einschränkungen sozialer Transferleistungen
Drittmittel sind keine Bundeseinnahmen mehr, gehören den Universitätsinstituten
Gedenkjahr 1938/1988 – 50 Jahre »Anschluss«
Wien wird etabliert, erste große Datenbanken werden aufgebaut. Beginn Generalsanierung Universitätskirche, 1., Dr.Ignaz-Seipel-Platz (err. 1624 – 1631, wurde im fr. 18. Jh. barockisiert v. Andrea Pozzo; Generalsanierung Arch.: Friedmund Hueber) 1987 Rektor 1987/88 – 1988/89: Wilhelm Holczabek (Dekane: KATH Bruno Primetzhofer, GEWI Alfred Ebenbauer, GRUWI Rudolf Wernhart/ Johann Mader, NAWI Wolfgang Kubelka, SOWI Leopold Schmetterer, IUR Wilhelm Brauneder, MED Arnulf Fritsch/Otto Kraupp, EVANG Georg Sauer/Alfred Raddatz) Institut für Wissenschaftsforschung an Universität Wien errichtet Einführung des EDVunterstützten Bibliothekverwaltungssystems BIBOS – das EDV-Zentrum übernimmt den Betrieb des Systems für alle wissenschaftlichen Bibliotheken Österreichs (Erweiterung des IBM Rechners) Partnerschaftsvertrag Universität Wien mit der Karls-Universität in Prag/ CSSR 1988 WS 1987/88 Seminar und SS 1988 Ringvorlesung zu »Universität Wien im Nationalsozialismus« (Gernot Heiß, Edith Saurer, Siegfried Mattl, Karl Stuhlpfarrer) als Beitrag zum Gedenkjahr 1938/ 1988, 1989 Publikation »Willfährige Wissenschaft. Universität Wien 1938 – 1945« Department für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie an Universität Wien errichtet, Gründung des Research Institute of Molecular
Internationale Historikerkommission stellt in ihrem Bericht fest, dass Kurt Waldheim – entgegen seinen Behauptungen – von Kriegsverbrechen am Balkan
231
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
gewusst haben müsse, eine Beteiligung ist nicht nachweisbar
Pathology (IMP), der Nukleus des seit damals entwickelten Campus Vienna Biocenter (CVBC) in Wien Neu-Marx Partnerschaftsvertrag Universität Wien mit Wirtschafts-Universität Partnerschaftsvertrag Universität Wien mit Semmelweis-Universität Budapest/Ungarn Partnerschaftsvertrag Universität Wien mit University of California/USA Partnerschaftsvertrag Universität Wien mit der Georgetown University/USA AKH-Schenkungsvertrag Stadt Wien (Bürgermeister Zilk) an Universität Wien (Rektor Wilhelm Holczabek) betreffend Altes Allgemeines Krankenhaus zur Errichtung eines Campus für geisteswissenschaftliche und einige medizinische Studienrichtungen (7. Dezember 1988) Abschluss der Adaptierung ehemaliges WUHauptgebäude, 19., FranzKlein-Gasse 1 / Gymnasiumstraße 50: Archäologie-Zentrum (Klassische Archäologie; Numismatik und Geldgeschichte; Ur- und Frühgeschichte), interdisziplinäres Forschungsinstitut für Archäologie, Österreichisches Archäologisches Institut), Institut für Übersetzen und Dolmetschen (heute: Translationswissenschaft) 1989 Rektor 1989/90 – 1990/91: Rudolf Wernhart (DekanInnen: KATH Johann Reikerstorfer, GEWI Alfred Ebenbauer/Jochem Schindler, GRUWI Wolfgang Greisenegger, NAWI Wolfgang Kubelka, SOWI Gerhard Orosel, IUR Ingeborg Gampl, MED Otto Kraupp, EVANG
Österreich
Papst Johannes Paul II. besucht KZ-Gedenkstätte Mauthausen (24. Juni) Uraufführung des Theaterstücks »Heldenplatz« von Thomas Bernhard am Burgtheater (4. November)
Erhard Busek (ÖVP), BM für Wissenschaft und Forschung (24. April 1989 – 29. November 1994)
Nach dem Fall des »Eisernen Vorhangs« durchschneiden die Außenminister Gyula Horn und Alois Mock bei Klingenbach-Sopron den Stacheldraht zwischen Ungarn und Österreich
232
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien Alfred Raddatz/Kurt Niederwimmer) Die Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät beantragt im Akademischen Senat die Errichtung eines »Mahnmals für vertriebene WissenschafterInnen«, die damit befasste Senatskommission stößt dabei auf das zentrale Denkmal in der Aula des Hauptgebäudes, das inhaltlich dem Anliegen entgegengesetzt ist: »Heldendenkmal Siegfriedskopf«, die Recherchen führen zum Beschluss 1990, das Siegfriedskopf-Denkmal aus der Aula zu entfernen, was zu heftigen politischen Auseinandersetzungen führt European Academic Supercomputer Initiative von IBM, Hochleistungsrechner IBM 3090 – 400VF installiert, zehnfache Leistungssteigerung und Eintritt in das Supercomputing-Zeitalter. Die ersten Institute werden mit flächendeckender LANVerkabelung ausgestattet und an das Datennetz der Universität angeschlossen. Viele weitere Gebäude der über 100 Standorte der Universität Wien folgen in den nächsten Jahren Baubeginn Adaptierung 18., Schopenhauerstraße 32 (Publizistik); 1.800 m2, Arch.: Werner Obermann Baubeginn Adaptierung Gebäude 1., Hohenstaufengasse 9; 1.800 m2, Arch.: Friedrich Poindl Baubeginn Campus Vienna Biocenter, 3., Dr.-Bohr-Gasse 9; 10.000 m2, Arch.: Ernst M. Kopper, Martin R. Köhler
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Die Außenminister Jiri Dienstbier und Alois Mock durchschneiden den Stacheldraht zwischen der Tschechoslowakei und Österreich
Österreich beantragt den Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften (17. Juli)
233
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
1990 Antrag Gernot Heiß (Inst. f. Geschichte) auf Errichtung eines Denkmals in Erinnerung an die Ermordung Moritz Schlicks 1936 (realisiert Sommer 1992) Beschluss des akademischen Senats, den Siegfriedskopf aus der Aula zu entfernen und erklärende Inschriften anzubringen (realisiert 2006) 625 Jahr-Feier der Universität Wien mit BM Busek und BP Waldheim (u. a. mit »Kopfprojekten« und »Vertriebene Intelligenz« (7. Mai 1990) Partnerschaftsvertrag Universität Wien mit der Comenius-Universität in Bratislava/CSR EDV-Zentrum: Der IBMRechner an der Universität Wien wird zum ersten Internetknoten in Österreich. Über eine 64 kb/secDatenleitung, wieder von der European Super Computer Initiative finanziert, ist er mit CERN (Organisation für Kernforschung) in Genf verbunden. Von dort führt Glasfaserverbindung in die USA Konrad-LorenzForschungsstelle für Ethologie, Department für Verhaltensbiologie, 4645 Grünau im Almtal, Auingerhof 11 (1973 ermöglicht die Herzog-von-CumberlandStiftung Arbeitsmöglichkeiten für Konrad Lorenz, ein Institut der Österreichischen Akad.d.Wiss., seit 1990 steht die Konrad-LorenzForschungsstelle für Ethologie unter der Patronanz der Universität Wien) Abschluss Umbau Hauptgebäude, Universitätsring 1 Baubeginn Betriebswirtschaftliches Zentrum (BWZ), 21., Brünner
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
TechStG 1990: Neuregelung der technischen Studienrichtungen
Bruno Kreisky stirbt in Wien
234
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Zugangseinschränkung: »allgemeine und besondere Hochschulreife«
Thomas Klestil wird Bundespräsident
Straße 72; 10.800 m2, Arch.: G. Molzbichler Baubeginn Erweiterung Universitätssportheim in Dienten am Hochkönig; rd. 1.600 m2, Arch.: Christoph Herzog Baubeginn Geo- und Pharmazentrum (UZA II), Althanstraße 14; 35.000 m2, Arch.: Kurt Hlaweniczka, Franz Requat, Martin Schwanzer, Ertan Ilicali
1991 Rektor 1991/92 – 1992/93: Alfred Ebenbauer (Dekane: KATH Paul Michael Zulehner, GEWI Jochem Schindler/ Herwig Friesinger, GRUWI Wolfgang Greisenegger, NAWI Wilhelm Fleischhacker, SOWI Alexander van der Bellen, IUR Walter Schrammel, MED Otto Kraupp/Helmut Gruber, EVANG Kurt Niederwimmer/ Hans-Christoph SchmidtLauber) erste feierliche Inauguration seit 1968 (6. November) Der erste Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen an Universität Wien eingerichtet Partnerschaftsvertrag Universität Wien mit der Masaryk-Universität in Brno/ CSR
Bundeskanzler Franz Vranitzky reagiert im Nationalrat auf die positive Einschätzung des Kärntner Landeshauptmanns FPÖVorsitzenden Jörg Haider der »ordentlichen Beschäftigungspolitik« im NS mit ausführlicher Reflexion über Österreichs Rolle im veränderten Europa vor dem Hintergrund der Geschichte (8. Juli 1991): »… Wir bekennen uns zu allen Taten unserer Geschichte und zu den Taten aller Teile unseres Volkes, zu den guten wie zu den bösen. Und so wie wir die guten für uns in Anspruch nehmen, haben wir uns für die bösen zu entschuldigen, bei den Überlebenden und bei den Nachkommen der Toten. Im Ötztal wird die mumifizierte Leiche eines vor etwa 5.300 Jahren verstorbenen Mannes »Ötzi« entdeckt
235
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich Franz Viehböck ist der erste Österreicher im All
Betriebswirtschaftszentrum (BWZ) in Wien 21., Brünner Straße 72 eröffnet Eröffnung Gebäude 18., Schopenhauerstraße 32; Einzug Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft (aus NIG) Baubeginn Erweiterung und Generalsanierung 3., Rennweg 14 (Botanik); 5.800 m2, Arch.: Kurt Zöhrer
1992 Denkmal in Erinnerung an die Ermordung Moritz Schlicks 1936 am »Tatort Philosophenstiege« errichtet (Sommer 1992) Institut für Wirtschaftssoziologie an Universität Wien errichtet Partnerschaftsvertrag Universität Wien mit der Universität Bologna/Italien Übersiedlung von 5 Departments ins neubegründete Campus Vienna Biocenter, 3. BohrGasse 9 (erste Ausbauphase); public-private-partnership Projekt mit Akademie d. Wiss. und Wirtschaft (BoehringerIngelheim) über mehrere GmbH-Konstruktionen; 10.000 m2, Arch.: Ernst M. Kopper, Martin R. Köhler Eröffnung eines adaptierten Gründerzeithauses 1., Hohenstaufengasse 9, Inst. f. Wirtschaftswissenschaften (später auch Institut für Staatswissenschaft und vergleichende Gesellschaftswissenschaft)
Neugründung des iff als »Interuniversitäres Institut für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung« der Universitäten Klagenfurt, Innsbruck und Wien (Erlass des Wissenschaftsministeriums)
1993 Rektor 1993/94 – 1994/95: Alfred Ebenbauer (Dekane: KATH Johann Reikerstorfer, GEWI Herwig Friesinger, GRUWI Wolfgang Greisenegger/Johann Mader, NAWI Wilhelm Fleischhacker, SOWI Peter Gerlich, IUR Peter E. Pieler, MED Helmut Gruber, EVANG Hans-Christoph Schmidt-Lauber/Falk Wagner)
Bundesgesetz über die Organisation der Universitäten (UOG ’93): Die staatliche Hochschulpolitik zieht sich aus der Detailsteuerung zurück und stärkt die Position des monokratischen Rektorats, »Teilautonomie«. Jede Universität entscheidet selbst über den Zeitpunkt der
»Lichtermeer«: 250.000 Menschen folgten dem Aufruf von SOS-Mitmensch und demonstrierten mit Kerzen in den Händen gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus und gegen das FPÖ-Volksbegehren »Österreich zuerst« (23. Jänner)
236
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Institut für Ethik und Recht in der Medizin an Universität Wien errichtet
Partnerschaftsvertrag Universität Wien mit der Universität in Kyoto/Japan Wiener Interuniversitäre Koordinationsstelle für Frauenforschung gegründet Partnerschaftsvertrag Universität Wien mit der Hebrew University/Israel Baubeginn USZ II, Auf der Schmelz 6a; 4.700 m2, Arch.: Harry Glück
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich Implementierung (wirksam ab 2000) Bundesgesetz über Fachhochschul-Studiengänge (FHStG): Einrichtung kürzerer Studien mit berufspraktischer Orientierung (auf Druck der Industrie) Bildungswissenschaftliche Universität in Klagenfurt wird Universität Klagenfurt (Fakultät für Kulturwissenschaften und Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und Informatik eingerichtet
1994 Gründung des Clubs der Universität Wien (Jänner, informelle Schnittstelle zwischen Universität und Gesellschaft, inkl. AbsolventInnenbetreuung; Kontakte zu anderen Forschungseinrichtungen, zu Gesellschaft, Politik und Wirtschaft) Interfakultäre u. interdisziplinäre Initiative Gender Kolleg gegründet Institut für Paläontologie/ Archäozoologie an Universität Wien errichtet Übersiedlung der Universitätskliniken ins Neue AKH und Absiedlung aus dem alten AKH, das schrittweise umgebaut wird Eröffnung Betriebswirtschaftliches Zentrum (BWZ), 21., Brünner Straße 72 Eröffnung Erweiterung Universitätssportheim in Dienten am Hochkönig Eröffnung USZ II, Auf der Schmelz 6a
Rudolf Scholten (SPÖ), BM für Wissenschaft, Forschung und Kunst bzw. ab 1996 BM für Wissenschaft, Verkehr und Kunst (29. November 1994 – 28. Jänner 1997)
1995 Rektor 1995/96 – 1996/97: Alfred Ebenbauer (Dekane: KATH Johann Figl, GEWI
Infolge EU-Beitritts zunehmende akademische Mobilität, vornehmlich
Österreich
Beginn der EUBeitrittsverhandlungen mit Österreich (1. Februar)
Bundeskanzler Franz Vranitzky hält an der Hebräischen Universität Jerusalem eine Rede und bittet die Opfer der österreichischen Täter im Namen der Republik um Verzeihung (9. Juni)
Abschluss der EUBeitrittsverhandlungen mit Österreich in Brüssel (30. März), Nationalrat nimmt Bundesverfassungsgesetz über den EU-Beitritt an (5. Mai), bei Volksabstimmung über EU-Beitritt 66,6 % Zustimmung (12. Juni)
Bundespräsident Thomas Klestil hält als erster österr. Präsident eine Rede vor der Knesset, in der er von einem »schweren Erbe der Geschichte, zu dem auch wir Österreicher uns bekennen müssen« spricht
EU-Beitritt Österreichs (gleichzeitig auch Finnland
237
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Herwig Friesinger/Franz Römer, GRUWI Norbert Bachl, NAWI Wilhelm Fleischhacker, SOWI Peter Gerlich, IUR Peter E. Pieler, MED Helmut Gruber/ Wolfgang Schütz, EVANG Falk Wagner/Gustav Reingrabner) Universitätszentrum Althanstraße 14 (UZA II) (Geo- und Pharmazentrum); 35.000 m2, Arch.: Kurt Hlaweniczka, Franz Requat, Martin Schwanzer, Ertan Ilicali in Erweiterung des UZA I Partnerschaftsvertrag Universität Wien mit der New York City University/USA Partnerschaftsvertrag Universität Wien mit der Universität Chiles Universität Wien und das EDV-Zentrum präsentieren sich im WWW. Neben Personaldatenbank, Verzeichnis der Institute und Bibliotheksdatenbank ist auch das Vorlesungsverzeichnis online abrufbar. Partnerschaftsvertrag Universität Wien mit der Sidney University/Australien Partnerschaftsvertrag Universität Wien mit der Melbourne University/ Australien Bundesdenkmal spricht sich gegen Verlegung Siegfriedskopf aus, Rektorat fordert zumindest historisch kontextualisierende Tafeln Baubeginn Umbau Altes AKH, Spitalgasse 2; 27.300 m2, Arch.: Hugo Potyka, Friedrich Kurrent, Johannes Zeininger, E. M. Kopper
innerhalb der Europäischen Union
und Schweden) tritt in Kraft (1. Jänner)
1996 Baubeginn Erweiterung 9., Kinderspitalgasse 15 (Hygieneinstitut); rd. 1.200 m2, Arch.: Achammer-Tritthart & Partner
Erster Frauenförderungsplan für das Wissenschaftsressort wird erlassen
Erstmals direkte Wahl der österreichischen Abgeordneten zum Europäischen Parlament
238
Herbert Posch
(Fortsetzung) Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
1997 Rektor 1997/98 – 1998/99: Alfred Ebenbauer/Wolfgang Greisenegger (Dekane: KATH Johann Figl, GEWI Franz Römer, GRUWI Norbert Bachl, NAWI Wilhelm Fleischhacker, SOWI Peter Gerlich, IUR Peter E. Pieler, MED Wolfgang Schütz, EVANG Gustav Reingrabner/ Gottfried Adam) Baubeginn Adaptierung Hirnforschungszentrum, Spitalgasse 4; rd. 5.700 m2, Arch.: E. M. Kopper Eröffnung Erweiterung 9., Kinderspitalgasse 15
Caspar Einem (SPÖ), BM für Wissenschaft und Verkehr und Kunst, ab 1997 BM für Wissenschaft und Verkehr (28. Jänner 1997 – 4. Februar2000)
Große Koalition (SPÖ/ÖVP) unter Bundeskanzler Viktor Klima
1998 Eröffnung (16. Oktober) Campus der Universität Wien im Alten AKH, Wien 9., Spitalgasse 2 – 4/Alserstraße 4; für die Geisteswissenschaftliche Fakultät und Übersiedelung der Institute, Benennung der »Tore der Erinnerung« am Campus
Künstlerische Studien werden ins UniStG integriert
Jahr
Universität Wien
Gründung von Intercell als spin-off der Universität Wien und IMP am Campus Vienna Biocenter (CVBC) in Wien Neu-Marx Abschluss Generalsanierung Universitätskirche, 1., Dr.Ignaz-Seipel-Platz, Arch.: Friedmund Hueber 1999 Rektor 1999/00 – 2002/03: Georg Winckler (Dekane: KATH Johann Figl/ab 00/01 Paul Michael Zulehner, GEWI Franz Römer, HUS Wolfgang Greisenegger, WiWiInf Günther Haring, NaWiMath, IUR Walter Rechberger, MED Wolfgang Schütz, EVANG Gottfried Adam) Institut für Pflegewissenschaft an Universität Wien errichtet
Bundesgesetz über die Studien an Universitäten (UniStG): Deregulierung des Studienrechts, Fusionierung der 11 Studiengesetze zu einem einheitlichen
HSG 1998: Mandate der ÖHOrgane werden reduziert
Österreich unterzeichnet die Bologna-Deklaration, deren Ziel die Stufung und Harmonisierung der europäischen Studienarchitektur ist (Umstellung von Diplom/ Doktoratsstudium auf das angloamerikanische System von Baccalaureat/Master/ Doktorat). Beschlüsse der Senate der Universitäten Wien, Graz, Innsbruck und Klagenfurt zur Errichtung des interuniversitären »Instituts für interdisziplinäre
Einrichtung einer weisungsfreien unabhängigen Historikerkommission für »Vermögensentzug auf dem Gebiet der Republik Österreich während der NSZeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen (sowie wirtschaftliche und soziale Leistungen) seit 1945 in Österreich« wird eingesetzt (1. Oktober) erste EU-Ratspräsidentschaft Österreichs (1. Juli–31. Dezember)
Lawinenunglück in Galtür/ Vorarlberg, 38 Tote
239
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Baubeginn Generalsanierung: Neues Institutsgebäude (NIG), Arch.: Laurids Ortner mit Kunstintervention von Eva Schlegl an den nun verglasten Balkonen 2000 Inkrafttreten des UOG 1993 an der Universität Wien (per 1. Jänner) Fakultäten teilweise neu gegliedert und benannt per 1. Dezember (BGBl. II Nr. 373/ 2000): Katholisch-Theologische Fakultät j EvangelischTheologische Fakultät j Rechtswissenschaftliche Fakultät j Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und Informatik (WIN) j Medizinische Fakultät j Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften (HUS) j Geistes- und Kulturwissenschaftliche Fakultät (GEWI) j Fakultät für Naturwissenschaften und Mathematik (NAWI) Institut für Südasien-, Tibetund Buddhismuskunde an Universität Wien errichtet EDV-Zentrum wird zum Zentralen Informatikdienst (ZID) Department für chemische Ökologie und Ökosystemforschung an Universität Wien errichtet Eröffnung neuadaptiertes Hirnforschungszentrum, 9., Spitalgasse 4 Eröffnung generalsaniertes Neues Institutsgebäude (NIG) 2001 Gründung der Foundation of University of Applied Sciences (FH Campus Wien) in Biotechnology at the Campus Department of Structural Biology j Übersiedelung von 7 Biotech-Unternehmen auf den Campus Vienna Biocenter
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Forschung und Fortbildung (iff)« (auf Grundlage des UOG ’93) UniversitätsAkkreditierungsgesetz (UniAkkG) BGBl.I Nr. 168/ 1999 vom 19. August 1999, Einführung von Privatuniversitäten Michael Schmid (FPÖ), BM für Wissenschaft und Verkehr (4. Februar – 1. April 2000) Elisabeth Gehrer (ÖVP), BM für Bildung, Wissenschaft und Kultur (1. April 2000 – 11. Jänner 2007), Auflösung des Wissenschaftsministeriums, Aufteilung der Forschungsagenden auf mehrere Ministerien, wie auch der Kompetenzen für die Universitäten und den Technologiebereich
Wiedereinführung der Studiengebühren
Regierungskoalition der ÖVP mit der FPÖ unter Bundeskanzler Schüssel Mehrfache Großdemonstrationen und »Wiener Wandertage« gegen die ÖVP/FPÖ-Regierung, StudentInnen demonstrieren auch gegen die Einführung von Studiengebühren.
Volkszählung in Österreich: erstmals mehr als 8 Millionen Einwohner Eröffnung Museumsquartier (Arch. Ortner& Ortner) in den ehemaligen k.k. Hofstallungen bzw. Messepalast (28. – 30. Juni)
240
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
UNESCO ernennt die Wiener Innenstadt zum Weltkulturerbe (Dezember)
(u. a. Bender MedSystems, Genosense, VBC Genomics) j Errichtung des neuen Laborgebäudes (CVBC 6) und Gründung der Campus Vienna Biocenter Association 2002 Universität Wien wird vollrechtsfähige juristische Person (wissenschaftliche Anstalt öffentlichen Rechts), erhält ein Globalbudget; das Rektorat wird zur Geschäftsführung, der ein Aufsichtsorgan (Universitätsrat) zur Seite gestellt wird. Die bestehenden interuniversitären Institute werden jeweils einer Trägeruniversität zugeordnet, die Medizinischen Fakultäten werden ausgegliedert und zu eigenen Medizinischen Universitäten Gründungskonvent der Universität Wien konstituiert zur Implementierung des UG ’02 (Vorsitz: Günther Haring, Stv. Germain Weber). Dem Siegfriedskopf-Denkmal wird vor laufender Kamera die Nase abgemeißelt (8. Mai), anschließend Renovierung. Wenig später wird das Denkmal mit einem säuregetränktem Tuch überdeckt (26. August), anschließend zur Renovierung eingerüstet (bis zu seiner Versetzung 2006) Baubeginn Hörsaalzentrum im Campus Altes AKH; 2.000 m2, Arch.: Hugo Potyka, Friedrich Kurrent, Johannes Zeininger, E. M. Kopper
2003 Rektor 2003/04 – 2006/07: Georg Winckler (Vz.: Johann Jurenitsch, Arthur Mettinger, Martha Seböck, Günther Vinek) Konstituierung des neunköpfigen Universitätsrates, Vorsitz Max Kothbauer (15. März) Rektor wird durch Universitätsrat gewählt, der
Österreich
Universitätsgesetz (UG ’02) verlautbart (BGBl. I 120/2002) – tritt mit 1. Jänner 2004 in Kraft Gründung der University of Applied Sciences (FH Campus Wien) in Biotechnology am Campus Vienna Biocenter (CVBC) in Wien Neu-Marx
Einführung Euro-Währung mit Münzen und Banknoten (1. Jänner) – Ende der Schillingwährung in Österreich, 13,7604 Schilling = 1 E (seit 1. Jänner 1999 als Buchwährung eingeführt)
Anläßlich der Neueröffnung der überarbeiteten Wehrmachtsausstellung (erste: 1995) – Bild von der »sauberen Wehrmacht« nicht mehr haltbar – kommt es zu tlw. gewalttätigen Auseinandersetzungen in Wien (13. April)
Neuerlich kleine Koalition (ÖVP/FPÖ) unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel Abschlussbericht der Historikerkommission für Restitutionen wird dem Parlament übergeben
241
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Per 1. Jänner 2004 implementieren alle Universitäten das UG ’02, Trennung der Medizinischen Fakultäten auch in Graz und Innsbruck von den Stammuniversitäten und Gründung je eigener Medizinuniversitäten
Bundespräsident Klestil stirbt wenige Tage vor Ende seiner Amtszeit, Heinz Fischer zum Bundespräsidenten gewählt
zur Hälfte vom Ministerium bestellt wird. Universität Wien hat acht Fakultäten mit 169 Instituten und Kliniken, etwa 6.000 MitarbeiterInnen, fast 70.000 Studierende aus 130 Staaten, über 250 ERASMUS/ SOKRATES Vereinbarungen und 25 gesamtuniversitäre Partnerschaftsabkommen. Frauenförderplan der Universität Wien vom Senat beschlossen (23. Jänner) Beschluss zur Neugestaltung von Aula, Nebenaulen und Arkadenhof Errichtung von 2 Instituten der Akademie der Wissenschaften (IMBA und GMI) am Campus Vienna Biocenter (CVBC) in Wien Neu-Marx, Gründung von Affiris Eröffnung Hörsaalzentrum im Campus Altes AKH 2004 Implementierung des UG’02, Ausscheiden der Medizinischen Fakultät, die zur eigenständigen Medizinischen Universität Wien wird (MUW) (1. Jänner): 17 Wissenschaftliche Organisationseinheiten (15 Fakultäten und 2 Zentren): Katholisch-Theologische Fakultät; EvangelischTheologische Fak.; Rechtswissenschaftliche Fak.; Fak. f. Wirtschaftswissenschaften; Fak. f. Informatik; HistorischKulturwissenschaftliche Fak.; PhilologischKulturwissenschaftliche Fak., Fak. f. Philosophie und Bildungswissenschaft; Fak. f. Psychologie; Fak. f. Sozialwissenschaften; Fak. f. Mathematik; Fak. f. Physik, Fak. f. Chemie; Fak. f. Geowissenschaften, Geographie und Astronomie; Fak. f. Lebenswissenschaften; Z. f. Translationswissenschaft;
242
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien Z. f. Sportwissenschaft u. Universitätssport Institut für Psychologische Grundlagenforschung an Universität Wien errichtet
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Bundesgesetz über die Universität für Weiterbildung Krems – DUK-Gesetz (BGBl I 22/2004)
Institut für Theologie der Spiritualität an Universität Wien errichtet Institut für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft j Abteilung Nederlandistik an Universität Wien errichtet Institut für Anorganische Chemie / Materialchemie an Universität Wien errichtet (vom 1870 gegr. Inst. f. Chemie getrennt) Errichtung eines weiteren Laborgebäudes (CVBC 2) am Campus Vienna Biocenter (CVBC) in Wien Neu-Marx 2005 Institut für Distributed and Multimedia Systems an Universität Wien errichtet Institut für Scientific Computing an Universität Wien errichtet Gründung der Max F. Perutz Laboratories (MFPL) am Campus Vienna Biocenter (CVBC) in Wien Neu-Marx j IPO von Intercell geht an die Wiener Börse j Diagnostics Unternehmen Bender MedSystems eröffnet Büro in den USA Erste WLAN-Hotspots versorgen Teile der Universität Wien, z. B. die Höfe des Universitätscampus im Alten AKH (Steigerung MitarbeiterInnen: 1978: 17; 1987: 24, 2007: 205) Eröffnung Denkmal Marpe Lanefesch (ehem. Synagoge des Alten AKH) am Campus der Universität Wien (Konzept Minna Antova, 1998) (20. Oktober) Neugestaltung von Aula, Nebenaulen und Arkadenhof geht an Architekt Roger
EuGH-Urteil gegen Österreich – Zulassungsbeschränkungen an den Universitäten unzulässig
Gedenkjahr : 60 Jahre Ende des 2. Weltkrieges j 50 Jahre Staatsvertrag j 10 Jahre EUMitgliedschaft
243
Timeline (Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Baumeister, Teil seines Konzeptes ist die Versetzung und künstlerische Neukonzeption des Siegfriedskopfs durch atelier photoglas Abschluss der Erweiterung und Sanierung der Gebäude 9., Währinger Straße 38 – 42, Boltzmanngasse 3 – 7/ Strudelhofg. 4; 26.900 m2, Arch.: Fritz Purr u. a.
2006 Department für Geodynamik und Sedimentologie an Universität Wien errichtet Eröffnung des Austrian Academy of Sciences Life Sciences Centre Vienna mit IMBA and GMI am Campus Vienna Biocenter (CVBC) in Wien Neu-Marx Eröffnung neugestaltete Aula, Nebenaulen und Arkadenhof (29. Juni) und »Kontroverse Siegfriedskopf« (13. Juli)
Zweite EURatspräsidentschaft Österreichs (1. Jänner–30. Juni)
2007 Rektor 2007/08 – 2010/11: Georg Winckler (Vz.: Heinz W. Engl, Johann Jurenitsch, Arthur Mettinger, Christa Schnabl) Eröffnung Standort 1., Schenkenstraße 8 – 10 für die beiden theologischen Fakultäten und einen Teil der Rechtswissenschaftlichen Fakultät (21. Juni) Baubeginn eines weiteren Laborgebäudes (CVBC 3) am Campus Vienna Biocenter (CVBC) in Wien Neu-Marx Masterstudium für Gender Studies startet
Johannes Hahn (ÖVP), BM für Wissenschaft und Forschung (11. Jänner 2007 – 26. Jänner 2010)
2008 Fertigstellung Solaris Building (Labor- u Büroflächen: 9.000 m2) j Relocation Biotech Company Affiris zu Solaris j AFFiRiS GmbH kooperiert mit GlaxoSmithKline Biologicals j Start der Bauarbeiten an der »Marx Box« am Campus Vienna Biocenter (CVBC) in Wien Neu-Marx Baubeginn Gebäude 9., Sensengasse 3a
Studiengebühren werden weitgehend abgeschafft (sie sind nur noch bei unentschuldigter Überschreitung der Normstudiendauer zu zahlen)
Große Koalition (SPÖ/ÖVP) unter Kanzler Gusenbauer
Die Pädagogischen Akademien (die nicht als Teil des Hochschulbereichs galten) werden in Pädagogische Hochschulen umgewandelt.
Regierung Faymann I
244
Herbert Posch
(Fortsetzung) Jahr
Universität Wien
Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
(Bildungswissenschaft, Sprachwissenschaft, Komparatistik), rd. 5.500 m2 ; Arch.: Architekt Josef Weichenberger & Room8 Architects
2009 Organisation des EU-Projekts »European Researchers Night« in den Rinderhallen am Campus Vienna Biocenter (CVBC) in Wien Neu-Marx Der neue Supercomputer Vienna Scientific Cluster (VSC) – eine Kooperation zwischen Universität Wien, TU Wien und Boku Wien – nimmt seinen Betrieb auf. In der Liste der 500 schnellsten Supercomputer der Welt vom November 2009 belegt der VSC den 157. Rang. Ende Oktober Proteste der Studierenden, Demonstrationen in ganz Österreich u. a. gegen Beschränkung Hochschulzugang und Forderung nach mehr Geld für die Bildung, Besetzung des »Audi Max« der Universität Wien über mehrere Wochen (Räumung 21. Dezember) Slogans »Audimaxismus«, »unibrennt«, »unsere Uni« und »Bildung statt Ausbildung«
Der Dachverband der Universitäten und die Gewerkschaft schließen einen Kollektivvertrag für das akademische Personal ab
2010 Gründung der Campus Science Support Facilities (CSF) als neuer Rechtsträger j Apeiron Biologics schließt Vertrag mit GlaxoSmithKline Biologicals am Campus Vienna Biocenter (CVBC) in Wien Neu-Marx Das Service u:stream startet – in ausgewählten Hörsälen kann damit der Vortrag als Video- oder Audiomitschnitt aufgezeichnet oder live übertragen werden. j Beginn der Generalsanierung der Datennetzverkabelung Eröffnung 9., Sensengasse 3a (Bildungswissenschaft,
Beatrix Karl (ÖVP), BM für Wissenschaft und Forschung (26. Jänner 2010 – 21. April 2011)
Landtagswahl in Wien: SPÖ/ GRÜNE Koalition
245
Timeline (Fortsetzung) Wissenschafts- und Hochschulbereich Österreich
Österreich
Karlheinz Töchterle (ÖVP), BM für Wissenschaft und Forschung (21. April 2011 – 16. Dezember 2013)
Zweisprachige Ortstafeln in Kärnten
2013 Herbst: Uni Rossau, 9., Oskar Morgenstern Platz 1 (Mathematik, Wirtschaftswissenschaften)
Reinhold Mitterlehner (ÖVP), BM für Wissenschaft und Forschung (16. Dezember 2013 – 28. Februar 2014)
Regierung Faymann II
2014
Reinhold Mitterlehner (ÖVP), BM für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (ab 1. März 2014)
Jahr
Universität Wien Sprachwissenschaft, Komparatistik) Baubeginn 9., Währinger Straße 29 (Publizistik, Informatik); 10.600 m2, Arch.: NMPB Architekten TZ, Bauträger : BIG
2011 Rektor 2011/12 – 2014/15: Heinz W. Engl (Vz.: Heinz Fassmann, Christa Schnabl, Karl Schwaha, Susanne Weigelin-Schwiedrzik) Gründung Campusinfrastructure (CSF) j Übersiedlung der Fachhochschule in die Marx Box am Campus Vienna Biocenter (CVBC) in Wien Neu-Marx 2012 Eröffnung 9., Währinger Straße 29 (Publizistik, Informatik) Umbenennung Adresse der Universität von Dr.-KarlLueger-Ring (seit 1934) in Universitätsring 1
2015 Rektor 2015/16 – 2018/19: Heinz W. Engl (Vz.: Regina Hitzenberger, Heinz Fassmann, Christa Schnabl) 650-Jahr-Jubiläum der Universität Wien
246
Herbert Posch
Abkürzungen BGBl.
Bundesgesetzblatt
BIG
Bundesimmobiliengesellschaft
BM
BundesministerIn/Bundesministerium
CSP
Christlich-Soziale Partei Österreich
CVBC
Campus Vienna Biocenter Neu-Marx
Edl.
Edler (Adelstitel)
Erl.
Erlass
EVANG
Evangelisch-Theologische Fakultät (ab 1921/22)
FÖSt
Freie Österreichische Studentenschaft (ÖVP-Studierendenvertretung)
FPÖ
Freiheitliche Partei Österreich
Frh.
Freiherr (Adelstitel)
GBlfLdÖ.
Gesetzblatt für das Land Österreich
GEWI
Geisteswissenschaftliche Fakultät (1975-1999), Geistes- und Kulturwissenschaftliche Fakultät (2000-2004)
GRUWI
Grund- und Integrativwissenschaftliche Fakultät (ab 1975/76)
GZ
Geschäftszahl, Aktenzahl
HUS
Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften (2000-2004)
IUR
Juridische Fakultät (bzw. Rechts- und Staatswissenschaftliche bis 1975, Rechtswissenschaftliche Fakultät ab 1975/76)
KATH
Theologische bzw. Katholisch-Theologische Fakultät
KPÖ
Kommunistische Partei Österreich
KZ
Konzentrationslager
MED
Medizinische Fakultät (bis 2004)
MRP
Ministerratsprotokolle
MVBl.
Ministerielles Verordnungsblatt des Ministeriums für Kultus und Unterricht
NAWI
Naturwissenschaftliche Fakultät (ab 1975/76)
NaWIMath Fakultät für Naturwissenschaften und Mathematik Nr.
Nummer
NSDAP
Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei
NSFK
Nationalsozialistisches Fliegerkorps
NSKK
Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps
ÖH
Österreichische HochschülerInnenschaft
ÖVP
Österreichische Volkspartei
PHIL
Philosophische Fakultät (1848-1975)
R.
Ritter (Adelstitel)
RdErl.
Runderlass
REM
Reichserziehungsministerium in Berlin
RFS
Ring Freiheitlicher Studenten (FPÖ-Studierendenvertretung)
RGBl.
Reichsgesetzblatt des Deutschen Reiches
247
Timeline SA
Sturmabwehr
SDAP
Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreich
SOWI
Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät (ab 1975/76)
SPÖ
Sozialistische Partei Österreich
SS
Schutzstaffel
StGBl.
Staatsgesetzblatt
StSekr.
Staatssekretär/Staatssekretariat
UStSekr.
Unter-Staatssekretär/Unter-Staatssekretariat
v.
von
VF
Vaterländische Front
VSStÖ
Verband Sozialistischer StudentInnen Österreichs (SPÖ-Studierendenvertretung)
Vz.
Vize…
WiWiInf
Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und Informatik (2000-2004)
Abstracts
Thomas König: Figurationen der Wissenschaft und Universität. Annäherung an die Frage: Welche Bedeutung hat die Universität Wien? Der einleitende Beitrag reflektiert den gegenwärtigen Stand der Universitätsgeschichtsschreibung und macht mehrere Vorschläge, den neuen Trend, der Wissensgeschichte als Kulturgeschichte versucht zu fassen, für die zentrale wissenschaftliche Einrichtung der letzten 150 Jahre fruchtbar zu machen. Against the backdrop of recent trends in knowledge history, the introductory essay reflects the status quo of historiographical accounts of the university as the most important institution for scientific research and higher education in the past 150 years. Keywords: Wissensgeschichte, Universitätsgeschichte, Universität Wien, Wissenschaft, Autonomie, Figuration, Narrativ, Reichweite. History of knowledge, university history, University of Vienna, science, autonomy, figuration, narrative, outreach.
Katherine Arens: Ein universitärer Vielvölkerstaat: Die Universität Wien in Textbildern. Die Tradition von Textbildern der Universität Wien (von Adalbert Stifters »Leben und Haushalt dreier Wiener Studenten« [1841] bis zu modernen Krimis) zeugt von besonderem, oft wenig oder nicht-elitärem Bewusstsein der Studierenden, Professoren und Forscher. Diese universitäre »Stände« bilden fast einen eigenen Staat innerhalb der grösseren Gesellschaft; sie zeigen uns Forschung
250
Abstracts
und Lehre als von Tagesbeschäftigungen abgetrennt und zugleich die Forscher und Studierende als Teil der Alltagswelt. This article takes stock of a long tradition of text images of the University of Vienna, ranging from Adalbert Stifter’s early account of students in Vienna (»Leben und Haushalt dreier Wiener Studenten« [1841]) to modern thrillers. Those images show a specific, mostly non-elitist awareness of students, researchers, and professors. Assessing different university »classes«, we find almost an independent state within the greater society, research and higher education separated from daily routines. Yet the researchers and students are part of the everyday world. Keywords: Literarische Repräsentation, Universitaet Wien, Studierende, Professoren, Forschung, Politik, 1841 – 2014, österreichische Literatur, »Uni brennt«. literary representations, University of Vienna, students, professors, research, politics, 1841 – 2014, Austrian literature, »Uni brennt«.
Oliver Jens Schmitt: Balkanforschung an der Universität Wien. Der Beitrag behandelt das Paradigma der geisteswissenschaftlichen Balkanforschung an der Universität Wien, das seinen Höhepunkt in den letzten Jahrzehnten der Monarchie erlebte, dessen international Ausstrahlung aber stark in die Zwischenkriegszeit weiterwirkte. Das Paradigma unterscheidet sich deutlich von der sog. Südost-Forschung, die im Zeichen der in den 1930er Jahren erstarkenden nationalsozialistischen Raumpolitik auch in Österreich Fuss fasste. Es zeichnet sich insbesondere durch seinen multi-disziplinären Zugang auf den Balkan als historisch gewachsenen vielsprachigen Kulturraum jenseits nationaler Antagonismen aus. Der Beitrag bezieht Wiener Forschungstradition und die Entwicklung der Geisteswissenschaften aufeinander. Er beleuchtet auch das spezifische multiethnische akademische Umfeld in Wien und zeigt, wie diese universitären Lebenswelten die Wiener Balkanforschung bedingten. The article discusses the Viennese paradigm of Balkan studies which reached its apogee in the last decades of the Dual Monarchy. This paradigm operated with a multi-disciplinary approach to a region which was conceived as a historical and cultural region. Viennese scholarship and the emergence of humanities and Balkan studies are analysed as a entangled history which continued after the collapse of the Austro-Hungarian Empire. This paradigm differed essentially from Southeast European studies which were established in the 1930ies in the
Abstracts
251
vein of National-socialist »Raumpolitik«. A special focus is also laid on multiethnic academic sociability as part of an entangled history of Balkan studies in Vienna. Keywords: Balkanforschung, Südost-Forschung, transkulturellen Beziehungsgeschichte, akademisches Umfeld. Balkan studies, Southeast European studies, entangled history, academic sociability.
Klaus Taschwer: Nachrichten von der antisemitischen Kampfzone Die Universität Wien im Spiegel und unter dem Einfluss der Tageszeitungen, 1920 – 1933. Antisemitische Übergriffe haben an der Universität Wien eine lange Tradition. Besonders häufige und heftige Attacken gab es zwischen 1920 und 1933, wie hier anhand von zeitgenössischen Zeitungsartikeln rekonstruiert wird. Dieses Quellenmaterial – der Korpus »Hochschulen« des ehemaligen Tagblattarchivs – gibt nicht nur neue Einblicke in eskalierende Gewalt an der Universität. Die damals sehr viel politischeren Zeitungen, die meist keine neutralen »Außensichten« lieferten, haben selbst in den einseitigen universitären Bu¨ rgerkrieg eingegriffen. Insbesondere die Deutschösterreichische Tages-Zeitung, ab 1926 das Parteiblatt der NSDAP, schu¨ rte den universitären Antisemitismus – durchaus mit Duldung der jeweiligen Universitätsleitungen. Anti-Semitic attacks have had a long tradition at the University of Vienna. Particularly frequent and violent riots took place from 1920 to 1933, as can be reconstructed on the basis of contemporary newspaper articles. This source material – the collection »Hochschulen« of the former »Tagblattarchiv« – not only offers new insights into escalating violence at the university. The much more political newspapers of that period of time didn’t just deliver neutral »outside views«, but intervened in the unilateral civil war at the University of Vienna. In particular, the Deutschösterreichische Tages-Zeitung (the party newspaper of the NSDAP from 1926 omwards) fueled the academic anti-Semitism – well tolerated by the respective university administrations. Keywords: Antisemitismus, Studentenunruhen, Universität Wien, Zeitungen, Deutschösterreichische Tages-Zeitung (DÖTZ), Nationalsozialismus.
252
Abstracts
anti-Semitism, student unrest, University of Vienna, newspapers, Deutschösterreichische Tages-Zeitung (DÖTZ), National Socialism.
Christian Fleck: Akademische Wanderlust im Wandel. Die Rockefeller Foundation gewährte vor und nach dem Zweiten Weltkrieg jungen europäischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Stipendien für ein- oder mehrjährige Auslandsaufenthalte. Der Aufsatz gibt einen Überblick über die Stipendiaten, die von der Universität Wien entsandt wurden oder nach Österreich kamen. In den 15 Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg erhielten 89 Wiener ein Stipendium, in den Jahren ab 1949 aber nur 16. Vor 1938 kamen 66 Personen nach Wien, nach 1945 nur vier. Weder scheint das Nachkriegsösterreich Talente hervorgebracht zu haben noch die Universität Wien ein attraktiver Studienort gewesen zu sein. Diese zwei Mal schiefe Verteilung illustriert den intellektuellen Verfall im Gefolge der Machtübernahme der Nazis (auch) an der Universität Wien. Before and after World War II Rockefeller Foundation offered fellowships to young European scholars who could study abroad for one or more years. This paper examines the groups of outgoing Viennese and incoming foreign students by splitting them according to periods (before and after WWII). Whereas 89 Viennese got a fellowship before WWII only 16 received one after 1949. Before WWII 66 students came to Austria but only four after the war. This double skewness illustrates the intellectual decline of the University of Vienna after the Nazis took over power there. Keywords: Stipendien, Stipendiaten (incoming und outgoing), Rockefeller Foundation, Nationalsozialismus, intellektueller Verfall. Fellowships, Rockefeller Foundation, incoming and outgoing scholars, Nazi rule, intellectual decline.
Maria Wirth: Die Universität Wien am Campus Vienna Biocenter – (Austausch)beziehungen im Bereich der Life Sciences. Der Campus Vienna Biocenter im dritten Wiener Gemeindebezirk ist einer der wichtigsten Forschungsstandorte in Österreich. Er umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure. Darunter befinden sich universitäre Einrichtungen
Abstracts
253
ebenso wie außeruniversitäre Forschungsinstitute, ein FH-Studiengang, biotechnologische Firmen und Akteure aus dem Bereich der Wissenschaftskommunikation. Seine Entstehung und Entwicklung ist eng mit der Universität Wien bzw. ihren VertreterInnen verbunden. Der Beitrag beleuchtet ihre Geschichte am Campus Vienna Biocenter und fokussiert vor dem Hintergrund der institutionellen Entwicklung die hier stattfindenden (Austausch-)Beziehungen bzw. die hieraus resultierenden Ergebnisse. The Campus Vienna Biocenter, located in the third district of Vienna, is one of the leading research centres in Austria and a »hot spot« for life sciences in Vienna. It hosts a broad spectrum of institutions, including university institutions as well as non-university research institutes, a University of Applied Sciences, biotech companies and organisations dealing with science communication. Its formation and development is closely linked with the University of Vienna. The article examines the history of the University of Vienna at the Campus Vienna Biocenter with a focus on the (exchange) relationships taking place there and their outcomes. Keywords: Campus Vienna Biocenter, Biowissenschaften, Biotechnologie, Universität Wien, Medizinische Universität Wien, Max F. Perutz Laboratories, Institut für Molekulare Pathologie, Open Science, Vienna Open Lab, Intercell, Fachhochschule, IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie, Gregor Mendel Instituts für Molekulare Pflanzenbiologie. Campus Vienna Biocenter, Life Sciences, Biotech, University of Vienna, Medical University of Vienna, Max F. Perutz Laboratories, Research Institute of Molecular Pathology, Open Sciences, Vienna Open Lab, Intercell, University of Applied Sciences, IMBA – Institute of Molecular Biotechnology, Gregor Mendel Institute of Molecular Plant Biology.
Personenregister
Abel, Othenio (1875 – 1946) 115 – 118 Adamovich, Ludwig (1890 – 1955) 124 Adler, Max (1873 – 1937) 114, 122, 187, 189, 193 f. Ammerer, Gustav 169 Anderson, Oskar (1887 – 1960) 148 Arens, Katherine 33 Bachmann, Ingeborg (1926 – 1973) 48 Barry, Frederick (1876 – 1943) 140 Bartoli, Matteo Giulio (1873 – 1946) 71 Bauer, Wilhelm (1877 – 1953) 119 Beck, Guido (1903 – 1988) 137 Bernardi, Isabel (Pseudonym einer AutorInnengruppe) 59 Bernhard, Thomas (1931 – 1989) 45, 49 Bernheimer, Margaret(h)e (geb. von Gayer) (1895 – 1990) 137 Bernheimer, Stephan (1861 – 1918) 137 Bernheimer, Walter E. (1892 – 1937) 136 f. Bertalanffy, Ludwig (von) (1901 – 1972) 138 – 140 Bertalanffy, Maria (von) (1904 – 1981) 139 Bicakci, Seyma 34 Billroth, Theodor (1829 – 1894) 107 Birnstiel, Max (1933 – 2014) 157, 159, 162, 170 Bischof, Günter 35 Boehringer, Ernst (1896 – 1965) 153 – 155 Bogisˇic´, Valtazar (1834 – 1908) 89 Bohr, Niels (1885 – 1962) 137 Bou¦, Ami (1794 – 1881) 66 f., 73
Braßloff, Stephan (1875 – 1943) 122 Broch, Hermann (1886 – 1951) 49 Brønsted, Johannes N. (1879 – 1947) 140 Brügel, Fritz (1897 – 1955) 99 – 102, 115, 124 Brus, Günter 53 Buchanan, Norman S. (1905 – 1958) 144 Buda, Aleks (1911 – 1993) 91 – 93 Bulic´, Don Frane (1846 – 1934) 80 Buschle, Michael 162 Bushell, Anthony 39 C ¸ abej, Eqrem (1908 – 1980) 72, 80 Canetti, Elias (1905 – 1994) 48, 91 Carnap, Rudolf (1891 – 1970) 138 Carnegie, Andrew (1835 – 1919) 129 Ceka, Hasan (1900 – 1998) 93 Ceka, Neritan 93 Chew, Geoff 35 Christian, Viktor (1885 – 1963) 85 ´ irkovic´, Sima (1928 – 2009) 89 C Cohen, Gary B. 35 Curani, Zef (1865 – 1941) 76 Cvijic´, Jovan (1865 – 1927) 90 Czermak, Emmerich (1885 – 1965) 116 Danicˇic´, Öura (1825 – 1882) 89 Day, Edmund E. (1883 – 1951) 133 DeVinney, Leland C. (1906 – 1998) 143 Dewey, John (1859 – 1952) 143 Diels, Paul (1882 – 1963) 71 Diener, Karl (1862 – 1928) 109 Dietrich, Karl (1865 – 1935) 71 Dijk, Teun van 35
256 Dinic´, Mihailo (1899 – 1970) 80 Dobrovski, Ivan (1812 – 1896) 87 Doderer, Heimito von (1896 – 1966) 46, 91 Dollfuß, Engelbert (1892 – 1934) 108, 117, 123 Dusˇan, Stefan (1331 – 1355) 74 Ederer, Brigitte 163 Edmonds, David 38 Eidinow, John 38 Elias, Norbert (1897 – 1990) 24 Eminescu, Mihai (1850 – 1889) 61 f., 87 Ephrussi, Elisabeth von (1899 – 1991) 45, 132 – 134 Fairclough, Norman 35 Feichtinger, Johannes 99 Feigl, Herbert (1902 – 1988) 138 f. Filov, Bogdan (1883 – 1945) 80 Fishta, Gjergj (1871 – 1940) 84 f. Flaubert, Gustave (1821 – 1880) 38 Fleck, Christian 34, 58 Foerster, Friedrich Wilhelm (1869 – 1966) 50 Foucault, Michel (1926 – 1984) 38 Fowler, Ralph H. (1889 – 1944) 137 Frank, Philipp (1884 – 1966) 142 Franko, Ivan (1856 – 1916) 71 Freud, Sigmund (1856 – 1939) 20 f., 27 Früh, Eckart (1942 – 2014) 99, 102 Funder, Friedrich (1872 – 1959) 116 Gabain, Alexander von 162, 164 Gabriel, Johannes (1896 – 1964) 137 Gaitskell, Hugh (1906 – 1963) 148 Gayer, Edmund (Ritter von) (1860 – 1952) 137 Gazulli, NikollÚ (1895 – 1946) 84 Gleispach, Wenzel (1876 – 1944) 113 – 115, 122 – 124 Goethe, Johann Wolfgang (1774 – 1832) 44 Goldschmidt, Richard (1878 – 1958) 138 Graff, Kasimir (1878 – 1950) 136 f. Grandner, Margarete 34, 99
Personenregister
Gurakuqi, Karl (1895 – 1971)
93
Haeseler, Arndt von 171 Hahn, Johann Georg von (1811 – 1869) 66 f., 84 f. Hahn, Johannes 57 Haines, (Charles) Grove (1906 – 1976) 144 Hajek, Alois (1889 – 1966) 82 Hamburger, Viktor (1900 – 2001) 138 Hanson, Franck B. (1886 – 1945) 136, 138 Harapi, Mark (1890 – 1973) 84 Hardy, Thomas (1840 – 1928) 38 Heberle-Bors, Erwin 165 f. Hegel, Georg Friedrich Wilhelm (1770 – 1831) 39 Heissenberger, Stefan 52, 56 f. Hempel, Carl G. (1905 – 1997) 138 Hempel-Lamer, Nele 35 Hesse, Hermann (1877 – 1962) 123 Hindel, Robert 143, 149 Hirsch, Aaron 162 Hochadel, Oliver 99 Hold-Ferneck, Alexander (1875 – 1955) 120 Hook, Sidney (1902 – 1989) 142 f. Hoxha, Enver (1900 – 1985) 91 Hranic´ Kosacˇa, Sandalj (ca. 1370 – 1435) 89 Huber, Andreas 48 Huizinga, Johan (1872 – 1945) 132 – 134 Humboldt, Wilhelm von (1767 – 1835) 17, 69 Hunger, Herbert (1914 – 2000) 74 Hupka, Josef (1875 – 1943) 121, 123 Innitzer, Theodor (1875 – 1955) 112 f., 125 Iorga, Nicolae (1871 – 1940) 81 Ippen, Theodor (1861 – 1935) 79, 92 Isacˇenko, Aleksander V. (1910 – 1978) 83 Ivic´, Aleksa (1881 – 1948) 71 Jäggle, Martin 47 Jagic´, Vatroslav (1838 – 1923) 79 f., 84, 92
69 – 75,
257
Personenregister
Jirecˇek, Konstantin (1854 – 1918) 70, 72 – 75, 77 – 83, 89 – 91, 94, 96 Johnson, Julie 35 Jokl, Norbert (1877 – 1942) 71 f., 80, 82 – 86, 92, 96 Kafka, Franz (1883 – 1924) 20 f. Kaila, Eino (1890 – 1958) 148 Kaiser Franz Joseph I. (1830 – 1916) 46 Kllay von Nagykllû, Benjmin (1839 – 1903) 76 f. Kanitz, Felix (1829 – 1904) 73 Kappelmacher, Alfred (1876 – 1932) 110 Karadzˇic´, Vuk Stefanovic´ (1787 – 1864) 65, 87 Kelsen, Hans (1881 – 1973) 27, 114, 122 Kink, Rudolf (1822 – 1864) 46 Kittredge, Tracy B. (1891 – 1957) 132 Klaus, Josef (1910 – 2001) 116, 125 Klebinder, Ernst (1878 – 1936) 123 Klüger, Ruth 49 f. Kniefacz, Katharina 34 Knoll, August M. (1900 – 1963) 143 König, Thomas 54, 99 Konstantinov, Aleko (1863 – 1897) 91 Kopitar, Bartholomäus (1780 – 1844) 65 – 68, 70 f., 83, 89, 94 Kretschmer, Paul (1866 – 1956) 71 f., 84 f., 92 Kriegleder, Wynfrid 35 Kronprinz Rudolf (1858 – 1889) 46 Krysl, Alexander 48 Küchler, Ernst (1938 – 2005) 157, 169 Kuchler, Karl 161, 169, 171 Kunz, Christian 145 Kurzweil, Edith 141 Lacan, Jacques (1901 – 1981) 36 Lacina, Ferdinand 156 Laczo, Ferenc L. 35 Lambertz, Maximilian (1882 – 1963) 85 f., 88 Lange, Jörn (1903 – 1946) 140 f. (Lark-)Horovitz, Karl (1892 – 1958) 118 f. (Leodolter-)Barta, Andrea 159, 161, 167, 169, 171
Lesky, Erna (1911 – 1986) 47 Liechtenstein, Franz de Paula (Fürst von und zu) (1853 – 1938) 75 Lodge, David 39 Long, Jonathan J. 35 Lovasy, Gertrud (1900 – 1974) 135 Lueger, Karl (1844 – 1910) 93 Lundmark, Knut (1889 – 1958) 136 Mach, Ernst (1838 – 1916) 20 f., 27 Man, Gloria 35 Mann, Heinrich (1871 – 1950) 123 Mann, Thomas (1875 – 1955) 123 Maresch, Rudolf (1868 – 1936) 99 – 101, 115, 124 Mark, Viola 52 Markotic, Lorraine 35 Mayer, Hans (1879 – 1955) 120 Mayr, Hans (1928 – 2006) 155 f., 158 Medakovic´, Dejan (1922 – 2008) 89 Menasse, Robert 45 Metzeltin, Michael 61 Meyer, Gustav (1850 – 1900) 84 Meyer-Lübke, Wilhelm (1861 – 1936) 72 Miklosich, Franz von (1813 – 1891) 65, 68 – 72, 83, 87, 89, 94 Mileticˇ, Ljubomir (1863 – 1937) 71 Mills, C. Wright (1916 – 1962) 142 f. Mittenecker, Erich 143 Mjeda, Ndre (1866 – 1937) 84 Molisch, Hans (1856 – 1937) 121 f. Morgenstern, Oskar (1902 – 1977) 134 – 136 Morris, Charles W. (1901 – 1979) 138, 142 Mucha, Martin 50, 52, 59 Muehl, Otto (1925 – 2013) 53 Munzinger, Ludwig (1877 – 1957) 103 Murko, Matija (1861 – 1952) 71 Murphy, Melanie 35 Musil, Robert (1880 – 1942) 45, 50 Nasmyth, Kim 170, 172 Neweklowsky, Gerhard 61 Nikov, Peta˘r (1884 – 1938) 89 Nistor, Ion (1876 – 1962) 90
258 Nopcsa, Franz (Baron) (1877 – 1933) 79, 84, 92 Novakovic´, Stojan (1842 – 1915) 80 Oblak, Vatroslav (1864 – 1896) 71 Oresˇkov, Pavel (1884 – 1953) 89 Paletschek, Sylvia 9 f. Papacostea, Victor (1900 – 1962) 81, 94 Pateisky, Kurt 145 Patsch, Carl (1865 – 1945) 78 – 82, 84, 92 f., 96, 98 Paul, Sherman (1921 – 1995) 20 Pauli, Wolfgang (1900 – 1958) 138 Pekmezi, Gjergj (1872 – 1938) 88, 90 Penninger, Josef 167 Perutz, Max F. (1914 – 2002) 159 Pettersson, Hans (1888 – 1966) 149 Pfaller, Robert 54 Pick, Ernst Peter (1872 – 1960) 115 Pillinger, Renate 61 Popper, Karl R. (1902 – 1994) 38 Posch, Herbert 34 Praschniker, Camillo (1884 – 1949) 79 Pribram, Alfred F. (1859 – 1942) 134, 141 Prokesch von Osten, Anton (1795 – 1876) 66 Pus¸cariu, Sextil (1877 – 1948) 72 Rabinovici, Doron 50 Radonic´, Jovan (1873 – 1956) 71, 89 Rahv, Philip (1908 – 1973) 141 – 143 Raphael, Lutz 9 Rashevsky, Nicolas (1899 – 1972) 138 Resˇetar, Milan (1860 – 1942) 71, 82 Richter, Elise (1865 – 1943) 45 Ringer, Fritz K. (1934 – 2006) 39 Rockefeller, John D. sen (1839 – 1937) 128 f. Rockefeller, John D. jun (1874 – 1960) 136 Rohracher, Hubert (1903 – 1972) 143 Rougier, Louis (1889 – 1982) 148 Rubin, Berthold (1911 – 1990) 82 Ruis, Helmut (1940 – 2001) 157, 159 f., 169 Ruml, Beardsley (1894 – 1960) 131, 135
Personenregister
Ruvarac, Ilarion (1832 – 1905)
89
Sandfeld, Kristian (1873 – 1942) 82 Sarasin, Philipp 8 f., 12 Sartre, Jean-Paul (1905 – 1980) 38 Sayers, Dorothy L. (1893 – 1957) 37 Schatz, Gottfried 170 Scheffer, Egon (1895 – 1972) 120 Schlick, Moritz (1882 – 1936) 27, 37, 114 Schmitt, Oliver J. 33 Schnitzler, Arthur (1862 – 1931) 45 Schober, Arnold (1886 – 1959) 79 Schober, Johann (1874 – 1932) 112 Schramm, Susanne 52 Schreckenberger, Helga 35 Schrödinger, Erwin (1887 – 1961) 137 Schroeder, Ren¦e 169 Schütz, Wolfgang 172 Schweizer, Dieter 164 f., 168 Schweyen, Rudolf (1941 – 2009) 157, 169 Seipel, Ignaz (1876 – 1932) 108 f., 123 Seitz, Karl (1869 – 1950) 112 Shapley, Harlow (1885 – 1972) 136, 142 Simandl, Edith 145 f. Simmel, Johannes Mario (1924 – 2009) 49, 141 Skern, Tim 161, 169 Skok, Petar (1881 – 1956) 84 Sniesko, Peter 52 Spann, Othmar (1878 – 1950) 119 f. Srbik, Heinrich (1878 – 1951) 118 f. Stadtmüller, Georg (1900 – 1985) 81 f., 84 Stanojevic´, Stanoje (1874 – 1937) 89 Stifter, Adalbert (1805 – 1868) 37, 40 – 44, 50 f, 59 Strauss, Leo (1899 – 1973) 142 f. Streeruwitz, Marlene 45, 58 Sˇufflay, Milan von (1879 – 1931) 77 Süss, Rahel Sophia 52 Swetly, Peter 155 – 157 Tandler, Julius (1869 – 1936) 106, 113, 115, 117 Tarski, Alfred (1901 – 1983) 148 Taschwer, Klaus 34, 174 Taylor, A. J. P. (1906 – 1990) 148
259
Personenregister
Thallûczy, Ludwig (Lajos) von (1857 – 1916) 76 – 78 Thirring, Hans (1888 – 1976) 137 Thompson, Kenneth W. (1921 – 2013) 144 Thurnher, Armin 54 Tisdale, Wilbur E. (1885 – 1954) 136 Topitsch, Ernst (1919 – 2003) 141 – 143 Trotzki, Leo (1879 – 1940) 143 Trubeckoj, Fürst Nikolaj S. (1890 – 1938) 80, 82 f., 86, 96 Tuppy, Hans 154 f., 157, 167 Uebersberger, Hans (1877 – 1962) 100 – 102, 115, 119, 124
75, 96,
Vaida-Voeved, Alexandru (1872 – 1950) 93 Valjavec, Fritz (1909 – 1960) 81 f. Van Sickle, John V. (1892 – 1975) 133 Velkov, Ivan (1891 – 1958) 89 Versluys, Jan (1873 – 1939) 139 Voegelin, Eric (1901 – 1985) 142 Waal, Edmund de 45 Waal, Sir Constant Hendrik (Henry) de 133 Waal, Elisabeth de (geb. von Ephrussi) (1899 – 1991) 45, 132 f.
Walter-Gensler, Cindy 35 Warren, Graham 172 Waugh, Evelyn (1903 – 1966) 37 Weaver, Warren (1894 – 1978) 131, 138, 142 Weber, Max (1864 – 1920) 7, 9 Weber, Wilhelm (1916 – 2005) 143 f. Weibel, Peter 53 Weinreich, Max (1894 – 1969) 149 Weiss, Franz Xaver (1885 – 1956) 120 Weisskopf, Viktor (1908 – 2002) 137 f., 146 Welzig, Werner 167 Wettstein, Richard (1863 – 1931) 46, 139 Wiche, Gerhard 158 Wiener, Oswald 53 Willits, Joseph H. (1889 – 1979) 143 Winckler, Georg 169 – 172 Windsperger, Marianne 35 Winter, Ernst Karl (1895 – 1959) 120 Wintersberger, Erhard 157 Wirth, Maria 34 Wittgenstein, Ludwig (1889 – 1951) 38 Wodak, Ruth 35 Wolf, Max (1863 – 1932) 136 Xhuvani, AleksandÚr (1880 – 1961) Zweig, Stefan (1881 – 1942)
123
84 f.
650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert
4 Bände Hrsg. von Friedrich Stadler im Namen der »Universitären Kommission zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der Universitätsgeschichte, insbesondere im Rahmen des 650-Jahr-Jubiläums« und des Forums »Zeitgeschichte der Universität Wien« (Katharina Kniefacz und Herbert Posch) Band 1: Katharina Kniefacz / Elisabeth Nemeth / Herbert Posch / Friedrich Stadler (Hg.) Universität – Forschung – Lehre Themen und Perspektiven im langen 20. Jahrhundert Band 2: Mitchell G. Ash / Josef Ehmer (Hg.) Universität – Politik – Gesellschaft 2.1: Universität – Politik 2.2: Universität – Gesellschaft Band 3: Margarete Grandner / Thomas König (Hg.) Reichweiten und Außensichten Die Universität Wien als Schnittstelle wissenschaftlicher Entwicklungen und gesellschaftlicher Umbrüche Band 4: Karl Anton Fröschl / Gerd B. Müller / Thomas Olechowski / Brigitta Schmidt-Lauber (Hg.) Reflexive Innensichten aus der Universität Disziplinengeschichten zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik