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German Pages [520] Year 2016
Die Ernestiner
Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen Kleine Reihe Band 50
Werner Greiling, Gerhard Müller, Uwe Schirmer, Helmut G. Walther (Hg.)
Die Ernestiner Politik, Kultur und gesellschaftlicher Wandel
2016 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Gedruckt mit Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei Erfurt, der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, der Klassik Stiftung Weimar und der Stiftung Mitteldeutscher Kulturrat, Bonn.
Begleitband zur Thüringer Landesausstellung 2016
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Ernst, Kurfürst von Sachsen, Landgraf von Thüringen und Markgraf von Meißen, Fürstenzug Dresden (Ausschnitt) © 2016 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Wissenschaftliche Redaktion und Satz: Pierre Fütterer, Jena Korrektorat: Kornelia Trinkaus, Meerbusch Druck und Bindung: Strauss, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-50402-1
Inhalt
Vorwort ............................................................................................................................ 9 Georg Schmidt Die Ernestiner und das Reich .....................................................................................15 Siegrid Westphal Das dynastische Selbstverständnis der Ernestiner im Spiegel ihrer Hausverträge ........................................................................................................33 Johannes Mötsch Große und kleine Dynastien? Die Wettiner/Ernestiner und die Grafen von Henneberg-Schleusingen ........................................................................55 Uwe Schirmer Zank und Streit seit Anbeginn: Das konfliktreiche Verhältnis zwischen dem ernestinischen Kurfürsten Friedrich III. und dem albertinischen Herzog Georg (1500–1508) ...............................................................73 Doreen von Oertzen Becker Die Kirchenpolitik Kurfürst Johann des Beständigen ............................................93 Dagmar Blaha Die Entwicklung der Visitationen als Mittel zur Durchsetzung der Kirchenreformation in Kursachsen......................................................................... 123 Alexander Querengässer Bernhard von Sachsen-Weimar und das Herzogtum Franken – Versuch einer Herrschaftsbildung? ...................................................... 145 Gerhard Müller Der Beitrag der Ernestiner zur deutschen Verfassungsgeschichte. Von der landständischen Repräsentation zum Konstitutionalismus ................. 163 Oliver Heyn Die Ernestiner und die Reichsdefension (1654–1796) ........................................ 185
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INHALT
Bärbel Raschke Luise Dorothea von Sachsen-Gotha-Altenburg im Geflecht der europäischen Diplomatie des 18. Jahrhunderts: Manteuffel, Thun und Grimm .................................................................................................................. 205 Hans-Werner Hahn Monarchische Herrschaft und bürgerliche Gesellschaft im 19. Jahrhundert ..................................................................................................... 223 Marko Kreutzmann „Eine neue Aristokratie an die Stelle der alten […]!“ – Neukonzeptionen von Adel und Aristokratie in den ernestinischen Staaten zwischen Aufklärung und Hochmoderne ................................................ 241 Bernhard Post Vom Ende der Fürstenherrschaft oder: Der Übergang zur Weimarer Republik .................................................................................................... 259 Werner Greiling Der lange Weg zur Pressefreiheit. Die Ernestiner und die Printmedien .......... 279 Thomas Pester „Ein unveräußerlicher Schmuck des Ernestinischen Hauses“. Die Ernestiner und ihre Universität in Jena........................................................... 305 Helmut G. Walther Zur Entwicklung einer Reichsstaatsrechtslehre an der Ernestinischen Gesamtuniversität (16.–17. Jh.) ................................................................................ 335 Klaus Manger Die Ernestiner im klassischen Weimar und ihre großen Autoren: Wieland, Goethe, Herder, Schiller ........................................................................... 349 Stefan Gerber Ernestinische Geschichtspolitik im 19. Jahrhundert ............................................ 377 Martin Salesch Höfische Gärten der Ernestiner .............................................................................. 397 Michael Chizzali Musik aus Italien an ernestinischen Höfen des 16. Jahrhunderts ...................... 411
INHALT
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Axel Schröter „Der Segen des absolut monarchischen Principes“. Zur europäischen Strahlkraft des Weimarer Hoftheaters und der Hofkapelle Meiningen ........................................................................................ 425 Alfred Erck/Hannelore Schneider Georg II. von Sachsen-Meiningen und die „Europäisierung“ des kulturellen Lebens im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts unter dem Protektorat von gekrönten Staatsoberhäuptern ........................................... 445 Wolfgang Steguweit Ein numismatisches „who ist who“. Münz- und Medaillenbildnisse der Ernestiner vom 16.–18. Jahrhundert ................................................................ 469 Farbtafeln ..................................................................................................................... 481 Abbildungsverzeichnis............................................................................................... 491 Personenregister ......................................................................................................... 492 Ortsregister .................................................................................................................. 506 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren ............................................................. 510
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Vorwort Keine Region des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation war durch eine derartige territoriale Vielfalt geprägt wie das heutige Thüringen. Um 1680 existierten hier weit über 20 kleine Staaten, unter ihnen die zehn ernestinischen Herzogtümer Sachsen-Weimar, Sachsen-Eisenach, Sachsen-Jena, Sachsen-Römhild, Sachsen-Hildburghausen, Sachsen-Coburg, Sachsen-Meiningen, SachsenEisenberg, Sachsen-Gotha und Sachsen-Saalfeld. Hinzu kamen bis zu zehn reußische Herrschaften der älteren und der jüngeren Linie, die vier schwarzburgischen Grafschaften Rudolstadt, Sondershausen, Arnstadt und Ebeleben, aber auch Gebietsanteile von Staaten, deren Zentren sich außerhalb der Region befanden. Nicht zu Unrecht gilt Thüringen als das Extrem deutscher Teilungsgeschichte, ja als „das Musterland deutscher Kleinstaaterei“ (Willy Flach). Erst durch die sukzessive Einführung der Primogenitur in den Hausgesetzen der Reußen, Schwarzburger und Ernestiner – den Anfang machte 1679 die kleine reußische Linie Schleiz, als letztes thüringisches Fürstenhaus entschloss sich 1803 Sachsen-Meiningen zu diesem Schritt – konnte die weitere Aufsplitterung unterbunden und die Zahl der Staaten schließlich wieder verringert werden. Zeitweilig selbständige Herzogtümer erloschen nach dem Tod ihrer Herrscher und wurden, wie Sachsen-Jena 1690/91, von den überlebenden Verwandten aufgesogen. Andere wie Sachsen-Saalfeld (1735) oder Sachsen-Eisenach (1741) fusionierten de facto und blieben in der Titulatur der neu formierten Herzogtümer Sachsen-Coburg-Saalfeld bzw. Sachsen-Weimar-Eisenach präsent. Um 1800 gab es bei den Ernestinern, dem wichtigsten Fürstengeschlecht auf thüringischem Gebiet, fünf Teillinien. Deren Zuschnitt hat sich nach dem Aussterben des Gothaer Hauses 1825 nochmals verändert. Von 1826 bis 1918 herrschte schließlich territoriale und politische Stabilität. Trotz der Vielzahl jeweils mehrerer Speziallinien, die parallel existierten, ist es den Ernestinern in der Frühen Neuzeit gelungen, für das Gesamtterritorium der Dynastie eine funktionsfähige staatliche Herrschaftsorganisation zu etablieren. Die Verwaltungsformen, die man entwickelte, galten vielen Zeitgenossen sogar als vorbildlich. Im 19. Jahrhundert entstand dann allerdings ein zunehmender Mediatisierungsdruck, dem man seitens der Ernestiner zwar widerstand, der jedoch mit einer lautstarken Kritik an der „Kleinstaaterei“ einherging. So galten die 1826 formierten Herzogtümer Sachsen-Coburg und Gotha, SachsenMeiningen und Sachsen-Altenburg angesichts der im 19. Jahrhundert allgemein vorherrschenden Tendenz fortschreitender Zentralisierung der Verwaltung und der staatlichen, Wirtschafts- und Handelsräume als politische Zwerge. Und auch Sachsen-Weimar-Eisenach, das von den territorialen Veränderungen des Jahres
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1826 nicht betroffen war und ein Dezennium zuvor auf dem Wiener Kongress sogar eine deutliche Gebietserweiterung sowie eine Rangerhöhung zum Großherzogtum erfahren hatte, wurde weiterhin als „mindermächtiges“ Staatswesen wahrgenommen. Seit 1485 besaßen die Ernestiner als Kurfürsten (bis 1547) sowie als Herzöge eine überregionale politische Wirkmacht und kulturelle Anziehungskraft. Zwischen dem Schmalkaldischen Krieg und dem Ende der Fürstenherrschaft im Jahre 1918 regierten sie vorrangig im Raum des heutigen Freistaats Thüringen. Ihr Einfluss auf die europäische Entwicklung verdankte sich über die Jahrhunderte hinweg aber nicht in erster Linie ihrer machtpolitischen Potenz, sondern zum einen einer vielgestaltigen kulturellen Strahlkraft – von der Reformation im 16. Jahrhundert bis hin zu Pietismus, Klassik und Romantik sowie zum Aufstieg der Universität Jena im 18. Jahrhundert – zum anderen den dynastischen Verbindungen mit dem europäischen Hochadel, von Russland über Belgien und England bis nach Preußen. Die feste Verankerung der verzweigten Familie im Territorium, ihr Herrschaftsanspruch der langen Dauer, das Bewusstsein für die verwandtschaftlichen Beziehungen, Gemeinsamkeiten wie die ernestinische Landesuniversität, ein relativ homogenes konfessionelles und kulturelles Selbstverständnis, eine spätestens seit dem 17. Jahrhundert zu beobachtende Erinnerungskultur und aktive Traditionspflege sowie einiges mehr sprechen dafür, dass es sich bei der aus der Leipziger Teilung des Hauses Wettin von 1485 hervorgegangenen Linie um eine Dynastie handelt, trotz der späteren Vielgestaltigkeit und staatlichen Kleinteiligkeit. *
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Während der Charakter als Dynastie bereits frühzeitig gesichert werden konnte, taucht ihre heutige Bezeichnung, der Begriff Ernestiner, für die zwischen 1485 und 1547 vor allem in Torgau und Wittenberg sowie in Weimar, Coburg, Altenburg und Gotha residierenden Kurfürsten – eine feste Residenz hatte sich bei ihnen noch nicht ausgebildet – zu dieser Zeit allerdings weder als Selbst- noch als Fremdbezeichnung auf. Dies gilt ebenso für die Albertiner, die gleichfalls aus der Leipziger Teilung hervorgegangen waren und die vor allem in Dresden residierten. Den beiden im Jahr 1485 entstandenen Linien war gemein, dass sie sich auch nicht als von Wettin bzw. wettinisch benannten. Sie bezeichneten sich seit 1423 – seit der Belehnung mit dem Herzogtum Sachsen und der damit verbundenen Kurwürde – als Herzöge von Sachsen. Bis dahin hatten sie seit 1247 grundsätzlich den Titel „Landgrafen von Thüringen und Markgrafen zu Meißen“ sowie weitere besitzanzeigende Herrschaftstitel genutzt. In der Fremdwahrnehmung – beispielsweise auf den großen Reichsversammlungen – bürgerte sich nach 1485 zunächst die Bezeichnung „Kurfürst“ für die ernestinischen
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Fürsten der Wettiner ein – so für Friedrich den Weisen (1486–1525), Johann den Beständigen (1468–1532) und Johann Friedrich den Großmütigen (1532– 1547/54), wobei die Beinamen erst im 19. Jahrhundert endgültig gebräuchlich wurden. Nach dem Tod der beiden namengebenden Fürsten – Kurfürst Ernst († 1486) und Herzog Albrecht († 1500) – hatte sich das Verhältnis beider Linien zusehends verschlechtert, so dass sich die streitenden Parteien in den erhaltenen Protokollbüchern intern verstärkt stigmatisierten. Als Fremdbezeichnung tauchen für die ernestinisch-kurfürstliche Linie nach 1500 in der Dresdner Überlieferung die Worte Weimar oder die Weimarischen auf. Diese Begriffe wurden bereits in den Teilungsurkunden von 1485 für die westlichen Landesteile benutzt. Die kurfürstlich-ernestinische Kanzlei hingegen verwandte ab circa 1505 den Begriff die Georgischen für die Räte des Herzogs Georg. Bemerkenswert erscheint, dass man an diesem Ausdruck vereinzelt sogar noch nach Georgs Tod 1539 festhielt. Ansonsten dominierte auch auf ernestinischer Seite eine stärkere lokal-regionale Kennzeichnung – also Dresden bzw. die Dresdner oder die Meißner für die Albertiner. Von ernestinisch oder albertinisch oder gar von Thüringen bzw. Sachsen ist nirgends die Rede. Nach der für den Kurfürsten Johann Friedrich katastrophalen Niederlage bei Mühlberg an der Elbe und dem damit verbundenen Verlust der Kurwürde bezeichneten sich die Ernestiner weiterhin konsequent als Herzöge von Sachsen – ein Umstand, der schließlich dazu führte, dass es bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts thüringisch-fränkische Territorien der Ernestiner gab, die den Titelbegriff Sachsen führten. Als Selbstbezeichnung sind die Attribute ernestinisch oder wettinisch in jenen frühneuzeitlichen Quellen, die in den herzoglich-ernestinischen Kanzleien zu Weimar, Gotha, Altenburg usw. entstanden sind, nicht nachzuweisen – und vorerst auch nicht in der Dresdner Kanzlei der nunmehrigen Kurfürsten von Sachsen (seit 1547) bzw. Könige von Polen (seit 1697). Wahrscheinlich – eine endgültige Klärung steht indes noch aus – versuchte der Jurist, Historiker und spätere Geheime Archivar zu Dresden, Adam Friedrich Glafey (1692–1753), den Begriff ernestinisch als neutralen wissenschaftlichen Terminus in die sich allmählich professionalisierende Geschichtswissenschaft einzuführen. Glafey, der aus dem Vogtland stammte, in Jena studiert hatte und an der Salana auch Vorlesungen hielt, bewarb sich 1720 um ein Ordinariat an der Leipziger Juristenfakultät. Typisch für ihn waren eine aufklärerische Gesellschaftskritik, das Benutzen neuer (juristischer) Fachtermini sowie kühne historische Konstruktionen, die offensichtlich in der Tradition des Humanismus standen – beispielsweise in der des Georg Spalatin (1484–1545). So hatte Glafey unter anderem versucht, die Genealogie der Wettiner auf den westfälisch-sächsischen Widerständler gegen Karl den Großen, Widukind († um 803), zurückzuführen. Sehr harsch fiel Glafeys historische Beurteilung des Herzogs und Kurfürsten
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Moritz von Sachsen aus, des politischen Gegenspielers Johann Friedrichs des Großmütigen also. Und in diesem Zusammenhang benutzt er den Begriff Ernestiner, der sich indes nur in den von der Zensurbehörde konfiszierten Druck-bögen nachweisen lässt. Glafeys Schriften gerieten vorrangig nach seiner (gescheiterten) Leipziger Bewerbung 1720 ins Blickfeld der Zensur. Deren kritische Beobachtung zielte jedoch nur teilweise auf seine historischen Schriften; einzig die Kritik an Moritz von Sachsen musste relativiert werden. Entscheidend ist freilich, dass es Glafey im Jahr 1726 gelang, als Geheimer Archivar in Dresden bestallt zu werden. Und so lässt sich seit dieser Zeit tatsächlich das Attribut ernestinisch gelegentlich in den Findbüchern und Akten des Geheimen Archivs in Dresden nachweisen, wobei bisher noch völlig unklar ist, ob die Einträge von Glafeys Hand selbst stammen. Auf alle Fälle wurde die Benennung für die im Jahr 1485 entstandene kurfürstliche bzw. seit 1547 herzogliche Linie der Landgrafen von Thüringen und Markgrafen von Meißen aus dem Haus Wettin im 18. und frühen 19. Jahrhundert allmählich gebräuchlich – als neutrale Fremdbezeichnung im Dresdner Geheimen Archiv, welches heute Teil des Sächsischen Hauptstaatsarchivs zu Dresden ist. Vorschnelle Vermutungen, dass der Begriff von den Archivaren des Kurfürsten August bei der Aktenbildung des „Ernestinischen Gesamtarchivs“ Anfang der 1580er Jahre eingeführt wurde, erscheinen als unhaltbar. Wann sich die Bezeichnung jedoch endgültig durchsetzte und ob es direkte Verbindungen von Glafeys Publikationen aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in die Fachliteratur oder gar in das populäre Schrifttum gab, beispielsweise in die beim Volke beliebten Jahres- und Schreibkalender, ist ebenfalls noch offen. Gesichert scheint nur zu sein, dass es namentlich die wirkmächtigen Historikerarchivare des 19. Jahrhunderts waren, die den Begriff Ernestiner – so wie dann auch Albertiner – völlig wertfrei übernommen haben, so dass beide Bezeichnungen schrittweise Eingang in die geschichtswissenschaftliche Fachliteratur fanden. Stellvertretend für Generationen dieser Forscher seien der Dresdner Otto Posse (1847–1921) und der in Weimar tätige Carl August Hugo Burckhardt (1830–1910) genannt. Für sie war es selbstverständlich, von den Wettinern sowie den Ernestinern und Albertinern zu sprechen. Als allgemein übliche Selbstbezeichnung kann ernestinisch aber auch zu dieser Zeit noch nicht gelten. Als in den Monaten nach dem Wiener Kongress in Sachsen-Weimar-Eisenach durch den Zugewinn eines Teils des ehemals kursächsischen Neustädter Kreises und die Rangerhöhung zum Großherzogtum eine aktualisierte Titulatur notwendig wurde, wählte man die folgenden Formulierung: „Wir bestimmen demnach Unsern Titel also: Grosherzog zu Sachsen Weimar-Eisenach, Landgraf in Thüringen, Markgraf zu Meissen, gefürsteter Graf zu Henneberg, Herr zu Blankenhayn, Neustadt und Tautenburg.“ Als ernestinisch bezeichnete sich der bedeutendste Ernestiner dieser Epoche im Jahre
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1815 also nicht. Beim gemeinsamen Auftreten mehrerer Repräsentanten des Hauses bürgerte sich das Attribut in der Folge aber allmählich ein, etwa für den „Herzoglich Sachsen-Ernestinischen Hausorden“, auch „Ernestiner“ genannt. Dieser am 25. Dezember 1833 von den Herzögen Friedrich von SachsenAltenburg (1763–1834), Ernst I. von Sachsen-Coburg und Gotha (1784–1844) sowie Bernhard II. Erich Freund von Sachsen-Meiningen (1800–1882) gestiftete Orden existiert bis heute. Er geht auf den „Orden der deutschen Redlichkeit“ in Erinnerung an Ernst den Frommen (1601–1675) von 1690 zurück. *
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Unstrittig besaßen die Ernestiner seit 1485 eine überregionale Wirkmacht und kulturelle Anziehungskraft europäischer Dimension. Daran änderten auch der für sie so unglückliche Ausgang des Schmalkaldischen Krieges 1547 und der Verlust der Kurwürde nichts. In der Folge stiegen die Residenzen in Altenburg, Coburg, Eisenach, Gotha, Hildburghausen, Meiningen und Weimar – während jeweils unterschiedlicher Blütezeiten freilich – zu international bedeutenden Zentren höfischer Kunst und Kultur sowie von Pietismus, Aufklärung und Klassik auf. Allein der Name Weimar besitzt weltweit einen herausragenden, ja einmaligen Namen in Kunst, Kultur und Wissenschaft. Im vorliegenden Band werden diese Themen sowie vielerlei Facetten von Politik, Bildung und gesellschaftlich-kulturellem Wandel betrachtet, erörtert und diskutiert. Ausgewiesene Landeshistoriker und Fachwissenschaftler benachbarter Disziplinen schauen in die ernestinischen Territorien und auch hinter die Fassaden der Dynastie. Damit ist zugleich eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thüringer Landesausstellung „Die Ernestiner. Eine Dynastie prägt Europa“ intendiert, die von April bis August 2016 an den Standorten Gotha und Weimar gezeigt wird. Das Buch entstand im Dialog und mit Unterstützung der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha und der Klassik Stiftung Weimar, wofür Herrn Direktor Prof. Dr. Martin Eberle und Herrn Präsidenten Hellmut Seemann großer Dank gebührt. Im Entstehungsprozess waren uns Frau Dr. Friedegund Freitag (Gotha) und Herr Dr. Gert-Dieter Ulferts (Weimar) gleichermaßen kompetente wie verlässliche Partner. Die Redaktion und den Satz besorgte Herr Dr. Pierre Fütterer (Jena), während Frau Julia Beez (Jena) an der Korrektur beteiligt war und die Register erstellte. In bewährter Weise durften wir uns der Zusammenarbeit mit dem Böhlau Verlag Köln/Weimar/Wien erfreuen, wo das Projekt von Herrn Johannes van Ooyen kompetent und zügig begleitet wurde. Ihnen allen, in erster Linie aber den Autoren der 23 Beiträge, sei für ihre Mitwirkung herzlich gedankt. Jena, im Frühjahr 2016
Die Herausgeber
G E O R G S CH M I D T DIE ERNESTINER UND DAS REICH
Die Ernestiner und das Reich Aus der Leipziger Teilung der Wettiner gingen 1485 zwei Linien hervor, die schnell selbst dynastische Züge gewannen.1 Die gemeinsame Verwaltung bestimmter Einkünfte und Schulden sowie der Anwartschaften, Schutzherrschaften und Samtbelehnungen trennte mehr, als dass sie einte. Ernestiner und Albertiner bekämpften sich zeitweise erbittert. Im Zentrum ihrer Streitigkeiten stand die Kurwürde, das in der Goldenen Bulle festgeschriebene Privileg der Königswahl, das deren Inhaber aus der Masse der anderen Reichsfürsten heraushob.2 Es ist müßig, darüber zu spekulieren, welche Konsequenzen ein kursächsisches Großterritorium für die deutsche Geschichte hätte haben können.3 Die durch die Folgen der Reformation und den Kurwechsel von 1547 noch verstärkte Rivalität zwischen Ernestinern und Albertinern gehörte zu den Konstanten der frühneuzeitlichen Reichsgeschichte. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation zählte bis zu seinem Ende 1806 zu den wenig hinterfragten Selbstverständlichkeiten. Es setzte den deutschen Dynasten merkliche Schranken und verhinderte, dass sie „Land und Leute“ wie Souveräne beherrschten. Die Weimarer Herzöge haben die Sanktionen von „Kaiser und Reich“ leidvoll erfahren. Zwischen 1547 und 1624 gerieten gleich drei von ihnen in kaiserliche Gefangenschaft: Kurfürst Johann Friedrich für fünf Jahre, sein Sohn gleichen Namens für den 28-jährigen Rest seines Lebens und Herzog Wilhelm IV. 1623/24 etwas länger als ein Jahr. Auch wenn eine solche Haft weder Kerker noch Wasser und Brot bedeutete, blieb sie freiheitsbeschränkend. Diese Einbettung fürstlicher Herrschaft in ein übergeordnetes politisches Handlungsgefüge widerspricht allen Vorstellungen von hunderten, wenn nicht tausenden von Duodezfürsten, die als kleine Despoten
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Dazu Siegrid WESTPHAL, Zur Einführung: Wer waren die Ernestiner, in: Siegrid WESTPHAL/Hans-Werner HAHN/Georg SCHMIDT (Hg.), Die Welt der Ernestiner. Ein Lesebuch, Köln/Weimar/Wien 2016, S. 11–22. – Für die hilfreiche Kommentierung danke ich Frau Dr. Astrid Ackermann und Herrn Marcus Stiebing (beide Jena). Axel GOTTHARD, Säulen des Reiches. Die Kurfürsten im frühneuzeitlichen Reichsverband, 2 Bde., Husum 1999. Vgl. Karlheinz BLASCHKE, Die Leipziger Teilung 1485 und die Wittenberger Kapitulation 1547 als grundlegende Ereignisse mitteldeutscher Territorialgeschichte, in: Jürgen JOHN (Hg.), Kleinstaaten und Kultur in Thüringen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, Weimar u. a. 1994, S. 1–7.
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GEORG SCHMIDT
ihre Untertanen tyrannisierten, um nach dem Vorbild von Versailles prächtige Schlösser zu bauen und mit einem aufwändigen Hofleben die Ressourcen zu verschwenden, die den darbenden Bauern und Bürgern abgepresst wurden. Das sogenannte „Alte Reich“ erweist sich bei näherem Hinsehen als komplexes Gefüge komplementärer Staatlichkeit, das es den Ernestinern erst ermöglichte, ihre zersplitterten, zum Teil sehr kleinen Territorien selbständig, aber keineswegs unabhängig zu regieren. Es bildete den unverzichtbaren Rahmen, der die innere und äußere Sicherheit garantierte und in dem die Herzöge ihre politischen Aktivitäten entfalten konnten. Im Konfliktfall mussten sie Kompromisse nicht nur mit „Kaiser und Reich“, sondern mit ganz verschiedenen Partnern aushandeln. Dabei war stets das Machtgefälle zu beachten, das auch innerhalb der eigenen Dynastie existierte. Wer in Römhild oder Hildburghausen „regierte“, blieb politisch an „sein“ Gothaer Stammhaus gebunden, das sich wiederum über die ernestinischen Samtherrschaften oder die fünf Reichstagsstimmen mit den anderen Linien verständigen musste. Als „Stammsitz“ beanspruchte die Weimarer Linie eine Führungsrolle, die ihnen aber von den anderen Häusern häufig bestritten wurde. Alle Herzöge mussten den Mandaten des Kaisers sowie den Beschlüssen des Reichstages, des Reichskreises und der Landtage folgen, die Interventionen mächtiger Nachbarn und auch die Wünsche der Untertanen zumindest berücksichtigen. Ansonsten drohten Sanktionen. „Souverän“ regierten die Reichsstände in der Frühen Neuzeit nicht. Sie erreichten diesen Status im 19. Jahrhundert, nachdem Napoleon dem Alten Reich 1806 ein Ende gesetzt hatte.4 Die Fürstensouveränität blieb jedoch abhängig von dessen Gnaden und wurde im Deutschen Bund von Österreich und Preußen eingehegt, bevor sie mit der Gründung des kleindeutschen Bismarckreiches für immer verschwand. Im Folgenden steht die Abhängigkeit der Ernestiner von „Kaiser und Reich“ im Mittelpunkt. Als Sonde dient der Kampf um die sächsische Kurwürde, weil er beispielhaft verdeutlicht, wie das Reichsgefüge funktionierte. Deswegen wird zunächst auf die Rolle der Ernestiner bei der Entstehung des frühneuzeitlichen Reichs-Staates eingegangen. Im zweiten Teil liegt der Fokus auf ihren Bemühungen, den Verlust der Kurwürde zu revidieren.
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Georg SCHMIDT, Von der „Westfälischen Souveränität“ zu den Rheinbundsouveränen. Deutsche Staatlichkeit, Mächtebalance und napoleonische Hegemonie, in: Guntram MARTIN u. a. (Hg.), Geschichte Sachsens im Zeitalter Napoleons, Beucha 2008, S. 37–53.
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1. Reichs-Staat, Reformation und kurfürstliche Reichspolitik Das Heilige Römische Reich deutscher Nation hatte mit dem antiken römischen Reich wenig mehr gemeinsam als den Namen. Voltaire spottete bekanntlich und viel zitiert, dieses Reich sei weder heilig noch römisch noch ein Reich.5 Mit der Idee einer translatio imperii war vor allem aus heilsgeschichtlichen Motiven das Reich der Franken mit dem römischen Reich verknüpft worden.6 Das um den Kaiser zentrierte Lehensgefüge konstituierte sich insbesondere in den kleinteiligen (ober-)deutschen und österreichischen Zentrallandschaften vor und um 1500 im Zuge der sogenannte Reichsreform7 als sich „verdichtender“ ReichsStaat. Der Wormser Reichstag von 1495 markierte mit seinen Beschlüssen zum „Ewigen Landfrieden“ sowie der Kammergerichts- und Pfennigordnung diesen Übergang.8 Die Einrichtung der zehn Reichskreise sorgte danach für eine dauerhafte Untergliederung des Reiches, während das Reichsregiment zweimal scheiterte. Mit der Staatswerdung seiner Kernbereiche folgte das Reich dem Vorbild seiner Nachbarn, wählte jedoch keine monarchische, sondern eine (stände-) republikanische Variante. Kaiser und Reichsstände konstituierten sich als politischer Verbund, der durch das ständische Mitregiment sowie die Kontrolle von Herrschaft durch Herrschaft gekennzeichnet war und zunehmend Staatsqualität erreichte. Die gewiss ironische Bezeichnung „Wormser Republik“ hat sich in Analogie zur Weimarer, Bonner und Berliner Republik nicht durchgesetzt9, erhellt aber, der recht freien Assoziation zum Trotz, vergessene und verdrängte Kontinuitäten. Der sich im 16. Jahrhundert ausbildende „komplementäre Reichs-Staat“ war trotz seines beträchtlichen Umfangs das Gegenteil eines Imperiums. Ihm fehlten nahezu alle reichischen Attribute – insbesondere der stete Expansionsdrang 5 6 7 8
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Vgl. dazu Martin WREDE, Frankreich, das Reich und die deutsche Nation im 17. und 18. Jahrhundert, in: Georg SCHMIDT (Hg.), Die deutsche Nation im frühneuzeitlichen Europa, München 2010, S. 157–177, hier S. 167 f. Werner GOEZ, Translatio Imperii. Ein Beitrag zur Geschichte des Geschichtsdenkens und der politischen Theorien im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Tübingen 1958. Heinz ANGERMEIER, Die Reichsreform 1410–1555. Die Staatspolitik in Deutschland zwischen Mittelalter und Gegenwart, München 1984. Vgl. Georg SCHMIDT, Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495–1806, München 1999, bes. S. 33–44; DERS., Heiliges Römisches Reich, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hg. v. Albrecht CORDES u. a., Berlin 22010, S. 882–893. Karl Otmar von ARETIN, Die Wormser Republik. Rez. Georg SCHMIDT, Geschichte des Alten Reiches, München 1999, in: Frankfurter Allgemeine vom 12. Oktober 1999. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezension-sachbuch-die-wormser-republik -11315859.html (Zugriff: 11. März 2016). Vgl. Georg SCHMIDT, Die Deutsche Freiheit. Spaltung und föderative Einheit im Alten Reich o. O., o. J. (2014), S. 8 f.
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oder eine kulturell eher inhomogene Bevölkerung, die von einer zentral organisierten Herrschaft zusammengehalten würde.10 Der Reichs-Staat war hingegen strukturell nicht angriffsfähig und kulturell durch die deutsche Schriftsprache erstaunlich homogen. Er versuchte erst gar nicht, die sich ihm verweigernden Teile des Lehensreiches mit Gewalt zu integrieren. Dennoch konnte unter Führung des Kaisers die innere und äußere Sicherheit durchgesetzt werden, wobei diese zentrale staatliche Aufgabe komplementär auf Haupt und Glieder verteilt war. Handlungsfähig war der Reichs-Staat nur, wenn sich Kaiser und Reichsstände verständigt hatten. Die frühneuzeitliche Staatslehre glaubte lange Zeit, dieses Reich nur beschreiben, nicht jedoch systematisieren zu können. Pufendorf nannte es irregulär und einem „monstro simile“, weil es nicht in das aristotelische Schema passte. Er strich diese Stelle in der dritten Auflage seiner Schrift über die Reichsverfassung, weil er das Reich ja keineswegs als ineffektiv kennzeichnen wollte.11 Der Staatsrechtler Johann Moser durchhieb den gordischen Knoten, als er im 18. Jahrhundert dekretierte: „Teutschland wird auf teutsch regiert“.12 Mit dieser Formel gab sich sein Göttinger Kollege Johann Stephan Pütter aber nicht zufrieden. Er kam zu dem Schluss, dass das deutsche Reich „aus mehreren besonderen, jedoch einer gemeinsamen höheren Gewalt noch untergeordneten Staaten bestehet.“13 Gekennzeichnet wurde mit solchen Beschreibungen oder Definitionen nur das engere Reich, der komplementäre Reichs-Staat, nicht der Lehensverbund. Wenn die Zeitgenossen im In- und Ausland von dem Reich sprachen, meinten sie normalerweise dieses merkwürdige politisch-staatliche Gebilde in der Mitte Europas, das die Deutschen (und Österreicher) politisch zusammenfasste.14 Sie unterschieden zudem zwischen der auf den Reichs-Staat bezogenen politischen Nation der Deutschen sowie der Sprach- und Kulturnation, der sich jeder zu-
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Ulrike von HIRSCHHAUSEN, A new Imperial History? Programm, Potenzial, Perspektiven, in: Geschichte und Gesellschaft 41 (2015), S. 718–757. Samuel von PUFENDORF, Die Verfassung des deutschen Reiches, hg. u. übersetzt v. Horst DENZER, Frankfurt a. M. u. a. 1994, S. 197–199. Vgl. Bernd ROECK, Reichssystem und Reichsherkommen. Die Diskussion über die Staatlichkeit des Reiches in der politischen Publizistik des 17. und 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1984, S. 26–91; SCHMIDT, Geschichte (wie Anm. 8), S. 186–191. Johann Jacob MOSER, Neues teutsches Staatsrecht, Bd. 1, Stuttgart 1766, S. 550. Johann Stephan PÜTTER. Beyträge zum Teutschen Staats- und Fürsten-Rechte, Teil 1, Göttingen 1777, S. 30 f. Jean-François NOËL, Das Reichsbewusstsein des einfachen Volkes im Deutschland des 18. Jahrhunderts, in: trivium 14, 2013. https://trivium.revues.org/4618 (11. März 2016); DERS., Le concept de Nation Allemande de l’Empire au XVIIe siècle, in: XVIIe Siècle 44 (1992), S. 325–344.
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ordnen durfte, der dies wollte. Staatliche Ansprüche waren damit nicht verbunden.15 Die deutsche Nation gab es in der Frühen Neuzeit doppelt, das Reich in vier unterschiedlichen Varianten. Die beiden wichtigsten, der Reichs-Staat und das Lehensreich, werden meist unterschiedslos als Heiliges Römisches Reich deutscher Nation oder Altes Reich bezeichnet. Sie unterscheiden sich jedoch durch Umfang und politische Verbindlichkeit. Der Reichs-Staat organisierte die „deutschen“ Lande zwischen den Alpen und der Nord- und Ostsee. Die Zugehörigkeit verpflichtete zur Loyalität und zu Leistungen für das Gesamtgefüge. Zum Lehensreich gehörten darüber hinaus noch weite Teile Oberitaliens sowie Burgund und die Eidgenossenschaft – über die Lehensabhängigkeit Böhmens und seiner Nebenlande wurde gestritten. Die Historiker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts blickten auf das große mittelalterliche Lehensreich und bewerteten die Konzentrationsprozesse um die Wende vom Mittelalter zur Neuzeit als Zeichen der Schwäche. Sie verglichen das Reich mit dem souveränen organisierten Nationalstaat ihrer Zeit und werteten es als überkommen und belanglos ab. Das Alte Reich wurde zum negativen politischen Argument: Der deutsche Nationalstaat musste stark und mächtig sein, um nie mehr zum Spielball fremder Mächte zu werden. Nach den beiden Weltkriegen, dem Holocaust und den verbrecherischen Diktaturen auf deutschem Boden wird das Alte Reich inzwischen erheblich positiver bewertet und animiert sogar zum epochenübergreifenden Strukturvergleich mit der Europäischen Union.16 Neben dem Reichs-Staat und dem Lehensreich blieben jedoch bis weit in die Frühe Neuzeit zwei weitere Reichsvorstellungen virulent: das abendländischuniversal gedachte Reich der Christenheit in der Verantwortung von Papst und Kaiser sowie das kleinteilige Reich, das die auf den Kaiser fixierten Gebiete Oberdeutschlands umfasste. Hier versammelten sich die Reichsstände, um über die gemeinsamen Angelegenheiten zu beraten. Es ist bezeichnend, dass in Österreich und Brandenburg-Preußen, aber auch in Sachsen davon gesprochen wurde, „ins Reich“ zu gehen, wenn diese Landstriche aufgesucht wurden.17 Diese Redeweise ist vor allem für die Zeit Kurfürst Friedrichs des Weisen und 15 16
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Vgl. dazu beispielsweise die Debatte um den deutschen Nationalgeist: Georg SCHMIDT, Wandel durch Vernunft. Deutsche Geschichte im 18. Jahrhundert, München 2009, S. 186– 188. Andreas OSIANDER, Irregulare aliquod corpus et monstro simile. Can historical comparisons help understand the European Union? (2010) http://ssrn.com/abstract=1638807 (Zugriff: 26. März 2015); Georg SCHMIDT, Das Alte Reich und die Europäische Union – ein Versuch, in: Meinolf VIELBERG (Hg.), Vorträge der Geisteswissenschaftlichen Klasse 2010–2011, Erfurt 2013, S. 79–98. SCHMIDT, Geschichte (wie Anm. 8), S. 10.
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seiner beiden ernestinischen Nachfolger überliefert.18 Sie illustriert die Sicht mächtiger Kurfürsten, die das Reichsoberhaupt zwar als Zentrum eines personalen Lehensverbandes anerkannten, die mit der Staatswerdung verbundenen Institutionalisierungen aber zunächst als sie und ihre Lande wenig berührend einstuften. Die Wettiner hatten gelernt, ihre Probleme selbst zu lösen. Da nach der Leipziger Teilung jedoch Ernestiner und Albertiner um die Kurwürde und andere Privilegien rangen, änderte sich ihre Haltung zu Kaiser und Reich. Das Reichsoberhaupt geriet in die Rolle eines Schiedsrichters. Kurfürst Friedrich nutzte seinen Vorteil als Königswähler. Er intensivierte zielstrebig in die Beziehungen zu Maximilian I., der ihn 1507, als er seinen dann in Trient gescheiterten Romzug begann, zum Generalstatthalter ernannte. Dies entsprach den in der Goldenen Bulle normierten Bestimmungen: Bei Abwesenheit des römischen Königs übernahmen die beiden Reichsvikare das Regiment. Friedrich der Weise stilisierte diesen Vorgang jedoch zu einem ganz besonderen Gunstbeweis, den er mit einer Gedenkmünze feiern ließ. Die Inszenierung richtete sich wohl primär gegen eventuelle Ansprüche seiner albertinischen Vettern, die für Kaiser Friedrich III. und König Maximilian I. Kriegsdienste geleistet hatten. Herzog Albrecht war dafür 1488 zum Generalstatthalter in den Niederlanden und 1498 zum ewigen Gubernator in Friesland ernannt worden.19 Kurfürst Friedrich unterstützte das Reichsoberhaupt, weil er sich davon Vorteile versprach. Er nahm aber kaum Einfluss auf die Umgestaltung des Reichsverbandes, die zum Übergang von der „offenen Verfassung zur gestalteten Verdichtung“ führten.20 Diese Reformen betrieben vorrangig der Mainzer Kurerzkanzler Berthold von Henneberg sowie etliche mindermächtige Fürsten und Städte im Zusammenspiel mit dem König. Sie wollten endlich die Landfriedensproblematik lösen, weil sie auf einen funktionierenden Reichsverband angewiesen waren. Friedrich und seine albertinischen Vettern beteiligten sich hingegen als Vasallen des Kaisers an der Abwehr der Herausforderungen, denen sich der Reichsverband um 1500 ausgesetzt sah.21 Das Reich interessierte sie weniger. Diese Distanz musste der Ernestiner jedoch in dem Moment überdenken, als die Reformation die Glaubenseinheit in Frage stellte. 18 19 20 21
Uwe SCHIRMER, Die ernestinischen Kurfürsten bis zum Verlust der Kurwürde 1485–1547, in: Frank-Lothar KROLL (Hg.), Die Herrscher Sachsens, München 2004, S. 55–75, hier bes. S. 59 f. Enno BÜNZ/Christoph VOLKMAR, Die albertinischen Herzöge bis zur Übernahme der Kurwürde 1485–1547, in: KROLL, Herrscher Sachsens (wie Anm. 18), S. 75–89, hier S. 77– 79. Peter MORAW, Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter, Frankfurt a. M. 1989. Vgl. SCHIRMER, Kurfürsten (wie Anm. 18), bes. S. 60.
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Friedrich der Weise hatte 1518 aus guten Gründen auf eine Thronkandidatur verzichtet und König Karl I. von Spanien unterstützt – den Enkel Kaiser Maximilians I. Welche Rolle dabei die geplante, schließlich aber doch gescheiterte Heirat seines Neffen Johann Friedrich mit Karls Schwester Katharina und die von den Fuggern bereitgestellten Gelder spielten, sei dahingestellt.22 Für die weitere Entwicklung des Reichs-Staates war es hingegen von entscheidender Bedeutung, dass die Kurfürsten den ihnen allzu mächtig erscheinenden spanischen König an eine Wahlkapitulation banden. Sie grenzte die Interessen des Reiches deutscher Nation von denjenigen des weltweit ambitionierten Kaisers ab.23 Dies hinderte Kurfürst Friedrich nicht, die ihn interessierenden Probleme direkt mit dem jungen Kaiser zu regeln – von Herrscher zu Herrscher. In der Lutherfrage verständigte man sich auf eine Anhörung des gebannten Reformators. Darüber hinaus wollte der Kurfürst mit der Causa Lutheri nicht weiter belästigt werden. Dies erwies sich allerdings schnell als unmöglich. Zwar war der mit dem Wormser Edikt geächtete Luther auf der Wartburg in Sicherheit gebracht worden, doch die von ihm ausgelöste Bewegung beschäftigte bald die Reichspolitik. Friedrich der Weise musste feststellen, dass sich das Reich verändert hatte. Seine Übereinkunft mit dem Kaiser schützte ihn nicht mehr vor der lästigen Konfrontation mit der Luthersache. Er war jedoch klug genug, auf den Reichstagen für die ungehinderte Verkündung des Evangeliums zu werben und so das Nebeneinander der beiden Varianten des christlichen Glaubens vorzubereiten. Damit geriet er zwangsläufig in Opposition zum Kaiser, der die Störung der religiösen Einigkeit in Deutschland aufgrund seines Amtsverständnisses als Protektor der Kirche und wegen seiner universalmonarchischen Pläne nicht auf sich beruhen lassen konnte. Für eine solche Konstellation religiöser Zwietracht gab es keine Spielregeln in einem Reich, das sich als weltlicher Schutzraum der abendländischen Christenheit verstand und in dem der Kaiser davon ausging, monarchisch zu regieren. Der Glaubenskonflikt führte schließlich dazu, dass das reichsständische Mitregiment gestärkt wurde. Die zuvor an der korporativen Reichspolitik desinteressierten Ernestiner hatten daran maßgeblichen Anteil. Die Strategie des obrigkeitlichen „Wegsehens“ gegenüber der lutherischen Bewegung ging in dem Moment zu Ende, als der Kaiser die Reichsstände massiv bedrängte, das Wormser Edikt von 1521 einzuhalten. Daraufhin begann die
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SCHIRMER, Kurfürsten (wie Anm. 18), S. 68. Vgl. Wolfgang BURGDORF (Hg.), Die Wahlkapitulationen der römisch-deutschen Könige und Kaiser 1519–1792, Göttingen 2015, S. 21–32. Vgl. DERS., Protokonstitutionalismus. Die Reichsverfassung in den Wahlkapitulationen der römisch-deutschen Könige und Kaiser 1519–1792, Göttingen 2015.
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hohe Zeit der Formelkompromisse: Im Nürnberger Reichsabschied hieß es Anfang des Jahres 1524, die Stände wollten dem Edikt folgen, „sovil inen muglich“.24 Mit dem Scheitern des Nationalkonzils und nach dem Bauernkrieg, der die hergebrachte Ordnung großflächig in Frage gestellt und Luther zu einer unbarmherzigen Hasstirade gegen die Bauern provoziert hatte25, war guter Rat teuer. Nachdem Friedrich der Weise, der Anwalt einer Politik des Offenhaltens, 1525 gestorben war, übernahm sein von Luther überzeugter Bruder Johann die volle Regierungsverantwortung im Kurfürstentum Sachsen. Er reagierte auf die antireformatorischen Mandate und schloss mit Landgraf Philipp von Hessen im Mai 1526 das Torgauer Bündnis zur Verteidigung des Evangeliums.26 Mit großem Gefolge zogen beide im gleichen Jahr zum Speyrer Reichstag, auf dem sie offen für die Reformation eintraten. Aufgrund des ungeschickten und provozierenden Vorgehens Erzherzog Ferdinands, Bruder des Kaisers und Statthalter im Reich, fassten die Stände einen spektakulären Beschluss: Gegen den erklärten Wunsch des Kaisers sollten die einzelnen Reichsstände es bis zur Entscheidung eines Konzils mit dem Edikt so halten, „wie ein yeder solhs gegen Got und ksl. Mt. hofft und vertrauet zu verantwurten.“27 Dieser dilatorische Formelkompromiss28 privilegierte nicht nur die Gewissen der Reichsstände, sie übertrugen sich darüber hinaus selbst die Verantwortung für den Glauben ihrer Untertanen. Die Selbstermächtigung passte zu einem sich vom Kaiser emanzipierenden „deutschen“ Reichs-Staat, verfassungsrechtlich bedeutete sie aber Neuland, denn sie stärkte die obrigkeitlichen Rechte der Reichsstände und forderte deren vermehrte Verantwortung für das Ganze. In den kurfürstlich-sächsischen Landen konnte das hier ohnehin bereits weit verbreitete Luthertum nun mit obrigkeitlichen Mitteln flächendeckend durchgesetzt werden. Das kursächsische wurde neben dem hessischen Vorgehen zum Muster der Reformation „von oben“. Sie trieb die Vereinheitlichung und Verstaatung der reichsständischen Untertanenverbände erheblich voran. Als 1529 der Speyrer Reichstag den Freistellungsbeschluss revidierte, protestierte eine von Kurfürst Johann angeführte evangelische Minderheit. Sie berief sich auch auf den angeblich alten Verfassungsgrundsatz, dass einhellig gefasste Beschlüsse nicht durch Mehrheitsentscheidungen aufgehoben werden dürften. Damit wurde das
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Deutsche Reichstagsakten jüngere Reihe, Bd. 4, Göttingen 1905, Nr. 149, S. 603. Vgl. Georg SCHMIDT, Luthers verführerisches Angebot: Gehorsam und Kirchenregiment, in: Werner GREILING u. a. (Hg.), Negative Implikationen der Reformation? Gesellschaftliche Transformationsprozesse 1470–1620, Köln/Weimar/Wien 2015, S. 201–221, bes. S. 208–210. Deutsche Reichstagsakten jüngere Reihe, Göttingen 2011, Bd. 5/6, Nr. 60, S. 280–283. Ebd., Nr. 221, Zitat S. 881. Carl SCHMITT, Verfassungslehre, Berlin 81993, S. 32.
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Vetorecht jedes Reichsstandes in solchen Angelegenheiten postuliert, über die schon einmal einstimmig beschlossen worden war.29 Kurfürst Johann, den Führer der Protestanten, überkamen jedoch Zweifel: Predigte Luther nicht unbedingten Gehorsam gegenüber der weltlichen Obrigkeit und galt dies nicht auch für einen Vasallen des Kaisers? Falls dies wirklich Gottes Wille war, nahte 1530/31 das Ende der freien Verkündung seines Wortes. Mit dem Augsburger Reichsabschied forderte Karl V. 1530 ultimativ und unter Androhung von Gewalt die Durchsetzung des Wormser Edikts. Kurfürst Johann stand wie alle protestantischen Reichsstände vor der wenig erfreulichen Alternative, sich zu unterwerfen oder zum Widerstand gegen den eigenen Kaiser zu rüsten. Die Juristen überrumpelten nun jedoch Luther und die Wittenberger Theologen, um den Kurfürsten zu überzeugen. Sie erläuterten, dass der gewählte Kaiser kein Monarch und gegenüber den Reichsständen keine Obrigkeit sei. Gott habe auch ihnen das Schwert gegeben.30 Sie regierten ihre Untertanen kraft eigenen Rechts und bildeten zusammen mit dem Kaiser den Reichs-Staat. Die Lehenspyramide wurde bei dieser Ableitung ausgeblendet. Der Kurfürst machte die Probe aufs Exempel: Er unterzeichnete mit dem Schmalkaldischen Bundesvertrag das Bündnis zur Gegenwehr31 und lehnte die römische Königswahl des Kaiserbruders Ferdinand ab. Im Saalfelder Wahlgegnerbündnis wurde vor der habsburgischen Erbmonarchie gewarnt, weil sie die „deutsche Freiheit“ vernichte.32 Diese Parole avancierte zur Leitidee des reichsständischen Mitregiments. Im Umfeld des Schmalkaldischen Krieges stand die von Kurfürst Friedrich und dem Bund verfochtene deutsche Freiheit gegen die hispanische Servitut, das spanische Politikmuster, das Karl V. angeblich in Deutschland einführen wollte. Die kaiserliche Achterklärung beschuldigte den Kurfürsten und Landgraf Philipp, dass sie die „erhaltung Fridens/ Rechtens/ unnd Teutscher Nation Libertet“ nur vortäuschten.33 Die Bundeshauptleute erwiderten, „Karl, der sich ainen Kaiser nennet“, bringe „die Teutsche nation/ sein Vatterland/ in unfriden/ zerstörung/ und verderben.“ Er wolle den 29 30 31 32 33
Georg SCHMIDT, Protestation von Speyer, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 27, Berlin u. a. 1997, S. 580–582. SCHMIDT, Geschichte (wie Anm. 8), S. 77–79. Gabriele HAUG-MORITZ, Der Schmalkaldische Bund 1530–1541/42. Eine Studie zu den genossenschaftlichen Strukturelementen der politischen Ordnung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Leinfelden-Echterdingen 2002, S. 20 und passim. Alfred KOHLER, Antihabsburgische Politik in der Epoche Karls V., Göttingen 1982, S. 234. Friedrich HORTLEDER, Der Römischen Keyser- und Königlichen Maeiestaten, auch des Heiligen Römischen Reichs … Handlungen und Ausschreiben … Bd. 1, Frankfurt a. M. 1617, S. 273. Vgl. Georg SCHMIDT, „Teutsche Libertät“ oder „Hispanische Servitut“. Deutungsstrategien im Kampf um den evangelischen Glauben und die Reichsverfassung (1546–1552), in: Luise SCHORN-SCHÜTTE (Hg.), Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt, Gütersloh 2005, S. 166–191.
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wahren Glauben unterdrücken und „ain Hispanische Servitut“ einführen.34 Der Krieg richte sich gegen die „Freyheit Teutscher Nation“.35 Die Schmalkaldischen Bundesverwandten wurden 1547 von Karl V. vernichtend besiegt. Johann Friedrich verlor die Kurwürde und die Kurlande an den Albertiner Moritz von Sachsen und verbrachte die folgenden fünf Jahre in kaiserlicher Haft – ein Exempel, das die deutschen Fürsten aufschreckte. Der Verfassungsrahmen des Reichs-Staates drohte sich neuerlich zu verändern. Doch selbst ein auf dem Höhepunkt seiner Macht stehender Karl V. konnte den Reichs-Staat nicht mehr monarchisch regieren und über das Interim zum katholischen Glauben zurückführen.
2. Gegen den Kaiser, für das Reich und die deutsche Freiheit Den Verlust der Kurwürde und die territorialen Einbußen wollten die Ernestiner möglichst schnell revidieren – aus reichs- und machtpolitischen sowie aus religiösen Gründen. In Jena gründeten sie eine Hohe Schule, die das an Moritz verlorene Wittenberg ersetzen, die benötigten Juristen und Mediziner ausbilden sowie das reine Luthertum über die Zeiten des Interims hinweg bewahren sollte.36 Darüber hinaus übernahmen sie nicht nur die alte kurfürstliche Bibliothek, sondern auch die Verantwortung für die Herausgabe der Lutherschriften. Mit diesem Traditionsbestand verfügten sie über die geistigen Mittel, um ihren Anspruch glaubhaft zu untermauern, das authentische Luthertum zu bewahren.37 Es wurde zur wichtigsten Waffe der Ernestiner im Kampf um ihre Selbstbehauptung neben und gegen die übermächtigen Albertiner.38 Sie schufen sich so ein unverwechselbares Profil und inszenierten sich als Kurfürstendynastie im Wartestand, stets bereit, die Führung der Lutheraner zu übernehmen. Der gefangene Johann Friedrich setzte zudem von Anfang an auf eine geschickte Doppelstrategie: Er bot sich Karl V. als in weltlichen Dingen loyaler und kompromissbereiter Partner an, machte in der Glaubensfrage aber keine
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Bestendiger, gegründter und warhaffter bericht, auf die unrechtmessige … Achts Erklärung. Flugschriftensammlung Gustav Freytag, Teil 13, Nr. 2025. HORTLEDER, Maeiestaten (wie Anm. 33), Bd. 1, S. 288 f. Vgl. Joachim BAUER u. a., Gründung, Aufbau und Konsolidierung im 16. Jahrhundert, in: DERS. u. a. (Hg.), Die Universität Jena in der Frühen Neuzeit, Heidelberg 2008, S. 25–47, bes. S. 25–27. DERS., Universitätsgeschichte und Mythos. Erinnerung, Selbstvergewisserung und Selbstverständnis Jenaer Akademiker 1548–1858, Stuttgart 2012, bes. S. 96–112. Vgl. Georg SCHMIDT, Thüringen – ein Land der Residenzen?, in: Konrad SCHEURMANN/Jördis FRANK (Hg.), Thüringen – Land der Residenzen, Bd. 3: Essays, Sondershausen 2004, S. 43–51.
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Zugeständnisse.39 Als Kurfürst Moritz von Sachsen 1552 offen gegen den Kaiser rebellierte, untersagte er seinem Sohn jede Beteiligung an diesem Aufstand,40 weil er zu Recht davon ausging, im Zuge dieser Wirren freigelassen zu werden und die Kurwürde zurückzuerhalten. Er erhielt zwar seine Freiheit, doch über die Kur konnte Karl V. nicht verfügen: Nur eine Niederlage des Albertiners und der evangelischen Fürsten hätten die politische Lage für einen Kurwechsel geöffnet. Wie sehr der alte Johann Friedrich auf die Rückgewinnung der Kur fixiert war, wurde offensichtlich, als Kurfürst Moritz 1553 ohne männliche Nachkommen in der Schlacht bei Sievershausen fiel. Nun erweckte der Ernestiner zumindest den Anschein, als rüste er zusammen mit dem notorischen Landfriedensbrecher Albrecht Alkibiades von Brandenburg zum Kampf um die sächsische Kurwürde. Doch nicht einmal der Brüsseler Kaiserhof, der in Johann Friedrich 1552 ja durchaus eine Alternative zu dem rebellisch gewordenen Moritz gesehen hatte, unterstützte ihn nun.41 Als Johann Friedrich kurz darauf starb, setzten seine Söhne dessen Politik fort. Sie blockierten beispielsweise die Religionsgespräche mit ihrem unnachgiebigen Beharren auf dem wahren Luthertum.42 Herzog Johann Friedrich d. M. wollte aber den Rivalen August von Sachsen aktiv unter Druck setzen. Sein allzu forsches Vorgehen büßte er mit lebenslanger Haft in Wiener Neustadt. Er hatte sich mit dem geächteten fränkischen Landfriedensbrecher Wilhelm von Grumbach verbündet und war daraufhin selbst in die Acht erklärt worden.43 Kaiser Maximilian II. und das Reich zogen in diesem Fall an einem Strang. Sie statuierten 1567 ein Exempel, das zeigen sollte, dass die Reichsgesetze und der Ewige Landfrieden nicht nur in den kleinteiligen Gebieten Oberdeutschlands, sondern überall im Reichs-Staat durchgesetzt wurden. Als kreisausschreibender Fürst exekutierte Kurfürst August die Acht. Der Grimmenstein, das Gothaer Schloss, wurde völlig zerstört.44 39
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Georg MENTZ, Johann Friedrich der Großmütige 1503–1554, Teil 3, Jena 1908, S. 287; Georg SCHMIDT, Der Kampf um Kursachsen, Luthertum und Reichsverfassung (1546– 1553) – ein deutscher Freiheitskrieg?, in: Volker LEPPIN u. a. (Hg.), Johann Friedrich I. – der lutherische Kurfürst, Heidelberg 2006, S. 55–84. Vgl. auch den Bericht Eberhards von der Thann, 1552, Apr. 13. Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen, Bd. 5, bearb. v. Johannes HERRMANN u. a., Berlin 1998, S. 837. MENTZ, Johann Friedrich (wie Anm. 39), S. 332–335. Daniel GEHRT, Ernestinische Konfessionspolitik. Bekenntnisbildung, Herrschaftskonsolidierung und dynastische Identitätsstiftung vom Augsburger Interim 1548 bis zur Konkordienformel, Leipzig 2011, bes. S. 114–184. Volker PRESS, Wilhelm von Grumbach und die deutsche Adelskrise der 1560er Jahre, in: DERS., Adel im Alten Reich, hg. v. Franz BRENDLE und Anton SCHINDLING, Tübingen 1998, S. 383–421, hier S. 416–418. GEHRT, Konfessionspolitik (wie Anm. 42), S. 283 f.
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Während jeder Versuch, die Albertiner mit Gewalt zu verdrängen, zum Scheitern verurteilt war, hinterließ der von Weimar und Jena lancierte Vorwurf einer philippistischen, d.h. an Melanchthon orientierten Unterwanderung des kursächsischen Luthertums Spuren. Er brachte erhebliche Unruhe in das Herrschaftsgefüge Augusts.45 Um seine Führungsrolle im protestantischen Deutschland nicht zu gefährden, protegierte der Kurfürst seit 1574 das Konkordienwerk und relativierte so den Alleinvertretungsanspruch der Ernestiner auf das wahre Luthertum.46 Diese konnten ihre reichspolitische Lage drehen und wenden, wie sie wollten: Ihre einzige Chance auf einen Kurwechsel bestand im Aussterben der Albertiner. In der schweren Krise des Reichs-Staates im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges versuchten die Söhne Herzog Johanns und Dorothea Marias von Sachsen-Weimar, sich politisch anders als ihr ehemaliger Vormund Kurfürst Johann Georg I. zu positionieren. Während er an der Seite der Habsburger Kaiser verharrte, im Auftrag Ferdinands II. die Lausitzen und Schlesien besetzte und seine Führungsrolle im evangelischen Deutschland ausgesprochen defensiv interpretierte – „politice seint wir Bäpstisch“47 –, unterstützten die Weimarer Herzöge den calvinistischen Pfalzgraf Friedrich V. und die böhmischen Stände. Entgegen dem Rat ihrer geheimen Räte, der Landstände sowie Jenaer und Wittenberger Theologen und Juristen schlossen sie sich 1619 der Union an.48 Die älteren Brüder zogen gegen die habsburgisch-bayerische Koalition in den böhmischen Krieg. König Friedrich übertrug ihnen im September 1620 die böhmischen Lehen des Hauses und versprach seine Mithilfe bei der Restitution der Kurwürde.49 Das hohe Risiko der Ernestiner wurde aber nicht belohnt. Das Königtum des Pfalzgrafen endete Anfang November 1620 in der Schlacht am Weißen Berg. Während die Pfälzer Protagonisten in die Acht erklärten wurden und – analog zu den Vorgängen von 1547 – auch im Hause Wittelsbach ein Kurwech-
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Ernst KOCH, Der kursächsische Philippismus und seine Krise in den 1560er und 1570er Jahren, in: Heinz SCHILLING (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der „Zweiten Reformation“, Gütersloh 1986, S. 60–77. Ingo LEINERT, Das Konkordienwerk. Eine Einigung zu Lasten der Ernestiner, in: WESTPHAL/HAHN/SCHMIDT, Welt (wie Anm. 1), S. 161–167. Axel GOTTHARD, „Politice seint wir Bäpstisch“. Kursachsen und der deutsche Protestantismus im frühen 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Historische Forschung 20 (1993), S. 275–319. Marcus STIEBING, Jenaer Politikberatung. Herzog Johann Ernst d. J. und der Böhmische Krieg, in: WESTPHAL/HAHN/SCHMIDT, Welt (wie Anm. 1), S. 168–174. König Friedrich an Hz. Johann Casimir und Hz. Johann Ernst von Sachsen, Prag, 1620, Sept. 28. Sechs Underschiedtliche/ hochwichtige und erhebliche Schreiben und Bedencken, S. 5 f. VD17 14:007260N (Zugriff: 11. März 2016).
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sel stattfand, verzichtete Ferdinand II. darauf, die Weimarer Herzöge zur Rechenschaft zu ziehen. Diese verharrten in ihrer Opposition. Ihres Erachtens kämpften sie gegen einen pflichtvergessenen, weil gegenreformatorisch und monarchisch regierenden Kaiser und für das Reich, genauer: für die Freiheit des Reiches, der deutschen Nation und des evangelischen Glaubens. In diesem Kontext sollte die von ihnen mit dem reformierten Fürsten Ludwig von AnhaltKöthen initiierte „Fruchtbringende Gesellschaft“ wirken. Ob sie wirklich schon 1617 oder erst 1622 in Weimar gegründet wurde, ist unsicher. Aus den ersten fünf Jahren existiert keine gesicherte Quellenüberlieferung. Die Sozietät hat jedenfalls nicht nur Spracharbeit betrieben, sondern den Gedanken eines friedlichen Zusammenlebens im Reich deutscher Nation unabhängig von den konfessionellen Zuordnungen beflügelt.50 Als die Fruchtbringer im Sommer 1622 mit ihrem Programm und einem Mitgliederverzeichnis an die Öffentlichkeit traten, versuchte parallel dazu ihr Gründungsmitglied Wilhelm IV. von Sachsen-Weimar ein Militärbündnis zu etablieren. Der „Teutsche Friedbund“ kam jedoch über Anfänge nicht hinaus. In dessen Gründungsurkunde hieß es: Die kaiserlich-katholische Übermacht werde die deutsche Freiheit und das ganze Reich zugrunde richten, falls man nicht für „Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit und Wohlfahrt des Vaterlands, einmütig und redlich bis auf den letzten Blutstropfen fechte“. Um den Krieg zu beenden, sollten die beiden Bekenntnisse erlaubt, die Fundamentalgesetze und die „uralte Deutsche Freiheit“ erhalten, die Waffen niedergelegt und die politischen Veränderungen rückgängig gemacht werden. Der Reichstag müsse Gesetze beschließen, die zu „Ehren und zu Ruhe und Wohlfahrt des Vaterlandes“ notwendig seien.51 Wilhelm IV. war bündnispolitisch aktiv geworden, weil Kurfürst Johann Georg I. auch angesichts des Krieges in der Kurpfalz untätig blieb. Der Herzog und sein „Teutscher Friedbund“ konnten jedoch das Machtvakuum an der Spitze der Protestanten nicht füllen. Sie stießen zwar auf großes Interesse, fanden aber nur wenig Unterstützung. Nürnberg wollte sich beispielsweise nur beteiligen, wenn Kurfürst Johann Georg die Führung übernehme. Der aber reagierte erst, nachdem Ferdinand II. 1629 das Restitutionsedikt verkündet hatte und Gustav II. Adolf 1630 auf Usedom gelandet war. Selbst als es nun so aussah, als raffe sich der Kurfürst endlich zu einer evangelischen Interessenpolitik auf, die diesen Namen auch verdiente, nutzte das den Ernestinern reichspolitisch und 50 51
Georg SCHMIDT, Die Anfänge der Fruchtbringenden Gesellschaft als politisch motivierte Sammlungsbewegung und höfische Akademie, in: Klaus MANGER (Hg.), Die Fruchtbringer – eine Teutschhertzige Gesellschaft, Heidelberg 2001, S. 5–37. Karl MENZEL, Die Union des Herzogs Wilhelm IV. zu Sachsen-Weimar und seine Gefangenschaft in Neustadt (1622–1624), in: Archiv für Sächsische Geschichte 11 (1873) S. 32– 80, Zitat S. 38 f. und 71–74.
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mit Blick auf die Kur wenig: Saßen sie mit Kursachsen in einem Boot, gab es keinen Grund für einen Kurwechsel. Als Partner Gustav II. Adolfs schien dies anders. Die Weimarer Herzöge hofften auf dessen Unterstützung für ihr primäres Ziel, mussten aber erkennen, dass der schwedische König sie und besonders Bernhard zwar als Offiziere und politische Helfer schätzte, sich aber mit den reichspolitischen Problemen nicht belasten wollte. Die Schweden kämpften für ihre Interessen. Die Veränderungen, die sie im Reich vornahmen, erfolgten mit dem Recht des Eroberers, nicht aufgrund reichsrechtlicher Ansprüche. Die Weimarer Herzöge wurden so um den erhofften Lohn in Gestalt eines Herzogtums Thüringen oder gar der Kurwürde geprellt. Nach dem Prager Frieden schien ihre Lage hoffnungslos. Sie unterzeichneten das von Kaiser Ferdinand II. mit Kurfürst Johann Georg I. als Juniorpartner ausgehandelte Friedensdiktat, weil sie keine Alternative sahen. Die Schweden waren auf ihre Ausgangsstellung zurückgeworfen, die Franzosen zögerten mit dem offenen Eingreifen und das Reich schien hinter dem Kaiser und dem sächsischen Kurfürsten geeint. Neben Landgraf Wilhelm verweigerte allein Herzog Bernhard die Unterschrift. Er versuchte als selbständiger Kriegsunternehmer mit französischer Hilfe, sich ein eigenes Territorium am Oberrhein zu Lasten der Habsburger zu erobern. Er starb, bevor er dem Kaiser wirklich gefährlich werden konnte.52 Sein Bruder Ernst der Fromme wählte einen anderen Weg und arrangierte sich mit den Verhältnissen.53 Er hatte ebenfalls auf Seiten der Schweden gekämpft. Bei der Landesteilung 1640/41 erhielt er ein vergleichsweise geschlossenes Gebiet am Nordrand des Thüringer Waldes. Nach dem Tod des in Eisenach regierenden Bruders Albrecht kamen 1645 weitere Ämter hinzu, 1672 fielen zudem drei Viertel der altenburgischen Erbschaft an Gotha. Herzog Ernst hatte 1643 in Gotha mit dem Neubau eines Schlosses begonnen, das 1654 im Wesentlichen fertiggesellt war. Der „Friedenstein“ war auch als Monument gegen den Krieg gedacht und so groß, dass dort neben dem fürstlichen Hof auch alle Zentralbehörden Platz fanden. Ernst setzte auf ein gutes Einvernehmen mit dem katholischen Kaiser und den anderen Reichsständen. Er übernahm wiederholt kaiserliche Kommissionen, so dass er auch die benachbarten Fürstentümer mit seinen Vorstellungen beeinflusste. 1663 plante er sogar den Aufbau eines stehenden Heeres, musste sich jedoch dem Widerstand der Landstände und der anderen ernestinischen Herzöge beugen. Sie fürchteten, künftig von Gotha dominiert zu werden. Auch in diesem Fall erweist sich das „ius superioritatis“ von 1648 nicht als die deutsche Form von Souveränität, sondern als beschränkte 52 53
Vgl. Gustav DROYSEN, Bernhard von Weimar, 2. Bde., Leipzig 1885. Vgl. demnächst Astrid ACKERMANN, Bernhard von Weimar. Auch zum Folgenden Andreas KLINGER, Der Gothaer Fürstenstaat. Herrschaft, Konfession und Dynastie unter Herzog Ernst dem Frommen, Husum 2002.
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und gebundene Herrschaft, die absolutistische Ambitionen blockierte. Die Gothaer Staatsbildung erfuhr dennoch deutschlandweite Aufmerksamkeit, weil Veit Ludwig von Seckendorff, Gothaer Regierungsrat und Mitautor der Landesordnung von 1653, ihr mit seinem „Teutschen Fürsten-Staat“ ein viel gelesenes Denkmal in Buchform setzte. Auch für ihn war die Zugehörigkeit zum Reich das A und O jedes Fürstenstaates und dies machte er schon auf dem Titelkupfer deutlich.54 Reichspolitisch verblieben die Ernestiner bis zum Ende des Alten Reiches in der zweiten Reihe, stets bereit, die Rolle der albertinischen Kurfürsten zu übernehmen. Es waren die Gesandten des Herzogs von Sachsen-Altenburg, die während des Westfälischen Friedenskongresses, als sich Kursachsen selbst blockierte, die Politik der Protestanten maßgeblich mitformten und koordinierten.55 Doch die Albertiner standen auch nach 1648 aus guten Gründen fast durchweg fest an der Seite der Kaiser. Die Kurwürde rückte für die Ernestiner in weite Ferne, als Kurfürst Friedrich August I. zum katholischen Glauben konvertierte und König von Polen wurde. Der Führer des Corpus evangelicorum war nun zwar katholisch, doch da das Kurfürstentum Sachsen und auch die Reichspolitik lutherisch blieben, konnten ihn die Kurfürsten von Brandenburg und Hannover nicht verdrängen.56 Für die Ernestiner eröffnete sich jedoch eine neue Chance, als Friedrich August II. von Sachsen Ansprüche auf das habsburgische Erbe anmeldete, da Kaiser Karl VI. keinen männlichen Nachkommen besaß. Mit der „Pragmatischen Sanktion“ und deren reichs- und europaweiter Anerkennung regelte er zwar die Nachfolge seiner Tochter Maria Theresia. Die Ehegatten der beiden Töchter des älteren Bruders Kaiser Josefs I. – die Kurfürsten von Sachsen und Bayern – fühlten sich dadurch jedoch ausgebootet. Sie erkannten die Pragmatische Sanktion nicht an, blieben allerdings auf dem Reichstag isoliert, weil die Reichsstände einen neuen inneren Krieg befürchteten. Diese Konstellation spielte den Ernestiner in die Karten. Sie versuchten zumindest, die Kurfrage erneut auf die Tagesordnung der Reichspolitik zu bringen. Zwischen Gotha und Weimar wurde 1732 über den Vorrang bei einem eventuellen Kurwechsel gestritten, während der Reichstag über die Anerkennung der Pragmatischen Sanktion beriet. Friedrich II. von Gotha hatte sich dem Kaiser seit 1729 als Bündnispartner geradezu aufgedrängt und dabei offen auf die Bedrohung der Wiener Position durch Kursachsen verwiesen. Ernst August von Weimar reagierte ähnlich: Er inszenierte sich als Reichspatriot, bot dem Kaiser Truppen an und pochte intern auf den Vorrang Weimars bei einem 54 55 56
Veit Ludwig von SECKENDORFF, Teutscher Fürsten-Staat, Frankfurt a. M. 31665, Titelkupfer sowie bes. Teil 2, S. 292 f. Christoph NONNAST, Die Ernestiner und der Westfälische Friedenskongress, in: WESTPHAL/HAHN/SCHMIDT, Welt (wie Anm. 1), S. 183–191. Vgl. auch zum Folgenden SCHMIDT, Wandel (wie Anm. 15), S. 120–139.
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Kurwechsel.57 Dass er sich, indem er dem Kaiser Truppen zur Verfügung stellte, auch ein Generalat erkaufen wollte, sei nicht verschwiegen. 1732 wurden die weimarischen Soldaten, 2.000 zu Fuß und 1.000 zu Ross, in kaiserliche Dienste übernommen. Vor der Folie der Kurfrage erscheint die oft kritisierte „Soldatenspielerei“ Herzog Ernst Augusts in einem anderen Licht.58 In einem konfessionell weitgehend befriedeten Reich benötigte Karl VI. einen zuverlässigen Partner an der Spitze der evangelischen Stände, keinen Rivalen, der seiner Tochter Maria Theresia das Erbe bestritt und selbst die Krone anstrebte. Die Lage änderte sich mit dem polnischen Thronfolgekrieg und dem Schwenk Friedrich Augusts, der die Pragmatische Sanktion unter der Bedingung anerkannte, dass er von Karl VI. bei seiner Kandidatur unterstützt werde. Heikel wurde die Lage der Ernestiner, als König Friedrich II. 1756 in Sachsen einfiel und das Kurfürstentum kurzerhand annektierte. Kaiser Franz I. beantragte auf dem Regensburger Reichstag eine Reichsexekution wegen Landfriedensbruches. Einerseits waren die Gothaer Herzöge wie auch die Weimarer mit den Hohenzollern verwandt und hatten große Angst vor einem Angriff Brandenburg-Preußens. Andererseits gab sich der Reichs-Staat selbst auf, wenn er gegen diesen gravierenden Landfriedensbruch nicht einschritt. Weimar votierte letztlich für die Exekution. Franz I. hatte Ende 1755 die Volljährigkeitserklärung des 18jährigen Herzog Ernst August II. Konstantin unter anderem mit der Bedingung verknüpft, dass er sich von der preußischen Politik löse und den Kaiser im Ernstfall militärisch unterstütze. Als der Herzog nun zögerte und sich hinter den anderen evangelischen Ständen verstecken wollte, lancierte der Kaiserhof das Bild eines illoyalen Fürsten, der es mit dem preußischen Aggressor halte. Davon konnte zwar keine Rede sein,59 doch selbst der Gothaer Gesandte am Reichstag modifizierte daraufhin seine bisher propreußische Haltung. Der Reichstag beschloss am 17. Januar 1757 die Reichsexekution.
3. Fazit Ob in Gotha oder Weimar zu Beginn und während des Siebenjährigen Krieges irgendjemand an die Kur dachte, ist nicht bekannt. Ohne Mitwirkung des Kaisers war ein Wechsel undenkbar und Wien stand zu dieser Zeit an der Seite Augusts II. Mit Blick auf die Kur wäre die Unterstützung König Friedrichs II. für die Ernestiner eine naheliegende Option gewesen. Doch damit hätten sie 57 58 59
Peter LANGEN, Die Ernestiner und die Kurwürde in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: WESTPHAL/HAHN/SCHMIDT, Welt (wie Anm. 1), S. 227–234. Vgl. Oliver HEYN, Alles nur „Soldatenspielerei“. Das Militär in den ernestinischen Staaten (1648–1806), in: ebd., S. 235–241. Anne FUCHS, Ernst August II. Konstantin von Sachsen-Weimar-Eisenach und Kaiser Franz I., in: ebd., S. 200–208.
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sich gegen das Reich stellen müssen und die Kurwürde entwertet. Die Ernestiner benötigten aber – wie alle mindermächtigen Stände – einen funktionierenden, die internen Konflikte regulierenden Kaiser und einen die Sicherheit garantierenden Reichs-Staat.60 Die expandierende preußische Militärmacht, an deren Vorbild sich auch Kaiser Josef II. orientierte, drohte hingegen, das Reich in einen nord- und einen süddeutschen Staat zu spalten. Die kleineren Fürsten fürchteten, bei einer Reichsreform deren erstes Opfer zu werden. Sie hofften, dass sich die Vormächte gegenseitig blockierten. Die alte Verfassungsbalance von Kaiser und Reichsständen war mit dem deutschen Dualismus zum Gleichgewicht des Schreckens geworden. Wie konnten sich die Ernestiner gegen die Zumutungen der Großen wehren? 1778/79 forderte König Friedrich II. von Preußen die Hilfe der Reichsstände gegen den Kaiser und ließ ungeniert in den ernestinischen Herzogtümern Soldaten werben. Als Mitglied des Weimarer Geheimen Konzils kommentierte Goethe: „Jetzt macht uns der eindringende Krieg ein ander Wesen. Da unser Kahn zwischen den Orlogschiffen gequetscht werden wird.“61 Das war eine realistische Einschätzung. Herzog Carl August aber wollte nicht wie das Kaninchen auf die Schlange starren, sondern für den Erhalt des Reichs-Staates kämpfen. Er und Ernst II. von Sachsen-Gotha und Altenburg62 appellierten mit dem Stichwort „deutsche Freiheit“63 in der alten Sprache der Patrioten an die Liebe zum deutschen Vaterland.64 Sie wandten sich gegen die ihres Erachtens drohende monarchische Regierung Josefs II., die alle Fürsten zu „Sklaven“ machen werde, aber auch gegen die preußische Herrschaft im Norden.65 Die Umwandlung des Reiches in eine Doppelmonarchie des Kaisers und des preußischen Königs schien ihnen eine Horrorvision. Ernst II. forderte, die deutschen Fürsten sollten eine Armee aufstellen, „um unsere Länder, unsere Personen von dem Joche des Josephs zu sichern.“ Noch bestehe Hoffnung für „unsere Freiheit 60 61 62 63 64 65
Vgl. Siegrid WESTPHAL, Kaiserliche Rechtsprechung und herrschaftliche Stabilisierung. Reichsgerichtsbarkeit in den thüringischen Territorialstaaten 1648–1806, Köln u. a. 2002. Johann Wolfgang von GOETHE, Goethes Werke, Weimarer Ausgabe, Abt. IV, Bd. 3, Weimar 1888, S. 215. Vgl. SCHMIDT, Wandel (wie Anm. 15), S. 218–227. Hans TÜMMLER, Die Ernestiner, in: Hans PATZE/Walter SCHLESINGER (Hg.), Geschichte Thüringens, Bd. 5: Politische Geschichte der Neuzeit Teil 1, Teilbd. 2, Köln/Wien 1982, S. 615–779, hier S. 673–697. Georg SCHMIDT, Die Idee „deutsche Freiheit“. Eine Leitvorstellung der politischen Kultur des Alten Reiches, in: DERS./Martin van GELDEREN/Christopher SNIGULA (Hg.), Kollektive Freiheitsvorstellungen im frühneuzeitlichen Europa, Frankfurt a. M. 2005, S. 159–189. Anke WALDMANN, Reichspatriotismus im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, in: Otto DANN u. a. (Hg.), Patriotismus und Nationsbildung am Ende des Heiligen Römischen Reiches, Köln 2003, S. 19–61. Zur Gegenüberstellung von „freien Bürgern“ und „Sklaven“ als Kern der alteuropäischen Republikanismusvorstellungen: Quentin SKINNER, Liberty before Liberalism, Cambridge 22000.
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und die Beibehaltung der Reichskonstitution.“66 Doch nur wenige Fürsten folgten ihnen. Im August 1788 zeigte sich Carl August davon überzeugt, daß ein jeder Fürst […] sein Land wie eine Insel und also Deutschland wie ein Archipel angesehen haben will, in welcher er dann sehr eifersüchtig darauf ist, seine Insulaner nach seiner Willkür glücklich oder unglücklich, klug oder dumm zu machen.67
Genau dies hielt der kursächsische Minister von Loeben für den richtigen Weg: Es stehe jedem Fürsten frei, „seine Untertanen durch eigene, ihrer Individuallage angepaßte Gesetze zu beglücken, ohne sie einer reichstägigen Stimmenmehrheit oder einer kaiserlichen Ratifikation unterwerfen zu müssen.“ Die fehlende allgemeine Gesetzgebung sei für die Wohlfahrt des Ganzen unerheblich.68 Der Reichs-Staat war vor Napoleon an seinem Ende angekommen, den ernestinischen Herzögen drohte das Joch der Unterwerfung oder eine prekäre Souveränität, die im Endeffekt auf nichts anderes hinauslief.
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Ernst an Carl August, 1785, Feb. 24. Politischer Briefwechsel des Herzogs und Großherzogs Carl August von Weimar, bearb. v. Hans TÜMMLER, Bd. 1, Stuttgart 1954, S. 131 f. Carl August an Carl Friedrich von Baden, 1788, Aug. 8, in: ebd., S. 494. Loeben an Carl August, 1788, Apr. 12, in: ebd., S. 480–483, hier S. 481.
SIEGRID WESTPHAL DAS DYNASTISCHE SELBSTVERSTÄNDNIS DER ERNESTINER
Das dynastische Selbstverständnis der Ernestiner im Spiegel ihrer Hausverträge Neben dem Verlust der Kurwürde und dem damit verbundenen politischen Abstieg gilt die spezifische Erbpraxis als symptomatisch für die Ernestiner. Während die Albertiner schon frühzeitig die Primogenitur einführten, hielten die Ernestiner bis ins 19. Jahrhundert am Gemeinschaftserbrecht fest. Die Folge davon war eine Reihe von Erbteilungen.1 Zum Teil existierten zehn Herzogtümer innerhalb des ernestinischen Herrschaftsgebietes gleichzeitig. Die ernestinische Entwicklung in der frühen Neuzeit galt vor allem aus Sicht des 19. Jahrhunderts als Paradebeispiel der deutschen Kleinstaaterei, die angesichts des dominanten Ideals vom unteilbaren, einheitlichen Staat negativ beurteilt wurde. Zwar kam es in den letzten Jahren durchaus zur Relativierung dieser borrusisch-deutschen Perspektive auf die thüringischen Territorialstaaten. So wird nun die Ähnlichkeit der thüringischen Situation mit der in vielen anderen Regionen in der frühen Neuzeit betont. Positiv erscheint jetzt vor allem, dass die territoriale Vielfalt zur Konzentration auf die innere Landespflege und hier vor allem auf die Kultur- und Bildungspolitik zwang.2 Aber angesichts des in zahlreichen Linien geteilten Familienverbands und der daraus resultierenden Konflikte stellt sich durchaus die Frage, was die Ernestiner miteinander verband. Der Beitrag nimmt dafür die in den Hausgesetzen bzw. Hausverträgen festgeschriebene normative Ebene in den Blick und fragt nach einem spezifischen Selbstverständnis der Ernestiner. Zunächst erfolgt eine allgemeine Auseinandersetzung mit den Begriffen Dynastie und dynastisches Denken, bevor die Hausverträge vorgestellt und auf Gemeinsamkeiten untersucht werden. Im Zentrum stehen dabei vor allem Mechanismen, die der Sicherung der Dynastie 1
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Ernst HÄNSCH, Die wettinische Hauptteilung von 1485 und die aus ihr folgenden Streitigkeiten bis 1491, Diss. Leipzig 1909; Hans Stephan BRATHER, Die ernestinischen Landesteilungen des 16. und 17. Jahrhunderts, Diss. masch. Jena 1951; Hans HERZ, Zu einigen Problemen der Landesteilungen in Thüringen vom 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 46 (1992), S. 147–159; Hans A. von POLENZ (Hg.), 900 Jahre Haus Wettin, Göttingen 1989; Karlheinz BLASCHKE, Dynastiegeschichte in unserer Zeit: Das Beispiel der Wettiner, in: Sachsen und die Wettiner. Chancen und Realitäten. Internationale wissenschaftliche Konferenz in Dresden vom 27. bis 29. Juni 1989, Dresden 1990, S. 37–44. Siegrid WESTPHAL/Hans-Werner HAHN/Georg SCHMIDT (Hg.), Die Welt der Ernestiner. Ein Lesebuch, Köln/Weimar/Wien 2016.
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dienen sollten. Von besonderem Interesse sind die Regelungen, welche die Erbfolge behandeln und die zur innerdynastischen Streitschlichtung vorgesehen waren.
1. Dynastie und ihre Merkmale Der Begriff Dynastie lässt sich auf das griechische Wort „dynasteia“ zurückführen und bezeichnete ursprünglich Macht oder Herrschaft, oft im Sinne einer Willkürherrschaft. In der Frühen Neuzeit war der Begriff im heutigen Sinne nicht bekannt, vielmehr sprach man vom Haus oder ab dem 18. Jahrhundert von der Familie. Das ist auch für die Ernestiner belegt. Im Unterschied zu anderen Häusern wie den Wittelsbachern oder Habsburgern bezeichneten sie sich selbst erst relativ spät in den Jahren 1485/86 als Mitglieder des „kur- und fürstlichen Hauses Sachsen“.3 Die Bezeichnungen Ernestiner und Albertiner, aber auch Wettiner sind Konstruktionen des 19. Jahrhunderts und Forschungsbegriffe, die helfen sollen, die komplexe Entwicklung der Familie systematisch aufzuarbeiten. Alle drei Begriffe werden in der Sekundärliteratur erst im 19. Jahrhundert verwendet. Das heute geläufige Verständnis von Dynastie, das erst in der Neuzeit Verbreitung fand, wird von Wolfgang E. J. Weber folgendermaßen definiert: Die Dynastie sei „eine optimierte Erscheinungsform der Familie“, die sich durch eine Reihe spezifischer Merkmale auszeichnet:4 1) erhöhte Eigenidentität und damit Abgrenzung nach außen sowohl in der Selbst- als auch der Fremdwahrnehmung; 2) gemeinsam definierter und damit individueller Verfügung durch die Familienmitglieder entzogener Besitz (Güter, Ränge, Ämter, Rechte und Ansprüche); 3) im Interesse der Erhaltung, Festigung und Maximierung der Identität und des Besitzes mittels dynastischer Räson bewusst gesteuerte Heirat und Vererbung; 4) ein entsprechendes Steuerungs- bzw. Koordinierungsgremium in Gestalt des mehr oder weniger formalisierten Familienrates; schließlich im Erfolgsfall 5) entsprechend erhöhte historische Kontinuität.5 3 4
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Stefanie WALTHER, Die (Un-)Ordnung der Ehe. Normen und Praxis ernestinischer Fürstenehen in der Frühen Neuzeit, München 2011, S. 26. Wolfgang E. J. WEBER, Dynastiesicherung und Staatsbildung. Die Entfaltung des frühmodernen Fürstenstaats, in: DERS. (Hg.), Der Fürst. Ideen und Wirklichkeiten in der europäischen Geschichte, Köln/Weimar/Wien 1998, S. 91–136, hier S. 95; vgl. Hermann WEBER, Die Bedeutung der Dynastien für die europäische Geschichte in der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 44 (1981), S. 5–32. Wolfgang E. J. WEBER, Interne und externe Dynamiken der frühneuzeitlichen Herrscherdynastie: Ein Aufriss, in: Rainer BABEL/Guido BRAUN/Thomas NICKLAS (Hg.), Bourbon und Wittelsbach. Neuere Forschungen zur Dynastiegeschichte, Münster 2010, S. 61–77, hier S. 62.
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Ursache und Voraussetzung für eine Dynastiebildung war der Wunsch eines Familienoberhauptes oder Interessenverbandes, einen als wertvoll verstandenen Besitz an die eigenen Nachkommen weiterzugeben. Dafür musste einerseits ein Bewusstsein für die historische Bedeutung der Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen vorhanden, andererseits die Vorstellung verankert sein, dass Status sowie politische und rechtliche Ansprüche an die Nachkommenschaft vererbt werden können. Entsprechende Normierungen von Verwandtschaftsbeziehungen sowie die patriarchalische Familienstruktur scheinen den Prozess der Dynastiebildung gerade im Spätmittelalter befördert zu haben. In diesem Zusammenhang stellten angemessene Eheverbindungen einen entscheidenden Schritt zur Sicherung der Dynastie dar. Bei der Auswahl des Ehepartners ging es eben nicht nur um sozioökonomische, sondern vor allem um dynastisch-politische Gesichtspunkte. Die Ehepartner sollten aus einer ranggleichen und ebenbürtigen Familie stammen und einen möglichst großen Besitz einbringen. Eheschließungen innerhalb des Adels hatten zudem eine Mehrung des Ansehens und die Herrschaftssicherung des Familienverbands zum Ziel, persönliche Gesichtspunkte waren diesen Interessen unterzuordnen. Adlige Ehen dienten vor allem der Hervorbringung legitimer Kinder, auf die Besitz und Herrschaft übertragen werden konnten. Das Alter und die Gesundheit einer Prinzessin, die man aus ihrem äußeren Erscheinungsbild abzulesen meinte, waren daher entscheidende Kriterien.6 Illegitime Kinder aus außerehelichen Beziehungen oder aus einer standesungleichen Ehe besaßen einen minderen Rechtsstatus und wurden in der Regel von der Herrschaft und dem Besitz ausgeschlossen. Dies hängt vor allem mit der spezifischen Rechtssituation und den Besonderheiten des adeligen Familienrechts zusammen.7 Auch die Ernestiner regelten die Frage des Konnubiums – wie die anderen Dynastien – im Rahmen von Hausverträgen, auf die alle Familienmitglieder verpflichtet wurden. Dazu zählten die Auswahl des Ehepartners und die Gestaltung von Eheverträgen. Um für die Familie problematische Konstellationen auszuschließen, enthielten die Hausverträge vor allem des 18. Jahrhunderts ein Verbot nichtstandesgemäßer Beziehungen.8 Im Falle der Nichtbeachtung drohten der 6 7
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WALTHER, (Un-)Ordnung (wie Anm. 3), S. 65. Heide WUNDER, Einleitung: Dynastie und Herrschaftssicherung: Geschlechter und Geschlecht, in: DIES. (Hg.), Dynastie und Herrschaftssicherung in der Frühen Neuzeit. Geschlechter und Geschlecht, Berlin 2002, S. 9–27; Katrin IFFERT, Gescheiterte Ehen im Adel. Trennung und Scheidung des Herzogspaares Alexius Friedrich Christian und Marie Friederike zu Anhalt-Bernburg (1794–1817), in: Eva LABOUVIE (Hg), Adel in SachsenAnhalt. Höfische Kultur zwischen Repräsentation, Unternehmertum und Familie, Köln/ Weimar/Wien 2007, S. 95–120; Stephanie MARRA, Allianzen des Adels. Dynastisches Handeln im Grafenhaus Bentheim im 16. und 17. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2007. Michael SIKORA, Ungleiche Verbindlichkeiten. Gestaltungsspielräume standesverschiedener Partnerschaften im deutschen Hochadel der Frühen Neuzeit, in: zeitenblicke 4 (2005),
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Verlust von Besitz, Vermögen und politischer Partizipation. Bereits Herzog Johann Wilhelm von Sachsen-Weimar legte in seinem Testament 1573 fest, dass „sich seine Nachkommen mit fürstlichen und deutschen Frauen zu vermählen hätten“.9 Ernst der Fromme von Sachsen-Gotha griff diese Vorgaben in seinem Testament von 1654 auf und erweiterte sie um den Aspekt der lutherischen Religionszugehörigkeit. Standesschranken und religiöse Schranken setzten den Heiratskreisen der Ernestiner enge Grenzen, was sie klar von den Albertinern unterschied.10 Dynastien dienten nicht nur der Sicherstellung unmittelbarer Besitzübertragung von den Eltern auf die Kinder, sondern verpflichteten diese, den geerbten Besitz zu bewahren und möglichst vergrößert an die nächste Erbengeneration zu übergeben. Dieser Auftrag sollte über den Tod des Erblassers in die Zukunft hinauswirken. „Er konkretisiert den im Prinzip der Dynastie angelegten Verzicht auf freies Handeln nach je eigenem, individuellen Interesse und Gutdünken.“11 Die jeweils regierenden Dynastieangehörigen sollten die Rolle eines Verwalters höherer Interessen, nämlich derjenigen der Dynastie, einnehmen. Der beste Weg der Dynastiesicherung erfolgte über eine wirksame Sozialisation der Nachkommenschaft durch Bildung, deren Selbstverpflichtung und interne sowie externe Verfahren der Geltungssicherung.12 Eine hohe Geschwisterzahl vervielfältigte zwar die dynastischen Chancen der Verknüpfung mit anderen Dynastien, barg jedoch gleichzeitig die Gefahr der Auflösung der dynastischen Loyalität, indem bei gemeinsamer Besitzübertragung das Risiko von Konflikten sehr hoch war, bei privilegierter Besitzübertragung dagegen die anderen Kinder nicht ausreichend abgefunden werden konnten. Der jeweilig höchste Dynastierepräsentant musste eine dementsprechend komplexe Aufgabe erfüllen, nämlich permanent den Nachweis erbringen, dass die Beibehaltung der Dynastie für alle Dynastiemitglieder profitabler ist als die Alternative, jeden seinen Weg gehen zu lassen. Dieser interne Erfolgszwang wurde ergänzt durch den großen Konkurrenzdruck zwischen den Dynastien, der sich in einem ständigen Wandel der dynastischen Landschaft äußerte. Der Dynastiebegriff ist im Sinne der neuen Verwandtschaftsforschung (New kinship) weiter als die Definition von Wolfgang E. J. Weber gefasst und rückt über die oben genannten Merkmale hinaus die sozialen Praktiken, die kom-
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Nr. 3, URL:http://www.zeitenblicke.de/2005/3/Sikora/index.html, (Zugriff: 15. Februar 2016). WALTHER, (Un-)Ordnung (wie Anm. 3), S. 60. Ebd., S. 63. WEBER , Dynastiesicherung (wie Anm. 4), S. 98. Ebd., S. 99. Weber nennt sieben Verfahren, wovon eines die Heranziehung dynastiefremder Individuen, beispielsweise des Kaisers, als Garanten oder Exekutanten entsprechender Verpflichtungen darstellt.
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munikativen Strategien, die Beziehungen zwischen den Akteuren und den Gedanken der Vernetzung in den Fokus.13 Damit wird das adlige Haus nicht mehr als statische, festgefügte Größe begriffen, sondern als dynamisches verwandtschaftliches Beziehungsgeflecht, dessen Konstruktionscharakter stärker zu berücksichtigen ist. Mit der Erkenntnis der tragenden Rolle der Dynastie und der umfassenden Präsenz genealogischen Denkens haben sich die Kontexte ihrer Erforschung mittlerweile geweitet. Über die Heiratspolitik und Verwandtschaftsbeziehungen hinaus befasst sich die Forschung mit dem Hof, Klientelverbindungen, Patronageverhältnissen, dem Zeremoniell, der Repräsentationsund der Memorialkultur, in denen sich die Dynastie verwirklichte. Die jüngste Forschung beschäftigt sich mit der Frage nach einem spezifischen Selbstverständnis von Dynastien im europäischen Kontext. Vier Charakteristika werden in diesem Zusammenhang genannt: die gemeinschaftliche Nutzung und dauerhafte Sicherung des Familienbesitzes, in Abhängigkeit davon die Frage der Sukzession und des Konnubiums und letztlich als entscheidende Entwicklung die Verregelung bzw. Verrechtlichung der familiären Verhältnisse. Konkret heißt dies: „die Transformation von familiären Gewohnheiten und Traditionen in dauerhaft und für alle Familienmitglieder geltende Hausgesetze sowie deren Weiterentwicklung zu Staatsverfassungen.“14
2. Hausverträge In einer Übergangsphase vom 15. bis 17. Jahrhundert wurden die spezifischen Rechte des Adels in Hausverträgen oder Hausgesetzen festgeschrieben.15 Sie hatten alle zum Ziel, vor dem Hintergrund der zunehmenden Territorialisierung die Übergabe von Besitz und Rechten von einer Generation auf die nächste möglichst ohne Reibungsverlust zu ermöglichen, um auf diese Weise Besitz und Herrschaft der Dynastie langfristig zu sichern. Charakteristisch war für diesen 13
14 15
WUNDER, Einleitung (wie Anm. 7); Christoph KAMPMANN u. a. (Hg.), Bourbon, Habsburg, Oranien. Konkurrierende Modelle im dynastischen Europa um 1700, Köln/Weimar/Wien 2008; Michaela HOHKAMP, Transdynasticism at the Dawn of the Modern Era. Kinship Dynamics among Ruling Families, in: Christopher H. JOHNSON u. a. (Hg.), Transregional and Transnational Families in Europe and Beyond. Experiences since the Middle Ages, New York/Oxford 2011, S. 93–105. Daniel SCHÖNPFLUG, Dynastische Netzwerke, in: Institut für Europäische Geschichte (Hg.) Europäische Geschichte online (EGO), Mainz 2010-12-03. URL: http://www.iegego.eu/schoenpflugd-2010.de (Zugriff: 15. Februar 2016). Vgl. Heinz MOHNHAUPT, Die Lehre von der „Lex Fundamentalis“ und die Hausgesetzgebung europäischer Dynastien, in: Johannes KUNISCH (Hg.), Der dynastische Fürstenstaat. Zur Bedeutung von Sukzessionsordnungen für die Entstehung des frühmodernen Staates, Berlin 1982, S. 3–33; Jürgen WETZEL, Die Hausnormen deutscher Dynastien im Rahmen der Entwicklungen von Recht und Gesetz, in: ebd., S. 35–48.
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Prozess, dass die verschiedenen adligen Häuser Herrschaft zunehmend agnatisch organisierten und den dynastischen Primat gegenüber individuellen Interessen aller Agnaten durchzusetzen versuchten. Diese Entwicklung mündete – verstärkt ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts – bei fast allen Dynastien in die Errichtung der Primogenitur. Das bedeutete, dass immer mehr Verwandtschaftsglieder aus dem dynastisch relevanten und für die Herrschaft vorgesehenen Personenkreis ausgeschlossen werden sollten.16 Das betraf sämtliche Kognaten, also Angehörige, deren Verwandtschaft über Frauen vermittelt wurde, aber auch die Seitenverwandten (kollaterale Sukzession) und Nachgeborenen. Bei der Verrechtlichung familiärer Verhältnisse der Dynastien handelte es sich keinesfalls um eine lineare Entwicklung, sondern vielmehr reagierten die Mitglieder der Dynastie auf die jeweiligen Rahmenbedingungen und Herausforderungen ihrer Zeit, denen sie mit der aus ihrer Sicht erfolgreichsten Strategie zur Sicherung von Besitz und Herrschaft begegnen wollten. Hausverträge können daher als das Ergebnis einer turbulenten Familiengeschichte verstanden werden, die von Erfolgen und Rückschlägen, von Konflikten und Kontingenzen gekennzeichnet ist und in der Norm und Praxis nicht immer zur Deckung kamen.17
Nichtsdestotrotz stehen die Hausverträge einer Dynastie in einer engen Verbindung zueinander. In jeder neuen hausgesetzlichen Regelung wurden die älteren Regelungen reflektiert und entweder die Kontinuität zu ihnen hergestellt oder in Auseinandersetzung mit ihnen begründet, warum eine Neuregelung notwendig ist. Das zeigt sich beispielsweise im Testament von Ernst dem Frommen von Sachsen-Gotha aus dem Jahr 1654, in dem er seine Erbfolgeregelung in eine lange Reihe von ernestinischen Hausverträgen einordnete und dadurch legitimierte. So sollten zum besseren Verständnis seiner Regelungen Testamentsauszüge seines Großvaters Herzog Johann Wilhelm vom 19. Februar 1573 und seiner Mutter Herzogin Dorothea Maria vom 3. Oktober 1611 beigelegt werden.18 Beide enthalten ein dezidiertes Bekenntnis zum christlich begründeten Gleichheitsdenken und ein Verbot der Primogenitur, die als „schädliche Ungleichheit“ bezeichnet wird. Die verschiedenen Hausverträge einer Dynastie waren offenbar allen Dynastiemitgliedern bekannt und wohl auch zugänglich, vermutlich weil sie im Hausarchiv aufbewahrt wurden. Für die gothaische Linie ist zumindest für die Zeit 16 17 18
Volker BAUER, Wurzel, Stamm, Krone: Fürstliche Genealogie in frühneuzeitlichen Druckwerken, Wolfenbüttel 2013, S. 23. Daniel SCHÖNPFLUG, Die Heiraten der Hohenzollern. Verwandtschaft, Politik und Ritual in Europa 1640–1918, Göttingen 2013, S. 34 f. Das Testament von Herzog Johann Wilhelm von 1573 ist abgedruckt bei: Johann Jacob MOSER, Teutsches Staats-Recht, Bd. 12, Leipzig 1744, S. 456–458.
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nach 1680 belegt, dass die diversen infolge des Sachsen-Coburg, -Eisenberg und Römhildischen Sukzessionsstreits19 zwischen den Brüdern und Vettern geschlossenen 52 Vergleiche zum Großteil im sogenannten Saalfeldischen ReceßBuch abgedruckt wurden.20 Erste Versuche der Sammlung und Systematisierung von Hausverträgen auf Reichsebene stammen schon aus der frühen Neuzeit. Bekannte Reichspublizisten wie Johann Jakob Moser beschäftigten sich im 18. Jahrhundert im Zusammenhang mit Arbeiten zum deutschen Staatsrecht ausführlich mit ihnen und widmeten dem sogenannten Familien-Staatsrecht mehrere Bände. Alle Verträge, die Moser bekannt waren, wurden von ihm zusammengestellt, in Auszügen abgedruckt und unter verschiedenen Gesichtspunkten behandelt.21 Dabei ging es ihm nicht nur um die normative Ebene, sondern auch um Beispiele aus der Rechtspraxis. Bis heute maßgeblich sind die Arbeiten von Herrmann Schulze, der im 19. Jahrhundert in drei Bänden die aus seiner Sicht wichtigsten Hausgesetze der fürstlichen Häuser in Deutschland zusammengestellt hat.22 Der dritte Band enthält eine Auswahl von sächsischen, überwiegend ernestinischen Hausverträgen, beginnend mit der Leipziger Teilung von 1485 und dem Naumburgischen Vertrag von 1554 bis hin zum Königlich sächsischen Hausgesetz von 1837 und weiteren Regelungen des 19. Jahrhunderts. Einige wichtige Hausverträge wie beispielsweise die 1572 infolge der Grumbachschen Händel und durch eine kaiserliche Kommission veranlasste Landesteilung Sachsen-Weimars oder das oben erwähnte Testament von Herzog Johann Wilhelm von Sachsen-Weimar aus dem Jahr 1573 finden allerdings keine Erwähnung, so dass auf die Sammlung von Moser oder die in den Archiven befindlichen Originale zurückgegriffen werden muss. Ausgangspunkt der sächsischen Hausverträge bildet die sogenannte „Leipziger Hauptteilung“ der Wettiner von 1485. Namensgeber der Ernestiner wurde Ernst (reg. 1464–1486), der zunächst gemeinsam mit seinem Bruder Albrecht (reg. 1464–1500) regierte. Nach einer Reihe von Streitigkeiten vollzogen die Brüder jedoch die Trennung, die – im Unterschied zu früheren Landesteilungen – nicht mehr rückgängig gemacht wurde. Dem älteren Bruder Ernst fielen die Kurlande um Wittenberg sowie die damit verbundene Kurwürde, der größte 19 20 21 22
Siegrid WESTPHAL, Kaiserliche Rechtsprechung und herrschaftliche Stabilisierung. Reichsgerichtsbarkeit und thüringische Territorialstaaten, Köln/Weimar/Wien 2002. Saalfeldisches Receß-Buch die Verfassung des Herzogl. Sachsen-Gothaischen Gesammthauses die in demselben vorgenommenen Erbtheilungen vornehmlich aber die Herzogl. Sachsen-Coburg-Saalfeldischen Gerechtsamen betreffend, Coburg 1783. MOSER, Teutsches Staats-Recht (wie Anm. 18), Bd. 13. Hermann SCHULZE, Die Hausgesetze der regierenden deutschen Fürstenhäuser, 3 Bde., Jena 1862–1883.
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Teil der alten Landgrafschaft Thüringen, kleinere Teile der Mark Meißen, das Vogtland sowie die Herrschaft Coburg zu. Der jüngere Bruder Albrecht regierte als Herzog von Sachsen den Großteil der Mark Meißen sowie das nördliche Thüringen. Eine ganze Reihe von Rechten und Privilegien blieben jedoch auch nach 1485 in Gemeinschaft: 1. Das privilegium de non appellando, de non evocandis, 2. Das Recht des Silberkaufs aus den Schneeberger Bergwerken, 3. Die Austräge zwischen beiden Häusern, 4. Die Erbverbrüderungen und Erbeinungen, 5. Die Mitbelehnung und Anwartschaften auf alle Fürstentümer und Ländereien, 6. Das Gesamtarchiv zu Wittenberg, 7. Die Erbansprüche des wettinischen Gesamthauses, 8. Das Schutzrecht über die Reichsstadt Mühlhausen, 9. Titel und Wappen der meisten Provinzen, 10. In späterer Zeit die Hennebergische Gemeinschaft.23 Die ursprünglich zur Befriedung und zum Erhalt brüderlicher Eintracht gedachte Herrschaftsteilung, die durchaus als „Signum der Zeit“ begriffen werden kann, führte jedoch zu einem Machtgefälle zwischen Ernestinern und Albertinern und letztlich zu unüberbrückbaren Gegensätzen, die durch die Reformation noch verstärkt wurden.24 Während der ernestinische Kurfürst Friedrich der Weise Martin Luther schützte und damit die Ausbreitung der Reformation beförderte, blieb der albertinische Herzog Georg der Bärtige beim alten Glauben. Erst sein Bruder Heinrich der Fromme (1539–1541) führte mit seinem Regierungsantritt 1539 die Reformation auch im Herzogtum Sachsen ein. Der Schmalkaldische Krieg (1546/47) zwischen dem evangelisch geprägten Schmalkaldischen Bund und Kaiser Karl V. samt seinen Anhängern stellte für die Ernestiner eine dynastische Katastrophe ersten Ranges dar. In der Schlacht bei Mühlberg an der Elbe erlebte Kurfürst Johann Friedrich 1547 eine verheerende Niederlage. Er wurde dabei nicht nur verletzt, sondern auch gefangen genommen und fünf Jahre in kaiserlicher Haft behalten. Obwohl der albertinische Herzog Moritz von Sachsen auch Protestant war, hatte er sich mit Karl V. verbündet und war gegen seinen Vetter Johann Friedrich in den Kampf gezogen. Als Dank für seine Unterstützung erhielt Moritz vom Kaiser in der Wittenberger Kapitulation (19. Mai 1547, Artikel 13) große Teile der ernestinischen 23 24
MOSER, Neues teutsches Staatsrecht (wie Anm. 23), Bd. 12,1, S. 586. Gabriele HAUG-MORITZ, Ein dynastischer Konflikt in medialer Deutung – das Beispiel des Hauses Wettin in der Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Rainer BABEL/Guido BRAUN/Thomas NICKLAS (Hg.), Bourbon und Wittelsbach. Neuere Forschungen zur Dynastiegeschichte, Münster 2010, S. 81–97, S. 82.
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Gebiete, darunter die Kurlande, und vor allem die Kurwürde. Darüber hinaus wurde festgelegt, was seine Nachfahren an Land und Leuten erhalten sollten. Auch die Fürstenrevolte und der Passauer Vertrag von 1552 änderten an diesem innerdynastischen „Reversement“ nichts mehr. Eine wichtige Rolle spielte in diesem Zusammenhang der Naumburger Vertrag von 1554 zwischen der albertinischen und ernestinischen Linie, der von Johann Jacob Moser als „Haupt-Urkund in dem Familien-Staatsrecht des Hauses Sachsen“ bezeichnet wird und auf den sich die kaiserlichen Lehnbriefe ausdrücklich bezogen.25 Es handelte sich nicht um eine unter gleichberechtigten Familienmitgliedern geschlossene Regelung, sondern um einen aus der Wittenberger Kapitulation von 1547 hervorgegangenen Vertrag, der – kaiserlich legitimiert – massiv in die innerwettinischen Verhältnisse eingriff. Die Ernestiner konnten zwar vom neuen albertinischen Kurfürsten August kleinere Gebiete zurückerhalten, aber die territorialen Vorgaben der Wittenberger Kapitulation blieben im Wesentlichen bestehen. Daneben wurden die in der Leipziger Teilung vereinbarten gemeinschaftlichen Rechte, Pflichten und Anwartschaften erneuert bzw. neu geregelt. Zentral war der Wunsch der Albertiner, den Vertrag auch für die Nachfahren verbindlich zu machen und durch verschiedene Mechanismen abzusichern. Künftige Gewalthandlungen zwischen Albertinern und Ernestinern sollten unbedingt vermieden werden. Dazu sollte ein detailliert festgelegtes Schiedsverfahren (Austrag) dienen, das für alle künftigen Konflikte zuständig sein sollte.26 Infolge des Naumburger Vertrags mussten die Ernestiner die Kurlande und ihre bisherige Residenz verlassen und sich in ihre ehemalige Nebenresidenz Weimar begeben. Als Herzöge von Sachsen wurden sie nun zu einem thüringisch-sächsischen Haus mit einem deutlich verringerten Herrschaftsgebiet. 1567 gingen den Ernestinern durch die sogenannten Grumbachschen Händel – ein verzweifelter Versuch, die Kurwürde mit Hilfe des fränkischen Ritters Wilhelm von Grumbach zurückzugewinnen – wiederum Territorien verloren. Zudem wurde eine Teilung des ernestinischen Herrschaftsgebiets in zwei Teile auf dem Speyrer Reichstag von 1570 reichsrechtlich erzwungen, um die für die Niederschlagung der Grumbachschen Händel im Zuge einer Reichsexekution aufgewendeten Gelder von Herzog Johann Wilhelm von Sachsen-Weimar und seinen unmündigen Neffen eintreiben zu können.27 Dahinter stand erneut der sächsische Kurfürst, der die Hauptlast der Reichsexekution getragen hatte. Im Zuge der Verhandlungen über die Teilung wurden die Ämteranschläge 25 26 27
Johann Jacob MOSER, Neues teutsches Staatsrecht, Bd. 12,2, 2. Hälfte, Frankfurt/Leipzig 1775, S. 956. SCHULZE, Hausgesetze (wie Anm. 22), Bd. 3, S. 93 f. BRATHER, Landesteilungen (wie Anm. 1), S. 15.
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berichtigt, auf deren Basis bei allen folgenden Landesteilungen Landesportionen zusammengestellt wurden. Trotz dieser reichsrechtlich erzwungenen Teilung wurden wiederum bestimmte Institutionen, Rechte, Privilegien und Ansprüche in Gemeinschaft behalten, so das Erfurter Geleit, das Schutzrecht über die Städte Erfurt und Mühlhausen, die Rechte gegenüber den Grafen von Schwarzburg, „Universität, Konsistorium und Hofgericht Jena, die Unterhaltung aller noch laufenden Prozesse, alle Lehen, die Rat oder Bürger der Stadt Erfurt von den Ernestinern trugen“.28 Auch die Reichspflichten sollten in Gemeinschaft verbleiben. Zudem sollte ein ernestinisches Gesamtarchiv errichtet werden. Herzog Johann Wilhelm versuchte mit Hilfe seines Testaments, die Vormundschaft Kursachsens über seine unmündigen Kinder auszuschließen. Nach seinem Tod (2. März 1573) setzte sich jedoch Kursachsen darüber hinweg und übernahm die vormundschaftliche Regierung in den ernestinischen Gebieten. Auch in der Folge blieb die Angst vor Eingriffen Kursachsens in die ernestinischen Verhältnisse präsent. Nicht zu Unrecht, wie die Teilungen von 1572, 1596 und die Rangstreitigkeiten zwischen Weimar und Altenburg nach 1603 belegen. Trotz dieser erzwungenen Teilungen verstanden sich die Ernestiner weiterhin als eine Dynastie, was sich in den spezifischen erbrechtlichen Regelungen der Hausverträge niederschlug. Diese sollten dazu dienen, den Zusammenhalt des Hauses zu gewährleisten und zu sichern.
3. Das Erbrecht der Ernestiner Die Ernestiner zählten zu den Dynastien, die lange an der Kollektivsukzession festhielten. Politische Ausdrucksform des gleichen Erbrechts war die Gemeinschaftsregierung bzw. das Direktorium. Signifikantes Beispiel dafür ist wiederum das Testament von Ernst dem Frommen von 1654, in dem er unter Berufung auf ernestinisches Herkommen alle seine Söhne zu seinen Erben bestimmte, wobei keiner bevorzugt werden, der Älteste jedoch die Landesadministration inne haben und das Direktorium führen sollte. Vorbild waren für ihn die 1629 mit seinen Brüdern Wilhelm, Albrecht und Bernhard geschlossene Erbverbrüderung und die daraus hervorgegangenen Teilungsvereinbarungen von 1640/41. Ernst schärfte mehrmals ein, dass alle seine Söhne gleichberechtigte Erben seien und „keiner vor dem andern, ausser welche die Direction des ältesten, und die darauf verordnete recompensirung, nach art und inhalt obbemeltes Unsers Fürst-brüderlichen Haupt-Erbvertrags, nach sich ziehet, einigen vorzug“ haben soll.29
28 29
Ebd., S. 34. Ebd., S. 14.
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Beim Direktorium handelte es sich demnach nicht um ein an die Person oder Linie gebundenes Recht, sondern es sollte auf den jeweils ältesten Agnaten des gothaischen Gesamthauses fallen, unabhängig von der Linie. Insofern unterschied sich die direktoriale Regierungsform deutlich von einer Primogeniturregelung. Dazu gehörte auch, dass ein Direktorium prinzipiell entzogen werden konnte, falls der Direktor nicht entsprechend des Herkommens und der Vergleiche handelte oder die Mitregenten nicht länger in Gemeinschaft bleiben wollten. Entsprechend der Abmachungen, die Ernst mit seinen Brüdern am 12. September 1641 getroffen hatte, sollte die Auflösung der Gemeinschaft und damit eine weitere Teilung der Territorien aber nur dann möglich sein, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben waren.30 Dies hieß, dass genug Land vorhanden sein musste, um für jeden Erben eine ausreichende Landesportion einrichten zu können. Da Ernst sein Territorium als nicht groß genug dafür erachtete, er sich aber gleichzeitig nach dem traditionellen ernestinischen Sukzessionsverhalten richten wollte, schärfte er seinen Söhnen ein, die Gemeinschaft zu bewahren und sie nicht wegen unerheblicher Gründe aufzugeben. Dazu zählte er den Eintritt der Volljährigkeit oder die Verheiratung eines Erben. Vielmehr ermahnte Ernst seine Söhne zu Frieden und Eintracht, um die Wohlfahrt des Landes zu befördern. Dabei sollten die jüngeren Söhne keineswegs von der Regierung ausgeschlossen werden. Vielmehr schlug der Gothaer Herzog vor, dass sie dem älteren Bruder bei seiner Tätigkeit behilflich sein könnten. Dass das Direktorium auch bei Ernst nur Übergangscharakter besaß, zeigt sich an den Teilungsbestimmungen. Sobald Besitz hinzukommen oder sich die Zahl der Teilenden verringern sollte und ausreichende Landesportionen möglich waren, durfte eine Teilung vorgenommen werden. Dabei sollte entsprechend ernestinischer Tradition keiner bevorzugt werden und „christliche Gleichheit“ herrschen. Das Testament von Herzog Ernst dem Frommen blieb dem ernestinischen Sukzessionsverhalten somit völlig verhaftet und favorisierte die im Gesamthaus eingebürgerte Direktorialverfassung, die Gemeinschaftserbrecht und christliches Gleichheitsdenken mit den Erfordernissen einer effektiven Landesregierung in Einklang zu bringen versuchte. War ausreichend Territorium für eigene Landesportionen vorhanden, die ein standesgemäßes Auskommen erlaubten, durften die Nachkommen Landesteilungen durchführen. Dabei handelte es sich nicht um sogenannte Totteilungen, sondern um eingeschränkte Realteilungen zu gesamter Hand oder Mutschierungen, eine häufig zeitlich befristete Teilung der Nutzungen ohne Teilung der Besitz- und Hoheitsrechte. Das hieß, dass jedes erbberechtigte Dynastiemitglied in seiner Landesportion nur eine durch Gemeinschaftsrechte eingeschränkte Landeshoheit wahrnehmen konnte. Der gemeinschaftliche Aspekt sollte dabei keinesfalls verloren gehen. Durch die bei 30
WESTPHAL, Rechtsprechung (wie Anm. 19), S. 111.
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den Ernestinern praktizierte Belehnung zur gesamten Hand blieben die Lehnsverhältnisse und der reichsständische Status eine Angelegenheit des gesamten Hauses. Zudem wurden die gemeinschaftlichen Institutionen und eine Reihe hoheitlicher Rechte sowie die Erfüllung der Reichspflichten in Gemeinschaft behalten. Auf diese Weise bestand – trotz der Teilungen – weiterhin eine Klammer zwischen den einzelnen Linien. Darüber hinaus waren die Teilungen nach dem modularen Prinzip organisiert, so dass sich Landesportionen beliebig zusammenstellen, aber auch wieder zu einem Gesamtterritorium zusammenfügen ließen. Dies war zum einen möglich, weil man sich an den bereits bestehenden Ämtern orientierte. Zum andern setzte man die einheitliche Ämterorganisation und Verwaltung in allen Herrschaftsterritorien voraus. Grundsätzlich war vorgesehen, jedem Sohn einen möglichst gleichen Anteil des väterlichen Erbes zuzuweisen, ohne auf die geographische Lage der Ämter Rücksicht zu nehmen. Starb eine Linie aus, fiel die Erbportion wieder an das Gesamthaus zurück. Bei Abweichungen der Landesportionen vom berechneten Anteil am Gesamterbe sollte die Differenz durch einen Ausgleichsbetrag des bevorzugten an den benachteiligten Erben vergolten werden. In der Regel waren Landesteilungen mit einem großen organisatorischen und finanziellen Aufwand verbunden. Um die Kosten zu reduzieren, griffen die mit der Teilung beauftragten Räte oder Kommissare auf die 1572 berichtigten Ämtereinkünfte zurück und passten sie allenfalls an. Als Kriterien einer territorialstaatlichen Existenz dienten die „Gewähr, daß der Landesherr ein standesgemäßes Leben […] führen, seiner Verantwortung für die ‚Untertanen‘ genügen und seinen Verpflichtungen gegenüber dem Reich nachkommen konnte“.31 Für das Festhalten am kollektiven Erbrecht und den damit verbundenen Landesteilungen hat die Forschung eine Reihe von Gründen herausgearbeitet, die hauptsächlich mit der benachteiligten Stellung der jüngeren Söhne im Falle eines Erstgeburtsrechts zusammenhängen.32 Bei den Ernestinern dürfte darüber hinaus die fest verankerte lutherische Konfession das ausschlaggebende Kriterium gewesen sein. Schon Johann Jacob Moser betonte in seinem „Teutschen Staats-Recht“, dass gerade streng protestantische Fürsten einen entschiedenen
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HERZ, Problemen (wie Anm. 1), S. 155. Vgl. Herbert HÖLDRICH, Das Erstgeburtsrecht beim Adel, Das Primogeniturprinzip und seine Auswirkungen auf die Adelsbezeichnungen, München 1992, S. 25 f.; Hermann SCHULZE, Das Recht der Erstgeburt in den deutschen Fürstenhäusern und seine Bedeutung für die deutsche Staatsentwicklung, Leipzig 1851, S. 338. Neben moralischen und ökonomischen Argumenten finden sich didaktische und politische Gesichtspunkte. Insbesondere die Frage nach dem Sozialprestige dürfte in der ständischen Gesellschaft, die Werten wie Ansehen und Ehre einen hohen Stellenwert zumaß, eine große Rolle gespielt haben. Vgl. Klaus SCHREINER/Gerd SCHWERHOFF (Hg.), Verletzte Ehre. Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 1995.
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Widerwillen gegen das Erstgeburtsrecht hegten, weil sie es als unchristlich empfanden. Hielten einige fromme grosse Herrn, (welche damals noch ungleich mehr Ehrerbietung gegen die heilige Schrifft hatten, als die meiste heut zu Tag,) es gerade wider das Wort Gottes zu sein, als nach welchem Kinder Eines Vaters auch gleichen Antheil an dessen Erbgut haben sollten.33
Barbara Sutter Fichtner weist zwar darauf hin, dass dies durchaus als politische Rhetorik verstanden werden könne, führt aber dann die Testamente von protestantischen Fürsten – unter anderem der Ernestiner – an, um die Verankerung von dynastischer Herrschaft im christlich-protestantischen Weltbild zu demonstrieren. „Thus the princely testament […] had become a vehicle to express piety and to soften the wrath of one’s Maker. Intrafamilial property arrangements were transposed into Christian didactic paradigms.“34 Der väterliche Wille wurde mit dem göttlichen Willen gleichgesetzt, die Einhaltung des Testaments als die Befolgung des vierten Gebots interpretiert. Der religiöse Ordnungsgedanke verband sich mit einer mentalen Disposition der Fürstenhäuser im Alten Reich, nämlich der Vorstellung eines kollektiven Rechts der Dynastie auf ihren Besitz. Dies erklärt auch die verbreitete laterale Erbfolge (Seitenverwandte), der der Gedanke zugrunde lag, dass alle legitim geborenen Prinzen gleichberechtigt seien. Entsprechend sah die Reichsverfassung formal die Reichsunmittelbarkeit aller männlichen Mitglieder einer Dynastie vor. Änderungen der Erbfolge konnten nur in wechselseitigem Einverständnis vorgenommen werden, wobei bei Brüdern die kaiserliche Bestätigung zwar nicht benötigt wurde, aber erwünscht war. Anders sah es bei väterlichen Testamenten aus, denen der Kaiser bzw. der Reichshofrat zustimmen musste. Selbst wenn noch keine Nachkommen vorhanden waren, wurden Vertreter bestimmt, um die Rechte der noch zu erwartenden Nachgeborenen zu wahren.35 Auch die Belehnung zur gesamten Hand war Ausdruck der Gleichheit zwischen den Brüdern. Diese galt den Ernestinern bis zum Ende des 17. Jahrhunderts als oberstes Prinzip, als dynastische Norm und religiöse Pflicht. Die Primogenitur unterlief aus lutherischer Sicht den Gleichheitsgedanken, da alternative Versorgungsmöglichkeiten wie geistliche Institutionen weitgehend versperrt waren und deshalb nur der dauerhafte Ausschluss der Nachgeborenen vom Besitz und von der Regierung blieb. Gerade aus deren Perspektive wurde 33
34 35
MOSER, Teutsches Staats-Recht (wie Anm. 18), Bd. 13, S. 431. Moser nennt insgesamt vier Gründe, die für Teilungen sprechen: die elterliche Liebe für die nachgeborenen Kinder, religiöse Argumente (die Primogenitur sei wider Gott), Teilungen mehren die weltlichen Fürstenstimmen, das Reich würde dadurch insgesamt gestärk). Paula Sutter FICHTNER, Protestantism and primogeniture in early modern Germany, New Haven/London 1989, S. 27. SCHULZE, Recht (wie Anm. 32), S. 361 f.
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der Wunsch nach Einführung des Erstgeburtsrechts einerseits als rein weltliche Begierde zur Machtsteigerung interpretiert, die mangelndes Gottvertrauen offenbare, andererseits als Abfall vom wahren Glauben. Nach lutherischer Auffassung harmonisierten Erbteilungen und religiöses Denken miteinander. Zwar galt die Gemeinschaftsregierung unter dem Direktorat des Ältesten als optimaler Ausdruck des Gleichheitsgedankens. Da dies in den meisten Fällen aber zum Streit führte – worin man teuflisches Wirken sah –, konnte eine Teilung zur Sicherung der dynastischen Harmonie als ein göttliches Werk interpretiert werden.36 Gegen Ende des 17. Jahrhunderts führten „mit merkwürdiger Übereinstimmung“ die meisten deutschen Fürstenhäuser eine Primogeniturordnung ein, wobei es teilweise noch zu Übergangsregelungen kam.37 Für einen strukturellen Vorgang spricht unter anderem die Tatsache, dass fast alle Erstgeburtsregelungen dieselben Begründungen für die Veränderung des Erbrechts nennen.38 Dabei handelte es sich vor allem um ökonomische und politische Argumente. Keiner Dynastie fiel es leicht, von der Kollektivsukzession auf die Individualsukzession umzustellen. Teilweise langandauernde Übergangsphasen und heftige Auseinandersetzungen waren der Preis für die Sicherung der Dynastie. Insbesondere die Ernestiner, bei denen der Gedanke des gleichen Erbrechts aller Nachkommen besonders tief verankert war, taten sich schwer mit der Einführung der Primogenitur. Selbst als diese sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts zunehmend durchsetzte, blieb die Kollektivsukzession auf Ebene des Gesamthauses und damit in ihrem „dynastischen Gedächtnis“ haften und konnte jederzeit wiederbelebt werden.39 Die Linie, die als erste gegenüber dem Primogeniturrecht eine offenere Haltung einnahm, war die Altenburgische, weil sie bereits infolge der Auseinandersetzungen mit der weimarischen Linie nach der Teilung von 1603 von diesem Grundsatz profitiert hatte. Als ältester Linie stand ihr aufgrund kaiserlicher Entscheidung die Präzedenz zu, was insbesondere hinsichtlich der Anwartschaft auf die Kur Sachsen und bei der Aufrufung auf dem Reichstag eine Rolle spielte. In diesem Sinne musste Altenburg am Erstgeburtsrecht festhalten, um seine Ansprüche gegenüber den anderen Linien aufrechtzuerhalten. Nicht zuletzt des-
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FICHTNER, Protestantism (wie Anm. 34), S. 30. Vgl. SCHULZE, Recht (wie Anm. 32), S. 13. Die Goldene Bulle (1356) hatte die Primogenitur bereits für die Kurlande festgelegt, um die Anzahl der Kurstimmen dauerhaft zu stabilisieren. Ebd., S. 346–360. HERZ, Problemen (wie Anm. 1), S. 155.
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halb schrieb Herzog Friedrich Wilhelm II. 1668 als erster Ernestiner in seinem Testament die Primogenitur fest.40 In der Folge kam es innerhalb der gothaischen Hauptlinie zur Einführung des Erstgeburtsrechts durch Friedrich I. (1680/81), den ältesten der sieben Söhne Ernsts des Frommen und Inhaber des Direktoriums. 1703 folgte Hildburghausen, 1716 legte Ernst Ludwig von Sachsen-Meiningen für seine Linie das Erstgeburtsrecht fest und 1733 geschah dies für Sachsen-Saalfeld-Coburg. Da allerdings die Linie von Ernst Ludwig ausstarb, konnte sich das kollektive Erbrecht in Sachsen-Meiningen bis 1802 halten. Damit gelten die Meininger als die letzte Dynastie im Alten Reich, die das Erstgeburtsrecht eingeführt hat. Parallel zu den Entwicklungen im gothaischen Haus verlief der Prozess innerhalb der weimarischen Hauptlinie. 1685 beantragte Sachsen-Eisenach die Einführung der Primogenitur, die 1688 ebenfalls kaiserlich bestätigt wurde.41 1724 folgte Sachsen-Weimar. Dabei verlief die dynastische Entwicklung innerhalb der weimarischen Linie wesentlich günstiger, denn durch das Aussterben der Eisenacher konnten alle Landesteile wieder in einer Hand vereinigt werden. In der Regel führten die Ernestiner erst dann die Primogenitur ein, wenn die territorialen und/oder demographischen Voraussetzungen dafür günstig erschienen. Altes und neues Erbrecht bestanden auf diese Weise nebeneinander fort.
4. Innerdynastische Streitschlichtung durch Austräge Inwiefern sich alle Mitglieder des Hauses durch die in den Hausverträgen vorgegebenen erbrechtlichen Regelungen gebunden fühlten, war immer eine Frage ihrer Bereitschaft, sich den Vorgaben und Anforderungen des Hauses zu unterwerfen. Dass hier großes Konfliktpotential lauerte, scheint den adligen Familien immer bewusst gewesen zu sein. Sie sahen deshalb spezifische Mechanismen vor, um auftretende Konflikte möglichst innerhalb des Hauses zu klären und die Dynastie in ihrem Bestand zu schützen. Dazu zählte auch, dass der Adel eigene Schiedsgerichte, die sogenannten gewillkürten Austräge, ausbildete, die der innerhäuslichen Konfliktregulierung dienen sollten.42 Dabei handelte es sich um frei vereinbarte oder in Familienver-
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Vgl. die ausführliche Schilderung des Vorrangstreits bei Johann Jacob MOSER, Teutsches Staats-Recht, Leipzig 1744, Bd. 23, S. 317–345. DERS., Teutsches Staats-Recht, Leipzig 1744, Bd. 13, S. 488. Moser spricht von 1683. Siegrid WESTPHAL, Austräge als Mittel der Streitbeilegung im frühneuzeitlichen Adel des Alten Reiches, in: Albrecht CORDES (Hg.), Mit Freundschaft oder mit Recht? Inner- und außergerichtliche Alternativen zur kontroversen Streitentscheidung im 15.–19. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2015, S. 159–173.
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trägen festgelegte Regelungen zum Konfliktaustrag.43 Während jeder die gesetzlichen Austräge bei Klagen gegen Kurfürsten, Fürsten und Fürstmäßige sowie deren Familienangehörige berücksichtigen musste, banden die gewillkürten Schiedsgerichte, die zum Teil zeitlich begrenzt und auf bestimmte Streitgegenstände bezogen waren, nur die Vertragsparteien.44 Das Recht, gewillkürte Austräge durch Vertrag oder Testament zu errichten, stand allen unmittelbaren Reichsständen zu, unabhängig davon, ob sie laut Gesetz zunächst vor den gesetzlichen Austrägen verklagt werden mussten.45 Allerdings besaßen alle dem Fürstenstand angehörige Reichsstände ein umfassenderes Austrägalrecht als der übrige reichsunmittelbare Adel.46 Gegenstand der Verhandlungen vor den gewillkürten Austrägen konnten alle Fälle sein, „die nicht durch Gesetz, Privileg oder Herkommen ausgenommen waren“.47 Form und Art des Verfahrens wurden in den jeweiligen Vereinbarungen der Parteien oder in Hausgesetzen und Testamenten festgelegt. Auch hier bestand unter den Reichspublizisten Unklarheit darüber, ob für die Gültigkeit der Austräge eine kaiserliche Bestätigung benötigt wurde oder nicht. Die Reichsgerichte erkannten jedoch nur solche gewillkürten Schiedsgerichte an, die kaiserlich bestätigt worden waren.48 Im Reich findet sich eine Vielzahl von gewillkürten Austrägen unterschiedlichster Art. Gerade der hohe und niedere Adel hat dieses Instrument in diversen Hausverträgen verankert und sah es als eine Frage der Standesehre an, einen Streit unter Seinesgleichen zu klären. Einen Standesgenossen vor Gericht zu ziehen, galt als schändlich und äußerst nachteilig für die Arcana des Hauses. Bevor zur Einrichtung eines Austrags geschritten wurde, sollten jedoch alle Möglichkeiten der Güte ausgeschöpft werden. Dieses Element findet sich offenbar bei vielen Dynastien, folgt man Johann Jacob Mosers vergleichender Analyse einer Reihe von Hausverträgen, für die er sieben Gemeinsamkeiten ausmachen kann.49 So steht bei den von ihm gesichteten Hausverträgen an erster Stelle ein Appell zur Einigkeit an alle Mitglieder eines Hauses, die alle Widerwärtigkeiten untereinander vermeiden sollten, verbunden mit dem Hinweis auf den großen Nutzen, den dies für das ganze Haus habe. Bei dennoch aufflammenden Streitigkeiten sollte zuerst die Güte gesucht werden. Dafür sei die 43 44 45 46 47 48 49
Gerd FRÜHAUF, Die Austrägalgerichtsbarkeit im Deutschen Reich und im Deutschen Bund, Diss. iur. München 1967, S. 57. Wolfgang SELLERT, Über die Zuständigkeitsabgrenzung von Reichshofrat und Reichskammergericht insbesondere in Strafsachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Aalen 1965, S. 52. FRÜHAUF, Austrägalgerichtsbarkeit (wie Anm. 43), S. 58. Ebd., S. 41. Ebd., S. 44. Ebd., S. 60. MOSER, Neues teutsches Staatsrecht (wie Anm. 23), Bd. 12,2, 2. Hälfte, S. 1130–1132.
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persönliche Aussprache, eine Vermittlung durch Freunde, andere Agnaten, deren Räte oder sogar die Landstände vorgesehen. Moser verweist darauf, dass in den meisten Hausverträgen dezidiert vorgeschrieben werde, keine Gewalt auszuüben, sondern den Weg des Rechts zu beschreiten.50 Alle Hausverträge enthalten – seinen Angaben nach – mehr oder weniger ausführliche Vorgaben für die Besetzung und das Verfahren des Austrags sowie den Zeitraum, innerhalb dessen der Streit beigelegt werden sollte. Ziel war es, dass die Austräge nicht die erste, sondern die einzige Instanz sein sollten. Die Ernestiner wollten sowohl bei der außerstreitigen (Belehnungen, Bestätigungen) als auch der streitigen Gerichtsbarkeit (Lehns- und Sukzessionsdifferenzen sowie andere innerfamiliäre Differenzen) den Einfluss von Kaiser und Reichsgerichten möglichst gering halten. Daher bestanden gleichzeitig mehrere Austräge, je nachdem, welche Linien miteinander stritten. Das Verhältnis von Albertinern und Ernestinern regelte der Naumburger Vertrag von 1554.51 Danach sollten bei strittigen Punkten, die nicht über Berichte und Schriften geklärt werden konnten, zuerst die jeweiligen Räte einen Vergleich suchen. Wenn dies nichts half, besaß jede Seite das Recht, vier adlige und zwei gelehrte Räte abzuschicken, die im Beisein der Anwälte in Kürze und ohne Verbitterung nochmals einen Vergleich aushandeln sollten. Erst nachdem dies gescheitert war, durfte ein Urteil gesprochen werden. Dabei sollten jedoch alle strittigen Punkte auf einmal geklärt werden. Konnten sich die zwölf Räte nicht einigen, schrieb der Naumburger Vertrag vor, sich an der Rechtsprechung und den Urteilen des Reichskammergerichts zu orientieren. Lediglich bei Artikeln, die hauptsächlich unter das Sächsische Recht fielen, sollte weiterhin das Sächsische Recht angewendet werden. Beide Seiten gelobten, die Vergleiche und Urteile einzuhalten, gegen die nicht appelliert werden durfte. Der Hauptvergleich von 1629 für die weimarische Linie legte unter Punkt zehn fest, dass die Brüder, falls sie sich untereinander nicht vergleichen konnten, drei der Hof- und Kammerräte – von denen einer der Obmann sein sollte –, einen Rechtsgelehrten von der Universität Jena und ein Mitglied der Ritterschaft dazu abordnen sollten, die Streitfrage durch Mehrheit der Stimmen zu entscheiden. Auch hier waren Einwände nicht erlaubt.52 Ein Vertrag zwischen Weimar und Gotha von 1657 legte die Austräge zwischen diesen beiden Häusern fest. Ein spezielles Austrägalverfahren gab es darüber hinaus für die drei Inhaber der geteilten Grafschaft Henneberg.53 Allerdings weiß man wenig darüber, ob die Austräge tatsächlich zusammentraten und erfolgreich arbeiten konnten. Häufiger scheint die gütliche Vermittlung gewesen zu sein. Jedenfalls 50 51 52 53
Ebd., S. 1130. Ebd., S. 1072 f. Ebd., S. 1074. Ebd., S. 1074 f.
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sind bis Ende des 17. Jahrhunderts keine Appellationen der Ernestiner von den Austrägen an die Reichsgerichte bekannt. Der weitgehende Ausschluss der Reichsgerichtsbarkeit von innerernestinischen Differenzen spricht für das Funktionieren der häuslichen Konfliktregulierungsmechanismen und die Akzeptanz der Hausverträge. Dazu trugen sicherlich auch die Hauskonferenzen bei, die regelmäßig zusammentraten und die zwischen den Linien strittigen Fragen klären sollten.54 Eine Änderung trat erst ein, als innerhalb der gothaischen Linie nach dem Tod Ernst des Frommen zwischen seinen sieben Söhnen Auseinandersetzungen über die Auslegung des väterlichen Testaments von 1654 sowie die erläuternde Regimentsverfassung von 1672 ausbrachen, die ab 1699 in den oben genannten Sachsen-Coburg, -Eisenberg und Römhildischen Sukzessionsstreit mündeten. Ernst der Fromme hatte festgelegt, dass das Herrschaftsterritorium in Gemeinschaft seiner Söhne verbleiben und die Regierung durch den ältesten Sohn in Form eines Direktoriums ausgeübt werden sollte. Für den Fall von Auseinandersetzungen zwischen seinen Söhnen verankerte er verschiedene Möglichkeiten der innerdynastischen Streitbeilegung. Wurden die Söhne im Testament lediglich zur Eintracht ermahnt, sah die Regimentsverfassung detaillierte Schlichtungsmöglichkeiten vor.55 Eine eindringliche Aufforderung zum Frieden innerhalb des Hauses dokumentiert zwar die Hoffnung des Herzogs, dass es erst gar nicht so weit kommen möge,56 allerdings beweist das mehrstufige Austrägalverfahren seinen Realitätssinn.57 Ernst unterschied dabei zwischen zwei Fällen: zum einen, wenn zwischen den Söhnen und Nachfahren persönliche Irrungen entstehen, zum anderen, wenn es zwischen ihnen zu Parteibildungen kommen sollte. Im ersten Fall sollten die nichtinvolvierten Söhne und Nachfahren mit ihren Räten versuchen zu vermitteln und die Missstände gütlich beizulegen. Im zweiten Fall sollte in folgenden Stufen vorgegangen werden: Zunächst war vorgesehen, dass alle gemeinschaftlichen Räte, deren Unparteilichkeit vorausgesetzt wurde, „durch bewegliches Remonstriren und Zusprechen zwischen ihnen gütlich“ vermitteln sollten.58 Wenn dies nichts fruchtete, dann sollten zwei bis drei angesehene Vertreter der Landstände hinzugezogen werden. Wenn auch dies vergeblich sein sollte, dann war erst im dritten Schritt ein Austrag vorgesehen, der in einem komplizierten Modus aus den Räten von zwei nahen verwandten Fürsten und den gemeinschaftlichen Räten gebildet werden sollte.
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Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Auswärtige Angelegenheiten DS. Regimentsverfassung vom 9. November 1672, in: SCHULZE, Hausgesetze (wie Anm. 22), Bd. 3, S. 121–143. Ebd., S. 128. Ebd., S. 128–130. Ebd., S. 128.
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Diese sollten dann auf der Basis des Testaments und der Regimentsverfassung sowie der Landesgesetze die Sache eingehend erörtern. Für den Fall von Unstimmigkeiten unter ihnen oder Stimmengleichheit war die Wahl eines Obmanns aus den Räten eines weiteren Fürsten vorgesehen, der einen einmütigen oder Mehrheitsbeschluss herbeiführen sollte. Um spätere Streitigkeiten und Vorwürfe zu vermeiden, war es den Räten erlaubt, ihre Stellungnahme ohne Begründung und ohne Nennung ihres Namens versiegelt abzugeben. Ein eigens von ihnen gewählter Sekretär, der zu Vertraulichkeit und Stillschweigen verpflichtet war, sollte die Voten verlesen und jeder Rat die Ergebnisse protokollieren. Den klagenden und beklagten Fürsten wurde geraten, sich Unterstützung bei einheimischen Gelehrten oder Professoren der Universität Jena zu suchen. Gestalt dann ihnen, bey Antretung solcher Assistenz, von denen Austrags-Richtern, bewegliche Erinnerung zu thun seyn wird, das sie nicht Oel ins Feuer giessen, sondern vielmehr, da sie vermercken würden, daß ein oder der ander Theil zu weit gienge, sie demselben unterthänigste bescheidentliche Erinnerung thun solten, zu welchem Ende dann von ihnen ein Handschlag, solches alles fideliter zu beobachten, und die Sache in geheim zu halten, zu nehmen seyn wird.59
Mit besonderem Nachdruck befahl Ernst seinen Söhnen, sich an den vorgeschriebenen Austrag zu halten und keineswegs, aus Unmuth und Affecten, sich verleiten [zu] lassen, zu Unsers Hauses Unglimpff, Ihrer eigenen Trennung, und daraus besorgenden gäntzlichen Ruin, an höhere Gerichte in Zanck und Rechtfertigung sich zu begeben, viel weniger an ausländische Potentaten sich zu hängen, oder mit Gewalt der Waffen Ihnen selbst Recht zu schaffen, einander zu bevehden und zu überfallen.60
Der Herzog schloss damit – wie die meisten anderen Fürsten in ihren Hausgesetzen – eine Anrufung der Reichsgerichte ausdrücklich aus und verwies somit dynastische Streitigkeiten in die Zuständigkeit des Hauses oder anderer Reichsstände.61 Um sicherzugehen, dass seine Verfügungen auch eingehalten wurden, sollte das Lesen und Referieren der väterlichen Dispositionen fester Bestandteil der fürstlichen Erziehung sein. Außerdem forderte Ernst von jedem seiner Söhne einen eigenhändigen Revers, den sie bei Erreichen der Volljährigkeit ausstellen sollten. Darin mussten sie die Befolgung der testamentarischen Verfügungen versprechen, was am 2. Juli 1675 geschah.62
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Ebd., S. 129. Ebd. WEITZEL, Hausnormen (wie Anm. 15), S. 44. MOSER, Neues teutsches Staatsrecht (wie Anm. 23), Bd. 12,2, 2. Hälfte, S. 1078.
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Dennoch kam es in der Folge zu massiven Auseinandersetzungen zwischen den Brüdern, zum einen über die Frage der Regierung, zum anderen über die Verteilung von angefallenen Territorien, die nicht mehr mit Hilfe der Austräge geklärt werden konnten.63 Der Streit über das Herzogtum Sachsen-Coburg wurde nach der gewaltsamen Besitzergreifung durch Sachsen-Gotha von Sachsen-Meiningen am Reichshofrat anhängig gemacht. Der Reichshofrat erließ ein Mandatum sine clausula und setzte eine Kommission ein, die auf die Einhaltung des Mandats und eine gütliche Einigung hinwirken sollte. Damit wurden die hausgesetzlichen Austräge ignoriert, woraufhin Sachsen-Gotha das Corpus Evangelicorum am Reichstag einschaltete und eine Vorstellung beim Kaiser einbrachte. Der Gothaer Herzog beschwerte sich darüber, dass die Hausverträge und der Austrag nicht beachtet worden seien. Deshalb sollte die Kommission wieder kassiert werden. Der Reichshofrat resolvierte darauf am 13. Oktober 1701 und forderte die Parteien zur Güte durch Räte oder Austräge auf. Indessen bliebe doch die Sache nach wie vor am Reichs-Hof-Rath hangen und es wurde eine andere Commission am Kayserlichen Hoflager angeordnet welche erstlich die Güte tentirte und hernach die Parthien schrifftlich gegen einander verfahren liesse.64
Trotz aller Bemühungen von verschiedenen Linien des ernestinischen Hauses, die höchsten Gerichte aus den innerhäuslichen Auseinandersetzungen herauszuhalten und eine gütliche Einigung mit Hilfe eines Austrags zu erreichen, blieb der Reichshofrat ab diesem Zeitpunkt in die Erbstreitigkeiten involviert. Phasen gütlicher Verhandlungen wechselten sich immer wieder mit Prozessen am Reichshofrat und militärischen Gefechten ab, da man keine Einigung erzielen konnte. In einem ansonsten eher seltenen Endurteil beschloss der Reichshofrat 1714 schließlich die endgültige Teilung der umstrittenen Territorien der ausgestorbenen Linien.65 Dennoch ging der Streit über Teilprobleme weiter. Erst gegen Ende des 18. Jahrhundert setzte sich bei den Beteiligten die Einsicht durch, wie nachteilig sich die dynastischen Erbstreitigkeiten auf die Entwicklung des ganzen gothaischen Hauses ausgewirkt hatten.66 Nicht zuletzt deshalb suchte man mit Hilfe von Hauskonferenzen stärkere Einigkeit und Geschlossenheit der Ernestiner herbeizuführen.
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WESTPHAL, Rechtsprechung (wie Anm. 19), S. 180–255. MOSER, Neues teutsches Staatsrecht (wie Anm. 23), Bd. 12,2, 2. Hälfte, S. 1079 f. WESTPHAL, Rechtsprechung (wie Anm. 19), S. 225–241. DIES., Ernst II. und die Erbfolgestreitigkeiten im Hause Sachsen-Gotha, in: Werner GREILING/Andreas KLINGER/Christoph KÖHLER (Hg.), Ernst II. von Sachsen-GothaAltenburg. Ein Herrscher im Zeitalter der Aufklärung, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 85– 100.
DAS DYNASTISCHE SELBSTVERSTÄNDNIS DER ERNESTINER
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5. Fazit Die ernestinischen Landesteilungen sind keinesfalls Ausdruck des dynastischen Niedergangs der Ernestiner, sondern entsprechen vielmehr dem traditionellen Teilungsdenken und -verhalten dieser Dynastie, das auf dem christlich begründeten Prinzip brüderlicher Gleichheit basierte. Aufgrund struktureller Entwicklungen nach dem Dreißigjährigen Krieg und zunehmender finanzieller Belastungen mussten sich die Ernestiner fragen, ob das Prinzip der brüderlichen Gleichheit weiterhin beibehalten werden konnte. Als Alternative galt die Primogenitur, gegen die jedoch eine Reihe von Vorbehalten existierte, weil man sie als ungerecht und unchristlich empfand. Dieser Gedanke spielte gerade bei den Ernestinern eine wichtige Rolle, da sie als Schutzherren des Luthertums in der Bibel eine zentrale Autorität sahen. Die ab Ende des 17. Jahrhunderts nach und nach bei den einzelnen Linien der Ernestiner erfolgte Einführung der Primogenitur war als Mittel zur Krisenbewältigung gedacht und sollte die Stabilität der Dynastie sichern. Dem gleichen Zweck dienten die Hausverträge, die immer detailliertere Mechanismen der innerdynastischen Streitschlichtung vorsahen, um den Zusammenhalt der Dynastie zu gewährleisten und anderen Dynastien oder Kaiser und Reich keine Angriffsfläche zu bieten. Der Preis, den man für die Sicherung der Dynastie zahlen musste, waren jedoch innerdynastische Konflikte, die sowohl die Gesamtdynastie als auch die einzelnen Linien einer Zerreißprobe unterzogen. Während die Forschung die Einführung des Erstgeburtsrechts als entscheidenden Schritt hin zur modernen Staatsbildung bewertet hat, verweist die Entwicklung der Ernestiner auf eine andere Perspektive. Im Gegensatz zu den Kurfürstentümern und größeren Fürstentümern, in denen die Primogenitur als dynastie- und herrschaftssichernde Maßnahme schon etabliert war, wirkte die Durchsetzung des Erstgeburtsrechts bei den Ernestinern angesichts einer traditionell anderen Teilungskultur politisch destabilisierend. Galten vorher zumindest alle männlichen Mitglieder der Dynastie als gleichberechtigte Verhandlungspartner, schuf die Primogenitur ein innerdynastisches Gefälle. Die Einführung der Primogenitur führte zur Machtkonzentration von Herrschaftsrechten in einer Hand und zur Zurückdrängung gemeinschaftlicher Elemente. Nachgeborene oder auch weibliche Dynastiemitglieder waren die „Verlierer“ des dynastischen Selbstbehauptungskampfes. Ihre Bereitschaft zur Unterordnung unter die dynastischen Interessen nahm ab. Austräge und Hauskonferenzen oder gütliche Verhandlungen konnten vielfach keine tragenden Lösungen erarbeiten. Ihre konsensuale Konfliktlösung beruhte im Wesentlichen auf der gleichberechtigten Stellung aller männlichen Dynastieangehörigen, die mit Einführung der Primogenitur nicht mehr gegeben war.
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Allerdings brach die Dynastie der Ernestiner nicht auseinander. Vielmehr konnte sie sich auch über das Ende des Alten Reiches hinaus behaupten und im 19. Jahrhunderts sogar wieder eine stärkere Rolle spielen. Nicht zuletzt die kaiserliche Gerichtsbarkeit besaß dabei eine wichtige, Herrschaft stabilisierende Funktion. Aber auch das dynastische Selbstverständnis als altfürstliches Haus und Schutzherren des Luthertums sowie die gemeinschaftlichen Institutionen und Streitschlichtungsmöglichkeiten ließen die Kommunikation nie abreißen. Trotz härtester Auseinandersetzungen, die zum Teil auch mit Gewalt ausgetragen wurden, bemühten sich die Ernestiner immer wieder darum, ihre Konflikte mit Hilfe der Hauskonferenzen, gütlicher Unterredungen oder Austräge intern zu klären, was gegen Ende des 18. Jahrhunderts letztlich wieder funktionierte.
JOHANNES MÖTSCH GROßE UND KLEINE DYNASTIEN?
Große und kleine Dynastien? Die Wettiner/Ernestiner und die Grafen von Henneberg-Schleusingen 1. Voraussetzungen Bereits vor dem Erwerb der Landgrafschaft Thüringen waren die Markgrafen von Meißen aus dem Hause Wettin eine „große“ Dynastie. Als Landgrafen von Thüringen und Pfalzgrafen von Sachsen (seit 1247), erst recht aber als Kurfürsten und Herzöge von Sachsen (seit 1423) gehörten sie zu den führenden Fürstenfamilien im Reich. Daran haben auch die Leipziger Teilung von 1485 und der Verlust der Kurwürde für die Ernestiner nichts geändert. Die Grafen von Henneberg,1 deren Stammburg unmittelbar an der Grenze zwischen den heutigen Freistaaten Thüringen und Bayern (Unterfranken) liegt, haben dagegen zwischen ihrer ersten urkundlichen Erwähnung 1096 und ihrem Erlöschen 1583 einen in vielem entgegengesetzten Weg zurückgelegt. Im 12. und 13. Jahrhundert gehörten sie ohne Zweifel zu den angesehensten Grafenfamilien im Reich. Dies zeigen auch die von ihnen eingegangenen ehelichen Verbindungen: Pfalzgraf Konrad, Halbbruder des Kaisers Friedrich I. (Barbarossa) war mit Irmingard von Henneberg verheiratet.2 Die Ehefrau von 1
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Zur Genealogie des Grafenhauses und zur Geschichte des Territoriums: Heinrich WAGNER, Genealogie der Grafen von Henneberg, Remagen-Oberwinter 2016; Johann Adolph SCHULTES, Diplomatische Geschichte des Gräflichen Hauses Henneberg, 2 Bde. Leipzig 1788/Hildburghausen 1791 (ND Neustadt an der Aisch 1994) (im Folgenden: Schultes DG); Johann Adolf SCHULTES, Historisch-Statistische Beschreibung der gefürsteten Grafschaft Henneberg, 2 Bde., Hildburghausen 1794 u. 1804 (ND Neustadt an der Aisch 1999); Eilhard ZICKGRAF, Die gefürstete Grafschaft Henneberg-Schleusingen. Geschichte des Territoriums und seiner Organisation, Marburg 1944; Hans PATZE/Walter SCHLESINGER (Hg.), Geschichte Thüringens, 6 Bde. Köln/Graz bzw. Köln/Wien 1967– 1982, darin einschlägig: Hans PATZE, Politische Geschichte im hohen und späten Mittelalter Bd. 2, Teilbd. 1, S. 1–214, hier S. 201–208 sowie Thomas KLEIN, Politik und Verfassung von der Leipziger Teilung bis zur Teilung des ernestinischen Staates (1485–1572), Bd. 3, S. 146–294, hier S. 257–266; Dieter STIEVERMANN, Henneberg im Alten Reich, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 52 (1998), S. 159–174; Günther WÖLFING, Geschichte des Henneberger Landes zwischen Grabfeld, Rennsteig und Rhön, Leipzig/Hildburghausen 2009. A[lois] GERLICH, Konrad, Pfgf. bei Rhein, in: Lexikon des Mittelalters Bd. 5, München und Zürich 1991, Sp. 1346–1347.
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deren Bruder Graf Poppo VI. (gest. 1190) stammte aus dem Herzogshaus Andechs-Meranien.3 Poppo VII. (gest. 1242), ein Sohn aus dieser Ehe, heiratete 1223 in zweiter Ehe Jutta aus dem Haus der Landgrafen von Thüringen, Witwe des Markgrafen Dietrich von Meißen.4 Daraus ging ein Sohn namens Hermann (gest. 1290)5 hervor, mithin ein Halbbruder des Markgrafen Heinrich (des Erlauchten), Landgrafen von Thüringen, der „die ersten Lebensjahre […] zumindest zeitweilig am Hof der Henneberger Grafen“ verbrachte.6 Graf Hermann, „der Heinrich [dem Erlauchten] eng verbunden war“, hat 1247 aus landgräflichem Erbe die Herrschaft Schmalkalden erhalten.7 Als 1248 das Haus der Herzöge von Andechs-Meranien erlosch, trat er in den Dienst des Bischofs von Bamberg, der Anspruch auf heimgefallene Lehen des Herzogshauses erhob. Auf diese Weise konnte Hermann aus dem Andechser Erbe Coburg erwerben und so die „neue Herrschaft Henneberg“ aufbauen,8 die allerdings nach dem Tod seines Sohnes (1291) an die Tochter und deren Nachkommen überging. 1249 gab der Römische König Wilhelm von Holland seine Schwester Margarete dem Grafen Hermann zur Ehefrau. Nach Wilhelms Tod zählte Graf Hermann 1256 zu den Kandidaten für die Nachfolge im Reich – deutliche Belege für das damalige Ansehen des Hauses Henneberg.9 Allerdings war dessen Position bereits Ende des 12. Jahrhunderts durch eine erste Erbteilung geschwächt worden. Von den Söhnen des oben erwähnten Grafen Poppo VI. hatten zwei Söhne das Amt eines Burggrafen von Würzburg 3
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Herzöge und Heilige. Das Geschlecht der Andechs-Meranier im europäischen Hochmittelalter. Katalog zur Landesausstellung im Kloster Andechs, München 1993; Die AndechsMeranier in Franken. Europäisches Fürstentum im Hochmittelalter. Ausstellung in Bamberg 1998, Mainz 1998, dort Stammtafel S. 386. Eine Nichte der Gräfin Sophie von Henneberg war die Herzogin Hedwig von Schlesien, eine Großnichte die Landgräfin Elisabeth von Thüringen, beide später als Heilige verehrt. WAGNER, Genealogie (wie Anm. 1), S. 48. Heinrich WAGNER, Hermann I. Graf von Henneberg, in: Erich SCHNEIDER (Hg.), Fränkische Lebensbilder Bd. 18, Neustadt an der Aisch 2000, S. 1–14. Codex Diplomaticus Saxoniae, 1. Hauptteil, Bd. 4: Die Urkunden der Markgrafen von Meißen und Landgrafen von Thüringen 1235–1247, bearb. v. Tom GRABER und Mathias KÄLBLE, Peine 2014, hier S. XXIII. Matthias WERNER, Neugestaltung in der Mitte des Reiches. Thüringen und Hessen nach dem Ende des ludowingischen Landgrafenhauses 1247 und die Langsdorfer Verträge von 1263, in: Ursula BRAASCH-SCHWERSMANN/Christine REINLE/Ulrich RITZERFELD (Hg.), Neugestaltung in der Mitte des Reiches. 750 Jahre Langsdorfer Verträge 1263/2013, Marburg 2013, S. 5–118, Zitat S. 18. Johannes MÖTSCH, Das Ende der Andechs-Meranier – Streit ums Erbe, in: Die AndechsMeranier in Franken (wie Anm. 3), S. 129–141; Wilhelm FÜSSLEIN, Hermann I., Graf von Henneberg (1224–1290) und der Aufschwung der hennebergischen Politik, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde 19 (1899), S. 56–109, 151– 224, 295–342. WAGNER, Graf Hermann (wie Anm. 5), S. 6 (zu 1249 u. 1256).
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inne; nach dem Tod des jüngeren (1220) kam es zu langjährigen Auseinandersetzungen zwischen dem Bischof von Würzburg und Graf Poppo VII. von Henneberg – mit Verlusten für das Grafenhaus.10 Ein weiterer Sohn des Grafen Poppo VI., Otto, nannte sich nach der Burg Botenlauben bei Bad Kissingen.11 Ihm gelang es als einzigem Adligen aus dem Reich, in den von Familien aus dem französischen Sprachraum dominierten Hochadel des Königreichs Jerusalem einzuheiraten. Otto und seine Ehefrau Beatrix von Courtenay haben 1220 das Erbe im Heiligen Land an den Deutschen Orden und – nach dem Eintritt des Sohnes in den geistlichen Stand – den Besitz in Franken an den Bischof von Würzburg verkauft. Eine weitere Teilung, durch die im Jahr 1274 die Linien Schleusingen (bis 1583), Aschach (später Römhild, bis 1549) und Hartenburg (bis 1379) entstanden,12 schwächte die Position weiter. Graf Berthold VII. aus der Linie Schleusingen13 spielte unter den Königen und Kaisern Heinrich VII. und Ludwig dem Bayern über Jahrzehnte eine bedeutende Rolle auf reichspolitischer Bühne; Heinrich VII. verlieh ihm am 25. Juli 1310 bestimmte fürstliche Vorrechte, die ihn und seine Nachkommen zu Fürstengenossen machten.14 Berthold hat durch den (Rück-)Erwerb der „neuen Herrschaft“ die Position seines Hauses noch einmal verbessern können.15 Allerdings ging dieser Zugewinn nach dem Tod der Witwe seines älteren Sohnes (1353) an die Schwiegersöhne über. Friedrich III., Landgraf von Thüringen und Markgraf von Meißen, verheiratet mit Katharina von Henneberg, erhielt u.a. Coburg, Heldburg und Hildburghausen.16 Der jüngere Sohn des Grafen Berthold, Graf Johann I., und dessen Nachkommen zählten fortan nur noch zu den „Kleinen“. Zudem hatten sie mit den Landgrafen von Thüringen einen neuen Nachbarn und territorialpolitischen Konkurrenten erhalten. Der soziale Abstand zu den Wettinern bzw. zu den Ernestinern, die in der Leipziger Teilung u.a. die an die Grafschaft angrenzenden
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Alfred WENDEHORST, Das Bistum Würzburg Bd. 1, Die Bischofsreihe bis 1254, Berlin 1961, S. 219. Peter WEIDISCH (Hg.), Otto von Botenlauben. Minnesänger – Kreuzfahrer – Klostergründer, Bad Kissingen 1994. Zur Teilung von 1274 vgl. ZICKGRAF (wie Anm. 1), S. 86–91. Wilhelm FÜSSLEIN, Berthold VII. Graf von Henneberg. Um den bisher unveröffentlichten 2. Teil erweiterter Nachdruck der Ausgabe von 1905, Köln/Wien 1983. Karl SCHÖPPACH/Ludwig BECHSTEIN/Georg BRÜCKNER (Hg.), Hennebergisches Urkundenbuch, 7 Bde., Meiningen 1842–1877 (im Folgenden: HUB), hier Bd. 1, S. 48 f., Nr. 84. Wilhelm FÜSSLEIN, Die Erwerbung der Herrschaft Coburg durch das Haus HennebergSchleusingen in den Jahren 1311–1316, in: Schriften des Hennebergischen Geschichtsvereins Schleusingen 15 (1928), S. 51–132. Stefan NÖTH, Das Coburger Land im späten Mittelalter (1248–1485), in: Reinhard BUTZ/Gerd MELVILLE (Hg.), Coburg 1353. Stadt und Land Coburg im Spätmittelalter, Coburg 2003, S. 161–178; vgl. auch ZICKGRAF (wie Anm. 1), S. 95–98.
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Gebiete (die fränkischen Ortlande um Coburg und den Anteil an Salzungen) erhalten hatten, wuchs in der Folgezeit immer weiter. Nach dem Verlust der „Neuen Herrschaft“ (1353) bestand das Territorium der Grafen von Henneberg-Schleusingen aus folgenden Ämtern (die sich allerdings erst in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts entwickelten): Ilmenau (1343 käuflich erworben, immer wieder verpfändet)17 und Schleusingen beiderseits des Thüringer Waldes, Kaltennordheim in der Rhön (längere Zeit verpfändet), Maßfeld, Themar (1274–1416 halb, ab 1416 ganz) und Wasungen/Sand an der Werra sowie Mainberg (oberhalb Schweinfurt am Main gelegen). 1360 konnten die Grafen gemeinsam mit den Landgrafen von Hessen die Herrschaft Schmalkalden kaufen und nach 1455 in mehreren Schritten das Amt Fischberg in der Rhön als Pfand an sich bringen. Einige dieser Besitzungen und Rechte trugen die Grafen von Henneberg-Schleusingen vom Reich, den Hochstiften Würzburg und Eichstätt sowie den Abteien Fulda und Hersfeld zu Lehen.18 Die Landgrafen von Thüringen gehörten demnach nicht zu den Lehnsherren dieses Hauses. Die Grafen waren – wie alle Territorialherren im Reich – stets bemüht, die sich bietenden Chancen zur Mehrung ihrer Besitzungen und Rechte zu nutzen. Ihre politischen und finanziellen Möglichkeiten waren dabei allerdings begrenzt; die benötigten Gelder konnten gelegentlich nur durch Verpfändungen aufgebracht werden. Die Wettiner, die in einem viel größeren Raum agierten und deren Interessenschwerpunkte nur selten im Thüringer Wald lagen, haben mehrfach die sich für sie daraus ergebenden Chancen ergriffen. Im Dezember 1365 wurde die Elgersburg (bei Ilmenau) an die Landgrafen verpfändet;19 im November 1367 verkauften die unmündigen Grafen Heinrich X. und Berthold XII. mit Zustimmung ihres Vormundes Schloss und Stadt Schleusingen auf Wiederkauf, frühestens im Mai 1368, an die Brüder Friedrich, Balthasar und Wilhelm, Landgrafen von Thüringen.20 Die Residenz dürfte nur kurz in Händen der 17 18 19
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Ilmenau war ursprünglich Lehen der Landgrafen. Landgraf Friedrich hat im Oktober 1343 zugunsten seines Schwiegervaters Graf Heinrich auf seine Rechte verzichtet. Druck: Schultes DG 2, UB, S. 126, Nr. 102; HUB, Bd. 5, S. 97, Nr. 174. SCHULTES, Hist.-Stat. Beschreibung (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 59–61. Druck: HUB, Bd. 3, S. 55, Nr. 80, Urkunde erwähnt bei Schultes DG 2, S. 153. Vergleiche mit den Ernestinern, die die hennebergischen Lösungsrechte an Elgersburg dokumentieren, datieren aus den Jahren 1516 (Thüringisches Staatsarchiv Meiningen [im Folgenden: ThStAM], Hennebergica aus Gotha, Urk. Nr. 1072, Druck: Schultes DG 2, UB, S. 483– 485, Nr. 293) und 1540 (ebd., Urk. Nr. 1076, Druck: ebd., S. 351–355, Nr. 244); zu Irrungen wegen der Pfandschaft vgl. ThStAM Gemeinschaftliches Hennebergisches Archiv (künftig: GHA) Sektion I, Nr. 2965 (1533, 1540) u. 3047 (1561–1565). Eckhart LEISERING (Bearb.), Regesten der Urkunden des Hauptstaatsarchivs Dresden 1366–1380, Halle 2012, S. 74 f., Reg. Nr. 69. Druck der Gegenurkunde: Schultes DG 2, UB, S. 158 f., Nr. 179, HUB, Bd. 3, S. 64 f., Nr. 97.
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Landgrafen geblieben sein, auch wenn Nachrichten zum Rückkauf fehlen.21 1406 gehörte sie zum Wittum der Gräfin Mechtild, Witwe des Grafen Heinrich X.22 Die Elgersburg dagegen kam 1437 durch Kauf an die Herren von Witzleben – also nicht mehr an die Grafen von Henneberg zurück.23 Von Bedeutung für die Entwicklung der Beziehungen zu den Wettinern/Ernestinern ist schließlich auch die familiäre Situation des Grafenhauses,24 weil letztlich dessen innere Streitigkeiten den Wettinern ein Eingreifen ermöglichten. Auf den oben erwähnten Grafen Heinrich X. folgte 1405 sein Sohn Wilhelm I./II., der 1426 auf dem Weg ins Heilige Land in Zypern starb. Er hinterließ die Söhne Wilhelm II./III. und Heinrich XI.; Letzterer verzichtete 1436 auf die Herrschaft und erwarb Kanonikate an mehreren Domstiften. Nachdem sein Bruder 1444 einem Jagdunfall erlegen war, erhob er allerdings Ansprüche auf einen Anteil am Erbe; darauf wird zurückzukommen sein. Wilhelms Söhne Wilhelm III./IV., Johann III. und Berthold XV. waren beim Tod des Vaters noch unmündig. Auch in dieser Generation traten die jüngeren Söhne in den geistlichen Stand: Johann (gest. 1513) erwarb zunächst Kanonikate an mehreren Domstiften; 1467 wurde er Stiftshauptmann und 1472 Abt zu Fulda. Berthold starb 1495 als Domherr zu Bamberg. Beide standen zu ihrem regierenden Bruder in einem guten Verhältnis. Nach dessen Tod 1480 gehörten sie zu den wichtigsten Beratern der aus dem Haus Braunschweig stammenden Witwe Margarete. Von deren vier Söhnen erreichte nur Wilhelm VI./IV. (geb. 1478, gest. 1559) ein höheres Alter. Mit dessen aus der Ehe mit Anastasia von Brandenburg stammenden Söhnen ist das Haus Henneberg erloschen. 21
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Im November 1372 bestätigte Kaiser Karl IV. den Landgrafen u.a. den Pfandbesitz von Schleusingen und Elgersburg, vgl. LEISERING, Regesten S. 190 f., Reg. Nr. 287; im Februar 1373 wurde Schleusingen innerhalb der landgräflichen Familie verkauft, ebd., S. 196, Reg. Nr. 293 – Kurfürst Johann verzichtete erst im Juni 1540 formell auf die Pfandschaftsrechte: Druck: Schultes DG 2, UB, S. 355 f., Nr. 245; Eckhart LEISERING, Die Wettiner und ihre Herrschaftsgebiete 1349–1382. Landesherrschaft zwischen Vormundschaft, gemeinsamer Herrschaft und Teilung, Halle 2006 erwähnt die Urkunden von 1367, 1372 und 1373 (S. 215 Anm. 894–896) und eine Übertragung durch die Markgrafen an Ortloff von Maßbach 1374 (S. 216 Anm. 897). Da Schleusingen (anders als Elgersburg) im Urbar von 1378 (Hans BESCHORNER, Registrum dominorum marchionum Missnensium Bd. 1, Leipzig/Berlin 1933) nicht aufgeführt ist, vermutet Leisering S. 216 eine vorherige Auslösung. Druck: HUB Bd. 4, S. 103–105 Nr. 152. – Schultes DG 2, S. 153 stellt ausdrücklich fest, dass „die Grafen von Henneberg selbige [Schleusingen] im Besitz behalten“. Im Juli 1413 empfing Graf Wilhelm die Erbhuldigung von Schloss und Stadt Schleusingen: ThStAM, GHA, Urkunden-Nachträge Nr. 275. Zustimmung der Herzöge Friedrich und Wilhelm zum Verkauf durch ihren Vetter Landgraf Friedrich vom 12. April 1437: ThStAM, Hennebergica aus Gotha Urk. 948. Vgl. dazu WAGNER, Genealogie (wie Anm. 1). Von dort wurde auch die Zählung der Personen übernommen. Allerdings bezeichnete sich Graf Wilhelm (gest. 1559) selbst als „der Vierte“. Daher werden bei den Trägern dieses Namens zwei Zählungen angegeben.
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Dieser kurzen Zusammenstellung ist bereits zu entnehmen, dass stets nur ein Sohn in der Herrschaft folgte. Diese Konsequenz hat man wohl aus den Teilungen früherer Zeit und den daraus erwachsenen Gebietsverlusten gezogen. Weil aber in Zeiten hoher Kindersterblichkeit ein mögliches Aussterben des Hauses nur durch eine größere Kinderzahl zu verhindern war, ergab sich in fast jeder Generation das Problem, die nicht zur Regierung gelangenden Söhne angemessen zu versorgen.25 Dies erfolgte in der Regel durch den Eintritt in den geistlichen Stand und den Erwerb von Kanonikaten an Domstiften, die ihrerseits die Möglichkeit zum Aufstieg zur geistlichen Fürstenwürde (als Abt oder Bischof) eröffneten. Ein solches Amt war für die Familie in jeder Hinsicht förderlich. Persönliche Interessen und Neigungen der Betroffenen spielten beim Eintritt in den geistlichen Stand keine Rolle. Als Graf Heinrich XI. (geb. 1422), der im Januar 1436 und erneut im Februar 1444 nach dem Tod des Bruders auf die Herrschaft verzichtet hatte,26 dennoch Ansprüche auf einen Anteil am Erbe erhob, kam es zu Auseinandersetzungen. Der Bischof von Würzburg, die Grafen Georg zu Henneberg (aus der Linie Römhild), Wilhelm zu Castell und Georg zu Wertheim, Konrad Herr von Weinsberg sowie etliche besonders angesehene Männer aus dem Niederadel fällten im September 1444 einen ersten Schiedsspruch.27 Diese Zusammensetzung des Schlichtergremiums entsprach den hergebrachten Gewohnheiten. Neu war, dass Katharina, aus dem Hause der Herren von Hanau stammende Witwe des Grafen Wilhelm, sich zuvor hilfesuchend an die Herzöge Friedrich und Wilhelm von Sachsen gewandt hatte. Die forderten im Mai 1444 einige besonders angesehene hennebergische Lehnsleute aus den Familien von Bibra und von der Tann auf, die von den Schlichtern angesetzten Tage zu besuchen und so zu einer gütlichen Regelung beizutragen.28 So demonstrierten die beiden Wettiner, dass dieser Konflikt auch ihre Interessen betraf und eine Beilegung ihrer Mitwirkung bedurfte. Im Juli 1445 verzichtete Graf Heinrich gemäß einem von den Herzögen Friedrich und Wilhelm zu Sachsen, dem Markgrafen Albrecht zu Brandenburg und dem Landgrafen Ludwig zu Hessen gefällten Schiedsspruch erneut auf die Herrschaft.29 Er erhielt dafür Stadt und Amt Kal25
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Karl-Heinz SPIESS, Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters, Stuttgart 1993, 22015, hier S. 199–397 (Erbrecht und Versorgung der Kinder), besonders S. 290–326 (Die Versorgung der männlichen Nachkommen), bzw. S. 425–453 (Generatives Verhalten). Druck: Schultes DG 2, UB, S. 225 f., Nr. 178; HUB, Bd. 7, S. 43 f., Nr. 53 (1436 Jan. 9/10), S. 123, Nr. 169 u. S. 124, Nr. 179 (beide 1444 Febr. 14). Zum Konflikt auch SPIESS, Familie (wie Anm. 25), S. 283–286. Druck: Schultes DG 2, UB, S. 239–253, Nr. 191; HUB, Bd. 7, S. 134–144, Nr. 181 (mit Aussagen des Grafen Heinrich zu den Hintergründen seines Verzichts von 1436). Druck: Schultes DG 2, UB, S. 235 f., Nr. 189; HUB, Bd. 7, S. 128–129, Nr. 174. Druck: Schultes DG 2, UB, S. 263 f., Nr. 198; HUB, Bd. 7, S. 178 f., Nr. 220.
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tennordheim sowie eine Jahresrente.30 Auf dieser Grundlage traf Graf Georg zu Henneberg im Januar 1450 weitere Regelungen, die den Erbstreit definitiv beendeten.31 Von nun an verdichten sich die Zeugnisse auch für persönliche Beziehungen zwischen Angehörigen des Grafenhauses und den Wettinern/Ernestinern. Das ist wohl nur teilweise durch die Quellenlage (Zunahme der Schriftlichkeit) begründet. Diese Belege sind mehreren Bereichen zuzuordnen, die daher im Folgenden getrennt behandelt werden sollen. Streitigkeiten um Rechte und Besitzungen, wie sie zwischen benachbarten Territorien unvermeidlich waren, bleiben dabei außer Betracht.
2. Persönliche Beziehungen32 Fürsten, Grafen und Herren waren mobil – nicht nur innerhalb des eigenen Territoriums. Besucht wurden auch der Hof des Königs, Reichstage und sonstige Versammlungen der Standesgenossen sowie Familienfeste. Man kannte einander persönlich und hielt die Verbindungen aufrecht.33 Grund für diese persönlichen Beziehungen wurde vielfach schon in der Jugend gelegt: Söhne aus adligen Häusern, auch junge Fürsten, Grafen und Herren,34 wurden traditionell zur Ausbildung an befreundete Höfe geschickt. Der Status dieser Höfe begründete sich auch darauf, dass dort Söhne besonders angesehener Häuser erzogen wurden.35 Aus Sicht der Wettiner (wie auch der Grafen von Henneberg) war es selbstverständlich, dass niederadlige Lehnsleute die Söhne an ihren Hof schickten, wo sie ihre künftigen Landes- und Lehnsherren kennenlernen und mit ihren Standesgenossen erste Netzwerke bilden konnten. Die Herzöge von Sachsen dürften Gleiches auch von ihren gräflichen Vasallen erwartet haben.
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Druck: HUB, Bd. 7, S. 175–178, Nr. 219. Druck: Schultes DG 2, UB, S. 270–274, Nr. 203; HUB, Bd. 7, S. 242–244, Nr. 294. Geboten werden hier nur Beispiele; Vollständigkeit wird nicht angestrebt. Cordula NOLTE, Familie, Hof und Herrschaft. Das verwandtschaftliche Beziehungs- und Kommunikationsnetz der Reichsfürsten am Beispiel der Markgrafen von BrandenburgAnsbach (1440–1530), Ostfildern 2005. Einschlägig auch für das Haus Henneberg, da die Grafen Hermann VIII. (Linie Römhild) und Wilhelm IV./VI. mit Töchtern des Markgrafen Albrecht (Achilles) von Brandenburg verheiratet waren. Heinz KRIEG, Lebenswelten der Grafen und Herren, in: Werner PARAVICINI (Hg.), Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Grafen und Herren, Teilbd. 1, Ostfildern 2012, S. 23–34. In vielen Punkten gelten diese Feststellungen auch für das zu den Fürstengenossen zählende Haus Henneberg-Schleusingen. Werner PARAVICINI/Jörg WETTLAUFER (Hg.), Erziehung und Bildung bei Hofe, Stuttgart 2002; Benjamin MÜSEGADES, Fürstliche Erziehung und Ausbildung im spätmittelalterlichen Reich, Ostfildern 2014.
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Als Fürstengenossen, die von den Herzögen von Sachsen, Landgrafen in Thüringen, keine Lehen trugen, gehörten die Grafen von Henneberg-Schleusingen nicht in diese Kategorie. Ihnen standen für die Ausbildung der Söhne auch andere Möglichkeiten offen. Die Standesgenossen, insbesondere die in Franken, werden mit Interesse beobachtet haben, wohin die jungen Grafen geschickt wurden. Im Januar 1446 bemühte sich die verwitwete Gräfin Katharina von Henneberg darum, ihren Sohn Wilhelm IV./II. (geb. 1434, gest. 1480) zur Erziehung am Hof des Herzogs Wilhelm (also in Weimar) unterzubringen.36 Der Herzog hatte, wie erwähnt, kurz zuvor im oben beschriebenen Konflikt die Gräfin unterstützt. Die war bei den Verhandlungen im Jahr 1444 unter anderem von Dr. Gregor Heimburg beraten worden,37 der auch in der Folgezeit Gutachten für das Haus Henneberg anfertigte.38 Im März 1455 ersuchte Herzog Wilhelm von Sachsen den Grafen Wilhelm, künftig auf die Mitarbeit des bei ihm in Ungnade gefallenen Heimburg zu verzichten.39 Dass Graf Wilhelm den Wettinern, die er also von Kind an kannte, zeitlebens verbunden blieb, geht u.a. aus folgenden Sachverhalten hervor: Im Februar 1463 traf er mit Herzog Wilhelm eine Abrede für den Fall von Konflikten des Herzogs mit den Bischöfen von Bamberg und Würzburg.40 Der Herzog hat den Grafen mehrfach an seinen Hof eingeladen oder um seine Begleitung gebeten.41
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MÜSEGADES, Erziehung (wie Anm. 35), S. 75, Anm. 458 nach ThStAM, GHA I Nr. 4304; Cyriacus SPANGENBERG, Hennebergische Chronica, Straßburg 1599/ND Meiningen 1755 (im Folgenden: Spangenberg 1599/1755), berichtet, Wilhelm sei am Hof des Kurfürsten Friedrich von Sachsen erzogen worden (S. 229/423). Herzog Wilhelm bekundete im Mai 1454 auch die adlige Abstammung des Grafen Johann von Henneberg (Bruder Wilhelms) gegenüber dem Domkapitel zu Köln: ThStAM, GHA Urkunden-Nachträge Nr. 759. Schultes DG 2, UB, S. 239–253, Nr. 191, Erwähnung von Heimburg S. 241 oben. Zu diesem bedeutenden Juristen vgl. Alfred WENDEHORST, Gregor Heimburg, in Lexikon des Mittelalters Bd. 4, München/Zürich 1989, Sp. 1682–1683. Johannes MÖTSCH, „Item Doctor Henning hat seinen Rathslag noch nit geferttiget …“ Auswärtige Juristen als Gutachter für die Grafen von Henneberg-Schleusingen, in: Zeitschrift für Thüringische Geschichte 64 (2010), S. 53–100, hier S. 73 (Gutachten Heimburgs um 1450 und 1452). ThStAM, GHA I Nr. 2747, Bl. 1. Heimburg hatte zeitweise in Diensten des Herzogs gestanden: WENDEHORST, Heimburg (wie Anm. 37), Sp. 1682. ThStAM, GHA Urk. Nr. 1333. Einige Beispiele für solche Einladungen: im August 1446 nach Coburg (ThStAM, GHA I Nr. 2739, Bl. 2), im Januar 1448 zur Fastnacht nach Saalfeld (GHA I Nr. 2740, Bl. 1), 1463 nach Sonneberg (GHA I Nr. 2760). Im Sept./Okt. 1465 lud der Herzog den Grafen zu Turnieren in Mansfeld und Weimar ein (GHA I Nr. 2762, Bl. 3–5), im Nov. 1466 bat er um Begleitung zu einem Besuch bei Markgraf Albrecht von Brandenburg in Hof (GHA I Nr. 2767, Bl. 16). Der Graf lud den Herzog seinerseits 1473 zu einem Schützenfest in Schmalkalden ein: GHA I Nr. 2796.
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Kurfürst Ernst und Herzog Albrecht haben diese Tradition fortgesetzt.42 Im Oktober 1469 lud der Graf den Herzog zu seiner Hochzeit ein; dazu wurden dem Grafen Pferde und Trompeter ausgeliehen.43 Im April 1471 schlug er Kurfürst Ernst und Herzog Albrecht vor, gemeinsam zum Reichstag nach Regensburg zu ziehen.44 Im Mai 1471 forderte Herzog Albrecht den Grafen aus Prag auf, unverzüglich mit 200 oder 300 Pferden Ende des Monats nach Chemnitz zu kommen.45 1474 war der Graf Mitglied einer Gesandtschaft nach Breslau.46 1476 begleitete er Herzog Albrecht auf dessen Fahrt ins Heilige Land – obwohl Kurfürst Ernst am 30. März den Grafen aufgefordert hatte, seinen Bruder von der Wallfahrt abzubringen, da er von einem geplanten Anschlag auf diesen erfahren hatte.47 Stationen: Aufbruch im März 1476; 21. April Rom, 21. Juni Rhodos, 28. Juli Jerusalem, 2. Aug. Bethlehem, 11. Aug. Rückfahrt, 17. Aug. Zypern, 16. Sept. Korfu, 5. Okt. Venedig.48 Wenige Jahre später zog er mit dem
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Beispiele: Einladung des Kurfürsten und des Herzogs an Graf Wilhelm zur Teilnahme an der Reise nach Österreich, 1465 (ThStAM, GHA I Nr. 2763); die Reise fand wohl nicht statt: im Itinerar bei Brigitte STREICH, Zwischen Reiseherrschaft und Residenzbildung: Der wettinische Hof im späten Mittelalter, Köln/Wien 1989, S. 569 ist sie nicht nachgewiesen. 1470 folgte die Einladung zu einem Turnier in Dresden (GHA I Nr. 2779). Im Herbst 1475 korrespondierten Kurfürst und Herzog mit dem Grafen wegen dessen Begleitung zur Landshuter Hochzeit (GHA I Nr. 2804, Bl. 5); 1478 lud der Kurfürst den Grafen zur Teilnahme an der Heimfahrt seiner Tochter, Königin von Dänemark, nach Rostock ein (GHA I Nr. 2810). ThStAM, GHA I Nr. 2777, Bl. 2–4 (Einladung) u. Nr. 2783. Johannes MÖTSCH (Bearb.), Ernestinisches Gesamtarchiv Registrande E – Reichstage, Weimar 1996, hier S. 5 (zur Akte Reg. E Nr. 17). – Graf Wilhelm bezeugte am 1. August 1471 in Regensburg eine Urkunde des Kaisers für den Erzbischof von Köln: Thomas R. KRAUS (Bearb.), Regesten Kaiser Friedrichs III. (1440–1493). Die Urkunden und Briefe aus den Archiven und Bibliotheken des Regierungsbezirks Köln, Köln/Weimar/Wien 1990, S. 193 f., Nr. 337. ThStAM, Hennebergica aus Gotha Urk. Nr. 1429 (Abschr.). STREICH, Reiseherrschaft (wie Anm. 42), S. 145. Im Okt. 1454 hatte Herzog Wilhelm schon einmal den Grafen um Begleitung nach Breslau gebeten (ThStAM, GHA I Nr. 2746, Bl. 9– 10). ThStAM, Hennebergica aus Gotha Urk. Nr. 1429 (Abschr.). Zur Wallfahrt: Folker REICHERT, Von Dresden nach Jerusalem. Albrecht der Beherzte im Heiligen Land. Itinerar der Reise, in: André THIEME, Herzog Albrecht der Beherzte (1443– 1500). Ein sächsischer Fürst im Reich und in Europa, Köln/Weimar/Wien 2002, S. 53–71 (ohne Erwähnung des Grafen Wilhelm); Wilhelm DERSCH, Pilgerfahrten der Grafen von Henneberg nach dem heiligen Lande, in: Frankenland 4 (1917), S. 251–267, hier S. 257 f.; Korrespondenz mit Herzog Albrecht, Reiserechnung und Briefe des Grafen an seine Ehefrau 1475/76 ThStAM, GHA I Nr. 209; Vgl. auch Spangenberg 1599, S. 443–445/1755, S. 239–240; dessen Quelle: Hans von MERGENTHAL, Gründliche und warhafftige beschreibung Der löblichen und ritterlichen Reise und Meefart in das heilige land nach Hierusalem des […] Herrn Albrechten, Hertzogen zu Sachssen, Leipzig 1586.
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Kurfürsten Ernst nach Rom.49 Auf dem Rückweg ist er am 16. Mai 1480 in Salurn gestorben.50 Die Begleitung auf den Wallfahrten entsprach der persönlichen Frömmigkeit des Grafen Wilhelm, der möglicherweise die damit einhergehenden Kosten gar nicht hätte aufbringen können. Statusmindernd waren die Reisen ins Heilige Land und zum Heiligen Vater sicher nicht. Graf Wilhelm IV./III. hinterließ vier zwischen 1470 und 1480 geborene Söhne, von denen jedoch drei im Kindesalter starben. Den überlebenden Sohn Wilhelm (geboren 1478) entsandte die Mutter zur Erziehung an den Hof des Pfalzgrafen und Kurfürsten Philipp in Heidelberg.51 Die Höfe von Kurfürst Ernst und Herzog Albrecht (dessen Söhne nur wenig älter waren als Graf Wilhelm) hätten näher gelegen, zumal Kurfürst Ernst 1484 die Gräfin im Streit mit Herzog Heinrich dem Jüngeren von Braunschweig unterstützt hatte.52 Offenbar aber wollte man nicht den Eindruck entstehen lassen, die Grafen von Henneberg gehörten zur Klientel der Wettiner: Fürstengenossen standen auch andere Möglichkeiten offen. Am 16. oder 20. Juli 1495 hat Graf Wilhelm in Worms von König Maximilian die Reichslehen empfangen.53 Die Umstände, unter anderem der Empfang von Fahnenlehen und die Begleitung durch 200 Reiter, demonstrierten seinen sozialen Status als Fürstengenosse. Mit dem Empfang der Reichslehen begann die selbständige Regierung des Grafen, der in Worms auch zur Begleitung des
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Spangenberg 1599 S. 241/1755 S. 446 f. – DERSCH, Pilgerfahrten (wie Anm. 48), S. 263. Ernst KOCH, Der Lebensausgang und die Bestattung Graf Wilhelms IV. zu Henneberg, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde 20 (1902) S. 433– 488. MÜSEGADES, Erziehung (wie Anm. 35), S. 75 und Anm. 459 nach ThStAM GHA I Nr. 1361 (Brief der Gräfin an ihren in Heidelberg weilenden Sohn vom 1. Juli 1488). 1493 verwandten sich Pfalzgraf Philipp und der Erzieher (pedagogus) des Grafen bei dessen Mutter für einen Augustinermönch aus dem Kloster Schmalkalden, der aus Rom nach Heidelberg zurückgekehrt war (GHA I Nr. 2545, Bl. 1 u. 2). – Ebenfalls 1493 bat Pfalzgraf Philipp die Gräfin um Zustimmung dazu, dass Graf Wilhelm seinen (ältesten, 1478 geborenen) Sohn Ludwig nach Bayern begleitete: GHA I Nr. 2546. Zur Vermittlung des Pfalzgrafen bei der Eheschließung der Margarete von Henneberg vgl. Anm. 64. ThStAM, GHA Urk. Nr. 1619. Es ging um Rückzahlung eines Kredits, den der Vater der Gräfin, Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel (gest. 1473), seinem Vetter Otto, Vater Herzog Heinrich des Jüngeren aus der Linie Lüneburg, gewährt hatte. Heinz ANGERMEIER (Bearb.), Reichstag von Worms 1495, 3 Bde., Göttingen 1981, Berichte, S. 1368–1378, Nr. 1744, hier S. 1377 (zu Juli 20) bzw. S. 1689–1706, Nr. 1855, hier S. 702 (zu Juli 16); Eckart HENNING, Die gefürstete Grafschaft Henneberg-Schleusingen im Zeitalter der Reformation, Köln/Wien 1981, S. 56–60; STIEVERMANN, Henneberg (wie Anm. 1), S. 167. – Eine Lehnsurkunde ist offenbar nicht ausgestellt worden (sie datiert erst aus dem Jahr 1500).
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Kurfürsten Friedrich und des Herzogs Albrecht von Sachsen gehörte und bei deren Belehnung das Banner der Landgrafschaft Thüringen trug.54 Auch in seiner Regierungszeit wurde die Tradition der guten Beziehungen zu den Ernestinern fortgesetzt. Der Graf erhielt regelmäßig Einladungen an deren Hof.55 Herzog Johann gehörte zu den Fürsten, die im Juli 1500 seine Ehe mit Anastasia von Brandenburg beredeten.56 Während des Landshuter Erbfolgekrieges (1504) sicherten Kurfürst Friedrich und Herzog Johann den Gräfinnen Anastasia und Margarete (Ehefrau und Mutter Wilhelms) ihren Schutz zu.57 Im Oktober 1515 bzw. im Oktober 1518 beurkundete Herzog Johann mit anderen Hochadligen die adligen Ahnen von Wilhelms Sohn Johann gegenüber den Domkapiteln zu Straßburg und Köln.58 Wilhelms für die Nachfolge in der Herrschaft vorgesehener Sohn Wolfgang (geboren 1507) lebte zwischen 1517 und 1521 in Weimar am Hof des Herzogs Johann von Sachsen.59 Graf Wilhelm nahm – wohl auch aus diesem Grund – 1521 in Weimar am Leichenbegängnis der Herzogin Margarete (zweiter Ehefrau Herzog Johanns) teil.60 Dieser hätte den jungen Grafen, wie er dem Vater im Juli 1521 schrieb, gerne länger an seinem Hof gehabt.61 Graf Wolfgang ist im September 1537 im Dienst des Kaisers in Piemont gefallen. Der als „Ersatzregent“ vorgesehene Sohn Georg Ernst (geboren 1511) ist zwischen 1527 und 1529 am Hof des nahe verwandten Herzogs Albrecht von Preußen und 1532 an dem des Landgrafen Philipp von Hessen belegt.62 Seine Leichenpredigt erwähnt auch noch einen Aufenthalt am Hof des Herzogs von Jülich. In dieser Zeit öffnete sich der junge Graf für die Ideen Martin Luthers. In der Eheberedung mit Elisabeth von Braunschweig vom 21. Juni 1543 54 55
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ANGERMEIER, Reichstag (wie Anm. 53), S. 1695–1696 (Kurfürst Friedrich, 14. Juli) u. S. 1697 (Herzog Albrecht, 15. Juli). Einige Beispiele: Einladungen nach Coburg, 1495 (ThLA-StAM, GHA I Nr. 2855), Weimar, 1495 (Nr. 2856), Weimar u. Erfurt (wegen gemeinsamer Wallfahrt), 1496 Juni/Juli (Nr. 2859, Bl. 1–2), Weimar, 1496 Okt. (Nr. 2861), Torgau, Hochzeit Johanns, 1500 (Nr. 2872, 2875); gegenseitige Besuche in Schleusingen und Weimar, 1515 (Nr. 2923, Bl. 7–19). ThStAM, GHA Urk. Nr. 1850. Vermittler waren daneben Landgraf Wilhelm der Mittlere von Hessen und Abt Johann von Fulda (aus dem Haus Henneberg). ThStAM, GHA I Nr. 2893. ThStAM, Urk. Nr. 2111 (1515, Vidimus von 1517) bzw. Urk.-Nachträge Nr. 1814 (1518, Ausf.). MÜSEGADES. Erziehung (wie Anm. 35), S. 75 u. Anm. 458; vgl. ThLA-StAM, GHA I Nr. 2941 (1521); Graf Wolfgang war 1529 erneut in Weimar (GHA I Nr. 2959). ThLA-StAM, Hennebergica aus Magdeburg, Akte Nr. 171 (Rechnung). MÜSEGADES, Erziehung (wie Anm. 35), S. 92 u. Anm. 540; der Brief vom Juli 1521 ThStAM , GHA I Nr. 2941, Bl. 2r. MÜSEGADES, Erziehung (wie Anm. 35), S. 75 u. Anm. 460 (Quelle u. a. ThStAM, GHA I Nr. 2648 u. 2649). Spangenberg 1599, S. 269/1755, S. 501, der aus der Leichenpredigt zitiert.
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verpflichtete er sich daher „zum sacrament der hailigen ehe […] nach ordnung der hailigen christlichen kirchen und keine andere“.63 Ihre Ehepartner und die ihrer für die Nachfolge bestimmten Söhne haben die regierenden Grafen fast immer aus eigener Initiative und nach ihren politischen Interessen ausgewählt. Auf die Rolle Herzog Johanns bei der Eheschließung des Grafen Wilhelm wurde bereits hingewiesen. Bei der Verheiratung von Töchtern hat man häufiger die Vermittlung Dritter akzeptiert.64 Die Feststellung: „Bei der Arrangierung ihrer Ehen besaßen die Fürsten völlige Handlungsfreiheit, während die Grafen und Herren Vermittlungen ihrer fürstlichen Nachbarn akzeptierten“65 gilt demnach für das Haus Henneberg-Schleusingen mit Ausnahmen. Es gehörte zu den Fürstengenossen – nicht zu den Fürsten.
3. Dienste „Ein Amts- oder Dienstverhältnis kam für einen Fürsten in der Regel nur bei dem König infrage“.66 Auch diese Feststellung gilt für die gefürsteten Grafen von Henneberg-Schleusingen nur bedingt. Die sich aus politischen Bündnissen ergebende militärische Hilfe wurde in den Quellen als Dienst bezeichnet. Solche Dienste – nicht nur für die Landgrafen von Thüringen, dann Kurfürsten und Herzöge von Sachsen67 – sind für die Grafen von Henneberg-Schleusingen mehrfach belegt. Einige wenige Beispiele: zwischen Mai 1379 und Dezember 1380 zahlte Graf Heinrich Schadensersatz für verlorene Hengste an etliche Niederadlige, die er im Dienst des Markgrafen von Meißen vor Erfurt geführt hatte.68 Ende 1396 und Anfang 1397 folgten 63 64
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ThStAM, GHA Urk. Nr. 2457. Vgl. SPIESS, Erziehung (wie Anm. 25), S. 83 (Ehe der Margarete von Henneberg mit Bernhard Grafen zu Solms, Vermittlung des Pfalzgrafen und Kurfürsten Philipp, 1492; einschlägig Vidimus ThStAM, GHA Urk. Nr. 1734), S. 107 mit Beleg in Anm. 343 (Ehe der Anna von Henneberg mit Friedrich Herrn von Heideck, 1386: Beteiligung des Kurfürsten und späteren Königs Ruprecht an der Mitgift; die Eheberedung vom Sommer 1385 erwähnt dies noch nicht: HUB, Bd. 5, S. 191, Nr. 329) u. S. 112 (Vermittlung des Bischofs von Würzburg bei der Ehe der Anna von Henneberg mit Konrad Herrn von Weinsberg, 1434: HUB, Bd. 7, S. 19 f., Nr. 26). Im Oktober 1524 vermittelte Herzog Johann eine Ehe zwischen Graf Heinrich von Schwarzburg und Katharina von Henneberg, Tochter des Grafen Wilhelm: ThStAM, GHA Urk. Nr. 2235. In der Linie Henneberg-Römhild gab es 1439 eine Vermittlung durch Kurfürst Friedrich von Sachsen (Anna von Henneberg/Heinrich von Gera): SPIESS, Erziehung (wie Anm. 25), S. 112 u. Anm. 363. Ebd.,, S. XIII. Ebd., S. XVI. So schuldete der Bischof von Würzburg 1435 dem Grafen 144 Gulden für zwei Hengste, die dieser in seinem Dienst verloren hatte: ThStAM, GHA Urkunden-Nachträge Nr. 476. Drucke: HUB, Bd. 3, S. 102 f., Nr. 148–150 (Mai 1379), S. 108, Nr. 166 (September 1380), S. 114, Nr. 176 (Juni 1381) u. S. 117, Nr. 184 u. 185 (Dez. 1380, falsch zu 1381); Urkunden
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gleichartige Zahlungen für Schäden im Dienst der jungen Markgrafen von Meißen und des Grafen Heinrich gegen den Bischof von Würzburg.69 Einen anderen Charakter hatte ohne Zweifel das Dienstverhältnis des bereits erwähnten, vormaligen Domherrn Heinrich – bei dem es sich allerdings nicht um den regierenden Grafen handelte. Ihm verschrieben, nachdem er ihr Rat und Diener auf Lebenszeit geworden war, Herzog Wilhelm von Sachsen und Markgraf Albrecht von Brandenburg im Juni 1448 je 100 Gulden jährlich.70 Auch für regierende Grafen sind Dienstverhältnisse bei den Wettinern belegt. Für Graf Wilhelm IV./III. dürfte eine Rolle gespielt haben, dass er an deren Hof erzogen worden war. Im Mai 1465 verpflichtete er sich gegenüber Herzog Wilhelm, auf Einladung persönlich mit 60 oder 70 Pferden an dessen Hof zu kommen. Darüber hinaus wurden Regelungen für die Beteiligung an Heerfahrten des Herzogs getroffen. Dafür sollten jährlich 350 Gulden gezahlt werden. Der Vertrag galt für drei Jahre; im Mai 1468 wurde er verlängert.71 Wilhelm gehörte daher im Jahr 1469 zu den Personen, die zweimal im Jahr Hofgewänder erhielten.72 1471 mahnte er bei Herzog Wilhelm rückständiges Dienstgeld an.73 Im November 1472 schloss Graf Wilhelm einen ähnlichen Vertrag auf drei Jahre mit Kurfürst Ernst und Herzog Albrecht; er sollte dafür jährlich 500 Gulden erhalten.74 Aus diesem Dienstverhältnis erwuchs für den Grafen auch politische Unterstützung, etwa bei der durch Räte des Kurfürsten und des Herzogs vermittelten Schlichtung der Irrungen mit Landgraf Ludwig von Hessen (Dez. 1469).75 Diese Unterstützung setzte sich auch nach Wilhelms Tod für dessen Witwe und Kinder fort.76 Für seinen Sohn Wilhelm VI./IV. wurden Dienstverträge zur Notwendigkeit. Ursache waren die immer weiter anwachsenden Schulden, die seinen
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jeweils ThStAM, Urk.-Nachträge. Eine Liste des Grafen Heinrich über Pferdeverluste (undatiert, aber wohl dieser Auseinandersetzung zuzuordnen) GHA I Nr. 2734, Bl. 6–9. Druck bzw. Reg. HUB, Bd. 4, S. 66, Nr. 93, S. 68, Nr. 96 u. S. 68 f., Nr. 97 (Urkunden ThStAM, GHA Urk.-Nachträge). Insert in ThStAM, Urkunden-Nachträge Nr. 836 vom 30. Juni 1459. ThStAM, GHA Urkunden-Nachträge Nr. 962 (Konzept mit Jahr 1468 über der durchgestrichenen Jahreszahl 1465). STREICH, Reiseherrschaft (wie Anm. 42), S. 178. ThStAM, GHA I Nr. 2790. ThStAM, Urkunden-Nachträge Nr. 1043 (Abschrift 15. Jahrh.). Im Juni 1478 schloss Graf Wilhelm einen ähnlichen Vertrag mit der Stadt Erfurt (6 Jahre, 500 Gulden jährlich): ThStAM, Urk-Nachträge Nr. 1119 (Konzept). ThStAM, Urkunden-Nachträge Nr. 979 (Abschrift 15. Jahrh.). Vermittlung zwischen der Gräfinwitwe und den Landgrafen zu Hessen: ThStAM, Urk.Nachträge Nr. 1162 (1481 März) u. Nr. 1210 (1483 Juli) sowie im oben erwähnten Streit mit Herzog Heinrich von Braunschweig (Nr. 1233, 1484 Dezember).
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Nachbarn (und territorialpolitischen Konkurrenten) wohl nicht verborgen geblieben sind.
4. Der Weg in die Abhängigkeit Obwohl die Zugehörigkeit der Grafen von Henneberg-Schleusingen zu den Fürstengenossen unbestritten war (und immer wieder demonstriert wurde), geriet das Haus nach und nach in eine zunehmende Abhängigkeit von den Ernestinern, die zunächst finanziell begründet war. Im Frühjahr 1495 hatte der Bischof von Würzburg das seit 1435 an die Grafen verpfändete Meiningen ausgelöst.77 Durch die Pfandsumme wuchs der politische Handlungsspielraum der Grafen; zunächst erfolgte die Rückzahlung von Schulden.78 Graf Wilhelm IV., der seit Mitte 1495 selbständig regierte, war aber schon bald zur Aufnahme neuer Kredite gezwungen.79 Er legte großen Wert auf Standessymbole, die seine Zugehörigkeit zu den Fürstengenossen demonstrierten.80 Diese aber waren kostspielig. Zudem gingen aus seiner Ehe mit Anastasia von Brandenburg, Tochter des Kurfürsten Albrecht Achilles, sieben Söhne hervor, von denen fünf das Erwachsenenalter erreichten. Die Söhne Johann, Christoph und Poppo wurden für den geistlichen Stand bestimmt. Voraussetzung für den Erwerb von Kanonikaten an angesehenen Domstiften (und die daraus erwachsende Möglichkeit zum Erwerb von bischöflichen Würden) waren hohe Investitionen in die Bildung dieser Söhne. Einen großen finanziellen Schaden für das Haus Henneberg brachte das Engagement auf Seiten des Pfalzgrafen und Kurfürsten Philipp im sogenannten Landshuter Erbfolgekrieg.81 Politische Notwendigkeiten bestanden für den Grafen Wilhelm nicht. Die Gründe für seine Beteiligung lagen wohl darin, dass er mehrere Jahre am Hof in Heidelberg gelebt hatte. Da die Auseinandersetzung – 77 78 79 80 81
Urkunden des Bischofs Rudolf von März/April 1495: ThStAM, Urkunden-Nachträge Nr. 1432–1434. Verpfändung vom 18. Jan. 1435, ed. Nr. 469; Druck: HUB, Bd. 7, S. 25–28 Nr. 31. Zusammenstellung der dafür aufgewendeten Mittel ThStAM, GHA I. Nr. 540 (1496– 1498). Akten über die Aufnahme von Krediten 1497–1583 ThStAM, GHA I Nr. 541–1309; Schuldenverzeichnis für die Jahre 1498–1512: GHA I Nr. 546. Johannes MÖTSCH, Die gefürsteten Grafen von Henneberg und ihre fürstlichen Standessymbole, in: Jörg ROGGE/Uwe SCHIRMER, Hochadlige Herrschaft im mitteldeutschen Raum (1200–1600), Stuttgart 2003, S. 227–242. Peter SCHMID, Der Landshuter Erbfolgekrieg, in: Von Kaisers Gnaden. 500 Jahre PfalzNeuburg. Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2005, Augsburg 2005, S. 75–79; Alois SCHMID, Der Landshuter Erbfolgekrieg, in: Die Wittelsbacher am Rhein. Die Kurpfalz und Europa. Begleitband zur 2. Ausstellung der Länder Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen, Regensburg 2013, S. 384–387; zu den Folgen für Graf Wilhelm vgl. HENNING, gefürstete Grafschaft (wie Anm. 53), S. 60.
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auch durch die Parteinahme des Königs Maximilian – für das pfalzgräfliche Haus mit einer Niederlage endete, blieben dessen Verbündete auf ihren Kosten und Schäden sitzen – auch wenn Graf Wilhelm sich um deren Ersatz bemühte.82 Der Graf war daher einige Jahre später zum Abschluss von Dienstverträgen mit Herzog Johann und dem Bischof von Würzburg genötigt. Von Herzog Johann sollte er jährlich 500 Gulden erhalten; dafür sollte er von Haus aus (d. h. aus Schleusingen) mit 40 Pferden gewärtig sein. Mit dem Bischof schloss er im Dezember 1520 einen Vertrag auf 13 Jahre, der ihm ebenfalls jährlich 500 Gulden einbrachte.83 Große finanzielle Verluste für die Grafschaft und das Grafenhaus brachte auch der Bauernkrieg von 1525, der sich zu einem erheblichen Teil in der Region abspielte. Während des Krieges hat der Graf, ursprünglich oberster Hauptmann des Bischofs von Würzburg, Mitte Mai sein Territorium verlassen und sich zu Kurfürst Johann von Sachsen begeben, mit dem er Ende Mai in die Region zurückgekehrt ist.84 Ein weiterer, wesentlicher Faktor für die zunehmende Verschuldung war die aufwendige Hofhaltung des Grafen. Über Jahrzehnte hin wurde immer wieder versucht, die Kosten mittels Hofordnungen zu reduzieren.85 Dem Ziel, die Schulden in den Griff zu bekommen, diente auch die vom Grafen auf den dringenden Rat seines Sohnes Johann, Abts zu Fulda, durchgeführte Einberufung der Landstände. Ende Dezember 1539 tagte erstmals die Hennebergische Landschaft, die die Schulden und deren Abtragung intensiv diskutierte, aber auch politische Forderungen erhob. Nur eine setzte der Graf
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Vgl. KLEIN (wie Anm. 1) S. 505; er spricht von einer „vorläufigen Ächtung“ des Grafen. Einschlägige Akten zu seiner Beteiligung am Landshuter Erbfolgekrieg ThStAM, GHA II Nr. 522, 523, 525, 528 u. 532; ein Verzeichnis der Kosten und Schäden in Nr. 531 Bl. 36– 39. Briefwechsel mit dem Pfalzgrafen Friedrich betr. Schadenersatz Nr. 528 Bl. 65–88. Sachsen: ThStAM, Hennebergica aus Gotha Urk. Nr. 1072, vgl. KLEIN (wie Anm. 1) S. 259; die Urkunde betraf auch die Elgersburg. Würzburg: ThStAM, GHA Urk. Nr. 2172; der Graf war verpflichtet, mit 20 Pferden zum Dienst zu erscheinen. Johannes MÖTSCH, Der Aufstand im südlichen Thüringen, in: Günter VOGLER (Hg.), Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald, Stuttgart 2008, S. 113–133; zu den Folgen auch KLEIN, Politik und Verfassung (wie Anm. 1), S. 261. Eduard AUSFELD, Hof- und Haushaltung der letzten Grafen von Henneberg, Halle/Saale 1901. Quellengrundlage ist die Akte Hennebergica aus Magdeburg Nr. 16 mit Gutachten zu Hofordnungen von 1499, 1505 u. 1530, Hof- und Haushaltsordnungen 1542, 1543 und 1544 sowie Gutachten der Räte zu Hofhaltung, Finanzen und Schulden der Grafschaft, 1547. Im Bestand befinden sich weitere, einschlägige Akten (diese befanden sich bei der Benutzung durch Ausfeld noch in Magdeburg).
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schließlich um: die Vertreibung der Juden (durch Nichtverlängerung der Schutzbriefe).86 Der mit dem Bischof von Würzburg im Februar 1542 vollzogene Tausch des Amtes Mainberg gegen Stadt und Amt Meiningen, der eine Zahlung von 170.000 Gulden für den Mehrwert von Mainberg beinhaltete,87 brachte nur eine vorübergehende Erleichterung. Völlig aussichtslos wurde die Lage, als herrenlose, vormals (im sogenannten „Markgräflerkrieg“ des Markgrafen Albrecht Alkibiades von Brandenburg gegen die Hochstifte Würzburg und Bamberg sowie die Reichsstadt Nürnberg) unter dem Markgrafen dienende Truppen sich in der Grafschaft niederließen, die Umgebung systematisch plünderten und große Schäden anrichteten. Das hatte erhebliche Auswirkungen auf die landesherrlichen Einkünfte.88 Diese Notlage ist den Wettinern nicht unbekannt geblieben. Bereits im Juli 1551 hatte Kurfürst Moritz seinen (vormaligen, nunmehr in hennebergischen Diensten stehenden) Hofrichter Melchior von Osse89 gegenüber den Grafen von Henneberg zu Unterhandlungen über die Erbfolge nach einem Erlöschen des Hauses Henneberg bevollmächtigt. Graf Wilhelm war bereit, gegen Zahlung von 400.000 Gulden eine solche Anwartschaft einzuräumen. Kurfürst Moritz hielt im Dezember 1551 weitere Verhandlungen für erforderlich. Sein Bruder und Nachfolger Kurfürst August hat den Grafen im Februar 1554 mitgeteilt, dass er das Projekt nicht weiterverfolgen wolle.90 Zu einem Vertrag mit den Albertinern ist es daher nicht gekommen. Daraufhin wurden die bereits im Dezember 1551 begonnenen, dann unterbrochenen Verhandlungen mit den Ernestinern wieder aufgenommen und zügig abgeschlossen (Kahlaer Vertrag vom 1. September 1554).91 Demnach sollten die 86 87 88 89
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Johannes MÖTSCH, Landstände in der Grafschaft Henneberg, in: Landstände in Thüringen. Vorparlamentarische Strukturen und politische Kultur im alten Reich, Weimar 2008, S. 225–233, zur Vertreibung der Juden S. 229. Druck: Schultes DG 2, UB, S. 364–376, Nr. 248. Kai LEHMANN, Die Plünderung der gefürsteten Grafschaft Henneberg im Jahr 1554, Hildburghausen 2005. Osse (gest. 1557) war 1547 Hofrichter des Kurfürsten Moritz; 1549–1554 war er Statthalter und Hofrichter der Grafen von Henneberg, danach stand er in Diensten des Kurfürsten August: Oswald Artur HECKER, Schriften Melchiors von Osse, Leipzig/Berlin 1922, zum Dienst bei den Grafen von Henneberg S. 27* bis 52*. Einschlägige Akte: ThStAM, Hennebergica aus Magdeburg, Akte Nr. 49. Osse wurde 1554 vom Grafen entlassen; KLEIN, Politik und Verfassung (wie Anm. 1), S. 263 spricht von seinem „Versagen als Statthalter“. Schultes DG 2, UB, S. 407–409, Nr. 261 (Instruktion des Kurfürsten), S. 410–415, Nr. 263 (Entwurf des Grafen Wilhelm), S. 415–416, Nr. 264 (Antwort des Kurfürsten Moritz) u. S. 423–425, Nr. 267 (Absage des Kurfürsten August). Zugehörige Akte: ThStAM, GHA I Nr. 2997. Akte zu den Verhandlungen ThStAM, GHA I Nr. 2997. Konzept des Vertrages GHA I Nr. 3009. Vertrag GHA Urk. Nr. 2578. Inhaltsangabe bei Schultes DG 2, S. 172–174. Ab-
GROßE UND KLEINE DYNASTIEN?
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Herzöge Schulden des gräflichen Hauses von mehr als 130.000 Gulden übernehmen und 20 Jahre lang verzinsen. Falls die damals kinderlosen Söhne des Grafen ihrerseits männliche Erben erhielten, sollte der von den Ernestinern aufgebrachte Betrag zurückgezahlt werden; dafür wurden genannte Ämter der Grafschaft verpfändet. Aus den übrigen, den sogenannten Schuldenämtern, waren weitere Schulden zu bedienen. Bei einem Erlöschen des Hauses Henneberg sollte die Grafschaft den Ernestinern zufallen. Für die Allodialerben wurde eine Abfindung vorgesehen. Eine (erste) Auflistung der von den Herzögen abgelösten Schuldurkunden datiert vom 29. August 1555.92 Da sowohl Graf Georg Ernst als auch sein Bruder Poppo (gest. März 1574) aus jeweils zwei Ehen keine Kinder hinterließen, ist mit dem Tod des Grafen Georg Ernst am 27. Dezember 1583 das Haus Henneberg erloschen und der vom Vertrag vorgesehene Fall eingetreten. Allerdings hat Kurfürst August, zu diesem Zeitpunkt Vormund der unmündigen Ernestiner, auf eine von diesen später als Betrug aufgefasste Weise sich und seinen Erben fünf Zwölftel der Grafschaft gesichert.93 Den Ernestinern blieben sieben Zwölftel, die bis zum Ende der Monarchie im Besitz verschiedener Linien des Hauses geblieben sind. Die „große“ Dynastie der Wettiner/Ernestiner hat also die zunehmende politische und finanzielle Schwäche des „kleinen“ Hauses Henneberg zum Erwerb von deren Territorien ausgenutzt. Dabei ist ihr ein biologischer Zufall (das Erlöschen des Grafenhauses) zu Hilfe gekommen. Andere Grafen- und Herrenfamilien, die von den gefürsteten Grafen von Henneberg vermutlich ihrerseits als „klein“ betrachtet worden sind und die man im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit zu den Grafen und Herren rechnete (Schwarzburg, Reuß), haben sich dagegen bis in das 20. Jahrhundert halten können. Weil Landesgeschichte vom Vergleich lebt, wären die Umstände, unter denen ihnen das gelang, eine Untersuchung wert.
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sicherung der Rechte des Landgrafen Philipp betr. Herrschaft Schmalkalden GHA Urk.Nachträge Nr. 2197; Druck: Schultes DG 2, UB S. 425–427, Nr. 268 (1554 Nov. 9); vgl. auch ZICKGRAF, gefürstete Grafschaft (wie Anm. 1), S. 121; KLEIN, Politik und Verfassung (wie Anm. 1), S. 265. ThStAM, Urk.-Nachträge Nr. 2203. Demnach waren bis dahin 39.381 Gulden geflossen, weitere, in der Urkunde aufgelistete Schulden wurden von den Herzögen übernommen. Vgl. SCHULTES DG 2, S. 323–338. – ZICKGRAF, gefürstete Grafschaft (wie Anm. 1), S. 127–128. – Wolfgang HUSCHKE, Politische Geschichte von 1572 bis 1775, in: PATZE/ SCHLESINGER (wie Anm. 1), Bd. 5, S. 1–551, hier S. 10–13.
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Zank und Streit seit Anbeginn: Das konfliktreiche Verhältnis zwischen dem ernestinischen Kurfürsten Friedrich III. und dem albertinischen Herzog Georg (1500–1508) Die Leipziger Teilung des Jahres 1485 hinterließ eine Vielzahl ungeklärter verfassungsrechtlicher Probleme, die letztendlich erst durch den Grimmaischen Machtspruch im Mai 1531 gelöst worden sind. Der Weg bis zu diesem wirklich tragfähigen Kompromiss war beschwerlich und nicht frei von Rückschlägen. Ein erster und halbwegs wegweisender Ausgleich war der Oschatzer Schiedsspruch vom 4. Februar 1491. Der überraschende Tod des Kurfürsten Ernst im Jahr 1486 und das sich bald darauf anschließende außenpolitische Engagement des Herzogs Albrecht führten dazu, dass die Aufarbeitung nicht weniger ungelöster Fragen aufgeschoben wurde. Außerdem war es von Anbeginn an nicht dienlich, die anstehenden Probleme den juristisch gebildeten Hofräten beider Linien zu überlassen, da sie unnachgiebig um die Sachen gerungen haben. Beispielsweise lieferten sich die Räte zwischen 1488 und 1491 heftige juristische Scharmützel, die teilweise sogar auf den persönlichen Schriftwechsel der Fürsten durchgeschlagen haben.1 Jedoch betonten Kurfürst Friedrich und sein Bruder, Herzog Johann, man möge die Sache unter den Fürsten selbst klären. In den folgenden persönlichen Schreiben überboten sich sodann beide Linien an Höflichkeit und Entgegenkommen. Und endlich, im Februar 1491, kamen Herzog Georg sowie Friedrich und Johann in Oschatz zu einem Treffen zusammen, um tatsächlich viele strittige Probleme aus dem Weg zu räumen. Der sogenannte Oschatzer Schied schuf vorerst die Grundlage für ein einvernehmliches Verhältnis zwischen den wettinischen Landesfürsten. Ihre persönliche Anwesenheit war der Garant für den Verhandlungserfolg. Freilich muss auch angemerkt werden, dass die Fürsten energisch den Erfolg anstrebten. Das heißt zugleich, dass sie einige schwer lösbare Sachfragen bewusst ausgeklammert haben. Es betraf zu dieser Zeit beispielsweise die in den wettinischen Territorien zirkulierenden landesfremden minderwertigen Münzen. Ferner wurde erst für die nahe Zukunft angestrebt, eine für beide Territorien gültige 1
Jörg ROGGE, Herrschaftsweitergabe, Konfliktregelung und Familienorganisation im fürstlichen Hochadel: Das Beispiel der Wettiner von der Mitte des 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S. 240–247.
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Landesordnung zu erarbeiten. Und schließlich barg auch die Neuregelung mancher Lehnsverhältnisse neuen Konfliktstoff. Allerdings überdeckte das zu dieser Zeit noch gute dynastische Verhältnis all jene ungelösten Fragen. Der Dissens vor dem Oschatzer Kompromiss betraf die ungeklärten Lehnszugehörigkeiten der Adelsfamilien von Heilingen, von Hopfgarten und von Seebach sowie die Lehnszugehörigkeit der Güter und Vorwerke der Stadt Erfurt in ihrem Landgebiet. Ähnlich lagen die Dinge bei jenen Lehen, die der Rat der Stadt Zwickau im Amt Wolkenstein nutzte sowie bei den Einkünften etlicher Dörfer, die auf der Finne lagen und wo sich die Fürsten erst infolge des Oschatzer Schiedsspruchs darauf verständigten, dass sie ins albertinischen Amt Eckartsberga gehören sollten.2 – Letztlich war es im Jahr 1491 der gute Wille der Landesfürsten, die Probleme sachorientiert anzupacken und einer Lösung zuzuführen. Die Tragfähigkeit des Oschatzer Schiedsspruchs ist jedoch auch mit den darauffolgenden außenpolitischen Aktivitäten der Wettiner erklärbar. Friedrich der Weise weilte größtenteils am habsburgischen Königshof und auf den Reichsversammlungen, Herzog Albrecht hingegen führte im Auftrage der Habsburger Krieg in den Niederlanden.3 Das Augenmerk der Fürsten lag vorerst eindeutig auf der Außenpolitik. Ungeachtet dieser politischen Konstellation wiesen die ernestinischen und albertinischen Hofräte vehement daraufhin, dass durch den Schiedsspruch von 1491 nicht alle Probleme geklärt waren. Sprichwörtlich lag der Teufel im Detail. Infolge des überraschenden Ablebens des Herzogs Albrecht im September des Jahres 1500 musste sein ältester Sohn, der 1471 geborene Herzog Georg, die alleinigen Regierungsgeschäfte im albertinischen Herzogtum Sachsen übernehmen. Zwar trug er seit dem Frühjahr 1488 innenpolitische Verantwortung, aber ihm fehlte die persönliche Vertrautheit auf dem Felde der Reichs- und Außenpolitik. Jedoch verfügte Georg über eine ausgezeichnete humanistische Bildung und war willens, sich der vielfältigen Aufgaben zu stellen, die ihm sein
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Ebd., S. 251; Ernst HÄNSCH, Die wettinische Hauptteilung von 1485, und die aus ihr folgenden Streitigkeiten bis 1491, Phil. Diss., Leipzig 1909, S. 120–123. Ingetraud LUDOLPHY, Friedrich der Weise. Kurfürst von Sachsen 1463–1525, Göttingen 1984, S. 140–168; Uwe SCHIRMER, Kurfürst Friedrich der Weise (1486–1525). Sein politisches Handeln zwischen Pragmatismus, Demut und Frömmigkeit, in: „Dieweil die weltliche Gewalt von Gott geordnet ist…“ – Reformation und Politik. Wittenberger Sonntagsvorlesungen 2014, Wittenberg 2014, S. 28–68, hier S. 32–40; Paul BAKS, Albrecht der Beherzte als erblicher Gubernator und Potestat Frieslands – Beweggründe und Verlauf seines friesischen „Abenteuers“, in: André THIEME (Hg.): Herzog Albrecht der Beherzte (1443– 1500). Ein sächsischer Fürst im Reich und in Europa, Köln/Weimar/Wien 2002, S. 103– 141; Peter SCHMID, Kurfürst Friedrich der Weise als Reichspolitiker, in: Heinz ANGERMEIER/Erich MEUTHEN (Hg.), Fortschritte in der Geschichtswissenschaft durch Reichstagsaktenforschung, Göttingen 1988, S. 47–64.
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Vater hinterlassen hatte.4 Bis zum Tod des Herzogs Albrecht scheint das innerwettinische Verhältnis noch gut gewesen zu sein. Der erhaltene Briefwechsel dokumentiert, dass bis dahin auch die persönlichen Schreiben Georgs an Kurfürst Friedrich und Herzog Johann in einem freundlichen und geradezu respektvollen Ton verfasst worden sind. Nach 1500 änderte sich dies in kürzester Zeit, obgleich die formale Korrespondenz, welche die albertinische Kanzlei den Ernestinern zugestellt hat, keine Hinweise auf ein eingetrübtes Familienverhältnis enthalten.5 Es ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung, dass im Jahr 1500 – also fünfzehn Jahre nach der Leipziger Teilung – zwei nachgeborene Fürsten in der politischen Verantwortung beider wettinischer Linien standen. Einerseits der 29-jährige Georg; andererseits der inzwischen 37-jährige Kurfürst Friedrich, der seinem albertinischen Vetter an außenpolitischen Erfahrungen weit überlegen war. Hinsichtlich der innerwettinischen Probleme ist ferner zu berücksichtigen, dass sich die engere dynastische Verbindung der beiden Linien seit Beginn der 1490er Jahre schrittweise gelockert hatte. So hatten sich beispielsweise die Fürsten beider Linien nach 1488 nie zu gemeinsamen Jagden oder Hoffesten zusammengefunden – Ausnahmen blieben einzig die großen wettinischen Hochzeitsfeiern in Leipzig im November 1496 sowie in Torgau im März 1500. Der nicht geringe Altersunterschied zwischen Kurfürst Friedrich und Herzog Georg, ihre unterschiedlichen Lebenserfahrungen sowie letztlich aber auch der Rangunterschied – hier der ältere Kurfürst, dort der jüngere Herzog – behinderten spätestens seit 1500, dass sich die beiden freundschaftlich auf Augenhöhe begegneten. Vielleicht glaubte Herzog Georg, er müsse seine nur leidliche Lebenserfahrung, die fehlende außenpolitische Reputation sowie die rangmäßige Zurücksetzung gegenüber dem Kurfürsten mit einer ostentativ zur Schau gestellten Selbstsicherheit kompensieren, die jedoch vom älteren Friedrich als anmaßende Arroganz wahrgenommen wurde. Letztlich ist dies Spekulation; gesichert scheint indes zu sein, dass sich beide Fürsten zunehmend mit Argwohn begegnet sind. Enge und persönlich-freundschaftliche Beziehungen existierten zwischen dem ernestinischen Kurfürsten Friedrich und dem albertinischen Herzog Georg nicht. Beide wettinische Linien waren durch die kollektive Nutznießung der erzgebirgischen Silberbergwerke und damit auch durch die gemeinsame Münzpolitik
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Enno BÜNZ, Nähe und Distanz. Friedrich der Weise und Herzog Georg von Sachsen (1486–1525), in: Armin KOHNLE/Uwe SCHIRMER (Hg.), Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen. Politik, Kultur und Reformation, Stuttgart 2015, S. 123–141; Christoph VOLKMAR, Reform statt Reformation. Die Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen 1488– 1525, Tübingen 2008, S. 76–102. ROGGE, Herrschaftsweitergabe (wie Anm. 1), S. 265–290.
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sehr eng wirtschafts- und finanzpolitisch verbunden.6 Der vereinte Gebrauch von Bergregal und Münzregal verband sie geradezu schicksalhaft. Bergwerke und Münze waren – bei aller Bedeutung der anderen wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Dinge – tragende und herrschaftsstabilisierende Säulen wettinischer Macht. Auf sie gründete sich der sprichwörtliche Reichtum der wettinischen Kurfürsten und Herzöge. Die Relevanz des Berg- und Münzregals spiegelt sich nicht zuletzt in den Verhandlungen der ernestinischen und albertinischen Landstände wider. Die Stände beider Linien, die obendrein durch Kreditgeschäfte eng an ihre Landesherren angebunden waren, schauten mit Argusaugen auf die im Lande zirkulierenden Münzen sowie auf die landesfürstliche Münzpolitik.7 Und so waren es vor allem Münz- und Bergwerksangelegenheiten, welche die Fürsten und Stände beider Territorien noch zu Lebzeiten des Herzogs Albrecht zu einem ständigen Meinungsaustausch herausforderten. Die Landtagsakten beider wettinischer Linien belegen es nachdrücklich.8 Vor ernsthafte Herausforderungen wurde die gemeinsame wettinische Bergverwaltung seit circa 1491/92 gestellt, als am Schreckenberg im Erzgebirge mächtige Silbergänge entdeckt worden sind. Die Erzadern waren so gewaltig wie weiland 1470 bei Schneeberg, so dass beide Fürstenlinien samt Bergverwaltung in hoher Erwartung auf die Neuanbrüche sahen. Die neu erschlossenen Silbergruben lagen jedoch im albertinischen Herrschaftsgebiet. Bald darauf – vor allem durch Georgs Förderung – entstand dort die Stadt Annaberg. Zwar war bei der Leipziger Teilung festgelegt worden, wie mit Neuanbrüchen – egal wo sie erschlossen wurden – umzugehen sei, indes meinte Herzog Georg – noch zu Lebzeiten seines Vaters! –, dass er bestimmte Vorrechte im Annaberger Revier beanspruchen könne. Sein vermeintlicher Rechtsanspruch gründete sich auf amorphe Formulierungen in den Teilungsurkunden von 1485. Beispielsweise war in ihnen nicht exakt geregelt, wer bei ertragreichen Neuanbrüchen das Recht habe, die vor Ort schürfenden Gewerke (das waren Kapitalgesellschaften) vom Bergzehnten zu befreien. Sehr modern gesprochen ging es um die „Subventionierung von Aktiengesellschaften“, verbunden mit dem Ziel, dass sich das Großkapital noch stärker vor Ort engagiere. Eine solche Politik – also eine durchaus modern anmutende wirtschaftsfördernde Investitionspolitik – verfolgte Herzog Georg. 6
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Karlheinz BLASCHKE, Die wettinischen Länder von der Leipziger Teilung 1485 bis zum Naumburger Vertrag 1554 (Beiheft und Kartenblatt im Maßstab 1: 650.000), in: Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen, Leipzig/Dresden 2010, S. 22; Adolf LAUBE, Studien über den erzgebirgischen Silberbergbau von 1470 bis 1546, Berlin 1974, S. 59–64. Uwe SCHIRMER, Kursächsische Staatsfinanzen (1456–1656). Strukturen – Verfassung – Funktionseliten, Stuttgart 2006, S. 241–248, 323–327. Woldemar GOERLITZ, Staat und Stände unter den Herzögen Albrecht und Georg 1485– 1539, Leipzig 1928; Carl August Hugo BURKHARDT (Hg.), Ernestinische Landtagsakten. Die Landtage von 1487–1532, Jena 1902.
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Da es bei der Befreiung oder Stundung des Bergzehnten um Tausende Gulden ging, meinten die ernestinischen Hofräte sowie jene Räte, die für die ernestinischen Fürsten in der Bergverwaltung Verantwortung trugen, dass eine solche Vergünstigung nur von beiden wettinischen Linien gemeinsam herbeigeführt werden könne.9 Der Streit um die Befreiung des Bergzehnten im Annaberger Revier eröffnete eine neue Runde hinsichtlich der ungelösten verfassungsrechtlichen Probleme, die seit 1485 virulent waren. Allerdings ging es nunmehr nicht nur um symbolische Zuordnungen wie beim Lehnswesen oder um beliebige Peanuts, sondern um handfeste wirtschaftliche Interessen und vor allem um namhafte Geldbeträge. Noch bevor Herzog Albrecht im Meißner Dom beigesetzt war, trafen sich die Räte beider Linien zu einem gemeinsamen Tag in Leipzig zu Beginn des Jahres 1501. Wie bei einer Inventur wurden alle Probleme auf die Tagesordnung gesetzt. Am wichtigsten erschien ihnen jedoch der Annaberger Bergzehnt.10 In der Folgezeit entspann sich ein Streit, der sich nicht nur von Quartal zu Quartal verschärfte, sondern in dem nun auch all jene Punkte wieder mit einbezogen wurden, die als halbwegs gelöst erachtet worden waren. Die schwärende Wunde war abermals aufgebrochen. Es kam hinzu, dass sich die Landesfürsten – so wie dies bereits nach 1488/91 bei Herzog Albrecht und Kurfürst Friedrich der Fall war – wiederum auf das außenpolitische Feld begaben. Friedrich der Weise war in die Diskussionen um die Reichsreformprojekte eingebunden; Herzog Georg weilte auf dem friesischen Kriegsschauplatz.11 Und so schoben die Fürsten die Lösung der innerwettinischen Probleme auf die lange Bank. Mitte September 1502 kamen die Räte beider Linien auf dem Schneeberg wieder zusammen, um eine Lösung der angestauten Probleme herbeizuführen. Die Räte des Herzogs Georg präsentierten einen 22 Punkte umfassenden Beschwerdekatalog, der die Grundlage für weitere Verhandlungen wurde.12 Unter anderem wurden die Erarbeitung und Veröffentlichung einer gemeinsamen wettinischen Landesordnung, das Umlaufverbot fremder minderwertiger Münzen, die Besteuerung fremder Weine, die angebliche Ineffizienz der Bergverwaltung sowie vielfältige Übergriffe und Rechtsverstöße ernestinischer Amtleute moniert bzw. angemahnt. Inzwischen gab es jedoch auch einen neuen Klagepunkt seitens des Herzogs. Er beschwerte sich, dass ihm nach dem Tod seines Vaters auf 9 10 11 12
Hans VIRCK, Die Ernestiner und Herzog Georg von 1500 bis 1508, in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte 30 (1909), S. 1–75, hier S. 4. Thüringische Hauptstaatsarchiv Weimar (im Folgenden: ThHStAW), Ernestinisches Gesamtarchiv (im Folgenden: EGA), Kopialbuch F 42, Bl. 243r–245r, das Treffen fand dienstags nach dem neuen Jahrestag 1501 in Leipzig statt. SCHMID, Kurfürst Friedrich der Weise (wie Anm. 3), S. 57–59; SCHIRMER, Kursächsische Staatsfinanzen (wie Anm. 7), S. 220–222. ThHStAW, EGA, Kopialbuch F 41 (Bd. 1), Bl. 13r–15v; Antwort der kursächsischen Räte: ebd., Bl. 16r–19v.
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dem Schneeberg die Huldigung verwehrt worden sei. Die ernestinischen Räte wiesen darauf hin, dass die Stadt zum Kurfürstentum gehöre und dass folglich Georg keinen Anspruch auf eine Huldigung besaß. Der Herzog bzw. seine Räte beriefen sich indes auf die Tatsache, dass das Schneeberger Revier von beiden Linien gemeinsam genutzt würde.13 In der Retrospektive bleibt festzuhalten, dass natürlich die Bergwerke unter Verwaltung beider Linien standen. Die Stadt Schneeberg mit ihren Bürgern war indes eindeutig ernestinisch, so dass Kurfürst Friedrich und Herzog Johann zu Recht die huldigende Anerkennung durch die Schneeberger Bürger untersagt hatten. Die verwehrte Huldigung sowie die einseitig ausgesprochenen Zehntbefreiungen im Annaberger Revier waren Anlass und Ursache zugleich, dass sich der Konflikt seit 1502 zusehends verschärft hat. Neue Streitpunkte kamen hinzu: die Verletzung des Chemnitzer Bleichmonopols seitens der Ernestiner, Streit um Gerichtsbarkeiten und Steuern sowie endlich der Straßenverlauf durch beide Territorien. Bezüglich des Straßenverlaufs ging es um die Frage, welchen Weg die Fuhrleute einschlagen sollten, die zwischen Leipzig und Breslau unterwegs waren.14 Dieses Problem hatte einen finanziellen Hintergrund, denn die Fuhrleute mussten unterwegs das Geleitsgeld entrichten. Insofern war es nicht unwichtig, ob sie die albertinischen Ämter und Geleitsstellen Oschatz, Meißen und Großenhain ansteuerten oder ob sie den Weg durch das ernestinischen Kurfürstentum via Eilenburg, Torgau und Liebenwerda wählten. Die Regelung, welche Straßen sie befahren sollten, führt bis zum Fürstentreffen von Eger 1459 zurück. Unmittelbar danach, im Jahre 1462, hatte der böhmische König Georg von Podiebrad im Einvernehmen mit den Wettinern den Straßenverlauf in Schlesien und in den Lausitzen geregelt. Demnach sollten alle Fuhrleute, die aus Breslau kamen, die Hohe Landstraße nutzen. Sie führte über Görlitz nach Bautzen und von dort über Großenhain bzw. Dresden weiter nach Meißen, Oschatz, Grimma oder Eilenburg nach Leipzig. In jenen Jahren, vorrangig in den 1460er Jahren, wurde der Straßenzwang über diese Trasse auch durchgesetzt, obgleich die Niedere Straße besser befahrbar und kostengünstiger hinsichtlich der Geleitsgelder war. Beim Regierungsantritt im Jahr 1464 bekräftigen Kurfürst Ernst und Herzog Albrecht nachdrücklich diese Vereinbarung. Nach dem Tod Georgs von Podiebrad im Jahr 1471 sowie dem Erwerb des Fürstentums Sagan und anderer lausitzisch-schlesischer Herrschaften durch die Wettiner in den Jahren von 1472 bis 1477 legten sowohl der böhmische König als auch der Kurfürst von Sachsen kaum noch Wert auf die 1462 bzw. 1464 getroffenen Bestimmungen. Und so bevorzugten die Fuhrleute immer stärker die 13 14
VIRCK, Ernestiner und Herzog Georg (wie Anm. 9), S. 5. Dazu nunmehr grundsätzlich: Manfred STRAUBE, Geleitswesen und Warenverkehr im thüringisch-sächsischen Raum zu Beginn der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2015, S. 63–73 et passim.
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Niedere Landstraße, die durch die Niederlausitz und das nördliche Kurfürstentum führte. Konkret verlief sie von Breslau nach Liegnitz, Sprottau, Sagan, Spremberg, Liebenwerda, Torgau und Leipzig.15 Bereits im Jahr der Leipziger Teilung war allen Beteiligten bewusst, dass sich der Verkehr eindeutig auf die Niedere Straße verlagert hatte. Signifikant schlug sich dies in den sehr hohen Geleitseinnahmen in Torgau nieder, die deutlich höher lagen als beispielsweise in Grimma oder Oschatz. Bei den Teilungsverhandlungen des Jahres 1485 hatten die Hofräte selbstverständlich diesen Umstand berücksichtigt, denn es waren die Einkünfte von allen Ämtern und Geleitsstellen beachtet und einbezogen worden. Damit war im Leipziger Teilungsvertrag der Status quo der späten siebziger und frühen achtziger Jahre anerkannt worden. Es muss jedoch auch angemerkt werden, dass einzelne Amtleute, beispielsweise der Großenhainer Amtmann Georg von Kitzscher, stets auf den alten Straßenverlauf gepocht hatten. Dies ist deshalb zu erwähnen, da die albertinische Seite im Zuge des Streits nach 1500 auf Argumente und Schriftstücke zurückgriff, die aus den Jahren von 1462 bis 1488 stammten. Ferner wurden ortskundige Zeugen befragt.16 Jedenfalls klagten Herzog Georg und seine Räte seit 1501/02 über den ihrer Ansicht nach unberechtigten Straßenverlauf. Sie kramten jahrzehntealte Vereinbarungen hervor, damit der alte Straßenzwang wieder aufgerichtet werde. Bewusst ignorierte Georg die stillschweigende Anerkennung des im Jahre 1485 vorhandenen Rechtszustandes. Nach dem Streit um den Annaberger Bergzehnt und die Schneeberger Huldigung war das der dritte Konfliktherd, der beide Lager nicht zur Ruhe kommen ließ. Warum Herzog Georg diesen Punkt auf die Agenda gesetzt hat, ist schwer zu beurteilen. Jahre später gab er selbst an, dass ihm aufgrund des Niedergangs am Durchgangsverkehr auf der Hohen Landstraße jährlich bis zu 3.000 Gulden verlustig gegangen sind.17 Diese Angabe ist eindeutig zu hoch beziffert. Nicht zu Unrecht wurde von Hans Virck angemerkt, dass der Herzog aufgrund des Krieges in Friesland dringend jedes Pfennigs und Hellers bedurfte. Jedoch sei auch darauf verwiesen, dass die albertinische Finanzverwaltung beinahe mühelos alle erforderlichen Kredite auf den Leipziger Märkten auftrieb, um schließlich die Gelder zur Finanzierung des Krieges nach Friesland zu transferieren. Insofern war der Herzog nicht dringend auf die seiner Meinung nach entgangenen Geleitsgelder angewiesen. Ein Blick auf seine Finanzen genügt, um zu sehen, dass es auf einige hundert oder tausend Gulden nicht unbedingt ankam. In den Jahren, in denen der Streit zwischen Georg und den Ernestinern neu entfacht wurde, sind namhafte Summen nach Friesland geflossen: Im Jahr 1500 15 16 17
VIRCK, Ernestiner und Herzog Georg (wie Anm. 9), S. 6. ThHStAW, EGA, Kopialbuch F 41 (Bd. 1), Bl. 70r–77r; u. a. mit den Zeugenaussagen namentlich genannter Ortskundiger unter Angabe ihres Alters! (ebd., Bl. 72r–77r). VIRCK, Ernestiner und Herzog Georg (wie Anm. 9), S. 9.
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waren es knapp 52.000 fl., 1501 rund 35.500 fl. und im Jahr 1502 nochmals 12.400 fl.18 Und selbst wenn man Georg rückblickend zubilligen möchte, dass er aufgrund des nicht durchgesetzten alten Straßenzwangs jährlich viele hundert, ggf. vielleicht auch ein- bis zweitausend Gulden eingebüßt hat, so steht doch dieser Verlust in keinem Verhältnis zu den friesischen Transaktionen oder in Bezug zu seinen jährlichen Gesamteinnahmen, die zu dieser Zeit bei rund 70.000 fl. gelegen haben.19 Die „Poesie der Zahlen“ mag als Indiz dafür dienen, dass es Herzog Georg weniger um eine sachorientierte Auseinandersetzung ging. Vielmehr scheint er den Streit gesucht zu haben. Über die Ursachen seiner Streitlust kann nur gemutmaßt werden. Vielleicht war es die verweigerte Huldigung auf dem Schneeberg, so dass „verletzte Ehre“ als Motiv angeführt werden könnte. Von Ende Oktober 1502 bis zum Hochsommer 1503 kamen die Räte beider wettinischer Linien zu sechs Unterredungen zusammen, um die angestauten Fragen zu klären. Die Treffen fanden in Weißenfels (Oktober 1502), Naumburg (Mitte November 1502) und Senftenberg (Ende Nov. 1502) sowie dreimal in Wurzen statt (Februar, März, Juni/Juli 1503).20 Alle Zusammenkünfte waren ohne Beteiligung der Fürsten anberaumt und durchgeführt worden. Dafür war die Liste der strittigen Punkte kräftig angewachsen. Bereits im November 1502 umfasste sie 37 Artikel. Auf eine Paraphrase der verhandelten Sachen, in denen reiches landesgeschichtliches Material offenbart wird, muss an dieser Stelle verzichtet werden – Bergwerke und Münze nahmen einen breiten Raum ein; dazu abermals der Straßenverlauf. Als delegierte Räte erscheinen auf ernestinischkursächsischer Seite Hans von Minkwitz, Heinrich Mönch und Günther von Bünau. Herzog Georg hatte seinerseits Heinrich von Schleinitz, Hofmeister Dietrich von Schleinitz, Heinrich von Ende und Hans von Werthern als seine Unterhändler bestimmt.21 Besonders bemerkenswert erscheint, dass sich beide 18 19 20 21
SCHIRMER, Kursächsische Staatsfinanzen (wie Anm. 7), S. 220–224. Ebd., S. 161. ThHStAW, EGA, Kopialbuch F 41 (Bd. 1), Bl. 32r–33v (Weißenfels); ebd., BL. 40r–50r (Naumburg); ebd., Bl. 64r–68r (Senftenberg); ebd., Bl. 88r–108r (Wurzen). Generell zu den Treffen in Wurzen: Vgl. EGA, Reg. A 163. Hans von Minkwitz d. Ä. zu Sonnewalde († 1516) stand erst in albertinischen Diensten. Nach 1500 entfremdete er sich von Herzog Georg. Heinrich Mönch war von 1481 bis 1488 Amtmann zu Jena, von 1488 bis 1505 Hauptmann zu Weida. Günther von Bünau auf Teuchern († 1519/20). Heinrich von Schleinitz war albertinischer Oberhofmarschall († 1518), Dietrich von Schleinitz zu Dahlen war albertinischer Hofmeister († 1511), wahrscheinlich Heinrich von Ende zu Lohma († 1533) sowie Hans von Werthern, Erbherr zu Kölleda, Amtmann zu Weißenfels (1487–1528). Vgl. Uwe SCHIRMER, Untersuchungen zur Herrschaftspraxis der Kurfürsten und Herzöge von Sachsen (1485–1513). Institutionen und Funktionseliten, in: Jörg ROGGE u. a. (Hg.), Hochadlige Herrschaft im mitteldeutschen Raum (1200 bis 1600): Formen – Legitimation – Repräsentation, Stuttgart 2003, S. 305– 378.
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Linien auf Heinrich von Einsiedel als Obmann verständigt hatten. Bekanntlich war er Lehnsmann beider Fürsten. Als im Juni 1503 alle Bemühungen zu scheitern drohten, schlugen die versammelten Räte beider Lager sogar die Einbeziehung der ernestinischen und albertinischen Landstände vor, was indes von den Fürsten strikt abgelehnt wurde. Schlussendlich legten die Unterhändler einen Kompromiss vor, den Kurfürst Friedrich und Herzog Johann sowie Herzog Georg „nur“ billigen mussten. Dazu kam es nicht; er wurde von ihnen abgelehnt. Infolge der gescheiterten Verhandlungen der Jahre 1502/03 vertiefte sich das Misstrauen weiter.22 Aus der Perspektive Herzog Georgs muss natürlich darauf verwiesen werden, dass für ihn die Auseinandersetzungen in Friesland Priorität genossen. Der friesländisch-sächsische Krieg war Mitte der 1490er Jahre aus dem Konflikt erwachsen, den Herzog Albrecht im Auftrag des habsburgischen Königshauses nach 1488 in den Niederlanden entfacht hatte. Da sich weder Kaiser Friedrich III. noch König Maximilian in der Lage sahen, die vereinbarten Sold-, Gehalts- und Aufwandsentschädigungen an Albrecht zu entrichten, hatten sie ihm Friesland als erbliches Territorium überlassen. Dieses Territorium sollte nun dem Bruder des Herzogs Georg, dem Herzog Heinrich (den Frommen), erblich überlassen werden. Das „freie Friesland“, das seit alters ständisch organisiert war, kannte keine Fürstenherrschaft. Insofern war der Konflikt – den die Friesen als Freiheitskampf betrachteten – vorprogrammiert.23 Das friesische Abenteuer der albertinischen Wettiner offenbart zugleich ihr machtpolitisches Denken jenseits der Realpolitik. Jedenfalls war es im Jahr 1500 zu einem friesischen Aufstand gekommen. Der plötzliche Tod Herzog Albrechts hatte die Situation für Georg zusätzlich erschwert. Ferner kam der Streit mit den Ernestinern hinzu, an dessen Eskalation Georg freilich nicht ganz unschuldig war. Mitte März 1504 war Herzog Georg zu einem Zug nach Friesland aufgebrochen.24 Wenige Tage zuvor hatte er durch seinen Kanzler Dr. Nikolaus von Heynitz die Ernestiner gebeten, dass sie während seiner Abwesenheit das Herzogtum Sachsen unter ihren Schutz nähmen. Beinahe beiläufig bat er Kurfürst Friedrich und Herzog Johann, sie mögen ihm eine persönliche Unterredung nach seiner Rückkehr zubilligen. Noch bevor Georg abreiste, überbrachten ihm Heinrich Reuß d. J. (Herr zu Weida), Friedrich von Kitzscher (Propst zu Wittenberg), Dr. Wolfgang Reißenbusch und Heinrich von Bünau zu Meuselwitz 22 23 24
VIRCK, Ernestiner und Herzog Georg (wie Anm. 9), S. 20 f. BAKS, Albrecht der Beherzte (wie Anm. 3), S. 129–141; ROGGE, Herrschaftsweitergabe (wie Anm. 1), S. 260–264; SCHIRMER, Kursächsische Staatsfinanzen (wie Anm. 7), S. 223– 231. Christoph VOLKMAR, Der sächsisch-albertinische Hofrat in den ersten Regierungsjahren Herzog Georgs von Sachsen, in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte 72 (2001), S. 75– 95, hier S. 87.
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Anfang März 1504 die ernestinische Antwort, die unfreundlich ausfiel.25 Hintergrund der weiter eingetrübten Stimmung war inzwischen der „Handelskrieg“, den die Amts- und Geleitsleute beider wettinischer Linien untereinander ausfochten, wobei die Ernestiner die albertinischen Geleitsleute als die Schuldigen ausgemacht hatten. So waren dem Heinrich von Gehofen vom albertinischen Amtmann zu Sangerhausen (Balthasar Wurm) 2.000 Stück Vieh genommen worden, welches Wurm ihm trotz ernestinischer Intervention immer noch nicht wieder vollzählig zurückgegeben hatte. Ferner forderten sie die Freilassung des Albrechts von Draschwitz, den Herzog Georg wegen angeblicher Beleidigung des Obermarschalls Heinrich von Schleinitz und des Hofmeisters Dietrich von Schleinitz hat ins Gefängnis werfen lassen. Verbunden mit diesen Forderungen präsentierte die ernestinische Kanzlei Monita, die durch Herzog Georg unbedingt abzustellen seien. Abermals ging es um Bergwerkssachen und den Straßenverlauf.26 Kurzum: Der Streit schaukelte sich im März 1504 weiter hoch. Sichtbarer Ausdruck der schweren Verstimmung war die Weigerung des Kurfürsten Friedrich, das albertinische Herzogtum Sachsen während der Abwesenheit Georgs zu schützen und zu schirmen. Ein Affront! Georg parierte die Unfreundlichkeit mit einem Schreiben, in dem er seine gute Gesinnung beteuerte und auf eine bald erfolgende Antwort verwies.27 Darauf wartete Kurfürst Friedrich indes vergebens. Das Blatt schien sich im Herbst des Jahres 1504 zu wenden. Am 25. Oktober 1504 wurden Graf Heinrich von Stolberg, Dr. Sigmund Pflug und Hans von Werthern als albertinische Delegierte bei Kurfürst Friedrich und Herzog Johann in Weimar vorstellig und schilderten den Kriegsverlauf in Friesland. In diesem Zusammenhang baten sie um eine Unterstützung durch 400 Knechte oder um eine entsprechende Geldsumme.28 Ein Landsknecht beanspruchte zu jener Zeit in etwa einen Monatssold von vier Gulden. Die albertinische Bitte bewegte sich demnach in einem durchaus realistischen Rahmen. Über dem albertinischen Hilfsgesuch lag freilich der bleierne Schleier ungelöster Probleme und des kleinlichen Streits. Aus diesem Grund sicherten die drei im Namen des Herzogs zu, die bestehenden Misshelligkeiten aus der Welt zu schaffen. Überschattet wurde das Hilfsgesuch jedoch durch einen Vorfall, der abermals das spannungsreiche Verhältnis dokumentiert, das inzwischen selbst unter den Subalternen der Fürsten herrschte. So hatte der bereits erwähnte Balthasar Wurm, der von 1501 bis 1511 Amtmann zu Sangerhausen war, den ernestinischen Vogt von Allstedt erschlagen. Als dies die Ernestiner zur Sprache brachten, wurde ihnen lapidar entgegnet, es sei aus Notwehr geschehen. Letztendlich lehnten die Ernestiner das 25 26 27 28
ThHStAW, EGA, Kopialbuch F 41 (Bd. 1), Bl. 129r–133r. Ebd., Bl. 130r–132r. Ebd., Bl. 133v–139v. VIRCK, Ernestiner und Herzog Georg (wie Anm. 9), S. 25.
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albertinische Bittgesuch mit dem Hinweis ab, dass sie bereits in den 1490er Jahren Herzog Albrecht bei der Erwerbung Frieslands geholfen haben. Hinsichtlich des Streites verwiesen sie auf ihre Forderungen, die sie Herzog Georg im März 1504 vor seiner Abreise zugestellt hatten. Durchaus süffisant merkten sie nun an, dass das vom albertinischen Herzog in Aussicht gestellte umfangreiche Antwortschreiben immer noch nicht eingetroffen sei.29 Parallel zu den ergebnislosen Verhandlungen zwischen den beiden wettinischen Linien bemühten sich aber auch der Erzbischof von Magdeburg und der Landgraf von Hessen um eine Verständigung der zerstrittenen Vettern. Der Magdeburger Erzbischof Ernst war letztlich persönlich involviert, waren doch Kurfürst Friedrich und Herzog Johann seine leiblichen Brüder.30 Der Einsatz des Landgrafen Wilhelm hatte politisch-dynastische Motive. Einerseits suchte er die Unterstützung beider wettinischer Linien bei seinem Konflikt gegen die Kurpfalz, anderseits begann er die Ehe zwischen seiner Tochter Elisabeth (später „von Rochlitz“) und Georgs ältesten Sohn Johann anzubahnen. Als Mittelsmann brachte Wilhelm den in Hessen, Thüringen und Obersachsen anerkannten Ludwig von Boyneburg ins Spiel. Den auswärtigen Fürsten und Boyneburg gelang es tatsächlich, dass sich die Landesfürsten der wettinischen Linien seit der Torgauer Hochzeit vom März 1500 erstmals wieder persönlich begegnet sind.31 Mit großem Gefolge zogen sie Anfang März 1505 in Erfurt ein. Das Erfurter Fürstentreffen vom 3. bis 5. März 1505 verlief unterkühlt und endete ergebnislos. Gegenstand der Verhandlung waren die seit nunmehr fünf Jahren ventilierten Probleme.32 Der Verlauf des faktisch nutzlosen Treffens – es war einzig die Verlobung zwischen dem siebenjährigen Johann und der dreijährigen Elisabeth bekräftigt worden – hatte indes bei Kurfürst Friedrich und Herzog Johann den Eindruck verfestigt, dass eine Lösung der Probleme nicht möglich sein wird. Nicht zuletzt deshalb erwog die ernestinische Seite, ernsthaft darüber nachzudenken, eine Drohkulisse aufzubauen. Zumindest haben dies Dr. Johann von Staupitz und Dr. Johann von Kitzscher im Auftrag der ernestinischen Fürsten in einem Schreiben vom August 1505 an den Magdeburger Erzbischof Ernst angedeutet.33 Nachdem ein abermaliges Treffen der Räte Mitte Oktober 1505 in Altenburg ergebnislos beendet wurde, kam Bewegung in die innerwettinischen Strei29 30 31 32 33
Ebd., S. 26 f. Michael SCHOLZ, Familiäre Bindung und dynastische Konkurrenz. Friedrich der Weise und die Erzbischöfe von Magdeburg, in: KOHNLE, Kurfürst Friedrich der Weise (wie Anm. 4), S. 142–153, hier S. 147 f. ThHStAW, EGA, Kopialbuch F 41 (Bd. 1), Bl. 158r–162v. Zu den Erfurter Verhandlungen vgl. auch: Kopialbuch F 47, Bl. 46r–89v. Ebd., Bl. 165r–184r. Ebd., Bl. 199r–200v.
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tereien. Es waren die widerspenstigen Friesen, angeführt von der mächtigen Stadt Groningen, die Herzog Georg zum Einlenken gegenüber den Ernestinern zwangen. Zwar hatte König Maximilian auf Drängen Georgs die Acht über Groningen verhängt, die Exekution indessen dem Albertiner übertragen. Dafür benötigte der sächsische Herzog nun jeden Pfennig. Und so bat er in einem eigenhändig verfassten Schreiben vom 9. Februar 1506 Kurfürst Friedrich und Herzog Johann eindringlich um ein Darlehn in Höhe von 12.000 fl.34 Verbunden mit der Bitte um den Kredit schlug er ein persönliches Treffen zwischen den Fürsten unter Ausschluss der Räte vor. Herzog Georg signalisierte ein freundschaftliches Entgegenkommen auf breiter Front. Scheinbar misstrauten die ernestinischen Fürsten ihrem Vetter, denn sie baten ihn am 13. Februar 1505 schriftlich von Torgau aus, er möge doch seine Ansicht über die Beilegung des Streits vorher einer Versammlung der Räte beider Linien erläutern oder ihnen, Friedrich und Johann, schriftlich selbst darlegen.35 Faktisch verlangten die Ernestiner eine Absicherung. Läge sie vor, so wären sie gern bereit, ihm zu helfen. Daraufhin entgegnete Georg, dass die Sache dränge und er bat noch eindringlicher um Unterstützung.36 Kurfürst Friedrich und Herzog Johann gaben nach. Es folgte ein persönliches Treffen der drei Fürsten am 9. März 1506 in Eilenburg, an dem keine Räte teilnahmen – wohl aber ein Kanzleischreiber als Protokollant. Das Eilenburger Treffen begann mit einer Erklärung Herzog Georgs, die als Abschrift erhalten ist. Am Inhalt der Kopie sollte nicht gezweifelt werden. Georg gab an, dass er zwar Ursache habe, sich über manche ihm widerfahrene Unbill zu beschweren, so wolle er sie doch von Stunde an vergessen und alle zwischen ihm und seinen Vettern schwebenden Streitigkeiten ihren Entscheidungen anheimstellen. Er sei entschlossen, lieber selbst Schaden zu erleiden, als wider das Wohl von Land und Leuten beider Parteien den eigenen Nutzen zu verfolgen. Er hoffe, sich wegen der hierdurch bewiesenen guten Gesinnung das Wohlgefallen Gottes zu erwerben; hege andererseits aber auch das feste Vertrauen, die Vettern würden gemäß ihrer Tugend und Rechtschaffenheit ihm nichts zumuten, das mit seiner Ehre oder der Gerechtigkeit unvereinbar sei.37 Damit schien das Eis gebrochen. Beide ernestinische Fürsten erwiderten, dass sie ihrerseits ihre gute Gesinnung gern bekunden wollten und sicherten dem albertinischen Herzog die erbetene finanzielle Hilfe in Höhe von 12.000 fl. zu. 34 35 36 37
ThHStAW, EGA, Kopialbuch F 41 (Bd. 1), Bl. 222r–223r. Ebd., Bl. 224r–225v. Ebd., Bl. 225r–226r. Herzog Georgs Erklärung vom 9. März 1506: ThHStAW, EGA, Kopialbuch F 41 (Bd. 1), Bl. 229r–231v; ferner: Kopialbuch F 47, Bl. 131r–133r. Eine Edition der Erklärung wird vom Vf. vorbereitet. Die hochdeutsche Paraphrase folgt weitgehend: VIRCK, Ernestiner und Herzog Georg (wie Anm. 9), S. 39.
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Letztlich borgten sie ihm sogar 20.000 fl., die jedoch bis Martini 1506 zurückgezahlt sein sollten.38 Ferner vereinbarten die drei, alle Amt- und Geleitsleute aufzufordern, „stille zu halten“ und die zwischen beiden Linien schwelenden Konflikte ohne Gewaltanwendung auszutragen. Wahrscheinlich folgte nach dem Eilenburger Treffen noch eine Fürstenzusammenkunft in Schweinitz – vielleicht zur gemeinsamen Jagd. Gesichert ist nur, dass die Fürsten übereinkamen, einen Tag zur Schlichtung anzuberaumen, der im Juni 1506 in Wurzen stattfinden sollte. Es ist nicht unwichtig, darauf zu verweisen, dass Herzog Georgs Truppen in Friesland scheinbar militärischen Erfolg hatten. Jedenfalls gab die Stadt Groningen, die insgeheim als Anführerin des Aufstands galt und die seit dem Frühjahr 1505 eingekesselt war, der Belagerung im April 1506 nach. Inwieweit dies die nun innerwettinischen Verhandlungen und den Sinneswandel des Herzogs Georg beeinflusst hat, muss offen bleiben. Tatsache ist, dass der Herzog 20.000 Gulden von den Ernestinern erhalten hatte und dass in Friesland scheinbar alles nach seinem Willen lief. Und so wurden die in Eilenburg anvisierten Verhandlungen zwischen beiden Linien am 2. Juni 1506 in Wurzen eröffnet. Beide Parteien rückten mit hochrangigen Persönlichkeiten an: Seitens der Ernestiner nahmen der Meißner Bischof Johann von Salhausen (der zu dieser Zeit im Streit mit Georg lag), Graf Balthasar von Schwarzburg, der Propst des Altenburger Georgenstifts Dr. Johann Kitzscher, Heinrich Mönch (Hauptmann zu Weida) und der Amtmann von Plauen Marquardt von Tettau teil. Delegierte des Herzogs Georg waren die bereits mehrfach erwähnten Heinrich von Einsiedel, Dietrich von Schleinitz, Hans von Werthern, der Kanzler Dr. Nikolaus Heynitz sowie Caspar von Schönberg.39 Letzterer galt als Experte für die böhmischwettinischen Beziehungen sowie vor allem für die Bergverwaltung. In Eilenburg war im März 1506 mündlich vereinbart worden, dass die zum Greifen nahe Übereinkunft von Sachverständigen beider Linien schriftlich niedergelegt werden sollte, so dass letztlich der Kompromiss nur noch durch die Fürsten zu ratifizieren sei. Aus diesem Grund erschien es auf den ersten Blick als nicht verwunderlich, dass am 2. Juni 1506 derartig hochrangige Personen in Wurzen einzogen. Doch es kam zu keiner Übereinkunft. Bereits bei der Erarbeitung der Tagesordnung brach Streit aus. Die in Wurzen zwischen dem 2. und 19. Juni 1506 stattgefundenen Verhandlungen endeten – mit Bezug auf die am 9. März 1506 in Eilenburg getroffene Vereinbarung – im Fiasko. Rückblickend ist es schwer – noch dazu ohne Quellenkenntnis der albertinischen Seite –, beurteilen zu wollen, wer die Verantwortung für das Scheitern trug. Tatsache ist, dass die ernestinische 38 39
VIRCK, Ernestiner und Herzog Georg (wie Anm. 9), S. 53. Ebd., S. 41.
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Delegation in Wurzen jene 37 Artikel als Ausgangsbasis der Verhandlung präsentierte, die bereits im November 1502 in Naumburg auf der Tagesordnung gestanden hatten. Außerdem sprach die ernestinische Seite weitere offene Probleme an. In der Retrospektive ist kritisch zu fragen, ob Kurfürst Friedrich und Herzog Johann die „Eilenburger Erklärung“ vom März 1506 und die damalige finanzielle Notlage von Georg ausnutzen wollten, um einen kompletten und allumfassenden Ausgleich herbeizuführen, der allein ihren Interessen entsprach. Hatten die beiden ernestinischen Fürsten die Worte des Herzogs Georg, er wolle die „schwebenden Streitigkeiten ihrer (sc. ernestinischen!) Entscheidung anheimstellen“, als Einladung aufgefasst, den Konflikt vollständig in ihrem Interesse zu beenden? Außerdem hatte Georg in Eilenburg offenbart, dass er „entschlossen (sei), lieber selbst Schaden zu erleiden, als wider das Wohl von Land und Leuten beider Parteien den eigenen Nutzen zu verfolgen“. Aus diesem Grund werden die ernestinischen Fürsten ihre Delegierten beauftragt haben, alle 37 Punkte abermals anzusprechen. Diskussionslos waren die Ernestiner bezüglich der zentralen Streitpunkte (Straßenzwang, Annaberger Bergzehnt, Schneeberger Huldigung) im Recht. Als vierter Konfliktherd war die eigenmächtige Besetzung der Stadt Bischofswerda im Jahre 1504 durch Herzog Georg hinzugekommen. Die Stadt gehörte zum Hochstift Meißen, das laut Leipziger Teilungsvertrag unter der Schutzherrschaft beider wettinischer Linien stand. Insofern pochten die Ernestiner auch hierbei begründet auf geltendes Recht. Doch waren die Forderungen des Kurfürsten Friedrich und des Herzogs Johann hinsichtlich der anderen offenen Streitfragen genauso berechtigt? Wenn in der Korrespondenz der beiden Seiten von den Lehen des Reiches, der böhmischen Krone oder des Bischofs von Bamberg die Rede ist und die Hofräte darüber diskutierten, ob die Inhaber jener Lehen dem Kurfürsten Friedrich oder dem Herzog Georg unterstehen, dann offenbart dies, wie komplex und schwierig die Sachlage war. Weitere ungelöste Fragen betrafen abermals den Erfurter Landbesitz, die Lehnsherrschaft über die Schlösser Hartenstein und Frauenstein, die Lehnszugehörigkeit etlicher nieder- und hochadliger Familien, die angeblich alleinige Anwartschaft des Kurfürsten auf das Burggrafenamt in Halle, die Grafschaft Brehna und die Pfalzgrafschaft Sachsen usw. usf. Die Liste der ungeklärten Fragen ist ellenlang, übertrifft bei weitem den Naumburger Verhandlungskatalog vom November 1502 und füllt große Teile eines Kopialbuchs.40 – Zur Ehrenrettung des Herzogs Georg sei indes betont, dass er seine kurze Erklärung vom 9. März 1506 mit den Worten geschlossen hatte, dass er festes Vertrauen habe, „die Vettern würden gemäß ihrer Tugend und Recht40
ThHStAW, EGA, Kopialbuch F 39 (Teile B et C); ferner: Reg. A 163. – Teilweise Zusammenfassung der Verhandlungen zu Wurzen bei: VIRCK, Ernestiner und Herzog Georg (wie Anm. 9), S. 41–52.
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schaffenheit ihm nichts zumuten, das mit seiner Ehre oder der Gerechtigkeit unvereinbar sei“. Und nun präsentierten die Ernestiner ein Paket an Problemen, das aus albertinischer Sicht größtenteils als geklärt betrachtet wurde. Aus Georgs Sicht und der seiner Räte waren 35 der 37 Streitpunkte einvernehmlich gelöst.41 Hingegen meinten die Ernestiner, dass keine einzige Frage geschlichtet sei. Nach dem Misserfolg vom Juni 1506 herrschte Funkstille. Es ist gut möglich, dass die Diplomatie aufgrund der in Mitteldeutschland grassierenden Pest zur Ruhe kam. Jedenfalls zog sich Kurfürst Friedrich wegen der Seuche nach Coburg zurück.42 Von der Feste Coburg aus richtete er am 15. Oktober 1506 ein Schreiben an Georg, wonach er auch im Namen seines Bruders vorschlug, man möge sich doch verständigen.43 Die ernestinische Initiative kann natürlich als Eingeständnis gewertet werden, dass man in Wurzen selbst den Bogen überspannt hatten. Jedoch erscheint der Brief auch als Indiz, unbedingt den Ausgleich suchen zu wollen. Jedenfalls teilte Friedrich dem Herzog mit, dass er dessen Eilenburger Angebot annähme, um sich zu versöhnen. Ausdrücklich betonte der Kurfürst, allein den Annaberger Bergzehnt und den Straßenzwang schlichten zu wollen. Kurfürst Friedrich schlug vor, faktisch zum alten Rechtszustand zurückzukehren. Die Ernestiner werden hierbei an den Leipziger Teilungsvertrag bzw. an den Oschatzer Schied gedacht haben. Insofern griff Friedrich auf eine ernestinische Altforderung zurück. Er betonte jedoch auch, dass er bereit sei, die endgültige Entscheidung in Form eines Rechtsspruchs einer Kommission zu überlassen, die aus jeweils fünf Sachverständigen beider Linien bestehen sollte. Damit glaubten die Ernestiner, Herzog Georg in Zugzwang gesetzt zu haben. Immerhin waren sie – und dies nicht zu Unrecht – davon überzeugt, dass sie beim Bergbau und Straßenverlauf im Recht waren. Herzog Georg antwortete von Dresden aus mit einem Schreiben vom 23. Oktober 1506.44 In diesem Schreiben führte er nun an, dass er bei der Eilenburger Unterredung im März des Jahres vorrangig an den Straßenverlauf sowie an die Lehn derer von Bünau gedacht habe, nicht jedoch an die Bergwerke im Annaberger Revier. Mit diesem Schreiben war aus ernestinischer Sicht das Tischtuch endgültig zerschnitten. Vor allem Kurfürst Friedrich fühlte sich brüskiert, gedemütigt und hinters Licht geführt. Natürlich kann man ihm und seinem Bruder allzu großes Vertrauen gegenüber Georg sowie eine gewisse Naivität und diplomatische Nachlässigkeit unterstellen. Es könnte auch moniert werden, dass sie vielleicht in Wurzen eine Lösung angestrebt haben, die 41 42 43 44
BURKHARDT, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 8), S. 57, Nr. 93. Thomas LANG, Zwischen Reisen und Residieren, in: KOHNLE/SCHIRMER, Kurfürst Friedrich der Weise (wie Anm. 4), S. 201–229, hier S. 221. ThHStAW, EGA, Reg. A 163, Bl. 152r. Ebd., Bl. 153v.
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tatsächlich demütigend für Georg gewesen wäre. Indessen muss mit Nachdruck betont werden, dass Georgs Schreiben vom 23. Oktober 1506 ein Affront war. Er hat ganz offensichtlich die Tatsachen derartig verdreht, dass man ihm rückblickend nur ein vertrauensbrüchiges, zwiespältiges und hinterhältiges Spiel unterstellen muss. Die Ernestiner baten daraufhin am 16. Nov. 1506 von Coburg aus den albertinischen Herzog, er möge ihnen doch nur kurz mitteilen, ob er ihre Entscheidung bezüglich der Straßen und des Bergbaus annähme oder nicht.45 Georg beharrte auf seinem Entschluss und gab an, dass er diesen nach sorgsamem Studium aller betreffenden Schriftstücke gefällt habe.46 Herzog Georg brach nach dem 3. Dez. 1506 zu einer lange geplanten Reise an den Königshof auf. Abermals bat er seine Vettern, sie mögen doch sein Land unter ihren Schutz stellen. Zugleich trug er an sie abermals die Bitte nach einem persönlichen Treffen an. Hintergrund des freundschaftlichen Tones waren die ernestinischen Forderungen, Georg möge doch recht schnell die 20.000 Gulden begleichen, denn der Termin der Rückzahlung sei doch bereits verstrichen. Es muss nicht ausdrücklich betont werden, dass infolge der Ereignisse des Jahres 1506 das Verhältnis zwischen Kurfürst Friedrich und Herzog Georg sehr schwer beschädigt war. Seit dem Herbst 1506 lehnte es Kurfürst Friedrich strikt und vehement ab, mit Georg persönlich zu verhandeln. Das Vertrauen war im Grundsatz zerstört. Indirekt sind die Ernestiner auf Georgs Wunsch nach einem Treffen trotzdem eingegangen, indem sie ihn im Dezember 1506 in Adorf empfangen ließen. Dort traf Georg mit dem Grafen Balthasar von Schwarzburg, Marquardt von Tettau und Friedrich Thun zusammen. Es erscheint kaum verwunderlich, dass – soweit dies die Akten widerspiegeln – das Treffen unterkühlt verlief.47 Nach der Rückkehr vom Königshof erneuerte Georg seine Bitte um Gewährung einer persönlichen Zusammenkunft. Dies lehnte Friedrich – wenngleich nicht offiziell – ab. Allerdings war es den Ernestinern nicht möglich, sich bequem zurückzuziehen und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Der wichtigste Grund, warum sie selbst diplomatisch aktiv bleiben mussten, war der Bergbau im Annaberger Revier. Dort wurde – bei Betrachtung aller wettinischen Bergreviere – zwischen 1497 und dem Ende der 1530er Jahre mit Abstand das meiste Silbererz gefördert.48 Im Zuge des innerwettinischen Streites seit 1500 unterstellten die Ernestiner dem Herzog Georg, dass er gelegentlich in Annaberg an der Bergverwal45 46 47 48
ThHStAW, Kopialbuch F 47, Bl. 157r. Ebd., Bl. 158r–162v. ThHStAW, EGA, Kopialbuch F 41 (Bd. 2), Bl. 20r–38r (nach der Foliierung von Armin Tille vom März 1914). Ferner zu den Adorfer Verhandlungen: Kopialbuch F 47, Bl. 160r– 192v. LAUBE, Studien über den Silberbergbau (wie Anm. 6), S. 268 f.; SCHIRMER, Kursächsische Staatsfinanzen (wie Anm. 7), S. 165.
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tung vorbei Silbererz verhütten und eigenmächtig verkaufen ließ.49 Deshalb konnte es den Ernestinern nicht egal sein, wie der Streit ausging. Wie bereits mehrfach erwähnt, standen bei diesem Konflikt beträchtliche Summen Geldes auf dem Spiel. Die erhaltene Korrespondenz zwischen beiden Linien, in der stets aufs Neue die alten Standpunkte vorgetragen wurden, belegt es nachdrücklich. Wahrscheinlich kamen Kurfürst Friedrich und Herzog Georg auch auf dem Konstanzer Reichstag von 1507 zusammen, ohne jedoch auch nur ernsthaft über die drängenden Probleme gesprochen zu haben.50 Im Jahr 1506 war nicht nur die innerwettinische Diplomatie gescheitert, das Jahr hatte auch einen Vertrauensbruch zwischen Kurfürst Friedrich und Herzog Georg gebracht, der das Verhältnis beider Linien dauerhaft beschädigt hat. Bereits nach dem Scheitern der Naumburger Verhandlungen von 1502 hatte die ernestinische Seite versucht, durch mehr oder weniger offene Androhung von Gewalt, politischen Druck auf Georg auszuüben. Inwieweit das ernestinische Gebärden ernst gemeint war, ist schwer zu beurteilen. Mit Sicherheit entsprach der Einsatz von Gewalt nicht dem Stil des Kurfürsten Friedrich. Allerdings spielten die Ernestiner diese Option stets aufs Neue durch – vor allem im Laufe des Jahres 1507. Nicht allein in der politischen Korrespondenz wurde, freilich zumeist indirekt, mit Gewalt gedroht. Beide Linien schüchterten sich im Jahre 1507 zunehmend gegenseitig ein, so dass Unbeteiligte tatsächlich annahmen, es stünde ein militärischer Konflikt im thüringisch-obersächsischen Raum bevor. Die Drohgebärden offenbarten sich deutlich im „Straßenkrieg“. Die Geleitsleute beider Linien nahmen im Jahr 1507 eine Vielzahl an Fuhrleuten fest, die angeblich die falschen Straßen benutzten.51 Pferde, Frachtwagen und Ladung wurden konfisziert, was nicht zuletzt dazu führte, dass sich Kaufleute und Spediteure hilfesuchend an die benachbarten Fürsten wandten. Der Öffentlichkeit war inzwischen bewusst, dass die Wettiner ihren Konflikt auf dem Rücken der Fuhrleute austrugen. Ferner unterstrichen beide Linien ihr Gebaren, indem sie wiederholt ihre Lehnsaufgebote auf den vereinbarten Stellplätzen einfinden ließen. Es muss zwar auch hierbei offenbleiben, inwieweit Kurfürst Friedrich und Herzog Georg tatsächlich beabsichtigt hatten, Gewalt zu suchen, aber letztlich hinterließen die Mobilisierungen vor allem beim Hoch- und Niederadel ihre Spuren. Sie fürchteten, in einen dynastischen Konflikt hineingezogen zu werden, der ihnen letztlich – zumindest aus Sicht des Hochadels – gleichgültig sein konnte. Und so baten im Oktober 1507 Rudolf von Hopfgarten und Hans von Werthern den Kurfürsten Friedrich und Herzog Johann im Namen der Grafen 49 50 51
VIRCK, Ernestiner und Herzog Georg (wie Anm. 9), S. 35, 55. Ebd., S. 58. STRAUBE, Geleitswesen und Warenverkehr (wie Anm. 14), S. 66 f.
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und Herren Thüringens, dass ihnen Verhandlungen zur Beilegung des Streites mit Herzog Georg gestattet werden. Dem schriftlichen Antrag lag eine Liste bei, die von den einflussreichen hochadligen Familien Thüringens unterzeichnet war. Die Ernestiner lehnten den Antrag mit dem Hinweis ab, dass bereits der Hochmeister zu Preußen, Herzog Friedrich von Sachsen, Schlichtungsverhandlungen angebahnt habe.52 Diesbezüglich sei indes angemerkt, dass Friedrich und Johann die Versuche des Hochmeisters erst abgelehnt hatten – offensichtlich aufgrund der vermuteten Parteinahme für Georg. Schließlich empfingen die beiden den Hochmeister doch noch im Oktober 1507 in Weimar; vielleicht infolge der Intervention des thüringischen Adels.53 Es war nicht allein der Hochmeister, der aktiv wurde. Abermals schaltete sich der Erzbischof Ernst von Magdeburg ein; Unterstützung boten auch der Herzog von Pommern sowie die Markgrafen von Brandenburg an. Parallel wurden die Stände beider Linien aktiv, wobei nicht immer im Detail zu entscheiden ist, ob sie als unabhängige Subjekte agierten oder nur von ihren Fürsten instrumentalisiert worden sind. Dazu liegt ein reiches Material in den Ständeakten vor.54 Die überlieferten Dokumente der Monate vom November 1507 bis zum April 1508 spiegeln die angespannte Lage wider. Grundsätzlich neue Gesichtspunkte enthalten die Quellen bezüglich des schwelenden Streits nicht. Neu sind einzig die Nachrichten, dass Georg offensichtlich im Spätherbst 1507 die Nähe zum böhmischen König Ladislaus gesucht hat.55 Wenn die Wettiner ihren ohnehin nicht zu entwirrenden gordischen Knoten nun noch mit den ostmitteleuropäischen Problemen verknüpft hätten,56 dann wäre wohl tatsächlich eine explosive Situation entstanden. Doch dazu kam es nicht. Der Anstoß zur Deeskalation kam von außen. Mit Schreiben vom 29. Februar 1508 gebot König Maximilian dem Herzog Georg wegen seiner Irrungen mit Kurfürst Friedrich und Herzog Johann keinen Krieg zu beginnen und sich willentlich zu zeigen, alle Beschwerden rechtlich zu lösen.57 Ein gleichlautendes Schreiben war den Ernestinern zeitgleich zugestellt worden.58 Es widerspräche den verfassungshistorischen Gegebenheiten anzunehmen, dass die hoffnungslos zerstrittenen Parteien aufgrund des königlichen Machtworts klein beigegeben haben. Zumindest Kurfürst Friedrich gehörte zu dieser Zeit bereits zu den Kritikern der königlichen Politik. Georg hingegen musste aufgrund der friesländischen Händel an einer guten Beziehung zu 52 53 54 55 56 57 58
BURKHARDT, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 8), S. 56, Nr. 91. Stephan FLEMMIG, Friedrich der Weise und der Deutsche Orden in Preußen (1486–1525), in: KOHNLE/SCHIRMER, Kurfürst Friedrich der Weise (wie Anm. 4), S. 154–180, hier S. 158 f. BURKHARDT, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 8), S. 56–78, Nr. 91–137. VIRCK, Ernestiner und Herzog Georg (wie Anm. 9), S. 68 f. FLEMMIG, Friedrich der Weise und der Deutsche Orden in Preußen (wie Anm. 53), S. 159. BURKHARDT, Ernestinische Landtagsakten (wie Anm. 8), S. 76, Nr. 129. ThHStAW, EGA, Reg. A 167, Bl. 12r.
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Maximilian interessiert sein. Das Gebot des Königs, die Intervention benachbarter Fürsten, die Mahnungen der ernestinischen und albertinischen Landstände sowie letztlich eine gewisse Ermüdung, die aber auch auf die weiteren zusätzlichen außenpolitischen Herausforderungen beider Linien zurückzuführen ist, führte zu einer gewissen Entspannung. Zum vollständigen Erliegen kam die Auseinandersetzung jedoch nicht. Dies dokumentieren die umfangreichen Kopialbücher. Allerdings kehrten die Fürsten beider Linien auf den Status quo ante zurück. Bezüglich des Straßenstreits schufen die Fuhrleute selbst die Fakten. Einerseits benutzten sie von vornherein die Obere Landstraße; andererseits umfuhren sie die Biebersteinschen Herrschaften und das Fürstentum Sagen, um über Umwege ins ernestinische Kurfürstentum zu gelangen. Hinsichtlich des Annaberger Bergzehnten übertrugen die Fürsten den Streit ihren bevollmächtigten Räten, die zu jedem Quartal ins Gebirge reisten, um Rechnung zu legen. Wohl als Folge des Streits – und das ist einer der wenigen positiven Aspekte dieser kleinlichen Auseinandersetzung – wurde die berühmte Annaberger Bergordnung im Jahr 1509 erlassen, die viele technische, administrative, soziale, wirtschaftliche und letztlich auch fiskalische Details des Bergbaus regelt. Sie war und ist ein Meisterstück der albertinischen Verwaltung.59 Letztlich haben die Ernestiner diese Ordnung bereitwillig gebilligt. Und Kurfürst Friedrich und Herzog Johann? Ihr Verhältnis zu Herzog Georg war seit dem Jahr 1506 zerrüttet. Sie beide fühlten sich ihrer Meinung nach von Georg betrogen. Zwar begegneten sie ihrem Vetter wiederholt auf den Reichstagen oder zu manch belanglosen Treffen, aber persönliche Verhandlungen über politische Themen haben sie mit ihm seit dem Frühjahr 1506 nicht mehr geführt. Natürlich hatte die Leipziger Teilung des Jahres 1485 eine Vielzahl ungelöster und hochkomplizierter Probleme hinterlassen. Dass eine Lösung – zumindest teilweise – möglich war, haben Herzog Albrecht und Kurfürst Friedrich im Jahre 1491 bewiesen. Mit Albrechts Tod hat sich dann fast schlagartig das innerwettinische Verhältnis eingetrübt. Endgültig zerrüttet wurde es im Jahr 1506. Zwar wurden die seit 1485/91 virulenten Probleme, die spätestens seit den Verhandlungen von Naumburg (Nov. 1502) und Wurzen (Juni 1506) offen auf dem Tisch lagen, umfassend erörtert, aber ein halbwegs leidlicher Kompromiss kam nicht zustande. Dies geschah erst im Jahr 1531 – also nach Friedrichs Tod und am Lebensende Johanns. Doch zu Beginn der 1530er Jahre standen sich das ernestinische Kurfürstentum und das albertinische Herzogtum
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Uwe SCHIRMER, Die Annaberger HAEFF/Johann BAIR (Hg.), Bergbau
Bergordnung von 1509, in: Wolfgang INGENund Recht (5. Internationaler montanhistorischer Kongress, Tagungsband), Innsbruck 2007, S. 213–228.
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bereits schon wieder unversöhnlich gegenüber. Man muss nicht unbedingt allein die Reformation, den Schmalkaldischen Krieg oder die Exekution von Gotha bemühen, um die Genese des konfliktreichen Verhältnisses beider wettinischer Linien zu erklären. Ein Blick in die Jahre um 1506 scheint diesbezüglich gleichfalls instruktiv zu sein.
DOREEN
VON
OERTZEN BECKER
DIE KIRCHENPOLITIK KURFÜRST JOHANN DES BESTÄNDIGEN
Die Kirchenpolitik Kurfürst Johann des Beständigen Als Herzog Johann am 5. Mai 1525 das Amt des Kurfürsten von seinem gerade verstorbenen Bruder Friedrich dem Weisen übernahm, tat er dies nicht unvorbereitet. Beide Brüder hatten, gemäß dem Willen ihres Vaters Kurfürst Ernst, seit 1486 gemeinsam die Regierung im Kurfürstentum Sachsen geführt, wobei Friedrich als dem Älteren selbstverständlich die Kurfürstenwürde und die damit verbundene Führungsrolle zukam.1 Nachdem sich die Brüder in den ersten Jahren ihrer Regierung gemeinsam in der Reichspolitik sehr engagiert hatten,2 behielt sich Friedrich nach seiner Entfremdung zu König Maximilian die Erledigung nahezu aller Reichsangelegenheiten allein vor.3 Ebenso scheint es, als hätte sich Herzog Johann nach seiner Heirat mit Sophie von Mecklenburg im Jahr 1500 auch in zahlreichen innenpolitischen Fragen zurückgenommen und vor allem finanz- und verwaltungstechnische Aufgaben seinem Bruder überlassen. Erst 1513 strebte Kurfürst Friedrich mit der Mutschierung des Territoriums eine teilweise Neuordnung dieser Aufgabenverteilung an.4 Von nun an trug
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Kurfürst Ernst starb am 26. August 1486 an den Folgen eines Reitunfalls. Obwohl erst ein Jahr zuvor mit der Leipziger Teilung die gemeinsame Regentschaft mit seinem Bruder Albrecht ein Ende gefunden hatte, bestimmte er in seinem Testament, dass seine Söhne Friedrich und Johann im Kurfürstentum gemeinsam regieren sollten. Vgl. Jörg ROGGE, Herrschaftsweitergabe, Konfliktregelung und Familienorganisation im fürstlichen Hochadel, Stuttgart 2002, S. 243 f. Das Originaltestament Ernsts im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar (im Folgenden: ThHStAW), Reg. D, f. 91, Nr. 2. In der Zeit von 1487 bis Ende 1498 verbrachten Friedrich und Johann für Reichstagsbesuche längere Aufenthalte im Gefolge des Königs sowie schließlich zur Übernahme des Reichsvikariats durch Friedrich den Weisen regelmäßig einige Monate außerhalb Kursachsens. Vgl. Ingetraut LUDOLPHY, Friedrich der Weise. Kurfürst von Sachsen 1463–1525, Göttingen 1984, S. 141–145; Bernd STEPHAN, „Ein itzlichs Werk lobt seinen Meister“, Friedrich der Weise, Bildung und Künste, Leipzig 2014, S. 66–74. Zu den Gründen des Bruchs vgl. LUDOLPHY, Friedrich der Weise (wie Anm. 2), S. 168–174. Mit der Mutschierung, die eine freundschaftliche Übereinkunft zwischen Brüdern oder nahen Verwandten über eine Nutzungsteilung des Territoriums darstellt, bei der das Gesamteigentum jedoch ungeteilt bleibt, ging es Friedrich dem Weisen nicht nur um eine Neuregelung der Verwaltung, sondern auch der Finanzverhältnisse. Dies stand im unmittelbaren Zusammenhang zur geplanten zweiten Hochzeit Johanns mit Margarethe von Anhalt am 13. November 1513 in Torgau und den damit zu erwartenden höheren Kosten für die Hofhaltung.
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Johann in Thüringen für alle innenpolitischen Angelegenheiten die Verantwortung, was auch die Kirchenpolitik in den ihm übertragenen Ämtern einschloss.5 Bereits seit dem 15. Jahrhundert hatte sich in Sachsen ein stark ausgeprägtes landesherrliches Kirchenregiment etabliert, sodass Einflussnahme und Eingriffe der weltlichen Gewalt in kirchliche Angelegenheiten schon vor der Reformation zur Tagesordnung gehörten. Seit ihrem Regierungsantritt hatten Friedrich und Johann besonderes Augenmerk auf Zucht und Ordnung in den sächsischen Klöstern gelegt und observante Gemeinschaften, die sich durch strengere Ordnung und größere Frömmigkeit empfahlen, nicht nur begünstigt, sondern auch die Reformierung der Klöster in diese Richtung vorangetrieben.6 Bei der Umsetzung dieser Reformvorstellungen stellten die Indienstnahme der Bischöfe und auch das Handeln gegen deren Willen den Normalfall dar.7 Auch das bereits seit dem 14. Jahrhundert verfolgte Ziel, die Klöster in herrschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht unter die Kontrolle der weltlichen Obrigkeit zu bringen, kann am Vorabend der Reformation in Sachsen als verwirklicht angesehen werden.8 Auch wenn Johann und Friedrich im Rahmen des landesherrlichen Kirchenregiments bereits in erheblichem Maße in geistliche Rechte Eingriff nahmen, so betrieben sie jedoch im Gegensatz zu ihrem Vetter Herzog Georg keine auf Erweiterung ihrer landesherrlichen Rechte ausgerichtete Kirchenpolitik, sondern versuchten in erster Linie die von ihren Vorfahren erkämpften Rechte zu wahren. Mit dem Aufkommen der reformatorischen Bewegung, der Friedrich und Johann freien Lauf ließen, solange diese nicht zu Aufruhr in der Bevölkerung führte, fand das landesherrliche Kirchenregiment in Kursachsen vorerst ein Ende. Während der Kurfürst in erster Linie Lutherschutzpolitik betrieb, ohne sich jemals direkt zur Reformation zu bekennen, setzten sich Herzog Johann und sein Sohn Johann Friedrich früh mit den Lehren Luthers, aber auch den davon 5
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Die Mutschierungsakten befinden sich im ThHStAW, Reg. D 468. Ausführlich dazu Ernst MÜLLER, Die Mutschierung von 1513 im ernestinischen Sachsen, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte 14 (1987), S. 173–182 sowie ROGGE, Herrschaftsweitergabe (wie Anm. 1), S. 291–301. Bereits die Landesordnung Herzog Wilhelms III. aus dem Jahr 1446 spricht von der Pflicht des Landesherrn dafür zu sorgen, dass die Klöster reformiert und wieder zu redlicher geistlicher Regierung gebracht würden. Vgl. Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen, (im Folgenden: ABKG) 1, S. XXI–XXIII, Paul KIRN, Friedrich der Weise und die Kirche. Seine Kirchenpolitik vor und nach Luthers Hervortreten im Jahre 1517, Leipzig 1926, S. 72. Vgl. ebd., S. 42. Vgl. Christoph VOLKMAR, Reform statt Reformation, Die Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen 1488–1525, Tübingen 2008, S. 253 f.
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abweichenden evangelischen Strömungen auseinander, was schließlich zur offenen Hinwendung zum lutherischen Glauben führte. Friedrich dagegen war es aufgrund der noch indifferenten und offenen Position der Reichsstände und -spitze zur evangelischen Lehre bis zu seinem Tod möglich, seine Neutralitätspolitik durchzuhalten, obwohl im Reich unablässig Gerüchte kursierten, man könnte ihm wegen seines Ungehorsams gegenüber dem Kaiser bei der Durchführung des Wormser Edikts die Kurwürde aberkennen. Herzog Johann dagegen riet dem Bruder spätestens ab dem Nürnberger Reichstag 1524 zu einer eindeutigeren Bekenntnispolitik.9 So lehnte er es im Gegensatz zu Friedrich klar ab, den Bischof von Merseburg weiterhin in Visitationsangelegenheit zu unterstützen10 und plädierte für eine ausführliche Vorbereitung auf das Speyrer Nationalkonzil zur Festigung des evangelischen Standpunkts.11 Den gewaltsamen Auseinandersetzungen, die im Zuge des Hervortretens von Predigern mit unterschiedlichen Lehrauffassungen vor allem in seinem Herrschaftsgebiet in Thüringen aufkamen und die Grenzen der eigenständigen Neuorganisation des kirchlichen Lebens durch die Gemeinden selbst deutlich aufzeigten, versuchte Johann bereits 1524 mit ersten Visitationsmaßnahmen zu begegnen. Ohne Zweifel fällte Johann diese Entscheidung in enger Absprache mit seinem Sohn Johann Friedrich und dem Kanzler Gregor Brück,12 doch zeigt die Berufung des Eisenacher Predigers Jakob Strauss zum Visitator, dass Johann bei der Organisation und Durchführung seine Vorstellungen umsetzte. Dabei handelte er unabhängig von den überhaupt nicht konsultierten Wittenberger Theologen, dem Kurfürsten und seinem eigenen politischen Umfeld.13 Auch der 9 10 11 12
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Vgl. den Reichstagsabschied in: Deutsche Reichstagsakten, Jüngere Reihe, bearb. v. Adolf WREDE, Gotha 1901 (im Folgenden: RTA), Bd. 3, 4, Nr. 149, sowie Armin KOHNLE, Reichstag und Reformation, Gütersloh 2001, S. 218 f. Vgl. Carl E. FÖRSTEMANN, Neues Urkundenbuch zur Geschichte der evangelischen Kirchen-Reformation, Hamburg 1842, Kapitel 3, Nr. 8, 18. April 1524, Johann an Friedrich. Vgl. RTA, Bd. 3, 4, Nr. 273, Anm. 1, 25. Juli 1524, Johann an Friedrich. Kurfürst Friedrich lehnte dies ab und wollte lieber direkt mit dem Kaiser verhandeln. Vgl. KOHNLE, Reichstag und Reformation (wie Anm. 9), S. 229 f. Ein Kreis von Weimarer Räten unter der Führung Gregor Brücks und Johann Friedrichs hatte Johann schon lange gedrängt, entschiedener gegen sogenannte Schwärmer vorzugehen. Mit Hilfe Luthers war es ihnen im September 1524 gelungen, Karlstadt als Aufrührer zu diskreditieren und bei Herzog Johann seine Ausweisung und die einiger seiner Anhänger aus Kursachsen zu erwirken. Vgl. dazu Eduard HASE, Karlstadt in Orlamünde, in: Mittheilungen der Geschichts- und Alterthumforschenden Gesellschaft des Osterlandes 4 (1854), S. 42–125. Jakob Strauss stand beim Kurprinzen Johann Friedrich in keinem guten Ansehen, da er mit seinen Predigten und Schriften über das Zinsnehmen für erhebliche Unruhe in Eisenach gesorgt hatte. Herzog Johann dagegen, der Strauss nach Eisenach vermittelt hatte, stand in engem Kontakt zu diesem. Vgl. Joachim ROGGE, Der Beitrag des Predigers Jakob Strauss zur frühen Reformationsgeschichte, Berlin 1957, S. 64 sowie Michael BEYER, Martin Luther und das Kirchengut, Leipzig 1984, Anmerkungsteil, Anm. 1179. – Der Visitations-
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Gefahr eines militärischen Vorgehens des Kaisers, um sie der Kurwürde zu entsetzen, war sich Johann durchaus bewusst und versuchte dieser entgegenzuwirken, indem er Sondierungsgespräche mit Philipp von Hessen bezüglich eines Bündnisses zum Schutz des Worts Gottes aufnahm.14 Johann war also bereits zu Lebzeiten Friedrichs bereit, sich offen zum Evangelium zu bekennen. Die Gewalttätigkeiten des Bauernkrieges, die von den Zeitgenossen klar in Zusammenhang mit der reformatorischen Lehre wahrgenommen wurden, zwangen ihn dann, sich sofort nach der Übernahme der Regierung auch nach außen eindeutig zur neuen Lehre zu positionieren. Nicht zuletzt sorgten die klare Haltung Herzog Georgs und seine daraus resultierende Politik dafür, dass die Möglichkeit, sich weiterhin neutral und passiv duldend zur lutherischen Lehre zu verhalten, nun nicht mehr gegeben war.15 Offenbar ohne Zögern und aus tiefster Überzeugung begann Johann unmittelbar nach der Regierungsübernahme damit, sowohl die innen- als auch außenpolitischen Weichen zum Aufbau einer evangelischen Landesherrschaft zu stellen. Dabei mussten innerhalb kurzer Zeit verhältnismäßig viele richtungsweisende Entscheidungen getroffen werden, ohne, dass es dafür unmittelbare Vorbilder in der Vergangenheit gab. Um diesen Aufgaben gerecht zu werden, bedurfte es einer Neudefinition der Handlungsmaximen, im Rahmen eines klar umrissenen Welt- und Wertesystems, das in der Lage war, jenes zu ersetzen, das mit der Abkehr von der katholischen Kirche seine Gültigkeit verloren hatte.16 Grundsätzlich bestand sicher kein Zweifel daran, dass das Evangelium die Richtschnur des Handelns darstellen sollte, die Frage ging eher in jene Richtung, wem die Deutungshoheit darüber zukommen sollte. Insbesondere wenn es nun darum ging, politische Entscheidungen zu legitimieren, indem man ihre Vereinbarkeit mit dem Evangelium theologisch absicherte, stellte das Festlegen auf eine autoritative Lehrmeinung eine unabdingbare Voraussetzung dar. Demgemäß schied das von Johann einige Zeit durchaus interessiert verfolgte Nebeneinander mehrerer, heterodoxer
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auftrag an Strauss und den Gothaer Amtmann Burkhard Hund ist nicht erhalten, es ist jedoch davon auszugehen, dass er zunächst sehr allgemein gehalten war. Vgl. Rudolf HERRMANN, Die Kirchenvisitationen im Ernestinischen Thüringen vor 1528, in: Beiträge zur Thüringischen Kirchengeschichte 1 (1930) H. 2, S. 167–230, hier S. 174. ThHStAW, Reg. H 1, Bl. 80r–82v, Gutachten Graf Albrechts von Mansfeld an Johann in dieser Frage. So betrieb Herzog Georg, überzeugt davon, dass die lutherische Lehre nach dem Tod Kurfürst Friedrichs und den Erfahrungen aus dem Bauernkrieg dem Untergang geweiht sei, die Einbindung Johanns in das Dessauer Bündnis, das sich die Ausrottung der Lutherischen Sekte und die Erhaltung der alten kirchlichen Ordnung zum Ziel gesetzt hatte. Vgl. ABKG, Bd. 2, Nr. 1089, Abschied von Dessau, 19. Juli 1525. Eike WOLGAST, Die Wittenberger Theologie und die Politik der evangelischen Stände. Studien zu Luthers Gutachten in politischen Fragen, Heidelberg 1977, S. 294.
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evangelischer Strömungen als nicht praktikable Option aus.17 So setzte sich die wirkmächtigste Kraft durch: Kurfürst Johann legte sich endgültig auf die orthodoxe Lehrmeinung Luthers fest. Diese Festlegung, die in Kursachsen zu einer starren Behauptung der Allein- und Allgemeingültigkeit der lutherischen Lehre führte, sollte bei den Verhandlungen zu einem Verteidigungsbündnis aller evangelischen Stände zur Zerreißprobe für die Partner und für die aufkommende Täuferbewegung zum Schicksal werden. Innenpolitisch setzte Kurfürst Johann erste Zeichen im Sinne einer evangelischen Politik, indem er in seiner jahrelangen Residenzstadt Weimar,18 in welcher er seit Beginn der 1520er Jahre die evangelische Bewegung unterstützt und gefördert hatte, am 17. August 1525 offiziell die Reformation einführte. Unter Androhung des Entzugs der Lehen und der Nahrungsgrundlage bei Zuwiderhandlungen befahl Johann persönlich in Weimar allen Geistlichen der Stadt und des Amtes, das Evangelium in Zukunft rein, lauter und ohne menschlichen Zusatz zu predigen.19 Damit beschritt der Kurfürst völlig neue Wege, die unter seinem Bruder Friedrich nicht gangbar gewesen wären. Ebenso nahm er sich eines bereits unter seinem Vorgänger virulent gewordenen Problems an: der Reform der Universität Wittenberg. Geplagt von finanziellen und personellen Schwierigkeiten war diese aufgrund stark sinkender Studentenzahlen in eine existenzbedrohende Lage geraten. Tief besorgt wandte sich Luther unmittelbar nach dem Tod Friedrichs des Weisen mit der Bitte, die Wittenberger Hohe Schule nicht untergehen zu lassen, an Kurfürst Johann und Kurprinz Johann Friedrich.20 Im Herbst 1525 setzte Johann schließlich die von Spalatin, Luther und Melanchthon ausgearbeiteten Vorschläge um, das Vermögen des Allerheiligenstifts in Wittenberg zum Unterhalt der Universität zu nutzen.21 Dazu wurde zunächst der Umfang des Stiftsvermögens ermittelt, ehe es eingezogen und
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Der Bauernkrieg hatte nicht nur bei Kurfürst Johann endgültig zu der Einsicht geführt, dass einer uneinheitlichen Predigt und Lehre immer auch eine potentielle soziale Sprengkraft innewohnt. Auch Luther musste einsehen, dass zur Bekämpfung abweichender Lehren wohl allein die Kraft der Predigt nicht ausreicht. Vgl. WOLGAST, Die Wittenberger Theologie (wie Anm. 16), S. 69. Auch wenn nach der Regierungsübernahme Torgau zur Hauptresidenz wurde, hielten sich Johann und der Hof auch weiterhin mehrere Monate im Jahr in Weimar auf. Zur Einführung der Reformation in Weimar vgl. Karl ARPER, Die Reformation in Weimar, in: Aus Weimars kirchlicher Vergangenheit, Festschrift zum vierhundertjährigen Jubiläum der Stadtkirche in Weimar, Weimar 1900, S. 3–46; Otto CLEMEN, Zur Einführung der Reformation in Weimar, in: Archiv für Reformationsgeschichte 2 (1904/05), S. 186–189. Vgl. D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, [Abt. 4] Briefwechsel (Weimarer Ausgabe; im Folgenden: WA Briefwechsel Luthers), Weimar 1933; ND 1969, Bd. 3, Nr. 870, Brief Luthers an Johann Friedrich vom 20. Mai 1525. Urkundenbuch der Universität Wittenberg, bearb. v. Walter FRIEDENSBURG, Magdeburg 1926/27, Bd. 1, Nr. 141, Brief Spalatins an Johann vom 1. Oktober 1525.
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unter kurfürstliche Verwaltung gestellt wurde.22 Damit war eine tragfähige Regelung zur finanziellen Konsolidierung der Universität gefunden, ohne die ohnehin klamme kurfürstliche Kasse zu belasten. Dies stellte ein richtungsweisendes Vorgehen dahingehend dar, wie sich die Reformatoren eine bestimmungsgemäße Nutzung kirchlichen Vermögens unter Zuhilfenahme der weltlichen Obrigkeit vorstellten.23 Einen notwendigen Schritt zur flächendeckenden Einführung der Reformation in Kursachsen stellte die Durchführung von Visitationen dar. Mit der Überprüfung von Lehre, Befähigung und Lebenswandel der Pfarrer und Prediger in den Gemeinden sollte das Evangelium gestärkt und die Grundlage für eine einheitliche evangelische Lehre geschaffen werden. Dabei zielte man in zwei Stoßrichtungen: Zum einen wandte man sich gegen die sogenannten „Schwärmer“, die von der Wittenberger Orthodoxie abweichende Lehren verbreiteten, zum anderen gegen altgläubige Prediger, die ebenfalls noch in zahlreichen Orten aktiv waren. Bereits seit Anfang 1525 kam es dabei unter der Regie Johanns zu einigen lokal begrenzten Maßnahmen,24 die noch wenig systematisiert verliefen,25 aber durchaus dazu angetan waren, die Schwierigkeiten, Mühen und Kosten zu veranschaulichen, die auf den Kurfürsten zukamen. Luther hatte an diesen ersten Visitationsbestrebungen noch keinen oder kaum Anteil, zumal für ihn die ordentliche Verkündigung des Evangeliums nicht zuletzt eine Frage
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Ebd., Bd. 1, Nr. 143, Instruktion Johanns an die Räte Hans von Dolzig und Hans von Gräfendorf zur Neuordnung des Stiftsvermögens, 11. Oktober 1525. Vgl. dazu Michael BEYER, Martin Luther und das Kirchengut: ekklesiologische und sozialethische Aspekte der Reformation, Leipzig 1984. In der Zeit vom 10.–15. Januar 1525 visitierte Jakob Strauss die Gemeinden rund um Eisenach. Vgl. ThHStAW, Reg. Ii 133, Bl. 1r–2r, Strauss an Kurfürst Johann, 15. Januar 1525, im Druck bei HERRMANN, Kirchenvisitationen (wie Anm. 13), S. 168 f. Ein späterer Bericht über die Ereignisse stammt von Strauß’ Gehilfen Georg Witzel, der seine Eindrücke jedoch erst 1534 niederschrieb. Vgl. ebd. S. 171. Mitte März 1525 wurde Strauss von Johann mit der Visitation der Ämter Wartburg, Hausbreitenbach, Salzungen, Creuzburg und Gerstungen beauftragt, es ist jedoch unklar, inwieweit das Vorhaben im Angesicht des Bauernkriegs umgesetzt werden konnte. Vgl. Visitationsbrief Johanns für Strauss vom 17. März 1525, ThHStAW, Reg. Ii 132, Bl. 1r–2r, im Druck bei HERRMANN, Kirchenvisitationen (wie Anm. 13), S. 169 f. Von Januar bis März 1526 visitierte Georg Spalatin das Amt Borna, vgl. ThHStAW, Reg. Ii 161, Bl. 1r–3v, im Druck bei Philipp MEHLHOSE, Beiträge zur Reformationsgeschichte der Ephorie Borna, Leipzig 1917, S. 43–46. Ebenfalls im März 1526 visitierten Friedrich Myconius und Johannes Draco im Amt Tenneberg. Vgl. Paul DREWS, Der Bericht des Mykonius über die Visitation des Amtes Tenneberg im März 1526, in: Archiv für Reformationsgeschichte 3 (1905/06), S. 1–17. Johann unterstützte die Maßnahmen und sicherte diese durch die Ausstellung von Visitationsbriefen und durch die Begleitung von kurfürstlichen Beamten ab, in der Umsetzung ließ er den Theologen jedoch freie Hand.
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der finanziellen Absicherung von Pfarrern und Lehrern war.26 Johann hatte sich dagegen hinsichtlich einer einheitlichen Regelung zur Besoldung der Pfarrer und Lehrer lange sehr zurückhaltend gezeigt, was einerseits darin begründet lag, dass er die eigentliche Aufgabe der Visitationen in der Lehraufsicht sah und andererseits befürchtete, für die Kosten einer Neuregelung aus der kurfürstlichen Kasse aufkommen zu müssen.27 Zwar unterbreitete Luther dem Kurfürsten noch 1525 konkrete Vorschläge, wie er sich die Besoldung der Pfarrer und die Durchführung von Kirchenvisitationen dachte,28 doch ging dieser darauf zunächst nicht ein. Erst Ende 1526 kam es zu einer Annäherung der Vorstellungen,29 die schließlich, begünstigt durch den positiven Reichstagsabschied von Speyer 1526,30 zur Vorbereitung einer Visitation führten, bei der sowohl die Lehre als auch die finanzielle Ausstattung begutachtet und geordnet werden sollten. Luther schlug dazu die Einsetzung einer vierköpfigen Kommission vor. Zwei von der Universität Wittenberg zu wählende Mitglieder sollten die Lehre prüfen, und zwei vom Landesherrn gestellte Beamte sollten die Einkommensverhältnisse regeln.31 Trotz dieser grundsätzlichen Einigkeit in der Vorgehensweise, erließ Johann die Instruktion und den Befehl zur Visitation erst am 16. Juni 1527,32 die Arbeit vor Ort begann Anfang Juli 1527. Sehr schnell zeigte sich jedoch, dass Maßnahmen ohne klares Konzept darüber, wie die Pfarrer zu belehren seien, fruchtlos bleiben würden, weshalb man die Visitation abbrach. Vor allem Philipp Melanchthon forderte die Ausarbeitung einer Ordnung, die den Visitatoren als eine Art Lehrbuch dienen sollte, wie sie das Gedankengut der Reformation vor Ort einführen könnten und worauf dabei besonders zu achten sei. Nach 26
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Vgl. WA Briefwechsel Luthers, Bd. 3, Nr. 939, Luther an Johann, 31. Oktober 1525. Insgesamt stand Luther dem Instrument der Visitation sehr skeptisch gegenüber. So bedurfte es auch einiger Zeit, bis Kurfürst Johann und Luther ihre Vorstellungen über Sinn und Ziel einer Visitation in Einklang bringen konnten. Zum Bild Luthers über die Visitationen in der katholischen Kirche vgl. Günther WARTENBERG, Unterricht der Visitatoren an die Pfarrherrn im Kurfürstentum zu Sachsen, 1528, in: Hans-Ulrich DELIUS (Hg.), Martin Luther Studienausgabe, Bd. 3, Leipzig ²1996, S. 402–462, hier S. 407 f. WA Briefwechsel Luthers, Bd. 3, Nr. 944, Brief Johanns an Luther vom 7. November 1525. WA Briefwechsel Luthers, Bd. 3, Nr. 950, Brief Luthers an Johann vom 30. November 1525. WA Briefwechsel Luthers, Bd. 4, Nr. 1052, Brief Luthers an Johann vom 22. November 1526. Vgl. RTA, Bd. 3, 5/6, Nr. 221, Reichstagsabschied von Speyer 1526. Vgl. WA Briefwechsel Luthers, Bd. 4, Nr. 1052, Brief Luthers an Kurfürst Johann vom 22. November 1526, Nr. 1054, Brief Kurfürst Johanns an Luther vom 26. November 1526, sowie HERRMANN, Kirchenvisitationen (wie Anm. 13), S. 192, Brief des Rektors der Universität Wittenberg an Kurfürst Johann vom 6. Dezember 1526. ThHStAW, Reg. Ii 191, Bl. 1–37, im Druck bei Emil SEHLING, Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Erste Abteilung: Sachsen und Thüringen nebst angrenzenden Gebieten, Leipzig 1902, S. 142–148.
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monatelangen Diskussionsprozessen zwischen Theologen und kurfürstlichen Räten,33 die von Johann mit regem Interesse verfolgt und unterstützt wurden,34 lag schließlich Ende März 1528 die endgültige Fassung des „Unterrichts der Visitatoren“ gedruckt vor. Dabei handelt es sich um eine Schrift, in der man sich einerseits bemüht hatte, die Formulierungen zur evangelischen Lehre so zu gestalten, dass sie von möglichst allen ernestinischen Theologen mitgetragen wurden und andererseits auch kirchenrechtlichen Standards genügte.35 Zur Regelung der finanziellen Verhältnisse in den Gemeinden finden sich jedoch keine Aussagen in der Visitationsordnung. Dies spiegelt die Vorbehalte, die Johann und seine Räte lange Zeit gegenüber einer reichsrechtlich unsicheren obrigkeitlichen Regelung dieser Frage hegten, wider und korrespondiert mit den bisherigen Erfahrungen der Visitatoren, dass vor Ort selten vorgefertigte Muster griffen, sondern meist individuelle Einzelfallentscheidungen getroffen werden mussten. Damit war mit Hilfe und Förderung des Kurfürsten ein richtungsweisender, normativer Ordnungsentwurf geschaffen worden, der zahlreichen Visitationen in Sachsen als Grundlage sowie in anderen Territorien als Vorbild diente. Dieser kursächsische Neubeginn, der gleichzeitig die Umgestaltung des alten kirchlichen Instruments der Visitation beinhaltete, förderte in erheblichem Maße die flächendeckende Durchsetzung der Reformation, ein Verdienst, das im Rahmen seines landesherrlichen Regiments zweifelsohne Johann zukommt. Die erste landesweite, ordentliche Visitation fand schließlich zwischen Ende Oktober 1528 und Mitte Mai 1529 statt,36 eine zweite wurde von Johann mit 33
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Als Theologen waren maßgeblich an der Ausarbeitung Melanchthon, Luther, Bugenhagen, Spalatin und Agricola beteiligt, bei den zumeist weltlichen Räten handeltet es sich in erster Linie um Gregor Brück, Benedikt Pauli und Hieronymus Schurff. Vgl. Stefan MICHEL, Der „Unterricht der Visitatoren“ (1528) – die erste Kirchenordnung der von Wittenberg ausgehenden Reformation?, in: Irene DINGEL/Armin KOHNLE (Hg.), Gute Ordnung, Ordnungsmodelle und Ordnungsvorstellungen in der Reformationszeit, Leipzig 2014, S. 153– 167, hier S. 160. Allein dadurch, dass Johann seine Verwaltungsbeamten und Schreiber zur Verfügung stellte, die zur Vervielfältigung der Entwürfe herangezogen wurden, begünstigte er den Entstehungsprozess. Aber auch der Umstand, dass die ersten 750 Druckexemplare fast komplett aus der kurfürstlichen Kasse bezahlt wurden, zeigt, welche Bedeutung er der Erarbeitung der Visitationsordnung zumaß. Vgl. Georg BUCHWALD, Lutherana und Melanchthoniana aus Rechnungsbüchern des Thüringischen Staatsarchivs zu Weimar, in: Archiv für Reformationsgeschichte, 28 (1931), S. 265–274, hier S. 266. Vgl. SEHLING, Die evangelischen Kirchenordnungen (wie Anm. 32), S. 149–174. Zu den neusten Forschungsergebnissen des im Rahmen eines von der DFG geförderten Projekts, welches die Neuedition und Kommentierung des „Unterrichts der Visitatoren“ aufgrund der wiedergefundenen Entwürfe aus dem Sommer 1527 zum Ziel hat, vgl. MICHEL, Der „Unterricht der Visitatoren“ (wie Anm. 33), S. 153–167. Zur Ankündigung der Visitation durch Kurfürst Johann an Amtleute, Schösser und Städte vom 6. September 1528 vgl. SEHLING, Die evangelischen Kirchenordnungen (wie
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einem Brief an seine wichtigsten Wittenberger Theologen kurz vor seinem Tod angestoßen.37 Innenpolitisch bemühte sich der Kurfürst jedoch nicht nur, das Fundament für den Aufbau einer funktionierenden und handlungsfähigen Landeskirche zu schaffen, sondern ging nach den Erfahrungen des Bauernkriegs auch streng gegen abweichende evangelische Lehren in Kursachsen vor.38 Während man Gläubige, die sich nach wie vor schwankend zur lutherischen Lehre zeigten oder im katholischen Glauben verharrten, als Schwache ansah und ihnen Zeit zur Besserung zugestand, sahen sich insbesondere die Täufer in vielen Territorien bald harten Verfolgungen ausgesetzt. Denn nach Auffassung der Fürsten diente ihnen das Evangelium lediglich als Deckmantel ihrer politischen Ziele, die vor allem umstürzlerischer und aufrührerischer Art waren. Selbst wenn dies nicht der Fall war, so passten die heterogenen religiösen Konzepte der Wiedertäufer, denen jedoch die Ablehnung der Kindstaufe gemein war, nicht zu den Bestrebungen Kurfürst Johanns, gegenüber Kaiser und Reich die orthodoxe lutherische Lehre in den Stand der Rechtgläubigkeit zu versetzen.39 Nicht nur, dass sich die Wiedertäufer auf die Schriften von Karlstadt und Müntzer bezogen, sie lehnten auch das sich gerade im Aufbau befindliche, institutionalisierte evangelische Kirchenwesen ab.40 Mit dem Fortgang der Reformation höchst unzufrieden, kritisierten sie an Luther, dass er sich zu schwer von überkommenden katholischen Vorstellungen losreißen könne und deshalb die evangelischen
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Anm. 32), S. 174 f. Als Visitationsinstruktion diente jene von 1527 in leicht überarbeiteter Form, ebd., S. 142–148. Vgl. WA Briefwechsel Luthers, Bd. 6, Nr. 1952, um den 12. August 1532. Bereits 1531 hatten die Stände ihn auf einem Ausschusstag in Torgau gedrängt, die Visitationen fortzuführen, vgl. Carl A. BURKHARDT, Ernestinische Landtagsakten. Die Landtage von 1487– 1532, Jena 1902, Nr. 225, 5. März 1531. Insbesondere mit der Schaffung des Amtes des Superintendenten wurde dafür Sorge getragen, dass kein Adliger und keine städtische Obrigkeit mehr die Möglichkeit hatte, einen von der lutherischen Lehre abweichenden Prediger zu bestellen. Ebenso stellte man mit der Überwachung der Prediger durch die Superintendenten sicher, dass diese das Evangelium rein und treu predigen und Verstöße sofort an den Kurfürsten weitergemeldet wurden. Vgl. Helmar JUNGHANS, Die Ausbreitung der Reformation von 1517 bis 1539, in: DERS. (Hg.), Das Jahrhundert der Reformation in Sachsen, Leipzig ²2005, S. 37–67, hier S. 53. Schon Anfang 1528 machte Herzog Georg einen Unterschied zwischen der lutherischen Lehre und den „verdampten Irrungen“ mit denen er die Wiedertäufer meinte. Daran zeigt sich, dass auch in der Außenwirkung ein erster Schritt, hin zur Abgrenzung von Luthers Lehre gegen den sogenannten Wildwuchs der Reformation, bereits vollzogen war. Vgl. ABKG 3, Nr. 1526, Herzog Georg an die Bischöfe von Meißen und Merseburg, 3. Januar 1528. In Franken und Thüringen verbreitete sich das in erster Linie von Hans Hut geprägte Täufertum, das stark von den Lehren Karlstadts, Müntzers und der Zwickauer Propheten beeinflusst war. Vgl. dazu Gottfried SEEBASS, Müntzers Erbe, Werk, Leben und Theologie des Hans Hut, Gütersloh 2002, S. 167–195.
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Ideen weder konsequent zu Ende gedacht, noch die notwendigen Umwälzungen unbeirrt und vollständig vorgenommen habe. Sie warfen ihm, wie auch Zwingli, vor, die Bibel als Macht- und Herrschaftsinstrument zu missbrauchen, um sich kirchenpolitisch durchzusetzen.41 Die täuferischen Lehren, die ab der Mitte des Jahres 1526 durch den Buchführer Hans Hut in die fränkischen Gebiete Kursachsens einsickerten,42 waren tatsächlich unruhestiftender Natur, da ihre Anhänger auf unterschiedliche Art und Weise den Sturz der weltlichen und geistlichen Obrigkeiten erwarteten oder anstrebten.43 Als Zeichen für dieses gemeinsame Ziel hatten sie die Wiedertaufe empfangen. Es dauerte nicht lange, bis die Amtleute auf diese Umtriebe aufmerksam wurden und es zu Festnahmen von Wiedertäufern kam. Dokumentiert sind erste Verhöre aus dem Februar 1527,44 es gibt jedoch Hinweise darauf, dass im Amt Königsberg in Franken bereits zuvor Anweisungen zum Umgang mit Wiedertäufern vorlagen.45 Die Strategie des Kurfürsten gegen wiedertäuferische Aktivitäten war zunächst geprägt durch den Erlass von Mandaten, die strenge Reglementierungen zu Predigt und öffentlichen Versammlungen enthielten und die Bevölkerung unter intensive Beobachtung der Obrigkeit stellten. Den Schuldigen gegenüber setzte man auf Abschreckung und öffentliche Bloßstellung, jedoch verbunden mit der Belehrung im rechten Glauben durch einen geschickten Prediger.46 Ebenso kam es zu ersten Hinrichtungen, die allerdings vom Bischof von Würzburg angeordnet wurden, dessen Entscheidung sich Johann anschloss.47
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Vgl. Hans-Jürgen GOERTZ, Die Täufer – Geschichte und Deutung, München 1980, S. 48. Vgl. SEEBASS, Müntzers Erbe (wie Anm. 40), S. 204–226; Gerhard ZSCHÄBITZ, Zur Mitteldeutschen Täuferbewegung nach dem großen Bauernkrieg, Berlin 1958, S. 51–65. Vgl. Georg BERBIG, Die Wiedertäufer im Amt Königsberg i. Fr. i. J. 1527/28, in: Deutsche Zeitschrift für Kirchenrecht, 13 (1903), H. 3, S. 291–353, hier S. 293 f.; Paul WAPPLER, Die Täuferbewegung in Thüringen 1526–1584, Jena 1913, Nr. 1c. Vgl. BERBIG, Die Wiedertäufer (wie Anm. 43), Nr. 7a, Verzeichnis der Urgericht, 12. Februar 1527. So schrieb der Königsberger Amtmann Cuntz Gotsmann am 7. Februar 1527 an die Verordneten von Coburg, dass Rat und Gemeinde von Königsberg ihm gemäß „aufgebot und erinderung meins gstg. herren diese neue tauf und bese misshandlung zu verdilgen und auszureuten“ geholfen hätten, die Schuldigen ausfindig zu machen und festzunehmen. Ebd., Nr. 2. Vgl. BERBIG, Die Wiedertäufer (wie Anm. 43), Nr. 10. Erlass des Kurfürsten Johann an die Verordneten von Coburg bzgl. der Wiedertäufer, 26. Februar 1527. Zuvor war man offenbar entsprechend der nach dem Bauernkrieg erlassenen Mandate zur Verhinderung erneuten Aufruhrs vorgegangen. Das Amt Königsberg gehörte zur Pflege Coburg, war aber als Enklave bereits im Würzburgischen gelegen. Vgl. Paul WAPPLER, Die Stellung Kursachsens und des Landgrafen Philipp von Hessen zur Täuferbewegung, Münster 1910, Anhang 1, Nr. 1. Die Verordneten von Coburg an Kurfürst Johann, 23. April 1527.
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Nichtsdestotrotz verbreitete sich innerhalb kurzer Zeit das Täufertum nach Nord- und Westthüringen, also auch in jene Gebiete, in denen die Lehren Müntzers und Karlstadts im Gedächtnis der Menschen noch überaus präsent waren, und seit dem Bauernkrieg die Begeisterung für Luther merklich abgeflaut war. Johann erneuerte daraufhin in Januar 1528 die Täufermandate aus dem Februar/März 1527,48 allerdings mit dem Zusatz, dass von nun an auch Erwerb und Handel sowie das Lesen entsprechender Bücher und Schriften verboten seien.49 Darüber hinaus erließ er am 1. März 1528 an die Landstände den Befehl, sich gerüstet zu halten, um einem Aufruhr des von den Wiedertäufern verführten Volkes entgegentreten zu können.50 Bald musste man jedoch feststellen, dass die üblichen Mechanismen, die auf Widerruf, Bußstrafe und christlicher Unterweisung basierten, nicht mehr ausreichten, da einige Wiedertäufer, die bereits ihren Irrtum widerrufen hatten, nun der Lehre erneut anhingen und sich nicht mehr bereit zeigten, von dieser abzustehen. Als sich schließlich in Reinhardsbrunn sechs Täufer trotz mehrmaligen Verhörs und wiederholter Unterweisung durch den Gothaer Superintendenten Friedrich Myconius weigerten, von der wiedertäuferischen Lehre abzulassen, entschied sich Kurfürst Johann, gemäß dem kaiserlichen Wiedertäufermandat vom 23. April 1529 zu handeln51 und ließ sie am 18. Januar 1530 öffentlich hinrichten.52 Damit hatte Johann nicht nur ganz im Sinne des Kaisers, sondern auch der Wittenberger Theologen gehandelt, welche die Täufer als Ketzer, Gotteslästerer und Aufrührer stigmatisierten, die die Obrigkeit, deren Regiment und die öffentliche Ordnung angriffen.53 48 49 50 51 52 53
Bereits am 31. März 1527 hatte Johann das Mandat, das ursprünglich nur für die Pflege Coburg galt, auf alle kursächsischen Ämter in Franken und Thüringen ausgeweitet. Vgl. WAPPLER, Die Stellung Kursachsens (wie Anm. 47), S. 3. Vgl. BERBIG, Die Wiedertäufer (wie Anm. 43), Nr. 21. Herzog Georg erließ ein entsprechendes Mandat im Dezember 1527. Vgl. ABKG 2, Nr. 1525. Vgl. BERBIG, Die Wiedertäufer im Amt Königsberg (wie Anm. 43), Nr. 22, Brief Johanns an den Rat von Gotha vom 1. März 1528. Vgl. RTA, Bd. 3, 7,2, Nr. 153. Vgl. WAPPLER, Die Stellung Kursachsens (wie Anm. 47), Anhang 1, Nr. 6, Schriften betreffend die Handlung mit den zu Reinhardsbrunn gefangen gehaltenen Wiedertäufern 1530 sowie DERS., Die Täuferbewegung (wie Anm. 43), S. 49. Vgl. Luthers Auslegung des 82. Psalms vom März 1530 in D. Martin Luther Werke. Kritische Ausgabe (Weimarer Ausgabe) (im Folgenden: WA), Bd. 31, [Abt. 1] Werke, Weimar 1913, S. 183–218, Corpus Reformatorum (im Folgenden: CR) 2, S. 17 f. Melanchthon an Friedrich Myconius, Ende Februar 1530. Die Auffassung der Wittenberger Theologen, dass die Obrigkeit nicht nur für die Bestrafung von aufrührerischen, sondern auch von gotteslästerlichen Ketzern zuständig sei, resultierte nicht zuletzt daraus, dass sich Ende der 1520er Jahre das Wesen des Täufertums verändert hatte. War anfangs vor allem das Erreichen von politischen und sozialen Umwälzungen das gemeinsame Ziel, welches man durch den Empfang der Wiedertaufe bekräftigte, so konzentrierte man sich nun im Wesentlichen
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Mit seiner Politik, sowohl Leibes- als auch Todesstrafen über Täufer zu verhängen, stand allerdings Kursachsen unter seinen evangelischen Verbündeten ziemlich allein da. Sowohl Hessen und Brandenburg-Ansbach als auch Nürnberg begnügten sich mit dem Entzug des Eigentums und Landesverweisen. Alle Versuche Johanns, auch mit Hilfe der Autorität der Wittenberger Theologen,54 seine Partner auf die härtere kursächsische Linie einzuschwören, misslangen. Insbesondere mit Hessen kam es in dieser Frage zu direkten Unstimmigkeiten, da zahlreiche Täufer aus den grenznahen Gebieten rund um Eisenach und dem Amt Hausbreitenbach in der Landgrafschaft ein Rückzugsgebiet fanden. Hinzu trat der Umstand, dass im Amt Hausbreitenbach die Hälfte der Gerichtsbarkeit dem Landgrafen von Hessen zustand, was verhinderte, dass Johann dort seine Vorstellungen über die Bestrafung von Täufern durchsetzen konnte. Als Motiv des Kurfürsten für dieses Vorgehen muss wohl der ungünstige Reichstagsabschied von 1529 und die aufgrund des Abendmahlstreits schleppend verlaufenden Bündnisverhandlungen der Evangelischen angesehen werden. Vor diesem Hintergrund hielt Johann es wohl für angebracht, sich stärker am Kaiser zu orientieren und sich dessen Mandaten nicht zu widersetzen, zumal ein solches Vorgehen inzwischen auch von seinen führenden Theologen abgesegnet worden war. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die innenpolitischen Maßnahmen Johanns in erster Linie darauf abzielten, die Ausbreitung des Evangeliums in Kursachsen voranzutreiben, die Reinhaltung der lutherischen Lehre durch das Zurückdrängen katholischer und abweichender evangelischer Predigt zu sichern und erste Strukturen für den Aufbau einer Landeskirche sowie eines leistungsfähigen Kirchen- und Schulwesens zu schaffen. Obwohl man durch die seit dem späten Mittelalter geübte Praxis des landesherrlichen Kirchenregiments durchaus über Erfahrungen mit Eingriffen in Kirchengut und Frömmigkeitsformen verfügte, verzögerten sich zunächst viele Maßnahmen oder zogen sich über einen langen Zeitraum hin. Dies lag aber nicht in mangelnder Entschlusskraft des Kurfürsten begründet, sondern an rechtlichen Unsicherheiten und Meinungsverschiedenheiten zwischen Fürst und Theologen bezüglich der Vorgehensweise. So vertrat Kurfürst Johann, wie wir gesehen haben, in einigen Punkten
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auf theologische Fragen, wie die nach der Erbsünde und der Rechtmäßigkeit der Kindstaufe. Dabei traten umstürzlerische und aufrührerische Elemente völlig in den Hintergrund. Auf dem Tag von Schmalkalden am 22. Dezember 1530, an dem praktisch alle protestantischen Stände sowie die Mitglieder des Magdeburger Bundes teilnahmen, führte man auch Verhandlungen, die zum Ziel hatten, eine gesamtprotestantische Täuferordnung zu erarbeiten. Aus diesem Anlass gab Kurfürst Johann ein Gutachten bei den Wittenberger Theologen in Auftrag, das darüber Auskunft geben sollte, wie mit den Täufern zu verfahren sei. Philipp Melanchthon erstellte daraufhin ein Gutachten, das den Obrigkeiten dazu riet, mit schärfsten und rigorosesten Mitteln gegen die Täufer vorzugehen. Vgl. CR 4, S. 737–740, Nr. 2425.
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durchaus eigene Ansichten, die häufig mit der Wahrung seiner finanziellen Interessen einhergingen. Erst wenn man sich in den grundsätzlichen Fragen geeinigt hatte, überließ Johann die Ausgestaltung und Umsetzung der Maßnahmen weitgehend frei den Wittenberger Theologen und seinen juristischen Räten, die selbstverständlich in fürstlichem Interesse handelten. Die Theologen nahmen dabei keineswegs eine Schlüsselstellung ein, sondern ihnen kam eher der Status von theologisch gebildeten Fachberatern zu, die gemeinsam mit den juristischen Räten des Kurfürsten an einer möglichst optimalen Lösung arbeiteten. Gleichzeitig mit der Vornahme zahlreicher innenpolitischer Maßnahmen, musste sich Johann nach der Regierungsübernahme auch in das außen- und reichspolitische Geschehen einarbeiten. Obwohl nahezu vor und nach jedem Reichstagsbesuch ein persönliches Treffen zwischen Johann und seinem Bruder Friedrich stattgefunden hatte, auf denen man sich sehr wahrscheinlich über Ziele und Ergebnisse austauschte, hatte Johann selbst nach 1498 nur noch zweimal eine Reichsversammlung besucht.55 Dementsprechend fehlte es ihm an Erfahrung auf dem diplomatischen Parkett und er war auf die Hilfe und Kenntnisse erfahrener Räte, wie etwa Gregor Brück besonders angewiesen. Trotzdem stellte gleich der erste Reichstagsbesuch Johanns als Kurfürst in Speyer 1526 eine Wende dar. Denn durch sein offenes, für jedermann sichtbares Bekenntnis zum Evangelium machte er den anwesenden Reichsständen unmissverständlich klar, dass es unmöglich sein würde, die religiösen Veränderungen der letzten Jahre einfach rückgängig zu machen. Um diesen Umstand zu unterstreichen, bemühte sich Johann im Vorfeld des Reichstages, ein geschlossenes Auftreten aller evangelischen Stände zu organisieren,56 das einhergehen sollte mit strengen Verhaltensmaßregeln, um deutlich zu machen, welch starke Einheit evangelischer Glaube und gottgefälliges Handeln bildeten.57 Ab seiner Ankunft in Speyer am 20. Juli 1526 beteiligte sich Johann aktiv an den Verhandlungen des Kurfürstenrats und machte schnell deutlich, dass er, Unerfahrenheit hin oder her, keines55
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Die beiden Ausnahmen bilden der Reichstag in Köln 1505 und der Reichstag in Worms 1521, zu dem Johann und Johann Friedrich dem Kurfürsten für eine kurze Zeit hinterherreisten. Vgl. den diesbezüglichen Schriftwechsel Johanns mit Friedrich bei FÖRSTEMANN, Neues Urkundenbuch (wie Anm. 10), Kap. 1, Nr. 7–17. Zum Kölner Reichstag vgl. RTA, Bd. 2, 8,2, S. 1139. Am 2. Mai 1526 unterzeichneten Kurfürst Johann und Philipp von Hessen das Torgauer Bündnis. Der Bündnisvertrag gedruckt in RTA, Bd. 3, 5/6, Nr. 60. Am 12. Juni 1526 wurde der Torgauer Bund auf Betreiben Johanns in Magdeburg um Ernst und Franz von Braunschweig-Lüneburg, Philipp von Braunschweig-Grubenhagen, Heinrich von Mecklenburg, Wolfgang von Anhalt und Graf Albrecht von Mansfeld erweitert. Vgl. Leopold von RANKE, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, Bd. 6, München 1926, S. 106 f., Schreiben Johanns an Philipp vom 18. Juni 1526. Am 29. Juni trat die Stadt Magdeburg ebenfalls bei. RTA, Bd. 3, 5/6, Nr. 89, 3. Juli 1526.
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wegs gewillt war, sich einfach der Meinung der Majorität zu unterwerfen.58 Die Verhandlungen gerieten jedoch ins Stocken, als Erzherzog Ferdinand, unzufrieden mit dem Vorgehen der Reichsstände, nachträglich eine vom Kaiser erstellte Zusatzinstruktion vorlegte, die ausdrücklich jede Änderung an Herkommen und Lehre der Kirche untersagte und auf der Exekution des Wormser Edikts bestand.59 Die Empörung über diesen Umgang war so groß, dass zahlreiche Stände überlegten, aus Speyer abzureisen, um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen, so auch Kurfürst Johann.60 Doch statt abzureisen, unterstützte Johann am 4. August im Kurfürstenrat gegen Mainz, Trier und Brandenburg die Ansicht, über die Zusatzinstruktion und eine Antwort der Stände darauf beraten zu wollen,61 um sich in einer so wichtigen Angelegenheit wie der Einheit des Glaubens nicht das Heft des Handelns aus der Hand nehmen zu lassen. Schließlich griff man den Vorschlag der Städtekurie auf, eine Gesandtschaft zum Kaiser abzuordnen, um ihn von der Undurchführbarkeit des Wormser Edikts und der Notwendigkeit eines Nationalkonzils zu unterrichten.62 In der Frage danach, wie man bis zur Einberufung eines solchen Konzils den Frieden im Reich wiederherstellen bzw. erhalten könne, verständigte man sich auf die bekannte Formel, dass sich ein jeder Reichsstand bis dahin in den Dingen, die den Glauben und die kirchlichen Einrichtungen beträfen, so verhalten solle, wie er es vor Gott und dem Kaiser verantworten könne.63 Auch wenn die Ergebnisse dieses Reichstages, auch in Anbetracht der Tatsache, dass die projektierte Gesandtschaft zum Kaiser letztendlich nicht zustande kam,64 sehr dürftig waren, konnte Johann trotz allem zufrieden sein. Er selbst hatte sich als entschlossener, evangelischer Fürst präsentieren können, der seine Positionen und Forderungen klar herausgestellt hatte. Auch wenn die beschlossene Verantwortungsformel stärker eine Verlegenheitslösung, denn eine bewusst herbeigeführte Entscheidung war, so verschaffte sie doch den evangelischen Territorien in den nächsten Jahren
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Vgl. RTA, Bd. 3, 5/6, Nr. 136. Bedenken Johanns über die Eingabe der Frei- und Reichsstädte vom 14. Juli und die Bildung eines Ausschusses. Der Bildung dieses interkurialen Ausschusses hatte Johann als einziger Kurfürst zugestimmt. RTA, Bd. 3, 5/6, Nr. 62, Instruktion (Nebeninstruktion) Karls V., 23. März 1526. Vgl. Walter FRIEDENSBURG, Der Reichstag zu Speier 1526 in Zusammenhang der politischen und kirchlichen Entwicklung Deutschlands im Reformationszeitalter, Berlin 1887, S. 375. Vgl. RTA, Bd. 3, 5/6, Nr. 119, S. 454 f. Protokoll des Mainzer Sekretärs Andreas Rucker, 4. August 1526. Das Gutachten der Reichsstädte gedruckt bei FRIEDENSBURG, Reichstag zu Speier 1526 (wie Anm. 60), S. 552–554, Beilage 11, 4. August 1526. Vgl. RTA, Bd. 3, 5/6, Nr. 145. Bedenken des großen Ausschusses über das weitere Vorgehen, 7. August 1526. Vgl. RTA, Bd. 3, 5/6, Nr. 236, Kurfürsten und Fürsten an Karl V. bzgl. der zu Speyer beschlossenen Gesandtschaft, 19. Dezember 1526.
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einen gewissen Spielraum zum Aufbau einer Landeskirche.65 Hinzu trat die Gewissheit, dass die Mehrheit der Stände kein Interesse an einer Verschärfung der Situation hatte und die Friedenssicherung im Reich als vordringlichstes Ziel ansah. Der Reichstag von Speyer 1526 sollte für Johann der letzte gewesen sein, den die Evangelischen weitgehend unbedrängt verließen. Folgerichtig spielten bei allen kommenden Zusammenkünften auch die Bestrebungen danach, sich durch den Abschluss eines Verteidigungsbündnisses gegen mögliche Angriffe des Glaubens wegen abzusichern, eine große Rolle. Erschwerend kam für Kurfürst Johann aber hinzu, dass es 1528 im Zuge der Packschen Händel zu einer Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses mit dem wichtigsten evangelischen Partner Hessen kam. Aufgeschreckt durch die vom herzoglich-sächsischen Rat Otto von Pack bei Landgraf Philipp lancierte falsche Behauptung, im Mai 1527 hätten sich in Breslau Erzherzog Ferdinand, Herzog Georg, Joachim von Brandenburg, Albrecht von Mainz und die Bischöfe von Würzburg und Bamberg zu einem Bündnis zusammengeschlossen, das zum Ziel hatte, die lutherische Ketzerei gänzlich auszurotten und alle Satzungen und Ordnungen der alten Kirche überall wieder einzuführen,66 schlossen sich Kurfürst Johann und Landgraf Philipp von Hessen Anfang März 1528 in Weimar zu einem Offensivbündnis zusammen, das vorsah, den Gegner präventiv anzugreifen, um sich dadurch einen taktischen Vorteil zu verschaffen.67 Doch schnell kamen Johann Zweifel an den offenbar vorschnell gefassten Plänen, die komplett den Grundsätzen jahrzehntelanger kursächsischer Friedenspolitik widersprachen. Da alle Maßnahmen dem Schutz des Evangeliums dienen sollten, sahen es der Kurfürst und die Räte als das Beste an, die Frage nach der Rechtmäßigkeit der beschlossenen Aktivitäten Luther zur theologischen Begutachtung vorzulegen.68 Das Hinzuziehen Luthers diente zweifelsohne der Selbstvergewisserung und theologischen Absicherung der wohl bereits von Johann und seinen Räten gefällten Entscheidung, sich von
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Bereits in Speyer wies der Kanzler Gregor Brück darauf hin, dass es für die Evangelischen nachteilig wäre, würde man sich im Abschied nicht auf die Verantwortungsformel einigen können. Vgl. RTA, Bd. 3, 5/6, Nr. 150. Bedenken über die Gesandtschaft an den Kaiser und deren Instruktion, nach dem 12. August 1526. Vgl. ABKG 3, Nr. 1609, Ausschreiben Herzog Georgs vom 24. Mai 1528 indem er auch den Text des angeblichen Bündnisses bekannt machte. Der Weimarer Vertrag gedruckt bei Georg MENTZ, Zur Geschichte der Packschen Händel, in: Archiv für Reformationsgeschichte 1 (1903/04), S. 172–191. So heißt es in der Instruktion an den zu Philipp gesandten Hans von Dolzig, dass man beschlossen habe „umb versicherung willen unser beider gewissen […] Doctor Luther den handel nach der leng vertrewlicher meinung anzuzeigen.“ Christian NEUDECKER, Merkwürdige Aktenstücke aus dem Zeitalter der Reformation 1, Nürnberg 1838, S. 37.
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den Angriffsplänen Landgraf Philipps doch lieber zu distanzieren.69 Die von Luther zunächst mündlich und später auch schriftlich erteilten Ratschläge bestätigten nur die Unsicherheit des Kurfürsten, der Reformator hielt jedes präventive, militärische Vorgehen für verboten und mit der obrigkeitlichen Pflicht zur Friedenswahrung für unvereinbar.70 Davon galt es nun auch den entschlossenen und zu schnellem Handeln drängenden Landgrafen Philipp zu überzeugen. Allerdings zerschlug sich die Hoffnung, dass dieser den Argumenten Luthers einen ähnlich hohen Stellenwert beimessen würde, schnell.71 Im Gegenteil, Philipp schob die Argumente Luthers einfach zur Seite, indem er ihm zum einen mangelnde Informiertheit vorwarf und zum anderen unterstellte, dass es ihm als Theologen ohnehin unmöglich sei, in politischen Fragen autoritativ zu urteilen.72 Da für Johann feststand, dass die Vornahme eines Präventivschlags für ihn untragbar war, ihm andererseits Landgraf Philipp Vertragsbrüchigkeit vorwarf, schlug er zum Ausgleich Gespräche in Anwesenheit der Theologen am 28. April 1528 in Weimar vor.73 Hier kam es schließlich zu einer Modifizierung des Vertrags vom 9. März.74 Doch weder die Wittenberger Theologen noch Johann selbst konnten beim Landgrafen erreichen, dass die Absicht, als Erstes anzugreifen, völlig aufgegeben wurde. Man einigte sich lediglich auf eine sehr weitläufige Interpretation des Begriffs der Notwehr. So sollte bereits die Weigerung der Gegner, umfassende Versicherungen bezüglich der Wahrung des Friedens abzugeben, als eine Art Angriff gewertet werden.75 Die weiteren Bestimmungen zur militärischen Vorgehensweise, die in vielen Punkten die Abspra69
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Denn inzwischen hatte man auch aus Nürnberg und Brandenburg-Ansbach die Nachricht erhalten, dass diese, entgegen den Erwartungen, nicht bereit waren, die Pläne Philipps und Johanns, zu unterstützen. Vgl. Kurt DÜLFER, Die Packschen Händel. Darstellung und Quellen, Marburg 1958, S. 80–84. Vgl. WA, Briefwechsel Luthers, Bd. 4, Nr. 1246, S. 421–424. Kurfürst Johann sandte seinen Rat Hans von Dolzig nach Kassel, um Landgraf Philipp über die Entscheidung, für einen Präventivschlag nicht mehr zur Verfügung zu stehen, in Kenntnis zu setzen. Philipp verfasste daraufhin eine Entgegnung auf Luthers Gutachten, die er Dolzig, als dieser am 11. April wieder abreiste, mitgab. Vgl. WA, Briefwechsel Luthers, Bd. 4, Nr. 1246, Nachgeschichte S. 425–429. Außerdem ließ er am 12. April noch zwei Schreiben nach Kursachsen abgehen: eines an Johann und eines an Johann Friedrich. Vgl. WOLGAST, Die Wittenberger Theologie und die Politik (wie Anm. 16), S. 120, Anm. 29. Vgl. WA, Briefwechsel Luthers, Bd. 4, Nr. 1246, Nachgeschichte S. 425–429. ThHStAW, Reg. H, Nr. 21, Bl. 10. Schreiben Johanns an Philipp vom 16. April 1528. Johann bezieht sich direkt auf die Berichterstattung Dolzigs, die tags zuvor geschehen war. Der Weimarer Vertrag vom 30. April 1528 gedruckt bei MENTZ, Geschichte der Packschen Händel (wie Anm. 57), S. 184–191. Auch wenn die Wittenberger Theologen den Kurfürsten immer wieder streng und unmissverständlich mahnten, den Frieden zu wahren, hatten sie sich offenbar mit diesem Kompromiss in Weimar einverstanden erklärt, um zu verhindern, dass es zum Dissens mit dem wichtigsten evangelischen Verbündeten kam.
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chen vom 9. März erweiterten und präzisierten, machen jedoch deutlich, dass Johann versucht hatte, sich aus seiner misslichen Gewissenslage zu befreien, indem er die Kriegsführung im Wesentlichen dem Landgrafen überließ. Nichtsdestotrotz verpflichtete er sich zu weiteren Rüstungen und der Bereitstellung von Truppen.76 Während Landgraf Philipp nun darauf drängte, wie vertraglich vereinbart, die Ausschreiben und Werbungen an das Reichsregiment und König Ferdinand so schnell wie möglich ausgehen zu lassen, um sich die Option für eine militärische Operation weiterhin offenzuhalten, versuchte Kurfürst Johann, dies nach Kräften zu verzögern.77 Darüber hinaus sandte er seinen Sohn Johann Friedrich und einige Räte nach Kassel, um Philipp an vorschnellen Aktionen zu hindern. Als sich schließlich herauskristallisierte, dass alle Beschuldigten ihre Unschuld beteuerten und die Existenz des Breslauer Bündnisses verneinten, drohte Johann dem Landgrafen, aus dem Weimarer Bund auszutreten, wenn dieser weiterhin beabsichtige, Krieg zu führen.78 Mit dem Einsetzen von Verhandlungen, rückte eine militärische Option auch für Landgraf Philipp in weitere Ferne, allerdings bestand er nun, wiederum entgegen den Ratschlägen der Kursachsen,79 hart auf einer Erstattung seiner Rüstungskosten durch die
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Ein Schreiben Johanns an Markgraf Georg belegt, dass man nach wie vor davon überzeugt war, dass v. a. die Geistlichen etwas zur Vernichtung der Evangelischen planten. „Und wiewol wir auch allerlai bedenken und sorgfeldigkeit derwegen haben, scheint es doch nach vielen Umständen, die mitzuteilen zu lang und sorglich were, dass die hendel der geistlichen und irer anhenger […] sich mit der bundnis fast vorgleichen.“ RTA, Bd. 3, 7,1, S. 219, Johann an Markgraf Georg, 18. April 1528. Sowohl bei den Instruktionen für die Gesandtschaften an das Reichsregiment und König Ferdinand, als auch bei denen zur Aufnahme von Verhandlungen mit den Bischöfen von Würzburg und Bamberg ließ sich Johann viel Zeit und scheint um jede Formulierung gerungen zu haben. Vgl. DÜLFER, Die Packschen Händel (wie Anm. 69), S. 137 f., Anm. 1. Diese Drohung ist mit Sicherheit in Zusammenhang mit den Nachrichten zu sehen, die von König Ferdinand aus Prag kamen. So teilte der kursächsische Gesandte Hans von der Planitz am 22. Mai Gregor Brück mit, dass er inzwischen große Zweifel an der Kopie des Breslauer Bündnisses habe: „Ich byn in dieser sachen gancz vorirret, das ich ungewiß bin, was ich deshalb gleuben sall.“ Deshalb bat er Brück „auffs hochste, wollet ye helffen und ratten, damit keyn tetlicher zugriff ader begynnen vom lantgraven werde vorgenomen.“ Hilar SCHWARZ, Landgraf Philipp von Hessen und die Pack’schen Händel, Leipzig 1884, S. 101, Anm. 6 und 7. Bereits in ihrem Gutachten, das Luther und Melanchthon für das Treffen zwischen Johann und Philipp Ende April 1528 in Weimar erstellt hatten, rieten beide davon ab, hart auf die Erstattung der Rüstungskosten zu bestehen, denn „so hatts doch ein schein, als wolt man sich zu ihn nottigen und den fride nicht lauter meinen, so man hart drauff drunge.“ WA, Briefwechsel Luthers, Bd. 4, zu Nr. 1246, S. 431–433. Je stärker sich Johann jedoch einem militärischen Einsatz verweigerte, desto stärker betonte Philipp seine finanziellen Ansprüche. Entsprechend den Ratschlägen seiner Theologen war Johann Philipp gegenüber in dieser Frage zu großen Zugeständnissen bereit, wie etwa zur Übernahme der Hälfte der
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vermeintlichen Gegner. Schließlich setzte sich Hessen mit seiner Forderung nach Kostenübernahme gegenüber den Bistümern Bamberg und Würzburg durch,80 während Kurfürst Johann darauf verzichtete.81 Auch wenn mit den Friedensverhandlungen die Krise, die sich um das von Otto von Pack erdichtete Breslauer Bündnis entsponnen hatte, friedlich beendet werden konnte, so muss doch festgestellt werden, dass nicht nur die Reputation Philipps dadurch Schaden genommen hatte, sondern die der gesamten evangelischen Partei. Darüber hinaus war das Vertrauensverhältnis zu Johann nachhaltig gestört, die Ressentiments, die aus den Ereignissen von 1528 rührten, waren auch noch Jahre später zu spüren. Ganz unter diesen Zeichen stand auch der Reichstag in Speyer 1529. Als der Vorschlag für eine Proposition, der zur Genehmigung durch den Kaiser zunächst nach Spanien gesandt werden musste, nicht wieder rechtzeitig zur Eröffnung des Reichstages am 15. März 1529 vorlag,82 nutzte König Ferdinand, offensichtlich durch die Provokation der Packschen Händel immer noch verstimmt, die Gelegenheit und legte eine eigene Proposition vor, die er aber als Meinung des Kaisers ausgab.83 Darin forderte er bis zur Einberufung eines Konzils die Einhaltung und Durchführung des Wormser Edikts und erklärte den 1526 von den Ständen ausgehandelten Kompromiss für aufgehoben.84 Kurfürst Johann war einerseits bestürzt von der Härte der Forderungen, andererseits jedoch bereit, seinen Beitrag zur Abarbeitung der in der Instruktion gestellten Punkte zu leisten. So gehörte er persönlich dem interkurialen Ausschuss an,
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hessischen Kosten. Vgl. ThHStAW, Reg H, Nr. 19, Bl. 70v, 71r, Johann an Johann Friedrich, 21. Mai 1528. SCHWARZ, Die Pack’schen Händel (wie Anm. 78), Beilage 2C, S. 166. Ebd., Beilage 2B, S. 165 f. Der sich seit Frühjahr 1528 in Deutschland aufhaltende Reichsvizekanzlers Balthasar Waltkirch war vom Kaiser damit beauftragt worden, eine Reichstagsinstruktion auszuarbeiten, die zum Ziel haben sollte, eine Einigung zwischen den Ständen in der Religionsfrage herbeizuführen. Der Entwurf Waltkirchs wurde offenbar ohne größere Veränderungen genehmigt und am 25. Dezember 1528 zurückgesandt. Wann die „echte“ kaiserliche Proposition Deutschland erreichte, lässt sich nicht mehr ausmachen, wahrscheinlich wurde sie vernichtet. Das Wissen um diese Proposition ergibt sich aus einer Kopie von Waltkirchs Vorschlag, den dieser offenbar dem Reichsregiment übergeben hatte. Vgl. RTA, Bd. 3, 7,2, Nr. 72. Vielleicht erklärt sich daraus auch, dass viele Fürsten sofort ahnten, dass die Proposition von Ferdinand und nicht vom Kaiser ausging. Es scheint zumindest möglich, dass ihre Vertreter am Reichsregiment ihnen die Existenz eines alternativen Vorschlags angezeigt hatten. Zu der These, dass die Ereignisse um die Packschen Händel Ferdinand überhaupt erst die Entschlossenheit verliehen hätte, die gefälschte Proposition auf dem Reichstag anzubringen vgl. Ekkehard FABIAN, Die Entstehung des Schmalkaldischen Bundes und seiner Verfassung 1524/29–1531/35, Tübingen 1962, S. 37. Zur Proposition Ferdinands vgl. RTA, Bd. 3, 7,2, Nr. 104.
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der sich um die anstehenden Aufgaben kümmern sollte.85 Während man sich wiederum darüber einig war, dass innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens ein General- oder ein Nationalkonzil zur Klärung der Glaubensfrage einberufen werden müsse, konnte man sich diesmal nicht darüber verständigen, wie mit der evangelischen Lehre bis dahin umzugehen sei. Schnell kristallisierte sich heraus, dass zwar die Ständemehrheit eine Durchsetzung des Wormser Edikts um jeden Preis ablehnte, jedoch grundsätzlich dessen Wiederinkraftsetzung befürwortete. Für die evangelischen Stände, die mit dem Ziel nach Speyer gekommen waren, für die Beibehaltung der Verantwortungsformel von 1526 zu kämpfen, stellte dies einen herben Schlag dar. Hinzu kam, dass die Ständemehrheit durch die Forderung, die Lehre Zwinglis zu verbieten, versuchte, das evangelische Lager zu spalten.86 Diese Entwicklung brachte Kurfürst Johann in eine äußerst schwierige Lage, einerseits war es für die Evangelischen nun wichtiger denn je, fest zusammenzustehen und in jedem Fall zu verhindern, dass sie durch Uneinigkeit isoliert und damit zu leichten Opfern der Gegner wurden,87 andererseits wusste Johann nur allzu gut, wie stark die Ablehnung der Wittenberger Theologen gegenüber der Abendmahlsauffassung Zwinglis war.88 Doch als der Gang der weiteren Reichstagverhandlungen klar werden ließ, dass sich die Forderung der Evangelischen nach Beibehaltung des Speyrer Abschieds von 1526 nicht durchsetzen lassen würde, begannen Landgraf Philipp und Kurfürst Johann spätestens am 8. April damit, nicht nur zu sondieren, wer sich zu einer Protestation und Appelation bereit finden würde, sondern warben aktiv für ein Zusammengehen in einem Verteidigungsbündnis.89 Einen Ausweg aus der Problematik der unterschiedlichen Abendmahlsauffassungen schienen die Bestrebungen Land85
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Die Bildung von Ausschüssen war äußerst üblich, da man sich bewusst war, dass eine Konsensbildung im großen Rahmen aller Teilnehmer unmöglich war. Diesem sogenannten großen Ausschuss gehörten 21 Personen an, von denen 18 stimmberechtigt waren. Dabei waren die Evangelischen deutlich unterrepräsentiert, da im Fürstenrat die Vertreter Hessens und Brandenburg-Ansbachs aufgrund der Abwesenheit ihrer Herren keine Berücksichtigung gefunden hatten. Vgl. RTA, Bd. 3, 7,1, S. 565 f. Vgl. KÜHN, Die Geschichte des Speirer Reichstags 1529, o. O. 1929, S. 71. Wahrscheinlich war es die Stadt Straßburg, die ebenso wie die Mehrheit der oberdeutschen Städte zur Lehre Zwinglis neigte, die als Erstes an die Fürsten herantrat und darum bat, eine Trennung des evangelischen Lagers nicht zuzulassen. Vgl. Politischen Correspondenz der Stadt Strassburg im Zeitalter der Reformation, Bd. 1, 1517–1530, hg. v. Hans VIRCK, Straßburg 1882, S. 32 f. Jacob Sturm an den Stadtschreiber Peter Butz, 24. März 1529. Entsprechende Gutachten Melanchthons zeigen dies deutlich. Vgl. Heinz SCHEIBLE (Hg.), Melanchthons Briefwechsel, Stuttgart, 1999–2003, Nr. 595, Ende September 1527, Nr. 645, Januar 1528. Die Initiative dafür lag klar bei Landgraf Philipp, der jedoch im Einvernehmen mit Kursachsen handelte. Am 8. April schrieben die Ulmer Städtegesandten Besserer und Schleicher nach Hause, dass Landgraf Philipp nach ihnen hatte schicken lassen, um ein Zusammengehen der Fürsten mit den Städten, die ebenfalls beim Speyrer Abschied bleiben wollten, zu sondieren. Vgl. RTA, Bd. 3, 7,1, S. 683 f.
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graf Philipps zu bieten, durch ein Religionsgespräch die Streitigkeiten aus der Welt zu schaffen.90 Folgerichtig enthielt auch das vorläufige Bündnisabkommen,91 das man am 22. April schloss, nachdem am 19. April die vom kursächsischen Kanzler Gregor Brück entworfene Protestation verlesen und am nächsten Tag schriftlich übergeben worden war,92 keinerlei Bestimmungen darüber, sich auf ein bestimmtes Bekenntnis festlegen zu müssen. Noch hatten sich die kursächsischen Politiker die Frage, wie man sich zu den zwinglischen Städten stellen soll, offengehalten. Dies sollte sich jedoch schnell ändern. Während vor allem Philipp Melanchthon, der an den Bündnisverhandlungen in Speyer keinen Anteil gehabt hatte, sofort nach der Rückkehr nach Wittenberg alles daran setzte, die aus seiner Sicht unerwünschte Entwicklung zu stoppen,93 scheinen sich auch Kurfürst Johann und seine Berater in dieser Frage bald festgelegt zu haben. Da die negativen Bestimmungen des Reichstagsabschieds noch in Speyer durch eine Friedenszusage der Reichstagsmehrheit gegenüber den protestierenden Ständen eine gewisse Milderung erfahren hatten,94 war die unmittelbare Gefahr eines Angriffs auf die Protestanten zunächst gebannt. Wohl aus dieser relativen Sicherheit heraus besann man sich nicht nur auf die Leitlinien kursächsischer Politik der Friedenssicherung und Konsensbildung zurück, sondern öffnete sich auch den religiösen Bedenken der Theologen bezüglich den zur Lehre Zwinglis neigenden Städten. So erklärte Luther in einem Gutachten an Kurfürst Johann vom 22. Mai 1528, dass der Abschluss eines evangelischen Verteidigungsbündnisses, wenn überhaupt, nur unter der Voraussetzung eines einheitlichen Bekenntnisses tolerierbar sei.95 Dabei ließ man zu keinem Zeitpunkt ei90
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So schrieb der kursächsische Rat Hans von Minkwitz an den in Kursachsen verbliebenen Johann Friedrich am 30. März, dass wohl Luther und Melanchthon mit Zwingli und Ökolampad in Nürnberg wegen des Sakraments zusammenkommen werden. Minkwitz zeigte sich guter Hoffnung, dass, wenn man erst mal verhandeln würde, auch eine gute Lösung zustande käme. Vgl. RTA, Bd. 3, 7,1, S. 621 f. Vgl. RTA, Bd. 3, 7,2, Nr. 152. Vgl. RTA, Bd. 3, 7,2, Nr. 143. Bei dem vorschriftlichten Exemplar der Protestation handelte es sich jedoch nicht um die Fassung Brücks, die am 19. verlesen worden war, sondern um den sehr viel ausführlicheren und stärker theologisch betonten Entwurf des markgräflichen Kanzlers Georg Vogler. Am 14. Mai 1529 sandte Melanchthon ein Gutachten an Johann Friedrich, in dem er sich, nach Absprache mit Luther, einem Religionsgespräch mit den Zwinglianern verweigerte. Der Kurprinz solle doch beim Kurfürsten darum ansuchen, dass ihm dieser keine Urlaubsgenehmigung erteile. So könne er sich beim Landgrafen elegant aus der Affäre ziehen. Vgl. SCHEIBLE, Briefwechsel Melanchthons, (wie Anm. 88) Nr. 778. Auch nach Nürnberg streckte er seine Fühler aus, wenn er am 17. Mai Lazarus Spengler und Hieronymus Baumgartner schrieb, dass sie das Bündnis hintertreiben sollten. Vgl. ebd., Nr. 783, 781. RTA, Bd. 3, 7,2, Nr. 164. Vgl. WA Briefwechsel Luthers, Bd. 5, Nr. 1424, Brief Luthers an Johann vom 22. Mai 1529. Die Argumente Luthers sind hier vor allem auch getragen von dem Misstrauen gegen
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nen Zweifel daran aufkommen, dass es sich beim offiziellen kursächsischen Abendmahlsverständnis um das einzig wahre und christliche handele. Wiederum scheint es, als wären die Ansichten der Wittenberger Theologen günstig mit denen der kursächsischen Politiker zusammengetroffen, um die äußerst ambitionierten Bündnispläne des Landgrafen auszubremsen.96 Obwohl sich Johann damit festgelegt hatte, verfolgte er in den nächsten Monaten einen äußerst geschickten Zickzackkurs, der darauf hinauslief, sich weder völlig mit Philipp von Hessen zu überwerfen, noch die eigenen Interessen hintanzustellen. Dass Georg von Brandenburg-Ansbach und der Stadtrat von Nürnberg den Zwinglianern ebenfalls ablehnend gegenüberstanden, erleichterte sein Vorgehen. So kam Johann, wenn es unumgänglich schien, dem Landgrafen ein Stück entgegen, sobald sich jedoch abzeichnete, dass Entscheidungen anstanden, zog er sich auf die Urteile seiner Theologen zurück.97 Damit betrieb Johann eine höchst eigene Politik, die zunächst für die Wahrung der kursächsischen Interessen recht erfolgreich war. Allerdings brachten die zunehmend die politischen Realitäten verkennenden Gutachten der Wittenberger Theologen98 sowie die Ausrichtung auf die immer irrationaler werdende Hoffnung, den Kaiser doch noch von der Rechtmäßigkeit der evangelischen Lehre überzeugen zu können,99 den Kurfürs-
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Landgraf Philipp, der ohne Zweifel die Verhandlungen mit den oberdeutschen Städten vorangetrieben hatte. Dass es am kursächsischen Hof durchaus auch andere Meinungen gab, zeigt ein Gutachten Herzog Johann Friedrichs aus dieser Zeit. Darin unterstützt er voll und ganz die Bündnispläne Philipps, die nicht nur die Oberländischen, sondern auch die Schweitzer Städte einbezogen. Vgl. Georg MENTZ, Johann Friedrich der Großmütige 1503–1554, Bd. 1, Jena 1903, S. 122–126. Beispielhaft für ein Entgegenkommen sei das Marburger Religionsgespräch. Obwohl sowohl Luther und Melanchthon als auch Kurfürst Johann dieses ablehnten und ursprünglich planten, es zu boykottieren, änderte Johann nach einem erbosten Schreiben Philipps seine Meinung und bat Luther, doch teilzunehmen. Luther musste seine Zusage so konzipieren, dass deutlich wurde, dass seine Teilnahme auf Wunsch des Kurfürsten erfolgte. Vgl. WA, Briefwechsel Luthers, Bd. 5, Nr. 1438. Währenddessen verhinderte Johann, dass es auf einem Treffen sächsischer, hessischer und ansbachscher Räte in Saalfeld zu einer Beschlussfassung über den Bündnisentwurf von Speyer bzw. der Rodacher Notel kam, in welchen die zwinglischen Städte einbezogen waren. Vgl. RTA, Bd. 3, 8,1, S. 200, Anm. 5. So lehnten Luther und seine Kollegen in einem Gutachten vom November 1529 nicht nur ein Bündnis mit den zwinglischen Städten ab, sondern ganz allgemein jede Form eines Verteidigungsbündnisses. Vgl. RTA, Bd. 3, 8,1, S. 365–374: „Bedenken, worumb mit den sacramentirern kain bundtnus zu machen.“ Vgl. RTA, Bd. 3, 8,1, S. 438, 448 f. In diesem Zusammenhang lehnte man auch das von Landgraf Philipp als Druckmittel empfohlene Zurückhalten der Türkensteuer ab. Zwar wurde Luther auch in dieser Frage von Johann um ein Gutachten gebeten, doch auch hier fielen der von der Politik bereits beschlossene Weg und Luthers Votum zusammen. Vgl. Gutachten Luthers, ebd., S. 515–517, 24. Dezember 1529.
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ten in eine völlig isolierte Position. Das Ergebnis war schließlich eine Spaltung der evangelischen Stände, die Kursachsen maßgeblich mitverursacht hatte.100 Dies sollte sich auf dem Augsburger Reichstag 1530 besonders deutlich zeigen. Am 21. Januar 1530 hatte Karl V. die deutschen Stände aufgefordert, sich bis zum 8. April zu einem Reichstag nach Augsburg einzufinden. Das Ausschreiben, das in der Religionsfrage das Ziel der Wiederherstellung der christlichen Einheit proklamierte und dafür anbot, dass jede Seite ihre Auffassungen über Glauben und Missbräuche vor dem Kaiser zu Gehör bringen könne,101 hatte in Kursachsen die Erwartungshaltung geweckt, der Reichstag könne eine Art Ersatz für ein Konzil bzw. eine Nationalversammlung darstellen.102 Während Landgraf Philipp der Auffassung war, dass dem Kaiser in Glaubensangelegenheiten überhaupt keine Entscheidungsbefugnis zustand, betrieb Johann umfangreiche Reichstagsvorbereitungen und legte sich bereits im Vorfeld auf eine von den anderen evangelischen Ständen unabhängige Verständigungspolitik mit Kaiser und Ständemehrheit fest.103 In diesem Zusammenhang sind auch die Planungen Johanns zu sehen, mithilfe der Grafen Wilhelm von Neuenahr und 100 In dieser Phase drohte die evangelische Solidarität vollends zu zerbrechen, nachdem die Bündnisbestrebungen der protestierenden Stände des Reichstags von Speyer 1529 durch den von Kursachsen und Brandenburg-Ansbach proklamierten Bekenntniszwang gescheitert waren und man sich im Januar 1530 auf einem Tag in Nürnberg mit den verbliebenen konfessionsverwandten Ständen nicht auf eine erneute gemeinsame Gesandtschaft an den Kaiser hatte einigen können. Insbesondere das Verhältnis zum wichtigsten Bündnispartner Hessen hatte inzwischen einen absoluten Tiefpunkt erreicht. Die Bereitschaft Philipps, die Geschlossenheit der Protestanten unter Einschluss der Anhänger Zwinglis zu wahren, fand bei Johann so wenig Anklang, dass er nun sogar bereit war, Hessen gänzlich ziehen zu lassen. Vgl. RTA, Bd. 3, 8,1, S. 523–525. Instruktion Johanns zum Tag von Nürnberg für Christian Beyer, ca. 27. Dezember 1529. 101 Das Ausschreiben im Druck bei Carl. E. FÖRSTEMANN, Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530, Bd. 1, Halle 1833, Nr. 1. Kurfürst Johann erhielt sein Exemplar des Ausschreibens, das wie alle anderen auch, von Speyer aus an die deutschen Stände versandt worden war, am 11. März 1530. 102 Vgl. ebd. Nr. 3. Gutachten der kursächsischen Räte zur Teilnahme am Reichstag. So lautete die Empfehlung zur Teilnahme „Item dieweil dauon gehandelt vnnd beschlossen sol werden, so den glauben belangend, weil dieser reichstag an stat ains concilij stat oder Nacional haben wirdet.“ 103 Die zur Vorstellung des Glaubens von den Wittenberger Theologen ausgearbeiteten Torgauer Artikel manifestierten diesen Drang des Kurfürsten zur Verständigung. Denn statt die zwiespältigen Artikel des Glaubens zu thematisieren, beschränkte man sich darauf, lediglich die strittigen Zeremonien zu behandeln, was den Vorteil hatte, dass man damit nicht über den Glauben an sich streiten musste, sondern nur über Missbräuche und Irrlehren, die im Laufe der Zeit von Menschen eingeführt worden waren. Für die Darstellung der Glaubensinhalte erachtete man die Schwabacher Artikel für ausreichend. Vgl. Johannes von WALTER, Der Reichstag zu Augsburg, in: Lutherjahrbuch XII (1930), S. 1–90, hier S. 24 f. Zu der strittigen Frage, worum es sich bei den Torgauer Artikeln überhaupt handelte vgl. Theodor BRIEGER, Die Torgauer Artikel, in: DERS. (Hg.), Kirchengeschichtliche Studien: Hermann Reuter zum 70. Geburtstag gewidmet, Leipzig 1888, S. 267–320.
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Wilhelm von Nassau, eine eigene Gesandtschaft an den Kaiser zu organisieren, um ihm die kursächsischen Angelegenheiten in privater Verhandlung persönlich vortragen zu können.104 Schließlich brach am 26. März 1530 der kursächsische Rat Hans von Dolzig auf, um dem Kaiser entgegenzureisen.105 Mit dem Beschreiten dieser Sonderwege zeigte Johann klar an, dass er, im Gegensatz zu den vorherigen Reichstagen, nicht mehr darauf setzte, mithilfe evangelischer Geschlossenheit zu einer grundsätzlichen Lösung zu gelangen. Nichtsdestotrotz traten in Augsburg Brandenburg-Ansbach und Nürnberg mit der Bitte an Johann heran, man möge ein Bekenntnis für alle Evangelischen ausarbeiten.106 Dazu überließ man Melanchthon die bereits in der Markgrafschaft und in Nürnberg geleisteten Vorarbeiten.107 Trotz dieses Entgegenkommens, ließ Johann große Vorsicht walten, um zu verhindern, dass durch Einwirken von außen etwas in die Bekenntnisschrift gelangte, was Kursachsen von seinem Verständigungskurs hätte abbringen können. Dies betraf insbesondere den Hang, die Tragweite der evangelischen Lehre zu verharmlosen und diese als kompatibel zur römisch-katholischen Auffassung darzustellen. Selbst Luther bekam erst nach der Übergabe an den Kaiser das Bekenntnis in seiner fertigen Gestalt zu Gesicht.108 Auch der endgültige Beschluss darüber, das Bekenntnis nicht nur in kursächsischem, sondern im Namen aller lutherischen Fürsten und Stände abzufassen, fiel erst am 15. Juni 1530, als der Kaiser endlich in Augsburg eintraf.109 Nun galt es, sich auf ein Verfahren zu verständigen, über das eine 104 Der Plan zu dieser Gesandtschaft wurde noch vor dem Eintreffen des Reichstagsausschreibens am 2. Februar 1530 in Arnstadt geschmiedet, wo man sich getroffen hatte, um die Streitigkeiten zwischen den Grafen von Mansfeld zu schlichten. Vgl. RTA, Bd. 3, 8,1, S. 623. 105 Vgl. FÖRSTEMANN, Urkundenbuch (wie Anm. 101), Bd. 1, Nr. 16. Instruktion Johanns für Hans von Dolzig, betreffend dessen Werbung an die Grafen Wilhelm von Nassau und Wilhelm von Neuenahr, 16. März 1530. 106 Bei der Ankunft in Augsburg sah sich Melanchthon damit konfrontiert, dass Johannes Eck anhand von 404 Artikeln versucht hatte, den evangelischen Glauben als häretisch darzustellen. Dies machte eine Umformulierung und Erweiterung der Torgauer Artikel notwendig. Vgl. WA, Briefwechsel Luthers, Bd. 5, Nr. 1561, Brief Melanchthons an Luther vom 4. Mai 1530. 107 Vgl. CR 2, S. 56. Nürnberger Gesandte an Bürgermeister und Rat, 20. Mai 1530. 108 Luther hielt sich, wegen der größeren Nähe nach Augsburg, während des Reichstags in Coburg auf. Die Versuche Johanns, in Nürnberg Geleit und Aufnahme für die Dauer des Reichstags zu erwirken, waren zuvor gescheitert. Vgl. dazu Theodor KOLDE, Nürnberg und Luther vor dem Reichstage zu Augsburg 1530, in: BRIEGER, Kirchengeschichtliche Studien (wie Anm. 103), S. 251–263. 109 Vgl. CR 2, S. 105, Nürnberger Gesandte an Bürgermeister und Rat, 15. Juni 1530. Die lateinische Version unterzeichneten schließlich bis zur Verlesung: Kurfürst Johann und sein Sohn Johann Friedrich, Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach, Landgraf Philipp von Hessen, Herzog Ernst von Lüneburg, Herzog Franz von Braunschweig-Lüneburg, Fürst Wolfgang von Anhalt sowie die Städte Nürnberg und Reutlingen.
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Einigung in der Religionsfrage zustande kommen sollte. Nach der öffentlichen Verlesung der Confessio Augustana am 25. Juni 1530 sollte diese durch vom Kaiser bestellte Gelehrte beantwortet sowie für Missbräuche und Gravamina ein Ausschuss eingesetzt werden.110 Als am 3. August mit der Confutatio endlich die Antwort der Katholischen auf das evangelische Bekenntnis vorlag, konnte man in die eigentlichen Religionsgespräche eintreten, wozu ein paritätisch besetzter Vierzehnerausschuss einberufen wurde, dem Herzog Johann Friedrich, Melanchthon und Gregor Brück angehörten.111 Die Gespräche gerieten jedoch bald ins Stocken und auch innerhalb des evangelischen Lagers häuften sich die Unstimmigkeiten, da Nürnberg, Reutlingen, Hessen und Lüneburg die mehrheitlich von Kursachsen und Brandenburg-Ansbach eingebrachten Vermittlungsvorschläge als zu weitgehend empfanden und sich durch Alleingänge und fehlende Rücksprachen übergangen fühlten.112 Auch wenn Johann versuchte, die Verhandlungen zu retten, indem er befahl, über die bisherigen Zugeständnisse nicht mehr hinauszugehen, führte die große Kompromissbereitschaft Melanchthons schließlich dazu, dass die Spannungen im evangelischen Lager so groß wurden, dass Johann beschloss, keinen weiteren Gesprächen mehr zuzustimmen. Ohne Zweifel hatte Johann lange Zeit hinter Melanchthon gestanden,113 doch die schroffe Ablehnung, welche die Verbündeten den Plänen des kursächsischen Theologen entgegenbrachten, zwangen ihn, Melanchthon Einhalt zu gebieten. Denn jedes weitere Entgegenkommen hätte die Einheit der Evangelischen, die mit der Entscheidung, die Zwinglianer auszuschließen, ohnehin bereits zerbrochen war, weiter gefährdet. Folgerichtig bat Johann am 31. August beim Kaiser um die Erlaubnis, Augsburg verlassen zu dürfen.114 Doch zahlreiche diplomatische Initiativen von katholischer Seite verzögerten diese noch bis zum 23. September, ohne dass es dabei zu einer Einigung gekommen wäre.115 Die Räte, die Johann in Augsburg zurückließ, wurden aus110 Vgl. KOHNLE, Reichstag und Reformation (wie Anm. 9), S. 383 f. 111 Vgl. zur Zusammensetzung des Ausschusses FÖRSTEMANN, Urkundenbuch (wie Anm. 101), Bd. 2, Nr. 143, Eugène HONÉE, Der Libell des Hieronymus Vehus zum Augsburger Reichstag 1530, Münster 1988, S. 56 f. 112 Die noch sehr vorsichtig formulierte Kritik der Nürnberger in CR 2, 301 f., 23. August 1530. „Und wir finden in summa, dass Sachsen und Marggraf entlich gern vertragen und vergleicht sein wollten. Was sie dazu verursacht, können wir nicht wissen. Gott gebe seine Gnad, dass es mit gutem Gewissen sein möge.“ 113 Noch am 30. August hatte sich Johann, wie auch Markgraf Georg und Herzog Ernst von Braunschweig-Lüneburg, mit dem besonders umstrittenen Zugeständnis Melanchthons nach Restitution der bischöflichen Gewalt einverstanden erklärt. Vgl. Melanchthons Briefwechsel (wie Anm. 88), Nr. 1053, Melanchthon an Joachim Camerarius, 31. August 1530. 114 Vgl. FÖRSTEMANN, Urkundenbuch (wie Anm. 101), Bd. 2, Nr. 170. 115 Zwar beteiligte sich Johann des Öfteren an den Beratungen, die auch in seiner Herberge stattfanden, die Federführung überließ er nun jedoch Markgraf Georg, um eine weitere Zuspitzung der negativen Stimmung im evangelischen Lager zu verhindern. Der Reichstags-
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schließlich zu Verhandlungen über einen friedlichen Anstand bis zu einem freien Konzil, auf dem alle theologischen Streitfragen geklärt werden sollten, ermächtigt.116 Die Bilanz dieses letzten, von Johann besuchten Reichstags, war ernüchternd. Nicht nur, dass der Dissens im evangelischen Lager nun öffentlich sichtbar geworden war, auch der Plan Johanns, sich in Anwesenheit des Kaisers mit den Katholischen auf eine Reform der Kirche zu einigen, war fehlgeschlagen. Nach der Abreise des sächsischen Kurfürsten gewannen darüber hinaus diejenigen Kräfte des Reichs die Oberhand, welche sich für einen repressiven Abschied einsetzten, sodass die endgültige Fassung des Reichstagsabschieds vom 19. November 1530 den reichsrechtlichen Zustand von 1521 wiederherstellte. Zwar versicherte der Kaiser, dass er keinen Religionskrieg anstrebe, verweigerte jedoch den Einschluss der Evangelischen in den Landfrieden gegen Zusicherung der Türkenhilfe und Zahlung der Reichsanschläge.117 So blieb ihnen nur die Totalverweigerung sämtlicher Beschlüsse des Reichstages.118 Allerdings ebnete die außerordentliche Gefahrenlage, die sich aus dem Reichstagsabschied und dem Streben des Kaisers ergab, möglicherweise unter Ausschluss Kurfürst Johanns, seinen Bruder Ferdinand zum römischen König wählen zu lassen,119 nun den Weg für ein evangelisches Verteidigungsbündnis. Zuvor ließ jedoch Kurfürst Johann die Wittenberger Theologen zur Rechtmäßigkeit eines Widerstandsrechts gegen den Kaiser befragen. Da alle seit dem Augsburger Reichstag durchgespielten Szenarien stillschweigend ein Recht auf Widerstand gegen den Kaiser voraussetzten,120 drängte man Luther und seine
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abschied, der am 22. September 1530 vorgetragen wurde gedruckt bei HONÉE, Der Libell des Hieronymus Vehus (wie Anm. 111), S. 347–352 sowie bei FÖRSTEMANN, Urkundenbuch (wie Anm. 101), Bd. 2, Nr. 206. Vgl. ebd., Nr. 217. Als Bevollmächtigte Johanns wurden die Räte Graf Albrecht von Mansfeld, Hans von der Planitz, Christoph von Taubenheim und Hans von Dolzig zurückgelassen. Vgl. zu den Verhandlungen über den Einschluss einer solchen Landfriedensklausel ebd., Nr. 255–263. Vgl. ebd., Nr. 298, Endliche Antwort der Botschaften und Räte der evangelischen Fürsten und ihrer Verwandten auf die kaiserlicher Antwort, 12. November 1530. Kurze Zeit später reisten die kursächsischen Räte schließlich aus Augsburg ab, nachdem sie nach Übergabe der obigen Schrift nicht noch einmal, wie sie erwartet hatten, zum Kaiser gebeten wurden. Am 17. November 1530 berichteten sie dem Kurfürsten bereits aus Nürnberg von ihrer Abreise. Vgl. ebd., Nr. 304. Ebd., Nr. 302, Johann an Hans von der Planitz, 15. November 1530. In diesem Schreiben spricht Johann erstmals klar die Befürchtung aus, dass man ihm aufgrund seiner Religion die Kurwürde streitig machen könnte. Damit befand er sich in einer ähnlichen Lage wie sein Bruder Friedrich der Weise bereits 10 Jahre zuvor, als ebenfalls das Gerücht von der Aberkennung der Kurwürde ging. Vgl. FABIAN, Die Entstehung des Schmalkaldischen Bundes (wie Anm. 33), S. 114 f., zu einem Gutachten Hans von Dolzigs an Kurprinz Johann Friedrich vom 30. September
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Kollegen, ihr Votum ebenfalls in diesem Sinne abzugeben. So legten die Räte ihnen einen „zetel“ mit einem Verzeichnis der Fälle vor, in denen nach dem positiven Recht die Ausübung des Widerstands gestattet war. Luther erarbeitete daraufhin eine Erklärung, in der er zwar nach wie vor auf die Pflicht zum Gehorsam gegenüber dem Kaiser aus theologischer Sicht verweist, jedoch Rechtsbestimmungen, die ein Widerstandsrecht erlauben, anerkennt. Dem Druck der kursächsischen Räte gelang es zwar nicht, eine theologische Sanktionierung des Widerstandrechts zu erreichen, Luther gestand ihnen jedoch die Kompetenz in dieser Frage zu.121 Damit war der Weg frei, um erneut in Bündnisverhandlungen eintreten zu können, wozu Johann alle protestations- und appellationsverwandten Stände samt den Städten, die den Augsburger Reichstagsabschied nicht angenommen hatten, sowie die Mitglieder des Magdeburger Bundes auf den 22. Dezember 1530 nach Schmalkalden einlud.122 Auch wenn inzwischen belegt ist, dass Johann und seine Räte noch in Schmalkalden das Ziel verfolgten, eine Bekenntnisgemeinschaft auf der Basis der sächsischen Konfession zu formen,123 so zwangen die Umstände den Kurfürsten jedoch, einem Bündnisentwurf zuzustimmen, der die Bekenntnisfrage offenließ und damit der Bündnisfrage nachordnete.124 Für Kurfürst Johann war die Tagung in Schmalkalden im Dezember 1530 das einzige und letzte Treffen der Bündner, an dem er persönlich teilnahm. Danach vertraten ihn stets Herzog Johann Friedrich und seine Räte. Auch wenn der Kurprinz vor allem in der Anfangszeit streng an die Instruktionen Johanns gebunden war, so ist doch der Schmalkaldener Bund viel stärker mit seiner Per-
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1530 sowie ThHStAW, Reg. 48, Bl. 129–143, „Ratschlag eines ungefarlichen Bedenckens notturfftiger und verursachter bestellung auff den ungnedigen kay. m. abschied zu Augsburg […], unsern heiligen glauben belangend“, eine Zusammenfassung aller Vorschläge durch Gregor Brück. Ausführlich dazu WOLGAST, Die Wittenberger Theologie (wie Anm. 16), S. 173–180. Johann wurde von den Räten Gregor Brück, Hans von der Planitz, Albrecht von Mansfeld und dem Kanzler Christian Beyer begleitet. Die sonst mit diesen Angelegenheiten betrauten Räte Hans von Dolzig, Hans von Minkwitz, Christoph von Taubenheim und Christoph Groß hielten sich zeitgleich mit Kurprinz Johann Friedrich in Köln auf, um gegen die Wahl Ferdinands zum römischen König zu protestieren. Vgl. MENTZ, Johann Friedrich der Großmütige (wie Anm. 96), I, S. 76. Vgl. dazu Gabriele HAUG-MORITZ, Der Schmalkaldische Bund, 1530–1541/42, Leinfelden-Echterdingen 2002, S. 133–135. Mit dem Beleg, dass es Kurfürst Johann und seine Räte waren, die nach der Bekenntniseinheit strebten, widerlegt Haug-Moritz die These Ekkehart Fabians, dass es der Ansbachsche Kanzler Georg Vogler gewesen wäre, der noch nach dem Ausscheiden aus den Bündnisverhandlungen auf die Bekenntnisfrage gedrungen habe. Der Abschied vom 31. Dezember 1530 ist gedruckt bei: Ekkehart FABIAN, Die Schmalkaldischen Bundesabschiede 1530–1532, Tübingen 1958, S. 11–23, hier S. 12.
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son verknüpft, als mit der seines Vaters, weshalb ich an dieser Stelle auf die Beschreibung der weiteren Ausgestaltung des Bündnisses verzichten möchte.125 Währenddessen hielt Johann trotz des Bündnisschlusses daran fest, auch weiterhin mit dem Kaiser Ausgleichsverhandlungen zu führen, um doch noch zu einem Friedensschluss zu kommen.126 Insbesondere zwischen Oktober 1531 und Februar 1532 wurden in „exklusiver mainzisch-sächsischer Kooperation“ sowohl die Inhalte der künftigen Verhandlungen besprochen und die eigenen Positionen abgesteckt, als auch festgelegt, dass die Religionsverhandlungen getrennt von den Verhandlungen des nächsten Reichstags geführt werden sollten.127 Bei den dann durch Kursachsen anberaumten Verhandlungen in Schweinfurt und Nürnberg zeigte sich wiederum, wie schwierig es war, einen Konsens auszuloten, mit dem sich sowohl die katholische Mehrheit als auch alle evangelischen Stände einverstanden zeigten. Erneut führte die kursächsische Kompromissbereitschaft, die diesmal weniger durch die Verhandlungsführer Johann Friedrich und Gregor Brück, sondern durch den krankheitsbedingt daheim gebliebenen Kurfürsten und Martin Luther getragen wurde, zu Uneinigkeit im evangelischen Lager. Schließlich einigte man sich mit dem Nürnberger Anstand auf einen Minimalkonsens, in dem ein allgemeiner Landfrieden und die Einstellung aller Religionsprozesse festgelegt wurden.128 Der ursprünglich angestrebte Friedensvertrag, der das Zusammenleben der Konfessionsparteien durch genau formulierte Einzelbestimmungen gesetzlich bis zu einem Konzil regeln sollte, kam dagegen nicht zustande. Trotzdem konnte der Nürnberger Anstand, der in den letzten Lebenstagen Johanns ohne sein Zutun zustande kam, ihm eine Genugtuung sein. Denn insgesamt hatten sich seine und die Meinung der Wittenberger Theologen durchgesetzt, die historische Chance zum Friedensschluss mit dem Kaiser zu nutzen, ohne die Königswahl Ferdinands anerkennen zu müssen. Dass man im Gegenzug die geforderte Türkenhilfe leistete, schien dabei nur allzu selbstverständlich.129 125 Vgl. dazu ausführlich HAUG-MORITZ, Der Schmalkaldische Bund (wie Anm. 123) sowie MENTZ, Johann Friedrich der Großmütige (wie Anm. 96), Bd. I und II. Bis zu seinem Tod spielte jedoch die Bekenntnisfrage stets eine Rolle bei den Verhandlungen, insbesondere als man über die Aufnahme der Schweizer Städte Zürich, Bern und Basel verhandelte. 126 Vgl. RTA, Bd. 3, 10,1, S. 103–106, 110–114. 127 Gabriele HAUG-MORITZ, Zwischen Kooperation und Konfrontation – Der Schmalkaldische Bund und seine Führungsmächte, in: Der Schmalkaldische Bund und die Stadt Schmalkalden, hg. vom Verein für Schmalkaldische Geschichte und Landeskunde e. V., Schmalkalden 1996, S. 89–99, hier S. 93. 128 RTA, Bd. 3, 10,3, S. 1511–1517, Abschied der Nürnberger Verhandlungen – Nürnberger Anstand – 24. Juli 1532. 129 Obwohl die Türkenhilfe von den meisten evangelischen Ständen als Druckmittel für die Aufrichtung eines allgemeinen Friedens benutzt wurde, stand auch für Kursachsen bereits
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Kurfürst Johann war als erster Fürst überhaupt gezwungen, klare Entscheidungen für den Fortgang und die Verteidigung der reformatorischen Bewegung zu treffen. All dies musste noch dazu in verhältnismäßig kurzer Zeit geschehen. Insofern sah er sich Aufgaben gegenüber, die sich so weder seinem Vorgänger noch seinem Nachfolger gestellt hatten noch stellten, derer sich Johann aber bewusst, zielstrebig und engagiert annahm. Nichtsdestotrotz waren schnelle und ungestüme Entscheidungen, wie sie etwa ein Philipp von Hessen traf, die Sache Johanns nicht, alles wurde sorgfältig abgewogen, so holte er stets zahlreiche Gutachten seiner Räte ein, bevor er sich entschied. Zweifelsohne verzögerte sich dadurch manche Entscheidungsfindung, insbesondere in den letzten Regierungsjahren trat auch eine gewisse Behäbigkeit des Fürsten selbst hinzu. Sein Handeln stützte sich auf feste Leitlinien, wobei ihm die Ausrichtung am Evangelium und an der von den Wittenberger Theologen vertretenen Lehre besonders wichtig waren. Daneben spielten die Friedenssicherung und das Bestreben danach, möglichst den Bruch mit dem Kaiser zu vermeiden, die entscheidende Rolle. Dabei stützte er sich auf erfahrene Räte, welche den sächsischen Kurfürsten teilweise über Jahrzehnte zur Seite standen. Als herausragendes Beispiel ist hier Gregor Brück zu nennen, der die reichspolitischen Geschicke Johanns wie kein Zweiter beeinflusste und darüber hinaus eine Schlüsselstellung in der Kommunikation zwischen Politikern und Theologen einnahm. Dass Brück dabei zum Impulsgeber für so manche Entscheidung des Kurfürsten wurde, steht außer Frage, sollte aber nicht zu der Annahme verführen, dass Johann in völliger Abhängigkeit davon agierte. Ebenso wenig trifft dies auf die Voten der Wittenberger Theologen zu, die Johann seit 1528 regelmäßig auch in scheinbar rein politischen Fragen einholte. Es erscheint nur allzu menschlich, dass beim Kurfürsten das Bedürfnis bestand, sich bei prinzipiellen Entscheidungen dahingehend abzusichern, dass diese sich im Einklang mit dem Evangelium befanden. Dass sich die Empfehlungen der theologischen Gutachten und die meist bereits beschlossene politische Linie dabei häufig überschnitten, mag einerseits darin begründet liegen, dass die kursächsische Politik allgemein selten Extrempositionen vertrat und eher zur Zurückhaltung neigte, sowie andererseits daran, dass man die Wittenberger Theologen im Vorfeld zumindest teilweise mit den politischen Gegebenheiten bekannt machte und damit in gewisser Weise die Richtung der Gutachten determinierte.130 War jedoch keine theologische Sanktionie-
vor Abschluss der Verhandlungen fest, dass man diese gewähren würde. Schon Anfang Juni 1532 riet Johann Friedrich dem Vater, im Angesicht der näher rückenden Türken Rüstungsmaßnahmen vorzunehmen. Vgl. RTA, Bd. 3, 10,3, S. 1439–1442, 9. Juni 1532. 130 Diese Aufgabe übernahm meist Gregor Brück, der an der politischen Entscheidungsfindung erheblichen Anteil hatte. Darüber hinaus sieht sich der Historiker in diesem Zusammenhang auch mit der Problematik konfrontiert, ob wir überhaupt alle Gutachten Luthers
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rung durch Luther zu erreichen, scheute man sich auch nicht, dessen Votum zu verwerfen, beziehungsweise ein genehmeres herbeizuführen, wie beim Widerstandsrecht 1530. Nichtsdestotrotz fand Luthers Stimme beim Kurfürsten immer ein offenes Ohr, zumal Johann ihm, nachdem er sich auf die orthodoxe lutherische Lehre, festgelegt hatte, in Glaubensfragen die absolute Autorität einräumte. Politisch war sich Johann seiner Verantwortung und Macht, die ihm als einer der einflussreichsten Männer des Reichs und als wichtigster evangelischer Fürst zukam, durchaus bewusst.131 Einerseits wusste er, dass alle Schritte, die er tat, von besonderem Gewicht waren, andererseits eröffnete ihm die Kurwürde, insbesondere in Verhandlungen mit dem Kaiser, Spielräume, die sich einem Philipp von Hessen als Landgrafen nicht boten. Aber nicht zuletzt die Partnerschaft mit ihm bestimmte die kursächsische Politik in der Bündnisfrage entscheidend. Es ist fraglich, ob der Widerstand Johanns gegen die Einbeziehung der zur Lehre Zwinglis neigenden Städte ohne die Packschen Händel derart groß gewesen wäre, allerdings erscheint es auch mehr als zweifelhaft, ob es ohne einen drängenden Philipp von Hessen jemals einen Schmalkaldischen Bund gegeben hätte. So lässt sich zusammenfassend sagen, dass Johann in den sieben Jahren seiner Regierung als Kurfürst der Reformation in Kursachsen und im Reich ein sicheres Fundament geschaffen hat, unter Nutzung der Erfahrung seiner juristischen Räte, der Autorität der Wittenberger Theologen sowie seiner Machtposition innerhalb des Reichs.
und seiner Kollegen kennen. Immerhin wäre es auch möglich, dass diejenigen Voten, die dem politisch Angestrebten völlig zuwider liefen, einfach vernichtet wurden. 131 So beruhten zahlreiche Kompromissvorschläge, die den Evangelischen durch die Ständemehrheit auf den Reichstagen unterbreitet wurden, häufig auf einem Entgegenkommen an Kurfürst Johann. Ebenso empfanden die evangelischen Stände ein Verteidigungsbündnis, an dem Kursachsen nicht beteiligt wäre, als sinnlos.
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Die Entwicklung der Visitationen als Mittel zur Durchsetzung der Kirchenreformation in Kursachsen „Es ist eyn reformatio vorhanden, gott gebe, das sie zu seyner ehre reyche.“,1 schrieb Philipp Melanchthon am 3. Februar 1522 hoffnungsfroh an den kurfürstlichen Rat Hugold von Einsiedel. Er bezog sich dabei auf die vom Wittenberger Rat in Abstimmung mit proreformatorischen Kräften der Universität und des Stiftskapitels erarbeitete neue Stadtordnung, die am 24. Januar 15222 in Kraft gesetzt wurde. Die aufstrebende ernestinische Residenzstadt Wittenberg hatte sich damit neben der Stadtordnung auch ihr eigenes Kirchenrecht gegeben und die Wirksamkeit des kanonischen Rechts und die Verwaltungsstrukturen der mittelalterlichen Kirche auf ihrem Gebiet faktisch außer Kraft gesetzt. Die politische Umsetzung reformatorischer Ideen hatte begonnen.
Politische Reformen und Beginn der Reformation Eine „reformatio“, eine Erneuerung nicht nur der Kirche, sondern der gesellschaftlichen Zustände insgesamt wünschten sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts viele Menschen, weil – wie durch die Stände auf dem kursächsischen Landtag in Jena 1518 festgestellt wurde – die „land und leuth teutszcher nation nu etwo vil jar merkliche beswerung und nachteil an leib und gut […] entpfangen und geliden haben.“3 Im Kurfürstentum Sachsen, das damals unter der Regierung des Kurfürsten Friedrichs des Weisen und seines Bruders, Herzog Johann von Sachsen, stand, beklagten die Stände Rechtsunsicherheit durch willkürliche Rechtsprechung, Unregelmäßigkeit der Tagungen des Oberhofgerichtes und Willkürlichkeit in seinen Entscheidungen sowie fehlende Regelungen in allen 1
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Philipp Melanchthon an Hugold von Einsiedel, 3. Februar 1522, Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv (im Folgenden: ThHStAW, EGA), Reg. O 229, Bl. 104r, ed.: Melanchthons Briefwechsel. Kritische und kommentierte Gesamtausgabe, hg. v. Heinz SCHEIBLE, Band T 1: Texte 1–254 (1514–1522), S. 433–434, Nr. 209. Vgl. Emil SEHLING, Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Erste Abtheilung: Sachsen und Thüringen nebst angrenzenden Gebieten, 1. Hälfte: Die Ordnungen Luthers. Die ernestinischen und albertinischen Gebiete (im Folgenden: EKO 1,1), S. 697 f., Nr. 160. C[arl] A[ugust] H[ugo] BURKHARDT, Ernestinische Landtagsakten, Bd. I: Die Landtage von 1487–1532, Jena 1902 (im Folgenden: ELA), S. 130; ThHStAW, EGA, Reg. Q 17, Bl. 105r.
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Bereichen des Lebens. Außerdem ärgerten sie sich über Preiswillkür, ungleiche Maße und Gewichte sowie ständige Überfälle aus benachbarten Gebieten, denen die Einwohner ungeschützt ausgesetzt waren.4 Die Fürsten versprachen zwar Abhilfe, gingen die Lösung der Probleme aber eher bedächtig an. Reichlich vier Jahre später, im Mai 1523, als sie zum wiederholten Male die Landstände um die Bewilligung von Steuern bitten mussten, befassten sie sich endlich mit den Beschwerden der Stände – vor allem wohl, weil sie um deren Zustimmung zur beabsichtigten Abgabe fürchteten. Allerdings hatte sich die Gesamtsituation inzwischen verschärft. Zu den bekannten Gebrechen war eine ganze Reihe weiterer getreten. Erstmals beschwerten sich in Altenburg vor der Ständeversammlung Geistliche über Eingriffe in ihren Jurisdiktionsbereich, weil ihre Untertanen vor weltliche Gerichte gefordert und von diesen mit Strafe belegt würden. Außerdem zeigten sie an, dass sie „manchfeldig spott, vorachtung, wort, werck und hantadt leiden und erdulden, darzu tagk und nacht in fhern und ferlikeit leib und lebens stehen und gewertigk sein mussen.“5 Ferner trugen sie vor, dass „an villn ortern unfermlicher aufrurlicher lere“ verkündet würde und Prediger „unzcimliche schmehe und scheltwort […] uf den cantzeln […] uber die geistlichen ausgehen“ lassen.6 Sie vermissten den ausreichenden Schutz ihrer Landesfürsten gegen derartige Übergriffe. Aber auch die Ritterschaft beklagte sich und setzte „die artickel zu gotlichem lob und ere“ an den Beginn ihrer Forderungen. Zunächst stellten sie die Freiheit des Glaubens fest, zu dem niemand gedrängt oder daran gehindert werden dürfe. Weiter konstatierten sie „die offentliche widerwertigkeit mit gebot und vorbot gegen denjenigen, ßo sich zu gotlichem reynen worth bekennen“ und baten um „christlichen schutz und schirm“ für diese Personen. 7 Diejenigen Prediger aber, die wider gottes worth ire lehre furwenden in irthumb des glaubens und und christlicher liebe, auch zu einfurung unchristlicheß gehorsams, ergernus und widerwillens des gemeynen unvorstendigen mans in aufrur zu bewegen
trachten, sollten zunächst belehrt und ermahnt werden. Blieb das ergebnislos, sollten sie mit Predigtverbot belegt und bestraft werden. Die Kontrolle darüber wollte die Ritterschaft vor allem bei den Amtleuten und dem Adel wissen, aber auch die Bischöfe sollten dazu angehalten werden. Weiterhin wurde gefordert, alle Gemeinden mit einem christlichen Prediger zu versorgen. Die geistlichen Lehen in Orten ohne Pfarrer oder Seelsorger sollten dem Landesherrn zur Kenntnis gebracht und deren Verwendung zunächst bis zu einem in Kürze erwarteten Konzil ausgesetzt werden, in der Hoffnung, dass die Einkünfte daraus 4 5 6 7
Ebd. S. 132–134; ThHStAW, EGA, Reg. Q 17, Bl. 58r–73v. ThHStAW, EGA, Reg. Q 18, Bl. 128v. Ebd. Ebd., Bl. 105r.
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dann zur notdürftigen Versorgung von „elenden und durfftigen“ verwendet werden könnten. Große Sorge bereitete der Ritterschaft „die unwesenheit mit den unschicklichen, unerbarn und unnotturfftigen außlauffen der geistlichen in clostern“ und sie forderte eine Beratung über Wege, um daraus resultierendes „unchristlich ergernus“ zu verhüten.8 Neben diesen, religiöse und geistliche Angelegenheiten betreffenden „Gebrechen“ kamen in Altenburg wiederum die im Lande herrschende Rechtsunsicherheit durch Gerichts- und Beamtenwillkür sowie durch Besetzung der Beamtenstellen mit nicht ausreichend gebildeten Personen und fehlende Regelungen beispielsweise für die peinliche Gerichtsbarkeit, außerdem die wirtschaftliche Belastung der Untertanen durch allerlei Abgaben, auch die Uneinheitlichkeit von Maßen und Gewichten, das Wildern von Bauern und Bürgern in den Jagdgebieten des Adels, die Klage städtischer Handwerker über zunehmende Konkurrenz durch handwerklich tätige Bauern zur Anzeige. Insgesamt benannten die Stände 1523 auf dem Altenburger Landtag 37 Beschwerdepunkte, denen abgeholfen werden sollte.9 Sie sind signifikant für die unsichere und instabile Lage im gesamten Kurfürstentum. War die Situation durch den territorialen Landesausbau der Ernestiner, für den große Geldmengen benötigt wurden und der sehr oft zu Lasten der anderen Herrschaften ging, ohnehin schon angespannt, hatte ein sich ausbreitendes neues Religionsverständnis für weitere Verunsicherung gesorgt. Der Wittenberger Theologieprofessor Martin Luther hatte nach seinem Widerspruch gegen die Ablasspraxis des Mainzer Erzbischofs Albrecht und vor allem nach seinem mutigen Auftreten vor dem Wormser Reichstag eine Vielzahl von Anhängern in allen Schichten der Bevölkerung gewonnen. Seine Lehre von der Rechtfertigung des Menschen allein aus der Gnade Gottes schien vielen plausibel und eröffnete ihnen zudem die Möglichkeit, das für den Erlass zeitlicher Sündenstrafen und anderer, angeblich heilbringender guter Werke aufgewendete Geld anderen Zwecken zuzuführen. Allerdings interpretierten sie Luthers Erkenntnis, dass es, um zu Gottes Gnade zu gelangen keines Vermittlers bedürfe, dahin gehend, dass sie nun auch den Predigern keine Abgaben mehr leisteten.10 Die Kirche und ihre Diener waren heftig in die Kritik geraten, die durch Störungen der Messe, aber auch durchaus handgreiflich geübt werden konnte, wie die Klagen der Geistlichen zeigen.
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Ebd., Bl. 106r. Vgl. ThHStAW, EGA, Reg. Q 19, Bl. 22r–23v. Martin Luther klagte am 31. Oktober 1525: „Da gibet niemand, da bezalet niemand, opffer und seelpfennige sind gefallen, Zinse sind nicht da odder zuwenig, so acht der gemein man widder prediger noch pfarrer […]“ vgl. ThHStAW, EGA, Reg O 369, Bl. 2v, ed.: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Briefwechsel (im Folgenden: WA Br), Weimar 1931, 2, Nr. 937, S. 959.
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Die Ernestiner gehörten zu den ersten Reichsfürsten, die der lutherischen Lehre einen Schutzraum boten, sie förderten und sie schließlich in politische Praxis umsetzten. Von den weltlichen wurde 1523 ebenso wie von geistlichen Ständen das Eingreifen der weltlichen Obrigkeit gefordert. In dieser Situation des allgemeinen Umbruchs sahen sich die Ernestiner vor die Herausforderung gestellt, neue Herrschaftsinstrumente zu entwickeln, um den Frieden im Land zu erhalten und das Wohl ihrer Untertanen zu sichern. Konnten die beiden regierenden Fürsten den rein weltlichen Gebrechen noch durch entsprechende Regelungen, Einsetzung von fähigen Beamten und auch durch eigenes Eingreifen abhelfen, waren sie in geistlichen Dingen unsicher. In der Beurteilung religiöser Angelegenheiten hielten sie sich zurück. Besonders Kurfürst Friedrich der Weise betonte immer wieder, dass er als Laie nicht in der Lage sei, Entscheidungen in Glaubensfragen zu treffen. In religiösen und theologischen Angelegenheiten verließ er sich auf die Sachkenntnis der Professoren der Wittenberger Universität. Anders als seine Vorgänger gestand er die Deutungshoheit auf diesem Gebiet nicht mehr Papst, Bischof oder Orden zu, sondern wies sie an die Professoren der Leucorea. Die Wahrheit wurde nicht mehr durch das kirchliche Dogma erklärt, sondern in der Disputation unter den Gelehrten gefunden.11 Die Friedrich dem Weisen nachgesagten Eigenschaften der Bedächtigkeit, des unbedingten Friedenswillens und der Gerechtigkeit werden auch bei der Behandlung von Fragen der Religionsausübung in seinem Territorium deutlich. Veränderungen im Kirchenwesen blieben während seiner Regierungszeit lokal begrenzt und in der Regel voneinander isoliert. Eine Neuordnung, die auf eigenverantwortlicher Regelung des kirchlichen Lebens durch die Gemeinden beruhte, konnte sich nicht durchsetzen. Neben Kurfürst Friedrich dem Weisen war es unter den Reichsfürsten vor allem sein Bruder Johann der Beständige, der sich schon früh der Reformation annahm und sich, anders als sein Bruder, öffentlich zu ihr bekannte. Er hatte nach der Mutschierung im November 151312 seit 1514 in Weimar einen größeren Hof etabliert, von dem aus er die ernestinischen Gebiete in Thüringen, Franken und im Vogtland regierte. Dabei konnte er einerseits auf eine entwickelte Ämterstruktur zurückgreifen, andererseits wurde er von seinen ständig am Hof anwesenden Räten und durch in der Lokal- und Zentralverwaltung er11 12
Vgl. dazu ausführlicher: Natalie KRENTZ, Ritualwandel und Deutungshoheit. Die frühe Reformation in der Residenzstadt Wittenberg (1500–1533), Tübingen 2014, bes. S. 125– 136 und 176. Zur Mutschierung vgl. Ernst MÜLLER, Die Mutschierung von 1513 im ernestinischen Sachsen, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte 14 (1987), S. 173–182; Jörg ROGGE, Herrschaftsweitergabe, Konfliktregelung und Familienorganisation im fürstlichen Hochadel. Das Beispiel der Wettiner von der Mitte des 13. Jahrhunderts bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S. 290–301.
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fahrene Adlige und juristisch gebildete Bürger unterstützt. Nicht wenige von ihnen standen der reformatorischen Bewegung nicht nur aufgeschlossen gegenüber, sondern beförderten diese in Städten und Gemeinden kräftig.13 Entgegen bisheriger Auffassungen wird man davon ausgehen können, dass sich Luthergegner zwar möglicherweise noch am Weimarer Hof befanden, diese aber in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts keinen maßgeblichen Einfluss mehr auf den Herzog hatten. Die Mehrzahl der Räte und Berater, mit denen sich der Herzog umgab, war proreformatorisch eingestellt.14 Er selbst hatte sich schon sehr früh für die lutherischen Anschauungen interessiert. Während Friedrich in den Schriften des Wittenberger Professors, die er seinem Bruder regelmäßig zuschickte, „fyl seltczames dynges“ fand15, setzte sich Johann mit Luthers Auffassungen auseinander und machte sie auch seinem Sohn Johann Friedrich zugänglich. Der Kurprinz bekannte sich ebenfalls zu Luther und vertrat dessen Auffassungen offensiv, teilweise sogar gegen seinen Vater. Thüringen, das zum Verwaltungsbereich Herzog Johanns gehörte, war in den frühen 1520er Jahren zu einem Schnittpunkt verschiedener Reformationsvorstellungen und -konzepte geworden, mit denen sich der Fürst auseinanderzusetzen hatte.16 In Weimar war neben den proreformatorischen Hofräten, zu denen Luthers Freund Johann Rietesel gehörte, seit etwa 1520 der aus Zwickau stammende Wolfgang Stein17 als Hofprediger tätig und ein enger Vertrauter Herzog Johanns. In Eisenach war der mit Wolfgang Stein bekannte Jakob Strauß seit 1523 Prediger an der Georgenkirche und prägte mit seinen sozial ausgerichteten Reformationsvorstellungen dort den Widerstand gegen die in dieser Gegend sehr zahlreich vorhandenen geistlichen Einrichtungen und ihre 13
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So holte beispielsweise der fürstliche Rat Anarg von Wildenfels den Franziskanermönch Johann Voit, der im Weimarer Kloster wegen seiner lutherischen Einstellung in Gefahr war, in seine Herrschaft Ronneburg und setzte ihn als Prediger in der Ronneburger Marienkirche ein. Vgl. Otto CLEMEN, Johannes Voit, Franziskaner zu Weimar, erster evangelischer Pfarrer zu Ronneburg, in: DERS., Kleine Schriften zur Reformationsgeschichte (1897–1944), hg. v. Ernst KOCH, Band III (1907–1911), Leipzig 1983, S. 276–285. Vgl. Dagmar BLAHA, Die Struktur des Weimarer Hofes unter Herzog Johann von Sachsen, in: Christopher SPEHR/Michael HASPEL/Wolfgang HOLLER (Hg.), Weimar und die Reformation. Luthers Obrigkeitslehre und ihre Wirkungen, Leipzig 2016, S. 44–58. ThHStAW, EGA, Reg. N 17, Bl. 6r; ed.: Carl E. FÖRSTEMANN, Neues Urkundenbuch zur Geschichte der evangelischen Kirchen-Reformation, Bd. 1, Hamburg 1842, S. 2. Vgl. Joachim BAUER, Reformation und ernestinischer Territorialstaat in Thüringen, in: Jürgen JOHN (Hg.), Kleinstaaten und Kultur in Thüringen vom 16. bis 20. Jahrhundert, Weimar/Köln/Wien 1994, S. 36–73, hier S. 42; DERS., Die Bedeutung der kursächsischen Visitationen zwischen 1525 und 1531 für die Neuordnung des Kirchenwesens, in: Dagmar BLAHA/Christopher SPEHR (Hg.), Visitation vor Ort. Zum Quellenwert von Visitationsprotokollen, Leipzig 2016, S. 57–72, hier S. 61. Vgl. zu Stein: Otto CLEMEN, Wolfgang Stein aus Zwickau, Hofprediger in Weimar und Superintendent in Weißenfels, in: DERS., Kleine Schriften zur Reformationsgeschichte (1897–1944), hg. v. Ernst KOCH, Band V (1922–1932), Leipzig 1984, S. 305–312.
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Diener.18 Er war es auch, der dem Fürsten die Einberufung einer Disputation zwischen den Theologen über ihre unterschiedlichen Auffassungen empfahl, damit die verschiedenen Ansätze und Denkmuster ausdiskutiert werden konnten. In Orlamünde versuchte Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, ein auf einem Laienchristentum basierendes Reformmodell umzusetzen, dessen wesentliche Elemente die Entfernung von bildlichen Darstellungen aus der Kirche, die Abschaffung des Zehnten, das gemeinsame Gespräch in der Gemeinde zur Auslegung der Bibel, die Aufschiebung der Säuglingstaufe und die Feier des Abendmahls in beiderlei Gestalt waren. Thomas Müntzer, der um Ostern 1523 Pastor in der Johanniskirche in Allstedt wurde, vertrat die radikalste Reformationsauffassung. Er forderte die ernestinischen Fürsten auf, den reformatorischen Erneuerungen nicht im Wege zu stehen und sie notfalls mit Gewalt einzuführen. Sollten sie das nicht wollen oder können, werde ihnen das Schwert genommen werden. Damit stellte er die Daseinsberechtigung der Obrigkeit direkt infrage.19 Alle Genannten wirkten mit ihren Auffassungen prägend auf Herzog Johann, seine Herrschaftspraxis und seine Einstellung zur Reformation. In diesem Kontext ist aber auch unbedingt auf die Bedeutung Erfurts hinzuweisen. Die ganz in der Nähe der ernestinischen Residenz Weimar gelegene Stadt war ein wichtiger Druckort für reformatorische Schriften und gehörte in den 1520er Jahren zu den bedeutenden Zentren der Verbreitung reformatorischer Ideen. Auch der Weimarische Hof ließ in Erfurt drucken.20 Die Gelehrten der Universität, die Erfurter Kaufleute und Vertreter des Rates knüpften ein enges Netz intellektueller Verbindungen zwischen Erfurt und anderen Städten.21 Dies ist auch für die Beziehungen zum Weimarer Hof festzustellen. Der Jurist Johann von der Sachsen, einer der eifrigsten Verfechter der reformatorischen Bewegung und zudem Cousin des Erfurter Ratsmitglieds Jakob von der Sachsen war Rat am Weimarer Hof und dort wohl besonders als juristischer Berater und Übermittler von Informationen geschätzt. Der Weimarer Hofprediger Wolfgang 18 19 20
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Vgl. Joachim ROGGE, Der Beitrag des Predigers Jakob Strauß zur frühen Reformationsgeschichte, Berlin 1957. Thomas Müntzer, Schriften und Briefe. Kritische Gesamtausgabe, hg. v. Günther FRANZ unter Mitarbeit von Franz KIRN, Gütersloh 1968, S. 261. Vgl. z. B.: Ein Dialogus oder gesprech zwischen einem Prior/ leyenbruder vnd Bettler daz wort gottes belanget. Gemacht durch Baltasar Stanberger zu Weimar in dem Fürstlicheen schloß/ dem armen leyen zu trost.[1522]; Dialogus zwischen Petro vnd eynem Bawrn/ darinne angezeigt wurdt wie man auß Petro einen Juden gemacht hat/ vnd nie sie ken Roem kommen. Anno [et]c. XXiij.; Ein sendtbrieff Baltasar Stanber=ger von der lieb gotz vnnd des nechsten/ seinem geliebteun bruder von Weimar aus dem Furstlichen schloß zugeschickt gen Erffurdt. M.D.XXiij [alle Michael Buchführer]; Das man das lauter rein Euangelion/ on menschliche zu=satzunge pre=digen soll/ F[ue]rst=licher befehl zu Weymar be=scheen. M.D.XXV. [Melchior Sachse, d. Ä.]. Vgl. Bob SCRIBNER, Die Eigentümlichkeit der Erfurter Reformation, in: Ulmann WEIß (Hg.), Erfurt 742–1992: Stadtgeschichte–Universitätsgeschichte, Weimar 1992, S. 241–254.
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Stein und der Erfurter Reformator Johannes Lang kannten sich von gemeinsamen Studienzeiten in Erfurt und pflegten einen regen Austausch. In der Auseinandersetzung mit den Franziskanern über das Mönchsgelübde trat Lang 1522 in Weimar Augustin von Alfeld mit sieben Thesen zur christlichen Freiheit entgegen. Ihn begleiteten damals unter anderem Ägidius Mechler, erster evangelischer Pfarrer an der Erfurter Barfüßerkirche, und der Humanist Eobanus Hessus.22 Wolfgang Stein wiederum war nach dem plötzlichen Tod von Georg Petz zumindest nominell als Pfarrer für die Michaeliskirche in Erfurt vorgesehen, um die reformatorischen Kräfte in der Stadt zu verstärken.23
Die Entwicklung nach dem Bauernkrieg Die als Deutscher Bauernkrieg in die Geschichte eingegangene „Revolution des gemeinen Mannes“24 wirkte wie ein Katalysator auf die Kirchenreformation in Kursachsen. Sie führte den Ernestinern ihre tiefe Herrschaftskrise deutlich vor Augen. Ein Teil der Landeskinder konnte nur noch mittels Gewalt, deren Anwendung sowohl Friedrich als auch Johann von Sachsen widerstrebte, beherrscht werden. Aber auch etliche von Adel und die Städte schickten auf das Ausschreiben, gerüstet zu erscheinen, um gegen die Aufständischen zu ziehen, nur ein geringes oder schlecht bewaffnetes Aufgebot, manche auch gar keines.25 Sie verweigerten damit, rechtlich gesehen, dem Landesherrn ihre Gefolgschaft. Die künftige Herrschaftspraxis der Ernestiner musste nun darauf ausgerichtet sein, neue Bedingungen für ihre Privilegien als Landesherren auszuhandeln sowie die Regierbarkeit der Untertanen wieder herzustellen und auf Dauer zu sichern. Mit Johann von Sachsen stand nach dem Tod Friedrichs des Weisen ein Landesherr an der Spitze des Kurfürstentums, der in der Lage war, diese Aufgabe zu lösen. Er war sich völlig im Klaren darüber, „das man guter ordnung und regierung magelhaftig gestanden“ und dass hier dringender Handlungsbedarf bestand.26 Möglicherweise noch vor dem Tod Friedrichs, zwischen dem
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26
Vgl. Ernst MÜLLER, Martin Luther in Weimar, Weimar 1983, S. 25. Vgl. CLEMEN, Stein (wie Anm. 17), S. 307; Luther an Johann Rietesel, 29. Juli 1522, WA Br 2, S. 583, Nr. 525. Peter BLICKLE, Der Bauernkrieg. Die Revolution des Gemeinen Mannes, München 42012. Vgl. z. B. Schreiben Herzog Johanns an Kurfürst Friedrich, [30. April] 1525: „Ich wold gern reisige pferde haben, so ist nimantz gerust. Weim ich geschrieben habe, die bleiben der meren teil aus […]“ ThHStAW, EGA, Reg. N 821, Bl. 57v; ed.: Akten zur Geschichte des Bauernkrieges in Mitteldeutschland, Band II, hg. v. Walther Peter FUCHS unter Mitarbeit von Günther FRANZ, Jena 1942 (im Folgenden: AGBM II), Nr. 1242, S. 149–150. Vgl. ThHStAW, EGA, Reg. Rr pag. 353 Nr. 6.105, Bl. 20r.
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28. April und dem 22. Mai 1525,27 wurde ein umfangreicher Katalog von Reformanliegen vorgelegt, der sich deutlich an den von der Ritterschaft auf dem Altenbuger Landtag 1523 übergebenen Beschwerden orientierte. Neben den Problemen der Kirchenreformation, die am Anfang stehen, wurden eine Universitätsreform, Maßnahmen zur künftigen Verhinderung von Aufruhr, Ordnungen zum Erbrecht, für den fürstlichen Hof und die Ämter, das Hofgericht Wittenberg, die Bergwerke und die Münzen sowie eine Polizeiordnung und eine neue Landesordnung in Aussicht gestellt. Aber auch tagesaktuelle Fragen wie die Bewaffnung des gemeinen Mannes zur Abwehr von Überfällen, das Verhalten gegenüber Herzog Georg sowie die Abstimmung zwischen einzelnen Fürsten in Vorbereitung einer Zusammenkunft in Esslingen zur Vorbereitung des Reichstages in Augsburg wurden einer Beratung anheimgestellt. Eine Schlüsselposition unter den Reformanliegen nahm die Kirchenreformation und damit die Einbindung des Klerus in den sich entwickelnden Territorialstaat in Kursachsen ein. Für die Ritterschaft wie für die Aufständischen im Bauernkrieg war der Ruf nach christlichen Predigern, die das Evangelium lauter und rein predigten und sich eines christlichen Lebenswandels befleißigten, ein zentraler Punkt ihrer Forderungskataloge und stand häufig an erster Stelle, ebenso wie bei den von Johann beabsichtigten Reformen.28 Auch das Vorhaben, „die irrigen prediger austzürotten“ sahen sowohl der Kurfürst als auch die Ritterschaft als eine der vordringlichsten Aufgaben an.29 Die meisten Zeitgenossen sahen in den „aufrührerischen Predigern“ die Hauptverursacher des Aufruhrs im Frühjahr 1525. Deshalb widmete Herzog Johann diesem dringenden Problem besondere Aufmerksamkeit. Im August 1525, kurz bevor er seine Residenz von Weimar nach Torgau verlegte, rief er alle Prediger des Amtes Weimar30 in das Schloss. Am Morgen hörten sie Predig27
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ThHStAW, EGA, Reg. Rr pag. 353 Nr. 6.105, Bl. 10r–20v. Die Datierung auf [nach 28. April/vor 22. Mai] 1525 bestimmt sich durch die Erwähnung einer Fürstenzusammenkunft in Esslingen (Bl. 19v) zur Vorbereitung des Reichstages in Augsburg. Die Vorladung des Reichsregiments für den 22. Mai 1525 erhielt Friedrich am 28. April 1525 (vgl. ThHStAW, EGA, Reg. N 821, Bl. 71r, ed.: AGBM II, Nr. 1273, S. 171). Vgl. dazu die Forderungen der Ritterschaft auf dem Altenburger Landtag 1523 (ThHStAW, EGA, Reg. Q 18, Bl. 105r–106r); Handlung/ ordnung vnd Jnstruction/ so furgenom=men worden sein von allen Rotten vnd hauffen der Pauren/ so sich zu=sammen verpflicht haben. Regensburg 1525, 6. Artikel, A iii; Beschwerdeartikel des Rates und der Gemeinde zu Neustadt an der Orla an Herzog Johann von Sachsen, 28. April 1525,1. Beschwerdeartikel (ThHStAW, EGA, Reg. N 930, Bl. 14v); Artikel der Versammlung zu Ichtershausen an Herzog Johann von Sachsen, 28. April 1525, 1. Artikel (ThHStAW, EGA, Reg. N 821, Bl. 61r). Vgl. ThHStAW, EGA, Reg. Rr pag. 353 Nr. 6.105, Bl. 10r und ThHStAW, EGA, Reg. Q 18, Bl. 105v. Dem Ruf waren auch einige lutherische Prediger aus Erfurt gefolgt, was wiederum für ausgeprägte intellektuelle Beziehungen zwischen Erfurt und Weimar spricht: Wolfgang
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ten des Hofpredigers Wolfgang Stein und des Pfarrers an der Stadtkirche, Johann Grau, in denen sie ermahnt wurden, das Evangelium „lautter und reyn […] on allen zusatz vnnd einmischung menschlicher leere“ zu predigen und einen sittlichen Lebenswandel zu zeigen.31 Danach wurde im Beisein des Kurprinzen Johann Friedrich, des Kanzlers Gregor Brück und des fürstlichen Rates Johann von der Sachsen durch den Weimarer Amtmann Friedrich von Thun ein Befehl des Kurfürsten Johann und seines Sohnes verlesen, worin es heißt: Nachdem beide Fürsten übereingekommen wären, dass „yhrer gnaden armen volcke“ nichts notwendiger wäre als dass es mit rechtschaffenen/gelerten/ vnd erbaren predigern/ und pfarrhern versorget wurde/die da lereten furtrüge[n] wie man Christlich und brüderlich sich […] gehen Gott/der vberkeyt vn[d] dem nehsten halten sollte“, befahlen sie, dass jeder Pfarrer ihres Fürstentums „sich gantz wol befleissen solle vnd wolle/das heylige Euangelion und gottes wortt lauter/ rein/ vnd klar […] on menschliche zusatzunge/und einmischunge/ zu leren und zu predigen.32
Wer dies nicht könne, solle sich in Erfurt, Weimar oder anderswo unterweisen lassen. Wer diesem Befehl aber nicht folgen wolle, hätte mit der Bestrafung durch die Fürsten zu rechnen und ginge mindestens seines Amtes und seiner Lehen verlustig. Für kurze Zeit später wurde das Erscheinen eines Druckes angekündigt, aus dem hervorgehen sollte, „wie man sich nach Gottes wort/ mit singen/ lesen/ meßhalten/ und in andern sache[n] odder Ceremonien […] halten soll“. 33 Die Statthalter und Amtleute sollten die Ausführung dieses Befehls kontrollieren.34 Die Tragweite dieses Befehls verstanden etliche der dort versammelten Priester zunächst nicht richtig, vielmehr frohlockten sie, dass ja Vigilien, Seelenmessen, Wasser- und Salzweihen nicht verboten worden wären. Amtmann Friedrich von Thun sah sich genötigt, noch einmal das Wort zu ergreifen und dezidiert darauf hinzuweisen, dass die Zeremonien in der Form, „wie mans hie zu Weymar/vnd andern orten nach der geschrifft hellt“, vorzunehmen seien. Das alles wurde sehr schnell in Form eines Sendbriefes des Priesters Wolfgang Kiesewetter an einen Amtsbruder in Elxleben an der Gera im Druck verbreitet. Allein 1525 erscheinen von dieser Schrift Drucke in sieben Orten, die teilweise
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Kiesewetter, Melchior Weidemann jun. von der Andreaskirche, Johann Röttelsteyn von der Predigerkirche und Johann Müntzer von der Wigbertikirche in Erfurt. Vgl. Das man das lauter rein Euangelion, on menschliche zusatzunge predigen soll, Fürstlicher befehl zu Weymar bescheen, Erfurt 1525, (im Folgenden zitiert als Kiesewetter), A i. KIESEWETTER (wie Anm. 30), A ii r. Ebd. A ii v. Gemeint ist Martin Luther, Deutsche Messe und Ordnung des Gottesdiensts, 1526, vgl. WA 19, S. 40–113, Nr. 2. KIESEWETTER (wie Anm. 30), A iii r.
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außerhalb Kursachsens lagen.35 Die Verwendung des kurfürstlichen Amtswappens auf dem Deckblatt einiger Drucke weist darauf hin, dass zumindest diese sicher im Auftrag Kurfürst Johanns ausgingen. Auch wenn der Befehl nur vor den Predigern und Pfarrern des Amtes Weimar verlesen wurde, war er für das gesamte Kurfürstentum gedacht und wurde offensichtlich auch außerhalb seiner Grenzen rezipiert. Trotzdem erwies es sich, wie die Ergebnisse der seit 1525 durchgeführten Visitationen in den Gemeinden zeigten, dass die Reform der Predigt und Zeremonien nicht mittels Befehl erreicht werden konnte. Dazu bedurfte es konkreter Beispiele und Vorbilder mit einer Amtsführung auf der Grundlage der lutherischen Lehre. Die Zielrichtung zur politischen Verfestigung der reformatorischen Ideen war für Kurfürst Johann und seine Räte ebenso klar wie für Luther und die Reformatoren: Es mussten Pfarrer her, die dem Volk das Evangelium predigten.36 Unklar hingegen waren die Kriterien für einen Prediger des lauteren und reinen Evangeliums, ebenso wie der Weg, um die aufrührerischen, sektiererischen und altgläubigen Priester zu finden und zu eliminieren. Darüber hinaus gingen von fast allen Geistlichen, die ihre Existenz gefährdet sahen, Klagen ein, weil niemand mehr etwas zur Sicherung ihres Unterhaltes beitrug oder sie in ihren Herrschaften als Schreiber oder Knechte missbraucht wurden, was der seelsorgerischen Versorgung ihrer Gemeinde Abbruch tat. Die erste Anregung, zur Kenntnis und Verbesserung der Situation wie die mittelalterlichen Bischöfe Visitationsreisen37 durch die Gemeinden durchzuführen, ging vom Kurprinzen Johann Friedrich aus. Er bat am 24. Juni 1524 Martin Luther, […] daß Ihr Euch eins hätt’ der Weil genommen und von einer Stadt in die andern im Fürstentum gezogen und gesehen (wie Paulus tät), mit was Predigern die Städte der Gläubigen versehen werden. […] Welche Prediger denn nicht tüglich, hättet Ihr mit Hülf der Oberkeit zu entsetzen.38
Eine Reaktion von Luther darauf ist nicht bekannt.
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Unter dem Titel „Daß man das lauter rain Evangelion ohne menschliche Zusatzung predigen soll fürstlicher Befehl zu Weymar geschehen“ in Altenburg (Gabriel Kantz) (VD16 K 1088); in Augsburg (Simprecht Ruff) (VD16 K 1089); in Erfurt (Melchior Sachse d. Ä.) (VD16 K 1090); in Leipzig (Michael Blum) (VD16 K 1091); in Magdeburg (Heinrich Öttinger) (VD16 ZV 21466); in Nürnberg (Jobst Gutknecht) (VD16 K 1092) und unter dem Titel „Eyn beuelhe Des Churfurstenn vonn Sachssen vnnd Hertzog Johann Fridrichs/ wie sich die priesterschaft in yrn F.G. Fur=stenthumb vnd lande[n] halten solle/ mit verkundung des hei=ligenn wort Gottis.“ in Bamberg (Georg Erlinger) (VD16 ZV 8960). Luther an Kf. Johann, Wittenberg, 31. Oktober 1525. ThHStAW, EGA, Reg. O 369, Bl. 2 v, ed.: WA Br 3, Bl. 595, Nr. 937. Vgl. Lemma „Visitation“, in: Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, Bd. 8, Tübingen 42005, Sp. 1134. WA Br 3, S. 310.
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Herzog Johann von Sachsen beauftragte die erste Visitation im Raum Eisenach noch zu Lebzeiten seines Bruders.39 Hier hatten die Nichtzahlung von Zinsen bei den Geistlichen und die ungerechtfertigte Belastung mit Zinsen bei den Bürgern Eisenachs und den Bewohnern der umliegenden Ortschaften für große Empörung gesorgt.40 Durch die Predigten von Jakob Strauß gegen die Wucherzinsen hatte sich die Situation noch verschärft.41 Möglicherweise waren auch hier neben Strauß aufrührerische Prediger für die Situation verantwortlich gemacht worden. Jedenfalls beauftragte Johann von Sachsen den Eisenacher Prediger „zu visiteren allein nach vormuge des wort gotis die christlichen prediger und vorsammlunge[n]“42. Ob er dazu von Jacob Strauß angeregt oder aufgefordert worden war, lässt sich nicht mehr feststellen. Fakt ist aber, dass sich Johann hier prinzipiell genauso verhielt wie in anderen Fällen, in denen Gebrechen an ihn herangetragen wurden, denen er abhelfen sollte. Er beauftragte einen oder mehrere Amtleute oder Räte mit der Untersuchung der Angelegenheit und forderte einen Bericht mit Entscheidungsvorlage. Das Gleiche tat er nun im Falle Eisenachs. Spätestens seit Anfang 1524 bemühte er sich durch Anhörung von Eisenacher Ratsvertretern und durch die Beauftragung seiner Räte, die Lage in der Stadt zu entspannen.43 Sicherlich ist die von Strauß durchgeführte Visitation auch in diesen Kontext einzuordnen. Als Geistlicher sollte er wohl versuchen, die Verursacher der dortigen Unruhen ausfindig und namhaft zu machen. Er begann damit am 10. Januar 1525, gemeinsam mit dem Gothaer Amtmann Burkhardt Hundt von Wenkheim, der gleichzeitig Rentmeister Herzog Johanns war, die Prediger zu überprüfen. Allerdings wurde die Visitation schon sehr bald unterbrochen, weil Burkhardt Hundt wegen einer anderen Angelegenheit unabkömmlich war und auch Strauß „zu dieser zeit wandern nit fast woll gelegen.“44 In seinem Bericht wies er aber darauf hin, dass sein Vorhaben etlichen des Adels und auch den fürstlichen Amtleuten nicht gefallen habe. Er führt als Grund dafür an, dass sie sich nun in ihrem „tyrannischen furneme[n]“ gegen39
40 41 42 43 44
Vgl. dazu ausführlich Rudolf HERRMANN, Die Kirchenvisitationen im Ernestinischen Thüringen vor 1528, in: Beiträge zur Thüringischen Kirchengeschichte 1 (1930), H. 2, S. 167– 179; Christoph VOLKMAR, Frühe Visitationen als Reformation vor Ort. Quellen, Akteure, Interessenlagen, in: BLAHA/SPEHR, Reformation vor Ort (wie Anm. 16), S. 31–56; Annette SCHERER, Verfahrensweise und Berichterstattung bei den frühen Visitationen im ernestinischen Gebiet, in: ebd., S. 73–89. Vgl. Bericht des Schultheissen Johann Oswalt und des Ratsmitglieds Heinrich Wyssensehe, den sie Kurprinz Johann Friedrich von Sachsen am 14. Januar 1524 in Weimar erstattet haben, ThHStAW, EGA, Reg. Ii 126, Bl. 1r–4r. Vgl. Instruktion für die herzoglichen Räte für die Verhandlungen in Eisenach, o. D. (ebd., Bl. 5r–12v). ThHStAW, EGA, Reg. Ii 133, Bl. 1r. Vgl. ThHStAW, EGA, Reg. Ii 126. Ebd., Bl. 1r.
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über den Untertanen und in ihrem unchristlichen Lebenswandel ertappt und gestört fühlten.45 Vermutlich waren diese aber eher davon überrascht, dass eine Visitation in ihrem Kompetenzbereich ohne ihre Mitwirkung stattfand. Jedenfalls wurde für die Fortsetzung der Visitation im März 1525 durch Kanzler Gregor Brück im Auftrag Johanns eine Instruktion für die Bevollmächtigten entworfen, in der den Amtleuten, Schultheißen, Bürgermeistern, Predigern, Heimbürgen und Gemeinen der Dorfschaften der Ämter Wartburg, Hausbreitenbach, Salzungen, Creuzburg und Gerstungen befohlen wurde, doctor Strauß als unsern verordenten visitatorn in sachen, so er mit furlegung des gotlichen worts anzaigen oder straffen anfechten und tadeln wirdet, gutwillig und gehorsamlich zuhoren und seiner unterweisung … zu folgen.46
Damit war der Visitator – ein Geistlicher – durch seinen Landesherrn mit hoheitlichen Kompetenzen ausgestattet. Ob diese Visitation in den genannten Ämtern tatsächlich weitergeführt wurde und zu welchem Ergebnis sie kam, darüber ist nichts bekannt. Anfang Mai 1525 erreichte Herzog Johann ein Brief des Zwickauer Pfarrers Nicolaus Hausmann.47 Darin schilderte dieser die unhaltbaren Zustände des religiösen Lebens in der Tuchmacherstadt und ihrer Umgebung, von denen er bereits 1524 mündlich berichtet hatte. Er mahnte die Fürsten, „das nichts notigers ist, dann zu visitiren“ und fordert sie auf, den Domherren von Naumburg und Zeitz zu befehlen, ihrem Amt nachzukommen.48 Hausmann sah die weltliche Herrschaft in der Pflicht, sich um kirchliche Belange zu kümmern, indem er an den Fürsten als Obersten Schutzherrn des Bistums Naumburg appellierte, „ein schnel einsehen zu haben, auf wege und mittel zu trachten, domit nicht solh (!) zuruttunge […] die armen seelen so erbarmlichen ewiglichen vorterben mussen.“49 Die Ereignisse des Bauernkrieges, die die Landesherren, besonders Herzog Johann stark in Anspruch nahmen und auch der Tod Friedrichs des Weisen haben vermutlich dazu geführt, dass auf diesen aufrüttelnden Brief keine Reaktionen seitens der Landesherrschaft erfolgten. Unter dem Eindruck von Aufruhr und Empörung des „gemeinen Mannes“ war auch bei Martin Luther die Erkenntnis gereift, dass sich die neue Lehre nicht allein durch das Wirken von Gottes Wort durchsetzen würde, sondern es zu ihrer Etablierung der administrativen Kraft der Obrigkeit bedurfte. Auch er hatte in zwei Briefen an den Kurfürsten vom 31. Oktober50 und vom 30. No45 46 47 48 49 50
Ebd. ThHStAW, EGA, Reg. Ii 132, Zitat Bl. 1v–2r. ThHStAW, EGA, Reg. Ii 129. Ebd., Bl. 6r. Ebd. ThHStAW, EGA, Reg. O 369, Bl. 2; ed.: WA Br 3, S. 594–596, Nr. 937.
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vember 152551 auf die Notwendigkeit von Visitationen hingewiesen und einen entsprechenden Plan dazu entwickelt. Er empfahl zudem auch eine Visitation im weltlichen Bereich, „denn es ist grosse klage allenthalben uber bose regiment.“52 Noch konnte sich Johann aber nicht zu einer landesweiten Visitation entschließen. 1526 folgten mit den Visitationen der Ämter Borna und Tenneberg wiederum lokal begrenzte Untersuchungen. Auch hier waren – wie in Eisenach – Unruhe und Aufruhr zu befürchten. Im Mittelpunkt stand die Prüfung der Pfarrer hinsichtlich ihrer Geschicklichkeit, ihrer Versorgung, ihrer Lehre und ihres Lebenswandels. Von einer zur Visitation verordneten Kommission kann aber noch keine Rede sein. Vielmehr wurden wiederum Geistliche aus der Region – das waren im Amt Borna Georg Spalatin, im Amt Tenneberg der Gothaer Prediger Friedrich Myconius und der Walterhäuser Pfarrer Johann Draconites – mit der Überprüfung der Pfarrer beauftragt. Herzogliche bzw. kurfürstliche Beamte begleiteten sie. Im Amt Borna unterstützte der Geleitsmann Michael von der Straßen, im Amt Tenneberg der dortige Amtmann Diezmann Goldacker die Geistlichen bei der Visitation. Sie hatten im Wesentlichen keine andere Funktion als die Beamten, die Kurfürst Friedrich III. und Herzog Johann 1524 dem Bischof von Merseburg als Begleiter auf dessen Visitationsreise zugeordnet hatten, nämlich für einen ruhigen und ordnungsgemäßen Ablauf der Visitation zu sorgen und der Obrigkeit zu berichten. Der Bornaer Geleitsmann Michael von der Straßen begleitete sowohl den Merseburger Bischof 1524 als auch Georg Spalatin 1526. Im Amt Tenneberg erhielt Diezmann Goldacker außerdem den kurfürstlichen Befehl, mit den ungeschickten Pfarrern aus Sundhausen über ihre Abfindung zu verhandeln. Der Amtmann war es auch, den die Gemeinde um die Bestellung eines neuen Pfarrers bat. Die Art und Weise der Visitation war den Geistlichen nicht vorgeschrieben. Im Amt Tenneberg, für das ein ausführlicher Bericht von Mykonius vorliegt, ging man sehr gründlich vor. Zunächst berichteten aus jeder Gemeinde zwei Männer über den Pfarrer, bevor dieser selbst angehört wurde. Abschließend mussten die Pfarrer in Waltershausen zu einem bestimmten Thema eine Probepredigt halten.53 Das Ergebnis war niederschmetternd. Ganz anders als im Amt Borna, wo nach Auffassung von Georg Spalatin 14 von 25 befragten Pfarrern das Evangelium predigten, wurden im Tenneberger Amt bis auf einen Geistlichen (in Hörselgau) alle als untauglich eingestuft. Der Pfarrer der Gemeinde
51 52 53
WA Br 3, S. 628 f., Nr. 950. ThHStAW, EGA, Reg. O 369, Bl. 2v. Vgl. P[aul] DREWS, Der Bericht des Mykonius über die Visitation des Amts Tenneberg im März 1526, in: Archiv für Reformationsgeschichte 3 (1905/06), S. 1–17.
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Sundhausen, der „der heftigst feind und verlesterer des evangelii gewest“, lebte zudem in wilder Ehe.54 In diesen lokal begrenzten Visitationen wurden wertvolle Erfahrungen sowohl hinsichtlich der Durchführung als auch der Ergebnisse gesammelt.55 Friedrich Mykonius hatte seinem Bericht über die Visitation in Tenneberg ein „consilium“ angefügt.56 Darin forderte er die Obrigkeit auf, ihr Amt zu gebrauchen und nach gelehrten, gottfürchtigen, verständigen und tüchtigen Leuten zu forschen, die in der Lage wären, die anderen zu unterweisen. Außerdem regte er Gemeindezusammenlegungen an. In einer jeden Pflege sollte man zudem „an den besten oder fornembsten ort, fleck oder stadt je einen geschickten, gelerten man verordnen, der […] idermann unterricht geben kont.“ Dieser sollte auch diejenigen, wo er „was unartigs […] merket“, freundlich zurechtweisen. Blieb dies erfolglos, war „solchs der oberkeit“ anzuzeigen, „die sol unfug strafen, den sie ist ein streferin der bosen.“ Auch sollte man „das examen und verhorung in den pflegen“ oft durch „rechte gelerte, gotfortige menner“ halten. In den „unrechten Lehren“ sah Mykonius eine Ursache für „Schwärmerei und Aufruhr“. Hier deutet der Gothaer Prediger bereits das Amt des späteren Superintendenten an, der allerdings durch den Landesherrn mit noch weiter reichenden Kompetenzen ausgestattet wurde. Die „tuglichen“ Geistlichen sollte man in ihren Ämtern belassen und sie zum fleißigen Studium animieren, die ungeeigneten aber nicht „unfreundlich verstossen oder vertreiben“, die Lehre jedoch einem Befähigten übertragen. Der Obrigkeit trug Mykonius auf, für ungeeignete Pfarrer oder Bischöfe „einen andern, der […] im wort gottes kreftiger ist, an solche ort[zu] senden.“ Er regte eine landesweite Visitation durch einen oder zwei verordnete Visitatoren an, die in allen Pfarren überprüfen sollten, „wie man leret, handelt und wandelt“. Die Einsetzung oder Entsetzung von Geistlichen sollte künftig an die Zustimmung der Landesherrschaft gebunden sein. Der Jugend soll man die zehn Gebote, das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser vorsprechen, auch deutsche Lieder und Psalmen singen, und sich im Gottesdienst an Luthers Kirchenpostille halten. Die „ministri“ müssten so versorgt werden, dass sie nicht gezwungen sind, „selbst müssen aker und pflugen“, sondern Zeit zum Lesen und Studieren haben. Außerdem sollte man wieder Schulen einrichten, „das man aldo ein neue jugent aufzihe, inen Christum noch in der blüt einpild.“ 54
55 56
Vgl. C[arl] A[ugust] H[ugo] BURKHARDT, Geschichte der sächsischen Kirchen- und Schulvisitation von 1524 bis 1545, Leipzig 1879, S. 10–13 sowie die Berichte in ThHStAW, EGA, Reg. Ii 161 (Borna) und Thüringisches Staatsarchiv Gotha (im Folgenden: ThStAG), Oberkonsistorium, Loc. 19 Nr. 1, Bl. 1v–5v (Tenneberg). Vgl. Annette SCHERER, Verfahrensweise (wie Anm. 39). Das „consilium“ befindet sich als Punkt 5 im Bericht des Mykonius über die Visitation im Amt Tenneberg in ThStAG, Oberkonsistorium, Loc. 19 Nr. 1, Bl. 5v–7r. Die folgenden Zitate sind dem „consilium“ entnommen und werden nicht einzeln nachgewiesen.
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Schließlich gab Friedrich Mykonius als oberste Autorität in Glaubensfragen Martin Luther an. Vergleicht man diesen Ratschlag mit späteren Ordnungen zur Gestaltung des kirchlichen Lebens und Regiments, fällt die grundlegende Übereinstimmung der dort getroffenen Regelungen mit den Empfehlungen von Friedrich Mykonius auf. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass der Gothaer Geistliche bereits im März 1526 die Grundstruktur für die Ausgestaltung des landesherrlichen Kirchenregiments in Kursachsen dargelegt hat. Besonders zwei Elemente, die später große Bedeutung haben sollten, regte er in seinem Ratschlag an: Die Schaffung eines aufsichtsführenden Geistlichen über die Amtsbrüder in seinem Distrikt und die regelmäßige Durchführung von Visitationsreisen zur Prüfung der Pfarrer und zur Vorbeugung der Verbreitung von Irrlehren und Aufruhr. Man kann deshalb wohl davon ausgehen, dass diese im Wesentlichen aus der Visitation im Amt Tenneberg gewonnen Erfahrungen grundlegend für alle weiteren Maßnahmen bei der Kirchenreformation in Kursachsen gewesen sind. Nahezu zeitgleich mit der Tenneberger Visitation beauftragte Kurfürst Johann seinen Hofmarschall Niklas vom Ende und seinen Rat Hans von Gräfendorf mit einer Überprüfung der Verhältnisse in den Klöstern.57 Damit wandte er sich einem weiteren Punkt seiner Reformvorhaben zu, nämlich der Versorgung der Ordenspersonen, der „ausgelaufenen“ Mönche und Nonnen und der künftigen Zweckbestimmung der geistlichen Güter. Wohl schon im Spätsommer 1525 hatte er die Wittenberger Theologen um ein Gutachten zur Versorgung der „ausgelaufenen“ Mönche und Nonnen ersucht. Luther antwortete im Auftrag aller, dass die, die wieder zurückkehren wollten, daran nicht gehindert und ihnen auch ihre Güter wieder zugeteilt werden sollten. Allerdings sollten sie mit christlichen Lehrern versorgt werden. Die anderen aber sollten von den Klostergütern unterhalten werden.58 Deshalb lag das Hauptaugenmerk der beiden kurfürstlichen Beamten vor allem auf den wirtschaftlichen Verhältnissen der Klöster. Auch die Tatsache, dass kein Geistlicher an dieser Reise, die Stefan Michel treffend als Visitationsreise bezeichnet, beteiligt war, lässt den Schluss zu, dass hierbei Glaubensfragen nicht im Vordergrund standen.59 Aber die Beauftragten hatten landesherrliche Vollmacht, austrittswilligen Ordenspersonen eine Abfindung zu zahlen und mit Klostervorstehern über die Aufnahme von Insas57 58 59
Auf diese bisher von der Forschung übersehene Visitation weist erstmals hin Stefan MICHEL, Eine kursächsische Klostervisitation aus dem Jahr 1526, in: BLAHA/SPEHR, Visitation (wie Anm. 16), S. 107–119. Vgl. Luther (und andere Wittenberger Gelehrte) an Kurfürst Johann, 26. September (?) 1525, ed.: WA Br 3, S. 580 f., Nr. 925. Auf eine weitere Klostervisitation durch ausschließlich weltliche Visitatoren weist hin VOLKMAR, Frühe Visitationen (wie Anm. 39), S. 40.
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sen anderer Klöster zu verhandeln – Rechte, die bisher dem Bischof zugestanden hatten. Außerdem fertigten sie Klosterinventare an und prüften die Rechnungen. Über ihre Aktivitäten führten sie ein ausführliches Protokoll für den Landesherrn.60 Auch die Erfahrungen dieser Visitationsreise werden für die weiteren Unternehmungen wertvoll gewesen sein.
Die erste landesweite Visitation Mit der Festlegung des Reichsabschiedes von Speyer 1526, dass bis zu einem allgemeinen Konzil „jeder fur sich also zuleben, zuregiren, vnd zuhalten, wie ein yder solichs gegen Gott vnd Keyserliche Maiestat hoffe und vertrawe zuuerantworten“,61 sah Kurfürst Johann sich nun für die Durchführung eines landesweiten Visitation reichsrechtlich abgesichert. Er folgte dem gemeinsamen Vorschlag von Martin Luther, seinem Kanzler Gregor Brück und dem Hofmarschall Niklas vom Ende, „vier person […], zween, die auff die zinse und guter, zhween, die auff die lere und person verstendig sind, zu einer visitation in den schulen und pfarhen, wo es not ist, zu entsenden.“62 Damit waren die beiden Schwerpunkte dieser ersten landesweiten Visitation herausgestellt: 1. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Geistlichen und 2. deren Predigtinhalt und Lebenswandel. Johann beauftragte den Kanzler Gregor Brück und den Rat Hans von Gräfendorf, mit Luther und den Dekanen der Universität Wittenberg diese Angelegenheit zu besprechen. Das Ergebnis hatte ihn offensichtlich überzeugt. Er war nun bereit, die Kosten der Visitation übernehmen, zwei seiner Räte dazu zu verordnen und bat die Universität Wittenberg, zwei Personen, die „auf die lehr und personen achtung zu geben, geschickt“, dazu zu entsenden.63 Die Universität benannte Philipp Melanchthon und Hieronymus Schurff,64 der Kurfürst berief den Wittenberger Hauptmann Hans Metzsch und den Amtmann zu Belzig, Christoph Groß, zur Wahrnehmung des Visitationsgeschäftes.65 Die Zielsetzung der Visitation und die Obliegenheiten der Visitatoren, regelte die am 16. Juni 1527 ausgegangene Visitationsinstruktion.66 Mit ihr befähigte der Kurfürst die von ihm berufenen Visitatoren zum selbständigen und eigenverantwortlichen Handeln in seinem Auftrag. Hierin unterscheidet sich die Visi60 61 62 63 64 65 66
ThHStAW, EGA, Reg. Oo 874a. Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Der Reichstag zu Augsburg 1525. Der Reichstag zu Speyer 1526. Der Fürstentag zu Esslingen 1526, bearb. v. Rosemarie AULINGER, München 2011, S. 879–895, Nr. 221, Zitat: S. 881. Luther an Kurfürst Johann, 22. November 1526. WA Br 4, S. 133 f., Nr. 1052. ThHStAW, EGA, Reg. N 623, Bl. 41r. WA Br 4, S. 136–138, Nr. 1054. ThHStAW, EGA, Reg. Ii 166, Bl. 1r. ThHStAW, EGA, Reg. Ii 166, Bl. 3v–4r. Vgl. ThHStAW, EGA, Reg. Ii 191.
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tation von 1527 von den vorherigen, die im Auftrag des Landesherrn stattgefunden hatten. Die zu Visitatoren berufenen Beamten schufen nicht nur die Voraussetzungen für einen reibungslosen Ablauf der Visitation und berichteten dem Landesherrn, sondern bestimmten durch ihre Tätigkeit maßgeblich den Verlauf der Reformation in den Pfarreien und Ämtern. Damit war die Visitation zum Herrschaftsinstrument der kursächsischen Landesherrschaft geworden. Das Aufgabenspektrum der Instruktion von 1527 lässt sich in drei Bereiche einteilen: Die Fragen der Befähigung der Pfarrer zur evangelischen Predigt und Seelsorge, die Entlarvung von Irrlehrern, die Befragung und Unterweisung von Sektenmitgliedern, die Unterweisung der Pfarrer in der Reichung der Sakramente, der Handhabung des Abendmahls, in den Zeremonien und im Gesang und letztlich auch die Suche nach geeigneten Pfarrern für die Klöster Cronschwitz und Heusdorf betreffen zweifellos vorrangig den theologischen Bereich. Die Erhebung einer Auflage, die Evaluierung der liegenden und fahrenden Güter der Pfarrer und Schulmeister sowie der Einkommen aus den unterschiedlichen Stiftungen und geistlichen Lehen, die Erhebung des Klosterbesitzes, aber auch die Besoldung der Pfarrer bzw. deren Abfindung bei Nichteignung, die Weisung von Überschüssen an die Gemeinen Kästen oder die Unterhaltung der im Karthäuserkloster in Eisenach und im Gothaer Augustinerkloster zusammengefassten alten und gebrechlichen Mönche und Nonnen sind unter dem Begriff Finanzen und Versorgung zu subsumieren. Die Mehrzahl der regelungsbedürftigen Probleme aber und wohl auch die am schwierigsten zu entscheidenden sind im administrativen Bereich angesiedelt: Die Versetzung von Pfarrern wegen schlechten Lebenswandels, der Nachweis der Einziehung von Lehen durch Adlige und Stadtbürger und die Weisung eines Drittels aus deren Einkommen an die gemeinen Kästen, die Separierung bzw. Inkorporation von Pfarren, die Regelung zur Behandlung von Ehesachen und die Bekämpfung von Vergehen, die in den Geltungsbereich einer Polizeiordnung fallen würden, wie Meineid, Sauferei, Spiel, Beschimpfung des Glaubens, öffentlicher Ehebruch, das Schwängern von Jungfrauen, aber auch Müßiggang in Ämtern, Städten, Flecken und Dörfern ist ohne den Gebrauch obrigkeitlicher Machtbefugnis nicht denkbar. Natürlich konnte man einem als Visitator abgeordneten Theologen zutrauen, beispielsweise die Qualität der Reichung der Sakramente durch einen Pfarrer einzuschätzen oder einen „Schwärmer“ zu entlarven. Aber er wäre sicherlich an seine Grenzen gestoßen, wenn man von ihm verlangt hätte, die Einkommen der geistlichen Stiftungen und Klöster zu eruieren. Besonders deutlich wird das Problem in einem Brief, den Martin Luther, Hans Metzsch und Benedict Pauli am 26. November 1528 an Kurfürst Johann schrieben mit der Bitte, Hans von Taubenheim als ausgewiesenen Finanzexperten nicht wie geplant von der Visitation abzuziehen „weil uns die kirchenrechnungh sehre dunkel und irrig
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vorgetragen [werden], und unter uns ist keiner, der derselben nach notdorft verstehet.“67 Die letzte Bestimmung der Instruktion trug den Visitatoren auf, über alle ihre Handlungen Aufzeichnungen für den Kurfürsten anzufertigen – eine Berichtspflicht, die früher die Amtleute wahrzunehmen hatten. Diese Anordnung führte zunächst zu Irritationen, weil man vergessen hatte, der Visitationskommission einen Schreiber zuzuordnen.68 Die Protokolle der Visitationen folgten dem Beispiel der Berichterstattung von Mykonius über die Tenneberger Visitation. Für jeden Ort wurden die entsprechenden Feststellungen einzeln festgehalten, manchmal wurde für einzelne Ämter noch eine Zusammenfassung mit Festlegungen angefügt. Diese Protokolle wurden von den Visitatoren sicherlich nicht vor Ort angefertigt, sondern im Nachhinein aus ihren Notizen zusammengestellt und von einem Schreiber aufgenommen. Georg Spalatin hat sie für die ersten beiden landesherrlichen Visitationen der Ernestiner dann noch mit einem Ortsregister erschlossen. Bei späteren Gemeindeüberprüfungen wurde offensichtlich auf die früheren Festlegungen zurückgegriffen. Damit wurden diese Visitationsprotokolle zum Kontrollinstrument der landesherrlichen Verwaltung, die Aufsicht über das Leben in den christlichen Gemeinden war nun ein Bestandteil der Landesverwaltung geworden. Dass die Instruktion Johanns den Visitatoren einen wesentlich größeren Ermessens- und Entscheidungsspielraum einräumte als es sonst bei kurfürstlichen Aufträgen üblich war, hat Hans-Walter Krumwiede überzeugend nachgewiesen.69 Es war absolutes Neuland, das man betrat, Erfahrungen lagen bis auf die aus den lokal begrenzten Visitationen nicht vor. Bei der Lösung eines solch großen Aufgabenspektrums, wie es die Instruktion aufzeigte, brauchte man neben Theologen auch Juristen, Verwaltungs- und Finanzexperten, die das absolute Vertrauen des Landesherrn besaßen. In der Instruktion sind neben den von der Universität benannten Philipp Melanchthon und Hieronymus Schurff abweichend von den ursprünglichen Intentionen des Kurfürsten der Ritter Hans Edler von der Planitz und Asmus von Haubitz als verordnete Visitatoren angegeben.70 Auffällig ist, dass von diesen vier Personen nur einer eine theologische Ausbildung hatte – Philipp Melanchthon. Daneben wurde der Jurist Hieronymus Schurff dazu ausersehen, die Eignung und den Lebenswandel der Pfarrer einzuschätzen. Möglicherweise könnte seine Wahl mit Rücksicht auf viele zu erwartende Fragen im Zusammenhang mit der Verehelichung der Pfarrer und der Separation und Inkorporation von Pfarren geschehen sein. 67 68 69 70
ThHStAW, EGA, Reg. Ii 257, Bl. 1r, ed.: WA Br 4, Nr. 1359, S. 616 f. Vgl. dazu ThHStAW, EGA, Reg. Ii 198, Bl. 4r. Vgl. Hans-Walter KRUMWIEDE, Zur Entstehung des landesherrlichen Kirchenregiments in Kursachsen und Braunschweig-Wolfenbüttel, Göttingen 1967, S. 75 f. EKO 1,1, S. 142.
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Ab Mitte Juli 1527 visitierten die Genannten in Weida, Neustadt, Pößneck, Saalfeld, Kahla, Leisnig, Jena und Bürgel.71 Hier kam es auch zu ersten Einsetzungen von Superintendenten, so in Orlamünde für das Amt Leuchtenburg (Kaspar Glatz) und die Ämter Jena-Burgau, Eisenach und das Stift Bürgel (Anton Musa).72 Wegen der in Wittenberg ausgebrochenen Pest und der deshalb bevorstehenden Umsiedlung der Universität nach Jena, der Ernte und der Abreise Hieronymus Schurffs wurden die Untersuchungen im August 1527 bereits wieder abgebrochen. Der Hauptgrund waren aber wohl die vielen Probleme, die sich den Visitatoren während ihrer Arbeit offenbarten. Zu viele Fragen waren offengeblieben, die erst nach intensiver Beratung zu entscheiden waren. Sie sind zusammengefasst in einem Dokument mit der Überschrift „Die Artickel, so durch die rethe zur visitation verordenth und andere unterteniglich bedacht“ und wurden durch Georg Spalatin aufgezeichnet.73 Unter jeder einzelnen Problemstellung, die die Visitatoren mit anderen Räten beratschlagt hatten, ist die gefundene Entscheidung formuliert. Die meisten der dort behandelten Probleme betrafen den finanziellen Bereich und die Neuorganisation des Kirchenwesens. Aus theologischer Sicht waren lediglich das Verfahren zur Vereinheitlichung der Zeremonien und die Entscheidung über die Zeremonien in den Stiftskirchen zu beraten. Den Visitatoren war vor allem daran gelegen, die Zustimmung des Kurfürsten zu den bisherigen Verordnungen zu bekommen. Die Materie war für alle neu, das Bewusstsein über die Tragweite ihrer Entscheidungen belastete die Visitatoren schwer. Erst die Zustimmung des Kurfürsten machte ihre Anordnungen zu gesetztem Recht und sicherte die erreichten Ergebnisse. Kernpunkt war die wirtschaftliche Versorgung der als geschickt befundenen Pfarrer. Daneben waren aber auch die alten und untüchtigen Pfarrer mit einer lebenslangen Rente bzw. mit einer Abfindung zu berücksichtigen. Die Beschaffung der notwendigen finanziellen Mittel erwies sich als äußerst schwierig. Stifter zogen ihre Stiftungen wieder ein, die Adligen mussten überzeugt werden, Lehen und Präbenden zu Unterstützung der Pfarrer einzusetzen. Etwa vorhandene finanzielle Überschüsse und Erlöse aus dem Verkauf von Ornaten waren in die zu bildenden „gemeinen Kästen“ zu geben und zur Unterhaltung der Baulichkeiten und zur Armenversorgung zu verwenden. Deutlich werden in den „Artikeln“ die Punkte benannt, wo nur durch die administrative Kraft des Landesherrn Ordnung geschaffen werden konnte. Ein neuer Pfarrer durfte künftig nur mit Zustimmung des Amtmannes und des 71 72
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Der Bericht ist überliefert unter ThHStAW, EGA, Reg. Ii 522. Vgl. Ralf THOMAS, Aufbau und Umgestaltung des Superintendentialsystems in der sächsischen Landeskirche bis 1815, in: DERS., Stiftsland Wurzen – Sächsische Kirchenverfassung – Historische Kirchenkunde. Aufsätze zur sächsischen Kirchengeschichte, hg. v. Michael BEYER und Alexander WIECKOWSKI, Leipzig 2011, S. 156–203, hier S. 168 f. ThHStAW, EGA, Reg. Ii 200.
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Superattendenten (Superintendenten) eingesetzt werden. Damit hatte sich die Landesherrschaft faktisch das Patronatsrecht für alle Pfarreien ihres Territoriums gesichert. Administrative Gewalt war unverzichtbar gegenüber den Bauern, die Kleinodien zu ihrem Vorteil verkauft hatten, ebenso gegen jene, die Barschaften und Vorräte aus den Kirchen an sich genommen hatten. Auch Adlige, die die Pfarrer in ihren Dörfern nicht mehr unterhielten, ihnen die Heirat verwehrten, sie an der evangelischen Predigt hinderten oder sie gar als Knecht oder Schreiber gebrauchten, sollten durch die verordneten Räte verwarnt und bei weiterer Zuwiderhandlung dem Kurfürsten gemeldet werden. Mit diesen Bestimmungen war Recht gesetzt für eine neu organisierte, in den Prozess der frühneuzeitlichen Territorialstaatsbildung integrierte Kirchenorganisation. Das Amt des Superattendenten bzw. des Superintendenten war als Exekutive in Kirchenfragen geschaffen worden. Die Aufgaben des Superintendenten wurden in dem im März 1528 veröffentlichen „Unterricht der Visitatoren“ definiert: Ihr Kompetenzbereich betraf alle Geistlichen ihres festgelegten regionalen Bezirks, unabhängig davon, wer sie eingesetzt hatte. Ihr Aufgabenbereich umfasste die Aufsicht über kirchliche Ordnung und Lehre sowie den Lebenswandel der Geistlichen und zur Verhinderung von Aufruhr und Empörung. Bei der Feststellung von Irrlehren hatten sie zunächst aufklärend auf den Prediger einzuwirken, blieb das erfolglos, war er über den Amtmann an den Kurfürsten zu melden. Außerdem hatte er alle Amtsneulinge auf ihre Eignung zu überprüfen.74 Den Superintendenten zur Seite stand der landesherrlicheAmtmann. Damit war eine regelmäßige Kontrolle der Einhaltung der eingeleiteten Maßnahmen zur Einführung der neuen Lehre und zur Vermeidung von Aufruhr durch den Landesherrn möglich. Auf der Grundlage der Visitationsinstruktion von 1527, der Erfahrungen der ersten protestantischen Visitationen und im Ergebnis von Diskussionen zwischen Theologen, Juristen, Finanz- und Verwaltungsbeamten wurde schließlich 1528 mit dem „Unterricht der Visitatorn“ eine normative Grundlage für die Durchsetzung der Reformation und zugleich eine Richtschnur für die Pfarrherren und Geistlichen in den Gemeinden geschaffen. Noch vor dem Erscheinen einer Kirchenordnung waren im „Unterricht der Visitatorn“ die Grundsätze der lutherischen Lehre allgemeinverständlich zusammengefasst und die Grundstruktur einer landesherrlichen Kirchenorganisation und für die Ausbildung der Jugend skizziert. Die wichtigste Neuerung war, dass die Arbeit der Geistlichen künftig durch landesherrlich legitimierte Beauftragte, die Superattendenten, beobachtet, unterstützt und kontrolliert werden sollte. Landesherrliche Visitations74
Vgl. Günther WARTENBERG, Unterricht der Visitatoren an die Pfarrherrn im Kurfürstentum Sachsen, 1528 und spätere Ausgaben, in: Martin Luther, Studienausgabe, hg. v. HansUlrich DELIUS, Bd. 3, Berlin 1983, S. 402–462, hier 455 f.; THOMAS, Aufbau und Umgestaltung (wie Anm. 72), S. 170–172.
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instruktion und der „Unterricht der Visitatorn“ bildeten nun die Richtlinie für die erste flächendeckende landesherrliche Visitation im Kurfürstentum Sachsen, die 1529 abgeschlossen war. Beide Dokumente waren juristische und konzeptionelle Grundlage für die Gestaltung des landesherrlichen Kirchenregiments und der Reformation vor Ort im ernestinischen Kursachsen. Nach dem Erscheinen des „Unterrichts der Visitatorn“ verlangten die vorgefundenen Zustände und die Situation im Land eine rasche Fortführung der Visitationen. Da das mit nur einer Kommission nicht möglich war, teilte man nun das kursächsische Gebiet in sechs Visitationskreise ein und verpflichtete für jeden Kreis Visitatoren.75 Das Muster, je zwei Visitatoren für wirtschaftliche und zwei für geistliche Angelegenheiten zu beauftragen, konnte aber nicht immer durchgehalten werden. Im Kurkreis, zu dem auch Torgau geschlagen wurde, visitierten neben Martin Luther zwei kurfürstliche Beamte und ein Jurist und im oberen meißnischen Kreis mit dem Vogtland neben zwei Theologen nur noch ein Beamter.76 Hier gehörte allerdings Georg Spalatin zu den Visitatoren, der eine theologische und juristische Ausbildung besaß – ebenso wie Justus Jonas, der im Kreis Meißen mit Eilenburg eingesetzt war.77 Grundlage blieb weiterhin die Visitationsinstruktion von 1527. Mit einem Ausschreiben wurde die Visitation den Amtleuten, Schossern und Räten am 26. September 1528 seitens der Landesherrschaft angezeigt.78 Im Ergebnis der ersten landesweiten Visitation in Kursachsen wurden ca. 68 % der überprüften Geistlichen als geeignet, etwa 26 % als untauglich eingestuft. Circa 6 % wurde eine Besserung in verschiedener Hinsicht aufgetragen, wenn sie ihr Amt behalten wollten.79 40 % der als untauglich eingestuften Geistlichen wurden abgelöst. Außerdem wurde die Abstellung der vorgefundenen
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Vgl. EKO, 1,1, S. 40–47. Die Visitatoren der einzelnen Kreise siehe bei Joachim BAUER, Die territorialstaatliche Reformation unter Führung der Landesfürsten in Kursachsen von der Niederschlagung des Bauernkrieges in Thüringen 1525 bis zum Augsburger Reichstag 1530, Diss. Jena 1984 (Typoskript, ThHStAW), S. 85 sowie BURKHARDT, Kirchen- und Schulvisitation (wie Anm. 54), S. 28. Zur Problematik der Einsetzung von Visitatoren vgl. auch VOLKMAR, Frühe Visitationen (wie Anm. 39), S. 34 f. und 43–50. Thüringisches Staatsarchiv Gotha, Geheimes Archiv, KK2, Vol. I, Nr. 41. Ausführlicher zu den Ergebnissen hinsichtlich der Befähigung und der Amtsführung der Pfarrer vgl. Friedhelm GLEISS, Geistliche im Spiegel der ersten Visitationsprotokolle von 1528/29 und 1556, in: BLAHA/SPEHR, Visitation vor Ort (wie Anm. 16), S. 167–184; zu den Visitationen in Amt und Stadt Wittenberg 1528/29 vgl. Vicky ROTHE, Die ersten beiden Visitationen im Amt Wittenberg 1528/29 und 1533/34, in: ebd., S. 120–135 und Antje GORNIG, Die erste Visitation in Wittenberg im Spiegel städtischer und kirchlicher Quellen, in: ebd., S. 136–166.
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DAGMAR BLAHA
Mängel angeordnet, Pfarren zusammengelegt oder getrennt und Superintendenten eingesetzt.80 Mit einem „Ausschreiben durchs Chur- und Furstentum zu Sachsen etlicher notiger stuck zuerhaltung christlicher zucht belangend“ vom 6. Juni 153181, das Strafen für verschiedene justiziable Vergehen, zuvorderst aber für Gotteslästerung und Gottesverachtung festlegte sowie die ausdrückliche Aufforderung an die Pfarrer enthielt, sich am „Unterricht der Visitatoren“ zu orientieren, findet diese Phase der Reformation in Kursachsen einen Abschluss. Kurfürst Johann hatte umfassende Reformen eingeleitet und damit seine politische Position im Territorium wieder gefestigt und als Protestant bekräftigt. Die von den ernestinischen Fürsten beauftragten Visitationen erwiesen sich als Erfolgsmodell. Sie waren Vorbild und effektives Mittel zur Einführung der Reformation in etlichen mitteldeutschen Territorialstaaten. In der Folgezeit gingen Visitationen sehr häufig der Kodifizierung des evangelischen Kirchenrechts durch die landesherrliche Obrigkeit voraus, um den Regelungsbedarf in Kirche und Schule zu ermitteln. Visitationen blieben über fast 400 Jahre entscheidendes herrschaftspolitisches Instrument des landesherrlichen Kirchenregiments der Ernestiner. Noch heute werden sie durch die Evangelische Kirche Mitteldeutschlands als Maßnahme zur Kirchenleitung praktiziert.
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Vgl. BAUER, Territorialstaatliche Reformation (wie Anm. 76), S. 87 f. Ausschreiben durchs Chur vnd Fursten=thumb zu Sachssen/ etlich nottiger stuck/ zuerhaltung Christlicher zucht/ belangend. Coburg, 1531 (VD16 S 935).
ALEXANDER QUERENGÄSSER BERNHARD VON SACHSEN-WEIMAR UND DAS HERZOGTUM FRANKEN
Bernhard von Sachsen-Weimar und das Herzogtum Franken – Versuch einer Herrschaftsbildung? Bernhard von Sachsen-Weimar gehörte sicherlich zu den bedeutendsten Heerführern des Dreißigjährigen Krieges.1 Für den jüngsten Sohn des Herzogs Johann III. schien eine militärische Karriere in dieser kriegerischen Zeit der nächstliegende Weg zu sein, um sich ein Einkommen zu sichern und so den aus Kindertagen bekannten Lebensstandart zu halten. Denn die acht Söhne Johanns III. mussten mit ihrem Erbe streng haushalten. Eine Einigung der weimarischen Brüder aus dem Jahr 1617 gestand den Nachgeborenen ab dem vollendeten 23. Lebensjahr immerhin ein jährliches Einkommen von 5.000 Gulden zu.2 Nachdem mehrere Brüder in den 1620er Jahren verstorben waren, wurde den Jüngeren in einer neuen Einigung 1627 eine Pension von 8.000 Gulden versprochen.3 Er konnte damit schon als gut versorgt gelten. Doch trotz dieser Abkommen kam es unter den Brüdern immer wieder zu Spannungen wegen des gemeinsamen Erbes, nicht zuletzt, da die Ämter kriegsbedingt Schwierigkeiten hatten, die zum Unterhalt zugestandenen Summen aufzubringen. All diese Probleme mögen zentrale Motive in Bernhards langem Streben nach einer unabhängigen Herrschaft darstellen. Zunächst schlug der junge Herzog jedoch eine militärische Karriere ein, diente in verschiedenen protestantischen Heeren und wechselte 1631 in die Dienste Gustav II. Adolf und stieg zu einem der wichtigsten schwedischen Feldherren dieser Jahre auf.4
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Zu Bernhard liegen zwei vollständige, jeweils zwei Bände umfassende Biografien vor: Bernhard RÖSE, Herzog Bernhard der Große von Sachsen-Weimar, Weimar 1828; Gustav DROYSEN, Bernhard von Weimar. 2 Bde., Berlin 1885. Vgl. ebd., S. 22; RÖSE, Herzog Bernhard (wie Anm. 1), S. 18 f. Vgl. DROYSEN, Bernhard I (wie Anm. 1), S. 32–34. Zu den Feldzügen der Schweden in Franken und Bayern zu dieser Zeit vor allem: Peter ENGERISSER, Von Kronach nach Nördlingen. Der Dreißigjährige Krieg in Franken, Schwaben und der Oberpfalz 1631–1635, Weißenstadt 2007; Christian KODRITZKI, Schwedenzeit in Franken und Schwaben. Eroberungen, Besatzungszeit und Folgen des ersten schwedischen Vordringens nach Süden im Dreißigjährigen Krieg, Offenbach 2010. Als allgemeine Überblickswerke zum Dreißigjährigen Krieg: Cicely Veronica WEDGWOOD, Der Dreißigjährige Krieg, München 1999; Peter ENGLUND, Verwüstung. Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Hamburg 2013; Christoph KAMPMANN, Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg. Geschichte eines europäischen Konflikts, Stuttgart 2008.
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ALEXANDER QUERENGÄSSER
Dennoch lebte Bernhard nicht nur vom und für den Krieg. Mehrfach versuchte er ein eigenes Herrschaftsgebiet für sich zu gewinnen. Im Sommer 1633 schien sich sein Wunsch zu erfüllen, als er mit dem Herzogtum Franken belehnt wurde. Doch was war dies für ein Gebilde, das in Anlehnung an das hochmittelalterliche Herzogtum aus den Bistümern Würzburg und Bamberg gebildet worden war? Handelte es sich bei der Belehnung Bernhards lediglich um eine Herrschaftsübernahme oder unternahm Bernhard gezielte Versuche einer dauerhaften Herrschaftsbildung?5 Die knapp zwei Jahre schwedisch-weimarischer Herrschaft in Würzburg sind zuletzt 1844 in der Studie Carl Gustav Scharolds untersucht worden.6 Scharold griff dabei auf Akten würzburgischer und gothaischer Archive zurück. Seine Arbeit lieferte auch die Grundlage für die Schilderung der Würzburger Jahre in den Bernhard-Biografien von Bernhard Röse und Gustav Droysen, sowie der seines Bruders Ernst aus der Feder von August Beck.7 Trotzdem geben diese Arbeiten ein sehr unterschiedliches Bild wieder. Während der katholische Franke Scharold die von den Schweden hervorgerufenen Drangsale betonte und die Konfessionspolitik der weimarischen Regierung anprangerte, versuchten Röse, Droysen und Beck – allesamt überzeugte Lutheraner – die positiven Aspekte der Regierung Bernhards hervorzuheben. Das Ziel dieser Arbeit soll es allerdings sein, zu ergründen, ob und wie Bernhard versuchte, in Franken ein neues dauerhaftes ernestinisches Fürstentum zu begründen. Nach seinem Sieg bei Breitenfeld hatte Gustav II. Adolf sein Heer im Herbst 1631 in das Maintal geführt und das Hochstift Würzburg besetzt. Bischof Franz Graf von Hatzfeld floh nach Böhmen.8 Gustav II. Adolf ließ eine 5
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Der Begriff „Staatsbildung“ soll an dieser Stelle vermieden werden, da die jüngere Forschung den Begriff des frühmodernen Staates als ein Konstrukt des 19. Jahrhunderts mittlerweile mehrheitlich ablehnt und stattdessen auf vielschichtigere Modelle von „Herrschaft“ zurückgreift; vgl. dazu Markus MEUMANN/Ralf PRÖVE, Die Faszination des Staates und die historische Praxis. Zur Beschreibung von Herrschaftsbeziehungen jenseits teleologischer und dualistischer Begriffsbildungen, in: DIES. (Hg.), Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses, Münster 2004, S. 11–49. Carl Gottfried SCHAROLD, Geschichte der kön. Schwedischen und herzogl. sachsen=weimarischen Zwischenregierung im eroberten Fürstbisthume Würzburg i. J. 1631–1634. 2 Bde., Würzburg 1844. Vgl. August BECK, Ernst der Fromme, Herzog zu Sachsen-Gotha und Altenburg. Ein Beitrag zur Geschichte des siebenzehnten Jahrhunderts. Bd. 1, Weimar 1865. 2002 widmete Schloss Friedenstein in Gotha dem Herzog eine Ausstellung, zu der auch ein Aufsatzband publiziert wurde. Hierin als biografischer Abriss: Dieter STIEVERMANN, Ernst der Fromme – Möglichkeiten und Grenzen eines Landesfürsten in der Frühen Neuzeit, in: Roswitha JACOBSEN/Hans-Jörg RUGE (Hg.), Ernst der Fromme (1601–1675). Staatsmann und Reformer. Wissenschaftliche Beiträge und Katalog zur Ausstellung, Jena 2002, S. 9–24. Vgl. Dieter SCHÄFER, Geschichte Würzburgs. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2003, S. 94; ENGERISSER, Von Kronach nach Nördlingen (wie Anm. 4), S. 20– 24; SCHAROLD, Zwischenregierung I (wie Anm. 6), S. 6–33. Zum Wirken Franz von Hatzfeld in dieser Zeit vor allem Reinhard WEBER, Würzburg und Bamberg im Dreißigjährigen
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Interimsregierung im Stift einsetzen. Die Bevölkerung hatte der neuen Regierung gegenüber einen Treueid auf den schwedischen König abzulegen.9 Bamberg schlug derweil einen anderen Weg ein. Fürstbischof Johann Georg II. Fuchs von Dornheim (1586–1633) spielte ein doppeltes Spiel. Er zog die Verhandlungen über einen möglichen Bündnisvertrag mit Schweden in die Länge und gewann somit Zeit, um seine Festungen in Verteidigungszustand zu setzen. Als der schwedische König dieses Doppelspiel durchschaute, ließ er Bamberg durch die Truppen unter Feldmarschall Horn besetzen. Mitte Februar marschierten die neu formierten Truppen der Liga unter Generalleutnant Tilly von Amberg nach Forchheim. Am 28. Februar kam es vor Bamberg zu kurzen Gefechten, in deren Folge die Schweden die Stadt wieder räumten.10 Tilly eroberte weite Teile des Hochstifts zurück, was den schwedischen König Anfang März dazu zwang, seinen Feldzug am Rhein abzubrechen und den Main hinaufzumarschieren. Tilly war zu dieser Zeit noch nicht bereit, eine neue Schlacht mit den Schweden zu riskieren und zog sich nach Ingolstadt zurück, wohin ihm der schwedische König nachfolgte.11 Gustav II. Adolf hatte inzwischen begonnen, große Teile des Hochstifts Würzburg an seine getreuen Gefolgsleute zu verteilen. Bereits in diesen Wochen zeigte sich, dass die geistlichen Fürstentümer des Reiches eine willkommene politische Verfügungsmasse für den König darstellten, wobei sich anscheinend keine der beteiligten Parteien Gedanken darüber machte, wie die schnell gemachten Erwerbungen dauerhaft gesichert werden könnten. Unter den Günstlingen befanden sich zum Teil bereits etablierte Reichsstände, die ihre bestehenden Territorien vergrößerten, oder ehemalige Güter zurückerwarben, aber auch verdiente schwedische Offiziere. Bernhard befand sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht darunter.12 Nach dem Tod Gustav Adolfs gingen die politischen Geschäfte der Schweden zunächst an den Reichskanzler Axel Oxenstierna über. Oxenstierna
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Krieg. Die Regierung des Bischofs Franz von Hatzfeld 1631–1642, Würzburg 1970, S. 96– 127; Winfried ROMBERG (Bearb.), Das Bistum Würzburg Bd. 7. Die Würzburger Bischöfe von 1617 bis 1684, Berlin/New York 2011, S. 248–250. Vgl. SCHAROLD, Zwischenregierung I (wie Anm. 6), S. 57–62. Vgl. Karin DENGLER-SCHREIBER, ‚Ist alles oed vnd wüst…‘. Zerstörung und Wiederaufbau in der Stadt Bamberg im Zeitalter des Dreißigjährigen Kriegs, in: Jahrbuch für Fränkische Landesforschung 57 (1997), S. 145–162, hier S. 149; ENGERISSER, Von Kronach nach Nördlingen (wie Anm. 4), S. 29–49; SCHAROLD, Zwischenregierung I (wie Anm. 6), S. 97– 100. Vgl. SCHAROLD, Zwischenregierung I (wie Anm. 6), S. 101–107. Vgl. ebd., S. 112–124. Einen kurzen Abriss dieser Ereignisse liefern auch Michael MAURER, Kirche, Staat und Gesellschaft im 17. und 18. Jahrhundert, München 1999, S. 13 f.; sowie Volker PRESS, Franken und das Reich in der Frühen Neuzeit, in: Jahrbuch für Fränkische Landesforschung 52 (1992), S. 329–347, hier S. 337 f.
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versuchte vor allem die schwedischen Truppen zusammenzuhalten. Diese teilten sich in vier Hauptheere auf, von denen aber nur zwei durch schwedische Feldmarschälle, Gustav Horn und Johan Banér, befehligt wurden. Die beiden anderen unterstanden Wilhelm von Hessen-Kassel und Bernhard von SachsenWeimar.13 Nachdem es Oxenstierna gelungen war, zumindest den Schwäbischen, Fränkischen und Rheinischen Reichskreis im Heilbronner Bund zu organisieren14 und die politische Lage halbwegs zu stabilisieren, brodelte es in der Armee. Am 20. April 1633 richteten die deutschen Offiziere in schwedischen Diensten ein Schreiben an den Reichskanzler, in dem sie auf ihre angespannte Situation hinwiesen. Sie drohten ihm damit, das Kommando über die Armee zu übernehmen und sich selbst im Land zu nehmen, was ihnen ihrer Meinung nach zustünde.15 Die Meuterer hofften auch Bernhard für ihre Sache zu gewinnen. Doch der Herzog wies die Forderungen ebenso wie Feldmarschall Horn zurück. Allerdings ließen beide es zu, dass die Offiziere ihre Sache dem Reichskanzler vortrugen.16 Dieser konnte zumindest einen Monatssold für die Soldaten aufbringen. Die höheren Offiziere versuchte er mit Gütern zu entschädigen.17 Bernhard versuchte sich endlich seinen Teil des Kuchens zu sichern, bevor sich Schweden möglicherweise dazu entschloss, sich aus dem Krieg zurückzuziehen. Am 28. Mai 1633 verließ er seine Armee und eilte nach Heilbronn, wo er von Oxenstierna die Hochstifte Würzburg und Bamberg, welche ihm Gustav Adolf angeblich im Vorjahr versprochen hatte, sowie den Oberbefehl über sämtliche Truppen forderte. Der Kanzler befürchtete, dass der Herzog insgeheim mit seinen meuternden Offizieren sympathisierte.18
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Vgl. WEDGWOOD, Dreißigjähriger Krieg (wie Anm. 4), S. 320; RÖSE, Herzog Bernhard (wie Anm. 1), S. 213–217. Vgl. KAMPMANN, Europa und das Reich (wie Anm. 4), S. 91; ENGLUND, Verwüstung (wie Anm. 4), S. 164–167. Zum Heilbronner Bund liegt eine Zahl größtenteils älterer Literatur vor, vgl. Albert KÜSEL, Der Heilbronner Convent. Ein Beitrag zur Geschichte des dreißigjährigen Krieges, Halle 1878; Johannes KRETZSCHMAR, Der Heilbronner Bund, 3 Bde. Lübeck 1922; als Studie jüngeren Datums: Herbert LANGER, Der Heilbronner Bund (1633–35), in: Volker PRESS/Dieter STIEVERMANN (Hg.), Alternativen zur Reichsverfassung in der Frühen Neuzeit?, München 1995, S. 113–122. Vgl. DROYSEN, Bernhard I (wie Anm. 1), S. 153–155; RÖSE, Herzog Bernhard (wie Anm. 1), S. 209–211; ENGLUND, Verwüstung (wie Anm. 4), S. 167 f. Vgl. DROYSEN, Bernhard I (wie Anm. 1), S. 155–157; RÖSE, Herzog Bernhard (wie Anm. 1), S. 211; KAMPMANN, Europa und das Reich (wie Anm. 4), S. 91; ENGLUND, Verwüstung (wie Anm. 4), S. 168–169. Vgl. DROYSEN, Bernhard I (wie Anm. 1), S. 156–157; KAMPMANN, Europa und das Reich (wie Anm. 4), S. 91; ENGLUND, Verwüstung (wie Anm. 4), S. 168 f. Vgl. DROYSEN, Bernhard I (wie Anm. 1), S. 166–168; SCHAROLD, Zwischenregierung I (wie Anm. 6), S. 263 f.
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In Bernhards Drang nach einem eigenen Staatsgebilde lag sicherlich weniger der Wunsch, sich als lutherischer Reichsfürst anstelle des unwilligen Kurfürsten von Sachsen an die Spitze der Protestanten im Reich zu stellen, wie Gustav Droysen im Sinne der nationalistischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts schrieb.19 Vielmehr wird es für den nachgeborenen Sohn eines Reichsfürsten der Gipfel dessen gewesen sein, war er sich an Macht und materieller Absicherung wünschen konnte. Der Kanzler war nicht gewillt, Bernhard den Oberbefehl zukommen zu lassen, da dies zu Verstimmungen mit Horn und Banér geführt hätte. Verlieren wollte er die Dienste des Herzogs jedoch ebenfalls nicht. Ab April 1633 streckte Kardinal Richelieu seine Finger nach Bernhard aus, um ihn in französische Dienste zu ziehen. Über seinen Mittelmann Feuquières nahm er Verhandlungen mit dem Herzog auf. Gleichzeitig blieben die französischen Subsidiengelder aus, die für die Bezahlung seines Heeres dringend benötigt wurden.20 Oxenstierna lehnte die Forderung Bernhards nach dem Oberbefehl schließlich ab.21 Im Blick auf seine materiellen Forderungen verwies er ihn an den Heilbronner Bund. Die Bundesfürsten waren erstaunlich schnell bereit, sich auf den Handel einzulassen. Am 10./20. Juni wurde Bernhard offiziell mit dem neugebildeten Herzogtum Franken belehnt. Er verpflichtete sich, rückständige Einnahmen in Höhe von 600.000 Talern binnen der nächsten vier Jahre zu begleichen. Zugleich unterzeichnete er die Heilbronner Bundesakte. Der Bund versprach, seine Ansprüche und die seiner Nachkommen zu schützen und in einem zukünftigen Frieden rechtlich bestätigen zu lassen. Vier Tage später schloss Bernhard ein separates Bündnis mit Schweden, welches ihn zur Stellung eines 2.500 Mann starken Kontingents verpflichtete.22 Sein neues Herzogtum umfasste im Wesentlichen das Gebiet der beiden Bistümer Würzburg und Bamberg und dem Maintal bis zum Thüringer Wald. Dagegen musste Bernard den Schweden das Recht einräumen „in denen Vestungen Würtzburgk undt Königshofen Commendanten, wie auch Guarnisonen, so
19 20 21 22
Vgl. DROYSEN, Bernhard I (wie Anm. 1), S. 166–168; RÖSE, Herzog Bernhard (wie Anm. 1), S. 219–223. Vgl. WEDGWOOD, Dreißigjähriger Krieg (wie Anm. 4), S. 322; RÖSE, Herzog Bernhard (wie Anm. 1), S. 222 f. Vgl. DROYSEN, Bernhard I (wie Anm. 1), S. 172 f.; Karl MENZEL, Bernhard, Herzog zu Sachsen-Weimar, in: Allgemeine Deutsche Biografie, Bd. 2, Leipzig 1875, S. 439–450, hier S. 441. Die Belehnungsurkunde befindet sich in Gotha, vgl.: Thüringisches Staatsarchiv Gotha, Geheimes Archiv (im Folgenden: ThStAG, GA), QQ (KK) I–XVII Urkunden & Briefschaften Herzog Bernhard z. Sachsen Weimar 1633, Nr. 1 und als gekürzte Kopie Nr. 3.
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starck deroselben es belieben“23 bis zum künftigen Friedensschluss einzuquartieren, womit er einen Teil seiner Souveränität abtrat. Außerdem musste Bernhard den durch Gustav II. Adolf belehnten Offizieren und Adligen den Besitz ihrer neuen Güter zusichern. Dies betraf die Schenkungen an den Markgrafen von Brandenburg-Kulmbach-Ansbach, Philip Reinhard Graf von Solms, die Grafen von Wertheim und von Löwenstein, den schwedischen Oberst Axel Lillie,24 die Besitzungen des Johanniter und des Deutschen Ordens sowie den bei der Krone bleibenden Ämtern Steinau und Teißing.25 Dadurch war sein Herrschaftsbereich stark zersplittert. Außerdem befanden sich nicht alle Landesteile vollständig in der Hand der Protestanten. Diese hatten zwar am 8. Februar 1633 Bamberg zurückerobern können, die dortige Besatzung verstärkte allerdings die ligistische Garnison von Forchheim. Auch ein Großteil des Domschatzes lagerte sicher in der Festungsstadt, die die Schweden, ebenso wie das nahe Kronach, nie einnehmen konnten.26 Auch die Getreide- und Weinernten dieses fruchtbaren Gebietes blieben Eigentum der Krone Schwedens.27 Auf die Nachricht von Bernhards Belehnung sandte der Magistrat von Würzburg sogleich einen Gesandten an den Herzog, um auf die kriegsbedingte schlechte Verfassung der Stadt und des Landes hinzuweisen. Der Herzog zeigte sich generös und versprach, alle Beschwerden zu beseitigen und sich überhaupt um die Wohlfahrt seines Landes kümmern zu wollen.28 Am 3. Juli 1633 traf Bernhard in Würzburg ein und nahm vorerst im Hof des Bamberger Dompropsts sein Quartier. Anschließend reiste er nach Königs23
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Zit. ThStAG, GA, QQ (KK) I–XVII Urkunden & Briefschaften Herzog Bernhard z. Sachsen Weimar 1633, Nr. 1, Bl. 2. Die Urkunde schrieb allerdings vor, dass die Garnison Bernhard auch als Landesherren anerkennen sollte. Gleichzeitig wurde festgelegt, dass in jeder der genannten Festungen vier Kompanien einquartiert werden sollten. Die diesbezüglichen Bestimmungen wurden auf Befehl des schwedischen Großschatzmeisters Oberst Christoph Karl zu Brandenstein vom 19. Juli 1633 im Herzogtum öffentlich bekannt gemacht, vgl. ThStAG, GA, QQ (KK) I–XVII Urkunden & Briefschaften Herzog Bernhard z. Sachsen Weimar 1633, Nr. 6. Lillie befehligte die Garnison der Festung Marienburg, zu Axel Lillie vgl. Alexander ZIRR, Lillie, Axel, in: Markus MEUMANN (Hg.), Lexikon der Heerführer und hohen Offiziere des Dreißigjährigen Krieges, (online unter: http://www.amg-fnz.de/dreissig-jaehriger-kriegonline/heerfuehrer-und-offiziere/lillie-axel/[Zugriff: 28. Februar 2016]). ThStAG, GA, QQ (KK) I–XVII Urkunden & Briefschaften Herzog Bernhard z. Sachsen Weimar 1633, Nr. 1, Bl. 1–2; vgl. PRESS, Franken und das Reich (wie Anm. 13), S. 238. Vgl. DROYSEN, Bernhard I (wie Anm. 1), S. 174–178; RÖSE, Herzog Bernhard (wie Anm. 1), S. 223; WEDGWOOD, Dreißigjähriger Krieg (wie Anm. 4), S. 321 f.; MENZEL, Bernhard (wie Anm. 25), S. 441; DENGLER-SCHREIBER, ‚Ist alles oed vnd wüst…‘ (wie Anm. 10), S. 150 f. Vgl. DROYSEN, Bernhard I (wie Anm. 1), S. 180 f.; RÖSE, Herzog Bernhard (wie Anm. 1), S. 223 f. Vgl. SCHAROLD, Zwischenregierung I (wie Anm. 6), S. 266 f.
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hofen und verschaffte sich eine Übersicht über die wirtschaftliche Verfassung des Landes.29 Am 26. Juli kehrte Bernhard nach Würzburg zurück und hielt nun einen feierlichen Einzug. Zu seiner persönlichen Equipage gehörten vier sechsspännige und drei vierspännige Hofwagen. Zwei Tage später besichtigte er das Schloss und die Festung, wo am 29. Juli 1633 die feierliche Inthronisierung stattfand, bei welcher ihm auch die Ständevertreter zu huldigen hatten.30 Schon kurz darauf verlangten die militärischen Ereignisse in Bayern Bernhards Anwesenheit. Es war die Aufgabe seines Bruders Ernst, den der Herzog bereits am 21. Juli zu seinem Statthalter ernannt hatte, aus den zerstückelten Territorien eine funktionierende Herrschaft aufzubauen.31 Im Oktober 1633 erfolgte die Einrichtung einer Landesregierung und die neue Verwaltungseinteilung Frankens. Ernst teilte das Herzogtum in acht Amtshauptmannschaften: Würzburg, Karlstadt, Ochsenfurt, Gerolshofen, Mainberg, Fladungen, Königshofen und Ebern. An der Spitze dieser Ämter stand jeweils ein aus dem Adel stammender Oberamtmann, ihm zur Seite ein Justizamtmann und ein Kameralbeamter.32 Die Regierungskollegien teilte Ernst in eine Kanzlei (oder auch Regierung), ein Konsistorium, eine Kammer und ein Landgericht. Die Kanzlei bestand aus dem Kanzler, zwei Geheimen Räten, drei adligen und vier gelehrten Räten sowie 19 Beamten.33 Bei der Neugestaltung des Konsistoriums berief Bernhard den Generalsuperintendenten Dr. Christoph Schleupner zum Präsidenten. Ihm standen drei Beisitzer und ein Sekretär zur Seite. Dieses Konsistorium beaufsichtigte das gesamte protestantische Kirchen- und Schulwesen des Herzogtums und war berechtigt, die Spezialsuperintendenten der einzelnen Amtshauptmannschaften und die Pfarrer augsburgischer Konfession zu bestellen. Bei der Auswahl stützte sich das Konsistorium vor allem auf Bürger aus Sachsen-Weimar. So kamen von den acht Spezialsuperintendenten drei aus Weimar und einer aus Gotha.34 Die Kammer setzte sich aus dem Präsidenten, einem adeligen und einem gelehrten Rat, dem Rentmeister, Kammermeister, Sekretär, Steuerschreiber, 29 30 31 32 33 34
Vgl. ebd., S. 272. Vgl. DROYSEN, Bernhard I (wie Anm. 1), S. 184–188; RÖSE, Herzog Bernhard (wie Anm. 1), S. 226 f.; Scharold, Zwischenregierung I (wie Anm. 5), S. 278–280; SCHAROLD, Zwischenregierung II (wie Anm. 6), S. 288–294. Vgl. BECK, Ernst der Fromme (wie Anm. 7), S. 80; SCHAROLD, Zwischenregierung II (wie Anm. 6), S. 294; DROYSEN, Bernhard I (wie Anm. 1), S. 207–209; RÖSE, Herzog Bernhard (wie Anm. 1), S. 227–230. Vgl. DROYSEN: Bernhard I (wie Anm. 1), S. 208 f. Vgl. ebd., S. 208. Vgl. SCHAROLD, Zwischenregierung II (wie Anm. 6), S. 382; DROYSEN, Bernhard I (wie Anm. 1), S. 209.
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Registrator, Rentschreiber und einem Boten zusammen, das Landgericht aus einem Landrichter, zwei adeligen und zwei gelehrten Räten und Assessoren.35 Diese Dreiteilung der Landesregierung ist deutlich von der in SachsenWeimar beeinflusst, die ebenfalls aus Regierung, Konsistorium und Kammer bestand. Ernst sollte dasselbe Modell später im Herzogtum Sachsen-Gotha etablieren.36 Gerade hierin lässt sich der Versuch einer dauerhaften Herrschaftsbildung erkennen. Ernst erwies sich von Beginn an als geschickter Politiker. Am 31. Juli ließ er ein Mandat publizieren, worin er der Bevölkerung mitteilen ließ, er habe Kommissare ausgesandt, um in den einzelnen Städten und Ortschaften die Erbhuldigung zu empfangen. Sobald diese vollzogen sei, durften Verzeichnisse der durch den Krieg entstandenen Notstände bei der Landesregierung einreichen, gegen die er Abhilfe versprach.37 Dennoch gestaltete sich das Verhältnis der neuen herzoglichen Regierung zur fränkischen Bevölkerung von Beginn an schwierig. Die Mehrheit der Bevölkerung nahm Bernhard lediglich als schwedischen Klientelfürsten war, der das Land weiterhin für die Kriegsführung der Protestanten ausbeuten würde. Ein Teil der fränkischen Ritterschaft verweigerte ihm die Huldigung und flüchtete sich in die Erklärung, sie würde zu den durch die Schenkungsurkunde eximierten Vasallen Schwedens gehören. Der Herzog wandte sich daher an den Reichskanzler, der durch zwei Patente vom 7. und 10. September 1633 erklären ließ, dass nur die namentlich in der Urkunde aufgeführten Eximierten sich tatsächlich des Eides enthalten durften.38 Für Bernhard gewann sein neues Herzogtum nicht zuletzt für seine Stellung als Soldat große Bedeutung. Auch er war nicht einfach nur Offizier innerhalb der schwedischen Armee, sondern ein Kriegsunternehmer, der Truppen auf eigene Kosten aufstellte und unterhielt. Sein Herzogtum diente ihm nicht nur zur Deckung laufender Ausgaben. Er verteilte auch Güter an ihm ergebene Of35 36
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Vgl. ebd., Bernhard I (wie Anm. 1), S. 208. Zu Ernsts Regierung in Sachsen Gotha vgl. STIEVERMANN, Ernst der Fromme (wie Anm. 7), S. 14 f. Andreas Klinger geht in seinem Aufsatz leider nicht auf diese Parallelen ein: Andreas KLINGER, „Den Staat neu erheben“ – Zur Staatsbildung Ernsts des Frommen, in: JACOBSEN/RUGE, Ernst der Fromme (wie Anm. 7), S. 25–34. Vgl. SCHAROLD, Zwischenregierung II (wie Anm. 6), S. 295; BECK, Ernst der Fromme (wie Anm. 7), S. 80. Vgl. ThStAG, GA, QQ (KK) I–XVII Urkunden & Briefschaften Herzog Bernhard z. Sachsen Weimar 1633, Nr. VIII a &VIII b. Ein Teil des Fränkischen Adels war in einem eigenen Reichsgrafenkollegium organisiert und wollte über seine Vertreter in Heilbronn Beschwerden über das Auftreten der neuen ernestinischen Regierung gegenüber Oxenstierna einreichen, die Gravamina wurden jedoch nicht vorgelegt, vgl. Ernst BÖHME, Das Fränkische Reichsgrafenkollegium im 16. und 17. Jahrhundert. Untersuchungen zu den Möglichkeiten und Grenzen zu den kooperativen Möglichkeiten mindermächtiger Reichsstände, Wiesbaden 1989, S. 269.
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fiziere, um sie enger an sich zu binden. Damit etablierte er zugleich ihm treue Vertreter unter den heimischen Ständen.39 Das größte Problem für die lutheranische Landesregierung stellte die katholische Bevölkerung dar. Bereits im August reichte eine Abordnung der Stadt Würzburg eine Petition mit fünf Forderungen beim Statthalter ein. Der Magistrat forderte die Bestätigung seiner bisherigen Rechte, eine Beteiligung des Umlandes an der von den Schweden geforderten Kontribution von täglich 100 Talern und eine Zusage, dass die Bauern Felder und Weinhänge ungestört bestellen konnten. Das wichtigste Anliegen des Magistrats bestand jedoch in der Zusicherung, dass Bernhard der Bevölkerung das Recht auf die ungestörte Ausübung der römisch-katholischen Religion zugestehen möge, was ihnen von Ernst sogleich versichert wurde. Für alle übrigen Forderungen musste der Statthalter jedoch erst mit seinem Bruder Rücksprache halten.40 Dennoch erklärte Ernst, auch den Lutheranern in einer an Kirchen so reichen Stadt wie Würzburg müsse es möglich sein, ihre Religion auszuüben. Dabei dachte der Statthalter jedoch nicht an ein beliebiges Gotteshaus, sondern an den Dom. Schon während der Schwedischen Interimsregierung hatte Oxenstierna eine simultane Nutzungsordnung erlassen. Bernhard hielt an diesem Prinzip fest und erlaubte den Katholiken weiterhin die Nutzung des Doms von 6 bis 8 Uhr.41 Doch der Magistrat gab sich mit dieser durchaus toleranten Lösung nicht zufrieden. Er beschwerte sich über die Besetzung frei werdender Pfarrstellen mit Lutheranern, verweigerte Steuern und Kontributionen und blockierte die herzogliche Politik, wo es ihm möglich war und bezog sich dabei immer wieder auf die noch nicht erfüllten Forderungen seiner Petition. Erzürnt befahl Bernhard seinem Bruder daher Ende August, den Dom nun ausschließlich für Lutheraner zu nutzen. Ernst begründete die Inbesitznahme gegenüber dem Rat schließlich mit der Flucht mehrere Domherren, aber auch durch das Kriegsrecht. Demnach stand es dem neuen Landesherren zu, für seine Konfession eine angemessene Kirche zur Verfügung zu haben. Er stellte es den Katholiken jedoch frei, die protestantischen Andachten im Dom zu besuchen.42 Bernhard versuchte weitere Konflikte zu vermeiden, indem er sich in religiösen Fragen liberal gab. Gleichzeitig verlangte Ernst von der katholischen Bevölkerung, dass sie den Lutheranern ebenso tolerant gegenüber auftraten, wie der 39 40 41 42
Vgl. RÖSE, Herzog Bernhard (wie Anm. 1), S. 221; PRESS, Franken und das Reich (wie Anm. 13), S. 238. Vgl. SCHAROLD, Zwischenregierung II (wie Anm. 6), S. 301–303; BECK, Ernst der Fromme (wie Anm. 7), S. 83. Vgl. DROYSEN, Bernhard I (wie Anm. 1), S. 192–194. Vgl. SCHAROLD, Zwischenregierung II (wie Anm. 6), S. 306–314; BECK, Ernst der Fromme (wie Anm. 7), S. 83 f.
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Herzog ihnen gegenüber, und den neuen Landesherren in ihre Gebete einschlössen. Darüber hinaus wurde der julianische Kalender wieder in Franken eingeführt.43 Dennoch blieb das Verhältnis zwischen der neuen Regierung und den etablierten Ständen – insbesondere dem Magistrat der Stadt Würzburg – angespannt. So gestand der Magistrat den Angehörigen des Weimarer Hofstaates zwar die benötigten Betten zu, sträubte sich aber hartnäckig, diese zu verpflegen und verwies auf die Belastung durch die schwedische Festungsgarnison. Verärgert lehnte der Statthalter die Gesuche der Stadt um die Milderung der Kontributionen zunächst ab. Aber die Vertreter Würzburgs blieben hartnäckig und trugen ihr Anliegen am 5. September Bernhard persönlich vor. Der Herzog bat die Bürgerschaft, die Kontribution von 1.000 Talern alle zehn Tage noch einen Monat lang zu zahlen, danach werde er die Lasten auf das Land verteilen. Er erinnerte sie aber auch sogleich an seine eigene prekäre finanzielle Lage: „Sie möge nur bedenken, daß ich mit leeren Händen in dieses Land gekommen und in dessen Besitz eingewiesen worden bin.“44 Nachdem der Magistrat jedoch weiterhin die Versorgung des Hofstaates und die Zahlungen der Kontributionen verweigerte und sich auch gegen die Besetzung frei gewordener Ratsstellen mit Lutheranern sträubte, ließ ihm der Statthalter auf einer gemeinsamen Sitzung am 29. Oktober 1633 erzürnt mitteilen: Noch hat der Rat der Stadt mir oder meinem Herrn Bruder nicht das Wenigste, ja nicht einen Nagel breit Gefälliges geleistet, und nicht bedacht, daß ihr jetziger Fürst mit leeren Händen ins Land eingewiesen ward. Man hat mich bisher immer nur mit Worten hingehalten. Wenn dies bei euch so Sitte ist, gut, so will ich den Rath auch bloß mit Worten abspeisen. Bisher hatte ich die Wohlfahrt der Stadt und des Raths im Auge, hatte alles gute Vertrauen zu erreichen gesucht; allein wie von Eurer Seite die Worte treu und vertraulich, die Ihr immer gebraucht habt, zu verstehen seyen, mag Gott wissen. Jawohl, Gott weiß, daß Ihr in so geringfügiger, lumpigen Sache difficultiret und die Evangelischen vom Rathe auszuschließen gedenket. Die Evangelischen sind ebenso redliche Leute, als die Katholischen. Ich war gesonnen, sowohl die Katholischen wie die Evangelischen zu Aemtern anzustellen, wie ich jetzt wirklich einen aus der Mitte des Raths zum hießigen Vogt ernannt habe. Bei so bewandten Umständen muß ich jedoch die Katholischen zurückstellen und – wohlgemerkt! – bedacht seyn, die Rechte und Gerechtigkeiten meines Herrn in Ausübung zu bringen.45
Diese Worte Ernsts verdeutlichen die Probleme aller Parteien sehr genau. Bernhards Herrschaft fehlte die wirtschaftliche Basis, da das Land vom Krieg in Mitleidenschaft gezogen war und die neuen Stände sich beharrlich wehrten, 43 44 45
Vgl. SCHAROLD, Zwischenregierung II (wie Anm. 6), S. 324–326; DROYSEN, Bernhard I (wie Anm. 1), S. 190–198; RÖSE, Herzog Bernhard (wie Anm. 1), S. 229. Zit. nach SCHAROLD, Zwischenregierung II (wie Anm. 6), S. 339. Zit. nach ebd., S. 345 f.
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Sonderabgaben zu zahlen. Die Stände wiederum fürchteten das gewaltsame Zurückdrängen des Katholizismus. Dass Ernst tatsächlich bemüht war, einen Ausgleich zwischen den Konfessionen herzustellen, lässt sich dagegen nicht von der Hand weisen. In theologischen Fragen holte Ernst den Rat der Universität Jena ein. Er ließ mehrere Gutachten anfertigen, wie das Kirchen- und Schulwesen im Herzogtum am effektivsten reformiert werden könne. Ein wichtiger Punkt bestand in dem Umgang mit der jüdischen Bevölkerung, ob und wenn ja, wie diese geduldet werden sollten. Die Universität überstellte Ernst eine Liste mit Personen, die sie für die Besetzung offener Patronats- und Schulstellen geeignet hielt, darunter auch 15 Studenten der Universität. Darüber hinaus ermunterte das Gutachten den Statthalter, alle Pfarrstellen, über die er das Patronatsrecht ausübte, auch mit Lutheranern zu besetzen, da dies zum Wohle der Bevölkerung sei. Bezüglich der Juden stellte die Universität es dem Herzog frei, ob er diese erdulden wolle. Allerdings sei ihnen höchstens die Erhaltung bestehender Synagogen zu gestatten, nicht aber deren Neubau. Außerdem wäre es ratsam, die Juden unter Androhung von Geldstrafen und sogar des Landesverweises zum Besuch christlicher Messen und zum Lesen der Bibel zu zwingen, um sie so zum rechten Glauben zu führen.46 So zermürbend sich die konfessionellen Dispute gestalteten, das drängendste Problem blieb die Wiederherstellung der fränkischen Wirtschaft und somit der landesherrlichen Einnahmen. Ernst ließ eine Kommission zusammenstellen, die mit Hilfe des Würzburger Magistrats die Höfe und Häuser, Getreide- und Weinvorräte sowie das Einkommen der Würzburger Bürger erfassen sollte, ebenso wie den Besitz geflohener katholischer Priester. Aber auch hier gestaltete sich die Zusammenarbeit wenig ergiebig. Städtische Beamte hielten Zinsbücher zurück, viele Priester hatten ihre Kirchbücher mitgenommen oder versteckt. Daher sah sich Ernst dazu veranlasst, am 23. Oktober ein Mandat zu veröffentlichen, worin er die Bürger direkt dazu aufforderte, binnen vier Wochen ihr Steueraufkommen anzuzeigen. Doch auch diese Maßnahme fruchtete wenig, denn am 24. Mai 1634 sah sich der Statthalter gezwungen, das Mandat zu erneuern.47 Die wirtschaftliche Leitung des Landes blieb fest in der Hand des Statthalters. Bernhard verbot daher auch die Wiederherstellung des unter den Schweden aufgelösten würzburgischen Oberrates, dem obersten wirtschaftspolitischen Gremium aus fürstbischöflicher Zeit. Noch im März 1634 ließ der Herzog dem Bürgermeister und dem Rat von Würzburg mitteilen: 46 47
Vgl. SCHAROLD, Zwischenregierung II (wie Anm. 5), S. 374–380; BECK, Ernst der Fromme (wie Anm. 6), S. 93–96. Vgl. DROYSEN, Bernhard I (wie Anm. 1), S. 202 f.; Das zweite Mandat ist bei SCHAROLD, Zwischenregierung II (wie Anm. 6) als Beilage LXVI abgedruckt.
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Nun es aber an iezo viel in einem anderen Statu unserer Regierung auch dermaßen bestellet, daß ermehlter Ober Raths /: darin wir dann auß gewißen ergäblichen motivis und Ursachsen keines weges Condescendiren können :/ nicht bedürfftig, noch waß Uns derselben respectirlich, Viel weniger Ihr euch darumb Ichtwas anzumasßen. Alß begern wir hiermit gnedig, ihr wollet Eüch dergleichen nicht unterfangen, der jenigen Sachen so vor den StadtRath gehörig abwarthen, und die horige expeditiones, so sonsten vor den OberRath gezogen worden, an Unsere Fürstl. Regierung dieses Orths remittiren.48
Darüber hinaus entwickelte Ernst eigene Pläne, die Wirtschaft anzukurbeln. Das Projekt einer Salzniederlassung in Würzburg wurde nicht umgesetzt. Dafür ließ er günstig Vieh aus Sachsen-Weimar für die herzoglichen Domänen ankaufen, damit Bernhard wenigstens aus seinen persönlichen Besitzungen Einkünfte erzielen konnte.49 Auch um die Instandhaltung der Verkehrswege wurde sich gekümmert. Im Dezember 1633 ordnete Bernhard persönlich an, dass die Treidelwege zwischen Schweinfurt und Würzburg instand gesetzt werden sollten, da sich die Berichte der Mainschiffer häuften, die „wegen lange Zeit anhero nicht geräumten Leinwegs schwerlich Undt mit sonderbar gewesener Gefahr nicht mehr fortkommen könnten.“.50 Im Zuge der wirtschaftlichen Krise hatten viele Würzburger Gastleute ihre Preise angehoben, wodurch der Fernhandel litt. Daher erließ Ernst am 17. Oktober 1633 ein Mandat, welches die Kosten für Unterbringung und Verpflegung für Fremde und ihre Diener in Übereinkommen mit den Polizeiordnungen der Reichsabschiede regelte.51 Obwohl die Festung Marienberg nach der Belehnungsurkunde Bernhards nach wie vor der schwedischen Krone unterstand, bemühte sich Ernst ab Oktober intensiv um ihre Verstärkung. Hierfür ließ er sich von den Amtshauptleuten Listen mit den verfügbaren Fuhrwerken und Knechten schicken. Unter Leitung des schwedischen Oberstleutnant Karl Martensau arbeiteten schließlich 600 Mann und 50 zweispännige Fuhrwerke an der Erweiterung der Wallanlagen. Auch diese Hand- und Spanndienste liefen nicht ohne Probleme ab. Bereits am 19. November sah sich die Regierung dazu veranlasst, die einzelnen Amtshauptleute zu ermahnen, weil mehrere Ämter ihre Kontingente verweigerten. Aber 48 49 50 51
Stadtarchiv Würzburg (im Folgenden: StadtAW) – Ratsakten 904, Verbot des Herzogs von Sachsen, den aufgelösten Oberrat wieder herzustellen, Bl. 2, Herzog Bernhard an den Bürgermeister und Rat von Würzburg, 24. März 1634. Vgl. DROYSEN, Bernhard I (wie Anm. 1), S. 203; BECK, Ernst der Fromme (wie Anm. 7), S. 83. Zit. StadtAW – Ratsakten 680, Befehl des Herzogs von Sachsen, den Leinweg zwischen Würzburg und Schweinfurt zu verbessern, ohne Bl. Befehl Herzog Bernhards, 10. September 1633. Vgl. DROYSEN, Bernhard I (wie Anm. 1), S. 203; Das Mandat ist bei SCHAROLD, Zwischenregierung II (wie Anm. 6) als Beilage LIX abgedruckt.
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die Beamten brachten etliche Gründe vor, warum sie die geforderten Leistungen nicht erbringen konnten. Der Amtskeller von Haßfurt beteuerte, die Forderungen der Regierung verlange von seinen Untertanen Unmögliches, da diese durch die endlosen Truppendurchzüge zunehmend verarmten. Der Amtshauptmann von Geroldshofen beschwerte sich dagegen, dass die von ihm gestellten Fuhrwerke und Knechte nicht nur für die Festungsarbeiten, sondern auch für private Fuhrdienste der schwedischen Offiziere genutzt worden waren. Aufgrund all dieser Klagen und Beschwerden, hob Ernst die Anordnung zur Stellung von Arbeitskräften im Frühjahr 1634 vorerst auf.52 Diese Vorfälle kennzeichnen ein typisches Problem frühneuzeitlicher Herrschaft: Sobald sich verschiedene Herrschaftsträger in unterschiedliche Herrschaftsbefugnisse teilten, versuchten Untertanen die daraus resultierende Konkurrenzsituation auszunutzen, um sich von Abgaben-, Quartierlasten oder Dienstleistungen zu befreien. Auch die dienstpflichtigen Bauern und Bürger agierten in der Frühen Neuzeit nicht als stumme Befehlsempfänger, sondern waren eigenständige und selbstbewusst agierende Parteien, wenn es um das Aushandeln von Landesherrschaft ging.53 Triftige Gründe hatten vor allem die Beamten aus dem Bamberger Landesteil vorzutragen. Der Beamte aus Oberschwarzach erklärte im Dezember, aufgrund feindlicher Streifscharen, die von Forchheim ausgezogen waren, sei er gezwungen seinen Amtssitz zu verlassen. Deswegen könne er den herzoglichen Anordnungen nicht den benötigten Nachdruck verleihen. Die schwedische Armee hatte Bamberg im Oktober 1633 geräumt, woraufhin die in Forchheim und Kronach verbliebenen Kontingente der Kaiserlichen und der Liga wieder aktiv wurden. Die Forchheimer Besatzung fiel mehrfach über Bamberg her und konfiszierte Gelder, die als Kontribution für die Schweden gedacht waren. Am 22. Februar 1634 rückten daher erneut schwedische Truppen unter Georg von Uslar in der Stadt ein.54 Auch die Pest wütete in Bamberg, was zwischen 1632 und 1634 zu einem Bevölkerungsrückgang von schätzungsweise 20 Prozent führte. Ein namentlich 52 53
54
Vgl. SCHAROLD, Zwischenregierung II (wie Anm. 6), S. 386–393. Dies ist nur einer der Gründe, warum die jüngere Forschung den Begriff des „Absolutismus“ als Epochenbegriff ablehnt. Markus Meumann und Ralf Pröve plädieren daher für ein Modell der „Herrschaft als soziale Praxis“ oder auch „Herrschaft als dynamischer und kommunikativer Prozess“, bei welchem die Strukturen einer Herrschaft in einem ständigen, nicht linear verlaufenden Prozess durch Herrscher und Beherrschte verschoben wird, vgl. MEUMANN/PRÖVE, Die Faszination des Staates und die historische Praxis (wie Anm. 5), S. 45–49; zur Absolutismuskritik vgl. Nicholas HENSHALL, The Myth of Absolutism. Change and Continuity in Early Modern European Monarchy, London 1992; Heinz DUCHHARDT, Absolutismus – Abschied von einem Epochenbegriff, in: Historische Zeitschrift 258 (1994), S. 113–123; DERS., Die Absolutismusdebatte – eine Antipolemik, in: Historische Zeitschrift 275 (2002), S. 323–331, hier S. 324. Vgl.: DENGLER-SCHREIBER, ‚Ist alles oed vnd wüst…‘ (wie Anm. 10), S. 152.
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nicht bekannter Chronist aus dem Bamberger Jesuitenkolleg berichtet, wie Bernhard im März 1634 in die Stadt einritt und die namentlich von den Schweden so furchtbar verwüsteten Gebäude betrachtete, sah man ihn schmerzlich seufzen. Dann berief er den Stadtrat in die fürstliche Hofburg und sprach sein Bedauern aus, daß er jetzt der Stadt weh tun müsse […] Auch noch einen anderen Beweis seines Wohlwollens gab er; als die Hungersnoth in den Grad überhand nahm, daß Viele nicht einmal mehr Kleien zur Nahrung hatten, die dann wie Schatten auf den Straßen umherirrten, oder in den Wäldern vor Elend niedersanken, und auch für die nächste Zukunft nichts zu hoffen war, weil der Feldbau gänzlich darnieder lag, so erklärte sich der Herzog bereit, Saatgetreide herauszugeben.55
Im Februar 1634 ließ Bernhard einen fränkischen Kreistag in Würzburg einberufen, um weitere Mittel zur Fortsetzung des Krieges zu beschaffen. Geplant war die Aufstellung von zwei Regimentern zu Fuß und vier Kompanien zu Ross. Die Entscheidung über weitere Rüstungsmaßnahmen wurde allerdings auf den Frankfurter Konvent vertagt.56 Da Ernst das Herzogtum des Öfteren in diplomatischen und militärischen Angelegenheiten verlassen musste, ernannte Bernhard am 2. Februar 1634 Tobias von Ponickau zum neuen Statthalter. Dieser war allerdings nach wie vor den Weisungen seines Bruders unterstellt.57 Eine der letzten wichtigen Maßnahmen Bernhards bestand in dem Versuch, die Würzburger Universität „Gott zu Ehren undt der lieben Jungent zum besten, wiederumb aufzurichten.“ Ponikau wurde angewiesen „wohl qualificirte gelehrte, undt der Augsburgischen Confession zugethane redliche Leuthe“ anzuwerben. Zur Bezahlung des Personals wurden der Universität die Einkünfte der Köster Ober- und Unterzelle und Schwarzach zugeteilt.58 Zum Tragen kamen diese Anweisungen nicht mehr. Die Tage nach der Schlacht bei Nördlingen entlarvten das Herzogtum Franken als ein fantastisches Konstrukt, dessen Chancen auf dauerhaften Bestand von Anfang an äußerst gering gewesen waren. Bernhard floh nach Frankreich und am 14. Oktober eroberten die Kaiserlichen Würzburg. Die schwedische 55 56
57 58
Zit. nach ebd., S. 152. Vgl. ThStAG, GA, QQ (KK) I–XVII Urkunden & Briefschaften Herzog Bernhard z. Sachsen Weimar 1633, Nr. 10; Zu den Tagungen des Fränkischen Kreises: Winfried DOTZAUER, Die deutschen Reichskreise (1383–1806). Geschichte und Aktenedition, Stuttgart 1998, S. 112. BECK, Ernst der Fromme (wie Anm. 7), S. 97 f. Vgl. ThStAG, GA, QQ (KK) I–XVII Urkunden & Briefschaften Herzog Bernhard z. Sachsen Weimar 1633, Nr. XI. Besonders die Bibliothek der Universität hatte unter dem Krieg zu leiden. Die Schweden hatten unmittelbar nach der Besetzung der Stadt einen großen Teil kostbarer Bücher konfiziert, um sie der von Gustav II. Adolph gegründeten Universität Uppsala zuzuführen, vgl. Otto WALDE, Der Bücherraub der Schweden 1631 in Würzburg, in: Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 56 (2004), S. 162–179.
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Besatzung der Festung Marienberg kapitulierte einen Monat später. Am 23. Dezember kehrte Fürstbischof von Hatzfeld, der am 4. August 1633 auch zum Bischof von Bamberg gewählt worden war, in die Stadt zurück.59 Spätestens nach dem Tod Gustav II. Adolfs zeichnete sich ab, dass eine schwedische oder zumindest protestantische Hegemonie im Süden des Reiches keine Realität werden konnte. Die Belehnung Bernhards durch Oxenstierna entstand eher aus der Not und ist Ausdruck des inneren und äußeren Drucks, der auf dem Reichskanzler lastete. Bernhards Belehnung brachte in der angespannten Situation im Frühjahr 1633 zunächst eine Reihe von Vorteilen mit sich. Indem er den Forderungen des Ernestiners entsprach, band der Reichskanzler den talentierten und umworbenen Feldherren weiter an die Krone Schwedens. Außerdem hatte die Etablierung eines Reichsfürsten aus einer angesehenen und altehrwürdigen Familie in Franken mehr Aussicht auf längeren Bestand, als der noch nicht sanktionierte Vasallenstatus der ehemaligen Bistümer unter schwedischer Oberhoheit. Auf der anderen Seite stand die unüberwindbare konfessionelle Barriere, die nicht nur den neuen Landesherren von seiner Bevölkerung trennte, sondern auch den Ansprüchen der Liga auf eine Restaurierung der Fürstbischöfe Nachdruck verlieh. Zwar gaben sich Bernhard und Ernst in dieser Frage durchaus liberal, aber die ablehnende Haltung einer großen Mehrheit der Bevölkerung verschärfte den Konflikt schnell und in dramatischer Weise. Dass die schwedische Seite an einem dauerhaften Bestand des Herzogtums zweifelte, geht auch aus einem Brief des Reichsrats an Oxenstierna vom 14. August 1633 hervor, in dem es heißt: es scheint räthlich, daß Herzog Berndt von Weimar conentirt werde, sowohl wegen seiner Qualitäten, als weil er der Einzige ist, den wir zu considerieren haben […] Obgleich es zuviel scheint, was er begehrt; doch muß man considerieren, daß das Land weit entfernt ist, und, sofern wir es verlieren sollten, es gleichgültig ist, ob es ihm oder uns genommen werde.60
Doch auch aus Bernhards politisch sicherlich nicht übermäßig geschulter Sichtweise muss eine eigene Herrschaftsbildung in Franken im Frühjahr 1633 nicht allzu unrealistisch gewirkt haben. Das Beispiel Albrecht von Wallensteins, der als armer niederer böhmischer Adliger durch seine Kriegsdienste zwei Herzogtümer erworben hatte, war noch allzu lebendig.61 Und im Herzogtum 59 60 61
Vgl. WEBER, Würzburg und Bamberg im Dreißigjährigen Krieg (wie Anm. 8), S. 127–171; ROMBERG, Das Bistum Bamberg (wie Anm. 8), S. 253–255; ENGERISSER, Von Kronach nach Nördlingen (wie Anm. 4), S. 305–353. Zit. nach SCHAROLD, Zwischenregierung I (wie Anm. 6), S. 265 f. Wallenstein ist dabei nur das prominenteste und erfolgreichste Beispiel. Auch Johann Tserclaes Tilly und Gottfried Heinrich zu Pappenheim versuchten 1627 eigenständige Herrschaften zu errichten, als die Truppen der Liga das Herzogtum Braunschweig besetzten und Herzog Friedrich Ulrich gefangen nahmen. Pappenheim ließ Ulrich wegen Reichsver-
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Mecklenburg stand der katholische Wallenstein ebenfalls einer konfessionell differenten Bevölkerung gegenüber. Allerdings waren die Titel des Friedländers vom Kaiser vergeben worden und damit rechtlich sanktioniert. Es wäre denkbar, dass sich Bernhard oder seine politischen Vertreter, bei zukünftigen Verhandlungen auf diesen Präzedenzfall gestützt hätten. Eine gegenseitige Anerkennung der Herrschaften – Bernhards durch den Kaiser und Wallensteins durch Schweden – scheint aber unwahrscheinlich, denn Oxenstierna hatte sicherlich ein viel geringeres Interesse an der Etablierung eines kaisertreuen katholischen Herzogtums an der Ostseeküste, als der Kaiser an einer Stärkung der protestantischen Stände im Süden des Reiches. Solche Gedankenspiele, so sie überhaupt in den Köpfen Bernhards oder Oxenstiernas stattfanden, waren mit der Ermordung Wallensteins am 25. Februar 1634 ohnehin obsolet.62 Trotz des großen Widerstandes, der Bernhard von seinen eigenen Ständen, insbesondere dem Würzburger Rat, entgegengesetzt wurde, gelang es seinem Bruder Ernst eine effektive und moderne Landesverwaltung aufzubauen, die bereits Grundzüge der späteren Regierungspraxis Ernsts in Sachsen-Gotha zeigen. Zwar bevorzugten die Ernestiner Lutheraner bei der Neubestellung von Pfarrstellen und arbeiteten sicherlich langfristig auf eine konfessionelle Umgestaltung des Landes hin. Dennoch gestanden sie den Katholiken freie Religionsausübung zu und führten sich toleranter auf, als die Fürstbischöfe des 16. Jahrhunderts bei der Durchsetzung der Gegenreformation.63 Eine wichtige, bisher wenig beachtete Maßnahme Bernhards bestand in der Übernahme der Wirt-
62
63
rats anklagen und spekulierte selbst auf das Herzogtum Braunschweig, ebenso Tilly, vgl. Alexander QUERENGÄSSER, Feldmarschall Pappenheim und das kaiserlich-ligistische Heerwesen in der ersten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges, Berlin 2014, S. 28–30; Barbara STADLER, Pappenheim und die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, Winterthur 1991, S. 266– 290; Thomas KOSSERT, Krieg für Land und Lehen. Tilly und der Casus Brunsvicensis, in: Mathias MEINHARDT/Markus MEUMANN (Hg.), Die Kapitalisierung des Krieges. Kriegsunternehmer in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Bonn 2016 (Druck in Vorbereitung). Vgl. WEDGWOOD, Dreißigjähriger Krieg (wie Anm. 4), S. 313 f.; DROYSEN, Bernhard I. (wie Anm. 1), S. 352–355; RÖSE, Herzog Bernhard I (wie Anm. 1), S. 269–273; Golo MANN, Wallenstein Hamburg 2006, S. 1073–1076; Maik REICHEL, Wallensteins Ende, in: DERS./Inger SCHUBERTH (Hg.), Wallenstein. Die blut’ge Affair’ bei Lützen. Wallensteins Wende, Wettin 2012, S. 104–119, hier S. 111 f. Insofern liegen die Bernhard-Biografien lutherischer Autoren wie Röse und Droysen sowie die Beck-Biografie von Ernst etwas näher an der Wahrheit, als die Monografie des katholischen Beamten Scharold, der die sachsen-weimarische Regierung als übertrieben repressiv gegenüber den Katholiken charakterisiert. Röse, Beck und Droysen stützen sich in ihren Arbeiten zwar größtenteils auf Scharold, drehen das Verhältnis aber um. Nach ihnen scheiterte eine Politik religiöser Toleranz am Widerstand der fränkischen Bevölkerung. Am treffendsten hat sicherlich Dieter Stievermann die ernestinische Religionspolitik im Herzogtum Franken charakterisiert, wenn er Ernst attestiert, er habe „in Franken sogar eine gewisse Toleranz gegenüber dem dort herrschenden katholischen Bekenntnis gezeigt.“, zit. STIEVERMANN, Ernst der Fromme (wie Anm. 7), S. 12.
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schaftspolitik durch die Landesregierung und dem Verbot des Oberrates, in dem bisher Vertreter des Domkapitels, Würzburgs und einzelner Zünfte vertreten waren. Darin lässt sich die Absicht erkennen, durch einen gezielten wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes die herzoglichen Einnahmen zu verbessern, um endlich eine fiskalische Basis für eine Herrschaftsetablierung zu schaffen. Maßnahmen wie diese lassen den Schluss zu, dass es sich bei der Schaffung des Herzogtums Franken nicht nur um eine Übernahme verschiedener Territorien, sondern um den ernsthaften Versuch einer neuen ernestinischen Herrschaftsbildung handelte. Bernhard versuchte im weiteren Verlauf seiner Karriere noch einmal, eine eigene Herrschaft zu erwerben. Trotz seiner Niederlage bei Nördlingen war sein „Marktwert“ als General nach wie vor hoch. Am 27. Oktober schloss er mit Frankreich den Vertrag von Saint German en Laye, worin er sich gegen Zahlung von jährlich 4 Millionen zur Stellung einer Armee von 18.000 Soldaten verpflichtete. In einem geheimen Zusatzvertrag wurde ihm die Landgrafschaft Elsaß in Aussicht gestellt. Auch diese Belehnung erwies sich von Beginn an als wenig glücklich, denn hier stand der überzeugte Lutheraner ebenfalls einer mehrheitlich katholischen Bevölkerung gegenüber. Kardinal Richelieu, der Drahtzieher des Vertrages, stand während Bernhards kurzer Herrschaft in Franken auch in Kontakt zu Fürstbischof von Hatzfeld, der sich über die gegenreformatorischen Maßnahmen der ernestinischen Regierung beklagte. Dies mag ein Grund dafür gewesen sein, dass der Vertrag Bernhard die Zusage abrang, die Bevölkerung in ihrer Religionsausübung nicht zu behindern und auch die Güter der Kirche und der Geistlichen nicht anzutasten.64 Im Dienste Frankreichs errang der Herzog eine Reihe beeindruckender militärischer Erfolge. Nach seinen Siegen bei Rheinfelden und Wittenweier gelang ihm am 7./17. Dezember 1638 die Einnahme der als uneinnehmbar geltenden Rheinfestung Breisach. Zur großen Überraschung Ludwigs XIII. und des Kardinals verweigerte Bernhard allerdings die Übergabe der Festung, sondern richtete hier eine Fürstlich Sächsische Regierung ein, was wiederum sein Streben nach einer unabhängigen Herrschaft unterstreicht. Ludwig XIII. war durchaus bereit, Bernhard den versprochenen Titel eines Landgrafen von Elsaß zukommen zu lassen und ihm die Einkünfte und die Gerichtsbarkeit der ehemals österreichischen Domänen zu überlassen. Bernhard lehnte ab. Richelieu versuchte einen neuen Vergleich zu erzielen, allein Bernhard zeigte sich verärgert. „Wenn mir Glück und Können etwas verschafft haben, will man es mir wieder nehmen?“,65 fragte er den Unterhändler Richelieus und brachte damit seinen 64 65
Vgl. RÖSE, Herzog Bernhard (wie Anm. 1), S. 102–105; Carl J. BURCKHARDT, Richelieu. Bd. III: Großmachtpolitik und Tod des Kardinals, München 1984, S. 80–86, 239–243. Zit. nach Philippe ERLANGER, Richelieu, Bielefeld 1975, S. 525, vgl. BURCKHARDT, Richelieu (wie Anm. 64), S. 282–293, 301.
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Schmerz darüber zum Ausdruck, dass der Traum einer eigenen Herrschaft noch immer nicht Wirklichkeit geworden war. Sein früher Tod in Neuenfelden am Rhein am 18. Juli 1639 beendete all diese Pläne. In seinem nicht ausgereiften Testament sprach sich Bernhard für einen Verbleib seiner Lehen im Reich aus, wohl um sie seiner Familie zu sichern. Aber der Wille des toten Fürsten interessierte weder die großen Mächte noch Johann Ludwig von Erlach, den er zum Vollstrecker seines Testaments ernannt hatte. Er verkaufte Bernhards Eroberungen an Frankreich.66 Der Traum eines neuen ernestinischen Herzogtums war endgültig ausgeträumt.
66
Vgl. RÖSE, Herzog Bernhard (wie Anm. 1), S. 333–344; ERLANGER, Richelieu (wie Anm. 65), S. 527; BURCKHARDT, Richelieu (wie Anm. 64), S. 306–309. In einer als Nachruf auf Bernhard gedachten Flugschrift verteidigte der französische Schriftsteller François de Grenaille den Kampf des Herzogs um die Wiedergewinnung seiner und seiner Familie Güter, einschließlich der nach Meinung des Autors ungerechtfertigte Entzug der Kurwürde durch Karl V., vgl. Astrid ACKERMANN, Die Versorgung als kriegsentscheidendes Machtmittel und die publizistische Wahrnehmung des Krieges. Der Dreißigjährige Krieg am Oberrhein, in: Andreas RUTZ (Hg.), Krieg und Kriegserfahrung im Westen des Reiches 1568–1714, Bonn 2016, S. 275–298, hier S. 294.
GERHARD MÜLLER DER BEITRAG DER ERNESTINER ZUR VERFASSUNGSGESCHICHTE
Der Beitrag der Ernestiner zur deutschen Verfassungsgeschichte. Von der landständischen Repräsentation zum Konstitutionalismus Lange Zeit stand das sachsen-weimarische Grundgesetz vom 5. Mai 18161 in dem Ruf, die erste moderne Verfassung in Deutschland gewesen zu sein. Schon den informierten Zeitgenossen war indes klar, dass dies nur eine Legende war, waren doch bereits in der Rheinbundzeit im Königreich Westphalen, im Königreich Bayern und im Großherzogtum Frankfurt Konstitutionen und Landesvertretungen eingeführt worden. Allerdings waren diese am Vorbild des napoleonischen Frankreichs orientierten Repräsentationskörperschaften lediglich „stumme Parlamente“, d. h. sie durften nicht debattieren und stimmten nur über die Vorlagen der Regierungen ab. 1814 erhielt das Herzogtum Nassau eine Verfassung, und nach Verabschiedung der Deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815 folgten mehrere Bundesstaaten diesem Beispiel, doch in all diesen Staaten schob man die Wahl der vorgesehenen Repräsentationskörperschaften noch auf unbestimmte Zeit hinaus. Der vage Begriff der „landständischen Verfassungen“, die nach Art. XIII der Deutschen Bundesakte in allen Bundesstaaten „stattfinden“ sollten, war ohne weitere inhaltliche Präzisierung geblieben, so dass er unterschiedlich, ja völlig gegensätzlich ausgelegt werden konnte. Während die einen dies als Herausforderung für eine fortschrittliche Ausgestaltung des Deutschen Bundes betrachteten, interpretierten ihn andere als Legitimation für eine Rückkehr zu altständischen Verhältnissen, und die Vertreter absolutistischer Regierungsmaximen erblickten im Experimentieren mit landständischen Vertretungen ohnehin ein Teufelswerk, für dessen Gefährlichkeit die Französische Revolution hinreichende Belege geliefert hatte. Zudem schienen die aktuellen Vorgänge im Königreich Württemberg derartige Befürchtungen zu bestätigen. Dort hatte König Friedrich, der 1805 die Privilegien seiner Stände kassiert und im Schlepptau Napoleons absolutistisch regiert hatte, 1815 eine Ständeversammlung einberufen, die einen von ihm vorgelegten Verfassungsentwurf sanktionieren sollte. 1
Vgl. Grundgesetz über die Landständische Verfassung des Großherzogtums SachsenWeimar-Eisenach, Weimar, 5. Mai 1816, in: Quellen zu den Reformen in den Rheinbundstaaten, Bd. 9: Thüringische Staaten. Sachsen-Weimar-Eisenach 1806–1813, bearb. v. Gerhard MÜLLER, München/Berlin/Boston 2015, S. 196–207.
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Das Unternehmen scheiterte, und auch weitere Anläufe blieben ergebnislos, weil die starke Gruppe der sogenannten Altrechtler, die eine Wiederherstellung ihrer früheren Privilegien anstrebte, das neue Repräsentationssystem boykottierte. Erst nach einem vier Jahre dauernden Konflikt sollte es 1819 unter Friedrichs Nachfolger, König Wilhelm I., zur Verabschiedung einer Verfassung kommen. Es erregte daher großes öffentliches Aufsehen, als Großherzog Carl August Anfang 1816 ein Verfassungsprojekt auf den Weg brachte, das eine gewählte Volksvertretung vorsah. Es war die erklärte Absicht der Weimarer Staatsführung, in der festgefahrenen Situation des politischen Stillstandes einen, wie es der Minister Ernst August von Gersdorff ausdrückte, „Lichtpunkt“ zu setzen, um der verfassungspolitischen Entwicklung im Deutschen Bund wieder einen neuen Impuls zu verleihen. Ein wegen seiner Bedeutung im Literatur- und Geistesleben so angesehenes Land wie Sachsen-Weimar-Eisenach müsse, so forderte der Weimarer Kanzler Friedrich von Müller 1815 in einer Denkschrift, „in jeder Hinsicht sich als Muster-Staat, als Vorbild für andere und für viele consequent gestalten und ausbilden“.2 Das Weimarische Grundgesetz war nicht die erste moderne Verfassung in Deutschland, aber seine rasche Umsetzung ins politische Leben machte es zu einer Pionierleistung: Erstmals in der deutschen Geschichte wurde das Volk des Großherzogtums (alle mündigen männlichen Staatsbürger die über Haus- und Grundbesitz oder das Bürger- und Nachbarrecht verfügten) im Herbst 1816 an die Wahlurnen gerufen, und am 2. Februar 1817 trat der nach dem neuen Grundgesetz gewählte Landtag3 zusammen. Zum ersten Mal tagte in einem deutschen Bundesstaat ein Parlament, das durch freie Wahlen zustande gekommen war und das Recht hatte, über Landeshaushalt und Landesgesetze nicht nur zu beraten, sondern auch in der Weise zu entscheiden, dass sie ohne seine Bewilligung nicht in Kraft gesetzt werden durften. Man mag diesen Vorstoß dem politischen Ehrgeiz des Großherzogs Carl August zuschreiben, der es nach 40-jähriger Regierungszeit als Konsequenz seiner Lebenserfahrung ansah, die Beziehung zwischen Fürst und Volk auf eine neue Basis zu stellen und denen, die mit ihren Steuern den Staat finanzierten, auch politische Kontroll- und Mitbestimmungsbefugnisse einzuräumen.4 Das Weimarer Beispiel machte bald Schule: Schon 1818 führte Sachsen-Hildburghausen eine der weimarischen analoge Verfassung ein, und 1821 folgten Sachsen2 3 4
Denkschrift des Kanzlers Friedrich von Müller, die künftige Einrichtung des Justizwesens betreffend, Weimar, 8. November 1815, in: ebd., S. 261. Vgl. Henning KÄSTNER, Der Weimarer Landtag 1817–1848. Kleinstaatlicher Parlamentarismus zwischen Tradition und Wandel, Düsseldorf 2014. Vgl. Denkschrift, die deutschen Universitäten betreffend, Weimar, November 1818, in: Statuten und Reformkonzepte für die Universität Jena von 1816 bis 1829, bearb. v. Joachim BAUER, Gerhard MÜLLER und Thomas PESTER, Stuttgart 2016, S. 117–129, bes. die Schlussbemerkungen über die Maximen der Politik des Großherzogs Carl August, S. 128 f.
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Meiningen und Sachsen-Coburg-Saalfeld, und Schwarzburg-Rudolstadt wählte endlich die Volksvertretung, die es schon 1816 grundgesetzlich sanktioniert hatte. Sogar die 1823 beginnenden Bestrebungen zur Einführung von Provinzialständevertretungen in Preußen griffen auf das Weimarer Repräsentationsmodell zurück. Dass das weimarische Großherzogtum in den Anfangsjahren des Deutschen Bundes eine solche historische Rolle übernehmen konnte, war zweifellos ein persönliches Verdienst Carl Augusts und seiner Minister, aber dies alles war nicht voraussetzungslos. Dass es in diesem Bundesstaat möglich wurde, im Konsens von Regierung und gesellschaftlichen Eliten einen solchen Schritt zu vollziehen, beruhte auf einer jahrhundertealten Repräsentationstradition, einer politischen Kultur, in der das konsensuale Prinzip des gegenseitigen Respektierens und Austarierens der Interessen von Fürst und Land tiefe Wurzeln geschlagen hatte.
I. Stände und Territorien Die Anfänge des wettinischen Ständewesens reichen wie in den vergleichbaren anderen deutschen Territorien bis ins Mittelalter zurück. Bereits in der Mitte des 15. Jahrhunderts hatten die Stände hier einen solchen Einfluss erreicht, dass ihnen beispielsweise die 1446 für Thüringen erlassene Landesordnung Herzog Wilhelms des Tapferen5 konkrete politische Kontroll- und Mitwirkungsbefugnisse einräumte. Auch wenn diese Landesordnung im Ergebnis des sächsischen Bruderkrieges wieder aufgehoben werden musste, blieb die starke, für die gesamte Region identitätsbildende Rolle der Stände ungebrochen und setzte sich auch nach der wettinischen Landesteilung von 1485 fort. Bis zur Verfassung von 1831 beschickten die Stände des thüringischen Kreises des albertinischen Sachsens den Landtag in Dresden, während die Stände des an die von Kurfürst Ernst begründete Linie des Hauses Sachsen gefallenen Teils der thüringischen Landgrafschaft fortan im Verbund der ernestinischen Landstände6 agierten. Infolge der Reformation entfiel die Vertretung des geistlichen Standes, so dass die 5
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Vgl. Gerhard LINGELBACH, Herzog Wilhelm III. – der Tapfere – und der Landtag zu Weißensee im Jahr 1446, in: Klaus GRUPP/Ulrich HUFELD (Hg.), Recht-Kultur-Finanzen. Festschrift für Reinhard Mußgnug zum 70. Geburtstag am 26. Oktober 2005, Heidelberg 2005, S. 531–542; Gerhard MÜLLER, Die thüringische Landesordnung vom 9. Januar 1446, in: Zeitschrift für Thüringische Geschichte 50 (1996), S. 9–35. Ernst MÜLLER Die ernestinischen Landtage in der Zeit von 1485 bis 1572 unter besonderer Berücksichtigung des Steuerwesens, in: Forschungen zur thüringischen Landesgeschichte. Friedrich Schneider zum 67. Geburtstag am 14. Oktober 1957, Weimar 1958, S. 188– 228; Carl August Hugo BURKHARDT, Ernestinische Landtagsakten, Bd. 1: Die Landtage von 1487 bis 1532, Jena 1902; Uwe SCHIRMER, Die ernestinischen Stände von 1485–1572, in: Landstände in Thüringen. Vorparlamentarische Strukturen und politische Kultur im Alten Reich, hg. v. Thüringer Landtag, Erfurt/Weimar 2008, S. 23–50.
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ernestinischen Landstände nur noch aus den Grafen und Herren, der Ritterschaft und den Vertretern der Städte gebildet wurden. Den Prälatenstand repräsentierten seit Mitte des 16. Jahrhunderts sowohl bei den ernestinischen als auch bei den albertinischen Ständen die Universitäten.7 Zugleich wurde das Luthertum für sie zu einem prägenden Element ihres politischen Selbstverständnisses. Gemeinsam mit den Fürsten nahmen sie für sich in Anspruch, als Garanten der evangelisch-lutherischen Konfession aufzutreten, deren Exklusivität sie sich in allen Landtagsabschieden und Reversalien stets neu bestätigen ließen. Das Ende des ernestinischen Gesamtstaats durch den Erfurter Rezess von 1572, der das ernestinische Territorium in eine Weimar-Altenburgische und eine Coburg-Eisenachische Landesportion teilte, leitete eine jahrhundertelange Phase der Partikularstaatlichkeit ein, in der die ernestinischen Territorien durch das Aussterben einzelner Linien und nachfolgende Erbteilungen wiederholt neu konfiguriert wurden. Dabei wurden auch die überkommenen Ständeverbände auseinandergerissen und in kleinere Korporationen zersplittert. Bis zur weimaraltenburgischen Landesteilung von 1603 gab es indes im Ständewesen kaum Veränderungen gegenüber der Zeit vor 1572. Die Landtage fanden alle 5 bis 6 Jahre in Weimar statt, der letzte im Juni 1602. Vertreten waren die Stände des weimarischen, altenburgischen, jenaischen, saalfeldischen und altenburgischen Kreises sowie der Exklave Allstedt. Neben den Gesamtlandtagen wurden gelegentlich Ständezusammenkünfte für die einzelnen Kreise veranstaltet. 1603 entstanden die Herzogtümer Sachsen-Weimar und Sachsen-Altenburg, deren Stände jedoch aufgrund der kursächsischen Obervormundschaft von 1605 bis 1615 vorerst noch weiterhin ungeteilt blieben. Erst mit dem Beginn der eigenständigen Verwaltung beider Herzogtümer nahmen sie eine getrennte Entwicklung. In Sachsen-Weimar kam es 1640 nach dem Erbanfall Sachsen-CoburgEisenachs erneut zu einer Landesteilung. Während der auf Sachsen-Altenburg entfallende Anteil an der coburg-eisenachischen Erbmasse seine administrative und ständische Eigenständigkeit behielt, formierten sich die Stände in den drei neuen Herzogtümern Sachsen-Weimar, Sachsen-Eisenach und Sachsen-Gotha zu eigenen ständischen Korporationen. In Sachsen-Weimar waren nur einige Modifikationen der bestehenden landschaftlichen Verhältnisse erforderlich, doch in Gotha und Eisenach entstanden neue Landschaften. Während die Stände der eisenachischen Landschaft schon bald in die Landschaften von SachsenWeimar und Sachsen-Gotha integriert wurden, da die Eisenacher Linie bereits 1643 ausstarb, begann für die Gothaer Stände mit dem von Herzog Ernst dem Frommen einberufenen erweiterten Ausschusstag von 1640 eine mehr als zwei7
Vgl. Gerhard MÜLLER, Universität und Landtag. Zur Geschichte des Landtagsmandats der Universität Jena (1567–1918), in: Werner GREILING/Hans-Werner HAHN (Hg.), Tradition und Umbruch. Geschichte zwischen Wissenschaft, Kultur und Politik, Rudolstadt/Jena 2002, S. 33–59.
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hundertjährige Geschichte der eigenständigen Geschäftstätigkeit, die von einer geradezu beeindruckenden Kontinuität ständischer Land- und Ausschusstage gekennzeichnet war und erst mit der Revolution von 1848 endete. Im Herzogtum Weimar hingegen wurden die Stände nicht zu einer gemeinsamen Korporation zusammengefasst. Herzog Wilhelm IV. und seine Nachfolger pflegten für ihre geographisch relativ weit entfernt voneinander gelegenen Landesteile Weimar und Eisenach gesonderte Land- und Ausschusstage auszuschreiben. Nachdem durch die Aufteilung der Hennebergischen Erbschaft 1660 und durch Abtretungen von Kurmainz 1665 weitere Gebiete hinzugekommen waren, kam es 1672 infolge des Erbanfalls von Teilen des Herzogtums Sachsen-Altenburg im Haus Sachsen-Weimar wiederum zu einer Landesteilung, aus der drei neue Herzogtümer hervorgingen: das Stammland Sachsen-Weimar, ein neu konstituiertes Herzogtum Sachsen-Eisenach sowie das Herzogtum Sachsen-Jena. Wiederum formierten sich in diesen neuen Staaten eigenständige Ständeverbände. Auch als die Territorien des Hauses Weimar nach dem Aussterben der Linien SachsenJena und Sachsen-Eisenach 1742 unter Herzog Ernst August I. zum Herzogtum Sachsen-Weimar und Eisenach zusammengefasst wurden, blieben mit den eigenständigen Verwaltungen der Fürstentümer Weimar und Eisenach und der Jenaischen Landesportion auch diese drei Landschaften bestehen. Allerdings mussten es die Jenaer Stände akzeptieren, dass sie seit Mitte des 18. Jahrhunderts ihre Land- und Ausschusstage im benachbarten Weimar abhalten mussten. Anders als in den Territorien der älteren Ernestiner führten die territorialen Vergrößerungen durch den hennebergischen und altenburgischen Erbanfall bei den jüngeren Ernestinern nicht zur Formierung neuer ständischer Strukturen. Die in dem von Herzog Ernst dem Frommen regierten Länderkomplex vorhandenen Ständeverbände blieben unverändert bestehen. Die Stände in den ehemals hennebergischen Gebieten Meinigen und Römhild waren schon deshalb nicht in die gothaische Landschaft integrierbar, weil die Grafschaft Henneberg als reichsrechtliche Einheit – als territoriale Bezugsgröße für die hennebergische Reichstagsstimme und die an das Reich zu leistenden Steuern und Abgaben − noch bis zum Ende des Alten Reiches fortbestand8 und weil ihr Territorium zum fränkischen Reichskreis gehörte. In dessen Finanz- und Schuldenwesen waren die Meininger und Römhilder Landschaften eingebunden, was sich einer Integration ebenso in den Weg stellte wie im Fall des zu SachsenWeimar geschlagenen Amtes Ilmenau. Aus einer eigenständigen Tradition hervorgegangen, konnten sie ihre Eigenständigkeit, ähnlich wie die Coburger Landschaft nach 1638, weiterhin behaupten.
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Vgl. Günter WÖLFING, Geschichte des Henneberger Landes zwischen Grabfeld, Rennsteig und Rhön. Ein Überblick, Hildburghausen 1992.
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Die Erbteilung unter den jüngeren Ernestinern nach dem Tod Herzog Ernsts des Frommen vermochte nichts mehr an den eingewurzelten ständischen Strukturen zu ändern. Für das Funktionieren des sogenannten Nexus Gothanus, einer hausrechtlichen Regelung, welche die von Ernsts Söhnen gebildeten separaten Herzogtümer unter dem Supremat Sachsen-Gothas als ältester Speziallinie in einem besonderen dynastischen Verband dauerhaft zusammenhalten sollte, waren die Stände als verklammerndes Element sogar von großer Bedeutung. Die landschaftlichen Rechte gehörten zu den Hoheitsrechten, die nach dem Testament Ernsts des Frommen bei Sachsen-Gotha-Altenburg verbleiben sollten. Für die neuen Herzogtümer Sachsen-Eisenberg, Sachsen-Saalfeld und Sachsen-Hildburghausen, deren Regenten nur eingeschränkte Hoheitsrechte erhielten, wurden daher keine eigenen landschaftlichen Korporationen gebildet. Ihre Stände wurden weiterhin zu den Landtagen, denen sie bisher angehört hatten, gezogen und waren auch deren Beschlüssen unterworfen. Die Eisenberger und Saalfelder Stände respektierten dies widerspruchslos. Lediglich SachsenHildburghausen bildete eine eigenständige Landschaft. Auch die ausgeprägte Eigentradition der altenburgischen Landschaft konnte unter der neuen Landesherrschaft nach 1672 fortgesetzt werden, es schieden lediglich die Stände der an Sachsen-Weimar und Sachsen-Jena gefallenen Ämter aus. Die Universität Jena, die seit 1615 zum weimarischen und altenburgischen Landtag beschrieben wurde, behielt ihre hergebrachten Rechte als Vertreterin der Prälatur in den Landtagen von Altenburg, Weimar und Jena.
II. Handlungsräume, Strukturen und Observanzen Geht man von der ständischen Verfasstheit der Gesellschaft als Interaktionsmodell voneinander abgegrenzter und in verschiedenen wirtschaftlichen und kulturellen Lebenswelten existierender Personen- und Sozialverbände aus, die sich auf der Grundlage ihrer patrimonialen Eigenberechtigungen selbst organisierten und verwalteten, so gewinnt man eine umfassende Perspektive auf die Rolle des Ständewesens. Als politische Repräsentanten bestimmter Gruppen der Gesellschaft war das Handeln der Stände nicht in erster Linie durch Machtstreben charakterisiert. Das Ziel ihrer Politik bestand vornehmlich darin, die Interessen der verschiedenen Ständekurien gegeneinander und gegenüber der Landesherrschaft zu artikulieren, zu vermitteln und soweit wie möglich auch durchzusetzen. Dadurch entstanden mannigfaltige Kooperations- und Interaktionsmöglichkeiten. Die Land- und Ausschusstage bildeten die Plattform, auf der dieser Interessenabgleich stattfand, sie stellten ein Clearingsystem dar, das es erlaubte, Kompromisse auszuhandeln, in denen die vorhandenen, meist in Gestalt von Steuerbewilligungen oder landschaftlichen Kreditzusagen definierten Gestaltungsmöglichkeiten ausgelotet und auch der Landesherrschaft sichere
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Handlungsgrundlagen eröffnet wurden, was sich besonders in Kriegs- und Krisenzeiten als bedeutsam erwies. Generell war die Mitwirkung der Stände unabdingbar, um den Landesherren eine statusgemäße Hofhaltung, Lebensführung und Repräsentation zu ermöglichen. Ihre auf Steuerbewilligungen basierenden Refinanzierungs- und Umschuldungsmodelle waren es in der Regel, die das chronisch überschuldete und nur selten kreditwürdige fürstliche Kammerwesen vor dem Bankrott bewahrten. Zugleich signalisierten die Stände der Landesherrschaft mit ihren Gravamina den im Lande vorhandenen administrativen Regelungsbedarf. Damit erweiterten sie die Wahrnehmungsperspektiven der landesherrlichen Bürokratie, deren Vertreter zudem oftmals selbst zu den Landständen gehörten oder durch familiäre Beziehungen mit den ständischen Interessen verbunden waren.9 Die Organisations- und Verfahrensformen, in denen der Clearingprozess ablief, erweisen sich als Schlüssel zum Verständnis einer politischen Kultur, die nur in seltenen Ausnahmefällen auf Konflikt, sondern vielmehr auf Konsens und Interessenausgleich ausgelegt war und das Ziel verfolgte, den verschiedenen Statusgruppen der ständischen Gesellschaft die unbeschadete Existenz ihrer segregierten Lebenswelten und Kulturmilieus zu sichern. In den Ständevertretungen von Sachsen-Weimar und Eisenach und SachsenGotha und Altenburg, die im Folgenden exemplarisch für das ernestinische Ständewesen betrachtet werden sollen,10 bildeten die Kurien der Ritterschaft und der Städte die dominanten Elemente. Ihnen gegenüber vermochten der zwar ranghöhere Prälatenstand, der in den Landtagen von Weimar, Jena und Altenburg von der Universität Jena vertreten wurde, und die in Gotha und Eisenach noch vorhandenen Grafen und Herren keine entscheidende Rolle zu spielen. Die Landstandschaft und die damit verbundenen Privilegien waren ein gewohnheitsrechtlich hergeleitetes oder durch persönliche Verleihung begründetes Privatrecht. Sie hafteten auf den im Lande gelegenen Liegenschaften oder Erbzinsen. Die Ritterschaft bewahrte ihre personelle Exklusivität in den landschaftlichen Vertretungen durch das Adelsprivileg. Noch im 19. Jahrhundert mussten die Rittergutsbesitzer im Altenburgischen ihre adlige Herkunft bis ins vierte Glied nachweisen, um an Landtagen teilnehmen zu dürfen. Die Rechte der Stände wurden durch vertragliche Zusicherungen der Landesherren, die Reversalien, die gemeinsam mit den Abschieden der Land- oder Ausschussstage erteilt wurden, immer wieder bestätigt. Verfassungsgesetze, in denen sie dauerhaft festgeschrieben worden wären, gab es im ernestinischen Ständewesen nicht. 9 10
Vgl. Andreas KLINGER, Der Gothaer Fürstenstaat. Herrschaft, Konfession und Dynastie unter Herzog Ernst dem Frommen, Husum 2002, S.152–158, 183–185. Vgl. hierzu ausführlich Gerhard MÜLLER, Die Landstände in den ernestinischen Staaten. Zur Varianz und Entwicklung der ständischen Vertretungen im politischen System von Sachsen-Weimar-Eisenach und Sachsen-Gotha-Altenburg 1572–1848, in: Landstände in Thüringen (wie Anm. 6), S. 51–138.
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Die landständischen Konstitutionen der Rheinbundzeit im Fürstentum Reuß älterer Linie (15. März 1809) und Sachsen-Weimar-Eisenach (20. September 1809) waren die frühesten Verfassungsgesetze, in denen die ständischen Rechte verankert wurden. Sie wurden erst nötig, als die Reichsgerichtsbarkeit mit dem Ende des Alten Reichs 1806 aufgehört hatte und die Ständeprivilegien nicht mehr geschützt waren. Die Rechtslage der Stände und ihr Verhältnis zur Landesherrschaft waren mithin bei relativ gleichbleibenden Rahmenbedingungen in stetigem Fluss. Das bot den Vorteil der Anpassungsfähigkeit an sich wandelnde Situationen, Interessenlagen und Kräfteverhältnisse, konnte aber unter Umständen auch dazu führen, dass die Stände zeitweise durch den Ehrgeiz von Fürsten, die absolute Machtvollkommenheit inszenieren wollten, wie etwa Herzog Ernst August I. von Sachsen-Weimar-Eisenach marginalisiert wurden. Es ist deshalb umstritten, ob den Vertretungen der Landstände der Charakter von Volks- oder Landesrepräsentationen zugesprochen werden kann.11 Die Formulierung, dass die Stände das Land nicht repräsentierten, sondern dass sie es waren und verkörperten,12 variiert lediglich die hier vorhandene Begriffsunschärfe. Da die Stände ihre Rechte ebenso als Privatrechte ausübten, wie die Landesherren ihre Herrschaftsrechte von einer privatrechtlichen Privilegierung, der Belehnung durch Kaiser und Reich, ableiteten, lässt sich das Phänomen mit einer Definition, wie sie der moderne parlamentarisch-demokratische Repräsentationsbegriff von den subjektiven öffentlichen Rechten der Staatsbürger ableitet, kam erfassen. Man kann von einer ständischen Repräsentation des Landes nur insofern sprechen, als sich auf den Landtagen und anderen ständischen Zusammenkünften ein allgemeines Landesinteresse artikulierte, das durch die ständischen Bewilligungen und die daraufhin erfolgenden Abschiede des Landesherrn jeweils mehr oder minder sanktioniert wurde. In diesem Sinne ging auch die Reichspublizistik, die akademische Staatsrechtslehre des Alten Reiches, davon aus, „daß dasjenige, was man auf einem allgemeinen Land-Tag beschliesset, eben so angesehen wird, als wann die samtliche Landes-Eingesessene Mann vor Mann darein bewilliget hätten.“13 Es mag aus heutiger Perspektive fragwürdig erscheinen, von einer Repräsentation zu sprechen, da die Stände den Landesuntertanen durch ihre „Verwilligung“ Steuern und Lasten aufbürdeten, ohne von ihnen formalrechtlich dazu legitimiert zu sein, doch ist auf der anderen Seite nicht in Abrede zu stellen, dass 11 12 13
Vgl. ebd., S. 53. Vgl. auch den Begriff der „repräsentierten Gesellschaft“ in: Karl BOSL, Die Geschichte der Repräsentation in Bayern. Landständische Bewegung, Landständische Verfassung, Landesausschuss und ständische Gesellschaft, München 1974, S. 210. Johann Jacob MOSER, Neues teutsches Staatsrecht, Bd. 13: Von der teutschen ReichsStände Landen, deren Landständen, Unterthanen, Landes-Freyheiten, Beschwerden, Schulden und Zusammenkünfften, Frankfurt a. M. 1769 (ND, Osnabrück 1968), S. 716.
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diese Bewilligungen im wohlverstandenen Eigeninteresse der sie konzedierenden Stände auch stets der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungskraft des Landes angemessen waren. Niemand trachtete danach, die Kühe zu schlachten, von deren Milch alle lebten. Bezeichnenderweise wahrte dieses System den sozialen Frieden weitaus zuverlässiger, als dies, wie sich etwa am Beispiel des sogenannten Bulisiusschen Landstreits in Schwarzburg-Rudolstadt14 zeigen lässt, in Territorien der Fall war, die ohne eine solche Clearinginstanz auskommen mussten. Ablauf und Prozedere der Landtage sollen hier nur kursorisch dargestellt werden. Obwohl Fürsten und Stände ihre Rechte als gleichermaßen ursprünglich betrachteten,15 war das aus dem landesherrlichen Hoheitsrecht des Fürsten abgeleitete Privileg, die Land- oder Ausschusstage einzuberufen, im Allgemeinen unbestritten. Häufig ist jedoch zu beobachten, dass die landschaftlichen Direktoren oder die zwischen den Landtagen amtierenden Gremien („engerer Ausschuss“) rechtzeitig vor dem Ablaufen einer Steuerperiode Erinnerungsschreiben an den Landesherrn richteten, wo sie die fällige Einberufung eines neuen Landtags anmahnten. Es bestand ein gewohnheitsrechtlicher Konsens darüber, dass bei Notwendigkeit neuer Steuerbewilligungen ein allgemeiner Landtag einzuberufen war. War das nicht möglich, pflegte man durch Zirkularabstimmungen die Prolongation bereits bewilligter Steuern oder die Vollmacht einzuholen, die neuen Bewilligungen durch einen Ausschusstag vornehmen zu lassen. Die Landtage als Versammlungen aller mit der Landstandschaft Privilegierten wurden durch gedruckte Ausschreibungsdekrete berufen, die für alle Kurien jeweils gesondert entworfen wurden. Der Text dieser Ausschreiben variierte, doch wurde bei Einberufung des Landtages fast immer der Anlass wie z.B. das Auslaufen der Bewilligungsperiode, außergewöhnliche Finanzierungserfordernisse wie Reichskriege oder besondere Gesetzgebungsprojekten benannt. Versammlungsort und -termin wurden demgegenüber in einer über Jahrhunderte fast gleichbleibenden Formel bekanntgegeben, die neben dem kalendarischen Datum stets die Tagesbezeichnung im Kirchenjahr anführte. Unentschuldigtes Fernbleiben wurde nicht geduldet; im Verhinderungsfall waren die konvozierten Stände verpflichtet, einen anderen Landstand oder einen juristischen Vertreter zu bevollmächtigen. Am Tag der Anreise hatten sie sich unter Vorlage ihrer Vollmachten bei der Regierung anzumelden. Quartier und Verpflegung stellte die Landesherrschaft zur Verfügung.
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Vgl. Hans HERZ, Ständische Land- und Ausschusstage in Schwarzburg-Rudolstadt vom 16. bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts, Weimar-Jena 1995, S. 54–62. Vgl. Carl-Christian DRESSEL, Die Entwicklung von Verfassung und Verwaltung in Sachsen-Coburg 1800–1826 im Vergleich, Berlin 2007, S. 62 f.
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Der Eröffnung eines Land- oder Ausschusstages pflegte ein gemeinsamer Kirchenbesuch voranzugehen, eine Tradition, die auch in der frühkonstitutionellen Zeit beibehalten werden sollte. Anschließend folgte die Verlesung der landesherrlichen Proposition, in der die Verhandlungsgegenstände angeführt und die Bewilligungsersuchen des Landesherrn formuliert wurden. Bei der Verlesung der Proposition war der Landesherr meist persönlich anwesend, doch beauftragten die Fürsten auch nicht selten ein Mitglied des Geheimen Rats mit der Bekanntmachung der Propositionsschrift. In den Landesteilen, in denen der Landesherr nicht regelmäßig residierte, war dies sogar die Regel. Nach der Verlesung der Propositionsschrift, auf die eine Ansprache des Regierungsvertreters an die Stände und die Erwiderung des jeweiligen Landschaftsdirektors folgten, wurde diese den verschiedenen Kurien noch in gesonderter Ausfertigung übergeben. Besonders feierlich verliefen die Landtagseröffnungen, wenn sie nach dem Regentschaftsantritt eines neuen Landesherrn mit einer Huldigungszeremonie verbunden wurden. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist in allen ernestinischen Herzogtümern eine verstärkte Formalisierung des Eröffnungszeremoniells zu beobachten.16 Die Landtagspredigten wurden gedruckt, und die Programme der Landtagsgottesdienste, die zum Teil von eigens komponierter Kirchenmusik und aus diesem Anlass gedichteten Liedtexten begleitet waren, händigte man den Landständen in gedruckter Form aus. Die Hofmarschälle arbeiteten Pläne für das Eröffnungszeremoniell aus, in denen jedes Detail des Ablaufs geregelt war. Wurde der Landtag in der fürstlichen Residenz in Anwesenheit des Regenten veranstaltet, pflegte sich an das Eröffnungszeremoniell wenigstens eine Audienz beim Fürsten, in der Regel aber ein gemeinsames Festmahl anzuschließen. Die eigentlichen Verhandlungen begannen in der Regel erst am Tag nach der Eröffnung. Es gab sowohl Plenarsitzungen, bei denen die Vertreter der verschiedenen Kurien zusammenkamen, als auch separate Sitzungen der Kurien von Ritterschaft und Städten. In den Kuriensitzungen einigten sich die Stände der jeweiligen Kurie zunächst untereinander über die Punkte der Proposition, brachten ihre Spezialgravamina ein und stellten aus diesen ihre gemeinschaftlichen Gravaminaschriften zusammen. Der zunehmende Umfang der Gravamina veranlasste die Landesherren seit 1700 in zunehmendem Maße dazu, die Stände bereits Monate vor einem Landtag aufzufordern, ihre Gravamina einzureichen, so dass sie schon zu Landtagsbeginn in der sogenannten Präliminarschrift dem Landesherrn übergeben werden konnten. Nach Abschluss der Beratungen in den Kurien traten die Stände im Plenum zusammen, um die Kurialvoten der 16
Vgl. Gerhard MÜLLER, Landtagsfeste und -zeremonien in Sachsen-Weimar-Eisenach 1750–1866, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 51 (1997), S. 133–143.
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Deliberation zu unterziehen und einen Gesamtbeschluss auszuhandeln. Dieser wurde in der Verwilligungsschrift niedergelegt und der Regierung überreicht. Zu speziellen Gegenständen, die durch besondere landesherrliche Anträge außerhalb der Proposition oder in den Resolutionen auf die Präliminarschrift an den Landtag gelangten, wurden jeweils gesonderte Erklärungsschriften formuliert. Nun erst setzten die Verhandlungen mit der Landesherrschaft ein. Dabei konnte es zu einem mehrfachen Notenaustausch (Dupliken, Tripliken usw.) kommen. Waren alle Punkte verhandelt, erteilte der Landesherr in Form besiegelter Urkunden den Landtagsabschied und die Reversalien. Mit deren Übergabe wurden die Landtage geschlossen; weitere Deliberationen waren nun nicht mehr gestattet. Die bei diesen Anlässen gehaltenen programmatischen Reden von Regierungs- und Ständevertretern sind aufschlussreiche Belege für das Selbstverständnis einer auf Konsens angelegten politischen Kultur der partnerschaftlichen Interaktion von Landesherrschaft und Ständen. Natürlich kam es gelegentlich vor, dass es nicht gelang, auf einem Landtag den Konsens zwischen Landesherrschaft und Ständen herzustellen. In diesen Fällen wurden die Landtagsversammlungen entweder durch ein landesherrliches Dekret vorläufig geschlossen und vertagt, oder der Landesherr bestätigte eine vom Landtag bevollmächtigte ständische Deputation, welche die Verhandlungen zu Ende führen sollte. Der Landtagsabschied und die Reversalien wurden dann in der Regel zu einem späteren Zeitpunkt erteilt. Immer waren Landesherrschaft und Stände auch in diesen Fällen bestrebt, einen Konsens herzustellen und Konflikte zu vermeiden, bildeten doch die Landtagsabschiede die Rechtsgrundlage für die in der Folge zu erlassenden Steuerausschreibungen und Landesgesetze. Da in der Regel auch die Einnahme der Landessteuern in den Händen der Stände lag und die landschaftlichen Kassen (ebenso die aus diesen zu finanzierenden Landeseinrichtungen wie z. B. Zucht- und Armenhäuser) der ständischen Selbstverwaltung unterstanden, gab es zu diesem Verfahren auch keine Alternative. Selbst Herzog Ernst August I. von Weimar, der seine Stände nicht mehr zu Land- oder Ausschusstagen einberief, weil er meinte, dass diese Tagungen ein unnötiger und kostspieliger Luxus seien, pflegte vor neuen Steuerausschreiben wenigstens durch Zirkularabstimmungen das Einverständnis der Stände einzuholen. Wenn sich die Stände allerdings weigerten, seine Steuerausschreibungen nachträglich zu genehmigen, reagierte Ernst August mit scharfen Sanktionen. Solche absolutistischen Praktiken waren jedoch auf Dauer nicht durchzuhalten. Da sich die Finanzen der herzoglichen Kammer trotz der enorm gesteigerten Steuerbelastung in der Regierungszeit Ernst Augusts zunehmend kritisch darstellten, musste er im Juni 1747 die Einberufung eines allgemeinen Landtages anordnen,17 zu dem es allerdings nicht mehr kam, weil er im Januar 17
Vgl. Reskript an die Regierung zu Weimar, 26. Juni 1747, in: ebd., B 82, Bl. 2r.
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1748 plötzlich starb. Unter der anschließenden Vormundschaftsregierung des Herzogs Friedrich III. von Sachsen-Gotha und Altenburg wurde schon im April 1848 ein Ausschusstag veranstaltet, der die erforderlichen Steuerausschreibungen durch provisorische Bewilligungen legalisierte, bis 1750 wieder eine reguläre Geschäftstätigkeit der Ständevertretungen einsetzte. Die Praxis, zwischen den Landtagen landschaftliche Ausschüsse einzuberufen, deren Mitglieder auf den Landtagen gewählt und anschließend von den Landesherren bestätigt wurden, ist wahrscheinlich schon im 16. Jahrhundert aufgekommen, um Beschlüsse fassen zu können, die keinen Aufschub bis zum nächsten Landtag duldeten. Auch die Ausschüsse oder Deputationen besaßen kein Selbstversammlungsrecht. Anders als die Landtage wurden die Ausschusstage ohne aufwendiges Zeremoniell abgehalten, doch gingen die Landesherren immer mehr dazu über, auch ihnen förmliche Propositionen und Abschiede in urkundlicher Ausfertigung zu erteilen. Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bürgerte sich ein relativ fester Turnus ein, nach dem die Land- und Ausschusstage abgehalten wurden. Landtage fanden in allen Landschaften der Herzogtümer Sachsen-Weimar und Eisenach und Sachsen-Gotha und Altenburg bzw. deren Vorgängerstaaten in größeren Abständen, in der Regel alle 5 bis 6 Jahre statt. Nur in Ausnahmefällen wie etwa zur Erbhuldigung beim Regierungsantritt eines neuen Herzogs wurden auch zwischenzeitlich alle Stände zu Landtagen einberufen. Die Ausschusstage kamen demgegenüber alle zwei bis drei Jahre und später sogar jährlich zusammen. In der Gothaer Landschaft wurde der regelmäßige Tagungsrhythmus am konsequentesten praktiziert; hier wurden seit dem Regierungsantritt des Herzogs Ernsts des Frommen 1640 mit nur ganz wenigen Ausnahmen alle fünf, später sechs Jahre volle Landtage und alljährlich Ausschusstage abgehalten. Die Herzöge Carl August von Sachsen-Weimar und Eisenach und Ernst II. von Sachsen-Gotha und Altenburg (dieser jedoch nur für den Altenburger Landesteil) gingen nach ihrem Regierungsantritt 1775 bzw. 1772 im Hinblick auf die hohen Kosten der Landtage dazu über, diese möglichst ganz zu vermeiden und nur noch Ausschusstage einzuberufen, mussten doch mit den Ständen und ihrem Dienstpersonal stets Hunderte von Personen untergebracht und verköstigt werden. Selbst für das Kriegsjahr 1763 weist der Fourierzettel für den von Herzog Friedrich III. einberufenen Altenburger Landtag 342 zu verköstigende Personen aus. Der wachsende Regelungsbedarf, den die aufgeklärte Reformpolitik dieser Regenten mit sich brachte, lieferte ein weiteres Motiv für diese Verfahrensweise, denn die Willensbildung konnte in einem zahlenmäßig begrenzten Ständegremium wie dem Ausschusstag weitaus einfacher als auf einem Landtag erfolgen. Anderes als bei den Landtagen, auf denen die Stände kraft eigenen Rechts erschienen, konnte der Landesherr zudem die personelle Zusammensetzung der Ausschusstage mit Hilfe seines Bestätigungsrechts beeinflussen. So
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sorgte z. B. Herzog Carl August vor Einberufung der Weimarer und Jenaer Ausschusstage von 1783 dafür, dass der akademische Senat der Universität Jena für die Ordinardeputation der Jenaischen Landesportion nicht den ihm persönlich verhassten Juristen Carl Friedrich Walch als Prälaturdeputierten, sondern den Theologen Johann Jacob Griesbach und den erst kurz zuvor aus der Weimarer Regierung an die Jenaer Juristenfakultät versetzten Johann Ludwig von Eckardt für die Weimarische Landschaft denominierte.18 Wie Marcus Ventzke gezeigt hat, war der entscheidende Beweggrund für diese Einflussnahme der dringende Sanierungsbedarf der krisenhaften Kammerfinanzen, und nur die Landstände waren in der Lage, die Kammerschulden durch den Kredit der Landschaftskassen zu refinanzieren.19 Schon 1777 hatten die drei Ständeausschüsse der Fürstentümer Weimar und Eisenach sowie der Jenaischen Landesportion den herzoglichen Kammern finanzielle Beihilfen gewährt. Auf der 1783 anstehenden Tagung der Ständeausschüsse sollte ein noch größeres Umschuldungsprojekt beschlossen werden, gegen das sich anfänglich beträchtliche Widerstände ankündigten. Zwar ließen sich die Ständedeputierten schließlich davon überzeugen, dass der Staatsbankrott nur durch eine dauerhaft erhöhte Kammerbeihilfe abgewendet werden könne, die eine zusätzliche Kreditaufnahme der Landschaftskassen von 300.000 Reichstalern erforderlich machten, doch waren die − von Johann Wolfgang von Goethe geführten − Verhandlungen außerordentlich schwierig. Lediglich durch das Zugeständnis nachhaltiger Einsparungen und die drastische Verminderung des Militäretats konnten die Stände dafür gewonnen werden. Es wäre eine unzulässige Verkürzung, wenn man in diesem Vorgang lediglich einen Beleg für die politische Schwäche der Stände gegenüber dem „Despotismus“ des Landesherrn sehen wollte. Der Vorgang spiegelt vor allem das im politischen System des frühneuzeitlichen deutschen Fürstenstaates angelegte konsensuale Grundprinzip wider; weder konnte es sich Carl August erlauben, auf die Unterstützung der Stände zur Bewältigung der Kammerfinanzkrise zu verzichten, noch konnten die Stände eine Konfrontation riskieren, die möglicherweise ein Übereinkommen in der Frage der Kammerfinanzen verhindert hätte. Ein Bankrott der herzoglichen Kammern hätte für beide Seiten bedenkliche Folgen gehabt, drohte doch in diesem Fall die Einrichtung einer Zwangsverwaltung unter einem kaiserlichen Debitkommissar, wie sie seit den Anfang der 1770er Jahren bereits in Sachsen-Coburg-Saalfeld und Sachsen-Hildburghausen bestand.
18 19
Vgl. MÜLLER, Universität und Landtag (wie Anm. 7), S. 44–47. Vgl. Marcus VENTZKE, Das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach (1775–1883). Ein Modellfall aufgeklärter Herrschaft?, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 118–122.
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Die landschaftliche Geschäftstätigkeit zwischen den Land- und Ausschusstagen wurde durch den Landschaftsdirektor und den Landschaftssyndikus,20 in der Regel einem in der Residenzstadt niedergelassenen Advokaten, erledigt. Die Verwaltung des Archivs, der laufende Schriftwechsel mit den Ständen und Regierungen sowie die Aufsicht über die Landschaftskassen, die Beschaffung von Krediten und die Ausfertigung der landschaftlichen Schuldobligationen waren jedoch Aufgaben, die von den Landschaftsdirektoren allein immer weniger zu bewältigen waren. Man ging daher dazu über, aus dem Kreis der Ausschussdeputierten ein kleineres Gremium zu kooptieren, das den Landschaftsdirektor unterstützte und zu diesem Zweck zu formlosen Zusammenkünften zusammentrat. In der altenburgischen Landschaft wurde dieser landschaftliche Vorstand als Kollegium der Obersteuereinnehmer, anderswo als „engerer Ausschuss“ bezeichnet. Festzuhalten ist, dass die Landschaftsdirektoren und ihre „Stäbe“ einflussreiche Instanzen gewesen sind, die in ständigem Konnex mit den landesherrlichen Räten und Kanzleien standen und als informelle Schaltstellen zwischen Landesherrschaft und Ständen wirken konnten. Die Direktion der Landschaft wurde in der Gothaer und Eisenacher Landschaft von der Grafen- und Herrenkurie, in den Landschaften von Weimar und Jena vom Prälaturdeputierten der Jenaer Universität und in Altenburg von einem Vertreter der Ritterschaft geführt. Wie wenig gerechtfertigt das Generalverdikt der älteren Landeshistoriographie gegen die Stände ist, wird auch dadurch deutlich, dass nicht selten Staatsmänner und Politiker von bedeutendem Format das Amt des Landschaftsdirektors bekleideten. Beispiele sind der gothaische Kanzler Veit Ludwig von Seckendorff, der Jenaer Theologieprofessor Johann Jacob Griesbach, der gothaische Kanzler und Hofrichter August Friedrich Carl Freiherr von Ziegesar als Generallandschaftsdirektor der sachsen-weimar-eisenachischen Landschaftsdeputation, der Geheime Rat und Minister Carl Leopold Graf von Beust und Bernhard August von Lindenau.
III. Ständisches Repräsentativsystem und Frühkonstitutionalismus an der Schwelle zum modernen Staat Das über Jahrhunderte relativ stabil und reibungslos funktionierende ständische Repräsentativsystem geriet an seine historischen Grenzen, als die politischen Umbrüche im Gefolge der Französischen Revolution und die damit verbundenen Kriege zum einen die Existenz des Alten Reiches als äußere Rahmenbedingung des Ständewesens zunehmend in Frage stellten, und zum anderen die ex20
Vgl. Frank BOBLENZ, Landschafts- und Landtagssyndikus Bernhardt Friedrich Rudolf Kuhn (11. Oktober 1774–7. Mai 1840), in: Schriften zur Geschichte des Parlamentarismus in Thüringen, hg. vom Thüringer Landtag, H. 10, Weimar 1998, S. 178–233.
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plosive Zunahme der Landesschulden die Reichsstände und ihre Landschaften vor nicht mehr zu bewältigende Herausforderungen stellte. Der dadurch entstehende Reformdruck, der den Übergang zum frühkonstitutionellen Staat in Gang setzte, brach sich im Bereich der Ernestiner zuerst in Sachsen-Coburg-Saalfeld Bahn. Dieses Herzogtum stand seit 1773 unter der Zwangsverwaltung einer kaiserlichen Debitkommission, die den finanziellen Handlungsspielraum des Regenten auf ein Minimum einschränkte. Angesichts der existenzbedrohenden Finanzlage berief der 1800 zur Regentschaft gelangte Herzog Franz Friedrich Anton 1801 den in preußischen Diensten stehenden Kammerdirektor Theodor Konrad von Kretschmann als dirigierenden Minister mit dem Auftrag, die Verwaltung durchgreifend zu modernisieren und die Staatsfinanzen zu sanieren.21 Diese Ziele waren letztlich nur dann erreichbar, wenn es parallel zur Etablierung effizienter Verwaltungsstrukuren gelang, die Kontrolle der Stände über die Landeskassen und andere Landeseinrichtungen, mit anderen Worten: die hergebrachte ständische Verfassung, auszuschalten und dem Staat ungehinderten Zugriff auf die Ressourcen des Landes, vor allem auf das steuerliche Leistungsvermögen der Untertanen, zu verschaffen. Kretschmann vermochte schon 1802 die Aufhebung der Debitverwaltung zu erreichen, musste aber nun, da ein geplanter Großkredit der Stände an deren Forderung nach hinreichenden Sicherheiten gescheitert war, infolge der Umschuldungsaktion eine Vielzahl von Einzelkrediten zur Befriedigung der Gläubiger der Coburger Kammer refinanzieren. Aufkommende Widerstände gegen Kretschmanns umfangreiche Verwaltungsreformen, besonders aber seine Bestrebungen, die Landeskassen und die landschaftliche Geschäftstätigkeit der landesherrlichen Kontrolle zu unterwerfen, führten zum offenen Konflikt mit den Ständen. Dieser verschärfte sich in der Folgezeit noch weiter, als Kretschmanns Versuch, die Verhältnisse durch Einführung eines von ihm entworfenen Verfassungsgesetzes zu regeln, scheiterte und die Coburger Stände Klage gegen die Beeinträchtigung ihrer Rechte beim Reichshofrat in Wien erhoben. Auch ein weiterer Verfassungsentwurf von 1805 vermochte den Konflikt nicht beizulegen, bis schließlich das Ende des Alten Reichs 1806 die Handhabe lieferte, das alte Ständewesen gänzlich zu beseitigen. 1807 legte Kretschmann im Zuge des „neuen Kurses“ des im Dezember 1806 auf den Thron gelangten Herzogs Ernst I. den Entwurf einer auf dem Souveränitätsprinzip beruhenden Landesverfassung vor, die das alte Ständewesen durch ein neuartiges Repräsentativsystem ersetzen sollte. Erstmals findet sich hier die Idee eines aus frei gewählten „Repräsentanten“ der Rittergutsbesitzer, Städtebürger und der ländlichen Gemeinden bestehenden „landschaftlichen Versammlung“ mit dem Recht, über landesherrliche Gesetzesvorlagen ein21
Vgl. Carl-Christian DRESSEL, Die Entwicklung von Verfassung und Verwaltung in Sachsen-Coburg, S. 97–240.
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schließlich der „Finanzgesetze“ mit „consultativer Stimme“ zu beraten.22 Sein Versuch, die Einführung dieser Verfassung mit Unterstützung der französischen Hegemonialmacht durchzusetzen, scheiterte vor allem an dem massiven diplomatischen Druck, den sowohl das albertinische Sachsen als auch die ernstinischen Herzöge gemeinsam auf Ernst I. ausübten. Eine staatsdefinierende Verfassung, wie sie Kretschmann anstrebte, konnten sie schon deshalb nicht akzeptieren, weil sie darauf hinauslief, das Herzogtum Coburg-Saalfeld als souveränen Staat aus dem durch die Erb- und Teilungsverträge der sächsischen Häuser konstituierten Territorialverband herauszulösen. Überdies hatte Kretschmann in weiteren, für französische Regierungsvertreter bestimmten Fassungen seines Entwurfes sogar die Übernahme des Code Napoléon für das Herzogtum eingefügt.23 Mit Kretschmanns Entlassung 1808 endete der erste Anlauf eines ernestinischen Staates, die altständischen Verhältnisse in ein konstitutionelles System zu überführen. Das Ende des Alten Reichs und der Beitritt der ernestinischen Herzogtümer zum Rheinbund warf auch für deren Stände die Frage ihrer künftigen Existenz auf. In Sachsen-Gotha und Altenburg klärte sich diese Frage sehr rasch, da Herzog August im Frühjahr 1807 den altenburgischen Ständen versicherte, dass er an der herkömmlichen landschaftlichen Verfassung festhalten wolle, obgleich seine Souveränität durch den Beitritt zum Rheinbund befestigt sei und ihm die unbezweifelte Befugnis zustehe, die Landesverfassung zu modifiziren. Er sehe aber seine „getreuen Stände als Freunde des Landes und des Regenten an“ und beabsichtige, „ihren patriotischen Rath und ihre auf genaue Kenntniß des Landes gegründete Erfahrung in allen wichtigen Landes Angelegenheiten zu benutzen.“24 Für den Gothaer Landesteil war schon im Deputationstags-Abschied vom 9. Mai 1807 eine ähnliche Versicherung erteilt worden.25 Zur öffentlichen Demonstration des Gedankens der Partnerschaft von Fürst und Ständen ließ Herzog August 1808 sogar eine Landtagsuniform für die altenburgische Ritterschaft entwerfen, die bei allen offiziellen Anlässen getragen werden musste. Im Gegensatz zu seinem Gothaer Vetter zögerte Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, seinen Ständen eine derartige Versicherung zu erteilen, obwohl die Zusammenarbeit mit den Ständen in den Monaten nach dem Rheinbundbeitritt schon deshalb sehr rege und intensiv war, weil die enorme, Sachsen-Weimar-Eisenach im Posener Frieden als einzigem der ernestinischen Herzogtümer auferlegte Kriegskontribution und die Kosten der militärischen 22 23 24 25
Vgl. Oeffentliche Verfaßung der Coburg-Saalfeldischen Lande, in: ebd., S. 609–617. Vgl. ebd., S. 304–306. Vgl. Thüringisches Staatsarchiv Altenburg, Ritterschaft, Nr. 60, Bl. 144r–149r, siehe auch den Deputationstagsabschied vom 21 Mai 1807, ebd., Bl. 524r–541r. Vgl. Thüringisches Staatsarchiv Gotha (im Folgenden: ThStAG), Geheimes Archiv, U 1, Nr. 108, Bl. 177r–181r.
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Rheinbundverpflichtungen nur unter voller Ausschöpfung des landschaftlichen Kredits finanziert werden konnten. Ähnlich wie in Coburg war auch in Weimar die extrem gestiegene Schuldenlast die entscheidende Triebkraft für verfassungspolitische Reformüberlegungen, war doch der Kredit der Landschaften der einzige Weg, um diese Kosten zu refinanzieren, denn den herzoglichen Kammern des Weimarer Herzogtums wurden damals keinerlei Anleihen gewährt.26 Der Hinweis auf die Notwendigkeit, den Kredit der landschaftlichen Kassen zu erhalten, mit dem die Stände an den Herzog appellierten, eine verbindliche Bestandsgarantie der landschaftlichen Verfassung abzugeben, war daher nicht zu ignorieren. Geschehe das nicht, so könnten Wert und Sicherheit der auszustellenden landschaftlichen Obligationen vernichtet werden und die Kapitalien drohten rasch in die Landschaftskassen der benachbarten Länder, die ihren Ständen entsprechende Garantien erteilt hätten, abzufließen.27 Carl August war sich vollkommen darüber klar, dass die Stände auch in Sachsen-WeimarEisenach nicht abgeschafft werden konnten. Er suchte lediglich nach einem Weg, wie dies mit den grundlegenden Reformen verbunden werden konnte, die ihm seine Beamten nach der Katastrophe von 1806 als unausweichlich anrieten. Insbesondere ist hier eine Denkschrift des Präsidenten des Landespolizeikollegiums, Karl Wilhelm Freiherr von Fritsch, hervorzuheben, die sogar die völlige Abschaffung des „Feudal-Systems“ empfahl.28 Der Herzog begrüßte Fritschs Überlegungen und ließ ihn auffordern, seine Gedancken über eine beßere landschaftl[iche] Verfaßung aufzusetzen, als wie die jetzige ist, u. andere thätigkeit erweckende Formen zu erfinden, durch welche das landschaftl[iche] wesen organisirt werde, um immer nützlich, aber nie hinderlich, od. wohl gar schädlich werden zu können.29
Mit dieser Anweisung gab Carl August das Startsignal für eine Verfassungsreform, deren Richtung er am 14. April 1808 in einem eigenhändigen Exposé über Fritschs „Zufällige Gedanken“ und einen weiteren, im März 1808 von diesem über diesen Gegenstand eingereichten Aufsatz präzisierte.30 Dieser „Plan für eine neue Organisation der Landstandsschaft, u. die eines dazu gehörigen neuen 26 27 28 29 30
Vgl. Quellen zu den Reformen in den Rheinbundstaaten (wie Anm. 1), S. 494 f. Vgl. Bericht der Ordinardeputation der Stände der Jenaischen Landesportion an Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, 25. April 1807, in: Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (im Folgenden: ThHStAW), B 137, Bl. 2r–3v. Carl Wilhelm Freiherr von Fritsch: Zufällige Gedanken über einige Veränderungen der bisherigen Verfassung [Januar 1807], in: Goethe- und Schiller-Archiv Weimar, 68/637, Bl. 1r–6v, hier: 1r–1v. Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach an Christian Gottlob von Voigt, 20. Januar 1808, in: Goethe- und Schiller-Archiv Weimar, 68/637, Bl. 7r. Vgl. Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach: Bemerkungen über Zufälligkeiten, Gedanken etc, in: ThHStAW, Hausarchiv A XIX, Nr. 153.
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Collegii“, legte er dar, dass ihm, ähnlich wie Kretschmann in Coburg, ebenfalls die Einführung einer permanenten Vertretungskörperschaft aus gewählten Deputierten vorschwebte. Sie sollen mehr od[er] weniger Landesstände seyn, die an der Administration der Landesangel[egenheiten] u. deren Cassen, beständig theilnehmen. Hierdurch ist die Landschaft viel mehr wie sonst vergewissert, daß die Landesangelegenheiten als solche u. nicht als Privatabsichten des Landesherrn, deren Cassen nicht wie seine Privat Cassen behandelt werden […] Durch solche wohlunterrichteten Leute die […] als deputierte Landesstände auftreten können, werden die Deput[ations] Tage, welche ich in meinem Projecte für alljährl[ich] vorgeschlagen habe, sehr abgekürzt werden, u. die dabei nöthigen Diäten weniger wie sonsten betragen.
Das Scheitern des Kretschmannschen Projekts vor Augen, versuchte Carl August diesen Plan jedoch von Anfang an nicht auf dem Wege eines Oktrois, sondern im Konsens mit den Ständen zu verfolgen. Dieser wurde zunächst mit einzelnen führenden Ständevertretern diskutiert, und im Januar 1809 trat ein gemeinsamer Ausschusstag der drei Landschaften des Herzogtums zusammen, der Ende März einen auf der Basis der herzoglichen Proposition ausgearbeiteten Konstitutionsentwurf präsentierte. Diese „Konstitution der vereinigten Landschaft der Herzoglich Weimar- und Eisenachischen Lande, mit Einschluß der Jenaischen Landesportion, jedoch mit Ausschluß des Amtes Ilmenau“ trat am 20. September 1809 in Kraft.31 Der sperrige Titel war erforderlich, weil die Ausklammerung des Amtes Ilmenau zumindest vorläufig noch dem Umstand Rechnung tragen musste, dass sich die Regulierung des Schuldenwesens im ehemaligen Fränkischen Reichskreis, zu dem Ilmenau als Teil der vormaligen Grafschaft Henneberg von alters her gehört hatte, noch über Jahrzehnte hinschleppen würde. Die Konstitution wurde zwar erlassen und in Kraft gesetzt, aber nicht öffentlich publiziert, was dazu führte, dass die Verfassungshistoriographie lange Zeit glaubte, sie sei gar nicht in Kraft getreten. Die Eisenacher und Weimarer Stände hatte sich auf dem Deputationstag über einen wichtigen Punkt des Verfassungswerks, die Zusammenfassung des landschaftlichen Finanz- und Schuldenwesens der drei Landesteile in einer einheitlichen Landesfinanzbehörde, nicht einigen können. Erst 1811 wurden diese Desiderate durch einen entsprechenden Nachtrag beseitigt.32 31
32
Originalurkunde in: ThHStAW, Vereinigte Landschaft, IV, 4, Bl. 5r–51v. Vgl auch: Gerhard MÜLLER, Landständische Repräsentation und früher Konstitutionalismus in Sachsen-Weimar-Eisenach. Die Landschaftsdeputation 1809–1817, in: Blätter des Vereins für Thüringische Geschichte 4 (1994) 2, S. 20–35. Vgl. Nachtrag zu den §§ 35 und 41, in: Konstitution der vereinigten Landschaft der Herzoglich Weimar- und Eisenachischen Lande, mit Einschluß der Jenaischen Landesportion, jedoch mit Ausschluß des Amtes Ilmenau, 20 September 1809, in: ThHStAW, Vereinigte Landschaft, IV, 4, Bl. 51v, sowie die Abschrift der Konstitution mit Noten über sämtliche bis zum April 1811 erfolgten Abänderungen, in: ebd., Vereinigte Landschaft, IV, 3.
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Die Konstitution fasste die verschiedenen Landesteile des Herzogtums, die bis dahin lediglich durch die Person des Regenten miteinander verbunden gewesen waren, erstmals zu einer staatlichen Einheit zusammen, indem eine gemeinsame Vertretungskörperschaft, die „Landschaftsdeputation“, und eine einheitliche Steuer- und Finanzbehörde, das Landschaftskollegium mit der Hauptlandschaftskasse, geschaffen wurden. Mit der Landschaftsdeputation wurde, wie dies Carl August bereits in seinem Expose vom April 1808 vorgegeben hatte, die im benachbarten Sachsen-Gotha-Altenburg seit der Regierungszeit Ernsts des Frommen im 17. Jahrhundert übliche und auch lückenlos eingehaltene Praxis alljährlicher Zusammenkünfte von Ständevertretern zur Beschlussfassung über Steuern und Landesgesetze übernommen. Dies erfolgte allerdings unter Einbeziehung moderner, für Frankreich und die Rheinbundstaaten charakteristischer Verfassungselemente. Statt der traditionellen eigenrechtlichen Vertretung der Stände galt jetzt in Sachsen-Weimar-Eisenach das besitzständische Prinzip. Es gab Deputierte der Gutsbesitzer, gleich ob adlig oder nicht, der Städte und einen der Universität Jena. Die Deputierten wurden noch von den alten Ständen gewählt, die ansonsten nicht mehr als solche zusammentreten durften. Bei der neuen Landschaftsdeputation handelte es sich um eine bereits parlamentarisch arbeitende Körperschaft. Anders als in den Parlamenten Frankreichs und der napoleonischen Modellstaaten wurden in der Weimarer Landschaftsdeputation alle Vorlagen ausführlich debattiert, gegebenenfalls in Ausschüssen beraten und anschließend abgestimmt. Die bei Fritz Hartung noch zu lesende Auffassung, die Landschaftsdeputation sei mit ihrem Bestreben, eine stärkere Berücksichtigung durchzusetzen, gescheitert und seit 1813 fast ganz verschwunden,33 wird von den Akten nicht gedeckt. Gerade in den Jahren der Freiheitskriege 1813 bis 1815 erwies sich die Tätigkeit der Stände für den weimarischen Staat als überlebenswichtig. Eine für die Kriegsjahre aus dem Kreis der Abgeordneten gewählte permanente Subdeputation unter Leitung des Generallandschaftsdirektors von Ziegesar bewältigte die gesamten Geschäfte der neu aufzulegenden Kriegsanleihen und verhinderte so den Zusammenbruch der Staatsfinanzen. Als Napoleon im März 1815 seine Hundert-Tage-Herrschaft antrat, erreichte die Wirksamkeit der Stände ihren Höhepunkt. Unter dem Druck der Verhältnisse wandten sie sich, ohne zuvor die Genehmigung Carl Augusts einzuholen, mit einem öffentlichen Aufruf für eine freiwillige Kriegsanleihe an die Bevölkerung und machten sich so zum Sprachrohr der patriotischen Gesinnung. Dem Herzog blieb nichts anderes übrig, als sich an die Spitze der Bewegung zu stellen und die Silber- und Brillantenbestände seiner Familie für das Notopfer zur Verfügung zu stellen. Seine 33
Vgl. Fritz HARTUNG, Das Großherzogtum Sachsen unter der Regierung Carl Augusts 1875–1828, Weimar 1923, S. 224.
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Minister folgten dem Beispiel zähneknirschend, verglichen den Aufruf aber in internen Äußerungen bereits mit dem Sanculottentum der französischen Revolution. Mit ihrem Vorstoß hatte die Landschaftsdeputation ein fait accompli geschaffen, das die politische Führung nicht mehr ignorieren konnte. Sie reagierte mit einem neuen Verfassungsprojekt, das die Verfassungsverhältnisse Sachsen-Weimar-Eisenachs endgültig auf eine parlamentarisch-konstitutionelle Basis stellte und zugleich der Notwendigkeit, die durch den Wiener Kongress zu hinzugekommenen neuen Territorien politisch zu integrieren, Rechnung trug. Das ständische Konstitutionsmodell von 1809, so die Intention des Großherzogs Carl August, sollte durch das Grundgesetz vom 5. Mai 1816 nicht überwunden, sondern weiter ausgebaut werden. Den im März 1816 von dem Minister Ernst August Freiherr von Gersdorff eingereichten Plan einer staatskonstituierenden Vollverfassung mit einem umfangreichen Grundrechtekatalog hatte der Fürst verworfen, erschien ihm doch eine Verfassung, in der die Gewaltenteilung explizit festgeschrieben war, schon im Hinblick auf die Haltung der großen Mächte zu gewagt. Dennoch überschritt Sachsen-Weimar-Eisenach mit dem neuen Grundgesetz die Schwelle vom alten Ständewesen zum konstitutionell-parlamentarischen Staat, auf dessen Boden es mit der Konstitution von 1809 lediglich einen Fuß gesetzt hatte, endgültig. Der Kreis der Wahlberechtigten wurde beträchtlich erweitert. Statt des aus den bisherigen Inhabern der Landstandsschaft bestehenden Personenkreis der Wahlberechtigten wählten jetzt ähnlich wie in Kretschmanns Verfassungsentwurf von 1807 drei noch als „Stände“ bezeichnete Wählerklassen die Abgeordneten des Landtages: die Rittergutsbesitzer inklusive der Universität Jena, die Städtebürger und die Bauern. Zeitgenössische Quellen sprechen davon, dass seit dem Herbst 1816, als der erste Landtag gewählt wurde, 40 Prozent der männlichen Bevölkerung wahlberechtigt gewesen seien, ein für die damalige Zeit außergewöhnlich hoher Partizipationsgrad. Demgegenüber sucht man im benachbarten Herzogtum Sachsen-GothaAltenburg verfassungsreformerische Aktivitäten vergebens. Die durch den Rheinbundbeitritt erforderlichen Rechtsanpassungen und Reformen, die hier ebenso wie in Sachsen-Weimar-Eisenach durchgesetzt werden mussten, erledigten die Ausschusstage der Stände. Dasselbe galt für die Kriegssteuergesetze. Weitergehende Reformansätze gab es weder im Gothaer noch im Altenburger Landesteil. Nach den Freiheitskriegen änderte sich dies jedoch grundlegend. Eine deutliche Zäsur bildete dabei der Altenburger Landtag vom 20. August bis 30. Oktober 1818. In den fast zweieinhalb Monaten debattierte und verabschiedete er ein umfangreiches Paket von Reformgesetzen, dessen Intentionen im Wesentlichen denen ähnelten, die der konstitutionelle Landtag in SachsenWeimar-Eisenach auf den Weg brachte. Zur weiteren Bearbeitung dieser Gesetzesprojekte verabschiedete der Landtag eine Instruktion für den sogenannten
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Deputationsausschuss, einen aus den Reihen des regulären Ständeausschusses rekrutierten Sonderausschuss, der auf bloße Einberufung des Landschaftsdirektors ohne vorherige Konvokation des Landesherren jederzeit bei Bedarf zu seinen Beratungen zusammentreten sollte. Dieser „Ausschuss der allgemeinen Landesdeputation“ trat in den folgenden Jahren mehrmals pro Jahr zusammen, so dass eine kontinuierliche politische Geschäftstätigkeit möglich wurde. Die ausgearbeiteten Gesetzesprojekte wurden dann von den regulären Tagungen des gesamten landschaftlichen Ausschusses verabschiedet. Erstmals veröffentlichte der Ausschuss in Analogie zu den gedruckten Landtagsprotokollen des Weimarer Landtages auch Berichte über seine Verhandlungen im altenburgischen „Intelligenzblatt“. Die nochmalige Umverteilung des Territoriums der jüngeren Linie des ernestinischen Fürstenhauses nach dem Aussterben der herzoglichen Linie von Sachsen-Gotha und Altenburg durch den Erbteilungsrezess vom 12. November 1826 wirkte sich auf die altenburgische Landschaft kaum aus. Hatte der noch unter dem letzten Gothaer Herzog Friedrich IV. im November 1824 ausgeschriebene Landtag mit Genehmigung der nach Friedrichs Tod interimistisch herrschenden gemeinschaftlichen Gesamtregierung der drei agnatischen Höfe in Coburg, Meiningen und Hildburghausen 1825 wie geplant stattfinden können, so setzte sich die Tätigkeit der altenburgischen Landtag nach dem Regierungsantritt der nach Altenburg versetzten Dynastie von SachsenHildburghausen völlig ungebrochen fort. Da der Altenburger Landesteil auch unter dem gemeinsamen Dach des Hauses Sachsen-Gotha-Altenburg stets seine administrative und landschaftliche Eigenständigkeit bewahrt hatte, bildete die 1826 erfolgte Konstituierung Sachsen-Altenburgs als selbständiges Herzogtum lediglich eine äußerliche Veränderung. Unter dem Landschaftsdirektorium Bernhard August von Lindenaus vollzog schließlich der letzte altständische Landtag, der vom 17. Januar bis zum 16. Februar 1831 tagte, mit der Beratung und Annahme eines neuen Verfassungsentwurfs in völlig unspektakulärer Weise den Übergang des Herzogtums zum konstitutionellen Staat. Die im altenburgischen Landesteil zu beobachtenden Veränderungen des alten Ständewesens, die sich in einer stark gesteigerten Geschäftstätigkeit und einer deutlichen Schwerpunktverlagerung von den Etatberatungen auf die legislatorische Arbeit ausdrückten, lassen sich auch bei den Gothaer Ständen beobachten. Auch hier wurde die Kontinuität der ständischen Tätigkeit durch die Zugehörigkeit zu dem neuen Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha kaum unterbrochen; lediglich der 1826 fällige alljährliche Ausschusstag musste ausgesetzt werden. In der gothaischen Landschaft setzte die Reformpolitik jedoch erst nach 1826 in vollem Umfang ein. Wie gewohnt wurden die Land- und Ausschusstage in alter Tradition abgehalten, doch dauerten sie jetzt entschieden länger als früher. Eine Tagungsdauer von zwei bis drei Monaten wurde die Regel, und gelegentlich musste auch ein außerordentlicher Ausschusstag einge-
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schoben werden. Die Anzahl der Vorgänge, die außerhalb der Tagungen durch Zirkularabstimmungen entschieden werden mussten, wuchs ähnlich wie auch in der Altenburger Landschaft stark an. Die ständische Geschäftstätigkeit auf allen Ebenen hielt die Landschaft in nahezu permanenter Aktivität. 1831 legte Herzog Ernst I. von Sachsen-Coburg-Gotha einen Verfassungsentwurf vor, der die Verfassungsverhältnisse denen des seit 1821 konstitutionell verfassten coburgischen Landesteils angleichen sollte. Man setzte eine Kommission zur Bearbeitung dieses Entwurfs ein, doch gelangte dieser nicht zur Verabschiedung. Die gothaische Landschaft arbeitete jedoch nun unter gesteigertem Druck der Geschäfte; die jährlichen Zusammenkünfte der Ausschüsse dehnten sich jetzt auf mitunter vier Monate aus, ohne dass die Tagesordnungen gänzlich abgearbeitet werden konnten. Angesichts der wachsenden Dimension der Geschäftstätigkeit, die durchaus der eines konstitutionellen Parlaments entsprach, ist es leicht nachvollziehbar, dass die Stände, die mehrheitlich allein durch die auf ihren Rittergütern ruhende Landstandsschaft zur Teilnahme an den Tagungen verpflichtet waren, sich in zunehmendem Maße überfordert fühlten. Schon in seiner Eröffnungsrede auf dem ersten gothaischen Landtag nach seinem Regierungsantritt am 1. Februar 1846 stellte Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg-Gotha deshalb klar, dass er eine Reform über kurz oder lang als unumgänglich ansehe. Er erwarte, dass die Stände ihm auch „dann zur Seite stehen werden, wenn […] wir gemeinsam Veränderungen in den ererbten ehrwürdigen Formen wünschen könnten, in denen jetzt das Land von Ihnen vertreten wird.“34 Seit 1846 publizierten die Gothaer Stände auch die gedruckten Protokolle und Akten ihrer Verhandlungen. Dass der von Ernst II. beschworene Augenblick, in dem die alte Gothaer Ständeverfassung aufgegeben werden musste, schon zwei Jahre später eintreten sollte, sah damals noch niemand voraus. Noch am 23. Januar 1848 nahm der alljährliche Ausschusstag wie üblich seine Verhandlungen auf, wurde aber Anfang März von den hereinbrechenden Revolutionsereignissen überrollt. Ein ordnungs- und formgerechter Abschluss des Deputationstages erschien nicht mehr möglich. Mit den dürren Worten des Entlassungsdekrets vom 11. März 184835 endete eine mehr als zweihundertjährige Epoche ununterbrochener ständischer Geschäftstätigkeit, die unter Herzog Ernst dem Frommen ihren Anfang genommen hatte.
34 35
Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg-Gotha: Rede bei der Eröffnung des Landtags zu Gotha, 1. Februar 1846, in: ThStAG, Geheimes Archiv, U 1, Nr. 167, Bl. 42r–42vv. Dekret des Herzogs Ernst II. von Sachsen-Coburg-Gotha an die Deputation der Stände des Herzogtums Gotha, 11. März 1848, in: ThStAG, Geheimes Archiv, U 1, Nr. 154, Bl. 110r–110v.
OLIVER HEYN DIE ERNESTINER UND DIE REICHSDEFENSION
Die Ernestiner und die Reichsdefension (1654–1796) 1. Einleitung Der deutsche Staatsrechtler Johann Jacob Moser stellte im Jahr 1773 allgemein fest, dass ein jeder Reichsstand ein Mitglied des gesammten Teutschen Reichs [ist]. Um eben di[e]ser Verbindung mit dem ganzen Reich willen hingegen ist er auch gehalten, wann das Reich, oder ein Stand desselbigen, angegriffen wird, solchem zu Hülffe zu kommen.1
Diese Hilfeleistung, die von allen Reichsständen zu Verteidigungszwecken aufzubringen war, wurde von den Zeitgenossen als der Inbegriff der Reichsdefension verstanden.2 Die Reichskontingente waren der Beitrag der Stände zur Reichsdefension und konnten sowohl Truppenstellungen als auch Geldzahlungen umfassen. Ein wesentlicher Teil des militärischen Engagements der Ernestiner stand mit der Reichsdefension in Zusammenhang, wurde aber bisher weder übersichtlich dargestellt noch umfassend abgehandelt.3 Vorliegende Untersuchung möchte sich dieses Desiderates annehmen und erstmals die Rahmenbedingungen sowie die Entwicklung der ernestinischen Beteiligung an der Reichsdefension überblicksartig darlegen.4 Sie ist daher vornehmlich 1 2
3 4
Johann Jacob MOSER, Von der Landes-Hoheit in Militär-Sachen. Nach denen ReichsGesetzen und dem Reichs-Herkommen, wie auch aus denen Teutschen Staats-RechtsLehrern und eigener Erfahrung, Frankfurt/Leipzig 1773, S. 12. Es ist an dieser Stelle nicht möglich, die Reichskriegsverfassung umfassend abzuhandeln, daher sei auf folgende Einführungsliteratur verwiesen: Gerhard PAPKE, Von der Miliz zum Stehenden Heer. Wehrwesen im Absolutismus, in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hg.), Deutsche Militärgeschichte 1648–1939, Bd. 1/1, München 1983, S. 236–245; Karl Otmar v. ARETIN, Das Problem der Kriegführung im Heiligen Römischen Reich, in: Ernst Willi HANSEN/Gerhard SCHREIBER/Bernd WEGNER (Hg.), Politischer Wandel, organisierte Gewalt und nationale Sicherheit. Beiträge zur neueren Geschichte Deutschlands und Frankreichs, München 1995, S. 1–9; Helmut NEUHAUS, „Defension“ – Das frühneuzeitliche Heilige Römische Reich als Verteidigungsgemeinschaft, in: Stephan WENDEHORST/Siegrid WESTPHAL (Hg.), Lesebuch Altes Reich, München 2006, S. 119–127. Zur Forschungssituation der frühneuzeitlichen Militärgeschichte in Thüringen siehe Oliver HEYN, Das Militär des Fürstentums Sachsen-Hildburghausen 1680–1806, Köln/Weimar/Wien 2015, S. 19–23. Eine kurze Übersicht bereits bei Oliver HEYN, Alles nur „Soldatenspielerei“? Das Militär in den ernestinischen Staaten (1648–1806), in: Hans-Werner HAHN/Georg SCHMIDT/Siegrid WESTPHAL (Hg.): Die Welt der Ernestiner. Ein Lesebuch, Köln/Weimar/Wien 2016, S. 235–241, hier S. 237–239.
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verfassungs- und organisationsgeschichtlich ausgerichtet und deckt den Zeitraum zwischen dem ersten obersächsischen Kreistag5 nach dem Dreißigjährigen Krieg (1654) und dem Übertritt der Ernestiner zur Neutralität des Baseler Friedens (1796) ab. Der Fokus liegt dabei ausschließlich auf den militärischen Kontingenten der Ernestiner, wie sie im Rahmen des Obersächsischen Kreises gestellt wurden.6
2. Die Suche nach Anschluss (1654–1680) Der erste obersächsische Kreistag nach dem Dreißigjährigen Krieg fand im November 1654 in Leipzig statt. Die Deputierten bestätigten gemäß dem vorangegangenen Reichsabschied die Wormser Matrikel7 von 1521 und riefen alle Kreisstände dazu auf, sich militärisch in „guter vergewisserter Bereitschaft zu halten.“8 Die Reichsdefension wurde nach 1648 erstmals im Zusammenhang mit dem Türkenkrieg der Jahre 1663/64 auf die Probe gestellt. Noch vor dem Entschluss des Reichstages versammelten sich im Oktober 1663 die obersächsischen Kreisstände in Leipzig und bewilligten das Triplum der moderierten
5
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Zur Rolle der Reichskreise im Rahmen der Reichsdefension, vgl. Heinz MOHNHAUPT, Die verfassungsrechtliche Einordnung der Reichskreise in die Reichsorganisation, in: Karl Otmar v. ARETIN (Hg.), Der Kurfürst von Mainz und die Kreisassoziationen 1648–1746, Wiesbaden 1975, S. 1–29. Ansonsten allgemein Winfried DOTZAUER, Die deutschen Reichskreise (1383–1806). Geschichte und Aktenedition, Stuttgart 1998. Die Untersuchung der Beteiligung im Rahmen des Fränkischen Kreises sowie der Finanzleistungen müssen einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleiben. Vor dem Hintergrund der Bedrohung des Reiches durch die Osmanen wurde auf dem Wormser Reichstag des Jahres 1521 erstmals eine ständige Grundlage zur Bemessung der jeweiligen Reichskontingente beschlossen. Es handelte sich dabei um die Wormser Reichsmatrikel, die alle Reichsstände umfasste und deren jeweiliges Truppen- und Geldquantum zur Reichsdefension festlegte. Die Grundlage bildete u. a. die Größe des jeweiligen Territoriums sowie der Status des Landesherrn. Die Zusammenführung aller Kontingente der Reichsstände ergab ein Reichsheer, dessen monatliche Unterhaltskosten als Römermonat bezeichnet wurden. Für den monatlichen Unterhalt eines Fußsoldaten wurden 4 fl., für den eines Reiters zunächst 10 fl., später 12 fl. veranschlagt. Mit dem Römermonat, der später auch als Berechnungsgrundlage für diverse Reichssteuern diente, war daher ein Äquivalent geschaffen, mit dem sich ein Truppenquantum auch als Geldwert ausdrücken ließ. Das einfache Truppenquantum des Reichsheeres, auch Simplum genannt, belief sich nach der Reichsmatrikel auf insgesamt 24.000 Mann. Im Bedarfsfall konnte diese Zahl den Umständen gemäß verdoppelt (Duplum), verdreifacht (Triplum), ja selbst verfünffacht (Quintuplum) werden vgl. Johann Jacob SCHMAUSS/Heinrich Christian v. SENCKENBERG (Hg.), Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, Bd. 2, Frankfurt 1747, S. 216–221; Winfried SCHULZE, Reichstage und Reichssteuern im späten 16. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Historische Forschung 2 (1975), S. 43–58. Friedrich Carl MOSER, Des Hochlöblichen Ober-Sächsischen Crayses Abschi[e]de, Jena 1752, S. 340.
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Wormser Matrikel zur Sicherung des Kreises.9 Auf die drei ernestinischen Linien Sachsen-Gotha, Sachsen-Weimar und Sachsen-Altenburg entfielen offiziell insgesamt 75 Reiter und 354 Infanteristen.10 Das gesamte ernestinische Kontingent zur Sicherung des Kreises belief sich daher auf 654 Mann. Nachdem der Reichstag die Aufstellung einer Reichsarmee beschlossen hatte, rückten diese Truppen Anfang 1664 auf den ungarischen Kriegsschauplatz ab, nahmen im August an der erfolgreichen Schlacht bei St. Gotthard teil und kehrten im November desselben Jahres zurück.11 Obwohl die Reichsdefension in diesem Fall funktionierte, offenbarten sich doch organisatorische und logistische Schwierigkeiten. Nachdem die Reichstage der Jahre 1654 und 1663 versäumten, die Kriegsverfassung des Reiches verbindlich neu zu regeln, intervenierte schließlich Kaiser Leopold I. und ließ diese ab 1668 neu verhandeln. Am Ende stand im Jahr 1670 die sogenannte Erste Armatur, die den Beitrag eines jeden Kreises zum Reichsheer, losgelöst von der Wormser Matrikel, auf 3.000 Mann festsetzte.12 Ein obersächsischer Kreistag setzte dann das Simplum des ernestinischen Reichskontingents auf 94 Reiter und 188 Fußsoldaten neu fest.13 Es handelte sich um ein Provisorium und sowohl die Reichskreise als auch die Reichsstände gewannen den Eindruck, sich im Ernstfall auf keine sicher organisierte Reichsdefension verlassen zu können. Auf Grundlage des ius foederis14 setzte nunmehr eine Bündnispolitik der Reichsstände und Reichskreise ein, die vor allem Mittel zur Selbsthilfe war und die Etablierung einer von Reichsinstanzen losgelösten Defensionsverfassung anstrebte. Auch die Ernestiner agierten innerhalb ihrer regionalen Handlungsspielräume und sahen Militärallianzen als alternative Möglichkeit effektiver Landes-, Kreis- und Reichsdefension. Die ernestinischen Herzöge betrachteten Letztere bereits seit dem Türkenkrieg 1663/64 als unzureichend und entschieden sich in dieser Situation für eine stärkere Anlehnung an den albertinischen Kurfürsten – schließlich war Kursachsen im Obersächsischen Kreis der mächtigste Stand. 9 10 11 12 13 14
Ebd., S. 387 f. Johann Sebastian MÜLLER, Des Chur- und Fürstlichen Hauses Sachsen, Ernestin- und Albertinischer Linie, Annales von Anno 1400 bis 1700, Leipzig 1700, S. 456. Eduard v. HEYNE, Geschichte des 5. Thüringischen Infanterie-Regiments Nr. 94, Weimar 1869, S. 3. Johann Joseph PACHNER V. EGGENSTORFF (Hg.), Vollständige Sammlung aller von Anfang des noch fürwährenden teutschen Reichs-Tags de Anno 1663 biß anhero abgefaßten Reichs-Schlüsse, Bd. 1, Regensburg 1740, S. 475. MOSER, Abschiede (wie Anm. 8), S. 432. Ronald G. ASCH, The ius foederis re-examined. The Peace of Westphalia and the Constitution of the Holy Roman Empire, in: Randall LESAFFER (Hg.), Peace Treaties and International Law in European History. From the Late Middle Ages to World War One, Cambridge 2004, S. 319–337.
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Herzog Friedrich Wilhelm II. v. Sachsen-Altenburg verhandelte bereits am Rande des Leipziger Kreistages 1663 mit Kursachsen und Sachsen-Zeitz.15 Zum Schutze der eigenen Territorien sowie des Reiches wurde die Aufstellung eines gemeinschaftlichen Truppenkorps von insgesamt 4.000 Reitern und 6.000 Fußsoldaten, die ständig unterhalten werden sollten, beraten. Projektentwürfe schätzten die Finanzausgaben auf die enorme Summe von jährlich etwa 500.000 Reichstalern, was zur Zurückhaltung der Ernestiner führte und die weiteren Verhandlungen lähmte. Daneben fühlten sich die ernestinischen Herzöge durch die kursächsische Haltung in der im selben Jahr stattfindenden Erfurter Reduktion zurückgesetzt und standen dem potentiellen Bündnispartner vermehrt kritisch gegenüber.16 Der erfolgreiche Feldzug des Jahres 1664 ließ die Angelegenheit auch weniger dringlich erscheinen, sodass die Verhandlungen ins Leere liefen. Erst im Nachgang des Devolutionskrieges (1667–1668) wurden innersächsische Verhandlungen zu militärischen Allianzen erneut aufgenommen. Ab Mai 1669 korrespondierte Kurfürst Johann Georg II. mit den albertinischen Nebenlinien über die Möglichkeiten einer Defensivallianz und Hinzuziehung der ernestinischen Fürsten.17 Eine erste Unterredung zwischen Kursachsen und den Ernestinern sollte bei einem Treffen anlässlich der Beisetzung des altenburgischen Herzogs Friedrich Wilhelm II. stattfinden. Ähnlich wie 1663 standen auch diesmal die Verhandlungen unter keinem guten Stern: In seinem Testament bestimmte der verstorbene Herzog den Kurfürsten von Sachsen sowie dessen Bruder Moritz v. Sachsen-Zeitz zu Vormündern seines Sohnes. Sowohl in Gotha als auch in Weimar wurde das Testament mit Verstimmung aufgenommen, befürchteten doch die Ernestiner damit einen Zuwachs albertinischen Einflusses in Thüringen und möglicherweise die Ableitung von Erbansprüchen im Falle des Aussterbens der Linie Sachsen-Altenburg.18 Sowohl Sachsen-Gotha als auch Sachsen-Weimar hielten sich daher erneut zurück und so kam keine Allianz zustande. Ab Anfang 1670 versuchten sich dann die ernestinischen Herzöge durch innerdynastische Allianzen selbst militärisch zu organisieren, er15 16
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Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden (im Folgenden: SHStAD), Loc. 7273/20. Dagmar BLAHA, Die Haltung der Ernestiner zur mainzischen Reduktion von 1664, in: Ulman WEIß (Hg.), Erfurt. Geschichte und Gegenwart, Weimar 1995, S. 107–113; zu den diplomatischen Nachwirkungen auf Kreisebene, vgl. Thomas NICKLAS, Macht oder Recht. Frühneuzeitliche Politik im Obersächsischen Reichskreis, Stuttgart 2002, S. 273 f.; Volker PRESS, Zwischen Kurmainz, Kursachsen und dem Kaiser. Von der städtischen Autonomie zur „Erfurter Reduktion“, in: Ulman WEIß (Hg.), Erfurt 742–1992. Stadtgeschichte und Universitätsgeschichte, Weimar 1992, S. 395–402. SHStAD, Loc. 7273/21. Juliane BRANDSCH, Das Erlöschen der wettinischen Hauptlinie Sachsen-Altenburg 1669/72 in den Tagebüchern Friedrichs I. von Sachsen-Gotha und Altenburg, in: Roswitha JACOBSEN (Hg.), Residenzkultur in Thüringen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Bucha 1999, S. 208–222, hier S. 210.
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kannten jedoch schnell, dass es zur realpolitischen Gewichtung die Anbindung an einen armierten Reichsstand bedurfte. So verliefen nicht nur die Verhandlungen mit Kursachsen ins Leere, sondern auch eine engere Verbindung der Ernestiner untereinander scheiterte vorerst.19 Als Frankreich im März 1672 den Vereinigten Niederlanden den Krieg erklärte und dadurch auch die Westgrenze des Reiches wieder beunruhigt wurde, trat der sächsische Kurfürst erneut in Verhandlungen mit seinen ernestinischen Nachbarn.20 Obwohl bereits detaillierte Allianzpunkte ausgearbeitet wurden, kam es auch diesmal zu keinem formalen Bündnis.21 Es wurde jedoch die Absprache getroffen, das ernestinische Kontingent im Falle eines Reichskrieges in das kursächsische Heer zu integrieren. Ein obersächsischer Kreistag beschloss Ende Juli 1672 die Aufbringung der Kreistruppen nach den Vorgaben der Ersten Armatur. Die Ernestiner formierten daraufhin eine Schwadron zu 80 Pferden sowie zwei Kompanien zu je 120 Infanteristen. Als das Reich ab Mai 1674 aktiv in den Holländischen Krieg (1672–1678) eingriff und die Reichsdefension organisiert wurde, traten die ernestinischen Kontingente in den Verband des kursächsischen Heeres über. Die zwei Infanteriekompanien stießen zum kurfürstlichen Leibregiment. Die Reiterschwadron unter dem Kommando des Prinzen Heinrich v. Sachsen-Gotha22 wurde Teil des sogenannten kursächsischen Kreisregiments zu Pferd.23 Ende Dezember 1673 fand eine Musterung dieser Truppen vor dem sächsischen Kurprinzen bei Gräfentonna statt, bevor der Abmarsch nach Hessen erfolgte, um dort die Winterquartiere zu beziehen und den Beginn des Feldzuges abzuwarten.24 In den folgenden Jahren agierten die ernestinischen Truppen im Verband des sächsischen Heeres, nahmen an der
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Georg MENTZ, Weimarische Staats- und Regentengeschichte vom Westfälischen Frieden bis zum Regierungsantritt Carl Augusts, Jena 1936, S. 118 f. Frank BOBLENZ, Albertiner und Ernestiner, in: Hans HOFFMEISTER/Volker WAHL (Hg.), Die Wettiner in Thüringen. Geschichte und Kultur in Deutschlands Mitte, Arnstadt/Weimar 1999, S. 95–100, hier S. 98 f. SHStAD, Loc. 7273/20, Bl. 7–14. Friedrich v. BEUST, Feldzüge der kursächsischen Armee, Bd. 2, Camburg 1803, S. 23 f.; August BECK, Ernst der Fromme Herzog zu Sachsen-Gotha und Altenburg. Ein Beitrag zur Geschichte des siebzehnten Jahrhunderts, Bd. 1, Weimar 1865, S. 781. Eine Standarte der Schwadron des Prinzen Heinrich befindet sich in den Beständen des Schlossmuseums Altenburg und ist abgedruckt bei Frank JÖRDIS/Konrad SCHEURMANN (Hg.), Neu entdeckt. Thüringen – Land der Residenzen 1485–1918, Bd. 2, Mainz 2004, S. 438. Musterungslisten des ernestinischen Kontingents zum Holländischen Krieg befinden sich bei SHStAD, Loc. 10802/07 u. Loc. 10825/08. Roswitha JACOBSEN (Hg.), Friedrich I. von Sachsen-Gotha und Altenburg. Die Tagebücher 1667–1686, Bd. 1, Weimar 1998, S. 304.
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Schlacht bei Sinsheim sowie an den weiteren Feldzügen am Oberrhein teil und wurden erst nach dem Frieden von Nimwegen abgedankt.25 Während des Holländischen Krieges wurde insbesondere ernestinisches Territorium südlich des Thüringer Waldes wiederholt mit starken Einquartierungen brandenburgischer und kaiserlicher Truppen belegt, die bedeutende Kosten verursachten. Die ernestinischen Herzöge versuchten dieses Problem mit Hilfe von Allianzverträgen zu lösen und wandten sich dabei zunächst an den Kaiser. Im November 1676 kam ein Vertrag zwischen Sachsen-Gotha-Altenburg, Sachsen-Weimar und Kaiser Leopold I. zustande, der den Ernestinern gegen die Stellung von 3.000 Mann volle Einquartierungsfreiheit zusicherte.26 Ein Teil dieser Truppen rückte im April 1677 an den Oberrhein und nahm am Feldzug der kaiserlichen Truppen im Elsass teil, bevor Winterquartiere in Straßburg bezogen wurden.27 Diese Truppenstellung hatte jedoch nicht die gewünschte Wirkung, denn es zeigte sich bereits im Winter 1676/77, dass der Kaiser brandenburgische Truppen nicht daran hindern konnte, ernestinisches Territorium für Durchmärsche und Einquartierungen zu nutzen.28 Eine daraufhin im Oktober 1677 mit Kursachsen, Würzburg, Bamberg und Mainz geschlossene militärische Allianz zur Verhinderung von Einquartierungen erlangte nach dem 1679 erfolgten Friedensschluss keine praktische Bedeutung mehr.29
3. Im System der Allianzen und Assoziationen (1681–1697) Waren die Reichstruppen während des Holländischen Krieges noch nach dem Modus der provisorischen Ersten Armatur des Jahres 1670 formiert worden, so erkannten doch im Nachgang des Nimwegener Friedens sowohl Kaiser als auch Reichsstände die Notwendigkeit einer Reform der Reichsdefension. Dieses Anliegen war umso dringender, als sich um 1680 die französische Reunionspolitik kurz vor ihrem Höhepunkt befand und auch im Osten ein neuer Krieg gegen die Osmanen drohte. Die Erste Armatur konnte dahingehend keine ausreichenden Verteidigungsmittel für das Reich aufbieten, sodass sich der Reichstag in den Jahren 1681/82 bemühte, eine reformierte Reichsdefension zu verabschieden. Am Ende zahlreicher Verhandlungen stand die sogenannte Reichsdefen25 26 27 28 29
Friedrich August FRANCKE/Oskar SCHUSTER, Geschichte der sächsischen Armee von deren Errichtung bis auf die neueste Zeit, Bd. 1, Leipzig 1885, S. 89–92. Johann Christian LÜNIG, Codex Germaniae Diplomaticus, Bd. 1, Frankfurt 1732, Sp. 743– 746. Gottfried Albin DE WETTE, Kurzgefaßte Lebensgeschichte der Herzoge zu Sachsen, welche […] zu Weimar regieret haben, Weimar 1770, S. 35; MÜLLER, Annales (wie Anm. 10), S. 525 f. JACOBSEN, Die Tagebücher (wie Anm. 24), Bd. 3, S. 546 f. Bayerisches Staatsarchiv Bamberg (im Folgenden: BayStAB), Fränkischer Kreis, Kreisarchiv, 485.
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sionalordnung.30 Diese setzte das Simplum des Reichsheeres auf 40.000 Mann sowie die Aufteilung nach der Größe der Reichskreise fest. Die detaillierte Verteilung auf die Kreisstände sollte jeder Kreistag selbständig vornehmen. Dem Obersächsischen Reichskreis wurde durch die Reichsdefensionalordnung ein Truppenquantum von 1.322 Reitern und 2.707 Infanteristen zugewiesen.31 Ein obersächsischer Kreistag, der im November 1681 in Leipzig stattfand, legte das einfache Kontingent des ernestinischen Gesamthauses dann auf 131 Reiter und 267 Infanteristen fest.32 Die Ordnung der Reichsdefension in den Jahren 1681/82 schuf erstmals klare Strukturen für alle Kreise und Reichsstände. Sie bot dabei durchaus die Möglichkeit zur Aufstellung einer schlagkräftigen Reichsarmee, die über die Kreisstrukturen organisiert war. Für die Ernestiner kam diese Entwicklung jedoch zu spät. Der brandenburgisch-sächsische Dualismus hatte sich nach dem Ende des Holländischen Krieges deutlich verstärkt und lähmte den Obersächsischen Kreis zusehends.33 Darüber hinaus ließen sich auch die machtpolitischen Einzelinteressen der beiden Kurfürsten immer weniger mit denen des Reichsverbandes in Übereinstimmung bringen. Tatsächlich war die Verteilung der Kontingente der Reichsarmee auf die Kreisstände im Jahr 1681 die letzte offizielle Beschlussfassung des Obersächsischen Kreises. Der Kreis bestand zwar formal noch bis zum Ende des Alten Reiches, doch war er aufgrund der Tatsache, dass später kein Kreistag mehr einberufen wurde, beschluss- und handlungsunfähig. Damit konnten auf dem formalen Weg der Kreisstruktur auch keine Mittel zur Reichsdefension bereitgestellt werden. In dieser Situation waren sich die ernestinischen Herzöge nun endgültig darüber im Klaren, dass sowohl die Sicherung des eigenen Territoriums als auch die Organisation der Reichsdefension nur mittels Allianzverträgen zu realisieren waren. In welche Richtung man sich dabei orientierte, hing insbesondere vom Kräfteverhältnis im thüringischen Raum ab. Um 1680 waren Sachsen-Gotha-Altenburg, SachsenWeimar und Sachsen-Eisenach die einflussreichsten ernestinischen Territorien. Die gothaische Landesteilung von 1680/81 brachte zwar sechs Nebenlinien hervor, von denen jedoch außer Sachsen-Coburg und Sachsen-Meiningen alle unter dem Nexus Gothanus standen und daher u. a. in Außenpolitik und Militärangelegenheiten an Sachsen-Gotha-Altenburg gebunden waren und keine 30
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Michael KOTULLA, Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Alten Reich bis Weimar (1495– 1934), Berlin 2008, S. 126 f.; PAPKE, Wehrwesen (wie Anm. 2), S. 241–243. Zum Verhältnis von Kaiser und Reichsständen zur Verfassung von 1681/82, vgl. Max PLASSMANN, Krieg und Defension am Oberrhein. Die Vorderen Reichskreise und Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden (1693–1706), Berlin 2000, S. 32–40. PACHNER V. EGGENSTORFF, Reichs-Schlüsse (wie Anm. 11), Bd. 2, S. 325. MOSER, Abschiede (wie Anm. 8), S. 497. NICKLAS, Macht oder Recht (wie Anm. 16), S. 297–301.
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eigene Entscheidungsgewalt hatten.34 Dass Herzog Friedrich I. v. SachsenGotha-Altenburg den Führungsanspruch innerhalb des ernestinischen Hauses für seine Linie beanspruchte, ließ Sachsen-Weimar zusehends in Richtung Kursachsen driften. In Anbetracht der Ohnmacht des Obersächsischen Kreises verhandelten zwar bereits seit 1680 alle Ernestiner erneut mit dem Kurhaus über eine militärische Allianz,35 es war aber nur Sachsen-Weimar, das 1682 zum Abschluss eines Bündnisses bereit war.36 Sachsen-Eisenach und Sachsen-GothaAltenburg lehnten das kursächsische Bündnis ab und wandten sich bereits vorher der Frankfurter Allianz zu. Es war dies eine Kreisassoziation zwischen den Fränkischen und Oberrheinischen Kreisen, die auch die Anbindung kleinerer Reichsstände suchte. Friedrich I. v. Sachsen-Gotha-Altenburg und Johann Georg I. von Sachsen-Weimar traten diesem Bündnis im Februar 1682 bei.37 Das gothaische Kontingent zu dieser Allianz wurde mit 360 Reitern und 780 Infanteristen veranschlagt und orientierte sich damit an der Reichskriegsverfassung und dem letzten obersächsischen Kreisschluss von 1681.38 Die Frankfurter Allianz wurde im Juni 1682 mit dem Beitritt Kaiser Leopold I. zur Laxenburger Allianz erweitert, dem auch die beiden ernestinischen Herzöge im August noch einmal formal für drei Jahre beitraten und sich damit erneut im Lager des Kaisers befanden.39 Die Truppen der Laxenburger Allianz sollten ursprünglich gegen eine französische Bedrohung an der Westgrenze des Reiches eingesetzt werden, wurden dann aber 1683 für den Entsatz von Wien verwendet. Weimarische Truppen nahmen auf Grundlage des 1682 geschlossenen Bündnisses mit Kursachsen am Feldzug teil, während es sich bei den gothaischen und eisenachischen Verbänden um Laxenburger Allianztruppen handelte. Diese Truppen wurden zu einem Infanterieregiment mit sechs Kompanien zu je 130 Mann formiert und hielten Ende Juli 1683 bei Römhild eine Revue vor dem Fürsten Georg Friedrich v. Waldeck-Eisenberg, der als Oberkommandierender der Alli-
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Siegrid WESTPHAL, Kaiserliche Rechtsprechung und herrschaftliche Stabilisierung. Reichsgerichtsbarkeit in den thüringischen Territorialstaaten 1648–1806, Köln/Weimar/Wien 2002, S. 137–144. MÜLLER, Annales (wie Anm. 10), S. 542. SHStAD, Loc. 7274/02. Thüringisches Staatsarchiv Meiningen (im Folgenden: ThStAM), Geheimes Archiv Hildburghausen, Nr. 75; Johann Georg v. RAUCHBAR, Leben und Thaten des Fürsten Georg Friedrich von Waldeck (1620–1692), Bd. 2, Arolsen 1872, S. 89 f., 110; JACOBSEN, Die Tagebücher (wie Anm. 24), Bd. 3, S. 525 f. Pieter Lodewijk MÜLLER, Wilhelm III. von Oranien und Georg Friedrich von Waldeck., Bd. 1, Den Haag 1873, S. 74. Michael Caspar LUNDORP (Hg.), Der Römischen Kayserlichen Majestät und deß Heiligen Römischen Reichs […] Acta Publica, Bd. 11, Frankfurt 1697, S. 430–432. Vgl. auch Bernd WUNDER, Die Kreisassoziationen 1672–1748, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 128 (1980), S. 167–266, hier S. 199–215.
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anztruppen fungierte.40 Bei dieser Gelegenheit wurde dem Regiment Herzog Ernst v. Sachsen-Hildburghausen als Obrist vorgestellt.41 Die Einheit brach Anfang August 1683 auf und gelangte schließlich per Schiff über Main und Donau bis kurz vor Wien. Hier nahm das ernestinische Regiment Mitte September 1683 an der Entsatzschlacht gegen die Osmanen teil und kehrte bereits Ende Oktober 1683 zurück.42 Auf neuen Stand gebracht, nahm das Regiment an den Feldzügen der Jahre 1684 bis 1686 in Ungarn teil. Die Laxenburger Allianz lief 1685 aus und wurde bereits im darauffolgenden Jahr in ähnlicher Mitgliederkonstellation durch die Augsburger Allianz ersetzt.43 Die Herzöge von Sachsen-Gotha-Altenburg und Sachsen-Weimar versprachen, für alle Ernestiner im Kriegsfall gegen Frankreich ein Infanterieregiment zu 1.000 Mann aufzustellen und zu unterhalten.44 Interessant ist, dass den Ernestinern exklusiv vom Kaiser zugesichert wurde, von jeglicher finanzieller Belastung und Einquartierung verschont zu bleiben. Die komplexen Absprachen der Augsburger Allianz blieben jedoch militärisch wirkungslos, denn das Bündnis umfasste meistenteils Reichskreise und mindermächtige Fürsten, die eine effektive Reichsdefension nicht ohne Anbindung an armierte Reichsstände umsetzen konnten. Und so waren es nicht die Truppen der Augsburger Allianz, die den Kern der Reichsdefension bildeten, als französische Truppen im September 1688 in den Südwesten des Reiches einfielen und damit die erste Phase des Neunjährigen Krieges (1688–1697) einleitenden, sondern eine Allianz aus armierten Reichsständen – das sogenannte Magdeburger Konzert.45 Kursachsen war am Magdeburger Konzert beteiligt, nicht aber die Ernestiner. Diese verhandelten zwar bereits seit 1685 erneut mit Kursachsen über ein Defensivbündnis, aber erst das Vordringen französischer Truppen bis nach Franken und die im Februar 1689 erfolgte Reichskriegserklärung führten zu einem schnellen Bündnisabschluss. Am 13. Mai 1689 wurde in Leipzig eine dreijährige Allianz zwischen Kursachsen einerseits und Sachsen-Gotha-Altenburg inklusive der Nebenlinien, Sachsen-Weimar und Sachsen-Eisenach andererseits
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ThStAM, Geheimes Archiv Hildburghausen, XXII, 7; JACOBSEN, Die Tagebücher (wie Anm. 24), Bd. 3, S. 559; Paul HASSEL, Zur Geschichte des Türkenkrieges im Jahre 1683. Die Beteiligung der kursächsischen Truppen an demselben, Dresden 1883, S. 139. JACOBSEN, Die Tagebücher (wie Anm. 25), Bd. 1, S. 265. Thüringisches Staatsarchiv Altenburg (im Folgenden: ThStAA), Geheimes Archiv Altenburg, Loc. 56, Nr. 1 ist das Tagebuch des Herzogs Ernst v. Sachsen-Hildburghausen mit einem Bericht des Feldzuges. Richard FESTER, Die Augsburger Allianz von 1686, München 1893. Johann Christian LÜNIG, Das Teutsche Reichs-Archiv, Bd. 5, Leipzig 1713, S. 337–343, hier S. 339 f. Richard FESTER, Die armierten Stände und die Reichskriegsverfassung (1681–1697), Frankfurt 1886, S. 70 f.
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geschlossen.46 Während also das Magdeburger Konzert die Teilnahme Kursachsens am Neunjährigen Krieg regelte, bestimmte die Leipziger Allianz wiederum die Stellung der ernestinischen Truppen zum kursächsischen Heer. Die Ernestiner versprachen die Errichtung eines Kavallerieregiments zu 390 Mann sowie zweier Infanterieregimenter zu je 800 Mann, die als Teil des kursächsischen Heeres, jedoch mit eigener Jurisdiktion, an den Feldzügen teilnehmen sollten. Bereits im Sommer 1689 rückten diese Truppen über Würzburg nach Hessen und nahmen an der Belagerung von Mainz teil. Die Leipziger Allianz lief 1692 aus und wurde lediglich von Sachsen-Weimar und Sachsen-Eisenach um weitere drei Jahre verlängert. Friedrich I. v. Sachsen-Gotha-Altenburg war bereits im August 1691 verstorben und sein noch unmündiger Sohn stand unter der Vormundschaft seiner Onkel Bernhard v. Sachsen-Meiningen und Heinrich v. Sachsen-Römhild. Beide bevorzugten eine nähere Anbindung an die Vorderen Reichskreise und schlossen bereits zwei Monate vor Ablauf der Leipziger Allianz einen Assoziationsvertrag mit dem Fränkischen Kreis.47 Mit diesem Vertrag nahm Sachsen-Gotha-Altenburg an der fränkisch-schwäbischen Kreisassoziation von Nürnberg teil und stellte zwei Kavallerie- sowie zwei Infanterieregimenter gegen Subsidien. Ein weiteres Infanterieregiment fungierte als Reichskontingent, hatte eine Stärke von etwa 740 Mann und verblieb bis 1695 im Verband mit fränkischen Kreistruppen. Im selben Jahr lief auch die Leipziger Allianz für Sachsen-Weimar und Sachsen-Eisenach aus und wurde nicht verlängert. Als Markgraf Ludwig Wilhelm v. Baden die Ernestiner 1696 aufforderte, ihre Truppen weiterhin zur Reichsarmee zu stellen, begannen neuerliche innerernestinische Verhandlungen.48 Diese führten im März 1696 zu einem dreijährigen Bündnisvertrag.49 Man einigte sich auf die Formierung eines gesamternestinischen Truppenkorps unter dem Kommando des Generalfeldzeugmeisters Alexander Hermann v. Wartensleben, der bereits seit 1691 in gothaischen Diensten stand. Diese Truppen, die in der Endphase des Neunjährigen Krieges als ernestinisches Reichskontingent eingesetzt wurden, bestanden aus zwei Infanterieregimentern mit einer Gesamtstärke von 2.800 Mann und verblieben bis zum Frieden von Rijswijk 1697 in Dienst.
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SHStAD, Loc. 10818/06 u. Loc. 7274/04; MÜLLER, Annales (wie Anm. 10), S. 585. BayStAB, Fränkischer Kreis, Kreisarchiv, Nr. 528. u. Nr. 534; Friedrich Carl MOSER, Des Hochlöblichen Fränkischen Crayses Abschi[e]de und Schlüsse vom Jahr 1600 biß 1748, Bd. 1, Nürnberg 1752, S. 692 f. Friedrich RUDOLPHI, Gotha Diplomatica, Bd. 1, Frankfurt/Leipzig 1717, S. 80. MÜLLER, Annales (wie Anm. 10), S. 643 f.
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4. Selbständige Truppenstellung (1698–1715) Die ernestinische Allianzpolitik sowie die damit verbundene Stellung des Kontingents zur Reichsdefension hatten durchweg pragmatische Gründe und dürfen nicht unter dem Blickwinkel patriotischen Engagements missverstanden werden. Mit einer Anbindung an mächtigere Reichsstände oder Kreise verpflichteten sich die Ernestiner zwar zur Truppenstellung, erhofften sich im Gegenzug aber bedeutende finanzielle Erleichterungen, insbesondere hinsichtlich der teuren Einquartierungslasten. Es zeigte sich jedoch, dass weder der Kaiser noch Kursachsen gegebene Zusagen als verbindlich erachteten. Daher suchte auch das ernestinische Bündnis des Jahres 1696 keinen Anschluss an mächtigere Partner oder Bündnissysteme. Tatsächlich handelt es sich damit um die erste selbständig organisierte Truppenstellung der Ernestiner im Rahmen der Reichsdefension. Das Bündnis war ein Präzedenzfall, der die Organisation der Reichsdefension durch die Ernestiner nachhaltig beeinflusste. Eine Rückkehr zu außerdynastischen Bündnissen wurde ohnehin durch veränderte Rahmenbedingungen ausgeschlossen: So war das Verhältnis zwischen den ernestinischen Herzögen und Kursachsen um 1700 durch die einseitige Regelung der Lauenburger und Quedlinburger Erbfragen sowie durch die Konversion des Kurfürsten Friedrich August I. zum Katholizismus deutlich getrübt.50 Auch in den Kaiser setzten die Ernestiner kein übermäßiges Vertrauen mehr. Dies zeigte sich u.a. in der eigenwilligen Außenpolitik Herzog Friedrichs II. von Sachsen-Gotha-Altenburg, der sogar zeitweilig ein Bündnis mit Frankreich als Alternative erachtete.51 In den Jahren nach 1700 befanden sich die ernestinischen Territorien an der Peripherie zweier großer europäischer Konflikte: Im Westen verpflichtete die im Oktober 1702 erfolgte Reichskriegserklärung an Frankreich die Ernestiner zur Stellung des Triplums ihres Reichskontingents im Rahmen des Spanischen Erbfolgekrieges (1701–1714). Im Osten befürchteten die Ernestiner, aufgrund der Beteiligung Kursachsens in den Nordischen Krieg (1700–1721) hineingezogen oder doch zumindest als wehrloser Quartiergeber ausgenutzt zu werden. In dieser Situation gab es keine Alternative als sich dem Kaiser als Protektor zuzu50
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Anne-Simone KNÖFEL, Dynastie und Prestige. Die Heiratspolitik der Wettiner, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 129; Wolfgang HUSCHKE, Politische Geschichte von 1572 bis 1775, in: Hans PATZE/Walter SCHLESINGER (Hg.), Geschichte Thüringens, Bd. 5: Politische Geschichte in der Neuzeit, Teil 1, Teilbd. 1, Köln/Wien 1982, S. 270 f.; Karlheinz BLASCHKE, Der Konfessionswechsel des sächsischen Kurfürsten Friedrich August I. und seine Folgen, in: Klaus GUMNIOR (Hg.), Sachsen und Polen zwischen 1697 und 1765, Dresden 1998, S. 210–222; Jochen VÖTSCH, Kursachsen, das Reich und der mitteldeutsche Raum zu Beginn des 18. Jahrhunderts, Frankfurt 2003, S. 298–311. Anna SINKOLI, Frankreich, das Reich und die Reichsstände 1697–1702, Frankfurt a. M. 1995, S. 199–220.
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wenden, denn die bereitwillige Stellung des Reichskontingents konnte die kaiserliche Gunst bedeutend befördern. Auch wenn es die Ernestiner bei ihrer eigenständigen, von Allianzen und Assoziationen losgelösten Truppenstellung beließen, so stellten sie doch ihr Reichskontingent höchst bereitwillig. Die Details der Formierung des Reichskontingents, die sich auf den Kreistagsbeschluss des Jahres 1681 stützten, wurden Anfang 1703 auf einer Konferenz in Coburg zwischen den ernestinischen Linien beraten.52 Als neuer Verhandlungspartner stieß Sachsen-Hildburghausen, das sich im Vorjahr aus dem Nexus Gothanus gelöst hatte, hinzu.53 Sachsen-Weimar und Sachsen-Eisenach planten die Aufstellung eines gemeinsamen Infanterieregiments zu sechs Kompanien mit insgesamt 750 Mann, dem sich auch Sachsen-Hildburghausen und Sachsen-Coburg anschlossen. Sachsen-Gotha-Altenburg hingegen bevorzugte die Formierung eines schwachen Dragonerregiments zu zwei Schwadronen mit insgesamt 260 Reitern. Am Spanischen Erbfolgekrieg nahmen damit je ein Infanterie- und ein Kavallerieregiment als ernestinische Reichskontingente teil. Die Führung des Infanterieregiments übernahm Sachsen-Weimar und bestimmte den weimarischen Obristen v. Rumohr als Kommandeur. Bereits im Frühsommer 1703 marschierte das Regiment auf den Kriegsschauplatz ab.54 Im Juli stand des bei Nördlingen, nahm im September an der wenig erfolgreichen Schlacht bei Höchstädt teil und verblieb auch 1704 auf dem fränkischen Kriegsschauplatz. Im Jahr 1705 befand sich die Truppe am Rhein, rückte als Besatzung in die Festung Philippsburg ein und erhielt den weimarischen Obristen v. Friesen als neuen Kommandeur. Ab 1707 wurde das ernestinische Regiment als Besatzung der Festung Landau eingesetzt und erhielt nunmehr den weimarischen Obristen v. Uslar als Vorgesetzten. Mit diesem nahm es von Juni bis August 1713 an der Verteidigung von Landau teil, geriet Ende August mit der gesamten Festungsbesatzung in französische Kriegsgefangenschaft und marschierte nach Hagenau im Elsass. Der französische König entschied sich jedoch Ende September für die Freilassung der Soldaten und das ernestinische Regiment marschierte wenig später zurück in die Heimat. Im Oktober 1713 war die Truppe zurück und rückte bis zum Friedensschluss im März 1714 nicht wieder aus. Das Dragonerregiment Sachsen-Gotha-Altenburgs, das unter dem Kommando des Obristen v. Leutzsch stand, formierte sich ebenfalls im Frühsommer 1703 und marschierte auf den fränkischen Kriegsschauplatz ab. Es nahm im folgenden Jahr an den Schlachten bei Donauwörth und Höchstädt teil und verblieb bis 1713 im Verband der Reichsarmee. 52 53 54
ThStAM, Geheimes Archiv Hildburghausen, 437. HEYN, Militär (wie Anm. 3), S. 297. Ebd., S. 328–350; Hermann MÜLLER, Das Heerwesen im Herzogtum Sachsen-Weimar von 1702–1775, Jena 1936, S. 80 f.
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5. Eine unbequeme Pflicht (1716–1763) Die Entwicklung nach 1715 ist zunächst eng mit der Subsidienpolitik der ernestinischen Herzöge verbunden. Sachsen-Gotha-Altenburg und Sachsen-Weimar stellten bereits seit dem Neunjährigen Krieg bedeutende Truppenkontingente gegen Subsidien in kaiserliche und niederländische Dienste.55 Diese Praxis wurde auch während des Spanischen Erbfolgekrieges beibehalten und verknüpfte sich mit der Hoffnung der Herzöge, durch den finanziellen Ertrag zu den stärker armierten Reichsständen aufzuschließen. Zweifelsohne unterstützten die Ernestiner durch die Abstellung der Truppen in kaiserliche Dienste auch die habsburgische Hauspolitik und nahmen indirekt an der Reichsdefension teil. Zudem erwarteten die Herzöge prestigeträchtige Militärchargen und hofften insbesondere auf eine Ablösung ihrer Reichsverpflichtungen, denn Subsidientruppen waren vor allem wesentlich profitabler als das Reichskontingent. Letzteres wurde durch den Rekrutierungsaufwand und die Finanzierung über Extrasteuern zu einem Minusgeschäft, das es zu vermeiden galt. Mit den Ambitionen, umfangreiche Subsidienprojekte zu verwirklichen, degradierten sich die Ernestiner aber gleichzeitig zum Mannschaftsreservoir armierter Reichsstände, die stets auf neue Truppen und Rekruten angewiesen waren. Zwischen 1720 und 1755 konkurrierten der Kaiser, Preußen und Kursachsen besonders stark um den ernestinischen Rekrutenmarkt und damit auch um politischen Einfluss.56 Die Ernestiner neigten nach wie vor dem Kaiser zu und erlangten gegen die Zustimmung zur Pragmatischen Sanktion noch vor Ausbruch des Polnischen Thronfolgekrieges (1733–1735/38) mehrere Subsidienkontrakte.57 Tatsächlich stellten Sachsen-Gotha-Altenburg, Sachsen-Weimar und Sachsen-Eisenach so dem Kaiser während des Krieges etwa 10.000 Mann zur Verfügung.58 Es steht dies in deutlichem Kontrast zur zweifelhaften Bereitschaft der Ernestiner, ihr Reichskontingent aufzubringen. Als der Polnische Thronfolgekrieg im März 1734 zum Reichskrieg wurde und das Triplum des Reichsheeres 55
56 57 58
Andrea THIELE, The Prince as Military Entrepreneur? Why Smaller Saxon Territories Sent ‚Holländische Regimenter‘ (Dutch Regiments) to the Dutch Republic, in: Jeff FYNN-PAUL (Hg.), War, Entrepreneurs, and the State in Europe and the Mediterranean 1300–1800, Leiden/Boston 2014, S. 170–192. Zu preußischen Truppenwerbungen, vgl. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (im Folgenden: GStAPK), I. HA Rep. 96, 15 K sowie HEYN, Militär (wie Anm. 3), S. 287– 291. Zu Kursachsen, vgl. SHStAD, Loc. 10942/05, 09–13, 16 u. Loc. 10947/07. Raimund GERBA, Polnischer Thronfolge-Krieg. Feldzug 1733 und 1734, Wien 1891, S. 115 f. Peter WILSON, German Armies. War and German politics 1648–1806, New York 1998, S. 229. Diese Truppen wurden auch in der zeitgenössischen Uniformhandschrift des Freiherrn v. Gudenus abgebildet, vgl. Hans BLECKWENN, Reiter, Husaren und Grenadiere. Die Uniformen der Kaiserlichen Armee am Rhein 1734, Dortmund ²1985, S. 81–85.
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aufgeboten werden sollte,59 waren auch die Ernestiner in der Pflicht – zumal Kaiser Karl VI. keine Ablösung des Kontingents durch Subsidientruppen billigte.60 Im Mai 1734 und im Januar 1735 trafen sich Gesandte der ernestinischen Linien zu Konferenzen in Suhl und Arnstadt.61 Dort wurden die Organisation der Reichsdefension sowie Maßnahmen zur Absicherung des eigenen Territoriums gegen einen befürchteten französischen Einfall besprochen. Es wurde beschlossen, ein Infanterieregiment von 2.000 Mann zu zwei Bataillonen mit je acht Kompanien zu formieren.62 Die innerdynastischen Verhandlungen wurden jedoch derart in die Länge gezogen, dass der Wiener Präliminarfrieden vom Oktober 1735 dem Ausrücken des Reichskontingents zuvorkam. Noch während des Polnischen Thronfolgekrieges wurden die Hoffnungen der Ernestiner erneut enttäuscht, denn die kaiserlichen Subsidien flossen nur zögerlich oder in nicht vereinbarter Höhe. Als der Kaiser nach Ende des Krieges die Regimenter unverhofft in ernestinischen Sold zurückgab, verfügten die Herzöge in Gotha und Weimar über eine Truppenmacht, deren dauerhaften Unterhalt sie sich nicht leisten konnten. Dies trug im militärischen Bereich bedeutend zur weiteren Distanzierung der Ernestiner zum Kaiser bei. Es verwundert daher wenig, dass sich sowohl Friedrich III. v. Sachsen-Gotha-Altenburg als auch Ernst August I. v. Sachsen-Weimar seit 1740 preußischen Werbegesuchen gegenüber zusehends offener zeigten.63 Tatsächlich tendierten die ernestinischen Herzöge nun mehr zu Preußen und manövrierten sich damit in Anbetracht des zunehmenden preußisch-österreichischen Dualismus in eine schwierige Situation. Während des Österreichischen Erbfolgekrieges (1740–1748), der nicht zum Reichskrieg wurde, verhielten sich die Ernestiner neutral und zahlten ihre vom Reichstag beschlossenen 50 Römermonate,64 lieferten aber auch eine geringe Anzahl von Rekruten in preußische Dienste.65 Zudem fand im Mai 1746 in Arnstadt eine Konferenz statt, die eine selbständige Formierung des Reichskontingents zur Garantie der Neutralität erörtern sollte. Zur tatsächlichen Aufbietung des Kontingents ist es aber nicht gekommen.66 Am Vorabend des Siebenjährigen Krieges (1756–1763) zeigten die Ernestiner bereits eine deutlichere
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SCHMAUSS/SENCKENBERG, Reichs-Abschiede (wie Anm. 7), Bd. 3, S. 410. Vgl. der Fall des Herzogs Ernst August v. Sachsen-Weimar bei MENTZ, Regentengeschichte (wie Anm. 19), S. 133. Zusammengefasste Protokollberichte bei ThStAM, Geheimes Archiv Hildburghausen, 437, Bl. 406–418, 423–446. HEYN, Militär (wie Anm. 3), S. 297–299. GStAPK, I. HA Rep. 96, 66 L. Anton FABER, Europäische Staats-Cantzley, Bd. 82, Frankfurt 1743, S. 443–445. GStAPK, I. HA Rep. 96, 611 B. ThStAM, Geheimes Archiv Hildburghausen, 437, Bl. 419–422.
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Hinwendung zu Preußen.67 Dass beispielsweise die aufgeklärte Fürstin Louise Dorothea, die Ehefrau des gothaischen Herzogs Friedrich III., mit dem preußischen König regelmäßige Korrespondenz unterhielt,68 spielte sicherlich ebenso eine Rolle wie der seit September 1756 bestehende Subsidienvertrag des Herzogs mit dem Kurfürsten von Hannover, der mit Preußen verbündet war.69 In Gotha ergriff man damit indirekt Partei für Preußen. In Sachsen-WeimarEisenach stellte sich die Situation ähnlich dar, denn Herzog Ernst August II. Constantin war seit 1756 mit Anna Amalia v. Braunschweig-Wolfenbüttel, einer Nichte des Preußenkönigs, vermählt, sodass man sich zukünftig auch hier nicht völlig dem preußischen Einfluss entziehen konnte. Dass um die Mitte des 18. Jahrhunderts bei den ernestinischen Landregimentern die traditionell weiße – und damit österreichische – Uniformfarbe durch das preußische blau ersetzt wurde, ist in diesem Zusammenhang zwar nur eine Randnotiz, kann aber im militärischen Bereich als Ausdruck des allgemeinen Richtungswechsels gelten.70 Die Haltung der Höfe in Gotha und Weimar war allgemein richtungsweisend für kleinere Territorien wie Sachsen-Hildburghausen oder Sachsen-CoburgSaalfeld, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts über keine eigenständige Reichspolitik verfügten und sich stets dem Votum der „größeren“ Ernestiner anschlossen. Als Preußen Ende August 1756 in das Kurfürstentum Sachsen einfiel und mit diesem reichsgesetzwidrigen Landesfriedensbruch den Siebenjährigen Krieg auslöste, mussten sich auch die Ernestiner in absehbarer Zeit zur Reichsdefension positionieren. Kaiser Franz I. benötigte zur Aufbringung der Reichsarmee einen Beschluss des Reichstages auf Grundlage der Reichsexekutionsordnung. Sowohl beim Kaiser als auch bei Preußen herrschte bezüglich des Abstimmungsverhaltens der Ernestiner einige Unsicherheit. Im Dezember versuchte eine französische Diplomatenmission nach Gotha und Weimar die ernestinischen Herzöge auf die kaiserliche Seite zu bringen.71 Zeitgleich warb auch der preußische König und sagte den Ernestinern die Schonung ihres Landes zu.72 In den ernestinischen Residenzen verhielt man sich indes hinhaltend, gab sich neutral und trat für eine Vermittlung zwischen den Parteien ein.73 Demgemäß 67 68 69 70 71 72 73
Peter WILSON, Prussia’s relations with the Holy Roman Empire, 1740–1786, in: Historical Journal 51 (2008), S. 337–371, hier S. 353, 358 f. Johann PREUSS (Hg.), Oevres de Frédéric le Grand, Bd. 18, Berlin 1851, S. 189–294. WILSON, German Armies (wie Anm. 58), S. 267. BLECKWENN, Reiter, Husaren und Grenadiere (wie Anm. 58), S. 85. Sven EXTERNBRINK, Friedrich der Große, Maria Theresia und das Alte Reich. Deutschlandbild und Diplomatie Frankreichs im Siebenjährigen Krieg, Berlin 2006, S. 127. Johann Gustav DROYSEN (Hg.), Die politische Correspondenz Friedrichs des Großen, Bd. 14, Berlin 1886, S. 100 f., 218 f. Artur BRABANT, Das Heilige Römische Reich teutscher Nation im Kampf mit Friedrich dem Großen, Bd. 1, Berlin 1904, S. 65 f.
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fielen im Januar 1757 alle ernestinischen Reichstagsvoten gegen eine Reichsexekution aus.74 Die Mehrheit der auf dem Reichstag vertretenen Stände votierte jedoch für die Reichsexekution und für die Aufstellung des Triplums einer Reichsexekutionsarmee. Damit waren auch die Ernestiner zur Formierung ihres Reichskontingents verpflichtet, spielten jedoch – ähnlich wie während des Polnischen Thronfolgekrieges – auf Zeit. Während Friedrich III. v. Sachsen-GothaAltenburg keine Anstalten machte ein Reichskontingent auszurüsten, verstarb im Mai 1758 in Weimar Herzog Ernst August II. Constantin. Die Vormundschaft für seine noch unmündige Gemahlin übernahm deren Vater Karl v. Braunschweig-Wolfenbüttel. Dieser stand dem preußischen König ausgesprochen nahe, sodass auch in Weimar zunächst keine Rüstungen vollzogen wurden. Der Siebenjährige Krieg war der erste Konflikt nach dem Westfälischen Frieden, der das thüringische Gebiet zum Kriegsschauplatz machte. Als die Reichsarmee im Sommer 1757 Quartiere in Thüringen bezog, wurde es für die Ernestiner immer schwieriger, sich den Kontingentsverpflichtungen zu entziehen. Bereits im April 1757 traten die ernestinischen Herzöge der Reichsexekution gegen Preußen auf kaiserlichen Druck nachträglich bei. Aufgrund der Nichtstellung des Kontingents forderte die Reichsarmee enorme Kontributionen von den Ernestinern, die es im Frühjahr 1758 unmöglich machten, das Reichskontingent länger zurückzuhalten.75 Schließlich formierten die ernestinischen Linien ein gemeinsames Infanterieregiment zu zwei Bataillonen mit je 5 Kompanien.76 Das Regiment stand unter dem Kommando des weimarischen Obristen Johann Albrecht v. Lassberg, später unter dem Obristleutnant v. Riedesel und hatte im Mai 1758 bereits eine Stärke von 1.218 Mann.77 Trotz der raschen Rekrutierung rückte das Infanterieregiment erst Anfang November aus und erreichte die Reichsarmee, die mittlerweile in Sachsen stand, Ende des Monats.78 Der Feldzug des Jahres 1759 begann für das ernestinische Kontingent zunächst in Franken, wo es mit anderen Truppen zur Deckung des Fränkischen Kreises bestimmt war. Mitte Juli nahm das Regiment am Vormarsch auf Sachsen teil und kämpfte im September im Gefecht bei Zinna, um später in Dresden Winterquartiere zu beziehen.79 Auch in den folgenden Feldzügen verblieb das Kontin74 75 76 77 78 79
Johann Christoph ADELUNG, Pragmatische Staats-Geschichte des letztern Krieges bis auf den hubertusburgischen Frieden, Bd. 8, Gotha 1767, S. 112–119. Johann Georg August GALLETTI, Geschichte und Beschreibung des Herzogtums Gotha, Bd. 1, Gotha 1779, S. 340–350. 5 Kompanien stellte Sachsen-Weimar-Eisenach, 2 Kompanien Sachsen-Gotha-Altenburg, je 1 Kompanie stellten Sachsen-Hildburghausen, Sachsen-Coburg-Saalfeld und SachsenMeiningen. BRABANT, Das Heilige Römische Reich (wie Anm. 73), Bd. 2, S. 435. MÜLLER, Heerwesen (wie Anm. 54), S. 87. BRABANT, Das Heilige Römische Reich (wie Anm. 73), Bd. 3, Berlin 1931, S. 343.
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gent im Verband der Reichsarmee und kehrte, nach dem Friedensschluss von Hubertusburg, Mitte März 1763 zurück.80 Neben Infanterie stellte SachsenGotha-Altenburg ab November 1758 ein Dragonerregiment zu zwei Schwadronen mit ingesamt 240 Mann unter dem Kommando des gothaischen Obristen Hannibal v. Schmerzing zur Reichsarmee.81
6. Selbsterhaltung im verfallenden Reich (1764–1796) Mit der finanziell bedingten Einstellung der ambitionierten Subsidienpolitik nach dem Polnischen Thronfolgekrieg begann für die Ernestiner in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der rasche Abstieg zur militärischen Marginalie innerhalb des Reiches. Der preußisch-österreichische Dualismus engte darüber hinaus in den Jahren vom Siebenjährigen Krieg bis zum Ende des Alten Reiches die Handlungsspielräume der Ernestiner im Rahmen der Reichsdefension bedeutend ein. Als mindermächtige Reichsstände standen die ernestinischen Herzöge nach wie vor fest auf dem Boden der Reichsverfassung. Je mehr sich aber die Politik Kaiser Josephs II. in dieser Zeit vom Reichsgedanken entfernte, desto kritischer standen die Ernestiner der kaiserlichen Macht gegenüber, ohne sich aber Preußen übermäßig anzunähern. Zur Konservierung und militärischen Verteidigung des Reiches sowie des Reichsrechts entstand im Jahr 1785 der unter preußischer Protektion stehende Fürstenbund, dem sich auch SachsenWeimar-Eisenach und Sachsen-Gotha-Altenburg anschlossen.82 Der Gothaer Hof sagte sogar 1.200 Mann als Unterstützung zu.83 Die geheimen militärischen Bestimmungen des Fürstenbunds, der bis 1790 wieder zerfiel, wurden jedoch nie in die Praxis umgesetzt. In der Zwischenzeit entwickelte sich das revolutionäre Frankreich zur neuen äußeren Bedrohung für das Reich. Im Zuge des Ersten Koalitionskrieges (1792– 1797) beschloss der Reichstag im November 1792 die Stellung des Triplums der Reichsarmee. Die Reichskriegserklärung erfolgte im März 1793 mit der gefor80 81 82
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MÜLLER, Heerwesen (wie Anm. 54), S. 88; August MÜLLER, Geschichtliche Übersicht der Schicksale und Veränderungen des Grossherzoglich Sächsischen Militairs, Weimar 1825, Bl. 3r. Hans v. DÖRING, Geschichte des 7. Thüringischen Infanterieregiments Nr. 96, Berlin 1890, S. 15. GStAPK, I. HA GR, Rep. 12, 487; Willy ANDREAS (Hg.), Politischer Briefwechsel des Herzogs und Großherzogs Carl August von Weimar, Bd. 1, Stuttgart 1954, S. 167–171; Georg SCHMIDT, Reichspatriotische Visionen. Ernst II. von Sachsen-Gotha, Carl August von Sachsen-Weimar und der Fürstenburg (1785–1788), in: Werner GREILING/Andreas KLINGER/Christoph KÖHLER (Hg.), Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg. Ein Herrscher im Zeitalter der Aufklärung, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 57–84; Ulrich KRÄMER, Carl August von Weimar und der Deutsche Fürstenbund, Wiesbaden 1961. SCHMIDT, Visionen (wie Anm. 82), S. 74 f.
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derten Aufbringung von 30 Römermonaten.84 Die Ernestiner schlossen sich beide Male der Mehrheit im Fürstenrat an und suchten mittlerweile wieder die Nähe Kursachsens, mit dem sie Stimmeinheit demonstrierten.85 Sie zeigten zudem bereits seit dem Novemberbeschluss 1792 große Einigkeit als es darum ging, die Aufstellung der Reichskontingente nach Möglichkeit zu verzögern bzw. abzulösen.86 Herzog Carl August v. Sachsen-Weimar-Eisenach versuchte seit Anfang 1793 für alle ernestinischen Territorien die Reluition, d.i. die Ablösung der Kontingentslast durch Geldzahlungen an die Reichsoperationskasse auf Grundlage der Römermonate, zu erlangen. Im Februar fand eine Konferenz in Frankfurt am Main zwischen ernestinischen Gesandten und dem Prinzen Friedrich Josias v. Sachsen-Coburg-Saalfeld, dem Oberkommandierenden der Reichsarmee, statt.87 Mit kaiserlicher Bestätigung vom Mai 1793 erlangten die Ernestiner hier die Reluition ihrer Reichskontingente und zahlten fortan bedeutende Summen an die Reichsoperationskasse – für April bis Juni 1793 allein etwa 10.000 fl.88 Aufgrund der angespannten Kriegslage sah sich Kaiser Franz II. im August 1794 dazu genötigt, erstmals seit Bestehen des Reiches das Quintuplum der Reichsmatrikel zu fordern. Die mittlerweile akute Bedrohungssituation bewog schließlich auch die Ernestiner im Reichsfürstenrat, mit ihren Voten für das Quintuplum zu stimmen.89 Da man von kaiserlicher Seite keine Reluitionen mehr wünschte, waren auch die Ernestiner gezwungen ihre Truppen tatsächlich abzustellen. Die Praxis des Quintuplums sah jedoch lediglich die Truppenstellung in triplo vor, während das verbleibende Duplum mit Geld abgelöst wurde. Um dennoch möglichst wenig Rekruten aufzubringen, schloss Sachsen-GothaAltenburg im Dezember 1794 eine Konvention mit dem Prinzen Albert Kasimir v. Sachsen-Teschen, dem nunmehrigen Oberkommandierenden der Reichsar-
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WILSON, German Armies (wie Anm. 58), S. 307. Julius FRANKENSTEIN, Die auswärtige Politik Sachsen-Gotha-Altenburgs und der Reichskrieg gegen Frankreich bis zum Ausscheiden des Herzogtums (1790–1797), Berlin 1935, S. 132–143. Zur Stimmung in ernestinischen Territorien, vgl. W. Daniel WILSON (Hg.), Goethes Weimar und die Französische Revolution. Dokumente der Krisenjahre, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 33–35; Willy ANDREAS, Lage und Stimmung der Bevölkerung des Fürstentums Eisenach im November 1792, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde 31 (1934), S. 171–184. Hans v. THÜMMEL, Historische, statistische, geographische und topographische Beyträge zur Kenntniß des Herzogthums Altenburg, Altenburg 1818, S. 99. Christian Ulrich Detlev EGGERS (Hg.), Deutsches Magazin, Bd. 6, Altona 1793, S. 1247; Zu den Verhandlungen des weimarischen Herzogs, vgl. ANDREAS, Politischer Briefwechsel (wie Anm. 82), Bd. 2, S. 45–54. Georg Franz v. BLUM, Tabellarische Darstellung der Reichs-Matrikularanschläge zum Behuf einer Reichs-Usual-Matrikel, Frankfurt/Leipzig 1795, S. 50–53.
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mee, über die Stellung seines Kontingents als Kavallerietruppen.90 Anstatt 1.600 Infanteristen rekrutierte man in Gotha so lediglich 536 Reiter, die ein Dragonerregiment zu drei Schwadronen unter dem Obristen v. Kirchbach formierten.91 Zur selben Zeit stellte auch Sachsen-Weimar-Eisenach sein Reichskontingent zusammen. Es handelte sich um ein Jägerbataillon zu vier Kompanien mit insgesamt 577 Mann, das im März 1796 unter dem Kommando des Obristleutnants Wilhelm Heinrich v. Germar bei Eisenach vereinigt stand.92 Aufgrund einer Absprache des Gothaer und Weimarer Hofes mit Kursachsen, stießen beide Kontingente zu einem kursächsischen Armeekorps, das sich ebenfalls als Reichskontingent auf dem Kriegsschauplatz befand.93 Die Einheiten verblieben während des Feldzugs 1796 meist im Verband mit den kursächsischen Truppen, standen im April bei Mainz, nahmen im Juni an der Schlacht bei Wetzlar teil und kehrten im August nach Thüringen zurück. Auch Sachsen-Hildburghausen und Sachsen-Coburg-Saalfeld kamen ihren Reichsverpflichtungen nach und rüsteten ihre Kontingente aus.94 Beide Fürstentümer formierten bereits zwischen Februar und April 1795 zwei Kompanien zu je etwa 150 Mann, die jedoch nicht in den Verband der kursächsischen Armee übertraten, sondern als unabhängige Einheiten auf dem Kriegsschauplatz agierten.95 Beide Kompanien marschierten im Mai aus Südthüringen ab und standen im Juni bei Wiesbaden, im September bei Biebrich und ab November in Kamp am Rhein. Im März 1796 rückten die Kompanien als Teil der Besatzung in die Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz ein.96 Französische Truppen schlossen die Festung in den folgenden Monaten mehrmals ein, ohne jedoch eine Übergabe zu erwirken. Eine förmliche Belagerung, die 1797 begann und erst im Januar 1799 endete, führte schließlich zur Kapitulation und zum Ausmarsch der Besatzung.97 Die Kontingente aus Hildburghausen und Coburg traten umgehend den Rückmarsch an und erreichten Ende Februar 1799 heimatliches Gebiet.
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THÜMMEL, Beyträge (wie Anm. 87), S. 99. SHStAD, Kombinierte Formationen während der Feldzüge, 109; Johann Georg August GALLETTI, Geschichte der Fürstentümer der Herzoge von Sachsen von der gothaischen Linie des Ernestinischen Hauses, Gotha 1826, S. 244 f.; FRANCKE/SCHUSTER, Geschichte (wie Anm. 25), Bd. 2, S. 210 f. MÜLLER, Geschichtliche Übersicht (wie Anm. 80), Bl. 4r.; ANDREAS, Politischer Briefwechsel (wie Anm. 82), Bd. 2, S. 76 f. FRANCKE/SCHUSTER, Geschichte (wie Anm. 25), Bd. 2, S. 214. Sachsen-Coburg-Saalfeld stand zu diesem Zeitpunkt nur die Landeshoheit im coburgischen Teil zu, während die Landeshoheit des saalfeldischen Anteils bis 1805 bei Sachsen-GothaAltenburg verblieb. ThStAM, Staatsministerium, Abteilung Inneres, 23935–23937. Rüdiger WISCHEMANN, Letzte Belagerung der Festung Ehrenbreitstein, 1795–1799, Berlin 2003, S. 208. Ebd., S. 355.
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Im thüringischen Raum hatte sich die Situation in der Zwischenzeit bedeutend geändert. Bereits im April 1795 schloss Preußen in Basel einen Seperatfrieden mit Frankreich, der eine Neutralitätsgrenze nördlich des Mains etablierte und auch andere Reichsstände dieses Gebietes reichsverfassungswidrig zum Beitritt aufforderte. Die Ernestiner waren zunächst zurückhaltend und erst als im Sommer 1796 eine französische Armee bis in den Fränkischen Kreis und das hildburghäusische Amt Königsberg vordrang, sah man sich gezwungen zu handeln.98 Aufgrund der drohenden Gefahr für das eigene Territorium zogen die Höfe in Gotha und Weimar bereits im Juli ihre Reichskontingente vom Kriegsschauplatz ab.99 In Anschluss und Übereinstimmung mit der kursächsischen Politik, traten die Ernestiner im August 1796 gemeinsam mit Kursachsen der Neutralität des Baseler Friedens bei.100 Es handelte sich um eine bewaffnete Neutralität, die auf ernestinischem Gebiet vor allem durch die Etablierung eines Kordons durch kursächsische Truppen gesichert wurde.101 Der durch die Neutralität bewirkte eigenmächtige Austritt der Ernestiner und anderer Reichsstände aus dem Reichskrieg war ein eklatanter Bruch des Westfälischen Friedens und deutete bereits auf das nahende Ende des Reiches hin. Für die Ernestiner, die maßgeblich auf die Erhaltung ihrer Territorien bedacht sein mussten, war der Erste Koalitionskrieg der letzte Reichskrieg, an dem sie mit Truppenstellungen teilnahmen. Die Neutralität des Jahres 1796 leitete eine Dekade des Friedens ein, die erst 1806 durch den Vormarsch Napoleons nach Thüringen ein Ende fand.102
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Johann Andreas GENSSLER, Die Vandalen des achtzehnden Jahrhunderts oder Geschichte des französischen Einfalls in einen Landstrich in Franken, Hildburghausen 1796. 99 ANDREAS, Politischer Briefwechsel (wie Anm. 82), Bd. 2, S. 119 f. 100 Dorit PETSCHEL, Sächsische Außenpolitik unter Friedrich August I. Zwischen Rétablissement, Rheinbund und Restauration, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 199 f. Die Kontingente von Sachsen-Hildburghausen und Sachsen-Coburg-Saalfeld waren zu diesem Zeitpunkt bereits in der Festung Ehrenbreitstein eingeschlossen, konnten nicht zurückgezogen werden und waren – entgegen der Neutralität – noch bis 1799 im Einsatz. 101 FRANCKE/SCHUSTER, Geschichte (wie Anm. 25), Bd. 2, S. 221–224. Zu den aufschlussreichen Schriften des Herzogs Carl August v. Sachsen-Weimar-Eisenach zur Defension des Thüringer Waldes in diesem Zusammenhang, vgl. Paul v. BOJANOWSKI (Hg.), Niederschriften des Herzogs Carl August von Sachsen-Weimar über den Schutz der Demarkationslinie, den Rennweg und die Defension Thüringens, Weimar 1902. 102 Alexander SCHMIDT, Das Überleben der „Kleinen“. Die Zäsur 1806 und die Politik in Sachsen-Weimar-Eisenach (1796–1813), in: Hans-Werner HAHN/Andreas KLINGER/Georg SCHMIDT (Hg.), Das Jahr 1806 im europäischen Kontext. Balance, Hegemonie und politische Kulturen, Köln/Weimar/Wien 2008, S. 349–374, hier S. 350 f.; Friedrich FACIUS, Zwischen Souveränität und Mediatisierung. Das Existenzproblem der thüringischen Kleinstaaten von 1806 bis 1813, in: Peter BERGLAR (Hg.), Staat und Gesellschaft im Zeitalter Goethes, Köln/Wien 1977, S. 163–205.
BÄRBEL RASCHKE LUISE DOROTHEA VON SACHSEN-GOTHA-ALTENBURG
Luise Dorothea von Sachsen-Gotha-Altenburg im Geflecht der europäischen Diplomatie des 18. Jahrhunderts: Manteuffel, Thun und Grimm Von den großen archivalisch überlieferten Korrespondenzen der Gothaer Herzogin Luise Dorothea wurde bisher nur ein Bruchteil editorisch erschlossen. So prägen ihre intensiv geführten Briefwechsel mit König Friedrich II. in Preußen und Voltaire in entscheidendem Maße das Bild der Fürstin als Bewunderin sowohl des einen als auch des anderen. Der Briefaustausch mit Friedrich II. wird, gestützt auf kontextuell unhinterfragten Äußerungen des Reichsdiplomaten Gustav Adolf Graf von Gotter, als Zeichen ihrer weitsichtigen Verehrung des preußischen Königs und als Differenz zur Position Friedrichs III. von SachsenGotha-Altenburg interpretiert. Der Briefwechsel mit Voltaire gilt wie erstgenannter zugleich als Beleg für die geistige Aufgeschlossenheit der Herzogin gegenüber den Diskursen der europäischen Aufklärung.1 Erst die kürzlich herausgegebenen Briefe des Gothaer Prinzenerziehers Ulrich von Thun, zwischen 1744 und 1750 aus Genf und Paris geschrieben, sowie die Rekonstruktion seiner Biografie sprengen dieses Bild durch neue Erkenntnisse und Fragstellungen auf.2 Beides, sowohl der bis dato unerforschte Lebenslauf Ulrich von Thuns als auch seine Briefe, verweisen nicht nur auf einen engen personellen, sondern auch auf einen inneren Zusammenhang zu den oben genannten und zu zwei weiteren Korrespondenten der Gothaer Herzogin. Es handelt sich um den ehemaligen kursächsischen Gesandten in Berlin, Reichsdiplomaten und Mäzen Ernst Christoph Graf von Manteuffel, der Luise Dorothea von Juni 1742 bis zu seinem Tod 1749 aus Leipzig schrieb, und den aus Regensburg stammenden Kulturmittler und späteren Diplomaten in SachsenGothaer Diensten Friedrich Melchior Grimm, der ab Juli 1762 mit der Herzogin
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Correspondance de Frédéric II avec Louise-Dorothée de Saxe-Gotha (1740–1767), hg. v. Marie-Hélène COTONI, Oxford, insbesondere S. 14–17; Der Briefwechsel zwischen Luise Dorothée von Sachsen-Gotha und Voltaire (1751–1767), hg. v. Bärbel RASCHKE, Leipzig 1998. Ulrich von THUN: Briefe aus Paris 1747–1750 (im Folgenden: Thun Briefe aus Paris), hg. v. Bärbel RASCHKE, Gotha 2013; Ulrich von THUN: Briefe aus Genf 1744–1747 (im Folgenden: Thun Briefe aus Genf). Übersetzt, hg. v. Bärbel RASCHKE, Gotha 2016. Alle biografischen Angaben zu Ulrich von Thun stammen aus den Einleitungen zu diesen Editionen. Die zugrunde liegenden Quellen werden hier nicht nochmals angemerkt.
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bis zu deren Tod 1767 aus Paris auch privat korrespondierte.3 Interessanterweise sind zu diesen drei Briefwechseln bis auf wenige Ausnahmen weder Antwortbriefe noch Entwürfe der Gothaer Herzogin überliefert. Unter Einbeziehung zweier bisher nicht identifizierter Poesiebände lassen sich in einer Zusammenschau des überlieferten Briefmaterials für den folgenden Beitrag zwei Thesen ins Zentrum zu rücken. Die genannten Briefpartner waren Akteure der folgenden Prozesse: 1. 2.
Herzogin Luise Dorothea wurde ab 1739 multimedial zu einer „Minerva“, zur Hüterin der Wissenschaften und Künste aufgebaut und politisch funktionalisiert. Die Herzogin wirkte ab 1742 aktiv an der Profilierung des Herzogtums Sachsen-Gotha-Altenburg zu einer Drehscheibe europäischer und insbesondere protestantischer Netzwerke der Reichspolitik mit.
Das Bild Luise Dorotheas als kunst- und wissenschaftsfördernde und -liebende Fürstin hat eine Vorgeschichte, auf die hier zurückgegriffen werden muss. Es handelt sich um das Projekt Ernst Christoph von Manteuffels, den preußischen Kronprinzen Friedrich gegen dessen Neigung zu materialistischen und atheistischen Strömungen der europäischen Philosophie an die Philosophie Christian Wolffs und an die deutsch(sprachig)e Wissenschafts- und Kunstentwicklung zu binden, ihn zu einem „Roi philosophe“ aufzubauen.4 Manteuffel verfolgte diesen Plan seit seiner Niederlassung in Berlin in den 30er Jahren, ein Unterfangen, dessen ungewisser Ausgang von Beginn an deutlich war. Kurz vor dem Beginn des Ersten Schlesischen Kriegs durch den neuen König Friedrich II. in Preußen im Dezember 1740, der den Österreichischen Nachfolgekrieg auslöste, musste Manteuffel im November unter dem Vorwurf der Spionage Berlin verlassen. Die Hoffnungen, Friedrich II. zu einem idealen Herrscher, gar zu einem Friedensfürsten stilisieren zu können, zerstoben. Der Plan wurde jedoch nicht ad acta gelegt, sondern variiert.5 Ins Zentrum der Manteuffelschen Strategie, der schon in Berlin die „Societé des Alétophiles“ mit einer „Minerva“ als Emblem gegründet hatte, rückten Ende 1739/1740 drei Fürstinnen: Friederike Adolphine von Sachsen-Weißenfels, wo eine Dépendance der „Gesellschaft der Wahrheitsfreunde“ gegründet wurde, und, das belegen zwei anonym überlieferte 3 4 5
Thüringisches Staatsarchiv Gotha (im Folgenden: ThStAG), Geheimes Archiv E XIII a 17–27 (im Folgenden: Manteuffel Briefe); ThStAG, Geheimes Archiv E XIII a 16 (im Folgenden: Grimm Briefe). Zu diesem Projekt vgl. Johannes BRONISCH, Der Kampf um Kronprinz Friedrich. Wolff gegen Voltaire, Berlin 2011; DERS., Der Mäzen der Aufklärung. Ernst Christoph von Manteuffel und das Netzwerk des Wolffianismus, Berlin 2010. Vlg. ebd., S. 83–87.
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Dichtungsbände, Karoline von Pfalz-Zweibrücken, Erbprinzessin von HessenDarmstadt, die ab 1739 als „Pallas Athene“ besungen wurde, sowie Luise Dorothea von Sachsen-Gotha-Altenburg, deren Profilierung an dieser Stelle im Zentrum stehen soll.6 Schon drei Wochen nach besagter Ausweisung aus Berlin schrieb Manteuffel am 16. Dezember 1739 an Luise Adelgunde Gottsched, dass nach einem von ihm entworfenen Plan auf Luise Dorothea ein Huldigungsgedicht geschrieben werden solle: Die Heldin des Stückes ist die regierende Herzogin von Gotha, eine geistvolle Frau, der man nachsagt, dass sie sehr gern lese und eine große Bewunderin der Philosophie Wolffs sei. Diese Prinzessin soll nunmehr ein neuer Stern werden […].7
Die Ode, angeblich ein Auftragswerk Gotters und Geheimnis der „Alétophilen“, war am 16. Januar 1740 fertig, Gottsched selbst wird als Autor genannt, Manteuffel zahlte 8 Dukaten. In den kommenden zwei Jahren wurde an der Stilisierung der Gothaer Herzogin nicht weiter gearbeitet. Manteuffel aktualisierte das Vorhaben erst wieder unmittelbar nach der Wahl des Kurfürsten Karl Albrecht von Bayern zu Kaiser Karl VII. Nach einem ersten Treffen Ende Mai/Anfang Juni 1742 auf dem Friedenstein zwischen dem Herzogspaar und Manteuffel und weiteren in Altenburg, Meuselwitz und Leipzig, an dem auch ein Unbenannter teilnahm, begann am 11. Juni 1742 die Korrespondenz mit der Gothaer Herzogin.8 Zu den ersten Dokumenten, die Manteuffel danach mit seinen Briefen nach Gotha schickte, gehörte am 4. August 1742 ein Gedicht. Manteuffel bettete diese Briefbeilage in einen raffiniert konstruierten Kontext ein. Voltaire habe die Ode am 30. Juni 1742 geschrieben und an den preußischen König Friedrich II. mit dem Kommentar geschickt, dass ihm in seinem kriegerischen Wüten die Herzogin von Gotha als Beschützerin der Wissenschaf-
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Universitätsbibliothek Darmstadt (im Folgenden: UB Darmstadt), HS 1637 und Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha (im Folgenden: UFB Gotha), Chart. B 1344. Eine erste Darstellung des Zusammenhangs beider Poesiebände in: Thun Briefe aus Genf (wie Anm. 2), S. 13–26. Johann Christoph Gottsched, Briefwechsel unter Einschluss des Briefwechsels von Luise Adelgunde Victorie Gottsched, Historisch-kritische Ausgabe, hg. v. Detlef DÖRING und Manfred RUDERSDORF, Berlin/Boston 2007–2015 (im Folgenden: Gottsched Briefwechsel, Bd.), hier Bd. 6, S. 250, auch S. 254, 273, 292, 295 und 302. Weder Manteuffels Plan noch das Huldigungsgedicht sind überliefert. (Übersetzung aus dem Französischen von der Verfasserin, B. R.) Manteuffel berichtete über den Kontakt und den Briefwechsel dem kursächsischen Minister Heinrich von Brühl, vgl. Jenny von der OSTEN, Luise Dorothée Herzogin von SachsenGotha 1732–1767, Leipzig 1893, S. 17–20; zur Begegnung mit dem Unbenannten ThStAG, Geheimes Archiv E XIII a 18, Bl. 4r/v und 5r (Manteuffel Briefbeilage „Galantes Abenteuer bei Leipzig“).
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ten ein Vorbild sein solle.9 Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelte es sich um das oben genannte Gedicht Gottscheds. Gleichzeitig wurde ein weiteres Thema, die Wahl eines Prinzenerziehers für den Gothaer Erstgeborenen Friedrich diskutiert. Die Entscheidung fiel zugunsten Ulrich von Thuns.10 Der 1707 im schwedisch-pommerschen Schlemmin Geborene hatte in Rostock studiert, lebte ab 1727 im engeren Umfeld Johann Daniel Schöpflins in Straßburg, dessen Aktivitäten und Netzwerke er gut kannte,11 und reiste als Reisebegleiter, u. a. im Gefolge des Erbprinzen von Nassau-Usingen und der Prinzen von PfalzZweibrücken zwischen Paris und Leiden. Ab 1741 war Thun Hofmeister der Schwester Christians IV. von Pfalz-Zweibrücken, Karoline von HessenDarmstadt. Auf Schloss Friedenstein traf er am 22. Mai 1743 ein. Damit begann die Hochphase der öffentlichkeitswirksamen Arbeit am Bild der Gothaer „Minerva“. Manteuffel weilte im Mai und September 1743 mehrere Wochen am Hof. Ergebnis seiner Zusammenarbeit mit Ulrich von Thun war der schon eingangs erwähnte handgeschriebene Band mit Dichtungen, ein „Recueil des poésies en vers et en prose“.12 Die Texte der französischsprachigen, kunstvoll gemeisterten genres minores standen in engstem Zusammenhang zu einem gleichzeitig realisierten symbolträchtigen Gemäldezyklus, der vom Gothaer Hofmaler Georg Andreas Wolfgang ausgeführt wurde. Eine zentrale Position nahm darin das Ölgemälde mit dem Titel „Die höchstseelige Herzogin auf dem Thron mit dem höchstseeligen Erbprinzen, mit Tugenden umgeben und der Heydnischen Gottheit über Ihrem Haupt“ ein.13 Der dazu gehörende prächtige barocke allegorische Rahmen ist im „Recueil“ detailliert beschrieben. Um das Wappen mit der Chiffre L.D., „Lumiere. Discernement. Liberalité. Droiture. Louise Dorothée“, herum sind Helm, Lanze und Schild der ‚Minerva‘, eine Himmelssphäre und eine Lyra, Symbole von Weisheit, Wissenschaft und Kunst, Trophäen der Vernunft und des Geschmacks, eines denkenden Wesens würdiger als die kriegerischer Wut, mit der die Menschheit erniedrigt wird,
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ThStA Gotha, Geheimes Archiv E XIII a 17 (Brief Manteuffels an Luise Dorothea vom 4. August 1742) und Geheimes Archiv E XIII a 18 a, Bl. 9r/v. Vgl. auch Gottsched Briefwechsel (wie Anm. 7), Bd 8, S. 326 f. und S. 335 sowie Bd. 9, S. 319. Zu Johann Daniel Schöpflin vgl. Jürgen VOSS, Universität, Geschichtswissenschaft und Diplomatie im Zeitalter der Aufklärung: Johann Daniel Schöpflin (1694–1771), München 1979. UFB Gotha, Chart. B 1344. Der Poesieband stammt aus der Manuskriptsammlung der Privatbibliothek Luise Dorotheas von Sachsen-Gotha-Altenburg. ThStAG, Geheimes Archiv E XIII a 37, Caput VI. Das Gemälde gilt als verschollen.
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appliziert.14 Der Text rekurrierte nicht nur auf die angeblich von Voltaire stammenden mahnenden Worte an Friedrich II., die Manteuffel in seinem Brief vom 4. August 1742 wiedergab. Er verwies auch auf eine prachtvolle Medaille, welche die machtbewusste Gegnerin Friedrichs II. Maria Theresia beim Graveur der Genfer Münze Jean Dassier anfertigen ließ.15 Auf deren Revers ist die waffenbewehrte, kämpfende, Furcht verbreitende „Minerva“, Göttin der taktischen Kriegsführung, mit der Devise abgebildet: „Mit Geist und Waffen!“ Gegen diese beiden kriegerischen Zentralgestalten des Österreichischen Erbfolgekrieges, die nicht nur das fragile, auf dem Westfälischen Friedensvertrag basierende Gleichgewicht des Heiligen Römischen Reiches, sondern ganz Europas durch ihr Machtstreben infrage stellten, setzten Manteuffel und Thun das Bild einer „Minerva“, die nicht öffentlich-politisch bzw. militärisch aktiv handelt, sondern ausschließlich als Förderin von Wissenschaften, Künsten und Frieden. Im Unterschied zur europäischen Minervarezeption der frühen Neuzeit, die literarisch und künstlerisch in den „Galéries des femmes fortes“ oder den „Histoires des femmes illustres“ Gestalt annahm, verankerten sich Manteuffel und Thun im zeitgenössischen Geschlechterdiskurs mit einer anderen Rollenaufteilung.16 Das Bild des weiblich dominierten Musenhofes nahm hier Gestalt an. Angesichts der Überhöhung Luise Dorotheas von Sachsen-Gotha-Altenburg, die auch von Gottsched 1743 als „eine(r) so große(n) Schutzgöttinn aller Wissenschaften“ gepriesen wurde,17 stellt sich die Frage nach der tatsächlichen Korrespondenz von Ideal und Wirklichkeit. Die Bilanz ist eher ambivalent. Die Herzogin war gewiss belesen, hatte eine bedeutende Privatbibliothek, eine kleine Gemälde-, Raritäten- und Porzellansammlung, interessierte sich für wissenschaftliche Experimente und Diskurse, spielte selbst im Liebhabertheater der Hofgesellschaft. Sie förderte als Mäzenin durch regelmäßige Zahlungen und Subskriptionen repräsentative Großprojekte der europäischen Aufklärung – die bedeutende sechzigteilige Medaillenserie zur Geschichte der Römischen Republik von Jean Dassier, die „Nouvelles littéraires“ des Abbé Raynal, die „Correspondence littéraire“ Friedrich Melchior Grimms, die „Encyclopédie“ Diderots und d’Alemberts oder die „Histoire naturelle“ von Daubenton und Buffon. Der Gothaer Hof mit der „Minerva“ Luise Dorothea an der Spitze wurde jedoch weder ein Zentrum der Wissenschaften noch eins der Künste, konnte zu 14 15
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UFB Gotha, Chart. B. 1344, Bl. 94–97, Anspielungen Manteuffels auf den „cadre allégorique“ auch in ThStAG, Geheimes Archiv E XIII a 17. William EISLER, Dassier. http://www.sikart.ch (Zugriff: 21. Februar 2016). Die Medaille erschien anlässlich des Friedens von Füssen im April 1745. Ulrich von Thun sandte sie schon am 5. Januar 1745 aus Genf nach Gotha. Sie ist im Münzkabinett von Schloss Friedenstein aufbewahrt. Bettina BAUMGÄRTEL/Silvia NEYSTERS (Bearb.), Die Galerie der starken Frauen: die Heldin in der französischen und italienischen Kunst des 17. Jahrhunderts, Düsseldorf 1995. Gottsched Briefwechsel (wie Anm. 7), Bd. 9, S. 319.
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Lebzeiten Luise Dorotheas keine bedeutenden Geister von Rang dauerhaft anziehen. Manteuffels Versuche, den Hof an deutschsprachige Leipziger, Jenaer oder Berliner Gelehrte zu binden, stießen nicht auf Resonanz. Für europäische Gelehrte von Rang war Gotha eher Durchreisestation an andere Höfe, insbesondere von und nach Berlin und die unter Friedrich II. Anfang 1744 strukturierte Königliche Akademie der Wissenschaften: Maupertuis, Algarotti, d’Alembert, Diderot, Helvétius.18 Auch Voltaire, der nach seinem skandalumwitterten Weggang aus Berlin 1753 fünf Wochen am Gothaer Hof weilte, kehrte trotz heftigen Werbens der Herzogin nicht nach Gotha zurück. Die Wirkungsmacht der Stilisierung aus den 40er Jahren reichte jedoch über das Wirken Manteuffels und Thuns hinaus. Dazu trugen sowohl die Briefe Voltaires als auch die Königs Friedrich II. an Luise Dorothea bei, die voller Anspielungen auf die von Manteuffel und Thun geschaffene Bildwelt sind. 1762 knüpfte dann Friedrich Melchior Grimm in seinen privaten Briefen an die Gothaer Herzogin daran an und bettete seine Huldigungen nicht ganz unironisch in die Urteile der auch von Manteuffel und Thun angedeuteten Koordinaten Voltaire und Friedrich II. über die Gothaer Herzogin ein. Er nannte sie mit Referenz auf Voltaire „die aufgeklärteste Prinzessin des Jahrhunderts“ und, Friedrichs II. Urteil über die Darmstädter Landgräfin Karoline vorwegnehmend, „eine philosophische Seele voller großer und erhabener Gefühle, die sich mit ihrer männlichen Denkungsart hoch über ihr Geschlecht erhebt.“19 In den – allerdings gescheiterten – Anstrengungen Grimms und der Söhne Luise Dorotheas Ernst und August, nach ihrem Tod in Paris ein Grabmal für sie anfertigen zu lassen, fand die Idealisierung der Herzogin einen letzten Höhepunkt. Von den Entwürfen, die ab März 1768 bis zum Januar 1775 diskutiert wurden, bezog sich der zweite von Jean Antoine Houdon aus dem Jahr 1775, der Luise Dorothea in römischem Gewand auf einem antiken Thron darstellte, eindeutig auf die Symbolik des oben erwähnten Prachtgemäldes und der poetischen Texte von 1743/1744.20
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Katrin KOHL, Die Berliner Akademie als Medium des Kulturtransfers im Kontext der europäischen Aufklärung, online unter http://www.perspectivia.net/publikationen/friedrich300-colloquien/friedrich-kulturtransfer/kohl_akademie/ (Zugriff: 21. Februar 2016). Die genannten Aufklärer weilten zwischen 1741 und 1767 kurzfristig am Gothaer Hof. Grimm Briefe (wie Anm. 3), Bl. 394 sowie Bl. 377 und 378. Zu Friedrich Melchior Grimm vgl. Kirill ABROSIMOV, Aufklärung jenseits der Öffentlichkeit. Friedrich Melchior Grimms „Correspondence littéraire“ (1753–1773) zwischen der „république des lettres“ und europäischen Fürstenhöfen, Ostfildern 2014. OSTEN, Luise Dorothée (wie Anm. 8), S. 385–390; Abbé GALIANI, Briefe an Madame d’Epinay und andere Freunde in Paris 1769–1781, München 1970, S. 257–258, S. 263–266; zu Houdon vgl. Valérie ROGER: Du portrait malgré lui à la grâce intemporelle du visage https://crcv.revues.org/3323 (Zugriff: 23. Februar 2016).
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Der Anschein, dass die Gothaer Herzogin mit der Rollenzuweisung als Hüterin von Kunst und Wissenschaften aus den praktischen politischen Aktivitäten Sachsen-Gotha-Altenburgs im Umfeld des Österreichischen Erbfolgekrieges und der Kaiserwahl 1742 ausgeschlossen wurde, trügt. Sie, die schon als Braut und junge Gattin Wert darauf gelegt hatte, in das politische Handeln Friedrichs III. integriert zu werden und zu den Sitzungen des Geheimen Konzils zugelassen war, wurde 1742 ein zentrales Bindeglied im europäischen geheimdiplomatischen Informationsnetz. Auch dafür ist der Kern im Gothaer „Recueil“ Manteuffels und Thuns zu suchen, der in poetischer Form sowohl eine politische Positionierung Sachsen-Gotha-Altenburgs als auch den Chiffrierungsschlüssel für die Briefe Ulrich von Thuns 1744 bis 1750 aus Genf und Paris an die Herzogin enthält. Der Dichtungsband enthält den Entwurf eines Festspiels mit dem Titel „Fête morale galante“.21 Sieben Damen und sieben Herren sollten es, beginnend am Dreikönigsfest im Januar 1744, zwei Jahre nach der Wahl des bayrischen Kurfürsten Karl Albrecht zu Kaiser Karl VII., täglich aufführen. Im Zentrum des Festspiels standen die Wahl eines Königs und die von ihm ausgehende Ernennung einer Königin. Die Wahlinszenierung war eine radikale Kritik an der Kaiserwahl 1742 und ein brisantes Ideenkonglomerat der neuzeitlichen Diskurse zur Reichsverfassung.22 Sie berief sich auf altes Reichswahlrecht vor der Zeit der 8. und 9. Kurwürde, evozierte das politische Reichsideal des Gleichgewichts von Haupt und Gliedern mit einem Wahlkaiser als „primus inter pares“, was den radikalen Gedanken alternierend herrschender Dynastien und ausdrücklich eine mögliche Absetzung des Wahlkaisers einschloss. Angespielt wurde auf ein einiges, autonomes Reich nördlich und südlich der Alpen. Das Festspiel eröffnete die Vision, dass der ideale, humanistisch-aufgeklärte Herrscher ein zukünftiger sei. Der Name des Erwählten wird im Festspiel nicht genannt, er bleibt inkognito. Vielmehr bauten die Verfasser hier die Chiffrierung der Briefe Ulrich von Thuns für die bevorstehende Reise mit Erbprinz Friedrich auf. Die Bezeichnung „Prinz“ verband sich gekonnt mit einem Assoziationsnetz um den Namen „Friedrich“. Angespielt wurde auf Herzog Friedrich I. von Sachsen-Gotha, dem Karl V. zugunsten der Albertiner die Kurwürde verweigerte, auf Friedrich III. von Sachsen-Gotha-Altenburg, der während des Österreichischen Erbfolgekrieges um offizielle Neutralität des Herzogtums rang, auf den Erbprinzen Friedrich, dessen Erziehung zu einem zukünftigen Herrscher begann, auf den 21 22
UFB Gotha, Chart. B. 1344, Bl. 97–112. Aus der Fülle der historischen Forschungsliteratur sei für die Einordnung des Quellentextes verwiesen auf Karl Otmar von ARETIN, Das Alte Reich 1648–1806, Bd. 1, Stuttgart 1997, S. 18–96; Jens SIEGELBERG/Klaus SCHLICHTE (Hg.), Strukturwandel internationaler Beziehungen: zum Verhältnis von Staat und internationalem System seit dem Westfälischen Frieden, Wiesbaden 2000.
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Stauferkaiser Friedrich II., der sein Reich von Sizilien bis in den Norden einte, und natürlich auf den preußischen Friedrich, der, durchaus ambivalent, als „Achill“ zum Befrieder des Alten Reichs und Europas und zum Retter des Protestantismus stilisiert wurde.23 Die Chiffre „Prinz“ erlaubte jedoch auch eine Assoziation zum florentinischen Verfasser des „Il Principe“ und damit zur politischen Situation der Reichsterritorien südlich der Alpen im Einflussbereich Österreichs und Frankreichs, das Großherzogtum der Toscana und das Herzogtum von Savoyen unter Karl Emanuel König von Sardinien-Piemont, ein Bezug, der sich über den Namen des angeblichen Schreibers des Festspiels „Charles le Délicat“ verstärkt, war doch Prinz Karl Alexander von Lothringen österreichischer Feldmarschall und seit März 1744 Generalgouverneur der Österreichischen Niederlande.24 Auch bei diesem Namen ist eine historische Dimension, die zu Kaiser Karl V. und seinem Weltreich, angelegt. Bindeglied zwischen diesen im „Prinz“ vereinten Prinzen wurde die vom unbenannten Wahlkönig erkorene Königin. Der von äußeren, politischen Zwängen Gedrängte spaltete im Festspiel sein moralisches Reich zeitweilig ab und übertrug es seiner Statthalterin. Sie wurde mit folgenden Worten eingesetzt: Seid Herrscherin meines moralischen Reichs!/Mein Zartgefühl braucht solch ein Ziel;/Obwohl in jeglicher Hinsicht frei,/trage ich diese Kette/und will Ihren Ersten Untertanen regieren.25
Das Bild der „Minerva“ verschmolz mit dem der moralischen Statthalterin, der „moralischen Mutter“ in Thuns Briefen, unsichtbar Lenkende des leiblichen und des „moralischen Sohns“, des Erbprinzen und „Prinzen“. Auch dieser Idee entsprach ein Ölgemälde im Zyklus von Georg Andreas Wolfgang. Auf einem Doppelporträt sind der Prinzenerzieher Ulrich von Thun als Mentor und Erbprinz Friedrich in stilisierter römischer Rüstung als „Telemachos“ abgebildet.26 Dass der Mentor von der unsichtbaren „Pallas Athene/Minerva“ geleitet wurde, realisiert die Gestik des Prinzenerziehers. Er weist anspielungsreich nach oben, zugleich auf Erbprinz Friedrich und verbirgt in seinem Mantel eine römische Kaiserstatue. Ein Blick auf die poetischen Decknamen der bei der „Fête“ Wählenden ergänzt das Chiffrierungsmodell. Sie trugen die im humanistisch-aufklärerischen Herrscherdiskurs genderübergreifend entwickelten zentralen Tugenden als Decknamen, „La Délicatesse“ und „La Bonté“ an der Spitze, „La Raison“, „La 23 24 25 26
ThStAG, Geheimes Archiv E XIII a 18, Bl. 9r/v; Gottsched Briefwechsel (wie Anm. 7), Bd. 8, S. 274. ThStAG, Geheimes Archiv (Manteuffel an Luise Dorothea am 7. März 1744) über den Aufenthalt Karls von Lothringen mit seiner Gattin in Leipzig und sein literarisches Doppelporträt des Paares. UFB Gotha, Chart. B. 1344, Bl. 98. Schloss Friedenstein, Gemäldesammlung Inventarnummer SG 753.
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Douceur“, „L’Amitié“, „L’Esprit“, „La Discrétion“, „Le Désir de Plaire“ für die Damen sowie „L’Espérance“, „La Tranquilité“, „L’Activité“, „La Bonne Humeur“, „La Modestie“ und „La Prudence“ für die Herren. Die Klarnamen sind nicht überliefert. Ihre schriftlich festgelegten Beziehungen untereinander sind als Nachrichtenkette zu interpretieren. Sie nahmen durch die täglich inszenierte Wahl an einem permanenten, langfristig angelegten Akt der „Erziehung“ teil, eine weiteren Chiffre der Thunschen Briefe. Damit wurde der Gothaer Hof zum Nukleus der Kaisermacher stilisiert. Kurzfristig wurde die Herrschaft des bayrischen Wittelsbachers Karl VII. gezielt als temporär interpretiert.27 Längerfristig sollten die am Gothaer Hof bei Luise Dorothea zusammenlaufenden Korrespondenzen ein flexibles, durchaus auch als pragmatisches Bündnis verstandenes Netzwerk reichsreformerischer Kräfte wachhalten, das im Folgenden knapp umrissen werden soll. Die Akteure Manteuffel und Thun führten am Gothaer Hof folgende Netzwerke zusammen: Da waren zunächst akademische, wissenschaftliche und künstlerische Netzwerke, die sich der Leibnizschen Idee einer europäisch dimensionierten Deutschen Akademie der Wissenschaften und Künste protestantischer Prägung verschrieben hatten. Manteuffel warb nicht nur für seine „Société des Alétophiles“, sondern war zugleich das Scharnier für die Aktivierung der Verbindungen zur „Deutschen Gesellschaft“ in Leipzig, die zumindest bis 1738 reichsweite Verbindungen zwischen Bern und Straßburg bis Greifswald und Königsberg hatte.28 Über Ulrich von Thun wurde dieses Netzwerk um die Verbindungen nach Genf, Oberitalien und Frankreich hin erweitert. Ein zweites Netzwerk agierte reichsweit auf geheimdiplomatischer Ebene, insbesondere mit Blick auf die Beziehungen zwischen Österreich, Kursachsen und BrandenburgPreußen. Es handelte sich um die 1728 gegründete „Société des Anti-Sobres“, der Manteuffel angehörte und die zu Beginn des Österreichischen Erbfolgekrieges weiterhin aktiv war.29 Es ist aufschlussreich, dass Manteuffel in seinen ersten Briefen 1742 an Luise Dorothea mit den Decknamen der Schlüsselgestalten dieses Spionagenetzes arbeitete.30 Zentrales Thema waren Informationen zum militärischen Vorgehen Österreichs, Frankreichs und Preußens in Bayern und Kursachsen. Sie schufen den Boden für geheimdiplomatische und militärische 27
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Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die Briefepisoden Ulrich von Thuns zu einem überstandenen Giftmordanschlag (1. bis 29. Dezember 1744), Anekdoten zu einem ungeduldig erwarteten Tod und militärischen Verrat (12. April 1745) vgl. Thun Briefe aus Genf (wie Anm. 2). Detlef DÖRING, Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft in Leipzig von der Gründung bis in die ersten Jahre des Seniorats Johann Christoph Gottscheds, Tübingen 2002. Max BRAUBACH, Die Geheimdiplomatie des Prinzen Eugen von Savoyen, Köln 1962, S. 26–36; BRONISCH, Der Kampf um Kronprinz Friedrich (wie Anm. 4.) ThStAG, Geheimes Archiv E XIII a 17 und 18; Seckendorff als „Germania“, Manteuffel selbst als „Diable“.
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Absprachen, die nicht nur Sachsen-Gotha-Altenburgs Bemühen um Neutralität und Friedrichs II. Interesse an einer Pufferzone zwischen Preußen und den Kriegsschauplätzen betrafen.31 In die Aktualisierung dieses Militärspionagenetzwerkes wurde ab 1743 auch Ulrich von Thun mit seinen Verbindungen zum Régiment d’Alsace, dem Auslandsregiment der französischen Könige, eingebunden. Hier spielten Thuns enge Verbindungen zum schwedischen Militär und Diplomaten Albrecht von Lantingshausen sowie die bis zum Lebensende anhaltende zu Christian IV. und Friedrich von Pfalz-Zweibrücken eine zentrale Rolle. Thun brachte zudem das politisch, wirtschaftlich und kulturell mächtige Netzwerk der protestantischen „Kleinen Union“ Mecklenburgs, dessen Verbindungen allein in seiner Familie von Schweden bis nach Südwestdeutschland ausstrahlten. Hinzu kam seine profunde Kenntnis der protestantischen Höfe Oberdeutschlands zwischen Württemberg und Pfalz-Zweibrücken, des protestantischen Adels im Elsass sowie der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Wechselbeziehungen der gesamten Region mit Frankreich. Die Wurzel der politischen Profilierung Sachsen-Gotha-Altenburgs ab 1742 lag jedoch im 1692 gegründeten Fürstenverein, der fürstlichen Opposition gegen die Einführung der 9. Kur.32 Die Aktivitäten des flexiblen Bündnisses der sächsischen, brandenburgischen, braunschweiger, hessischen und württembergischen fürstlichen Häuser, das je nach politischer Konjunktur von Frankreich und Schweden unterstützt und als „Correspondierende“ bezeichnet wurde, widerspiegelt sich in den Gästelisten der Fourirbücher des Friedensteins seit 1694. Im Umfeld der anstehenden Kaiserwahl nach dem Tod Kaisers Karl VI. wurde der Gothaer Hof erneut zum Zentrum diplomatischer Abstimmungen. Auch Ulrich von Thun gehörte zwischen 1741 und 1743 zu den reisenden Unterhändlern zwischen verschiedenen protestantischen Höfen des Alten Reichs. In seinen autobiografisch grundierten Dichtungen nannte er als Stationen seines „vie ambulante“ Buchsweiler, Darmstadt, Kirchheim unter Teck, Frankfurt am Main, Kassel, Arolsen, angedeutet werden Aufenthalte am Niederrhein, vermutlich 31
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Zum Aufenthalt Friedrichs III. in Meuselwitz und Altenburg, Wohnsitze des Generalfeldmarschalls und Oberbefehlshabers im Dienst Kaisers Karl VII. Friedrich Heinrich von Seckendorff vgl. Gottsched Briefwechsel (wie Anm. 7), Bd. 8, S. 310, auch S. 230 f.; zur Begegnung mit dem Unbenannten vgl. Anm. 8; von Interesse sind hier auch die Verbindungslinien zu Gotter und Pöllnitz nach Preußen, die im Briefwechsel zwischen Manteuffel und Luise Dorothea eine Rolle spielen. Susanne FRIEDRICH, Drehscheibe Regensburg. Das Informations- und Kommunikationssystem des Immerwährenden Reichstags um 1700, Berlin 2007, insbesondere S. 264– 268; zu Sachsen-Gotha-Altenburg und dem Fürstenbund ab 1785 vgl. Georg SCHMIDT, Reichspatriotische Visionen. Ernst II. von Sachsen-Gotha, Carl August von SachsenWeimar und der Fürstenbund (1785–1788), in: Werner GREILING/Andreas KLINGER/ Christoph KÖHLER (Hg.), Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg. Ein Herrscher im Zeitalter der Aufklärung, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 41–84.
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Bückeburg und Nassauer Residenzen. Aufenthalte in Gotha vor seiner offiziellen Anstellung lassen sich in den Fourirbüchern nachweisen. Auch im Netzwerk des zeitgenössischen Ordenswesens wurde Sachsen-Gotha-Altenburg zu einer Schnittstelle. 1739 wurde auf Schloss Friedenstein der in preziöser Ordenstradition stehende „Ordre des Hermites de bonne humeur gegründet“, der ausdrücklich die Mitgliedschaft in anderen Orden erlaubte, mithin zahlreiche Freimaurer integrierte.33 Eine prosopografische Analyse der Mitgliederlisten zeigt, dass hier nicht nur Angehörige der führenden Beamtenschaft Sachsen-Gotha-Altenburgs und des Hofstaats, sondern auch erfahrene Reichsdiplomaten aufgenommen wurden, deren Karrieren innerhalb des Fürstenbunds kaum systematisch untersucht wurden. Dergestalt entfaltete sich ein eigenes, durch entsprechende Ordensdiskurse auf die oppositionelle Herrscher- und Reichsidee eingeschworenes Netzwerk. Die beiden Hauptakteure dieser Jahre, Ernst Christoph von Manteuffel und Ulrich von Thun, wurden in den Mitgliederlisten nicht geführt. Manteuffel, mit den Ordensaktivitäten sehr gut vertraut, deutete in seinen Briefen an Luise Dorothea eine Art Ehrenmitgliedschaft unter dem bezeichnenden Ordensnamen Manfred an.34 Thun stand dem zeitgenössischen Ordenswesen vermutlich prinzipiell skeptisch gegenüber. „[…] aufgrund meiner Denkungsart, meines Aufenthaltsorts und meiner Lage habe ich eine extreme Abneigung gegen alle Orden“, formulierte mit Blick auf die Doppelbedeutung des französischen Begriffs „ordre“ vieldeutig.35 Nichtsdestotrotz wurde für Ulrich von Thun und seine zukünftige Mission zusätzlich zum Chiffriersystem poetisch ein Initiationsritus entworfen, der eine Ordensaufnahme imaginiert. Seine frühere, individuelle Existenz und Stimme wurden begraben. Er erschien nunmehr als Träger und ventilierende Instanz mehrerer, in der Chiffrierungskette versteckter Stimmen.36 Vor diesem Hintergrund liegt eine Neuinterpretation der Grand Tour des Gothaer Erbprinzen und der damit verbundenen Korrespondenzen, auch der mit Herzogin Luise Dorothea nahe. Schon die Diskussion um dessen Erziehungsort ein politischer Streit innerhalb der benannten Netzwerke. Ein Plädoyer um den Verbleib in Gotha scheiterte ebenso wie Manteuffels Vorschlag einer 33
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Bärbel RASCHKE, The relationships of androgynous secret orders with freemasonry. Documents on the Ordre des hermites de bonne humeur in Sachsen-Gotha (1739–1758), in: Alexandra HEIDLE/Jan A. M. SNOEK (Hg.), Women’s Agency and Rituals in Mixed and Female Masonic Orders, Leiden/Boston 2008, S. 21–49. Manfred war ein 1232 geborener Sohn des Stauferkaisers Friedrich II. und einer savoyardischen Mutter, der 1245 König von Sizilien wurde. Einer Legende nach habe er seinen Vater erstickt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart (im Folgenden: HStAStu) A 16 a (624): Brief Thuns an Friedrich Samuel von Montmartin vom 28. Oktober 1765. Thun erbat und erhielt 1771 den 1702 von Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg gestifteten Hubertusorden. UB Darmstadt, HS 1637, Bl. 35–58.
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Ausbildung des Erbprinzen an der Leipziger Universität, um Sachsen-GothaAltenburg stärker an Kursachsen zu binden. Das „Orakel in Berlin“ setzte sich mit seinem Plan eines auf unbestimmte Zeit festgelegten Aufenthalts in Genf durch. In Genf hatte Ulrich von Thun unter dem Deckmantel der Erziehung Friedrichs an einem sicheren Ort und der traditionellen Kontakte des Gothaer Hauses als Schutzherren der Deutschen Lutherischen Kirche drei Aufgaben zu erfüllen. Er hatte die militärischen Auseinandersetzungen an der Südflanke des Alten Reichs zu beobachten. Berichte Thuns über die entscheidende Schlacht und Belagerung von Coni bei Turin an Friedrich III. und die frühzeitige geheime Mitteilung an Luise Dorothea, dass Frankreich die Belagerung „wegen Regens“ überraschend aufgebe bzw. dass sich die Pforte für Schlichtungsverhandlungen zwischen Österreich und Frankreich zur Verfügung stellen wolle, sind nur ein Beispiel für seine Militärspionage. Ein weiterer Auftrag waren Verhandlungen mit dem Magistrat und dem Kirchenrat von Genf, in denen es um Bündnisfragen der Stadt während des Österreichischen Erbfolgekriegs ging. Ergebnis waren neu formulierte Fürbitten für die Deutsche Lutherische Kirche und für die französisch- und deutschsprachige Reformierte Kirche. Mit ersterer wurde ein Führungsanspruch des Hauses Sachsen-Gotha-Altenburg innerhalb des corpus evangelicorum des Alten Reichs ausgedrückt. Die Neuformulierung der Fürbitte für die Reformierten evozierte ein reichsübergreifendes Bündnis einschließlich Frankreichs und Englands gegen Österreich. Die dritte Aufgabe betraf den Dreh- und Angelpunkt der Mission, den Ausbau der Kontakte zu den führenden protestantischen Händler- und Bankiersfamilien Genfs: Trembley, Mallet, Sarasin, Thellusson, Vernet, Cramer.37 Über Ulrich von Thun, darauf verweisen seine Briefe an Luise Dorothea mit ihren nicht enden wollenden Diskussionen über Finanzfragen sehr deutlich, liefen Transaktionen, Kredite und Spekulationen auch „Bestechungszahlungen“ im Zusammenhang mit der Versorgung der Armeen während des Österreichischen Erbfolgekriegs und zwar nicht nur im Auftrag Sachsen-Gotha-Altenburgs, sondern auch anderer am Assoziationsbündnis beteiligter Prinzen. Die fundamentalen Kontakte Thuns zu den im überseeischen Sklaven- und Kolonialhandel, in den Aktivitäten der Indienkompanien reich gewordenen Finanziers rissen auch bei Thuns Wechsel mit dem Erbprinzen nach Paris 1747 nicht ab. Im Gefolge der Hochzeit der kursächsischen Prinzessin Maria Josepha mit dem Dauphin Louis blieb auch am neuen Erziehungsort sein Aufgabenprofil das Gleiche: Berichte über die politischen Konstellationen im Umfeld des französischen Königs und innerhalb der Pariser Gesellschaft der Hochadligen, Militärs, Finanzelite und Kultur zu verfas37
Vgl. die fundamentale Arbeit von Herbert LÜTHY, La Banque protestante en France de la Révocation de l’Édit de Nantes à la Révolution (ND der französischen Originalausgabe) hg. v. Irene RIESEN und Urs BITTERLI, Zürich 2005.
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sen, seismographisch auf kleinste Veränderungen in Gunst- und Bündniskonstellationen einzugehen und in das auf dem Friedenstein verankerte Korrespondentennetz einzuspeisen. Zu diesem Briefnetz gehörten nicht nur die Gothaer Herzogin bzw. Friedrich III. als Empfänger der angeblichen Erziehungsberichte über ihren Sohn. Diese Doppelkorrespondenz wurde um Parallelkorrespondenzen mit den Hofdamen Luise Dorotheas, Franziska von Buchwald, Eberhardine von Neuenstein, Christiane von Ditfurth und Friederike von Wangenheim erweitert, die ihrerseits Verbindungen nach Württemberg, Hessen und Preußen hatten. Kopien seiner Briefe an Luise Dorothea schickte er an Karoline von HessenDarmstadt, deren Hofdamen ihrerseits mit Verbindungen ins Elsass und nach Arolsen in das Informationssystem integriert waren, ebenso an seinen Bruder Joachim von Thun, Württembergischer Obermundschenk und Mecklenburgischer Landrat und an „einige andere Personen“. Eine weitere Parallelkorrespondenz führte er mit Manteuffel vermutlich bis zu dessen Tod. Die von Thun eingehenden Informationen wurden über den Gothaer Hof ebenso ventiliert wie über die Herzogin und ihr „Gynäzeum“ die seine Mission betreffenden Informationen und Kommentare Dritter.38 Die Adresse der Gothaer Herzogin war somit nicht erst zur Zeit des Siebenjährigen Krieges, sondern schon im Österreichischen Erbfolgekrieg ab 1742 eine Briefkastenadresse, ein gigantisches Verteilersystem.39 Dass auch Informationsfäden nach Berlin liefen, ist sicher. So erstaunt es nicht, dass Ulrich von Thun, nach dem Friedensschluss von Aachen 1748 zur Rückkehr nach Gotha aufgefordert, trotz immenser Schulden in Paris 1750 in Ehren aus dem Gothaer Dienst mit dem Titel Geheimer Rat ohne Ressort entlassen wurde und nach Berlin gehen durfte. Dort hielt er sich offensichtlich bis zum Weggang Voltaires im März 1753 auf. Es ist eine aufschlussreiche Koinzidenz, dass Friedrich Melchior Grimm seine Verbindung zum Gothaer Hof und insbesondere zu Luise Dorothea auf genau dieses Jahr datiert.40 Er befand sich schon seit April 1741 im Dunstkreis der hier beschriebenen Prozesse und Personen. Frühestes Zeugnis ist der am 16. August 1741 beginnende Briefwechsel Grimms mit Gottsched, der 1742 bis 1745 in ein Studium an der Universität Leipzig mündete. Eine Bekanntschaft mit Manteuffel in dieser Zeit ist anzunehmen. Als Melchior Grimm 1747 38
39 40
Zum Ausdruck „Gynäzeum“ ThStAG, Geheimes Archiv E XIII a 21 (Brief Manteuffels an Luise Dorothea vom 11. Mai 1744). Die Praxis geheimdiplomatischer Briefkultur angesichts des ausgedehnten europäischen Postspitzelsystems und ausgefeilter Dechiffrierungssysteme beschrieb Ulrich von Thun als Württembergischer Gesandter ausführlich in seinen Briefen an Samuel Friedrich von Montmartin. Zuletzt in Günther BERGER/Ulrike WASSERMANN, Vetterwirtschaft. Der Briefwechsel zwischen Friedrich II. und Luise Dorothea von Sachsen-Gotha, Berlin 2012, S. 12 f. Grimm Briefe (wie Anm. 3), Bl. 340 und Bl. 449.
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Ludwig von Schönberg und dessen Bruder nach Paris begleitete, trat Ulrich von Thun, der sich gleich nach seiner eigenen Ankunft im Juni 1747 auch im Umfeld des Maréchal de Saxe bewegte, vermutlich mit ihm in Verbindung. Grimm nahm Ostern 1749, dann schon Sekretär des Grafen August Heinrich von Friesen, eines Neffen des Maréchal de Saxe, an der Konfirmation des Gothaer Erbprinzen in der Kapelle der Botschaft Schwedens teil. Thun engagierte ihn von Juni bis September für drei Monate als Lehrer für Deutsch und Latein, bevor es Ende 1749 erneute Einstellungsverhandlungen mit dem im November 1748 entlassenen Abbé Raynal gab.41 Die Bekanntschaft und nachfolgende Zusammenarbeit zwischen dem Abbé Raynal und Grimm lief somit unter anderem über Ulrich von Thun. Grimm wurde ab 1750 nicht nur Beiträger des „Mercure de France“, den Raynal als Redakteur übernommen hatte. Raynal übergab ihm um 1753/54 auch sukzessive seine handgeschriebenen „Nouvelles littéraires“, die er auf Thuns Anregung ab Juli 1747 nach Gotha und andere Höfe bzw. Privatpersonen geschickt hatte.42 Während nach Thuns Weggang aus Paris 1750 Raynals Sendungen nach Gotha versickerten, übernahm Melchior Grimm 1753/54 das Modell in der „Correspondence littéraire, philosophique et critique“, nachdem der im November 1753 zum außerordentlichen und bevollmächtigten Gesandten Württembergs beim Französischen König ernannte Ulrich von Thun Anfang 1754 nach Paris zurückkehrte. Thun vertrat, obwohl offiziell von Karl Eugen nicht genehmigt, durchaus auch die Interessen Sachsen-Gotha-Altenburgs am französischen Hof.43 Erst am Ende des Siebenjährigen Krieges kam es dann auch auf dem politischen Feld zu einer Art Staffelübergabe zwischen Ulrich von Thun und Friedrich Melchior Grimm. Grimm weilte im November 1762 auf dem Friedenstein,44 Ulrich von Thun erschien nur noch 1763 als Geheimer Rat im Gothaer Hof- und Adresskalender. Im Hintergrund dieses Wechsels ist Friedrich II. in Preußen auszumachen. Friedrich Melchior Grimm nannte sich im zweiten Brief nach seiner Abreise in Anspielung auf Friedrich den Großen „Friedrich der Kleine“.45 Grund für die Neuverteilung der Rollen zwischen Thun und Grimm waren die komplizierten Finanz41 42 43
44 45
UFB Gotha, Chart. B 1560, Bl. 252 v, Bl. 275b v, Bl. 295 r/v. Zu Raynal vgl. Gilles BANCAREL (Hg.), Raynal et ses reseaux, Paris 2011. Zur Rekonstruktion des Übergabeprozess vgl. ABROSIMOV, Aufklärung (wie Anm. 19), S. 25 und die dort angegebene Literatur. HStAStu A 16a, Bü 601, Bl. 30r, 53r, 63r, 74r/v, 91r/v bis 93r/v betreffen die angeblich über Adam von Studnitz vorgetragene Bitte Friedrichs III. von Sachsen-Gotha-Altenburg, dass Thun ohne offiziellen Titel das Herzogtum mitvertrete; auch Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 16 a (609) belegt für 1759/1760 eine andauernde Interessenvertretung durch ein über den Gothaer Geheimen Rat Siegmund Ehrenfried von Oppel gesandtes Dokument, die Forderungen Sachsen-Gotha-Altenburgs an den französischen Hof betreffend. Grimm Briefe (wie Anm. 3), Bl. 344–345. Ebd., Bl. 336.
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aktionen zwischen deutschen Fürsten und dem Französischen König zur Rückzahlung der französischen Subsidienschulden. Ulrich von Thun beschrieb die Situation am 3. März 1763: Wir werden hier von deutschen Prinzen überschwemmt. Der Herzog von Zweibrücken, der Sohn des Prinzen von Saarbrücken, ein Prinz von Anhalt, drei Prinzen von Waldeck sind gerade angekommen, während drei Prinzen von Schwarzburg gerade abgereist sind.46
Er war offiziell und vollauf mit den entsprechenden Finanzangelegenheiten des Herzogs von Württemberg befasst. Gleich ihm vermittelte auch Melchior Grimm eine schnellere, sichere, wenn auch unvorteilhaftere Rückzahlung der Subsidiengelder durch vorgeschaltete Gesellschaften. Beide gingen in ihren Briefen auf eine „Sociéte von Ministern und Damen“, so Thun bzw. „eine Compagnie“, so Grimm, ein, die die Rückzahlungsansprüche deutscher Prinzen für Versorgungsleistungen der französischen Armee aufkaufte.47 In den riesigen Spekulationsprojekten am Ende des Siebenjährigen und des englisch-französischen Kolonialkrieges vermittelten Thun und Grimm auf der Basis ihrer langjährigen engen Verknüpfungen mit französischen Politikern, der Genfer „banque protestante“ in Paris, den Indienkompagnien und den alles vereinenden Salons der geschäftstüchigen Finanziersgattinnen Madame Dupin und Madame Necker bzw. Madame Geoffrin als Mittelsmänner auch zu ihren eigenen Gunsten.48 Dass Grimm in diesem Kontext Luise Dorothea darum bat, den preußischen König als Abonnenten der „Correspondence littéraire“ zu gewinnen, die seine Lieferungen nach Gotha an ihn weiterleiten sollte, während „découpures“ aus Frankreich über Berlin nach Gotha gelangten, deutet in diesem Kontext auf das Abwickeln von Finanztransaktionen zwischen Frankreich und Preußen über den Gothaer Hof hin.49 Diese relativ kurze Episode der CorrespondenceSendungen Grimms nach Berlin endete Mitte des Jahres 1765 bezeichnenderweise mit Zahlungsstreitigkeiten, der anonymen Enthüllungsbilanz zu Friedrichs II. Politik von 1740 bis zum Ende des Siebenjährigen Kriegs, „Les Matinées du Roi de Prusse“, und im Juni 1766 dem Befehl Friedrichs II., die Sen-
46 47 48
49
HStAStu A 16 a (618) Brief Thuns an Montmartin vom 3. März 1763. HStAStu A 16 a (618) Briefe Thuns an Montmartin vom 17. April, 4. und 12. Mai 1763; Grimm Briefe (wie Anm. 3), Bl. 350–383. Vgl. LÜTHY, La Banque (wie Anm. 36), S. 24–419, besonders S. 397; zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass sowohl Ulrich von Thun als auch die mit Friedrich Melchior Grimm eng verbundene Madame d’Epinay bei dieser Bau- und Immobilienspekulation an der chaussé d’Antin Grundstücke erwarben (zu Madame d’Epinay vgl. GALIANI, Briefe [wie Anm. 20], S. 356 f.) Grimm Briefe (wie Anm. 3), Bl. 338–400.
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dungen einzustellen.50 Im Umfeld der dritten Kaiserwahl im Alten Reich nach dem Tod Franz II. belebte Friedrich Melchior Grimm in seinen Privatkorrespondenzen mit Luise Dorothea von Sachsen-Gotha-Altenburg und Karoline von Hessen-Darmstadt das Grundmuster des von Frankreich unterstützten Fürstenvereins neu. Gegen den erbrechtlich erscheinenden Übergang der Kaiserwürde innerhalb des habsburg-lothringischen Hauses an Joseph II. schlug er in einem privaten Brief an Luise Dorothea noch am 7. Juni 1765 vor, sie möge zwischen Frankreich und Preußen mit dem Ziel Aufnahme diplomatischer Beziehungen vermitteln: „Ich bin es leid zu sehen, dass zwischen diesen beiden früheren Alliierten seit dem Frieden weiterhin Eiszeit herrscht, mir war der offen erklärte Hass 1757 lieber.“51 Der Stachel der Fürstenopposition gegen die habsburg-lothringische Erbnachfolge im Amt durch Joseph II. sollte erhalten bleiben. Während Friedrich II. im Correspondence-Netz wiederum im Hintergrund blieb, erläuterte Grimm der Darmstädter Landgräfin und der Gothaer Herzogin ausführlich die Allianz der neuen Abonnenten: Frankreich, PfalzZweibrücken, Nassau-Saarbrücken, Georg von Hessen-Kassel, Prinz Heinrich von Preußen, Ulrike von Schweden, erweitert um die Unterstützer in der Affäre Calas Waldeck-Pyrmont, Baden-Durlach und die Kurpfalz und letztlich Katharina II. von Russland.52 Dieses Korrespondenz-Bündnis war für Grimm das Arkanum einer europäischen Allianz der Vernunft: „Ich ziehe eine Linie zwischen Darmstadt und Petersburg und sage, dass nur hier die Vernunft zu suchen ist. Ich beklage Südeuropa und seine Blindheit.“53 Angesichts der Nachrichten von der schweren Erkrankung Luise Dorotheas seit März 1767 drängte Grimm auf die Bewahrung und Festigung der beiden Zentralhöfe des korrespondierenden Bündnisses durch ein Heiratsprojekt. Ab August 1767 engagierte er sich deshalb für eine Hochzeit zwischen dem Gothaer Erbprinzen Ernst und Prinzessin Karoline von Hessen-Darmstadt, die, so Grimm, die Krone der schon von Manteuffel und Thun beschworenen Freundschaft zwischen der Großen Landgräfin und Luise Dorothea von Sachsen-Gotha-Altenburg wäre.54 Laut Grimm wurde der Plan durch den Tod Luise Dorotheas am 22. Oktober 1767 vereitelt, da Friedrich III. über Ernst hinweg eine Ehe mit Charlotte von Sachsen-Meiningen entschied, für Grimm ein „irreparabler Fehler, der sein gesamtes Leben und alle seine Untertanen beeinflussen“ werde.55 War noch im 50 51 52 53 54 55
Ebd., Bl. 403–413, Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (im Folgenden: HessStA Darmstadt), D 4 Nr. 562/4, Bl. 22. Grimm Briefe (wie Anm. 3), Bl. 413. HessStA Darmstadt, D 4 Nr. 562/4, Bl. 3, 7–8, 27, 9, 4, 21. Ebd., Bl. 26. Ebd., Bl. 49–50, 52–53; 56–57. Das Heiratsprojekt wurde unterstützt von Waldner, Adam von Studnitz und Luise von Buchwald. Ebd., Bl. 68.
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Umfeld der Kaiserwahl 1745 der nicht ganz geglückte Versuch unternommen worden, die führende Rolle des Gothaer Herzogspaares im Fahrwasser der 1742 entworfenen Bildlichkeit mit einer durch Jean Dassier realisierten Doppelmedaille im öffentlichen Bewusstsein zu halten, so scheiterten dann endgültig, ähnlich wie bei den oben genannten Anstrengungen für ein Grabmal der Herzogin, entsprechende künstlerische Unternehmen nach dem Tod Friedrichs III. 1772.56 Die Erinnerung an „ein so […] vollkommenes Fürstenpaar“ ließ sich angesichts der neuen Kräfteverhältnisse im Alten Reich, in Europa und Übersee nicht mehr aktualisieren.57
56
57
Thun hatte der Herzogin für ihr Porträt auf dem Revers der Doppelmedaille zu einer „römischen Frisur“ geraten, Friedrich III. ist mit angedeuteter römischer Rüstung abgebildet. Eine Dassier-Medaille mit dem Porträt des Erbprinzen Friedrich wurde nicht genehmigt; vgl. auch Anm. 20. Gottsched Briefwechsel (wie Anm. 7), Bd. 9, S. 319.
H A N S -W E R N E R H A H N MONARCHISCHE HERRSCHAFT UND BÜRGERLICHE GESELLSCHAFT
Monarchische Herrschaft und bürgerliche Gesellschaft im 19. Jahrhundert Das 19. Jahrhundert ist oft als das Jahrhundert des Bürgertums bezeichnet worden. 1811 war in den Jenaischen Wöchentlichen Anzeigen zu lesen: Der Bürgerstand ist das eigentliche Herz des Staatskörpers, verdient die ganze menschliche Aufmerksamkeit. Je mehr gute Bürger es giebt, je mehr die ganze Maschine in Bewegung gesetzt wird, und mit allen ihren Federn zu dem großen Endzweck, zu der allgemeinen Glückseligkeit, schläget und auf die Nebentriebwerke kräftig wirket.1
In der Tat waren es in den folgenden Jahrzehnten bürgerliche Kräfte, die den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel vorantrieben und wie kein anderer Teil der Gesellschaft von den neuen Strukturen profitierten. Das Bürgertum war zudem der Träger des wissenschaftlichen Fortschritts. Es bestimmte zunehmend die kulturellen Entwicklungen und schuf schließlich mit seinen Forderungen nach rechtlicher Gleichheit, freier Entfaltung des Individuums, politischer Freiheit und staatlicher Neuordnung die politischen Leitbilder der Moderne.2 Dennoch blieb die Monarchie im gesamten 19. Jahrhundert die dominierende Herrschaftsform in Europa. Dies wurde vom größten Teil des Bürgertums auch akzeptiert, sofern die regierenden Dynastien bereit waren, die monarchische Herrschaft durch die Gewährung von Verfassungen neu zu legitimieren und damit die eigene Macht zu beschränken und eine politische Teilhabe des Staatsvolks zu gewährleisten.3 Der Weg zu dieser Herrschaftsform verlief allerdings in vielen Ländern nicht konfliktfrei. Die Herausforderungen, die sich aus dem Aufeinandertreffen traditioneller Herrschaftsansprüche und neuer politischer Ziele des Bürgertums ergaben, werden auch beim Blick auf die Ernestiner deutlich. Zugleich können an ihrem Beispiel aber auch die Chancen aufgezeigt werden, die sich aus einem Politikstil ergaben, der die Traditionen monarchischer Herrschaft mit den neuen Bestrebungen bürgerlicher Kräfte zu verbinden suchte. Dabei folgten die Ernestiner keinem ausgeklügelten 1 2 3
Jenaische Wöchentliche Anzeigen, Nr. 6 vom 18. Jenner 1811. Zu Auswirkungen und Folgen dieser Entwicklung für Thüringen vgl. Hans-Werner HAHN/Werner GREILING/Klaus RIES (Hg.), Bürgertum in Thüringen. Lebenswelt und Lebenswege im frühen 19. Jahrhundert, Rudolstadt/Jena 2001. Vgl. hierzu Dieter LANGEWIESCHE, Die Monarchie im Jahrhundert Europas. Selbstbehauptung durch Wandel im 19. Jahrhundert, Heidelberg 2013; Volker SELLIN, Gewalt und Legitimität. Die europäische Monarchie im Zeitalter der Revolutionen, München 2011.
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Masterplan. Sie reagierten vielmehr geschickt auf neue Handlungsspielräume und sicherten sich so Positionen, die für den nach Europa ausgreifenden Coburger Teil der Dynastie sogar über das große Monarchiesterben des 20. Jahrhunderts hinaus von Dauer sein sollten.4 Dies zeigt vor allem die Entwicklung des 1831 entstandenen Königreichs Belgien. Der Coburger Prinz Leopold war im Grunde noch ein Mann des Ancien Régime, aufgewachsen in den Traditionen des europäischen Hochadels und geprägt von seinen Verbindungen nach St. Petersburg und London. 1831 aber wurde er König eines neuen Staates, mit dem die Ordnung des Wiener Kongresses verletzt wurde und dessen Monarchie nicht auf dem Gottesgnadentum, sondern auf dem Willen der Bürger beruhte. Leopold wurde vom verfassungsgebenden belgischen Nationalkongress zum neuen König gewählt und legte am 21. Juli 1831 auf einer unter freiem Himmel aufgebauten Bühne den Eid auf die belgische Verfassung ab. Obwohl Leopold von Hause aus eher konservativ eingestellt war und später durchaus mit der Metternichschen Politik im Deutschen Bund sympathisierte, akzeptierte er eine Herrschaftsordnung, in der die Parlamentsmehrheit die Zusammensetzung der Regierung bestimmte und in der die Rechte des Monarchen stärker eingeschränkt waren als in allen anderen europäischen Staaten.5 Den in Belgien früh einsetzenden industriellen Entwicklungen stand Leopold eher skeptisch gegenüber. Dennoch förderte er auf vielfache Weise jene wirtschaftliche Modernisierung, die vor allem dem Bürgertum zugutekam. Der rasche Ausbau des Eisenbahnnetzes gehörte zu den wichtigen Kennzeichen seiner Regentschaft. Leopold nahm regen Anteil an den belgischen Debatten über die Ausrichtung der Handelspolitik6 und unterstützte die Bestrebungen des deutschen Nationalökonomen Friedrich List, den industriellen Fortschritt Europas durch eine zielgerichtete staatliche Wirtschaftspolitik zu forcieren.7 Mit all dem gab Leopold nicht nur dem neu entstandenen Staat die notwendige Festigkeit, sondern sicherte zugleich seinem Herrscherhaus die Existenz. In Großbritannien, wo die Monarchie ebenfalls einen tragfähigen Kompromiss zwischen ihren historischen Herrschaftsansprüchen und den neuen politischen Forderungen der heraufziehenden Industriegesellschaft finden musste, 4
5 6 7
Zur Rolle des Hauses Coburg-Gotha in Europa vgl. Thomas NICKLAS, Das Haus SachsenCoburg. Europas späte Dynastie, Stuttgart 2003; Michael HENKER u. a. (Hg.), Ein Herzogtum und viele Kronen: Coburg in Bayern und Europa. Katalog zur Landesausstellung des Hauses der Bayerischen Geschichte und der Kunstsammlungen der Veste Coburg, München 1997. Ausführlich hierzu NICKLAS, Das Haus Sachsen-Coburg (wie Anm. 4), S. 85–98. Vgl. Hermann VAN DER DUNK, Der deutsche Vormärz und Belgien 1830/48, Wiesbaden 1966, S. 222–248. Eugen WENDLER, Friedrich List. Politische Wirkungsgeschichte des Vordenkers der europäischen Integration, München 1989, S. 68–73.
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ergab sich für die Abkömmlinge des Hauses Sachsen-Coburg zwar eine andere Ausgangslage. Aber auch hier festigte man durch ein erstaunliches Maß an Flexibilität die eigene Stellung in einer sich rasch wandelnden Zeit. Als die mütterlicherseits aus dem Haus Coburg stammende Königin Victoria 1837 den Thron bestieg, hingen Premierminister und Kabinett nicht mehr nur vom Wohlwollen der Monarchie ab, sondern stützten sich immer stärker auf den Mehrheitswillen des Parlaments. Unter Victoria und ihrem Prinzgemahl Albert von SachsenCoburg strebte die Krone nicht mehr zur realen politischen Macht zurück. Sie nahm die Rolle einer Symbolfigur des Staates an, die dem Parteienstreit weitgehend entzogen war. Historiker haben die britischen und belgischen Wege zu einer parlamentarischen Monarchie als das „Coburger Modell“ bezeichnet. Diese Erfolgsgeschichte war freilich weniger auf ein planvolles Vorgehen zurückzuführen, sondern mehr auf die geschickte Anpassung an die jeweiligen Konstellationen. Da die Ernestiner als Außenseiter nach Belgien und Großbritannien kamen, mussten sie im politischen Geschäft des jeweiligen Landes vorsichtiger agieren und ihre Einflussnahme eher auf indirektem Wege vornehmen.8 Neben der Respektierung von politischen Teilhabeansprüchen des Bürgertums und der Förderung seiner wirtschaftlichen Interessen erleichterten in Großbritannien weitere Faktoren die Kompromisse zwischen Monarchie und neuen gesellschaftlichen Kräften. Unter Victoria und Albert übernahm die königliche Familie Verhaltensweisen, die den neuen Werten des Bürgertums zu entsprechen schienen. Hierzu zählten das Bild des rastlosen Arbeiters, das von Albert gezeichnet wurde, und vor allem die strenge Moral, der sich auch die königliche Familie unter Albert und Victoria ganz im Sinne des Bürgertums zu unterwerfen schien. Nach den Ausschweifungen der Vorgänger erhielt die in Verruf geratene britische Monarchie dadurch neuen Halt. Hinzu kam das philantrophische Engagement der königlichen Familie, die wohlhabende Bürger und Handwerker in dem Bestreben unterstützte, durch wohltätige Organisationen das soziale Elend der heraufziehenden Industriegesellschaft zu lindern. Im Mai 1849 schrieb der „Globe“ über diese Aktivitäten des Prinzgemahls Albert: Wenn […] der Gemahl einer solchen Königin sich durch ähnliche vortreffliche Eigenschaften auszeichnet, dann wird das Band der Anhänglichkeit an den Thron so stark, dass auch nicht im Entferntesten zu befürchten ist, dass es durch Sympathien für den demokratischen Geist, der neuerdings die benachbarten Nationen erschüttert hat, geschwächt werden könnte.9
Im Unterschied zur britischen Königsfamilie und zum belgischen König befanden sich die in Deutschland herrschenden Ernestiner um die Mitte des 19. Jahrhunderts in einer viel schwierigeren Situation. Durch den Ausbruch der 8 9
Hierzu ausführlich NICKLAS, Haus Sachsen-Coburg (wie Anm. 4), S. 106 f. Zitiert nach SELLIN, Gewalt (wie Anm. 3), S. 252.
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Revolution von 1848 schien ihre Herrschaft erschüttert. In ihrem eigenen Gebiet wurden sie mit Vorstellungen einer Republik Thüringen konfrontiert, und Teile der deutschen Nationalbewegung forderten in der Frankfurter Nationalversammlung die Mediatisierung der kleinen Staaten. Wenn aber am Ende die Revolution auch in Thüringen vor den Thronen haltmachte, dann war dies nicht nur der von Preußen und Österreich getragenen Gegenrevolution zu verdanken. Es hing auch damit zusammen, dass es in der Bevölkerung der ernestinischen Staaten noch immer ein hohes Maß an Loyalität gegenüber der angestammten Dynastie und ihren einzelnen Häusern gab.10 Dies wurde schon durch die spezifischen Bedingungen einer kleinräumigen Thüringer Staatenwelt begünstigt, wo „die Person des Monarchen nicht entrückte Staatsspitze war, sondern besonders von den Bewohnern der kleinen Residenzen als ein unmittelbar Handelnder erlebt wurde“.11 Noch 1866 lobte ein Artikel der „Gartenlaube“ Großherzog Carl August mit den Worten: Das war […] ein Fürst der jederzeit im Volke und zu seinem Volke stand. Ueberall wo die Noth an seine Landeskinder herantrat, fand man ihn selbst neben dem geringsten seiner Unterthanen, helfend und rathend, in seiner wohlbekannten kurzen Jagdpekesche den Herzog von Weimar, Carl August, der im ganzen Lande als der ‚alte Herr‘ bekannt war.12
Hinzu kam, dass die in der Frühen Neuzeit entwickelten patriarchalischen Vorstellungen vom Fürsten als gutem Landesvater im 19. Jahrhundert mit bürgerlichen Konzepten einer zeitgemäßen Monarchie verschmolzen werden konnten.13 Mit ihren Reforminitiativen hatten die von den Ideen des aufgeklärten Absolutismus geprägten ernestinischen Monarchen nicht nur das Bild eines um das Wohl der Untertanen besorgten Landesvaters bestätigt, sondern erschienen den aufstrebenden bürgerlichen Kräften in vielerlei Hinsicht geradezu als Geburtshelfer einer neuen Ordnung, die ständische Trennlinien einebnete und dem Bürgertum neue Entfaltungsmöglichkeiten gab. Die von ernestinischen Höfen betriebene Förderung von Hochkultur und Wissenschaften, die im „Ereignis Weimar-Jena“ um 1800 ihren Höhepunkt erreichte,14 begünstigte den kulturel10 11
12 13 14
Zur Situation und Konflikten der Jahre 1848/49 vgl. die Beiträge in Hans-Werner HAHN/Werner GREILING (Hg.), Die Revolution von 1848/49 in Thüringen. Aktionsräume, Handlungsebenen, Wirkungen, Rudolstadt 1998. Stefan GERBER, Monarch, Konstitution und Kommune. Monarchische Herrschaft und gesellschaftliche Partizipationsansprüche in den thüringischen Residenzstädten des 19. Jahrhunderts, in: Konrad SCHEURMANN/Jördis FRANKE (Hg.), Neu entdeckt: Thüringen – Land der Residenzen. (1485–1918), 2. Thüringer Landesausstellung Schloss Sondershausen, 15. Mai–3. Oktober 2004, Bd. 3, Essays, Mainz 2004, S. 445–460, hier S. 448. Die erste deutsche Verfassung und der letzte Märzminister, in: Die Gartenlaube 18 (1866), S. 284–286, hier S. 284. Hierzu ausführlich GERBER, Monarch (wie Anm. 11), S. 445–60. Vgl. hierzu die Beiträge in: Olaf BREIDBACH/Klaus MANGER/Georg SCHMIDT (Hg.), Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800, Paderborn 2015, S. 35–56.
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len, gesellschaftlichen und auch wirtschaftlichen Aufstieg neuer bürgerlicher Kräfte ebenso wie die frühen bildungspolitischen Reformen, die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert unterstützten Initiativen zur Volksaufklärung15 oder die Herstellung günstiger Rahmenbedingungen für die Entfaltung von Verlagswesen und Presse.16 Vor allem aber begannen ernestinische Monarchen im 19. Jahrhundert frühzeitig damit, auch in verfassungspolitischer Hinsicht den Wünschen des Bürgertums Rechnung zu tragen. Die bürgerlichen Verfassungsforderungen liefen darauf hinaus, dass nicht mehr allein die Monarchie der entscheidende Legitimationsgrund der staatlichen Ordnung war, sondern das Volk an der Begründung und Funktionsweise dieser Ordnung angemessen beteiligt sein musste. Angesichts der negativen Erfahrungen mit der Französischen Revolution und einer in weiten Teilen der Bevölkerung scheinbar noch fehlenden politischen Reife, stand der Großteil des deutschen Bürgertums im frühen 19. Jahrhundert einem revolutionären Weg und der vollen Durchsetzung der Volkssouveränität ablehnend gegenüber und strebte einen friedlichen Ausgleich zwischen Monarchie und Volkssouveränität an. Deutlich wird dies etwa in den Schriften und im politischen Handeln des liberalen Weimarer Buchbindermeisters Adam Henß, der die konstitutionelle Monarchie als den besten Weg ansah, um ohne revolutionäre Erschütterungen über die Verständigung zwischen Fürst und Volk zum ruhigen Fortschritt im Sinne des Bürgertums zu gelangen.17 An der Spitze des Staates sollte ein erbliches Oberhaupt stehen ausgestattet mit großer Macht, als Vater Gutes zu thun, unverantwortlich für seine Person, umgeben von verantwortlichen Ministern, über deren Tüchtigkeit, so wie über des Volkes Wünsche und Beschwerden verständigt durch dessen Angeordnete.18
In Weimar hatte der Monarch schon im frühen 19. Jahrhundert gute Voraussetzungen für einen solchen Weg geschaffen. Herzog Carl August nutzte die mit dem Rheinbundbeitritt gewonnene völkerrechtliche Souveränität nicht dazu aus, mit einem Schlage alle jetzt nicht mehr durch die Reichsverfassung geschützten Privilegien der Stände aufzuheben. Vielmehr betrieb man eine behutsamere Reformpolitik, die den Betroffenen – den ständischen Korporationen, den 15 16 17 18
Zur Volksaufklärung vgl. Alexander KRÜNES, Die Volksaufklärung in Thüringen im Vormärz (1815–1848), Köln/Weimar/Wien 2013. Grundlegend hierzu Werner GREILING, Presse und Öffentlichkeit in Thüringen. Mediale Verdichtung und kommunikative Vernetzung im 18. und 19. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2003. Zu Henß ausführlich Hans-Werner HAHN, „Selbst ist der Mann…“ Aufstieg und Wirken des Weimarer Bürgers, Buchbinders, Publizisten und Politikers Adam Henß, in: DERS./GREILING/RIES (Hg.), Bürgertum in Thüringen (wie Anm. 2), S. 281–302. Adam HENß, Das politische Glaubensbekenntnis und die Staatsbürgerlichen Ansichten eines Teutschen Bürgers und Handwerkers, Weimar 1832, S. 8.
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Landschaften, Stadträten und Patrimonialverwaltungen – weiterhin Mitsprachemöglichkeiten einräumte. Man spielte, wie der Minister von Gersdorff schrieb, die neue unbedingte Fürstenmacht nicht aus, folgte keinem übertriebenen Begriff von Souveränität, wie dies etwa die Reformpolitik in Süddeutschland kennzeichnete. Vielmehr wollte man, so Gersdorff, „im wahren Geiste der Zeit und der Deutschen ein auf Harmonie und mit den Wünschen der Besonnenheit gegründetes Gebäude, einen Tempel der deutschen Freiheit“ bauen.19 Als dann im Umfeld des Wiener Kongresses in Deutschland die Debatte über landständische Verfassungen einsetzte, beschritt Sachsen-Weimar als erster Staat im neuen Deutschen Bund den Weg in den Konstitutionalismus. Das neue Grundgesetz von 1816 eröffnete den Vertretern des Volkes neue Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Verabschiedung des Etats und der Landesgesetze. Die Abgeordneten des neuen Landtags wurden zwar noch getrennt von Rittergutsbesitzern, Städten und Bauern gewählt, aber sowohl die Wahlen als auch der Charakter des Landtags wiesen deutliche Unterschiede zur alten Ständeversammlung auf. Erstmals waren nun auch die Bauern vertreten. Das Wahlrecht wurde im Vergleich zu anderen Verfassungsstaaten recht großzügig geregelt. Zwei weitere wichtige Errungenschaften waren das festgeschriebene Recht des Bürgers auf eine dreistufige unabhängige Gerichtsbarkeit und das Bekenntnis zur Freiheit der Presse. Ungeachtet der von manchen Zeitgenossen kritisierten Defizite kann man die Bedeutung der Verfassung von Sachsen-Weimar für den angestrebten Ausgleich zwischen Monarchie und bürgerlicher Gesellschaft nicht hoch genug einschätzen. Als sich deutsche Studenten im Oktober 1817 auf der Wartburg versammelten, um ihre Enttäuschung über ausgebliebene politische Veränderungen in Deutschland Ausdruck zu verleihen, rief ihnen der Jenaer Philosoph Jakob Friedrich Fries zu: Deutsche Jünglinge! Ihr stehet auf dem freyesten Boden der Deutschen! […] Kehret wieder zu den Eurigen und sagt: Ihr waret im Lande deutscher Volksfreyheit, deutscher Gedankenfreyheit! Hier wirkten entfesselnd Volks- und Fürstenwille! Hier ist die Rede frey über jede öffentliche Angelegenheit […] Hier lasten keine stehende Truppen! Ein kleines Land zeigt Euch die Ziele! Aber alle deutschen Fürsten haben dasselbe Wort gegeben.20
In den folgenden Jahren beschritten mit den Herzogtümern Sachsen-Meiningen und Sachsen-Coburg-Saalfeld weitere ernestinische Staaten den Weg in den Verfassungsstaat. 1831 folgte das im Zuge der Erbteilung von 1826 neu entstandene Herzogtum Sachsen-Altenburg, während in Sachsen-Gotha die altständische Verfassung erst in der Revolution von 1848 ersetzt wurde. Mit den neuen Ver19 20
Zitiert nach Gerhard MÜLLER (Bearb.), Thüringische Staaten. Sachsen-Weimar-Eisenach 1806–1813, Berlin u. a. 2015, S. 22. Zitiert nach Günter STEIGER, Urburschenschaft und Wartburgfest. Aufbruch nach Deutschland, hg. u. bearb. v. Marga STEIGER, Berlin 21991, S. 69.
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fassungen, die altständische Elemente und liberale Vorstellungen zu verbinden suchten, kamen die ernestinischen Dynastien dem wachsenden bürgerlichen Partizipationsbegehren ein gutes Stück entgegen. Große Teile des Bürgertums sahen ungeachtet mancher Defizite hierin einen geeigneten Weg zu der angestrebten freieren politischen Ordnung, zumal die Verfassungspolitik und die von den ernestinischen Staaten mehrfach geforderte Reform des Deutschen Bundes21 hin zu einem festeren Zusammenschluss der deutschen Staaten in einem engen Zusammenhang gesehen werden konnten. Die frühen Verfassungen der Ernestiner und die Reformbereitschaft wichtiger Herrscher dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es zwischen monarchischer Herrschaft und bürgerlicher Gesellschaft im kleinstaatlichen Thüringen durchaus noch zahlreiche Konflikte gab. Das Grundgesetz für das Herzogtum Sachsen-Altenburg kam Anfang 1831 erst zustande, nachdem es im Herbst 1830 auch hier heftige Unruhen und massive Kritik an der überkommenen Staatsform gegeben hatte.22 Auch in Sachsen-Weimar, wo 1828 der viel konservativere Großherzog Carl Friedrich seinem Vater Carl August auf dem Thron gefolgt war, kam es Anfang der 1830er Jahren zu Unruhen und verstärkter Kritik an einem Regierungskurs, der den Interessen des Bürgertums, vor allem auch seinen Wünschen nach kommunaler Selbstverwaltung zu wenig Beachtung zukommen ließ und mehr als vor 1828 dem Repressionskurs des Deutschen Bundes Folge leistete.23 Konflikte zwischen Bürgertum und ernestinischen Monarchen ergaben sich aber ferner durch das Fortbestehen adeliger Vorrechte, die Monarchen wie Carl Friedrich von Sachsen-Weimar zu verteidigen suchten24 und aus den unterschiedlichen Auffassungen in der Domänenfrage, in der sich gerade die Thüringer Monarchen lange gegen die aus einem neuen Staatsverständnis abgeleiteten Ansprüche der Gesellschaft stellten.25 Die verfassungspolitischen Konflikte eskalierten zwar nie so stark wie etwa in Kurhessen oder Hannover und auch die Landtagsarbeit verlief in den ernestinischen 21 22 23
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Vgl. etwa die Denkschrift des sachsen-coburg-gothaischen Ministers Anton von Carlowitz vom 12. Oktober 1830, in: Ralf ZERBACK (Bearb.), Reformpläne und Repressionspolitik 1830–1834, München 2003, S. 5–16. Vgl. Ingeborg TITZ-MATUSZAK, Bernhard August von Lindenau (1779–1854). Eine politische Biographie, Weimar 2000, S. 152–155. Zu Unruhen und Unmut in Jena und Weimar vgl. Katja DEINHARDT, Stapelstadt des Wissens. Jena als Universitätsstadt zwischen 1770 und 1830, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 320–334; Sebastian HUNSTOCK, Die (groß-)herzogliche Residenzstadt Weimar um 1800. Städtische Entwicklungen im Übergang von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft (1770–1830), Jena 2011, S. 300–336. Marko KREUTZMANN, Zwischen ständischer und bürgerlicher Lebenswelt. Adel in Sachsen-Weimar-Eisenach 1770–1830, Köln/Weimar/Wien 2008, S. 338–350. Friedrich FACIUS, Politische Geschichte von 1828 bis 1945, in: Hans PATZE/Walter SCHLESINGER (Hg.), Geschichte Thüringens Bd. 5, Politische Geschichte in der Neuzeit, Teil 2, Köln/Wien 1984, S. 1–628, hier S. 39.
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Staaten in ruhigeren Bahnen als in Süddeutschland. Trotzdem gelang es dem Bürgertum schon im Vormärz, über die Landtage und die hier zur Geltung kommenden steuer- und haushaltspolitischen Rechte als politischer Akteur in Erscheinung zu treten und den Transformationsprozess von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft befördern.26 Die Vorgänge der Jahre 1848/49 zeigten freilich, dass aus Sicht des Bürgertums noch großer Reformbedarf bestand. Obwohl in Teilen Thüringens die auf rasche und umfassende Veränderungen drängenden Demokraten große Unterstützung in der Bevölkerung fanden und obwohl im Herzogtum SachsenAltenburg der konservative Herzog Joseph nach heftigen Unruhen zugunsten seines flexibleren Bruders abdanken musste, setzten sich am Ende in den Staatsführungen wie im Bürgertum jene Kräfte durch, die um eine Deeskalation bemüht waren.27 Umfassende Reformmaßnahmen in Verwaltung, Justiz, Wirtschaft und auf Gemeindeebene sowie eine behutsame Umsetzung der vom Deutschen Bund 1851 erlassenen Reaktionsgesetze trugen dazu bei, dass das Bürgertum in den ernestinischen Staaten Thüringens auch nach der Revolution von 1848/49 die monarchische Herrschaft nicht als Entwicklungsblockade ansah. Vielmehr wollte das mehrheitlich gemäßigt liberale Bürgertum mit aufgeschlossenen Monarchen wie Carl Alexander von Sachsen-Weimar und Ministern wie Bernhard von Watzdorff die notwendigen Veränderungen in Staat und Gesellschaft auf reformerischen Weg voranbringen.28 Auch wenn es dazu aus der Sicht des Bürgertums neuer gesamtdeutscher Regelungen bedurfte, stand man daher auch in den 1850er und 60er Jahren den ernestinischen Dynastien loyal gegenüber. Dies war auch im Deutschen Kaiserreich zunächst noch der Fall, obwohl im Unterschied zu England und Belgien die kleinstaatlichen Dynastien der Ernestiner bis 1918 alle Bestrebungen nach einer Parlamentarisierung des politischen Systems erfolgreich abblockten und im Konflikt zwischen Herrschaft und Parlament stets die stärkere Position einnahmen. Damit folgte man zwar der in Deutschland üblichen Staatsform. Beim Blick auf das Herzogtum SachsenMeiningen und die fast fünfzigjährige Regentschaft von Georg II. wird aber 26 27 28
Hierzu am Beispiel des Weimarer Landtags Henning KÄSTNER, Der Weimarer Landtag 1817–1848. Kleinstaatlicher Parlamentarismus zwischen Tradition und Wandel, Düsseldorf 2014, S. 265–375. Ausführlich zum Revolutionsgeschehen HAHN/GREILING (Hg.), Die Revolution von 1848/49 (wie Anm. 10). Zur Entwicklung in Sachsen-Weimar vgl. Hermann SCHREYER, Verfassung und Landtag in Sachsen-Weimar-Eisenach im 19. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung des Landtages in der Präsidentschaft von Hugo Fries (1865–1889), in: Kleinstaatliche Politik im nationalen Horizont. Weimarer Parlamentarismus und Thüringer Parlamentarier im Übergang vom Deutschen Bund zum Deutschen Reich, hg. vom Thüringer Landtag, Rudolstadt 2001, S. 9–128.
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deutlich, wo die Besonderheiten der verfassungspolitischen Liberalität ernestinischer Monarchen lagen. Sachsen-Meiningen erwies sich als ein Musterbeispiel für ein konstitutionelles System, das von den Grundprinzipien her auf konsensuales Handeln von Parlament und Regent angelegt war und nur funktionieren konnte, wenn beide Partner tolerant blieben und die Kunst des Kompromisses beherrschten.29
In anderen ernestinischen Staaten stieß die relative Liberalität, die das politische System so lange ausgezeichnet und gesellschaftliche Konflikte gedämpft hatte, um 1900 an ihre Grenzen. Als sich die in Thüringen früh aufkommende Arbeiterbewegung immer stärker entwickelte, kam es zu einer Abschottungspolitik, die sowohl von den neuen, viel konservativer ausgerichteten Monarchen als auch von vielen Vertretern des Bürgertums getragen wurde. Durch neue restriktive Wahlrechtsbestimmungen versuchte man den eigenen Einfluss gegenüber nachdrängenden gesellschaftlichen Kräften zu bewahren.30 Die Verfassungspolitik war somit lange Zeit ein wichtiges Mittel gewesen, um die Existenzberechtigung der kleinen ernestinischen Monarchien auch im neuen, zunehmend bürgerlich geprägten Zeitalter zu untermauern. Dennoch mussten die Ernestiner auch auf anderen Feldern beweisen, dass ihre Kleinstaaten in einem von großen Veränderungen bestimmten Jahrhundert den Aufgaben einer neuen Zeit gerecht wurden. Dies betraf nicht zuletzt das Feld der Wirtschaft. Die Legitimation von Herrschaft hing im 19. Jahrhundert auch immer stärker davon ab, inwieweit es den Regierenden gelang, wirtschaftliche Wachstumsprozesse in Gang zu setzen und den damit verbundenen sozialen Wandel steuernd zu begleiten. Kleine Staaten wie die der Ernestiner standen hier vor besonderen Herausforderungen und sahen sich rasch dem Vorwurf wirtschaftspolitischer Handlungsunfähigkeit ausgesetzt. Als der württembergische Liberale Paul Pfizer 1832 die Herstellung eines deutschen Einheitsstaates forderte, da begründete er dies unter anderem mit dem wirtschaftlichen und sozialen Elend, „welches eine unselige Zerstückelung über Deutschland gebracht“ habe.31 Und der nationalliberale Reichstagsabgeordnete und Publizist Karl Braun schrieb einige Jahrzehnte später zu dem aus seiner Sicht unvermeidbaren Schicksal des Kleinstaats:
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Gerhard MÜLLER, Verfassung und politische Kultur im Frühkonstitutionalismus. Das Beispiel Sachsen-Meiningen, in: Maren GOLTZ/Werner GREILING/Johannes MÖTSCH (Hg.), Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen (1826–1914). Kultur als Behauptungsstrategie, Köln/Weimar/Wien 2015, S. 103–110, hier S. 107 Zu den Entwicklungen um 1900 ausführlich Ulrich HEß, Geschichte Thüringens 1866 bis 1914. Aus dem Nachlass hg. v. Volker WAHL, Weimar 1991, S. 426–507. Paul Achatius PFIZER, Briefwechsel zweier Deutschen, neu hg. v. Georg KÜNTZEL, Berlin 1911, S. 267.
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Seine Ohnmacht wurde darin offenbar, als der moderne Verkehr Anstalten erforderte, die innerhalb der künstlichen Schranken bunter Vielherrschaft nicht errichtet werden konnten. Dampfmaschinen, Eisenbahnen und Telegraphen haben, weil sie Blick und Willen für große Beziehungen des Staatslebens erfordern, die meisten unserer Kleinstaaten in nicht geringerem Maße zerstört, wie die geräuschvollen Vorgänge, die man sonst unter dem Begriff großer geschichtlicher Aktionen begreift.32
Auch die buntscheckige staatliche Landschaft Thüringens erschien im 19. Jahrhundert nicht wenigen als Hindernis auf dem Weg zu einer leistungsfähigen deutschen Volkswirtschaft, die allein einer rasch wachsenden Bevölkerung das notwendige Auskommen sichern konnte. Blickt man aber genauer hin, so ergibt sich ein differenzierteres Bild.33 Die neuere Industrialisierungsforschung fragt nicht mehr nur danach, wie die so genannte „Kleinstaaterei“ die Entfaltung neuer wirtschaftlicher Kräfte gehemmt habe, sondern wirft umgekehrt die Frage auf, ob nicht die für Deutschland typischen dezentralen Strukturen „in der gegebenen Lage der aufholenden Industrialisierung eher förderlich“ gewesen seien.34 Zwar konnten von einem kleinen Staat mit geringen finanziellen Ressourcen und einem kleinen Hof des Herrschers nur begrenzte Nachfrageeffekte ausgehen, die die gewerbliche Wirtschaft stimulierten. Es fehlten auch die staatlichen Mittel, um große Infrastrukturprojekte voranzubringen oder attraktive höhere Gewerbeschulen einzurichten, wie dies etwa die Königreiche Preußen und Sachsen taten. Erfolgreiche Industrialisierungsprozesse waren jedoch ohnehin keine staatlichen Veranstaltungen.35 Wichtig waren vor allem geeignete staatliche Rahmenbedingungen, zu denen etwa auch der Bildungsgrad der Bevölkerung gehörte. Hier hatten die ernestinischen Staaten lange vor dem 19. Jahrhundert Vorbildliches geleistet, was auch vom Bürgertum Thüringens immer wieder hervorgehoben wurde.
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Karl BRAUN, Verkehrte Verkehrspolitik, in: DERS., Bilder aus der deutschen Kleinstaaterei, Bd. 5, Hannover 1881, S. 71–89, hier S. 89. Vgl. hierzu Jürgen JOHN, Die Thüringer Kleinstaaten – Entwicklungs- oder Beharrungsfaktoren?, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 132 (1996) S. 91–143; Hans-Werner HAHN, Fortschrittshindernis oder Motor des Wandels? Die thüringische Kleinstaatenwelt im 19. Jahrhundert, in: Vom Königreich der Thüringer zum Freistaat Thüringen, hg. vom Thüringer Landtag und der Historischen Kommission für Thüringen, Erfurt 1999, S. 69– 92. Eckhard SCHREMMER, Föderativer Staatsverbund, öffentliche Finanzen und Industrialisierung in Deutschland, in: Hubert KIESEWETTER/Rainer FREMDLING (Hg.), Staat, Region und Industrialisierung, Ostfildern 1985, S. 3–66, hier S. 23. Zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft im Industrialisierungsprozess vgl. Wolfram FISCHER, Das Verhältnis von Staat und Wirtschaft in Deutschland am Beginn der Industrialisierung, in: DERS., Wirtschaft und Gesellschaft im Zeitalter der Industrialisierung, Göttingen 1972, S. 60–74, Rudolf BOCH, Staat und Wirtschaft im 19. Jahrhundert, München 2004.
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Die handels- und verkehrspolitischen Nachteile kleinstaatlicher Zersplitterung konnten wiederum durch die Kooperation mit den Nachbarstaaten ausgeglichen werden. In den Jahren nach 1815 fiel es den kleinen thüringischen Staaten aber schwer, die entsprechenden Strukturen aufzubauen. Die Kleinstaaten litten unter der zunächst wachsenden zollpolitischen Abschottung der deutschen Staaten, vor allem unter dem 1818 von Preußen eingeführten Zollgesetz. Als wichtige Vertreter des aufstrebenden Wirtschaftsbürgertums, allen voran der Gothaer Versicherungspionier Ernst Wilhelm Arnoldi, eine gemeinsame Handels- und Verkehrspolitik des Deutschen Bundes anmahnten, setzten sich die Thüringer Kleinstaaten in der Bundesversammlung entschlossen für dieses Ziel ein. Es dauerte zwar bis 1834, bis mit dem von Preußen geführten Deutschen Zollverein ein handelspolitischer Zustand erreicht war, der den wichtigsten wirtschaftspolitischen Wünschen des Thüringer Bürgertums entsprach.36 Die Gründung des Zollvereins und die folgende Verständigung über gemeinsame Eisenbahnlinien zeigten aber, dass die aus kleinstaatlichen Strukturen erwachsenen Probleme durch einen kooperativen Föderalismus gelöst werden konnten. Auch der um 1870 vergleichsweise hohe Industrialisierungsgrad der thüringischen Kleinstaaten unterstreicht, dass diese in wirtschaftlicher Hinsicht keineswegs nur reine Beharrungsfaktoren waren. In vielen Fällen besaß das aufstrebende Wirtschaftsbürgertum der ernestinischen Staaten in den ersten Jahrzehnten der Industrialisierung somit durchaus den für sein Fortkommen notwendigen Entfaltungsspielraum. Dies zeigen die Erfolgsgeschichten von Unternehmern wie Arnoldi in Gotha oder Carl Zeiß in Jena.37 Erst als im Zuge der Hochindustrialisierung um 1900 auf vielen Feldern ein neuer Regelungsbedarf entstand, dem die kleinen Staaten mit ihren komplizierten Grenzverhältnissen etwa bei der Energieversorgung nicht mehr gewachsen schienen, dachte man im Thüringer Bürgertum verstärkt über Veränderungen der kleinstaatlichen Verhältnisse nach, die auf gemeinschaftliche Verwaltungsstrukturen hinausliefen. Der wirtschaftliche Wandel führte im 19. Jahrhundert aber keineswegs dazu, dass die Bindungen zwischen den aufstrebenden bürgerlichen Kräfte und den kleinstaatlichen Monarchen erodierten. Auch wenn die Herrscher ihr Hauptinteresse nicht auf die neuen industriellen Wirtschaftsformen richteten oder sich 36
37
Vgl. hierzu Hans-Werner HAHN, Geschichte des Deutschen Zollvereins, Göttingen 1984. Zu Thüringen: DERS., Thüringischer Zollverein und regionale Wirtschaftsinteressen: Erfurt als Zentralort einer neuen thüringischen Wirtschaftspolitik 1834–1848/49, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 60, NF 7 (1999), S. 75–87. Ein Überblick über die Entwicklung bietet Wolfgang MÜHLFRIEDEL, Die Industrialisierung in Thüringen. Grundzüge der gewerblichen Entwicklung in Thüringen von 1800 bis 1945, Erfurt 2001; Falk BURKHARDT, Gewerbe, Industrie und Industrialisierung in den thüringischen Residenzen, in: SCHEURMANN/FRANK, Neu entdeckt (wie Anm. 11) S. 425–444.
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sogar an industriellen Emissionen in ihrer Residenz störten, so erkannte man doch, dass der Siegeszug der industriellen Welt nicht aufzuhalten war und auch für die Festigung der eigenen Position genutzt werden konnte. Monarchen wie Georg II. von Sachsen-Meiningen erwiesen daher den neuen Wirtschaftsformen auf Gewerbeausstellungen, durch Ordensverleihungen an Industrielle oder die Förderung des gewerblichen Schulwesens ihre Referenz.38 Die mit der Industrialisierung verbundenen gesellschaftlichen Entwicklungen erzeugten nicht nur Spannungen zwischen der ständischen Welt des Adels und der bürgerlichen Gesellschaft. Einerseits kamen im Adel und auch unter den herrschenden Dynastien Ängste auf, dass die neue, die eigene gesellschaftliche Rolle auch immer selbstbewusster hervorhebende bürgerliche Elite die Stellung des Adels deutlich schwächen würde. Andererseits führten die mit dem Aufkommen neuer Gewerbestrukturen verbundenen sozialen Probleme aber auch wieder zur Kooperation zwischen Dynastie und bürgerlicher Gesellschaft. Als infolge des starken Bevölkerungswachstums und des wirtschaftlichen Strukturwandels in der ersten Jahrhunderthälfte auch in Thüringen der Pauperismus stark zunahm, konnte man diesem Massenelend mit traditionellen Formen patriarchalischer Fürsorge nicht mehr begegnen. Herrscher wie Bürgertum waren daher bestrebt, durch neue Ansätze in der Armenpolitik gemeinsam den Ausbruch unkontrollierbarer Sozialproteste zu verhindern. Zu diesen karitativen Ansätzen zählte nicht zuletzt das Patriotische Institut der Frauenvereine, das von der späteren Großherzogin Maria Pawlowna gegründet worden war, aber seine Wirkungen ganz wesentlich durch die Arbeit bürgerlicher Frauen und Männer erzielte.39 Diese armenpolitischen Ansätze reichten freilich im Vormärz und in der Revolution von 1848 nicht mehr aus, um soziale Unruhen zu verhindern. Während das Bürgertum in der ersten Jahrhunderthälfte noch darauf gehofft hatte, die unteren Schichten durch Bildung und Arbeitsmöglichkeiten schrittweise in die neue bürgerliche Gesellschaft zu integrieren, musste es nach 1850 zunehmend erkennen, dass die heraufziehende Industriegesellschaft die sozialen Verwerfungen nicht abbaute, sondern neue Formen sozialer Ungleichheit hervorbrachte. Thüringen wurde in den 1860er Jahren zu einem wichtigen Formierungsraum der frühen Arbeiterbewegung. Die Sozialdemokratie entwickelte sich in der Zeit des Deutschen Kaiserreichs gerade in Thüringen zu einem großen Konkurrenten des bürgerlichen Liberalismus, der in dieser Situation von früheren linksliberalen Positionen zunehmend abrückte und auch in der kleinstaatlichen Monarchie eine wichtige Stütze im Kampf gegen die Sozial38 39
Vgl. Hans-Werner HAHN, Industrialisierung und gesellschaftlicher Wandel im Herzogtum Sachsen-Meiningen, in: GOLTZ/GREILING/MÖTSCH, Herzog Georg II. (wie Anm. 29), S. 173–186. Vgl. Detlef JENA, Maria Pawlowna. Großherzogin an Weimars Musenhof, Graz u. a. 1999, S. 257–271.
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demokratie sah. Unter den um 1900 auf die Throne gelangenden ernestinischen Herrschern fand man dabei wichtige Unterstützung.40 Eine liberalere Haltung nahm dagegen der von 1866 bis 1914 regierende Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen ein, der 1887 sogar gegen die Verlängerung des Sozialistengesetzes gestimmt hatte. Das Beispiel Georg II. verweist im Übrigen auf einen weiteren wichtigen Faktor im Verhältnis von Monarchie und Bürgertum: das große Feld der Kultur. Die kulturellen Leistungen der kleinen ernestinischen Staaten waren ein wichtiges Element, das seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert die monarchische Herrschaft nach innen wie nach außen stabilisieren sollte.41 Es stärkte nicht zuletzt im Bürgertum die Akzeptanz solcher Kleinstaaten. Für das Bürgertum der Residenzstädte waren die kulturellen und wissenschaftlichen Aktivitäten der Höfe ein Wirtschaftsfaktor, vor allem aber eröffneten sie den bürgerlichen Kräften zahlreiche Entfaltungsmöglichkeiten. Auch wenn der Höhepunkt dieser Entwicklungen mit dem spätestens durch Goethes Tod endenden „Ereignis Weimar-Jena“ überschritten war42, so blieb die Kultur ein Bereich, mit dem sich die ernestinischen Staaten von anderen deutschen Kleinstaaten deutlich abhoben und in dem sich bis zum Ende der Monarchie eine Fülle von Verbindungen zwischen Vertretern der Dynastie und bürgerlichen Kräften ergaben. Verwiesen sei auf das „Silberne Zeitalter“, mit dem die vielfältigen kulturellen Aktivitäten des von 1853 bis 1901 regierenden Weimarer Großherzogs Carl Alexander43 umschrieben worden sind, auf den Meininger „Theaterherzog“ Georg II.44 oder die Beziehungen zwischen Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha und dem Schriftsteller Gustav Freytag.45 In welchem Maße Vertreter des Bürgertums in diese kulturellen Aktivitäten der Höfe eingebunden waren, zeigt sich am Beispiel des Arztes und Unternehmers Ludwig Friedrich Froriep, der Großherzogin Maria Pawlowna bei der Pflege des Klassik-Erbes beriet.46 Enge Kontakte bestanden auch zwischen Monarchen und Wissenschaftlern der Universität Jena. Historiker stellten sich hier in den Dienst einer Ge40 41 42 43 44 45 46
Ausführlich zu diesen Prozessen HEß, Geschichte Thüringens (wie Anm. 30), S. 426–507. Klaus RIES, Kultur als Politik. Das „Ereignis Weimar-Jena“ und die Möglichkeiten und Grenzen der „Neuen Kulturgeschichte des Politischen“, in: Historische Zeitschrift 285 (2007), S. 303–355. Olaf BREIDBACH (Hg.), Vom Ende des Ereignisses, München 2011. Lothar EHRLICH/Justus H. ULBRICHT (Hg.), Carl Alexander von Sachsen-WeimarEisenach. Erbe, Mäzen und Politiker, Köln 2004. Vgl. die Beiträge in: GOLTZ/GREILING/MÖTSCH, Herzog Georg II. (wie Anm. 29) sowie Erck/Schneider und Schröter in diesem Band. Hans-Werner HAHN/Dirk OSCHMANN (Hg.), Gustav Freytag 1816–1895. Literat – Publizist – Historiker, Köln/Weimar/Wien 2016. Wiebke von HÄFEN, Ludwig Friedrich Froriep (1779–1847). Ein Weimarer Verleger zwischen Ämtern, Geschäften und Politik, Köln 2007, S. 295–302.
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schichtspolitik, in der die Entwicklung der ernestinischen Dynastie geschickt mit den neuen national-liberalen Sichtweisen und Erwartungen des Bürgertums verknüpft wurde, um in den Debatten über die politische Zukunft Deutschlands die Existenzberechtigung der Kleinstaaten zu untermauern.47 Der Verweis auf die Verdienste um Reformation und Hochkultur oder die Hinweise auf die umfassende innere Reformtätigkeit reichten freilich im 19. Jahrhundert allein nicht mehr aus, um die kleinstaatliche Existenz in einer gänzlich veränderten Staatenwelt und gegenüber der neuen bürgerlichen Gesellschaft dauerhaft zu sichern. Die ernestinischen Häuser standen seit Beginn des 19. Jahrhunderts vor einer deutlich schwierigeren Situation als im untergegangenen Alten Reich. Der Fortfall des Alten Reiches mit seinen Schutzfunktionen traf sie viel härter als die großen und inzwischen territorial arrondierten süddeutschen Mittelstaaten. Die thüringischen Kleinstaaten hatten zwar die große Flurbereinigung der napoleonischen Ära überlebt, und ihre Fürsten waren nun sogar Herrscher über formell souveräne Staaten geworden. Trotz der Gebietsgewinne, die Sachsen-Weimar auf dem Wiener Kongress mit der Rangerhöhung zum Großherzogtum erreichen konnte,48 verfügten die ernestinischen Staaten im neu geschaffenen Deutschen Bund aber über ein geringeres Machtpotential als früher. Dynastien, die in der Rangordnung des Alten Reiches noch hinter den Ernestinern gestanden hatten,49 rangierten aufgrund ihres beachtlichen Gebiets- und Prestigegewinns jetzt vor ihnen.50 Darüber hinaus waren die ernestinischen Staaten nun von mächtiger gewordenen Nachbarn wie Preußen und Bayern umgeben. Vor allem aber wurden die kleinstaatlichen Strukturen von einer lauter werdenden öffentlichen Meinung im 19. Jahrhundert zunehmend kritisch hinterfragt. Der Kleinstaat, so argumentierte ein Teil der neuen, gerade auch in Thüringen frühzeitig hervortretenden Nationalbewegung, sei den großen Aufgaben des neuen Jahrhunderts eigentlich nicht mehr gewachsen.51 Die großen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Aufgaben der Zukunft waren aus der Sicht des 47
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Vgl. hierzu den Beitrag von Stefan GERBER in diesem Band. Ferner zum Mythos der nationalen Bedeutung der Universität Jena: Joachim BAUER, Universitätsgeschichte und Mythos. Erinnerung, Selbstvergewisserung und Selbstverständnis Jenaer Akademiker 1548–1858, Stuttgart 2012, S. 361–446. Hans-Werner HAHN, Innenpolitische Reformen und deutschlandpolitische Initiativen: Die Erhebung Sachsen-Weimar-Eisenachs zum Großherzogtum 1815, in: Zeitschrift für Thüringische Geschichte 69 (2015), S. 219–232. Stefanie FREYER, Der Weimarer Hof um 1800. Eine Sozialgeschichte jenseits des Mythos, München 2013, S. 85–126. Zur Rangordnung im Deutschen Bund vgl. Ernst Rudolf HUBER, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. I: Reform und Restauration 1789 bis 1830, Stuttgart 21967, S. 583–585. Vgl. Theodor SCHIEDER, Partikularismus und nationales Bewusstsein im Denken des Vormärz, in: Werner CONZE (Hg.): Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815– 1848, Stuttgart 21970, S. 9–38.
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aufstrebenden Bürgertums nur durch einen engeren politischen Zusammenschluss der deutschen Staaten, also durch einen inneren Ausbau des 1815 entstandenen Deutschen Bundes zu einem echten Bundesstaat, zu bewältigen. Die ernestinischen Dynastien mussten somit ihre Existenz nicht nur innerhalb der deutschen Staatenwelt sichern, sondern auch gegenüber der an Bedeutung gewinnenden öffentlichen Meinung rechtfertigen. Ihr Verhältnis zur bürgerlichen Gesellschaft hing nicht zuletzt auch davon ab, inwieweit man auf die neue nationale Frage reagierte und dem Bürgertum Lösungen anbieten konnte, die sowohl den gesamtdeutschen Erfordernissen als auch den spezifischen Interessen der kleinen Staaten gerecht werden konnten. Während Bayern und Württemberg ihre gewonnene Souveränität entschieden verteidigten, erkannten die ernestinischen Staaten sehr schnell, wie prekär die eigene souveräne Stellung war und wie sehr man im Eigeninteresse eigentlich auf einen festeren Zusammenschluss der deutschen Staaten hinarbeiten musste. Dies wurde schon auf dem Wiener Kongress deutlich. Die Kleinstaaten brauchten aus Gründen der äußeren und inneren Sicherheit, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen einen festeren Zusammenschluss der deutschen Staaten. Sie erwiesen sich deshalb nicht als Hindernis auf dem Weg zu einem Ausbau des Deutschen Bundes, sondern ergriffen in der frühen Zollpolitik oder mit der Forderung nach einem obersten Bundesgericht mehrfach eigene deutschlandpolitische Initiativen. Zudem hatte Großherzog Carl August von Sachsen-Weimar schon 1815 auch symbolpolitisch ein entsprechendes Zeichen gesetzt. Er erneuerte den Weimarer Hausorden zum weißen Falken und passte ihn zugleich den „veränderten Zeitverhältnissen“ an. Auch Bürgerliche konnten nun zu Ordensmitgliedern ernannt werden, und alle Ordensmitglieder wurden zur Treue gegenüber dem gemeinsamen deutschen Vaterland und seiner jeweiligen „höchsten Nationalbehörde“ verpflichtet. Sie sollten dahin wirken, dass vaterländische Gesinnung, dass Teutsche Art und Kunst, Vervollkommnung der gesellschaftlichen Einrichtungen in Gesetzgebung, Verwaltung, Staats-Verfassung und Rechtspflege sich immer weiter entwickle, und dass auf eine gründliche und des Ernsts des Teutschen National-Charakters würdige Weise sich Licht und Wahrheit verbreiten.52
Diese Grundhaltung erwies sich im Hinblick auf das Verhältnis von Dynastie und bürgerlicher Gesellschaft als höchst nützlich. Im mitteldeutschen Raum hatte die frühe Nationalbewegung stärker Fuß gefasst als in vielen nord-, west- und süddeutschen Teilen des Deutschen Bundes. Dies wurde in den frühen Nationalfesten des Jahres 1814, den Friedensfesten nach der Schlacht 52
Statuten des Großherzoglich Sachsen-Weimarischen erneuerten Ritter-Ordens der Wachsamkeit oder vom weißen Falken, Weimar 1815, 6 f. Ausführlich hierzu Henning KÄSTNER, Der Weimarer Falkenorden und die Inszenierung des frühkonstitutionellen Staates, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 63 (2009), S. 213–235.
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von Waterloo und vor allem dem Wartburgfest von 1817 deutlich.53 Dabei vertrat das Bürgertum der Kleinstaaten überwiegend die Vorstellung einer „föderativen Nation“,54 einer Ordnung also, die den gesamtdeutschen Erfordernissen etwa auf dem Felde der Wirtschaft oder der äußeren Sicherheit nachkam, zugleich aber die Einzelstaaten nicht nur bestehen ließ, sondern auch gewisse Eigenheiten respektierte. Im Revolutionsjahr 1848 traten in der Frankfurter Nationalversammlung, aber auch in Thüringen selbst bürgerliche Vertreter auf, die einer Mediatisierung der Kleinstaaten das Wort redeten.55 Der aus Gotha stammende Paulskirchenabgeordnete Friedrich Gottlieb Becker sprach aber wohl für die Mehrheit des Bürgertums in den ernestinischen Staaten, als er in den Mediatisierungsdebatten der deutschen Nationalversammlung die Existenzberechtigung als so lange gegeben sah, wie die Bevölkerung hinter ihrem jeweiligen Staat stand. Bei vielen, so führte Becker aus, sei es zur fixen Idee geworden, ein sogenanntes politisches Leben, welches jetzt für das höchste Gut der Menschheit ausgegeben wird, könne nur in unmittelbar großartigen Verhältnissen sich entwickeln. Und doch wissen die Leute recht gut, dass der sicherste Grund alles politischen Lebens gerade nur in einem engeren Kreise des Gemeinlebens gelegt und gefunden werden kann. Nie die Größe des Verhältnisses bildet den besseren Staatsbürger, sondern die klare Erkenntniß seiner Nächstenpflicht und die sittliche Kraft ihrer Übung.56
Gerade hier, so fuhr Becker fort, könne der Große von dem Kleinen oft Manches lernen, denn an der geforderten Bildung und Veredelung des Bürgers hatten gerade die ernestinischen Monarchien aus der Sicht Beckers einen entscheidenden Anteil.57 Auch die Bejahung der preußisch-kleindeutschen Unionspolitik in den Jahren 1849/50 zeigte, dass die ernestinischen Monarchien und das Thüringer Bür53 54 55 56
57
Vgl. hierzu Klaus RIES, Wort und Tat. Das politische Professorentum der Universität Jena im frühen 19. Jahrhundert, Stuttgart 2007. Vgl. hierzu vor allem Dieter LANGEWIESCHE, Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000. Zu diesen Debatten vgl. Stefan GERBER, Universitätsverwaltung und Wissenschaftsorganisation im 19. Jahrhundert. Der Jenaer Pädagoge und Universitätskurator Moritz Seebeck, Köln 2004, S. 153–179. Reden für die deutsche Nation. Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen Constituirenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main. Vollständige Ausgabe in 9 Bänden, Bd. 5, hg. auf Beschluß der Nationalversammlung durch die Redactions-Commission und in deren Auftrag von Professor Franz WIGARD. Frankfurt am Main 1848/1849. Neu vorgelegt und mit einer Einführung versehen von Christoph STOLL, München 1988, S. 3828. Zu Beckers Rolle 1848/49 vgl. Gunther HILDEBRANDT/Ulf PILLAT, Friedrich Gottlieb Becker – ein Gothaer in der Frankfurter Paulskirche 1848/49, Weimar 2013.
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gertum bei den Bestrebungen, einen festeren politischen Zusammenschluss Deutschlands zu erreichen, ähnliche bundesstaatliche Konzepte verfolgten.58 Sieht man von dem Sonderfall Sachsen-Meiningen einmal ab, wo Herzog Bernhard II. einen preußisch geführten kleindeutschen Bundesstaat ablehnte, so kann man auch in Bezug auf die so genannte Reichsgründungszeit festhalten, dass die Politik der ernestinischen Monarchen in der deutschen Frage maßgeblich dazu beitrug, das Konfliktpotential zwischen Dynastie und den zu mehr Einheit drängenden bürgerlichen Kräften zu entschärfen. Monarchen wie Carl Alexander von Sachsen-Weimar und Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha eröffneten der Nationalbewegung wichtige Freiräume, Ernst II. unterstützte sie sogar direkt. Eisenach, Gotha und Coburg fungierten zwischen 1817 und 1866 immer wieder als Versammlungsorte der vom Thüringer Bürgertum stark unterstützten deutschen Nationalbewegung.59 Schon aus diesem Grunde waren die ernestinischen Dynastien von der Kleinstaatenkritik des 19. Jahrhunderts weit weniger betroffen als etwa das Herzogtum Nassau, wo große Teile des Bürgertums aus Enttäuschung über die Deutschlandpolitik des Herzogs der eigenen Dynastie schon vor 1866 das Vertrauen entzogen hatten. Nach der Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 bestimmte zwar die Reichspolitik auch in den ernestinischen Staaten immer mehr das politische Geschehen. Dies schlug sich auch in den Orientierungen des Bürgertums immer stärker nieder, das auch in den ernestinischen Staaten den Reichsgründer Bismarck mit zahlreichen Denkmälern, Türmen und Ehrenbürgerschaften ehrte.60 Dennoch zeigte sich bis 1914 bei Thronjubiläen, Geburtstagen oder Trauerfeierlichkeiten für verstorbene Monarchen, dass ungeachtet aller nationalen Loyalitäten im Bürgertum der ernestinischen Staaten noch enge Bindungen an die einzelnen Dynastien bestanden. Dies hing zum einen mit der Art und Weise zusammen, wie die ernestinischen Monarchen im 19. Jahrhundert den politischen und gesellschaftlichen Wandel begleitet und der bürgerlichen Gesellschaft Bahn gebrochen hatten. Zum anderen war es das große Feld der Kultur, auf dem sich ernestinische Monarchen bis zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert aus der Sicht des Bürgertums große Verdienste erworben und den kleinen Staaten damit eine nationale und internationale Reputation verschafft hatten, von der auch das regionale Bürgertum profitierte. 58 59 60
Vgl. hierzu Hans-Werner HAHN, „Daß aber der Bundesstaat gegründet werden muß…“. Die thüringischen Staaten und die Erfurter Union, in: Gunther MAI (Hg.), Die Erfurter Union und das Erfurter Unionsparlament 1850, Köln 2000, S. 245–270. Vgl. hierzu Andreas BIEFANG, Thüringen und die nationale Verfassungsbewegung in Deutschland 1850–1866/70, in: HAHN/GREILING (Hg.), Die Revolution von 1848/49 (wie Anm. 10), S. 631–650. Hierzu ausführlich: Werner GREILING/Hans-Werner HAHN (Hg.), Bismarck in Thüringen. Politik und Erinnerungskultur in kleinstaatlicher Perspektive, Weimar 2003.
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Im Laufe des 19. Jahrhunderts hatten sich zwar auch hier die Voraussetzungen geändert. Viele Bürgerliche lobten die Rolle der Höfe als Geburtshelfer einer neuen bürgerlichen Kultur, verwiesen aber spätestens in der Mitte des 19. Jahrhunderts darauf, dass die bürgerliche Gesellschaft reif genug geworden sei, um auch hier wie in der Wirtschaft die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Bürgerliches Mäzenatentum in Kunst und Musik oder auch in der Wissenschaft drängte die Bedeutung, die Monarchen auf jenen Feldern besaßen, allmählich zurück. Dies zeigte sich etwa in der Finanzierung der Universität Jena durch Mittel der Carl-Zeiß-Stiftung. Dennoch blieben Monarchen wie Carl Alexander und Georg II. in diesem Bereich auch um 1900 noch wichtige Akteure. Der Blick auf die ernestinischen Dynastien des 19. Jahrhunderts zeigt, dass die Beziehungen zwischen monarchischer Welt und aufstrebendem Bürgertum weniger von der Konfrontation und mehr von der Suche nach Kompromissen geprägt war. In England und Belgien gelang es den Ernestinern mit dieser Politik, die Monarchie dauerhaft zu etablieren. Aber auch in den ernestinischen Staaten Deutschlands akzeptierte der Großteil des Bürgertums bis zum Ersten Weltkrieg die monarchische Herrschaft, weil sie frühzeitig die Notwendigkeit eines Ausgleichs mit den Interessen des Bürgertums erkannt und damit die Entfaltung der neuen bürgerlichen Welt nicht blockiert, sondern sogar eher gefördert hatte.
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„Eine neue Aristokratie an die Stelle der alten […]!“ Neukonzeptionen von Adel und Aristokratie in den ernestinischen Staaten zwischen Aufklärung und Hochmoderne I.
Politisch-soziale Umbrüche und monarchische Legitimität im 19. Jahrhundert
Die Ernestiner hatten die großen politisch-sozialen Umbrüche an der Wende zur Moderne um 1800 unbeschadet überstanden. Den Mediatisierungen während der Auflösung des Alten Reiches bis 1806 und der dann folgenden Herrschaft Napoleons waren sie nicht zum Opfer gefallen.1 Auch auf dem nach den Befreiungskriegen zusammengetretenen Wiener Kongress von 1814/15, auf dem die Landkarte Europas neu geordnet wurde, hatten die Ernestiner für ihre politische Existenz nichts zu befürchten. Sachsen-Weimar-Eisenach erreichte vielmehr sogar die Rangerhöhung zum Großherzogtum und eine bedeutende Vergrößerung seines Gebietes und seiner Bevölkerung.2 Trotz der Sicherung ihrer politischen Existenz war die monarchische Herrschaft der Ernestiner im 19. Jahrhundert grundlegenden neuen Herausforderungen ausgesetzt. Viele Repräsentanten der bürgerlich-liberalen Nationalbewegung sahen die fürstlichen Kleinstaaten als Hindernisse auf dem Weg zur nationalen Einheit. Die radikaldemokratische und die sozialistische Bewegung forderten gar die Abschaffung der Monarchie. Die Monarchie geriet somit immer mehr in die Defensive.3 Inzwischen hat die Forschung jedoch jene Anpassungsstrategien herausgearbeitet, mit denen sich die Monarchien und damit auch die regierenden
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Vgl. zur Epoche: Hans-Werner HAHN/Helmut BERDING, Reformen, Restauration und Revolution 1806–1848/49, Stuttgart 2010; Andreas FAHRMEIR, Revolutionen und Reformen. Europa 1789–1850, München 2010. Vgl. Hans TÜMMLER, Die Zeit Carl Augusts von Weimar, in: Hans PATZE/Walter SCHLESINGER (Hg.), Geschichte Thüringens, Bd. 5: Politische Geschichte in der Neuzeit, Teil 1, 2. Teilband, Köln 1984, S. 615–779, hier S. 615–672. Vgl. Hans-Werner HAHN, Die Thüringische Residenzenlandschaft im Spannungsfeld von Adels- und Bürgerkultur, in: „Ihre Kaiserliche Hoheit“. Maria Pawlowna. Zarentochter am Weimarer Hof. Katalog und CD-R zur Ausstellung im Weimarer Schlossmuseum,. hg. v. der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen, München/Berlin 2004, S. 389–397.
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Dynastien bis zum Ende des Ersten Weltkrieges an der Spitze der politischen und gesellschaftlichen Ordnung zu halten vermochten.4 Und gerade die Ernestiner scheinen hierbei ein Paradebeispiel abzugeben. Dies beginnt bei der Knüpfung dynastischer Beziehungen zwischen den europäischen Herrscherhäusern, wobei besonders der Coburger Zweig der Ernestiner durch seine Verbindungen nach Großbritannien hervorsticht.5 Aber auch das Weimarer Herzogshaus knüpfte Heiratsverbindungen nach Russland und Preußen.6 Neben dieser eher traditionellen Strategie der dynastischen Statussicherung waren es aber ganz neue Konzepte, die den Erfolg der Monarchien garantierten: insbesondere das Eingehen auf die Tendenzen der Konstitutionalisierung und der Nationalisierung sowie die Adaption eines betont bürgerlichen Lebensstils. Auch hier stechen die Ernestiner etwa durch die frühzeitige Einführung landständischer Verfassungen oder die Unterstützung der liberal-nationalen Vereinsbewegung hervor.7 Für die Ernestiner war zudem die Förderung von Wissenschaft, Kunst und Kultur nicht zuletzt auch ein Mittel monarchisch-dynastischer Legitimationssicherung.8 In diesem Zusammenhang ist jedoch ein wichtiger Aspekt bislang kaum in den Blick genommen worden: das Verhältnis der Ernestiner zum niederen Adel. Die Ernestiner zählten als regierende Dynastie zum Hochadel. Daneben gab es aber auch einen landsässigen niederen Adel, der trotz mancher Einbußen seiner überkommenen Rechtsstellung eine erstaunliche Zählebigkeit im „bürgerlichen“ Zeitalter bewies.9 Der niedere Adel hob sich durch Adelsprädikate und Titel sowie durch Privilegien wie Steuerfreiheit, besonderen Gerichtsstand, Vertretung auf den landständischen Versammlungen und die Gewährung besonderer
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Vgl. Dieter LANGEWIESCHE, Die Monarchie im Jahrhundert Europas: Selbstbehauptung durch Wandel im 19. Jahrhundert, Heidelberg 2013; Monika WIENFORT, Monarchie in der bürgerlichen Gesellschaft: Deutschland und England von 1640 bis 1848, Göttingen 1993. Vgl. Thomas NICKLAS, Das Haus Sachsen-Coburg: Europas späte Dynastie, Stuttgart 2003. Vgl. Anne-Simone KNÖFEL, Dynastie und Prestige. Die Heiratspolitik der Wettiner, Köln/Weimar/Wien 2009; Stefanie WALTHER, Die (Un-)Ordnung der Ehe. Normen und Praxis ernestinischer Fürstenehen in der frühen Neuzeit, München 2011. Vgl. Hans-Werner HAHN, Kleinstaaten und Nation: Die thüringischen Staaten und die deutsche Frage im 19. Jahrhundert, in: Konrad SCHEURMANN/Jördis FRANK (Hg.), Neu entdeckt. Thüringen – Land der Residenzen, Bd. 3 Essays, Mainz 2004, S. 392–405. Vgl. Klaus RIES, Kultur als Politik. Das „Ereignis Weimar-Jena“ und die Möglichkeiten und Grenzen einer „Kulturgeschichte des Politischen“, in: Historische Zeitschrift 285 (2007), S. 303–354; Maren GOLTZ/Werner GREILING/Johannes MÖTSCH (Hg.), Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen (1826–1914). Kultur als Behauptungsstrategie?, Köln/Weimar/Wien 2015. Vgl. Heinz REIF, Adel im 19. und 20. Jahrhundert, München 22012; Monika WIENFORT, Der Adel in der Moderne, Göttingen 2006.
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Ehrenvorrechte von den nichtadeligen Teilen der Gesellschaft ab. Darüber hinaus wurden dem niederen Adel von den Fürsten meist eine bevorzugte Stellung im Zivil- und Militärdienst sowie ein exklusiver Zugang zum Hof gewährt. Innerhalb des niederen Adels grenzte sich der bis ins hohe Mittelalter zurückreichende alte Adel von dem später durch Nobilitierung neu geschaffenen Briefadel streng ab. Eine besondere Gruppe innerhalb des hohen Adels bildeten wiederum seit 1806 die „Standesherren“, also die im Zuge der Auflösung des Alten Reiches mediatisierten, ehemaligen regierenden Familien.10 Der niedere Adel spielte für die Sicherung monarchisch-dynastischer Legitimität im 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle. Zum einen war er aufgrund seines fortbestehenden politisch-gesellschaftlichen Einflusses, den er auch in neuen Foren wie Parlamenten, Vereinen oder Parteien ausübte11 und seines für das dynastische Prestige unverzichtbaren Vorranges bei der Besetzung hoher höfischer Ämter oder diplomatischer Posten weiterhin ein zentrales Element monarchischer Herrschaft.12 Zum anderen wurde er aber zunehmend zum Angriffsziel der liberalen und demokratischen Kräfte.13 Jeder Angriff auf die Stellung des Adels richtete sich aber implizit immer auch gegen die Monarchie, da beide ihre politische und soziale Stellung geburtsständisch herleiteten. Für die regierenden Dynastien wurde der Umgang mit dem niederen Adel daher zu einer grundlegenden Existenzfrage: Wie konnte es gelingen, den Adel in eine neu zu schaffende politisch-soziale Ordnung einzubauen und gleichzeitig die dynastisch-monarchische Legitimität zu sichern? Und wie reagierte der Adel selbst auf die Herausforderung seiner überkommenen Stellung? Aus Sicht der historischen Adelsforschung überwogen dabei die konservativdefensiven Konzepte. Die ältere sozialhistorische Forschung betonte, dass der Adel den Elitenkompromiss mit dem Bürgertum abgelehnt habe.14 Daher richtet sich das Forschungsinteresse gegenwärtig vor allem auf die Strategien der
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Vgl. Heinz GOLLWITZER, Die Standesherren: die politische und gesellschaftliche Stellung der Mediatisierten 1815–1918. Ein Beitrag zur deutschen Sozialgeschichte, Göttingen 21964. Vgl. am Beispiel Preußens: Hartwin SPENKUCH, Das Preußische Herrenhaus. Adel und Bürgertum in der Ersten Kammer des Landtages (1854–1918), Düsseldorf 1998. Vgl. Karl MÖCKL (Hg.), Hof und Hofgesellschaft in den deutschen Staaten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, Boppard a. Rh. 1990; Johannes PAULMANN, Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg, Paderborn 2000; Dietmar GRYPA, Der diplomatische Dienst des Königreichs Preußen (1815–1866): institutioneller Aufbau und soziale Zusammensetzung, Berlin 2008. Vgl. Dieter LANGEWIESCHE, Bürgerliche Adelskritik zwischen Aufklärung und Reichsgründung in Enzyklopädien und Lexika, in: Elisabeth FEHRENBACH (Hg.), Adel und Bürgertum in Deutschland 1770–1848, München 1994, S. 11–28. Vgl. den Forschungsüberblick bei REIF, Adel (wie Anm. 9).
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inneren, ständischen Erneuerung des Adels.15 Nach der neueren kulturgeschichtlichen Forschung wurde der Adel zwar im 19. Jahrhundert nur noch durch eine ausgeprägte Binnenkommunikation und Selbstsymbolisierung zusammengehalten.16 Aber auch bei dieser Deutung liegt der Fokus auf der Abgrenzung des Adels von den übrigen Gruppen der Gesellschaft. Nach neuesten Interpretationen habe sich der Adelsbegriff von der konkreten Sozialformation gelöst und sei zur „Modelliermasse der Ordnungsdebatten des 19. Jahrhunderts“17 geworden. Es wird daher nach der Ausweitung der Semantiken von „Adel“ und dem damit korrespondierenden Begriff der „Aristokratie“, besonders in der Zeit der Hochmoderne zwischen 1890 und 1945, gefragt.18 Diese Semantiken hatten jedoch kaum noch etwas mit der historischen Sozialformation des Adels zu tun, der somit aus dem Blick zu geraten droht. Dabei sind die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert einsetzenden Bemühungen um eine grundlegende Reform des Adels im Kontext des allgemeinen politischen und sozialen Wandels noch nicht hinreichend untersucht worden.19 Der folgende Beitrag fragt daher nach der Neukonzeptionalisierung von Adel und Aristokratie in den ernestinischen Staaten zwischen Aufklärung und Hochmoderne. Es ist zu untersuchen, welche Entwürfe von den Vertretern der ernestinischen Dynastien, aber auch des niederen Adels und des Bürgertums ins Spiel gebracht wurden und welche Gruppen sich in diese Konzepte integrieren ließen. Da die Forschung zum Adel in den ernestinischen Staaten im 19. Jahrhundert noch weitgehend am Anfang steht, kann es sich hierbei nur um einen vorläufigen Entwurf handeln. Der Beitrag konzentriert sich zudem auf das vergleichsweise gut erforschte Sachsen-Weimar-Eisenach, bezieht aber punktuell auch die anderen ernestinischen Staaten vergleichend in die Betrachtung mit ein.20
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Vgl. Daniel MENNING, Standesgemäße Ordnung in der Moderne. Adlige Familienstrategien und Gesellschaftsentwürfe in Deutschland 1840–1945, München 2014. Vgl. Josef MATZERATH, Adelsprobe an der Moderne. Sächsischer Adel 1763 bis 1866. Entkonkretisierung einer traditionalen Sozialformation, Stuttgart 2006. Ewald FRIE, Adelsgeschichte des 19. Jahrhunderts? Eine Skizze, in: Ronald G. ASCH/ Rudolf SCHLÖGL (Hg.), Adel in der Neuzeit, Göttingen 2007, S. 398–415, hier S. 399. Vgl. Eckart CONZE u. a. (Hg.), Aristokratismus und Moderne. Adel als politisches und kulturelles Konzept, 1890–1945, Köln/Weimar/Wien 2013; Alexandra GERSTNER, Neuer Adel: aristokratische Elitekonzeptionen zwischen Jahrhundertwende und Nationalsozialismus, Darmstadt 2008. Vgl. jetzt zu Preußen: Gunter HEINICKEL, Adelsreformideen in Preußen: zwischen bürokratischem Absolutismus und demokratisierendem Konstitutionalismus (1806–1854), Berlin 2014. Vgl. Marko KREUTZMANN, Zwischen ständischer und bürgerlicher Lebenswelt. Adel in Sachsen-Weimar-Eisenach 1770 bis 1830, Köln/Weimar/Wien 2008.
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II. Neufassung des Adelsbegriffes in der Aufklärungszeit Während der Hochphase der Aufklärung im 18. Jahrhundert erreichte die Diskussion um den Adel als Teil der politischen und sozialen Ordnung eine völlig neue Qualität.21 Zwar hatte es bereits seit der Antike und dem Mittelalter stets ein Spannungsverhältnis zwischen der rechtlichen Sonderstellung des Adels und der philosophisch oder christlich begründeten Gleichheit aller Menschen gegeben. Jedoch wurde daraus nur selten die Forderung nach Abschaffung des Adels abgeleitet. Vielmehr suchte man den Gegensatz durch die Konzeption eines Tugend- oder Seelenadels, der dem rechtlichen Adel vorausgehen müsse, zu überbrücken. Die Aufklärung postulierte jedoch, dass die politische und soziale Stellung eines jeden Menschen nur nach individueller Eignung, also nach Bildung, Leistung und Verdienst erworben und nicht mehr wie in der ständischen Gesellschaftsordnung nach der Geburt zugewiesen werden sollte. Damit wurde auch der Geburtsadel in Frage gestellt.22 Dennoch findet sich die Forderung nach Abschaffung des Adels, wie in der Französischen Revolution 1790 geschehen,23 nur selten. Die meisten Aufklärer wollten den Adel mit der angestrebten bürgerlichen Gesellschaft versöhnen, indem sie ihn zum Verzicht auf schädliche Privilegien sowie zur Rückbesinnung auf seine gesellschaftlichen und politischen Aufgaben aufriefen.24 Im Zusammenhang mit den politischen Auseinandersetzungen der Revolutionszeit wurde auch der Begriff der „Aristokratie“ in einer neuen Bedeutung aktualisiert. Wurde er bisher meist im Sinne der klassischen antiken Staatsphilosophie als „Herrschaft der Besten“ verwendet, wurde er nun zur Parteibezeichnung für diejenigen, welche die alte absolutistische Staatsordnung, die ständische Gesellschaftsordnung und vor allem die Rechte des Adels verteidigten. Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts wurde „Aristokratie“, oft in einem abwertenden Sinne, auch zu einem Synonym für den Adel selbst, zum Teil auch nur für den hohen Adel, bzw., in entsprechender Wortverbindung, für andere privilegierte Gruppen wie Beamten-, Gelehrten- oder auch Geldaristokratie.25 Grundsätzlich neu waren Vorstöße, die den Adel als eine offene Elite auf der Grundlage von Bildung, Leistung und Verdienst definierten. Damit war der 21 22 23 24 25
Vgl. Werner CONZE/Christian MEIER, Adel, Aristokratie, in: Otto BRUNNER/Werner CONZE/Reinhart KOSELLECK (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 1, Stuttgart 1972, S. 1–48. Vgl. Elisabeth FEHRENBACH, Adel und Bürgertum im deutschen Vormärz, München 1994, S. 14. Vgl. Walter DEMEL, Der europäische Adel. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 2005, S. 93. Vgl. CONZE/MEIER, Adel, Aristokratie (wie Anm. 21), hier S. 24–27. Vgl. ebd., S. 27 f.
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Weg über die alte geburtsständische Ordnung hinaus gewiesen. Einer der ersten, der dieses Konzept vertrat, war der Staatsrechtler Johann Christian Majer (1741–1821).26 Dieser publizierte 1774 in dem von Christoph Martin Wieland herausgegebenen „Teutschen Merkur“ einen Aufsatz, in dem er seine Ansichten zum Adel darlegte. Darin bekannte er sich zwar grundsätzlich zu einer ständisch gedachten Gliederung der Gesellschaft. Aber in einem aufgeklärten Zeitalter sollte nach Majer „der Rang und Stand der Bürger nicht erblich, sondern persönlich; nicht zufällig, sondern verdienstlich“ eingerichtet sein. Diesen „vorzüglichen Theil der Nation“ könne man „den Adel nennen.“27 Zur Zeit der Abfassung dieses Beitrags war Majer nicht nur außerordentlicher Philosophieprofessor in Jena, sondern unterrichtete auch den Weimarer Erbprinzen Carl August in Staatsrecht und Reichsgeschichte.28 Es ist anzunehmen, dass der 1775 auf den Thron gelangte Weimarer Herzog Carl August auf diesem und auf anderen Wegen die Ideen der Aufklärung bezüglich des Adels kennengelernt hat. Auch wenn Carl August ein standesbewusster Monarch und sein Herzogtum in den ersten Jahren seiner Regierung alles andere als ein aufgeklärter Musterstaat war,29 so setzte er doch die neuen Grundsätze etwa bei der Rekrutierung von Personal für den höheren Staatsdienst selbst gegen Widerstände durch. Zwar besetzten in Sachsen-WeimarEisenach auch Bürgerliche schon seit längerer Zeit leitende Positionen.30 Dennoch wurde Adeligen meist ein leichterer Zugang und ein schnellerer Aufstieg im Staatsdienst ermöglicht als ihren bürgerlichen Kollegen. Der in den Staatsdienst strebende Adel formulierte selbstbewusst seine Ansprüche auf entsprechende Anstellungen und Laufbahnen. Carl August setzte es jedoch mit Unterstützung seiner bürgerlichen Räte im Geheimen Consilium, der höchsten Beratungsbehörde des Landes, seit den 1790er Jahren durch, dass sich Adelige im Staatsdienst künftig denselben Bedingungen unterwerfen mussten wie Bürgerliche.31 26 27 28 29 30 31
Vgl. Manfred FRIEDRICH, Majer, Johann Christian von, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 15, Berlin 1987, S. 717 f. Majer erhielt 1808 selbst als württembergischer Beamter den dortigen Personaladel. Johann Christian MAJER, Beiträge zur Geschichte der Menschheit, in: Teutscher Merkur, Heft 6 (1774), S. 227–284, Zitate S. 244, 246; vgl. auch: CONZE/MEIER, Adel, Aristokratie (wie Anm. 21), S. 26. Vgl. Joachim BERGER, Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739–1807). Denkund Handlungsräume einer ‚aufgeklärten‘ Herzogin, Heidelberg 2003, bes. S. 100, 121–135. Vgl. Marcus VENTZKE, Das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach 1775–1783. Ein Modellfall aufgeklärter Herrschaft?, Köln/Weimar/Wien 2004. Vgl. Wolfgang HUSCHKE, Die Beamtenschaft der Weimarischen Zentralbehörden beim Eintritt Goethes in den Weimarischen Staatsdienst (1776), in: Forschungen aus mitteldeutschen Archiven. Festschrift Hellmut Kretzschmar, Berlin 1953, S. 190–218. Vgl. dazu ausführlich: KREUTZMANN, Lebenswelt (wie Anm. 20), bes. S. 207–219; zur Geschichte der Verwaltung im 19. Jahrhundert insgesamt: Lutz RAPHAEL, Recht und Ord-
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Bei dem im herzoglichen Dienst stehenden Adel sorgte dies für erheblichen Unmut. Dennoch blieb ihm meist nichts anderes übrig, als sich den neuen Bedingungen zu fügen. Verfestigt wurde diese Entwicklung durch die Verwaltungsreform, welche mit der Verordnung über die Organisation der Landeskollegien vom 15. Dezember 1815 die Auswahl der Kandidaten für den höheren Staatsdienst stärker in die Kompetenz der Landeskollegien verlagerte.32 Der Stellung des Adels im Weimarer Staatsdienst tat dies aber insgesamt kaum Abbruch. Hier wie in den anderen ernestinischen Kleinstaaten besetzte der Adel bis 1918 weiterhin die Spitzenpositionen von Hof, Verwaltung und Militär.33 Die bevorrechtigte Stellung des Adels wurde mit den 1806 auch in den ernestinischen Staaten eingeleiteten inneren Reformen auch in anderen Bereichen in Frage gestellt. So etwa bei der geplanten Reform des Lehnswesens, die auf die Beseitigung der grundherrlichen Rechte des Adels hinauslief, oder bei der Erneuerung der landständischen Verfassung, bei der endgültig von der alleinigen Vertretung des Rittergutsbesitzes durch den Adel Abschied genommen wurde.34 Selbst am Weimarer Hof wurde die exklusive Stellung des Adels allmählich zurückgedrängt. Die leitenden Hofämter wurden zwar weiter vom Adel beherrscht.35 Auch der Zugang zu den Hofveranstaltungen, wie Empfängen, Hoffesten oder der täglich abgehaltenen Hoftafel, blieb ausschließlich dem Adel vorbehalten. Bürgerliche erhielten nur sehr selten bei besonderen Anlässen oder in informellen Zirkeln Zutritt.36 Dennoch wurde der Hof zumindest ein Stück weit für bürgerliche Beamte geöffnet. Die Regentin Anna Amalia legte im Jahr 1765 fest, dass auch höhere bürgerliche Staatsdiener an den Hof eingeladen und hier dem Adel gleichgestellt werden sollten.37 Der Großherzog Carl August bestätigte diese Regelung im Jahr 1823. Danach sollten alle höheren Beamten an den Hof geladen und die wirklichen Mitglieder des Weimarer Staatsministeri-
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nung. Herrschaft durch Verwaltung im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2000; Bernd WUNDER, Geschichte der Bürokratie in Deutschland, Frankfurt a. M. 61991. Vgl. Kreutzmann, Lebenswelt (wie Anm. 20), S. 260. Vgl. Friedrich FACIUS, Die Thüringischen Staaten 1815–1918, in: Klaus SCHWABE (Hg.), Die Regierungen der deutschen Mittel- und Kleinstaaten 1815–1933, Boppard a. Rh. 1983, S. 63–80. Vgl. die Dokumentation bei: Gerhard MÜLLER (Bearb.), Thüringische Staaten. SachsenWeimar-Eisenach 1806–1813, Berlin/München/Boston 2015. Vgl. Stefanie FREYER, Der Weimarer Hof um 1800. Eine Sozialgeschichte jenseits des Mythos, München 2013. Vgl. KREUTZMANN, Lebenswelt (wie Anm. 20), S. 242–245; für den Gothaer Hof: Roswitha JACOBSEN, Höfische Kultur im Aufklärungszeitalter. Die Tafel als Medium herrschaftlicher Repräsentation am Gothaer Hof Ernsts II., in: Werner GREILING/Andreas KLINGER/Christoph KÖHLER (Hg.), Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg. Ein Herrscher im Zeitalter der Aufklärung, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 169–184. Vgl. das Dekret Anna Amalias vom 15. November 1765, in: Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (im Folgenden: ThHStAW), Hofmarschallamt Nr. 334, Bl. 26.
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ums, „ohne Unterschied der Geburt, überall gleichgestellt und bey Hoffesten eingeladen werden.“38 Die Gewährung des Hofzuganges für Bürgerliche, die sich um 1800 auch am Hof des Herzogs Georg von Sachsen-Meiningen beobachten lässt,39 zeigt nicht nur die Verdrängung der Idee des Geburtsadels durch die neue Vorstellung einer offenen Elite. Sie zeigt gleichzeitig auch die fortdauernde Attraktivität des Hofes und der Dynastie als Zentren der Elitenvergesellschaftung im monarchischen Staat des 19. Jahrhunderts.
III. Zwischen Reform, Restauration und Beseitigung des Adels Das Jahr 1815 markiert den Beginn einer neuen Etappe im Ringen um die Stellung des Adels und der Dynastien in Europa. Die große Dynamik des politischen und des gesellschaftlichen Wandels war mit dem endgültigen Sieg über Napoleon zunächst einmal gebrochen.40 Auf dem Wiener Kongress von 1814/15 und den folgenden Kongressen der europäischen Großmächte verständigte sich das monarchische und aristokratische Europa auf die Niederhaltung revolutionärer Bestrebungen und die Bewahrung von Ruhe und Ordnung.41 In Sachsen-Weimar-Eisenach wurde das allgemein vorherrschende Klima der Restauration besonders durch den Erbprinzen Carl Friedrich verkörpert.42 Dessen Erziehung war durch seinen wichtigsten Lehrer, den Theologen Johann Gottfried Herder, in einem zwar aufgeklärten, aber auch religiöskonservativen Sinne erfolgt. Carl Friedrichs Selbstverständnis als Regent war weniger das des durchgreifenden Reformers, als das des treu sorgenden Landesvaters. Bestärkt wurde dies durch die Heirat Carl Friedrichs mit der russischen Zarenschwester Maria Pawlowna im Jahr 1804. Diese Heirat war zwar ein wichtiger dynastischer Erfolg des Weimarer Zweiges der Ernestiner. Aber sie band Sachsen-Weimar-Eisenach doch auch stark in die zunehmend restaurative europäische Politik Russlands ein.43 38 39 40 41 42 43
Reskript Carl Augusts vom 25. Oktober 1823, in: ThHStAW, Hofmarschallamt Nr. 2892, Bl. 1. Vgl. Ulrich HEß, Der aufgeklärte Absolutismus in Sachsen-Meiningen, in: Forschungen zur thüringischen Landesgeschichte. Festschrift für Friedrich Schneider, Weimar 1958, S. 1–42, hier S. 18. Vgl. zur Epoche: HAHN/BERDING, Reformen (wie Anm. 1); Andreas FAHRMEIR, Europa zwischen Restauration, Reform und Revolution 1815–1850, München 2012. Vgl. Heinz DUCHHARDT, Der Wiener Kongress: die Neugestaltung Europas 1814/15, München 22015. Vgl. Detlef JENA, Carl Friedrich (1783–1853). Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, Regensburg 2013. Vgl. Joachim v. PUTTKAMER, Kulturkontakte und Großmachtinteressen. Weimar im Blickfeld russischer Heiratspolitik, in: Joachim BERGER/Joachim v. PUTTKAMER (Hg.), Von
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Bereits früh bekundete Carl Friedrich seine konservativen Ansichten im Hinblick auf den Adel. Für ihn konnte der Adel nur ein historisch legitimierter Adel der Geburt sein. Diesem wollte Carl Friedrich wieder eine exklusive Stellung am Hof und im Staatsdienst verschaffen. Bei den Weimarer Ministern sorgte dies für Beunruhigung, besonders vor dem Hintergrund der Radikalisierung der liberal-nationalen und demokratischen Bewegung in den neu entstandenen Burschenschaften, zu deren Zentrum die Universität Jena unter Anleitung der dortigen „politischen Professoren“ wurde.44 Die Ermordung des als russischer Spion verdächtigten Weimarer Schriftstellers August von Kotzebue, der 1792 auch mit einer Schrift zur Verteidigung des Erbadels hervorgetreten war,45 durch den Jenaer Theologiestudenten Karl Ludwig Sand am 23. März 1819 sowie weitere Drohungen, Mordversuche und durchgeführte Morde radikaler Aktivisten erzeugten im Adel ein Klima der Verunsicherung. Daher empfahl der Weimarer Staatsminister Freiherr Carl Wilhelm von Fritsch (1769–1851) dem Erbgroßherzog Carl Friedrich im Juli 1821 nachdrücklich, seine Vorliebe für den Adel „zu bekämpfen u[nd] vor allem nicht zu äußern“, denn man wolle keine „Schwärmer aufregen, die den Adel und seine Beschützer zuletzt à la Sand verfolgen.“46 Trotz dieser Warnungen forderte Carl Friedrich nach seinem Regierungsantritt im Jahr 1828 von seinen Ministern, im höheren Staatsdienst künftig vor allem junge Adelige anzustellen, die Bürgerlichen dagegen nach und nach auszuschließen.47 Das alles geschah vor dem Hintergrund der französischen Julirevolution von 1830, welche die Wiener Ordnung schwer erschütterte und auch in einigen Staaten des Deutschen Bundes für revolutionäre Erhebungen sorgte.48 In dem ernestinischen Herzogtum Sachsen-Altenburg, im Königreich Sachsen, im Kurfürstentum Hessen, im Herzogtum Braunschweig und im Königreich Hannover kam es zum Umsturz der alten Ordnung und zur Einführung von Verfassungen. Das Hambacher Fest vom Mai 1832 in der bayerischen Rheinpfalz stellte die erste oppositionelle Massenveranstaltung dieser Größenordnung dar, auf der auch demokratische Forderungen vertreten wurden. Auch in
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Petersburg nach Weimar. Kulturelle Transfers von 1800 bis 1860, Frankfurt a. M. 2005, S. 17–33. Vgl. Klaus RIES, Wort und Tat. Das politische Professorentum der Universität Jena im frühen 19. Jahrhundert, Stuttgart 2007. Vgl. August von KOTZEBUE, Vom Adel. Bruchstück eines größeren historisch-philosophischen Werkes über Ehre und Schande, Ruhm und Nachruhm, aller Völker, aller Jahrhunderte, Leipzig 1792; vgl. CONZE/MEIER, Adel, Aristokratie (wie Anm. 21), S. 31 f. Carl Wilhelm von Fritsch an Carl Friedrich, Weimar, 4. Juli 1821, in: ThHStAW, Großherzogliches Hausarchiv A XXII Nr. 62, Bl. 11–12, hier Bl. 12v. Hervorhebung im Original unterstrichen. Vgl. dazu ausführlich: KREUTZMANN, Lebenswelt (wie Anm. 20), S. 257–290. Vgl. HAHN/BERDING, Reformen (wie Anm. 1), S. 417–450; FAHRMEIR, Europa zwischen Restauration (wie Anm. 40), bes. S. 55–69.
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Sachsen-Weimar-Eisenach kam es zu lokalen Unruhen, insbesondere der Revolte von Bürgern und Studenten in der Universitätsstadt in Jena.49 Die Weimarer Staatsminister stellten sich der Restauration des Geburtsadels am Hof und im Staatsdienst in mehreren Denkschriften an Carl Friedrich und an die Großherzogin Maria Pawlowna entgegen. Die Denkschriften setzen bereits 1829 ein und erreichen einen Höhepunkt um 1832 in der Auseinandersetzung um die geplante Nobilitierung des bürgerlichen Staatsministers Christian Wilhelm Schweitzer (1781–1856), um dessen Frau und Tochter den Zugang zum Hof zu ermöglichen. Denn am Weimarer Hof waren, ähnlich wie an anderen Höfen, die Ehefrauen und Töchter bürgerlicher Minister und höherer Beamter nicht hoffähig.50 Schließlich setzen sich die Zeugnisse der Auseinandersetzung um den Adel bis in die 1840er Jahre hinein fort. Bei allen Unterschieden im Einzelnen lassen sich doch gemeinsame Grundmuster eines neuen Adelsbegriffes erkennen, der an den aufklärerischen Entwurf einer offenen Elite der Bildung, der Leistung und des Verdienstes anknüpfte, aber in mancher Hinsicht auch schon deutlich darüber hinauswies. Grundsätzlich begrüßten die Weimarer Minister die Absicht Carl Friedrichs, dem Adel wieder eine angemessene politische und gesellschaftliche Position zu verleihen.51 Jedoch begriffen sie den Adel nicht als einen natürlich begründeten, unveränderlichen Geburtsstand. Vielmehr habe sich die Erblichkeit des Adels historisch entwickelt. Dies habe jedoch dazu geführt, dass der Adel eine zeitgemäße Bildung vernachlässigt habe. So konstatierte der aus einer alten sächsischen Adelsfamilie stammende Staatsminister Freiherr Ernst Christian August von Gersdorff (1781–1852), dass der Adel im Laufe der Zeit diejenigen „Studien u[nd] Bildungsmittel“ vernachlässigt habe, ohne welche „im 19ten Jahrhundert kein Edelmann“ ein „Amt von Wichtigkeit im Staatsdienste zu bekleiden vermag.“52 Daher hätten die Fürsten auf bürgerliche Staatsdiener zurückgreifen müssen, die zum Teil eine adelsgleiche Stellung erlangt hätten. Von der Idee eines Geburtsadels könne daher keine Rede mehr sein. Vielmehr gelte gegenwärtig, so Carl Wilhelm von Fritsch in einem Vortrag für Maria Pawlowna von 1832, „der Grundsatz des Verdienstadels“.53
49 50 51 52 53
Vgl. Katja DEINHARDT, Stapelstadt des Wissens. Jena als Universitätsstadt zwischen 1770 und 1830, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 320–334. Vgl. KREUTZMANN, Lebenswelt (wie Anm. 20), S. 268–279. Vgl. etwa das Immediatvotum des Staatsministers Ernst Christian August von Gersdorff vom [1.] Juli 1829, in: ThHStAW, Nachlass Watzdorf Nr. 17, Bl. 1–10, hier 1v. Ebd., Bl. 2r. Zu Gersdorff vgl. Ulrich HEß, Gersdorff, Ernst Christian August Freiherr von, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 6, Berlin 1964, S. 320 f. Carl Wilhelm von Fritsch an Maria Pawlowna, o. O./o. D. [ca. 1832], in: ThHStAW, Großherzogliches Hausarchiv A XXV Korrespondenzen A–F, Nr. 513, Bl. 191–194, hier 193v. Hervorhebung im Original unterstrichen.
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Das Konzept des Adels als offener Elite der Bildung, der Leistung und des Verdienstes bildete das Kernstück der Überlegungen der Weimarer Minister. So betonte Fritsch 1832 in einem Vortrag für Carl Friedrich: „Die Blüte des Volkes, die Auswahl der vorzüglichsten u[nd] tüchtigsten im Volke, sollte in der Regel die Umgebung des Fürsten bilden.“54 Die Kriterien dieser Auswahl seien historisch wandelbar: In der Zeit der rohen Kraft sind die tapfern Kämpfer die nächsten Gefährten des Fürsten, in Zeiten vorgeschrittener Bildung sind auch diejenigen berufen, welche durch Kenntnisse u[nd] Geist, durch Unternehmungen größerer Art, durch ausgezeichnete Dienste das Wohl des Landes fördern, den Ruhm des Fürsten verherrlichen, in Sitte, Cultur u[nd] Geschmack die übrigen Staatsgenossen hinter sich zurücklassen.
Das neue Prinzip der Verdienstelite fasste Fritsch in die Formel: „Nicht das Geschlecht sondern das Verdienst gibt den Adel, u[nd] es möchte nicht des Diploms, nicht des Titels bedürfen, um die Umgebung des Fürsten zu bilden.“55 Neben die Kriterien der Bildung, der Leistung und des Verdienstes trat zunehmend auch der Aspekt des materiellen Vermögens. Das aufstrebende Wirtschaftsbürgertum, das sich auch in Thüringen allmählich zu entwickeln begann,56 sollte in die neue gesellschaftliche Elite ebenfalls mit einbezogen werden. Der Staatsminister Christian Wilhelm Schweitzer forderte in einem Vortrag für Maria Pawlowna aus dem Jahr 1832 die Einladung von Unternehmern des Landes an den großherzoglichen Hof. Schweitzer hob hervor, dass eine zeitgemäße Aristokratie, ein Mittelstand als Vermittlungsinstanz zwischen Fürst und Volk, für den Erhalt der Monarchie unumgänglich notwendig sei. Die Aristokratie aber sei „immer die der Bildung und die des Reichtums“ gewesen. Früher hätten die Bildung und der Reichtum bei den Rittern und der Geistlichkeit gelegen, jetzt seien sie „in der Klasse der Gelehrten, der Künstler, der Fabrikanten, der Kaufleute, der Kapitalisten.“ Daraus leitete Schweitzer die Forderung nach Schaffung einer neuen Aristokratie der Bildung und der Leistung sowie des wirtschaftlichen Wohlstandes ab: „Eine neue Aristokratie an die Stelle der alten, wenn auch die alte ohne Unterschied mit umfassend! Das würde Wunder thun.“57 54 55 56 57
Carl Wilhelm von Fritsch an Carl Friedrich, o. O./o. D. [ca. 1832], in: ThHStAW, Großherzogliches Hausarchiv A XXII Nr. 62, Bl. 183–184, hier 183r. Ebd., Bl. 183r–v. Ähnlich formulierte es Fritsch in einem etwa zeitgleich an Maria Pawlowna gerichteten Vortrag. Vgl. Carl Wilhelm von Fritsch an Maria Pawlowna, o. O./o. D. [ca. 1832] (wie Anm. 53), hier Bl. 191v. Vgl. Hans-Werner HAHN/Werner GREILING/Klaus RIES (Hg.), Bürgertum in Thüringen. Lebenswelt und Lebenswege im frühen 19. Jahrhundert, Rudolstadt 2001. Christian Wilhelm Schweitzer an Maria Pawlowna, Weimar, 12. September 1832, in: ThHStAW, Großherzogliches Hausarchiv A XXV Korrespondenzen S, Nr. 216, Bl. 53– 67, hier 61v–62r.
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Allerdings besaß das traditionale höfische Auszeichnungssystem, also die Verleihung von Titeln und Orden oder die Gewährung des Zuganges zum Hof, offenbar nur begrenzte Attraktivität für aufstrebende Unternehmer, die zurückhaltend auf entsprechende Angebote reagierten.58 Umgekehrt gab es eine gewisse Skepsis der Weimarer Minister gegenüber manchen Vertretern des Wirtschaftsbürgertums.59 Für den Adel empfahlen sie ausschließlich eine zeitgemäße Bildung, um den Anschluss an die neue gesellschaftliche Elite zu halten. Der Staatsminister Carl Wilhelm von Fritsch regte die Abschaffung des überkommenen Pageninstitutes zugunsten eines Bildungsstipendiums für junge Adelige an, denen der Ort ihrer Ausbildung frei gestellt sein sollte.60 Der Großherzog Carl Friedrich konnte seinen angestrebten Kurswechsel somit nicht durchsetzen. Der Zulassung der Frau und Tochter Schweitzers zum Hof stimmte er auch ohne Nobilitierung des bürgerlichen Staatsministers zu. Und bei der Besetzung der Stellen im höheren Staatsdienst konnte er das gesetzlich verankerte Vorschlagsrecht der Landeskollegien nicht umgehen.61 Auch der 1843 als Nachfolger Fritschs als Staatsminister nach Weimar berufene Bernhard von Watzdorf (1804–1870), der aus einer alten sächsisch-thüringischen Adelsfamilie stammte, weigerte sich, den Adel bei der Besetzung von Stellen im höheren Staatsdienst zu bevorzugen.62 Zu Beginn der 1830er Jahre wurden in Sachsen-Weimar-Eisenach zunehmend radikale Stimmen laut, welche die völlige Abschaffung des Adels forderten. Wortführer dieser Richtung war der in Weimar lebende Jurist Johann Christian Fleischhauer (1771–1841). Dieser pflegte Kontakte zu den süddeutschen Liberalen um Karl von Rotteck und war Mitglied der Weimarer Erholungsgesellschaft.63 Im Jahr 1830 veröffentlichte er eine Abhandlung, in der er den Adelsstand unter Bezugnahme auf die Philosophie der Aufklärung heftig angriff. Fleischhauer versuchte nachzuweisen, dass sich der Adel seinen Besitz und seine Privilegien widerrechtlich angeeignet habe. Daraus zog er den Schluss, 58 59
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63
Vgl. ebd., Bl. 62v–63r. So warnte der Staatsminister von Gersdorff davor, Personen in den Adelsstand zu erheben, „deren Gewerbe und Geschäft ihnen nicht füglich Gelegenheit gibt, den Adel zu verdienen.“ Gersdorff an Carl Friedrich, Weimar, 22. Juli 1829, in: ThHStAW, Großherzogliches Hausarchiv A XXII Nr. 70, Bl. 23–24, hier 23v. Vgl. Carl Wilhelm von Fritsch an Maria Pawlowna, Weimar, 19. April 1835, in: ThHStAW, Großherzogliches Hausarchiv A XXV Akten, Nr. 318, Bl. 3–4, hier bes. 3v–4r. Vgl. KREUTZMANN, Lebenswelt (wie Anm. 20), bes. S. 260, 265, 273. Vgl. Bernhard von Watzdorf an Carl Friedrich, Weimar, 9. September 1844, in: ThHStAW, Großherzogliches Hausarchiv A XXII Nr. 339, Bl. 5–7, hier bes. Bl. 7; zu Watzdorf: Otto von FRANKE, Watzdorf, Christian Bernhard von, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 41, Leipzig 1896, S. 258–270. Vgl. N. N., Johann Christian Fleischhauer, in: Neuer Nekrolog der Deutschen, Bd. 19 (1841), Teil 1, Weimar 1843, S. 320–323.
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dass der Adel „ein wahres Landes-Uebel, ein wirkliches Staats-Gebrechen, eine ausgemachte Ungerechtigkeit“ sei und „gesetzlich aufgehoben werden“64 müsse. Neben der Abschaffung von Titeln, Wappen und allen Ehrenvorrechten sollte der Adel künftig auch bei der Besetzung der Stellen im Staatsdienst sowie beim Zugang zum fürstlichen Hof keinen Vorzug mehr erhalten. Schließlich sollten dem Adel auch alle Gesandtschaftsposten entzogen werden.65 Fleischhauers Publikation löste eine öffentliche Debatte aus und führte zu Spannungen zwischen Adel und Bürgertum in der Residenzstadt Weimar. Im Mai 1831 wurde Fleischhauer in der Weimarer Erholungsgesellschaft von einem „alten adeligen Stabsofficier des großherzoglichen Militärs“66 wegen seines Buches sogar mit dem Degen bedroht. Sofort standen sich Adelige und Offizierskorps sowie Bürgerliche in diesem Konflikt gegenüber. Die bürgerlichen Mitglieder forderten eine Entschuldigung des adeligen Stabsoffiziers, die Adeligen und die Offiziere drohten mit dem Austritt aus der Erholungsgesellschaft. In der Folge kam es zu einer Debatte in dem in Gotha erscheinenden liberalen „Allgemeinen Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen“.67 Die Anhänger Fleischhauers bekräftigten die Forderung nach Abschaffung des Adels und betonten, dass „die öffentliche Meinung nicht mehr an die innere wesentliche Nothwendigkeit einer Adelsclasse für Staatsverfassungen glaubt.“68 Auch die scharfen Reaktionen Fleischhauers auf seine Kritiker, die im Vorwurf der Geschichtsfälschung und der Beihilfe zur Reaktionspolitik gipfelten,69 verdeutlichen, dass der Ton gereizter wurde und die Positionen weiter auseinander rückten.
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Johann Christian FLEISCHHAUER, Die deutsche privilegirte Lehn- und Erbaristokratie, vernunftmäßig und geschichtlich gewürdigt, für gebildete Deutsche aller Classen, Neustadt a.d. Orla 1831, S. 351. Vgl. ebd., S. 352–357. Vgl. die Berichte über den Vorfall, in: Allgemeiner Anzeiger und Nationalzeitung der Deutschen (im Folgenden: AANZ) Nr. 126, 10. Mai 1831, Sp. 1750–1752, Zitat Sp. 1750; sowie in: AANZ Nr. 145, 1. Juni 1831, Sp. 1990–1994, hier bes. Sp. 1991. Vgl. u.a. AANZ Nr. 136, 21. Mai 1831, Sp. 1883–1885; AANZ Nr. 112, 25. April 1832, Sp. 1491–1496; zum Pressewesen vgl. Werner GREILING, Presse und Öffentlichkeit in Thüringen. Mediale Verdichtung und kommunikative Vernetzung im 18. und 19. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2003. AANZ Nr. 256, 20. September 1831, Sp. 3473–3479, hier Sp. 3475. Vgl. AANZ Nr. 30, 31. Januar 1832, Sp. 393–397, hier Sp. 395.
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IV. Die Revolution von 1848/49 als Wendepunkt im Adelsdiskurs Neben der exklusiven Stellung am Hof und im Staatsdienst verfügte der Adel auch über umfangreiche grundherrliche Rechte. Freilich standen diese grundherrlichen Rechte nicht nur dem Adel, sondern auch bürgerlichen Rittergutsbesitzern zu, deren Anzahl stetig zunahm. Die seit 1806 auf der Agenda der Reformbürokratie stehende Ablösung der grundherrlichen Rechte war in den ernestinischen Staaten bis 1848 jedoch kaum vorangeschritten. Diese bildeten daher einen wesentlichen Konfliktpunkt während der Revolution von 1848/49, durch die eine liberale Staats- und Gesellschaftsordnung angestrebt wurde. Auch in den ernestinischen Staaten kam es zu revolutionären Unruhen.70 In einigen Fällen wurden dabei auch Adelsschlösser angegriffen, die adeligen Eigentümer zum Verzicht auf ihre grundherrlichen Rechte gezwungen und die Akten über die grundherrlichen Rechte vernichtet. Die neu formierten Regierungen und Landtage der ernestinischen Staaten gingen nun recht schnell daran, die verbliebenen Feudalrechte auf gesetzlichem Weg aufzuheben.71 Die Diskussion um den Adel hatte sich allerdings in die deutsche Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche verlagert, wo in Vorbereitung einer deutschen Verfassung über die Grundrechte des deutschen Volkes beraten wurde. Dabei kam es im August 1848 auch zu einer Debatte über die Abschaffung des Adels, in der sich die gemäßigten Liberalen durchsetzten, die zwar den Adel als bevorrechtigten Stand beseitigen, ihm aber Namen und Titel als bloße historische Erinnerungen so lange belassen wollten, bis der Adel auf natürlichem Wege von selbst erloschen sei.72 Die Existenz der Monarchien war dagegen kaum ernsthaft in Gefahr, auch wenn eine Minderheit von radikalen Demokraten für die Einführung der Republik eintrat. Die Debatte über die Mediatisierung der Kleinstaaten, die der Parlaments-Linken als Hindernisse auf dem Weg zur nationalen Einheit galten, endete mit einem mehrheitlichen Votum für den Erhalt der kleinen Fürstentümer, auf deren kulturelle Leistungen in diesem Zusammenhang hingewiesen wurde.73
70 71 72 73
Vgl. Hans-Werner HAHN/Werner GREILING (Hg.), Die Revolution von 1848/49 in Thüringen. Aktionsräume, Handlungsebenen, Wirkungen, Rudolstadt 1998. Vgl. Friedrich FACIUS, Politische Geschichte von 1828–1945, in: Hans PATZE/Walter SCHLESINGER (Hg.), Geschichte Thüringens, Bd. 5: Politische Geschichte in der Neuzeit, Teil 2, Köln/Wien 1984, bes. S. 41, 55–58, 120. Vgl. Peter WENDE, Die Adelsdebatte in der Paulskirche, in: Adolf M. BIRKE/Lothar KETTENACKER (Hg.), Bürgertum, Adel und Monarchie: Wandel der Lebensformen im Zeitalter des bürgerlichen Nationalismus, München u. a. 1989, S. 37–51. Vgl. HAHN/BERDING, Reformen (wie Anm. 1), S. 628.
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Die Revolution blieb trotz ihres Scheiterns für den Adel nicht folgenlos.74 Zum einen fielen die Reste seiner feudalen Rechte, die aber zum Teil ohnehin nur noch als hinderlicher Ballast empfunden worden waren. Zum anderen verlor das Angebot zur Bildung einer neuen, aus Adel und höherem Bürgertum konstituierten gesellschaftlichen Elite endgültig an Attraktivität. Die Radikalisierung der Revolution trieb die Anfangs durchaus beachtliche liberale Fraktion innerhalb des Adels zum großen Teil ins konservative Lager. In der Defensive kam es drittens zu einer stärkeren Homogenisierung der Interessenlage des Adels in Deutschland, die sich auf die Bewahrung bzw. Neubegründung seiner gesellschaftlichen und politischen Stellung richtete. Bestärkt wurde dies durch den in den 1850er Jahren einsetzenden industriellen Aufschwung, der den wirtschaftlichen Reichtum des Industrie- und Handelsbürgertums explosionsartig vermehrte und damit die materielle Kluft zwischen dem niederen Adel und dem Wirtschaftsbürgertum, aber auch dem am neuen industriellen Reichtum stärker partizipierenden Hochadel dramatisch vergrößerte.75 Die Diskussion um den Adel bestimmten konservative Denker wie Herrmann Wagener. Wagener wollte den Erbadel erhalten, dachte ihn aber als wandlungsfähiges Element innerhalb der politischen Verfassung. Vorbild war für Wagener der Adel in England.76 Ein zeitgemäß neu konstituierter Adel sollte auf großem Grundbesitz ruhen sowie den neuen Geldadel und den „Adel der Intelligenz“ integrieren.77 Solche Konzepte stießen im Hochadel durchaus auf positive Resonanz.78 Ein Großteil des niederen Adels konnte diesem Entwurf aber kaum entsprechen, da er nicht über ausreichend Grundbesitz verfügte und keine Neigung verspürte, sich dem bürgerlichen Reichtum in Industrie und Handel anzunähern. Dieser Teil des niederen Adels fand sich in der 1874 in Berlin begründeten Deutschen Adelsgenossenschaft (DAG) zusammen. Die DAG vertrat ein christlich-konservatives Adelsbild und lehnte vehement die Öffnung des Adels zum Bürgertum hin ab. Sie suchte auch Unterstützung beim hohen Adel, den sie jedoch nur selten für ihre Ziele gewinnen konnte.79
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77 78 79
Vgl. Heinz REIF, Der Adel, in: Christof DIPPER/Ulrich SPECK (Hg.), 1848. Revolution in Deutschland, Frankfurt a. M. 1998, S. 213–234. Vgl. REIF, Adel (wie Anm. 9), S. 38 f. Vgl. Robert von FRIEDEBURG, Das Modell England in der Adelsreformdiskussion zwischen Spätaufklärung und Kaiserreich, in: Heinz REIF (Hg.), Adel und Bürgertum in Deutschland. Entwicklungslinien und Wendepunkte im 19. Jahrhundert, Berlin 2000, S. 29–49. Vgl. CONZE/MEIER, Adel, Aristokratie (wie Anm. 21), S. 43–45, Zitat S. 43. Vgl. REIF, Adel (wie Anm. 9), S. 46. Vgl. Stephan MALINOWSKI, Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat, Berlin 32003, S. 145–197.
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Der erste Vorsitzende der DAG, Graf Werner von der SchulenburgBeetzendorf (1829–1911),80 stand in Kontakt mit dem Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach.81 Carl Alexander scheint die Entwicklung der DAG mit Interesse verfolgt zu haben und bezog zumindest zeitweise das von der DAG seit 1883 herausgegebene „Deutsche Adelsblatt“.82 In einer Denkschrift für Carl Alexander legte Schulenburg sein Verständnis des Adels dar und warb um Unterstützung des Großherzogs für die DAG. Für Schulenburg war die Existenz des Adels in der göttlichen Weltordnung begründet. Die Vorrechte des Adels seien aber nach christlichem Verständnis an Pflichten gebunden. Die öffentliche Anfeindung des Adels sei eine Folge der Vernachlässigung dieser Pflichten. Der Adel müsse daher zum Pflichtprinzip zurückkehren, wenn er seine gesellschaftliche Anerkennung zurückgewinnen und „für die aus ihm hervorgegangenen und seine höchste Spitze bildenden“ Fürsten wieder eine „feste Stütze und Grundlage“ werden wolle.83 Großherzog Carl Alexander setzte Schulenburg ein anderes Adelskonzept entgegen. Dieses lehnte sich an die modernen konservativen Entwürfe etwa Herrmann Wageners an, welche die erbliche ständische Qualität des Adels mit seiner Fähigkeit zur inneren Erneuerung verbinden und ihn so als Stütze einer monarchisch-aristokratischen Ordnung von Staat und Gesellschaft erhalten wollten. Dieses Konzept eines „Pairsadels aus vermögenden, glänzenden Familien, aus Standesherren, Magnaten und den Adelsspitzen der Regionen in Vereinigung mit dem großbürgerlichen Reichtum“84 erlebte in den Jahren nach der Reichsgründung eine kurzlebige Konjunktur. Carl Alexander betonte in seinem Entwurf zunächst, dass der Adel nicht „unwandelbar bei dem Ausdruck der Vergangenheit“ stehen bleiben könne, sondern sich vielmehr so verändern müsse, dass „die Gegenwart ihm behülflich sey die Zukunft zu sichern.“85 Darin kommen durchaus noch Anklänge der aufgeklärt-liberalen Konzeption des Adels als offener Elite der Bildung, Leistung und des Verdienstes zum Aus-
80 81 82 83 84 85
Vgl. zu Schulenburg: ebd., S. 145 (Anm. 132). Vgl. Angelika PÖTHE, Carl Alexander: Mäzen in Weimars „Silberner Zeit“, Köln/Weimar/Wien 1998; Lothar EHRLICH/Justus H. ULBRICHT (Hg.), Carl Alexander von SachsenWeimar-Eisenach: Erbe, Mäzen und Politiker, Köln/Weimar/Wien 2004. Vgl. Schulenburg an Carl Alexander, Beetzendorf, 15. März 1885, in: ThHStAW, Großherzogliches Hausarchiv A XXVI Nr. 1030, und die Akte zur DAG, in: ThHStAW, Großherzogliches Hausarchiv A XXVI Nr. 1813. Bemerkungen Schulenburgs zu einem ihm mitgeteilten Pro-Memoria über den Adel, o. O./o. D., in: ThHStAW, Großherzogliches Hausarchiv A XXVI Nr. 1029, Bl. 2–4/8–9, Zitat Bl. 4r. REIF, Adel (wie Anm. 9), S. 49. Denkschrift Carl Alexanders über den Adel, o. O./o. D., in: ThHStAW, Großherzogliches Hausarchiv A XXVI Nr. 1029, Bl. 5 und 7 (Konzept dazu auf Bl. 6), hier Bl. 5r.
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druck. Danach definierte Carl Alexander jedoch als unwandelbare „Grundpfeiler des Adels“ Grundbesitz und „wahrhaft adelige[n], also ehrenhafte[n] Sinn“.86 Worin genau dieser wahrhaft adelige, ehrenhafte Sinn zu bestehen habe, führte Carl Alexander nicht aus. Offenbar knüpfte er an den ständischen Ehrbegriff an, der sich seit dem Mittelalter entwickelt hatte und im 19. Jahrhundert eine monarchisch-staatlich funktionalisierte und zugleich romantisch-konservativ überhöhte Renaissance erfuhr.87 Carl Alexander forderte die Einrichtung eines vom Adel gewählten Ehrengerichtes, das „über die Ehrenhaftigkeit des Standes“ wachen und gegebenenfalls Adelige sogar aus dem Adelsstand ausschließen solle.88 Der Grundbesitz des Adels sollte geschlossen und zu Majoraten erhoben werden.89 Nur der älteste Sohn sollte den ungeteilten Grundbesitz erben. Die nachgeborenen Söhne sollten zwar Namen und Wappen behalten, aber nicht mehr an traditionale Adelsberufe gebunden sein.90 Umgekehrt sollten Bürgerliche bei der Heirat mit einer adeligen Erbtochter und Übernahme des adeligen Grundbesitzes in den Adelsstand eintreten. Der Entwurf Carl Alexanders erscheint damit als Kompromiss zwischen einem ständischen, christlich-konservativen Adelskonzept und dem Ansatz zur Bildung eines neuen Adels aus großem Grundbesitz und industriellem Reichtum. Gerade Letzteres wurde durch die DAG jedoch entschieden abgelehnt. Vielmehr machten sich in der DAG zunehmend radikale Töne bemerkbar, welche die Kritik am industriellen und besonders im Bereich Handel und Banken entstehenden, bürgerlichen Reichtum mit antisemitischen Einstellungen verbanden. Die DAG rückte in eine völkisch-nationale Richtung und ging eine Allianz mit dem alten bürgerlichen Mittelstand, den ländlichen Mittelschichten und anderen, sich als Verlierer der wirtschaftlichen Liberalisierung im frühen Kaiserreich verstehenden Gruppen ein.91 Aber auch Vertreter des hohen Adels fühlten sich von dieser politischen Radikalisierung angezogen. Unter den Ernestinern wäre der Herzog Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha zu nennen, der sich später auch dem Nationalsozialismus anschloss.92 Die Bemühungen zur Bildung eines neuen Adels als offener gesellschaftlicher Elite aus Angehörigen des historisch überkommenen Adelsstandes und des aufstrebenden Bürgertums schienen somit endgültig gescheitert zu sein. Aber es greift zu kurz, wollte man diese Bestrebungen als folgenlose Episode in 86 87 88 89 90 91 92
Ebd., hier Bl. 5v. Vgl. Marcus FUNCK, Ehre, in: Eckart CONZE (Hg.), Kleines Lexikon des Adels. Titel, Throne, Traditionen, München 22012, S. 70–73. Denkschrift Carl Alexanders über den Adel, o. O./o. D. (wie Anm. 85), hier Bl. 5v. Ebd., hier Bl. 7r. Vgl. ebd. Vgl. MALINOWSKI, Vom König zum Führer (wie Anm. 79). Vgl. Harald SANDNER, Hitlers Herzog. Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha. Die Biographie, Aachen 2010.
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der Geschichte von Adel und Bürgertum im 19. Jahrhundert ansehen. In den ernestinischen Staaten wurde im frühen 19. Jahrhundert die aufgeklärt-liberale Konzeption einer neuen gesellschaftlichen Führungsschicht auf der Grundlage von Bildung, Leistung und Verdienst sowohl von Angehörigen des Adels als auch des Bürgertums vornehmlich im Bereich von Hof und Beamtenschaft getragen und unter dem Schutz aufgeklärt-liberaler Monarchen wie Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach ein gutes Stück weit auch umgesetzt. Dies trug dazu bei, die gesellschaftlichen Konflikte in gewissem Maße zu entschärfen und damit auch die monarchische Herrschaft der Ernestiner im 19. Jahrhundert zu stabilisieren. Die adelig-bürgerliche Elite in der Beamtenschaft und am Hof war immerhin stark genug, eine durchgreifende Adelsrestauration, wie sie etwa vom Weimarer Großherzog Carl Friedrich versucht worden war, zu unterbinden. Allerdings stieß die Neukonzeption des Adels als offener Elite auch an Grenzen. Die radikalen Demokraten, die sich auch in den ernestinischen Staaten bereits im frühen 19. Jahrhundert deutlich bemerkbar machten, verwarfen die Vorstellung des Adels völlig und forderten seine Abschaffung. Das aufstrebende Wirtschaftsbürgertum ließ sich nur begrenzt in die neue Elite einbinden. Die Revolution von 1848/49 stellte einen Wendepunkt dar. Der Schock über die teils gewaltsamen Proteste gegen den Landadel und die Abschaffung des Adels durch die Parlamente ließ große Teile des liberalen Adels ins konservative Lager umschwenken. Nach der Revolution vergrößerte die neue wirtschaftliche Dynamik die Distanz zwischen dem tendenziell verarmenden niederen Adel und dem Industrie- und Handelsbürgertum, aber auch dem an den neuen Reichtumschancen stärker partizipierenden Hochadel so sehr, dass an ein Anknüpfen an die vormärzlichen Elitenprojekte nicht mehr zu denken war. Die Diskussionen um einen „Pairsadel“ nach englischem Vorbild konnten den niederen Adel nicht mehr erreichen. Somit gelang der Brückenschlag zwischen Bürgertum und Adel, vor allem aber zwischen niederem Adel und regierenden Dynastien, immer weniger. Diese Entwicklung beschleunigte nicht nur die Delegitimierung des Adels, sondern auch die Erosion der monarchischen Herrschaft, da sich der Adel nun vollends in eine radikal-konservative und völkisch-nationale Richtung orientierte, die nicht mehr in der Monarchie ihren zentralen Bezugspunkt sah. Auch vor diesem Hintergrund ist vielleicht das überraschend geräuschlose Ende der deutschen Monarchien 1918 ein Stück weit zu erklären.93
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Vgl. Lothar MACHTAN, Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen, Berlin 2008.
BERNHARD POST VOM ENDE DER FÜRSTENHERRSCHAFT
Vom Ende der Fürstenherrschaft oder: Der Übergang zur Weimarer Republik Der Historiker Heinrich von Treitschke prangerte mit Blick auf die thüringischen Territorien den „Fluch“ der Kleinstaatlichkeit schon im Vorwort seiner vor dem Ersten Weltkrieg im Bücherschrank jedes Bildungsbürgers zu findenden Geschichte des Neuzehnten Jahrhunderts an.1 Geringschätzig betrachtete man in Berliner Kreisen die thüringischen Fürsten und bezeichnete sie verächtlich als „Zaunkönige Bismarcks“.2 Auf „feudal-absolutistische Fürstenherrschaft“ reduzierte sich meist die historische Bewertung der thüringischen Kleinstaaten unter den politischen Vorzeichen der ehemaligen DDR.3 Wohl in dieser über Jahrzehnte hinweg undifferenzierten Betrachtungsweise liegen Ursachen dafür, dass sich bald nach der politischen Wende von 1989/90 im Rahmen der Identitätssuche in den neuen Bundesländern an Stelle dessen ein die „Kleinstaaten unkritisch aufwertender Gegentrend abzeichnete“.4 Vor diesem Hintergrund sind die Beziehungsfelder, Handlungsspielräume, Verdienste und Versäumnisse insbesondere der Ernestiner als thüringische Landesherrn vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zu ihrer Deposidierung im Jahr 1918 in den Blick zu nehmen. Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach (1818–1853– 1901) besuchte im Juli 1897 den Fürsten Otto von Bismarck (1815–1898) auf dessen Gut Friedrichsruh. Formell wurde hier noch einmal die Aussöhnung zweier ehemaliger Gegner zelebriert. Der liberal eingestellte Carl Alexander war Zeit seines Lebens alles andere als ein Parteigänger Bismarcks gewesen und zu Preußen stets auf Distanz geblieben.5 Dennoch hatte er im Interesse der 1 2 3 4 5
Dank gebührt Pierre Fütterer und Stefan Gerber für die inhaltliche und redaktionelle Bearbeitung des Beitrages. Heinrich von TREITSCHKE, Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. 2. Teil: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen, Leipzig 1893, S. V. Reinhard JONSCHER/Willy SCHILLING, Kleine thüringische Geschichte. Vom Thüringer Reich bis 1900, Jena 32001, S. 191; Helmut REICHOLD, Bismarcks Zaunkönige. Duodez im 20. Jahrhundert. Eine Studie zum Föderalismus im Bismarckreich, Paderborn 1977. Gerhard SCHULZE, Die Novemberrevolution 1918 in Thüringen, Erfurt 1976, S. 10. Jürgen JOHN, Die Thüringer Kleinstaaten – Entwicklungs- oder Beharrungsfaktoren?, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 132 (1996), S. 91–149, hier S. 101. Kaiserin Augusta (1811–1890), die Schwester des Großherzogs von Sachsen-WeimarEisenach, war eine erbitterte Gegnerin Bismarcks gewesen, vgl. Ernst TRUSS, Die Politik des Großherzogtums Sachsen-Weimar 1862–1867, Jena 1940, S. 13. Dies beruhte durchaus
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deutschen Einigung über seine familiäre Verbindung zu Russland eine entscheidende Rolle im diplomatischen Umfeld des deutsch-französischen Kriegs gespielt. Seine Mutter Maria Pawlowna (1786–1828–1853) war eine Tochter des Zaren Paul und er selbst unterhielt seit einem längeren Russlandaufenthalt freundschaftliche Beziehungen zu seinem „Cousin Sacha“, dem Zar Alexander II. (1818–1855–1881). Über diese Kanäle war es möglich gewesen, Russland nicht nur zur Neutralität im deutsch-französischen Krieg zu bewegen, sondern auch über russischen Druck ein Eingreifen Österreichs und Dänemarks in den Krieg zu verhindern.6 „Der Großherzog“, urteilte Bismarck rückblickend, „der stets wohlwollend für mich war und geblieben ist, war in Petersburg ein Anwalt der guten Beziehungen zwischen beiden Cabineten sic!“.7 Zusammen mit anderen deutschen Fürsten und Kreisen des liberalen Großbürgertums hatte der Großherzog die Hoffnung gehegt, dass mit der Reichseinigung die Voraussetzungen für einen großen, deutschen Bundesstaat unter liberalen Vorzeichen geschaffen werden könnten.8 Dem weimarischen Staatsminister Gottfried Theodor Stichling (1814–1891) fiel es gemäß einer Absprache zwischen Großherzog Carl Alexander und Bismarck am 9. Dezember 1870 zu, im Bundesrat die Übertragung der deutschen Kaiserwürde an den preußischen König und späteren Kaiser Wilhelm I. (1797–1861–1888) zu beantragen, die am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal zu Versailles inszeniert wurde.9 Großherzog Carl Alexander konnte zwar die Verdienste Bismarcks um die Einigung Deutschlands im Nachhinein anerkennen, mit dem daraus erwachsenen Weltmachtanspruch des Deutschen Reiches wilhelminischer Prägung jedoch hatten sicherlich die alten Fürsten beide ihre Probleme. Denn „das Säbelgerassel und das unmäßig werdende Flottenhobby, gar ein deutscher Imperialismus auf der Grundlage des Nationalstaates“, hatte in Bismarcks und schon gar nicht im Denken Carl Alexanders einen Platz.10 Das Zusammentreffen der Greise, die beide beinahe das gesamte
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auf Gegenseitigkeit, vgl. Otto von BISMARCK, Gedanken und Erinnerungen, Stuttgart 1972, S. 99 f. Friedrich FACIUS, Der thüringische Raum 1815–1920, in: Wilhelm SANTE (Hg.), Geschichte der deutschen Länder, Bd. 2, Würzburg 1971, S. 500–539, hier S. 520. BISMARCK, Gedanken (wie Anm. 5), S. 359. Zu den Vorgängen vgl. Ulrich HEß, Geschichte Thüringens 1866 bis 1911. Aus dem Nachlass hg. v. Volker WAHL, Weimar 1991, S. 86–88; zum Linksliberalismus des thüringischen Großbürgertums nach 1860, ebd., S. 12 f. Zur Rolle Stichlings vgl. ebd., S. 87; Hans-Ulrich WEHLER, Das Deutsche Kaiserreich 1871–1918, Göttingen 41980, S. 60. Vgl. hierzu das Nachwort von Ernst FRIEDLÄNDER zu BISMARCK, Gedanken (wie Anm. 5), S. 698 f.; Friedrich FACIUS, Politische Geschichte von 1828 bis 1945, in: Hans PATZE/Walter SCHLESINGER (Hg.), Geschichte Thüringens, Bd. 5: Politische Geschichte in der Neuzeit, Teil 2, Köln/Wien 1978, S. 211 sowie die von Bismarck bei seinem Besuch in Erfurt im Jahr 1892 gehaltene Ansprache. Dazu Karl-Eckhard HAHN, Von der Novemberrevolution 1918 bis zum endgültigen Erlöschen der Thüringer Staaten und Gebiete zum
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19. Jahrhundert durchlebt und den Einigungsprozess mitgestaltet hatten, markiert den Abschluss einer Epoche und den Eintritt in das fin de siècle.11 Auch bei den anderen thüringischen Fürsten der älteren Generation ist diese Reserviertheit gegenüber dem deutschen Hegemonialstaat zu konstatieren. Selbst Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen (1826–1866–1914), der als Erbprinz zum Unwillen seines Vaters noch sehr preußenfreundlich eingestellt gewesen war, ging nach der Reichseinigung zunehmend auf Distanz. Die jüngeren ernestinischen Fürsten in Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg und Gotha sowie Sachsen-Weimar-Eisenach, die in der Zeit nach der Reichseinigung geboren waren und ihre militärische Erziehung in Preußen durchlaufen hatten, konnten sich wie die nachgewachsenen Funktionseliten dem aus der neuen deutschen Großmachstellung erwachsenen Zeitgeist nur schwer entziehen.12 Selbst ein Wegbereiter der Moderne wie der Kunstmäzen Harry Graf Kessler, der in Weimar zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielen sollte, genoss als Reservist der Garde seine Abende im Berliner Offizierskasino. Die meisten Landesherren hatten sich weitgehend aus dem politischen Tagesgeschäft zurückgezogen und griffen nur bei besonderen Fragen persönlich ein. Ansonsten widmeten sie sich ihren Neigungen. Das galt beispielsweise für Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen, ebenfalls ein begeisterter Jäger, der sich mit Leidenschaft dem Theater widmete als „Dramaturg, Ausstattungsleiter, Oberregisseur und Werbechef“, was ihm den Namen „Theaterherzog“ eintrug.13 Die Meininger Bühne erlangte im späten 19. Jahrhundert für einige Jahre weltweite Bedeutung. Der Herzog heiratete in dritter Ehe 1873 die Schauspielerin Ellen Franz (1839–1923), der er den Titel einer Freifrau von Heldburg verlieh. Diese morganatische Eheschließung löste eine Rebellion des preußischen
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1. April 1923. Notizen zur reichs- und landesgeschichtlichen Rahmenbedingungen, in: Die vergessenen Parlamente. Landtage und Gebietsvertretungen in den Thüringer Staaten und Gebieten 1919–1923, hg. vom Thüringer Landtag, Erfurt 2002, S. 36. Vgl. hierzu Erhard Graf WEDEL, Bismarck und Weimar. Zum 125. Geburtstag des Reichsgründers, in: Zeitung „Deutschland“ vom 1. u. 2. April 1940; Hermann Freiherr von EGLOFFSTEIN, Das Weimar von Carl Alexander und Wilhelm Ernst. Erinnerungen, Berlin 1934, S. 75–77; Angelika PÖTHE, Carl Alexander. Mäzen in Weimars „Silberner Zeit“, Köln/Weimar/Wien 1998, S. 85–101. JOHN, Die Thüringer Kleinstaaten (wie Anm. 4), S. 139; etwas undifferenziert „als ausgesprochen engstirnige, völlig vom wilhelminischen Zeitgeist geprägte junge Fürsten“ beschreibt sie Gerd FESSER, Thüringen im 19. Jahrhundert, Erfurt 2001, S. 8. Alfred ERCK/Hannelore SCHNEIDER, Georg II., Herzog von Sachsen-Meiningen 1866– 1914, in: Detlef IGNASIAK (Hg.), Herrscher und Mäzene. Thüringer Fürsten von Hermenefred bis Georg II., Rudolstadt/Jena 1994, S. 491. Vgl. auch die Beiträge von Erck/Schneider und Schröter in diesem Band sowie den Tagungsband Maren GOLTZ/ Werner GREILING/Johannes MÖTSCH (Hg.), Herzog Georg II. von Sachsen-Meinigen (1826–1914). Kultur als Behauptungsstrategie?, Köln/Weimar/Wien 2015.
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Offizierskorps in Meiningen aus, dessen Führungsspitze daraufhin ausgewechselt werden musste. Neben seinem Engagement für das Theater verstand es Georg II. zugleich, durch die Steuerung der Innenpolitik Sachsen-Meiningen die Geltung eine liberalen Musterstaates zu verschaffen.14 Auch im Falle des Großherzogs Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach (1876–1901–1918–1923) (Abb. 1), der ebenfalls begeisterter Jäger, Reiter und Hochgebirgswanderer gewesen war, ist die Regierungstätigkeit entgegen des bisher gängigen Klischees differenzierter zu beurteilen. Er beschäftigte sich sehr intensiv mit den Problemen seines Landes, ließ sich von den Mitgliedern der Regierung ständig unterrichten und zeichnete als Landesherr und letzter Entscheidungsträger für eine durchaus positive Bilanz des Großherzogtums besonders im wirtschaftlichen und sozialen Bereich am Vorabend des ersten Weltkriegs verantwortlich.15 Gemeinsam mit dem Gothaer Herzog förderte er das gerade aufkommende Flugwesen durch die Einrichtung von Flugplätzen und die Unterstützung von Flugvereinen. Herzog Carl Eduard (Abb. 2) schuf Grundlagen für die industrielle Flugzeugproduktion in Gotha. Gemeinsam war den ernestinischen Landesherrn um die Jahrhundertwende auch noch immer das in Thüringen traditionsreiche fürstliche Mäzenatentum. Neben dem bereits erwähnten „Theaterherzog“ Georg II. traten in Weimar Großherzog Carl Alexander und seine Gattin Sophie als Förderer von Kunst und Wissenschaft hervor. Außer der Förderung von Musik und Theater machten sich beide besonders um die Erhaltung, Pflege und wissenschaftliche Auswertung der Nachlässe von Goethe, Schiller, Herder und Wieland verdient. Der Großherzog führte auf diese Weise das von seiner Mutter Maria Pawlowna eingeleitete „Silberne Zeitalter“ Weimars fort.16 In den Wahlergebnissen um die Jahrhundertwende zeigte sich dennoch eine wachsende Polarisierung. Die bisher in Thüringen tonangebenden Liberalen verloren an Einfluss. Hingegen waren die Nationalliberalen, die sich von den Konservativen gelöst hatten, auf dem Vormarsch. Die Konservativen verfolgen seit 1900 in Zusammenarbeit mit dem Bund der Landwirte eine ausgesprochen aggressive Politik im Interesse der Großagrarier. Am anderen politischen Flügel wuchs der Erfolg der Sozialdemokratie, die in Thüringen überwiegend einen 14 15
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Peter MAST, Schrullen eines unbeschäftigten Kleinfürstenstandes? Zur Rolle der Thüringer Fürsten im 19. Jahrhundert, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 55 (1992), S. 201–209, hier S. 209. Bernhard POST, Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach. Ein Monarch im Spannungsfeld von kulturellem Erbe und dem Beginn der Moderne, in: Ronald G. ASCH/Johannes ARNDT/Matthias SCHNETTGER (Hg.), Die frühneuzeitliche Monarchie und ihr Erbe. Festschrift für Heinz Duchhardt zum 60. Geburtstag, Münster u. a. 2003, S. 261–286, hier S. 281–283; DERS./Dietrich WERNER, Herrscher in der Zeitenwende. Großherzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach 1876–1923, Jena 2006, S. 556–562. PÖTHE, Carl Alexander (wie Anm. 11).
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gemäßigten Kurs verfolgte, unaufhaltsam. Trotz des Privilegiertenwahlrechts stellte sie 1901 in Gotha mit Wilhelm Bock den ersten sozialdemokratischen Landtagsvizepräsidenten in Deutschland. Das Zentrum spielte in Thüringen kaum eine Rolle und verfügte lediglich über eine Bastion im katholischen Eichsfeld. Trotz dieser politischen Verschiebungen hielten die Landesregierungen in Verbindung mit dem Großbürgertum und den Großagrariern an der Unveränderlichkeit der Grundstrukturen der Staatsverwaltung zur Sicherung ihrer Privilegien fest.17
Abb. 1 Großherzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach
Abb. 2 Herzog Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha
Die Problemlage fasste eine Schrift zusammen, die im Jahr 1906 unter dem Titel „Thüringischer Kleinstaatenjammer. Ein Weckruf an alle Thüringer ohne Unterschied der Parteizugehörigkeit“ erschien. Publiziert hatte diese Arthur Hofmann, ein Saalfelder Buchdruckereibesitzers und Abgeordneter der Sozialdemokratischen Partei im Landtag von Sachsen-Meinigen. Die Schrift lieferte Argumente und gleichzeitig eine griffige Parole für die neu einsetzende, breite Diskussion. Ein Hauptargument Hofmanns zielte auf den unzeitgemäßen Luxus einer Vielzahl von Landtagen und Verwaltungen in Thüringen, welche die Bürger unnötig mit Steuern belasteten. Die Forderungen nach Verwaltungsab17
HEß, Geschichte Thüringens (wie Anm. 8), S. 368; Hans-Werner HAHN, Fortschrittshindernis oder Motor des Wandels? Die thüringische Kleinstaatenwelt im 19. Jahrhundert, in: Vom Königreich der Thüringer zum Freistaat Thüringen, hg. v. Thüringer Landtag und der Historischen Kommission für Thüringen, Erfurt 1999, S. 69–92, hier S. 89.
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bau und einem schlanken Staat waren schon damals aktuell. Ebenso die Existenzberechtigung der fürstlichen Landesherrn grundsätzlich in Frage zu stellen, wagte er in diesem Zusammenhang noch nicht. Auch die weitere Feststellung Hofmanns, die souveränen Fürstentümer seien zu preußischen Tributstaaten herabgesunken, wog schwer. Die Bundesstaaten hatten pro Kopf der Bevölkerung Matrikularbeiträge zu entrichten. Schon während der Zeit des Norddeutschen Bundes hatte dies die thüringischen Staaten schwer belastet. Im Jahr 1879 brachte die von dem bayerischen Zentrumsabgeordneten Freiherr von Franckenstein in den Reichstag eingebrachte Klausel eine vorübergehende Erleichterung. Danach mussten die Einnahmen des Reiches aus Zöllen und indirekten Steuern, die 130 Millionen Mark überstiegen, an die Länder fließen. Der Mittelrückfluss überstieg für einige Jahre die Matrikularbeiträge. Dies änderte sich mit den gewaltigen Kosten für die Flottenrüstung ab 1899. Auch die sogenannte „kleine Finanzreform“ von 1904, bei der die Einführung der Erbschaftssteuer mit festgelegten Anteilen des Reiches und der Länder einen Finanzausgleich schaffen sollte, brachte nur teilweise Erleichterung. Alleine die Ausgaben für das Heer stiegen zwischen 1880 und 1913 um 360 Prozent und beanspruchten 75 Prozent des Reichsetats.18 Dies traf die thüringischen Staaten umso härter, als die Einnahmen durch das Eisenbahnnetz nach der Übernahme der meisten Linien durch Preußen verloren gegangen waren. Als Trostpflaster wurde von der Reichsmarine 1909 ein Linienschiff unter dem Namen „Thüringen“ zu Ehren der Thüringer Staaten vom Stapel gelassen. Da diesem Schiff im Lauf der weiteren politischen Ereignisse eine große Bedeutung zukommen sollte, verdient es bereits hier eine besondere Erwähnung. In seiner Taufrede bezeichnete es Großherzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach als „eine starke Waffe in der Hand eines aufstrebenden Volkes“. Da der Großherzog verwitwet war, nahm die Taufe des Schiffes die Herzogin Adelheid von Sachsen-Altenburg vor. Bei der Indienststellung 1911 befanden sich unter den rund 1.100 Mann Besatzung auch etwa 70 Thüringer.19
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WEHLER, Das Deutsche Kaiserreich (wie Anm. 9), S. 145 und S. 151. Die S.einer M.ajestät S.chiff Thüringen, als Linienschiff, Panzerschiff oder auch Schlachtschiff klassifiziert, erreichte mit ihren 22.800 Bruttoregistertonnen eine Höchstgeschwindigkeit von 20,8 Knoten. Sie war mit 12 Schnellfeuerkanonen 30,5 cm und 14 Schnellfeuerkanonen 8,8 cm bewaffnet. Darüber hinaus verfügte sie über Flugabwehrgeschütze und Torpedos. Sie mußte 1920 an Frankreich ausgeliefert werden und wurde 1923 abgewrackt. Vgl. dazu [Eleonore von BOJANOWSKI], Thüringen in und nach dem Weltkrieg. Geschichtliches Erinnerungswerk an die Kriegsteilnahme, die politische Umwälzung und Erneuerung Thüringens, 2 Bde., Leipzig 1920/21, hier Bd. 1, S. 341, Gerd FESSER „Thüringen“ auf dem Meer. Die Geschichte eines Schlachtschiffes, in: DERS./Reinhard JONSCHER, (Hg.), Thüringen seit der Reformation. Historische Streiflichter, Bucha bei Jena 2000, S. 169–171.
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Die Argumente Hofmanns griff neben den sozialdemokratischen Landtagsfraktionen auch der konservative Thüringer Landbund in Sachsen-Weimar auf. Obwohl sich thüringenweit eine lebhafte Diskussion entwickelte, kam es bis zum Kriegsausbruch zu keinem Ergebnis, da die liberalen Parteien noch nicht dazu bereit waren, in dieser Frage mit den Sozialdemokraten zusammen zu gehen.20 Die von den Nationalliberalen wieder in die Diskussion gebrachte Verwaltungsgemeinschaft der thüringischen Staaten wurde jedoch durch das Staatsministerium abgeblockt. Gegenüber dem im Deutschen Reich tonangebenden Preußen war in der Bevölkerung der Kleinstaaten an die Stelle der Euphorie von 1870/71 längst wieder die in Thüringen tradierte Distanz getreten. Auch die thüringischen Landesherren konnten sich auf Dauer nicht der Erkenntnis verschließen, dass die wilhelminische Politik ihre kleinen Staaten in wirtschaftliche Bedrängnis brachte. Unter ihnen wuchs auch das Misstrauen gegenüber der Außen- und Militärpolitik des Deutschen Reiches, zumal sie bei der Entscheidungsfindung nicht nur in der Regel ausgeschlossen blieben, sondern auch von Berlin aus unzureichend informiert wurden.21 Im August 1914 zogen wie überall im Deutschen Reich auch von Thüringen aus die Soldaten unter Hurra-Rufen der Bevölkerung in den Krieg. Erinnerungen an 1870/71 wurden wach und man glaubte, in einem siegreichen Feldzug die Angelegenheit voraussichtlich schon bis zum Weihnachtsfest hin erledigt zu haben. Jedoch sollte sich dieser Krieg, den man später den Ersten Weltkrieg nannte, vier Jahre hinziehen und anstelle schneller Siegeslorbeeren unvorstellbares Elend und den Tod für viele Millionen Menschen bringen. Bis Kriegsende waren rund 44.000 Thüringer an den Fronten im Osten und Westen gefallen. Die Verluste waren selbst an den allgemeinen Zahlen des Ersten Weltkriegs gemessen außergewöhnlich hoch, da die thüringischen Verbände als besonders zuverlässig galten und deshalb häufig bei schwierigen militärischen Operationen eingesetzt wurden.22 20
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Beate HÄUPEL/Jürgen JOHN, Einigungsbetrebungen 1848/49 und ihre Nachwirkungen bis zur Landesgründung 1920, in: Hans-Werner HAHN/Werner GREILING (Hg.), Die Revolution von 1848/49 in Thüringen. Aktionsräume – Handlungsebenen – Wirkungen, Rudolstadt/Jena 1998, S. 291–302, hier S. 296. MAST, Schrullen (wie Anm. 14), S. 203. [Eleonore von BOJANOWSKI], Thüringen in und nach dem Weltkrieg (wie Anm. 19), Bd. 2, S. 73 f.; Ulrich HEß, Das Staatsministerium des Großherzogtums und Freistaates SachsenWeimar-Eisenach 1849–1920, 4 Bde. (Manuskript) Weimar 1967, hier Bd. 3, S. 1011. Vgl. zum Ersten Weltkrieg in Thüringen u. a. auch: Birgitt HELLMANN/Matias MIETH (Hg.), Heimatfront. Eine mitteldeutsche Universitätsstadt im Ersten Weltkrieg, Jena 2014; Wolfgang HOLLER/Gudrun PÜSCHEL/Gerda WENDERMANN (Hg.), Krieg der Geister. Weimar als Symbolort deutscher Kultur vor und nach 1914, Dresden 2014; Eberhard MENZEL, Erfurt im Ersten Weltkrieg (1914–1918), Erfurt 2014; Martina MORITZ, Für Kaiser, Gott und
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Nicht nur an der Front, auch in der Heimat herrschten im Verlauf des Krieges zunehmend Not und Elend. Wie in ganz Deutschland hatten Kriegswirtschaft und Missernten, die durch die Auswirkungen der Seeblockade zusätzlich verstärkt wurden, zu Hungersnöten geführt. „Kohlrübenwinter“ wurde der Winter 1916/17 genannt, weil anstelle des kaum noch vorhandenen Grundnahrungsmittels Kartoffeln lediglich Kohl- und Steckrüben zugeteilt werden konnten.23 Auch in Thüringen fehlten die Männer, um die Böden zu bearbeiten, sowie Zugtiere, Saatgut und Düngemittel. Der sozialdemokratische Reichstags- und Landtagsabgeordnete August Baudert notierte im August 1918 in sein Kriegstagebuch: „Wir hungern, und nun kommen auch noch die fleischlosen Wochen, und das bei 3 Pfund Brot in 7 Tagen ohne Fettaufstrich! Traurige Zeiten! – In Apolda kam es zu Unruhen wegen der Lebensmittelnot.“24 Die entkräfteten Menschen hatten Infektionskrankheiten nichts mehr entgegenzusetzen. So forderte die Spanischen Grippe im Spätsommer 1918 alleine in Thüringen rund 4.500 Opfer; weltweit waren es rund 27 Millionen Menschen, fast dreimal so viele wie durch direkte Kriegseinwirkungen ihr Leben lassen mussten.25 Bis zum Kriegsbeginn hatte die Wirtschaft in den thüringischen Staaten allgemein prosperiert. Binnen kurzer Zeit wurden die meisten größeren Betriebe auf die Produktion von kriegswichtigen Gütern umgestellt. Feldküchen, Uniformen, Waffen und sogar Flugzeuge wurden in den ernestinischen Kleinstaaten produziert. Bei Zeiß in Jena, wo unter anderem Feldstecher, Zieloptiken und Torpedoteile hergestellt wurden, verdoppelte sich im Verlauf des Krieges die Arbeiterschaft auf 10.000.26 Kleinere Betriebe, Familienunternehmen und die hauswirtschaftliche Produktion hingegen waren bald schon einfach deshalb in ihrer Existenz bedroht, weil die Männer im Felde standen. Rohstoffknappheit und Absatzschwierigkeiten für die exportorientierte Produktion kamen hinzu. Die Gemeinden, denen die soziale Versorgung der Familien oblag, waren damit sehr bald überlastet und auf staatliche Unterstützung in Form von Bürgschaften für Anleihen angewiesen. Die Regierungen mussten ihrerseits zum Mittel der Anleihen greifen und sich verschulden.
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Vaterland? Das kurze Leben des Ernst Heiler (1884–1916), Erfurt 2014; Denis BECHMANN/Heinz MESTRUP (Hg.), „Wann wird das Morden ein Ende nehmen?“ Feldpostbriefe und Tagebucheinträge zum Ersten Weltkrieg, Erfurt 32015. FACIUS, Politische Geschichte (wie Anm. 10), S. 303. August BAUDERT, Sachsen-Weimars Ende. Historische Tatsachen aus sturmbewegter Zeit, Weimar 1923, S. 2. Dieter MAREK, Der Sturz der Fürstenhäuser im November 1918, in: Hans HOFFMEISTER/Volker WAHL (Hg.), Die Wettiner in Thüringen. Geschichte und Kultur in Deutschlands Mitte, Arnstadt/Weimar 1999, S. 406–414, hier S. 407. FACIUS, Politische Geschichte (wie Anm. 10), S. 301.
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Um dem Schwarzhandel und Preistreibereien Einhalt zu gebieten und die Versorgung der Bevölkerung zu sichern, wurde am 17. April 1916 eine Zwangsgenossenschaft der Fleischer und Viehhändler unter dem Namen Viehhandelsverband Thüringen gegründet. Am 1. Mai 1916 nahm der Haupteinkauf Thüringen seine Arbeit auf, eine zentrale Einkaufsgesellschaft, deren Gesellschafter zunächst die thüringischen Städte und dann auch die Staatsregierungen waren. Im Juni wurde dann eine ebenfalls für ganz Thüringen zuständige Landeskartoffelstelle gegründet; bald darauf auch ein Landesfuttermittelamt und eine Landesverteilungsstelle für Butter und Eier. Die Lebensmittelkrise im Herbst 1916 zeigte jedoch noch immer eine ungleichmäßige Versorgung der thüringischen Regionen, was am 16. Dezember 1916 zur Bildung eines Ernährungsausschusses der thüringischen Staaten führte. Aus diesem ging dann im Februar 1917 ein Landesernährungsamt mit Sitz in Weimar hervor, dem alle mit der Ernährung befassten Stellen in den Einzelstaaten unterstellt waren.27 Die Kriegsnot zwang somit gewissermaßen zu einem Vorgriff auf die bevorstehende Einigung Thüringens. Zu größeren Protesten gegen den Krieg war es in der Arbeiterschaft vorübergehend zu Kriegsbeginn gekommen. Nachdem aber am 4. August 1914 die sozialdemokratische Reichstagsfraktion den Kriegsanleihen zugestimmt und sich damit dem Burgfrieden angeschlossen hatte, blieb es zunächst vergleichsweise ruhig. Bei kleineren Protestaktionen wurde zunächst auch noch nicht die Stellung der Landesherren in Frage gestellt. Vielmehr schloss sich noch am 5. Mai 1916 die sozialdemokratische Fraktion im Weimarer Landtag wie selbstverständlich einer Adresse an den Großherzog anlässlich des einhundertjährigen Jubiläums der Weimarer Verfassung an, in der „die Treue zum Großherzoglichen Haus“ beschworen wurde. Durch ihre Haltung verlor die SPD jedoch zunehmend ihren Einfluss auf den radikaleren Teil der Arbeiterschaft. Ab dem Jahre 1916 kam es auch in den ernestinischen Residenzstädten wie Gotha und Altenburg mit einer zahlenmäßig größeren und gut organisierten Arbeiterschaft wiederholt zu Demonstrationen und Streiks, während es in Weimar, wo nur rund 200 Arbeiter in einer Ortsgruppe der SPD organisiert waren, vergleichsweise ruhig blieb.28 Ein Zentrum des politischen Widerstandes wurde die Industriestadt Jena, wo die Bezirksleitung der Arbeiterjugend in Thüringen aktiv war. Nachdem sich Karl Liebknecht bereits vor dem Krieg mehrfach in Jena aufgehalten hatte, hielten unter seiner Leitung die Spartakisten hier Ostern 1916 eine geheime Versammlung ab, verteilten Flugblätter und organisierten für das darauffolgende Pfingsten bei Legefeld nahe Weimar ein Antikriegstreffen mit
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Vgl. HEß, Das Staatsministerium (wie Anm. 22), hier Bd. 3, S. 1014–1017. FACIUS, Politische Geschichte (wie Anm. 10), S. 304–306.
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rund 2.000 Teilnehmern.29 In Gothaer Volkshaus schlossen sich Anfang April 1917 Kriegsgegner unter den Sozialdemokraten zusammen und gründeten die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands.30 Die USPD, der sich der Reichstagsabgeordnete Wilhelm Bock (Gotha) angeschlossen hatte, fand in Thüringen sofort eine große Anhängerschaft. Ihr linker Flügel, der Spartakusbund, hatte vor allem unter der Arbeiterschaft in den thüringischen Industriezentren Anhänger.31 Zur Steuerung der allgemeinen Not hatte der Thüringische Städtetag bereits seit 1916 eine einheitliche Landesverwaltung gefordert. Auch die Liberalen setzten sich seit 1917 in den Landtagen vehement für eine Verwaltungsvereinheitlichung ein. Ab Ende 1917 äußerte die sozialdemokratische Opposition in den thüringischen Landtagen darüber hinaus immer deutlicher ihre Kritik an den politischen Verhältnissen und dem Wahlrecht Im Januar 1918 gingen in mehreren thüringischen Industriestädten im Zusammenhang mit dem großen Munitionsarbeiterstreik die Arbeiter auf die Straße, alleine in Jena mehr als 7.000. Neben einer sofortigen Herbeiführung eines Friedenschlusses ohne Annexionen forderten sie gleiches Wahlrecht, Meinungsund Versammlungsfreiheit sowie die Verbesserung der Versorgungslage. Das Stellvertretende Generalkommando des XI. Armeekorps in Kassel als die zuständige Militärbehörde ließ die Betriebe durch Militärposten sichern. Nach Zusammenstößen mit der Polizei und Militär wurde der Streik am 4. Februar für beendet erklärt. Mehrere der streikenden Arbeiter einschließlich von Angehörigen der USPD-Leitung, die bis dahin zur Aufrechterhaltung der Produktion kriegswichtiger Güter an ihren Arbeitsplätzen belassen worden waren, wurden nun zur Wiederherstellung der Ordnung – wie man dachte – zum Militär eingezogen. Um die sich immer deutlicher zeigende Unzufriedenheit in geordnete Bahnen zu lenken, schlug das weimarische Staatsministerium noch im Januar 1918 eine gemeinsame Konferenz der thüringischen Staaten vor. Es kam jedoch nur zu einem Treffen der Landtagspräsidenten im Juni 1918, auf dem man sich auf die Absicht eines staatlichen Zusammenschlusses unter gemeinsamer Souveränität der Fürsten – dies waren Ideen der Revolution von 1848/49 – einigte.32
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Siegfried SCHOLZE, Die Jenaer Jugendkonferenz Ostern 1916 und ihre Bedeutung für die Sammlung der revolutionären Arbeiterjugend im Kampf gegen Imperialismus und Krieg, in: Bernhard ALBERT (Hg.), Die Jenaer Jugendkonferenz Ostern 1916, Leipzig 1966, S. 22– 66. Susanne MILLER/Heinrich POTTHOFF, Kleine Geschichte der SPD: Darstellung und Dokumentation, Bonn 41981, S. 76–78. Zu Wilhelm Bock vgl. dessen Lebenserinnerungen: Wilhelm BOCK, Im Dienste der Freiheit. Freud und Leid aus sechs Jahrzehnten Kampf und Aufstieg, Berlin 1927. Vgl. HÄUPEL/JOHN, Einigungsbestrebungen (wie Anm. 20).
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Der Landesausschuss der Nationalliberalen Partei schloss sich diesem Kurs an und veröffentlichte noch im Frühsommer eine Denkschrift unter dem Titel „Die Thüringen Frage. Denkschrift über Vereinheitlichungen in Gesetzgebung und Verwaltung der Thüringischen Staaten“.33 Die konservativen Kräfte dagegen träumten angesichts des Friedensschlusses an der Ostfront und den anfänglichen Erfolgen der Frühjahrsoffensive an der Westfront noch im Sommer 1918 von Annexionen im Osten und Westen und sahen innenpolitisch bestenfalls die Erfordernis zu einer vorsichtigen Veränderung in der Verwaltung. Nachdem die letzte, im Frühjahr 1918 gestartete Offensive am 8. August, dem sogenannten „Schwarzen Tag“ des deutschen Heeres, durch den britischen Tankangriff bei Amiens endgültig gescheitert war, musste Erich Ludendorff, Generalquartiermeister der Obersten Heeresleitung, schließlich die Niederlage eingestehen. Gleichzeitig forderte er die Reichsregierung zur Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen auf. Es zeichnete sich bald ab, dass der amerikanische Präsident Woodrow Wilson nur mit einer demokratisch legitimierten Führung Deutschlands verhandeln würde, was zwangsläufig die Abdankung des Kaisers erforderte. Als einen Vorgriff darauf machte eine Verfassungsänderung den seit Anfang Oktober amtierenden Deutschen Reichskanzler Prinz Max von Baden ab dem 28. Oktober nicht mehr dem Kaiser, sondern dem Reichstag gegenüber verantwortlich. Dieser Beschluss war im Bundesrat ohne den Stellvertretendenden Bevollmächtigten für Thüringen, Dr. Arnold Paulssen (1864– 1942), beraten worden, dessen Benachrichtigung in der Hektik einfach vergessen worden war. Dr. Paulssen vertrat sieben der insgesamt acht thüringischen Bundesratsstimmen, da sich Sachsen-Meiningen vom bayerischen Bundesratsgesandten mit vertreten ließ. Dieser Vorgang ist typisch für die geschwundene Bedeutung des Bundesrates als Vertretung der Landesfürsten, die infolge der durch den Krieg „zwangsmäßig“ gewachsenen „zentralistischen Tendenzen im Deutschen Reich auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet“ in ihrem Mitspracherecht immer stärker beschnitten wurden.34 Ungeachtet einer abermals vergessenen offiziellen Beauftragung reiste der Stellvertretende Bevollmächtigte Dr. Paulssen bereits in Thüringen umher und holte die Stellungnahmen der thüringischen Fürsten zu einer Abdankung des Kaisers ein. Herzog Bernhard III. von Sachsen-Meiningen (1851–1914–1918–1928) (Abb. 3), Herzog Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha sowie Fürst Günter Viktor von Schwarzburg (1852–1890–1918–1925) waren legitimistisch eingestellt und daher eher zurückhaltend gegenüber einer Abdankung und der Veränderung der bestehenden 33
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Einen Überblick über die Literatur zur Vereinigungsdiskussion Jürgen JOHN/Bernhard POST, Von der Landesgründung zum NS-„Trutzgau“. Thüringen-Diskurse 1918–1945, in: Matthias WERNER (Hg.), Im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. 150 Jahre Landesgeschichtsforschung in Thüringen, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 67–120. HEß, Das Staatsministerium (wie Anm. 22), Bd. 3, S. 1023.
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politischen Ordnung. Herzog Ernst II. (1871–1908–1918–1955) von SachsenAltenburg (Abb. 4) hingegen sah die Notwendigkeit eines grundlegenden Wandels an der Spitze des Reiches, wohl wissend, dass hieraus eine weitere Beschneidung seiner Souveränitätsrechte resultieren würde. Ebenso erkannte Großherzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach, ungeachtet der in der Literatur oft behaupteten starken Abhängigkeit von seinem kaiserlichen Cousin, grundsätzlich die Notwendigkeit der Abdankung Wilhelms II. Besser als alle anderen thüringischen Fürsten war er über die Entwicklungen vor allem durch Paulssen informiert, der vor seiner Berliner Tätigkeit einige Jahre das Innenressort in Weimar geleitet hatte.
Abb. 3 Herzog Ernst II. von Sachsen-Altenburg
Abb. 4 Herzog Bernhard III. Sachsen-Meiningen
In Weimar wetterten inzwischen rechtskonservative Kreise in der „Weimarischen Zeitung“ gegen den „auf fremden Boden erwachsene[n] und für uns schändliche[n] Parlamentarismus, dem der Fürst nicht wie uns der Vorderste ist.“35 Da inzwischen auch das Dreiklassenwahlrecht in Preußen zu Fall gekommen war, zeigten sich der Großherzog in Weimar ebenso wie auch Ernst II. von Sachsen-Altenburg und Fürst Günther Viktor von Schwarzburg-Rudolstadt geneigt, in ihren Staaten grundlegende Verfassungs- und Wahlrechtsänderungen einzuleiten.36 Der Hauptwiderstand wurde ihnen dabei von ihren eigenen 35 36
Zit. nach BAUDERT, Sachsen-Weimars Ende (wie Anm. 60), S. 4. MAREK, Der Sturz der Fürstenhäuser (wie Anm. 25), S. 408; Jochen LENGEMANN, Landtag und Gebietsvertretung von Schwarzburg-Sondershausen 1843–1923. Biographisches Handbuch, Jena u. a. 1998, S. 41.
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Staatsministern entgegengesetzt, die sich aus ihrer konservativen Grundhaltung heraus mit einer Demokratisierung nicht abfinden konnten und den Rücktritt anboten. Die Reformen im Reich im Oktober 1918 führten deshalb letztlich zu Regierungskrisen in diesen thüringischen Staaten, welche sich verzögernd auf die angestrebten Reformen auswirkten.37 Als nach der Sommerpause der Landtag in Weimar wieder zusammentrat und den Forderungen nach allgemeinem und freiem Wahlrecht und dem Zusammenschluss der thüringischen Staaten vom Staatsministerium wiederum nur hinhaltend begegnet wurde, forderte der sozialdemokratische Abgeordnete August Baudert (1860–1942) am 31. Oktober 1918 schließlich erstmals öffentlich in einem thüringischen Landtag die Beendigung des monarchischen Regierungssystems.38 Großherzog Wilhelm Ernst erklärte daraufhin als erster deutscher Fürst seine Absicht, zu den Kriegslasten das Seine beitragen zu wollen und auf die ihm zustehende Steuerfreiheit von Staatsund Gemeindesteuern vom 1. Januar 1919 an zu verzichten. In dieser Situation kam dieses Zugeständnis allerdings viel zu spät, wie auch der Entschluss des Altenburger Herzogs, noch am 7. November einen SPD-Funktionär als Referenten für Ernährungsfragen zu berufen.39 Allgemein waren die ernestinischen Landesherren bis Anfang November noch davon ausgegangen, dass lediglich ein Thronverzicht des Kaisers zur Diskussion stand und sie ihre Herrschaft in den Ländern würden fortsetzen können. In der Zwischenzeit hatte sich jedoch auf einem ganz anderen Schauplatz eine Entwicklung angebahnt, welche die politischen Handlungsverläufe in eine radikalere Richtung lenken sollte. Die Marineleitung wollte die deutsche Hochseeflotte – nachdem diese Jahre praktisch untätig in den Häfen gelegen hatte – mit einem Vorstoß gegen die Küste Flanderns zu einem letzten großen Einsatz gegen die britische Flotte führen; dies obwohl die oberste Heeresleitung bereits seit dem Spätsommer 1918 öffentlich von Friedensverhandlungen sprach. Der Aufstand der Matrosen gegen diesen sinnlosen Befehl begann auf dem Linienschiff „S.M.S. Thüringen“. Am 30. und 31. Oktober 1918 verhinderten etwa 350 meuternde Matrosen und Unteroffiziere zweimal das Auslaufen des Schiffes gegen den Feind, indem sie das Feuer unter den Kesseln löschten.40 Auf der nicht weit entfernt liegenden „S.M.S. Helgoland“, dem Schwesterschiff der „Thüringen“, hatte die Mannschaft die Ereignisse beobachtet und rund 150 Matrosen schlossen sich der 37 38 39 40
Beate HÄUPEL, Die Gründung des Landes Thüringen. Staatsbildung und Reformpolitik 1918–1923, Weimar/Köln 1995, S. 37. FACIUS, Politische Geschichte (wie Anm. 10), S. 312. Bericht der Weimarischen Zeitung vom 9. November 1918; FACIUS, Politische Geschichte (wie Anm. 10), S. 312; HAHN, Von der Novemberrevolution 1918 (wie Anm. 10), S. 11. Gedruckter Bericht der Ereignisse durch den Augenzeugen Fikentscher, Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (im Folgenden: ThHStAW) A 2002 AD.
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Meuterei an. Nach Verhandlungen gaben die insgesamt rund 500 Meuterer auf und wurden in Militärgefängnisse nach Oslebshausen bei Bremen und in das Fort Heppens bei Wilhelmshaven gebracht, ebenso wie später weitere Matrosen anderer Schiffe. Landgänger weiterer Kriegsschiffe solidarisierten sich in den darauffolgenden Tagen mit den Werftarbeitern. Am 3. November kam es zu von der Gewerkschaft organisierten Demonstrationen in Kiel, bei der Angehörige einer Ausbildungskompanie das Feuer auf die Demonstranten eröffneten und sieben Menschen starben. Trotz dieses Zwischenfalls war bereits am 4. November die Machtfrage in Kiel zu Gunsten der Revolutionäre entschieden. Im Kriegstagebuch der „S.M.S. Thüringen“ findet sich unter dem 9. November 1918 der lapidare Eintrag: „Nachmittags wurde die rote Flagge gesetzt und Kriegsflagge und Wimpel eingeholt.“41 Über die Vorgänge in Kiel hatten die Zeitungen in Thüringen nur unzureichend berichtet, dennoch herrschte unter den Soldaten in der thüringischen Garnison schon seit einiger Zeit Unruhe. Von der 6. Ersatzkompanie in Weimar konnten bestenfalls noch die Rekruten als politisch zuverlässig angesehen werden. Vom letzten an die Front abgegangenen Kontingent Ersatzmannschaften war nur noch die Hälfte an der Front eingetroffen und der Rest unterwegs desertiert.42 Hier rächte sich, dass man zahlreiche Mitwirkende am Streik in Jena im Januar 1918 zum Militär eingezogen hatte.43 Trotz dieser deutlichen Zeichen glaubten die thüringischen Fürsten bis zum Sturz der bayerischen Wittelsbacher am 7. und des Herzogs von Braunschweig am 8. November an einen Erhalt des monarchischen Systems nach der Ersetzung des Kaiser durch einen Reichsverweser oder Regenten, da ja auch die Person des preußischen Kronprinzen als nicht mehr akzeptabel angesehen wurde. Nun war aber bereits in zwei Gliedstaaten des Deutschen Reiches die Republik ausgerufen worden. Aber noch immer war man in Weimar, Meiningen oder Altenburg überzeugt, durch Verhandlungen mit den Sozialdemokraten der Krise Herr werden zu können. So wurden die thüringischen Fürsten und ihre Regierungen von der Schnelligkeit der nun ablaufenden Ereignisse völlig überrollt.44 Die Bildung von Soldatenräten beim Stellvertretenden Generalkommando des XI. Armeekorps in Kassel sowie beim IV. Generalkommando in Magdeburg (zuständig für das Herzogtum Sachsen-Altenburg) und damit die Ausschaltung der Stellen, die bisher die Befehlsgewalt über die militärischen Verbände und die Kriegsverwaltung in Thü-
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Bundesarchiv, Abt. Militärarchiv, RM 923607 (Kriegstagebuch der Thüringen vom 9. November 1918 im Bestand schwere und mittlere Kampfschiffe). Niederschrift des Garnisonskommandanten auf der Grundlage eines am 9. November 1918 von ihm verfassten Berichts. ThHStAW A 2002 AD, Bl. 20r. SCHULZE, Die Novemberrevolution 1918 (wie Anm. 3), S. 38. FACIUS, Politische Geschichte (wie Anm. 10), S. 318.
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ringen ausgeübt hatten, verschaffte den Revolutionären am 8. November freie Bahn. Im preußischen Erfurt hatten die Nachrichten von den revolutionären Ereignissen am 8. November einen Solidaritätsausstand der Arbeiter der Maschinenfabrik Hagans zur Folge. Die Arbeiter der Königlichen Gewehrfabrik, während des ersten Weltkriegs eine der bedeutendsten Produktionsstätten für Handfeuerwaffen im Deutschen Reich, schlossen sich an. Gegen 17.00 Uhr kam es zu einer Großkundgebung auf dem Domplatz. In der Nacht bildete sich ein Arbeiterrat. Die Mannschaften des in Erfurt stationierten Feldartillerie-Regiments 19 zwangen mit ihren vor den Kasernen aufgefahrenen Geschützen auch die Offiziere des Infanterie-Regiments Nr. 71 sowie einer Maschinengewehr-Kompanie zur Aufgabe. Hierauf bildet sich ein Soldatenrat der gesamten Garnison. Mit der Besetzung der Kommandantur am Anger übernahmen die Revolutionäre die Macht in der Stadt.45 Als Prinz Max von Baden am 9. November 1918 in Berlin ohne Rücksprache mit Wilhelm II. den Rücktritt des Kaisers verkündete, hatte sich in Erfurt bereits der inzwischen vereinigte Arbeiter- und der Soldatenrat zur politischen Vertretung des Stadtkreises wie auch des gesamten Regierungsbezirks Erfurt erklärt. Nach Weimar waren Abgesandte des Gothaer Soldatenrats noch in den Morgenstunden des 8. November über den Militärflughafen Nohra gekommen. Gleichzeitig trafen Angehörige der Spartakusgruppe ein, um in der großherzoglichen Residenzstadt den Umbruch vorzubereiten. Dies war nach eigenem Bekunden kein einfaches Unterfangen, da im Gegensatz zu den Soldaten unter den Arbeitern und den Bürgern der Stadt noch keine Bereitschaft für revolutionäre Maßnahmen vorhanden war.46 In Eisenach hingegen hatte sich bereits am 7. November ein Arbeiterrat gebildet. In Weimar jedoch wurde selbst der SPDAbgeordnete August Baudert, der sich noch am 7. November in Berlin aufgehalten hatte, am Morgen des 8. November 1918 durch den Besuch von Soldaten der Weimarer Garnison überrascht, die ihn für die Vorbereitung und Leitung einer großen Demonstration am Abend gewinnen wollten. Im Anschluss an diese Demonstration von über 1.000 Soldaten zum Schloss, dem sich dann auch Arbeiter angeschlossen hatten, wurden hier Post, Bahnhof und Fernsprechvermittlung besetzt. Aus den Gefängnissen wurden die dort wegen Disziplinarvergehen einsitzenden Soldaten befreit. Unter dem Druck der Ereignisse und nachdem auch die Abdankung des Kaiser bekannt geworden war, dankte Großherzog Wilhelm Ernst am Abend des 9. November als erster thüringischer Landesherr ab. Es war der Vermittlung von August Baudert zu verdanken, dass es zu keinen Ausschreitungen gegenüber dem bei der Bevölkerung unbeliebten 45 46
SCHULZE, Die Novemberrevolution 1918 (wie Anm. 3), S. 66. Ebd.
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Monarchen kam und die revolutionären Ereignisse abliefen, ohne dass ein einziger Schuss fiel. Er übernahm den Vorsitz in dem sich nun bildenden Arbeiterrat. Da die Mitglieder der großherzoglichen Regierung zu einer vorübergehenden Weiterführung der Geschäfte nicht bereit waren, übernahm er als Staatskommissar die Leitung einer provisorischen Landesregierung. Bauderts erfolgreiche Bemühungen, die Ereignisse in „die Bahnen einer bürgerlich-parlamentarischen Reformbewegung zu lenken“, wurden ihm später als Verrat an der Revolution vorgeworfen.47 Großherzog Ernst zog sich mit seiner Familie auf seine Besitzungen bei Heinrichau in Schlesien zurück, wo er 1923 verstarb. In den Morgenstunden des 8. November 1918 wurde auf den Militärflugplätzen Leina bei Altenburg der vermutlich erste Soldatenrat in Thüringen gewählt. Wenig später organisierten sich auch die Soldaten auf dem Militärflugplatz Gotha und bildeten mit Unterstützung des USPD-Abgeordneten Wilhelm Bock am Abend den ersten Arbeiter- und Soldatenrat in Thüringen. Eine Rolle spielte hierbei sicherlich, dass man auf den Flugplätzen mit guten Funkverbindungen besser über den Stand der Ereignisse informiert war als in anderen Garnisonen. Am Tag darauf erklärte Wilhelm Bock während einer Massenkundgebung auf dem Marktplatz den abwesenden Herzog Carl Eduard von SachsenCoburg und Gotha für abgesetzt und den Arbeiter- und Soldatenrat zur provisorischen Regierung der „Republik Gotha“. Weiterhin forderte er den Zusammenschluss Thüringens unter einer demokratisch gewählten Regierung. Im Landesteil Coburg war es vergleichsweise ruhig geblieben. Zwar hatte sich auch hier am 11. November ein provisorischer Arbeiter- und Soldatenrat gebildet und die Macht über die Militär- und Stadtverwaltung übernommen, das Staatsministerium weigerte sich jedoch, diesen anzuerkennen und eine Forderung nach Abdankung des Herzogs entgegenzunehmen. Der Herzog hielt sich aus Sicherheitsgründen in seinem Schloss Callenberg im Coburgischen auf. Erst am 13. November war er bereit, eine Erklärung zu unterzeichnen, in der er zwar auf die Regierungstätigkeit verzichtete, ohne jedoch auch gleichzeitig einen Thronverzicht zu leisten. Diese Erklärung wurde auf einer eilig einberufenen Sitzung des Gemeinschaftlichen Landtags beider Herzogtümer am 14. November verlesen. Wilhelm Bock, weitere Abgeordnete der USPD sowie Vertreter des Arbeiter- und Soldatenrates versuchten, die parlamentarische Verfassung zu beseitigen und durch eine Räterepublik zu ersetzen, was jedoch nicht gelang. Gemeinschaftliche Landtage fanden im Anschluss nicht mehr statt und das völlige Auseinanderfallen der beiden Gebietsteile zeichnete sich bereits ab. Herzog Carl Eduard wählte das Schloss Callenberg zu seinem bevorzugten Wohnsitz.
47
Ebd., S. 70.
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In Altenburg war es am 9. November zunächst zu Ausschreitungen gekommen. Mit Mühe konnte der von August Frölich geleitete Vorstand der SPD verhindern, dass ein Trupp Soldaten das Schloss stürmte. Herzog Ernst II. und seine Familie wurden daraufhin unter den Schutz des Arbeiter- und Soldatenrates gestellt. Dieser rief dann am 10. November während einer großen Volksversammlung in Altenburg die Republik aus, ohne dass der Herzog bereits abgedankt hatte. Nach Verhandlungen mit dem Arbeiter- und Soldatenrat, den Parteien und Gewerkschaften ernannte er am 13. November als letzte Amtshandlung eine neue Regierung, dem der linksbürgerliche Bürgermeister Wilhelm Tell als Staatsminister vorstand. Von den vier Staatsräten gehörten zwei der SPD an, ein weiterer war linksbürgerlich orientiert, der andere parteilos. Anschließend leistete er einen Verzicht auf den Thron des Herzogtums. In Falle SachsenAltenburgs hatte der regierende Herzog konstruktiv bei der Überleitung des Staates von der konstitutionellen Monarchie zu einem republikanischen Staatswesen mitgewirkt. Seinen Wohnsitz nahm er auf dem Schloss Fröhliche Wiederkunft bei Wolfersdorf. Ähnlich wie in Weimar gelang es auch in Meiningen gemäßigten Sozialdemokraten, die revolutionären Abläufe zu steuern. Nachdem sich am 10. November die Arbeiter- und Soldatenräte vereinigt hatten, zog am frühen Abend ein Demonstrationszug zum herzoglichen Palais. Eine vierzigköpfige Abordnung legte Herzog Bernhard III. eine Abdankungsurkunde vor, die er gegen 18.00 Uhr unterschrieb, allerdings hinzufügte „Gott segne das Land Meiningen“.48 Eine Übernahme der politischen Gewalt durch die Revolutionäre erfolgte nach dieser wohl eher spontanen und unorganisierten Aktion nicht. Sachsen-Meiningen blieb zunächst noch ein Herzogtum ohne regierenden Herzog, verwaltet von der großherzoglichen Regierung. Dem Landtagsabgeordneten Arthur Hofmann gelang es am 12. November, den herzoglichen Staatsminister v. Türcke dafür zu gewinnen, sich an die Spitze einer Übergangsregierung zu stellen, in die neben Hofmann zwei weitere Sozialdemokraten als Staatsräte eintraten. Erst nach der Anerkennung der Abdankung durch den Landtag gab schließlich auch der Erbprinz Ernst seinen Widerstand auf und verzichtete auf die Thronfolge. Herzog Bernhard III. lebte danach in Haubinda bei Hildburghausen. Auf parlamentarischem Wege und vergleichsweise ruhig verlief dagegen der politische Umbruch in den beiden schwarzburgischen Fürstentümern, die seit 1909 von Fürst Günther Viktor gemeinsam regiert wurden. Während in den ernestinischen Territorien die Herrscher alsbald abzudanken hatten, wurde Günther Viktor erst später dazu aufgefordert und er ließ sich darauf nur ein, sofern ein reibungsloser Übergang zum republikanischen Regierungssystem 48
FACIUS, Politische Geschichte (wie Anm. 10), S. 328.
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gewährleistet werden könnte. Es wurde dementsprechend ein Gesetzeswerk zur Neuregelung der Landesregierung ausgearbeitet, das am 23. November rechtskräftig wurde.49 Am gleichen Tag legte Günther Viktor die Regierungsgeschäfte nieder und am 25. November unterzeichneten das Staatsministerium und der Fürst ein Gesetz zu Änderung des Staatsgrundgesetzes von 1857 und zur Bestätigung des Landesrats sowie Günther Viktor seine Abdankungsurkunde. Damit war der Übergang zum „sozialen Volksstaat“ abgeschlossen. Der Schwarzburger war damit von allen deutschen Fürsten am längsten auf seinem Thron verblieben.50 Nachdem sich im Winter 1918/19 die ersten Stürme gelegt hatten, einigte man sich schnell auf pragmatische Lösungen und außer in Sachsen-WeimarEisenach blieben Mitglieder der fürstlichen Regierungen zumindest vorübergehend in Amt und die Verwaltungen weitestgehend bestehen. Angesichts der ohnehin schwierigen Zeiten wollte man auf die Sachkenntnis der fürstlichen Regierungs- und Verwaltungsangehörigen nicht verzichten. In Sachsen-WeimarEisenach, dem einzigen Staat, in dem die Regierung vollständig zurückgetreten war, übernahmen die leitenden Beamten die Funktionen ihrer Departementchefs. Überall war es dem gemäßigteren Flügel der Sozialdemokraten letztlich gelungen, die Macht von den revolutionären Organen zu übernehmen und die staatliche Neuordnung in parlamentarische Bahnen zu lenken.51 Die Arbeiter- und Soldatenräte des den das thüringische Gebiet umfassenden 36. Reichstags-Wahlkreises tagten am 10. Dezember 1918 in Erfurt mit Vertretern mehrerer thüringischer Staatsministerien mit dem Ziel der Bildung eines Landes Thüringen unter Einschluss der preußischen Gebiete als Teil einer Einheitsrepublik Deutschland. Es wurde ein Zwölfer-Ausschuss für die anstehenden Verhandlungen mit den thüringischen Einzelstaaten und Preußen gebildet. Im Mai 1919 konnten sich die thüringischen Staatsminister und Landtagspräsidenten von WeimarEisenach, Meinigen, Altenburg, Gotha, Rudolstadt, Sondershausen und dem inzwischen zusammengeschlossenen Staaten Reuß auf den von dem Jenaer Staatsrechtler Prof. Eduard Rosenthal (1853–1926) ausgearbeiteten Entwurf eines Gemeinschaftsvertrags einigen. Die gewünschte Einbeziehung des preußischen Regierungsbezirks Erfurt scheiterte und es kam zur Kleinthüringischen Lösung. Der Gemeinschaftsvertrag trat am 4. Januar 1920 in Kraft. Rosenthal wurde bereits im Dezember 1919 mit der Ausarbeitung einer Verfassung beauftragt.
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Ulrich HEß, Geschichte der Staatsbehörden in Schwarzburg-Rudolstadt, hg. v. Peter LANGHOF, Jena 1994, S. 77 f. FACIUS, Der thüringische Raum (wie Anm. 6), S. 534. HÄUPEL, Die Gründung des Landes Thüringen (wie Anm. 37), S. 48.
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Der Freistaat Coburg schloss sich allerdings nach Volksabstimmung im November 1919 Bayern an.52 Die Bildung des Landes Thüringen durch Reichsgesetz vom 1. Mai 1920 blieb der einzig konstruktive Beitrag zu der allgemein geforderten umfassenden Reichsreform.53 Das Verhalten der thüringischen Landesherren und ihrer Regierungen angesichts der revolutionären Ereignisse im Herbst 1918 lässt den Schluss zu, dass überall die tatsächliche Brisanz der politischen Lage fast bis zum Schluss nicht erkannt worden war Die Staatsführungen waren ohne Konzept und betrieben hie und da nur noch einige hilflose Anstrengungen. Auffällig ist das völlige Fehlen eines gezielten Krisenmanagements. Nirgends konnte auch nur der Versuch eines bewaffneten Widerstands unternommen werden, da verlässliche Truppen nicht mehr in ausreichender Zahl zur Verfügung standen. Überraschenderweise waren im Gegensatz zu den Staatsministerien eher noch einige Fürsten zur Durchführung grundlegender Reformen geneigt. Es hat darüber hinaus fast den Anschein, dass die meisten Landesherren schließlich den Anachronismus ihrer politischen Existenz erkannt hatten. Waren die thüringischen Kleinstaaten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem im wirtschaftlichen und kulturellen Bereich durchaus gestaltungs- und innovationsfähig gewesen, so hatte sich das System der konstitutionellen Monarchien wegen seiner Unfähigkeit überlebt, für die politischen und sozialen Problemstellungen seit der Jahrhundertwende einschließlich der kleinräumigen Grenzziehungen Lösungsmöglichkeiten anzubieten.54 Obwohl die meisten Landesherren bis zum Schluss ein großes Verantwortungsbewusstsein und Pflichtgefühl an den Tag legten, werden einige von ihnen letztlich froh über die Entbindung von der Regierungsverantwortung gewesen sein.55 Dies um so mehr, als sie durchweg über ausreichende Mittel verfügten, um auch künftig ein standesgemäßes Leben führen zu können. Neben Privatbesitz sorgten dafür die mit den Nachfolgestaaten ausgehandelten Entschädigungen und Renten. Diese waren für die in Staatsbesitz übergegangenen Gebäude, Sammlungen und Kunstschätze zu leisten. Die im Volkstaat Gotha 1919 beschlossene entschädigungslose Enteignung musste auf Weisung des Reichsgerichts 1925 wieder rückgängig gemacht werden. Die Verpflichtungen 52 53 54 55
Vgl. ebd., S. 80–117. FACIUS, Der thüringische Raum (wie Anm. 6), S. 536; eine Übersicht der Ereignisse auch bei HÄUPEL, Die Gründung des Landes Thüringen (wie Anm. 37), S. 80–94 und JOHN, Die Thüringer Kleinstaaten (wie Anm. 4), S. 140 f. Ebd., S. 140; HAHN, Fortschrittshindernis (wie Anm. 38), S. 89; MAST, Schrullen (wie Anm. 14), S. 208 f. Zu Fürst Günther Viktor vgl. Doreen WINKLER, Günter Viktor, in: Die Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt, hg. vom Thüringischen Landesmuseum Heidecksburg, Rudolstadt 32001, S. 176; zu Großherzog Wilhelm Ernst vgl. POST, Wilhelm Ernst (wie Anm. 15), S. 285 sowie HÄUPEL, Die Gründung des Landes Thüringen (wie Anm. 37), S. 40.
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der Einzelstaaten wurden 1923 von dem drei Jahre zuvor gegründeten Land Thüringen übernommen.56 Am 6. Mai 1922 schließlich erfolgte die Aufhebung aller Standesvorrechte im Land Thüringen aufgrund eines Gesetzes als Ausführungsbestimmung zur Reichsverfassung Artikel 109 Abs. 2.
56
Zu den Auseinandersetzungsverträgen sowie den Enteignungen nach 1945 vgl. Volker WAHL, Das Erbe und das Erben, in: Hans HOFFMEISTER/Volker WAHL (Hg.), Die Wettiner in Thüringen. Geschichte und Kultur in Deutschlands Mitte, Arnstadt/Weimar 1999, S. 415–421.
WERNER GREILING DER LANGE WEG ZUR PRESSEFREIHEIT
Der lange Weg zur Pressefreiheit Die Ernestiner und die Printmedien 1. Die Hoffnung der Aufklärer Freyheit der Presse ist Angelegenheit und Interesse des ganzen Menschen-Geschlechtes. Dieser Freyheit hauptsächlich haben wir den gegenwärtigen Grad von Erleuchtung, Kultur und Verfeinerung, dessen unser Europa sich rühmen kann, zu verdanken,1
meinte Christoph Martin Wieland 1785 in einer Art von Grundsatzerklärung. Der deutschlandweit bekannte Aufklärer, der seit 1772 in Weimar lebte, vertrat die Ansicht, dass Pressefreiheit ein unveräußerliches Menschenrecht ist. Es müsse möglich sein, unbeeinträchtigt von politischen Widersachern und Obrigkeiten sämtliche Belange des öffentlichen Lebens auch öffentlich zu thematisieren. „Alles was wir wissen können, das dürfen wir auch wissen“, schreibt Wieland. Und er entwickelte hieraus einige Grundsätze publizistischer Betätigung im Dienst der „Wissenschaft des Menschen“, der man sich „noch Jahrtausende“ werde widmen müssen. Dieses Credo, das in ähnlicher Weise bereits von den Frühaufklärern formuliert worden war, lag nicht allein der Tätigkeit Wielands zugrunde. Aber zweifellos war der Herausgeber des „Teutschen Merkur“ eine Zentralfigur der politischen Publizistik im ausgehenden 18. Jahrhundert insgesamt und ein Hauptakteur des Pressewesens in der ernestinischen Staatenwelt. Intensiver als viele seiner Kollegen reflektierte Wieland über die Möglichkeiten und Grenzen des eigenen Wirkens. Stärker als viele andere pochte er darauf, ohne jegliche Bevormundung publizieren zu dürfen. „Freyheit der Presse ist nur darum ein Recht der Schriftsteller, weil sie ein Recht der Menschheit“2 ist, meinte Wieland. Und mit Selbstbewusstsein war er von der unbedingten Nützlichkeit öffentlicher publizistischer Stellungnahme überzeugt:
1
2
Christoph Martin WIELAND, Ueber die Rechte und Pflichten der Schriftsteller in Absicht ihrer Nachrichten, Bemerkungen, und Urtheile über Nationen, Regierungen, und andre politische Gegenstände, in: Der Teutsche Merkur, Drittes Vierteljahr, Weimar 1785, S. 193–207, hier S. 194. – Vgl. auch Werner GREILING, Presse und Öffentlichkeit in Thüringen. Mediale Verdichtung und kommunikative Vernetzung im 18. und 19. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2003. WIELAND, Ueber die Rechte und Pflichten (wie Anm. 1), S. 195.
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Insonderheit ist jeder großen Nation – also auch ganz vorzüglich der unsrigen, deren Staatskörper eine so sonderbare Gestalt hat, und aus so mannichfaltigen und ungleichartigen Theilen zusammengewachsen ist, daran gelegen, ihren gegenwärtigen Zustand so genau als möglich zu kennen; und jeder noch so geringe Beytrag, der über die Beschaffenheit der Staatshaushaltung, der Polizey, der bürgerlichen und militärischen Verfassung, der Religion, der Sitten, der öffentlichen Erziehung, der Wissenschaften und Künste, der Gewerbe, der Landwirthschaft u.s.w. in jedem Theile unsers gemeinsamen Vaterlandes, und über die Stufe der Kultur, Aufklärung, Humanisirung, Freyheit, Thätigkeit und Emporstrebung zum Bessern, die jeder derselben erreicht hat, einiges Licht verbreitet, jeder solche Beytrag ist schätzbar, und verdient unsern Dank.3
Derartige Wortmeldungen dienten aber nicht nur dem Selbstverständnis ihrer Verfasser. Vielmehr waren sie auch als eine Forderung an die Herrschenden gedacht. Denn den ernestinischen Fürsten oblag es, die politischen und rechtlichen Grundlagen für die Etablierung des Buchdrucks und die Entfaltung der Presse zu fixieren. Die Haltung der Ernestiner zu den Printmedien im Allgemeinen und zu Zensur, Pressefreiheit und Öffentlichkeit im Besonderen lässt sich insofern in erster Linie an den Rahmenbedingungen erkennen, die sie für die Branche festlegten. Nach 1815 und insbesondere 1848/49 traten bei der Aushandlung der Regeln für die Presse zwar auch noch die territorialstaatlichen Landtage auf den Plan, und nach 1850 wurden vermeintliche Vergehen vor Gericht verhandelt. Aber es blieben bis 1918 in erster Linie die ernestinischen Herzöge und ihr politisches Personal, die das Regelwerk bestimmten, zunehmend auch eine aktive Pressepolitik betrieben und deren Haltung man deshalb vor allem aus ihren gesetzlichen Vorgaben ableiten kann. Lässt man sich von der beachtlichen Vielzahl publizistischer Beiträge über verschiedene Aspekte von Staat und Gesellschaft, Sitten und Kultur, Gewerbe und Landwirtschaft leiten, die in den ernestinischen Staaten bereits im 18. Jahrhundert an die Öffentlichkeit gelangten, so kann man einen vergleichsweise liberalen Umgang der ernestinischen Obrigkeit mit der Presse vermuten. Auch die bemerkenswert große Anzahl periodischer Printmedien in der ernestinischen Staatenwelt und ihre gute, in vielen Fällen sogar herausragende publizistische Qualität scheint diesen Eindruck zu bestätigen. Dies gilt nicht nur für Christoph Martin Wielands „Der Teutsche Merkur“, sondern auch für Periodika
3
Ebd., S. 198. Vgl. auch DERS., Von der Freiheit der Literatur. Kritische Schriften und Publizistik, hg. v. Wolfgang ALBRECHT, Frankfurt am Main 1997, Bd. 1, S. 653–663; Bd. 2, S. 1275–1280; John A. MCCARTHY, Die gefesselte Muse? Wieland und die Pressefreiheit, in: Modern Language Notes 99 (1984), H. 3, S. 437–460.
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aus den Verlagen von Rudolph Zacharias Becker in Gotha und Friedrich Justin Bertuch in Weimar. Herausragende Bedeutung kam zudem Christian Gotthilf Salzmanns „Der Bote aus Thüringen“ und dem „Oppositions-Blatt oder Weimarische Zeitung“ zu. Während Ersterer für Dutzende volksaufklärerische Zeitschriften im deutschen Sprachraum gattungsprägend wurde, galt das „Oppositions-Blatt“ als das „bedeutendste Organ der öffentlichen Meinung in Deutschland“.4 Schon frühzeitig kann man in den ernestinischen Staaten eine Verdichtung der Medien und eine intensive Vernetzung der Kommunikation konstatieren, wozu vor allem ernestinische Residenzstädte wie Gotha, Weimar und Altenburg sowie Jena als Sitz der ernestinischen Gesamtuniversität beitrugen. Der öffentliche und „halböffentliche“ Diskurs in den periodischen Printmedien gilt als wichtige Voraussetzung allen Fortschritts, ja als ein „Vehikel der Moderne“. Es sind nicht nur Informationen und Nachrichten, die von den Medien erwartet wurden, sondern auch die Mitwirkung an der Meinungsbildung und nicht zuletzt Kontrolle und Kritik. Durch „Publizität und Preßfreiheit“ etablierten die Medien, so der Publizist Georg Friedrich Rebmann 1791, zwei Jahre nach seinem Abgang von der ernestinischen Universität Jena, „eine neue Instanz, die der größte Monarch wie der niedrigste Bettler in Gemeinschaft hat – der Richterstuhl des Publikums, der gesamten Menschheit.“5 Um das Verhältnis der Ernestiner zu den Printmedien zu analysieren, werden im Folgenden in erster Linie die Rahmenbedingungen für den Buchdruck und die Presse beleuchtet, und zwar anhand entsprechender Verordnungen und Gesetze. Dabei wird auch der Interaktion zwischen der nationalen und der territorialstaatlichen Ebene Beachtung geschenkt. Auf eine systematische Analyse der Medien und ihrer Gattungen – im betrachteten Zeitraum vor allem Zeitungen, Zeitschriften, Intelligenzblätter und Schreibkalender – wird verzichtet, zumal sie im vorgegebenen Rahmen ohnehin nicht zu leisten ist. Allerdings werden immanent auch einige Schlaglichter auf einzelne Periodika geworfen. Dadurch kommt neben der normativen Seite auch die publizistische Praxis in den ernestinischen Staaten in den Blick.
4 5
Hans EHRENTREICH, Die freie Presse in Sachsen-Weimar-Eisenach von den Freiheitskriegen bis zu den Karlsbader Beschlüssen, Halle 1907, S. 24. [Georg Friedrich REBMANN], Ein Vorschlag zu Beförderung schnellerer Justizpflege in Armensachen. Vorher auch ein Wort über Volksaufklärung und Empörungssucht, Publizität und Preßfreiheit, Regensburg 1791, hier zit. nach: DERS., Jena fängt an, mir zu gefallen. Stadt und Universität in Schriften und Briefen. Mit einem Anhang, Jena/Leipzig 1994, S. 125.
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2. Die Rahmenbedingungen im Reich und im Deutschen Bund Die Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen und insbesondere die Entstehung und Institutionalisierung der Zensur im Reich wurden schon mehrfach dargestellt.6 Deshalb kann man es in diesem Rahmen bei einigen knappen Stichworten bewenden lassen. Der Einführung einer Bücherzensur in der Diözese Mainz durch Erlass von Erzbischof Berthold von Henneberg am 4. Januar 1486 folgte mit dem Wormser Edikt von 1521 das erste gegen Druckschriften erlassene Reichsgesetz. Dem folgten die Reichstagsabschiede von Nürnberg, Speyer und Augsburg in den Jahren 1524, 1525 und 1530 sowie die Einrichtung von Bücherkommissionen in Frankfurt am Main und Leipzig in den Jahren 1567 und 1569.7 Ein zweiter Schub reichsrechtlicher Zensurbestimmungen erfolgte gegen Ende des 16. Jahrhunderts.8 So enthält der Reichstagsabschied zu Speyer von 1570 die Klage, dass alle bisherigen Verbote von Schmähschriften erfolglos waren und die Zensurbestimmungen nicht effektiv durchgeführt wurden. Druckereien waren jetzt nur noch in Residenz-, Universitäts- und freien Reichsstädten gestattet, hingegen sollten „alle Winckel-Druckereyen stracks abgeschaffet“9 werden. Den Druckern wurde der Eid abverlangt, nichts ohne Erlaubnis der Obrigkeit zu drucken sowie die Autorennamen, den Verlagsort und das Erscheinungsjahr anzugeben. Mit dem 35. Titel der revidierten Polizeiordnung von 1577 wurde die Durchführung der Zensur vor Ort geregelt und die Reichsgesetzgebung in Zensurfragen abgeschlossen.10 Seitens der katholischen 6
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Vgl. Franz SCHNEIDER, Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit. Studien zur politischen Geschichte Deutschlands bis 1848, Neuwied/Berlin 1966, S. 16–54; Ulrich EISENHARDT, Die kaiserliche Aufsicht über Buchdruck, Buchhandel und Presse im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (1496–1806). Ein Beitrag zur Geschichte der Bücher- und Pressezensur, Karlsruhe 1970; Helmuth KIESEL/Paul MÜNCH, Gesellschaft und Literatur im 18. Jahrhundert. Voraussetzungen und Entstehung des literarischen Markts in Deutschland, München 1977, S. 104–123; Jürgen WILKE (Hg.), Pressefreiheit, Darmstadt 1984, S. 1–55; Heinz-Dietrich FISCHER, Handbuch der politischen Presse in Deutschland 1480– 1980. Synopse rechtlicher, struktureller und wirtschaftlicher Grundlagen der Tendenzpublizistik im Kommunikationsfeld, Düsseldorf 1981, S. 37–47; Wolfgang WÜST, Censur als Stütze von Staat und Kirche in der Frühmoderne. Augsburg, Bayern, Kurmainz und Württemberg im Vergleich, München 1998; Rudolf STÖBER, Deutsche Pressegeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Konstanz ²2005, S. 100–108. Vgl. EISENHARDT, Die kaiserliche Aufsicht (wie Anm. 6), S. 64 f. Vgl. KIESEL/MÜNCH, Gesellschaft und Literatur (wie Anm. 6), S. 109–112. Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, Welche von den Zeiten Kayser Conrads des II. bis jetzo, auf den Teutschen Reichs-Tägen abgefasset worden, sammt den wichtigsten Reichs-Schlüssen, so auf dem noch fürwährenden Reichs-Tage zur Richtigkeit gekommen sind, Teil III, Frankfurt am Main 1747, S. 308. Vgl. Der Römischen Kaiserl. Majestät reformirte und gebesserte Polizeiordnung, zu Beförderung gemeines guten bürgerlichen Wesen und Nutzen auf Anno MDLXXVII zu Frankfurt gehaltenem Reichsdeputationstag verfaßt und aufgericht, in: Wolfgang
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Kirche wurde 1559 durch Papst Paul IV. mit dem „Index librorum prohibitorum“ ein Verzeichnis verbotener Druckwerke geschaffen. Erst im 18. Jahrhundert wurde die Reichsgesetzgebung in diesem Metier dann wiederbelebt. Kaiser Karl VI. erließ 1715 Bestimmungen „Wegen ernstlicher Untersagung alles Schmähens zwischen denen im Reich gelittenen Religionen“. Alle Schmähschriften gegen die Grundfeste des Heiligen Römischen Reichs wurden streng untersagt, während die Bestimmungen über den Buchdruck gelockert wurden. Druckereien durften fortan in allen Städten errichtet werden, „wo Obrigkeitliche Obsicht gehalten wird“. Der Buchdruck war nun auch in kleinen Landstädten möglich, wenn sich die lokalen Obrigkeiten in der Lage sahen, „bey allen und jeden Buchdruckereien verständige und gelehrte Censores zu bestellen“.11 Zugleich wurde mit dem Edikt von 1715 die Gültigkeit der älteren Zensurgesetze bestätigt. Die Bestimmungen wurden 1746 durch ein kaiserliches Patent und 1790 durch die Wahlkapitulation Leopolds II. bestätigt, der die gegen das politische Schrifttum gerichteten Festlegungen im Jahr darauf per Pressereskript noch verschärfte.12 Mit der Niederlegung der Kaiserkrone durch Franz II. am 6. August 1806 stellten die Institutionen des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation ihre Tätigkeit ein.13 Auch die bisherigen Zensurbestimmungen fanden ihr Ende. Die Pressepolitik geriet im Rheinbund, dem die ernestinischen Herzogtümer im Dezember 1806 beitraten, unter den dominierenden Einfluss Napoleon Bonapartes. Viele Periodika mussten ihr Erscheinen einstellen, das Nachrichtenwesen wurde zentralisiert. Das Ziel der Pressepolitik bestand darin, all das zu unterdrücken, was „dem von Ihrer Königl. Majestät angenommenen politischen System zuwider läufet“.14 Nach dem Ende der napoleonischen Ära stand 1814/15 auf dem Wiener Kongress auch die Frage einer Preßgesetzgebung für den Deutschen Bund auf der Tagesordnung. Allerdings beließ man es in der „Deutschen Bundesakte“ vom 8. Juni 1815 noch bei einer Ankündigung über die „Abfassung gleichförmiger Verfügungen über die Preßfreyheit und die Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller und Verleger gegen den Nachdruck“.15 Das zusammenfassende Referat des Gesandten Günther Heinrich von Berg am 12. Oktober 1818 vor
11 12 13 14 15
KUNKEL/Gustaf Klemens SCHMELZEISEN/Hans THIEME (Hg.), Polizei- und Landesordnungen, Bd. 2, 1. Halbbd., Weimar 1968, S. 57–82, hier S. 78 (Titul XXXV, § 2). Zit. nach KIESEL/MÜNCH, Gesellschaft und Literatur (wie Anm. 6), S. 113. Vgl. ebd.; Oswald KREMPEL, Das Zensurrecht in Deutschland zu Ausgang des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts, Diss. (MS), Würzburg 1921. Vgl. Ernst Rudolf HUBER (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, Stuttgart u. a. ²1978, S. 37 f. Zit. nach SCHNEIDER: Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit (wie Anm. 6), S. 176. Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815, Art. 18, Abschnitt d, zit. nach HUBER (Hg.), Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte (wie Anm. 13), S. 90.
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der Bundesversammlung ließ in liberalen Kreisen Hoffnung aufkeimen, plädierte er doch für den Verzicht auf die Vorzensur bei nachträglicher gerichtlicher Ahndung von Verstößen gegen geltendes Recht.16 Allerdings kam es letztlich nicht zu liberalen Regelungen, sondern zu den repressiven „Provisorischen Bestimmungen hinsichtlich der Freiheit der Presse“ im Rahmen der Karlsbader Beschlüsse, die am 20. September 1819 durch die Bundesversammlung in Kraft gesetzt wurden.17 Damit wurde für alle Druckerzeugnisse mit einem Umfang von weniger als 20 Bogen (320 Seiten im Oktavformat) die Vorzensur wieder eingeführt (§ 1). Eine Druckerlaubnis konnte aus beliebigen Gründen verweigert, Zeitungen und Zeitschriften konnten unterdrückt und Bücher verboten oder beschlagnahmt werden.18 Zudem beseitigte das Karlsbader Preßgesetz die Pressehoheit der einzelnen Bundesstaaten, denen nun die Pflicht oblag, durch ihre Vorkehrungen dem § 1 des Gesetzes vollständig Genüge zu leisten (§ 2). Insgesamt griffen die Festlegungen des „Bundes-Preßgesetzes“, die zunächst auf fünf Jahre befristet waren (§ 10), tief in die territorialstaatliche Landeshoheit ein.19 Durch Bundesbeschluss vom 16. August 1824 wurden die Ausnahmebestimmungen verlängert und erst mit dem „Bundesbeschluss über die Aufhebung der Bundes-Ausnahmegesetze“ vom 2. April 1848 außer Kraft gesetzt.20 Allerdings stellte es der Bundestag in Frankfurt am Main den Bundesstaaten bereits am 3. März 1848 frei, „die Censur aufzuheben und Preßfreiheit einzuführen“.21 Seither herrschte in Deutschland de facto Pressefreiheit, die nach dem Ende der Revolution von 1848/49 sukzessive wieder eingeschränkt wurde. Die erneute Verschlechterung der politischen Rahmenbedingungen für die Presse manifestierte sich schließlich in den „Allgemeinen Bestimmungen zur Verhinderung des Mißbrauchs der Presse“,22 die die Deutsche Bundesversammlung am 6. Juli 1854 beschloss. Die 26 Paragraphen bedeuteten für Verleger, Herausgeber und Redakteure eine Vielzahl von Beschränkungen und kriminali16 17 18 19 20 21
22
Vgl. SCHNEIDER, Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit (wie Anm. 6), S. 205. Zum Folgenden vgl. Ernst Rudolf HUBER, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1, Stuttgart u. a. 1960, S. 742–745; DERS. (Hg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte (wie Anm. 13), S. 102–104. Vgl. DERS., Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 (wie Anm. 17), S. 743 f. Vgl. DERS., Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte (wie Anm. 13), S. 103. Vgl. ebd., Nr. 78, S. 330. Bundesbeschluß über die Einführung der Preßfreiheit vom 3. März 1848, in: ebd., Nr. 75, S. 329. Vgl. auch Richard KOHNEN, Pressepolitik des Deutschen Bundes. Methoden staatlicher Pressepolitik nach der Revolution von 1848, Tübingen 1995, S. 20; Martin HENKEL/Rolf TAUBERT, Die deutsche Presse 1848–1850. Eine Bibliographie, München u. a. 1986, S. 21. Der Text dieses Bundes-Preßgesetzes ist abgedruckt bei KOHNEN, Pressepolitik des Deutschen Bundes (wie Anm. 21), S. 54–59.
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sierten alles, was der Obrigkeit missfiel.23 Die Intensität der Berichterstattung und der publizistischen Debatten ging zurück, kam aber nicht zum Erliegen. Allerdings kehrte man zur Vorzensur der Karlsbader Beschlüsse nicht zurück. Auch insgesamt kann von einem „Zurück nach Karlsbad“ nach 1854 nicht die Rede sein, selbst wenn dies in einschlägigen Gesamtdarstellungen so eingeschätzt wird.24 Wolfram Siemann beispielsweise spricht von einem strukturellen Wandel, bei dem man vom „Präventivsystem“ der Zensur zu einem System der mittelbaren Kontrolle übergegangen sei.25 Dies jedoch bedeutete zwar eine Verschlechterung gegenüber der Revolutionszeit, nicht jedoch gegenüber dem Vormärz. Denn die nachträgliche Untersuchung vermeintlicher Preßvergehen durch die Justiz, die Siemann als „Verstrafrechtlichung“ kritisiert, bedeutete in der Praxis sogar einen Schutz der Presse vor staatlicher, behördlicher und richterlicher Willkür.26 Die übergroße Mehrzahl der „Preßprozesse“ fand in Deutschland vor einem Geschworenengericht statt und endete häufig mit Freisprüchen. Drei Jahre nach Gründung des Kaiserreichs verabschiedete dann der Reichstag ein relativ liberales Reichspressegesetz, das zwar nicht ohne Ausnahmebestimmungen auskam, seit Inkrafttreten am 1. Juli 1874 aber überall in Deutschland Pressefreiheit garantierte und die rechtlichen Voraussetzungen für eine „Entfesselung der Massenkommunikation“27 schuf.
3. Landesordnungen und frühe Preßgesetzgebung Die frühneuzeitlichen Zensurbestimmungen im Alten Reich und die Rahmenbedingungen der Jahre nach 1806 bis 1819 bildeten die Basis diesbezüglicher Regelungen in den ernestinischen Staaten. Hinsichtlich der zeitlichen Abfolge standen dabei die Landesordnungen an erster Stelle. Sie symbolisierten die Macht der Obrigkeit, fixierten Normen des Zusammenlebens und dienten der Disziplinierung der Untertanen. In der Folge wurden die Landesordnungen von Einzelgesetzen, Ausschreiben, Mandaten und Ähnlichem ergänzt. Dabei galt es, 23 24 25
26 27
Vgl. Jürgen MÜLLER, Der Deutsche Bund 1815–1866, München 2006, S. 39 f. Vgl. Hans-Ulrich WEHLER, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3: Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs, 1849–1914, München 1995, S. 208. Vgl. Wolfram SIEMANN, Von der offenen zur mittelbaren Kontrolle. Der Wandel in der deutschen Preßgesetzgebung und Zensurpraxis des 19. Jahrhunderts, in: „Unmoralisch an sich …“ Zensur im 18. und 19. Jahrhundert, hg. v. Herbert Georg GÖPFERT und Erdmann WEYRAUCH, Wiesbaden 1988, S. 293–308, bes. S. 307 f. Vgl. Thilo HEß, Zurück nach Karlsbad? Presserechtliche Rahmenbedingungen in SachsenWeimar-Eisenach nach der Revolution von 1848/49, in: Zeitschrift für Thüringische Geschichte 66 (2012), S. 155–176, hier bes. S. 176. Vgl. Jürgen WILKE, Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte, Köln/ Weimar/Wien ²2008, S. 252–258, hier S. 252.
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im territorialstaatlichen Rahmen Recht zu fixieren sowie die Vielfalt der vorhandenen Gewohnheiten zu vereinfachen und zusammenzufassen. Sobald ein Phänomen entstand, das erstmals juristischer Fixierung bedurfte, aber auch bei der Veränderung gesellschaftlicher Konstellationen fand dies in der Landesordnung oder in entsprechenden „Beyfugen“ und Einzelmandaten Berücksichtigung. Die erste thüringische Landesordnung entstand 1445 unter Wilhelm III. und wurde am 9. Januar 1446 verbrieft und versiegelt.28 Im übrigen Gebiet der Wettiner, das Kurfürst Ernst und Herzog Albrecht seit 1463 gemeinsam regierten, erließen beide am 15. April 1482 die erste Landesordnung.29 Sie blieb über die wettinische Landesteilung von 1485 hinaus in Kraft. Seit 1552 nahmen die Ernestiner eine Landesordnung in Angriff, die 1556 publiziert wurde30 und im gesamten ernestinischen Gebiet Gültigkeit besaß. Bereits 1589 folgte die nächste ernestinische Landesordnung31 der Brüder Friedrich Wilhelm und Johann für jenes Territorium, das bei der Landesteilung von 1572 ihrem Vater Johann Wilhelm mit den Kernstücken um Weimar und Altenburg zugefallen war. Die neue Landesordnung von 1589 schloss sich eng an die Bestimmungen von 1556 an und stellte nur in wenigen Punkten eine Erweiterung oder Veränderung dar. Zugleich bildete sie die Grundlage für die große Gothaer Landesordnung, die 1653 von Herzog Ernst dem Frommen erlassen wurde und schon 1666/67 eine Erweiterung erfuhr.32 In den ernestinischen Teillinien, die sich 1680/81 aus dem Erbe Ernsts neben dem verkleinerten Sachsen-Gotha gebildet hatten, wurden keine Landesordnungen mehr erlassen. Hier legte man weiterhin die Bestimmungen von 1653/66 zugrunde. Die Provisional-Verordnung für das Fürstentum Coburg blieb hinsichtlich der Konkret28 29 30
31
32
Vgl. Gregor RICHTER, Die ernestinischen Landesordnungen und ihre Vorläufer von 1446 und 1482, Köln/Graz 1964, S. 12–16. Vgl. ebd., S. 16 f. Des durchleuchtigen hochgebornen Fürsten und Herrn, Herrn Johans-Friderichen des Mitlers, Herrn Johans Wilhelm und Herrn Johanns Friderichen des Jüngern, gebrüdere, Hertzoge zu Sachssen, Landgraven in Düringen und Marggraven zu Meissen, Pollicey und Landtsordenung zu wolfart und bestem der selben Landen und Unterthanen bedacht und ausgegangen, gedruckt in Jena 1556 durch Christian Rödinger. Weiterer Druck von 1580. Der Durchlauchtigsten Hochgebornen Fürsten und Herren Friederich Wilhelms und Herren Johansen, Gebrüdern, Hertzogen zu Sachsen, Landgraven in Düringen und Marggraven zu Meissen etc. Pollicey und Landesordnunge zuwolfart, nutz und besten derselben Underthanen und Fürstenthumb bedacht und ausgegangen, gedruckt in Jena 1589 durch Tobiam Steinman. Fürstliche Sächsische revidirte und vermehrte Landes-Ordnung des Durchleuchtigen Hochgebornen Fürsten und Herrn, Herrn Ernsten, Hertzogen zu Sachsen, Jülich, Cleve und Bergen, Landgrafen in Thüringen, Marggrafen zu Meissen, Grafen zu der Marck und Ravensbergk, Herrn zu Ravenstein. Zu Nutz und Wolfarth S. Fürstl. Gnaden Unterthanen in dero Fürstenthumb Gotha publiciret und außgelassen, Gotha, Gedruckt durch Johann Michael Schalln, Im Jahr 1653.
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heit ihrer Bestimmungen zu Buchdruck und Buchhandel hinter der Gothaer Landesordnung von 1653 zurück.33 In Sachsen-Weimar, wo es mehrfach Bestrebungen für eine neue Landesordnung gab, galt jene von 1589 bis ins 19. Jahrhundert.34 Hier kam 1706 lediglich eine neue Polizeiordnung zustande. 1768 wurde die alte Landesordnung in Sachsen-Weimar-Eisenach sogar nochmals publiziert. In Sachsen-Altenburg, von 1603 bis 1672 selbständiges Fürstentum, legte man 1671 die Landesordnung von 1589 neu auf.35 Nach Angliederung an Gotha widersetzten sich die Altenburger Stände einer Übertragung der Gothaer Landesordnung auf ihren Landesteil. 1704 wurde eine eigene Altenburger Landesordnung erlassen und 1705 gedruckt, die sich mit dem Wortlaut der Gothaer Landesordnung jedoch weitgehend deckte und 1742 in unveränderter Fassung nochmals publiziert wurde. Die für Buchdruck, Buchhandel und Presse relevanten Bestimmungen in den Landesordnungen waren noch recht allgemein gehalten, stellten aber immerhin eine erste Grundlage dar. Bereits in der großen Gothaer Landesordnung von 1653 findet sich ein Abschnitt „Von Bestraffung der Pasquillen, SchmähSchrifften und Schmähe-Gedichten“, der 1666/67 wörtlich und bis ins 18. Jahrhundert hinein sinngemäß wieder auftauchte und ausdrücklich auf den Reichstagsabschied von 1570 Bezug nahm: Wir lassen es, was die Bestraffung derer mit sonderbahrer grosser Gefährde ausgesprengeten Schand- und Famos Schrifften/ Schand-Gemählde und Gemächte betrifft/ auch unsers Orths bey dem Speyerischen Anno 1570 publicirten Reichs-Abschiede/ und denen darinnen zum theil erhöheten Poenen bewenden/ darneben setzende und ordnende/ wenn einer jemand durch Schriften diffamiren/ und seinen Namen nicht darunter setzen/ aber sich doch bald gütlich darzu bekennen würde/ daß derselbe/ da er folgend die Bezüchtigung gleich ausführete/ gleichwohl auch willkührlich gestraffet werden sol.36 33
34 35 36
Des Durchläuchtigen, Hochgebornen Fürsten und Herrn, Herrn Friederich Wilhelm, Hertzogen zu Sachsen, Jülich, Cleve und Berg, Landgraffen in Thüringen, Marggraffen zu Meissen, Graffen zu der Marck und Ravenspurg, Herrn zu Ravenstein, etc. ProvisionalVerordnung Wegen Wiedereinführ- und Fortpflantzung wahrer Gottesfurcht, Christlicher Zucht und guter Policey Im Fürstenthumb Coburg, Coburg 1652. Vgl. RICHTER, Die ernestinischen Landesordnungen (wie Anm. 28), S. 22–29. Vgl. Maria KUHN, Wiederaufbauarbeit nach dem Dreißigjährigen Krieg in SachsenAltenburg, in: Mitteilungen der Geschichts- und Altertumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes 14 (1927/33), S. 273–379, hier S. 297. Fürstliche Sächsische revidirte und vermehrte Landesordnung, Gotha 1653, S. 253 f. (Titul. XXVII). Identischer Wortlaut auch in, Fürstliche Sächsische abermals verbesserte Landes-Ordnung, Des Durchläuchtigsten, Hochgebornen Fürsten und Herrn, Herrn ERNSTEN, Hertzogen zu Sachsen, Jülich, Cleve und Bergk, Landgraffen in Thüringen, Marggraffen zu Meissen, Gefürsteten Graffen zu Hennebergk, Graffen zu der Marck und Ravensberg, Herrn zu Ravenstein, etc. Mit Beyfügung unterschiedlicher nach und nach außgegangener und darzu gehörigen Ordnungen, Zu Nutz und Wolfahrt S. Fürstl. Durchl.
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Fast gleichlautend war der entsprechende Abschnitt in der genannten Altenburger Landesordnung von 1705, der in der Fassung von 1742 wörtlich wiederholt wurde: Was die Bestraffung derer mit sonderbahrer grossen Gefährde ausgesprengten Schandund Famos-Schrifften, Schand-Gemählde und Gemächte betrifft, hat es bey dem Speyerischen Anno 1570. publicirten Reichs-Abschiede, und denen darinnen zum Theil erhöheten Poenen sein Bewenden, jedoch mit der Masse, wenn einer jemand durch Schrifften diffamiren, und seinen Namen nicht darunter setzen, aber sich doch bald gütlich darzu bekennen würde, daß derselbe, da er folgend die Bezüchtigung gleich ausführete, gleichwohl auch willkührlich gestraffet werden soll.37
Die Gesetzgebung im Reich und die Landes- bzw. Polizeiordnungen schufen gemeinsam den Rahmen für die Preßgesetzgebung und die Zensur in den Territorien der Ernestiner. Dabei war die Zensurpraxis im Vergleich zu anderen Staaten des Heiligen Römischen Reichs eher großzügig. Seitens der Drucker, Buchhändler und Autoren kam es nur selten zu Übertretungen der gesetzten Grenzen, zumal für die Buchdrucker bei Zensurvergehen der Verlust des Privilegs und damit das wirtschaftliche Aus drohte. Zudem wurde die Zensur nicht immer wirklich konsequent ausgeübt. In Weimar wurde in einer Verfügung von 1743 zwar festgelegt, dass neben dem Generalsuperintendenten auch die Fürstliche Oberregierung die Zensur von „gedruckten Sachen“ übernehmen könne,38 doch gab es immer wieder Zeiten ohne einen amtlich bestellten Zensor.39 Dies war beispielsweise nach dem Tod des Oberkonsistorial-Präsidenten Johann Friedrich von Hendrich im Jahre 1775 der Fall, auch wenn umgehend konstatiert wurde, dass „solches aber der guten Ordnung zuwider läuft“. Herzog Carl August sorgte deshalb für eine Neuregelung der „Censur, als einer in das Policey-Wesen einschlagender Sache“.40 Mit Beginn der Französischen Revolution erhöhte die Obrigkeit ihre Aufmerksamkeit. Bereits 1790 richtete man in Coburg das Augenmerk auf den Verkauf aufrührerischer Schriften.41 In Eisenach gingen die Behörden am
37 38 39 40 41
Unterthanen in dero Fürstenthumb publicirt und außgelassen. Gotha, Gedruckt durch Johann Michael Schalln. Im Jahr 1667, S. 266 f. Fürstl. Sächs. Altenburgische Landes-Ordnung, Altenburg 1705, S. 321; dass., Altenburg 1742, S. 321. Thüringisches Hauptsstaatsarchiv Weimar (im Folgenden: ThHStA Weimar), Polizeisachen, B 5096. Vgl. Fritz KÖRNER, Das Zeitungswesen in Weimar (1734–1849). Ein Beitrag zur Zeitungsgeschichte, Leipzig 1920, S. 37 f.; Felix KÜHNER, Die Entwicklung der Pressgesetzgebung in Sachsen-Weimar-Eisenach im 19. Jahrhundert, Eisenach 1921, S. 12 f. Schreiben von Carl August von Sachsen-Weimar an die General-Policey-Direction vom 8. März 1776, in: ThHStA Weimar, Polizeisachen, B 5222, Bl. 6. Vgl. Staatsarchiv Coburg (im Folgenden: StA Coburg), Landesarchiv, Locat. F, Nr. 13852: Geh. Kanzlei-Acta, betr. Verkauf aufrührerischer Schriften. 1790.
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21. November 1794 sogar soweit, durch eine Verordnung der fürstlichen Polizeikommission all denen, die Bücher verleihen, die Verantwortlichkeit für den Inhalt aufzuerlegen. „Jeder der ein Buch verleihet, soll bey 2 thlr. Strafe dafür haften, daß keine wider die Religion, die Eisenachische Staatsverfassung, oder wider die guten Sitten streitenden Grundsätze darin vorkommen.“42 Inhabern von Leihbibliotheken und Lesegesellschaften wurden strenge Maßregeln für den Leihverkehr auferlegt und bei Zuwiderhandlung Strafen angedroht. Zur Durchsetzung des Verbots sollte eine Vorzensur für alle Bücher eingeführt werden. Die vor Ort bereits bekanntgemachte und auch überregional publizierte Verfügung wurde nach eingehender Beratung in Anwesenheit Carl Augusts und Johann Wolfgang von Goethes durch das Geheime Consilium des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach jedoch wieder aufgehoben.43 Insgesamt kann seit 1789 eine schärfere Kontrolle der Medien konstatiert werden, auch wenn in den ernestinischen Staaten aufs Ganze gesehen recht freimütig und umfangreich über die Französische Revolution berichtet wurde. Offensichtlich sollte vor allem ein kritisches politisches Räsonnement über die Zustände in Deutschland verhindert werden. In diesen Fällen reagierte man auch späterhin höchst empfindlich. So entging Friedrich Carl Forberg, zeitweiliger Redakteur des „Coburger Wochenblatts“, nur knapp einer Maßregelung, nachdem er im Januar 1806 eine Analyse der politischen und territorialen Veränderungen des Jahres 1805 veröffentlicht hatte.44 Die bereits ausgelieferte Nummer wurde von den Beziehern zurückgefordert und, nunmehr ohne den inkriminierten Artikel, nochmals gedruckt. Die Stellungnahme, die die Landesregierung am 25. Januar 1806 dazu abgab, macht deutlich, welche Möglichkeiten man der Presse einräumte, aber auch welche Grenzen man ihr setzte: Er [Forberg – d. Verf.] verwechselt ganz die Freiheit größerer Zeitungs-Institute, die ihre politischen raisonnements mit auswärtiger Correspondenz verbürgen, mit der Absicht eines privilegierten Wochenblatts, das sich nur mit Bekanntmachung solcher Nachrichten beschäftigt, die für das kleine Publicum, in welchem sie circulieren, Interesse haben sollen. Es gehören dahin zwar, besonders für den gemeinen Mann, auch politische, aus anderen öffentlichen Blättern genommene Zeitungs-Nachrichten; aber keine einseitigen raisonnements über den glücklichen oder unglücklichen Erfolg von Kriegs-Begebenheiten oder wohl gar über Staatsmaximen, welche man nur in Privatgesprächen, dieser oder jener Europäischen Macht, nach individuellen Ansichten, beyzulegen pflegt. Mit einer öffentlichen Darlegung derselben mögen sich nur anonymische Privatschriftsteller beschäftigen, aber dem Redacteur eines unter der Autorität des Gouvernements auszugebenden 42 43 44
Deutsche Zeitung, 2. Stück vom 15. Januar 1795, Sp. 25 f., hier Sp. 25. Vgl. Deutsche Zeitung, 5. Stück vom 2. Februar 1795, Sp. 79 f.; ebd., 15. Stück vom 16. April 1795, Sp. 237. Vgl. Karl Klaus WALTHER, Literaturverhältnisse in Coburg. Buchhandel, Leihbibliotheken und Zensur zwischen 1790 und 1848, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 44 (1995), S. 275–300, bes. S. 287–289. Vgl. auch StA Coburg, Staatsministerium, Nr. 1176.
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Wochenblatts kommt es nicht zu, dasselbe zur Bekanntmachung seiner Urtheile über den Gang der Kriegs- und Staatsbegebenheiten zu gebrauchen.45
In Sachsen-Weimar-Eisenach hatte Herzog Carl August im März 1776 bestimmt, dass die Zensur von der Polizeidirektion besorgt werden soll. Die Zensurpraxis blieb milde, was wohl auch damit zu tun hatte, dass offensichtliche publizistische Provokationen kaum stattfanden. 1782 machte Carl August erneut einen Versuch, die Angelegenheiten von Policey und Verwaltung zu ordnen, und verfügte, dass die Buchdrucker bei Strafe angehalten werden sollten, die „bestimmten Impressorum“ richtig abzuliefern.46 Grundlage der Zensur im Herzogtum blieben die Bestimmungen des Heiligen Römischen Reichs, die in den 1790er Jahren zwar schärfer kontrolliert, aber grundsätzlich beibehalten wurden. Neue Tendenzen zeigten sich erst nach Auflösung des Reichsverbandes und insbesondere nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt im Oktober 1806, in der der Weimarer Herzog als preußischer General zu den Verlierern gehört hatte. Mit dem Beitritt zum Rheinbund standen alle Ernestiner unter französischer Vorherrschaft. Im Februar 1809 erließ der französische Geschäftsträger in Frankfurt am Main, Théobald Bacher, ein Rundschreiben an die Regierungen der Rheinbundstaaten, in welchem der schlechte Geist in vielen deutschen Zeitungen beklagt und jedem Redakteur Bestrafung angedroht wurde, der etwas gegen den Rheinbund oder seinen Protektor veröffentliche.47 Herzog Carl August verfügte daraufhin am 16. Februar 1809, daß auch in den hiesigen Hrz. Landen jeder Zeitungsschreiber, welcher in das von ihm redigierte öffentliche Blatt einen Artikel aufnimmt, der nicht dem Sinne des politischen Interesses des erhabenen Protektors u. der conföderierten Staaten angemessen ist, dafür persönlich verantwortlich seyn, sein desfalsiges Privilegium verlieren, u. daß folglich die von ihm verlegte Zeitschrift unterdrückt werden soll.48
Offensichtlich wurde die politische Situation als brisant und die öffentliche Ruhe als gestört empfunden. Das zeigt auch ein Erlass des Herzoglichen Polizei-Kollegiums vom 22. April 1809. Darin wurden „sämtliche Bewohner des hiesigen Landes“ verwarnt,
45 46 47
48
Zit. nach WALTHER, Literaturverhältnisse in Coburg (wie Anm. 44), S. 288. ThHStA Weimar, Polizeisachen, B 5222. Vgl. ThHStA Weimar, Polizeisachen, B 5384 a, Bl. 11: „Circulaire [Kopie], Francfort le 1er Febr. 1809; KÜHNER, Die Entwicklung der Pressgesetzgebung (wie Anm. 39), S. 14 f.; KÖRNER, Das Zeitungswesen in Weimar (wie Anm. 39), S. 82 f. – Der Text des Rundschreibens ist dokumentiert bei GREILING, Presse und Öffentlichkeit (wie Anm. 1), S. 93 f. ThHStA Weimar, Polizeisachen, B 5384 a, Bl. 12.
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nicht allein der Verbreitung von Gerüchten über politische und Kriegsbegebenheiten sich zu enthalten, sondern auch die Gespräche über solche Gegenstände an öffentlichen Orten und in größern Gesellschaften ganz zu vermeiden.49
Diese Ermahnung wurde wenig später noch verschärft und sowohl ins Wochenblatt eingerückt als auch als separates Flugblatt vertrieben.50 Nachdem Napoleon im August 1810 die Zensur auch offiziell eingeführt hatte, ordnete die Weimarer Regierung an, dass das Eisenachische und das Weimarische Intelligenzblatt nunmehr als offizielle Amtsblätter erscheinen und auf politische Artikel verzichten sollten.51 Am 29. Mai 1811 wurde von Napoleon außerdem verfügt, dass jegliche Nachrichten künftig nur noch dem französischen Regierungsblatt „Le Moniteur Universel“ entnommen werden dürfen. Bei Zuwiderhandlungen drohten den Redakteuren persönliche Strafen.52
4. Zwischen Wien und Karlsbad Erst nach Napoleons Sturz und dem Ende der Verhandlungen in Wien befasste man sich in den ernestinischen Staaten erneut mit der Gesetzgebung für den Buchdruck und mit der Pressezensur. Weimar ging voran und veröffentlichte am 11. Mai 1816 das „Grundgesetz über die Landständische Verfassung des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach“. Diese Verfassung enthielt sowohl altständische als auch modern-repräsentative Elemente, fixierte das Recht des Landtags auf Steuerbewilligung und auf einen entscheidenden Anteil an der Gesetzgebung, dekretierte eine „in drei Instanzen geordnete, unpartheiische Rechtspflege, und das Recht auf Freiheit der Presse“.53 Dabei war die Zensur bereits mit Patent vom 15. Dezember 1815 gelockert worden.54 Ein Dekret vom 12. März 1816 erläuterte dann, dass „die bisher stattgefundene Censur […] unter der Bedingung, daß der Verfasser, oder der Verleger, oder der Buchdruker, wenigstens letzterer sich auf dem Titel nennen […] gänzlich aufgehoben“ sei „und daß künftig die Verfasser und Drucker der in Unseren Landen gedruckten Schriften allein für den Inhalt derselben verantwortlich bleiben“55 sollten. Rasch
49 50 51 52 53
54 55
Weimarisches Wochenblatt, Nr. 34 vom 29. April 1810, S. 149. Vgl. ebd., Nr. 47 vom 14. Juni 1810; ThHStA Weimar, Polizeisachen, B 5384 a, Bl. 45–46. Vgl. ThHStA Weimar, Polizeisachen, B 5387 d. Vgl. KÜHNER, Die Entwicklung der Pressgesetzgebung (wie Anm. 39), S. 15. Grundgesetz einer Landständischen Verfassung für das Großherzogtum Sachsen-WeimarEisenach, in: Karl Heinrich Ludwig PÖLITZ (Hg.), Die Verfassungen des teutschen Staatenbundes seit dem Jahre 1789 bis auf die neueste Zeit. Mit geschichtlichen Erläuterungen und Einleitungen, 2. Abtl., Leipzig 1847, S. 758–777. Vgl. KÜHNER, Die Entwicklung der Pressgesetzgebung (wie Anm. 39), S. 16. Reskript Carl Augusts vom 12. März 1816, in: ebd., S. 172.
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erlangte das Großherzogtum weit über seine Grenzen hinaus den Ruf als Hort liberaler Politik. Anfang des Jahres 1818 tat der Vorstand des Weimarer Landtags seinen Willen kund, die Pressefreiheit zwar nicht einzuschränken, „wirkliche Rechtsverletzungen, welche durch den Mißbrauch der Presse geschehen“,56 jedoch mit Strenge zu ahnden. Auch eine gesetzliche Fixierung des Presserechts kam 1818 zustande. In dem Dekret wurde kritisiert, dass die 1816 „verfassungsmäßig eingeführte Preßfreiheit von mehrern Verfassern“ diverser Druckschriften und Zeitungsblätter „gänzlich missverstanden“ und als Freibrief missbraucht worden sei. Deshalb wurden die „Verfasser, Herausgeber, Verleger und Drucker von Schriften an die gegen Injurien und Schmähschriften längst bestehenden, nirgends aufgehobenen, Verordnungen und Gesetze nochmals ausdrücklich erinnert“.57 Eine provisorische Beschlagnahme von Büchern und Zeitschriften durch die Landesregierung konnte aber nur bei Vorliegen entsprechender Gründe erfolgen.58 (Art. XI). Dennoch gab es auch eine sehr weit gehende Ausnahmeregelung, die eine missbräuchliche Anwendung durch die Obrigkeit als durchaus möglich erscheinen ließ. Der Artikel XIII lautete: Sollte jedoch die ganze Tendenz eines Zeitblattes sich also entschieden gefährlich darlegen, daß von jedem neuen Stücke sich weitere Gesetzwidrigkeit, oder Gefährdung des Gemeinwohls durch Störung der öffentlichen und völkerrechtlichen Verhältnisse mit Grund befürchten lasse; so ist das ganze Zeitblatt als ein fortlaufendes Ganze anzusehen und von Großherzogl. Landesdirection, resp. auf den Grund der Verordnung vom 3. Mai 1817, provisorisch zu unterdrücken, damit größere Gefahr für den Staat abgewendet werde.59
Aufs Ganze gesehen kann man für das Großherzogtum Sachsen-WeimarEisenach bis zum Inkrafttreten des „Bundes-Preßgesetzes“ vom 20. September 1819 dennoch von einer funktionierenden Pressefreiheit sprechen. Wenn dann in Weimar die Empörung über den „Gewaltakt“ von Karlsbad auch groß war und selbst Mitglieder der Regierung den Eingriff in die vom Deutschen Bund garantierte Verfassung des Großherzogtums beklagten,60 teilte Carl August seinen Untertanen die Beschlüsse von Karlsbad doch mit Patent vom 30. Oktober 56 57
58 59 60
Unterthänigster Vortrag des getreuen Landtags-Vorstandes, die Freiheit der Presse betreffend. (1. Februar 1818), in: Großherzogl. S. Weimar-Eisenachisches Regierungs=Blatt, Nr. 4 vom 13. Februar 1818, S. 18–20, hier S. 19. Verordnung gegen Preß=Mißbräuche vom 6. April 1818, in: Großherzogl. S. WeimarEisenachisches Regierungs=Blatt, Nr. 7 vom 7. April 1818, S. 29–32, hier S. 29. Vgl. auch KÖRNER, Das Zeitungswesen in Weimar (wie Anm. 39), S. 105–108. – Die Bemühungen, den angeblichen Missbrauch der von der Verfassung gewährten Pressefreiheit zu verhindern, setzten bereits Ende 1816 ein. Großherzogl. S. Weimar-Eisenachisches Regierungs=Blatt, Nr. 7 vom 7. April 1818, S. 31. Ebd., S. 32. Vgl. KÜHNER, Die Entwicklung der Pressgesetzgebung (wie Anm. 39), S. 59 f.
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1819 mit. Zugleich kündigte er an, dass er „im Einverständnis mit des Herrn Herzogs von Sachsen=Gotha Durchlaucht die weitern Anordnungen und Vorschriften nachfolgen lassen“ werde.61 Wenige Tage später wurde dann eine Verordnung bekanntgegeben, die einer Durchführungsbestimmung der Karlsbader Beschlüsse für das Großherzogtum gleichkam und deren Auswirkungen zu mildern suchte. Die „angeordnete Durchsicht und Prüfung“ beziehe sich lediglich darauf, „daß in den Druckschriften der gedachten Art nichts vorkomme, was die Würde und Sicherheit anderer Bundesstaaten verletzt, die Verfassung oder Verwaltung anderer Bundesstaaten angreift“.62 Nach weiterer Erläuterung wurde bekräftigt: Hinsichtlich aller und jeder Gedankenmittheilung durch die Presse, welche die Verfassung, die Verwaltung und die sonstigen Angelegenheiten des Großherzogthums in dem Innern betrifft, behält es durchgängig sein Bewenden bey dem, was durch das Gesetz vom 6. April 1818, betitelt: ‚Verordnung über Preßmißbräuche‛ ist bestimmt worden.63
In Sachsen-Gotha-Altenburg kamen nach dem Wiener Kongress keine gesetzlichen Festlegungen über den Umgang mit der Presse zustande. Die Zensurpraxis folgte jenen Gepflogenheiten, die sich im Laufe des 18. Jahrhunderts herausgebildet hatten. Detaillierte Instruktionen gab es hierzu in aller Regel nicht.64 Auch die Strenge der Handhabung von Zensur fiel durchaus unterschiedlich aus. Dies führte sogar zu dem Kuriosum, dass der Regierungsrat Lüders, dem 1814 in der politischen Ausnahmesituation nach der Völkerschlacht bei Leipzig vom österreichischen Platzkommandanten die Zensur in Altenburg übertragen worden war, sein Amt wegen allzu großer Milde verlor.65 Auch seinem Nachfolger, dem Rats- und Lehnssekretär Schneider, der die Zensur bereits vor dem Krieg ausgeübt hatte, erging es nicht besser.66 Er hatte 1815 den „Deutschen Blättern“ von Friedrich Arnold Brockhaus das Imprimatur erteilt, obwohl diese einen Text enthielten, den der König von Sachsen als Provokation empfinden musste. In dem Aufsatz „Noch ein Wort zur richtigern Beurteilung der neuern Verhältnisse des Königreichs Sachsen und seines Regentenhauses“ war zu lesen, dass der König von Sachsen eher auf den Thron hätte verzichten als in eine 61 62 63 64 65 66
Vgl. Großherzogl. S. Weimar-Eisenachisches Regierungs=Blatt, Nr. 20 vom 2. November 1819, S. 107–114, hier S. 114. Verordnung der Großherzogl. Landesregierung zu Weimar vom 6. November 1819, in: ebd., Nr. 21 vom 12. November 1819, S. 115–117, hier S. 115. Ebd., S. 116. Vgl. auch KÜHNER, Die Entwicklung der Pressgesetzgebung (wie Anm. 39), S. 226–228, hier S. 227. Vgl. jedoch den Vortrag des Geheimen Assistenzrats Karl Ernst Adolf von Hoff vom 27. November 1826, auf den in Kap. 5 eingegangen wird. Vgl. Karl SCHNEIDER, Beiträge zur Geschichte der politischen Zensur im Herzogtum Sachsen-Altenburg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde 37 (1931), S. 416–464, hier S. 420. Vgl. ebd., S. 421 f.
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Teilung Sachsens einwilligen sollen.67 Herzog August von Sachsen-GothaAltenburg ordnete nach umgehender Beschwerde der sächsischen Regierung eine Untersuchung an, was zur Amtsenthebung Schneiders führte.68 Während die Zensur religiöser Schriften vom jeweiligen Konsistorialrat ausgeübt wurde, arbeitete der eigentliche Zensor im Auftrag der Regierung. Die große zeitliche Belastung, das Fehlen konkreter Richtlinien und mitunter wohl auch die intellektuelle Überforderung führten nicht selten zu Missverständnissen und Fehlentscheidungen. Für die Altenburger Regierung war die Entlassung Schneiders immerhin Anstoß zu dem Versuch, die Zensur neu zu ordnen. Dabei wurde eingeräumt, dass es beim Fehlen „fester Bestimmungen, bei der Verschiedenheit der Ansichten und bei dem gegenwärtigen Geiste der Zeit“ auch bei aller Vorsicht kaum zu vermeiden sei, dass „nicht entweder über Preßzwang laute Klagen geführt oder an einer mindern Strenge Anstoß genommen und dadurch zu häufiger unangenehmer Verantwortung Anlaß gegeben werde.“69 Die landständischen Verfassungen in den anderen ernestinischen Herzogtümern enthielten keine Regelungen zur Pressefreiheit. In Sachsen-Hildburghausen war zwar vom gemeinschaftlichen Ziel „allgemeiner Wohlfahrt“ sowie von „Gemeinsinn, Eifer und willigem Gehorsam unter dem Gesetze“70 die Rede. „Bemerkte Gebrechen oder Mißbräuche, deren Abstellung das allgemeine Beste zu erfordern scheint“, sollten aber nicht öffentlich gemacht, sondern direkt „den landesherrlichen Behörden, auch der Landschaft oder dem Landschaftsdirector zur Anzeige“71 gebracht werden. In Sachsen-Coburg-Saalfeld war in der Verfassung vom 8. August 1821 immerhin von den Rechten und Pflichten der Staatsbürger die Rede.72 Pressefreiheit konnte hier zwei Jahre nach Inkrafttreten der Karlsbader Beschlüsse allerdings ebenso wenig wie in SachsenMeiningen dekretiert werden.73 In Sachsen-Weimar-Eisenach hatten die Karlsbader Beschlüsse die verfassungsmäßig garantierte Pressefreiheit beendet. In den anderen ernestinischen
67 68 69 70 71 72 73
Vgl. Deutsche Blätter, NF, 1815, 2. Bd., 13. Stück, S. 198–201, bes. S. 200. Vgl. SCHNEIDER, Beiträge zur Geschichte der politischen Zensur (wie Anm. 65), S. 422 f. Heinrich Eduard BROCKHAUS, Friedrich Arnold Brockhaus. Sein Leben und Wirken nach Briefen und andern Aufzeichnungen geschildert, Bd. 2, Leipzig 1876, S. 42. Landschaftliche Verfassung vom 19. März 1818, in: PÖLITZ (Hg.), Die Verfassungen des teutschen Staatenbundes, 2. Abt. (wie Anm. 53), S. 783–794, hier S. 794. Ebd., S. 793. Verfassungsurkunde vom 8. August 1821, in: ebd., S. 806–823, hier S. 806–808. Vgl. Grundgesetz über die landständische Verfassung des Herzogthums Sachsen-CoburgMeiningen vom 4. September 1824, in: ebd., S. 824–833; Werner GREILING, Presse und Öffentlichkeit in Sachsen-Meiningen als Vehikel der Moderne?, in: Maren GOLTZ/Werner GREILING/Johannes MÖTSCH (Hg.), Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen (1826– 1914). Kultur als Behauptungsstrategie?, Köln/Weimar/Wien 2015, S. 203–222.
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Staaten wurden die Beschlüsse ebenfalls umgehend verbreitet,74 ohne dass ihr Inkrafttreten jedoch eine ähnlich scharfe Zäsur bedeutet hätte. Dennoch wurde das Pressewesen im gesamten Herrschaftsbereich der Ernestiner durch das „Bundes-Preßgesetz“ vom 20. September 1819 auf Jahrzehnte hin geprägt. Zudem gab es hier in den Jahren nach 1815 nur wenige legislative Impulse zur Regelung von Angelegenheiten des Buchdrucks und der Presse. Im Vergleich zu anderen Bundesstaaten waren die Zensurmaßnahmen in den ernestinischen Staaten aber relativ milde, allzu harte Repressionen blieben den Buchhändlern und Verlegern erspart.
5. Zensurpraxis im Vormärz Hinsichtlich der praktischen Handhabung von Zensur griff man im Vormärz im Wesentlichen auf jenes Instrumentarium zurück, das sich bereits im 18. Jahrhundert entwickelt und – zumindest teilweise – bewährt hatte. Wenige Tage nach Ratifizierung des ernestinischen Teilungsvertrages vom 15. November 182675 wurden dem Herzog Ernst I. von Sachsen-Coburg und Gotha, der bis dato nur in Coburg regiert hatte, die bisherigen Gepflogenheiten in Gotha dargelegt. Der vortragende Geheime Assistenzrat Karl Ernst Adolf von Hoff verband seine Erläuterungen mit Vorschlägen für die künftige Einrichtung der Zensur. Dieser Text vom 27. November 1826 gewährt interessante Einblicke in die vormärzliche Zensurpraxis eines ernestinischen Herzogtums: Die Censur desjenigen was in der Engelhard-Reyherschen Buchdruckerey in der Stadt Gotha – vermöge eines ausschließlichen Privilegiums das einzige im ganzen Fürstenthum – gedruckt wird, ist dem OberConsistorium übertragen; ohne Unterschied des Gegenstandes, oder der Wissenschaft zu welcher derselbe gehört. Ausgenommen hiervon sind die Zeitungs= und Wochenblätter, von denen die Censur der Regierung übertragen ist. Dieses Collegium überträgt das Censor-Amt gewöhnlich einem ihrer Glieder, und ist dasselbe oft von dem Kanzler selbst übernommen worden, 74
75
Vgl. Sammlung der Landesgesetze und Verordnungen für das Herzogthum Coburg auf den Zeitraum von 1800 bis 1826 und resp. weiter bis 1839 incl., Bd. 2: Publicirte Bundes-Beschlüsse seit 1817, Coburg 1844, S. 8–11; Sammlung der in dem Herzogthume Sachsen-Hildburghausen seit dem Jahre 1810 erschienenen landesherrlichen Edicte und Verordnungen, 1. Bd., Hildburghausen [o. J.], S. 26; Circular-Verordnung den von der hohen deutschen Bundesversammlung am 20sten September 1819 gefaßten Beschluß wegen Einführung einer provisorischen gesetzlichen Verfügung zur Verhütung des Mißbrauchs der Presse betreffend, vom 15ten October 1819 (Zusatz zu dem ersten Theile der neuen Beyfugen zur Landes-Ordnung, No. CXLVI), unpag. Die Neuregelung der Verwaltungsangelegenheiten in der politischen Situation des Jahres 1826 erläutert Ulrich HEß, Geheimer Rat und Kabinett in den ernestinischen Staaten Thüringens. Organisation, Geschäftsgang und Personalgeschichte der oberen Regierungssphäre im Zeitalter des Absolutismus, Weimar 1962, S. 283–289.
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was auch nicht unzweckmäßig war, weil der Kanzler gewöhnlich die Polizey-Sachen unter seiner speciellen persönlichen Leitung, auch die beste Gelegenheit hat, Kenntniß von den auswärtigen öffentlichen Angelegenheiten zu erlangen, deren Berücksichtigung von Seiten der Censur oft sehr wichtig ist. Von dieser Censurbehörde ist wieder ausgenommen die Gothaische politische privilegirte Zeitung, welche zwar Privateigenthum der Meviusischen Erben ist, aber das Herzogliche Wappen an der Spitze trägt, und daher einer besonderen Censurbehörde unterworfen ist, dem Herzoglichen Ministerium, in dessen Auftrag seit vielen Jahren der Geheime Assistenzrath das Censoramt verwaltet hat. Nach Verlegung des Ministeriums von Gotha weg, dürfte sich daher eine andere Einrichtung in Ansehung der Censur der Gothaischen politischen Zeitung unumgänglich nöthig machen, um jeden Misgriff bey der Redaction zu verhüten, der vielleicht Beschwerden von Seiten auswärtiger Höfe und Behörden veranlassen könnte. Demjenigen welcher den höchsten Auftrag dieses Censurgeschäftes erhalten würde, eine eigene Instruction zu ertheilen, dürfte schwerlich zu Erreichung dieses Zweckes genügen; da es schon schwer wo nicht unmöglich ist einem Censor eine in genügendes Detail gehende Instruction zu ertheilen, und eine in Allgemeinen gefaßte immer die eigene Beurtheilung und den […] des Censors hauptsächlich in Anspruch nimmt. Der bisherige Censor hat nie eine Instruction gehabt; er faßte bloß den Gesichtspunkt ins Auge: ‚daß die mit dem Herzoglichen Wappen versehene Zeitung Nichts enthalten dürfe, wovon man annehmen könne, daß der regierende Herr, sein Haus, oder das Gouvernement als solches, den Abdruck davon entweder selbst misbilligen, oder durch denselben in die Verlegenheit gesetzt werden könnten, sich gegen auswärtige Höfe und Regierungen zu verantworten.’ Hatte der Censor Zweifel über Zuläßigkeit eines Zeitungs Artikels, welche durch diesen Grundsatz nicht genügend gelöst wurden; so nahm er vorher Rücksprache mit den übrigen Gliedern des Ministeriums, und wenn die Meynung desselben einen Zeitungsartikel gegen die eigene Ansicht des Censors für zuläßig erklärte, so bemerkte dieser auf dem Blatte selbst, daß er nur unter ausdrücklicher Autorisation des Ministeriums das Imprimatur ertheile. Dieser Fall ist indessen, solange als der Geheime Assistenzrath von Hoff das Censoramt verwaltet hat, vielleicht nicht über zweymal vorgekommen. Nach Verlegung des Ministeriums wird es schwer seyn die Censur der Gothaischen Zeitung in andere Hände als in die der Regierung zu geben. Indessen möchte es wohl rathsam seyn, dem Kanzler, oder dessen Stellvertreter zur Pflicht zu machen, dieselbe selbst zu besorgen; da bey den ersten Gliedern des Collegiums eher eine Kenntniß der bey dieser Censur zu berücksichtigenden Verhältnisse überhaupt, und der auswärtigen insbesondere, vorauszusetzen ist, als bey den jüngeren Regierungsgliedern.76
Die Anstöße zu rigiderem Vorgehen gegen Buchdrucker, Verleger und Publizisten gingen im Übrigen häufig nicht von den Behörden der ernestinischen Staaten, sondern vom Ausland aus. Das Paradebeispiel für die Einmischung anderer 76
Vortrag des Geheimen Assistenzrats Karl Ernst Adolf von Hoff vom 27. November 1826, in: Thüringisches Staatsarchiv Gotha, Geheime Kanzlei, XX.6, Nr. 17, Bl. 1–2.
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Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes in die Presseangelegenheiten der Ernestiner ist das Weimarer „Oppositions-Blatt“. Bereits vor Verabschiedung der Karlsbader Beschlüsse hatte es Beschwerden gegen einzelne Nummern der Zeitung gegeben.77 Die erste Eingabe, die aus der Feder des preußischen Polizeiministers Wittgenstein stammte und sich gegen die Ausgabe vom 3. Juni 1817 richtete, wurde unter Hinweis auf die Preßfreiheit im Großherzogtum abgewehrt. Im Jahr darauf wurde in einem an Carl August adressierten Schreiben vom 20. August 1818 dann angezeigt, dass das „Oppositions-Blatt“ manche Aufsätze aufnehme, „welche den Fürsten und ihren Völkern, oder auch gewissen Religionspartheien und Ständen, höchst anstößig und selbst beleidigend“ wären.78 Als 1819 eine falsche, angeblich vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. erlassene Kabinetts-Ordre publiziert wurde, hatten die Behörden wiederum sofort das „Oppositions-Blatt“ in Verdacht. Christian Günther Graf von Bernstorff ersuchte im Namen Preußens das Ministerium in Weimar, „daß die Redaction des Oppositionsblattes angehalten werde, den Einsender der gedachten Kabinets-Ordre zu nennen, und das eingesandte Manuscript herauszugeben“.79 Der inkriminierte Text war allerdings nicht im „Oppositions-Blatt“, sondern in Ludwig Wielands Periodikum „Der Patriot“ erschienen. Die Forderung, den Verfasser zu ermitteln und das Manuskript zuzusenden, blieb zudem erfolglos. Einem Boten, der von der Landes-Direktion in Weimar nach Jena gesandt wurde, um die Angelegenheit aufzuklären, teilte man mit, dass das Manuskript verloren gegangen sei.80 Auch der preußische Staatskanzler Karl August von Hardenberg hatte sich im Januar 1819 an Carl August von Sachsen-Weimar gewandt und zu intervenieren versucht: Eure Königliche Hoheit werden in der dortigen Zeitung, dem Oppositions Blatt Nr. 14 vom 16. Januar, einen Artikel aus Preußen finden, der die Sache eines gewissen D. Friedrich Förster betrifft, über den Seine Majestät der König eine gerichtliche Untersuchung verfügt haben. Aus dem abschriftlich anliegenden Berichte des General Auditoriats, geruhen Höchstdieselben zu ersehen, daß jener Artikel ganz vorschriftswidrig ist. Bei diesen Umständen und da der besagte Artikel ohne Zweifel aus Berlin eingesendet ist, so ist sehr daran gelegen den Verfasser zu wissen; ich bitte Eure Königliche Hoheit daher
77 78 79 80
Vgl. KÖRNER, Das Zeitungswesen in Weimar (wie Anm. 39), S. 116–126. ThHStA Weimar, Polizeisachen, B 7756, Bl. 28–30, hier Bl. 28. Vgl. ThHStA Weimar, Polizeisachen, B 7774, Bl. 2. Vgl. ThHStA Weimar, Polizeisachen, B 7756, Bl. 3.
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unterthänig, befehlen zu wollen, daß der Redacteur des Oppositions Blattes angehalten werde, das Manuskript einzureichen und mir solches gnädigst zukommen zu lassen.81
Aus diesem Brief entwickelte sich ein reger Schriftverkehr, der einige Positionen ernestinischer Pressepolitik deutlich macht. Man wollte in Weimar den preußischen Interessen gerecht werden und dennoch Verleger und Redakteur schützen.82 In der Folge beschäftigte die Sache dann das Oberappellationsgericht in Jena, welches die Klage allerdings verwarf. Trotz der Niederlage Preußens in dieser Angelegenheit zeigen die Vorgänge doch den Druck, der bereits vor Inkrafttreten der Karlsbader Beschlüsse von auswärtigen Staaten auf die Weimarer Regierung ausgeübt und von dieser, zumindest zum Teil, auch an die Redaktion des „Oppositions-Blattes“ weitergegeben wurde. Im Jahre 1820 wurde die Tonlage dann schärfer. So beschwerte sich neben vielen anderen unter dem Datum des 14. November 1820 auch Klemens Wenzel Lothar Fürst von Metternich über das „Oppositions-Blatt“. Mit Bezug auf die Ausgaben vom 9. und 10. Oktober 1820 schrieb der einflussreichste Politiker jener Zeit, der Kaiser habe ihn beauftragt, in Ihrem höchsteigenen Nahmen Beschwerde zu führen, und bey der Großherzoglichen Regierung auf gänzliche Unterdrückung des Oppositions-Blattes, als die einzige dem Vergehen angemessene Genugthuung anzutragen.83
Dieser Forderung schloss sich auch der preußische Gesandte Christian Günther Graf von Bernstorff an. Nachdem Großherzog Carl August dann die Stellungnahme seiner Minister Gersdorff und Schweitzer eingeholt hatte, beschloss er, das Blatt zu verbieten.84 Die Aufhebungsurkunde für das „OppositionsBlatt oder Weimarische Zeitung“ rekurrierte auf „die vielen Beschwerden auswärtiger Regierungen“ sowie darauf, „daß von jedem neuen Stück sich weitere Gesetzwidrigkeiten oder Gefährdung des Gemeinwohles durch Störung der öffentlichen und völkerrechtlichen Verhältnisse erwarten lässt“. So wurde das Erscheinen des Blattes per Ordre vom 26. November 1820 vor Ablauf des vierten Jahrgangs eingestellt.85
81 82
83 84 85
Karl August von Hardenberg an Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach vom 30. Januar 1819, in: ThHStA Weimar, Polizeisachen, B 7773, Bl. 1. Vgl. den Brief Friedrich von Müllers an Carl August vom 2. März 1819, in: ebd., Bl. 4 f. Müller schreibt beispielsweise, man müsse „Bedenken tragen, wider die in ihrer Weigerung beharrenden Herausgeber mit schärfsten Zwangsmitteln vorzugehen“, da die Sachlage nicht völlig klar sei. ThHStA Weimar, Polizeisachen, B 7756, Bl. 35–36, hier Bl. 36. Vgl. KÖRNER, Das Zeitungswesen in Weimar (wie Anm. 39), S. 139 f. ThHStA Weimar, Polizeisachen, B 7756, Bl. 62. Vgl. auch KÖRNER, Das Zeitungswesen in Weimar (wie Anm. 39), S. 132–141.
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6. Pressefreiheit und Pressefrühling 1848/49 Nachdem es den deutschen Bundesstaaten bereits am 3. März 1848 freigestellt worden war, „die Censur aufzuheben und Preßfreiheit einzuführen“,86 folgten die Entwicklungen in den ernestinischen Staaten im Wesentlichen dieser Grundtendenz. Herzog Bernhard von Sachsen-Meiningen verkündete bereits am 7. März per Dekret die Aufhebung der Zensur, zeitgleich mit einer entsprechenden Ankündigung in Sachsen-Coburg und Gotha. Am 22. März 1848 folgte in Sachsen-Meiningen noch ein ausführliches Gesetz, dessen Kernsatz lautete: „Die Presse ist frei; die Censur ist für immer aufgehoben.“87 Zugleich wurden alle „diesem Gesetze entgegenstehenden Verordnungen und Bestimmungen“ außer Kraft gesetzt (§ 4). Fortan musste jedes Druckerzeugnis „mit dem Namen des Druckers oder Verlegers und, wenn es eine Zeitung oder Zeitschrift ist, mit dem Namen des verantwortlichen Herausgebers versehen werden.“ (§ 2) Vergehen der Presse sollten nach dem bestehenden Recht geahndet werden, eine Kaution für die Herausgabe von Zeitungen und Zeitschriften oder andere Restriktionen wurden nicht eingeführt. In Sachsen-Coburg und Gotha trat am 8. April 1848 ein Pressegesetz in Kraft. Dem Paragraphen 1 mit dem Inhalt, dass „alle Censur der Druckschriften, welche im Herzogthum Coburg erscheinen oder verbreitet werden“,88 aufgehoben sei, folgten allerdings weitere acht, die sich im wesentlichen mit Einschränkungen und Ausführungsbestimmungen befassten, und dann nochmals 65 (!) Paragraphen, die „den Strafen der durch die Presse begangenen Verbrechen und Vergehen“89 sowie dem entsprechenden Prozess- und Strafverfahren gewidmet waren. In Sachsen-Weimar-Eisenach erschien am 8. März ein Großherzogliches Patent, „die Wiederherstellung der Preßfreiheit betreffend“, das die Regelungen vom 6. April 1818 erneut in Kraft setzte.90 Damals hatte man die 1816 eingeführte Pressefreiheit mit konkreten Ausführungsbestimmungen versehen und betont, dass durch die Verfassung keineswegs die Befugnis erteilt werde, „alles nach Belieben straflos drucken zu lassen,“ sondern dass auch „das gedruckte 86 87 88 89 90
Bundesbeschluß über die Einführung der Preßfreiheit vom 3. März 1848 (wie Anm. 21), S. 329; vgl. auch KOHNEN, Pressepolitik des Deutschen Bundes (wie Anm. 21), S. 20; HENKEL/TAUBERT, Die deutsche Presse 1848–1850 (wie Anm. 21), S. 21. Sammlung der landesherrlichen Verordnungen im Herzogthume Sachsen-Meiningen, Bd. 9, Meiningen [o. J.], S. 35 f., hier S. 35. Gesetzessammlung für das Herzogthum Coburg aus den Jahren 1845 bis 1848 enthaltend die Nro. 1 bis Nro. 56, Coburg 1849, S. 501–518, hier S. 501. Ebd., S. 503. Vgl. Ferdinand von GÖCKEL, Sammlung Großherzogl. S. Weimar-Eisenachischer Gesetze, Verordnungen und Circularbefehle in chronologischer Ordnung, Bd. 10, Eisenach 1854, S. 17 f.
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Wort vor dem Gesetze zu verantworten bleibt.“91 Eine derartige Vorstellung von der Freiheit der Presse auf dem Boden des Rechts leitete im Frühjahr 1848 auch die anderen ernestinischen Fürsten und Regierungen bei ihrer Reaktion auf die vehementen Forderungen nach Aufhebung der Zensur. Dies galt auch für Sachsen-Altenburg, wo das Ende der Zensur per Gesetz am 28. März verkündet wurde. Auch wenn es mitunter zu zeitlichen Verzögerungen, zu Differenzen zwischen fürstlicher Ankündigung und legislativer Umsetzung der Pressefreiheit oder auch zu Preßgesetzen gekommen ist, die mehr Kontrolle als wirkliche Freiheit intendierten, kann man festhalten, dass seit März 1848 in der ernestinischen Staatenwelt die Mechanismen des vormärzlichen Zensursystems außer Kraft gesetzt wurden und ein Zustand der Pressefreiheit erreicht war. Dies ermöglichte einen regelrechten „Pressefrühling“, mit zahlreichen neugegründeten Periodika und einer deutlichen Politisierung der meisten Blätter. Insofern kann man auch für die ernestinischen Staaten konstatieren, dass es mit der Revolution von 1848/49 zu einem „publizistischen Dammbruch“92 kam und eine „neue Phase der Medien- und Kommunikationsgeschichte“ begann, eine Phase, die „in sich selbst durch den Wechsel von Entfesselung und Retardierung gekennzeichnet“ war.93
7. Vom Polizei- zum Justizsystem Für das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach konnte durch Thilo Hess gezeigt werden, dass die „Verstrafrechtlichung“ der Presse, wie oben schon angedeutet, kein „Zurück nach Karlsbad“ bedeutete.94 Denn die Presseprozesse, die in den 1850er Jahren stattfanden, führten „zu keiner Unterdrückung von Kritik und Meinungsäußerungen über politische Fragen, sondern belebten diese sogar.“ Gesetzesverstöße der Presse mussten durch die Justiz festgestellt werden, ehe man Verbote und Strafen aussprechen konnte. Allein durch die Administration konnte öffentlich geäußerte Kritik, wie noch im Vormärz, nicht unterbunden werden. Anzeigen und Vorwürfe gegen Presseinhalte wurden einer Prüfung durch ein unabhängiges Schwurgericht unterzogen. Dies führte in den meisten Fällen zu einem Freispruch. Hinzu kam, dass sich die Debatten über die 91 92
93 94
Verordnung gegen Preß=Mißbräuche vom 6. April 1818, in: Großherzogl. S. WeimarEisenachisches Regierungs=Blatt, Nr. 7 vom 7. April 1818, S. 29–32, hier S. 29. Manfred OVERESCH, Demokratie und Presse während der 48er Revolution in Preußen, in: Franz QUARTHAL/Wilfried SETZLER (Hg.), Stadtverfassung, Verfassungsstaat, Pressepolitik. Festschrift für Eberhard Naujoks zum 65. Geburtstag, Sigmaringen 1980, S. 362–380, hier S. 366. WILKE, Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte (wie Anm. 27), S. 216 f. Vgl. HEß, Zurück nach Karlsbad (wie Anm. 26).
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jeweiligen Tatbestände vom Gerichtssaal in die Presse verlagerten und zusätzlich Öffentlichkeit erlangten. Für die Regierung war es somit wenig aussichtsreich, wenn sie sich vor Gericht auf juristische Kämpfe gegen die Presse einließ. Oder anders formuliert: Man kann zwar nach der Revolution von 1848/49 für Sachsen-Weimar-Eisenach und die anderen ernestinischen Staaten nicht von Pressefreiheit im modernen Sinne sprechen. Und es ist auch eine Tatsache, dass die Zahl der Periodika nach der Revolution wieder zurückging und dass in vielen Fällen auch die journalistische Qualität wieder nachließ. Auch enthielten die „Allgemeinen Bestimmungen zur Verhinderung des Mißbrauchs der Presse“ von 1854 zahlreiche Beschränkungen, die fast alles, was der Obrigkeit missfiel,95 reglementierten. Doch es gab eben auch den Paradigmenwechsel vom Polizeizum Justizsystem, der für die Presse neue Freiräume mit sich brachte. Das Reichspressegesetz vom 1. Juli 1874 garantierte dann überall in Deutschland die Pressefreiheit.96 Deren konkrete Umsetzung in den Territorialstaaten bedarf, ähnlich wie die Entwicklungen der 1850er und 1860er Jahre, dann noch eines genaueren Blickes. Dass der Befund bei den Ernestinern auch hier relativ pressefreundlich und liberal ausfällt, sei abschließend am Beispiel SachsenMeiningens skizziert. Auch in Sachsen-Meiningen hatte sich die Revolution von 1848/49 als eine Hoch-Zeit für die Presse und für das öffentliche Räsonnement über Staat und Gesellschaft gezeigt. Die „Allgemeinen Bestimmungen zur Verhinderung des Mißbrauchs der Presse“ vom 6. Juli 1854 wurden dann unter dem Datum des 4. September 1854 von Herzog Bernhard Erich Freund in Kraft gesetzt.97 Detaillierte Ausführungsbestimmungen folgten mit einem Gesetz vom 23. Mai 1856.98 Die Intensität der Berichterstattung ging zurück. Dass die publizistischen Debatten auch jetzt nicht zum Erliegen kamen, sondern in gemäßigter Form fortgesetzt wurden, war das Verdienst von Periodika wie dem „Meininger Tageblatt“ und der „Meininger Zeitung für Stadt und Land“. Nach seinem Regierungsantritt 1866 sorgte Herzog Georg II. für eine Liberalisierung von Politik, Gesellschaft und Rechtswesen in Sachsen-Meiningen. Dies betraf das Schul- und Verwaltungssystem, aber auch die Presse, der Georg II. in Abstimmung mit dem Landtag vergleichsweise liberale Rahmenbedingungen gewährte. Mit dem Preßgesetz vom 8. Juni 1867 unterwarf man die 95 96 97 98
Vgl. Jürgen MÜLLER, Der Deutsche Bund 1815–1866, München 2006, S. 39 f. Vgl. WILKE, Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte (wie Anm. 27), S. 253 f. Sammlung der landesherrlichen Verordnungen im Herzogthum Sachsen-Meiningen, Bd. 11, Meiningen [o. J.], S. 341–349. Gesetz vom 23. Mai 1856, zur Ausführung des Bundesbeschlusses vom 6. Juli 1854, die Verhinderung des Mißbrauchs der Presse betreffend, in: Sammlung der landesherrlichen Verordnungen im Herzogthum Sachsen-Meiningen, Bd. 12, Meiningen [o. J.], S. 248–251.
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Drucker, Buchhändler, Bibliotheksbetreiber und Verleger im Herzogtum lediglich jener Reglementierung, die auch für andere Gewerbetreibende galt, nämlich der Konzessionspflicht (Art. 1 und 2).99 Sämtliche Druckschriften, die im Herzogtum herausgebracht wurden, mussten zudem die Namen und Wohnorte des Druckers und des Verlegers sowie – falls es sich um periodische Schriften handelte – zusätzlich den Namen des verantwortlichen Redakteurs enthalten (Art. 4). Die für die Presse tätigen verantwortlichen Redakteure mussten im Besitz des Staatsbürgerrechts sein (Art. 5) und hafteten für den gesamten Inhalt des Periodikums (Art. 19). Die Presse wurde nicht zensiert, doch ihr Missbrauch und entsprechende Gesetzesverstöße wurden nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuches gerichtlich geahndet (Art. 11–16). Der Paradigmenwechsel zum Justizsystem wurde damit zementiert. Zugleich wurden mit dem Meininger Gesetz von 1867 die „Allgemeinen Bundesbestimmungen zur Verhinderung des Mißbrauchs der Preßfreiheit“ für Sachsen-Meiningen außer Kraft gesetzt (Art. 27). Mit diesen Regelungen wurden für das ernestinische Herzogtum faktisch die Bestimmungen des Reichspressegesetzes vorweggenommen. Das gesetzgeberische Engagement des Herzogs in diesem Bereich zeigt, dass er die enorme Bedeutung der Presse erkannt hatte und ihr einen großzügigen Spielraum gewährte. So wurde im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auch die Pressevielfalt wieder größer, in Sachsen-Meiningen wie im Kaiserreich insgesamt. Georg II. nutzte die Presse auch für seine politischen Interessen und zur Selbstdarstellung. Die Zeitungen begleiteten seine Regentschaft und neigten kaum zur Konfrontation. Ähnliches lässt sich für die anderen ernestinischen Herzogtümer sagen.
8. Resümee So kann man konstatieren, dass die Ernestiner in der Grundtendenz ein aufgeschlossenes Verhältnis zum Buchdruck und zu den Printmedien pflegten und die Situation einer weitgehenden Pressefreiheit letztlich nicht nur akzeptierten, sondern – wie der Weimarer Großherzog Carl August 1816 oder Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen 1867 – selbst herbeigeführt hatten. Auch im Herrschaftsbereich der Ernestiner hatte die Presse den Status einer „vierten Gewalt“ erlangt und war im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zur „Großmacht“ avanciert. Anders als von Wilhelm Molitor diagnostiziert, wurde die Presse in den ernestinischen Territorialstaaten aber nicht „als ein Hauptmittel benützt“, „um Throne zu stürzen, um den Altar zu zertrümmern, um Königrei-
99
Sammlung der landesherrlichen Verordnungen im Herzogthume Sachsen-Meiningen, Bd. 17, Meiningen [o. J.], S. 357–365, hier S. 357.
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che zu erobern, um Völker zu unterjochen und zu gängeln“.100 Dies stand selbst in der Revolution von 1848/49 nicht zur Debatte. Die Haltung der Ernestiner zu den Printmedien war nicht in erster Linie konfrontativ, sondern um Konsens bemüht. Als die Pressefreiheit erreicht war – von 1816 an für kurze Zeit in Sachsen-Weimar-Eisenach, 1848/49 und seit 1874 dann in allen Staaten der Ernestiner – blieben deren Throne unangetastet. Die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft wurde von der Presse befördert, ohne die Fürstenherrschaft grundsätzlich in Frage zu stellen.
100 Wilhelm MOLITOR, Die Großmacht der Presse. Ein Wort für unsere Tage aus der mitteleuropäischen Staatengruppe, Regensburg/New York 1866, S. 6 f. Vgl. auch Jürgen WILKE, Auf dem Weg zur „Großmacht“: Die Presse im 19. Jahrhundert, in: DERS., Von der frühen Zeitung zur Medialisierung. Gesammelte Studien II, Bremen 2011, S. 285–300.
THOMAS PESTER DIE ERNESTINER UND IHRE UNIVERSITÄT IN JENA
„Ein unveräußerlicher Schmuck des Ernestinischen Hauses“. Die Ernestiner und ihre Universität in Jena Der folgende universitätsgeschichtliche Überblick widmet sich schwerpunktmäßig der Verfassungsgestalt dieser thüringischen Bildungsstätte. Dieser setzt sich damit ab von den Grundlinien der älteren Literatur, die allein auf die Binnenperspektive der Hochschule ausgerichtet war. Er ist von der Leitlinie getragen, dass eine Konzentration auf den diversen Komplex der Erhalterstruktur der Verfassungsentwicklung an der ernestinischen Gesamtuniversität einen produktiven Neuansatz ermöglicht. Den jeweiligen dynastischen und territorialen Veränderungen entsprechend, wechselte die Zusammensetzung der „Nutritoren“, wie die Gemeinschaft der Erhalter mit biblischem Anklang bezeichnet wurde. In jedem Fall brachte die singuläre rechtliche Konstruktion der „Gesammt-Akademie“ eine hochkomplexe Organisationsstruktur hervor. Zu allen Zeiten sind wohl die ernestinischen Erhalter mit ihren legitimen gesellschaftspolitischen Ansprüchen die treibenden Kräfte der Entwicklung gewesen, wobei stets der Dualismus von staatlicher Verwaltungsbefugnis und interner akademischer Selbstregulierung virulent war.1 Dabei verteilten sich die herzoglichen Interessen sehr ungleichmäßig über den Untersuchungszeitraum von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis 1918 und waren von Ungleichzeitigkeit und Diskontinuität geprägt.2 Der Nachweis der divergierenden Einzelinteressen der Höfe kann nur durch zukünftige Spezialstudien im kollegialen Zusammenwirken von Historikern sämtlicher Erhalterstaaten geleistet werden.3
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Vgl. Thomas PESTER, Zwischen Autonomie und Staatsräson. Studien und Beiträge zur allgemeinen deutschen und Jenaer Universitätsgeschichte im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert, Jena/Erlangen 1992, S. 7–23. Stefan WALLENTIN, Fürstliche Normen und akademische „Observanzen“. Die Verfassung der Universität Jena 1630–1730, Köln/Weimar/Wien 2009. Vgl. die Intention von: Alfred ERCK/Hannelore SCHNEIDER, Sachsen-Meiningens Teilhabe an der Jenaer Akademie zwischen 1782 und 1803, in: Jahrbuch des HennebergischFränkischen Geschichtsvereins 21 (2006), S. 117–153, hier S. 151.
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I. Gründung und Entfaltung im Zeichen lutherischer Konfessionalisierung Die Entstehungsgeschichte der „Salana“ als der jüngsten der vier mitteldeutschen Universitäten ist engstens mit den reichs- und regionalgeschichtlichen Rahmenbedingungen der 1540er Jahre verbunden. Im Vordergrund stand aber zunächst ein Krisenszenario. Nachdem die Linie der sächsischen Ernestiner aus dem Hause Wettin im Gefolge des Schmalkaldischen Krieges von 1546/47 große Teile ihres Territoriums samt Kurkreis und Kurwürde sowie die „Leucorea“ zu Wittenberg an die in Dresden und Torgau residierenden Albertiner verloren hatte, war die Stiftung einer neuen, prolutherischen Ausbildungsstätte zu einem vordringlichen staats- und bildungspolitischen Erfordernis geworden. Als eine landesherrliche Gründung sollte diese nicht allein einen Ersatz für Wittenberg bilden, sondern zugleich auch eine der Konfessionalisierung des lutherischen Bekenntnisses angemessene Fortentwicklung darstellen. In Anbetracht der geringen finanziellen Ressourcen und des angespannten Verhältnisses zum Kaiser konnte zunächst nur eine „Hohe Schule“, eine Art höheres Gymnasium errichtet werden, das am 19. März 1548 seinen Lehrbetrieb im ehemaligen Dominikanerkloster aufnahm. Zu den Ehrengästen bei der Eröffnungszeremonie gehörte neben den jungen Herzögen aus Weimar auch Luthers Freund und Erbe und wohl schärfster Gegner der Albertiner, Bischof Nikolaus von Amsdorf (1483– 1565), der als streitbarer und kompromissloser Verfechter der lutherischen Rechtfertigungslehre diese auch in Jena gewahrt wissen wollte. Bis zum Jahresende trugen sich rund 170, vorwiegend aus thüringischen, reußischen und schwarzburgischen Territorien stammende Studenten in die Matrikel der Hohen Schule ein. Aus ihnen und den nachfolgenden Semestern gingen vor allem die neuen höfischen Funktionseliten in den sich modernisierenden ernestinischen Kleinstaaten hervor. Im ersten Jahrzehnt der Existenz der Hohen Schule hatten sich rund 1500 Studenten eingeschrieben, von denen zwar die Masse aus Thüringen, nicht wenige aber aus Süddeutschland und sogar aus Böhmen, Polen, Dänemark und Norwegen zum Studium kamen. Seit der Rückkehr Johann Friedrichs I. aus der kaiserlichen Gefangenschaft gingen die Ernestiner zielgerichtet daran, die stiftungsrechtlichen und personellen Grundlagen für eine Universität mit ihren vier Fakultäten zu schaffen. Als Kaiser Ferdinand I. (1503– 1564) am 15. August 1557 die Gewährung eines Universitätsprivilegs zusagte, war darin zunächst nicht das Promotionsrecht für eine Theologische Fakultät enthalten. Auf der Grundlage des kaiserlichen Stiftungsprivilegs wurden die Statuten ausgearbeitet, die Herzog Johann Friedrich II., der „Mittlere“ (1529– 1595), am 25. Januar 1558 unterschrieb. Mit ihrer feierlichen Eröffnung am 1./2. Februar 1558 trat Jena als späte Pflanze der Reformation und vollwertiges
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Mitglied mit vier Fakultäten in die deutsche Universitätsgeschichte ein. In institutioneller Hinsicht bewirkte ihre konfessionelle Prägung eine enge Verzahnung mit Territorialstaat und ernestinischem Herrscherhaus.4 Jene konfessionelle, territorialstaatlich fixierte Gründungsfunktion bildete den Identitätskern der neuen ernestinischen Landesuniversität.5 Darüber hinaus erfüllte diese mit ihrer Infrastruktur auch Dienstleistungsfunktionen im landesherrlichen Auftrag, wie das 1566 nach Jena verpflanzte gemeinschaftliche Hofgericht der Ernestiner und den 1588 eingerichteten, in enger personeller Verbindung mit der Juristischen Fakultät stehenden Schöppenstuhl. In den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens war die „Salana“ primär ein ideologisches Kampfinstrument der Herzöge zur Stärkung ihrer Positionen in den innerprotestantischen Auseinandersetzungen. In Jena hatte die geistig enge, starr-orthodoxe Richtung des Luthertums eine ihrer Hochburgen. Nach der 1572 vollzogenen sächsisch-ernestinischen Landesteilung des Gesamthauses in die Linien Sachsen-Coburg-Eisenach und Sachsen-Weimar, der weitere dynastische Neugliederungen folgten, wurde die Universität dem Territorium der weimarischen Herzöge zugeschlagen. Da sie dennoch bis zum Ende der Monarchien 1918 stets im gemeinsamen Besitz der ernestinischen Einzelstaaten verblieb, konnte ihr politisch-rechtlicher Charakter als sächsischernestinische „Gesammt-Universität“ über die Jahrhunderte hinweg gewahrt werden. Von den wechselnden Erhaltern wurde die landesherrliche Universitätshoheit als Bestandteil der Territorialgewalt verstanden und ausgeübt. Dem in Weimar residierenden Herzog fiel überwiegend der besondere Status eines „Rector magnificentissimus perpeduus“ zu, während der in Jena amtierende Professor als „Prorector“ bezeichnet wurde.6 Abstimmungsbedarf zwischen den Landesherren im Hinblick auf die „Samtuniversität“ war speziell in Personalentscheidungen gegeben. Obrigkeitliche Weisungen besaßen nur dann Gültigkeit,
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Vgl. Joachim BAUER/Helmut G. WALTHER, Aufbrüche. Eine neue Universität sucht ihre Rolle im Zeitalter der Glaubensspaltung, in: Aufbrüche – 450 Jahre Hohe Schule. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung vom 18. Oktober bis zum 8. November 1998, hg. v. Rektor der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena 1998, S. 9–24; Helmut G. WALTHER, Die Gründung der Universität Jena im Rahmen der deutschen Universitätslandschaft des 15. und 16. Jahrhunderts, in: Blätter zur deutschen Landesgeschichte 135 (1999), S. 101– 121; Joachim BAUER/Dagmar BLAHA/Helmut G. WALTHER, Die Gründung der ersten konfessionellen Universität in Deutschland, Weimar 2003. Vgl. dazu die gleichgeartete Studie von: Joachim BAUER/Gerhard MÜLLER, „Kleinod“ der Ernestiner – die Herzoglich Sächsische Gesamt-Universität Jena und die Höfe, in: Konrad SCHEURMANN/Jördis FRANK (Hg.), THÜRINGEN – Land der Residenzen, Bd. 3 Essays, Mainz 2004 S. 324–336. Vgl. die Liste der Rektoren/Prorektoren/Präsidenten im Internet: www.uni-jena.de/universitätsgeschichte.html (Zugriff 11. März 2016).
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wenn alle Nutritoren die zu treffenden Entscheidungen mittrugen und der Universität in gleichlautenden Reskripten, den Konformia, zustellten. Um zu dieser Konformität zu gelangen, mussten die ernestinischen Höfe zuvor miteinander in Verbindung treten und diese Beschlüsse in einem mitunter langwierigen und aufwändigen schriftlichen Notenwechsel aushandeln. In politischen Krisenzeiten wurden mitunter auch einsame Entscheidungen getroffen. Als ein signifikanter symbolpolitischer Akt des weimarischen Hofes war 1571 die Bronzegrabplatte Martin Luthers auf Geheiß von Herzog Johann Wilhelm (1530–1573) in die Stadtkirche St. Michael in Jena überführt worden.7 In diesem Jahr kollidierten erneut die theologischen Zwistigkeiten als eine Spätfolge der sog. „flacianischen Wirren“ an der Universität. In einem Prozess vor dem kaiserlichen Reichshofrat wurde von 1571 bis 1573 gegen Herzog Johann Wilhelm als Beklagten verhandelt. Von den Verwandten des Klägers, des inhaftierten Jenaer Juraprofessors Peter Preme (auch Brem, gest. 1573/74), wurde um ein kaiserliches Mandat gegen die gewaltsamen Übergriffe und eine kaiserliche Inhibition an Prorektor und Senat der Universität wegen des dort gegen Brem geführten Prozesses nachgesucht.8 Auf den Tod Herzog Johann Wilhelms folgte die Administration der kursächsischen Fürsten über die ernestinischen Lande, mit der die Vertreibung der Flacianer und die Beseitigung der Vorherrschaft der „Gnesiolutheraner“ in Jena verbunden war. Mit der kursächsischen Vormundschaft konnte der innerwettinische Gegensatz aufgehoben und mit der „Konkordienformel“ von 1577 und dem Konkordienbuch von 1580 die Lehreinigkeit im protestantischen Lager weitgehend hergestellt werden.9 Allerdings waren die Fakultäten in Jena mit ihrer Unterschrift unter diese Dokumente unter erheblichen Druck geraten.10 Das Universitätsstatut von 1586 trug noch die Unterschrift des sächsischen Kurfürsten, jedoch ist es nicht mehr in Kraft getreten. Sofort nach dem Tode des Kurfürsten nahmen die Ernestiner ihre Landesuniversität wieder in Besitz. Davon kündete eines der ersten Reskripte Herzog Friedrich Wilhelms I. (1562–1602) vom April 1586, in dem die akade-
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Vgl. Joachim BAUER, Universitätsgeschichte und Mythos. Erinnerung, Selbstvergewisserung und Selbstverständnis Jenaer Akademiker 1548–1858, Stuttgart 2012, S. 126 f. Vgl. Die Akten des Kaiserlichen Reichshofrats, Serie I: Alte Prager Akten, Bd. I: A–D, hg. v. Wolfgang SELLERT, bearb. v. E. ORTLIEB, Berlin 2009, Nr. 516, S. 288 f. Vgl. Art. „Konkordienbuch“, „Konkordienformel“, in: Evangelisches Kirchenlexikon. Internationale theologische Enzyklopädie, hg. v. Erwin FAHLBUSCH u. a., Zweiter Band: G– K, Göttingen 31989, Sp. 1395–1400 . Vgl. Herbert KOCH, Dreißig unbekannte Briefe des ersten Rektors der Universität Jena Dr. med. Johann Schröter (1562–1582), in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-SchillerUniversität Jena/Gesellschafts-und Sprachwissenschaftliche Reihe 7 (1957/58), S. 241–252.
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mischen Bürger aufgefordert wurden, am 8. Juni zur Ableistung der Erbhuldigung im Jenaer Schloss zu erscheinen.11 Die neuen Statuten von 1591 waren dann gekennzeichnet vom Zurückdrängen des Philippismus und Calvinismus. Ihr Ziel war die Stärkung des orthodoxen Luthertums in den ernestinischen Territorien. Die Professoren wurden aufgefordert, zur Abmilderung der religiösen Gegensätze beizutragen und auf Wandel und Leben der Studenten zu achten. Die Forderung nach der Herausgabe halbjährlicher lateinischer Vorlesungsverzeichnisse war ein Novum.12 Aufgrund der anhaltenden Konflikte unter den ernestinischen Herzögen zog sich der Coburger Herzog Johann Casimir (1564–1633) 1594 zunächst aus der gemeinsamen Administration. zurück. Obwohl der Plan einer eigenen Stiftung in Coburg schon weit gediehen war, scheiterte das ehrgeizige Projekt an der fehlenden kaiserlichen Privilegierung. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts nahmen vier ernestinische Linien (Sachsen-Weimar, Sachsen-Altenburg, Sachsen-GothaCoburg, Sachsen-Eisenach) sowie erneut der sächsische Kurfürst Einfluss auf die Universitätsangelegenheiten. Umgekehrt war Herzog Friedrich Wilhelm bis 1601 Administrator in Kursachsen gewesen. Aufgrund der unklaren administrativen Verhältnisse war an eine gedeihliche Entwicklung nicht zu denken. Infolge der Teilungsturbulenzen konnte eine 1603 veranstaltete Visitation nicht zu Ende gebracht werden. Im Zuge des territorialstaatlichen Ausbaus wuchs das Bedürfnis nach akademisch geschulten Juristen, die auf dem Boden des neuen Reichsrechts standen.13 Der seit 1602 in Jena tätige Jurist Dominikus Arumäus (1579–1637) entwickelte eine staatsrechtliche Schule von weitreichender Wirkung und wurde zugleich zum Begründer der Publizistik. Zu dieser Schule gehörte der Staatsrechtler Johannes Limnaeus (1592–1665) und der im Sinne historischstaatsrechtlicher Legitimation agierende Jurist Friedrich Hortleder (1579–1640; FG 343 „Der Einrichtende“, 1639)14, der 1609 sein Werk über den Schmalkaldischen Krieg zur Rechtfertigung der protestantisch-fürstlichen Politik und zur Glorifizierung des ernestinischen Herrscherhauses veröffentlichte. Eine seiner bleibenden Leistungen bestand darin, den Identitätskern der „Salana“ als „Hort des wahren Luthertums“ im dynastischen Gedenken herausgearbeitet zu
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Universitätsarchiv Jena (im Folgenden: UAJ) A 1383, Bl. 147r–v. Vgl. Ulrich RASCHE, Über Jenaer Vorlesungsverzeichnisse des 16. bis 19. Jahrhunderts, in: Thomas BACH/Jonas MAATSCH/Ulrich RASCHE (Hg.), „Gelehrte“ Wissenschaft. Das Vorlesungs-Programm der Universität Jena um 1800, Stuttgart 2008, S. 13–57, hier S. 14. Vgl. Joachim BAUER/Andreas KLINGER/Alexander SCHMIDT/Georg SCHMIDT (Hg.), Die Universität Jena in der Frühen Neuzeit, Heidelberg 2008, S. 83–86. Alle Angaben der „Fruchtbringer“ im Folgenden nach: Klaus CONERMANN, Die Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft 1617–1650, Weinheim 1985, S. 5–513, hier S. 392–394.
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haben.15 Als herzoglicher Rat übte Hortleder seit 1616 maßgeblichen Einfluss auf die weimarische Hochschul- und Schulpolitik aus. Im engen Zusammenwirken mit Hofmarschall Caspar von Teutleben (1576–1629; FG 1 „Der Mehlreiche“, 1617), dem Erzieher der ernestinischen Prinzen in Jena, verschaffte er dem „Didacticus“ Wolfgang Ratke (1571–1635) Spielräume am Weimarer Hof zur Einführung seines ambitionierten Sprach- und Bildungskonzepts, das dieser bereits 1612 bei der Kaiserwahl in Frankfurt in Form eines „Memorials“ vorgestellt hatte. Mit seiner „Didactica“ suchte der Holsteiner die „Defecte“ im deutschen Unterrichtssystem zu beheben. In einem Gutachten von 1613/14 äußerten sich vier Jenaer Professoren positiv zu dem Erziehungsprogramm, das der deutschen Sprache einen hohen Rang einräumte. Die 1617 von ernestinischen und anhaltinischen Fürsten und Hofleuten in Weimar im Umfeld des Reformationsjubiläums begründete, aber erst 1622 im Zusammenhang mit den Bündnisbemühungen zur Rettung der evangelischen Reichsstände institutionalisierte „Fruchtbringende Gesellschaft“ stellte sich bewusst in die Tradition dieses ratichianischen Wissenschafts- und Sprachprogramms. Sie zeigte das Profil eines lutherisch-calvinistischen Adelsverbundes, des „Teutschen Friedbund(es)“, der seinen regionalen Schwerpunkt in Mitteldeutschland und neben Köthen speziell in Weimar und Jena besaß.16 Davon zeugen auch die Diskurse im Programm von 1622, dem „Kurtzen Bericht“ im Gesellschaftsbuch von Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen (1579–1650; FG 2 „Der Nährende“, 1617), dem Mitbegründer der ersten deutschen Sprachgesellschaft neben dem Hofmarschall von Teutleben und den ernestinischen Prinzen. Im Auftrag der Landesherrschaft siedelte Ratke, dessen Didaktik im Kern auch soziale Tendenzen beinhaltete, von 1629 bis 1631 ganz nach Jena über, wo sich eine Duplizität der Ereignisse abspielte. Unter organisatorischer Federführung des Jenaer Stadthauptmanns Friedrich von Kospoth (1569–1632, FG 55, „Der Helfende“, 1622) traf sich 1629 eine Kommission mit dem Auftrag, das Projekt einer Enzyklopädie der Wissenschaften zu konzipieren. Im Herbst 1629 war die Stadt Schauplatz des Zusammentreffens der vier überlebenden ernestinischen Herzöge, deren Ziel in der Wahrung des Besitzes vor dem Hintergrund des „Restitutionsediktes“ bestand.17
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Vgl. Andreas KLINGER, Großmütig und standhaft. Zum ernestinischen Bild Johann Friedrichs im 17. Jahrhundert, in: Joachim BAUER/Birgit HELLMANN (Hg.), Verlust und Gewinn. Johann Friedrich I., Kurfürst von Sachsen, Weimar u. a. 2003, S. 41–59. Vgl. Georg SCHMIDT, Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495–1806, München 1999, S. 157; ferner: Klaus MANGER (Hg.), Die Fruchtbringer – eine teutschherzige Gesellschaft, Heidelberg 2001. Vgl. Wolfgang HUSCHKE, Politische Geschichte von 1572–1775, in: Hans PATZE/Walter SCHLESINGER (Hg.), Geschichte Thüringens, Bd. 5: Politische Geschichte in der Neuzeit, Teil 1, Teilbd. 1, Köln/Wien 1982, S. 27.
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Eine bescheidene wirtschaftliche Genesung der Hohen Schule war ausgerechnet in der Zeit des leidvollen Dreißigjährigen Krieges gelungen. Auf Drängen der Universität hatten die Landesherren, allen voran der Altenburgische, Herzog Johann Philipp (1597–1639, FG 183 „Der Köstliche“, 1629) sich bereit gefunden, die notwendige Fundation zu bewerkstelligen. Durch die Dotation der ehemaligen Rittergüter Remda und Apolda 1633 kam Jena in den Genuss regelmäßiger jährlicher Einkünfte und war damit theoretisch in die Lage versetzt, drei Viertel der Besoldungen des Lehrkörpers selbst abzudecken. Der geschätzte Jahresertrag von 3.000 Gulden ist jedoch infolge von Ernteausfällen oder Plünderungen oft nicht erreicht worden. Der Festakt der abgeschlossenen Fundation wurde am 28. April 1634 veranstaltet. Der Theologe Johann Major (1564–1654) hielt eine oratio panegyrica, die mit herzoglicher Genehmigung gedruckt erschien. Von diesem Zeitpunkt an betrachtete sich die Universität als eigentlicher Besitzer der Dotalgüter, deren Erträge allerdings wechselhaft ausfielen, so dass diese weiterhin auf Zuschüsse angewiesen war.18 Seither war der Prälatenstand, d.h. die Vertretung auf den Landtagen, durch die Universität wahrgenommen worden. Ihr Rang als höchster Landstand war mit dem Recht zur Führung des Direktoriums bei den Landtagen verbunden.19 Dank ihrer Deputierten auf den Landtagen, die ihr Amt in der Regel nach den zuvor eingeholten Instruktionen des Senats führten, vermochte die Universität ihre Interessen auch in der Landespolitik zu vertreten und auf deren Gestaltung Einfluss zu nehmen. Die so in ihrem korporativen Selbstbewusstsein gestärkte Universität bekundete gegenüber Herzog Ernst von Gotha am 3. April 1649: dass die „[…] gesambte Universität allhier ein sonderlicher Stand [sei] und uff Landtägen bishero die Direction und Vorsitz unverrückt gehabt und herbracht“.20 Von einer gemeinschaftlichen Ausübung der Unterhaltung und Visitation der Universität war im gothaischen Hauptvertrag vom 12. September 1641 über die Erbteilung zwischen Herzog Wilhelm IV. von Sachsen-Weimar (1598–1662; FG 5 „Der Schmackhafte“, 1617), Herzog Albrecht von Eisenach (1595–1644; FG 17 „Der Unansehnliche“, 1617) und Herzog Ernst I. von Gotha (1601–
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Vgl. Heinz WIESSNER, Die Staatszuschüsse für die Universität Jena im ersten Jahrhundert ihres Bestehens (1548/58–1658), in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-SchillerUniversität Jena/Gesellschafts-und Sprachwissenschaftliche Reihe 6 (1956/57), S. 5–20, hier S. 7 f. Vgl. Gerhard MÜLLER, Universität und Landtag. Zur Geschichte des Landtagsmandats der Universität Jena (1567–1918), in: Werner GREILING/Hans-Werner HAHN (Hg.), Tradition und Umbruch. Geschichte zwischen Wissenschaft, Kultur und Politik, Rudolstadt/Jena 2002, S. 33–59. UAJ, A 1049a, Bl. 19r.
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1675; FG 19 „Der Bittersüße“, 1619) die Rede.21 Schon ein Jahr zuvor war die Übernahme der Regierung durch Herzog Wilhelm, auf den die hohe landesfürstliche Obrigkeit übergegangen war, erfolgt. Er ließ sich durch seine Vertreter im Juni 1640 in Jena in einer Art und Weise huldigen, als befände man sich im Frieden. In seiner Eigenschaft als Inhaber des Direktoriums der Weimarer Linie lag nun die Durchführung der nächsten großen Visitation in seiner Hand, wozu ihm der Altenburger Herzog eine Vollmacht erteilt hatte. Die Rechte dieser Linie war unbestritten, war sie es doch gewesen, die die Dotation vorangetrieben hatte und die nach wie vor die Hälfte aller Universitätszuschüsse trug. Nach längerer Vorbereitung fand im August 1644 die Universitätsvisitation in Jena statt. Die inhaltlichen Akzente scheint jedoch der in konfessionellen und bildungspolitischen Fragen sehr engagierte Ernst von Gotha gesetzt zu haben. Als wichtigster Vertrauensmann des reformorientierten Gothaer Herzogs Ernst der Fromme fungierte der Theologe Salomon Glassius (1593–1656). Die in Jena festgestellten Mängel betrafen nicht zuletzt das Druck-, Verlags- und Zensurwesen.22 Die umfassende Berichterstattung bildete den Anlass für eine 1645 in Eisenberg angesetzte Konferenz der Vertreter der Erhalterstaaten, die eine verstärkte geistliche Aufsicht zum Ziele hatte. Als Antreiber fungierte erneut Herzog Ernst, der seine Autorität als „Furstl. nutritorum Academiae und Interessent“23 in die Waagschale warf, um die notwendigen Schritte einzuleiten.24 Seine kritische Grundhaltung äußerte sich auch bei den Vorbereitungen zur Säkularfeier der Hohen Schule 1648. Während die Feierlichkeiten in Jena von Altenburg und Weimar genehmigt wurden, stellte Ernst diese grundsätzlich in Frage und forderte eine Abstellung der eingerissenen Missbräuche. An vorderer Stelle beteiligte sich Herzog Ernst an der Debatte um die Stellung der Universität in den Landesteilen. Nach einer Stellungnahme Ernsts vom September 1651 untersagte der Weimarer Herzog der Universität auf dem Altenburger Landtag in der Eigenschaft des Prälatenstandes zu erscheinen.25
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Vgl. August BECK, Ernst der Fromme, 1. Teil, Weimar 1865, S. 233, mit Abdruck des Teilungsvertrages. Ausführliche, auf Aktenstudien basierende Darstellung bei: WALLENTIN, Fürstliche Normen (wie Anm. 2), S. 87 f. Thüringisches Staatsarchiv Gotha, Geheimes Archiv, M Mond, 2 III, Bl. 13r–v (aus der gothaischen Instruktion für die Eisenberger Räthe von 1645). Zur Funktion der Visitationen wird hier lediglich auf die von 1644 eingegangen. Alle weiteren großen Visitationen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit den Intentionen der Nutritoren sind ausführlich dargestellt in der Arbeit von WALLENTIN, Fürstliche Normen (wie Anm. 2), S. 95–171. Vgl. BAUER, Mythos (wie Anm. 7), S. 226 f.
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Um die Mitte des 17. Jahrhunderts erlangte die nun voll ausgebaute, konfessionell-lutherisch gebundene thüringische Landesuniversität im gesamt- und außerdeutschen Rahmen Beachtung. Dies geschah allerdings vor dem Hintergrund der spannungsreichen Beziehungen der Nutritoren untereinander. Zuerst belasteten der altenburgisch-weimarische Gegensatz und später der Präzedenzstreit zwischen den weimarischen und gothaischen Hauptlinien die Verständigung der Herzöge in den Universitätsangelegenheiten. Ungeachtet dieser hemmenden Faktoren gewann sie ihre besondere Identität durch die Erschließung eines überterritorialen studentischen Einzugsbereiches. So stammten rund 60 % der im ersten Jahrhundert eingeschriebenen Theologiestudenten aus Territorien außerhalb Thüringens. Die Gesamtzahl der von 1558 bis 1652 in Jena Immatrikulierten betrug weit mehr als 20.000. Davon entstammten rund 9.000 der thüringischen Kleinstaatenwelt und machten einschließlich der albertinischen Untertanen etwa die Hälfte der Studenten aus. Einen hohen Anteil stellten die thüringischen Städte, von denen Weimar (271), Erfurt (229), Gotha (193), Eisenach (192), Naumburg (143), Neustadt a. d. Orla (123), Mühlhausen (120), Schleusingen (112), Kahla (95), Buttstädt (87), Pößneck (65) und Eisenberg (58) genannt seien.26 Von der sozialen Schichtung her handelte es sich vor allem um Pfarrer-, Bürger- und in geringerem Maße um Bauernsöhne. Der Anteil Adeliger war in Jena weit weniger ausgeprägt. Im Zusammenhang mit dem inneren Landesausbau standen die wachsenden Bedürfnisse studierender Landeskinder und Stipendiaten. Die Bestellung der Inspektoren, die sich aus den Professoren der Philosophischen Fakultät rekrutierten, war Angelegenheit des jeweiligen Territorialherrn.27 So erfolgte die Ernennung Friedemann Bechmanns (1628–1703) 1659 durch Herzog Ernst I. zum Inspektor für die gothaischen Landeskinder.28 Später wurde ihm noch die Meininger Stipendiaten übertagen. Als Prorektor hielt er im Sommersemester 1662 einen Tractatus de Privilegiis acivribus Studiosorum.29 Als Inspektor der weimarischen Landeskinder fungierte in den Jahren nach 1669 der Physiker und Mathematiker Erhard Weigel (1625–1699). Im Gefolge des Dreißigjährigen Krieges waren eine erschreckende Disziplinlosigkeit und der Sittenverfall innerhalb der Studentenschaft zu verzeichnen und Jena geriet in den üblen Ruf einer „Renommisten“-Universität. Als auf dem Reichstag zu Regensburg im Mai 1654 eine erste einheitliche Regelung der
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Willi FLACH (Hg.), Die Matrikel der Universität Jena, bearb. v. Georg MENTZ in Verbindung mit Reinhold JAUERNIG, Bd. I: 1548–1652, Jena 1944. Vgl. WALLENTIN, Fürstliche Normen (wie Anm. 2), S. 266 f. Thüringisches Staatsarchiv Altenburg (im Folgenden: ThStAA), Sammlung Schönberg Nr. 35, Bl. 232r–234r. Thüringische Universität- und Landesbibliothek Jena (im Folgenden: Thulb), Diss. jur. q. 83.
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Strafmaßnahmen gegen den sogegnannten „Pennalismus“30 als Beschluss des Corpus Evangelicorum verabschiedet wurde, war es erneut der Gothaer Herzog, der auf baldige Publizierung des Beschlusses drängte.31 In seinem im selben Jahr verfassten und als separater Druck erschienenen Testament legte Herzog Ernst nieder, was er sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte. Darin waren alle wesentlichen seiner Anliegen an den Erhalt und die Verbesserung der Universität festgehalten, von denen die Bewahrung und „Fortpflanzung“ der „reinen Lehre unserer evangelischen Lutherischen Religion“ ein integraler Bestandteil war.32 Seine Staatsideologie teile er mit seinem leitenden Minister, Veit Ludwig von Seckendorff (1626–1692), dem Verfasser des wichtigsten Verwaltungshandbuches seiner Zeit. Die wichtigsten Themen der Universitätspolitik Ernsts I. finden sich in Seckendorffs „Fürsten-Stat“ von 1656 wieder, dessen Bedeutung darin besteht, dass es zu einer Art Handlungsanleitung für die deutschen Kleinund Mittelstaaten geworden ist.33 Einige Passagen ähneln einander sogar in unverwechselbarer Weise. Die von ihm auf patriarchalische Weise mitregierte Jenaer Hohe Schule fand so in diesem „Fürstenspiegel“ ihren Niederschlag. Gemäß Seckendorffs Auffassungen vom neuen Staatsrecht waren die Professoren auch gehalten, die übergeordneten Reichzusammenhänge zu beachten und dabei nicht die ernestinische Botmäßigkeit zu vernachlässigen. Als Teil der inneren Konsolidierung beim Neuaufbau des Territoriums waren ihm Visitation und restriktive Hochschulpolitik wichtige Instrumente landesherrlicher Fürsorge im Interesse des „gemeinen Nutzens“. Zwar gelang es ihm, ein erhebliches Maß an Kontrolle auszuüben, doch stieß er permanent auf die Grenzen seiner patrimonialen Einwirkungsmöglichkeiten. Das Spannungsverhältnis zwischen ihm und der Jenaer „Pflanzstätte“ blieb Zeit seines Lebens erhalten. Nach seinem Tode 1675 bildete Gotha drei selbständige Teillinien aus. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bestanden zunächst drei ernestinische Linien und nach dem Aussterben der Altenburger Linie 1672 gelangte der größere Teil des Erbes an Gotha, während der kleinere Teil an das weiterbestehende Haus Sachsen-Weimar fiel. Schon unter Herzog Wilhelm IV., des Stammvaters des weimarischen Hauses, waren Bestrebungen in Gang gekommen, Jena zu
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Vgl. Matthias HENSEL (Hg.), Pennalismus. Ein Phänomen protestantischer Universitäten im 17. Jahrhundert, Leipzig 2014, sowie den Abschnitt: Jena – Die „RenommistenUniversität“ im Alten Reich, in: BAUER, Mythos (wie Anm. 7), S. 286–321. Vgl. LÜNING, Das Teutsche Reichs-Archiv, pars. Generalis, I. Theil, Leipzig 1713 S. 437 f. (Exemplar in: Thulb, HSA, f. Bud. jur. publ. 43). Späterer Abdruck des Testaments im „Saalfeldischen Receßbuch“, Coburg 1783, S. 1–6. Vgl. Andreas KLINGER, Der Gothaer Fürstenstaat. Herrschaft, Konfession und Dynastie unter Herzog Ernst dem Frommen, Husum 2002. Georg SCHMIDT, Geschichte des Alten Reiches, München 1999, S. 202.
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einer Wissenschaftsdependance zu entwickeln. Zwischen 1672 und 1690 folgten die Erbteilungen der Söhne Wilhelms IV., in drei Speziallinien u.a. ein Herzogtum Sachsen-Jena,34 die aber diesen ersten Versuch vereitelten. Im zweiten Punkt des „Memoriales“ vom 8. Juni 1672 war die Universität Jena als „edeles Kleinod“ der ernestinischen Lande deklariert worden. Herzog Bernhard von Sachsen-Jena (1638–1678, FG 427 „Der Nachfolgende“, 1645), der 1654 in Jena als Student immatrikuliert worden war, hatte die Landeshoheit über die Hochschule, da sie in seinem Territorium, dem Fürstentum Sachsen-Jena, lag.35 Seit 1662, nach der Zuweisung Jenas als Regierungssitz, gingen von Bernhard auf Toleranz und aufgeklärte Besinnung zielende Impulse zur Förderung der „Fruchtbringer“ aus. Sofort nach dem 25. Juli 1672 wurde mit dem Aufbau einer Zentralverwaltung nach dem Vorbild Weimars begonnnen. Auch die Gliederung in Regierung, Kammer und dem 1673 gebildeten, für kirchliche Fragen zuständigen Konsistoriums, wurde beibehalten. Während der 1668 aus Wittenberg nach Jena zurückgekehrte Jurist Johannes Strauch (1612–1679) als Vizekanzler die beiden obersten Gremien leitete, stand die Kammer seit 1674 unter der Führung des Kammerdirektors Andreas Pflugk. 1675 wurde der adelige Jurist Zacharias Prüschenk von Lindenhofen (1610–1678, FG 418), einem lutherischen Glaubensflüchtling aus Böhmen und Österreich, mit der Oberaufsicht über die Verwaltung des kleinen Landes betraut. Unter dem Gesellschaftsnamen „Der Fördernde“ 1644 in die „Fruchtbringende Gesellschaft“ aufgenommen, wurde der Schwiegersohn Hortleders zum Streiter für den Synkretisten Georg Calixt und zum Übersetzer Caspar Barths, indem er ihre Werke unter diesem Namen publizierte. Auf seine Autorität als „Vizekanzler“ der Herzogs vertrauend, empfahl sich Strauch 1772 ausdrücklich für das hohe Amt des „Oberzensors“ an der Universität. In einer von dem Theologen Johannes Musäus (1613–1681) verfassten Entgegnung wehrte sich die Universität gegen diesen Vorstoß und wies den Versuch massiv zurück, das in ihren Statuten festgeschriebene Privileg auszuhöhlen.36 Ein weiteres bemerkenswertes Beispiel des engen Zusammenspiels von Fürstenherrschaft und Universität war das Wirken des Juristen und Reichsrechtlers Georg Adam Struve (1619–1692).
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Vgl. Ilse TRÄGER, Jena von 1500–1770, Jena 1988, S. 38–43. Vgl. Paul ECKOLD, Das Herzogtum Sachsen-Jena, Jena 1940; J. A. C. v. HELLFELD, Geschichte der erloschenen Herzoglich Jenaischen Linie Herzog Bernhards II., Jena 1828; ferner: Wolfram JUNGHANS, Das Fürstentum Sachsen-Jena und die Angehörigen seines Herrscherhauses (1662–1703), in: Kultur und Geschichte Thüringens. Landeskundliches Jahrbuch für Deutschlands Mitte 7 (1986/87), S. 6–16. Universität an Herzog Johann Ernst II., August 1672 (Konzept), UAJ, A 1097, B. 17r–18v.
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Nach dem Tod von Herzog Bernhard und Prüschenks 1678 wurde er von Johann Ernst II. (1627–1707) als Leiter der Vormundschaftsgeschäfte für Bernhards Sohn Johann Wilhelm bestellt. In Personalunion war Struve damit Lehrer an der Universität, Präsident des Konsistoriums, Finanzminister und eine Art Ersatzvater des unmündigen Prinzen. Erbprinz Johann Wilhelm sollte 1688 im Alter von 13 Jahren die Universität beziehen. Mit Glanz und Gloria wurde er in der Universitätskirche zum Rektor gewählt bzw. gekürt. Nach dem Aussterben der Nebenlinie 1691 gelangte ein Teil dieses Herzogtums mit der Stadt Jena als sogenannte Jenaische Landesportion an die Herzöge von Sachsen-Eisenach. Eine 1696 unter Herzog Wilhelm Ernst (1683–1728) und seinem Eisenacher Vetter Johann Wilhelm (1666–1729) durchgeführte Visitation37 führte zu einer Verschärfung der landesherrlichen Aufsicht. Anfang des 18. Jahrhunderts bestand das ernestinische Territorium aus fünf Einzelstaaten: Weimar, Eisenach, Gotha, Meiningen und Coburg-Saalfeld. Nach dem Tod von Herzog Johann Georg von Sachsen-Eisenach 1698 war sein bis 1727 regierender Bruder Johann Wilhelm neuer Landesherr. Er hatte seit 1696 im Jenaer Schloss residiert und kannte die Hochschule aus eigenem Erleben. Diese, nach den Worten des Pfarrers und Universalgelehrten Johann Gottfried Gregorii, genannt Melissantes (1685–1770) „weltberühmte“ Universität verfügte damals als Bildungsstätte für protestantische Geistliche, Juristen, Mediziner und Philosophen über einen exzellenten Ruf. In der Ära von Herzog Wilhelm Ernst wurden erneut Pläne einer Universitätsreform in Angriff genommen. Diese betraf insbesondere das Projekt der Einsetzung eines Universitätskanzlers nach dem Modell Halles zur Effektivierung staatlicher Kontrolle. Jener Plan von 1703 scheiterte jedoch an der Besoldungsfrage.38 In den Jahren 1706 und 1708 wurden Konflikte um den Status der Korporation als Prälatenstand ausgetragen. Beide Male zeigte sich Herzog Wilhelm Ernst letztlich nachgiebig und billigte der Universität die „Qualität als Praelaten“ auf den Landtagen zu.39 Darüber hinaus waren große Differenzen mit den Höfen in Eisenach und Gotha sichtbar geworden. Bei dieser Gelegenheit hatte der gothaische Vertreter den Gegenvorschlag einen Concilium arctius genannten engeren Senat ins Spiel gebracht, der aber erst später auf der Universitätskonferenz der Erhalter-
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Vgl. Georg MENTZ, Eine Visitation der Universität Jena vom Jahre 1696, in: Festschrift für Alexander Cartellieri, Weimar 1927, S. 77–88. Vgl. Stefan WALLENTIN, „Heylsame und nützliche Anstalten“ – Universitätsreform in Jena um 1700, in: Daniela SIEBE (Hg.), Orte der Gelahrtheit. Personen, Prozesse und Reformen an protestantischen Universitäten des Alten Reiches, Stuttgart 2007, S. 239–256; ferner DERS.: Fürstliche Normen (wie Anm. 2), S. 162–167. Vgl. BAUER, Mythos (wie Anm. 7), S. 229.
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staaten von 1722 in Jena wieder aufgegriffen wurde. Mit einer 28 Punkte umfassenden Instruktion versehen, nahm das fünfköpfige Gremium 1723 seine Arbeit auf.40 In der Zeit von 1711 bis 1720 war Jena mit 720 Inskriptionen jährlich die meistbesuchte deutsche Universität. Für das Jahrzehnt danach ist eine Gesamtfrequenz von etwa 1500 berechnet worden.41 Trotz gravierender Konflikte unter den Unterhaltern, speziell der internen Erbstreitigkeiten innerhalb der gothaischen Linie, konnten sie im Ernstfall entschlossen eingreifen. So wurde kurzfristig Ende 1714 eine Universitätskonferenz anberaumt, nachdem gegen den Theologen Johann Franz Buddeus (1667–1729) Pietismusvorwürfe laut geworden und der Verdacht religiöser Unzuverlässigkeit aufgekommen war.42 Unter der Landesherrschaft von Ernst August von Sachsen-Weimar (1688, reg. 1728–1748) verschärften sich die hoheitlichen Eingriffe. 1729 erteilte er der Theologischen Fakultät, allen voran Prof. Buddeus, einen scharfen Verweis, weil sie pietistische Konventikel in Jena geduldet hatten. Ernst August war dafür bekannt, dass er die Ressourcen des Landes durch zahllose Schlossbauten und Jagdhäuser verschleuderte. Sein bekanntes Diktum „Wer räsoniert, wird mit Zuchthausstrafe“ belegt, galt auch für seine akademischen Untertanen. Eine Fundamentalkritik übte er in einem Reskript vom Januar 1743. So warf er den Professoren vor, dass sie „[…] unter dem Scheine einer großen spitzfindigen Soliditaet, mit einem thörichten pedantischen Hochmuth, leeres Stroh ihren Schülern vorlegen“43 würden. Für den Niedergang seiner Hohen Schule, die er viel lieber in eine Ritterakademie verwandelt hätte, machte er in erster Linie ihre Selbstverwaltungsorgane verantwortlich.
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Heinz WIESSNER, Das Concilium arctius an der Universität Jena von 1722 bis 1767, in: Forschungen zur thüringischen Landesgeschichte, Weimar 1958, S. 459–493; WALLENTIN, Fürstliche Normen (wie Anm. 2), S. 182–187. Hermann LEUTENBERGER, Untersuchungen über die Besucherzahl der Universität Jena von den Anfängen bis zur Gegenwart, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der FriedrichSchiller-Universität Jena/Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe 2 (1953/54), S. 361–390, hier S. 374; ferner: Ulrich RASCHE, Umbrüche – Zur Frequenz der Universität Jena im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Gerhard MÜLLER/Klaus RIES/Paul ZICHE (Hg.), Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800, Stuttgart 2001, S. 79–134, hier S. 95 f. WALLENTIN, Fürstliche Normen (wie Anm. 2), S. 170; Erich BEYREUHTER, Die Kirche in der Neuzeit, in: Hans PATZE/Walter SCHLESINGER (Hg.), Geschichte Thüringens, Bd. 4: Kirche und Kultur in der Neuzeit, Köln/Wien 1972, S. 1–52, hier S. 27. UAJ, A 1224, nicht pag. (Ausf.).
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Abb. 1: Grundriß des Collegium Jenense (dat. 1719) von Johann Bernhard Wiedeburg (1687–1766, seit 1718 Professor der Mathematik und Inspektor des Konvikts).
II.
Vom Aufstieg der Korporation zur Wiege des deutschen Idealismus
Nach dem Siebenjährigen Krieg stand Sachsen-Weimar-Eisenach wie die anderen ernestinischen Territorien, unter einem starken Reformdruck. Die von Herzog Ernst August hinterlassenen Altlasten waren unter den folgenden Vormundschaftsregierungen (1748–1755) und der kurzen Alleinregierung Ernst August Constantins unter Premierminister Heinrich Graf von Bünau (reg. 1756/58) nicht getilgt worden. Unter seiner Eisenacher Statthalterschaft war das Personal herangebildet worden, mit dem er nun in die weimarische Administration einrückte. Mit diesem Elitentausch wurde die rationale Verwaltung des gothaischen Modellstaats auf Sachsen-Weimar, das 1741 mit dem Fürstentum Eisenach vereint worden war, übertragen. Eine Zäsur im Verhältnis von Staat und Korporation zeichnete sich mit dem Beginn der Regentschaft von Herzoginwitwe Anna Amalia (1739–1807) ab. Sie führte seit 1759 mit Hilfe einer besonderen Genehmigung des Kaisers für ihren erst zweijährigen Sohn
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Carl August die Regierung des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach.44 Das nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges in Jena am 1. Mai 1763 mit Glockengeläut, Pauken und Trompeten begangene Friedensfest war von landespatriotischen Zügen getragen. In den Festliedern wurde auch der ernestinischen Landesherren gedacht. Zugleich bildete dieses den Auftakt für die ersten Landtage der drei Landesteile des Herzogtums während der Regentschaft von Herzogin Anna Amalia in Weimar (Mai), Jena (Juli) und Eisenach (Oktober 1763). Dort legte man die dringende Reformbedürftigkeit des Landes offen. In Sachsen-Meiningen zog man partiell nach. Nach dem Tode von Herzog Anton Ulrich (1687–1763) übernahm dessen erst 33-jährige Witwe Charlotte Amalie (1730–1801) die Vormundsregentschaft. Die relativ konsequente Politik der aufgeklärten Reform wurde später auch von den Söhnen Charlotte Amalies, Herzog Carl Wilhelm (1754–1782) und Georg I. (1761–1803) fortgeführt.45 Eine 1766/67 durch die Herzogin Anna Amalia veranlasste große Visitation förderte gravierende Mängel in Struktur und Verwaltung der akademischen Korporation zutage. Diese ging unter dem Vorsitz des mit den Jenaer Verhältnissen bestens vertrauten Juristen und Mitglied des „Geheimen Consiliums“ Achatius Ludwig Karl Schmid (1725–1784), der mit weitreichenden Vollmachten versehen war, vonstatten. Die im Zuge der Visitation festgestellten Unregelmäßigkeiten müssen sich auf dem Gebiet des Rechnungswesens als besonders gravierend erwiesen haben, war doch von „unermeßlichen Nachlässigkeiten“46 die Rede. Indem nun spezielle Vorschriften für die Führung und Kontrolle des Finanzhaushaltes erlassen und 1768 erstmals ein fester Etat eingeräumt wurde, konnte die akademische Vermögensverwaltung auf eine neue Basis gestellt werden. Als ein Resultat der Neuordnung unternahm der Weimarer Hof 1771 einen eigenständigen Vorstoß zur Förderung der akademischen Finanzen. Den 18 Lehrstuhlinhabern wurde ein jährliches Extragehalt in Höhe von 1.200 Reichstalern gezahlt, dass dem Fiscus academicus jeweils im Oktober des laufenden Jahres auf Antrag angewiesen worden ist. Allerdings wurde die Hoffnung nicht erfüllt, dass sich die anderen Nutritoren dieser Initiative anschließen würden. Anderseits arbeitete der Fiskus seit der Visitation von 1767 nach einem festen Einnahme- und Ausgabeetat, in dem die Kammerzuschüsse ungefähr ein Viertel des Gesamtvolumens ausmachten. An verfassungsmäßigen Veränderungen wurde eine neue, praktikablere Instruktion für das Consilium arctius verfügt und eine modifizierte Prorektoratsverfassung brachte Neuerungen für die Arbeit des Senats mit sich. Im Zuge dieser tiefgreifenden Visitation 44 45 46
Vgl. Joachim BERGER, Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739–1807). Denkund Handlungsräume einer „aufgeklärten“ Fürstin, Heidelberg 2003. ERCK/SCHNEIDER, Sachsen-Meiningens Teilhabe (wie Anm. 3), S. 117–151. Zit. nach Fritz HARTUNG, Das Herzogtum/Großherzogtum Sachsen unter der Regierung Carl Augusts 1775–1828, Weimar 1923, S. 141.
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begannen eine Umbruchsphase sowie ein Aufstieg, in dessen Verlauf sich die Universität in ein Zentrum des vom aufklärerischen Geist inspirierten Wissenschaftsverständnisses verwandelte. Ein Ziel der aufgeklärten Erneuerungspolitik der Nutritoren bestand darin, Jena zu einer leistungsfähigen, sich an Halle und Göttingen orientierenden Hochschule zu machen. Von diesem Geist war auch die 1772 erschienene Schrift des späteren Kanzlers und Regierungspräsidenten Schmid getragen.47 Die Hinwendung zur Aufklärung gründete sich auf einen personellen Generationswechsel an mehreren ernestinischen Höfen. Inwiefern hier ein neues, vernunftorientiertes Regentenethos zur Geltung kam, sollte sich gerade auf dem Feld der Berufungspolitik erweisen. Moderation des Kandidaten und friedfertiges Wesen mussten dabei nicht die entscheidenden Kriterien sein. Gegen den Widerstand der orthodoxen Jenaer Theologen betrieben die Regierungen in Weimar und Gotha nachdrücklich die Berufung des jungen aufstrebenden Aufklärungstheologen Ernst Jakob Danovius (1741–1782). Mit seiner bereits 1768, noch vor der Nostrifikation erfolgten Etablierung sollte der Versuch unternommen werden, die Universität von innen heraus zu modernisieren. Mit Danovius begann eine Entwicklung, in deren Verlauf die Theologische Fakultät in eine Hochburg aufklärerischer Wissenschaftskultur verwandelt wurde. Parallel zur Theologischen erfolgte die Modernisierung der Medizinischen Fakultät. Als ein Beleg für den Reformwillen war ein Gutachten des neuberufenen Chirurgen Johann Ernst Neubauer (1739–1777) von 1770 anzusehen, das eine Fülle von Projekten zur Förderung neuer Anstalten und Institute enthielt. Im Vertrauen auf die Selbstheilungskräfte gewann die Botanik als „Fundamentalwissenschaft“ an Bedeutung. Ihren großen Einfluss auf Oekonomie und Forstwesen propagierte Ernst Gottfried Baldinger (1738–1804), der seit 1768 eine Medizin- und seit 1769 die Botanikprofessur bekleidete. Er führte in Jena das Linne’sche System ein und gab 1773 einen „Index plantarum&agri Jenensis“, ein Verzeichnis des unter seiner Aufsicht stehenden Botanischen Gartens heraus. Im Bestreben, durch eine personalpolitische Offensive den Rückstand Jenas zu den Reformuniversitäten Göttingen und Halle zu kompensieren, waren sich Weimar und Gotha einig. 1777/78 gelang es durch Gothaer Initiative, als Nachfolger Baldingers den jungen Anatomen Justus Christian Loder (1753–1832) aus Göttingen zu gewinnen. Seine Berufung und gezielte Förderung sollte den Grundstein für den späteren Gesamtaufschwung legen. Dafür wurden ihm Vergünstigungen zuteil, die im „Geheimen Consilium“ in Weimar vorgeschlagen wurden. So wurde ihm im August 1781 ein Quartier im Jenaer Schloss eingeräumt und eine Studienreise nach Paris und London genehmigt. Das Gremium verstand sich auch als 47
A. L. C. SCHMID, Zuverlässiger Unterricht von der Verfassung der Herzoglich Sächsischen Gesamtakademie zu Jena, Aus Acten und anderen Documenten gezogen, Jena 1772.
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Kontrollorgan der regelmäßig eingesandten Berichte der Akademie an die Erhalter sowie der Lektionstabellen.48 Noch vor seinem Regierungsantritt war dem jungen Erbprinzen Carl August am 18. Januar 1774 die Würde eines Rectoris magnificentissimi, die zuletzt sein 1749 sein verstorbener Vater innegehabt hatte, übertragen worden. Hinter dieser Geste war der Wunsch verborgen, dass dieser sich durch eine aktivere Hochschulpolitik ausweisen würde, was dann auch, speziell auf dem Gebiet des Berufungswesens, geschah. Von dem von ihm geleiteten Geheimen Consilium ging im Juni 1777 ein Vorstoß zur Besetzung der Professur für Staats- und Lehnrecht aus.49 Dabei handelte es sich um den Darjes-Schüler Heinrich Gottlob Scheidemantel (1739–1787), über den ein Streit zwischen den Nutritoren ausgebrochen war. Während sich Weimar und Gotha im Konsens befanden, stellten sich Meiningen und Coburg hinter das ablehnende Gutachten der Juristenfakultät.50 Johann Wolfgang von Goethe, der als Mitglied des Geheimen Consiliums von 1776 bis 1785 an den meisten Entscheidungen über die Universität beteiligt war, versuchte seinerseits, den Streit mit der Befragung Loders über das Ansehen Scheidemantels in Göttingen beizulegen,51 doch die Verhandlungen zogen sich bis 1782 hin. Jener Fall kann als Beispiel für das Zusammenrücken beider Höfe angesehen werden. Ein gemeinsamer Besuch der Universität durch beide Herzöge fand unter Beteiligung Goethes am 13. Juli 1780 statt. Im Zusammenspiel mit Gotha gelang es Weimar allmählich, die akademischen Lehrstühle mit Ordinarien zu besetzen, die ihre Ausbildung an den Reformuniversitäten Halle und Göttingen absolviert hatten. Maßgeblichen Anteil an der personalpolitischen Offensive nahm der seit 1772 regierende Herzog Ernst II. von Gotha. Nach seinem Regierungsantritt kam eine weit ausgreifende Kultur- und Wissenschaftsförderung zum Tragen.52 Herzog Ernst entsprach mit seinem Hang zur Reflexion und seine intellektuellen Unabhängigkeit im Urteil einem Fürstentypus, der sein Augenmerk auf ein nach rationalen Kriterien geordnetes Gemeinwesen richtete.53 In seinen hochschulpolitischen Entscheidungen setzte er sich mit ministerieller Unterstützung um 48 49 50 51 52 53
Vgl. Volker WAHL (Hg.), Das Geheime Consilium von Sachsen-Weimar-Eisenach in Goethes erstem Weimarer Jahrzehnt. Regestausgabe, II. Halbbd., Wien 2014, Reg. 10441, S. 716; II. Reg. 10473, S. 719; II. Reg. 12424, S. 834. Ebd., I. Halbbd., Reg. 3057, S. 303. Steffen KUBLIK, Die Universität Jena und die Wissenschaftspolitik der ernestinischen Höfe um 1800, Marburg 2009, S. 104 f. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (im Folgenden: ThHStAW), H 1558, Korrespondenz Fritsch-Frankenberg (1778–1792). Vgl. Christoph KÖHLER, Gotha – eine thüringische Residenz zur Aufklärungszeit. Studien zum geistig-kulturellen Leben unter Ernst II. (1745–1804), Jena 1993. Vgl. zu ihm umfassend: Werner GREILING/Andreas KLINGER/Christoph KÖHLER (Hg.), Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg. Ein Herrscher im Zeitalter der Aufklärung, Köln/Weimar/Wien 2005.
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eine bessere Abstimmung zwischen den Höfen ein. Auf sein Verständnis stieß z.B. 1773 der Vorschlag Weimars, den Erhaltern in Meiningen und Coburg ihre Rechte an der Universität abzukaufen, weil zwischen diesen ein Konflikt über die Höhe des von ihnen zu entrichtenden Kostenzuschusses für den Unterhalt der Universität entbrannt war.54 Übrigens sollte es noch ein halbes Jahrhundert vergehen, bis dieser Vorschlag endlich in die Tat umgesetzt wurde und Gotha die Hälfte des Beitrags bereitwillig übernahm. Der gravierende Unterschied zu Weimar lag darin, dass in Gotha eine ähnlich enge Verbindung von Hof und Universität wegen der geographischen Entfernung nicht voll zum Tragen kam. Im Frühjahr 1817 brachte der gothaische Kommissar zu den Verhandlungen die Vollmacht mit, die Anteile der beiden Nebenlinien zu übernehmen.55 Mehr und mehr entwickelte sich die Philosophische Fakultät als Ideenspender für Berufungen und zum Inkubationsraum für innovative Projekte. Aus der einstigen Basisfakultät ist allmählich die bevorzugte geworden. In dieser Fakultät wurde nun nicht mehr ausschließlich enzyklopädisches Wissen vermittelt, sondern zunehmend eine methodische Herangehensweise gepflegt. In Übereinstimmung mit Herzog Ernst II. betrieb sein Minister Sylvius Friedrich Ludwig von Frankenberg (1728–1815)56 eine weitsichtige Personalpolitik, die ihrer Nutritorenfunktion angemessen war. Beim Vorgang der Berufung seines Dichterkollegen Friedrich Schiller (1759–1805) 1788/89 versicherte sich Goethe der Zustimmung des Gothaer Herzogs und dessen Ministers Frankenberg. In einem anderen Fall, der Bewerbung von August Friedrich Schlegel (1767–1845) 1798, riet Goethe, ein Gesuch um die Erteilung der Professur nach Gotha zu richten.57 Für die Anstellung des 1794 berufenen Philosophen Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) erteilte Frankenberg ebenfalls seine Zustimmung, wobei er allerdings nach dem „Atheismus-Streit“ von 1798/99 für dessen Entlassung plädierte.58 Wie im Falle dieses a. o. Professors war es den Regierungen gelungen, aus der Not eine Tugend zu machen. Da sie die Extragehälter nicht nur zur Aufstockung der Besoldungen der Lehrstuhlinhaber, sondern auch für Extraordinarien und Honorarprofessoren zahlten, die der Universitätsfiskus überhaupt 54 55 56
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Kanzleischreiben vom 17. September 1773, ThHStAW, A 6143, Bl. 263r–264v. ThHStAW, A 5602, Bl. 22r–24v. Vgl. zu ihm: Christoph KÖHLER, Sylvius Friedrich Ludwig von Frankenberg (1728–1815). Gothaer Repräsentant der höfischen Funktionselite, in: Jürgen JOHN (Hg.), Kleinstaaten und Kultur in Thüringen vom 16. bis 20. Jahrhundert, Weimar/Köln/Wien 1994, S. 257– 272, hier S. 266 f. Briefe an Goethe. Gesamtausgabe in Regestform, Bd. 2: 1796–1798, hg. v. Karl-Heinz HAHN, red. Irmtraut SCHMID, Weimar 1983, S. 356, Nr. 1276. Ebd., Bd. 3, S. 43, Nr. 72; Voigt an Goethe, 25. Februar 1799, Zum beiliegenden Brief Frankenbergs über Fichte: „In Gotha scheint man darauf gestellt zu sein, Fichten wegzuschaffen.“ Zit. nach: Appellation an das Publikum. Dokumente zum Atheismusstreit Jena 1798/99, hg. v. Werner RÖHR, Leipzig 1987, Dok. VI,6, S. 364.
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nicht salarierte59, gelang es, das wissenschaftliche Niveau insgesamt allmählich zu heben. Diese Strategie trug nach Jahren Früchte. Es gelang, eine Anzahl bedeutender Gelehrter nach Jena zu ziehen, die die Salana im letzten Jahrzehnt vor 1800 zu einer der führenden Hochschulen Deutschlands machten. Wie es scheint, ist in diesen Jahren unter den Akademikern ein Universitätsstolz aufgekommen, der einen gewissen Esprit de corps bewirkte. Ein Abglanz davon ist wohl auch auf die Erhalterhöfe gefallen. Jena war in diesem Zeitraum wohl die bestangesehene Universität am Alten Reich und sie verfügte über die renommierteste Medizinerfakultät. Unter den Nachwuchsgelehrten galt sie als Sprungbrett für die Karriere; und man nahm dafür in Kauf, dass die ernestinischen Erhalter bei den Professorengehältern keine großen Sprünge machen konnten. Denn bei aller Wertschätzung der Jenaer Gipfelleistungen, speziell in der Philosophischen Fakultät, darf jedoch über eine Tatsache nicht hinweggesehen werden: Das später zum Mythos überhöhte kulturpolitische Konzept Weimar-Jenas betraf speziell die Finanzierung. Ihre chronische Unterfinanzierung wurde von der Konkurrenz wahrgenommen und war auch in der breiten Öffentlichkeit bekannt. So blieben 1775 die bei den Hofkosten angesetzten Beiträge für die Universität und den Straßenbau unter den Ausgaben für die fürstliche Konditorei und den Weinkeller.60 Nach ähnlichen Prinzipien verfuhr man mit den Kassen der übrigen Trägerstaaten. Daran sollte sich auch später nur wenig ändern. Die fehlenden materiellen Ressourcen der Hohen Schule wiesen eigentlich nicht in Richtung auf einen Wissenschafts- bzw. Kulturstaat. Noch im ausgehenden 18. Jahrhundert machte sich die traditionelle konfessionelle Enge an der Universität bemerkbar. In der Hochschulpolitik der Erhalter wurde die Frage der Toleranz virulent. Maßnahmen gegen konfessionelle Verengung waren seit 1784 zu beobachten. Auch in den Sitzungen des Geheimen Consiliums spielten diese eine zunehmende Rolle und über das Problem der Abänderung der Eidesformel fremder Religionsverwandter und Juden wurde heftig debattiert.61 Von Gotha ging der spektakuläre Versuch der Berufung des entlassenen Ingolstädter Professors für Kirchenrecht, Adam Weishaupt (1748–1830), nach Jena aus. Unter Führung dieses Juristen war 1776 der Illuminatenbund mit dem Vorsatz der Besetzung wichtiger Schaltstellen in Politik und Verwaltung und damit einer gründlichen Reform der Gesellschaft gegründet 59 60
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Vgl. Gerhard MÜLLER, Die „extraordinäre Universität – Jenas Modernisierungsweg“, in: MÜLLER/RIES/ZICHE, Die Universität Jena (wie Anm. 41), S. 191–195. Vgl. Marcus VENTZKE, Hofökonomie und Mäzenatentum. Der Hof im Geflecht der weimarischen Staatsfinanzen zur Zeit der Regierungsübernahme Herzog Carl Augusts, in: Joachim BERGER (Hg.), Der „Musenhof“ Anna Amalias. Geselligkeit, Mäzenatentum und Kunstliebhaberei im klassischen Weimar, Köln/Weimar/Wien 2001, S. 19–52, hier S. 33 f. WAHL, Das Geheime Consilium (wie Anm. 48), II. Halbbd., Reg. 17202, S. 1122 (Schreiben an Meiningen, 22. Dezember 1784).
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worden. Herzog Ernst trug sich ernsthaft mit dem Gedanken, ihm einen Lehrstuhl in Jena anzuvertrauen. In einem Schreiben vom Februar 1785 suchte er Carl August davon zu überzeugen, dass die Berufung eines katholischen Professors von der „Toleranz“ der Universität zeugen und Studenten anziehen werde. Ernst erwartete, „[…] daß W[eimar] gleiche Gesinnungen hierinnen, wie wir selbst heegen werde, weil W[eimar] den größten Nuzzen von uns allen, von der Univ[ersität] zieht.“62 Weishaupts Berufung scheiterte jedoch, weil der Herzog und die weimarischen Geheimräte nicht gleichermaßen von Enthusiasmus für die illuminatischen Ziele beseelt waren. Hohe Wellen schlug die seit Sommer 1785 einsetzende Diskussion über einen neuen Professoreneid vor dem Hintergrund der Abwehrreaktion der lutherischen Orthodoxie. Den Auftakt bildete eine Prorektoratswahl.63 Eine Gruppe von Reformprofessoren war nicht länger bereit, sich auf die Augsburger Konfession, die Schmalkaldischen Artikel und das Konkordienbuch festlegen zu lassen.64 In der Sitzung des Consiliums am 11. August 1785 stand dieses Thema auf der Tagesordnung, doch einigte man sich darauf, die Kommunikation der Erhalter abzuwarten. Eine erste Reaktion erbrachte ein Reskript Herzog Ernsts II. vom September 1785.65 Nach erneuter Beratung im Geheimen Consilium am 8. September 1785 in Anwesenheit Goethes und Carl Augusts66 wurde das Reskript drei Wochen später von beiden abgezeichnet. Mit dem neuen Eid ausgestattet, war Jena als erste protestantische deutsche Hochschule auf diesem Gebiet vorangeschritten. Von den konfessionellen Freiheiten profitierten solche akademischen Außenseiter wie der von der Aura des ehemaligen Jesuitenzöglings umwitterte Philosoph Karl Leonhard Reinhold (1758–1823) im Herbst 1787. In Jena verkündete er sein „Kantisches Evangelium“. Seine erste Vorlesung im WS 1787/88 über die „Kritik der reinen Vernunft“ verfolgten im Griesbach’schen Auditorium rund 300 Zuhörer. Seit der Mitte der 1780er Jahre profilierte sich Jena zu einem Zentrum der Kantischen Philosophie und die Zahl der auf Kant bezogenen Lehrveranstaltungen war Legion.67 Wichtigstes Organ war die „Jenaische Allgemeine LiteraturZeitung“, die, mit herzoglichem Exklusivprivileg versehen, seit Jahresanfang 62 63 64 65 66 67
Zit. nach: Daniel W. WILSON, Geheimräte gegen Geheimbünde. Ein unbekanntes Kapitel der klassisch-romantischen Geschichte Weimars, Stuttgart 1991, S. 108. ThHStAW, A 5924, Bl. 1r–2v; WAHL, Geheimes Consilium (wie Anm. 48), II. Halbbd., 18791, Reg. S. 1214 und 1224. Marcus VENTZKE, Das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach 1775–1783. Modelfall aufgeklärter Herrschaft?, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 375 f. Gerhard MÜLLER, Vom Regieren zum Gestalten. Goethe und die Universität Jena, Heidelberg 2006, S. 175. WAHL, Geheimes Consilium (wie Anm. 48), II. Halbbd., Reg. 18791, S. 1224. Vgl. Norbert HINSKE u. a. (Hg.), „Das Kantische Evangelium“. Der Frühkantianismus an der Universität Jena von 1785–1800 und seine Vorgeschichte. Ein Begleitkatalog, StuttartBad Cannstatt 1993.
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1785 täglich erschien. Aufgrund eines riesigen Mitarbeiterstabes konnten Rezensionen nahezu aller Fachgebiete mit Autoritäten von unbestrittenen Ruf abgedeckt werden.68 Einen weiteren Schwerpunkt der landesherrlichen Hochschulpolitik bildeten die Bestrebungen um den Abbau der feudal-konservativen Sonderrechte. Noch im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts suchte die Universität den von ihr aus der Historie begründeten Charakter als einer privilegierten Korporation mit aristokratisch-ständischer Verfassung zu wahren. Demgegenüber erforderten Verwaltungszentralisation und fortschreitende Landesvereinheitlichung im Sinne der „Constitution“ vom 20. September 1809, mit deren Hilfe die Landesteile Weimar, Jena und Eisenach verwaltungsmäßig enger zusammengeschlossen wurden, ein neues Gemeinwesen, in dem privilegierte Stände und autonome Korporationen keinen Platz mehr hatten. Allerdings behinderte die „Salana“ mit ihrem komplizierten Rechtsstatus den notwendigen administrativen Zugriff und beeinträchtigte die Reorganisation teilweise erheblich. Zwar zeigte sich die Universität gegenüber den Bedürfnissen der Landesregierung nach einer modernen Staatsanstalt aufgeschlossen, doch wurde Herzog Carl August ersucht, für den Verbleib als „Akademie“ unter den Landständen zu sorgen. Außerdem plädierte sie für die Einrichtung einer „immerwährenden akademischen DeputiertenStelle“. In der Begründung wurde hervorgehoben, daß alles zum Besten der Landesuniversität geschehe, die schon von der ältesten sächsischen Geschichtsschreibung als des „Landes Kleinod“ bezeichnet worden sei.69 Die Konflikte um die akademischen Sonderrechte kumulierten in der am 27. Juni 1810 erlassenen Jenaer Stadtordnung. Ausgelöst durch die Impulse der SteinHardenbergischen Reformen entwickelte die weimarische Regierung als Rheinbundstaat verstärkt Aktivitäten, die im Zeichen des Konstitutionalismus und der verfassungsmäßigen Neugestaltung des öffentlichen Lebens standen. Gegen die staatlicherseits diktierte Regelung, dass die Universitätsangehörigen, welche Grundbesitz besaßen, binnen Jahresfrist die städtischen Bürgerrechte erwerben und somit steuermäßig die Lasten der Kommune mittragen sollten, erwuchs heftiger Widerstand und der Kampf um die Beibehaltung der älteren Rechtsverhältnisse. Die Protestaktion der Akademiker endete mit einem temporären Erfolg: Man einigte sich auf ein „Jurisdictions-Regulativ vom 1. Juli 1814“,70 das 68
69 70
Stefan MATUSCHEK (Hg.), Organisation der Kritik. Die Allgemeine Literatur-Zeitung in Jena 1785–1803, Heidelberg 2004; ferner: Siegfried SEIFERT, „Eine vollständige Übersicht der Kantischen Grundsätze“. Die Jenaer „Allgemeine Literatur-Zeitung“ und ihr Beitrag zur Kritik in einer Zeit des Umbruchs und Aufbruchs, in: Friedrich STRACK (Hg.), Evolution des Geistes: Jena um 1800, Stuttgart 1994, S. 275–293. Zit. nach BAUER, Mythos (wie Anm. 7), S. 231. Vgl. Richard LOENING, Über ältere Rechts- und Kulturzustände an der Fürstlich Sächsischen Gesammt-Universität zu Jena. Rede gehalten bei der akademischen Preisvertheilung am 19. Juni 1897 in der Kollegienkirche zu Jena, Jena 1897, S. 82 f.
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Bestimmungen der Stadtordnung modifizierte. Dennoch war der Einfluss des Staates trotz der Querelen von Seiten der civis academici unaufhaltsam im Steigen begriffen. Längst hatte dieser die entscheidenden Initiativen zur Umgestaltung der Universität übernommen und machte weder vor deren äußeren noch inneren Verfassung halt. Einen wesentlichen Fortschritt für die universitäre Entwicklung brachte die Vereinfachung der Beziehungen zwischen den Erhalterstaaten. Der zwischen Sachsen-Weimar-Eisenach und Sachsen-Gotha-Altenburg ausgehandelte Staatsvertrag „Über fernere Erhaltung und Ausstattung der Universität vom 10. April 1817“71 hatte den Verzicht Sachsen-Coburgs und Sachsen-Meiningens zur Grundlage. Schon vorher hatte Gotha den Anteil des noch bestehenden Hauses Sachsen-Hildburghausen sowie die Verpflichtungen der in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erloschenen Linien des gothaischen Spezialhauses, Sachsen-Römhild, Sachsen-Eisenberg und Sachsen-Saalfeld übernommen. Im Kern wurde der Universität die Vermögensverwaltung abgenommen und eine „Immediat-Kommission“ zur Neuordnung des Finanzwesens eingesetzt. Als erster Finanzkommissar stand der fähige Kameralist Carl Wilhelm Constantin Stichling (1766–1836) an deren Spitze. Die neue Regelung bewährte sich und in den ersten fünf Jahren konnten über 8.000 Taler Schulden abgetragen werden. Umständlicher als ursprünglich geplant und von den exorbitanten Zeitereignissen überschattet, vollzog sich die 1817 in Angriff genommene Ausarbeitung neuer Statuten und Gesetze für die Akademie. Im Windschatten der Universitätsreform hatte sich Staatsminister Goethe eine Art „Sonderministerium“ geschaffen, das seiner Oberleitung unterstand. Als strukturell komplementäre Wissenschaftsinstitution bot es ihm Einflussmöglichkeiten auf Lehre und Forschung jenseits des Kerns der alten Ordinarienuniversität.72 Nach seiner Rückkehr aus Italien verlagerte Goethe sein tätiges Leben in den wissenschaftlich-künstlerischen Bereich, wo er sein Reformmodell vorexerzieren konnte. Er arbeitete mit wissenschaftlichen Ambitionen und dafür benötigte er Jena, dessen Um- und Ausbau er seit der Mitte der 1780er Jahre entschieden vorantrieb. Dem Göttinger Vorbild folgend fand der Ausbau dieser Wissenschaftsinfrastruktur statt. Aus dem Wechselspiel von Goethes amtlichen Pflichten und persönlichen Ambitionen profitierten zunächst die naturwissenschaftlichen Sammlungen und Disziplinen, die gemäß seinem Naturbegriff einen bedeutenden humanistischen Bildungswert verkörperten. Zwar verwaltungsmäßig der „Oberaufsicht über die unmittelbaren Anstalten für Wissenschaft und Kunst in Weimar und Jena unterstellt“ und aus der großherzoglichen Kammerkasse finanziert, trugen diese Einrichtungen substantiell zur Bereiche71 72
Vgl. Die Statuten und Reformkonzepte für die Universität Jena von 1816 bis 1829, bearb. v. Joachim BAUER, Gerhard MÜLLER und Thomas PESTER, Stuttgart 2016, S. 55–66. Vgl. dazu umfassend: MÜLLER, Vom Regieren (wie Anm. 65), S. 142–160, 732–753.
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rung des Lehrangebots bei. Im Wettstreit mit den Reformbemühungen der Korporation entstand sein großes Memorandum über seine Museen und Sammlungen von 1817.73 Aufgrund Goethes Widerstand und den von ihm vorgenommenen redaktionellen Veränderungen wurden jene Institutionen im neuen Universitätsstatut von 1821 zwar nicht zu Universitätseinrichtungen deklariert, jedoch als den Zwecken der Hohen Schule gewidmete Anstalten aufgeführt. Mit dem systematischen Ausbau seines „wunderlichen Anstaltenkörpers“ konnten unter seiner tatkräftigen Oberleitung mit fürstlichem Rückhalt die Keimzellen für die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts allmählich herausbildenden Institute, Seminare und Laboratorien gelegt werden. Von den Zeitumständen geprägt, war Jena seit den Befreiungskriegen von 1813/14 zu einem Hort der nationalpatriotischen Gesinnung geworden. Auf der Grundlage neuer vaterländisch-christlicher Ideale entwickelte sich die 1815 in Jena gegründete „Urburschenschaft“ unter dem Einfluss der Vorlesungen und der patriotischen Publizistik ihrer geistigen Mentoren,74 den Hochschullehrern Luden, Oken, Fries und Kieser, zu einer tragenden Säule der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung. Mit dem Übergang Sachsen-Weimar-Eisenachs zum Konstitutionalismus 1816 begann für die Universität eine Zeit der reformerischen Um- und Neugestaltung. Zwar war die Sonderstellung der Universität als Prälatenstand gegenstandslos geworden, jedoch erlangte sie durch ihre Deputiertenstelle einen Status, der sie gleichrangig unter den Landständen erscheinen ließ und verhinderte, dass sie in den Rang einer Landesbehörde zurückgestuft wurde.75 Die sich jetzt konkretisierende Universitätsreform bewog Meiningen und Coburg, aus der Nutritorenschaft auszuscheiden, weil man sich dort zur Mitfinanzierung nicht imstande sah. Als verbleibende Erhalterstaaten stellten Sachsen-Weimar-Eisenach und Sachsen-Gotha-Altenburg die Universitätspolitik nach bilateralen Verhandlungen und der Bewilligung der nötigen Finanzmittel durch den ersten unter dem Grundgesetz vom Mai 1816 gebildeten Weimarer Landtag auf eine neue Grundlage. Während sich der Gothaer Hof unter Herzog August Emil Leopold (1772–1822) in enger Verbindung mit der gothaischen Landständen gegenüber den gestiegenen finanziellen Anforderungen aufgeschlossen zeigte, verhielt sich der Landesherr in politischen Fragen eher indifferent. In Weimar konnte sich Carl August auf neue, dem Zeitgeist zugewandte Männer wie Ernst Christian August von Gersdorff (1781–1852), geistiger Vater der konstitutionellen Verfassung von 1816, Carl Wilhelm Freiherr von Fritsch (1769–1850) oder den Juristen Christian Wilhelm Schweitzer (1781–1856) stützen. Letzter kam selbst aus den Reihen der Universität, wurde 73 74 75
Statuten und Reformkonzepte (wie Anm. 71), S. 85–115. Vgl. Klaus RIES, Wort und Tat. Das politische Professorentum an der Universität Jena im frühen 19. Jahrhundert, Stuttgart 2007. Vgl. BAUER, Mythos (wie Anm. 7), S. 231 f.
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1818 in das weimarische Staatsministerium berufen und entwickelte dort strategische hochschulpolitische Fähigkeiten, die Jena zu einer Ausnahmeerscheinung in der deutschen Hochschullandschaft machten. Jener frühkonstitutionelle Aufschwung, der speziell mit den Begriffen Pressefreiheit, Burschenschaft und Wartburgfest von 1817 verbunden war, ließ Jena nochmals für kurze Zeit in den Mittelpunkt des historischen Geschehens in Deutschland rücken. Obwohl diese spektakulären politischen Modernisierungsbestrebungen scheiterten, vollzog die Jenaer Universität in diesen Jahren erfolgreich den Umbruch von der ständischen Korporation zur Staatsanstalt, von der traditionellen Gelehrsamkeit zur modernen Wissenschaft. Den erforderlichen Rückenwind erhielt das neue Grundgesetz der Universität von 1821 erst durch die maßgeblich von dem österreichischen Staatskanzler Clemens Fürst von Metternich (1773–1859)76 forcierten „Karlsbader Beschlüsse“ von 1819. Die letzte Hand legte der seit 1820 amtierende „außerordentliche Regierungsbevollmächtigte“ Philipp Wilhelm von Motz (1766–1843) selbst an, so dass die endgültige Fassung der Statuten im Herbst 1821 in Kraft treten konnte.77 Damit fand die große verwaltungsmäßige Reorganisation der Universität ihren Abschluss. Die „souveräne“ Staatsmacht der beiden ernestinischen Nutritoren hatte speziell durch die Kontrolle über das Finanz- und Steuerwesen und die Disziplinargesetzgebung die für die Zukunft entscheidenden Positionen gewonnen. Der historisch notwendige Umbruch, in dessen Folge die Korporation bzw. das „Gemeinwesen“ vom Staat vereinnahmt wurde, erwies sich insofern als doppelbödig, als die neugeordnete Bildungsinstitution zwar von feudalen und kirchlichen Fesseln befreit wurde, sich jedoch funktional wie politisch eingegliedert fand in die sich in alle Bereiche des öffentlichen Lebens ausbreitenden bürokratischen Strukturen. So als polizeilich überwachte Staatsanstalt ausgestattet, trat die „Salana“ in die „nachklassische“ Periode ihrer Geschichte ein.
III.
Die „nachklasssische“ Periode der Universität
War mit den zum Bundesgesetz erhobenen Karlsbader Beschlüssen und der Wiener Schlussakte von 1820 mit ihren Folgen das monarchische Prinzip im Deutschen Bund allgemein gestärkt worden, so traf dies auch auf die ernestinischen Kleinstaaten zu. Kaum war es der weimarisch-gothaischen Hochschulpolitik gelungen, die „Salana“ mit dem neuen Hochschulrahmengesetz von 1821 in ein ruhigeres Fahrwasser zu lenken, sorgte der Historiker Heinrich Luden (1778–1847) mit seinem 1821 gehaltenen „Kolleg über Politik“ 1823 erneut für 76 77
Vgl. zu seinen Intentionen: Wolfram SIEMANN, Metternich. Stratege und Visionär. Eine Biografie, München 2016, S. 689–703. Vgl. Statuten und Reformkonzepte (wie Anm. 71), S. 193–257.
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unliebsames Aufsehen in der Öffentlichkeit. In einem von der preußischen Polizei beschlagnahmten Kollegheft eines ehemaligen Jenaer Studenten erblickte der berüchtigte Polizeidirektor Christoph Karl Heinrich von Kamptz (1769– 1849) ein „sehr wichtiges Aktenstück“ für den erneut ausbrechenden „politischen Unfug in Jena“. Auf eine amtliche Vernehmung des Professors durch Kurator Motz folgte eine ausführliche Verteidigungsschrift Ludens mit besonderer Hervorhebung seines mit der sachsen-weimarischen Verfassung übereinstimmenden Standpunktes. Als ein in Universitätsangelegenheiten „gebranntes Kind“ schilderte Großherzog Carl August die Salana sarkastisch als „eine ganz durchlöcherte Scheibe“, die den „Trost“ erlebe, „im Schießhause beiseite gestellt sich zu fühlen“ (an Müffling, 8. Oktober 1824). Dies entsprach den Tatsachen: Jena war als eine politische Säule im Modernisierungsweg weggebrochen. Auf diese Turbulenzen erfolgte eine weitere dynastische Neuregelung des ernestinischen Stammhauses. Mit dem Hausrezess in der jüngeren Linie des ernestinischen Hauses vom November 1826 kam es zu einer kompletten Neuaufteilung des Territorialbestandes. Aus den vier alten Herzogtümern wurden drei neue gebildet: Sachsen-Coburg-Gotha, Sachsen-Meiningen und SachsenAltenburg als kleinstes der ernestinischen Länder. Von diesem Herzogtum wurde die Universitätskuratel für die jüngere Linie der Ernestiner, wohin der bisherige Herzog von Sachsen-Hildburghausen 1826 umgesetzt worden war, provisorisch wahrgenommen. Bis zur Regelung der Nachfolgefrage war Minister Bernhard August von Lindenau (1779–1854)78 der eigentliche Lenker der Staatsgeschäfte gewesen. Noch im März 1828 hat Großherzog Carl August eine Art hochschulpolitisches Vermächtnis hinterlassen, als er den Rat zur Optimierung des Geschäftganges in akademischen Angelegenheiten erteilte, weil es in der „neuesten Zeit nicht mehr möglich seyn [werde], mit anderen deutschen Universitäten einigermaßen gleichen Schritt zu halten.“79 Von dieser Grundhaltung getragen, legte Schweitzer im Sommer 1828 eine Denkschrift vor, die das Prinzip von Kunst und Wissenschaft als politische Strategie des weimarischen Staates postulierte.80 Das noch in seiner Ära vorbereitete neue Universitätsstatut war schließlich Ergebnis einer restriktiveren Hochschulpolitik. Auf der Grundlage eines Gutachten des altenburgischen Vertreters Carl Christian von Wüstemann (1795–1863)81 fand im Mai 1829 in Weimar eine Konferenz der von den vier Regierungen beauftragen Kommissare statt, die eine Neuregelung der administrativen Verhältnisse und eine Fertigstellung des neuen Statuts zum Inhalt hatte,
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Vgl. zu ihm: Ingeborg TITZ-MATUSZAK, Bernhard August von Lindenau (1779–1854). „Feind der Reaction und der Revolution.“ Eine politische Biographie, Weimar 2000. ThStAA, Geheimes Ministerium, Nr. 1514, B. 137r. ThHStAW, HA A XXV, Briefnachlass Schweitzer, Nr. 216 (unpag.). Statuten und Reformkonzepte (wie Anm. 71), S. 357–364.
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das erstmals in gedruckter Form erschien.82 Zum neuen Kurator wurde der Präsident des gemeinschaftlichen Oberappellationsgerichts in Jena, Anton Freiherr von Ziegesar (1783–1843), bestellt. Von einem liberaleren Amtsverständnis geprägt, übte er diese Funktion, die nun von der Universität und den Erhaltern als dauerhafte betrachtet wurde, bis zu seinem Tode 1843 aus. In ihrer Verfassungsgestalt bildete die Jenaer Universität noch im 19. Jahrhundert eine autonome, sich selbst verwaltende Korporation, wobei sich ihre anstaltlichen Züge weiter ausprägen sollten. Bei allem Ausbau staatlicher Einflussnahme erschien sie als Hochschule mit lang fortwirkender korporativer Tradition. Dem Modell Preußens folgten die ernestinischen Erhalter in vielen hochschulpolitischen Fragen, so auf dem Gebiet der Studienzulassung oder der Graduierung, nur zögerlich. Diese mit einer hinhaltenden Taktik verbundene Grundhaltung rief oft den Widerstand der preußischen Hochschulbürokratie hervor. Von diesem Habitus geprägt, folgte die Phase einer langwierigen Anpassung an das Industriezeitalter. Mit dem von Großherzog Carl Friedrich von Sachsen-Weimar-Eisenach (1783– 1854) erlassenen „Gesetz über die Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit“ vom 9. März 1850 erlosch eine der Korporation in Jena zugestandene Gerechtsame in ihrer Eigenschaft als Gerichtsherr über die Dotalgüter in Apolda und Remda. Damit musste sie zwar einen rechtmäßig erworbenen Titel abgeben, doch war es andererseits von Vorteil, dass die damit verbundenen Lasten nunmehr auf die Staaten übergingen. Als eine wichtige Schaltstelle in der Jenaer Erinnerungskultur ist das 300. Universitätsjubiläum von 1858 interpretiert worden. Das von Johann Friedrich Drake (1805–1882) geschaffene Denkmal von Johann Friedrich auf dem Jenaer Markplatz galt dem gewissenstreuen Märtyrer der „evangelischen Freiheit“83 und dem Gründer der Hohen Schule. In der Festschrift wurde Jena als „unveräußerlicher Schmuck des Ernestinischen Hauses“ gepriesen.84 Der historisch interessierte Herzog Joseph von Sachsen-Altenburg (1789–1868) schuf mit der 1858 begonnenen Restaurierung des Schlosses „Fröhliche Wiederkunft“, dem Refugium nach der kaiserlichen Gefangenschaft, ein denkmalpflegerisches Exempel. Er sorgte mit dafür, dass die „Ernestinische Linie des Sachsenhauses“ im 19. Jahrhundert zum deutschen „Erinnerungsort“ in der Öffentlichkeit geworden ist. Seit langem war auch die Großfürstin Maria Pawlowna (1786–1859) als Mäzenatin der Wissenschaften in Jena bekannt. Aus 82 83 84
Vgl. ebd., S. 365–426. Stefan GERBER, Ahne, Volksfreund und Nationalheld. Kurfürst Johann Friedrich I. im „langen“ 19. Jahrhundert, in: Volker LEPPIN/Georg SCHMIDT/Sabine WEFERS (Hg.), Johann Friedrich I. – der lutherische Kurfürst, Gütersloh 2006, S. 381–413, hier S. 386. Karl BIEDERMANN, Die Universität Jena nach ihrer Stellung und Bedeutung in der Geschichte des deutschen Geisteslebens von ihrer Gründung bis auf die Gegenwart, Jena 1858, S. 107.
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dem Bewusstsein heraus, dass das „Wohl der Universität mit der Geschichte ihres Hauses innig verbunden“ sei, unterstützte sie die Museen und Sammlungen, die Bibliothek und einzelne Lehrgebiete sowie die Stiftung einer landwirtschaftlichen Arbeitsschule für thüringische Landwirte in Zwätzen.85 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fanden in Jena größere öffentliche Vorträge, die sogenannten „Rosensaalvorlesungen“, statt. Diese wurden seit dem Wintersemester 1845/46 regelmäßig gehalten und sind weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt geworden. Standen sie zunächst unter dem Motto „Zum Besten des Archäologischen Museums“, wurde diese seit 1860 für ein öffentliches Schiller-Denkmal in Jena organisiert. Nach seinem Amtsantritt 1853 besuchte der weimarische Großherzog mit seinem Gefolge die wohltätigen Veranstaltungen. Seiner nachklassischen Kulturprogrammatik entsprechend, hatten es ihm die Vorträge des neuen philosophischen „Sterns“ der Universität, Kuno Fischer (1824–1907), besonders angetan, der zu den wesentlichen Anregern der KantRenaissance ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte. Im Zeitraum zwischen 1850 und 1918 fungierte das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach als unbestrittener Haupterhalter der Alma mater Jenensis. Durch sein Budgetrecht im konstitutionellen System sicherte sich der Landtag einen erheblichen Einfluss auf die Gestaltung der akademischen Finanzen.86 Letztmalig haben sich die vier Erhalterstaaten auf einer Konferenz 1865 auf die Erhöhung der Zuschüsse verständigen können und so gestaltete sich der Strukturwandel anfangs sehr schwierig. Aufgrund der prekären Finanzlage machte sogar das Gerücht von einer bevorstehenden Aufhebung die Runde und der Anschluss an moderne Entwicklungen fiel schwer. Im Bewusstsein, dass er den von ihm regierten Staat und die Universität in der „nachklassischen Periode“ nicht durch materielle Aufwendungen zu einem „silbernen Zeitalter“ würde führen können, war der zwischen 1853 und 1901 regierende Großherzog Carl Alexander (1818–1901) um eine Fortsetzung der liberalen Kultur- und Hochschulpolitik bemüht. Diesem Geist war auch der aus einer alten Gelehrtenfamilie stammende Kurator Karl Julius Moritz Seebeck (1805–1885) verpflichtet, der sowohl beim Großherzog als bei Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen (1826–1914) eine Vertrauensstellung einnahm. Unter Seebeck, der in vielen Fragen der Wissenschaftsentwicklung über ein treffendes Urteil verfügte, wurde die Universitätskuratel von 1851 bis 1877 grundlegend erneuert.87 Der begrenzte 85 86 87
Vgl. Rita SEIFERT, Weimars Großfürstin und die Wissenschaft. Maria Pawlownas Beziehungen zur Universität Jena, in: Weimar-Jena: Die große Stadt 8/2 (2015), S. 131–154. Vgl. Stefan GERBER, Die Universität Jena 1850–1918, in: Traditionen – Brüche – Wandlungen, hg. v. einer Senatskommission zur Aufarbeitung der Jenaer Universitätsgeschichte im 20. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 23–253, hier S. 67 f. Vgl. DERS., Universitätsverwaltung und Wissenschaftsorganisation im 19. Jahrhundert. Der Jenaer Pädagoge und Universitätskurator Moritz Seebeck, Köln/Weimar/Wien 2004.
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kleinstaatliche und finanzielle Rückhalt der Universität konnte in zunehmendem Maße von den prosperierenden Zeiss-Werken ausgeglichen werden. 1886 wurde ein „Ministerialfond für wissenschaftliche Zwecke“ mit einer jährlichen Summe von 60.000 Mark eingerichtet. Auf diesen folgte die 1889 begründete „CarlZeiss-Stiftung“, um die sich der aus Eisenach stammende Physiker und Unternehmer Ernst Abbe (1840–1905) verdient gemacht hat. Er stellte sich in eine Reihe Jenaer Professoren mit sozialpädagogischen Initiativen und sozialem Engagement, welche die deutsche Bildungslandschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erheblich beeinflussen konnten.88 Mit dem Stiftungsstatut von 1896 wurde diese weiter vervollständigt. Ein Ergänzungsstatut vom 24. Februar 1900 regelte in 14 §§ ausführlich die Verhältnisse des Universitätsfonds, mit dessen Hilfe es der Universität erleichtert werden sollte, speziell in den naturwissenschaftlichen Lehrgebieten mit den anderen deutschen Hochschulen Schritt zu halten und damit den Anschluss an die moderne Hochschulentwicklung zu finden. Die Not des Krieges von 1914 bis 1918 erzwang auch materielle Einschränkungen des Universitätsbetriebes. Die vier, die Aufsicht führenden thüringischen Herzogtümer waren in dieser Zeit kaum mehr in der Lage, ihrer Eigenschaft als „Erhalter“ zu genügen. War der Coburger Anteil schon immer bescheiden gewesen, wurde dieser nun gänzlich gestrichen. Durch den Schiedsspruch der Münchener Juristenfakultät von 1916 wurde die Nichtverpflichtung des Herzogtums Coburg-Gotha zur Beitragsleistung für die Unterhaltung der Universität Jena amtlich anerkannt.89 Die Revolution von 1918 führte zum Sturz der fürstlichen ernestinischen Nutritoren und zum Ende ihrer historisch überholten Thüringer Kleinstaatenwelt. Nach dem Verzicht des letzten Großherzogs von Sachsen-Weimar-Eisenach, Wilhelm Ernst (1878–1923), erlosch auch die über 350-jährige Tradition als einer von vier ernestinischen Herzogtümern unterhaltenen und beaufsichtigten Bildungsstätte. Ihr Status wandelte sich nach § 68 der Verfassung des Landes Thüringen vom 11. März 1921 zu einer vom neuen Land Thüringen getragenen „Korporation des öffentlichen Rechts“. Einer ihrer Angehörigen, der jüdische Strafrechtler Eduard Rosenthal (1853– 1926), war maßgeblich am Entwurf dieser Verfassung beteiligt gewesen und er wirkte bis 1926 als demokratisch gewählter Abgeordneter im Thüringer Land-
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Vgl. Matthias STEINBACH, Ökonomisten, Philanthrophen, Humanitäre. Professorensozialismus in der akademischen Provinz, Berlin 2008, bes. S. 329–338; Vgl. als neue Fallstudie Sebastian DEMEL, Auf dem Weg zur Verantwortungsgesellschaft. Ernst Abbe und die Carl Zeiss-Stiftung im deutschen Kaiserreich, Göttingen 2014. Schiedsspruch der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München in dem Schiedsverfahren zwischen den Herzogtümern Coburg und Gotha über die Verpflichtung zur Mitunterhaltung der Universität Jena vom 17. Mai 1916, München 1916.
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tag.90 Mit einem Erlass des Ministeriums für Volksbildung vom 19. April 1921 erhielt die Jenaer Hochschule die Berechtigung, die Bezeichnung „Thüringische Landesuniversität Jena“ zu führen. Am 9. September 1921 wurde der Universität der bisher von den ernestinischen Fürsten beanspruchte Rektortitel übertragen. Die förmliche Aufhebung dieses althergebrachten, traditionsbewussten Titels erfolgte aber erst im Mai 1920.91 Dennoch überdauerten die Bilder der letzten vier Nutritoren in Theodor Fischers (1861–1947) Aula von 1905/08, der symbolträchtigen „Ruhmeshalle“ der Ernestiner, die Zeit der Weimarer Republik mit ihren hochschulpolitischen Umbrüchen.92
90 91 92
MÜLLER, Universität und Landtag (wie Anm. 19), S. 59. UAJ, BA Nr. 76, Bl. 168–169. Vgl. Tom BRÄUER/Christian FALUDI (Bearb.), Die Universität Jena in der Weimarer Republik 1918–1933. Eine Quellenedition, Stuttgart 2015.
H E L M U T G. W A L T H E R ZUR ENTWICKLUNG EINER REICHSSTAATSRECHTSLEHRE
Zur Entwicklung einer Reichsstaatsrechtslehre an der Ernestinischen Gesamtuniversität (16.–17. Jh.) Die juristischen Fakultäten der Universitäten im Heiligen Römischen Reich kannten auch im 16. Jahrhundert bei den Denominierungen ihrer Professuren noch keine Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht. Die verschiedenen Lehrgebiete wurden seit dem späten Mittelalter nach den Traditionen der italienischen Juristenuniversitäten bezeichnet. Erst im 15. Jahrhundert wurde in Deutschland dem Bereich des weltlichen Rechts, und das meinte demjenigen der leges des römischen Rechts, wie es die Bände des einschließlich des Lehnrechts auf fünf Abteilungen gegliederte Sammlung der Texte des Corpus Iuris Civilis auswies, die Grundlage der Lehre in den italienischen Rechtsstudien bildete und dort von den doctores legum seit dem 12. Jahrhundert kommentiert wurde, eine größere Bedeutung gegenüber dem kanonischen Recht zugemessen.1 Für die Rechtspraxis in Deutschland hatte allein Letzteres wirklichen Gebrauchswert. Die im wesentlichen aus städtischer Initiative begründete Universität Köln erhielt jedoch gleich mit ihrer Gründung 1388 nicht nur vier kanonistische, sondern auch fünf legistische Professuren, was darauf verwies, dass das neue studium generale am Rhein in Anspruch und Prestige mit den transalpinen Universitäten in Konkurrenz zu treten gedachte. Faktisch reüssierte der legistische Studiengang aber erst allmählich im 15. Jahrhundert, als an vergleichbaren Universitäten wie Erfurt auch die ersten Promotionen zum doctor legum erfolgten. Der Bedarf an Doktoren des weltlichen Rechts beschränkte sich außerhalb des Universitätsunterrichts auf die zahlenmäßig wenigen gelehrten Räte an fürstlichen Höfen oder in städtischen Konsiliardiensten, und diese promovierten nach wie vor aus Prestigegründen überwiegend an italienischen Universitäten.2 Die landesfürstliche (mit besonders starkem staatlichem Einfluss) Universität Wittenberg (gegründet 1502) lehnte sich anfangs stark an das Tübinger Vorbild 1
2
Helmut COING, Wisssenschaft. Die juristische Fakultät und ihr Lehrprogramm, in: DERS. (Hg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte I, München 1977, S. 3–102; Helmut G. WALTHER, Wittenberg – Die LEUCOREA im Rahmen der ernestinischen Universitätsgründungen, in: Herman J. SELDERHUIS/Ernst Joachim WASCHKE (Hg.), Reformation und Rationalität, Göttingen 2015, S. 11–25. Helmut G. WALTHER, Die Rechte – eine Karrierewissenschaft, in: Andreas SPEER/Andreas BERGER (Hg.), Wissenschaft mit Zukunft. Die ‚alte‘ Kölner Universität im Kontext der europäischen Wissenschaftsgeschichte, Köln/Weimar/Wien 2016, S. 221–254.
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an, wuchs aber zu ganz anderen Dimensionen aus und konnte sehr bald einen gesamtdeutschen Einzugsbereich gewinnen; später wurde Wittenberg von den katholischen Ländern gemieden, ohne dass damit seine führende Position beeinträchtigt worden wäre. Bis 1540 lag die Frequenzzahl bei 420 (3. Stelle nach Erfurt und Leipzig), bis 1620 bei 853 (1. Stelle). Hierbei hat mitgespielt, dass in Wittenberg die Lebenshaltungskosten weit unter dem Niveau anderer Universitätsstädte lagen. Seine Anziehungskraft verdankte es aber Luther und Melanchthon: Luther hatte um 1520 400 Hörer, Melanchthon sogar 600. Mag auch anfangs das Bekenntnis zum Humanismus ohne tief greifende Wirkung gewesen sein, so wurde Wittenberg doch bald als die moderne Universität schlechthin betrachtet.3 Die theologische (und auch die artistische) Fakultät besaß in Wittenberg nach der reformatorischen Neufundation unter Einfluss Philipp Melanchthons von 1536 durch Kurfürst Johann Friedrich eine beherrschende Stellung.4 Doch waren für die Juristen vier Lehrende vorgesehen, einer mehr als bei den Theologen, nämlich drei Legisten und ein Dekretalist. Die Aufteilung der Lehrgebiete blieb traditionell: Höchsten Rang besaßen unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den mos italicus die Pandekten,5 dann folgten das Dekretalenrecht, ohne das auch die evangelische Kirche zur Aufrechterhaltung der Kirchenzucht und inneren Ordnung nicht auskommen konnte. Es folgten der Codizist und schließlich die Lektur der Institutionen für die Anfängerstudenten. Hierfür genügte im Regelfall ein Lizentiat. Ausdrücklich werden die Rechtslehrer zu Consilia für den Hof und die kurfürstlichen Gerichte verpflichtet. An den traditionellen Inhalten und der Methode soll sich nichts ändern.6 Das galt dann auch für die vom albertinischen Kurfürsten August verbesserten und bestätigten Statuten von September 1560.7 Für die Juristen an der Universität Wittenberg wie dann an der Neugründung der Ernestiner in Jena nach 1548/58 gilt die gleiche Dichotomie: Während die Rechtslehrer angesichts der politischen Entwicklung in ihrer Konsiliartätigkeit für die Fürstenhöfe häufig mit reichsrechtlichen Problemen konfrontiert 3 4
5 6 7
Vgl. jetzt zusammenfassend WALTHER, Wittenberg (wie Anm. 1). Zur Frühgeschichte Wittenbergs noch immer am ausführlichsten Walter FRIEDENSBURG, Geschichte der Universität Wittenberg, Halle 1917, hier S. 90–179 (Veränderungen durch die Reformation). Brief des Albert Burer an Beatus Rhenanus 1521: „Es sind hier mehr als anderthalbtausend Studenten, die man beinahe alle ihre Bibel überall mit sich herumtragen sieht.“ Briefwechsel des Beatus Rhenanus, hg. v. Adolf HORAWITZ und Karl HARTFELDER, Leipzig 1886, Nr. 206, S. 281. Vgl. FRIEDENSBURG, Geschichte (wie Anm. 3), S. 147 f. Urkundenbuch der Universität Wittenberg (im Folgenden: UB Wittenberg), hg. v. Walter FRIEDENSBURG I, Magdeburg 1926 , Nr. 193, S. 175. Ebd., S. 176; Mandat an Altkanzler Dr. Brück und den Hofmeister Groß, ebd., Nr. 195, S. 184 f. Ebd., Nr. 310, S. 311–320 (ausdrücklicher Verweis auf die weiterhin anzuwendende traditionelle Methodik in Legistik und Kirchenrecht).
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wurden, die wir heute eindeutig als dem Gebiet des öffentlichen Rechts zugehörig bezeichnen würden, galt für ihre Lehrtätigkeit, die gerade durch ihre rechtspraktischen Verpflichtungen vernachlässigt wurde und zu Klagen über häufige Absenz Anlass gab, dass sie hier methodisch ganz in der Tradition verharrten, dass also in der streng an der Textabfolge der Pandekten und des Codex orientierten Lehre der Bereich des ius publicum nahezu völlig ausgespart blieb. Dabei hatten gerade die Gutachten der Legisten in der Frage eines legitimen Widerstandsrechts der (protestantischen) Fürsten gegen Mandate des (katholischen) Kaisers zu Positionen geführt, die Luthers rein theologische Zwei-Reiche-Lehre anhand der Praxis differenzierte und Konsequenzen für die rechtliche Struktur des Heiligen Römischen Reiches nahelegte.8 Die Neugründung Jena, die gleichwohl in der Propaganda der Ernestiner trotz eigener Privilegierung durch das Reichsoberhaupt 1557 nichts anderes als eine legitime Fortsetzung Wittenbergs an anderem Ort gelten sollte, nahm unter den protestantischen Universitäten bei den Immatrikulationszahlen nur den 6. Rang ein. Hier richteten die Ernestiner zunächst nur eine Institutionenlektur für die Bedürfnisse der Artisten ein. Der Aufbau der juristischen Fakultät machte aber in Jena rasche Fortschritte, insbesondere nachdem 1557 Matthäus Wesenbeck und Heinrich Schneidewein gewonnen werden konnten. Seit dieser Zeit war neben zwei zivilistischen Lehrstühlen auch ein Dekretalenlehrstuhl in Jena vorhanden.9 Mit Matthäus Wesenbeck (1531–1586), der in Löwen studiert hatte und zum Lizentiaten promoviert wurde, kam ein Protestant aus den südlichen Niederlanden an die ernestinische Hochburg des wahren Luthertums. Er hatte bei seinem zeitweisen Studium in Paris den mos gallicus kennengelernt und setzte bei seiner Lehrtätigkeit in Jena seit 1757 in den Digesten- und CodexVorlesungen entsprechende Akzente bei der systematischen Erschließung dieser Basistexte des römischen Privatrechts. Sein bis ins 17. Jahrhundert als Lehrbuch verwendetes Werk der Paratitla zu den Digesten (1566, seit 1575 um einen Codex-Kommentar erweitert) weist zwar einen über die spätmittelalterliche Kommentarliteratur hinausgehenden systematischen Zugriff auf, bleibt aber – wie der Titel verrät –, der Textabfolge der spätantiken Kodifikation verpflichtet. 8
9
Heinz SCHEIBLE (Hg.), Das Widerstandsrecht als Problem der deutschen Protestanten (1523–1546), Gütersloh 1969; Quentin SKINNER, The Foundations of Modern Political Thought, Bd. 2, Cambridge 1978, S. 197–199. Zur Bedeutung des Widerstandsdiskurses für die frühneuzeitliche Politiktheorie und die Staatsrechtslehre Alexander SCHMIDT, Vaterlandsliebe und Religionskonflikt. Politische Diskurse im Alten Reich (1555–1648), Leiden u. a. 2007, S. 78–95. Karl Heinz BURMEISTER, Das Studium der Rechte im Zeitalter des Humanismus im deutschen Rechtsbereich, Wiesbaden 1974, S. 56. Zu Wesenbecks und Schneideweins Wirken in zuletzt Angela KRIEBISCH, Matthäus Wesenbeck (1531-1586), in: Gerhard LINGELBACH (Hg.), Rechtsgelehrte der Universität Jena aus vier Jahrhunderten, Jena, Plauen, Quedlinburg 2012, S. 51–65.
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Der Praxisbezug, der auch reichsrechtliche Materie einschloss, zeigt sich an der Sammlung seiner Consilia in insgesamt 8 Bänden.10 Der in Pavia promovierte Legist Heinrich Schneidewein (1510–1580) fungierte als Promotor Wesenbecks in Jena und war dessen Kollege in der Fakultät bis zu dessen Weggang nach Wittenberg 1568 und seinem eigenen Wechsel auf das Kanzleramt in Arnstadt im folgenden Jahr. In den reformierten Statuten der Jenaer Juristischen Fakultät von 1591 zogen die Juristen der Salana mit den Wittenbergern gleich und teilten die Lehrgebiete ihrer nun 5 Lekturen (darunter 4 legistische) in die im Unterricht behandelten Teile des Corpus Juris Civilis über eine Regelstudienzeit von fünf Jahren, verblieben also weiterhin methodisch ganz im mos italicus.11 Dennoch sahen in ganz unterschiedlicher Untersuchungsperspektive, einerseits 1982 Notker Hammerstein von den historischen Rahmenbedingungen her und 1988 Michael Stolleis aus dogmen- wie allgemein ideengeschichtlicher Perspektive, die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts als Geburtsstunde eines eigenständigen Bereichs des Öffentlichen Rechts bzw. des Reichsstaatsrechts als jus publicum Romano-Germanicum, wobei beide den Jenaer Universitätsjuristen eine wichtige Rolle zuwiesen.12 Nach dem Urteil Hammersteins gelang es durch den heftigen Diskurs der beteiligten Juristen „in der Zeitspanne etwa einer Generation […] die Umrisse, Aufgaben und Methoden des jus publicum des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation abzustecken“.13 Während Stolleis in sei10 11 12
13
V. JACOBI, Schneidewein, Heinrich, in: Allgemeine Deutsche Biographie 32 (1891), S. 144– 149; M. AHSMANN, Wesenbeck, Matthaeus, in: Michael STOLLEIS (Hg.), Juristen. Ein biographisches Lexikon von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 2001, S. 669 f. Siehe dazu die Teile des entsprechenden Kapitels 5 der Statuten der Juristischen Fakultät von 1591 im Anhang dieses Beitrags. Notker HAMMERSTEIN, Jus Publicum Romano-Germanicum, in: DERS., Res publica litteraria. Ausgewählte Aufsätze zur frühneuzeitlichen Bildungs-, Wissenschafts- und Universitätsgeschichte, Berlin 2000, S. 111–138, S. 115 f.; Michael STOLLEIS, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 1: Reichspublizistik und Policeywissenschaft 1600–1800, München 1988, S. 141–146. Zuletzt Manfred FRIEDRICH, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, Berlin 1997. Vgl. jetzt den zusammenfassenden Überblick bei Notker HAMMERSTEIN, Bildung und Wissenschaft vom 15. bis zum 17. Jahrhundert, München 2003, S. 24: „Schüler des Arumäus wie Johannes Limnäus, Georg Brautlacht, Daniel Otto hatten inzwischen das neue öffentliche Recht gleichsam als Jenaer Markenzeichen ausgebaut“. HAMMERSTEIN, Jus Publicum (wie Anm. 12), S. 117. Überzeugend zeigte zuletzt die Verschränkung der Verfassungssprobleme im Reich mit dem Konfessionalisierungsprozess in den reformierten Reichsfürstentümern Joachim WHALEY, Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und seine Territorien, Bd. I: Von Maximilian I. bis zum Westfälischen Frieden 1493–1648, Darmstadt 2014, S. 563–583. Als wichtiges auslösendes Moment des Reichsstaatsdiskurses und zugleich verantwortlich für seine patriotischen Untertöne erwies sich die Herausforderung durch Bodins Souveränitätstheorie, die dem Reich keine (souveräne) monarchische, sondern nur eine aristokratische Verfassung zubilligte.
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nen detailliert den Verlauf verfolgenden Untersuchungen den unterschiedlichen zeitgenössischen Wissenschaftsströmungen von Politiken auf aristotelisierender Grundlage, der zeitweiligen Mode des Tacitismus und des Neustoizismus im Rahmen der Fürstenspiegel und Politiken besondere Aufmerksamkeit schenkte,14 betonte Hammerstein stärker die Veränderungen in den politischen Rahmenbedingungen, die zu einer Neubewertung des Reiches und seiner historischen Grundlagen in Abgrenzung zu den politischen Verhältnissen in Westeuropa auch durch die gelehrten Reichsjuristen veranlasste und zur Etablierung eines neuen Lehrfachs an den (protestantischen) Universitäten führte. Da konfessionelle Gegensätze sich mit ständischen verschränkten, der Interessengegensatz von Landesherren und Landständen, von Kaiser und Reichsständen allenthalben spürbar wurde, drängte es nicht nur Gelehrte an Höfen und Universitäten dazu, das Reich als Funktionszusammenhang neu in seiner Ordnung zu beschreiben und als Verfassung neu zu formulieren. Die Hochzeit der sogenannten „Reichspublizistik“ konnte nicht ohne Auswirkungen auf den Rechtsunterricht an den Universitäten im Reich der Frühen Neuzeit bleiben. Im Dreißigjährigen Krieg spitzte sich die Diskussion noch zu, so dass im Reich immer deutlicher wurde, dass das Ideal der „Staatsklugheit“ nicht allein eines der Moral, der praktischen Philosophie also sei, sondern ein öffentliches, das auch – zumindest in der akademischen Öffentlichkeit – erörtert werden müsse. Stützte sich die Juristen in ihrer Wissenschaftslehre wie in ihren Methoden auf einen nach wie vor letztlich autoritativen Aristotelismus, so zeigten sie sich bereit, in ihren Diskussionen um das Reich empirisch nicht-römische Rechtsquellen, d. h. das jus publicum Romano-Germanicum als eigenständigen Bereich zu akzeptieren. Zweifellos hat Hammerstein recht, wenn er auf die Rolle der historischen Beweisführung bei der Durchsetzung dieses Bereichs eines öffentlichen Rechts abhebt. Aber es trifft kaum zu, dass man sich geeinigt hätte, die strittigen Punkte seien nicht mit römisch-rechtlicher Methode, sondern allein im historischen Beweisverfahren zu klären, da „hier offensichtlich genuin deutsche Voraussetzungen vorhanden waren.“15 Dagegen erklärte Stolleis, dass es gerade das besondere der neuen Lehre vom öffentlichen Recht ausmache, dass die Juristen ihr nicht-römisches Rechtsquellencorpus mit der römischrechtlichen Methodik angingen, in der sie ausgebildet wurden.16
14 15 16
Dazu schon Michael STOLLEIS, Reichspublizistik, Politik und Naturrecht im 17. und 18. Jahrhundert, in: DERS. (Hg.), Staatsdenker in der Frühen Neuzeit, München 31995, S. 9–28. Notker HAMMERSTEIN, Jus Publicum (wie Anm. 12), S. 116. Dies war schon die Grundthese seiner Habilitationsschrift Jus und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des historischen Denkens an deutschen Universitäten im späten 17. und 18. Jahrhundert, Göttingen 1972. STOLLEIS, Geschichte (wie Anm. 12), S. 62 f.
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Gerade die Gleichzeitigkeit der neuen Statuten der Jenaer Juristischen Fakultät von 1591 und der Beginn der Lehrtätigkeit von Dominikus Arumaeus an der Salana geben Anlass, über die Verknüpfungen zwischen den politischen Rahmenbedingungen im ernestinischen Jena an der Wende zum 17. Jahrhundert und der Entwicklung eines Reichsstaatsrechts durch Arumaeus und seine Schüler noch einmal zu überdenken. Für den wissenschaftlichen Neuansatz eines öffentlichen Rechts macht die Forschung im Wesentlichen die Herkunft des gebürtigen Westfriesen (Leeuwarden) Dominicus van Arum und sein Rechtsstudium in Westeuropa (u. a. auch in Oxford, aber auch in Rostock nach 1597) und eine Beeinflussung durch den dort weit verbreiteten Neostoizismus geltend.17 Nach Jena gelangte er in seiner Funktion als Hofmeister eines an der Salana studierenden Sohnes des Stader Bürgermeisters Busmann. Arumaeus immatrikulierte sich mit seinem Schützling an der Alma Mater, kam in engen Kontakt mit dem Jenaer Legisten Virgilius Pingitzer (1541–1619) und heiratete dessen Tochter am gleichen Tag, nachdem er unter der Protektion seines künftigen Schwiegervaters am 31. März 1600 zum doctor legum promoviert worden war. Konsequent stieg er an der Jenaer Fakultät über ein Extraordinariat (1602) zum Lehrstuhlinhaber (1605) und zum Senior der Fakultät (1619) auf und machte als Rat und Gesandter des Weimarer Hofes zusätzlich Karriere. Vier Mal wurde er zum Rektor der Salana gewählt. Er starb in Jena 1637.18 Wie sein Lebenslauf zeigt, ist es jedoch verfehlt, daraus eine Kontinuität von Beziehungen der Jenaer Universitätsjuristen nach Westeuropa abzuleiten, also Einflusses auf Lehre und Methodik an der juristischen Fakultät seit Wesenbeck anzusetzen. Weder von diesem selbst noch von Justus Lipsius (1547–1606) während seiner kurzen Zeit als Lehrer an der Salana (1572–1573) sind in Methodik und Lehrinhalten direkte Ansätze zur Ausbildung eines Staatsrechts in Jena ausgegangen. Während die seit 1607 erscheinenden ersten Schriften Arumaeus sich noch im Fahrwasser der traditionellen Pandektenexegese bewegen, zeigen die seit 1615 in fünf Bänden erscheinenden gesammelten eigenen Beiträge und Disputationen seiner Schüler Discursus academici de iure publico ihn nun als „Stammvater der akademischen Publicisten“, wie ihn Jugler 1773 bezeichnete.19 Hier entfaltete er erstmals seine Lehre von einer doppelten Souveränität (lateinisch wie bei Bodin: maiestas) des Reiches durch die Gesamtheit der Stände und durch den Kaiser, schied also nach dem bei den Reichspublizisten in ihrer Auseinandersetzung mit 17 18 19
STOLLEIS, Arumaeus, in: DERS., Juristen (wie Anm. 10), S. 41 f., zuletzt Walter PAULY/Martin SIEBINGER, Dominicus Arumäus (1579–1673) und Johannes Limnäus (1592–1663). In: Rechtsgelehrte (wie Anm. 9 ), S. 33–50 Johann Friedrich JUGLER; Beyträge zur juristischen Biographie I, Leipzig 1773, S. 235–253; Theodor MUTHER, Arumäus, Dominicus, in: Allgemeine Deutsche Biographie 1 (1875), S. 614 f. JUGLER, Beyträge (wie Anm. 18), S. 235.
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Bodin willig aufgegriffenen terminologischen Vorbild des an der Marburger Universität lehrenden Hermann Kirchner (1608) maiestas realis (Stände) von der maiestas personalis (Kaiser). Da die Wendung des Arumaeus zum jus publicum aus Anlass einer dezidierten Auseinandersetzung mit Bodins De re publica (lat. Fassung 1586) erfolgte, verbanden sich also theoretische Kontroverse und poltische Rahmenbedingungen zum Ausgangspunkt der gelehrten akademischen Diskussion um ein jus publicum.20 Ein zentraler Punkt seiner Argumentation der besonderen staatsrechtlichen Qualität des Reiches war dabei die Lehre von der translatio imperii, so dass neben der Begrifflichkeit des Corpus Iuris Civilis nun die Geschichte des Reiches zur zweiten Grundlage wurde. Seine 1617 in Buchform erscheinende Exegese der Goldenen Bulle Karls IV. von 1356 belegte seine Aufwertung nichtrömischer Rechtsquellen für den Bereich des Staatsrechtes des Heiligen Römischen Reiches.21 Dass Arumaeus dabei das ius publicum und seine Probleme nicht als Aufgabe und Angelegenheit der Juristen allein ansah, beweist etwa die Aufnahme von Abhandlungen von Theologen und akademischen Publizisten aus dem Bereich der aristotelisch fundierten moralphilosophischen philosophia practica in seine Sammlung der Discursus academici. Dazu gehörte auch der deutschsprachige, in traditioneller Quästionenform verfasste Traktat seines Jenaer theologischen Kollegen Johannes Gerhard (1587–1637), der in Konsequenz seiner in seinem dogmatischen Hauptwerk Loci Theologici ausgebreiteten Positionen nun in seinem Discursus Decimus Octavus (1618/19) den wehrhaften Widerstand gegen einen seine Kompetenzen überschreitenden Kaiser legitimiert hatte. Am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges und während des Böhmischen Aufstandes wurden die älteren Schmalkaldener Widerstandslehren der 1530er Jahre wieder aufgegriffen, wie sie der Arumaeus-Schüler Friedrich Hortleder (1579–1640) 1617 publizierte. Gerhard griff dessen Lehre vom Äquivalent den Wahlkapitulationen der Kaiser im Heiligen Römischen Reich zur antiken lex regia im Corpus Iuris Civilis auf, die wie die leges fundamentales der Amtsgewalt (gubernatio) des Kaisers als administrator reipublicae Grenzen setzten. Den Reichsständen stehe damit ein Widerstandsrecht zu. Arumaeus druckte den als Flug20
21
Friedrich Hermann SCHUBERT, Die Reichstage in der Staatslehre der Frühen Neuzeit, Göttingen 1966, bes. S. 337–339 u. 481–494 (doppelte Souveränität bei Arumaeus). Den Kurien des Reichstages widmete Arumaeus 1630 seine letzte Monografie: Commentarius juridicohistorico-politicus de comitiis Romano-Germanici Imperii, Jena 1630. Zu Arumaeus‘ und Limnaeus‘ Auffassung von den Reichsständen in der res publica mixta Schubert, S.499–504. Hoke glaubte dagegen in seiner Limnaeus-Monografie (s. u. Anm. 30) nachweisen zu können, dass Arumaeus zwar eine doppelte Souveränität lehrte, sich in seinen Abhandlungen selbst die Terminologie der beiden maiestates jedoch nicht zu eigen machte (S. 81). Zu Wurzeln und Differenz des Bodinschen Souveränitätsbegriffes zu Lehren mittelalterlichen Juristen WALTHER, Imperiales Königtum (s. u. Anm. 27), S. 261–271. Dominicus ARUMAEUS, Discursus academici ad Auream Bullam Caroli Quarti Romanorum Imperatoris, Jena 1617.
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schrift bis in die 30er Jahre weit verbreiteten Discursus Gerhards 1623 im vierten Band seiner Discursus academici ab.22 Diese Einflusskette macht deutlich, welche Verbreitung und Bedeutung die Reichsrechtslehre des Arumaeus durch seine große Schülerzahl gewann. Wie sehr dabei die Rahmenbedingungen der politischen Situation Wettinisch-ernestinischer Herzogtümer im Reich am Beginn des 17. Jahrhunderts ein begünstigendes, wenn nicht gar auslösendes Moment für den systematischen Entwurf eines ius publicum des Reiches darstellten, macht ein Rückblick auf die Entstehungsumstände der Schmalkaldener Widerstandslehre in den 1530er Jahren deutlich. Damals bemühte sich der kurfürstlich-sächsische Rat und Altkanzler Dr. Gregor Brück, mit Allegationen aus dem kanonischen Recht und privatrechtlichen Passagen des Corpus Iuris Civilis die Legitimität eines öffentlich-rechtlichen Widerstandsrechts abzuleiten.23 Die zunehmenden konfessionellen Spannungen und politischen Konflikte der Reichsstände mit dem Reichsoberhaupt schufen eine einen akademischen Diskurs fördernde Atmosphäre, in der die forma Imperii, die Souveränitätsfrage nach der majestas realis, die Freiheit der Stände und die Rechte der Kurien des Reichstages zu zentralen Punkten avancierten. Freilich ist mit Hammerstein darauf zu verweisen, dass sie in der reichsrechtlichen Praxis kaum Bedeutung besaßen.24 Doch kam diesen Problemen gerade beim Herrschaftsausbau innerhalb der Territorien erhebliche Bedeutung zu. Dies trifft gerade auf die Ernestiner zu. Am Ende des 16. Jahrhunderts konsolidierte sich endlich ihre Herrschaft nach der Katastrophe des Verlustes der Kurwürde an die Albertinischen Vettern, des territorialen Ausgleichs mit ihnen, den Folgen der Reichsacht Johann Friedrichs II. in der Grumbachschen Fehde und den jahrzehntelangen innerlutheranischen konfessionellen Auseinandersetzungen. Diese politischen und konfessionellen Konflikte gingen einher mit dem Scheitern der Ambitionen auf eine Rückgewinnung der Kurwürde von den Albertinern. Vielmehr erfolgte eine „Rückholung“ der Ernestinischen Territorien in das Luthertum auf der Basis der Konkordienformel unter dem Albertinischen Vormund Kurfürst August I. für die noch unmündigen Kinder der Ernestinischen Herzöge Johann Friedrichs II. und Johann Wilhelm, für die eine Herrschaftsteilung unter die Nachkommen bei Wahrung
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Hortleders Oratio de Germanorum lege regia gedruckt in Melchior Goldast von HAIMINSFELD (Hg.), Politica Imperialia, Frankfurt a. M. 1614, S. 614–616. Zu Hortleder und Gerhards Reichsrechtslehren jetzt SCHMIDT, Vaterlandsliebe (wie Anm. 8), S. 83–86. Gutachten Brücks in Scheible, Widerstandsrecht (wie Anm. 8), Nr. 15, S. 63-66; SKINNER, Foundations (wie Anm. 8), S. 198; vgl. auch Diethelm BÖTTCHER, Ungehorsam und Widerstand. Zum Fortleben des mittelalterlichen Widerstandsrechts in der Reformationszeit (1523–1530), Berlin 1991. HAMMERSTEIN, Jus Publicum (wie Anm. 12), S. 117 f.
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der dynastischen Einheit vorgesehen war.25 Keineswegs waren es also bloß die sich zuspitzenden Konflikte auf Reichsebene, die den „publicistischen“ Diskurs beförderten, sondern nicht minder die dynastieinternen Auseinandersetzungen über das Verhältnis von Landesherrschaft und Dynastie im Zusammenhang mit den Herrschaftsteilungen. Siegrid Westphal hat diese Zusammenhänge zwischen der herrschaftsstabilisierenden Wirkung des Reichsrechts und dem dynastischem Denken in ihren Untersuchungen zu den Ernestinischen Herrschaftsund Sukzessionsstreitigkeiten 2002 deutlich herausgearbeitet.26 Die ersten Grundlagen des dynastischen Selbstverständnisses, das eine Sicherung durch den reichsrechtlichen Rahmen als unbedingt voraussetzte, wurden im Zeitraum vor und im Dreißigjährigen Krieg nicht zuletzt in der akademischen Diskussion um das jus publicum gelegt. Die spätantiken Texte des Corpus Iuris Civilis betrafen – in moderner gesprochen – nur das sogenannte Privatrecht. Staatsrechtliche Probleme kamen nur quasi nebenbei zur Sprache. Doch ist es bemerkenswert, mit welchem Scharfsinn und interpretatorischem Aufwand die italienischen Juristen seit dem Hochmittelalter aus wenigen Anhaltspunkten wie etwa der sogenannten lex regia ohne genaue Kenntnisse des römischen Verfassungsrechtes Schlussfolgerungen für die Rechtsordnung im Imperium Romanum ihrer Gegenwart zogen, dessen Fortexistenz, ja Identität mit dem Römischen Kaiserreich der Spätantike sie voraussetzten.27 Vom spätantiken Juristen Domitius Ulpian († 223 n.Chr.) wurde sowohl in das Anfängerlehrbuch der Institutionen wie in die Sammlung der Digesten der Satz aufgenommen: „Huius [sc. iuris] duae sunt positiones, publicum et privatum. Publicum ius est quod ad statum rei Romanae spectat, privatum, quod ad utilitatem singulorum.“28 Auch juristische Lexika des 16. Jahrhunderts zitierten diese Definition zwar stets; doch beschäftigten sich gelehrte Juristen kaum mit der Materie, da die Bücher des Corpus Juris dafür nur wenige Belege 25 26 27
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Dazu Georg SCHMIDT, Der Kampf um Kursachsen, Luthertum und Reichsverfassung (1546–1553) – Ein deutscher Freiheitskrieg?, in: Volker LEPPIN/Georg SCHMIDT/Sabine WEFERS (Hg.), Johann Friedrich I. der lutherische Kurfürst, Gütersloh 2004, 55–84. Siegrid WESTPHAL, Kaiserliche Rechtsprechung und herrschaftliche Stabilisierung. Reichsgerichtsbarkeit in den thüringischen Territorialstaaten 1648–1806, Köln u. a. 2002. Zu den Beiträgen der mittelalterlichen gelehrten Juristen zum Souveränitätsbegriff Helmut G. WALTHER, Imperiales Königtum, Konziliarismus und Volkssouveränität. Studien zu den Grenzen des mittelalterlichen Souveränitätsgedankens, München 1976; DERS., Die Legitimation der Herrschaftsordnung durch die Rechtslehrer der italienischen Universitäten des Mittelalters, in: Günter DUX/Frank WELZ (Hg.), Moral und Recht im Diskurs der Moderne. Zur Legitimation gesellschaftlicher Ordnung, Opladen 2001, S. 175–190; zuletzt zusammenfassend Susanne LEPSIUS, Kaiser und König, Reich und Herrschaft bei Cynus de Pistoia (um 1270–1336) und anderen gelehrten Juristen zur Zeit Lupolds von Bebenburg, in: Hubertus SEIBERT (Hg.), Ludwig der Bayer (1314–1347). Reich und Herrschaft im Wandel, Regensburg 2014, S. 63–95. Corpus Iuris Civilis (im Folgenden: CIC), Inst: I.1.4; D.I.1.1.2.
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boten, wie nicht zuletzt aus der Aufstellung aller einschlägigen Stellen durch Nikolaus Vigelius von 1572 ersichtlich war. Vigelius erzielte mit seinem Nachschlagewerk, das keinerlei Bezug zu den zeitgenössischen Rechtsverhältnissen im Reich anstrebte, auch kaum Resonanz bei den juristischen Kollegen.29 Unter den Schülern des Arumaeus kam bei der Verbreitung des neuen Fachgebietes des jus publicum dem Jenenser Johannes Limnaeus (eigentlich Johann Wirn, 1592–1663) eine besondere Rolle zu. Anders als sein Vater, der an der Jenaer Universität bis zu seinem Tode als ordentlicher Professor für Mathematik in der Artistenfakultät lehrte, strebte Limnaeus keine akademische Karriere an. Er begann ein Rechtsstudium an der heimischen Universität bei Arumaeus, dessen Lehre vom jus publicum ihn nachhaltig prägte und beinflusste. Er wechselte jedoch schon 1614 an die Nürnberger Universität in Altdorf, wechselte von dort ohne Doktorgrad in eine Tätigkeit als Erzieher, die ihn zur ersten seiner zahlreichen Auslandsreisen nach Italien und Westeuropa führte. 1620 lehrte er in Altdorf, bevor er 1622 für ein Jahr das jus publicum in Jena lehrte. Er verließ die Universität dauerhaft 1623 und trat zunächst für 7 Jahre als Erzieher in die Dienste des Hofmeisters der Markgrafen von Brandenburg-Kulmbach. Dabei entstand der erste Teil seines 9-bändigen Werkes über das Jus publicum Imperii Romano-Germanici (1629–34).30 Obwohl er in der Eingangswidmung dieses Werkes befriedigt äußerte, dass nun schon mehrere Universitäten des Reiches das jus publicum lehrten. Damit sei es nicht mehr zu den Arcana Imperii zu rechnen, noch sei es länger hinter dem Mantel des Privatrechts verborgen.31 Diese doppelte Frontstellung der in Jena entwickelten Reichsstaatslehre schildert Limnaeus, der die akademische Lehrtätigkeit bewusst zugunsten einer „publizistischen“ (im modernen doppelten Wortsinn) aufgegeben hatte, sowohl in der Eingangswidmung als er sie auch in den Anfang noch einmal ausführlich begründet: Die Heranwachsenden sollten im Unterricht nicht nur das Privatrecht, sondern auch das öffentliche Recht in gleicher Weise und in seiner Verbindung erlernen, damit sie später in Ausübung von beiden auch dazu ausgebildet seien.32 Jedermann sei von Natur aus dazu legitimiert, die Dinge dieser Welt, wovon die Verfassung
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Dazu STOLLEIS, Geschichte (wie Anm. 12), S. 74–76. Bernd ROECK, Limnaeus, Johannes in: Neue Deutsche Biographie 1 (1985), S. 567–569; Rudolf HOKE, Die Reichsstaatslehre des Johannes Limnaeus. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft im 17. Jahrhundert, Aalen 1968; DERS., Johannes Limnaeus, in: STOLLEIS, Staatsdenker (wie Anm. 14), S. 100–117. Johannes LIMNAEUS, Juris publici Imperii Romano-Germanici libri I, Straßburg 1629, Dedicatio, I,1, u. I,2 (Digitale Bibliothek @bsb München [Signatur: 12072320 4 J.publ.g. 699– 1 12072320 4 J.publ.g. 699–1]). Zitiert auch bei HOKE, Reichsstaatslehre (wie Anm. 30), S. 18. Ebd., „Ego adolescentes existimo in scholis tam in jure privato quam in publico exercendos aeque ac junctim esse, ut sive ad hanc, sive ad illam abeant functionem, parati veniant“.
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des Staates eines sei, mit der Vernunft zu untersuchen.33 Präziser als sein Jenaer Lehrer Arumaeus zieht Limnaeus daher die Konsequenzen für den Lehrbetrieb in der Juristischen Fakultät: Verum cum ad Academisas accedamus, tanquam ad mercatos publicos, non solum ea, quae nosmetipsos informandos atque ad propriam indigentiam sublevandam faciunt, comparaturi, verum etiam ea, quae reipublicae […] prodesse possunt. […] Certe non aberabimus, si cum jure privato publicum simul in Academiis didicerimus, ut aliquando respublica, in partibus nobis concreditis, optime a nobis posit gubernari.34
Freilich hat für Arumaeus wie Limnaeus dies bezüglich der zu verwendenden Rechtsquellen wie der Methodik Konsequenzen. Deswegen widmet Limnaeus gleich eines der Anfangskapitel seiner Systematik des Reichsstaatsrechts der Frage nach dessen Quellen. Für ihn besteht kein Zweifel, dass römisches und deutsches Staatsrecht nicht identisch seien, und verweist auf die geschichtliche Entwicklung des Reiches, das zunächst über ein eigenständiges Recht verfügt habe, bevor es mit dem Regnum Italiae zum Heiligen Römischen Reich vereint worden sei.35 Die Gültigkeit des römischen Rechts in Deutschland und die Rezeption dieses Rechts dort sei kompliziert und nur historisch zu verstehen. Andererseits sei der Titel als Heiliges Römisches Reich nur aufgrund der Übertragung des antiken Römischen Reichs verständlich. Zugleich sei damit auch das römische Jus publicum mit übertragen worden.36 Damit formuliert Limnaeus, was dann für die juristischen Staatslehrer des Reiches im 17. und 18. Jahrhundert die Basis ihrer Überzeugung bildete: Wer die Wirklichkeit der Reichsverfassung verstehen will, muss die an antiken Maßstäben ausgerichteten Lehren der berühmten italienischen Kommentatoren Bartolus von Sassoferrato und Baldus de Ubaldis zugunsten einer alleinigen Orientierung an den Reichstagsabschieden, den kaiserlichen Wahlkapitulationen und den Bestimmungen der Goldenen Bulle Karls IV. von 1356 zurückstellen, kurzum der Rechtsquellen zur Reichsverfassung, die der gebürtige Schweizer Humanist, Dr. jur. utriusque Melchior Goldast (1578–1635), in jahrelanger Sammeltätigkeit zusammengetragen und in mehreren Bänden publiziert hatte. Arumaeus hatte für seine Discursus academici über das Jus publicum einschlägige Traktate aus Goldasts Politica Imperialia von 1614 genutzt.37
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Ebd., Vgl. auch HOKE, Johannes (wie Anm. 30), S. 192. Ebd. Vgl. ebd., I,3, no. 1–5. Ebd., I,3 no. 6: „concludo, eum, qui veram cognitionem Imperii, ejusdem status, et exinde dependentium membrorum, scire anhelat, majori cum fructu, relicto Bartolo, Baldo […] progredi posse, si praeter recessus Imperii, Capitulationes Imperatorias, Auream Bullam, decisions cameralium, et industria Goldasti collecta opera, legat et evolvat.“ Siehe Anm. 22.
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Limnaeus nutzt seine methodischen Vorbemerkungen bei der sich anschließenden inhaltlichen Analyse der Reichsverfassung. Er schließt sich dabei in der Auseinandersetzung mit Bodins politischer Theorie der Lehre des Arumaeus von einer doppelten Souveränität im Reich an, die von den Schülern des Jenaer Lehrers weitergeführt wurde.38 Anders als Bodin verortet er die Souveränität allein in der staatlichen Gemeinschaft. Er differenziert aber den maiestas-Begriff (im französischen Original souveraineté) Bodins, da ansonsten dem Herrscher nur eine abgeleitete Teilhabe an der maiestas zukommen könnte. Ausdrücklich warnt er vor einer undifferenzierten Übernahme fremder Terminologie. Limnaeus geht es um die Wahrung der historisch bedingten besonderen Verfassung des Reiches. Anders als die aristotelische Tradition der Verfasssungslehre, die sowohl von den italienischen spätmittelalterlichen Juristen wie von Bodin benutzt wurde, sieht er nicht nur eine ausschließliche Geltungsmöglichkeit von monarchischer, aristokratischer oder demokratischer Verfassung beim status rei publicae gegeben. Die Trennung in reale und personale Majestät ermöglicht ihm die Konstruktion eines besonderen polyarchisch fundierten status mixtus der Verfassung: Die Verfassung eines Staates kann daher so beschaffen sein, daß die oberste Organgewalt, die personale Majestät, hinsichtlich mancher Staatsaufgaben von einem einzelnen, also auf monarchische Weise, hinsichtlich anderer dagegen von diesem einzelnen in Gemeinschaft mit den Optimaten des Staates, also auf aristokratische Weise wahrgenommen wird.39
Das fern des akademischen Lehralltags fertiggestellte, zum Teil in späteren Jahren um viele differenzierende, präzisierende, aber auch korrigierende Nachträge erweiterte Hauptwerk des Limnaeus, stellte einen ersten Versuch einer systematischen Darstellung des Reichsstaatsrechts dar. Zwar wurden die Ansichten und Lehren ihres Verfassers von vielen Zeitgenossen unter den „Reichspublizisten“ angegriffen und bekämpft. Doch die Bewunderung auch der Nachgeborenen überwog. Sein Jus publicum Imperii Romano-Germanicum wurde zum beliebten Nachschlagewerk, das die Funktion eines „Orakels im deutschen Staatsrecht“ bildete.40 Limnaeus ergänzte das Werk 1 mit seiner Sammlung und Kommentierung der kaiserlichen Wahlkapitulationen Capitulationes Imperatorum et Regum Romanogermanorum (Straßburg 1651, mehrere Nachauflagen bis 1674). Die eigene praktische Tätigkeit als Geheimer Rat und Kanzler des Markgrafen Albrecht von Brandenburg-Ansbach zog die Konsequenzen aus seiner Reichsstaatslehre. Indem auch den Reichsständen die reale Majestät des Sacrum Romanum Imperium zukam, erlangten in seiner Lehre das Kurfürstenkolleg, des38 39 40
Dazu ausführlich HOKE, Reichsstaatsrechtslehre (wie Anm. 30), S. 65–102, 150–169. DERS., Johannes (wie Anm. 30), S. 107. DERS., Reichstaatsrechtslehre (wie Anm. 30), S. 52–54.
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sen Funktionen er in seinem subtilen Textkommentar der Goldenen Bulle von 1662 darlegte, und die auf dem Reichstag versammelten Reichsständen eine zentrale Kompetenz in der von ihm als status mixtus erschlossenen Verfassungswirklichkeit des Reiches.41 Mochten die Bestimmungen des Westfälischen Friedens die Rahmenbedingungen des Reiches und seiner Verfassung im europäischen Kontext dann noch einmal entscheidend verändern, mit der von Arumaeus und seine Schülern in Jena etablierten neuen akademischen Disziplin des jus publicum RomanoGermanicum war ein theoretischer wie praktischer Ansatz zur Erschließung der Verfassungswirklichkeit des Heiligen Römischen Reichs eröffnet worden, der nicht nur an der Jenaer Universität, aber besonders dort bis zum Ende des 18. Jahrhunderts eine besondere Rolle spielte und erheblich zum Renommee der Ernestinischen Gesamtuniversität im Reich beitrug. Es waren wohl nicht zuletzt die besonderen politischen Rahmenbedingungen in den im Reichsmaßstab kleinen, jedoch für das Reichsganze so wichtigen Ernestinischen Herzogtümern, die zur Entfaltung der Reichsstaatslehre an der Salana beigetragen hatten. Diesen Zusammenhang zwischen der Bedeutung der Reichsverfassung und landesfürstlicher Herrschaft formulierte der gebürtige Jenaer, aber nun im Dienst der fränkischen Hohenzollern stehende Johannes Limnaeus in einem Ratschlag an seinen Dienstherrn, der erst 1793, also 30 Jahre nach dem Tode des gelehrten Verfassers, gedruckt wurde: Was einem regierenden Fürsten des Hauses Brandenburg bey diesen Landen sonderlich in Acht zu nehmen, damit Er seine fürstliche Hoheit erhalten, das Land bessern und vor einem Landesfürsten erkannt und geehrt werden möge.42
Anhang: Die Statuten der Juristischen Fakultät von 1591 bilden nach denjenigen von 1558 und 1569 und den nur fakultätsintern revidierten von 1576 die vierte Fassung. Sie sind das Ergebnis der von Kurfürst August I. angeordneten Universitätsvisitationen in Jena von 1588. Der handschriftliche Text im Jenaer Universitätsarchiv (Sign. UAJ A 17) wurde mit dem im Kopialbuch des 18. Jahrhunderts überlieferten (Sign. UAJ A 2559) verglichen. Im Unterschied zu allen vorausgehenden Statuten enthielten diejenigen von 1591 erstmals im Kap. 5 De professoribus nun auch eine genaue Aufteilung der Lehrgebiete der fünf besoldeten Hochschullehrer der Fakultät. 41 42
Vgl. ebd., S. 155 f., 205–208; DERS. Johannes (wie Anm. 30), S. 111. Zum erst postum gedruckten Fürstenspiegel des Limnaeus für Markgraf Albrecht V. von Brandenburg-Ansbach Adolf WOLFF, Die Notitia Regni Franciae des Johannes Limnaeus (1655). Eine Studie zur Geschichte des juristischen Schrifttums im Zeitalter des Absolutismus, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 23 (1960), S. 33–38.
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HELMUT G. WALTHER
[…] Verum ut de certa methodo et ratione docendi constet, lectiones eo ordine prout sequitur, inter professores huius collegii distribuuntur. Unus ex illis materiam contractuum publice hora quarta explicat, ita ut primo quidem anno l. iuris gentium de pact. tit. Si cert. petat. [C.4.2] vel praecipuas ex eodem leges. Secundo anno tit. in Codice. de pact. et transact. vel ulteriores illorum legum, quae prae ceteris per doctores commendantur. Tertio anno tit. De verborum obligationibus [D.45.1] aut propter eius pro lixitatem, illas leges, quae caeteris praestant et repetibiles vocantur. Quarto anno lex et Cod. De pact. inter emt. et venditi [C.4.54]. l. unica C. de eo quod interest [C.5.45]. Quinto anno l. naturalis De prascriptis verb. [D.19.5] l. Contractus, de reg. iur [D.50] et materiam culpae ex l. quod Nerva ff. De profiti. Cum tit. sol. Matrim. vel praestantiores leges, quales sunt l. 1 et 2 l. divortio. cum similibus eod. tit. Alius professor materiam ultimarum voluntatum hora septima sibi sumat cum eius titulis, C. qui testam. Fac poss. et tit. de testam [C.6.21–23] primo anno. Secundo anno l. 1, 2 et 3 l. Gallus, l. Si filius qui patri, l. Centurio, l. ex facto, l. Lucius de vulga. Et pupil. Sub tit., l. in quantam, ad l. Falcidiam, l. ad Trebell. Quatenus temporis fert ratio. Tertio anno tit. C. de liber. Praeter de impubl. Et aliis substit. Et de inoffc. testam. Quantum temporis angustia patitur. Quarto anno tit. C. qui admitti cum seqq. Ut ad tit. de collat. Vel praecipuas lleges ex iis titulis. Tertius puta ordinarie hora nona materiam iudiciorum ex decretaliubus. Primo videlicet anno tit. de judic. foro compet. connexa materia. l. imperium de jurisdict.omnium judicum. Secundo anno tit. de probat. et testibus et nisi temporis angustia excludatur aliquid ex tit., de edendo [C.2.1]. Tertio anno tit. de sentent. et re iudicata, legibus quibusdam annexis, praesertim l. a divo Pio [Dig. 42.1.15], et l. saepe eod. tit. ff. [D. 42.1.63] Quarto anno tit. de appellation. admixtis quibusdam ex tit. de operis no. nunciat. in ff. [D. 39.1]. Quinto anno tit. De caua possessionis et propriet., De restit. spol. et materiam cap. redintegranda. Quartus hora secunda illos titulos in superioribus praetermissos sed non nisi textualiter percurrito, explicando terminos et extrahendo notabilia cuiusque tituli. Sic in primo anno tit. ff. commod. depos. manda., pro socio cum seqq. [D. 44.7.12 ?] ad materiam contractuum pertinentibus. Secundo anno librum octavum ff. de servit. [D.8.1] et tit. de acquir. rer. domin. [D.41.1], de acquir. possess. [D.41.2]., de usu cap. [D.41.3] cum seqq. quantum fieri potest. Tertio anno de tutelis, ex 26. lib. ff. cum materia interdictorum [D.26.1]. Quarto materiam restitut. in integrum, tit. de donat. mortis causa [Nov. 87]. Item de fidejuss, de novat., de solut., de acceptilat. in ff. Quinto anno tit. de adim. Leg. De reb us dubiis cum seqq. eod. 34. et 35. libris ff cum tit. ad l. Falcidiam. Item ad C. Trebell. Quantum res et tempus fuerunt. Quintus professor est Institutionum iuris, qui eas anno uno, hora prima penitus absolvat. Singuli autem supradicti singulis annis centum quinquaginta lectiones in materii ad ipsos pertinentibus (ita tamen, ut causarum Criminalium et feudalium tractatio in hac facultate non plane negligatur) absolvunt nisi legitimis impedimentis distgracti praememoratum numerum adaequare nequeant qua de rectori et omnium facultatum professoribus probabilem fidem facient. Disputationes publicae secundum ordinem singulis annis a professore quolibet binae habeantur et caeteri doctors, qui nobiscum vivunt et quorum nomina sunt in matricula facultatis secundo modo recepta eadem ratione singular ad unam disputationem adstricti sunt, quorum unus vel alter si hoc disutandi munus detrectaverit, ejus circa expectantias et commode facultatis deinceps non habeatur ratio.
KLAUS MANGER DIE ERNESTINER IM KLASSISCHEN WEIMAR UND IHRE GROßEN AUTOREN
Die Ernestiner im klassischen Weimar und ihre großen Autoren: Wieland, Goethe, Herder, Schiller Welche weltgeschichtlich bedeutenden Umbrüche den Ernestinern ausgangs des 18. Jahrhunderts bevorstanden, war, als die regierende Herzoginwitwe Anna Amalia von Sachsen-Weimar und Eisenach als Instruktor insbesondere des Erbprinzen Carl August den Philosophieprofessor Christoph Martin Wieland aus kurfürstlich mainzischen Diensten in Erfurt nach Weimar berief, so nicht absehbar. Die politische Revolution in Frankreich, der Untergang des Alten Reiches sowie der unaufhaltsame Aufstieg Napoleons, daneben die wissenschaftliche Revolution in den Naturwissenschaften, für die Alessandro Voltas Nachweis fließenden Stromes in demselben Jahr 1794, da Goethes Zusammentreffen mit Schiller Europa elektrisierte, oder die literarische und künstlerische Revolution, die vom Sturm und Drang zur Romantik führte, bedeuteten Umwälzungen von europäischer Tragweite. Der an der Universität Jena von 1998 bis 2010 arbeitende Sonderforschungsbereich „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ konnte die These, dass im Ereignisraum die Aufklärung kulminierte, nachdrücklich bestätigen.1 Die wirkliche Geschichte, die im 18. Jahrhundert noch eine dynastisch geprägte Herrschaftsgeschichte war, scheint auf den Kopf gestellt, wenn wir mit Blick auf die Ernestiner in Weimar vom spätpubertären Sichaustoben des noch sehr jungen Fürsten Carl August hören, der mit Erreichen der Volljährigkeit am 3. September 1775 die Regierung von seiner Mutter Anna Amalia übernommen hatte, dahinter habe sich ein „Erziehungs- und Entwicklungsprozeß im Zeichen eines neuen aufgeklärteren Geistes von Freiheit und Menschlichkeit“ verborgen, ein keineswegs gefahrloses Werk, „das Goethe ebenso bewußt wie unmerklich leitete und in dem zugleich ein neues, das bürgerliche Zeitalter sich ankündigte bzw. spiegelte“.2 Sollten wirklich die bürgerlichen Schriftsteller in Weimar die 1 2
Vgl. Olaf BREIDBACH/Klaus MANGER/Georg SCHMIDT (Hg.), Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800, Paderborn 2015, S. 295–314; Thomas BACH/Horst NEUPER, Bibliographie des Sonderforschungsbereichs 482 (1998 bis 2012), in: ebd., S. 335–429. Hans TÜMMLER, Das klassische Weimar und das große Zeitgeschehen. Historische Studien, Köln/Wien 1975, S. 1; vgl. Friedrich SENGLE, Das Genie und sein Fürst. Die Geschichte der Lebensgemeinschaft Goethes mit dem Herzog Carl August von SachsenWeimar-Eisenach. Ein Beitrag zum Spätfeudalismus und zu einem vernachlässigten Thema der Goetheforschung, Stuttgart/Weimar 1993, S. VI und 1–7, wer der erste Mann in Weimar war, Goethe oder Carl August.
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KLAUS MANGER
Zügel übernommen haben, die Anna Amalia durch ihre Berufung Wielands im Jahre 1772 ihnen zugespielt habe? Das wäre ja wohl schon eine Art Revolution für sich. Die Reprojektion von Anna Amalias „Musenhof“, mit der das 19. Jahrhundert die tatsächlichen Verhältnisse verklärte, da der ernestinische Hof so wenig wie die anderen Staaten ausgangs des 18. Jahrhunderts von Musen oder sie vertretenden Dichtern und Schriftstellern geleitet wurde, sondern von politischen Interessen, kam freilich Vorstellungen entgegen, die sich dynastisch politischer Zwänge längst entwöhnt hatten.3 Unter einem Fürsten waren – manche mehr, manche weniger – alle Staatsdiener. Um das zu verstehen, sollte man nicht von den Folgen auf die Anfänge zurück, sondern auf die wirklichen Leistungen blicken, die im Jahre 1825 zum fünfzigjährigen Herrschaftsjubiläum Carl Augusts, das zugleich das Jahr seiner Goldenen Hochzeit war, und Goethes fünfzigjährigem Dienstjubiläum gefeiert wurden. Die vier Ehrendiplome der vier Fakultäten der Universität Jena würdigten Goethes wissenschaftliches Werk und seine Beschäftigung mit den Einzeldisziplinen. Bemerkenswert ist die Gemeinsamkeit, mit der Goethe und Carl August in jenem Jubiläumsjahr in engste Nachbarschaft gebracht wurden. Der Medailleur Henri-François Brandt hat zu diesem fünfzigjährigen Jubiläum eine Medaille gefertigt, die auf der Vorderseite das Großherzogliche Paar, Carl August mit einer Königsbinde und Louise mit einem Diadem, und auf der Rückseite die Reliefbüste des lorbeerbekränzten Goethe abbildet. Um den Rand der Medaille läuft die Inschrift in Versalien: „Carl August und Luise. Goethen. Zum VII: Novbr. MDCCCXXV“.4 Die Medaille wurde als Antwort auf Goethes Fürstenlob verstanden, das, worauf unten zurückzukommen ist, Carl August als „August und Mäcen“ rühmt.5 Gegenüber dem späten stolzen Rückblick muss von besonderem Interesse sein, was die im Ganzen erfolgreiche Entwicklung begünstigt hat. Denn schon früh, am 19. September 1776, ließ Wieland seine Jugendliebe Sophie La Roche 3
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Vgl. Wilhelm WACHSMUTH, Weimars Musenhof in den Jahren 1772–1807. Historische Skizze, Berlin 1844; Joachim BERGER (Hg.), Der ‚Musenhof‘ Anna Amalias. Geselligkeit, Mäzenatentum und Kunstliebhaberei im klassischen Weimar, Köln/Weimar/Wien 2001, bes. der Beitrag von Angela BORCHERT, Die Entstehung der Musenhofvorstellung aus den Angedenken an Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach, in: ebd., S. 165–187. Vgl. Volkmar HANSEN, Das deutsche Modell. Eine Medaille als politisches Programm, in: Erfurter Münzblätter VII (1999), S. 44–47 mit Abb. S. 46 f. sowie Hans-Jürgen ULONSKA, Die verworfene Jubiläumsmedaille von Henri-François Brandt für Goethe auf seine 50jährige Anwesenheit in Weimar am 7. Nov. 1825 – historischer Abriß von Idee über Vorbereitung bis Abschluß, in: Erfurter Münzblätter VII (1999), S. 68–98 mit Abb. S. 95; vgl. zur Jubiläumsmedaille für den Großherzog SENGLE, Das Genie und sein Fürst (wie Anm. 2), S. 479 f. Goethes Werke, hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. I. Abth.: Goethes Werke, 1. Bd., Weimar 1887, S. 316 (im Folgenden: WA).
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wissen: „Möcht es doch möglich seyn, daß Sie selbst kommen und sehen könten, wie es hier in Weimar stehet.“6 Nach Weimar zu kommen und zu sehen, war − wie für die Weisen aus dem Morgenland − Programm, um verfolgen zu können, was sich aus der bethlehemitischen Kleinheit Weimars7 zu entwickeln begann. Vor diesem Hintergrund der Widmungen, Stilisierungen und Huldigungen8 lassen sich die Verbindungen der vier Großen zur ernestinischen Herrschaft verfolgen. Die Fülle des gemusterten Materials lässt sich nicht annähernd ausbreiten. Deshalb müssen Streiflichter, Bruchstücke, Augenblickswahrnehmungen helfen, wie mit einem Facettenauge auf das, was sich um 1800 in SachsenWeimar und Eisenach ereignet hat, zu blicken, um einen Eindruck von jener Vielgestaltigkeit zu gewinnen.
Christoph Martin Wieland, in Weimar 1772 bis 1813 Von seinem künftigen Schützling, dem Erbprinzen Carl August, erhielt Wieland, noch bevor sein Anstellungsdekret als Prinzenerzieher in Weimar ausgefertigt war, einen ersten Brief. Der zum Zeitpunkt des Schreibens am 23. Juli 1772 Vierzehnjährige adressierte es noch an den kurfürstlich Mainzer Regierungsrat in Erfurt und eröffnete ihm: „Es erfreuet mich sehr wenn der Antrag meiner Frau Mutter bey uns als Philosoph, u. Leib Danischmende zu kommen, Ihnen gefällig gewesen ist.“ In Klammern fügte er hinzu: „Diese letztere Stelle wünschte ich ganz besonders daß Sie diese bey mir in eterna tempora bekleiden möchten“.9 Er wolle sich Mühe geben, „die Last unserer Instruction“, womit er zugleich für seinen jüngeren Bruder, den Prinzen Constantin, sprach, so viel wie möglich zu erleichtern und mit Hilfe seines „guten u. lieben Mentors“ alle die guten Hoffnungen, die dieser von ihm habe, „in das Werck zu richten“, wozu er, als greife er Erwartungen auf, die sein Mentor schon geäußert hat, als Ernestiner verantwortungsvoll hinzusetzt: „Nehmlich meine Lande u. Leute glücklich zu machen, u. mich mit einem Wort so aufzuführen, wie es von einen Rechtschaffenen Herren verlanget werden kan.“10 Der eingangs erkennbare Bezug auf 6 7
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Wielands Briefwechsel, 20 Bde., zuletzt hg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Siegfried SCHEIBE, Berlin 1963–2007, Bd. 5, S. 552 (im Folgenden: WBr 5, S. 552). Vgl. Klaus MANGER, Weimars „besonder Loos“. Zur anfänglichen Selbstinszenierung des Ereignisses Weimar-Jena, in: Hans-Günther SCHWARZ/Christiane von STUTTERHEIM/ Franz LOQUAI (Hg.), Fenster zur Welt. Deutsch als Fremdsprachenphilologie. Festschrift für Friedrich Strack, München 2004, S. 47–73. Vgl. Klaus MANGER, Anna Amalia, Carl August und das Ereignis Weimar-Jena, in: Siegrid WESTPHAL/Hans-Werner HAHN/Georg SCHMIDT (Hg.), Die Welt der Ernestiner. Ein Lesebuch, Köln/Weimar/Wien 2016, S. 251–261. WBr 4, S. 582. Ebd.
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Wielands Roman Der Goldne Spiegel war offenbar das Ergebnis von vorausgegangenen Gesprächen und Mitteilungen des Autors, der womöglich aus seinem Roman auch schon vorgelesen hatte, bevor dieser im Mai des Jahres erschien.11 Denn die Verhandlungen um Wielands Berufung zum Hofrat in sächsisch „Ober-Vormundschaftliche[n] Dienste[n]“12 hatten bereits im Vorjahr 1771 begonnen, als der Goldne Spiegel – wenigstens für Weimar − noch nicht in Sicht war. Jene Epoche der Prinzenerziehung endete für Wieland bekanntlich mit der Volljährigkeit des Erbprinzen am 3. September 1775, als dieser die Regierung übernahm. Allerdings war dafür Sorge getragen, dass Carl August bereits in die Regierungspolitik eingearbeitet worden war, seither auch schon als Herzog fungierte und außerdem zusammen mit seinem Bruder im Herbst 1774 auf Grand Tour ging. Das bedeutete für Wieland, dass er bis zu ihrer Rückkehr im Sommer 1775 von seinen Aufgaben als Instruktor entbunden war. In der Anfangsphase begleitete der Hofrat, der kein Hofdichter war, die sächsisch-weimarische Regierung und auch den Regierungsübergang von der Herzoginwitwe auf ihren Sohn mit zwei Singspielen und zwei Cantaten. Das erste der Singspiele wurde am Geburtstag der Regentin am 24. Oktober 1772 aufgeführt. Graf Görtz hatte Wieland noch in Erfurt angeregt, einen Beitrag zum Geburtsfest zu leisten.13 Der Autor reagierte darauf mit dem bedeutungsvoll zukunftsweisenden Sujet Aurora,14 womit er der Herrschaft einen epochalen Neuanfang, im Zeichen der Morgenröte eine neue Zeit verhieß. Das zweite Singspiel Die Wahl des Herkules widmete Wieland dem Erbprinzen zu seinem Geburtstag am 3. September 1773.15 Gleichfalls zukunftsweisend nahm er im Zeichen des Mythenhelden den künftigen Herrscher in die Pflicht. Damit er, wie vom Vierzehnjährigen schon bekannt, tatsächlich Land und Leute glücklich machen könne, musste er von der Bühne herab hören: „Lebe, schwitze, blute zu ihrem Dienst!“16 Diese program-
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Vgl. Gottfried GÜNTHER/Heidi ZEILINGER, Wieland-Bibliographie, Berlin/Weimar 1983, Nr. 604 (im Folgenden: WBibl.); vgl. Thomas C. STARNES, Christoph Martin Wieland. Leben und Werk. Aus zeitgenössischen Quellen chronologisch dargestellt, Bd. I–III, Sigmaringen 1987, Bd. I, S. 424 (im Folgenden: STARNES); vgl. Wielands Werke. Historischkritische Ausgabe, hg. v. Klaus MANGER und Jan Philipp REEMTSMA, Oßmannstedter Ausgabe, Bd. 10.1.1, Berlin/New York 2009, S. 1–323 (im Folgenden: WOA). WBr 4, S. 626 und 622. STARNES I, S. 431 und 440; vgl. Joachim BERGER, Anna Amalia von Sachsen-WeimarEisenach (1739–1807). Denk- und Handlungsräume einer ‚aufgeklärten‘ Herzogin, Heidelberg 2003, S. 227–294. WBibl. Nr. 509; WOA 10.1.1, S. 359–372. WBibl. Nr. 518. WOA 11.1, S. 13.
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matisch hehre Forderung nach wahrer Heldentat ergänzten die beiden Cantaten, deren erste am Geburtstag der Regierungsübernahme erklang.17 Carl August hatte sich auf seiner Grand Tour nach Paris am 19. Dezember 1774 mit Prinzessin Louise von Hessen-Darmstadt in Karlsruhe verlobt, wo sie nach dem Tod ihrer Mutter, Herzogin Caroline, bei ihrer Schwester, der Markgräfin von Baden, weilte. Auf der Rückkehr von der Grand Tour, die erneut über Karlsruhe führte, mochte bereits das Hochzeitsdatum ausgehandelt worden sein. Denn als Carl August mit seinem Bruder am 21. Juni 1775 nach Weimar zurückkehrte, empfing sie hier ein Prachtexemplar von Wielands zweiter Cantate, die offensichtlich jedoch erst im Oktober des Jahres zur Aufführung kam.18 Dazwischen hatten sich am 3. September die Regierungsübernahme des neuen Herzogs, seine erneute Abreise am 17. September nach Karlsruhe, seine dortige Vermählung mit Louise am 3. Oktober sowie die Ankunft des neuvermählten Paares in Weimar am 17. Oktober ereignet.19 Zwei Tage später, am 19. Oktober 1775, wurde bei dem für den Bestand des ernestinischen Hauses bedeutsamen Festakt Wielands Cantate aufgeführt, die es näher zu betrachten lohnt. Ursprünglich galt sie der Rückkehr der Brüder nach Weimar. Deshalb lag sie bei ihrem Eintreffen im Druck und festlich gebunden vor: Cantate, bey Gelegenheit der glücklichen Zurückkunft Seiner Durchlaucht des Herzogs und des Prinzen Friedrich Ferdinand Constantin Durchl. im Junius 1775.20 Weil Wieland am 19. Oktober der feierlichen Aufführung der Cantate Auf die Wiederkunft und Vermählung eines Landesfürsten beiwohnte,21 ist anzunehmen, dass es sich dabei um dieselbe Cantate handelte, die bereits im Juni im Druck vorlag. Zwar schien diese der Heimkehr der Brüder, die spätere dem vermählten Paar gegolten zu haben. Tatsächlich aber spricht alles dafür, dass ein und dasselbe Stück beiden Anlässen nicht nur gerecht wurde, sondern sie in eins fasst. Das stärkste Argument bietet die Gliederung des Cantatentextes, dessen erster Teil aus Rezitativen und einer Arie die Ankunft des Fürsten feiert, der „mit dem edeln Bruder | Amaliens mütterlichen Armen Entgegen eilt“.22 Die Arie fordert zum angemessenen Empfang auf, bevor das folgende Rezitativ den Gruß erneuert und schließlich mit einer überraschenden Binnenexposition aufwartet: „Singt Ihm das Lied | Von Dejanirens und Alcidens Liebe.“ Mit diesem 17 18 19 20 21 22
STARNES I, S. 556; WBibl. Nr. 332; WOA 12.1, S. 339–342. Vgl. STARNES I, S. 548 und 562. STARNES I, S. 556–562; zu Herzogin Louise vgl. Stefanie FREYER/Katrin HORN/Nicole GROCHOWINA (Hg.), FrauenGestalten Weimar-Jena um 1800. Ein bio-bibliographisches Lexikon, Heidelberg 2009, S. 282–287. WOA 12.1, S. 289–293. STARNES I, S. 562. WOA 12.1, S. 291.
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Lied im Lied, das die Zweiteilung der Cantate verdeutlicht, schließt sich ein Wechselgesang an, der das Liebesbündnis von Dejanira und Herkules, dem Abkömmling der Alciden, besingt. Ein Schlusscouplet rühmt im Chor: „Seelig, seelig ist die Liebe der Edlen! | Seelig, seelig, ihr heiliges Band!“23 Diese Liebesgeschichte preist somit das Brautpaar, während der vorausgehende Teil die Heimkehr der Brüder feiert, deren Unternehmung für das folgende Geschehen voraussetzungsvoll war. Anders gesagt, nimmt die Cantate im Juni Bezug auf die zurückkehrenden Brüder, eröffnet jedoch schon auch die Aussicht auf die zu erwartende bevorstehende Vermählung. Im Oktober ist dann der Bund geschlossen; das ‚heilige Band‘ wird im Rückblick in der Residenz gefeiert, weil es nichts Geringeres als den Bestand der ernestinischen Dynastie befestigt. Wie zwei Jahre zuvor bemühte Wieland erneut die Heldenhaftigkeit des Herkules. Dessen Entscheidung zwischen Tugend und Laster wurde, mythisch überhöht, damals dem Erbprinzen vor Augen geführt. Jetzt folgte die Liebesverbindung zwischen Herkules und Dejanira, in deren Stilisierung sich das herzogliche Paar erkennen konnte. Auf ihm lagen die Erwartungen an den Erhalt der Ernestiner. Weil es indessen im Rezitativ heißt: „ihr Sänger seines Volks, Seyd stumm? Kein Lied von Euch | Grüßt Carl August den Musageten“,24 möchte man versucht sein, dem Autor die Synthese zu unterstellen, der hier den Mythos von Apollon dem Musenführer mit dem Liebesmythos des Herkules verschränkt hat. Doch firmiert auch Herkules unter dem Etikett des Musageten,25 so dass Wieland sehr wohl die Stilisierung seines jungen Herzogs im Heldentypus des Herkules konzinn betrieb, da er ihn schon im Singspielkontext vor die Wahl des Herkules gestellt hat. Vor dem Hintergrund der klassizistischen Mythenallusion ist das freilich kein Argument gegen eine eklektische Mythenverwendung. Denn das mythische Schicksal von Herkules und Dejanira bleibt hier auf das gelungene Liebesbündnis beschränkt. Natürlich waren briefliche Nachrichten nur bei räumlicher Entfernung der Absender oder Adressaten zu erwarten. Aber dass der Herzog in Mainz über der Lektüre von Ritterromanen sich seines Mentors erinnerte und ihn in einem persönlichen Brief vom 23. Januar 1788 als Dichter rühmte, war außergewöhnlich. Dieses Rühmen rührte aus seiner Bewunderung her, mit der er bei der Lektüre erkannte, „wie Sie aus den diffusen, oft eckelhaften Huon de Bourdeaux einen so beliebten Oberon haben herausschaffen können“.26 Carl August hatte sich im Dezember 1787 und Januar 1788 in Mainz aufgehalten, um den Fürstenbund auszubauen und einen Fürstenbundkongress vorzubereiten. Dabei hielt 23 24 25 26
WOA 12.1, S. 293. WOA 12.1, S. 291. Vgl. Benjamin HEDERICH, Gründliches mythologisches Lexikon [1770], Darmstadt 1967, Sp. 1256. WBr 9.1, S. 390.
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ihn eine hartnäckige Krankheit auf, die ihn erst am 14. Februar 1788 nach Weimar zurückkehren ließ.27 Diese „Gefangenschaft“28 vertrieb er sich mit der Ritterromanlektüre, bei der er sich der alten Sage erinnerte, derzufolge bei Karl dem Großen die bösen Ritter wohnten. Dieser Geist habe sich, wie er an Wieland schrieb, fortgesetzt, nur sei die Ritterschaft entflohen „u. das böse in den hohen Adel fortgepflantzt worden“.29 Zugleich informierte er darüber, dass Carl von Dalberg, bei dessen Wahl am 1. April 1787 zum Coadjutor des Erzstifts und Kurfürstentums Mainz der Herzog Drahtzieher war,30 der Kirche und dem deutschen Vaterland ein Gutes wollender Mitarbeiter werde. Dieses Bekenntnis sei wohl, so Carl August mit gehöriger Selbstironie, „so verdienstvoll wie die Erbauung einer Schloß Kirche“.31 Im Hintergrund drängt sich in diesem Zusammenhang die Erinnerung auf, dass Wieland und Goethe um Neujahr 1775/76 Dalberg in Erfurt dafür zu gewinnen versuchten, sich beim Herzog Carl August für eine Berufung Herders zum Oberkirchenmann im ernestinischen Fürstentum einzusetzen.32 Damals wünschte Wieland, Herder „zum Statthalter Christi und Oberhaupt der ganzen Ecclesia Catholica“ machen zu können.33 Jetzt war es der für den katholischen Bischofsrang vorgesehene Dalberg, von dem Carl August herzlich wünschte, wie er Wieland schrieb, „daß er, obgleich ich mit Ihnen auf die Ehre eines vollkommenen Lutheraners u. alt Christen verzichtthue, in der reineren lehre D. Martini wäre erzogen worden“,34 weil ihm dadurch weniger Gegner in den Weg treten möchten. Neben den säkularen Feiern der Geburtstage waren es bei den Ernestinern die Jahreswechsel, die von den guten Wünschen ihrer Untertanen begleitet wurden. Den Jahresanfang 1793 nahm der Hofrat Wieland zum Anlass, seinem Herzog, um nicht mit leeren Händen zu erscheinen, mit den ersten Bogen des Ersten Stücks seines Neuen Teutschen Merkur aufzuwarten.35 Wenigstens die wohlgemeinte Absicht, weil sich der Druck verzögert hatte, wollte er ihm bekunden – und das aus besonderem Grund. Die darin enthaltenen Betrachtungen über die gegenwärtige Lage des Vaterlandes sollten des Beifalls eines „ebenso hell sehenden patriotisch gesinnten Prinzen nicht ganz unwürdig“ befunden werden.36 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
WBr 9.2, S. 477. WBr 9.1, S. 390. WBr 9.1, S. 391. WBr 9.2, S. 478. WBr 9.1, S. 391. STARNES I, S. 570; vgl. Goethes Briefe an Herder vom 31. Dezember 1775 und 2. Januar 1776: WA IV, 3, S. 12 und 13. WBr 5, S. 561. WBr 9.1, S. 391. Thomas C. STARNES, Repertorium zum Teutschen Merkur, Sigmaringen 1994, S. 52, im Folgenden TMRep. S. 52. WBr 11.1, S. 331 f.
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Im beispiellosen Vorhaben Frankreichs, „ihr sinnloses Freyheits- und Gleichheitssystem nach und nach dem ganzen Europa und zunächst uns ehrlichen Teutschen mit gewaffneter Hand aufzwingen zu wollen“, erblickte der Rechtsdenker eine Gefährdung der bisherigen rechtlichen Ordnung. Bey so bewandten Sachen habe ich es für die Pflicht eines teutschen Bürgers, der seit 40 Jahren ein ziemlich viel gelesener Schriftsteller ist, gehalten, eine warnende Stimme durch das heilige Reich erschallen zu lassen, und so viel an mir ist, die öffentliche Aufmerksamkeit dahin zu richten, wo sie am nöthigsten zu seyn scheint.37
Wieland wusste, dass er von den Königen und Regenten nicht gelesen wurde, seine Vorstellungsart niemals die Vorstellungsart dieser Götter der Erde werden könnte. Doch begnügte er sich, als Schriftsteller zu tun, was er für seine Pflicht hielt. Das bedeutete, dass er seiner Überzeugung gemäß die wichtige Wahrheit zu rechter Zeit sagte. Dabei blieb er vom Grundsatz geprägt: „Daß die Sache der Fürsten und die Sache der Völker nur Eine und dieselbe Sache sey“.38 Vom Wunsch beseelt war er, „daß wenigstens Einer von Germanienʾs Fürstensöhnen“ seine Betrachtungen mit einigem Wohlgefallen lesen möchte. Wer dieser Einzige ist, den ich vor allen Seines Standes (Seines Gleichen kenne ich keinen) um Seiner Selbst willen liebe und verehre, und für welchen ich in diesem Augenblicke die Töchter Jupiter’s, die demüthigen Bitten, mit dem Auftrage belade, meine besten Wünsche vor dem Thron ihres allmächtigen Vaters nieder zu legen. In der einfachen Sprache des Herzens: ich habe keinen heißeren Wunsch, als für das Leben und Wohlbefinden meines geliebtesten Prinzen.39
Weil der Herzog mit seinem Regiment am preußisch-österreichischen Interventionsfeldzug gegen Frankreich in den Jahren 1792 und 1793 teilgenommen hatte, von dem er erst am 16. Dezember 1793 nach Weimar zurückkehrte, schrieb der einstige Prinzenerzieher diesen Neujahrsgruß an ihn nach Frankfurt, wo sich Carl August zum Jahreswechsel aufhielt.40 Der Aufsatz aber, der im Januarheft des Neuen Teutschen Merkur erschien, enthielt die Betrachtungen,41 Wielands Kassandraruf, der ihn gleichermaßen als Mentor seines Fürsten wie der Nation erwies. Die Zuspitzungen der französischen Revolutionäre, ihr Umgang mit dem König, dessen Hinrichtung am 21. Januar 1793 alle Befürchtungen bestätigte, 37 38 39 40 41
WBr 11.1, S. 332. Ebd. WBr 11.1, S. 333. Vgl. WBr 11.2, S. 563. TMRep. S. 52; Christoph Martin WIELAND, Politische Schriften, insbesondere zur Französischen Revolution, hg. v. Jan Philipp REEMTSMA, Hans und Johanna RADSPIELER, 3 Bde., Nördlingen 1988, Bd. III, S. 37–71.
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hatten Wieland auf den Plan gerufen, aus seiner Kommentierung der politischen Vorfälle in Paris heraus das „Heil des Vaterlandes“ weltbürgerlich und patriotisch mitzubedenken. Ziel seines Aufsatzes war, „zu eigenem Nachdenken“ anzuregen, womit er ein Jahr auspizierte, „welches mit großen Ereignissen trächtig ist, und für den Ruhm und die Wohlfarth Germaniens entscheidend seyn kann“.42 Die Abschaffung des Königtums in Frankreich am 21. September 1792 war ein Fanal, das befürchten ließ, darin den „Todestag der französischen Freyheit“ zu sehen.43 Obwohl in Deutschland „größtentheils“ milde, gesetzmäßige und auf das Wohl der Untertanen mehr oder weniger aufmerksame Regierungen anzutreffen seien, beschwor Wieland eine gewisse Disposition der Ansteckung.44 Die Menschheit habe in Europa die Jahre der Mündigkeit erreicht; sie lasse sich nicht mehr mit Märchen und Wiegenliedern einschläfern und respektiere keine angeerbten Vorurteile mehr. Aber den verhassten Namen von Tyrannen oder Despoten verdienten die Könige nicht.45 Wenn St. Just im Nationalkonvent am 13. November 1792 forderte, man müsse dem ehemaligen König den Prozess machen, „nicht weil er übel regierte, sondern weil er König war“, so war aus des Rechtsdenkers Sicht höchste Gefahr der Ansteckung gegeben. Denn wenn Teutschland in eine Demokratie nach dem fränkischen Muster umgeschmolzen würde, fehlt es nicht an Ehrgeizigen, die durch die Hoffnung, im Reich der Freyheit und Gleichheit irgend eine glänzende Rolle zu spielen, getrieben werden, zu Beförderung desselben soviel möglich geschäftig zu seyn.46
In welcher Dimension Wieland die Lage betrachtete, geht aus seiner Erinnerung hervor, dass der Senat zu Rom die Konsuln gemahnte, „dahin zu sehen, daß das gemeine Wesen nicht zu Schaden komme“,47 was er auf die „Principes“ übertrug.48 Nach dem Untergang des Alten Reiches im August 1806 fasste er dann den Entschluss, die sämtlichen Briefe Ciceros, indem er die einzelnen Briefcorpora auflöste, chronologisch ordnete, übersetzte und kommentierte, als eine neuerliche Mahnung herauszubringen, die, postum fertiggestellt von Friedrich David Gräter, zu seinem Vermächtnis wurde.49 Wie wenig utopisch seine Betrachtungen von 1792/93 tatsächlich waren, erhellt die darin von den Weltbefreiern und der neuen Unordnung vermittelte Nachricht: 42 43 44 45 46 47 48 49
Ebd., Bd. III, S. 37. Ebd., S. 54. Ebd., S. 50. Ebd., S. 38 f. und 65. Ebd., S. 60 f. Ebd., S. 37 und 63. Ebd., S. 71. WBibl. Nr. 1412; vgl. Arnd KERKHECKER, Cicero, in: Jutta HEINZ (Hg.), WielandHandbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart/Weimar 2008, S. 433–445.
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Die öffentlichen Blätter melden uns, daß zu Maynz (als dem Mittelpunkt aller Anstalten zu der heroischen Operazion, die mit dem teutschen Staatskörper vorgenommen werden solle) mit beyden Instituten bereits der Anfang gemacht sey.50
So könnte nämlich der Sitz des ersten Erzbischofs und Kurfürsten Germaniens bei dem Nationalkonvent zu Paris sich des Verdienstes rühmen, „die Mutter des ersten teutschen Jakobiner-Klubs zu seyn“.51 Anders gesagt wäre unter solchen Umständen die vom Ernestiner Carl August mit betriebene Wahl Dalbergs zum Mainzer Coadjutor folgenlos geblieben, die es freilich auch so wurde, weil Jahre später Napoleon mit der Besetzung der linksrheinischen Gebiete jene beabsichtigte Entwicklung vereitelte.52 Den ersten Adressaten seiner Betrachtungen, seinen „Prinzen“, wusste Wieland damals in Frankfurt und somit schon nahe vor Mainz. „Die Apostel der neuen Religion“ aber hätten vom wirklichen Zustand des Alten Reiches nur sehr dürftige und verworrene Kenntnisse, wogegen es nur die gemeinste Kenntnis der „teutschen Reichs- und Kreis-Verfassung und der weltkündigen Reichsgrundgesetze“ brauchte, um zu wissen: „daß das teutsche Reich aus einer großen Anzahl [gemäß der Fußnote: 348] unmittelbarer Stände besteht“, und dass „kein Regent in Teutschland ist, dessen größere und kleinere Machtgewalt nicht durch Gesetze, Herkommen und auf viele andere Weise von allen Seiten eingeschränkt wäre“.53 Darin, dass ihr Land von einem von väterlicher Sorge geleiteten Fürsten regiert werde, waren sich Wieland, Goethe und Herder einig.
Johann Wolfgang Goethe, in Weimar 1775 bis 1832 Auf Einladung Carl Augusts traf Goethe am 7. November 1775 in Weimar ein. Darauf bezog sich, wie oben erwähnt, die Gedenkmedaille auf das fünfzigjährige Jubiläum am 7. November 1825. Der Herzog war zum Zeitpunkt von Goethes Eintreffen zwei Monate an der Regierung, seit einem Monat verheiratet und zusammen mit seiner Braut seit drei Wochen in der Residenz. Wieland hatte bereits vor drei Jahren der Herzoginmutter im Zeichen der Aurora gehuldigt und bei der Regierungsübernahme den Herzog gepriesen: „Der Morgenröthe goldner Zeiten | Folgt nun der Tag.“54 Das Bild weitete er in dem Moment aus, da 50 51 52
53 54
WIELAND, Politische Schriften (wie Anm. 41), Bd. III, S. 62. Ebd. Vgl. Herbert HÖMIG, Carl Theodor von Dalberg. Staatsmann und Kirchenfürst im Schatten Napoleons, Paderborn 2011, S. 109–130; Klaus MANGER, Carl von Dalberg und das „Weimarer Viergestirn“, in: Ulrich BIELEFELD/Heinz BUDE/Bernd GREINER (Hg.), Gesellschaft – Gewalt – Vertrauen. Jan Philipp Reemtsma zum 60. Geburtstag, Hamburg 2012, S. 75–95. WIELAND, Politische Schriften (wie Anm. 41), Bd. III, S. 64 f. WOA 11.1, S. 341.
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er dem in Weimar eingetroffenen Goethe begegnet war. Am 10. November 1775 schrieb er an Friedrich Heinrich Jacobi nach Düsseldorf: „Seit dem heutigen Morgen ist meine Seele so voll von Göthen wie ein Thautropfe von der Morgensonne.“55 Wohl ohne diesen Hintergrund zu kennen, vermittelte dann Goethe seinem Herzog, als zumindest nach außen noch keineswegs gesichert war, dass er dauerhaft in Weimar bleiben würde, vom Tagesanbruch des 24. Dezember 1775: „Der herrliche Morgenstern den ich mir von nun an zum Wappen nehme, steht hoch am Himmel.“56 Was sie aus der bethlehemitischen Kleinheit Weimars machten, ist bekannt. Von den Fürstendramen neben dem Egmont und Iphigenie war es vor allem der Tasso, worin der Dichter indigniert reagiert, da der Fürst von Ferrara ihm, Tasso, in der Politikberatung den mit der politischen Praxis vertrauten Hofmann Antonio vorzieht. Was Goethe im Drama reflektierte und gestaltete, verfolgte in Weimar von Anfang an Gegenbilder und Gegenentwürfe zu seiner politischen Praxis, die einen Spagat zwischen Hofmann und Dichter in einer Person bedeutete. Beispielsweise war er noch keine zwei Monate in der Residenzstadt, die für den Frankfurter (wie zuvor schon für den Biberacher) etwas Neues war, als er zum Jahreswechsel zusammen mit Wieland bei Auguste von Keller in Stedten auf deren Schloss südwestlich von Erfurt weilte, um von hier aus die Berufung Herders nach Weimar zu betreiben. Dafür sollte sich der Mainzer Statthalter Dalberg in Erfurt, der zu den benachbarten Fürstenhöfen in Gotha und Weimar diplomatische Beziehungen unterhielt, bei dem Weimarer Herzog verwenden.57 Der Erfolg ist bekannt. Zu den Inszenierungen jener Jahre gehört Goethes Gedicht Ilmenau, das er Carl August zu dessen Geburtstag am 3. September 1783 widmete.58 Es war das Geburtsjahr des Erbprinzen Carl Friedrich,59 geboren am 2. Februar, des Stammhalters der Ernestiner. Das Gedicht markierte das Ende der im Zeichen Shakespeares stehenden Geniezeit.60 „Ein neues Leben istʾs, es ist schon lang
55 56 57
58 59 60
WBr 5, S. 437. WA IV, 3, S. 8. Vgl. Nicholas BOYLE, Goethe. Der Dichter in seiner Zeit, Bd. I: 1749–1790. Aus dem Engl. übersetzt von Holger FLIESSBACH, München 1995, S. 284, allerdings ohne den Dalberg-Bezug; vgl. MANGER, Dalberg und das „Weimarer Viergestirn“ (wie Anm. 52), S. 89–91. WA I, 2, S. 141–147. Vgl. Goethe, Feier der Geburtsstunde des Erbprinzen Carl Friedrich von Sachsen-Weimar, in: WA I, 4, S. 222; BOYLE, Goethe, Bd. I (wie Anm. 57), S. 394 f. Vgl. Georg SCHMIDT, Das Jahr 1783: Goethe, Herder und die Zukunft Weimars, in: Marcus VENTZKE (Hg.), Hofkultur und aufklärerische Reformen in Thüringen. Die Bedeutung des Hofes im späten 18. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2002, S. 138–168, hier S. 161.
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begonnen.“61 In das Gedicht ist eine Wächterrede integriert, deren Traumlast dem Sonnenlicht weicht. Aus dem Rückblick auf die leichtlebige Sturm und Drang-Zeit resultiert das Postulat an den Fürsten: „wer andre wohl zu leiten strebt | Muß fähig sein, viel zu entbehren.“62 Der Dichter trat seinem Herzog kritisch und ernst gegenüber und appellierte an seine politische Klugheit, die beispielsweise im Drama Egmont fehlt, da er im Unterschied zu Wilhelm von Oranien die Folgen der Ankunft Albas nicht scharfsinnig genug einschätzt. Reichspolitisch ließe sich auch auf die Kaiserszenen im makrokosmischen Faust II blicken. Selbstverständlich begleiteten die literarischen Werke in vielerlei Hinsicht das Leben vor Ort. Doch lieferten sie mehr Gegen- als Abbilder der historischen Wirklichkeit um 1800. Bemerkenswert nah an der Historie lag Der Groß-Cophta, der unter Goethes Dramen ein Zeitstück genannt zu werden verdiente.63 Die in den Fiktionalisierungen zu beobachtenden Brechungen führten jedoch von den ernestinischen Gegebenheiten weg. Deshalb ist sinnvollerweise den biographischen Spuren zu folgen, die nach der italienischen Reise, die keine Flucht war,64 zur Schweizer Reise führen. Im August 1797 brach Goethe von Weimar nach Frankfurt auf, von wo er am 25. August weiter über Heilbronn und Stuttgart nach Tübingen reiste, bevor er am 16. September von Tübingen aus die Reise in die Schweiz fortsetzte. Wie üblich berichtete Goethe auf dieser Reise von Begebenheiten, die zum Reiseverlauf gehörten und von seinen vielseitigen Interessen zeugten. Am Neckar indessen nutzte er die Gelegenheit, an den Herzog Carl August ein Bild von der Stuttgarter Herrschaft zu übermitteln. Es liest sich wie ein Gegenentwurf zu den ernestinischen Aktivitäten an der Ilm. Der Brief vom 11. September 1797 an den Herzog mutet denn auch wie ein Protokoll an, mit dem Goethe Bericht erstattete.65 Der Weg hatte Goethe zunächst, wie angedeutet, nach Stuttgart geführt. Hier blieb er neun Tage, bevor er sich nach Tübingen wandte, wo er vom 6. bis 16. September blieb, um weiter nach Zürich zu reisen. Im Brief an den Herzog verwies er auf ein besonderes Blatt, auf dem er vom Zustand der Künste und ihrem Einfluss auf die Bewohner spreche. Tatsächlich enthielt der Brief vom 11. September, fortgesetzt am 12. September, eine Beilage, auf die noch geson61 62 63 64 65
WA I, 2, S. 147: V. 165; vgl. Willy ANDREAS, Carl August von Weimar. Ein Leben mit Goethe 1757–1783, Stuttgart 1953, S. 561–570. WA I, 2, S. 147: V. 182 f. WA I, 17, S. 117–250; vgl. Klaus MANGER, „…nach Wundern schnappen“. Goethes Mahnmal ‚Der Groß-Cophta‘, in: DERS. (Hg.), Die Wirklichkeit der Kunst und das Abenteuer der Interpretation. Festschrift für Horst-Jürgen Gerigk, Heidelberg 1999, S. 207–230. Vgl. Gerhard MÜLLER, Vom Regieren zum Gestalten. Goethe und die Universität Jena, Heidelberg 2006, S. 240–252. WA IV, 12, S. 285–296; vgl. Nicholas BOYLE, Goethe. Der Dichter in seiner Zeit, Bd. II: 1791–1803. Aus dem Engl. übersetzt von Holger FLIESSBACH, München 1999, S. 660–702.
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dert einzugehen ist. Als habe er jenes Land zu inspizieren gehabt, wuchsen sich Goethes Nachrichten zu einem Evaluationsbericht von der „Stuttgarder Kunstepoche“ aus.66 „Eigentliche wissenschaftliche Richtung bemerkt man wenig, sie scheint mit der Carlsakademie wo nicht verschwunden doch sehr vereinzelt worden zu seyn.“67 Goethe musterte das Erbprinzenpaar, dem er in der Comödie begegnet war. Der regierende Herzog Carl trat selbst krankheitsbedingt nicht in Erscheinung. Zwischen Hoberg und Mühlhausen standen 25.000 Mann Österreicher, den Neckar im Rücken, die Goethes besondere Aufmerksamkeit fanden. Und er lernte den Bildhauer Johann Heinrich Dannecker kennen. Die Universität Tübingen fand er sehr schwach – trotz der verdienstvollen Leute und des ungeheuren aufgewandten Geldes. Die politische Stagnation, so sein Befund, behinderte jede dynamische Entwicklung. Als Goethe tags darauf den Brief fortsetzte, kündigte er seinem Herzog Vorschläge für den in Weimar weiterzuführenden Schlossbau und die Zeichenschule an und, wie dafür das Kunstpersonal zu nutzen sei. Stuttgart hatte ihn also schon auf neue Gedanken für Weimar gebracht. Bei der Gelegenheit richtete sich seine Hoffnung auch auf Wien, um jene Akademie näher kennenzulernen. Die Bildung in fremden Gegenden, so sein Ausblick, erlaube es, die in der Welt ausgesäte „mannigfaltige Cultur“ sich zuzueignen und bei sich fortwachsen zu sehen.68 Die vergleichende Wahrnehmung sondierte folglich unterschiedliche Modelle und betrachtete sie mit dem Interesse, was sich daraus für Weimar nutzbar machen ließ. Besonders aufschlussreich sollte dafür die Evaluation Stuttgarts sein, wie sie in der Briefbeilage zur Sprache kam. Diese Beilage69 ist genau komponiert und deshalb in ihrer Gliederung transparent. Oberthema ist die Beobachtung, auf welchem Punkt die Künste gegenwärtig in Stuttgart stehen. Dem dortigen Herzog könne man eine gewisse Großheit nicht absprechen, doch habe er „nur zu Befriedigung seiner augenblicklichen Leidenschaften und zur Realisirung abwechselnder Phantasien“ gewirkt. „Indem er aber auf Schein, Repräsentation, Effect arbeitete, so bedurfte er besonders der Künstler, und indem er nur den niedern Zweck im Auge hatte, mußte er doch die höheren befördern.“70 Auf diesen Befund folgen Musterungen des lyrischen Schauspieles und der großen Feste, die der Herzog in früherer Zeit begünstigt habe. Die Epoche sei jedoch vorbeigegangen, und die Liebhaber seien geblieben. Desgleichen erhalte sich der Unterricht in Musik, Gesang, Schauspiel und Tanzkunst, der zu seiner Akademie gehörte. Das alles erhalte 66 67 68 69 70
WA IV, 12, S. 289. Ebd., S. 286. Ebd., S. 290. Ebd., S. 291–296. Ebd., S. 292.
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sich wohl, „aber nicht als ein lebendiges, fortschreitendes, sondern als ein stillstehendes und abnehmendes Institut“. Musik, die Beherrschung der Instrumente können sich länger erhalten. Theater aber ist schnelleren Abwechslungen unterworfen. Deshalb sei es ein Unglück, wenn sich das Personal einer besonderen Bühne lange erhalte, wobei sich ein gewisser Ton und obendrein der Schlendrian leicht fortsetzen. Steifheit und Trockenheit lassen den akademischen Ursprung des Theaters erkennen. Wenn ein Theater aber nicht oft genug durch neue Kräfte „angefrischt“ werde, müsse es allen Reiz verlieren. Dieser bedauernswerte Zustand gewährt einem Publikum „nur eine Art von kümmerlicher Freude“, weil die „wunderliche Constitution der Theateraufsicht“ einer wirklichen Verbesserung entgegensteht.71 Es wird schon deutlich, dass dem Briefempfänger die Gegenfolie zu den Weimarer Verhältnissen vor Augen geführt wurde. Die herausragende Bedeutung der Künste, die sie insbesondere für eine gewisse Profilierung der Mindermächtigen einnehmen konnte, steht außer Frage. Aber die Organisation des Kunstbetriebs verlangte Augenmaß und Entwicklungsfähigkeit. Der Stuttgarter Entrepreneur musste, wenn ein negatives Missverhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben entstand, den Schaden allein tragen. Wenn er einen Vorteil daraus zog, so musste er ihn von einer bestimmten Summe an mit der Herzoglichen Theaterdirektion teilen. Man sehe, hält Goethe für seinen Herzog fest, wie sehr durch eine solche Einrichtung, was zu einer Verbesserung des Theaters geschehen könnte, „paralysiert wird“.72 Beim Ballett verhalte es sich ähnlich wie bei der Musik, so dass, was einstudiert ist, dauerhafter als Theater ist, weil sich immer junger Nachwuchs finde. Auch die Pflege von Klavier und Gesang erhalte sich. Doch sprächen alle „mit Entzücken von jenen brillanten Zeiten, in denen sich ihr Geschmack zuerst gebildet, und verabscheuen deutsche Musik und Gesang“.73 Das stellte natürlich die entgegengesetzte Situation zu Weimar dar, wo die Anfänge vor dem Theaterbrand 1774 beispielsweise mit Wielands Alceste (1773) auf einer deutschen Oper lagen. Der Schloss- und Theaterbrand74 hatte die Aufwärtsentwicklung jäh gestoppt. Doch behalf man sich interimistisch mit einer flexiblen Liebhaberbühne, mit experimentellen Formen. Als sich jedoch abzeichnete, dass Herder auf Betreiben Wielands und Goethes tatsächlich nach Weimar kommen würde, war auch für die Öffentlichkeit unübersehbar, dass Weimar eine zentrale Rolle spielen werde, weil die drei Protagonisten von Shakespeares Theater und des Sturm und Drang in der Stadt versammelt waren. Im ausstattungsintensiven 71 72 73 74
Ebd., S. 293. Ebd. Ebd., 12, S. 294. Vgl. Marcus VENTZKE: Das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach 1775–1783. Modellfall aufgeklärter Herrschaft?, Köln/Weimar/Wien 2004, S. 1–19.
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Fach der Oper aber entwickelte sich das Weimarer Theater unter Goethes Leitung seit 1791 zur ausgewiesenen Mozart-Opernbühne.75 Vom Aufwand, der dafür zu treiben war, jener alternierenden Organisation, die Inszenierungen in Weimar zu entwickeln und die entstandenen Kosten in Lauchstädt einzuspielen, ist hier nicht zu sprechen. Es genügt die Erkenntnis, dass sich gegenüber der Stuttgarter Stagnation eine Weimarer Dynamik entwickelte, die ökonomisch mit Sicherheit nicht besser gestützt war. Das Vertrauen des Weimarer Herzogs in die professionelle Kulturarbeit Goethes aber trug, wie wir heute wissen, reiche Früchte. Schließlich blieb noch ein Blick auf die bildenden Künste in Stuttgart zu werfen, die Goethe in Bildhauerei, Malerei, Kupferstich, Baukunst und Architektur verfolgt hat und dabei gleichfalls zu der Folgerung kam, dass dort eine entsprechende Förderung und Pflege vernachlässigt worden war. Nur in einer so langen Regierung, „durch eine eigne Richtung eines Fürsten“, habe die Ernte gepflanzt und ausgesät werden können. Welches Kapital besitze man daran! Niemand schien einzusehen, was für Weimar maßgebend geworden ist, „welchen hohen Grad von Wirkung die Künste in Verbindung mit den Wissenschaften, Handwerk und Gewerbe in einem Staate hervorbringen“.76 Zum Schluss folgte eine Exhortatio, die der Adressat nicht anders als aktuelle Programmatik verstehen musste. „Vielleicht nutzt man“, so Goethe für Carl August, „an andern Orten diese Epoche und eignet sich, um einen leidlichen Preis, einen Theil der Cultur zu, die hier durch Zeit, Umstände und große Kosten sich entwickelt hat.“77 Ein solches auch warnendes Beispiel bekam der Herzog vor Augen gestellt, der noch den Glanz der Stuttgarter Verhältnisse vor bald zwanzig Jahren hatte in Augenschein nehmen können. „Und am Ende von allem, was unterscheidet den Mächtigen? als daß er das Schicksal der seinigen macht, es bequem, manigfaltig und im großen machen kann“, hatte Goethe am 12. Mai 1789 dem Herzog geschrieben.78 Zwei Tage zuvor hatte er ihm ein „Lobgedicht“ an einem Platze angekündigt, wo er es nicht vermute.79 Und Mitte Mai verrätselte er diese Ankündigung, da er hinzufügte, Carl August werde „das bewußte Lobgedicht dereinst in den Eroticis antreffen“.80 Im Jahr darauf, nachdem Goethe am 31. März 1790 in Venedig angekommen war, um die Herzoginmutter von da auf ihrer Rückreise aus Italien zu 75
76 77 78 79 80
Carl August Hugo BURKHARDT, Das Repertoire des Weimarischen Theaters unter Goethes Leitung 1791–1817, Hamburg/Leipzig 1891; vgl. Klaus MANGER, Weimar um 1800 in der Gewalt des Mozartischen Genius, in: Laurenz LÜTTEKEN/Hans-Joachim HINRICHSEN (Hg.), Mozarts Lebenswelten. Eine Zürcher Ringvorlesung 2006, Kassel 2008, S. 252–273. WA IV, 12, S. 296. Ebd. Ebd., S. 118. Ebd., S. 115. Ebd., S. 120.
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begleiten, schrieb er Carl August am 3. April, dass seine Elegien, die aus Rom, wohl abgeschlossen seien. Dagegen bringe er aus Venedig „einen Libellum Epigrammatum“ mit zurück, der sich seines Beifalls erfreuen solle.81 Als Goethe zwölf Tage später seinem Brief an Herder am 15. April Epigramme beilegte, fügte er hinzu, dass er dem Herzog eines besonders geschickt habe.82 Bei dem ungeklärten Verhältnis von Lobgedicht aus dem Vorjahr und jetzigem Epigramm aber dürfte es sich um dasselbe literarische Denkmal handeln, das der Autor aus dem Entstehungskontext der Römischen Elegien in die Venezianischen Epigramme herübergenommen, vielleicht auch überarbeitet hat, das nach dem Ilmenau-Gedicht von 1783 das wohl kostbarste ist, das Goethe seinem Herzog Carl August gewidmet hat und ihn aus der Doppelbetonung des Kaisernamens hervortreten lässt: Niemals frug ein Kaiser nach mir, es hat sich kein König Um mich bekümmert, und Er war mir August und Mäcen.83
Johann Gottfried Herder, in Weimar 1776 bis 1803 In ihrem ersten Brief aus Weimar, wo Familie Herder am Abend des 1. Oktober 1776 eingetroffen war, teilte Caroline am 6. Oktober Gleim mit, ihr Willkomm durch Goethe sei recht freudig und herzlich gewesen.84 Ein Vierteljahr später, am 13. Januar 1777, schrieb Herder an Johann Georg Hamann, sie seien eines falschen Feuerschreckens wegen bei ihrem Eintreffen von mehr Leuten empfangen worden, als sie glaubten. Den Morgen drauf war Alles, wornach ich frug, nicht zu Hause: der Präsident des Oberkonsistoriums als mein gewesner Vokationskorrespondent, Herzog, Göthe etc. meine Hrn. Kollegen also u. Wieland waren die Einzigen, die ich sah, um doch was gesehn zu haben.85
Herder hatte nicht nur einen würdigen Empfang vermisst, sondern war auch sonst nicht wenig enttäuscht.
81 82 83 84
85
Ebd., S. 198. WA IV, 9, S. 200. WA I, 1, S. 315 f., Nr. 34b (bzw. 35a: WA I, 1, S. 438); vgl. Stephan OSWALD, Früchte einer großen Stadt – Goethes Venezianische Epigramme, Heidelberg 2014, S. 285–288. Johann Gottfried Herder, Briefe. Gesamtausgabe, unter Leitung von Karl-Heinz HAHN hg. v. den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar (Goethe- und Schiller-Archiv), 11 Bde., Weimar 1977–2001, Bd. 4, S. 17 (im Folgenden: HBr). HBr 4, S. 25.
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Ich freute mich auf diese Gegenden wie ein Kind, glaubte die Grundlage alter Anstalten wenigstens so tüchtig u. gut zu finden, daß man mit Freuden darauf stehn u. bauen könnte, bin aber sehr betrogen. Ewige Vormundschaften, schwache- Tyrannen- u. Weiberregierungen haben alles so hinsinken lassen, durch ein ander gemengt u. geworfen, daß Alles weicht, wornach man fasset: Kirchen u. Kirchengebäude verfallen: Kirchenaerarien erschöpft […].86
Weil ihm jedoch Arbeiten und Geschäfte gefielen und für die „Adiuncta“ ein Höherer sorge, sei das die Ursache, warum er vom Hof nichts schreibe.87 Der Herzog, ein guter Naturvoller Mensch, der manchmal Blicke thut, daß man erstaunet, ist mir gut, besucht mich zuweilen, wir haben aber weiter keine Gemeinschaft zusammen, als bei Concerten, oder der Tafel, wenn ich zu ihr geladen werde. Meine Frau ist der jungen Herzogin, zu der sie manchmal gehet, mit Leib u. Seele zugethan u. ich nicht minder.88
Und der Verleger Johann Friedrich Hartknoch erhielt unter demselben Datum die Nachricht: „Ich bin hier allgemein geliebt u. geehrt bei Hofe, Volk u. Großen“.89 Keine fünf Jahre später hörte Hamann am 11. Juli 1782: „meine Gegenwart ist hier beinah unnütz u. wird mir von Tag zu Tage lästiger. Was anders wohin weiß, sehnt sich weg“.90 Um zu erfahren, was Herder seine neue Umgebung mit einem Male so vergällte, muss man freilich mitlesen, was zu der gründlichen Veränderung geführt hat. Wir erinnern uns, dass Goethe zusammen mit Wieland die Berufung Herders betrieben hatte. Und nun musste dieser mitansehen, wie der jüngere Freund einen bemerkenswerten Aufstieg nahm. „Er ist also jetzt“, wie Hamann darauf erfuhr, „Wirklicher geheimer Rath, Kammerpräsident, Präsident des Kriegscollegii, Aufseher des Bauwesens bis zum Wegbau hinunter [Anm.: Director des Bergwerks], dabei auch directeur des plaisirs, Hofpoet, Verfaßer von schönen Festivitäten, Hofopern, Ballets, Redoutenaufzügen, Inscriptionen, Kunstwerken etc. Direktor der Zeichenakademie, in der er den Winter über Vorlesungen über die Osteologie gehalten, selbst überall der erste Akteur, Tänzer, kurz das fac totum des Weimarischen u. so Gott will, bald der maior domus sämmtlicher Ernestinischer Häuser, bei denen er zur Anbetung umherzieht.91
86 87 88 89
90 91
Ebd., S. 26. Ebd. Ebd., S. 26 f. Ebd., S. 28; vgl. Günter ARNOLD, Herder, Johann Gottfried (1744–1803), in: HansDietrich DAHNKE/Regine OTTO (Hg.), Goethe-Handbuch, Bd. 4/1, Stuttgart/Weimar 1998, S. 481–486; Hans-Peter NOWITZKI, Biographie, in: Stefan GREIF/Marion HEINZ/ Heinrich CLAIRMONT (Hg.), Herder Handbuch, Paderborn 2016, S. 25–38. HBr 4, S. 226. Ebd.
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In der Aufgabenfülle war Herder gar nicht hintangesetzt, aber er mochte sich doch in die zweite Reihe versetzt fühlen. Gleichwohl hatte er anfangs selbst mit einer gewissen Ämterhäufung kokettiert, wie er sie Johann Kaspar Lavater am 13. Oktober 1776 mitteilte: Ich bin also jetzt in Weimar, nicht Prediger so schlechtweg, wie Ihr meinet, sondern Oberhofprediger Oberkonsistorial u. Kirchenrath, Generalsuperintendent, Pastor primarius u. zehn Dinge mehr, eben so lange Namen: hoffe mich aber mit der Zeit recht gut zu stehn u. zu finden, der Autorschaft wills Gott abzusterben u. dem Herrn in lebenden Menschen zu leben, brav zu schaffen u. in sieben Fächern umher zu wühlen.92
Gemessen an einer Ebenbürtigkeit von Sacrum und Imperium musste es Herder bedenklich vorkommen, wenn er die Oberhand der weltlichen Herrschaft nur um den Preis anerkennen sollte, dass dadurch seine religiös-spirituelle Einflusssphäre zugleich reduziert wurde. Diesen Konflikt musste der „Erzbischof von Weimar“ austragen.93 Allerdings konnte er, wie er es gegenüber Johann Gottfried Eichhorn am 12. Juli 1782 zum Ausdruck brachte, auch zugestehen: „in den eigenen Häusern ist man leider! sich meistens am fremdsten.“94 Goethes Nobilitierung, datiert auf den 10. April 1782 und überreicht von der Herzoginmutter Anna Amalia,95 war für die Herders ein rotes Tuch. Caroline schrieb, nachdem sie davon gehört hatte, an Johann Georg Müller am 28. Juli 1782: „Groß u. Klein verachtet u. verflucht den Goethe“.96 Der Herzog habe die „tödlichste Langeweile auch beim H. von Goethe u. gähnt den ganzen Tag.“97 Zuvor hatte ihr Mann schon geschrieben, Goethe halte Hof. Diese spezifische Disposition, die von Herders Fürstenskepsis zeugt, ist hier nicht weiterzuverfolgen. Nach der Geburt des Erbprinzen am 2. Februar 1783 hörte Hamann, der beste Einzige von Herders Freunden, unter dem Datum vom 17. Februar und 10. März: Hier blühet keine Freude u. Wonne für mich mehr. Das letzte Zutrauen habe ich zu meinem Fürsten verloren u. die um ihn, die in Geschäften vor- u. mit mir sind, sind Rohrstäbe u. Dornen u. vergiftender Taxus.98
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Ebd., S. 19. Vgl. Martin KEßLER, Herders Kirchenamt in Sachsen-Weimar in der öffentlichen Wahrnehmbarkeit von Stadt- und Hofkirche, in: DERS./Volker LEPPIN (Hg.), Johann Gottfried Herder. Aspekte seines Lebenswerkes, Berlin/New York 2005, S. 327–351, hier S. 327. HBr 4, S. 228. Vgl. Manfred KAHLER, Adelsnominierung, in: Goethe Handbuch, Bd. 4/1 (wie Anm. 89), S. 7 f. HBr 4, S. 232. Ebd. Ebd., S. 256–260, zit. S. 257.
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Bei dieser Gelegenheit berichtete Herder auch von einem Dialog, der sich im Anschluss an seine Geburtstagspredigt zugetragen habe. Demnach habe Goethe darauf reagiert: „Nach solcher Predigt bleibt einem Fürsten nichts übrig, als abzudanken.“ Dagegen milderte Wieland ab: „Je nun! weil der Herzog sonst nicht in die Kirche kommt, so hat Herder vermuthlich den Augenblick ergriffen, da er ihn hatte.“ Dagegen entwaffnete der Herzog höchstpersönlich: „Es war eine brave Predigt.“99 Herders Äußerungen waren vielfach situationsbezogen. Auch seine Fürstenskepsis war nicht verallgemeinerbar. Die Verstimmungen konnten beispielsweise aus zu geringer Aufmerksamkeit resultieren, während Herder, als ihn der Wunsch Carl Friedrichs von Baden erreichte, umgehend am 10. Dezember 1787 mit der Idee zum ersten patriotischen Institut für den Allgemeingeist Deutschlands antwortete.100 Damit war der Verfasser der Ideen zu einer Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784–1791) gedanklich über den Stadthauptpfarrer und Oberhofprediger101 in Weimar hinaus in seinem Metier. Das Ziel der „Nationalwohlfahrt“102 lag ihm am Herzen. Nicht auf eine weitere Akademie wirkte er hin, sondern auf den Zusammenschluss mehrerer, um vom „Vereinigungspunkt mehrerer Provinzen zur allgemeinen, praktischen Geistes- und Sittenkultur“ aus die zerstreuten Kräfte der Nation auf die „Glückseligkeit des Ganzen“ hin zu bündeln.103 Davon sollte ein „Jahrbuch des deutschen Nationalgeistes“ Zeugnis geben.104 Solche Zentrierungsbemühungen wären ein eigenes Thema. Herders Plan wurde vom jüngsten Bruder des Mainzer Statthalters in Erfurt, Johann Friedrich Hugo von Dalberg, günstig beurteilt.105 Noch im selben Jahr lud dieser ihn zu einer Italienreise ein. Für ein „gesamtdeutsches Bewußtsein“ schien die Zeit noch nicht reif gewesen zu sein. „Nirgends in Deutschland ist ein Mittelpunct gesellschaftlicher Lebensbildung“, schrieb Goethe im vielzitierten Aufsatz Literarischer Sansculottismus (1795), wo sich Schriftsteller zusammenfänden und nach Einer Art, in Einem Sinne, jeder in seinem Fache sich ausbilden könnten.106 „Zerstreut geboren, höchst verschieden erzogen, meist nur sich selbst und den Eindrücken ganz verschiedener Verhältnisse überlassen.“107 Der deutschen Nation 99 Ebd., S. 258 f.; vgl. SCHMIDT, Das Jahr 1783 (wie Anm. 60), S. 153 f. 100 Herders Sämmtliche Werke, hg. v. Bernhard SUPHAN, 33 Bde., Berlin 1877–1913, Bd. 16, S. 600–616. 101 Vgl. KEßLER, Herders Kirchenamt (wie Anm. 93), S. 336. 102 Hans TÜMMLER, Johann Gottfried Herders Plan einer deutschen Akademie (1787), in: DERS., Weimar, Wartburg, Fürstenbund 1776–1820. Geist und Politik im Thüringen der Goethezeit. Gesammelte Aufsätze, Bad Neustadt a. d. Saale 1995, S. 39–52, zit. S. 43. 103 Ebd., S. 44. 104 Ebd., S. 45. 105 Ebd., S. 49. 106 WA I, 40, S. 196–203, zit. S. 199. 107 Ebd.
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dürfe es nicht zum Vorwurfe gereichen, dass ihre geographische Lage sie eng zusammenhalte, indem ihre politische sie zerstückelt. Und mit Blick auf Frankreich hieß es: „Wir wollen die Umwälzungen nicht wünschen, die in Deutschland classische Werke vorbereiten könnten.“108 Die Rechtsdenker jener Zeit hielten realpolitisch in stärkerem Maße an der föderalen Struktur der kleineren Fürstentümer fest, die Wieland bereits mit dem Aggregatcharakter der griechischen Poleis verglichen hatte.109 Dagegen keimten schon bei Lessing, auch Wieland oder Herder vielfach die weltbürgerlich universalen auf die Menschheit und das Menschengeschlecht bezogenen Entwürfe, denen wir heute die Komposita wie Weltkultur, Weltliteratur, in einem neuen Sinn Welttheater, Weltrepertoire etc. verdanken. Kaum war Herder zu seiner italienischen Reise aufgebrochen, zu der ihn Dalberg eingeladen hatte, schrieb er am 9. August 1788 aus Bamberg an seine Frau Caroline, die er erst drei Tage zuvor verlassen hatte: Gegen alle Städte, auch der andern Herren Vettern Gothaischer Linie kommt unser Weimar in keinen Betracht, und in diesem kleinen Erdstrich schon zeigt sich durch die Vergleichung deutlich, wie wir so ganz ohne Basis unsern Luftbau des Ruhms und tausendfacher Liebhabereien unternehmen.110
Jenseits der thüringer Berge verklärte sich ihm das Land, vor allem da er an die geschundenen thüringer Bauern dachte, denen von eigener Muße einen Begriff zu haben nicht gegeben war. Gleichwohl sehnte er sich, je weiter ihn die Reise in neue Gegenden entfernte, die ihn bis Neapel führte, wieder zurück. Bereits aus Rom gestand er – kein Vierteljahr nach seiner Entfernung – der Herzogin Louise am 28. Oktober 1788, dass er, seit er Italien kenne, sehr gern ein Deutscher sei.111 Nach der persönlichen Distanz, in die ihn Goethes Nobilitierung gebracht hatte, kam Herder ihm aus der räumlichen Entfernung wieder nahe. Besonders freute er sich am 3. Dezember 1788 auf ihren Austausch nach der Reise über die Erfahrung der römischen Statuen.
108 Ebd. 109 Vgl. Wieland, Über teutschen Patriotismus. Betrachtungen, Fragen und Zweifel (1793), in: WIELAND, Politische Schriften (wie Anm. 41), Bd. III, S. 125–137, wo die Ähnlichkeit von altgriechischer Vaterlandsliebe in ihren „Freystaaten“ (S. 128) und den Reichsländern des „Germanischen Nazional-Körper[s]“ (S. 136) betont wird; vgl. ebd., Bd. I, S. 151: „Teutschland“ sei ein „vielköpfiges Aggregat“. 110 HBr 6, S. 17. – Vgl. Johann Gottfried HERDER, Italienische Reise. Briefe und Tagebuchaufzeichnungen 1788–1789, hg., komm. und mit Nachwort versehen von Albert MEIER und Heide HOLLMER, München 1989; Rudolf HAYM, Herder, 2 Bde., Berlin 1958, Bd. 2, S. 424–458. 111 HBr 6, S. 74.
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So einen andern Weg ich, in diesem u. andern Dingen gehen möge, als Du, Tausendkünstler, dabei gegangen bist: so finden wir uns am Ende doch zusammen, u. wir werden, hoffe ich, manche angenehme Stunde in einer gemeinsamen Erinnerung haben, wenn sie uns das Schicksal bescheret.112
Fünf Monate später hörte die Herzoginmutter Anna Amalia unter dem Datum vom 29. Mai 1789 aus Florenz von ihm, sein Sinn stehe „über die Alpen“.113 Da befand er sich bereits auf der Rückreise. Und nachdem – auch durch Goethes Intervenieren – Herders Wegberufung von Weimar nach Göttingen abgewendet und entschieden war, dass er unter deutlich verbesserten Bedingungen in Weimar bliebe, übermittelte das Caroline Herder am 30. August 1789 an die noch in Italien reisende Herzoginmutter Anna Amalia.114 Im Jahr darauf, die Französische Revolution hatte unterdessen Europa erschüttert,115 trat Herder am 2. Oktober 1790 mit einem „Hirtenbrief“116 an die Geistlichkeit des Herzogtums Sachsen-Weimar und Eisenach heran, um „bei der jetzigen unruhigen Zeit-Crisis einiger Länder“ mit aller „Vorsicht und gehörigen Pastoralklugheit“ eine gewisse Orientierung zu bieten. Der Diener der Religion, so Herder in seiner diplomatischen Kraft, „ist ein Diener des Friedens, ein Beförderer guter Ordnung, allgemein-anerkannter Pflichten und rühmlicher Sitten“.117 Voraussetzung dafür bildete die bemerkenswerte Zustimmung, mit der Herder diesmal abseits seiner skeptischen Grundlinie die Ernestinische Herrschaft als Kirchenmann unterstützte. Damit befolgte er zugleich „die abgemessene Vorschrift des Landesherren“.118 Seine elegant politische Reaktion in der Krise war entsprechend diplomatisch beruhigend und weitsichtig formuliert. Unser Land hat das Glück, von einem Fürsten regiert zu werden, der auch persönlich die Liebe und das Zutrauen seiner Unterthanen im höchsten Grad hat: Vergleichungsweise mit andern Ländern haben diese weit weniger Auflagen, und bekanntermaasse gehet des Landesherren väterliche Sorge dahin, die Lasten, die sie tragen müßen, ihnen soviel möglich zu erleichtern.119
112 Ebd., S. 91. 113 Ebd., S. 154. 114 Ebd., S. 306; sowie HAYM, Herder (wie Anm. 110), Bd. 2, S. 458–468 zur Frage: Weimar oder Göttingen? 115 Vgl. zu Herders Sympathie mit der Französischen Revolution HAYM, Herder (wie Anm. 110), Bd. 2, S. 508 f. 116 HBr 6, S. 348 zu Nr. 136. 117 Ebd., S. 211. 118 Ebd., S. 209. 119 Ebd., S. 211.
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Sein Appell, zum gemeinen Gut von Ruhe, Ordnung und Sicherheit als Freund, Vater, Seelsorger beizutragen und obendrein den Inhalt völlig für sich zu behalten, war demnach „ein edles Geschäft der Priester- und Bürgerpflicht, der Religion und der Menschheit“.120 Herders Briefe enthalten zahlreiche Casualcarmina, insbesondere Geburtstagsgedichte, beispielsweise an Goethe zum 28. August 1789 und 1790, an den Herzog Carl August zum 3. September 1791 sowie an die Herzoginmutter Anna Amalia zum 24. Oktober 1788 und 1789. Die fünf Strophen 24. Okt. von 1788 fügte er dem Brief an seine Frau aus Rom vom 15. November 1788 bei, die mit dem Wunsch enden: „Auch im Andenken werde | Dir einst auf fremder Erde | Rom ein Elysium.“121 Der Parnass und die Musen, doch auch die von Wieland nach Weimar programmatisch versetzten Grazien wurden mit aufgerufen. Apollo, der Musenführer, komme und weihe ihr seinen jüngsten Kranz. „Wie Weste sich um ihre Göttin wiegen, | Umschwebe sie der Charitinnen Tanz“, sie, die „schöne Sonne […] in der Musen Heiligtum“.122 In der Werkausgabe vermerkte der Herausgeber: „Am Geburtstag der Herzogin Amalia von Sachsen Weimar in Rom gesungen den 24. October 1788“ und fügte in Klammern hinzu: „Componirt vom Freyherrn Friedrich von Dalberg“,123 mit dem Herder in Italien unterwegs gewesen war. Im Gedicht An Olympia huldigte Herder gleichfalls Anna Amalia. Es folgte, wie angegeben, der Melodie: „Schon prangt den Morgen zu verkünden etc.“ aus Mozarts Zauberflöte (1791). Der Herzogin war es gewidmet, „als Sie von Ihrem Sommersitz auf dem Land in die Stadt zurückkehrte, und von einer Krankheit daselbst genesen war“.124 Die drei Strophen enden: „Du, du wirst uns Aurora seyn.“125 Die Zauberflöten-Allusion auf den heraufziehenden Tag und die ihn ankündigende Morgenröte mochten die Dichtung angeregt haben. Überraschend aber erschien das Motiv der Morgenröte, das wohl typisierend zum Herrschaftskontext und der dynastisch verankerten neuen Zeit und dem goldenen Zeitalter gehörte. Doch konnte Herder damals von jenem ersten Singspiel Aurora, vertont von Anton Schweitzer, wissen, mit dem Wieland die regierende Herzogin an ihrem 33. Geburtstag am 24. Oktober 1772 gefeiert hatte? Mochte die
120 Ebd., S. 212. 121 HERDER, Italienische Reise (wie Anm. 110), S. 225 f.; vgl. J. G. v. Herders sämmtliche Werke. Zur schönen Literatur und Kunst, Sechzehnter Theil: Gedichte, hg. v. Johann v. MÜLLER, Bd. 2, Karlsruhe 1821, S. 9 f. In der Briefausgabe fehlt die Gedichtbeilage. 122 HERDER, Italienische Reise (wie Anm. 110), S. 226 und 225. Herders sämmtliche Werke: Gedichte, Bd. 2 (wie Anm. 121), S. 10 und 9. 123 Herders sämmtliche Werke: Gedichte, Bd. 2 (wie Anm. 121), S. 9. 124 Ebd., S. 8 mit der Fußnote. 125 Ebd., S. 9.
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Aurora-Allusion auch enkomiastischer Standard gewesen sein126, kündigte sie für das ernestinische Weimar doch ein neues Zeitalter an, das mit Anna Amalia heraufzog und mit Carl Augusts Regierungsantritt einen neuen Tag beginnen ließ. Da ihn Wieland insofern mit dem Musenprogramm verband, als er ihn im Typus des Herkules auch als „Musagetes“ gefeiert hatte, lässt sich die Rede vom „Musenhof“,127 so man daran festhalten wollte, keinesfalls zwischen Mutter und Sohn dissoziieren.
Friedrich Schiller, in Jena und Weimar 1787 bis 1805 Am 11. Januar 1785 war, vermittelt über den Darmstädter Korrespondenten, in der Königlich privilegirten Berlinischen Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen zu lesen: Am 20. dieses [genau am 26. Dezember 1784] laß Hr. D. Schiller, aus Mannheim, auf Veranlaßung des Herzogs von Weimar in Gegenwart unsrer durchlauchtigsten Herrschaften und des Hofes, den ersten Aufzug aus einem noch unvollendeten jambischen Trauerspiel, Don Karlos, vor; den andern Morgen wurde er von dem Herzoge von Weimar durch ein eigenhändiges Schreiben zum Rath ernannt.128
Der Herzog von Sachsen-Weimar und Eisenach weilte an Weihnachten 1784 am Darmstädter Hof, mit dem ihn seine Braut Louise verband, als es zur Begegnung mit Schiller kam, den Charlotte von Kalb an den Darmstädter Hof empfohlen hatte.129 In Dankbarkeit für den verliehenen „Rath in meinen Diensten“130 widmete Schiller dem Herzog das Heft der Rheinischen Thalia vom März 1785,131 das den Ersten Akt des damals noch Don Karlos betitelten Dramas enthielt. Die Darmstädter Begegnung sollte zum Auslöser der „Epoche“ werden, die sie in Schillers Leben machte.132 Im Widmungsbrief vom 14. März 1785 bestätigte er, „daß Karl August der edelste von Deutschlands Fürsten, und der
126 Die Starckische Schauspieltruppe hatte Anna Amalia bereits 1768 als „aufgehende[r] Sonne“ gehuldigt; vgl. MANGER, Weimars „besonder Loos“ (wie Anm. 7), S. 58. 127 Vgl. Anm. 3; sowie Jörg Jochen BERNS, Zur Frühgeschichte des deutschen Musenhofes oder Duodezabsolutismus als kulturelle Chance, in: Jörg Jochen BERNS/Detlef IGNASIAK (Hg.), Frühneuzeitliche Hofkultur in Hessen und Thüringen, Erlangen/Jena 1993, S. 10– 43. 128 Schillers Werke. Nationalausgabe, Bd. 7/II, hg. v. Paul BÖCKMANN und Gerhard KLUGE, Weimar 1986, S. 502 (im Folgenden: NA); vgl. NA 41/II A, S. 258. 129 Vgl. Peter-André ALT, Schiller. Leben – Werk – Zeit, 2 Bde., München 2000, Bd. I, S. 394. 130 NA 7/II, S. 502; vgl. NA 41/II A, S. 256 und 258 f. 131 NA 22, S. 378 und 92 sowie NA 41/II A, S. 259 f. 132 NA 23, S. 176.
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gefühlvolle Freund der Musen, jetzt auch der meinige seyn will, daß Er mir erlaubt hat, Ihm anzugehören.“133 Carl August, von dem jungen Dramatiker nicht unbeeindruckt, bat Wieland um ein Gutachten über jenen Vorabdruck des Don Carlos in der Thalia. Das ließ schon auf weitere zu unternehmende Schritte des Herzogs schließen. Wielands Kritik bezog sich auf die Titelgestalt, auf das ihm noch zu sehr karikierte Personal und die vom Tragödienideal noch entfernte Sprache. Auch auf den Umfang kam er zu sprechen, da er monierte; „Das gröste Stück des Sophokles hat kaum soviel Verse als Hrn. S. erster Act.“134 Schillers Hauptfehler aber war Wieland zufolge, woraus der Herzog durchaus eine Empfehlung ableiten konnte, wirklich nur, daß er noch zu reich ist, zu viel sagt, zu voll an Gedanken und Bildern ist, und sich noch nicht genug zum Herren über seine Einbildungskraft und seinen Wiz gemacht hat.135
Da er zu leichteren „Vorübungen“136 riet und keinerlei Ablehnung formulierte, war der Weg für den Herzog frei, Möglichkeiten zu erwägen, die zu einer Anstellung Schillers im Raum von Sachsen-Weimar führen könnten. Zunächst allerdings folgte Schiller einer Einladung von Charlotte von Kalb137 Ende Juli 1787 nach Weimar, wo er sich mit Wieland und Herder traf sowie zu Gast bei Anna Amalia war. Charlotte von Kalb hatte Schiller 1784 in Mannheim kennengelernt und ihn offensichtlich mit Hoffnung auf einen gemeinsamen Lebensplan in die Weimarer Gesellschaft eingeführt. Goethe weilte damals noch in Italien. Unterdessen lernte Schiller die Schwestern von Lengefeld kennen, Caroline von Beulwitz138 und Charlotte, seine spätere Frau, mit der er sich am 22. Februar 1790 in Jena verheiratete.139 In seiner noch ungesicherten Situation, als Schiller sich mit historischen Studien, darunter der Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung (1788), befasste, die dem Verfasser des von Schiller später für die Bühne bearbeiteten Egmont (1788) besonders interessant war, präsentierte Goethe am 9. Dezember 1788 im Geheimen Consilium ein Promemoria, in dem er den Vorschlag unterbreitete, Schil133 NA 41/II A, S. 259 f.; vgl. Klaus MANGER, Schillers Widmungen, in: DERS./Nikolas IMMER (Hg.), Der ganze Schiller – Programm ästhetischer Erziehung, Heidelberg 2006, S. 430–433. 134 NA 7/II, S. 502–507, zit. S. 507; vgl. WBr 8.1, S. 442–447, zit. S. 447. 135 NA 7/II, S. 507. 136 NA 7/II, S. 504. 137 ALT, Schiller (wie Anm. 129), Bd. II, S. 530–542; vgl. Katrin HORN, Charlotte Sophie Juliane von Kalb, geb. Freiin Marschalk von Ostheim (1761–1843), in: FREYER u. a. (Hg.), FrauenGestalten (wie Anm. 19), S. 205–210. 138 Christian HAIN, Friederike Sophie Caroline Auguste von Wolzogen, geb. von Lengefeld, gesch. von Beulwitz (1763–1847), in: ebd., S. 400–405. 139 DERS., Luise Charlotte Antoinette von Schiller, geb. von Lengefeld, in: ebd., S. 297–302.
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ler den Ruf auf eine außerordentliche Professur an der Universität Jena zu erteilen.140 Den drei Landesregierungen in Coburg, Gotha und Meiningen, den für die Finanzierung der Universität zuständigen Erhalterstaaten, empfahl der Weimarer Hof die Ernennung Schillers zum Extraordinarius. Das offizielle Ernennungsschreiben wurde Schiller, der bereits am 15. Dezember 1788 aufgefordert worden war, sich zur Übernahme einer außerordentlichen Professur bereitzuhalten, am 21. Januar 1789 übersandt. Die Antrittsvorlesung erfolgte, wie bekannt, in zwei Teilen am 26. und 27. Mai 1789.141 Anfang 1790 gewährte der Herzog dem neuen Hochschullehrer mit Aussicht auf seine baldige Eheschließung eine Pension von 200 Reichstalern, die er im September 1799 und dann nochmals im Juni 1804 jeweils verdoppelte.142 Außerdem riet der Landesherr dem Dramatiker, der aus gesundheitlichen Gründen seit 1794 keine Lehre mehr anbot, in zeitlicher Umgebung der Weimarer Wallenstein-Premiere, nach Weimar zu ziehen, um näher am Theater und wohl auch bei Goethe zu sein. Des bedeutendsten Datums jener Zeit, der persönlichen Bekanntschaft Schillers mit Goethe am 20. Juli 1794 in Jena, die beider Freundschaft begründete, sei hier nur Erwähnung getan.143 Als Schiller Ende 1799 tatsächlich nach Weimar, in die ernestinische Residenz, gezogen war und im November 1802 sein Adelsdiplom aus Wien erhalten hatte, war er vom Januar 1803 an auch regelmäßig Gast am Hof.144 Seine Nobilitierung hatte nämlich zur Folge, dass seine Frau Charlotte, geborene von Lengefeld, endlich wieder standesgemäßen Umgang pflegen konnte, der ihr seit ihrer Verheiratung mit dem bürgerlichen Schiller verwehrt war. So aufmerksam Herzog Carl August den Lebensgang Schillers seit 1784 verfolgte und mit zunehmender Anteilnahme begleitete, die offensichtlich auch schon seiner Ansiedlung im Herrschaftsraum der Ernestiner galt, so wahrte er doch eine gewisse Distanz, die dazu führte, dass die Verbindungen überwiegend aufgrund von Vermittlungen aufrecht erhalten wurden. Die Annäherung an den Weimarer Hof brachte es mit sich, dass Schillers letzte fertiggestellte Arbeit für das Hoftheater, seine Übertragung von Jean Racines Phèdre (1677), zum Geburtstag von Herzogin Louise am 30. Januar 1805 aufgeführt wurde.145 140 NA 41/II A, S. 263 sowie S. 264–270. 141 Erstdruck im Novemberheft von Wielands Teutschem Merkur 1789: TMRep, S. 46; NA 17, S. 359–376; vgl. NA 41/II A, S. 289–299. 142 NA 25, S. 381; NA 30, S. 94; NA 41/II A, S. 467–471; dazu NA 41/II A, S. 330–344. 143 Vgl. Schillers Brief vom 23. August 1794 an Goethe: NA 27, S. 24–27; vgl. Goethe, Erste Bekanntschaft mit Schiller. 1794, in: WA I, 36, S. 246–252; sowie Glückliches Ereigniß, in: WA II, 11, S. 13–20; vgl. Karl-Heinz HAHN, Lesarten zum Briefwechsel zwischen Goethe und Schiller. Beitrag zur Rezeptionsgeschichte der Korrespondenz, in: DERS., „Dann ist Vergangenheit beständig…“. Goethe-Studien, Weimar 2001, S. 106–125. 144 Vgl. zur Erhebung in den Reichsadelsstand NA 41/II A, S. 622–641. 145 NA 15/II, S. 274–387.
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Schillers originale Arbeit für den Weimarer Hof lag zu diesem Zeitpunkt noch kein Vierteljahr zurück. Sie kam aus einer Notlage Goethes heraus zustande, der für das im November 1804 bevorstehende Fest keine Idee hatte, so dass er den Freund bat, ihm aus dem Dilemma zu helfen.146 Schiller reagierte umgehend. Es blieb auch für die Gelegenheitsdichtung wirklich keine Zeit. Das höfische Fest galt der für die Geschichte der Ernestiner bedeutsamen Vermählung des Erbprinzen Carl Friedrich mit der russischen Großfürstin Maria Pawlowna, die am 3. August 1804 in Sankt Petersburg erfolgt war.147 Am 9. November traf das Paar in Begleitung von Schillers Freund und Schwager Wilhelm von Wolzogen in Weimar ein. Am 11. November begegnete Schiller erstmals der Großfürstin,148 und am 12. November stand die Aufführung des Stückes bevor, das beizusteuern Goethe kurzfristig den Freund gebeten hatte. Vom 4. bis 8. November blieb Schiller Zeit, an dem Stück Die Huldigung der Künste (1804) zu arbeiten, dessen Manuskript er durch Wolzogen der Großfürstin am Morgen der festlichen Aufführung überreichen ließ.149 Das „lyrische Spiel“, so der Untertitel, kam als Vorspiel vor Racines Mithridate (1673) in der Übertragung von Theodor Heinrich August Bode zur Aufführung.150 Für die Bühneneinrichtung blieb in etwa so viel Zeit, wie sie Schiller für die Hervorbringung der Dichtung zur Verfügung hatte. Mit dieser Gelegenheitsdichtung für die nächste Generation der Ernestiner knüpfte er dort an, wo Wieland mit seinen Singspielen und Cantaten drei Jahrzehnte zuvor für die Großmutter Anna Amalia sowie die Eltern des Erbprinzen, Carl August und Louise, den Grund gelegt hatte. Jetzt wurde das Erbprinzenpaar im neuen Jahrhundert gefeiert, mit dem Weimar zu seinem silbernen, vorrangig musikalisch geprägten Zeitalter aufsteigen sollte. Doch Schillers Widmung versteckte den Hinweis auf den Erbfolger im Titel der Erbprinzessin. Ihr allein galt die Widmung: Bei hoher Ankunft Ihrer Kaiserlichen Hoheit der Frau Erbprinzessin von Weimar Maria Paulowna Großfürstin von Rußland vorgestellt auf dem Weimarischen Hoftheater den 12. November 1804.151
Auch inhaltlich richtete Schiller seine Huldigung der Künste ganz auf die Großfürstin aus, der das Dramolett Referenz erwies und dabei zugleich den Leistungen der Künste huldigte.152 Wie die „goldne Frucht“ (V. 10) des Orangenbaums153 146 ALT, Schiller (wie Anm. 129), Bd. II, S. 587. 147 Ebd., S. 586 f. 148 Vgl. Schillers Brief an Körner vom 22. November 1804: NA 32, S. 169 f.; die Dokumentation in: NA 10, S. 531–533. 149 Ebd. 150 NA 10, S. 534. 151 NA 10, S. 280. 152 ALT, Schiller (wie Anm. 129), Bd. II, S. 589. 153 NA 10, S. 283–292, zit. S. 283; zur Entstehung ebd., S. 533 f.
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wurde die Erbprinzessin aus fremder Zone in den heimischen Raum versetzt. Der Chor der Künste feiert das Fest „Unsrer Königin zu Ehren“ (V. 84). Die bethlehemitische Kleinheit wird gepaart mit wachsender Größe: „Wo kindliche Sitten | Uns freundlich empfahn, | Da bauen wir Hütten | Und siedeln uns an.“ (V. 64–67) Aus dem Kaisersaal sei die Königin „in unser stilles Thal“ (V. 86) niedergestiegen. Das dreigliedrige Spiel setzt mit der ländlichen Baumverpflanzung ein, hebt mit Erscheinen des Genius und der sieben Göttinnen die Stilebene und gipfelt im Lobpreis der Künste. Den Höhepunkt eröffnet der Genius „gegen die Fürstin“, da er ihr gegenüber betont, dass er und der Künste Schar alle Menschenwerke krönen und Palast und Altar schmücken (V. 148– 150).154 Die drei bildenden Künste Architektur, Skulptur und Malerei erinnern an das zweite Rom an der Newa, eben Sankt Petersburg, an die Befreiung der Sklaven und die Vermenschlichung der Wilden durch Zar Alexander, den Bruder der Fürstin, sowie daran, dass die Malerei durch raffinierte Täuschung Getrenntes zu verbinden weiß. In die feierliche Überhöhung des Alltags stimmen die anderen vier Künste Poesie, Musik, Tanz und Schauspielkunst ein, indem sie alle gemeinsam, wie die Malerei der „Herrliche[n]“ verheißt, „den Lebensteppich weben“ (V. 246). Sinnhaft wird im Hintergrund der Kosmos des Welttheaters sichtbar: „Wenn Du das große Spiel der Welt gesehen, | So kehrst Du reicher in Dich selbst zurück“ (V. 223 f.). Am Ende tritt die Poesie aus der Mitte der sieben Künste hervor und beschwört ihre Zauberphantasie. Endlich fasst sich der „hohen Künste heilger Götterkreis“ (V. 228) an und bekundet: „Denn aus der Kräfte schön vereintem Streben | Erhebt sich, wirkend, erst das wahre Leben.“ (V. 247 f.) Das von der Malerei entworfene schöne Farbenbild der Iris, in dessen Widerschein das schön vereinte Streben der Künste glänzt, erinnert an Goethes prismatischen Entwurf: „Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.“155 Sollte der Freund dabei des Frühverstorbenen gedacht haben? So verschiedenartig und vielfältiglich auch immer die künstlerischen, vorrangig literarischen Zeugnisse waren, die den Ernestinern im Ereignisraum Weimar und Jena um 1800 zuteilwurden, so tief haben sie sich weit über den Herrschaftsraum hinaus in das kulturelle Gedächtnis eingegraben. Nicht allein die Fülle der Huldigungen war es, die die Ernestiner in Sachsen-Weimar auf sich gezogen haben, sondern vor allem deren ästhetische Qualität und Kulturtiefe, worin die Ersten ihrer Zeit zu ihrem Lobpreis zusammenstimmten. Undenkbar scheint, dass man ihrer vergessen könnte, da in Schillers Huldigung auf der Fürstin Geheiß sich selbst der „empfindungslose Stein“ (V. 232) belebe und in dieser Lebendigkeit eine Welt des Schönen entfalte. In der Reihe ihres Eintreffens in 154 NA 10, S. 288. 155 Faust II, Erster Act, V. 4727: WA I, 15.1, S. 7.
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Weimar und Jena haben sich Wieland, Goethe, Herder und Schiller auf bemerkenswerte Weise letztlich als loyal erwiesen. Die Mindermächtigen haben sie vermittels ihrer Leistungen zu dauerhafter Höherwertigkeit geführt. Kein unüberwindlicher Zwist konnte ihre wechselseitige Anerkennung unterlaufen. Und die liberale wie tolerante Herrschaft hat sie nicht nur gewähren lassen, sondern gefördert, unterstützt und gefordert. Schwer vorstellbar bleibt, dass solches wiederholbar wäre. Zum einen manifestierte sich darin eine Kulmination der Aufklärung, zum anderen die unvergleichliche qualitative Dichte, die – durch die Geschichte hindurchgreifend – zugleich die Höhepunkte anderer herausragender Kulturphasen nicht nur reflektierte, sondern überbot. Am Übergang vom Aufklärungsjahrhundert in eine neue Zeit, vom kritischen in ein aufbegehrendes Zeitalter, gelang etwas, das nicht nur historisch weit zurückliegt, sondern heute durch eine sonderbare Bildungsfremdheit in weite Ferne gerückt ist.
STEFAN GERBER ERNESTINISCHE GESCHICHTSPOLITIK IM 19. JAHRHUNDERT
Ernestinische Geschichtspolitik im 19. Jahrhundert 1. Geschichtspolitik und Monarchie Der im zeitgeschichtlichen Kontext entstandene Begriff der „Geschichtspolitik“ will, so der Zeithistoriker Edgar Wolfrum, „ein Handlungs- und Politikfeld“ bezeichnen, „auf dem verschiedene Akteure Geschichte mit ihren spezifischen Interessen befrachten und politisch zu nutzen suchen. Sie zielt auf die Öffentlichkeit und trachtet nach legitimierenden, mobilisierenden, politisierenden, skandalisierenden, diffamierenden u. a. Wirkungen in der politischen Auseinandersetzung.“ Akteure der „Geschichtspolitik“ sind nach Wolfrum „politische Eliten“, die versuchen Traditionen zu schöpfen, Erinnerungen zu gestalten und Identitäten zu konstruieren. Sie bedienen sich dabei […] verschiedener Erinnerungsstrategien, umstrittener Inszenierungen, integrierender und desintegrierender Rituale und polarisierender Diskurse.1
Unschwer ist zu erkennen, dass diese – bei Wolfrum zunächst auf die Geschichtspolitik in der „alten Bundesrepublik“ zwischen 1948 und 1990 bezogene – Bestimmung auch für das 19. Jahrhundert fruchtbar gemacht, und besonders auf die eng verwobenen staatlichen und monarchischen Geschichtspolitiken der Jahre zwischen der Französischen Revolution und dem Beginn des Ersten Weltkrieges angewandt werden kann. Monarchisch-dynastische Geschichtspolitik stellte seit der Antike eine herausragende Strategie der Herrschaftslegitimation dar, bildete in der Folge einen Kern im Handeln aller alteuropäischen Monarchien und war daher keine „Erfindung“ des „langen“ 19. Jahrhunderts. Aber mit dem Ende des Alten Reiches, mit den politisch-territorialen Umbrüchen des napoleonischen Zeitalters, den Revolutionen von 1830 und 1848, sowie der Entwicklung und dem Aufstieg moderner Massenmedien im 19. und frühen 20. Jahrhundert2 stand sie in Deutschland und Europa doch vor neuartigen Herausforderungen: Auf der politischen Ebene wurde die traditionale Legitimation der monarchischen Institution im Zeitalter des Konstitutionalismus ebenso 1 2
Edgar WOLFRUM, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948–1990, Darmstadt 1999, S. 2, 25 f. Zu diesem, auch für die Geschichtspolitik im 19. Jahrhundert entscheidenden Prozess der Epoche vgl. einführend und mit weiterführender Literatur: Werner TELESKO, Das 19. Jahrhundert. Eine Epoche und ihre Medien, Wien 2010.
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fraglich3 wie ihr Verhältnis zu den Volksvertretungen, die sich immer stärker nicht mehr als ständische Vertretungsorgane, sondern als Repräsentanten aller „Staatsbürger“ definierten.4 Obgleich der gemäßigte Liberalismus die Monarchie überall in Europa als Garantin staatlicher Kontinuität schätzte und ihre Funktion als „Bollwerk“ gegen eine Radikalisierung der konstitutionellen Umgestaltung zur sozialen Revolution hoch veranschlagte, musste die politische Rolle der Monarchen und ihrer Häuser neu justiert werden. Das führte im 19. Jahrhundert zum „europäischen Verfassungstyp“ des Konstitutionalismus5: Er gewährleistete die Gewaltentrennung und stellte dem zum „monarchischen Prinzip“ erhobenen exekutiven Vorrang des Monarchen die legislative Gewalt der Parlamente und eine von der herrschaftlich-staatlichen Verwaltung losgelöste Rechtsprechung gegenüber. Mit diesen grundlegenden Veränderungen des institutionellen Rahmens war die Ebene der monarchischen Repräsentation und Selbstdarstellung eng verbunden: Die Monarchen standen vor der Aufgabe, die fortdauernde Notwendigkeit und Funktionalität einer zum politischen Diskussions- und Aushandlungsgegenstand gewordenen Monarchie in Formen darzustellen, die dem seit dem 18. Jahrhundert verfestigten bürgerlichen Werte- und Tugendkanon entsprachen und die moderne bürgerliche Öffentlichkeit – das „Publikum“ – erreichten.6 Der Schritt aus einer repräsentativen in die bürgerliche Öffentlichkeit schuf eine neue „Sichtbarkeit“ der Monarchen, die in immer neue „Zeige“Situationen hineingezwungen wurden und deren öffentliches „Erscheinen“ und Sprechen bei den verschiedensten Anlässen des politischen und kulturellen Lebens – bis hin zu Gebäudeeinweihungen und Volksfesten – zu einem zentralen Bestandteil der neuen monarchischen „Profession“ wurde.7 Neben erweiterten 3 4 5
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„Traditional“ im Sinne der (Ideal-)Typen „legitimer Herrschaft“ bei Max Weber. Vgl. Max WEBER, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hg. v. Johannes WINCKELMANN, Tübingen 61985, S. 475–487, hier besonders S. 477–481. Vgl. dazu Barbara STOLLBERG-RILINGER, Vormünder des Volkes? Konzepte landständischer Repräsentation in der Spätphase des Alten Reiches, Berlin 1999. Dass der Konstitutionalismus kein „deutscher Sonderweg“, sondern der europäische „Normalfall“ des 19. Jahrhunderts war, zeigt: Martin KIRSCH, Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert. Der monarchische Konstitutionalismus als europäischer Verfassungstyp – Frankreich im Vergleich, Göttingen 1999. Zur Entwicklung dieser „bürgerlichen Öffentlichkeit“ und zur Begriffsverwendung vgl. Peter Uwe HOHENDAHL (Hg.), Öffentlichkeit – Geschichte eines kritischen Begriffs, Stuttgart/Weimar 2000, besonders S. 8–74. Vgl. dazu u. a. Alexa GEISTHÖVEL, Wilhelm I. am „historischen Eckfenster“: Zur Sichtbarkeit des Monarchen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Jan ANDRES/Alexa GEISTHÖVEL/Martin SCHWENGELBECK (Hg.), Die Sinnlichkeit der Macht. Herrschaft und Repräsentation seit der Frühen Neuzeit, Frankfurt am Main/New York 2005, S. 163–185. Martin Kohlrausch weist darauf hin, dass die wachsende Erwartung der Sichtbarkeit des Monarchen in die von dem britischen Soziologen John B. Thompson ausgemachte „trans-
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Möglichkeiten schuf diese öffentliche Präsenz eines redenden Monarchen und seiner Familie auch neue Gefahren: Skandale als Öffentlichkeits- und „Medienphänomen“ von schwer zu steuernder Dynamik setzten der Monarchie in der zweiten Hälfte des 19. und im frühen 20. Jahrhundert zunehmend zu.8 Es begann jene „Medialisierung“ der Monarchie, die einen zentralen Platz bei der Beantwortung der Frage einnehmen muss, welche Anpassungsleistungen es dieser alteuropäischen Institution ermöglichten, ihre Existenz bis in die Gegenwart zu sichern und auch im massendemokratisch-massenmedialen Zeitalter eine gewichtige Funktion bei der politisch-staatlichen Integration immer heterogenerer Gesellschaften zu erfüllen. Dynastische Geschichtspolitik, die bisher ein Element traditionaler Herrschaftslegitimation gewesen war, trat unter diesen Bedingungen nicht zurück, sondern gewann in Gegenteil eine neue Aktualität: Je mehr sich das Bildungsbürgertum die Vergangenheit aneignete und sie zu einer zielgerichteten Entstehungsgeschichte der bürgerlichen Welt formte, desto stärker stellte sich die Frage nach dem Platz der „angestammten“ Dynastien in dieser Geschichte. Tradition, Anciennität und Dignität wurden dabei als Argumente nicht obsolet, mussten aber in produktive Beziehungen zu den sich formierenden regionalen und nationalen Geschichtsbildern des Bürgertums gesetzt werden. Welche Strategien dafür entwickelt wurden, hing stark von den spezifischen Gegebenheiten der Staaten und Regionen und ihrer Konturierung als Geschichtsräume ab. Dennoch ist ein übergreifendes Muster dynastischer Geschichtspolitik und der mit ihr verbundenen Medien unübersehbar: Über Denkmale, Museen, historische Vereine und die von ihnen im Zusammenspiel mit der wissenschaftlichen Geschichtsforschung produzierte Historiographie wurde der Versuch unternommen, dynastische Eigengeschichte und bürgerliche Geschichtskultur eng zu verzahnen. Die Monarchen strebten danach, durch den Ausbau und die aktualisierende Fortentwicklung überlieferter dynastisch-höfischer Repräsentation in Dignitätspolitik und Zeremoniell, historisierendem Schlossbau und Kunstförderung den aufrechterhaltenen Anspruch fürstlicher Würde und die gesellschaftlich eingeforderte Rolle des tugendhaften, quasi-„bürgerlichen“ Landes- und
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formation of visibility“ im 19. Jahrhundert eingeordnet werden muss. Vgl. Martin KOHLRAUSCH, Der Monarch im Skandal. Die Logik der Massenmedien und die Transformation der wilhelminischen Monarchie, Berlin 2005, S. 451. Vgl. zu diesem Thema auch insgesamt die Hinweise in: Michael A. OBST, „Einer nur ist Herr im Reiche“. Kaiser Wilhelm II. als politischer Redner, Paderborn u. a. 2010, S. 420 f. Grundlegend für diese Prozesse und die bürgerliche „Professionalisierung“ des Monarchen im 19. Jahrhundert noch immer: Monika WIENFORT, Monarchie in der bürgerlichen Gesellschaft. Deutschland und England von 1640 bis 1848, Göttingen 1993. Zur Skandalisierung vgl. KOHLRAUSCH, Monarch im Skandal (wie Anm. 7).
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Familienvaters miteinander zu versöhnen.9 Dynastische Geschichtspolitik im 19. Jahrhundert war also „traditionell“ und zeitorientiert zugleich: Überlieferte Muster dynastischer Repräsentation und Memoria auf der einen und die Bedürfnisse der Monarchielegitimation unter den Bedingungen des bürgerlichen Zeitalters auf der anderen Seite waren keine Gegensätze, sondern griffen ineinander. Im Folgenden soll diese hochpolitische Synthese, die den spezifischen Charakter auch der dynastischen Geschichtspolitik der Ernestiner im 19. Jahrhundert ausmachte, an den Beispielen des Zusammenspiels von monarchischer Prestige- und Dignitätssicherung mit bürgerlicher Monarchen-Geschichte sowie der historisierenden ernestinischen Schlossarchitektur verfolgt werden.
2. Dynastische Dignität und bürgerliche Geschichtskultur Das Grundproblem der historisch fundierten Dignitätspolitik der Ernestiner im 19. Jahrhundert war die Tatsache, dass der Anspruch des Hauses, zu den ersten und geschichtsmächtigen Dynastien des Reiches zu gehören, seit dem Verlust der Kurwürde und den nachfolgenden Landesteilungen durch einen massiven Macht- und Prestigeverlust konterkariert worden war. Die Chiffre „1547“, die für die Niederlage im Schmalkaldischen Krieg und die nachfolgende Übertragung der Kurwürde an den albertinischen Zweig der Wettiner stand, war in der ernestinischen Geschichtspolitik des 19. Jahrhunderts allgegenwärtig – das Geschehen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts war für die Dynastie auch drei Jahrhunderte später noch immer „Zeitgeschichte“. Wer die Bemühungen Carl Augusts von Sachsen-Weimar um die Sicherung einer eventuellen Thronfolge im Kurfürstentum Sachsen am Ende des 18. Jahrhunderts verfolgt,10 die Versuche einer ungarischen Adelspartei in den selben Jahren betrachtet, dem Weimarer Herzog die ungarische Krone anzutragen,11 oder vor allem die Gutachten und Briefe liest, die Carl August und sein Bevollmächtigter beim Wiener Kongress, Ernst August von Gersdorff, zwischen 1813 und 1815 zu dem Plan verfassten, die sächsische Krone für die Ernestiner zu gewinnen, bzw. – als das sich als völlig unrealistisch erwies – zumindest die Rangerhöhung zum Großherzog zu erreichen, dem tritt die Fortdauer dieses dynastischen „Traumas“ deutlich ent9 10 11
Vgl. für ein charakteristisches Beispiel dieser „Verzahnung“ von älterem Zeremoniell und neuer „bürgerlicher Öffentlichkeit“: Matthias SCHWENGELBECK, Die Politik des Zeremoniells. Huldigungsfeiern im langen 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M./New York 2007. Vgl. Fritz TRÖBS, Die weimarische Erbfolgepolitik in der Zeit Karl Augusts, in Zeitschrift des Vereins für thüringische Geschichte und Altertumskunde 37 (1931), S. 356–415, hier besonders S. 363–369. Vgl. zuletzt Joachim VON PUTTKAMER, Weimar und die Stephanskrone. Ungarische Hintergründe einer diplomatischen Episode, in: Lothar EHRLICH/Georg SCHMIDT (Hg.), Ereignis Weimar – Jena. Gesellschaft und Kultur um 1800 im internationalen Kontext, Köln/Weimar/Wien 2008, S. 263–277.
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gegen.12 Es bleibe, so schrieb Gersdorff noch im Januar 1815 im unmittelbaren Vorfeld der Rangerhöhung, das Bestreben der Weimarer Politik, die nachgeordnete Position, die das ältere wettinische Haus der Ernestiner seit 1547 „gegen die Ordnung der Natur“ hinter den Albertinern habe einnehmen müssen, zu revidieren.13 Sorgsam achteten die ernestinischen Häuser daher darauf, als ehemals kurfürstliches Haus nicht mit den Schwarzburgern und Reußen auf eine Stufe gestellt zu werden, die erst seit dem Ende des 17. und im Verlauf des 18. bzw. des frühen 19. Jahrhunderts in allen Linien Reichsfürstenwürden erlangt hatten. Diese dynastische Distinktion manifestierte sich nicht zuletzt in der Annahme des Prädikats „Hoheit“ durch alle sächsischen Herzöge. Durch den Verzicht auf das bisher auch für die Herzöge gebräuchliche „Durchlaucht“ sollte die Trennlinie zu den gefürsteten Häusern, denen seit 1712 ebenfalls regelmäßig das Prädikat „Durchlaucht“ zustand, schärfer gezogen werden. Damit setzte sich das Bestreben vieler Reichsfürsten, gegenüber den im 18. Jahrhundert häufigen Fürstungen reichsgräflicher Häuser eine Abgrenzung „nach unten“ zu erreichen, auch nach dem Ende des Alten Reiches fort.14 Die Initiative dazu ging 1844 bezeichnenderweise von Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha aus, der sich im Vormärz zwar als Protagonist und Unterstützer liberaler Ideen profilierte, in Fragen monarchischer Ansprüche und Würden aber von dynastischem Bewusstsein durchdrungen war.15 In seiner bekannten, mit Unterstützung des Jenaer Historikers Ottokar Lorenz verfassten Autobiographie „Aus meinem Leben und aus meiner Zeit“ klagte der Coburger im Rückblick, das von den ernestinischen Herzögen geführte Prädikat „Durchlaucht“, habe die regierenden ernestinischen Herzöge als „deutsche Bundesfürsten aus einem der ältes12
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Vgl. Hans TÜMMLER (Hg.), Politischer Briefwechsel des Herzogs und Großherzogs Carl August von Weimar, Bd. 3: Von der Rheinbundzeit bis zum Ende der Regierung 1808– 1828, Göttingen 1973, S. 210–215, 225–227, 232–235, 242–247, 253–261, 276 f., 282 f., 293–295, 298–301, 310–315, 322–327. Vgl. Paul BRAUN, Weimars Erhebung zum Großherzogtum im Jahr 1815, in: ThüringischSächsische Zeitschrift für Geschichte und Kunst 5 (1915), S. 168–196, hier S. 171. Vgl. dazu am Beispiel Thüringens Vinzenz CZECH, Legitimation und Repräsentation. Zum Selbstverständnis thüringisch-sächsischer Reichsgrafen in der Frühen Neuzeit, Berlin 2003, besonders S. 293–306. Zum Vorgang vgl. auch Stefan GERBER, Reichspatriotismus, Dynastie und Konstitution – die thüringischen Staaten und das Alte Reich im langen 19. Jahrhundert, in: Matthias ASCHE/Thomas NICKLAS/Matthias STICKLER (Hg.), „Was vom Alten Reiche blieb…“. Deutungen, Institutionen und Bilder des frühneuzeitlichen Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, München 2011, S. 261–288, hier S. 274–276. Zu Ernst II. vgl. v. a. Elisabeth SCHEEBEN, Ernst II., Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha. Studien zu Biographie und Weltbild eines liberalen deutschen Bundesfürsten in der Reichsgründungszeit, Frankfurt a. M. u. a. 1987; Harald BACHMANN/Walter KORN/Helmut KLAUS (Hg.), Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha 1818–1893 und seine Zeit. Jubiläumsschrift im Auftrag der Städte Coburg und Gotha, Augsburg 1993.
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ten deutschen Häuser“16 gerade im Verkehr mit ausländischen Höfen auf der „Stufe des Ranges“ erscheinen lassen, „welcher auch den Mediatisirten nicht bestritten werden konnte.“17 Mit den Häuptern der übrigen Linien des Gothaischen Zweiges der Ernestiner, Herzog Joseph von Sachsen-Altenburg und Herzog Bernhard II. Erich Freund von Sachsen-Meiningen, traf Ernst deshalb im April 1844 „wegen der geschehenen Ausdehnung des Prädikats ‚Durchlaucht’ und wegen der hieraus erwachsenen Beeinträchtigung der den Herzogen von Sachsen zustehenden Ehrenrechte“ eine hausrechtliche Vereinbarung über die künftige Führung des Prädikats „Hoheit“ durch Herzöge, Erbprinzen und die übrigen Nachkommen regierender Herzoge in erster Generation.18 Die hausrechtliche Veränderung des Prädikats erregte zwar, weil sie weder mit den Vormächten des Bundes Preußen und Österreich abgestimmt, noch am Frankfurter Bundestag angekündigt worden war, beträchtlichen Unmut, konnte sich aber – nicht zuletzt wegen der schnellen Anerkennung durch die verwandtschaftlich eng verbundenen Höfe in London und Brüssel – binnen kurzem durchsetzen.19 Auch die bis 1918 beibehaltene Titulatur der sächsischen Herzöge bzw. Großherzöge dokumentierte die geschichtspolitische Grundrichtung ernestinischer Dignitätspolitik im 19. Jahrhundert, nach der man sich, trotz fragmentierter Territorien bzw. Kleinstaaten, weiterhin als ebenbürtig zu den ersten Dynastien des Reichs betrachten konnte. Neben „Herzog zu Sachsen“, verwiesen in der Titulatur aller Linien der Ernestiner vor allem „Landgraf in Thüringen“ und „Markgraf zu Meißen“ auf diesen aus der Zugehörigkeit zum wettinischen Gesamthaus resultierenden Anspruch.20 Dieser diente nicht nur der Abgrenzung gegen die zu den Wettinern tatsächlich oder vermeintlich in Lehensverhältnissen stehenden Schwarzburger und Reußen, sondern auch der Positionswahrung gegenüber dem albertinischen Zweig der Wettiner, der 1806 die Königswürde erlangt hatte. Der Vorgang verweist aber auch darauf, dass ernestinische Dignitätspolitik als Teil der Geschichtspolitik nicht nur der Prestigesicherung und Stabilisierung 16 17 18 19 20
So Ernst II. an seinen Onkel, den belgischen König Leopold I. So zit. in: Ernst II. Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha, Aus meinem Leben und aus meiner Zeit. Erster Bd., Berlin 21887, S. 115. Ebd., S. 116. Die Vereinbarung, die von Ernst am 10. April, vom Meininger Herzog am 2. April und vom Altenburger Herzog am 15. April 1844 unterzeichnet wurde ist abgedruckt ebd., S. 117 f. Ebd., S. 118 f. Vgl. zu den letztgültigen Titulaturen: Staatshandbuch für das Großherzogtum Sachsen 1913, Weimar 1913, S. 1, Hof- und Staatshandbuch für die Herzogthümer Sachsen-Coburg und Gotha 1897, Gotha [1897], S. 9; Hof- und Staats-Handbuch für das Herzogtum S.Meiningen 1916, Meiningen [1916], S. 1; Staats-Handbuch des Herzogtums SachsenAltenburg 1914, Altenburg [1914], S. 1.
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der kleinstaatlichen Monarchie nach außen diente, sondern (ähnlich wie die hier nicht zu erörternde Heiratspolitik, in der Sachsen-Coburg im 19. Jahrhundert so erfolgreich sein sollte21) auch Instrument innerdynastischer Positionsbestimmung war. Dem tatsächlichen und vermeintlichen Bestreben der Weimarer Geschichtspolitik, sich als eigentlichen „Verwalter“ der kurfürstlichen Tradition und damit auch als Erbe des gesamtthüringischen Anspruches der Dynastie darzustellen, begegneten die Häuser des Gothaischen Zweiges der Ernestiner mit einer Betonung ihrer besonderen historischen Würde. Das wird am Umgang mit zwei zentralen monarchischen Symbolfiguren der ernestinischen und sächsischthüringischen Geschichte besonders deutlich. Weimar gelang es, Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen, der nach der Niederlage gegen Karl V. schon im konfessionellen Zeitalter als „evangelischer Märtyrer“ gefeiert worden war, vielfältig zu vereinnahmen:22 Er blieb zunächst Symbolfigur einer engen, fortdauernden Beziehung zwischen den Weimarer Ernestinern, der Reformation und der lutherischen Konfession. So wies der Wahlaufruf für das Komitee zur Errichtung eines Denkmals des Kurfürsten auf dem Marktplatz der Universitätsstadt Jena, das schließlich 1858 eingeweiht werden sollte, im Juli 1852 darauf hin, dass Entstehung und Weiterentwicklung der deutschen evangelischen Kirche mit diesem ersten „Zeugen und Schirmer“, diesem „Märtyrer“ „für evangelischen Glauben und evangelische Freiheit“ untrennbar verknüpft seien: „Sein Denkmal steht in Millionen protestantischer Herzen“. Gerade in der „gegenwärtigen Zeit“, so der Aufruf mit allgemeinem aber deutlichen Hinweis auf aktuelle konfessionelle aber auch politische Konfliktsituationen, müsse der Gedanke eines Monuments für den Kurfürsten nahe liegen, als ein sichtbares Zeichen des Dankes und der Verehrung, als eine Mahnung zu halten, was wir haben und uns die Krone nicht nehmen zu lassen, für welche er Gut und Blut und Fürstenhut eingesetzt hat.23
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Vgl. zum Überblick neben zahlreichen Publikationen zu diesem Thema und den Beiträgen in diesem Band, sowie zur Einordnung in den gesamtwettinischen Hausrahmen: AnneSimone KNÖFEL, Dynastie und Prestige. Die Heiratspolitik der Wettiner, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 267–412. Vgl. zum Johann Friedrich-Kult im 19. Jahrhundert insgesamt: Stefan GERBER, Ahne, Volksfreund und Nationalheld. Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen im „langen“ 19. Jahrhundert, in: Volker LEPPIN/Georg SCHMIDT/Sabine WEFERS (Hg.), Johann Friedrich I. – der lutherische Kurfürst, Gütersloh 2006, S. 381–413. Thüringische Universitäts- und Landesbibliothek Jena, Abt. Handschriften und Sondersammlungen, Act. Soc. Thur. 19 (unpaginiert): Einladung zur Wahl eines Ausschusses für das Johann-Friedrich-Denkmal, Jena, 29. Juli 1852. Das Protokoll der Wahl des Komitees am 9. August 1852 findet sich in: Universitätsarchiv Jena, BA 1526, Bl. 1r.
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Ausdrücklich parallelisierend verwies der Aufruf zu Spenden für das Jenaer Denkmal an das „protestantische Deutschland“ auf das 1821 errichte LutherDenkmal Friedrich Drakes in Wittenberg.24 Drake schuf dann auch das Johann Friedrich-Standbild für Jena.25 Zudem wurde Johann Friedrich, um dessen Grab in der Weimarer Stadtkirche sich im 19. Jahrhundert ein dynastischer Kult entfaltete, als Repräsentant des zwar beschnittenen, aber noch ungeteilten ernestinischen Territorialbestandes zur Symbolfigur des weimarischen Ziels, sich als Führungs- und Einigungsmacht im ernestinischen Thüringen zu profilieren. Damit verbunden war die Möglichkeit, sich – ohne die Aufkündigung der dynastischen Solidarität, aber doch in deutlicher, bisweilen polemischer Strukturierung dynastischer Eigengeschichte – gegen den albertinischen Zweig des Hauses Wettin zu positionieren: Immer wieder wurde in der Erinnerungsliteratur des 19. Jahrhunderts auf thüringisch-ernestinischer Seite der „Standhaftigkeit“ Johann Friedrichs der „Verrat“ des mit dem Kaiser verbündeten albertinischen Herzog Moritz von Sachsen gegenübergestellt. Die schon zeitgenössische Polemik der lutherisch-ernestinischen Geschichtspolitik gegen den „Judas von Meißen“ setzte sich so im 19. Jahrhundert fort, zumal die Argumentation nun – deutlich im Zeichen der Verschärfung konfessioneller Auseinandersetzungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – auch ins Feld führen konnte, dass die Albertiner Ende des 17. Jahrhunderts, um die polnische Königskrone erwerben zu können, zur katholischen Konfession zurückgekehrt waren.26 Und schließlich bot die Rolle des Kurfürsten als „Landesvater“ ein breites Potenzial der apologetischen Vermittlung zwischen Monarchie und bürgerlicher Öffentlichkeit, indem Johann Friedrich zum Träger bürgerlicher Tugenden und zum Sinnbild einer zugleich volkstümlichen und konstitutionellen Monarchie stilisiert wurde, wie sie der gemäßigte Liberalismus favorisierte. Das Jenaer Johann-Friedrich-Denkmal von 1858 unterschied sich mit dieser Konvergenz zwischen bürgerlicher Initiative und monarchisch-dynastischer Geschichtspolitik sowie der expliziten Herausstellung einer geschichtspolitischen Übereinkunft zwischen kleinstaatlicher Monarchie und bürgerlicher Öffentlichkeit nicht nur deutlich von den weiterhin auch im ernestinischen Thüringen errichteten traditionellen dynastischen Denkmälern, wie dem 1875 vor dem Weimarer
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Vgl. ebd. Vgl. Birgitt HELLMANN, Die Errichtung des Denkmals für „Johann Friedrich den Großmütigen“ in Jena, in: Joachim BAUER/Birgitt HELLMANN (Hg.), Verlust und Gewinn. Johann Friedrich I., Kurfürst von Sachsen, Weimar 2003, S. 107–117. Zu dieser ernestinschen „Anti-Moritz“-Polemik im 19. Jahrhundert vgl. GERBER, Ahne, Volksfreund und Nationalheld (wie Anm. 22), S. 394–397.
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Ständehaus eingeweihten Reiterstandbild Großherzog Carl Augusts,27 sondern auch von Monarchen-Denkmälern, die – wie das 1853 errichtete Denkmal für Landgraf Philipp von Hessen in Darmstadt – ebenfalls das reformatorische Erbe der Dynastie beschworen.28 Es war bezeichnend, dass nur Herzog Joseph von Sachsen-Altenburg sich dieser Synthese verweigerte und die Denkmalserrichtung kritisierte: Er verfolgte, anders als seine „Vettern“ in Weimar, Gotha und Meiningen, ein im Zeithorizont wenig aussichtsreiches hochkonservatives „monarchisches Projekt“, das nicht auf Vereinbarung mit der bürgerlichen Kultur- und Politikkonzeption, sondern auf die Herausstellung sakral legitimierter monarchisch-dynastischer Exklusivität ausgerichtet war.29 Geschichtspolitisch-architektonischer Ausdruck dieser Monarchiekonzeption war Josephs Restaurierung des Jagschlosses „Fröhliche Wiederkunft“ als Johann-Friedrich-Gedenkort.30 (Zu dieser Restaurierung vgl. ausführlicher Abschnitt 3 dieses Beitrages). Die herzoglichen Häuser, besonders Gotha, versuchten mit der Figur Ernst des Frommen ein nahezu deckungsgleiches, aber stärker mit ihrer Eigengeschichte verbundenes geschichtspolitisches Programm zu verwirklichen: Noch deutlicher als bei Johann Friedrich I. ließen sich Ernsts Frömmigkeit und Kirchenpolitik, seine Landesausbau-Maßnahmen in Wirtschaft und Bildungswesen sowie seine Inszenierung als sorgender Landes- und Familienvater in einen (bildungs-)bürgerlichen Werthorizont transformieren und damit zugleich das aktuelle Ideal einer „bürgerlichen“ Monarchie beschwören. Ähnlich wie Johann Friedrich, dessen reformatorisches „Märtyrertum“ ihm im nationalliberalen Geschichtsbild des 19. Jahrhunderts gesamtnationale Bedeutung zuwies, konnte zudem auch Ernst der Fromme über den regionalen Rahmen hinausgehoben und so Instrument einer weiteren Synthese von dynastischer Dignitätspolitik und bürgerlicher Geschichtsaneignung im 19. Jahrhundert werden: Die gothaischen Ernestiner unterstrichen mit ihm innerdynastisch wie nach außen ihre 27 28
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Vgl. Gitta GÜNTHER/Wolfram HUSCHKE/Walter STEINER (Hg.), Weimar. Lexikon zur Stadtgeschichte. Weimar 1998, S. 73 f. Die Grundsteinlegung des Denkmals erfolgte schon im September 1857. Vgl. dazu Wilhelm BUCHNER, Deutsche Ehrenhalle. Die grossen Männer des deutschen Volkes in ihren Denkmalen. Mit lebensgeschichtlichen Abrissen, Darmstadt 1862, S. 776. Vergleiche zum Kasseler Philipp-Denkmal zieht Stefan SCHWEIZER, Geschichtsdeutung und Geschichtsbilder. Visuelle erinnerungs- und Geschichtskultur in Kassel 1866–1914, Göttingen 2004, S. 176–189. Zu Josephs Herrschaftsauffassung und Geschichtspolitik, für die bislang eine Untersuchung fehlt, entsteht gegenwärtig an der Forschungsstelle für Neuere Regionalgeschichte Thüringens der Friedrich-Schiller-Universität Jena eine Dissertation unter dem Arbeitstitel: „Die dynastische Geschichtspolitik des Herzogs Joseph von Sachsen-Altenburg“. Vgl. dazu Stefan GERBER, Landesherr, Reichsfürst und Märtyrer. Zur Rezeption des Kurfürsten Johann Friedrich I. von Sachsen im 19. Jahrhundert, in: BAUER/HELLMANN (Hg.), Verlust und Gewinn (wie Anm. 25), S. 61–83.
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Rolle in der Nationalgeschichte, während das national-liberale Bürgertum der thüringischen Kleinstaaten seinen Wunsch, regionale Geschichtsaneignung als aktuelle Nationalpolitik zu betreiben, auf die Figur Ernsts projizieren konnte. Als 1904 das ebenfalls auf bürgerschaftliche Initiative geschaffene Denkmal Ernst des Frommen vor der Stadtseite des Gothaer Residenzschlosses enthüllt wurde, resümierte der Gothaer Gymnasiallehrer, Bibliothekar und Vorsitzende des Geschichts- und Altertumsvereins Rudolf Ehwald folgerichtig und mit bezeichnendem Bezug auf die preußischen Reformen nach 1806, durch seine Tätigkeit für ideale Aufgaben, auf religiösem, geistigem, sittlichem Gebiet, d. h. für die Güter, die zwar keine Schätzung zulassen, aber doch neben unserer nationalen Ehre unser bester Besitz sind,
erhalte Ernsts „Persönlichkeit historische und nationale Bedeutung.“ Nur diese nationale Relevanz – auch das schwang als unüberhörbare Botschaft mit – könne ein liberal-nationales Bürgertum heute mit der kleinstaatlichen Existenz versöhnen: Ernst habe „für alle Zeiten die Wege und Ziele gezeigt, durch die der Fürst auch des kleinen Landes seine uneingeschränkte Geltung behält“ und habe „vorgearbeitet für die Wiedererhebung aus tiefster Erniedrigung, wie die preußischen Staatsmänner durch Gründung der Berliner Universität zur Befreiung vom fremden Joch.“31 Innerdynastisch versuchten die gothaischen Ernestiner sich Ernst des Frommen demonstrativ zu versichern und zugleich ein Angebot an die liberale Nationalbewegung zu formulieren, als sie als Antwort auf die Erneuerung des weimarischen „Hausordens der Wachsamkeit oder vom weißen Falken“ 1833 den „Herzoglich Sachsen-Ernestinischen Hausorden“ ins Leben riefen. Die Inszenierung der Ordensstiftung als Erneuerung des von Ernst dem Frommen 1689/90 begründeten „Ordens der deutschen Redlichkeit“ war eine geschichtspolitisch aufschlussreiche Fiktion: Die drei Herzöge agierten bei der Schaffung des Ordens, den sie der Erinnerung an die 1825 erloschene Linie SachsenGotha-Altenburg widmeten, ausdrücklich als „Regenten der von Unserem Urahnherrn, Herzog Ernst dem Frommen zu Sachsen Gotha, Uns angestammten Lande“.32 Das Großkreuz des Ordens trägt das Bildnis Ernst des Frommen; das Ordensmotto „Fideliter et constanter“ rekurriert auf Ernsts Redlichkeits-Orden. Nicht nur in dieser ausgeprägten dynastischen Memoria, sondern auch im Zweck des Ordens konkurrierte man mit den Weimarer Ernestinern: Weimar
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Rudolf EHWALD, Rede gehalten bei der Enthüllung des Denkmals Herzog Ernst des Frommen zu Gotha am 4. September 1904, in: Mitteilungen des Vereins für Gothaische Geschichte und Altertumsforschung 1928, S. 56–61, hier S. 58. Statuten des erneuerten Herzoglich Sächsischen Haus-Ordens, o. O. 1833, S. 3.
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setzte das Ordensfest symbolträchtig auf den 18. Oktober, den Jahrestag der Völkerschlacht von 1813, fest und mahnte die Träger des Ordens zu „Treue und Ergebenheit gegen das gemeinsame Teutsche Vaterland und gegen die jedesmalige rechtmäßige höchste Nationalbehörde“.33 Von den bürgerlichen Trägern des ernestinischen Hausordens wurde nicht nur „besondere Treue und aufopfernde Ergebenheit und Anhänglichkeit an Fürst und Vaterland“, sondern auch die Tugend „deutscher Redlichkeit“ gefordert:34 Frühneuzeitliche Selbstzuschreibung des Deutschen, dynastische Erinnerung und die Selbstbilder der bürgerlichen Nationalbewegung überlagerten sich einmal mehr in einer für die ernestinische Geschichtspolitik des 19. Jahrhunderts charakteristischen Weise.35
3. Monarchische Repräsentation als Geschichtspolitik In keinem Bereich verschränkten sich die monarchische Repräsentation, der Appell der dynastischen Geschichtspolitik an die bürgerliche Öffentlichkeit und die Strukturierung dynastischer Eigengeschichte zur monarchischen Positionsbestimmung in den „Katarakten der deutschen Modernisierung“36 deutlicher als im Bereich der Schlossarchitektur. Thüringen bietet noch heute herausragende Beispiele dieser „Stein gewordenen“ Geschichtspolitik, die im 19. Jahrhundert nicht nur dynastisch-landesgeschichtliche, sondern auch nationalgeschichtliche Narrative präsentierte. Das wird besonders an den drei Beispielen deutlich, die im Folgenden näher betrachtet werden sollen: Schloss Reinhardsbrunn in Sachsen-Gotha, das Jagdschloss „Fröhliche Wiederkunft“ in Wolfersdorf in SachsenAltenburg und die Wartburg bei Eisenach in Sachsen-Weimar-Eisenach. Andere, für diese Facette der ernestinischen Geschichtspolitik zwischen privatem Wohnen, monarchischer Repräsentation und dynastischer Selbstvergewisserung kennzeichnende Beispiele, wie die von Herzog Georg II. von SachsenMeiningen in den 1870er Jahren neugestaltete Veste Heldburg, in der im Sep-
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Vgl. Henning KÄSTNER, Der Weimarer Falkenorden und die Inszenierung des frühkonstitutionellen Staates, in: Zeitschrift des Vereins für thüringische Geschichte und Altertumskunde 63 (2009), S. 213–233, S. 227. Statuten 1833 (wie Anm. 32), S. 3 f. Vgl. [Paul BURG], Der Orden der deutschen Redlichkeit, in: Thüringen im Weltkrieg. Vaterländisches Kriegsgedenkbuch in Wort und Bild für die thüringischen Staaten, hg. vom Kriegsarchiv der Universitätsbibliothek Jena, Bd. 1, Leipzig [1919], S. 505–509. Michael STÜRMER, 1918 und 1945: Früchte des Zorns, in: DERS., Dissonanzen des Fortschritts. Essays über Geschichte und Politik in Deutschland, München/Zürich 1986, S. 192–198, hier S. 195.
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tember 2016 das Deutsche Burgenmuseum eröffnet wird, können hier aus Platzgründen nur Erwähnung finden.37 Die Bauten von Herzog Ernst I. von Sachsen-Coburg-Saalfeld bzw. ab 1826 von Sachsen-Coburg und Gotha können unter den architektonischen Zeugnissen ernestinischer Geschichtspolitik in Thüringen zweifellos einen herausgehobenen Platz beanspruchen. Ernst I., dessen Haus Sachsen-Coburg 1826 – ähnlich wie Sachsen-Altenburg (das ehemalige Haus Sachsen-Hildburghausen) – eine Veränderung seines Territoriums dynastisch verarbeiten musste, war nicht nur seit seiner Jugend ein begeisterter Anhänger der historistischen Ritter- und Burgenromantik,38 sondern in der Folge auch einer der bedeutenden Rezipienten der Neugotik unter den fürstlichen deutschen Bauherren der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.39 Dabei war die, zuerst in England aufgekommene, Vorliebe für neugotische Bauten und Interieurs für den Coburger Herzog – wie auch für andere deutsche Monarchen, allen voran König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen – nicht nur ästhetisches Bekenntnis, sondern auch Ausdruck monarchisch-dynastischen Selbstverständnisses: 1835 ließ sich Ernst programmatisch in einer Phantasie-Ritterrüstung darstellen (Abb. 1), gehüllt in einen Hermelinmantel, der von einer Gemme in Form des sächsischen Rautenschildes zusammengehalten wird, den federgeschmückten Ritterhelm und die – dem Herzog nur heraldisch zustehende – Krone neben sich. Auf einem unter seiner linken Hand aufgerollten Pergament sind Namen von Residenzorten seines Hauses auszumachen, die zugleich die Orte seiner neugotische Bau- und Restaurierungsprojekte waren: Coburg mit der Veste und der Ehrenburg, Rosenau und Kallenberg (Callenberg), Reinhardsbrunn und Gotha.
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Vgl. dazu v. a. die Beiträge in: Burgen im Historismus. Die Veste Heldburg im Kontext des Historismus, Regensburg 2013, besonders Helmut-Eberhard PAULUS, Die Veste Heldburg im Kontext des Burgenbaus im Historismus. Der Weg vom Schloss zur neuen Burg – Die Wandlung zur stimmungsvollen Bühne romantisch-historistischer Selbstverwirklichung, ebd., S. 9–19; Heiko LASS, Die Veste Heldburg und die private Burgenrekonstruktion im 19. Jahrhundert, ebd., S. 125–134. Vgl. Erich KEERL, Herzog Ernst I. von Sachsen-Coburg zwischen Napoleon und Metternich. Ein deutscher Kleinstaat im politischen Kräftespiel der Grossmächte 1800–1830, Diss. Phil., Erlangen 1973; zu Ernsts Kindheit und Erziehung besonders: Christian KRUSE, Franz Friedrich Anton von Sachsen-Coburg-Saalfeld, Coburg 1995, S. 195–235. Vgl. Clive WAINWRIGHT, Zu den Wechselbeziehungen in der Neugotik Englands und Deutschlands im frühen 19. Jahrhundert, in: Michael HENKER/Evamaria BROCKHOFF (Hg.), Ein Herzogtum und viele Kronen. Coburg in Bayern und Europa. Aufsätze zur Landesausstellung 1997 des Hauses der Bayerischen Geschichte und der Kunstsammlungen der Veste Coburg in Zusammenarbeit mit der Stiftung der Herzog von SachsenCoburg und Gotha’schen Familie und der Stadt Coburg, Regensburg 1997, S. 99–107.
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Abb. 1: Herzog Ernst I. von Sachsen-Coburg-Saalfeld 1835
Die Veste Coburg ließ Ernst ab 1838 zu einer neugotischen Burganlage umgestalten, die erst vom letzten coburg-gothaischen Herzog Carl Eduard wieder zurückgebaut und dem Zustand vor der historistischen „Restaurierung“ angenähert wurde. 1853 bot Ernsts Sohn und Nachfolger Ernst II. die Veste, „Stammsitz“ der Coburger Linie der Ernestiner und inzwischen mit historistisch-gotisierenden Innenausstattungen versehen, dem 1852 gegründeten „Germanischen Nationalmuseum“ an:40 Die dynastische Erinnerung konnte
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Vgl. Stefanie SCHWARZ, Restaurierung der Veste Coburg in neugotischem Stil (1838–1864). Zur architektonischen Repräsentation der Herzöge Ernst I. und II. von Sachsen-Coburg und Gotha, in: Jahrbuch der Coburger Landesstiftung 49 (2004), S. 1–288; Michael EISSENHAUER, Die Kunstsammlungen der Veste Coburg. Thesen zu ihrer Entstehung und
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und sollte in der Perspektive des Herzogshauses mit der nationalen zusammenfließen – eine Perspektive, die der Weimarer „Vetter“ Ernst II., Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach bezeichnenderweise teilte, denn auch er versuchte, ebenso erfolglos wie der Coburger Herzog, die Wartburg oder das Eisenacher Predigerkloster zum Standort des Germanischen Nationalmuseums zu machen. Auch die Neugestaltung der Außenfassaden der Coburger Stadtresidenz Schloss Ehrenburg, für die Ernst I. den Architekten Karl Friedrich Schinkel engagierte,41 die Restaurierung des Schlosses Callenberg ab 183142 und der Umbau von Schloss Rosenau bei Coburg, dass Ernst schon als Erbprinz fasziniert hatte, standen ganz im Zeichen der Neugotik und eines imaginierten Mittelalters: Vor dem fertiggestellten Rosenau veranstaltete der Herzog 1817 anlässlich seiner Vermählung mit Prinzessin Luise von SachsenGotha-Altenburg ein „Ritterturnier“, bei dem der Hof in „altdeutscher Tracht“ erschien.43 Das geschichtspolitisch aussagekräftigste „Projekt“ Ernst I. war sicher der Umbau von Schloss Reinhardsbrunn in Sachsen-Gotha, der 1827 begann und bis 1836/37 in wesentlichen Teilen abgeschlossen war.44 Reinhardsbrunn war ein emblematischer Ort für die thüringische Geschichte und das dynastische Bewusstsein der Ernestiner: Hier war am Ende des 11. Jahrhunderts nach der Gründung Ludwig des Springers ein Benediktinerkloster entstanden, das sich zum Hauskloster und zur Grablege der ludowingischen Landgrafen in Thüringen entwickelt hatte.45 Es war in der Reformation untergegangen und 1525 im Bauernkrieg vollständig zerstört worden. Die kleineren Bauten, die unter der Ägide der verschiedenen ernestinischen Landesherren zwischen dem 16. und
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Entwicklung bis zur Gründung der Coburger Landesstiftung im Jahre 1919, in: HENKER/BROCKHOFF, Ein Herzogtum und viele Kronen (wie Anm. 39), S. 161–170. Vgl. Annette FABER, Der neugotische Umbau von Schloss Ehrenburg nach den Plänen Karl Friedrich Schinkels von 1810–1840, in: Jahrbuch der Coburger Landesstiftung 30 (1985), S. 281–394. Vgl. Astrid ARNOLD, Schloß Callenberg. Ein Beitrag zum frühen neugotischen Schloßbau im Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha, in: Jahrbuch der Coburger Landesstiftung 47 (2002), S. 67–157; Clodt Dankward VON PEZOLD, Schloß Callenberg. Fünf Epochen einer 875jährigen Baugeschichte, in: HENKER/BROCKHOFF, Ein Herzogtum und viele Kronen (wie Anm. 39), S. 16–24. Vgl. Sabine HEYM, Feenreich und Ritterwelt. Die Rosenau als Ort romantisch-literarischen Welterlebens, in: Bayerische Schlösser – Bewahren und Erforschen. Gerhard Hojer zum 60. Geburtstag, hg. v. der Bayerischen Verwaltung der Staatlichen Schlösser, Gärten und Seen, München 1996, S. 239–268; DIES., Schloß Rosenau – ein romantischer Traum, in: HENKER/BROCKHOFF, Ein Herzogtum und viele Kronen (wie Anm. 39), S. 116–123. Zur Baugeschichte vgl. detailliert: Friederike KRUSE, Schloß Reinhardsbrunn bei Gotha, Rudolstadt/Jena 2003. Zur Reinhardsbrunner und ludowingischen dynastischen Traditionsbildung vgl. Stefan TEBRUCK, Reinhardsbrunner Geschichtsschreibung im Hochmittelalter. Klösterliche Traditionsbildung zwischen Fürstenhof, Kirche und Reich, Frankfurt a. M. u. a. 2001.
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dem 18. Jahrhundert in Reinhardsbrunn entstanden, waren wenig repräsentativ und an den praktischen Erfordernissen der Nutzung als Amtsgebäude und Witwensitz ausgerichtet.46 Die zentrale Botschaft der neugotischen Restaurierung des Schlosses, die Ernst I. ins Werk setzte, ging über Romantizismus, Mittelalterschwärmerei und das Streben nach der Schaffung einer ländlichenglischen Residenzidylle deutlich hinaus: Hier Präsenz zu zeigen hieß, den dynastischen Anspruch herausstellen, Nachfolger der ludowingischen Landgrafen und damit Träger eines gesamtthüringischen, ja mitteldeutschen Herrschaftsanspruches zu sein, der sowohl über die Rolle des sachsen-coburgischen Spezialhauses der Ernestiner, als auch über die Position weit hinausging, die das ernestinische Haus insgesamt seit dem Verlust der Kurwürde in der Mitte des 16. Jahrhunderts einnahm. Künstlerische Gestalt gewann dieser Anspruch in Reinhardsbrunn vor allem in zentralen Raum des Schlossbaus, dem „Ahnensaal“.47 Der repräsentative neugotische Raum ist im Übergang von den Wandflächen zur Decke mit einem Fries umgeben, dessen Spitzbogen-Felder der Herzog durch den Coburger Maler Heinrich Julius Schneider mit 32 Brustbildern ludowingischer Landgrafen und ernestinischer Herzöge versehen ließ: Beginnend mit Ludwig im Bart, dem Stammvater des ludowingischen Landgrafenhauses, über Heinrich den Erlauchten als ersten wettinischen Landgrafen und die sächsischen Herzöge und Kurfürsten vor und nach der Leipziger Teilung von 1485, endend mit Ernst dem Frommen, dem berühmtesten Repräsentanten des gothaischen Zweiges der Ernestiner zur Erbauungszeit des alten Reinhardsbrunner Schlosses im 17. Jahrhundert und mit Bernhard von Weimar, der zwar kein regierender Agnat, dafür aber als Feldherr des Dreißigjährigen Krieges die bekannteste Figur der Weimarer Linie im 17. Jahrhundert gewesen war. War mit dieser Ahnengalerie die Kontinuität zwischen Ludowingern und Ernestinern als „thüringische“ Dynastien hergestellt, musste es Ernst neben diesem territorial-landschaftlichen Erbe zentral auf die geschichtspolitische Inszenierung desjenigen Ereigniskomplexes ankommen, der in der Perspektive zumindest der protestantischen deutschen Nationalgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts die nationale, ja „welthistorische“ Bedeutung der Ernestiner begründete: die Reformation. Folglich ließ er durch den ebenfalls aus Coburg stammenden Historienmaler Gustav König sieben Ölbilder mit Szenen aus dem Leben der drei ernestinischen Reformations-Kurfürsten Friedrich des Weisen, Johann des Beständigen und Johann Friedrich des Großmütigen zur Ausstattung des Reinhardsbrunner Schlosses anfertigen.48 Neben der Gründung der Wittenberger Universität durch Friedrich den Weisen, Luther im Familienkreis 46 47 48
Vgl. KRUSE, Schloß Reinhardsbrunn (wie Anm. 44), S. 45–50. Vgl. dazu ebd., S. 135–145. Vgl. ebd., S. 145–148.
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Johann des Beständigen und der Schlacht bei Mühlberg 1547, in der Kurfürst Johann Friedrich den Truppen Kaiser Karls V. unterlegen war, wurde hier u. a. auch der Einzug des aus kaiserlicher Gefangenschaft befreiten Kurfürsten in Coburg 1552 dargestellt:49 Demonstration nicht nur der im 19. Jahrhundert entscheidenden geschichts- und konfessionspolitischen Botschaft von der unauflöslichen Verbindung zwischen den Ernestinern und der Reformation, sondern auch der unmittelbaren Beziehung des „evangelischen Märtyrers“ und Jenaer Universitätsgründers Johann Friedrich zur Coburger Linie. Einen weit authentischeren Ort zur Inszenierung des an die „Heimkehr“ des letzten ernestinischen Kurfürsten nach Thüringen geknüpften, dynastisch akzentuierten Reformationsgedenkens besaß – wie bereits kurz erwähnt – das Herzogshaus von Sachsen-Altenburg, das bei der Neuordnung der Ernestiner 1826 aus dem Sachsen-Meiningen zugeschlagenen Sachsen-Hildburghausen in das aus der Verbindung mit Gotha gelöste und verselbständigte Altenburger Territorium „versetzt“ worden war. Den Befehl zum Bau des Jagdschlosses im Westkreis des Herzogtums, das ein an derselben Stelle von Herzog Wilhelm III. von Sachsen errichtetes und 1547 von kaiserlichen Truppen zerstörtes „Jagdhaus“ ersetzen sollte, hatte Johann Friedrich selbst noch aus kaiserlicher Gefangenschaft gegeben. In den 1549/50 fertiggestellten Bau – daher der Name – war der ehemalige Kurfürst nach der Rückkehr aus der kaiserlichen Gefangenschaft 1552 erstmals auf ernestinischem Boden wieder mit seiner Familie zusammengetroffen und hatte hier fünf Tage mit Dankgottesdienst, Besuchen, Huldigungen und bei der Jagd verbracht. Während der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts noch relativ häufig als Jagdschloss genutzt und auch im Lauf des 17. Jahrhunderts gelegentlich besucht und instandgesetzt, war das Schloss während des 18. Jahrhunderts mehr und mehr verfallen.50 Zum dynastischen Denkmal und zum geschichtspolitischen Signal wurde der Bau erst, als sich Herzog Joseph von Sachsen-Altenburg, auf dessen konservativ-legitimistische, den politischen Entwicklungen seit der Revolution von 1848/49 ablehnend gegenüberstehende Überzeugungen bereits hingewiesen wurde, 1857 die Restaurierung des Ensembles zur Aufgabe machte. Joseph, 49 50
Vgl. ebd., S. 147. Zur Baugeschichte des Schlosses vgl. VON HOPFFGARTEN-HEIDLER, Die Erbauung des Jagdschlosses zur Fröhlichen Wiederkunft, in: Mitteilungen der Geschichts- und Altertumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes 5 (1862), S. 377–407; C[arl] A[ugust] H[ugo] BURKHARDT, Die Gefangenschaft Friedrichs des Grossmütigen und das Schloß zur „Fröhlichen Wiederkunft“. Meist nach archivalischen Quellen, Weimar 1863, besonders S. 17–69; P[aul] LEHFELDT, Bau- und Kunstdenkmäler Thüringens, Heft III: Herzogthum SachsenAltenburg. Amtsgerichtsbezirk Kahla, Jena 1888, S. 170–181, besonders S. 170 f.; Martin LIEBESKIND, „Zur Fröhlichen Wiederkunft“. Geschichte und Nutzung eines Jagdschlosses in Wolfersdorf. Magisterarbeit, Jena 2008. (Martin Liebeskind arbeitet an einer Dissertation zur Bau- und Nutzungsgeschichte des Schlosses).
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der im Herbst 1848 – angesichts der heftigen Revolutionsbewegung in Altenburg unter politischem Druck stehend und durch den Tod seiner Ehefrau demoralisiert – abgedankt hatte, ging es um eine monarchisch-dynastische Gegenkonzeption zur bürgerlichen Johann-Friedrich-Rezeption, die sich mit dem erwähnten Johann-Friedrich-Denkmal von 1858 in Jena, aber auch mit dem Gedenken an die Gründung der „Hohen Schule“ als Vorläufer der Jenaer Universität 1848 intensiviert hatte. Zugleich – und das macht das Besondere dieser geschichtspolitischen Inszenierung aus – war Joseph der Gedenkort „Fröhliche Wiederkunft“ auch ein ganz persönliches Anliegen: Die heroisierende Reformations-Memoria war nicht nur Ausdruck seiner konservativen lutherischen Frömmigkeit, der Herzog parallelisierte auch das „Leiden“ des zum konfessionellen „Märtyrer“ stilisierten Kurfürsten des 16. Jahrhunderts mit dem „Leiden“ seiner pessimistisch getönten politischen Zeitkritik an Liberalismus und Nationalbewegung im 19. Jahrhundert.51 Sowohl die Einweihungsfeier im „Fürstensaal“ des Schlosses am 25. September 1858, als auch die Festlegungen Josephs in Bezug auf das Schloss waren ganz von diesem Tenor bestimmt. Zugleich machte das Vermächtnis deutlich, welch herausgehobenen Platz die „Fröhliche Wiederkunft“ in seinem monarchisch-dynastischen Konzept einnahm. Der Herzog legte fest, dass nach seinem Tod eine Familienstiftung die Unterhaltung des Schlosses sichern sollte und regelte bis ins Detail die Gedächtnispflege in der „Fröhlichen Wiederkunft“ selbst. Es sei ihm, so Joseph im Juni 1858 in einem Testamentszusatz, ein „wahrhaftes Anliegen“, dass wenn die Stunde mir gekommen seyn wird, in der auch der Herr der Herren über meinen Hingang verfügt haben dürfte, an meinem irdischen Geburtstag alle Jahre, so lange Er es zulassen wird, daß es geschehen kann, in dem Fürstensaale zur Fröhlichen Wiederkunft eine Art Gedächtnißfeyer abgehalten werde!52
Schauplatz dieser Feiern war ein Schloss, dass zwischen 1858 und 1865 in der äußeren Baugestalt und der Innenausstattung in einem zwischen Neugotik und Neorenaissance changierenden Historienstil umgestaltet worden war. Die „Fröhliche Wiederkunft“ präsentierte sich als ein Musterbeispiel historisierender Innenarchitektur, das seine Effekte auf eine kennzeichnende Mischung echter, aus dem 16. und 17. Jahrhundert stammender Kunst- und Einrichtungsgegenstände mit modernen Nachbauten und Stilkombinationen gründete. Über dem Kamin im Fürstensaal prangte ein Bild Johann Friedrichs im kurfürstlichen Ornat, auf den Wandflächen zu Seiten des Gemäldes waren die Wahlsprüche des Kurfürsten „Meine Hoffnung steht auf Gott“ und „Gott hilft aus Not“ zu lesen. Diese Zentralikone des Schlossbaus wurde durch vier aus der Schule Lucas 51 52
Vgl. dazu GERBER, Ahne, Volksfreund und Nationalheld (wie Anm. 22), S. 382–390. Thüringisches Staatsarchiv Altenburg, Hausministerium, Loc. 21, Nr. 9, Bd. 1 (unpag.): Erklärung Herzog Josephs von Sachsen-Altenburg, 18. Juni 1858.
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Cranach d. J. stammende Tafeln ergänzt, die Szenen aus dem Leben Johann Friedrichs von seiner Heirat mit Sybille von Kleve bis zum Weimarer Begräbnis darstellten.53 Schließlich sei noch auf ein Beispiel verwiesen, das die Verknüpfung von Landes- und Dynastiegeschichte, dynastischer Selbstverortung und Selbstinszenierung mit der im 19. Jahrhundert auf das liberal-nationale Ziel des geeinten deutschen Nationalstaates hin neu konstruierten deutschen Nationalgeschichte besonders augenfällig macht.54 Die Wartburg oberhalb von Eisenach bildete noch mehr als Reinhardsbrunn einen authentisch-auratischen Ort der Erinnerung an die in der Perspektive der Mittelalterromantik des 19. Jahrhunderts „glanzvolle“ ludowingische Landgrafenzeit: Sie war im Hochmittelalter die Hauptresidenz der Landgrafen in Thüringen gewesen und so nicht nur ein politisch-territorialgeschichtlicher, sondern – durch das Leben der hl. Elisabeth von Thüringen (1207–1231), der Ehefrau Landgraf Ludwig IV. von Thüringen – ein zunächst auch katholisch konnotierter, religiöser Erinnerungsort.55 Diese religiöse Memoria erfuhr eine Erweiterung und Überformung durch den Aufenthalt Martin Luthers auf der Burg 1521/22, der hier, von Kurfürst Friedrich dem Weisen von Sachsen vor den Folgen der 1521 verhängten Reichsacht verborgen, Zuflucht fand und seine deutsche Übersetzung des Neuen Testaments schuf.56 Die letzte nationalgeschichtlich bedeutsame Prägung erfuhr der komplexe Erinnerungsort Wartburg 1817 durch das Wartburgfest, dass die studentischen Traditionen und Reformforderungen im Zeichen der burschenschaftlichen
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Vgl. zu diesen Gemälden mit weitergehenden Angaben zur Provenienz und Werkgeschichte und zur Literatur Michael ENTERLEIN/Franz NAGEL, Katalog der Darstellungen Johann Friedrichs des Großmütigen, in: BAUER/HELLMANN, Verlust und Gewinn (wie Anm. 25), S. 119–292, hier S. 124 f., 162–167. Auch LEHFELDT, Bau- und Kunstdenkmäler (wie Anm. 50), S. 178–181. Vgl. zusammenfassend Joachim BAUER/Jutta KRAUSS, „Wartburg-Mythos“ und Nation in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Hans-Werner HAHN/Werner GREILING (Hg.), Die Revolution von 1848 in Thüringen. Aktionsräume – Handlungsebenen – Wirkungen, Rudolstadt/Jena 1998, S. 513–533. Vgl. zusammenfassend zu den Elisabeth-Rezeptionen des 19. Jahrhunderts in übergreifender und in regionaler Perspektive: Stefan GERBER, „Die Heilige der Katholiken und der Protestanten“. Die Heilige Elisabeth in der konfessionellen Wahrnehmung des „langen“ 19. Jahrhunderts, in: Dieter BLUME/Matthias WERNER (Hg.), Elisabeth von Thüringen – eine europäische Heilige. Aufsätze, Petersberg 2007, S. 499–509; Marko KREUTZMANN, Die Heilige Elisabeth in der thüringischen Erinnerungskultur des 19. Jahrhunderts, in: ebd., S. 511–519. Vgl. jetzt z. B. Heinz SCHILLING, Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs. Eine Biographie, München 2012, S. 237–275.
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Bewegung verknüpfte und, vor dem Hintergrund des 300-jährigen Reformationsgedenkens, zu einem national-liberalen Bekenntnis verdichtete.57 All das hatte Erbgroßherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach vor Augen, als er sich 1841, 23-jährig, mit der „Wiederherstellung“ der Burganlage zu beschäftigen begann, die ungeachtet ihrer weitreichenden historischen Reminiszenzen am Ende des 18. Jahrhunderts eine Verfallsphase erlebt hatte.58 Carl Alexander, der zum monarchischen Exponenten von Weimars „Silbernem Zeitalter“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden sollte59, war, auch wenn die architektonischen Planungen zum Umbau der Burg noch Jahre in Anspruch nehmen sollten, schon zu Beginn die geschichtspolitische Ausrichtung des Projektes vollkommen klar. In einem ersten Exposé schrieb der Weimarer Erbgroßherzog, es sei seine „Idee […] nach und nach die Wartburg zu einer Art Museum für die Geschichte unseres Hauses, unseres Landes, ja von ganz Deutschland zu gestalten.“60 Am Ende seines Lebens nahm der Großherzog in der Rückschau auf die jahrzehntelangen Arbeiten an der von ihm auch als Residenz genutzten Wartburg diesen geschichtspolitischen Faden wieder auf und verknüpfte dynastische Selbstdefinition als Erbe der Ludowinger wie als Ernestiner, idealisiertes Mittelalter und Weimarer Klassik, Land und Nation in geradezu vermächtnishafter Weise: Der rastlosen Arbeit eines Menschenalters ist die Wiederherstellung der Wartburg unter Gottes gnädigem Beistande gelungen, und des vollendeten Werkes freut sich mit den Nachkommen der Landgrafen von Thüringen das ganze deutsche Volk, denn es erblickt in dieser Veste nicht nur einen altehrwürdigen Fürstensitz und ein hervorragendes Denkmal mittelalterlicher Baukunst, – es betrachtet sie vielmehr vor allem als eine Verkörperung großer erhebender Augenblicke der deutschen Geschichte. […] dem Hause Weimar aber ist in ihr, nicht minder als in den durch die Erinnerung an Deutschlands große Dichter geweihten Stätten, eine Erbschaft zuteil geworden, für die es dem Himmel nicht genug dankbar sein kann. Seinen Fürsten steht, wie jene, so auch die Wartburg vor Augen als eine unablässige ernste Mahnung an die idealen Aufgaben, deren Erfüllung das 57 58
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Vgl. zusammenfassend und mit dem Vergleich zu den Festen von 1848 und 1867: Joachim BAUER, Zur Geschichte einer Festlegende: 1817–1848–1867, in: HAHN/GREILING, Revolution von 1848 in Thüringen (wie Anm. 54), S. 535–561. Vgl. zum Folgenden zusammenfassend Grit JACOBS, Für „die gebildete Welt überhaupt und das deutsche Vaterland im Besonderen.“ Die Wiederherstellung der Wartburg unter Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach, in: Burgen im Historismus (wie Anm. 37), S. 45–55 sowie die Beiträge in Carl Alexander. „So wäre ich angekommen, wieder, wo ich ausging, an der Wartburg. Zum 100. Todestag des Großherzogs von Sachsen-WeimarEisenach, hg. v. der Wartburg-Stiftung Eisenach, Eisenach 2001. Vgl. dazu Angelika PÖTHE, Carl Alexander. Mäzen in Weimars „Silberner Zeit“, Köln/Weimar/Wien 1998; Lothar EHRLICH/Justus H. ULBRICHT (Hg.), Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach. Erbe, Mäzen und Politiker, Köln/Weimar/Wien 2004. So zit. in: JACOBS, Für „die gebildete Welt überhaupt und das deutsche Vaterland im Besonderen.“ (wie Anm. 58), S. 45.
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Vaterland und die ganze gebildete Welt von ihnen, den Trägern so großer Überlieferungen, erwarten.61
Gleich zu Beginn seiner Regentschaft 1853 hatte Carl Alexander in Zusammenarbeit mit Hugo von Ritgen, der „sein“ Wartburg-Architekt wurde, die „Wiederherstellung“ (die in bedeutenden Teilen ein Neubau war) mit der Grundsteinlegung des Bergfrieds eröffnet. Bis 1867 wurden dieser markante Turm und – vor allem als historistische Repräsentations- und Ausstellungsräume sowie Wohngebäude für die großherzogliche Familie – die „Neue Kemenate“, die Torhalle und die Dirnitz errichtet und in historistisch-dekorativer Neoromanik und -gotik ausgestaltet. Der Palas wurde mit Wandgemälden Moritz von Schwinds und Michael Welters ausgestaltet, welche die (auch für Katholiken anknüpfungsfähige) Erinnerung an die Elisabeth-Zeit und den „Sängerkrieg auf der Wartburg“ als kultur- und geschichtspolitische Zentralikone mit dem ludowingischen Ahnenkult der Ernestiner und der auch hier präsenten Erinnerung an die Weimarer Klassik verbanden. Die imaginierte mittelalterliche „Kulturblüte“ und die nationalkulturell aufgeladene „Goethezeit“ erschienen so auch als Ergebnisse eines monarchisch-dynastischen Mäzenatentums, das bruchlos von den ludowingischen Landgrafen auf das ernestinische Haus Weimar übergegangen war. Die Lutherstube als Kern der Reformationserinnerung, ergänzt durch drei „Reformationszimmer“, die mit teilweise großformatigen Szenen aus dem Leben des Reformators und seiner Beziehung zum Haus Sachsen ausgestattet wurden,62 rundeten dieses wohl bekannteste und in seinen dynastischen, landes- und nationalgeschichtlichen Sinn- und Deutungsbezügen wohl charakteristischste architektonische Beispiel ernestinischer Geschichtspolitik im 19. Jahrhundert ab.
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Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach, Erinnerungen an die Wiederherstellung der Wartburg, in: Carl Alexander (wie Anm. 58), S. 27–40, hier S. 40. (Zuerst veröffentlicht 1907). Vgl. JACOBS, Für „die gebildete Welt überhaupt und das deutsche Vaterland im Besonderen.“ (wie Anm. 58), S. 50 f.
MARTIN SALESCH HÖFISCHE GÄRTEN DER ERNESTINER
Höfische Gärten der Ernestiner Die Landgüterordnung „Capitulare de villis vel curtis imperii“, die Karl der Große um 800 n. Chr. erließ, gab genaue Anweisungen für die Bewirtschaftung der Königsgüter. Diese Güter bestanden nach altrömischem Vorbild aus Wohnund Wirtschaftsgebäuden, sowie Äckern, Wiesen, Wäldern und Gärten. Aus den Pflanzlisten geht hervor, dass die Gärten als Obst-, Gemüse- und Kräutergärten vor allem der Versorgung dienen sollten, denn der im Reich herumziehende Hofstaat war auf eine organisierte Versorgung angewiesen. Im Verlauf des Mittelalters lösten sich die starren gesellschaftlichen Verhältnisse mehr und mehr auf. Das Beharrungsstreben des Bauerntums und der Grundherrn als der eigentlichen Wirtschaftsträger; die Einheitlichkeit der weltlichen und geistlichen Führungsschicht, die im wesentlichen der alten Aristokratie entstammte; das unbedingte Vorherrschen der Naturalwirtschaft und der, allerdings nur vorrübergehende, Gleichklang der politischen Mächte. Von allen Seiten wurde diese Geschlossenheit abgebaut, wurden die Verhältnisse in Bewegung gebracht. […] Im hohen Mittelalter wird die wirtschaftliche Einheit und die gesellschaftliche Uniformität der vorangegangenen Abschnitte aufgelöst. Die neuen, aufstrebenden Stände, das Rittertum und das Bürgertum, sind in sich schon viel uneinheitlicher als die alten. […] Inmitten dieser Entwicklung entfaltet sich die zweite Periode mittelalterlichen Gartenlebens mit einer Intensität und Vielfältigkeit, die sie zum eigentlichen Schwerpunkt des ganzen ‚Gartenzeitalters‘ macht. In ihr treten die Nachrichten über die Gärten der höfisch-ritterlichen Gesellschaft ganz in den Vordergrund. Eine neue Gesellschaft stellt den Garten, nun den Lustgarten, in den Mittelpunkt ihres Lebens und Denkens und findet immer neue Beziehungen zu ihm und zu seinen Elementen.1 Die ritterliche Gesellschaft war durch die Kreuzzüge zu Ansehen und gewisser Weltbildung gelangt. Daraus entwickelte sich ein würdevoller, höfischer Lebensstil, der im Dienste an der Frau, dem Minnedienst, und in einer eigenen dichterischen Kunstform seinen Ausdruck fand. Gärten und Pflanzen bildeten dazu den Hintergrund und wurden zu Sinnbildern. Der Garten war ein Bereich gesteigerter Lebensfreude und ein bevorzugter Ort der Geselligkeit.2
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Dieter HENNEBO, Gärten des Mittelalters, München/Zürich 1987, S. 48. Herbert KELLER, Kleine Geschichte der Gartenkunst, Berlin 21994, S. 44.
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Höfische Renaissance-Gärten Die Geschichte der höfischen Gärten beginnt im 14. Jahrhundert mit der Herausbildung territorialer Herrschaftszentren. In einem langwierigen Prozess, der stark von wirtschaftlichen und kulturellen Strukturumbrüchen sowie territorialer und dynastischer Wechsel beeinflusst wurde, entwickelten sich einzelne Herrschaftsorte zu landesherrlichen Residenzen. Zentralisierte Landesverwaltung und ständig anwesende Hofgesellschaft gaben wesentliche Impulse für die soziale, rechtliche, wirtschaftliche und kulturelle Ausprägung dieser Orte. Im späteren Herrschaftsgebiet der Ernestiner gehört Eisenach zu diesen Orten. Die Wettiner übernahmen hier die Wartburg, die schon von den ludowingischen Landgrafen neben der Neuenburg bei Freyburg und der Burg Weißensee als häufigster Herrschaftssitz genutzt wurde. Die Verwaltungsaufgaben und höfische Repräsentanz bedingte allerdings eine Verlegung in die Stadt. Seit dem beginnenden 14. Jahrhundert nutzten die Landesherren den Landgrafenhof am Markt (auch Steinhof genannt). Es ist überliefert, dass Markgraf Friedrich I. der Freidige (der Gebissene) 1323 vom Fenster des Landgrafenhofes einem Mysterienspiel im westlich angrenzenden Tiergarten zuschaute. „Dieses Schauspiel beunruhigte ihn so sehr, dass er in geistige Umnachtung fiel und wenig später starb.“3 Tiergärten dienten nicht nur der Zucht von Tieren und der Abhaltung repräsentativer Hofjagden, sondern auch der Unterbringung von Tieren, die dem Landesherrn im Zuge lehnsrechtlicher oder diplomatischer Beziehungen geschenkt (oder auch als Buße für Straftaten gerichtlich konfisziert) worden waren. Tiergärten lagen zumeist direkt neben den Schlossbauten und waren mit lichtem Baumbestand versehen. Die Witwe Friedrich des Freidigen, Elisabeth von Lobdeburg-Arnshaugk, überlebte ihren Gatten um 30 Jahre, die sie auf Burg Grimmenstein in Gotha verbrachte. Hier übte sie auch die Vormundschaft für ihren Sohn Friedrich II. den Ernsthaften aus. Da Markgraf Friedrich II. seine Herrschaft auf das Osterland ausdehnen konnte hielt er sich bevorzugt in Altenburg auf. Deshalb stärkte er in der alten königlichen und kaiserlichen Pfalz den Residenzcharakter. Auch hier hat es einen Tiergarten gegeben, in dem Affen, Bären und Luchse gehalten wurden. Aus der Chronik des Johann Tauwitz wissen wir, dass Herzog Johannes nach einer inspirierenden Italienreise den Lustgarten zu Altenburg um 1593 verbessern und durch ein Lusthaus erweitern ließ.4 Der Bereich hinter dem Alt3 4
Brigitte STREICH, Die Anfänge der Residenzbildung in Thüringen, in: Konrad SCHEURMANN/Jördis FRANK (Hg.), Neu entdeckt, Thüringen – Land der Residenzen, Bd. 3: Essays, Mainz 2004, S. 27–42, hier S. 32. Karl Heinz GEHLAUF, Zur 400jährigen Kulturgeschichte des Altenburger Schloßgartens, in: Altenburgica. Beiträge des Schloß- und Spielkartenmuseums Altenburg, 2 (1993), H. 2, S. 6.
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enburger Schloss war durch einen tiefen (heute zum Teil aufgefüllten und bebauten) Geländeeinschnitt vom Schlossberg getrennt. Hinter dem Geländeeinschnitt befanden sich ein Baumgarten und der Lustgarten, der aus rechteckigen und quadratischen Quartieren und Pflanzarrangements bestand. Jedes Feld war mit einem Holzzaun umschlossen. Die Besucher gingen im Garten durch Türen von Feld zu Feld, wie in einem Schloss von Raum zu Raum. Am Lustgarten standen mehrere Gebäude, darunter das Lusthaus, ein Pomeranzenhaus, ein Schießhaus und ein Ballspielhaus. Des Weiteren gab es noch einen Küchengarten am Vorwerk, der bereits 1418 erwähnt wird, einen Weinberg und den schon erwähnten Tiergarten. Aufgrund der schwierigen Topografie musste eine Wasserkunst angelegt werden. Im Baumgarten entstanden nach 1596 ein Fasanengehege, ein Vogelhaus und ein Irrgarten aus Hecken und überdeckten Gängen.5 Nach Eisenach, Gotha und Altenburg konnte sich Weimar nach 1400 als Residenz etablieren. Die Herrschaft der Grafen von Weimar-Orlamünde war 1373 an die Wettiner gekommen. Ausschlaggebend für die Wahl dieses Ortes war seine geographische Lage, denn das Territorium der Wettiner war ziemlich zerrissen. Der Weimarer Schlossgarten lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen.6 Im Ilmtal westlich des Schlosses Hornstein befand sich um 1570 ein großer Baumgarten in der damals vorbildlichen Quincunxpflanzung,7 an dessen Nordende die „Fürstliche Badstube“ stand.8 Der Baumgarten war zur Ilm mit einem Zaun, sonst mit einer Mauer eingefasst. Mehrere Gebäude, darunter Mühlen, standen verstreut am Rand des Baumgartens. In der Mitte dieses Gartens befand sich ein rechteckiges, umzäuntes Gartenstück mit einem kleinen quadratischen Gartenhaus an der Südseite und wohl eine symmetrisch angelegten Bepflanzung mit Zier- und Nutzgewächsen in einfacher Beetaufteilung. In der Weimarer Stadtansicht von Veit Thiem gut zu erkennen ist der Lustgarten am Grünen (Französischen) Schloss, der nach 1565 durch Herzog Johann Wilhelm von Sachsen-Weimar angelegt wurde. Die Südseite des Gartens wurde von der Stadtmauer mit zwei großen Rondellen begrenzt. Zur Stadtseite hin gab es ebenfalls eine hohe Mauer. Die Beetaufteilung war komplexer gestaltet als im Baumgarten, aber dennoch recht einfach. In der Mitte des Gartens stand ein dreistöckiger, durch einen Zaun separierter Pavillon auf rundem 5 6 7 8
Friedrich FACIUS, Der Altenburger Schloßgarten, in: Thüringer Studien – Festschrift der Thüringer Landesbibliothek Altenburg, 1936; Dieter HENNEBO/Alfred HOFFMANN, Geschichte der deutschen Gartenkunst, Bd. 2, Hamburg 1965, S. 50. Wolfgang HUSCHKE, Die Geschichte des Parks von Weimar, in: Thüringer Archivstudien Bd. 2, Weimar 1951. Johann PESCHEL, Gartenordnung, Eisleben 1597. Vgl. Clemens Alexander WIMMER, Geschichte der Gartentheorie, Darmstadt 1989, S. 67–78. Veit THIEM, Ansicht der Stadt Weimar, 1567/70.
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Grundriss, der „durchsichtige Turm“, ein sich nach oben verjüngendes Bauwerk, das eine Wasserkunst enthielt. Bei einer archäologischen Untersuchung im Jahr 2002 konnte das Fundament dieses Turmes gesichert werden. Aber den aller grössesten lust, brengt der schöne und durchsichtige Thorn, der in der mitte deß Gartens stehet, zu wegen, auß welchem die Wässerlein mit einem uberaus anmüthigen gethön herfür rauschen und in den See, so darunter stehet, herab fallen, also, daß einer, wenn er diesen Garten beschawet, sich uber die maß höchlich darüber verwundern muß.9
Das an der Ostseite des Gartens gelegene Schloss war durch eine Arkade zum Garten geöffnet. Obwohl die Gestaltung der höfischen Renaissancegärten der Ernestiner von italienischen Vorbildern beeinflusst war, blieben sie doch weitestgehend den mittelalterlichen, nach außen durch hohe Mauern, Zäune oder Hecken abgeschlossenen Gärten (horti conclusi) verpflichtet. Schloss und Garten lagen beziehungslos nebeneinander. Die Gärten waren streng in einzelne Bereiche mit ornamental gestalteter Flächen gegliedert; die Gliederung aber oft nur additiv angelegt. Neben den Ziergärten gab es meistens größere Baumgärten mit Tiergehegen und Gebäude für die Freizeitgestaltung. Erkennbar ist die humanistische Lust, Pflanzen und Tiere zu sammeln und mit anderen Adelshäusern auszutauschen. Einen modernen Ansatz zeigt nur der fürstliche Lustgarten am Grünen Schloss in Weimar mit seiner axialen Ausrichtung auf das Schloss, der zentralen Wasserkunst und der offenen symmetrischen Beetaufteilung.
Höfische Barock-Gärten Während des Dreißigjährigen Krieges ließen die Bautätigkeit und die Pflege der Gärten nach. Der wirtschaftliche Zusammenbruch, die Bevölkerungsverluste, die Verarmung der Fürsten und Bürger und die Kriegshandlungen selbst hinterließen auch in den Gartenanlagen ihre Spuren. Nach Beendigung des langen Krieges kam es aber schnell wieder zu gartenarchitektonischen Tätigkeiten. Die staatspolitischen Folgen des Westfälischen Friedens, die den Einzelstaaten im Reichs-Staat mehr Eigenständigkeit gab, spielten hier ebenso eine Rolle, wie die Idee der absoluten Monarchie, die sich mehr und mehr durchsetzte. Nach der Verwüstung des Weimarer Baumgartens durch die „Thüringer Sündflut“ im Jahr 1613 kam es erst 34 Jahre später unter Herzog Wilhelm IV. 9
Georg BRAUN/Frans HOGENBERG, Beschreibung und Contrafactur der vornembsten Stät der Welt, 1582, Teil 3, Faksimileausgabe Stuttgart 1969, zitiert nach Thomas GRASSELT/Oliver MECKING, Archäologische Untersuchungen im ehemaligen RenaissanceGarten des Französischen Schlosses von Weimar, in: Neue Ausgrabungen und Funde in Thüringen 7 (2012/13), S. 223.
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von Sachsen-Weimar zu einer Neugestaltung. Die grundlegende architektonische Idee bestand in der Zusammenführung „eines französischen Kanalgartens mit einer italienischen Rampenanlage“.10 Hier zeigt sich ein „erstaunliches Gefühl für räumliche Wertung und plastische Gliederung des Geländes“.11 Der Kanalgarten im Ilmtal bestand nach dem Kupferstich von Matthäus Merian von 1650 aus rechteckigen Inseln, die durch Dreh- und Bogenbrücken miteinander verbunden waren. Auf den Inseln sind mittige Pavillons und radiale Baumreihen zu erkennen. Einer der Kanäle führt zu einer reich geschmückten Grotte, über der sich die Rampenanlage am Ilmhang erhebt. Hier lagen weitere großzügige Gartenflächen mit Pavillons, Bogengängen, Boskettbereichen und der sogenannten Schnecke, einem hölzernen, turmartigen Bauwerk. Der Barockgarten wird durch Gehen, Schauen, vor allem aber durch Denken erschlossen. Sein praktischer Nutzen besteht darin, dass er der Rahmen für Gesellschaftsspiele und organisierte Feste ist. Wir kennen verschiedene Kugelspiele, Schaukeln, Ringelstechen, Schießscheiben, Theater, Bälle, Jagden, Illuminationen und Feuerwerke im Barockgarten.12
Schloss Friedenstein in Gotha entstand noch während des Dreißigjährigen Krieges als vollständiger Neubau, da der Vorgängerbau (Burg Grimmenstein) 1567 geschleift worden war. Herzog Ernst von Sachsen-Gotha, genannt der Fromme, ließ eine großzügige, dennoch schlichte Residenz für die Repräsentation und Verwaltung seines Herrschaftsgebietes bauen. Sein nüchternpragmatischer Regierungsstil verhinderte die Anlage eines großen Gartens. So gab es zunächst nur den sogenannten Wallgarten vor dem Ostflügel und einen Küchengarten südlich des Schlosses außerhalb der Befestigung. Hier ließ Ernst der Fromme allerdings zwei Gewächshäuser anlegen, in denen Samen und Pflanzen gezogen wurden, die der Herzog mit anderen Fürstenhäusern tauschte. Erst unter seinem Sohn Friedrich I. von Sachsen-Gotha(-Altenburg) entfaltete sich eine höfische Festkultur, die in der Einrichtung des berühmten Theaters gipfelt. Ein repräsentativer Barockgarten kam aber erst 1711 unter Herzog Friedrich II. von Sachsen-Gotha-Altenburg in Zusammenhang mit dem Bau des Lustschlosses Friedensthal hinzu. Einige Jahre zuvor (zwischen 1701 und 1704) hatte Friedrich II. schon den Renaissancegarten seiner anderen Residenz Altenburg in barocker Manier umgestalten und durch ein Achsensystem auf den Hauptturm des Schlosses (Hausmannsturm) ausrichten lassen. 1710 entstand in
10 11 12
Wolfgang HUSCHKE/Wolfgang VULPIUS, Park um Weimar, 1956, S. 26. HENNEBO/HOFFMANN, Gartenkunst (wie Anm. 5), S. 118. WIMMER, Gartentheorie (wie Anm. 7), S. 414.
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Altenburg ein Orangeriegebäude. In Schloss Friedensthal ließ Friedrich II. ebenfalls einen Orangengarten anlegen, der die räumliche Verbindung zwischen den Schlössern Friedensthal und Friedenstein bildete und mit einem Gewächshaus ausgestattet war. Der Landesteilung von 1680/81 unter den sieben Söhnen Ernst des Frommen folgten einige Neubauten von Residenzschlössern und deren standesgemäße Ausstattung. In Hildburghausen entstand zwischen 1685 und 1707 unter Herzog Ernst von Sachsen-Hildburghausen eine Dreiflügelanlage mit Ehrenhof. Südlich des Schlosses wurde in der Werra-Aue ein rechteckiger Lustgarten mit schiffbarem Kanal angelegt. Es existieren drei kolorierte Kupferstiche dieses Gartens von Johann Baptist Homann aus dem Jahr 1720, deren Realisierungsgrad allerdings nicht geklärt ist.13 Beherrschendes Element des Lustgartens in Hildburghausen waren Boskettgärten. Das sind mit hohen Hecken eingefasste Gartenräume, in denen sich eine abwechslungsreiche Vielfalt von Wasserbecken und Fontänen, kleinen Lusthäusern und Pavillons, Freilufttheatern, Irrgärten und mechanischen Konstruktionen befinden konnte. Obwohl der Garten durch den Kanal deutlich abgegrenzt war, führten zwei Sichtachsen von der architektonisch betonten Mitte des Schlosses bzw. einer am Hang gebauten Treppe durch den Schlossgarten in die Ferne. Der Garten stand also in einem architektonischen Zusammenhang mit dem Schloss und der umgebender Landschaft. An der östlichen Schmalseite befand sich ein Baumgarten mit Ballspielhaus. Unmittelbar östlich des Schlosses stand die Orangerie mit großem Pomeranzengarten. Zwischen 1724 und 1748 ließ Herzog Ernst August I. von SachsenWeimar(-Eisenach) ein Stück südlich seiner Residenzstadt Weimar das Lustschloss Belvedere mit großer Gartenanlage erbauen. Ein System radial auf das Schloss ausgerichteter Alleen durchzog den Schlossgarten und die angrenzenden Waldbereiche (Jagdbereiche) und führte weit in die Landschaft hinaus. Eine dieser Alleen bildete die Verbindung zur Residenzstadt Weimar. Auf verschiedenen Abbildungen des Gartens sind südlich des Schlosses barocke Gartenelemente zu erkennen, die größtenteils den Eindruck eines Baumgartens machen und nur wenige Flächen eines architektonischen Gartens in barocker Manier aufweisen. Scheinbar hat es zur Erbauungszeit noch keine Gartenflächen im eigentlichen Sinn gegeben. Dafür nahmen die Fasanerie und die Menagerie einen bedeutenden Stellenwert im Belvedere ein. Belvedere diente dem Herzog ganz offensichtlich als ein Rückzugsort, wo er seinen privaten Leidenschaften, wie der
13
Vgl. die Beiträge von Martin SALESCH, in SCHEURMANN/ FRANK, Neu entdeckt (wie Anm. 3), Bd. 1, S. 355 und Bd. 3 Essays, S. 195–205, hier S. 199.
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Jagd, nachgehen konnte, nicht so sehr dem höfischen Fest und der Repräsentation. Die unglücklich platzierte Orangerie mit westlich vorgelagertem Orangengarten wurde ab 1739 zu einer hufeisenförmigen Anlage ausgebaut. Der Ausbau blieb aber, wie bei dem ruhelosen Ernst August oft, im Ansatz stecken und konnte seine höfische Funktion als Orangerie-Theater nicht entfalten. Herzog Ernst August I. hat weitere Schlossbauten mit zugehörigen Gartenanlagen in Auftrag gegeben. In allen Gartenanlagen wird die barocke Raumvorstellung deutlich, die eine Unterordnung der Landschaft unter den Gestaltungswillen des Menschen und eine mathematische Berechnung der Formen beinhaltete. Nachdem Ernst August im Jahr 1741 auch die Herrschaft Eisenach zugefallen war, ließ er auch hier seinen Leidenschaften für das Jagen und das Bauen freien Lauf. Aufgrund der großen Diskrepanz zwischen dem Anspruch des Herzogs und den zur Verfügung stehenden Mitteln konnten aber nicht alle Projekte realisiert werden. In Gotha beauftragte Herzog Friedrich III. von Sachsen-Gotha-Altenburg 1747 Gottfried Heinrich Krohne mit einer umfassenden Neugestaltung des Orangeriegartens am Osthang unterhalb Schloss Friedensteins. Hier sollte eine eigenständige Orangerieanlage entstehen, die keinem anderen Schloss- oder Gartenbereich untergeordnet war. So bildeten die Orangeriegebäude nicht nur ein Ensemble bequemer und praktischer Winterungs- und Nutzungsgebäude, sondern sie formten ein großdimensioniertes Amphitheater, in das sich eine ganze Reihe kleinteiliger Gartenmotive einzufügen hatte. Rondelle, Kaskaden, Treppenanlagen und Terrassen bildeten hier eine gartenarchitektonische Welt von eigenständigem Charakter aus. Den Mittelpunkt aber sollte der vertiefte Rasenplatz zwischen den beiden Orangeriehäusern darstellen, der zugleich auch den fürstlichen Herrschaften einen Essplatz in Freiem zu bieten hatte. Eingefasst von den amphitheatralisch angeordneten Orangenbäumchen, die terrassenartig in die Cavea gestellt, ein geschlossenes Theater in sich gebildet hätten, wäre dieser Essplatz des Herzogs zum Zentrum eines regelrechten Orangerie-Theaters geworden.14
Nach der von Intrigen ausgelösten Entlassung Krohnes wurde die Orangerieanlage aber nur zögerlich weitergebaut und blieb unvollendet. Beteiligt, wenn nicht sogar ausschlaggebend, an der ambitionierten Orangerieplanung in Gotha war wohl die hochgebildete und feinsinnige Gemahlin Friedrich III., Louise Dorothée von Sachsen-Meiningen, die dem humanistischen Bildungsideal zugewandt war. Abgesehen von allen literarischen, symbolischen und mythologischen Bezügen der Orangerie stehen zwei Aspekte im Vordergrund, einerseits die jeder Orangerie immanente Apotheose in antiker Tradition [als Ort, an dem die Götter wohnen (Salesch)] und 14
Helmut-Eberhard PAULUS, Orangerieträume in Thüringen, Große Kunstführer der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, Bd. 2, Regensburg 2005, S. 54.
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andererseits ihre Mehrschichtigkeit und Mehrdeutigkeit, die jede künstlerische Gattung sprengt und daher nur als Ebenbild der Schöpfung bzw. des Paradieses Ausprägung finden kann.15
Höfische Landschaftsgärten An den Orangerien ist auch der Wandel vom barocken Architekturgarten zum Landschaftspark zu erkennen. Die hufeisenförmige Orangerieanlage in Belvedere wurde 1759 unter der Regentschaft Anna Amalias um ein Gewächshaus ergänzt, in dem vor allem Kaffeepflanzen gezogen wurden. Als Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach das Lustschloss Belvedere 1806 seinem Sohn Carl Friedrich und dessen Gemahlin Maria Pawlowna überließ, behielt er nur die Orangerie für sich selbst. Die Umbauten, die er ab 1808 vornahm, formten aus der barocken Orangerie einen botanischen Garten. Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts waren allenfalls noch das Ideal Arkadiens und das persönliche Empfinden einer Sehnsucht nach dem Süden für die Gestaltung von Orangerien verbindlich. Aufgegeben war die einst grundlegende Ausrichtung auf den Hesperidenmythos. So bildeten die Orangerien damals kein gesellschaftlich verbindliches Ideal mehr und waren auch nicht mehr in das höfische Gesamtkunstwerk eingebunden. Ein ausgeprägtes botanisches Interesse und Rousseau’sche Naturliebhaberei waren an deren Stelle getreten.16
1769 kehrte Erbprinz Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg von einer Studienreise aus England zurück. Eigentlich war es üblich, die Prinzen auf Kavaliertour nach Italien oder Frankreich zu schicken. Doch das Haus SachsenGotha-Altenburg besaß familiäre Verbindungen zum englischen Königshaus. Tante Augusta war Princess of Wales. Sie besaß mit Kew Garden einen der bekanntesten Gärten im neuen Stil und dürfte Ernst II. mit den Ideen der „englischen Landschaftsgestaltung“ vertraut gemacht haben. So entstand unmittelbar nach dem Regierungsantritt Ernst II. in Gotha ein Landschaftspark (zeitgleich mit dem Wörlitzer Park), der in den Entwürfen entsprechend als „Jardin anglois“ bezeichnet wird. Der für die Öffentlichkeit (zunächst) nicht zugängliche Park war mit einer Mauer umgeben, die jedoch so geschickt in die Landschaft gefügt war, dass sie nicht ins Blickfeld geriet. Da überhaupt die Gränzen des Gartens in einer flachen, der Erde gleichen, Mauer bestehen, die man nicht eher gewahr wird, als bis man davor ist, so dünkt man sich in keinem eingeschlossenen Raum, sondern hält die Kornfelder, die Hügel, die Dörfer, die Gehölze,
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Ebd., S. 34. Ebd., S. 35.
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die Landstraßen, alle die abwechselnden Gegenstände und Austritte, für so viele nahe und entlegene Theile des Parks.17
Weiter beschreibt der Gothaer Bibliothekar Heinrich Reichard: Im Gartens selbst bringen Sie die Kiesgänge durch gemäßigte Wendungen und Abwege, bald in dichtes Buschholz, wo alle Arten von Grün mit einander wechseln, […] bald in Lauben, die über ihrem Haupte zu einem fortgehenden Obdach sich wölben, bald auf lichte Plätze, oder Wiesen, mit kleinen Gruppen von Bäumen oder hohen Schattenlinden besetzt. Die Gebüsche wimmeln von Fasanen, wie im Frühling von Nachtigallen, und bestehen aus inlindischen und vielen fremden, sonderlich nordamerikanischen Hölzern, womit der Garten zu Kew, und seine Besitzerinn, die verstorbene Prinzessinn von Wallis, den hiesigen größtenteils bereichert hat.18
Kernstück des Landschaftsparks ist noch heute der große längliche See, der mit geschickt gesetzten Schwüngen und einer Insel gestaltet ist. Die Ausgestaltung des Parks erfolgte in unregelmäßigen Baum- und Wiesenflächen. 1778 entstand ein kleiner Tempel nach antik-griechischem Vorbild mit dorischen Säulen, der als Merkurtempel bezeichnet wird. „Sein Muster liegt in Griechenland unter Athens Trümmern, und seine Abbildung, die zum Maaßstab gedient hat, finden Sie in dem prächtigen Werke ‚The Antiquities of Athens‘, London 1762.“19 1776 bezog Johann Wolfgang von Goethe sein Gartenhaus im Ilmtal. Das Stadtschloss in Weimar war zu diesem Zeitpunkt noch immer unvollendet und der Schlossgarten in der Pflege stark vernachlässigt. Der barocke Kanalgarten war schon 1664 einem regelmäßigen Baumgarten gewichen. 1778 veranlasste der tragische Freitod des Hoffräuleins Christel von Lassberg in der Ilm Goethe zur Errichtung der Felsentreppe am stadtseitigen Talhang. Angeregt durch einen Besuch der Wörlitzer Parkanlagen entwickelte Goethe weitere Ideen, die allerdings keinem Gesamtkonzept folgten, sondern als kleinteilige sentimentale Gartenszenen zu werten sind. Erst ab 1783 kam es durch Grundstückskäufe, größere Erdarbeiten, Rodungen und Pflanzungen zu einer systematischen Behandlung des Ilmtals. Insgesamt erstreckt sich der Weimarer Ilmpark in einer Breite von etwa 300 m vom Schloss bis nach Oberweimar 1,6 km lang. Darüber hinaus stellt das Ilmtal eine Grünzone dar, die südlich etwa 2,8 km bis zum Lustschloss Belvedere und nördlich ebenfalls etwa 2,8 km bis zum Lustschloss Tiefurt reicht. Der Ilmpark hat also eine klare Nord-Süd-Ausrichtung. Im Norden blieb der sogenannte Stern, ein sternförmig angelegter Baumgarten, erhalten. Der Welsche Garten, das war der ehemalige Barockgarten oberhalb der Ilm, wurde hingegen mit natürlich wirkenden Wiesen- und Gehölzpartien umgestaltet und 17 18 19
Heinrich August Ottokar REICHARD zitiert nach Christian Cajus Laurenz HIRSCHFELD, Theorie der Gartenkunst, Kiel 1779–1785, Bd. 4, S. 234. Ebd., S. 237 f. Ebd., S. 235.
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mit einem gekurvten Wegesystem versehen. Der nördliche Teil der Parkanlage wurde kleinteilig angelegt und mit verschiedenen Staffagen versehen, so dem Borkenhäuschen (Luisenkloster), einer künstlichen Ruine im gotischen Stil, den ‚drei Säulen‘, sowie diversen Grotten, Steinen und Denkmälern. Weiter südlich folgt eine weitläufige Landschaft mit dem geschwungenen Flusslauf, großzügigen Wiesenflächen und Baumgruppen. In diesem Teil ist eigentlich nur das ‚Römische Haus‘ ein kultureller Blickpunkt über der Ilm. Wenn man Entwicklung und Bild dieses Parks überschaut, wird man, mit einer Ausnahme, nur das finden, was wir zusammenfassend Landschaftsgarten nennen. Die Ausnahme ist der Stern, bei dem Umarbeitungen im Geschmack der Natur von Anfang an nicht recht zum Zuge gekommen sind; zum Teil wegen des planlosen Vorgehens während der ersten Jahre, vor allem wohl wegen der auch andernorts üblichen Wertschätzung hoher Baumalleen. Hiervon abgesehen, wird man aber alle in der natürlichen Gartenkunst zwischen 1775 und 1800 sichtbar gewordenen Züge erkennen. Sie sind hier sogar recht empfindlich registriert: die Lösung des Gartens aus der architektonischen Gebundenheit trotz des Bewahrens gewisser architektonisch-regelmäßiger Relikte; die Befreiung von Resten sentimentaler Naturkoketterien und das Streben nach wirklicher Natürlichkeit im Gartenbild wie im Gartenleben; die Behandlung des Bauwerks als bloße Bildstaffage und das Bemühen um Szenen, die die Einbildungskraft zu beschäftigen und den Geist in ferne Länder und Zeiten zu locken vermochten; die Entdeckung des frei sich entfaltenden Baumes als Stimmungsträger, als schöne Form und als naturkundliches Sammelobjekt; das Zurücktreten der das Gefühl bewegenden Objekte, der Verzicht auf mannigfaltige, kleinräumliche Szenen, die Wendung zur großzügigeren Naturgestaltung, zur beruhigten Staffage im Sinne antikisierender, klassischer Monumentalität und das Aufgeben der bloßen Stimmungsarchitektur zugunsten des Nutzbaues, um nur die auffallendsten Merkmale zu nennen. Dass Weimar so empfindlich regiert hat, wird nicht zuletzt durch die Persönlichkeiten der Bauherrenschaft begründet, denn wenn irgendwo, dann hatte hier jede Wandlung geistigen, literarischen und gesellschaftlichen Lebens unverzüglich ihre sichtbaren Marken setzen müssen.20
Im Landschaftsgarten zeigt sich das aufgeklärte Naturbewusstsein, das im 18. Jahrhundert allgemeine Verbreitung fand. Mit den Ideen der Aufklärung sind neben den kulturellen Veränderungen aber auch soziale und politische Vorstellungen verbunden, die in den Revolutionen in England, Nordamerika und Frankreich einer Verwirklichung näher gebracht wurden. In den deutschen Staaten ist die Ausbreitung des Landschaftsgartens eng mit dem aufgeklärten Absolutismus verbunden. Bis auf den heutigen Tag hat sich etwas von der vor allem in England veröffentlichten Polemik gehalten, das der formale Barockgarten ein künstliches Werk absolutistischer Willkür sein, während der Landschaftsgarten die natürliche Freiheit des Individuums spiegelt. Doch die Geschichte der Landschaftsgärtnerei zeigt, dass sich landesherrliche Ambitionen auch im englischen Gartenstil äußern können. Wenn man beispielsweise bedenkt, wie mas20
HENNEBO/HOFFMANN, Gartenkunst (wie Anm. 5), Bd. 3, S. 97.
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siv die Anlage eines Landschaftsparks durch Veränderung von Flussläufen, die Verlegung von Hügeln oder die Anpflanzung fremder Gehölze in die natürliche Form der Landschaft eingreifen kann. Der Gartentheoretiker Christian Cajus Hirschfeld vergleicht Gärten mit einer Bildergalerie, also mit begehbaren, dreidimensionalen Gemälden. Grundlage dafür waren die vielen Landschaftsmalereien des 17. Jahrhunderts mit idyllischen, arkadischen Szenerien. Diese Gemälde zeigten Ideallandschaften, in denen Mensch und Natur harmonisch vereint waren. Er [der Herzog von Kent, Salesch] sah, dass die ganze Natur ein Garten sei. […] So gab der Pinsel seiner Einbildungskraft den Szenen, die er unter Händen bekam, alle Künste der Landschaftsmalerei. Die großen Grundsätze, nach welchen er arbeitete, waren die Perspektive und Licht und Schatten. Gruppen von Bäumen teilten eine zu einfache oder ausgedehnte Ebene. Immer grünende Pflanzen und Wälder wurden dem harten Lichte des flachen Feldes entgegengestellt; und da, wo die Aussicht weniger glücklich oder so unverdeckt war, dass man sie auf einmal übersah, löschte er durch dicke Schatten einige Partien davon aus, um durch ihre Teilung Mannigfaltigkeit zu geben, oder die reichste Szene, indem er sie dem Zuschauer bei Fortgehen aufsparte, noch entzückender zu machen. Indem er so einige Lieblingsgegenstände aussuchte, Hässlichkeiten durch einen Schirm von Gebüsch verdeckte und bisweilen der rauesten Wüste erlaubte, sich dem reichsten Schauplatz beizugesellen, brachte er die Erfindung der größten Landschaftsmalerei zur Wirklichkeit.21
Doch hierin liegt ein Widerspruch in sich: Der neue Gartengeschmack scheiterte, weil er aus seinen Grenzen trat und die Gartenkunst in die Malerei hinüberführte. Er vergaß, dass der verjüngte Maßstab, der der letzteren zustattenkommt, auf eine Kunst nicht wohl angewendet werden kann, welche die Natur durch sich selbst repräsentiert.22
Und deshalb greift der Landschaftspark im englischen Stil weit über die künstlerische Ästhetik hinaus. Es ist nicht die Natürlichkeit, die den Landschaftsgarten ausmacht, sondern seine natürliche Wirkung. Jean Jacques Rousseau entwirft in seiner Novelle Héloïse einen idealen Garten, der dem Menschen eine sinnliche Versenkung in die Natur bietet und gleichzeitig ökonomisch ist. Rousseaus Garten wirkt wild und natürlich, ist aber vollkommen künstlich. Hinter der Gartenkunst stecken sozial-politische, sittlich-moralisch, religiös-philosophische und wirtschaftliche Absichten. Während der barocke Garten Vergnügen und Nutzen für die höfische Gesellschaft bringen will, strebt der Landschaftsgarten ganz im humanistischen Sinn nach Erziehung und Nutzen für die Gesellschaft im Allgemeinen. 21 22
HIRSCHFELD, Theorie der Gartenkunst (wie Anm. 17), Bd. 4, S. 5 f. Friedrich von SCHILLER, Ankündigung: Die Horen, eine Monatsschrift, 1794, in: Rolf-Peter JANZ u. a. (Hg.), Schiller, Werke und Briefe in zwölf Bänden, Frankfurt a. M. 1992, S. 1001–1005.
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Dank ihres arkadischen Ambientes vergegenwärtigten die Gärten jedoch nicht nur das Paradies einer mythischen Vorzeit; wie schon die Gärten vor ihnen spiegelten sie auch die Sehnsucht nach dem künftigen Paradies wieder. Dieses Paradies hatte in der Aufklärung zwei Facetten. Auf symbolischer Ebene war es das Elysium, das Gefilde der Seligen. Auf der sozialen Ebene sollte es wenigsten im Kleinen den Zustand einer idealen Gesellschaftsordnung vorwegnehmen. In gewissen Sinne waren die Gärten also auch Experimentierfelder für die Verwirklichung politischer Utopien, wie sie seit Thomas Morus immer wieder entwickelt worden waren. Zur politischen Utopie gehörte im 18. Jahrhundert vor allem der Gedanke der Freiheit. Dieses Ideal verkörperte der englische Garten sogar in besonderem Maße, war er doch als Gegensatz zum französischen Formalgarten konzipiert, der für das Weltbild des Hochabsolutismus schlechthin stand.23
Ein nicht zu unterschätzender Aspekt des Landschaftsgartens ist sein wirtschaftlicher Nutzen. Die Wörlitzer Gartenlandschaft, die Fürst Leopold III. von Anhalt-Dessau 1764 anlegen ließ, muss auch als aktive Forst- und Landwirtschaft gesehen werden. Die Kultivierung der Landschaft sollte der Wohlfahrt des ganzen Landes zugutekommen. Der Obstanbau, die Weidewirtschaft und die Viehzucht waren programmatischer Teil der Parklandschaft. Das gilt auch für die Bestrebungen Herzog Georg I. von Sachsen-Meiningen, der 1792 weitreichende Verbesserungen der ökonomischen Grundlagen seines Herrschaftsgebietes vorlegte. Als Grundlage für eine nachhaltige Forstkultur wurden im Herzogtum Sachsen-Meiningen Baumschulen gegründet und Maßnahmen gegen Wildschäden eingeleitet. Ein groß angelegter Futterkräuteranbau sollte der Viehwirtschaft dienen. Es wurden Ödland erschlossen sowie Sümpfe trockengelegt und die Be- und Entwässerung von Wiesen unterstützt. Nicht zuletzt wurde der Obstanbau maßgeblich befördert. Flankiert wurden diese Maßnahmen durch Verwaltungsreformen und die Einführung von Gewerbestatistiken. Im gleichen Geist betrieb Georg I. die Anlage von Landschaftsgärten. Seine Gedanken hat er nach 1790 in einem Memorandum festgehalten: Benutzung, Verschönerung der Gegend sollten wohl der Hauptzweck unserer Anlagen sein. […] Zum Beispiel: Ein Particulier [Privatmann (Salesch)] besitzt ein Gut, dessen Lage so beschaffen ist, dass die meisten Äcker und Wiesen aneinander hängend sind. So wird es ihm ein Leichtes sein durch schön gezogene Wege die besten Punkte von Aussichten zu benutzen, hier und da kleine Gebäude dem Platz gemäß hinzusetzen, kleine Gruppen von Pflanzungen um dieselben und neben den Wegen anzubringen, nahe gelegene Waldungen oder kleine Hölzer mit in seine Anlage einzubeziehen und dadurch sich neben dem Vergnügen, sein Gut verschönert zu haben, auch den Nutzen verschaffen, es leichter und geschwinder übersehen zu können. […] Besonders rate ich hier zu mancherlei Arten von Baumschulen. Da sie der Grund aller Anlagen sind, so kann man derselben nie genug haben. So nützlich das Obst in der Wirtschaft ist, so einträglich können Obst-
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Peter STEPHAN, Die Gartenrevolution in Thüringen im Zeitalter der Aufklärung, in: SCHEURMANN/FRANK, Neu entdeckt (wie Anm. 3), S. 206–230, hier S. 208.
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baumschulen, wenn sie ein wenig ins Große gehen, werden. Selbst auch in Anlagen machen Gruppen von Obstbäumen, zumal in der Blüte, einen herrlichen Effekt.24 Sicherlich standen die thüringischen Landschaftsgärten der Aufklärung in hohem Maße für eine neue geistige und ästhetische Naturwahrnehmung und für einen politischen und gesellschaftlichen Wertewandel. Ebenso legitimierten und stabilisierten sie aber auch die bestehende Ordnung: durch die Steuerung von Emotionen, die Kontrolle, Disziplinierung und Erziehung der Bevölkerung, die Integration der Stände, die Schaffung eines kollektiven historischen Bewusstseins, die sakrale und patriotische Überhöhung von Herrschaft und die Inszenierung des Fürsten als jovialen Landesvater. Zugespitzt könnte man sagen: durch den ästhetischen Paradigmenwechsel, die die Grüne Revolution vollzog, wurde der politische Systemwechsel, den eine echte Revolution mit sich gebracht hätte, verhindert.25
Insgesamt zeigt sich in den höfischen Gärten der Ernestiner die allgemeine gartenarchitektonische Entwicklung vom 15. zum 20. Jahrhundert. Die gärtnerische und ideelle Ausrichtung der einzelnen Gartenanlagen steht allerdings in Abhängigkeit der persönlichen Interessen und Intentionen einzelner Landesherrn. Hervorzuheben ist die Bedeutung von Orangerien und Tiergärten/Menagerien durch alle Zeiten, was einerseits auf die intensive Kontaktpflege mit anderen Fürstenhäusern, andererseits auf naturwissenschaftliches Interesse (Sammelleidenschaft) und höfisches Prestige bzw. die Jagdleidenschaft vieler Regenten hinweist. Während die Renaissancegärten der Ernestiner noch stark der mittelalterlichen Tradition verpflichtet sind, orientieren sich ihre Barockgärten an der seinerzeit modernen Auffassung der höfischen Kultur mit einer reichen Ausstattung für Feste, Vergnügungen, Illuminationen und Spielen. Im Laufe des 18. Jahrhunderts lösen sich die architektonischen Gartenstrukturen immer mehr auf. Die Ideen der Aufklärung stärken die natürlichen und wirtschaftlichen Elemente der Landschaftsgestaltung. Dabei bleiben die in anderen Ländern involvierten (sozial-)politischen Elemente des englischen Landschaftsparks im deutschen Kulturraum allerdings unbedeutend. Ein ideeller Schwerpunkt der Landschaftsgärten der Ernestiner wird die Konstruktion verbindender Grünzonen, wie in Weimar zwischen den Lustschlössern Tiefurt und Belvedere oder in Meiningen als Idee einer schön gestalteten Ökonomie.
24 25
Georg I. von Sachsen-Meiningen, Memorandum über die Gartenkunst, zitiert nach ebd., S. 227–230. Ebd., S. 223 f.
MICHAEL CHIZZALI MUSIK AUS ITALIEN AN ERNESTINISCHEN HÖFEN
Musik aus Italien an ernestinischen Höfen des 16. Jahrhunderts Eng an die wechselvolle Geschichte der Wettiner im 16. Jahrhundert geknüpft ist die musikkulturelle Entfaltung ihrer Höfe. Betraf die herausragende (und herausfordernde) repräsentative Funktion eines kurfürstliches Hofes (mit den entsprechenden Folgen für die Musik) in der ersten Jahrhunderthälfte die ernestinische Hauptlinie, so avancierten nach der verhängnisvollen Schlacht bei Mühlberg 1547 die bis dato im Hintergrund stehenden, nunmehr mit dem Kurhut nobilitierten albertinischen Verwandten zu Vorreitern der Hofmusikpflege im mitteldeutschen Raum. Indes blieb auch bei den machtpolitisch stagnierenden ernestinischen Herzogtümern der zweiten Jahrhunderthälfte die Musik als hofkulturelles Teilmoment präsent, wenngleich – so möchten die erhaltenen Quellen glauben lassen – an Intensität und Kontinuität nicht mit dem albertinischen Pendant in Dresden vergleichbar (dies wird sich im 17. und 18. Jahrhundert drastisch ändern). In einem 2014 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bewilligten Projekt1 soll nun einem Aspekt in diesem Zusammenhang, und zwar der Ausstrahlung Italiens – im 16. Jahrhundert gewissermaßen der musikalische Nabel Europas – auf ausgewählte wettinische Hofhaltungen nachgegangen werden. Der nachfolgende Beitrag möchte nicht nur wesentliche Arbeitsfelder des Projekts skizzieren, sondern auch erste Zwischenergebnisse mit Schwerpunkt auf ernestinische Kontexte vorlegen. Es sei vorausgeschickt, dass diese als Momentaufnahmen eines „work in progress“ in ihrem forscherischen Potenzial keineswegs ausgeschöpft sind. Die musikalische Relevanz des italienischen Raums für die wettinischen Höfe des 16. Jahrhunderts ist ein bis dato kaum systematisch erforschtes Gebiet. Ausführlicher kam sie im Zusammenhang mit der unter dem ersten albertinischen Kurfürsten Moritz aufgebauten Dresdner Hofmusik, bei der seit 1549 italienische Musiker mitwirken, zur Sprache. Bereits grundlegende Studien des 19. Jahrhunderts wiesen auf die Bedeutung der „welschen Musica“ an der Dresdner Residenz hin.2 Aber erst ab dem letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts 1 2
Der Projektabstract ist online verfügbar unter http://gepris.dfg.de/gepris/projekt/255039864 (Zugriff: 29. Februar 2016). Vgl. Moritz FÜRSTENAU, Beiträge zur Geschichte der Königlich Sächsischen Kapelle, Dresden 1849, und Zur Geschichte der Musik und des Theaters am Hofe der Kurfürsten von Sachsen, Johann Georg II., Johann Georg III. und Johann Georg IV., unter Berücksichtigung der ältesten Theatergeschichte Dresdens, Dresden 1861.
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MICHAEL CHIZZALI
entfaltete sich – sicherlich vor dem Hintergrund der politischen Umwälzungen nach 1989 – ein nennenswertes Portfolio an wissenschaftlicher Literatur, das neben der interdisziplinär-kulturwissenschaftlich ausgerichteten Skizzierung der Achse Italien-Dresden3 vor allem Leben und Werk der beiden in der neuen kurfürstlichen Residenz tätigen italienischen Hofkapellmeister Antonio Scandello (1517–1580) und Giovanni Battista Pinello di Ghirardi (um 1544–1587) in den Fokus nahm.4 Berücksichtigung fanden Scandello und Pinello bei der von Musikwissenschaft, Germanistik und Romanistik gleichermaßen getragenen Erforschung von Transfer-, Rezeptions- und Assimilierungsprozessen italienischer weltlicher Vokalgattungen (Villanesca, Villanella, Canzone, Canzonetta, Madrigal) in den deutschen Ländern des 16. Jahrhunderts, wobei ihren Liedersammlungen eine in dieser Hinsicht nicht unwesentliche Bedeutung bescheinigt werden konnte.5 Der spektakuläre Sonderfall Dresden schien freilich bislang weitere Forschungsdesiderate in diese Richtung zu überdecken, die erst in jüngerer Zeit – nicht zuletzt durch die inflationäre Verfügbarkeit handschriftlicher wie gedruckter Quellen über das Internet – auf Interesse seitens der Forschung stoßen. Zu diesen sind zweifellos auch Tradierung und Umgang mit italienischem Repertoire im Umfeld der (mit Ausnahme der glanzvollen Hofmusikpflege unter Kurfürst Friedrich dem Weisen6) vernachlässigten ernestinischen Höfe zu zählen.7 3
4
5
6 7
Vgl. Klaus HORTSCHANSKY, Der Umgang mit der italienischen Kultur in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Überlegungen zu Tradition und Innovation an den Höfen in Prag und Dresden, in: Revista de Musicologia 16/1 (1993), S. 535–551 sowie Barbara MARX, Italianità und frühneuzeitliche Hofkultur: Dresden im Kontext, in: DIES. (Hg.), Elbflorenz. Italienische Präsenz in Dresden 16.–19. Jahrhundert, Dresden 2000, S. 7–36. Zu Scandello und Pinello vgl. insbesondere die beiden unpublizierten Dissertationen von Dane Owen HEUCHEMER, Italian Musicians in Dresden in the Second Half of the Sixteenth Century, with an Emphasis on the Lives and Works of Antonio Scandello and Giovanni Battista Pinello di Ghirardi, Cincinnati 1997 sowie Daniel Guy REUNING, Antonius Scandellus, the Third Kantor of the Lutheran Church at the Saxon Electoral Court Chapel in Dresden: His Liturgical Music with an Emphasis on the Motets, Illinois 2001. Vgl. hierzu Rudolf VELTEN, Das ältere deutsche Gesellschaftslied unter dem Einflusse der italienischen Musik, Heidelberg 1914, S. 52–57; Nicole SCHWINDT, ‚Philonellae‘ – Die Anfänge der deutschen Villanella zwischen Tricinium und Napolitana, in: Michael ZYWIETZ/Volker HONEMANN/Christian BETTELS (Hg.), Gattungen und Formen des europäischen Liedes vom 14. bis zum 16. Jahrhundert, Münster 2005, S. 243–283 sowie Helen GEYER, Bestände ‚italienischer‘ Renaissance- und Frühbarock-Musik im thüringischen Mitteldeutschland, in: Helen GEYER/Franz KÖRNDLE/Christian STORCH (Hg.), Alte Musik in der Kulturlandschaft Thüringens. Beiträge zum zehnjährigen Bestehen der Academia Musicalis Thuringiae, Altenburg 2010, S. 1–23. An dieser Stelle sei vor allem auf die Dissertationen und Aufsätze von Jürgen HEIDRICH sowie von Kathryn Ann POHLMANN DUFFY verwiesen. Eine Gesamtdarstellung der Musikkultur an den ernestinischen Höfen des 16. Jahrhunderts stellt weiterhin lediglich die fast 100 Jahre alte, in vielerlei Hinsicht überholte Studie von Adolf ABER, Die Pflege der Musik unter den Wettinern und wettinischen Ernestinern. Von
MUSIK AUS ITALIEN AN ERNESTINISCHEN HÖFEN
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Ein erster Themenkreis des Projekts beschäftigt sich mit den Höfen der ernestinischen Kurfürsten bis 1547. Im Zusammenhang mit der Musikpflege unter Friedrich dem Weisen thematisierte Jürgen Heidrich in seiner richtungsweisenden Quellenstudie über die ihrer Herkunft nach „deutschen“ Jenaer Chorbücher8 eine „Rezeption aus Italien“9 der Ordinariumskompositionen in den Kodizes MS 31 und 32 (entstanden kurz vor 1500). Hierbei führte er Argumente hinsichtlich Werkgenese und Konkordanzverhältnisse, aber auch in Bezug auf liturgische und stilistische Charakteristika (wie z.B. der in Mailänder Quellen gehäuft überlieferte Austausch der Ordinariumsteile durch Motetti missales im Rahmen der ambrosianischen Liturgie oder die kompositorische Anlehnung an die in Mailand beliebte geistliche Laude) ins Felde. Im Hinblick auf die sehr prekäre Dokumentation, die damit zusammenhängende ungenügende Kenntnis der bisweilen komplexen Wandlungsprozesse im Werktransfer (wie sie Stemmata in modernen Werkausgaben zu rekonstruieren versuchen), die lediglich abstrakte Gültigkeit von Konkordanzbefunden und die insgesamt schwierige Kategorisierung von lokal eingrenzbaren Stilmerkmalen in der textlich, liturgisch und auch musikalisch an Standards besonders gebundenen Gattung der Messkomposition sind Heidrichs Schlussfolgerungen kritisch zu überdenken.10 Dass indes der internationale Umschlag von Musik (auch aus Italien) gerade in der von äußeren Einwirkungen zunächst ganz besonders zehrenden mitteldeutschen Musikkultur des 16. Jahrhunderts11 von Anfang an als aktiv aufzufassen ist, zeigen mitteldeutsch-sächsische Handschriften des außerhöfischen Bereichs um 1500 (wie z.B. der Leipziger Apel-Kodex MS 1494, das in Halberstadt gefundene Manuskript MS Mus. 40021 oder der Breslauer Kodex 2016), in denen italienische Musik – vergleichsweise selten in der Landessprache, dafür umso häufiger als geistliche Kontrafaktur – in den Norden transportiert wurde.12
8 9 10 11 12
den Anfängen bis zur Auflösung der Weimarer Hofkapelle 1662, Bückeburg/Leipzig 1921 dar. Vgl. Jürgen HEIDRICH, Die deutschen Chorbücher aus der Hofkapelle Friedrichs des Weisen. Ein Beitrag zur mitteldeutschen geistlichen Musikpraxis um 1500, Baden-Baden 1993. Vgl. DERS., Jena B. Handschriften, in: Ludwig FINSCHER (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart, zweite, neubearbeitete Ausgabe, Sachteil, Bd. 4, Kassel/Stuttgart 1996, Sp. 1451–1455, hier Sp. 1454. Hinsichtlich der genannten Mailänder Liturgie- und Stileigenheiten ist zu konstatieren, dass sich die Zahl der »Mailänder Messen« in den beiden genannten Jenaer Chorbüchern in Grenzen hält und diese darüber hinaus keinen einzigen Motetto missale überliefern. Vgl. Jürgen HEIDRICH, Bausteine zu einer mitteldeutschen Musikgeschichte des 16. Jahrhunderts, in: Jürgen HEIDRICH/Ulrich KONRAD (Hg.), Traditionen in der mitteldeutschen Musik des 16. Jahrhunderts, Göttingen 1999, S. 1–18. Vgl. hierzu Ryszard J. WIECZOREK, Zwischen Leipzig, Breslau und Mailand: Repertoirebildung in Mitteleuropa an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, in: Peter WOLLNY (Hg.), Mitteldeutschland im musikalischen Glanz seiner Residenzen. Sachsen, Böhmen und Schlesien als Musiklandschaften im 16. und 17. Jahrhundert, Beeskow 2005, S. 219–235.
MICHAEL CHIZZALI
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Mit dem in den 1530er und 1540er Jahren an Breitenwirkung gewinnenden Notendruck, der nun erstmals vermehrt eine eindeutige Provenienz der international zirkulierenden Musikalien etabliert, wird nun auch die Tragweite italienischer Musikproduktion im mitteldeutschen Raum greifbar. Dies betrifft nicht nur genuin in Italien hergestellte Publikationen (deren überwältigende Mehrheit aus Venedig stammt), sondern auch deutsche Sammelbände mit beliebter italienischer Musik, die vor allem in Nürnberg (durch Drucker-Editor-Kooperationen wie etwa Johann Petreius und Georg Forster oder Hieronymus Formschneider und Hans Ott) erschienen. Die wohl bedeutendste mitteldeutsche Dokumentation aus der ersten Jahrhunderthälfte stellt hierbei der (fast vollständig) erhaltene Notenfundus aus der von Friedrich dem Weisen initiierten und von seinem Neffen Johann Friedrich beträchtlich erweiterten kurfürstlichen Universitätsbibliothek in Wittenberg dar. Im systematischen Bibliothekskatalog, der vermutlich um 1544 unter der Aufsicht des Hofbibliothekars Georg Spalatin angelegt wurde,13 sind 23 Notendrucke italienischer Herkunft verzeichnet, die zusammen mehr als ein Drittel des Gesamtbestands ausmachen (vgl. Tabelle 114). Tabelle 1: Musikalien italienischer Herkunft in der Kurfürstlichen Universitätsbibliothek Wittenberg (bis 1547) Titel Motetti de la corona. Libro primo Motetti de la corona. Libro secondo Motetti de la corona. Libro quarto Opera intitulata fontegara. La quale insegna a sonare di flauto […], composta per Sylvestro di Ganassi 13
14
Druckort, Drucker, Publikationsjahr Rom, Giovanni Giacomo Pasotti/Valerio Dorico, 1526 Rom, Giovanni Giacomo Pasotti/Valerio Dorico, 1526 Rom, Giovanni Giacomo Pasotti/Valerio Dorico, 1526
RISMSigel B/I 15261 B/I 15262 B/I 15264
Venedig, Eigenverlag, 1535
A/I G 325
Signatur 4 Mus. 1a–d(1) 4 Mus. 1a–d(2) 4 Mus. 1a–d(3) 4 Mus. 14
Den Bestand der Bibliotheca electoralis bis zum Ende des ernestinischen Kurfürstentums verzeichnen insgesamt drei miteinander zusammenhängende Bibliothekskataloge. Vgl. Sachiko KUSUKAWA, A Wittenberg University Library Catalogue of 1536, Cambridge 1995; Ernst HILDEBRANDT, Die kurfürstliche Schloß- und Universitätsbibliothek zu Wittenberg 1512– 1547, in: Zeitschrift für Buchkunde 2 (1925), S. 34–42, 109–129 und 157–188; Marie SCHLÜTER, Musikgeschichte Wittenbergs im 16. Jahrhundert. Quellenkundliche und sozialgeschichtliche Untersuchungen, Göttingen 2010, S. 186 f. Sowohl die Bibliothekskataloge als auch die Notendrucke sind digitalisiert abrufbar unter http://archive.thulb.unijena.de/hisbest/templates/master/template_collections/in- dex.xml (Zugriff: 29. Februar 2016). Die Aufstellung bei Schlüter ist an einigen Stellen zu korrigieren. Vgl. SCHLÜTER, Musikgeschichte Wittenbergs (wie Anm. 13), S. 187–191.
MUSIK AUS ITALIEN AN ERNESTINISCHEN HÖFEN Iacheti musici celeberrimi atque delectabilis […], motecta quinque vocum […], liber primus Celeberrimi maximeque delectabilis musici Iachet […], motecta quatuor vocum […], liber primus Famosissimi Adriani Vvillaert […], musica quinque vocum (quae vulgo motecta nuncunpatur [sic]) […], liber primus Quinque missae Moralis hispani, ac Iacheti musici excellentissimi liber primus, cum quinque vocibus Excellentissimi musici Moralis hispani, Gomberti, ac Iacheti cum quatuor vocibus missae […], liber primus Gomberti excellentissimi […], musica quatuor vocum (vulgo motecta nuncupatur) […], liber primus Nicolai Gomberti musici solertissimi, motectorum quinque vocum […], liber secundus Nicolai Gomberti, musici imperatorii, motectorum […], liber secundus. Quatuor vocum Di Girolamo Scotto il primo libro de i madrigali a doi voci Di Girolamo Scotto i madrigali a tre voci con alcuni alla misura breve Nicolai Gomberti musici excellentissimi pentaphthongos harmonia, que quinque vocum motetta vulgo nominantur […], liber primus Di Cipriano Rore i madrigali a cinque voci
415
Venedig, Girolamo Scotto, 1539
A/I J 6
4 Mus. 3a–d(5); Quintus: 4 Mus. 10e(5)
Venedig, Girolamo Scotto, 1539
A/I J 9
4 Mus. 3a–d(8)
Venedig, Girolamo Scotto, 1539
A/I W 1110
4 Mus. 3a–d(6); Quintus: 4 Mus. 10e(6)
Venedig, Girolamo Scotto, 1540
B/I 15403
4 Mus. 10a–e(2)
Venedig, Girolamo Scotto, 1540
B/I 15404
4 Mus. 10a–d(4)
Venedig, Girolamo Scotto, 1541
A/I G 2978
4 Mus. 8a–d(3)
Venedig, Girolamo Scotto, 1541
A/I G 2984
4 Mus. 8a–d(2); Quintus: 4 Mus. 10e(4)
Venedig, Girolamo Scotto, 1541
A/I G 2987
4 Mus. 8a–d(4)
Venedig, Girolamo Scotto, 1541
A/I S 2618
4 Mus. 8a,c(6)
Venedig, Girolamo Scotto, 1541
A/I S 2615
4 Mus. 8a,c–d(5)
Venedig, Girolamo Scotto, 1541
B/I 15413
4 Mus. 8a–d(1); Quintus: 4 Mus. 10e(3)
Venedig, Girolamo Scotto, 1542
A/I R 2479
4 Mus. 9a– d(1); Quintus: 4 Mus. 10e(8)
MICHAEL CHIZZALI
416 Sex missae cum quinque vocibus, quarum tres sunt excellentissimi musici Jacheti, reliquae vero celeberrimi Gomberti Missae cum quatuor vocibus paribus decantandae, Moralis hispani, ac aliorum authorum Magnificat cum quatuor vocibus Moralis hispani aliorumque authorum […], liber primus Hymnorum musica secundum ordinem romanae ecclesiae, excellentissimi Adriani Vvilart [sic], ac aliorum authorum Madrigali a quatro voce [sic] di Geronimo Scotto con alcuni ala [sic] misura breve […], libro primo D’Archadelt il primo libro de i madrigali a quatro voci Musica quinque vocum. Motteta [sic] materna lingua vocata
Venedig, Girolamo Scotto, 1542
B/I 15422
4 Mus. 10a–e(1)
Venedig, Girolamo Scotto, 1542
B/I 15423
4 Mus. 10a–d(3)
Venedig, Girolamo Scotto, 1542
B/I 15429
4 Mus. 3a–d(1)
Venedig, Girolamo Scotto, 1542
B/I 154211
4 Mus. 3a–d(4)
Venedig, Girolamo Scotto, 1542
B/I 154219
4 Mus. 9a–d(3)
Venedig, Girolamo Scotto, 1543
A/I A 1318
Venedig, Girolamo Scotto, 1543
B/I 15432
4 Mus. 9a–d(2) 4 Mus. 3a–d(7); Quintus: 4 Mus. 10e(7)
Darunter findet sich vornehmlich geistliche Musik (Messen, Motetten), aber auch unter dem Sammelbegriff „Madrigal“ subsumierte weltliche Werke, deren gattungstypologische Bandbreite von komplexen polyphonen Gebilden (Cipriano de Rore) über Stücke eher homophoner Machart (Jacques Arcadelt) und villanellischen Gebilden (Adrian Willaert) bis hin zu einfachen zwei- und dreistimmigen Kompositionen (Girolamo Scotto), die wohl eher zum Übungsgebrauch gedacht waren, reicht. Über den Transfer dieser fast ausschließlich bei dem genannten Scotto in Venedig publizierten Drucke nach Wittenberg gibt der Briefwechsel des Wittenberger Buchführers Christoph Schramm Auskunft: In einem Schreiben vom 24. Mai 1544 an den Zwickauer Stadtschreiber Stephan Roth, der sich für italienische Buchprodukte interessierte, teilte Schramm mit, […] und wist das ich die gesang venedisch iczundt von Franckfort bracht fast alle verkaufft habe, doch niemande dan in die Libereienn m g hernn und sonst in die Schlesienn dan sie zu teur sint, man mirs hie nicht beczalet doch muss ichs zum schaue mit bringen
MUSIK AUS ITALIEN AN ERNESTINISCHEN HÖFEN
417
ob sie gleich nicht verkaufft werdenn alle so balde, aber dies mall sint sie alle verkaufft […].15
Bei der „Libereienn m[eines] g[nädigen] hernn“ handelt es sich mit ziemlicher Sicherheit um die kurfürstliche Universitätsbibliothek, welche die »gesang venedisch« für sich erwarb.16 Die Anschaffung der Notendrucke hing – im Gegensatz zu anderen Wissensgebieten, für die sehr wohl eine systematisierte Akquierierungspolitik symptomatisch war – ausschließlich vom Angebot des Buchführers, das dieser auf eigenes Risiko auf den Buchmessen ankaufte, ab. Somit kann für den Wittenberger Notenbestand kaum gelten, dass eine an profilierten musikalisch-stilistischen Kriterien orientierte Auswahl stattgefunden hätte. Die Drucke waren denn auch nicht für die Aufführung gedacht – wie unter anderem ihr hervorragender Erhaltungszustand beweist, wurden sie nicht häufig verwendet, am ehesten zum Studium und zum Abschreiben.17 Höchstwahrscheinlich hat Georg Rhaw (1488–1548) für sein reformatorisch-pädagogisches Verlagsprogramm als Repertoirepool nicht nur die Jenaer Chorbücher, sondern auch die Notendrucke der kurfürstlichen Universitätsbibliothek genutzt. Aus den gründlich erstellten Konkordanzvergleichen der Rhaw-Gesamtausgabe18 wird ersichtlich, dass Rhaw sich einer ansehnlichen Anzahl von italienischen Specimena bediente, und zwar insbesondere für seine Sammlung an Vesperkompositionen Postremum vespertini officii opus (1544) sowie für die Tricinien- und Bicinienbände (1542 bzw. 1545). Die Vorlagen stammten wohl zum Großteil aus seinem Privatbesitz,19 er könnte aber hierbei durchaus auch auf Exemplare der kurfürstlichen Universitätsbibliothek zurückgegriffen haben: So enthält Postremum vespertini officii opus 11 Magnifikat, die – in gleicher Reihenfolge – dem zwei Jahre zuvor erschienenen Morales-Magnifikatband entnommen wurden, und für sein letztes Druckopus, den zweiten Band seiner Bicinia gallica, latina et germanica (1545) arrangierte Rhaw zweiteilige motettisch-geistliche Gesänge in
15 16 17 18 19
Zitiert nach: Georg BUCHWALD, Stadtschreiber M. Stephan Roth in Zwickau in seiner literarisch-buchhändlerischen Bedeutung für die Reformationszeit, in: Archiv für Geschichte des Deutschen Buchhandels 16 (1893), S. 232 (Brief Nr. 758). Vgl. SCHLÜTER, Musikgeschichte Wittenbergs (wie Anm. 13), S. 195 f. Vgl. ebd., S. 196–198. Vgl. Hans ALBRECHT u. a., Georg Rhau. Musikdrucke aus den Jahren 1538–1545. In praktischer Neuausgabe, 13 Bde., Kassel u. a. 1955–. Auffallende Konkordanzen zu italienischen Notenpublikationen, die sich nachweislich nicht in der kurfürstlichen Universitätsbibliothek befanden, bestehen bei Rhaws Tricinien zu den venezianischen Antico-Drucken Chansons à troys (1520, neun Übereinstimmungen) und La Courone et fleur des chansons à troys (1536, fünf Übereinstimmungen) sowie bei den Bicinien zu dem Gardano-Druck Canzoni francese a due voci (1539), der komplett übernommen wurde, und den Motetti novi e chanzoni franciose a quatro sopra doi (Antico 1520, sieben Übereinstimmungen).
418
MICHAEL CHIZZALI
lateinischer Sprache aus Scottos Madrigali a doi voci (1541).20 Die Übernahme genuin italienischsprachiger Stücke vermied Rhaw offensichtlich. So wurde in den genannten Bicinienband lediglich ein einzige italienisch unterlegte Komposition aufgenommen (Se del mio amor temete, wiederum aus Scottos Publikation zweistimmiger Madrigale21), und die markant die Symphoniae jucundae (1538) eröffnende Frottola In te domine speravi von Josquin Desprez, deren Binnentext in der ältesten Druckquelle, dem Petrucci-Druck Frottole libro primo (1504) ebenfalls italienisch ist, wird bei dem Wittenberger Musikdrucker als lateinische Kontrafaktur tradiert. Die Aktionen Rhaws zeigen deutlich, wie das „Italienische“ im mitteldeutschen Raum in dieser vergleichsweise frühen Phase des Notendruckes konnotiert gewesen sein dürfte; weniger als übergeordneter Begriff wie auch immer gearteter Gattungs- und Stilcharakteristika als vielmehr quantitative wie qualitative Größe in einem sich gerade etablierenden internationalen Handel mit Musik, im Rahmen dessen dem zu jener Zeit schon traditionsreichen Druckerzentrum Venedig eine überragende Rolle in der Produktion, Distribution und Kanalisierung derselben zukam. Neben den Themenfeldern, die sich im Zusammenhang mit dem Dresdner Hof ergeben (und auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden soll) bilden die Höfe der thüringischen Ernestiner ab der zweiten Jahrhunderthälfte einen wichtigen Arbeitsschwerpunkt des Projekts. Für diese Zeit ist symptomatisch, dass mit dem zunehmenden Angebot an internationalem Notenmaterial sowie der Präsenz italienischer Musiker im mitteldeutschen Raum ab der zweiten Jahrhunderthälfte auch eine verstärkte nationalisierende Individualisierung der Musik einsetzt: Italienischsprachige Vokalformen avancieren zum ernstzunehmenden Konkurrenten der bis dato dominierenden französischen auf dem internationalen Musik(alien)markt. Dass diese Entwicklung sich auch an den peripheren ernestinischen Höfe bemerkbar machte, geht aus dem Revers der Bestallung des Arnstädter Kantors Johann Hermann, der von Herzog Johann Wilhelm 1567 als Hofkapellmeister nach Weimar geholt wurde, hervor: Stellet die Vorbesserung angetzogener undt Specificirter besoldung In Ihrer Fürstlichen Durchlauchtigkeit gnedigenn gefallen, Dagegen will ehr [Hermann] die Knaben, soviel Ihme muglichen undt sie volgenn wollen, Rechtschaffenn Singen, Colorieren, undt zierlichen die französischen undt italienischen gesenge zu singen Unterrichten.22
Das Wort „zierlichen“ lässt in diesem Zusammenhang auf eher einfache und kleinformatige Stücke schließen, wodurch sogleich auch klar wird, was mit den »französischen« und »italienischen« Gesängen gemeint gewesen war: Populäre 20 21 22
Vgl. Georg RHAW, Bicinia gallica, latina, germanica, Bd. II, Wittennerg 1545, Nr. 43–49. Vgl. ebd., Nr. 27. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, RR, Bl. 1–316, Nr. 690.
MUSIK AUS ITALIEN AN ERNESTINISCHEN HÖFEN
419
Liedformen, wie sie es zu jener Zeit die italienischsprachigen Villanellen auf der einen Seite und die französischen Chansons auf der anderen Seite waren. Es wird somit nicht nur eine Herkunft abstrahiert (wie beispielsweise etwa im Zusammenhang mit den Druckermetropolen Paris oder Venedig), was damals häufig genug vorkam,23 sondern zusätzlich eine klare Abgrenzung sprachlicher Rahmenbedingungen vorgenommen, die auf ganz bestimmte, etablierte musikalische Gattungsbezeichnungen verweisen. Unterhaltungsmusik, die nun auch, wie es etwa am beargwöhnten Dresdner Hof mit seiner bereits seit 1549 nachhaltig italienisch beeinflussten Hofmusik üblich war, italienischsprachige Stücke umfasste – dies dürfte Herzog Johann Wilhelm vorgeschwebt haben. Eine Attraktion wie die „welsche Musica“ in Dresden konnten sich die in politische Intrigen verstrickten, pekuniär klammen Ernestiner freilich nicht leisten. Engagements von Italienern sind am Weimarer Hof der 1560er und 1570er Jahre kaum nachzuweisen: Vermutlich war der „welsche Fiedler“ Antonio, der 1573 eine Anstellung am Wolfenbütteler Hof erhielt, identisch mit dem Geiger Anthoni Adriel, der in den Besoldungsakten der kurz zuvor aufgelösten Weimarer Kapelle erscheint.24 Im Zusammenhang mit der italienisch-deutschen Musikermigration unter ernstinischen Potentaten ist erst gegen Ende des Jahrhunderts Friedrich Wilhelm, der älteste Sohn des Johann Wilhelm und kursächsischer Administrator von 1591 bis 1601, von Interesse: In die Regierungsphase des bis dato hinsichtlich seiner musikalischen Patronage gänzlich unbewerteten Herzogs fällt die erste Studienreise von Dresdner Kapellmusikern nach Florenz.25 Nicht zuletzt aufgrund der prekären Quellensituation zu den fluktuierenden Hofkapellphasen der Ernestiner nach 1547 beschäftigt sich das Projekt auch mit 23
24 25
Beispielsweise »welsche Mutteten« = Motettenband in lateinischer Sprache, der in Italien hergestellt wurde. Vgl. das 1554 erstellte Inventar der Dresdner Hofkantorei, Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, Loc. 08687/01, ediert bei: Wilhelm SCHÄFER, Sachsen-Chronik für Vergangenheit und Gegenwart, Dresden 1854, S. 318–320. Vgl. Martin RUHNKE, Beiträge zu einer Geschichte der deutschen Hofmusikkollegien im 16. Jahrhundert, Berlin 1963, S. 308. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt (noch wurden nicht alle diesbezüglichen Quellen ausgewertet) konnte eruiert werden, dass Friedrich Wilhelm 1596 bei Kaiser Rudolf II. in Prag anfragen ließ, ob dieser für die Mitglieder der Dresdner Hofkapelle Wilhelm Gunther und Johann Gocheritz ein Empfehlungsschreiben an den Großherzog der Toskana richten könnte. Der Kaiser entsprach Friedrich Wilhelms Wunsch. In dem am 8. November 1596 datierten, heute im Staatsarchiv von Florenz befindlichen kaiserlichen Gesuch heißt es unter anderem: »Illustrissime affinis et Princeps charissime. Rogat nos Illu. Fridericus Guilielmus Dux Saxoniae, Landgravius Thuringiae et Marchio Misniae, Tutor et Electoratus Saxoniae Administrator Princeps et Consanguineus noster charissimus, ut Dil.ni Suae Ambrosij Guntheri Musici Dresdensis filium Guilielmum et eius Socium, qui aliquot annos sese in Choro Electorali Saxonico tum vocalitum Instrumentali Musica exercuerunt, literis nostris commendare non gravemur.« Florenz, AS, AMP, Filza 4458, Bl. 506r–506v.
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der kompositorisch-editorischen Produktion im nahen Umkreis ernestinischer Höfe, die vielleicht nicht direkte Rückschlüsse auf die höfische Musikpraxis erlauben, aber wenigstens die damalige Intensität in der Rezeption italienischer Musik nachzuvollziehen helfen. Hierunter fällt beispielweise das musikalische Verlagsprogramm des Erfurter Druckers Georg Baumann d. Ä. (aktiv ca. 1557– 1599). Seit Anfang der 1570er Jahre offenbaren die Drucke Baumanns, die vorzugsweise von Kantoren seines näheren Umfeldes komponiert bzw. konzipiert wurden, eine bemerkenswerte Affinität zu italienischer Musik. Auf die Odae sacrae [...] ad imitationem italicarum villanescarum, eine 1572 herausgebrachte Koproduktion des angesehenen Mühlhäuser Kantors Joachim a Burck und des Theologen, Pädagogen und preisgekrönten Dichters Ludwig Helmbold, folgte eine Reihe von (mittlerweile fast vollständig dechiffrierten) Kontrafakturdrucken, denen in überwältigender Mehrzahl italienischsprachige Musik in Form von Villanellen, Kanzonen, Kanzonetten und Madrigalen (von Adrian Willaert, Orlando di Lasso, Baldissera Donato, Perissone Cambio, Francesco Corteccia, Jacques Arcadelt, Giovanni Ferretti, Luca Marenzio, Orazio Vecchi, Andrea Gabrieli usw.) zugrunde liegt. Unter diesen Drucken sticht der letzte, 1598 von dem Gothaer Kantor Johannes Lindemann herausgegebene Band Amorum filii dei decades duae hervor, nicht zuletzt deswegen, weil sich bei ihm eine überaus signifikante Widmungsstrategie an die ernestinischen Herzöge (in diesem Fall von Sachsen-Coburg) feststellen lässt. Bedauerlicherweise ist der Druck nur mehr fragmentarisch erhalten: Als vollständiges Stimmbuch liegt heute lediglich der Tenor vor,26 der aber glücklicherweise über sämtliche Rahmeninformationen des Druckes (die in diesem Fall nicht nur ein Vorwort und ein Einleitungsepigramm, sondern auch ein Frontispiz umfassen) verfügt. Dem Vorwort ist zu entnehmen, dass Lindemann ursprünglich drei derartige Decades verfasst hatte. Den geistlichen Weihnachts- und Neujahrsgesängen dieser Decades dienten als Grundlage […] für dieser zeit, etzliche gantz fröliche, und liebliche Italienische Balletti, des Fürtrefflichen und Kunstreichen Musici, Giovanni Giacomo Gastoldi, des Hertzogen von Mantua Cappellenmeistern, so wol als andere gantz liebliche Neapolitanische Madrigall, Galliardt, und Intrada, vieler Weitberhümpten Componisten […].27
Prominent in diesem Druck treten somit Balletti Gastoldis (acht der insgesamt 22 Stücke, darunter die bekannte, später in evangelische Gesangbücher Eingang findende Kontrafaktur In dir ist Freude) hervor, daneben konnten Kanzonen und Madrigale von Marenzio, Ferretti, Girolamo Conversi, Theodoro Riccio und Jacob Regnart identifiziert werden; der nicht-italienischsprachige Anteil (von Andreas Pevernage, Lambert de Savye, Johann Hermann und anderen) macht 26 27
Heute Biblioteka Jagiellońska, Sig. Mus.ant.pract. L 920. Johannes LINDEMANN (Hg.), Amorum filii dei decades duae, Erfurt 1598, Vorwort, o. S.
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insgesamt ca. ein Drittel aus (vgl. Tabelle 2). Das Repertoire orientiert sich somit einerseits an aktuellen Notenpublikationen, übernimmt aber andererseits auch ältere, teilweise jahrzehntealte „Hits“ – ein Phänomen, das nicht nur für andere Kontrafakturdrucke Baumanns,28 sondern auch für die zeitgenössische handschriftliche Überlieferung charakteristisch ist.29 Tabelle 2: Johannes Lindemann (Hg.), Amorum filii dei decades duae, Erfurt 1598: Kontrafizierte Vertonungen Stück(e) im Band
Komponist
Nr. 2, 3, 6, 7, 8, 10, 12, 15
Giovanni Giacomo Gastoldi
Nr. 9, 11
Andreas Pevernage
Nr. 5
Giovanni Ferretti
Nr. 14
Jacob Regnart
Nr. 16
Theodoro Riccio
Nr. 17
Luca Marenzio
Nr. 1830
Giovanni Ferretti
28
29
30
Referenzdruck Balletti a cinque voci, con li suoi versi per cantare, sonare, & ballare Chansons […] livre premier, contenant chansons spirituelles a cincq parties Canzone alla napolitana a cinque voci […] [Libro primo Il primo libro delle canzone italiane a cinque voci Il primo libro delle canzone alla napolitana a cinque voci Il terzo libro de madrigali a cinque voci Il quarto libro delle napolitane a cinque voci
Impressum
RISMSigel
Venedig, Amadino 1591
A/I G 508
Antwerpen, Platin 1589
A/I P 1670
Venedig, Scotto 1567
A/I 512
Wien, Mair 1574
A/I R 738
Nürnberg: Gerlach/Erben Berg 1577 Venedig, Gardano 1582 Venedig, Scotto 1571
A/I R 1295 A/I M 546 A/I F 527
Eine ähnliches Profil ergibt sich etwa bei der vom Eislebener Kantor Melchior Backhaus herausgegebenen Kontrafakturensammlung Primus liber suavissimas praestantissimorum nostrae aetatis artificum italianorum cantilenas (1587), die sowohl Kanzonetten und Madrigale der 1580er Jahre (von Marenzio, Vecchi, Andrea Gabrieli, Lelio Bertani, Giovanni Maria Nanino usw.) als auch Kanzonen, die 1572 und 1575 publiziert wurden (Ferretti, Conversi), enthält. Beispielsweise die Adjuvantenhandschrift Udestedt 3 oder die studentische Handschrift Wittenberger Ursprungs Uppsala Vok. Mus. Hs. 132. Vgl. Stefan VOSS, Die Musikaliensammlung im Pfarrarchiv Udestedt. Untersuchungen zur Musikgeschichte Thüringens im 17. und 18. Jahrhundert, Schneverdingen 2006, S. 161–179 sowie Nicole SCHWINDT, Ein studentisches Vademecum um 1600: die wenig bekannte Wittenberger Claviertabulatur S–Uu, Vok. Mus. Hs. 132, in: Paul MAI (Hg.), Im Dienst der Quellen zur Musik. Festschrift Gertraut Haberkamp zum 65. Geburtstag, Tutzing 2002, S. 229–247. Nr. 18 bei Lindemann fälschlicherweise Conversi zugeordnet.
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Nr. 19 Nr. 1 Nr. 4 Nr. 13 Zugabe 2 Nr. 20 Zugabe 1
Girolamo Conversi Christoph Clavius31 Adilon32 Johann Hermann Lambert de Sayve Anonym „Auctoris incerti“ Unidentifiziert (de Sayve?)
Il primo libro de canzoni alla napolitana a cinque voci
Venedig, Scotto 1572
A/I C 3545
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Die Druckorte lassen eine mittlerweile vollständig internationalisierte Produktion italienischer Musik erkennen. Überaus akzentuiert stellt das Frontispiz die Widmung des Druckes an Herzog Johann Casimir dar (vgl. Abb. 1): Über einem den „Effecta“ der Musik huldigenden Epigramm von Wolfgang Hexamius steht das Wappen der ernestinischen Herzöge, das von vier (musizierenden) Engeln und vier Akrosticha umrahmt wird. Das oberste (A.E.I.O.V.) bildet den Wahlspruch Johann Friedrichs II., des Vaters von Johann Casimir („Allein Evangelium ist ohne Verlust“33); links befindet sich das Motto Johann Casimirs (E.N.S.W.T.H., „Elend nicht schadet, wer Tugend hat“), während das rechte die Devise der lutherischen Reformation „Verbum Domini manet in aeternum“, V.D.M.I.AE.) wiedergibt. Die unterste Buchstabenfolge (M.U.S.I.C.A.) kann als Wort gelesen, aber auch als Akrostichon von Verszeilen des Lehrgedichts Lob und Preis der himmlischen Kunst Musica34 des protestantischen „Urkantors“35 Johann Walter (1564, 25. und Anfang der 26. Strophe) aufgelöst werden.
31
32 33
34 35
In der tschechischen Handschrift Raigern Ms. A 7077 (zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts): Thomas Sartorius. Vgl. Lucie SÝKOROVÁ, Rajhradský rukopisný sborník A 7077 z Oddělení hudební historie MZM v Brně, Dipl.-Arb. Masarykova Univerzita Brno 2008, S. 74, 80, 86, 92 und 98. Dem Titel ist beigefügt: „Super Mascharata Italicum La doulce palm’ a 5“. Vgl. hierzu auch das Akrostichon am Epitaph für Johann Friedrich und seine Frau in der Coburger Morizkirche. Zur Auflösung der Akrosticha vgl. Friedrich Wilhelm Adolf SCHLICKEYSEN, Erklärung der Abkürzungen auf Münzen des Alterthums, des Mittelalters und der neueren Zeit, sowie auf Denkmünzen und münzartigen Zeichen, Berlin 1855, S. 45, 98 und 246. „Musica ist ein gewunden Krantz, Und ein himmelischer Tanz, Süßiglich jede Stimme singt, In Freuden zu der andern springt, Concordia und Caritas, Aus Freud sich herzen, halten Maß.“ Vgl. Walter BLANKENBURG, Johann Walter. Leben und Werk. Aus dem Nachlaß herausgegeben von Friedhelm Brusniak, Tutzing 1991.
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Abb. 1: Johannes LINDEMANN (Hg.), Amorum filii dei decades duae, Erfurt 1598: Frontispiz
In Kombination mit den einerseits die ernestinischen Herzöge glorifizierenden („Schütze, lass blühn und wachsen, fürstliches Haus zu Sachsen“36), andererseits sich drastisch von Katholizismus und Islam abgrenzenden Kontrafakturen („Obwohl Satan tobet, Papst und Türke wütet, unser Gott uns doch behütet“37) wird nicht nur überdeutlich auf protestantische Parolen, Protagonisten und auf den protestantisch-christologischen Heilsgedanken selbst rekurriert, sondern auch auf ein Herrscherhaus, das sich wie kein zweites mit der Reformation verbunden sah. Mit Johann Friedrich II. ruft sich schlussendlich ein Repräsentant akzentuiert „wahren“ lutherischen Glaubens in Erinnerung, der beim Versuch der Ernestiner, die nach Mühlberg verlorene Vorreiterrolle in Bezug auf die evangelische Religionspolitik wiederzuerlangen, quasi märtyrerhaft gescheitert war. Viel eher als ein propagandistisches Instrument darf Lindemanns Edition 36 37
Vgl. LINDEMANN, Armorum (wie Anm. 27), Nr. 3, dritte Strophe. Vgl. ebd., Nr. 10, zweite Strophe.
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als Zeugnis eines (offen formulierten) protestantischen Identifikationsbestrebens gelten,38 das wohl gerade vor dem Hintergrund der gegenreformatorischjesuitischen Maßnahmen seit den 1570er Jahren (die in Thüringen übrigens teilweise sehr erfolgreich waren, man denke nur an die Rekatholisierung des Eichsfeldes) zu sehen ist – die Menschen mussten nicht mehr bekehrt, sondern in Glauben und Moral bestärkt werden. Auch über 80 Jahre nach dem Thesenanschlag waren der konfessionelle Gegensatz und sein diskursives Instrumentarium virulent, und somit verwundert es kaum, dass es in Kürze zu einem verheerenden Glaubenskrieg kommen sollte. Zum Medium dieses Antagonismus wurde die beste und populärste Musik ihrer Zeit funktionalisiert, die in ihrer explosiven Wirkung um eine weitere, in ihrer Ausformung vergleichsweise extreme und bislang kaum diskutierte funktionale Facette erweitert wurde. Hiermit seien nun erste Forschungsergebnisse des Projekts im Zusammenhang mit den Ernestinern kurz umrissen. Mit Blick auf das 17. Jahrhundert gewinnt auch die musikalische Hofkultur der thüringischen Ernestiner an Bedeutung und mit ihr der Einfluss der italienischen Musik; Kapellmeisterengagements von Melchior Franck, einem Pionier des (auch italienische Musik integrierenden) Quodlibets, in Coburg oder von Johann Hermann Schein, welcher der neuen „italiänischen Invention“ huldigt,39 sind sprechende Zeugnisse davon. Auch wenn sich für den mitteldeutschen Raum des 16. Jahrhunderts bislang nur ein bruchstückhaftes Bild ergibt, so ist doch davon auszugehen, dass das Interesse an der italienischen Musik, das während des Dreißigjährigen Krieges nicht erlöschen, sondern – im Gegenteil – sich noch ausweiten sollte, auf einen Traditions- und Überlieferungszusammenhang bauen konnte, der spätestens seit der großräumigen Versorgung durch Notendrucke etabliert gewesen dürfte. Musik aus Italien war bei Hofe, an der Lateinschule und im geselligen Convivium gleichermaßen beliebt – und zwar nicht erst im Zuge des Stilbruches um 1600, sondern wesentlich früher.
38
39
Über den (oder die) Verfasser der Kontrafakturen informiert Lindemanns Druck nur unzureichend. Es ist zu vermuten, dass die Texte (wenigstens teilweise) von Cyriacus Schneegass, der mit Lindemann verwandt- und freundschaftlich verbunden war, stammen. Schneegass ist als Autor eines Textes (Alternativtextierung zu Nr. 4) namentlich genannt und der drastische Wortlaut, wie er etwa auch in Schneegass’ Zwey und Zwantzig Christlichen Vierstimmingen Bete und Trost Gesänglein (Erfurt 1597) zum Ausdruck kommt, zeigt durchaus Parallelen zu Lindemanns Kontrafakturen. Vgl. Arno FORCHERT, Überlegungen zum Einfluss Italiens auf die deutsche Musik um 1600. Voraussetzungen und Bedingungen, in: Wolfram STEUDE (Hg.), Aneignung durch Verwandlung. Aufsätze zur deutschen Musik und Architektur des 16. und 17. Jahrhunderts, Laaber 1998, S. 135–147.
AXEL SCHRÖTER DAS WEIMARER HOFTHEATER UND DIE HOFKAPELLE MEININGEN
„Der Segen des absolut monarchischen Principes“. Zur europäischen Strahlkraft des Weimarer Hoftheaters und der Hofkapelle Meiningen Mit Opern-, Schauspiel- oder Konzertaufführungen nach außen zu wirken, war für Hoftheater und Hofkapellen von immenser Wichtigkeit, insbesondere dann, wenn die Identität des Hofes im entscheidenden Maß über die Kulturpolitik bestimmt wurde. Dies war in einem überdurchschnittlich hohen Maß in den ernestinischen Residenzen Weimar und Meiningen der Fall. Unter Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach erlebte in Weimar das Musiktheater, unter Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen in Meiningen das Sprechtheater und die Orchestermusik eine bis dahin nicht erreichte Blüte. Sowohl für Weimar als auch für Meiningen gilt, dass die europäische Strahlkraft dieser Ernestiner Residenzen allein über die maßgeblich das Theater- und Musikleben prägenden Künstlerpersönlichkeiten – genannt seien stellvertretend für Weimar Franz Liszt und Richard Strauss sowie für Meiningen Hans von Bülow und Max Reger – nicht erklärt werden kann. Erst die Höfische Kulturpolitik schuf dafür die Bedingungen der Möglichkeit.
1 Das Weimarer Hoftheater Bereits im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert war das Weimarer Hoftheater eine bedeutende Institution kulturellen Lebens und ein Ort der Interaktion. Es sprach das einheimische Publikum ebenso an, wie es auswärtige Besucher nach Weimar lockte, und es vollzog selbst die Öffnung dahingehend nach außen, dass es Gastspiele in Bad Lauchstädt, Halle, Leipzig, Nordhausen, Erfurt sowie Schwarzburg-Rudolstadt gab.1 Nachdem Liszt sich 1848 in Weimar niedergelassen hatte, bekam insbesondere das Musiktheater eine überregionale und auch internationale Strahlkraft, die auswärtige Gastspiele fast entbehrlich werden ließ und die das Publikum von weit her nach Weimar führte. Die
1
Vgl. dazu die Onlinedatenbank des DFG-Projektes „Theater und Musik in Weimar 1754– 1969“ (http://theaterzettel-weimar.thulb.uni-jena.de/home.html (Zugriff: 23. Februar 2016). Diese ermöglicht u. a. die Suche nach Aufführungsorten.
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AXEL SCHRÖTER
Fachpresse berichtete über die zentralen musikalischen Ereignisse emphatisch.2 Vor allem ist hier die Neue Zeitschrift für Musik (NZfM) zu nennen, die von Robert Schumann begründet und dann von 1845 bis 1868 von Franz Brendel herausgegebenen wurde, einem Apologeten der später sogenannten „Neudeutschen Schule“, zu deren Hauptvertretern Liszt, Wagner und Berlioz zu zählen sind.
1.1 Liszt als Hofkapellmeister in außerordentlichen Diensten Franz Liszt war Anfang 1848 nach Weimar gezogen, hatte von seinem Virtuosenleben Abstand genommen, um sein Amt als Hofkapellmeister in außerordentlichen Diensten voll wahrnehmen zu können. Bereits 1850 wurde sein Wirken als außerordentlicher Gewinn für die Residenzstadt angesehen. So bilanzierte die NZfM im Oktober: Es wird hier der geeignete Weg sein, der Verdienste zu gedenken, die LISZT seit seiner Anstellung in Weimar um das dortige Kunstleben sich erworben hat. In einem Zeitraume von ungefähr zwei Jahren hat er von größeren Tonwerken neu zur Aufführung gebracht: Tannhäuser, Iphigenie in Aulis, Lohengrin, die 9te Simphonie von Beethoven, Elias von Mendelssohn, die Schlußscene zum Faust von Schumann.
Liszt habe „den Weimaranern Kunstgenüsse verschafft, deren sie ohne ihn wahrscheinlich niemals theilhaftig geworden wären.“3 Die weit über die Grenzen des deutschsprachigen Raumes gelesene NZfM würdigte insbesondere Liszts Einsatz für die zeitgenössische Musik, besprach sie ausführlich, und noch nachdem Liszt die Klassikerstadt verlassen hatte, schrieb einer ihrer Berichterstatter, Franz Müller: Liszt durchdrang und beseelte den bedeutendsten Zweig des musikalischen Lebens: die OPER. Mit ihr an der Spitze erhob sich die Gesammtheit der Weimarer musikalischen Zustände bald zu einer solchen Höhe, daß Weimar der Ausgangs= und Mittelpunkt eines neuen, eingreifenden Kunstlebens zu werden versprach. […] Die Blicke Deutschlands richteten sich damals mit erhöhetem Interesse […] auf Weimar, das in richtiger Erfassung neuer Strömungen thatsächlich zu zeigen begann, daß sein Kunstleben nicht still stehe, daß es der ruhmvollen Vergangenheit eine frische Gegenwart anzureihen wisse.4
Tatsächlich verlieh Liszt dem Weimarer Hoftheater eine spezifische Prägung, er war aber für die Spielplangestaltung insgesamt keineswegs der allein Verantwortliche. Bereits Richard Pohl, zunächst ein Schumannianer, jedoch spätestens 2 3 4
Vgl. Axel SCHRÖTER, Liszts Wirken in Weimar. Innen- und Außensicht, in: Hellmut Th. SEEMANN/Thorsten VALK (Hg.), Übertönte Geschichten. Musikkultur in Weimar, Göttingen 2011, S. 155–171. Neue Zeitschrift für Musik (im Folgenden: NZfM), 11. Oktober 1850, S. 163. NZfM, 8. November 1861, S. 175−178, hier S. 177.
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ab 1853 zunehmend in den Bann Liszts, Berlioz’ und Wagners geratend,5 machte 1856 in der NZfM darauf aufmerksam, dass Liszt die Geschicke des Weimarer Musiktheatergeschehen keineswegs maßgeblich bestimme. Liszt entwerfe nicht alleine das „Opern-Repertoire“, vermittele nicht sämtliche „OpernEngagements“ und habe auch nicht die „technische und artistische Leitung der Oper“ ganz übernommen. Vielmehr wolle er gar nicht über die Weimarer Mittel und Kräfte „die alleinige Disposition haben“, er vermeide es sogar, „in den Organisationsfragen sich geltend zu machen“. Er entwerfe auch das Repertoire nicht, sondern mache nur „in jeder Saison einige neue, oder sonst bedeutende Werke namhaft, die er einzustudiren und zu dirigiren“ wünsche.6 Pohls Darlegung, die auf unmittelbaren Erfahrungen beruht – er war 1854, nachdem Liszt seiner Frau eine Stelle als Harfenistin in der Hofkapelle verschafft hatte, nach Weimar gezogen –,7 zeigt, dass der Einfluss Liszts auf das Hoftheater und sein Engagement als Hofkapellmeister geringer ist, als noch heute gemeinhin angenommen wird. Sie entspricht aber wohl weitgehend den Tatsachen und ist die plausibelste Erklärung dafür, warum der Weimarer Theaterspielplan letztlich ebenso bunt wie vielfältig war und insgesamt ein breites, alle Schichten übergreifendes Publikum ansprechen musste. Mit zurückzuführen ist dieser Sachverhalt zweifellos auf den Einfluss Carl Alexanders, der Liszt gegenüber zwar überaus freundschaftlich gesonnen war,8 der aber ganz zweifellos auch starke Interessen an der Förderung des Sprechtheaters hatte, wie er überhaupt die Überzeugung vertrat, dass „alle Künste in Weimar eine Heimstatt haben“9 sollten. Liszt dachte dagegen vergleichsweise elitär. Wenn man sich das 1852 an Maria Pawlowna gerichtete Memorandum, das er über Carl Alexander an die Großfürstin richtete, vergegenwärtigt, so wird klar, dass zwischen der Hofkulturpolitik und seinen Anschauungen zumindest dahingehend Diskrepanzen bestanden, dass sich Liszt gegenüber dem Weimarer Publikum in einem nicht geringen Maß 5
6 7 8
9
Vgl. Axel SCHRÖTER, Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Richard Pohl 1850−1877, in: Thomas SYNOFZIK/Axel SCHRÖTER/Klaus DÖGE (Hg.), Schumann Briefedition, Serie II: Freundes- und Künstlerbriefwechsel, Bd. 5: Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Franz Brendel, Hermann Levi, Franz Liszt, Richard Pohl und Richard Wagner, Köln 2014, S. 331–336. Hoplit [= Richard POHL], Vertrauliche Briefe aus Weimar, in: NZfM, 2. Mai 1856, S. 199– 201, hier S. 200 f. SCHRÖTER, Briefwechsel mit Richard Pohl (wie Anm. 5), S. 336. Nicolas DUFETEL, Liszt und Carl Alexander im Spiegel ihrer Korrespondenz, in: Detlef ALTENBURG (Hg.), Franz Liszt – Ein Europäer in Weimar. Katalog der Landesausstellung Thüringen im Schiller-Museum und Schlossmuseum Weimar (24. Juli – 31. Oktober 2011), Köln 2011, S. 186–193. Angelika PÖTHE, Carl Alexander. Mäzen in Weimars ‚Silberner Zeit‘, Köln/Weimar/Wien 1998, S. 239.
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despektierlich verhielt und primär auf das auswärtige setzte, das nach Weimar kommen sollte. In der Denkschrift zur Situation des Weimarer Theaters hatte Liszt am 14. Januar 1852 das Unverständnis und die mangelnde Urteilsfähigkeit des Weimarer Publikums thematisiert: Da Weimar kein Publikum besitzt, das imstande wäre, den wahren Wert der Stücke zu beurteilen, die es aufgeführt sieht, so kann sein Theater nur Ruhm gewinnen, wenn man sich an das Interesse der benachbarten Städte wendet. Um das zu erlangen, muß man sich notwendigerweise entschließen, Werke zu geben, die ihren wahren Erfolg nur haben werden, wenn ihr Ruf ein fremdes, urteilsfähigeres Publikum hierher geführt haben wird. Dieses zweite Publikum wird eine Güte der Vorstellungen nötig machen, die die Weimarer nicht verlangen, denn sie wissen kaum, worin sie bestehen könnte; es wird aber dann diese selben Weimaraner mit fortreißen, die, wenn sie auch von zu Hause aus wenig gewöhnt sind Gutes von Schlechtem zu unterscheiden, doch nicht wenig entzückt sein werden, ihren Abend zu verbringen, indem sie Werke sehen, die den Stempel der Meisterschaft tragen.10
An Liszts Zielen mussten Carl Alexander wie Maria Pawlowna im Sinne der Außenwirkung des Hofes zweifellos Interesse haben, mochte ihm auch Liszts Kritik am Musikverständnis der Weimarer Bürgerinnen und Bürger weniger recht sein können.11 Die Konsequenz war der von Pohl zunächst mit Verwunderung wahrgenommene zweigleisige Spielplan, der einerseits Liszts Vorstellung von Hochkultur und dessen musikalisches Parteidenken (Wagner, Berlioz) unterstütze, der aber andererseits wie schon zur Zeit Goethes auch am Mainstream orientierte Alltagskultur bot. Darüber hinaus setzte Carl Alexander Liszt weitere Grenzen. Nach seinem Treffen mit Wagner in Zürich war Letzterer von der Konzeption des Ring des Nibelungen so sehr begeistert, dass er nach Kenntnis der Partituren von Rheingold und Walküre – Siegfried und Götterdämmerung waren noch nicht einmal ansatzweise komponiert – Ersteren dazu zu überreden versuchte, in Weimar ein Festspielhaus zu bauen, das die Aufführung dieses Kolossalwerks ermöglichte.12 Dazu kam es nicht. Obschon Carl Alexander spätestens seit der Uraufführung des Lohengrin eine große Leidenschaft für Wagners Werk hegte,13 die ohne Frage bestimmend dafür wurde, dass das Weimarer Hoftheater auch nach Liszts Niederlegung seiner Position als Hofkapellmeister in außerordentlichen Diensten maßstabsetzende Wagneraufführungen auf die Bühne brachte, und wenngleich 10 11 12 13
Zitiert in der deutschen Übersetzung von Peter RAABE, Franz Liszt, Bd. 1: Liszts Leben, Stuttgart/Berlin 1931, S. 119 f. Vollständig zitiert und kontextualisiert bei Wolfram HUSCHKE, Franz Liszt. Wirken und Wirkungen in Weimar, Weimar 2010, S. 71–78. PÖTHE, Carl Alexander (wie Anm. 9), S. 238 f. Vgl. dazu Liszts Brief vom 10. November 1856 an Großherzog Carl Alexander, in: La Mara [= Marie LIPSIUS] (Hg.), Briefwechsel zwischen Liszt und Carl Alexander Großherzog von Sachsen, Leipzig 1909, S. 51 f. Vgl. PÖTHE, Carl Alexander (wie Anm. 9), S. 264–279.
DAS WEIMARER HOFTHEATER UND DIE HOFKAPELLE MEININGEN
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er später zu den prominentesten Gästen der ersten Bayreuther Festspiele im Jahr 1876 zählte und sich über Rheingold und Walküre geradezu emphatisch äußerte, so muss man für seine ablehnende Haltung gegenüber dem Bau eines Festspielhauses in Weimar, das ausschließlich den Werken Wagners und ihrer Verbreitung dienen sollte, Verständnis aufbringen. Er wäre einfach zu kostenintensiv gewesen. Statt eines solchen errichtete der Großherzog 1860 eine Kunstschule und ließ auch das Neue Museum erbauen, das 1869 eingeweiht wurde. Sein nach seiner Münchner Reise 1858 verfasstes und vielzitiertes „KunstGlaubensbekenntnis“,14 in welchem Carl Alexander großer Kunst eine metaphysische Dimension zuspricht und sie entsprechend erhöht, zeigt gleichwohl, dass er letztlich dennoch Liszts Kunstdenken näher war, als es aufgrund der bisherigen Darlegungen den Anschein haben mag. Die Kopplung bedeutender Kunst mit dem Bereich des Sakrosankten im Sinne eines Zwei-Welten-Modells, seit Wackenroder/Tieck ein zentraler Gedanke der Musikästhetik,15 wurde von Liszt schon in den 1830er Jahren in seinen Schriften vertreten, und indem er Beethovensche Kompositionen im Rahmen von Kirchenkonzerten aufführte, praktizierte er auch selbst eine Art Kunstreligion.16 Im Vorwort zu seiner Transkription der 5. Symphonie Beethovens schrieb er dann 1840: „Der Name Beethoven ist heilig in der Kunst“.17 Letztlich stand auch Wagners Werk im Sinne des „Kunst-Glaubensbekenntnisses“ Carl Alexander nahe und sicherte sich so seine Protektion. Verstand Wagner sein „Kunstwerk der Zukunft“ zunächst auch keineswegs im Sinne einer christlichen Metaphysik und verwirklichte er erst in seinem Bühnenweihfestspiel Parsifal die Idee einer Kunstreligion, so lässt sich, über die Komponisten- und Autorenintention hinausgehend, in ein Werk wie Lohengrin, das Carl Alexander besonders schätzte, ohne Frage eine christliche Dimension hineinprojizieren, wie auch in der modifizierten Fassung des Fliegenden Holländer, die Liszt 1853 in Weimar dirigierte, der Erlösungsgedanke virulent ist. Lohengrin ist nicht nur die Inkarnation eines unverstandenen, „neuen Menschen“, sondern zunächst erst einmal der Sohn Parsifals, der im Sinne des Grals und von diesem entsandt, in das Geschick der Menschen eingreift. Der Fliegende Holländer wird durch die aufopfernde Tat Sentas im Sinne christlicher Heilslehre erlöst und steigt mit seiner Retterin gen Himmel auf. Auch Tannhäuser 14
15 16 17
Vgl. Gerhard MÜLLER, Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach. Dynastische Tradition und Kulturpolitik, in: Hellmut Th. SEEMANN/Thorsten VALK (Hg.), Das Zeitalter der Enkel. Kulturpolitik und Klassikrezeption unter Carl Alexander, Göttingen [2010], S. 68–100, hier S. 92 f. Vgl. Thorsten VALK, Literarische Musikästhetik. Eine Diskursgeschichte von 1800 bis 1950, Frankfurt 2008, S. 29–46. Axel SCHRÖTER, „Der Name Beethoven ist heilig in der Kunst“. Studien zu Liszts Beethoven-Rezeption, Sinzig 1999, hier S. 25–27. Ebd., S. 1, 78 und 84.
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wird, trotz offenkundiger Kritik am Papsttum, an der katholischen Kirche und der Wartburggesellschaft, letztlich durch Elisabeths Fürbitten erlöst. Diese religiösen und auch ethischen Komponenten der romantischen Opern Wagners mochten mit ein Grund für die Protektion sein, die Carl Alexander bis zu seinem Tode den Werken Wagners zukommen ließ. Insbesondere ihre Aufführungen in Weimar waren es dann, die zu Ereignissen größter Strahlkraft wurden und das Weimarer Hoftheater über seine Grenzen hinweg auszeichneten. Dabei mochte es unerheblich sein, dass die Aufführungen nicht in einem eigens für Wagner erbauten Festspielhaus stattfanden.
1.2 Zur Wagner-Rezeption in Weimar in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Der Stellenwert Wagners im Weimarer Theaterleben der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. Spätestens seitdem das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG getragene Projekt „Theater und Musik in Weimar von der Ära Hummel bis zum Ende des Hoftheaters (1819–1918)“18 sämtliche Theaterzettel des Weimarer Hoftheaters aufgearbeitet hat, ist klar, wie sehr Wagners Werke den Spielplan dominierten und zu Magneten wurden, die Wagnerenthusiasten von weit her anzogen. Die Weimarische Zeitung, die im Gegensatz zu den 1850er Jahren ihr Feuilleton erheblich verbessert hatte und auch Kenner wie den Herausgeber der Peter Cornelius Gesamtausgabe, Max Hasse, zu ihren Rezensenten zählte, übertrieb mit ihrer zunächst euphorisch anmutenden Darstellung keineswegs, wenn sie 1878 schrieb, es finde sich kaum „in einer anderen Stadt ein Publikum, das so entschieden auf der Seite des Komponisten“ [Wagner] stehe, wie „das hiesige“. Die Weimarer Bühne sei „aufs innigste verwachsen mit der Geschichte seiner Kunstschöpfungen“, die „mit der größten Sorgfalt und Hingebung seitens der Leitung des Theaters wie seitens der Künstler zur Darstellung gebracht“ würden.19
Liszt als Wagner-Dirigent Den Grundstein der Weimarer Wagner-Rezeption und -Interpretation hatte, wie bereits angedeutet, Franz Liszt gelegt. Liszt, der Wagners Größe spätestens in dem Moment erkannte, als er Tannhäuser und Lohengrin am Weimarer Hoftheater 18 19
Vgl. dazu die Onlinedatenbank des DFG-Projektes „Theater und Musik in Weimar 1754– 1969“ (wie Anm. 1). Der Verfasser dieses Beitrags war in dem Projekt zuständig für die Aufarbeitung der Sparte Musiktheater des Zeitraums von 1819 bis 1918. Weimarische Zeitung, 20. März 1878, S. 1.
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einstudierte, schuf in Weimar mit seinen Wagner-Dirigaten eine Maßstäbe setzende Tradition. Sie basierte nicht nur auf seinen eigenen Vorstellungen, sondern war – wenigstens zum Teil – auch in Abstimmung und Übereinkunft mit den Absichten Wagners erfolgt, wie der Regisseur Eduard Genast, der in der frühen Weimarer Zeit mit Liszt zusammenarbeitete, betonte.20 1849 leitete Liszt in Weimar erstmals Tannhäuser und damit die erste Aufführung außerhalb Dresdens, wo das Werk 1845 uraufgeführt worden war. 1850 folgte dann die Uraufführung des Lohengrin, die Musikinteressierte und Wagnerfreunde begeisterte. Sie wurde in sechs Heften der NZfM ausführlich besprochen,21 wobei sowohl Liszt als auch die Kulturpolitik des Weimarer Hofes als mustergültig hingestellt worden sind. Bilanzierend hieß es: Weimar verdankt den Ruhm, diese Oper zum ersten Male in Deutschland zur Aufführung gebracht zu haben, zunächst wohl der Kunstbegeisterung und den Bemühungen Liszt’s, so wie dem Kunstsinne und der Vorurteilslosigkeit des dortigen Hofes.22
Um Unverständnis entgegenzuwirken, wurde Liszt nicht nur als Dirigent und Bearbeiter, sondern auch in einem hohen Maß publizistisch aktiv. Analog zu den umfangreichen Broschüren über Tannhäuser und Lohengrin23 veröffentlichte er Beiträge über Der fliegende Holländer und Rheingold.24 Sie sollten ein breites Werkverständnis schaffen und letztlich ermöglichen, dass Wagners Romantische Opern sehr schnell im Kanon des Musiktheaterrepertoires verankert werden konnten. Diese Schriften hatten eine immense Wirkung und wurden teils in französischer und in deutscher Sprache publiziert.25 Bis zur Niederlegung seines Amtes als Hofkapellmeister wurde in Weimar Der fliegende Holländer 14-mal aufgeführt, Lohengrin 19-mal und Tannhäuser – eine echte Spitzenposition unter allen in Weimar gespielten Opern schon in den 50er-Jahren des 19. Jahrhunderts einnehmend – 38-mal. Liszt leitete die Wagneraufführungen in der Regel zunächst selbst und überließ ihre Aufführungen erst in den letzten Jahren seiner Amtszeit Carl Stör und Eduard Lassen, die damals am Weimarer Theater gleichsam als Vizekapellmeister agierten. Letzterer
20 21 22 23 24 25
Weimarische Zeitung, 4. Januar 1866, S. 1 f., 5. Januar 1866, S. 1 f. sowie 6. Januar 1866, S. 1 f. NZfM, 3. September 1850, S. 107, 10. September 1850, S. 115 f., 13. September 1850, S. 118–120, 24. September 1850, S. 136–138, 4. Oktober 1850, S. 151 f. sowie 11. Oktober 1850, S. 162–164. NZfM, 11. Oktober 1850, S. 162 f. Franz LISZT, Lohengrin et Tannhäuser de Richard Wagner, hg. v. Rainer KLEINERTZ, Wiesbaden u. a. 1989. Franz LISZT, Franz, Dramaturgische Blätter, hg. v. Dorothea REDEPENNING/Britta SCHILLING, Wiesbaden u. a. 1988, S. 68–118. Vgl. ebd., Kapitel „Wirkungsgeschichte“, S. 181–198.
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führte die auf Liszt zurückgehende Wagnertradition dann bis in die 1890er Jahre fort.
Die Weiterführung der Liszt-Tradition durch Eduard Lassen Lassen war derjenige Hofkapellmeister, der in Weimar bis 1895, und damit fast 40 Jahre, amtierte, wenn auch zunächst nur in Vertretung Liszts und in Kooperation mit Carl Stör. Lassen vermochte es somit, das, was er unter Liszt erlebt hatte, an die nachfolgenden Generationen weiterzureichen, den jungen Richard Strauss eingeschlossen. Er studierte darüber hinaus neue Werke Wagners mit dem Weimarer Ensemble in vorzüglicher Qualität ein. 1869, also etwa 16 Monate nach der Münchner Uraufführung, erklangen unter seiner Leitung erstmals Die Meistersinger von Nürnberg und 1874 dann Tristan und Isolde. Mit der Aufführung von Tristan und Isolde im Jahr 1874 war Weimar wiederum ins Zentrum der bedeutenden Wagnerstädte gerückt. Denn außer in München war Wagners Opus metaphysicum bis dato noch nirgends erklungen. Das Weimarer Hoftheater stemmte das Mammutwerk nahezu aus eigener Kraft. Die Resonanz auf den Weimarer Tristan von 1874 ist vergleichbar mit der, die fast ein Vierteljahrhundert zuvor Liszt in Weimar mit Lohengrin und Tannhäuser entfachte, mit dem Unterschied freilich, dass 1874 auch die Lokalpresse den Stellenwert des Ereignisses adäquat zu würdigen wusste. Der Rezensent der Weimarischen Zeitung war zumindest voll des Lobes: Die Aufführung von Tristan und Isolde hat in ihrem Eindruck auf das Publikum jede Erwartung übertroffen und es zeigt auch darin aufs neue die seltsame Gewalt, mit welcher das Genie zu der Gesammtheit spricht.26
Er gedachte dabei jedoch nicht nur der Künstler, sondern auch der Institution: Die Aufführung „gereicht unserm Kunstinstitut zur vollsten Ehre“,27 heißt es. Zu der Aufführung waren Gäste unter anderem aus Leipzig, Dresden, Berlin, Hamburg und Wien angereist. Ein weiteres Wagner-Ereignis allerersten Ranges hatte es bereits 1870 in Weimar gegeben. Lassen hatte im Sinne einer Festspielidee innerhalb von zehn Tagen (19. bis 29. Juni) vier Bühnenwerke Wagners hintereinander aufgeführt, nämlich Der fliegende Holländer, Lohengrin, Tannhäuser sowie Die Meistersinger von Nürnberg. Festspielatmosphäre kam dabei allein schon deshalb auf, weil die Hauptrollen nicht ausschließlich vom Weimarer Ensemble ausgeführt wurden, sondern „durch die hervorragendsten unter allen ihren Darstellern“, und zwar „der gesammten deutschen Bühne“. Entsprechend breit gestreut war auch das Publikum, das zu diesem singulären Anlass nach Weimar kam. In Die Meister26 27
Weimarische Zeitung, 20. Juni 1874, S. 1. Weimarische Zeitung, 21. Juni 1874, S. 2.
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singer von Nürnberg übernahm Franz Innozenz Nachbaur vom Hoftheater München die Partie des Walther von Stolzing. Und die österreichische Opernsängerin Mathilde Mallinger sang in Weimar die Partie der Eva, die sie wie Nachbaur den Stolzing bei der Münchner Uraufführung dargeboten hatte. Es verwundert daher nicht, dass das Gesamtfazit über das Kunstfest überschwänglich war und insbesondere auch als Auszeichnung für die Stadt Weimar bzw. den Weimarer Hof bewertet wurde: So ist das kühne und schwierige Unternehmen günstig begonnen, würdig durchgeführt, auf das Glücklichste beendet – eine unvergeßliche Erinnerung für Alle, denen es vergönnt war, Theil daran zu haben; ein nie verjährender Anspruch des Dankes für Diejenigen, welche es so muthig gewagt, so ehrenvoll zu Ende gebracht; ein neues Blatt in dem alten Kranz der Ehren, der das Wappen unserer guten Musenstadt Weimar seit Generationen schon ruhmreich umschlingt.28
Richard Strauss und die Weimarer Wagnertradition Neben Hofkapellmeister Eduard Lassen setzte ab Oktober 1889 Richard Strauss in der traditionsorientierten Klassikerstadt neue Akzente in der Wagnerinterpretation. Mit ihm prallten in Weimar indes zwei Interpretationstendenzen aufeinander, die man mit neu-bayreuthisch einerseits und alt-weimarerisch andererseits bezeichnen kann. Strauss war, unmittelbar bevor er nach Weimar kam, sehr stark durch seine Bayreuth-Erfahrungen geprägt worden. Er hatte unter anderem Proben und Aufführungen der Festspiele beigewohnt, war Gast Cosima Wagners gewesen und hatte auch den Dirigentengrößen Hans Richter sowie Felix Mottl assistiert sowie als Korrepetitor agiert.29 Das Weimarer Hoftheater hingegen stand, wie gesehen, in einer maßgeblich von seinem Hofkapellmeister Eduard Lassen geprägten Tradition, die letztlich auf Franz Liszt zurückging. Strauss ließ dann auch sogleich mit seiner zweiten Opernaufführung, die er leitete, mit seinem Dirigat des Lohengrin am 6. Oktober 1889, einen in Weimar unüblichen Interpretationsstil aufscheinen, der unter anderem durch seine umfängliche Probenarbeit möglich wurde und auf die Ausarbeitung von Details abzielte. Diesbezüglich war er ohne Frage auch von seinen Erfahrungen geprägt, die er mit der Meininger Hofkapelle gemacht hatte, die er wiederholt leitete.30 Die Presse nahm den neuen Interpretationsstil zunächst lobend wahr 28 29 30
Weimarische Zeitung, 5. Juli 1870, S. 2. Von Mottl war Strauss im höchsten Maß beeindruckt. Vgl. Thomas SEEDORF, Ein treuer Diener seines Herrn. Richard Wagner und Felix Mottl, in: wagnerspectrum 5 (2009) H. 1, S. 47–63, hier, S. 58. Alfred ERCK, Geschichte des Meininger Theaters. 1831–2006, hg. vom Meininger Theater, Meiningen 2006, S. 67 f.
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und konstatierte, Strauss habe der Aufführung das „Gepräge seiner seltenen Individualität“ zu geben vermocht und Sänger, Chor und Orchester hätten sich „mit ebenso viel Hingabe wie Verständniß dem neuen Dirigenten angepasst“.31 Spätestens mit seinen Dirigaten des Tannhäuser im März und April 1890 musste er jedoch deutliche Kritik einstecken, bei der seine „seltene Individualität“ ins Negative verkehrt wurde. Nach der dritten Aufführung des Tannhäuser fand der Rezensent der Weimarischen Zeitung jedenfalls primär nur noch Worte des Bedauerns und mahnte: Herr Strauß war in seiner Dirigentenstimmung subjektiver und reizbarer noch als bei den früheren Aufführungen – woher er, der die Wagner=Tradition so hochhält, die Berechtigung zu diesen Übertreibungen und Schwankungen der Tempi nimmt, ist uns aus der Tannhäuser=Partitur und Wagners brieflichen Auslassungen völlig unverständlich und wir können den genial begabten jungen Dirigenten nicht genug vor dieser subjektiven Willkür, die für uns schon nahe an Unschönheit streift, warnen.32
Die Basis für das Urteil über die von Strauss geleiteten Tannhäuser-Aufführungen war die Weimarer Wagnertradition, in der man sich glaubte, noch immer zu befinden. Dabei ging der Rezensent wie selbstverständlich davon aus, dass diese die eigentlich richtige, von Wagner intendierte sei. Er führte aus: Herr Strauß gehört dieser Jetztzeit an; er folgt der Richtung, die von Bayreuth aus gegeben wird und welche heißt: es kann alles Gefühlvolle und Pathetische gar nicht langsam genug sein. Möglich, daß der ALTE Wagner […] noch die Parole der überlangsamen Tempi ausgegeben hat; das feierlich mystische Pathos des Parsifal=Schöpfers hat für uns aber keine Gewalt über die frisch blühende melodische Schönheit des Tannhäuser und daß gerade hier in Weimar wir ein Recht haben, an der Tradition von 1849 festzuhalten, das folgern wir aus dem Briefwechsel Wagner=Liszt.33
Der Interpretationsansatz von Strauss wurde also in erster Linie deshalb abgelehnt, weil er den Rezensenten – wohl zu Recht – an die aktuelle, maßgeblich von Cosima Wagner bestimmten Bayreuther Aufführungspraxis erinnerte, die zu derjenigen Weimars wohl in der Tat nonkonform verlief. Cosima Wagner hatte in Bayreuth einen Aufführungsstil durchgesetzt, der von der Sprache als
31
32 33
Aus Anlass der Einstudierung des Lohengrin hatte die Weimarische Zeitung noch wohlwollend resümiert: „Herr Strauss […] ist kein Virtuos des Dirigentenpultes, der uns durch raffinierte Effekte die Beherrschung seiner Aufgabe in staunenswerther Weise klar legt, sondern er ist ein feinfühliger Künstler, der sich mit ebenso viel Verständniß für den vokalen, wie den instrumentalen Theil in den Geist des Werkes einzuleben vermag und mit Begeisterung und Energie der Aufführung das Gepräge seiner seltenen Individualität zu geben vermag.“ (Weimarische Zeitung, 11. Oktober 1889, S. 1) Weimarische Zeitung, 7. Mai 1890, S. 1. Ebd. Der Briefwechsel zwischen Wagner und Liszt war in erster Auflage 1887 in zwei Bänden im Verlag von Breitkopf und Härtel, Leipzig, erschienen.
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„phonetisch-artikulatorisches Phänomen“ ausging,34 und sie hatte den jungen Richard Strauss dafür zu gewinnen versucht, das „Hauptaugenmerk auf die deutliche Sprache [zu] lenken“ und gegebenenfalls „zugunsten der Deutlichkeit manches zu opfern“.35 Wurde der von Cosima Wagner eingeschlagene Kurs durchaus nicht nur in Weimar kritisch gesehen und in Frage gestellt,36 so scheint die Herrin von Bayreuth für den jungen Strauss dennoch eine unumstößliche Autorität gewesen zu sein, die er immer wieder in Zweifelsfällen meinte, befragen zu müssen. Wie der Briefwechsel Strauss/Cosima Wagner zeigt,37 erkundigte sich Strauss bei ihr nicht nur hinsichtlich szenischer Darstellungen und Regiekonzepte, sondern wiederholt auch bezüglich der zu wählenden Tempi. So freute er sich dann auch, ihr im Brief vom 9. Oktober 1889 nach seinem Dirigat des Lohengrin in Weimar mitteilen zu können, das Vorspiel zum 3. Akt „in dem von Ihnen gewünschten langsameren Tempo“ dirigiert zu haben, sowie, dass er in Weimar seine Bayreuther Tempi zu seiner „großen Freude ohne jeglichen Anstand durchsetzen konnte“.38 Wie sehr sich der junge Strauss mit seinen Aufführungen Wagnerscher Opern an den Idealen Cosima Wagners glaubte orientieren zu müssen, wird insbesondere an seiner Vorbereitung der Weimarer Aufführungen des Rienzi deutlich, bei denen er immer wieder Cosima Wagner um Rat fragte. Er hatte nämlich aufgrund eines Rückvergleichs des Partiturerstdrucks mit der Erstausgabe des Klavierauszugs – beide befinden sich noch heute im historischen Notenbestand des Deutschen Nationaltheaters39 – entdeckt, dass die lithographierte Partitur unvollständig ist und fragte deshalb am 2. Oktober 1890 Cosima Wagner nach dem Partiturautograph, um ersehen zu können, wie Wagner die im Partiturerstdruck fehlenden, aber im Klavierauszug vorhandenen Stellen instrumentiert habe. Cosima Wagner stand Strauss dabei mit Rat und Tat zur Seite, wenngleich sie das Partiturautograph selbst nicht besaß, da es Wagner Weihnachten 1868 Ludwig II. von Bayern geschenkt hatte. Strauss dirigierte so schließlich eine mit 34 35 36
37 38 39
Stephan MÖSCH, Singendes Sprechen, sprechendes Singen. Aspekte des Wagner-Gesangs um 1900, in: wagnerspectrum 8 (2012), H. 1, S. 9–29, hier S. 16. Ebd., S. 18. Bereits Großmann-Vendrey brachte es auf den Punkt: „Von ihrem Kreis zur ‚Meisterin‘ erhoben, verlangte sie unbedingte und völlige Unterordnung unter den von ihr oft willkürlich und eigensinnig ausgelegten ‚Willen des Meisters‘“. Vgl. Susanna GROSSMANNVENDREY, Bayreuth in der deutschen Presse. Beiträge zur Rezeptionsgeschichte Richard Wagners und seiner Festspiele, Regensburg 1983, hier S. 71. Franz TRENNER (HG.), Cosima Wagner – Richard Strauss. Ein Briefwechsel, Tutzing 1978. Ebd., S. 4. Vgl. Axel SCHRÖTER, Der historische Notenbestand des Deutschen Nationaltheaters Weimar. Katalog, Sinzig 2010, hier S. LXXXIV–LXXXVIII.
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Cosima Wagner abgestimmte Fassung, die zahlreiche Streichungen, aber auch Einlagen enthielt, die Strauss wiederum von Felix Mottl bezog, dessen RienziAufführung in Karlsruhe ihn 1889 begeistert hatte.40 Inwieweit, wann und ob Strauss sich durch die Konfrontation mit der Weimarer Wagnertradition von der Bayreuther Aufführungspraxis Cosima Wagnerscher Prägung löste, ist anhand der Weimarer Presseberichterstattungen schwer zu entscheiden. Seine Aufführungen des Tristan in den Jahren 1892 und 1894 wurden sehr gerühmt, wobei allerdings unklar bleibt, ob dies auf einen modifizierten Interpretationsstil oder auf eine mittlerweile an den Stil von Richard Strauss gewöhnte Kritik zurückzuführen ist. Nach einer umfangreichen Würdigung des Werkes schrieb der Rezensent über die Aufführung unter der Leitung von Richard Strauss, nicht vergessend, auch die Institution zu loben: Das Hauptverdienst an der schön verlaufenen Aufführung gebührt dem genialen Leiter derselben, Herrn Kapellmeister STRAUß, der dieselbe mit ungewöhnlicher Energie ins Werk gesetzt und an diesem Abend einen glänzenden Beweis seiner Direktionskunst abgelegt hat. Seit der vorjährigen Jubiläumsfeier [gemeint ist diejenige aus Anlass des 100. Jahrestags an dem Goethe die Hoftheaterleitung übernommen hatte] hat unser Hoftheater einen so großen Tag nicht wieder gesehen, wie diesen, und in der Geschichte desselben wird er von andern mit Ehren verzeichnet werden, ist es doch das erste Mal gewesen, daß dies große Werk mit hiesigen Kräften zur Aufführung gelangen konnte.41
Sicher musste Strauss sich in Weimar zwangsläufig mit der Weimarer Aufführungspraxis befassen, wenn auch freilich zunächst in Form der Negation, indem er versuchte, sie dem Ensemble vergessen zu machen. Hinzu kommt aber, dass er vor seinen Bayreuth-Erfahrungen in Meiningen auch von Hans von Bülow geprägt wurde, der Lisztschüler war und selbstredend Liszt in Weimar als Wagner-Dirigenten erlebt hatte. Und Bülows Wagnerinterpretationen42 waren mit den von seiner Exfrau Cosima Wagner in Bayreuth etablierten Vorstellungen gewiss nicht kongruent. Geht man darüber hinaus davon aus, dass die Briefe 40
41
42
Die im historischen Notenbestand des Deutschen Nationaltheaters befindliche Aufführungspartitur DNT 432 ermöglicht es noch heute zu rekonstruieren, wie Strauss Wagners Rienzi 1890/91 in Weimar aufgeführt hat, denn im Partiturerstdruck befinden sich zahlreiche handschriftliche mit „Stra“ (oder ähnlich) bezeichnete Kürzungshinweise wie auch Ergänzungen, die meist in der Form „Einlage Strauss“ kenntlich gemacht worden sind. Die von Strauss dirigierten Aufführungen fanden am 25. Dezember 1890 sowie am 1. März, 1. April und 19. April 1891 statt. Weimarische Zeitung, 20. Januar 1892, S. 1 f. Ähnlich emphatisch hieß es über die Aufführung vom 13. Februar 1894: „Die Aufführung am 13. Februar (dem Todestage Wagners) unter Kapellmeister Strauß war in technisch=musikalischer Beziehung eine der besten, die ich incl. derer in weit größeren Städten überhaupt gehört habe. Jeder Zuhörer fühlte wohl, hier stand ein Feuergeist, der die Flammen, auch wenn sie am wildesten lodern, sicher zu bändigen weiß.“ (Weimarische Zeitung, 16. Februar 1894, S. 1) Vgl. Hans-Joachim HINRICHSEN, Apostel und Apostat. Hans von Bülow als WagnerDirigent, in: wagnerspectrum 5 (2009), H. 1, S. 9–32.
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Strauss’ an Cosima Wagner auch strategisch zu verstehen sind, nämlich um sich die Gunst der „Herrin des Hügels“ zu erwerben, so wird man zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass Strauss über seine Bayreuth-Erfahrungen, seine Auseinandersetzung mit der Weimarer Tradition, aber auch durch seine Rückbesinnung auf Hans von Bülow zu einem Interpretationsstil fand, der sein eigener war und vielleicht zugleich eine Restituierung wesentlicher, von Bülow verfochtener Ideale. Dass die Außenwahrnehmung der Dirigate von Richard Strauss oft in einen Vergleich Weimar/Bayreuth mündete und dieser darüber hinaus nicht eindeutig zugunsten Bayreuths ausfiel, musste ungeachtet des Diskurses um den wahren Wagner für das Weimarer Hoftheater und dessen Protektor und Förderer Carl Alexander eine Auszeichnung und Ehre sondergleichen sein.
2 Das Hoftheater und die Hofkapelle Meiningens 2.1 Herzog Georg II. und das Sprechtheater Noch stärker als in Weimar wurde in Meiningen das Geschick von Theater und Hofkapelle durch das Fürstenhaus oder besser durch Herzog Georg II., der im September 1866 die Regentschaft der ernestinischen Residenz übernommen hatte, bestimmt. Georg II. war kunstbesessen, und ihm war erfreulicherweise eine Regierungszeit von einem halben Jahrhundert beschieden. Seine Politik stand im Zeichen der Kulturförderung, an der er nicht nur im Sinne eines Mäzens Teil hatte, sondern die er im Bereich des Sprechtheaters eigenständig prägte und formte, indem er es selbst leitete. Dabei entwickelte er ein Theaterkonzept, das Meiningen weit über die Grenzen seines Territoriums bekannt machte. Arno Paul vertrat pointiert die These, dass Georg II. von Sachsen-Meiningen „wie kaum ein anderer deutscher Theatermann seiner Zeit dazu prädestiniert war, der Theaterkunst neue, auch international weiterführende Maßstäbe zu verleihen“.43 Insbesondere waren seine Vorstellungen im Historismus begründet, sie zielten auf eine neue Qualität des Schauspiels, auf Werktreue, und waren auch mit einem „nationalen Sendungsbewusstsein“ gekoppelt.44 Die Bühnenbilder und Kostüme zu seiner Regie des Julius Cäsar von Shakespeare hatte Georg II. gar anhand von Zeichnungen aus dem archäologischen Institut in Rom gestaltet.45 Hinzu kam, dass das Meininger Hoftheater nach überwältigenden Erfolgen in Berlin im Jahr 1874 zu Gastspielen großen Stils aufbrach, die es 43 44 45
Arno PAUL, „Das Meininger Hoftheater und der Historismus“, in: Pariser Historische Studien 21 (1985), S. 313–323, hier S. 313. Ebd., S. 317. Ebd., S. 318.
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durch ganz Europa führten. Das Territorium erstreckte sich – Alfred Erck hat es anschaulich dargestellt46 – von London über Straßburg bis Triest, von Budapest, über Odessa und Kiew bis Moskau, von Kopenhagen, bis Stockholm und St. Petersburg.
2.2 Hans von Bülow und die Hofkapelle Was Georg II. mit seinem Meininger Theater erreichte, führte der ihm in gewisser Weise geistesverwandte Hans von Bülow analog für die Meininger Hofkapelle durch. Bülow wurde im März 1880 in Meiningen Hofkapellmeister, und er übte dieses Amt von Oktober 1880 bis 1885 aus. Bülow, einer der bedeutendsten Meisterschüler Liszts, der seine musikalischen Grundanschauungen in Weimar erwarb, sie in vielerlei Hinsicht bewahrte und seinem Lehrer zeitlebens mit Respekt gegenübertrat,47 führte mit eiserner Disziplin und Strenge die Meininger Hofkapelle zu einer neuen Blüte und erarbeitete mit dieser Konzertprogramme, die sich in Werkauswahl wie interpretatorischer Qualität mit dem Besten messen konnten, mit dem das internationale Musikleben seiner Zeit aufzuwarten hatte.48 Darüber hinaus schuf Bülow, wenngleich er in Bayreuth aus nachvollziehbar privaten Gründen nicht dirigierte – seine Exfrau war inzwischen mit Richard Wagner verheiratet –, indirekt doch Verbindungen zu Bayreuth, denn die Meininger Hofkapelle bildete ab 1876 den Grundstock des Festspielorchesters. Bülows Konzertpolitik verlief zweigleisig, war aber im Unterschied zur Kulturpolitik Carl Alexanders in beiden Fällen kompromisslos auf die Etablierung bzw. Bewahrung „großer“ Kunst gerichtet. Zum einen erarbeitete er mit dem Orchester vorbildhaft einen Kanon des Klassischen, der nicht nur sein Fundament, sondern auch seine tragenden Säulen in der Symphonik Beethovens hatte, zum andern setzte er sich für die zeitgenössischen Kunst ein, und protegierte all diejenigen Kompositionen, die seine Wertschätzung erfuhren. Genannt werden muss hier vor allem Johannes Brahms, dessen Orchesterwerke und Klavierkonzerte einen Schwerpunkt der Konzerte der Meininger Hofkapelle bildeten. Die 4. Symphonie op. 98 wurde 1885 in Meiningen sogar unter der Leitung des 46 47 48
ERCK, Geschichte des Meininger Theaters (wie Anm. 30), S. 44–57. Symptomatisch dafür ist der Widmungstext, den Bülow seiner Beethoven-Ausgabe voranstellte. Vgl. dazu: SCHRÖTER, Der Name Beethoven (wie Anm. 16), S. 315–321. Vgl. die konzise Darlegung von Hans-Joachim HINRICHSEN, Zwischen Enthusiasmus und Desillusionierung. Die Meininger Hofkapelle unter Hans von Bülow (1880–1885) und Max Reger (1911–1914), in: Die Tonkunst 5 (2011), S. 507−515; vgl. ferner Alfred ERCK/Inge ERCK/Herta MÜLLER, Hans von Bülows Meininger Jahre, in: Beiträge zur Musikgeschichte Meiningens, Meiningen 1991, S. 3–63, insbesondere den paraphrasierten, bislang unveröffentlichten Briefwechsel Bülow/Georg II., S. 13–57; Frithjof HAAS, Hans von Bülow. Leben und Wirken, Wilhelmshaven: Heinrichshofen 2002, hier S. 199–227.
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Komponisten im dritten Abonnementskonzert uraufgeführt.49 Auch ansonsten agierte Brahms als Solist der Meininger Hofkapelle – etwa in Kiel, Hamburg und Berlin – wobei er vornehmlich seine beiden Klavierkonzerte spielte, aber auch wiederholt einzelne seiner Symphonien dirigierte. Was die ShakespeareAufführungen Georgs II. für das Meininger Theater waren, das waren für die Meininger Hofkapelle die Beethoven- und Brahmsinterpretationen Hans von Bülows.
2.3 Gastspielreisen durch ganz Europa Auch betrieb Bülow mit der Meininger Hofkapelle eine rege Gastspielpolitik, wie es zuvor analog Georg II. im Bereich des Schauspiels getan hatte. Insgesamt dirigierte er in den rund fünf Jahren seiner Hofkapellmeistertätigkeit, die teilweise krankheitsbedingt herbe Pausen erlitten, nicht weniger als 161 Konzerte außerhalb Meiningens, u.a. in Amsterdam (3), Berlin (14), Bremen (10), Frankfurt (7), Hamburg (11), Leipzig (18) und Wien (4).50 Die Konzerte stießen insbesondere in den Musikzentren, wo man zumindest zahlenmäßig größere Orchester hatte und ebenfalls über hochrangige Dirigenten verfügte, auf ausgesprochen hohes Lob. So schrieb das Musikalische Wochenblatt über das Gastspiel der Meininger Hofkapelle in Berlin, nachdem der Rezensent zuvor eingeräumt hatte, dass man sich an das Klangbild des Orchesters erst gewöhnen müsse: Der ganz ungewöhnliche einheitliche Geist, der diese Orchesterleistungen bis ins Kleinste hinein, bis zu dem letzten Mitwirkenden beherrscht, ist die Ursache der enormen Wirkung auf das Publicum. […] In dieser Beziehung kann man mit Recht die Reise der Meininger Hofcapelle mit dem Gastspiel der Meininger Hofschauspieler vergleichen.51
Auch der Hamburger Rezensent meinte nach sorgfältigem Abwägen bilanzierend zu den Hamburger Beethoven-Abenden, bei denen u.a. das sogenannte „Tripelkonzert“ op. 56 erklang: Man meinte doch seinen Beethoven genau zu kennen und ihn aus- und inwendig zu wissen – Hans v. Bülow steckte uns an diesen beiden Abenden aber erst die rechte Leuchte an und leitete uns damit auf den Weg der Erkenntniss.52
49 50
51 52
Vgl. Margit L. MC CORKLE (Hg.), Johannes Brahms. Thematisch-bibliographisches Werkverzeichnis, München 1984, S. 402. Vgl. Kulturstiftung Meiningen/Meininger Museen/Schloß Elisabethenburg und Baumbachhaus (Hg.), Die Meininger kommen. Hoftheater und Hofkapelle zwischen 1874 und 1914 unterwegs in Deutschland und Europa, Schweinfurt 1999, S. 91 f.; ERCK, Geschichte des Meininger Theaters (wie Anm. 30), S. 58–71. Musikalisches Wochenblatt, 26. Januar 1882, S. 51. Musikalisches Wochenblatt, 18. Mai 1882, S. 245.
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Und auch der Rezensent der Grenzboten schrieb 1882 über die Meininger Kapellmitglieder aus Anlass der Konzerte in Hamburg: „Sie sind den Aufgaben der Orchesterwerke technisch vollkommen gewachsen und führen sie als gute Musiker durch. Dies Lob ist das höchste, das man einer Kapelle zollen kann.“53 Noch enthusiastischer fielen die Rezensionen aus den nicht ganz so bedeutenden Musikmetropolen aus. So bilanzierte ein Rezensent über die Konzerte in Breslau: Das Gastspiel der Meininger war das bedeutendste musikalische Ereignis der Saison. Die Meininger sind eine Aufsehen erregende, für die musikalische Reproduction der Gegenwart epochemachende Erscheinung deshalb, weil sich jeder Einzelne von dem Willen und Geiste des Dirigenten in einer bisher noch nicht erlebten Weise beseelt und durchdrungen zeigt, nicht in dem Sinne, dass alles freischaffende Gefühl, alle individuelle Kunstbethätigung ertödtet wäre, sondern mit der Maassgabe, dass innerhalb gewisser Schranken jeder Einzelne sein Bestes, das vom Dirigenten Gewollte und vom Einzelnen als bestes Erkannte gibt.54
Wie exorbitant hoch das Niveau dieses Orchesters gewesen sein muss, wird vielleicht am deutlichsten, wenn man sich eine Kritik wie diejenige Eduard Hanslicks über die Wiener Konzerte 1884 vergegenwärtigt.55 In Wien war die Beethoventradition ungebrochen, in Wien urteilte man streng, und in Wien hatte man wohl wie kaum an einem anderen Ort die besten Vergleichsmöglichkeiten, nicht nur zum hauseigenen Orchester, den Wiener Philharmonikern. Hanslick lobt in seiner ausführlichen Rezension zunächst die guten Voraussetzungen, die bei der Meininger Hofkapelle für die Erarbeitung bedeutender Orchesterliteratur gegeben waren. Der Klangkörper habe keinerlei Theaterverpflichtungen, sei ein reines Symphonieorchester und ihm sei die Möglichkeit zu einer Vielzahl von Proben gegeben, wovon andere Orchester und Orchesterleiter nur träumen könnten. Den überragenden Eindruck, den dieses Orchester auf ihn hinterließ, macht der Kritiker an den Brahms- und Beethoveninterpretationen fest. Konkret spricht Hanslick die Variationen über ein Thema von Joseph Haydn op. 56 von Johannes Brahms sowie Beethovens 8. Symphonie op. 93 an, wobei er sich nicht entscheiden kann, welcher Leistung er den Vorzug geben soll: Brahms, dessen gestaltende Kraft sich vielleicht am gewaltigsten in den Variationen und deren Grenzgebieten äußert, giebt uns in diesen Veränderungen ein Meisterwerk. Sie erschließen sich allerdings dem Hörer nicht gleich bei der ersten Bekanntschaft; so weit 53 54 55
N. N., Ein Abend bei den musikalischen Meiningern, in: Die Grenzboten 41 (1882), S. 508–517, hier S. 512. Musikalisches Wochenblatt, 29. Juni 1882, S. 315. Vgl. Eduard HANSLICK, Die Meininger Hofkapelle unter Bülows Leitung [1884], in: Concerte, Compositionen und Virtuosen der letzten fünfzehn Jahre (1870–1885). Kritiken, Berlin 1886, S. 413–418.
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dies aber möglich ist, hat der wunderbar klare, bis ins feinste Detail ausgearbeitete Vortrag der Meininger es vollbracht. Eine ähnliche Meisterleistung, welcher die allgemeine Vertrautheit mit der Composition natürlich wirksam entgegenkam, war Beethovens Achte Symphonie, die ich in solcher Vollendung zuvor nie gehört habe. Das mit entzückender Grazie vorgetragene Allegretto rief einen so unbesiegbaren Sturm von Beifall hervor, dass Bülow, der bisher kein einziges Stück repetirt hat, dem Da-Capo-Rufe nachgeben musste.56
Dabei erfährt der Leser ganz nebenbei, dass es wiederum Brahms selbst war, der im Rahmen des Konzerts vom 2. Dezember 1884 sein zweites Klavierkonzert mit der Meininger Hofkapelle aufführte, die vielleicht höchste Auszeichnung, die ihr in Wien wiederfahren konnte.57 Zur Aufführung des 1. Klavierkonzerts von Brahms sowie einem von Bülow selbst angefertigten, horrend schweren Streichorchester-Arrangements von Beethovens großer Fuge op. 133, deren kompositorisch herausragenden Wert Hanslick verkannte, wusste der gemeinhin nicht lobhudelnde Rezensent voller Respekt zu berichten: An Präcision bis ins kleinste Detail wird die Meininger Kapelle von keinem Orchester der Welt übertroffen, ja schwerlich von einem erreicht. Wenn die Meininger das Accompagnement zu Brahms’ D-moll-Concert – mehr eine große Symphonie als ‚Accompagnement‘ – ohne Dirigenten ausführen, während Bülow den Clavierpart spielt, so wird man ihnen das kaum anderswo nachmachen. Eine noch erstaunlichere Leistung ist es, wenn das ganze Streichorchester die furchtbare Quartettfuge Op. 133 von Beethoven tadellos ausführt, eine Tonwildniß, die bekanntlich den ausgezeichnetsten Quartettspielern vollauf zu schaffen giebt. Ein Virtuosenstück, gewiß, und ein recht ungenießbares obendrein; aber eine Kapelle, die es mit Unfehlbarkeit ausführt, darf eben als Virtuose die mächtigsten Gegner in Schranken weisen.58
Hanslicks Rezension kommt ein umso höherer Stellenwert zu, wenn man bedenkt, dass er die Meininger Hofkapelle im Vergleich zu den Wiener Philharmonikern beurteilte, deren Beethoven-Erfahrung und Beethoven-Pflege nicht erst 1884 einen unumstößlichen Maßstab setzte. Aber auch andere Rezensionen greifen den Hanslickschen Tonfall auf, ohne dass damit gesagt sein soll, dass sie sich Hanslick als Meinungsbildner an56 57 58
Ebd., S. 414 f. Ebd., S. 415. Brahms hatte sein 2. Klavierkonzert schon vor der Uraufführung in Budapest Anfang Oktober 1881 probeweise mit der Meininger Hofkapelle unter der Leitung Bülows gespielt. Vgl. MC CORKLE, Johannes Brahms (wie Anm. 49), S. 343 f. Ebd., S. 415. Beethovens Große Fuge op. 133 hatte die Meininger Hofkapelle zu Beginn des Jahres 1884 bereits in Meiningen als Orchesterbearbeitung aufgeführt. Liszt war zu jenem Zeitpunkt zu Gast in der Thüringer Residenz. In einem Brief an Otto Lessmann schrieb er, tief beeindruckt über dieses Ereignis: „L’œuvre de Quatuor la plus difficulteuse de Beethoven et qui à cause de ses complications ne figure sur aucun programme, la grande Fugue, op. 133, est exécuté par la chapelle de Meiningen avec un parfait ensemble“. (La MARA [= Marie LIPSIUS] (Hg.), Franz Liszt’s Briefe, Bd. 2, Leipzig 1893, S. 317. – Brief Nr. 334 v. 10. Januar 1884).
AXEL SCHRÖTER
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schlossen. So schrieb das Musikalisches Wochenblatt über den Wienaufenthalt der aus 48 Musikern bestehenden Meininger Hofkapelle, nicht nur Bülow und die Hofkapelle, sondern auch den „Segen des monarchischen Principes“ im Bereich der Musik lobend: Nun fiel es den Zuhörern wie Schuppen von den Augen, sie blickten, den Taktlinien v. Bülows’s folgend, in das innerste Wesen, in die tiefste Tiefe jedes künstlerischen Organismus, – und in frenetischen Jubelausbrüchen äusserte sich begeistert ihr Dank für die bereiteten auserlesenen Genüsse! […] Die Intentionen eines Tondichters nach jeder Richtung aufs Tiefste zu ergründen und von dem einmal Ergründeten auch den Hörer unwidersprechlich zu überzeugen: das ist ja eigentlich H. v. Bülow’s Lebensmotto am Clavier, wie an der Spitze seiner Meininger Capelle. Und hierin zeigt sich im schroffen Gegensatze zur Politik der Segen des absolut monarchischen Principes: wo sich Alle einem einzigen gebietenden Willen zu fügen haben, Alle unbeirrt von störender Nebenbeschäftigung ihre ganze Kraft einer einzig grossen Aufgabe widmen müssen.59
Es bleibt zu ergänzen, dass Bülow, als er 1887 gleichsam Chefdirigent der Berliner Philharmoniker wurde, nicht nur auf seine Meininger Erfahrungen, sondern auch auf die Meininger Partituren zurückgriff und wünschte, dass die Stimmen, insbesondere die der Streicher, nach dem Vorbild der Meininger Hofkapelle eingerichtet würden.60 Fritz Steinbach, der Bülow im Amt des Intendanten der Hofkapelle folgte, setzte den eingeschlagenen Weg dann konsequent fort und führte das Meininger Orchester überdies weit über die Grenzen des deutschen Sprachraums hinaus. Genannt seien nur die fünf Konzerte in der Londoner St. James Hall.61 Damit strahlte der Name der ernestinischen Residenz europaweit.
2.4 Zusammenfassung Ohne Frage entfachte die Meininger Hofkapelle aufgrund ihrer regen Reisetätigkeit, die sie u.a. nach London, Amsterdam, Brüssel, Straßburg, Basel, Graz, Wien, Budapest, Kopenhagen und Königsberg führte, international größte Wirkung und ließ den Namen ihrer Residenzstadt selbst in den europäischen Musikmetropolen zum Begriff werden, der für herausragende Qualität stand. Die Präsentation eines Repertoires im Sinne eines Kanons des Klassischen in einer an der Idee der Perfektion orientierten interpretatorischen Qualität war diesem Orchester ebenso unangefochten eigen wie der Einsatz für die Werke von Johannes Brahms. „Qualität muss Quantität ersetzen“, lautete eine viel-
59 60 61
Musikalisches Wochenblatt, 27. Dezember 1884, S. 7 f. Vgl. Peter MUCK, Einhundert Jahre Berliner Philharmonisches Orchester. Darstellung in Dokumenten, Bd. 1: 1882–1922, Tutzing 1982, S. 97. ERCK, Geschichte des Meininger Theaters (wie Anm. 30), S. 68 f.
DAS WEIMARER HOFTHEATER UND DIE HOFKAPELLE MEININGEN
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zitierte Devise Bülows,62 und diesbezüglich, wie auch mit seinen anderen unter dem Schlagwort „Meininger Prinzipien“ bekannt gewordenen Vorstellungen63 über künstlerische Arbeit stimmte er vollkommen mit Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen überein, der durch das Schaffen entsprechender Rahmenbedingungen die Möglichkeiten schuf, dass sich eine Persönlichkeit, wie sie Hans von Bülow war, zum Gewinn aller gebührend entfalten und für den ernestinischen Hof identitätsbildend wirken konnte.
62 63
Marie von BÜLOW, Hans von Bülow in Leben und Wort, Stuttgart 1925, S. 136. Zu Bülows Meininger Prinzipien der Orchesterarbeit konkret vgl. ERCK/ERCK/MÜLLER, Hans von Bülows Meininger Jahre (wie Anm. 48), S. 51–57.
ALFRED
E R C K /H A N N E L O R E S C H N E I D E R
GEORG II. VON SACHSEN-MEININGEN UND DIE „EUROPÄISIERUNG“
Georg II. von Sachsen-Meiningen und die „Europäisierung“ des kulturellen Lebens im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts unter dem Protektorat von gekrönten Staatsoberhäuptern Zur Problemstellung Georg II. von Sachsen-Meiningen (1826–1914, regierend ab 1866) hat die Schauspielkunst durch Theatergeschichte machende Einstudierungen klassischer Dramen und von Stücken zeitgenössischer Autoren maßgeblich bereichert, und er hat sich als Schöpfer des modernen Regietheaters einen Namen gemacht.1 Indem er sein Hoftheater und seine Hofkapelle jahrzehntelang in vielen Ländern gastieren ließ, darf er auch als ein Wegbereiter des Kulturaustauschs zwischen den europäischen Staaten gelten. Man kann ihn in gewisser Hinsicht als einen modernen Europäer bezeichnen, der die Völker verbindende Rolle der Künste im Zeitalter extremen Nationalismus zu fördern gestrebt gewesen ist. Das Meininger Hoftheater (schon bald als die „Meininger“ apostrophiert) hat zwischen 1874 und 1890 2.591 Vorstellungen in 36 Gastspielorten gegeben, davon 976 in 18 Städten des Auslandes. Weil sich mit der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn und dem zaristischen Russland zwei Vielvölkerstaaten unter den Gastländern befunden haben, sind es nach heutigen Maßstäben gemessen immerhin 14 Staaten gewesen, in denen man mit seiner Kunst präsent gewesen ist.2 Da die herzogliche Hofkapelle zwischen 1885 und 1914 unter Leitung von Hans von Bülow, Fritz Steinbach, Wilhelm Berger und Max Reger und mit Johannes Brahms in 7 europäischen Staaten (heute 10) mit 49, zum Teil Maßstab setzenden Konzerten aufgewartet hat, nahm auch sie nachhaltig Einfluss auf das
1
2
Ann Marie KOLLER, The Theater Duke Georg II of Saxe-Meiningen and the German Stage, Sanford 1984; John OSBORNE, The Meininger Courth Theatre 1866–1890, Cambridge 1988; Lexikon Theater international, Berlin 1995, S. 309; Dieter HOFFMEIER, Die Meininger. Ihre europaweit wirkende Inszenierungskunst, unveröffentlichtes Manuskript, o. J. Max GRUBE, Geschichte der Meininger, Berlin/Leipzig 1926; Paul RICHARD, Chronik sämtlicher Gastspiele des Herzoglich Sachsen-Meiningen’schen Hoftheaters während der Jahre 1874–1890, Leipzig 1891.
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ALFRED ERCK/HANNELORE SCHNEIDER
Musikleben des gesamten Kontinents. (In Deutschland hat sie während jenes Zeitraum etwa 1.000 Gastkonzerte gegeben.)3 Außer in Frankreich, das sich seinerzeit den kulturellen Leistungen des Deutschen Reiches verschloss, haben sich Georg II. und seine Künstler bei sämtlichen Großmächten im Europa jener Zeit darum bemüht, durch den Austausch kultureller Werte zur Verständigung der Staaten beizutragen. Bei diesen Bestrebungen wurden sie von Intellektuellen und Künstlern unterstützt, die gegen den ständig weiter um sich greifenden Nationalismus, gegen die in militärische Auseinandersetzungen ausufernden Konflikte zwischen den europäischen Staaten ankämpften. Mochten Georg und sein Hoftheaterintendant, das Organisationsgenie Ludwig Chronegk, ihre Gastspiele auch als „Kulturmissionen“ angesehen haben, so sollten diese erklärtermaßen der werkgetreuen Wiedergabe der Stücke von Shakespeare und Schiller, von Kleist oder Molière gewidmet werden. Überdies durfte man gewiss sein, dass die „Meininger“ ihre Auslandsgastspiele stets auf programmatische Weise mit „Julius Cäsar“ begonnen haben. Auch ist man erpicht darauf gewesen, die neuesten Dramen von Björnsterne Björnson und Hendrik Ibsen zur Aufführung zu bringen. Die Hofkapellmeister legten es ihrerseits darauf an, in ihren Londoner oder Prager Konzerten die anwesenden Edgar Elgar oder Antonin Dvorak zu ehren, indem sie deren Kompositionen zum Vortrag brachten. Kurzum: Meiningens Künstlerscharen haben sich ganz bewusst als hingebungsvolle Sachwalter der europäischen Kultur in deren Gänze zu erkennen gegeben. Um seine kulturpolitischen Intentionen mittels Gastspielreisen umsetzen zu können, hat Georg auch auf jene althergebrachten Verbindungen zurückgegriffen, die er zu den gekrönten Staatoberhäuptern des Kontinents reklamieren konnte. Doch im Unterschied zu Sachsen-Weimar und Sachsen-Coburg und Gotha verfügte Meiningen nur über wenige und nicht besonders belastungsfähige verwandtschaftliche Beziehungen zu den Kaisern und Königen jener Tage. Der Meininger Herzog war mit dem preußisch-deutschen Kaiserhaus, über Tante Adelheid auch mit dem englischen und über seine erste Gemahlin Charlotte mit dem niederländischen Königshaus sowie über eine Nichte mit dem russischen Zarenhof verwandtschaftlich verbunden. Bei den erstgenannten Familien ist Georg auch häufig zu Gast gewesen. Weitere tragfähige fürstliche Konnexionen vermochte er allerdings nicht vorzuweisen.
3
Herta MÜLLER, Die Rolle der Meininger Hofkapelle und ihrer führenden Musiker in der deutschen und europäischen Kulturgeschichte, in: Alfred ERCK/Rolf-Dieter MEISSNER/Hannelore SCHNEIDER (Hg.), Die europäische, nationale und regionale Bedeutung des Kulturzentrums Meiningen in der Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Typoskript, Meiningen o. J.
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Dennoch wird man nicht verkennen dürfen, dass auch in den Jahrzehnten, die dem Ersten Weltkrieg vorausgingen, das monarchische Prinzip noch immer ein Band darstellte, durch das sich die fürstlichen Häuser über Ländergrenzen hinweg verbunden fühlten. Auch wenn jene hohen Erwartungen, die namentlich Englands Königin Victoria an die segensreichen, weil Frieden stiftenden Folgen von Hochzeiten zwischen den Dynastien knüpfte, keineswegs erfüllt wurden, gab es unter den fürstlichen „Vettern“ vielfältige und gelegentlich auch zu aktivierende und zu nutzende Beziehungen. Im folgenden Beitrag soll anhand wichtiger Beispiele der Frage nachgegangen werden, im welchem Maße der Meininger „Theaterherzog“ es verstanden hat, seine exponierte Stellung zu gebrauchen, um den Gastspielen seiner im Grunde genommen privaten (und nur der Form halber höfischen) Kunstinstitute in den Kulturmetropolen, nicht zuletzt den Haupt- und Residenzstädten Europas, zu ihren Erfolgen zu verhelfen. Dabei sollte nicht verkannt werden, dass das Privileg der Fürsten, Förderer der schönen Künste zu sein, und deren oftmals nationale Befindlichkeiten überschreitende Verquickung mit den Fürstenhäusern in anderen Nationalstaaten auch dazu angetan waren, dem sich ausbreitenden Chauvinismus jener Tage ein gewisses Gegengewicht entgegen zu stellen. In diesem Sinne hat der Meininger Herzog an seine Standesgenossen appelliert, mitzuhelfen, den Austausch kultureller Werte zwischen der deutschen und ihrer Nation zu unterstützen, sich auf symbolträchtige Weise für die Verständigung der Völker einzusetzen. Während zu den Königshäusern in England, Belgien, den Niederlanden, Dänemark und Schweden sowie zum Zarenhof in St. Petersburg hilfreiche Kontakte hergestellt werden konnten, hat Georg auf ein Zusammenwirken mit Franz Joseph I. von Österreich-Ungarn verzichtet – allerdings vielfältige Komplikationen mit der Bürokratie des konservativen Staatswesens hinnehmen müssen. Obwohl der deutschen Botschaft in Rom sehr an einem MeiningenGastspiel in Italien gelegen war und Chronegk seinen Fürsten wiederholt bedrängt hat, die Truppe wenigstens einmal nach Mailand, Florenz und vor allem Rom reisen zu lassen, unterließ Georg es, an König Humbert zu schreiben. Außer nationalen Aversionen gegen die Deutschen haben ihn ungünstige Zoll- und Transportkonditionen daran gehindert, seinen „Cäsar“ am Ort des Geschehens zur Aufführung zu bringen.4 Im Unterschied zu den Monarchien hat es nur wenige Versuche der Meininger Hofinstitute gegeben, in republikanischen Staaten zu gastieren. Man ist mehrfach in Basel aufgetreten – doch das war nahe liegend und wurde nicht mit 4
Thüringisches Staatsarchiv Meiningen (im Folgenden: ThStAM), Nachlass Freifrau v. Heldburg/Hausarchiv (im Folgenden: HA) 319; Brief Georgs an Chronegk vom 7. und 12. November 1885; Brief Chronegks an Georg vom 5. November 1885, HA 238/I.
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kulturpolitischen Absichten belastet. Obwohl die Meininger Bühne als Zeichen ihres guten Willens und unter Inanspruchnahme der Beihilfe des kaiserlichen Statthalters in Straßburg und Metz mit großem Zuspruch Schillers „Jungfrau von Orleans“ vorgestellt und einsichtige französische Kreise daraufhin für ein Gastspiel des Hoftheaters in Paris plädiert hatten, scheiterte das Ansinnen an der deutschlandfeindlichen Haltung des französischen Kultusministeriums (das 1902 sogar vertragsmäßig abgeschlossene Konzerte der Hofkapelle in der Opera Comique schließlich doch untersagte.5) Sehr intensiv haben Georg und Chronegk eine halbjährige Tournee durch die USA vorbereitet. Doch verhinderten völlig unterschiedliche Auffassungen über das Wechselspiel von künstlerischen Intentionen und geschäftlichen Konditionen diesen Kulturaustausch mit der Neuen Welt.6
Das Prozedere der Gastspielreisen und die Kommunikation und Kooperation der Monarchen untereinander7 Nach den sensationellen Erfolgen von Berlin 1874 und 1875 sowie jenen Auseinandersetzungen, die unter den Theaterleuten nach dem Wien-Auftritt des Hoftheaters von 1875 geführt worden sind, häuften sich bei Chronegk die Angebote von Theateragenten bzw. Direktoren renommierter Bühnenhäuser, bei ihnen mit den Erfolgsstücken der „Meininger“ aufzuwarten. Es sind namentlich der Chef des „Berliner-Geschäftsbureaus und der Redaktion des Theaterfigaros“ Emil Drenker und Ludwig Fränkel, der gleichfalls in Berlin ein „TheaterGeschäftsbureau und Redaktion des Deutschen Bühnen-Moniteurs“ unterhielt, mit denen der Meininger Theaterintendant in enger Abstimmung operierte. Da man auch mit dem Verlag Felix Bloch-Erben in der Reichshauptstadt, bei dem die Autorenrechte der meisten Dramatiker jener Tage lagen, vertrauensvoll zusammenarbeitete, ergaben sich auch in dieser Hinsicht günstige Bedingungen für das internationale Wirken des Meininger Hoftheaters. Als sich 1881 bei ersten Gastspielreisen der Hofkapelle unter Hans von Bülow durch Franken herausstellte, dass die neue Art der Orchesterführung 5 6 7
Meininger Tageblatt vom 20. Februar 1902. Alfred ERCK, Weshalb die Meininger nicht in den USA gastierten. Meininger Schülerrundbriefe, Epistola 102, S. 74–83, Epistola 103, S. 58–65. Im ThStAM haben sich keine Briefkonzepte Georgs an die Monarchen, die Regierungen in den Gastspielstaaten, auch nicht an die jeweiligen deutschen Botschafter erhalten. Auch ließen sich nur fragmentarisch Schreiben der jeweiligen Könige, von Ministern und Diplomaten auffinden. Infolgedessen mussten sich die Autoren mit jenen Mitteilungen begnügen, die Georg, seine dritte Gemahlin, Freifrau von Heldburg, und Chronegk sowie Bülow einander haben zukommen lassen. Darüber hinaus wurden einschlägige und in Meiningen vorhandene Zeitungsnotizen herangezogen.
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durch den genialen Dirigenten enormes Publikumsinteresse hervorrief, war Meiningens Kapellmeister überzeugt, dass die Hofkapelle unter seiner Leitung auch in Berlin und Wien für Aufsehen sorgen könne. Der Berliner Musikagent Hermann Wolff – mit Bülow schon seit Jahren verbunden und später sein Partner bei der Gründung der Berliner Philharmoniker – fand sich sofort bereit, die Meininger Hofkapelle unter ihrem berühmten Leiter und mit Brahms in den Musikmetropolen des Deutschen Reichs und auch im Ausland zu vermarkten. An diese Tradition hat man dann bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges angeknüpft. Es oblag nun dem Hoftheaterintendanten bzw. dem Hofkapellmeister, mit dem Herzog jene Entscheidungen zu fällen, die notwendig waren, um in künstlerischer, organisatorischer und finanzieller Hinsicht entsprechend aufwändige Unternehmungen in die Wege zu leiten. Denn immerhin bis zu 100 Personen (Schauspielerinnen und Schauspieler sowie entsprechendes Hilfspersonal), Dekorationen, Requisiten, Kostüme und technische Apparate für sechs bis acht Inszenierungen waren in einem Sonderzug mit bis zu 30 Waggons, darunter sogar Langholzwagen, mitunter auch per Schiff, monatelang über manche Landesgrenze hinweg durch halb Europa zu führen. Die Gastspiele waren eine organisatorische Glanzleistung, die es in dieser Form noch nicht gegeben hatte. Erstmals in der Theatergeschichte reisten nicht nur die Schauspieler. Die neuen technischen Errungenschaften jenes Zeitalters, insbesondere die Eisenbahn, nutzend, war ein ganzes Hoftheater quer durch Europa unterwegs. Mit diesem riesigen Apparat wurden in kürzester Frist enorme Entfernungen bewältigt. In Amsterdam lief beispielsweise am 11. Juni 1880 abends die letzte Vorstellung und am 15. Juni war das Theater schon wieder spielbereit in Düsseldorf. Glanzstück war die Bewegung des Theaters in zwei Tagen von Breslau nach Dresden. Für die Reise nach Amsterdam verhandelte man im Vorfeld mit neun verschiedenen Bahngesellschaften.8 Nicht minder aufwändig war die Absicherung des ganzen Unternehmens durch entsprechende Feuerversicherungen, die bei jeder Gastspielverlängerung eines Veränderungsscheins bedurften.9 Auch hier wurden pro Gastspiel stets mehrere Versicherungsgesellschaften unter Vertrag genommen. Die gut fünfzig Orchestermusiker der Hofkapelle waren ihrerseits in der Regel vier Wochen unterwegs und hatten mitunter jeden Tag in einer anderen Stadt unter recht unterschiedlichen Saalverhältnissen zu musizieren. Angesichts der vielen logistischen Probleme, die sich insbesondere vor Chronegk auftürmten, war dem Theaterintendanten sehr viel daran gelegen, 8 9
ThStAM Hofmarschallamt (im Folgenden: HMA) 905, Schreiben des Hofmarschallamtes vom 9. April 1880 jeweils nach Eisenach, Gerstungen, Werburg, Altenlaken, Soest, Hanau, Dortmund, Wanne, Oberhausen. HMA 909, Verhandlungen mit Feuerversicherungen 1887–1890.
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wenn vor Ort die Entscheidungsträger – vom Zoll an der Grenze, den Bahngesellschaften, den Feuerversicherungsagenturen, den Fremdenbehörden, über die Bürgermeister der Gaststädte bis hin zu den Spitzen der Gesellschaft – einen wachen Sinn für das Anliegen der Kulturmission und ein offenes Ohr für die Wünsche des gestressten Meininger Intendanten hatten. Der Herzog seinerseits richtete sein Augenmerk vor allem darauf, welchen Eindruck seine Inszenierungen bei der Fachwelt hervorriefen. Darüber hinaus war es ihm wichtig, unter dem Hochadel Europas – dem er sich bewusst zugerechnet hat – als eigentlicher Schöpfer bzw. Förderer kultureller Spitzenleistungen wahrgenommen zu werden. Selbstredend hatte man auch die Kassenrapporte im Auge zu behalten. Für die Finanzgeschäfte schickte Georg extra einen Hofkassenbeamten mit auf Reisen, der notfalls auch beim Ministerium ausgeliehen wurde. Bei einer solchen Konstellation war es zwangsläufig, dass das Auswärtige Amt in Berlin und die deutschen Botschafter in den Gastspielländern in wachsendem Maße in die Vorbereitung und in die Durchführung von Tourneen einbezogen worden sind. In dem Maße, wie die auswärtige Politik des deutschen Reiches schon zu Ende der Bismarckschen Ära in Schwierigkeiten geriet, war den deutschen Botschaftern vor allem in London und St. Petersburg viel daran gelegen, mit Hilfe eines Meininger Gastspiels zu einer Klimaverbesserung in ihrem Wirkungsbereich zu gelangen. Sie wurden zu eifrigen Befürwortern, ja zu Förderern von Meiningen-Gastspielen. Unter diesen Umständen konnte es nicht ausblieben, dass schlussendlich das Staatsoberhaupt jener Monarchien, in denen die Hofkapelle und vor allem das Hoftheater gastierten, als höchste Instanz ins Spiel gebracht worden ist. Es ist Georg gewesen, der bei einem gewissen Stand der Gastspielvorbereitung dem jeweiligen König offiziell das Erscheinen seiner Kunstinstitution angekündigt und ihn resp. seine Familie zum Besuch der Eröffnungsvorstellung eingeladen hat: Ein regierender Fürst avisierte seinem „Vetter“ die Ankunft seines Hoftheaters bzw. seiner Hofkapelle in dessen Residenzstadt. Es ist das ein Akt der Courtoisie gewesen – mit vielen Nebenabsichten. Bevor es zu diesem gleichsam offiziellen Akt gekommen ist, hatte es nicht selten Kontakte und Absprachen im Vorfeld gegeben. Denn letztendlich lief die Angelegenheit darauf hinaus, das fürstliche Staatsoberhaupt für die Übernahme des Protektorats für das Gastspiel zu gewinnen oder sich in anderer Weise seiner Unterstützung zu versichern. Via Mittelsmänner aus der näheren Umgebung des Souveräns wurden auf schriftlichem Wege und per Gespräch gewisse Absprachen getroffen. Chronegk ist beispielsweise bei seinen Vorgesprächen in London 1880 und 1881 mehrfach mit dem Prinzen of Wales (später Edward VII.) zusammengetroffen. Das Londongastspiel von 1881 war seit 1874
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im Gespräch gewesen.10 Schon 1876 war man sich meiningerseits im Klaren darüber, dass „der Prinz of Wales […] den ersten Abend im Theater sein und sich für uns interessieren“ müsse.11 Hatte sich der Monarch oder in seinem Auftrag ein herausragendes Mitglied der Herrscherfamilie zu der gewünschten Geste bzw. Unterstützung bereitgefunden, konnten Georg und „sein“ Chronegk damit rechnen, dass in Form einer „Kettenreaktion“ in der Presse entsprechende Mitteilungen erschienen und in der höfischen Gesellschaft das Gastspiel der „Meininger“ schon vor deren Erscheinen am Ort zum allgemeinen Gesprächsstoff geworden war. Der Meininger Intendant – seines Zeichens ein Meister der „Publicity“ – legte es stets darauf an, entsprechende Meinungsäußerungen in die Printmedien zu bringen. Beispielsweise baute er 1882 in Berlin seine Pressekampagne für Schillers „Wallenstein“ – Trilogie weitgehend auf lobende Bemerkungen auf, die Kaiser Wilhelm I., vor allem Kronprinz Friedrich Wilhelm und nicht zuletzt der enthusiastische Prinz Wilhelm (später Kaiser Wilhelm II.) über diese Einstudierung der „Meininger“ geäußert hatten – übrigens mit durchschlagendem Erfolg. Jedenfalls war diese „kostenlose Reclame“ – wie Chronegk es nannte – sehr wohl geeignet, eine Zielgruppe von Theaterinteressierten (und Fremdsprachen mächtiger) Menschen in den Saal des riesigen Drury Lane Theater zu London oder ins Alexandra-Theater in St. Petersburg zu bringen. Doch war man auch darauf angewiesen, höchst reale Unterstützung bei seinen Gastspielen durch den Monarchen und seine Untergebenen zu erlangen. Diese erschöpften sich keineswegs in der Hoffnung, dass die Fürstenfamilie die erste Vorstellung des Gastspiels besuchte, eine Loge für alle Vorstellungen mietete und diese Freunden zur Verfügung stellte. Mindestens ebenso wichtig war es, dass es gelang, die königlichen Theater für seinen Gastauftritt vermietet zu bekommen – in London eben das Theatre Royal Drurylane, in Brüssel das Royal Theatre de la Monnaie, in Antwerpen das Theatre royal, in Petersburg das Kaiserliche Alexandratheater usw. Man benötigte Depots für seine vielen Dekorationen, Räumlichkeiten für Kostüme und Requisiten, die selbstredend gerne in hofeigenen Gebäuden aufbewahrt werden sollten. Da die „Meininger“ auf ihre Weise zu den Vorreitern des visuellen Zeitalters gehörten und der Bühnenausstattung bei ihren Inszenierungen ein ganz besonderes Gewicht beimaßen, ist es für einen Gastauftritt von großer Relevanz gewesen, genauestens über die jeweiligen Bühnenverhältnisse unterrichtet zu sein. Deshalb hat man mit den entsprechenden Höfen und Theatern beizeiten Kontakt aufgenommen, um exakte Angaben zu erhalten. Namentlich über die Musentempel in Holland und Belgien erhielten die Meininger auf diese Weise 10 11
ThStAM HA 209, Brief Georgs an Chronegk vom 3. Juni 1874. ThStAM HA 229, Brief Chronegks an Georg und Helene (v. Heldburg) vom 25. Juni 1876.
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teilweise ausführliche Informationen. Für Italien hat es die deutsche Botschaft übernommen, in einer langen Studie die einschlägigen Angaben nach Meiningen weiterzuleiten. Falls es sich als notwendig erweisen sollte, mussten dann im Atelier Brückner in Coburg Sonderanfertigungen der Bühnenbilder in Auftrag gegeben werden. Überaus belangvoll ist es gewesen, dass Chronegk eine große Anzahl von willigen und intelligenten Statisten für die berühmten Meininger Massenszenen zur Verfügung stand. Sieht man von Österreich ab, so gelang es ihm stets, diese aus Soldaten des Heeres oder der Marine in den jeweiligen Gastländern zu rekrutieren. Zu dem Zweck sind die Zustimmung des Monarchen und ein entsprechender Befehl des jeweiligen Kriegsministers vonnöten gewesen. Zumeist war es Georg selbst, der schließlich entsprechende Bittbriefe an die zuständigen Ressortchefs geschrieben hat, die ihrerseits zum Zwecke des Theatermachens Militärangehörige per Befehl unter die Kommandogewalt eines auswärtigen Komödianten, des als Intendant fungierenden Chronegk, gestellt haben. Da man die Musiker für die Zwischenaktmusiken und die Begleitung von Sängerdarstellern in einzelnen Aufführungen gleichfalls am Ort des Geschehens anwarb und vom Meininger Leiter der Bühnenmusik Wilhelm Reif einstudieren ließ, war man auch in dieser Hinsicht auf ein Goodwill der örtlichen Obrigkeiten angewiesen. Das wissend, haben die jeweiligen Souveräne den betreffenden Oberbürgermeistern zumeist auf schriftlichem Wege anempfohlen, das Meininger Kunstunternehmen nach Kräften zu unterstützen. Inwieweit die generelle „Klimapflege“ mitgeholfen hat, lästige und auch Kosten treibende Sonderzölle für den Transport von Kulturgütern, von Gewerbeabgaben, Geldern, die die örtliche Fremdenpolizei eintrieb, usw. zu vermeiden bzw. wenigstens zu reduzieren, müsste von Fall zu Fall untersucht werden. Generell lässt sich allerdings sagen, dass ein europaweiter Kulturaustausch in jenem Ausmaß, wie er wohl erstmals vom Meininger Hoftheater betrieben wurde, den Zoll- und städtischen Beamten noch nicht vorgekommen war und diese sich nur schwer auf die neuen Herausforderungen einzustellen wussten. Kurzum: Europa war auf einen Kulturaustausch, der an sich schon einen Wert darstellt, noch längst nicht eingerichtet. Die „Meininger“ und ihr Herzog waren auch in der Hinsicht ihrer Zeit voraus. Georg und Chronegk sind im Gegenzug zu fürstlichen Gnadenerweisen auch bereit gewesen, den Gastgebern zuliebe bestimmte Stücke ins Repertoire zu nehmen. Dass ist im Falle des London-Auftritts geschehen, als man auf Edwards Anfrage hin, ob denn auch eine amüsante Aufführung mit „hübschen Damen“ zu sehen sei,12 Wolff/v. Webers „Preciosa“ einstudierte und mit Pauline Schweighofer eine attraktive Darstellerin ins Ensemble zog. Auch gelegent12
ThStAM HA 216, Brief Georgs an Chronegk vom 22. November 1880.
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lich der Russlandtournee von 1885 hat man um Großfürst Konstatin Konstantinowitsch, der F. Schillers „Braut von Messina“ ins Russische übertragen hatte, „eine Artigkeit zu erweisen“, eine entsprechende Inszenierung mit eigens dafür von den Gebrüdern Brückner gefertigten Dekorationen zu veranlassen13 und mit nach St. Petersburg und Moskau zu nehmen. Sie konnte dort in Summe allerdings nur dreimal aufgeführt werden. Umgekehrt haben sich Georg und Chronegk in ihrem Bestreben, den Gastländern eine Referenz zu erweisen, gelegentlich in der Programmwahl auch vertan – so 1889, als man in Kopenhagen Ibsens „Gespenster“ darbot. Am Ende des in der Regel einen reichlichen Monat andauernden Gastspiels in den Residenzstädten hat es sich der betreffende Souverän nicht nehmen lassen, Chronegk in Audienz zu empfangen, ihm seine Anerkennung für den gewährten Kunstgenuss auszusprechen und einen zumeist erstaunlich hohen Orden zu verleihen. Als Zwischenbilanz kann festgehalten werden, dass ohne die freundliche Unterstützung, die Georg und seine Kunstinstitute bei ihren Auslandsreisen durch die jeweiligen Könige resp. deren Regierungen erfahren haben, weder das entsprechende Kunstniveau erreicht worden noch der zuweilen sensationelle Publikumserfolg möglich gewesen wären. Jenes monarchische Prinzip, das schon drei Jahrzehnte später in weiten Teilen Europas für immer beiseitegelegt worden ist, hat sich zumindest bis 1890 noch als Helfer bei kulturellen Modernisierungsbestrebungen bewährt.
Bemerkungen zu den einzelnen Gastspielländern Bei allen Gemeinsamkeiten bzw. Analogien, die es hinsichtlich der Unterstützung der Gastspiele von Hoftheater und Hofkapelle aus dem kleinen Meiningen in den Kunstmetropolen Europas durch den jeweiligen Monarchen bzw. entsprechende Regierungsstellen gegeben hat, sind doch mannigfaltige und zum Teil auch gravierende Unterschiede zu registrieren. Ein konfliktbelasteter Vielvölker- oder ein recht homogener Nationalstaat, eine Monarchie oder eine Republik, ein Gastspiel, das 1875 stattfand, oder eine Tournee, die 1890 absolviert wurde – da konnten sich mitunter schon Welten auftun. Zu dieser Thematik sollen im Folgenden einige Bemerkungen gemacht, auch herausgestellt werden, dass jeder der betreffenden Staaten eben doch auch einen Sonderfall beim Gastieren der „Meininger“ darstellte, der Georg, Helene wie auch Chronegk oder Bülow sowie die betreffenden Agenten vor stets neue Herausforderungen stellte. 13
Theatermuseum Köln, Nachlass Georgs II., Au 7293, Brief Georgs an die Brückners vom Januar 1885.
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Die k.- und -k. Doppelmonarchie Österreich-Ungarn Schon ein Jahr nach dem spektakulären Debüt in Berlin gastierte das Hoftheater in Wien – ein Auftritt, den Helene „für unseren Erfolg in Europa (für) ausschlaggebend“ hielt.14 Es erscheint aufschlussreich, dass sowohl die Gastspiele, die das Meininger Theater wie die Kapelle in der Donaumonarchie absolviert haben, zustande gekommen sind, ohne dass sich Georg der Rückendeckung durch den Kaiser oder den Wiener Hof versichert hätte. Das Hoftheater, das 1875, 1879 und 1883 in Wien, 1875, 1879, 1881 und 1888 in Budapest, 1878, 1879, 1883 und 1888 in Prag, auch in Graz (1880, 1881, 1885, 1888) sowie 1885 in Triest vorstellig geworden war, und die Hofkapelle, die unter von Bülow 1884 in Wien, Budapest, Graz und Prag und Brünn gastierte, hatten sich bei den Tourneen ausschließlich von künstlerischen Intentionen leiten lassen. (Dabei ließ man es auch späterhin bei den Gastreisen nach Österreich unter Fritz Steinbach bewenden.) Vor allem in der Theater- und Musikmetropole der Deutschen – und das ist Wien in den Augen der Meininger Herrschaften damals noch immer gewesen – wollten die Meininger durch ihre künstlerischen Leistungen, sprich Neuerungen, anregend wirken, auch auf sich aufmerksam machen. Nicht mit Kaiser Franz Joseph, sondern mit Franz von Dingelstedt, dem Chef des Burgtheaters, hat Georg in Vorbereitung auf die erste Gastspielreise korrespondiert.15 Mit Brahms und Liszt kooperierte Bülow zehn Jahre später bei seinen Auftritten in Wien und Budapest. Die von Dingelstedt und Heinrich Laube geleiteten Schauspielhäuser, die Wiener Philharmoniker galten als der Maßstab, an dem man gemessen werden wollte. Der strengen, ja selbstherrlichen Fachkritik Wiens hat man sich ganz bewusst gestellt. Als „Heikelste von allen Städten“ hat Georg noch 1879 Wien bezeichnet.16 Abgesehen davon, dass meiningerseits gelegentlich der ersten Gastspielreise noch Erfahrungen gesammelt und einiges Lehrgeld gezahlt werden musste, bleibt zu konstatieren, dass die verkrustete Bürokratie des alten Reiches und dessen ungelöste Nationalitätenkonflikte den Meiningern – vielleicht auch, weil man sich mit der kaiserlichen Familie nicht ins Benehmen gesetzt hatte – besonders viel zu schaffen gemacht haben. Weder die Meininger Theaterleute noch die österreichischen Bahn- und Zollbeamten verfügten über Erfahrungen mit dem Austausch von gesamten Theaterinszenierungen über Ländergrenzen hinweg.17 Georg musste sein 14 15 16 17
ThStAM HA 210, Brief Helenes an Chronegk vom 2. Oktober 1875. Ebd., Brief Dingelstedts an Georg vom 5. Juni 1875. ThStAM HA 215, Brief Georgs an Chronegk vom 10. Oktober 1879. ThStAM HA 210, Brief Georgs an Chronegk vom 5. September 1875.
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Staatsministerium oder das Hofmarschallamt einschalten, um auftretende Probleme zu bewältigen. Die Wiener Fremdenpolizei agierte wenig einfühlsam, erhob hohe Steuern für jedes Ensemblemitglied. Auch wenn mittels Selbstzensur dafür gesorgt war, dass für den Auftritt im erzkatholischen Staat den Vatikan kritisierende Stücke schon gar nicht im Repertoire vorkamen, musste man hinnehmen, dass die Aufführung der gesellschaftskritischen Stücke von Ibsen durch örtliche Polizeidirektionen sogleich verboten wurde. Weil die letzten Auftritte der „Meininger“ in Prag und Triest von großen Teilen der tschechischen bzw. italienischen, teilweise auch von der ungarischen Bevölkerung regelrecht boykottiert worden sind, war man darauf angewiesen, dass die ortsansässigen Deutschen die Theatersäle füllten. Allerdings gab es auch gewisse Gegenströmungen zu verzeichnen – fortschrittliche Kreise von ungarischen und tschechischen Intellektuellen, nicht zuletzt Schauspieler, griffen die künstlerischen Neuerungen aus dem Thüringischen begierig auf, denn sie sahen darin eine gute Chance, ihrem eigenen, noch in der Entstehungsphase befindlichen Nationaltheater auf die Sprünge zu helfen.18 Besonders viel öffentliches Aufsehen erregte eine Episode, die sich am 4. Dezember 1884 in Prag zugetragen hat. Gelegentlich des Gastspiels der Hofkapelle drückte Bülow dem anwesenden Antonin Dvorak den Dirigentenstab mit der auf Tschechisch gesprochenen Aufforderung in die Hand, seine Komposition, eine Serenade, zum Vortrag zu bringen. Die deutschen Zeitungen in der Donaumonarchie griffen den Vorfall auf, Karikaturisten sparten nicht mit Häme. Wiens Außenministerium beschwerte sich offiziell bei Georg wegen der Einmischung in die österreichische Nationalitätenpolitik. Der Meininger Herzog ärgerte sich: „Heute kehrt die Kapelle zurück. Alles wäre wunderschön gegangen, wenn nicht B(ülow) sein Maul aufgerissen u(nd) Skandal gemacht hätte.“19
Königreich der Niederlande 1880 dirigierte Georg II. sein Hoftheater erstmals in ein Land, in dem Deutsch nicht die Amtssprache war – in die Niederlande. Aus den in Österreich gemachten Fehlern lernend, wurden in Amsterdam neue Wege beschritten, die bei den folgenden Auslandstourneen noch weiter ausgebaut werden sollten. Bei dem liberalen König Wilhelm III., den Georg durch seine erste Schwiegermutter Marianne von Oranien hatte näher kennenlernen können, und seiner Regierung durfte er von vornherein auf ein weitaus größeres Entgegenkommen auch in Kunstangelegenheiten rechnen, als das im erzkonservativen Österreich der Fall 18 19
Géza STAUD, Die Meininger in Ungarn. Wirkung – Nachwirkung, in: Kleine Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte 26 (1973), S. 43–58. ThStAM HA 220, Brief Georgs an Chronegk vom 6. Dezember 1884.
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gewesen war. Deshalb scheute er sich auch nicht, dem König das Meininger Gastspiel anzukündigen und ihn um seine Unterstützung zu bitten. Georg lud die königliche Familie ein, die Vorstellungen seiner Hofbühne zu besuchen und hat den König ausdrücklich gebeten, in der Öffentlichkeit für das Ereignis zu werben sowie mitzuhelfen, geeignete Statisten zur Verfügung zu stellen. Es hatte sich nämlich in Österreich herausgestellt, dass sich das kaiserliche Verbot, Soldaten für die Statisterie rekrutieren, gerade für die auf die Ausstrahlungskraft der Massenszenen angewiesenen Meininger Inszenierungen besonders nachteilig auswirkte. Denn Handwerker, Durchreisende, Arbeitslose – das Volk also – erwiesen sich auf der Szene als nicht besonders geeignete Volksdarsteller. Wie Helene Chronegk mitteilen konnte, hatte der Monarch Georg „liebenswürdig“ geantwortet. Obzwar persönlich durch Krankheit am Besuch von Vorstellungen verhindert, wolle er seinen Amsterdamern den Vorstellungsbesuch „wärmstens empfehlen“.20 In der Statistenangelegenheit konnte der von Georg eigens kontaktierte Kriegsminister Reuther telegraphieren, dass er holländische Soldaten zeitweilig unter Chronegks Kommando stellen wolle.21 Auch in Sachen Pressearbeit kam man damals voran: Der Dramatiker Albert Lindner fand sich bereit, in holländischen Zeitungen Artikel über die Meininger Gastspielreisen unterzubringen. Damals erschien nach Ende der Reise eine Schrift von F. Ph. Röpke: Die Meininger in Holland. Das Hoftheater kam 1888 im Zuge seiner Belgienreise noch einmal nach Holland, nämlich für einen Monat nach Rotterdam; Georg hat damals allerdings frustriert notieren müssen: „Von Schiller scheinen die Niederländer blitz wenig zu wissen.“22 Nach gegenwärtigem Kenntnisstand scheint Georg 1885 nichts unternommen zu haben, um die Gastspielreise seiner Hofkapelle unter H. von Bülow und mit J. Brahms als Dirigenten und Pianisten den holländischen Majestäten zu avisieren. Zwischen dem 10. und dem 20. November fanden in Rotterdam, Utrecht, Amsterdam, Den Haag, Harlem und Arnheim elf hoch bedeutsame Konzerte statt. Denn eines der besten Sinfonieorchester jener Zeit mit Brahms (dessen Auftritte Georg mit jeweils 300 Mark aus seiner Schatulle honorierte), der seine gerade fertig gestellte 4. Sinfonie präsentierte, und dem überragenden Dirigenten Bülow, ist damals in den Niederlanden unterwegs gewesen.
20 21 22
ThStAM HA 216, Brief Helenes an Chronegk vom 13. Mai 1880. Ebd., Brief Helenes an Chronegk vom 28. April 1880. ThStAM HA 224, Brief Georgs an Chronegk vom 25. August 1888.
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Königreich Großbritannien und Irland Seitdem 1875 Londoner Agenten Chronegk in Berlin das Angebot unterbreitet hatten, in England zu gastieren, haben sich Georg und Helene permanent mit den Realisierungsmöglichkeiten eines derartigen Vorhabens beschäftigt. Denn in vielfacher Hinsicht dem Britischen verbunden, war man zutiefst daran interessiert, mit seinem als deutsche Leitbühne für die Shakespeare-Rezeption ausgewiesenen Theater, die Stücke des großen Briten in dessen Heimatland vorzustellen. Darüber hinaus spielte Georg mit dem Gedanken, zu den Gastspielen persönlich nach London zu reisen, um mit der königlichen Familie und im Kreise des englischen Hochadels der einen oder anderen Vorstellung beizuwohnen. Sowohl künstlerisch als auch logistisch sowie in gesellschaftlicher Hinsicht wurde das schließlich für 1881 ins Auge gefasste Unternehmen langfristig und gründlich vorbereitet. Das gesamte erste Halbjahr 1880 wurde in Meiningen intensiv an jenen Inszenierungen geprobt, die man auf der Insel vorstellen wollte. Chronegk ist mehrfach nach London gereist, hat in den Häfen die Maße jener Schiffe genommen, auf denen die riesigen Dekorationen verfrachtet werden sollten. Augustus Harris, den man als Agenten für den London-Auftritt gewonnen hatte, reiste im Gegenzug nach Meiningen, um sich die ausgewählten Einstudierungen anzusehen. Verschiedene in der britischen Metropole lebende Intellektuelle wurden animiert, sich mit den führenden englischen Theaterleuten ins Benehmen zu setzen.23 Schon im Herbst 1880 waren die London-Verträge, auch nachdem sich Georg und der deutsche Botschafter in London verständigt hatten,24 unter Dach und Fach.25 Die Abstimmung mit dem deutschen Auswärtigen Amt erfolgte wenig später.26 Ins Zentrum der Meininger Avancen war beizeiten der britische Thronfolger Edward gerückt. Georg war mit ihm seit Jahrzehnten gut bekannt, auch sein Cousin gleichen Namens (Sohn seiner Tante Ida und Bernhards von SachsenWeimar) stand in Diensten des englischen Königshauses, pflegte rege Kontakte zum Prinzen of Wales und bereitete seinerseits den Sohn Victorias auf das Ereignis vor.27 Auch Prinz Wilhelm von Preußen (der spätere Wilhelm II.) hat, von Georg darum gebeten, anlässlich eines Besuches bei seiner Großmutter und bei seinem Cousin für das Meininger-Gastspiel geworben.28 Sobald der deutsche Botschafter Graf von Münster vorinformiert worden war, hat er sich als ein eif23 24 25 26 27 28
Ebd., Brief Hermann Schumanns an Chronegk vom 3. Mai 1880. Ebd., Brief Georgs an Chronegk vom 12. Oktober 1880. Ebd., Brief Georgs an Chronegk vom 12. Oktober 1880 und HA 394/II, Brief Helenes an Karl Weder vom 29. Januar 1881. ThStAM HA 217, Brief Georgs an Chronegk vom 25. März 1881. ThStAM HA 216, Brief Georgs an Chronegk vom 1. November 1880. ThStAM HA 262, Brief Wilhelms an Georg vom 5. November 1880.
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riger Förderer der Gastspielreise erwiesen.29 Hans von Bülows Schwager, der deutsche Generalkonsul in England von Bojanowsky, entfaltete in seinem Wirkungskreis entsprechende Aktivitäten. Der persönliche Sekretär von Victorias Sohn, Holtzmann, schickte namens seines Herrn Brief über Brief nach Meiningen. Das Haus Siemens, das damals dabei war, den britischen Markt zu erobern, initiierte eigens ein deutsches Empfangskomitee für die „Meininger“. Kurzum: Es hat nie zuvor und auch niemals hernach einen derartigen Aufwand zwecks Vorbereitung eines Auftritts der Meininger Hofbühne gegeben wie im Falle Londons. Wie Chronegk berichtete, soll damals kein Bus in der Millionenmetropole ohne Werbespruch für dieses Theater unterwegs gewesen sein. Allerdings hat es bei der im Grunde genommen einvernehmlichen Vorbereitung des Londoner Gastspiels auch eine Irritation gegeben, die Englands Thronfolger beinahe von seinem Protektorat hätte Abstand nehmen lassen. Denn der auf Initiative Wilhelm von Siemens gegründete „Deutsche Verein für Kunst und Wissenschaft“ fungierte in nationalistischer Manier ausschließlich als deutsche Lobby. Der Prince of Wales war darüber überaus verärgert, ließ auch Georg seine Irritation spüren. Denn er hatte gehofft, ein gesellschaftliches Ereignis zu befördern, wolle aber in seinem Vaterland nicht Werbung für die deutsche Elektroindustrie betreiben. Allerdings ist die deutsche Industrielobby von all dem unbeeindruckt geblieben, gab einen Empfang für die Künstler von der Werra und wertete ihr Gastspiel als ein Wirken für die „Deutsche Ehre“.30 Die praktische Vorbereitung der 56 Vorstellungen zwischen dem 30. Mai und dem 23. Juli 1881 machte dank königlicher Protektion keine besonderen Schwierigkeiten: Das königliche Drury Lane Theatre konnte angemietet werden, deutsche Statisten wurden gewonnen, Edward von England, der sich überaus kooperativ zeigte, hatte nach Meiningen übermitteln lassen, dass er „sich sehr auf die berühmten Meininger freue, es ihm eine Freude sei, zu patronieren“.31 Er brachte die Herzöge des Königreichs in die Vorstellungen. Er selbst, seine nicht eben deutschfreundliche Gemahlin Alexandra (von Dänemark) begleitete ihn häufig, König Oscar II. von Schweden wurde in die eine oder andere Vorstellung lanciert. Die Hoheiten stürmten nach den Vorstellungen höchstpersönlich auf die Bühne, um die Mimen zu beglückwünschen. Die Londoner Presse hat sich im Ganzen lobend über die Bemühungen der Meininger Mimen ausgesprochen. Die Spitzen des englischen Theaters, so Henry Irving und Ellen Terry von Lyceum Theatre, der Präsident der Royal Academy of Arts lud das Meininger Ensemble mehrfach ein. Sogar die Grün-
29 30 31
ThStAM HA 216, Brief Georgs an Chronegk vom 12. Oktober 1880. Meininger Tageblatt vom 16. Juni und 4. Juli 1881. ThStAM HA 216, Brief Helenes an Chronegk vom 11. November 1880.
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dung der berühmten Royal Shakespeare Company ist auf das Meininger Gastspiel zurückzuführen. Allerdings ist Georg selbst nicht auf seine Kosten gekommen – zum einen, weil der Londoner Auftritt seiner Schatulle enorme Unkosten bereitete, zum anderen, da er aufgrund einer schweren Erkrankung seines Vaters auf den sehnlichst herbeigewünschten London-Besuch hat verzichten müssen. Auch späterhin gelangten aus dem Umfeld von Prinz Edward32 sowie der Künstlerschaft Londons33 Mitteilungen an die Meininger Theaterverantwortlichen, in denen sie für weitere Gastauftritte in London warben. Doch an der Werra spekulierte man auf pekuniär lukrativere Tourneen nach Russland und durch die USA. Dafür begann das englische Konzertpublikum damit, sich für die Musiker aus Meiningen zu erwärmen. Nachdem einige von ihnen in Kammermusiken, wiederholt gemeinsam mit Johannes Brahms, und im Frühjahr 1902 das Meininger Streichquartett von Bram Eldering in London und anderen Städten des Landes aufgetreten waren, reiste die Hofkapelle im Herbst jenen Jahres unter Fritz Steinbach zu fünf Konzerten nach London. Glaubt man den Berichten der englischen Rezensenten,34 hat der Auftritt zu einem glänzenden künstlerischen und auch finanziellen Erfolg geführt: Die Konzerte waren sämtlich ausverkauft, aufstrebende Musiker aus Westeuropa besuchten die Veranstaltungen, um auf authentische Weise die sinfonischen Schöpfungen von Brahms und Strauss erleben zu können. 40.000 Mark spülten sie in die Kasse der Kapelle. Später erhielt auch der Dirigent Wilhelm Berger von seinem Fürsten die Erlaubnis, zwei Konzerte in London zu geben. England hatte sich für die Schauspielbühne und für das Orchester aus Meiningen zu jenem Gastland entwickelt, in dem sie sich künstlerisch am besten aufgehoben wussten. In welchem Maße sich die königlichen Hoheiten auch für die Auftritte der Meininger Musiker interessiert haben, konnte in Meiningen nicht herausgefunden werden.
Zarenreich Russland Im letzten Drittel der 1880er Jahre haben Georg und Chronegk eine strategische Entscheidung für die weitere Gastspieltätigkeit der Hofbühne gefällt: Anstelle der ursprünglich ins Auge gefassten anglo-amerikanischen Option, also Reisen nach England und von dort in die USA, fiel die Entscheidung, fortan sein 32 33 34
ThStAM HA 237, Briefe M. Holzmanns an Georg vom 13. März 1884 und an Chronegk vom 17. März 1884. ThStAM HA 235/II, Brief Chronegks an Georg vom 15. Januar 1884. Vgl. Meininger Tageblatt ab dem 18. November 1902.
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Hauptinteresse Russland zuzuwenden. Theaterpolitisch glaubte man dort anregend wirken zu können und finanziell konnte mit guten Einnahmen gerechnet werden. Indem die russische Intelligenzia, allen voran A. K. Stanislawski, die Meininger Neuerungen dankbar aufgriff, hat man tatsächlich viel zur Entwicklung der russischen Nationalbühne beigetragen. Weil die Meininger auch in Warschau und Kiew sowie Odessa auftraten, konnten zumindest dem polnischen Theaterleben kräftige Impulse verliehen werden. (Sicherlich auch, um auf ihre Weise gegen die russische Unterdrückung zu protestieren, haben die Spitzen des Warschauer Theaterlebens ihren Meininger Kollegen eine überaus herzliche Gastfreundschaft entgegengebracht.) Und immer dann, wenn es das Klima der Jahreszeiten erlaubte, strömten auch zahlungsfähige Menschenscharen in die Moskauer Vorstellungen der „Meininger“. Aber auch in keinem anderen Land wurden in den Zeitungen derart prononciert Kritiken veröffentlicht, die sozialpolitische Aspekte der jeweiligen Stücke bzw. deren Ausdeutung durch die herzogliche Hofbühne zum Gegenstand hatten. Jene Koordinaten, die man bei der Bewertung der in Summe beinahe neun Monate währenden Russlandgastspiele von 1885 und 1890 in politischer und dynastischer Hinsicht anlegen sollte, sind nur schwer zu bestimmen. Georg, der in Russland das monarchische Prinzip besser bewahrt sah als in manch anderen Ländern und der als Anhänger Bismarck’scher Außenpolitik gewisse Sympathien für das Zarenreich hegte, war sich andererseits sehr wohl bewusst, dass die offenkundige Unterdrückung breiter Bevölkerungsschichten und vieler Nationen das Riesenreich als ein höchst labiles Gebilde erscheinen ließ. Vermutlich ist er kein großer Freund des reaktionären Zaren Alexander III. gewesen. Der Ausbruch von Kriegen und Revolutionen sei da stets zu befürchten, hat er Chronegk wiederholt eingeschärft. „Das Publikum wünsche unsere Klassiker vorgeführt“ zu bekommen, hat er zugleich geurteilt.35 Da sich die Beziehungen zwischen dem deutschen Reich und dem zaristischen Russland damals spürbar verschlechterten (als man 1890 an der Newa ankam, hatte Wilhelm II. den Rückversicherungsvertrag mit Russland nicht verlängern lassen, und am Zarenhof war der „Deutschenhass“36 schon weit verbreitet), befürchtete der Herzog, dass man ein zweites Russlandgastspiel würde verbieten lassen. Deshalb hat er bei der Vorbereitung des 1890er Auftritts seiner Hofbühne auch entsprechende Briefe an den Zaren geschrieben und Chrongek mit einer Fülle von Empfehlungsschreiben ausstaffiert.37 Der deutsche Botschafter Hans Lothar von Schweinitz, der einem alten schlesischen Adelsgeschlecht entstammte, und der Theateragent Sanftleben, 35 36 37
Theatermuseum Köln, Brief Georgs an Max Brückner vom 31. Dezember 1889. Au 7292. ThStAM HA 223, Brief Georgs an Chronegk vom 21. Mai 1887. ThStAM HA 225, Brief Helenes an Chronegk vom 22. November 1889.
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auch der kaiserlich-russische Hofrat L. von Perl, hatten alle Hände voll zu tun, um die Wogen einigermaßen zu glätten, waren auch froh darüber, dass die Mitglieder der Zarenfamilie bei den Auftritten der „Meininger“ wiederholt ihre Loge im Alexandra-Theater aufgesucht haben, dass Hofadel und Bürgertum in Petersburg (weniger im heißen Moskau) die Vorstellungen füllten. An die Meininger Presse wurden jedenfalls höchst optimistische Mitteilungen geliefert. In ihnen geht die Rede davon, dass die „kaiserliche Familie in vielen Vorstellungen“ zugegen gewesen wäre und Chronegk vom Zaren schließlich das „Comtheurkreuz 2. Klasse“ verliehen worden sei.38 Mit Ovationen wäre man von St. Petersburg verabschiedet worden.39 Gewiss haben sich Großfürst Konstantin Konstantinowitsch und seine Frau Elisabeth redlich bemüht, das Terrain für das erste Meininger Gastspiel zu sondieren und dann auch vorzubereiten.40 Jene Briefe, die Großfürstin Elisabeth seit Mitte der 1880er Jahre aus St. Petersburg an ihren Onkel bzw. Helene schrieb, bezogen sich zunächst auf die Übersetzung von Schillers „Braut von Messina“, an der ihr „kleiner Mann“ immerhin drei Jahre gearbeitet hatte.41 Sie handeln auch vom Opernbetrieb und von Bülows Privatkonzerten in der Stadt.42 Man hat aber auch vermelden können, dass schon im Januar 1885 in St. Petersburg „die Drängelei um die Logen entbrannt“ sei.43 Doch einen entscheidenden Einfluss haben die beiden mit ihren Bemühungen in Russland wohl doch nicht erzielen können. Anfang 1889 wusste Elisabeth dann zu berichten, dass sie „oft gefragt (werde), ob die ‚Meininger‘ nicht bald einmal wieder“ kämen; man „schwärme nach wie vor für sie.“44 Im Unterschied zu den Metropolen im zentralen Russland und in Warschau dürften die 1890er Auftritte der „Meininger“ in den ukrainischen Städten Kiew und Odessa nicht wirklich zu gesellschaftlichen und kulturellen Nachwirkungen geführt haben. In Kiew scheint der geistige Boden für einen Erfolg der Künstlertruppe nicht bereitet gewesen zu sein, auch herrschte damals eine große Hitze. Jedenfalls brachte man es dort auf nur 14 Vorstellungen. Die heitere Hafenstadt am Schwarzen Meer bot nicht allein ein besseres Klima, sondern auch eine angenehmere Atmosphäre. Die Meininger Künstler fühlten sich wohl. Nicht wissend, dass es das Ende der Meininger Gastspielära sein würde, beendeten sie dort am 1. Juli 1890 mit Shakespeares „Was ihr wollt“ einen Abschnitt der deutschen, ja der europäischen Theatergeschichte. 38 39 40 41 42 43 44
Meininger Tageblatt vom 2. April 1890. Meininger Tageblatt vom 8. April 1890. ThStAM HA 220, Brief Georgs an Chronegk vom 17. Dezember 1884. ThStAM HA 350, Brief Elisabeths an Helene vom 4. November 1884. Ebd., Brief Elisabeths an Helene vom 11. Januar 1886. ThStAM HA 221, Brief Georgs an Chronegk vom 3. Januar 1885. ThStAM HA 350, Brief Elisabeths an Helene vom 14. Februar 1889.
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Königreich Belgien Auch das im Frühjahr 1888 absolvierte Gastspiel in Belgien wies einige Besonderheiten auf. Rein äußerlich betrachtet, ist es zweigeteilt gewesen – nach einem Monat Aufenthalt in Antwerpen gastierte man zwischenzeitlich im holländischen Rotterdam, um schließlich ans eigentlich angesteuerte Ziel, nach Brüssel, zu gelangen, wo vom 2. Juni bis zum 2. Juli nahezu ausschließlich die erfolgreichen Inszenierungen von Schiller- und Shakespeare-Stücken zu sehen waren. Weil sich die Elite der französischen Theaterleute und auch Kritiker die günstige Gelegenheit, binnen weniger Stunden von Paris nach Brüssel zu gelangen, nicht hat entgehen lassen, um endlich die kessen Meininger wahrzunehmen, haben Georg und Chronegk nicht zuletzt mit Blick auf diese illustre Gesellschaft einiges in diesen Gastauftritt investiert, auch um das eigene Schaffen möglichst vorteilhaft ausstellen zu können. Auch auf der „Königsebene“ wurden beträchtliche Anstrengungen unternommen, damit man glatt und erfolgreich über die Runden kam. Da seinerzeit in Brüssel eine große Gewerbeausstellung stattfand (die ursprünglich vorgesehene Weltausstellung wurde nach Melbourne verlegt), waren sowohl dem deutschen Reich als auch Georg daran gelegen, sich ins rechte Licht zu setzen. Die Absprachen mit König Leopold II. und den verschiedenen Regierungsstellen funktionierten recht reibungslos. Allerdings sollte der König schwer erkranken und hat wohl nicht ins Theater kommen können.45 Deshalb setzte man sich dann auch mit Königin Emma ins Benehmen, denn im Vorfeld der Tournee hatte es schon einige Komplikationen gegeben. Lange war Chronegk nicht sicher gewesen, ob man das repräsentativste Theater der Hauptstadt, nämlich das königliche Monnaie würde anmieten können. Auch hatte es Kompetenzstreitigkeiten in Sachen Statisterie zwischen dem belgischen Kriegs- und dem Marineministerium gegeben. Zwischen Chronegk, der zwecks Vorbereitung der Tournee im Januar 1888 in Brüssel weilte, und Georg erfolgte beinahe täglich ein Telegrammwechsel. Als am 13. d. M. der Herzog bei seinem Intendanten anfragte, ob er endlich wisse, wo gespielt wird, musste dieser zwei Tage später mitteilen, dass die Aussichten auf einen Abschluss für das Gastspiel noch immer zweifelhaft seien. Am gleichen Tage informierte Georg Chronegk, dass er sich mit dem deutschen Botschafter in Belgien ins Benehmen gesetzt habe. Wieder einen Tag später wurde depeschiert, dass der Gesandte dem Meininger Herzog gute Chancen für den Gastauftritt in Belgien einräumen würde usw.46 45 46
ThStAM HA 224, Brief Georgs an Chronegk vom 2. Mai 1888. Meininger Museen, Telegramme Georgs an Chronegk vom 13. Januar, 27. und 29. März , 24. April und 4. Juni 1888, vgl. auch ThStAM HA 134, 135, 224.
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Schließlich wurde dann König Leopold II. intensiver in die Vorbereitungsarbeiten einbezogen und versprach Georg, in Brüssel einige Vorstellungen zu besuchen.47 Auch als die Truppe schon in Antwerpen gastierte, wollten die Komplikationen nicht abreißen. Nicht allein zwischen den beiden mit Militärsachen befassten belgischen Ministerien scheint es Probleme gegeben zu haben (Heerestruppen oder Marinesoldaten für die Statisterie, hochgewachsene Flamen oder gedrungenere Wallonen machten auch für Regisseur Chronegk bei seinen Einstudierungen einen gewissen Unterschied usw.). In Brüssel war dessen Aufmerksamkeit ohnehin geteilt; er hatte sich um den laufenden Betrieb zu kümmern, den mitunter spitzfindigen französischen Kollegen Rede und Antwort zu stehen und sich darauf vorzubereiten, dass er noch während des Gastspiels nach Amerika würde aufbrechen müssen, um dort die richtungsweisende Entscheidung für oder gegen die großen USA-Tourneen gründlich vorzubereiten. Auch sah er es gar nicht gerne, dass sein Stellvertreter Paul Richard das Brüsseler Gastspiel zu Ende führen durfte. Der hat seinerseits, die sich ihm so selten bietende Chance, im Rampenlicht politischer Öffentlichkeit zu stehen, offenkundig weidlich ausgenutzt. Wie er in seinen Briefen an den Herzog hervorhob, pflegte er einen engen Kontakt zum deutschen Konsul in Brüssel, Müser, befand sich mit dem Theateragenten Haegelstern im besten Einvernehmen,48 musste allerdings auch den Rüffel Georgs einstecken, dass er ausgerechnet an jenem Abend, als der Direktor des Théâtre français eine Vorstellung der „Jungfrau von Orleans“ besuchte, nicht den Star Amanda Lindner, sondern die Zweitbesetzung hatte auf der Bühne agieren lassen. (Übrigens erschien nach Abschluss des Gastspiels eine Schrift von E. van Bergen über das Gastspiel des Meininger Hoftheaters.)49 Die musikalischen Meininger haben nur selten den Weg nach Belgien gefunden und zumeist nur gelegentlich von Kammermusiken. Der letzte Auftritt, den die Meininger Kunstinstitute vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Ausland absolvierten, fand dann aber ausgerechnet in Belgien statt. Es ist die Hofkapelle gewesen, die am 8. und 10. November 1913 unter Max Reger in Brüssel Werke der deutschen Klassiker und Romantiker und wohl auch von Reger selbst dargeboten hat. Ob König Albert den Konzerten beigewohnt hat, ist nicht überliefert worden. Jedenfalls kannten sich der Monarch und einige Meininger Virtuosen von einer Kammermusik her, die Georgs Tochter Marie auf ihrer Villa Felicitas im September 1912 im Berchtesgadener Land veranstaltet hatte und bei der Klaviertrios in der Besetzung Hans Treischler, Karl Piening 47 48 49
Meininger Tageblatt vom 11. April, 4. und 7. Juni, 5. und 15. Juli 1888. ThStAM HA 135, Brief Paul Richards an Georg vom 20. Juni 1888. E. Van BERGEN, Het Hertolik Meininger Hoftheater te Antwerpen van 1. tot 19. April 1888.
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und Reger zur Aufführung gelangten.50 Weil auch die belgische Königin seinerzeit bei der Veranstaltung anwesend gewesen war, hat es Marie 1913 übernommen, an diese zu schreiben, um das belgische Königspaar zu bitten, sich für den Gastauftritt der Hofkapelle zu engagieren. Sie versprachen dann auch, in dieser Richtung tätig zu werden. Was tatsächlich passiert ist, weiß man nicht.
Königreich Dänemark Hatte sich das politische Klima für die Auslandsgastspiele der „Meininger“ schon vor 1888 spürbar verschlechtert, so trat mit dem Regierungsantritt von Kaiser Wilhelm II. ein jäher Umschwung ein. Als Georg und Chronegk 1889 über die Frage korrespondieren, wohin man denn nun wirklich reisen könne, musste der Herzog konstatieren: „Deutschland hat jetzt die Art, nur mit den einfachsten Mitteln sich unbeliebt zu machen.“51 Dieses Urteil wurde im Hinblick auf den in Angriff genommenen Auftritt in Kopenhagen gefällt, und es hatte einige Veranlassung gegeben, um diesen Stoßseufzer auszustoßen. Erschienen nach dem Krieg von 1864 die Beziehungen zu Dänemark an sich schon angespannt, so musste sich Georg nunmehr vom deutschen Gesandten in Kopenhagen, an den er sich mit der Bitte um Mithilfe gewandt hatte, anstelle von freudiger Unterstützung sagen lassen, dass es „viel Sorge im Lande wegen deutscher Ueberheblichkeit“, wegen der deutschen Politik gegenüber den kleinen Staaten überhaupt gäbe. Man möge deshalb „allergrößte Vorsicht bei der Reclame“ obwalten lassen.52 Dergleichen Aversionen der Dänen hatte Meiningens Herzog selbst vorhergesehen, denn schon am 14. April hat er Chronegk bedeutet, dass „vor allem … das National Dänische gesichert werden und darf nicht unserseits getan werden, als brächten wir ihnen etwas, was so u(nd) so viel mehr wert wäre als das Ihre.“53 Die Berichte, die Chronegk dann vom Ort des Geschehens nach Meiningen lieferte, die Kommentierung, die sie durch Georg erfuhren, und die Beschreibung, die sie in der lokalen Presse fanden, lassen erkennen, wie unsicher man in der gesamten Angelegenheit gewesen ist. Da freute sich der Herzog, dass sich König Christian IX. auf seine Bitte hin, samt seiner Familie mehrfach in die Vorstellungen des Hoftheaters begeben,54 dass die königliche Familie demonstrativ eine Loge für sämtliche Vorstellungen angemietet hatte. Weil es aber auch „Hetze“ gegen die gastierenden Künstler gab, war der Herzog rasch bei der Hand, die Königin als Urheberin derartiger Angriffe auszumachen. Sie 50 51 52 53 54
Meininger Tageblatt vom 2. September 1912. ThStAM HA 225, Brief Georgs an Chronegk vom 13. Juni 1889. Ebd., Brief Georgs an Chronegk vom 21. April 1889. Ebd., Brief Georgs an Chronegk vom 16. April 1889. Meininger Tageblatt vom 8. Mai 1889.
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sei eine „Intrigantin in der Politik“ und eine „Erzfeindin des Deutschen Reiches“, ließ er seinen Intendanten wissen.55 Offenkundig haben bekannte dänische Intellektuelle das Auftreten der „Meininger“ sehr begrüßt, weil der geistigen Öffnung des Landes dienlich. Beispielsweise hat der spätere Nobelpreisträger Karl Gjellerup nicht nur bei Chronegk um Freikarten nachgesucht, er übernahm es auch, in den dänischen Zeitungen über die „Meininger“ zu schreiben. Nachwuchsautoren des Landes strebten danach, ihre Stücke am Hoftheater in Deutschland unterzubringen. Dänische Theaterleute haben auch nach 1890 auf schriftlichem Wege in Meiningen um Unterstützung für eigene Aufführungen nachgesucht. Einige Theateragenten, so Henrich Hennings machten sich um das Gastspiel verdient, mochten aber nicht sämtliche Klippen des dänischen Steuerrechts zu Gunsten der „Meininger“ zu umschiffen. Am Ende des Gastspiels wurden nach allen Seiten hin Orden verliehen – Chronegk wurde vom dänischen König mit dem Danebrog-Orden ausgezeichnet,56 Carl Nielsen von Georg mit dem Komturkreuz. Dennoch waren die Meininger Hofschauspieler froh, als man sich mit „Was ihr wollt“ aus Kopenhagen hatte verabschieden und am 4. Juni nach Stockholm dampfen konnte. Es scheint einiges dafür zu sprechen, dass die Meininger Musiker in Dänemark auch späterhin noch gerne gesehen worden sind. Während der SteinbachPeriode (1886 bis 1903) gab man mehrere Konzerte in Kopenhagen, unter Wilhelm Berger (1903 bis 1911) ist man nicht nur in der Landeshauptstadt, sondern auch in Odense vorstellig geworden.
Königreich Schweden Beim Gastspiel in Stockholm während des Frühsommers 1889 hatte man auf Angebote zurückgegriffen, die bis ins Jahr 1883 zurückreichten.57 Georg hatte auch diesmal den Landesherrn in die Vorbereitung des Auftritts zu einem Besuch des Meininger Hoftheaters eingeladen, und es ist Oskar II. gewesen, der auf entsprechende Bitten in ausgesucht höflicher Weise reagierte: „Es wird mir gewiß sehr angenehm sein, Ew. Hoheit Hoftheaterpersonal in Stockholm auftreten zu sehen. ‚Die Meininger‘ sind mir nicht unbekannt. Ihr Ruhm ist mit Recht in allen Ländern längst verbreitet, und ich habe selbst das Glück gehabt, ihren Veranstaltungen mit größtem Interesse in England... beizuwohnen.“58 Er besuchte einige Aufführungen und hat „hingerissen von der mächtigen Wirkung 55 56 57 58
ThStAM HA 225, Brief Georgs an Chronegk vom 16. Juni 1889. Meininger Tageblatt vom 31. Mai 1889. ThStAM HA 236, Brief Chronegks an Georg vom 15. Juli 1883. ThStAM HA 358, Brief Oskars II. an Georg vom 31. Mai 1889.
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der prachtvollen Ausstattung nach dem Krönungsauftritt („Jungfrau von Orleans“ d. V.) aus seiner Loge lauten Beifall (gespendet), in den das ganze Publikum jubelnd einstimmte“.59 Chronegk wurde zu ihm befohlen und ihm das Ritterkreuz 1. Klasse des Wasaordens verliehen.60 Weil seinerzeit Norwegen noch in Personalunion mit Schweden verbunden war und Georg wie Chronegk es keineswegs darauf anlegen wollten, sich wegen ihrer republikanischen norwegischen Freunde Björnson, Ibsen und Edward Grieg mit dem schwedischen Königshaus anzulegen, hatte man das Repertoire von möglichen Anstößigkeiten frei gehalten. Dennoch zeichneten sich im Vorfeld der Einreise nach Schweden größere Komplikationen beim schwedischen Zoll ab, der Herzog sah sich verlasst, in der Angelegenheit auch den deutschen Gesandten in dem nordischen Land um Unterstützung zu bitten.61 Helene, die an sich „wenig Zutrauen in die ganze skandinavische Reise gehabt“ hatte, ist auch von dem gezeigten Repertoire nicht wirklich überzeugt gewesen. Denn wirkliche Novitäten führte man nicht mit.62 Sie ist es aber auch gewesen, die notierte, dass man in Stockholm „nicht so chauvinistisch wäre wie in Kopenhagen“. Georg ist im Nachgang der Reise nach Nordeuropa enttäuscht gewesen: es seien „an Ehren reiche, aber an Einnahmen arme Gastspiele“63 gewesen. Da in jenen Junitagen selbst der kühlere europäische Norden von einer großen Hitzewelle heimgesucht wurde, waren die Gastgeber bemüht, die Meininger Mimen durch verschiedene Tagesausflüge in die Umgebung der Landeshauptstadt zu erfreuen. Diese Zerstreuungen sind gerne angenommen worden. Es ist Chronegks Stellvertreter Paul Richard gewesen, der nach Meiningen berichtete, dass die Dampferfahrten, Ausflüge, Bäderbesuche und Landschaftsbesichtigungen das Stockholm-Gastspiel zu einem der „genussreichsten und interessantesten“ gemacht habe, das sie „je gehabt“ hätten.64
Schlussbemerkungen Allein der Umstand, dass die Meininger Kunstinstitute während der Regierungszeit von Georg II. über 1.000 Vorstellungen in außerdeutschen Staaten Europas gegeben und dabei vielleicht eine Dreiviertelmillion Besucher anzogen, hat sie zu einem Faktor im kulturellen Leben jener Zeit werden lassen. Es ist hauptsächlich das bürgerliche Bildungspublikum gewesen, das durch die Gastspiele angelockt wurde, es waren Theatermenschen und Musiker, die in 59 60 61 62 63 64
Aus der schwedischer Presse, nachgedruckt im Meininger Tageblatt vom 24. Juni 1889. Meininger Tageblatt vom 5. Juli 1889. ThStAM HA 225, Brief Georgs an Chronegk vom 12. Mai 1889. Ebd., Brief Helenes an Chronegk vom 28. Mai 1889. Ebd., Brief Georgs an Chronegk vom 23. Juli 1889. ThStAM HA 134, Brief Paul Richards an Helene vom 29. Juni 1889.
GEORG II. VON SACHSEN-MEININGEN UND DIE „EUROPÄISIERUNG“
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ihrer beruflichen Tätigkeit von Meiningen aus inspiriert wurden. Die Engländer Henry Irving und Ellen Terry sowie Frank Benson, der Russe K. S. Stanislawski und der Franzose André Antoine, Vater und Sohn Björnson in Norwegen, auch G. Hauptmann, O. Brahm und M. Reinhardt, bekannten, auf ihre Weise von den „Meiningern“ gelernt zu haben. Und selbst ein A. Toscanini hat geäußert, dass er durch die von F. Steinbach geleitete Meininger Hofkapelle erfahren habe, wie man eine Sinfonie von J. Brahms auffassen sollte. Weil Georg II. und Helene von Künstlern in vielen Ländern Europas gewissermaßen als ihre „Kollegen“ angesehen worden sind, kam es vor Ort zu fruchtbaren Werkstattgesprächen. Das internationale Ansehen von Hoftheater und -kapelle aus Meiningen wäre also auch ohne den freundlichen Zuspruch und die hilfreiche Unterstützung der europäischen Königshäuser erreicht worden. Indem Georg II. seine Verbindungen zur deutschen Kaiserfamilie, seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu einigen Monarchien in Anspruch genommen, monarchische Denk- und Verhaltensweisen ausgenutzt hat, um die Gastspielreisen zu erleichtern und in gewisser Hinsicht auch effektiver zu gestalten, hat er dazu beigetragen, die Auftritte der Meininger Künstler zu befördern und ihren Aufenthalt in den Gastländern auch attraktiver zu gestalten. Damit die Vorstellungen zu jenem gesellschaftlichen Ereignis in den jeweiligen Metropolen werden konnten, scheint das Engagement der gekrönten Staatshäupter für die ‚Meininger‘ seinerzeit unabdingbar gewesen zu sein. Denn eigentlich ging mit ihnen eine Art Demokratisierung von Kunsterlebnissen der Spitzenklasse einher – die Theater- und Konzertliebhaber mussten nicht zu Festspielorten pilgern, sondern die hohe Kunst kam gewissermaßen zu ihnen nach Hause. Man sparte Zeit und Geld, konnte sich oftmals derartige Vergnügen nur in dieser Form leisten. Mochten also der Hochadel, elitäre Kreise ein MeiningenGastspiel als gesellschaftliches Event ansehen, wo man mit Seinesgleichen (und halt auch mit Künstlern) umging, sich als Kenner der Schauspielkunst (und das ist man in der Regel auch tatsächlich gewesen) über die Neuerungen der ‚Meininger‘ auslassen konnte, stand doch für die Leiter der Künstlertruppen aus Meiningen und nicht wenige Mitglieder der Ensembles der Dienst an ihrer Kunst im Vordergrund ihres Wirkens. Sie seien „gehoben und geadelt durch Lust und Liebe, Feinfühligkeit, Verständnis und Schule“ hat Th. Fontane einmal über sie geurteilt.65 Man kann also von einer Art „Europäisierung“ vor allem der Theaterpraxis sprechen, die damals mit Hilfe gekrönter Häupter von Staaten versucht und
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Eva HOFFMANN-ALEITH, Weil man in Meiningen „über das Verfügung hat, was auch schwache Kräfte hebt und adelt: Lust und Liebe …“, in: Freies Wort vom 7. Oktober 1993.
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partiell auch erreicht worden ist. Sie hat die Ernestiner auf diese ungewöhnliche Weise auf dem Kontinent ins Gespräch gebracht. Allerdings haben weder die verwandtschaftlichen Beziehungen der Fürsten Europas noch jene gemeinsamen kulturellen Werte, die Meiningens Mimen und Musiker zu verkünden durch die Lande reisten, verhindern können, dass man sukzessive an jenen militärischen Paktsystemen schmiedete, deren innere Mechanismen den Ersten Weltkrieg erst möglich gemacht haben. Die Liebe, die die Könige den Künsten entgegengebracht haben, und die Förderung, die sie den „Meiningern“ angedeihen ließen, haben sie keineswegs befähigt, den Frieden zwischen den Völkern zu erhalten.
WOLFGANG STEGUWEIT MÜNZ- UND MEDAILLENBILDNISSE DER ERNESTINER
Ein numismatisches „who is who“. Münz- und Medaillenbildnisse der Ernestiner vom 16. bis 18. Jahrhundert
Das Motto der thüringischen Landesausstellung von 2016 „Die Ernestiner. Eine Dynastie prägt Europa“ ist aus Sicht der Numismatik differenziert zu bewerten. Zum einen liefern Münzen und Medaillen wie kaum ein anderes Medium ein konzentriertes „who is who“ der Ernestiner.1 Münzstempelschneider und Medailleure, wie die namhaften Gothaer Spezialkünstler des Barock, Christian Wermuth (1661–1739) und Johann Christian Koch (1680–1742), setzten zeitweilig künstlerische Maßstäbe weit über Thüringen hinaus.2 Andererseits sind die Ernestiner als Teil der Dynastie der Wettiner – deren Name sich seit der Belehnung mit dem Herzogtum Sachsen-Wittenberg und dem Erlangen der Kurwürde im Jahre 1423 auf das Gesamthaus „Sachsen“ übertrug – wie kaum ein anderes Territorium des Sacrum Imperium Romanum mit den zahlreichen Duodezfürstentümern von dynastischer Diskontinuität gekennzeichnet. Es stellt sich zumindest vor dem münzgeschichtlichen Hintergrund sogar die Frage, ob nach dem Verlust der Kurwürde 1547 und den verschiedenen nachfolgenden Teilungen bis zum Ende des 17. Jahrhunderts und erneut im 19. Jahrhundert die Ernestiner überhaupt so etwas wie eine „eigene“ Dynastie bildeten.3 Die zahllosen numismatischen Hinterlassenschaften an Münzen und Medaillen als Ausdruck mitunter nur vermeintlicher staatlicher Souveränität wären dafür nicht unbedingt ein Beleg: 70 ernestinische Regenten und Mitregenten ließen sich 1
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Noch heute für das 16. und 17. Jahrhundert als Gesamtübersicht der ernestinischen Münzen und Medaillen unentbehrlich: Wilhelm Ernst TENTZEL, Saxonia Numismatica oder Medaillen=Cabinet von Gedächtniß-Müntzen und Schaupfennigen / welche die Chur- und Fürsten zu Sachsen Ernestinischer Hauptlinie prägen und verfertigen lassen / aus vielen Cabineten mit Fleiß zusammen gelesen / in schöne Kupffer gebracht / und aus der Historie und Stamm-Registern erläutert, 4 Teile, Frankfurt Leipzig und Gotha 1705–1712. Vgl. aus jüngerer Zeit den Gesamtkatalog aller sächsischen Talergepräge (ohne Medaillen): Gernot SCHNEE, Sächsische Taler 1500–1800, Frankfurt a. M. 1982. Cordula WOHLFAHRT, Christian Wermuth ein deutscher Medailleur der Barockzeit – a German medallist of the Baroque age, London 1992; Elke BANNICKE, Johann Christian Koch, Medailleur des Barock, Berlin 2005. Vgl. Georg SCHMIDT, Kulturbedeutung, Musenhof und Land der Residenzen, in: Matthias WERNER (Hg.), Im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. 150 Jahre Landesgeschichtsschreibung in Thüringen, Köln/Weimar/Wien 2005, S. 343–376, hier S. 368.
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zwischen 1500 und 1915 auf Münzen und Medaillen im Bildnis verewigen, es entstand so eine stattliche „Galerie“, in die aus Gründen des Umfangs des Beitrags Blicke nur pars pro toto gewährt werden können. Zum Vergleich: Die albertinische Kurlinie Sachsen brachte es numerisch auf ein Drittel der Herrscherporträts. Abgesehen von zeitweiligen Sekundogenituren Merseburg, Weißenfels und Zeitz nach dem Tode Kurfürst Johann Georgs I. im Jahre 1656, folgte die Hauptlinie durch die Jahrhunderte hindurch stets dem Prinzip der Primogenitur, konnte innen- wie außenpolitische Strategien konsequenter und nachhaltiger verfolgen. Im Jahre 1697 gelangte das albertinische Kursachsen mit der polnischen Königskrone zu europäischem Rang. Kurfürst Friedrich August I. der Starke wurde als August II. in Personalunion Staatsoberhaupt von Polen und Litauen, vier Jahre vor dem brandenburgischen Kurfürsten Friedrichs III. als König Friedrich I. in Preußen. Die Auswahl ernestinischer Landesherren des 16. bis 18. Jahrhundert im Münzbild deutet an, welches Potential für kulturgeschichtliche und territorialstaatsrechtliche Betrachtungen dieses hoheitsvolle Medium bis zum Ende der Monarchie über spezielle münz- und geldgeschichtliche Fragestellungen hinaus bieten und sich für künftige landesgeschichtliche Studien empfehlen kann. Reiches Material dazu beinhalten das bereits im 17. Jahrhundert universal angelegte Münzkabinett in Gotha (Stiftung Schloss Friedenstein), und das gerade für sächsisch-ernestinische Münzen und Medaillen qualitätsvolle Weimarer Kabinett (Kunstsammlungen – Klassikstiftung Weimar).4 Aus der kaum bekannten Weimarer numismatischen Schatzkammer sind die Beispiele gewählt; einzelne Nachweise stammen zusätzlich aus dem Gothaer Kabinett. Erstmals überhaupt erscheint ein Bildnis auf sächsischen Münzen sieben Jahre nach der Wettinischen Landesteilung im Jahre 1492.5 Es sind so genannte Bartgroschen der Münzstätten Zwickau und Schneeberg, von denen 21 Stück einem rheinischen (Gold-)Gulden entsprachen. Sie wurden gemeinschaftlich von Kurfürst Friedrich III. dem Weisen (*1463, reg. 1486–1515), seinem Bruder Johann dem Beständigen und dem albertinischen Herzog Georg, dem Stellver-
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Vgl. für Gotha zuletzt: Martin EBERLE/Uta WALLENSTEIN, Gothas Gold, 300 Jahre Münzkabinett, Stiftung Schloss Friedenstein Gotha 2013; ergänzend und korrigierend: Wolfgang STEGUWEIT, Zwei Weimarer Münzinventare von 1618 und 1622 für Herzog Ernst I., den späteren Gründer von Sachsen-Gotha (1640), in: Numismatisches Nachrichtenblatt 5 (2013), S. 173–177. Für das Weimarer Kabinett, dessen Beginn auf die Zeit um 1700 und Empfehlungen des sächsischen Historiographen und Numismatiker Wilhelm Ernst Tentzel zurückzuführen ist, sind ausführliche Studien noch ein Desiderat, vgl. Wilfried MATZDORF, Das Münzkabinett der Kunstsammlungen zu Weimar, in: Moneytrend 5 (1996), S. 54 f. Vgl. Gerhard KRUG, Die meißnisch-sächsischen Groschen 1338–1500, Berlin 1974, Kat.Nr. 1841–1886.
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treter Herzog Albrechts, ausgegeben, zeigen jedoch lediglich das Brustbild des Kurfürsten im Ornat mit geschultertem Kurschwert (Taf.1, Nr. 1). Geldgeschichtlich ist das Jahr 1500 für das gemeinschaftliche Sachsen von herausragender Bedeutung. In jenem Jahre gingen Kurfürst und Herzog zur Prägung von großen silbernen Nominalen nach dem Vorbild Erzherzog Sigismunds des Münzreichen von Tirol (1486) über. Diese ca. 40–45 mm großen „Guldengroschen“ als Äquivalent zum rheinischen Goldgulden eigneten sich besonders als Folie für das Herrscherbildnis im Münzrund. Der erste, bis in die 1520er Jahre geprägte Typ sächsischer Guldengroschen – wegen der Kopfbedeckung „Klappmützentaler“ genannt – wurde noch zu Lebzeiten Herzog Albrechts († 12. September 1500) von Mai bis September 1500 in kleiner Auflage geschlagen (Taf. 1, Nr. 2). Nachdem 1519/20 die Grafen Schlick im böhmischen Berg- und Münzort Joachimsthal (heute Jachymov) ebenfalls zur Großsilberprägung übergegangen waren, setzte sich seit Mitte des 16. Jahrhunderts die sprachliche Verkürzung „Taler“ für gleichartige Großsilbermünzen durch. Mit der dritten Augsburger Reichsmünzordnung von 1566 wurde der „Reichstaler“ auf ein Bruttogewicht von 29,23 Gramm bei einem Feinsilberanteil von 889/1000 festgelegt. Er galt seit 1570 im obersächsischen, nach Talern und Groschen rechnenden Raum 24 Groschen zu 12 Pfennigen und bildete fortan die erfolgreichste und langlebigste Münze der Neuzeit. Sein Name lebt noch heute im US-amerikanischen Dollar etymologisch fort. Überregionale politische und kulturelle Bedeutung errangen die Ernestiner unter Kurfürst Friedrich III. dem Weisen über die münzgeschichtliche Innovation hinaus. Im Jahre 1507 war ihm der Titel eines Generalstatthalters des Reichs („locum tenens generalis“) verliehen worden. Dieses gegenüber den anderen Kurfürsten herausgehobene Statussymbol beförderte ihn im Falle der Abwesenheit des Kaisers vom Reich zu seinem Stellvertreter. Nach einem Modell von Lucas Cranach d. Ä. fertigte der Nürnberger Hans Krafft d. Ä. hochreliefierte Gussmedaillen und überprägte sie anschließend. Der Kurfürst propagierte mit dieser neuartigen Technikkombination seine vom Kaiser übertragene Bedeutungsanhebung, die ihn zu einem wichtigen Partner auf der politischen Bühne im Reich erhob (Taf. 1, Nr. 3). Zehn Jahre später wurde er zum Förderer der Reformation. VERBVM DOMINI MANET IN AETERNVM und CRVX CHRISTI NOSTRA SALVS (CCNS) sind Wahlsprüche auf einer auch künstlerisch bedeutsamen Medaille des Jahres 1522. (Taf. 1, Nr. 4) Das Münzprogramm wurde bis zum Kurwürdewechsel 1547 auch von den Nachfolgern Friedrichs III. – Johann dem Beständigen (* 1468, reg. 1525–1532) und Johann Friedrich dem Großmütigen (* 1503, reg. 1532–1547 als Kurfürst) – zumeist gemeinschaftlich mit den albertinischen Herzögen realisiert
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(Taf. 2, Nr. 5–6). Seiner Macht bewusst, präsentierte sich der letzte Kurfürst der Ernestiner auf ebenso repräsentativen wie kunstvollen Medaillen (Taf. 2, Nr. 7). Mit dem Verlust der Kur im Jahre 1547 erlosch jedoch für die Ernestiner die Chance, über innere Stabilität und Konsolidierung hinausgehende politische Visionen zu verfolgen. Landesteilungen markieren paradigmatisch mit wenigen Ausnahmen den künftigen, lange währenden politischen Bedeutungsverlust der Ernestiner. Jedes neu gebildete kleine Fürstentum suggerierte durch die mantrahaft beanspruchte Titulatur des Herrschers als DUX SAXONIAE, JULIACI, CLIVIAE et MONTIUM (Herzog von Sachsen, Jülich, Cleve und Berg) die hohe dynastische Abkunft, ohne je in den Besitz der rheinischen Besitztümer gelangt zu sein, was allerdings auch auf die Albertiner zutraf. Vorzugsweise auf Großsilbermünzen in Talergröße und auf prachtvollen Medaillen ließen sich die Landesherren abbilden. So wuchs auf diese Weise das eindrucksvolle numismatische Bildniskompendium der Ernestiner. Der „Dreinschlag“ in der Mitte des 16. Jahrhunderts sorgte für die folgenschwere dynastische Diskontinuität der Ernestiner: die Niederlage des Schmalkaldischen Bundes in der Schlacht bei Mühlberg (1547) unter Führung Kurfürst Johann Friedrichs I. und Landgraf Philipps von Hessen gegen die Reichsarmee (Nr. 8), der Verlust der Kurwürde sowie 20 Jahre später die lebenslängliche Gefangennahme des Seniors der Ernestiner, Johann Friedrichs II. Johann Friedrich I. der Großmütige als Herzog (1547–1554) ließ nach Rückkehr aus der Gefangenschaft im Jahre 1552 noch Taler als „geborener Kurfürst“ prägen mit der vernarbten Wunde auf der Wange, die er in der Schlacht bei Mühlberg erlitten hatte (Taf. 3, Nr. 9). Haben bis zum Verlust der Kur alle Wettiner zum Teil gemeinschaftlich – nur zwischen 1530 und 1533 getrennt – in den erzgebirgischen Berg- und Münzstätten Annaberg, Buchholz (ernestinische Münzstätte), Schneeberg und Freiberg das Silber vermünzt, war den Ernestinern seitdem der Zugang verwehrt. Nicht zuletzt aus münzpolitischen und strategischen Gründen schloss Kurfürst August in den 1550er Jahren die erzgebirgischen Münzstätten und verlegte sie in seine Residenz nach Dresden. Den Ernestinern stand nun wie allen anderen, zwar münzberechtigten, aber nicht über eigene Bergwerke verfügenden Ständen im Reich lediglich eine Kreismünzstätte des jeweiligen Reichskreises zur Verfügung. Das war im Obersächsischen Reichskreis Saalfeld.6 Die drei anderen Kreismünzstätten waren Berlin, Leipzig und Stettin. Zumindest in den ersten Jahrzehnten haben sich die Ernestiner an Saalfeld gehalten, der „geborene“ Kurfürst Johann Friedrich der Großmütige ertüchtigte nach Rückkehr aus 6
Zuletzt Dirk HENNING, Münzwesen und Münzprägung – Die Münzstätte Saalfeld 1551– 1846, in: Konrad SCHEURMANN/Jördis FRANK (Hg.), Neu entdeckt. Thüringen – Land der Residenzen, Sondershausen 2004, Bd. 1: Katalog, S. 357–362 (mit weiteren Literaturangaben).
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der Gefangenschaft 1551 die bereits im 12. Jahrhundert tätige Saalfelder Münze unter Münzmeister Gregor Einkorn. Johann Friedrich II. der Mittlere (* 1529, reg. 1554–1567, gest. 1595) verfolgte das utopische Ziel, verloren gegangene Macht und Stärke, ja sogar die Kurwürde zurückzugewinnen. Allein, aber auch gemeinsam mit seinem Bruder Johann Wilhelm (* 1530, Alleinregierung 1566–1572) prägte er Taler, die Macht und Stärke propagieren (Taf. 3, Nr. 10). Johann Friedrichs abenteuerliche Vision besiegelte sein Schicksal in kaiserlicher Gefangenschaft, die bis an sein Lebensende in Wiener Neustadt noch 28 Jahre währte (Taf. 3, Nr. 11). Für die Ernestiner folgten territorialstaatliche Zersplitterungen und somit machtpolitische Schwächung.7 Die Albertiner, zunächst Kurfürst Moritz (als Kurfürst 1547–1553), danach Kurfürst August (reg. 1553–1586) waren die „Sieger der Geschichte“. Kurfürst August prägte 1567 einen Gotha-capta-Gedenktaler mit der ziemlich anmaßenden Umschrift: Tandem bona causa triumphat (endlich triumphiert die gerechte (Ur)sache). Die Episode endete mit der Zerstörung der Residenz Gotha und der Inhaftierung des Herzogs. Aus zwei Talern hat ein Augsburger Künstler Wolf Kilian 55 Jahre später im Gedenken an die erlittene Niederlage und persönliche Schmach des Herzogs einen unikaten Schraubtaler gefertigt. Die gravierten Innenseiten zeigen Kurfürst August und die Einnahme Gothas (Taf. 3, Nr. 12). August hatte sich zudem bis zum Jahre 1586 die Vormundschaft über die unmündigen Söhne des inhaftierten Herzogs, Johann Casimir (*1564, reg. 1572– 1633) und Johann Ernst (* 1566, reg. 1572–1638) gesichert, ehe diese mit Erlangen der Majorennität die verbliebenen ernestinisch-gothaischen Lande in Besitz nehmen konnten. Den Herrschaftsanspruch über die Ernestiner durch vormundschaftliche Regentschaft setzten auch die kurfürstlichen Nachfolger von Fall zu Fall durch. Überwachung und Einflussnahme waren Strategie und herrschaftspolitisches Konzept des albertinischen Kurfürsten. Als kreisausschreibender Fürst des obersächsischen Reichskreises hatte er ohnehin auch die Politik der Ernestiner im Blick zu behalten. Ein Taler von 1578 mit den jugendlichen Bildnissen ist noch unter der Vormundschaft Kurfürst Augusts entstanden (Taf. 4, Nr. 13). 1596 teilten sich beide in eine Coburger und eine Eisenacher Linie.8 Mitten im Dreißigjährigen 7
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Für die Münzprägungen der Ernestiner im ersten viertel Jahrhundert nach dem Verlust der Kur: Lothar KOPPE, Die sächsisch-ernestinischen Münzen 1551 bis 1573, Regenstauf 2004 (Rezension mit Ergänzungen und Korrekturen W. STEGUWEIT, in: Zeitschrift für Thüringische Geschichte 69 [2015], S. 387–391). Zu Coburg/Eisenach vgl. Walter GRASSER, Münz- und Geldgeschichte von Coburg 1265– 1923, Frankfurt a. M. 1970; Hans-Dietrich KAHL/Otto KOZINOWSKI, Coburger Dokumente zur Münz- und Geldgeschichte des ernestinischen Thüringen, in: Jahrbuch der
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Krieg prägten die Brüder breite, zumeist im Gewicht mehrfache Schautaler mit dem reitenden Herzog. Johann Ernst bevorzugte die Devise WEISHEIT GEHT VOR STERCK; Johann Casimir ELEND NICHT SCHAD WER TVGENT HAT (Taf. 4, Nr. 14). Die Söhne des 1573 verstorbenen Herzog Johann Wilhelm teilten die ernestinisch-weimarischen Lande ebenfalls, und zwar in eine Altenburger und eine Weimarer Linie. Es waren Friedrich Wilhelm I. (* 1562, reg. 1573–1602) für Altenburg und Johann (* 1570, reg. 1573–1605) für Weimar. Auch über diese beiden Prinzen hatte sich Kurfürst August bis 1586 die Vormundschaft vorbehalten (Taf. 4, Nr. 15). Durch den Tod Friedrich Wilhelms I. im Jahre 1602 und durch das spätere Erlöschen der Linien Coburg (1633), Eisenach (1638) sowie Altenburg (1672) gehen alle ernestinischen Linien im Prinzip auf den Weimarer Herzog Johann (Taf. 4, Nr. 16). Seine Successoren waren mit dem ältesten Sohn Johann Ernst (1594–1626) sieben weitere Brüder, die sich zu viert auf jeder Münzseite als künftige Landesherren zur Schau stellten (Taf. 4, Nr. 17). Es sind Johann Ernst, Friedrich, Wilhelm und Albrecht, sowie auf der Gegenseite Johann Friedrich, Ernst, Friedrich Wilhelm und Bernhard. Auch sie standen bis 1615 unter Vormundschaft nacheinander der Kurfürsten Chris-tian II. (bis 1611) und Johann Georg I. (bis 1615). Johann Ernst verließ 1626 die Bühne des Lebens. (Taf. 5, Nr. 18) Zuvor war bereits 1622 Friedrich (1597–1622) auf dem Schlachtfeld am Weißen Berg bei Prag gefallen (Taf. 5, Nr. 19), nach ihm der Benjamin der Brüder, der Feldherr Bernhard (1604–1639) in Neuenburg am Rhein (Taf. 5, Nr. 20). 1639 waren von den acht Brüdern also noch drei am Leben. Sie gaben vor der Teilung 1640 den einzigen, sehr seltenen Gemeinschaftstaler im Jahre 1639 aus (Taf. 5, Nr. 21). Im Jahr darauf teilten sie die verbliebenen Weimarer Lande untereinander in drei Landesportionen auf und bezogen dort ihre Residenzen: Wilhelm in Weimar, Albrecht in Coburg und Ernst in Gotha.9 Bevor den Verästelungen des Hauses Weimar nachgegangen wird, ist zuvor ein Blick auf Sachsen-Altenburg zu werfen. Dort teilten sich 1603 zunächst vier Prinzen unter der kursächsischen Vormundschaft in die Regierung und prägten bis 1625 gemeinschaftlich, ehe 1625 und 1632 die beiden ersten mit Tod abgin-
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Coburger Landesstiftung 29 (1984), S. 1–174 (Sonderdruck); zuletzt Otto KOZINOWSKI/Jürgen OTTO/Hubert RUß, Die Münzen des Fürsten- und Herzogtums Coburg von 1577 bis 1918, 2 Bde., München 2005. Zum Münzwesen von Sachsen-Weimar: Friedrich SCHÄFER, Weimarer Münzrecht und Münzverwaltung bis zum Ausgang des 17. Jahrhunderts im Spiegel der Reichsmünzordnungen, Phil. Diss. Jena 1923; zuletzt als Prägekatalog Lothar KOPPE, Die Münzen des Hauses Sachsen-Weimar 1573 bis 1918, Regenstauf 2007 mit zahlreichen Literaturangaben auch zum allgemeinen Münzwesen der Ernestiner in der Neuzeit (Rezension mit Ergänzungen und Korrekturen W. STEGUWEIT, in: Zeitschrift für Thüringische Geschichte 69 [2015], S. 391–395).
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gen (Taf. 5, Nr. 22). Es waren Johann Philipp († 1639), Friedrich († 1625), sowie Johann Wilhelm († 1632) und Friedrich Wilhelm II. (Alleinregierung 1639– 1669). 1672 erlosch diese Linie mit dem Tod des erst 15-jährigen, noch unter kursächsischer Vormundschaft stehenden Friedrich Wilhelm III. (* 1657) (Taf. 6, Nr. 23). Zurück nach Weimar. Hier regierte nun nach dem Tode der älteren Brüder Johann Ernst und Friedrich der drittälteste Wilhelm (* 1598, reg. 1626–1662) Sachsen-Weimar. Nach dem Schlossbrand von 1618 ließ er 40 Jahre später einen eindrucksvollen Taler auf die Vollendung der „Wilhelmsburg“ schlagen (Taf. 6, Nr. 24). Nach seinem Tode erwuchsen zwar unter den drei Brüdern seines Sohnes und Nachfolgers Johann Ernst II. (* 1627, reg. 1662–1683) zeitweilig drei Linien: Sachsen-Eisenach unter Adolph Wilhelm (* 1632, reg. 1662– 1668). Diese Linie erlosch jedoch bereits 1671 und fiel im Jahr darauf an das kleine Marksuhl, deren erster Regent Johann Georg I. (* 1634, reg. 1671–1686) war. Diese Linie wiederum erlosch mit dem letzten Herzog Wilhelm Heinrich (*1691, reg. 1729–1741) im Jahre 1741 und fiel zugleich als letzte der drei Linien an die Hauptlinie Weimar zurück, die seitdem den Namen Sachsen-WeimarEisenach führte. Kurzzeitig hatte von 1672 bis 1690 mit den Herzögen Bernhard (* 1638, reg. 1672–1678) und Johann Wilhelm (* 1675, reg. 1678–1690) auch noch ein dritter kurzer Spross in Jena residiert. Sachsen-Weimar hatte im 18. Jahrhundert mit Herzogin Anna Amalia (* 1739, Regentschaft 1759–1775) eine namhafte weibliche Regierungschefin bis zur Volljährigkeit ihres Sohnes hervorgebracht. Die abbrevierte Umschrift der Rückseite weist auf die Vormundschaft hin: Fürstlich Sachsen-Weimarer Und Eisenacher Obervormundschafts Münze (Nr. 25). Bis zum Jahre 1755 hatte ihr Gemahl Ernst August Constantin (* 1737, reg. 1748–1758) selbst unter Vormundschaft gestanden, unter Gothaer (Friedrich III.) und Coburg-Saalfelder (Franz Josias). Im Jahr nach der Geburt seines Sohnes und Thronfolgers Carl August verstarb er mit 21 Jahren. Carl August (* 1757, reg. 1758–1828) führte das Weimarer Herzogshaus – mit dem Wiener Kongress 1815 zum Großherzogtum Sachsen befördert – in das 19. Jahrhundert (Nr. 26). Es überrascht nicht, dass in dem 1640/41 errichteten Herzogtum SachsenGotha Ernst der Fromme (* 1601, reg. 1640–1675) am Ende des Lebens seinen sieben Söhnen in dem 1672 erweiterten Territorialstaat Sachsen-GothaAltenburg eine Landesteilung unter dem Direktorat des ältesten Sohnes Friedrich I. (* 1646, reg. 1675–1691) einräumte.10 Er hatte schließlich gemeinsame Regentschaft in Weimar mit sieben Brüdern erfahren und wohl gehofft, für 10
Zum Münzwesen von Sachsen-Gotha(-Altenburg) mit Katalog der Prägungen: Wolfgang STEGUWEIT, Geschichte der Münzstätte Gotha vom 12. bis zum 19. Jahrhundert, Weimar 1987.
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möglichst viele seiner Söhne die volle staatsrechtliche Souveränität zu erlangen, was sich allerdings als Trugschluss erweisen sollte. Lediglich für die Hauptlinie Gotha-Altenburg unter Friedrich I., sowie für die Herzöge Albrecht (* 1648, reg. 1680–1699) der kurzzeitigen Coburger Linie und Bernhard I. (* 1649, reg. 1680–1706) für Sachsen-Meiningen gelang dies. Die vier jüngeren: Heinrich (* 1650, reg. 1680–1710) für Römhild, Christian (* 1653, reg. 1680–1707) für Eisenberg, Ernst (* 1655, reg. 1680–1715) für Hildburghausen und Johann Ernst (* 1658, 1680–1729) für Saalfeld verblieben im so genannten Nexus Gothanus. Der Gothaer Künstler Christian Wermuth schuf bereits 1698 (mit Datumsergänzungen im Stempel bis 1729) eine repräsentative zweiseitige Medaille der Familie Ernsts des Frommen und der seines Sohnes Friedrichs I. (Taf. 7, Nr. 27). Die Vs. zeigt Ernst den Frommen mit Gemahlin Elisabeth Sophie, umgeben von ihren achtzehn Kindern. Eingebunden sind auch die sieben Prinzen, die fünf Jahre nach dem Tode des Vaters 1680 die Lande teilten und in ihren Residenzen Kunst, Kultur und Wirtschaft förderten. Die Rückseite zeigt Friedrich I. mit seinen beiden Gemahlinnen und acht Kindern, darunter der Nachfolger Friedrich II. Ein Gothaer „Siebenbrüdertaler“ von 1690, ebenfalls von Wermuth zu Beginn seiner Tätigkeit als Stempelschneider der Münzstätte Gotha geschaffen, kann hier mit einem unikaten Goldabschlag vorgestellt werden (Taf. 7, Nr. 28). Einige Zweige der Gothaer Linie starben bald wieder aus: Coburg 1699, Eisenberg 1707 und Römhild 1710. Von den damit verbundenen Aufteilungen profitierte Gotha naturgemäß am meisten. Bis zum Jahre 1825 versuchten die verbliebenen Herzogslinien Gotha-Altenburg, Meiningen, Hildburghausen und Saalfeld ihren Residenzen wirtschaftliche und kulturelle Prosperität zu ermöglichen. Friedrich II. (* 1676, reg. 1691–1732) war der bedeutendste Herrscher des „barocken Universums Gotha“, wie die Gegenwart die einstige Residenz überschwänglich preist (Nr. 29). Zum alljährlichen Gothaer Barockfest wird dessen Sohn und Nachfolger Friedrich III. (* 1699, reg. 1732–1772) gehuldigt (Taf. 7, Nr. 30). Letzter namhafter, Kunst und Kultur befördernder Herrscher auf dem Gothaer „Thron“ war Ernst II. (* 1745, reg. 1772–1804) (Taf. 7, Nr. 31). Mit dem Jahre 1776 endete jegliche Prägetätigkeit der „Alten Münze“ Gotha. Ein halbes Jahrhundert später erlosch Sachsen-Gotha-Altenburg nach den beiden letzten Regenten August (reg. 1802–1822) und Friedrich IV. (1822–1825). Darauf folgte 1826 eine tiefgreifende Länderumverteilung in diesem Teil des ernestinischen Sachsen, auch wenn im Unterschied zu 1547 nicht kriegerische Ursachen zu Grunde lagen.11 Sachsen-Gotha wurde mit Coburg in 11
Zu den komplizierten Verhandlungen 1825/26 nach dem Tode Herzog Friedrichs IV. siehe zuletzt die Quellenedition aus dem Staatsarchiv Gotha: Rosemarie BARTHEL (Bearb.),
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Personalunion verbunden und hieß fortan bis zum Ende der Monarchie Sachsen-Coburg und Gotha. Das um Coburg verminderte Sachsen-Saalfeld fiel an Sachsen-Meiningen, Sachsen-Hildburghausen wurde als Staat aufgegeben und Meiningen eingegliedert, der Hildburghäuser Landesherr erhielt Altenburg als neu begründetes Herzogtum. Diese letzte Phase der Ernestiner spart der Beitrag aus. Die dynastischen Verbindungen im „langen 19. Jahrhundert“ mit ihren numismatischen Reflexionen wären ein eigenes Kapitel.
Münz- und geldgeschichtliches Kaleidoskop der Ernestiner Die verwirrenden Landesteilungen der Ernestiner – zuletzt 1825/26 – haben die Münz- und Geldgeschichte angereichert, aber auch kompliziert und für nicht Eingeweihte einigermaßen unübersichtlich gestaltet. Die Kurfürsten von Sachsen, die Grafen und Fürsten von Schwarzburg und Reuß, die mainzische Exklave Erfurt sowie die Reichsstädte Mühlhausen und Nordhausen sowie bis 1583 auch noch die Grafen von Henneberg waren an dem münzlichen Patchworkteppich der Landschaft Thüringen beteiligt.12 Beschwerden des Kurfürsten von Sachsen, als Direktor des Obersächsischen Reichskreises auch zuständig für Münzrechtsbelange, bezogen sich auf die im Verlaufe des 17. Jahrhunderts eigenmächtige Einrichtung von Münzstätten in den jeweiligen Residenzen, die die Regenten mit einer besseren Aufsicht gegenüber der vom Kreis zugewiesenen Kreismünzstätte Saalfeld begründeten. Gotha ging da entschlossen voran, als mit dem Erlöschen der Altenburger Linie die Berg- und Münzstadt Saalfeld an das erweiterte Sachsen-Gotha-Altenburg fiel.13 Zuvor hatte die Inflation zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges eine nie geahnte Aufblähung der Münzproduktion auch in Thüringen nach sich gezogen. In dem kurzen Zeitraum von 1621 bis 1623 überschwemmten in Sachsen-Weimar neun, in Sachsen-CoburgEisenach sieben und in Sachsen-Altenburg 17 Münzschmieden den Geldmarkt mit geringwertigen Münzsorten. Auch die Kurfürsten von Sachsen, die Grafen von Schwarzburg und die Herren von Reuß hatten nicht geringen Anteil an der sogenannten Kipper- und Wipperzeit.
12
13
Prinzessin Luise von Sachsen-Gotha-Altenburg. Stamm-Mutter des englischen Königshauses, Gotha 2009. Mit dem Versuch eines Gesamtüberblicks zu Thüringen siehe Hans-Dietrich KAHL, Münzund Geldgeschichte in der Neuzeit, in: Hans PATZE/Walter SCHLESINGER (Hg.) Geschichte Thüringens, Bd. 6: Kunstgeschichte und Numismatik in der Neuzeit, Köln/Wien 1979, S. 161–196; DERS., Reichsverfassung und Wirtschaft im Spiegel der Münz- und Geldgeschichte Thüringens, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 23 (1974), S. 35–98. Wolfgang STEGUWEIT, Der Einfluss Gothas auf die Kreismünzstätte Saalfeld in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: V. Bezirksmünzausstellung Gera im Thüringer Heimatmuseum Saalfeld, Gera 1981, S. 55–65.
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Die Münzemissionen selbst blieben nach der großen Inflation auch später disparat. Um der permanenten Geldverschlechterung auszuweichen, wurden guthaltige Münzsorten zum Teil in kleinster Auflage geprägt, was wiederum das unkontrollierte Einströmen geringhaltigen Geldes von außen zur Folge hatte. Oder man partizipierte auch später noch an nicht gestattetem Unterschleif, was sogar Kaiser Leopold I. auf den Plan rief und die Zerstörung von Münzstätten androhte. Gotha und Weimar taten sich im späten 17. Jahrhundert, der sogenannten „Kleinen Kipperzeit“, durch raffiniert getarnte Manipulationen hervor. Friedrich I. in Gotha und Wilhelm Ernst in Weimar prägten geringhaltige Münzen für den Geldverkehr durch bildgleiche, aber rückdatierte Jahreszahlen, die einen höherwertigen Silbergehalt suggerierten.14 Teuerungen und Hungersnöte waren immer wieder die Folge, im 18. Jahrhundert besonders gravierend nach dem Siebenjährigen Krieg 1771/72. Gothaer Finanzexperten verwiesen auf den Teufelskreis zwischen weiterer ungezügelter Geldmengenerhöhung und zwangsläufigen Preissteigerungen. Sie analysierten das Verhältnis der vorhandenen Geldmenge im Umlauf bei relativ konstanter Umlaufgeschwindigkeit und verwiesen auf die Auswirkungen auf das Preisvolumen bei relativ konstanter Warenmenge. Im Ergebnis empfahlen sie das Einstellen des Prägebetriebs, was 1776 auch geschah.15 Nach und nach schlossen zudem alle thüringischen Münzstätten auch aus Rentabilitätsgründen und vergaben ihre Prägeaufträge an Dresden oder Berlin. Gotha schloss 1776, Hildburghausen 1829, Eisenach 1830, zuletzt Saalfeld 1846.
Die künstlerische Dimension von Münzen und Medaillen der Ernestiner Die gezielte Förderung einheimischer Künstler seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hat besonders in Gotha eine beeindruckende künstlerische Qualität hervorgebracht, wenn auch die geschaffenen Kunstwerke zunächst Ausdruck eines „introvertierten“ bodenständigen Barocks nach dem Niedergang im Dreißigjährigen Krieg waren. So waren es einheimische Künstler, die seit Ernst dem Frommen neben vasa sacra für Gothaer Kirchen auch das Münzund ein spezielles Medaillenprogramm hervorbrachten, vor allem sind Meister einer Goldschmiedefamilie Freund zu nennen, die in der Jüdengasse ansässig 14
15
Vgl. zuletzt DERS., Zwischen Hoheitsrecht, Konspiration und Kriminalität. Die Gothaer Münzprägung im späten 17. Jahrhundert, in: Martin MULSOW (Hg.), Kriminelle – Freidenker – Alchemisten. Räume des Untergrunds in der frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2014, S. 165–176. DERS., Die Ursachen für die Prägeruhe der Gothaer Münze von 1777–1827, in: Gothaer Museumsheft. Abhandlungen und Berichte zur Regionalgeschichte, 1983, S. 25–34.
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waren und die Toleranz und Förderung des Regenten genossen.16 Ende der 1680er Jahre kam der bereits erwähnte aus Altenburg gebürtige, in Dresden zum Medailleur und Münzstempelschneider ausgebildete Christian Wermuth nach Gotha und blieb trotz eines belegten Seufzers: „Wollte Gott, ich hätte Gotha nie gesehen, so wäre jetzo ein anderer Mann“17 zeitlebens in der Residenzstadt, entwickelte sich zu einem europaweit führenden Medaillenkünstler und hinterließ ein Œuvre von mehr als 1.000 Kleinreliefs im Münz- und Medaillenformat.18 Von Gotha nach Europa kann man hier mit Fug und Recht sagen. Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts hinaus wurde im „Land der Residenzen“ – so der Titel der Landesausstellung von 2004 in Sondershausen – eifrig und in Konkurrenz zueinander der Münzhammer geschwungen. Einheimische Stempelschneider und Medailleure hatten ihre Ausbildung oft in Verbindung mit dem Handwerk der Waffengraveure in Suhl, Zella-Mehlis und Ilmenau erhalten. Die Ilmenauer Graveurfamilie Stockmar im 18. Jahrhundert, der Suhler Johann Veit Döll (1750–1835) für Berliner Hersteller, der Zella-Mehliser Ferdinand Helfricht (1809–1892) in Gotha sind in diesem Metier auch heute noch klangvolle Namen. Als im 19. Jahrhundert die Ernestiner durch eine europaweit ausstrahlende Heiratsstrategie erneut von sich reden machten, waren deren Münzstätten – wie bereits erwähnt – Auslaufmodelle. Man vergab Lohnaufträge nach auswärts. Ob und wie die Ernestiner außer Münzen und Medaillen über 400 Jahre auch Europa „prägten“, dazu geben die Ausstellungen in Weimar und Gotha des Jahres 2016 Auskunft.
16 17 18
DERS., Die Goldschmiedefamilie Freund in Gotha. Ein Beitrag zur Münzgeschichte und Goldschmiedekunst des 17. Jahrhunderts, in: Gothaer Museumsheft. Abhandlungen und Berichte zur Regionalgeschichte, 1980, S. 11–34. DERS., Münzstätte Gotha (wie Anm. 10), S. 111 und 113. DERS., Der Gothaer Künstler Christian Wermuth (1661–1739) als Medailleur König Friedrichs I. in Preußen, in: Gothaisches Museums-Jahrbuch 2004, Weimar/Jena 2003, S. 79–88.
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Angaben zu ausgewählten Münzen und Medaillen der Ernestiner Nr. 1: Bartgroschen der Münzstätte Zwickau mit dem Porträt Friedrichs III. auf der Vorderseite und Helm mit sächsischer Helmzier auf der Rückseite, Silber, 25 mm, 2,40 g. Nr. 2: Kurfürst Friedrich III. der Weise, Gemeinschaftsprägung mit Bruder Johann und Herzog Albrecht, Münzstätte Annaberg oder Wittenberg?, Guldengroschen („Klappmützentaler“) o. J., (1500), 44 mm, 28,93 g; Münzkabinett Gotha. Nr. 3: Kurfürst Friedrich III., Medaille als doppelter Guldengroschen, o. J. (um 1512) auf die Generalstatthalterwürde, Silber, 50 mm, 63,58 g; Vorderseite. Nr. 4: Kurfürst Friedrich III., Medaille zu 12 Dukaten 1522, Gold, 42 mm, 42,47 g; Münzkabinett Gotha. Nr. 5: Kurfürst Johann der Beständige, Gemeinschaftsprägung mit Herzog Georg, Münzstätte Annaberg, o. J., 40 mm, 29,02 g. Nr. 6: Johann Friedrich I. der Großmütige, Gemeinschaftsprägung mit Herzog Heinrich und Johann Ernst, Taler 1539, 40 mm, 28,93 g. Nr. 7: Johann Friedrich, Repräsentationsmedaille von Hans Reinhart d. Ä., 1535, Silber vergoldet, 66 mm, 62,51 g, Vorderseite. Die Rückseite zeigt den 12-feldigen kursächsischen Wappenschild und die Umschrift: SPES MEA IN DEO EST sowie die Jahreszahl ANNO NOSTRI SALVATORIS MDXXXV. Nr. 8: Johann Friedrich und Landgraf Philipp von Hessen, doppelter Schautaler auf den Schmalkaldischen Bund, Münzstätte Goslar?, 1543, 53 mm, 53,27 g. Nr. 9: Johann Friedrich („Geborener“ Kurfürst) nach Rückkehr aus der Gefangenschaft mit Reichsadler und Titel Kaiser Karls V. auf der Rs., Münzstätte Saalfeld, Doppeltaler 1552, 41 mm, 57,68 g; Vorderseite. Nr. 10: Johann Friedrich II. der Mittlere und Johann Wilhelm, Münzstätte Saalfeld, Taler 1566, 40 mm, 28,50 g. Nr. 11: Johann Friedrich II. der Mittlere, Medaille auf den Tod in kaiserlicher Gefangenschaft, 1595, 44 mm, 27,20 g. Die Devise der Rückseite: ALLEIN EVANGELION IST ONE VERLVST; Vorderseite. Nr. 12: Kurfürst August, Münzstätte Dresden, Gedenktaler auf die Einnahme Gothas 1567, Vorderseite; als Schraubtaler mit Porträt August und Beschießung Gothas und Burg Grimmenstein, Wolf Kilian 1622, 40 mm; Unikum Münzkabinett Gotha. Nr. 13: Sachsen-Coburg-Eisenach, Johann Casimir und Johann Ernst, Gemeinschaftsprägung unter Vormundschaft, Reichstaler 1578, Münzstätte Saalfeld, 41mm, 29,01 g. Nr. 14: Sachsen-Coburg, Johann Casimir, breiter Schautaler 1627, Münzstätte Saalfeld, 52 mm, 35,98 g, Vorderseite. Nr. 15: Sachsen-Weimar, Friedrich Wilhelm und Johann unter Vormundschaft, Münzstätte Saalfeld, doppelter Reichstaler 1580, 42 mm, 58,21 g.
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Nr. 16: Sachsen-Weimar, Johann, Medaillenkleinod („Gnadenpfennig“), Guss 1604, 37,0 x 29,9 mm, Gold, 21,46 g; Vorderseite (Rs. Gemahlin Dorothea Maria). Nr. 17: Sachsen-Weimar, Münzstätte Saalfeld, Gemeinschaftsprägung Johann Ernst und sieben Brüder, Reichstaler 1611, 40 mm, 28,83 g. Nr. 18: Sachsen-Weimar, Johann Ernst, Münzstätte Weimar, Abschlag vom Sterbetaler zu 10 Dukaten 1626, Gold, 42 mm, 35,76 g; Vorderseite. Nr. 19: Sachsen-Weimar, Friedrich, Münzstätte Saalfeld, Sterbetaler 1622, 42 mm, 29,66 g; Vorderseite. Nr. 20: Sachsen-Weimar, Bernhard der Große, Münzstätte Weimar, Taler auf die Rückführung und Beisetzung in Weimar, 1655, 43 mm, 28,79 mm; Vorderseite. Nr. 21: Sachsen-Weimar, Wilhelm, Albrecht und Ernst, Gemeinschaftsprägung, Reichstaler 1639, 43,5 mm, 29,01 g. Nr. 22: Sachsen-Altenburg, Münzstätte Saalfeld, Gemeinschaftsprägung Johann Philipp und drei Brüder, Reichstaler 1606, 40 mm, 29,10 g. Nr. 23: Sachsen-Altenburg, Friedrich Wilhelm III., Münzstätte Saalfeld oder Gotha?, Abschlag vom Sterbetaler zu 10 Dukaten 1672, Gold, 50 mm, 34,94 g; Vorderseite. Nr. 24: Sachsen-Weimar, Münzstätte Weimar, Wilhelm, Taler auf den Schlossneubau 1658, 45 mm, 28,49 g. Nr. 25: Sachsen-Weimar, Münzstätte Eisenach, Anna Amalia, Konventionstaler 1763, 41 mm, 28,31 g. Nr. 26: Großherzogtum Sachsen, Carl August, Medaille um 1815 Medailleur Andrieu, Gold, 40 mm, 70,72 g; Vorderseite. Nr. 27: Sachsen-Gotha-Altenburg, große Familienmedaille um 1698, Medailleur Christian Wermuth, 71 mm, 202,08 g; Münzkabinett Gotha. Nr. 28: Sachsen-Gotha-Altenburg, Münzstätte Gotha, Siebenbrüdertaler 1690, Goldabschlag zu 6 Dukaten, 40 mm, 20,42 g; Vorderseite; Münzkabinett Gotha. Nr. 29: Sachsen-Gotha-Altenburg, Friedrich II., große Medaille auf die Errichtung des Münzkabinetts im Schloss Friedenstein 1713, Medailleur Nikolaus Seeländer, 114 mm, 725 g; Vorderseite; Münzkabinett Gotha. Nr. 30: Sachsen-Gotha-Altenburg, Münzstätte Gotha, Friedrich III., Konventionstaler 1764, 41 mm, 28,09 g; Vorderseite. Nr. 31: Sachsen-Gotha-Altenburg, Münzstätte Gotha, Ernst II., Konventionstaler 1775, 39 mm, 28,06 g; Vorderseite.
ABBILDUNGSNACHWEIS
Abbildungsnachweis Beitrag Post: Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4:
ThHStAW ThHStAW ThHStAW ThHStAW
Beitrag Gerber: Abb. 1:
Staatsarchiv Coburg, Bildsammlung I. 10, Nr. 35
Beitrag Pester: Abb. 1: Beitrag Chizzali: Abb. 1:
ThHStAW, Kunst und Wissenschaft – Hofwesen, A 8111 Bl. 163v–164r Johannes Lindemann (Hg.), Amorum filii die decades duae, Erfurt 1598. Tenor-Stimmbuc aufbewahrt in Biblioteka Jagiellońska, Sig. Mus.ant.pract L 920. Mit freundlicher Genehmigung der Bibliothek.
Beitrag Steguweit: Tafel 1–7: Verfasser mit freundlicher Genehmigung von Herrn Dr. Ulferts, Stiftung Weimarer Klassik, Schlossmuseum; Nr. 2, 4, 12, 27–29 mit freundlicher Genehmigung von Andreas Prinz von Sachsen-Coburg und Gotha vor Rückführung der Münzen und Medaillen 2011.
PERSONENREGISTER
Personenregister Das Register verzeichnet die Namen aller im Text und im Anmerkungsteil erwähnten Personen. Jedoch ist darauf verzichtet worden, die Namen jener Personen aufzunehmen, auf die in den Anmerkungen lediglich im Zusammenhang mit der Forschungsdiskussion Bezug genommen wird. Nicht verzeichnet sind auch jene Personennamen, die lediglich in bibliographischen Angaben erscheinen.
Abbe, Ernst 332 Adelheid, Herzogin von SachsenAltenburg 264 Adelheid, Prinzessin von SachsenMeiningen, engl./hann. Königin 446 Adolph Wilhelm, Herzog von SachsenEisenach 475 Adriel, Anthoni 419 Albert, Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha, engl. Prinzgemahl 225 Albert I., König von Belgien 463 Albert Kasimir, Herzog von SachsenTeschen 202 Albrecht (der Beherzte), Herzog von Sachsen 11, 20, 39 f., 63–65, 67, 73– 78, 81, 83, 91, 93, 286 Albrecht, Herzog von Sachsen-Coburg 42, 474, 476 Albrecht, Herzog von SachsenEisenach 28, 311, 474 Albrecht, Herzog von Preußen 65 Albrecht, Erzbischof von Mainz 107, 125 Albrecht II., Markgraf von Brandenburg-Ansbach 346 f. Albrecht II. Alkibiades, Markgraf von Brandenburg-Kulmbach 25, 60, 62, 67, 70 Albrecht (Achilles) III., Kurfürst von Brandenburg 61, 68
Albrecht VII. Graf von Mansfeld 105, 117 f. Alexander II., Zar von Russland 375 Alexander III., Zar von Russland 460 Alexandra, Prinzessin von Dänemark, engl. Königin 458 Alfeld, Augustin von 129 Algarotti, Francesco 210 Agricola, Johannes 100 Amsdorf, Nikolaus von 306 Anastasia von Brandenburg, Gräfin von Henneberg-Schleusingen 59, 65, 68 Anna Amalia von BraunschweigWolfenbüttel, Herzogin von SachsenWeimar-Eisenach 199, 247, 318 f., 349 f., 366, 369–372, 374, 404, 475 Antoine, André 467 Anton Ulrich, Herzog von SachsenMeiningen 319 Arcadelt, Jacques 416, 420 Arnoldi, Ernst Wilhelm 233 Arumäus, Dominikus 309, 338, 340– 342, 344–347 August, Herzog von Sachsen-GothaAltenburg 178, 294, 476 August, Kurfürst von Sachsen 12, 25, 41, 70 f., 336, 342, 347, 472–474 August II. (der Starke), König von Polen 29, 195 August III., König von Polen 29
PERSONENREGISTER
Augusta, dt. Kaiserin 259 Augusta von Sachsen-Gotha-Altenburg, Princess of Wales 404 Bacher, Théobald 290 Backhaus, Melchior 421 Baldinger, Ernst Gottfried 320 Balthasar, Markgraf von Meißen, Landgraf von Thüringen 58 Balthasar II., Graf von Schwarzburg 85, 88 Banér, Johan 148 f. Barth, Caspar 315 Baudert, August 266, 271, 273 f. Baumann, Georg d. Ä. 420 f. Beatrix von Courtenay 57 Bechmann, Friedemann 313 Beck, August 146, 160 Becker, Friedrich Gottlieb 238 Becker, Rudolph Zacharias 281 Beethoven, Ludwig van 426, 429, 438– 441 Benson, Frank 467 Berg, Günther Heinrich von 283 Bergen, E. van 463 Berger, Wilhelm 445, 459, 465 Berlioz, Louis Hector 426–428 Bernhard, Herzog von Sachsen-Jena 315 f., 475 Bernhard, Herzog von Sachsen-Weimar 28, 42, 145–156, 158–162, 391, 474 Bernhard I., Herzog von SachsenMeiningen 194, 476 Bernhard II. Erich Freund, Herzog von Sachsen-Meiningen 13, 239, 299, 301, 382 Bernhard III., Herzog von SachsenMeiningen 269, 275 Bernstorff, Christian Günther Graf von 297 f. Bertani, Lelio 421
493 Berthold von Henneberg, Kurfürst von Mainz 20, 282 Berthold VII. (der Weise), Graf von Henneberg-Schleusingen 57 Berthold XII. 58 Berthold XV. von HennebergSchleusingen 59 Bertuch, Friedrich Justin 281 Besserer, Bernhard 111 Beulwitz, Caroline von 372 Beust, Carl Leopold Graf von 176 Beyer, Christian 114, 118 Bismarck, Otto von 239, 259 f. Björnson, Björnsterne 446, 466 f. Bock, Wilhelm 263, 268, 274 Bode, Theodor Heinrich August 374 Bodenstein, Andreas 128 Bodin, Jean 338, 340 f., 346 Bojanowsky, Victor von 458 Boyneburg, Ludwig von 83 Brahm, Otto 467 Brahms, Johannes 438–442, 445, 449, 454, 456, 459, 467 Brandt, Henri-François 350 Braun, Karl 231 Brautlacht, Georg 338 Brendel, Franz 426 Brockhaus, Friedrich Arnold 293 Brück, Gregor 95, 100, 105, 107, 109, 112, 116, 118–120, 131, 134, 138, 342 Brühl, Heinrich von 207 Buchwald, Franziska von 217 Buddeus, Johann Franz 317 Bülow, Hans von 425, 436–439, 441– 443, 445, 448 f., 454–456, 458, 461 Bünau, Günther von 80 Bünau, Heinrich Graf von 318 Bünau zu Meuselwitz, Heinrich von 81, 87 Buffon, Georges-Louis Leclerc de 209 Bugenhagen, Johannes 100
494 Burck, Joachim a 420 Burckhardt, Carl August Hugo 12 Busmann, Daniel 340 Calixt, Georg 315 Cambio, Perissone 420 Carl Alexander, Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach 230, 235, 239 f., 256 f., 259 f., 262, 331, 390, 395 f., 425, 427–430, 437 f. Carl August, Herzog bzw. Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach 31 f., 164 f., 174 f., 178–182, 189, 202, 204, 226 f., 229, 237, 246 f., 258, 288–290, 292, 297 f., 302, 319, 321, 324 f., 327, 329, 349–356, 358–360, 363 f., 370– 374, 380, 385, 404, 475 Carl Eduard, Herzog von SachsenCoburg und Gotha 257, 262, 269, 274, 389 Carl Friedrich, Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach 229, 248–252, 258, 330, 359, 374, 404 Carl Friedrich, Markgraf von Baden 367 Carl Wilhelm, Herzog von Sachsen Meiningen 319 Charlotte, Prinzessin von Preußen, Herzogin von Sachsen-Meiningen 446 Charlotte von Sachsen-Meiningen, Herzogin von Sachsen-Gotha-Altenburg 220 Charlotte Amalie von HessenPhilippsthal, Herzogin von SachsenMeiningen 319 Christian, Herzog von SachsenEisenberg 476 Christian II., Kurfürst von Sachsen 474 Christian IV., Herzog von PfalzZweibrücken 208, 214 Christian IX., König von Dänemark 464
PERSONENREGISTER
Christoph von Henneberg, Domherr zu Bamberg 68 Chronegk, Ludwig 446–453, 456–466 Cicero, Marcus Tullius 357 Cipriano de Rore 416 Conversi, Girolamo 420 f. Cornelis, Peter 430 Corteccia, Francesco 420 Cranach, Lucas d. Ä. 471 Cranach, Lucas d. J. 394 D´Alembert, Jean-Baptiste le Rond 309 f. Dalberg, Carl Theodor von 355, 358 f. Dalberg, Johann Friedrich Hugo von 367 f., 370 Dannecker, Johann Heinrich 361 Danovius, Ernst Jakob 320 Darjes, Joachim Georg 321 Dassier, Jean 209, 221 Daubenton, Louis Jean-Marie 209 Desprez, Josquin 418 Diderot, Denis 209 f. Dietrich (der Bedrängte), Markgraf von Meißen 56 Dingelstedt, Franz von 454 Ditfurt, Christiane von 217 Döll, Johann Veit 479 Dolzig, Hans von 107 f., 115, 117 f. Donato, Baldissera 420 Dornheim, Georg II. Fuchs von 147 Dorothea Maria (von Anhalt), Herzogin von Sachsen-Weimar 26, 38 Draconites, Johannes 98, 135 Drake, Johann Friedrich 330, 384 Draschwitz, Albrecht von 82 Drenker, Emil 448 Droysen, Gustav 146, 149, 160 Dvorak, Antonin 446, 455
PERSONENREGISTER
Eberhard Ludwig, Herzog von Württemberg 215 Eck, Johannes 115 Eckardt, Johann Ludwig von 175 Edward VII., engl. König 450, 452, 457–459 Ehwald, Rudolf 386 Eichhorn, Johann Gottfried 366 Einkorn, Gregor 473 Einsiedel, Heinrich von 81, 85 Einsiedel, Hugold von 123 Eldering, Bram 459 Elgar, Edgar 446 Elisabeth (die Heilige), Landgräfin von Thüringen 56, 394, 396, 430 Elisabeth von Braunschweig, Gräfin von Henneberg-Schleusingen 65 Elisabeth von Hessen (von Rochlitz), Erbprinzessin von Sachsen 83 Elisabeth von Lobdeburg-Arnshaugk, Landgräfin von Thüringen 398 Elisabeth von Sachsen-Altenburg, Großfürstin von Russland 461 Elisabeth Sophie von SachsenAltenburg, Herzogin von SachsenGotha 476 Emma von Waldeck und Pyrmont, Königin der Niederlande 462 Ende, Heinrich von 80 Ende, Niklas vom 137 f. Erlach, Johann Ludwig von 162 Ernst, Herzog von SachsenHildburghausen 193, 402, 476 Ernst, Kurfürst von Sachsen 11, 39, 63 f., 67, 73, 78, 93, 165, 286 Ernst von Sachsen, Erzbischof von Magdeburg 83, 90 Ernst I., Herzog zu BraunschweigLüneburg 105, 115 f.
495 Ernst I., Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha 13, 177 f., 184, 295, 388– 391 Ernst I. (der Fromme), Herzog von Sachsen-Gotha-Altenburg 13, 28, 36, 38, 42 f., 50 f., 146, 151–153, 155– 160, 166 f., 184, 286, 311–314, 385 f., 391, 401 f., 474–476, 478 Ernst II., Herzog von SachsenAltenburg 270, 275 Ernst II., Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha 184, 235, 239, 381 f., 389 f. Ernst II., Herzog von Sachsen-GothaAltenburg 31, 174, 210, 220, 321 f., 324, 404, 476 Ernst August I., Herzog von SachsenWeimar-Eisenach 29 f., 167, 170, 173, 198, 317 f., 402 f. Ernst August II. Konstantin, Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach 30, 199 f., 318, 475 Ernst Ludwig I., Herzog von SachsenMeiningen 47 Ferdinand I., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs 22 f., 106 f., 109 f., 117, 119, 306 Ferdinand II., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs 26–28 Fernando Álvarez de Toledo, Herzog von Alba 360 Ferretti, Giovanni 420 f. Feuquières 149 Fichte, Johann Gottlieb 322 Fischer, Kuno 311 Fischer, Theodor 333 Fleischhauer, Johann Christian 252 f. Förster, Friedrich 297 Fontane, Theodor 467 Forberg, Friedrich Carl 289
496 Formschneider, Hieronymus 414 Forster, Georg 414 Fränkel, Ludwig 448 Franck, Melchior 424 Franckenstein 264 Frankenberg, Sylvius Friedrich Ludwig von 322 Franz, Ellen → Helene, Freifrau von Heldburg Franz, Herzog von BraunschweigLüneburg 105, 115 Franz I., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs 30, 199 Franz II., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs 202, 220, 283 Franz Friedrich Anton, Herzog von Sachsen-Coburg-Saalfeld 177 Franz Joseph I., Kaiser von Österreich 447, 454 Franz Josias, Herzog von SachsenCoburg-Saalfeld 475 Freytag, Gustav 235 Friederike Adolphine von SachsenWeißenfels 206 Friedrich von Sachsen, Hochmeister des Deutschen Ordens 90 Friedrich, Herzog von SachsenAltenburg (1599–1625) 475 Friedrich, Herzog von SachsenAltenburg (1763–1834) 13 Friedrich, Prinz von Sachsen-Weimar 474 f. Friedrich I. (Barbarossa), Kaiser des römisch-deutschen Reichs 55 Friedrich I., Herzog von SachsenGotha-Altenburg (1646–1691) 47, 192, 194, 211, 401, 475 f., 478 Friedrich I., König von Preußen 470 Friedrich I., König von Württemberg 163 f.
PERSONENREGISTER
Friedrich I. (der Freidige), Markgraf von Meißen, Landgraf von Thüringen 398 Friedrich II., Herzog von SachsenGotha-Altenburg 29, 195, 401 f., 476 Friedrich II., Kaiser des römischdeutschen Reichs 212, 215 Friedrich II. (der Große), König von Preußen 30 f., 205–207, 209 f., 212, 214, 218–220 Friedrich II. (der Sanftmütige), Kurfürst von Sachsen 60 Friedrich II. (der Ernsthafte), Markgraf von Meißen, Landgraf von Thüringen 398 Friedrich III., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs 20, 81 Friedrich III. (der Weise), Kurfürst von Sachsen 11, 19–23, 40, 65, 73–75, 77 f., 81–84, 86–91, 93–97, 105, 117, 123, 126 f., 129 f., 134 f., 391 f., 394, 412-414, 470 f., Friedrich III. (der Strenge), Markgraf von Meißen, Landgraf von Thüringen 57 f. Friedrich III., dt. Kaiser 451 Friedrich III., Herzog von SachsenGotha-Altenburg 174, 198–200, 205, 211, 214, 216 f., 220 f., 403, 475 f. Friedrich IV., Herzog von SachsenGotha-Altenburg 183, 476 f. Friedrich V., Pfalzgraf, Kurfürst von der Pfalz, König von Böhmen 26 Friedrich August I., Kurfürst von Sachsen → August II. Friedrich August II., Kurfürst von Sachsen → August III. Friedrich Josias, Prinz von SachsenCoburg-Saalfeld 202 Friedrich Ludwig, Erbprinz von Sachsen-Gotha-Altenburg 208, 211 f., 221
PERSONENREGISTER
Friedrich Ulrich, Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel 159 Friedrich Wilhelm, Prinz von SachsenWeimar 474 Friedrich Wilhelm I., Herzog von Sachsen-Weimar 286, 308 f., 419 Friedrich Wilhelm II., Herzog von Sachsen-Altenburg 47, 188, 474 f. Friedrich Wilhelm III., Herzog von Sachsen-Altenburg 475 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 297 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 388 Fries, Jakob Friedrich 228, 327 Friesen 196 Friesen, August Heinrich von 218 Fritsch, Karl Wilhelm Freiherr von 179, 249–252, 327 Frölich, August 275 Froriep, Ludwig Friedrich 235 Gabrieli, Andrea 420 f. Gastoldi, Giovanni Giacomo 420 Gehofen, Heinrich von 82 Genast, Eduard 431 Geoffrin, Marie Thérèse 219 Georg zu Wertheim 60 Georg (der Bärtige), Herzog von Sachsen 11, 40, 73–91, 94, 96, 101, 107, 130, 470 Georg, Markgraf von BrandenburgAnsbach 109, 113, 115 f. Georg von Podiebrad, König von Böhmen 78 Georg I., Herzog von SachsenMeiningen 319, 408 Georg II., Herzog von SachsenMeiningen 230, 234 f., 240, 248, 261 f., 301 f., 331, 387, 425, 437–439, 443, 445–448, 450–467
497 Georg Ernst, Graf von HennebergSchleusingen 65, 71 Georg Friedrich von WaldeckEisenberg 192 Gerhard, Johannes 341 Germar, Wilhelm Heinrich von 203 Gersdorff, Ernst Christian August Freiherr von 164, 182, 228, 250, 252, 298, 327, 380 f. Gjellerup, Karl 465 Glafey, Adam Friedrich 11 f. Glassius, Salomon 312 Glatz, Kaspar 141 Gleim, Johann Wilhelm Ludwig 364 Gocheritz, Johann 419 Goethe, Johann Wolfgang von 31, 175, 235, 262, 289, 321 f., 324, 326 f., 349 f., 355, 358–370, 372–376, 405, 428, 436 Goldast, Melchior 345 Goldacker, Diezmann 135 Görtz, Johann Eustach Graf von 352 Gotsmann, Cuntz 102 Gotter, Friedrich Wilhelm 207 Gotter, Gustav Adolf von 205, 214 Gottsched, Johann Christoph 207–209, 217 Gottsched, Luise Adelgunde 207 Gräfendorf, Hans von 137 f. Gräter, Friedrich David 357 Grau, Johann 131 Gregorii, Johann Gottfried 316 Grenaille, François de 162 Grieg, Edward 466 Griesbach, Johann Jacob 175 f. Grimm, Friedrich Melchior 205, 209 f., 217–220 Groß, Christoph 118, 138 Grumbach, Wilhelm von 25, 41 Gudenus 197
498 Günther Viktor, Fürst von Schwarzburg 270, 275 f. Gunther, Wilhelm 419 Gustav II. Adolf, schwed. König 27 f., 145–148, 150, 158 f., 205 Haegelstern 463 Hardenberg, Karl August von 297 Hamann, Johann Georg 364–366 Hanslick, Eduard 440 f. Harris, Augustus 457 Hartknoch, Johann Friedrich 365 Hartung, Fritz 181 Hasse, Max 430 Hatzfeld, Franz von 146, 159, 161 Haubitz, Asmus von 140 Hausmann, Nicolaus 134 Hauptmann, Gerhart 467 Haydn, Jospeh 440 Hedwig, Herzogin von Schlesien 56 Heimburg, Gregor 62 Heinrich der Jüngere, Herzog von Braunschweig-Lüneburg 64 Heinrich, Graf von Stolberg 82 Heinrich (der Fromme), Herzog von Sachsen 40, 81 Heinrich, Herzog von Sachsen-Römhild 189, 194, 476 Heinrich Reuß d. J., Herr zu Weida 81 Heinrich III. (der Erlauchte), Markgraf von Meissen, Landgraf von Thüringen 56, 391 Heinrich V., Herzog zu Mecklenburg 105 Heinrich VII., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs 57 Heinrich X., Graf von HennebergSchleusingen 58 f., 66 Heinrich XI., Graf von HennebergSchleusingen 59 f.
PERSONENREGISTER
Helene, Freifrau von Heldburg 261, 448, 453 f., 456 f., 461, 466 f. Helfricht, Ferdinand 479 Helmbold, Ludwig 420 Helvétius, Claude Adrien 210 Hendrich, Johann Friedrich von 288 Hennings, Henrich 465 Henß, Adam 227 Herder, Johann Gottfried 248, 262, 355, 358 f., 362, 364–370, 372, 376 Herder, Maria Caroline 366, 369 Hermann, Johann 418, 420 Hermann I., Graf von HennebergCoburg 56 Hermann VIII., Graf von HennebergRömhild 61 Hessus, Eobanus 129 Hexamius, Wolfgang 422 Hirschfeld, Christian Cajus 407 Hoff, Karl Ernst Adolf von 293, 295 f. Hofmann, Arthur 263 f., 275 Holtzmann 458 Homann, Johann Baptist 402 Horn, Gustav 147–149 Hortleder, Friedrich 309 f., 315, 341 Houdon, Jean Antoine 210 Hundt, Burkhard 96, 133 Hut, Hans 101 f. Heynitz, Nikolaus von 81, 85 Ibsen, Hendrik 446, 453, 455, 466 Ida von Sachsen-Meiningen, Prinzessin von Sachsen-Weimar-Eisenach 457 Irmingard von Henneberg 55 Irving, Henry 458, 467 Jacobi, Friedrich Heinrich 359 Joachim, Markgraf von Brandenburg 107 Johann (der Beständige), Kurfürst von Sachsen 11, 22 f., 65 f., 69, 73, 75, 78,
PERSONENREGISTER
82–84, 86, 89–91, 93–121, 123, 126– 128, 130–135, 138–140, 144, 391 f., 470 f. Johann I., Graf von HennebergSchleusingen 57 Johann III., Herzog von SachsenWeimar 26, 145, 286, 474 Johann III. von HennebergSchleusingen 59 Johann Casimir, Herzog von SachsenCoburg 309, 422, 473 f. Johann Ernst, Herzog von SachsenCoburg-Saalfeld 476 Johann Ernst I., Herzog von SachsenWeimar 474 f. Johann Ernst II., Herzog von SachsenWeimar 316, 475 Johann Friedrich, Prinz von SachsenWeimar 474 Johann Friedrich I. (der Großmütige), Kurfürst von Sachsen 11 f., 15, 21, 24 f., 40, 94 f., 97, 105, 109, 112 f., 115 f., 118 f., 127, 130, 132, 306, 310, 330, 336, 383–385, 391–394, 414, 422, 471 f. Johann Friedrich II. (der Mittlere), Herzog von Sachsen 25, 306, 342, 422 f., 472 f. Johann Georg I., Herzog von SachsenEisenach 192, 316, 475 Johann Georg I., Kurfürst von Sachsen 26–28, 470, 474 Johann Georg II., Kurfürst von Sachsen 188 Johann Philipp, Herzog von SachsenAltenburg 311, 475 Johann Wilhelm, Herzog von SachsenAltenburg 475 Johann Wilhelm, Herzog von SachsenEisenach 473 f.
499 Johann Wilhelm, Herzog von SachsenJena 316, 475 Johann Wilhelm I., Herzog von Sachsen-Weimar 36, 38 f., 41 f., 286, 308, 342, 399, 418 f., 473 f. Jonas, Justus 143 Joseph, Herzog von Sachsen-Altenburg 230, 330, 382, 385, 392 f. Joseph I., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs 29 Joseph II., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs 31, 201, 220 Jugler, Johann Friedrich 340 Jutta von Thüringen, Gräfin von Henneberg 56 Kalb, Charlotte Sophie Juliane von 371–373 Kamptz, Christoph Karl Heinrich von 329 Karlstadt → Bodenstein, Andreas Karl (der Große), Kaiser des fränkischen Reichs 355 Karl I., Fürst von BraunschweigWolfenbüttel 200, 397 Karl IV., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs 59, 341, 345 Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs 21, 23–25, 40, 114, 162, 211 f., 383, 392 Karl VI., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs 29 f., 198, 214, 283 Karl VII., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs 207, 211, 213 Karl Alexander, Prinz von Lothringen 212 Karl Emanuel III., Herzog von Savoyen, König von Sardinien-Piemont 212 Karl Eugen, Herzog von Württemberg 218
500 Karoline Henriette von PfalzZweibrücken, Landgräfin von Hessen-Darmstadt 207 f., 210, 217, 220 Katharina von Hanau, Gräfin zu Henneberg-Schleusingen 60, 62 Katharina von Henneberg, Markgräfin von Meißen, Landgräfin von Thüringen 57 Katharina von Kastilien, Königin von Portugal 21 Katharina II. (die Große), Zarin von Russland 220 Keller, Auguste von 359 Kessler, Harry Graf 261 Kieser, Dietrich Georg von 327 Kiesewetter, Wolfgang 130 f. Kilian, Wolf 473 Kirchbach 203 Kirchner, Hermann 341 Kitzscher, Friedrich von 81 Kitzscher, Georg von 79 Kitzscher, Johann von 83, 85 Kleist, Heinrich von 446 Kleve, Sybille von 394 König, Gustav 391 Koch, Johann Christian 469 Konrad (der Staufer), Pfalzgraf bei Rhein 55 Konrad, Herr von Weinsberg 60, 66 Konstantin Konstantinowitsch Romanow, Großfürst von Russland 453, 461 Kospoth, Friedrich von 310 Kotzebue, August von 249 Krafft, Hans d.Ä. 471 Kretschmann, Theodor Konrad von 177 f., 180, 182 Krohne, Gottfried Heinrich 403 Ladislaus II., König von Böhmen und Ungarn 90
PERSONENREGISTER
Lang, Johannes 129 Lantingshausen, Albrecht von 214 La Roche, Marie Sophie von 350 Lassberg, Christel von 405 Lassberg, Johann Albrecht 200 Lassen, Eduard 431–433 Lasso, Orlando di 420 Laube, Heinrich 454 Lavater, Johann Kaspar 366 Leopold I., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs 187, 190, 192, 478 Leopold I., König von Belgien 224, 382 Leopold II., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs 283 Leopold II., König von Belgien 462 f. Leopold III. Friedrich Franz, Herzog von Anhalt-Dessau 408 Lessing, Gotthold Ephraim 368 Lessmann, Otto 441 Leutzsch 196 Liebknecht, Karl 267 Lillie, Axel 150 Limnaeus, Johannes 309, 338, 341, 344– 347 Lindemann, Johannes 420, 423 f. Lindenau, Bernhard August von 176, 183, 329 Lindenhofen, Zacharias Prüschenk von 315 Lindner, Albert 456 Lindner, Amanda 463 Lipsius, Justus 340 List, Friedrich 224 Liszt, Franz 425–434, 436, 438, 441, 454 Loder, Justus Christian 320 f. Loeben, Otto Ferdinand von 32 Lorenz, Ottokar 381 Louis-Ferdinand de Bourbon, Dauphin von Frankreich 216
PERSONENREGISTER
Louise Dorothea, Prinzessin von Sachsen-Meiningen, Herzogin von Sachsen-Gotha-Altenburg 199, 205–207, 209–211, 213–217, 219 f., 350, 368, 371, 373 f., 390, 403 Louise von Hessen-Darmstadt, Großherzogin von Sachsen-WeimarEisenach 353 Luden, Heinrich 327–329 Ludendorff, Erich 269 Ludwig (der Springer), Graf von Schauenburg 390 Ludwig I., Fürst von Anhalt-Köthen 27, 310 Ludwig II., König von Bayern 435 Ludwig II. (der Freimütige), Landgraf von Hessen 60, 67 Ludwig IV. (der Bayer), Kaiser des Heiligen Römischen Reichs 57 Ludwig IV. (der Heilige), Landgraf von Thüringen 394 Ludwig VII. (der Bärtige, im Bart), Herzog von Bayern-Ingolstadt 391 Ludwig XIII., franz. König 161 Ludwig Wilhelm, Markgraf von Baden 194 Lüders 293 Luise Ulrike von Preußen, Königin von Schweden 220 Luther, Martin 21–23, 40, 65, 94 f., 97– 99, 101, 103, 107–109, 112 f., 115, 117–119, 121, 125, 127, 132, 134, 136–139, 143, 306, 308, 336 f., 392, 394 Majer, Johann Christian 246 Major, Johann 311 Mallinger, Mathilde 433 Manfred, König von Sizilien 215 Manteuffel, Ernst Christoph Graf von 205–215, 217, 220
501 Marenzio, Luca 420 f. Margarete, Gräfin von Henneberg 56 Margarete von BraunschweigWolfenbüttel, Gräfin von HennebergSchleusingen 59, 65 Margarethe von Anhalt, Herzogin von Sachsen 93 Maria Josepha von Sachsen, Kronprinzessin von Frankreich 216 Maria Pawlowna, Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach 234 f., 248, 250 f., 260, 262, 330, 374, 404, 427 f. Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich, Königin von Ungarn und Böhmen 29 f., 209 Marianne, Prinzessin der Niederlande 455 Marie Elisabeth, Prinzessin von Sachsen-Meiningen 463 f. Martensau, Karl 156 Maupertuis, Pierre-Louis Moreau de 210 Maximilian, Prinz von Baden 269, 273 Maximilian I., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs 20 f., 64, 69, 81, 84, 90 f., 93 Maximilian II., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs 25 Mechler, Ägidius 129 Mechtild von Baden, Gräfin von Henneberg 59 Melanchthon, Philipp 36, 97, 99 f., 104, 109, 111–113, 115 f., 123, 138, 140, 336 Mendelssohn Bartholdy, Felix 426 Merian, Matthäus 401 Metzsch, Hans 138 f. Metternich, Klemens Wenzel Lothar von 298, 328 Minkwitz, Hans von 80, 112, 118 Mönch, Heinrich 80, 85
502 Molière 446 Molitor, Wilhelm 302 Moritz, Herzog von Sachsen-Zeitz 188 Moritz, Kurfürst von Sachsen 11 f., 24 f., 40, 70, 384, 411, 473 Morus, Thomas 408 Moser, Johann Jacob 18, 39, 41, 44, 48 f., 185 Mottl, Felix 433, 436 Motz, Philipp Wilhelm von 328 f. Mozart, Wolfgang Amadeus 370 Müller, Franz 426 Müller, Friedrich von 164, 298 Müller, Johann Georg 366 Müser 463 Münster 457 Müntzer, Johann 131 Müntzer, Thomas 101, 103, 128 Musa, Anton 141 Musäus, Johannes 315 Myconius, Friedrich 98, 103, 135 f. Nachbaur, Franz Innozenz 433 Nanino, Giovanni Maria 421 Napoleon I., franz. Kaiser 16, 32, 163, 181, 204, 241, 248, 283, 291, 349, 358 Necker, Suzanne 219 Neubauer, Johann Ernst 320 Neuenstein, Eberhardine von 217 Nielsen, Carl 465 Ökolampad, Johannes 112 Oken, Lorenz 327 Oskar II, König von Schweden und Norwegen 458, 465 Osse, Melchior von 70 Ott, Hans 414 Otto, Daniel 338 Otto I. von Botenlauben 57 Otto V. (der Siegreiche), Herzog von Braunschweig-Lüneburg 64
PERSONENREGISTER
Oxenstierna, Axel Gustafsson 147–149, 152 f., 159 f. Pack, Otto von 107, 110 Pappenheim, Gottfried Heinrich Graf zu 159 Paul I., Zar von Russland 160 Paul IV., Papst 283 Pauli, Benedikt 100, 139 Paulssen, Arnold 269 f. Perl, L. von 461 Petrejus, Johann 414 Petrucci, Ottaviano dei 418 Petz, Georg 129 Pevernage, Andreas 420 Pfizer, Paul 231 Pflug, Sigmund 82 Pflugk, Andreas 315 Philip Reinhard, Graf von Solms 150 Philipp (der Aufrichtige), Kurfürst von der Pfalz 64, 66, 68 Philipp I., Herzog von BraunschweigGrubenhagen 105 Philipp I. (der Großmütige), Landgraf von Hessen 22 f., 65, 96, 105, 107– 114, 120 f., 385, 472 Piening, Karl 463 Pinello di Ghirardi, Giovanni Battista 412 Pingitzer, Virgilius 340 Planitz, Hans (Edler) von der 109, 117 f., 140 Pöllnitz, Karl Ludwig von 214 Pohl, Richard 426–428 Ponickau, Tobias von 158 Poppo VI., Graf von Henneberg 56 f. Poppo VII., Graf von Henneberg 56 f. Poppo XII., Graf von Henneberg 68, 71 Posse, Otto 12 Preme, Peter 308
PERSONENREGISTER
Pütter, Johann Stephan 18 Pufendorf, Samuel 18 Racine, Jean 373 f. Ratke, Wolfgang 310 Raynal, Guillaume-Thomas François 209, 218 Rebmann, Georg Friedrich 281 Reger, Max 425, 445, 463 f. Regnart, Jacob 420 Reichard, Heinrich August Ottokar 405 Reif, Wilhelm 452 Reinhardt, Max 467 Reinhold, Karl Leonhard 324 Reißenbusch, Wolfgang 81 Reuther 456 Rhaw, Georg 417 f. Riccio, Theodoro 420 Richard, Paul 463, 466 Richelieu, Armand-Jean du Plessis de 149, 161 Richter, Hans 433 Riedesel 200 Rietesel, Johann 127 Ritgen, Hugo von 396 Röpke, F. Ph. 456 Röse, Bernhard 146, 160 Rosenthal, Eduard 276, 332 Roth, Stephan 416 Rotteck, Karl von 252 Rousseau, Jean-Jacques 407 Rudolf II., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs 419 Sachsen, Jakob von der 128 Sachsen, Johann von der 128, 131 Salhausen, Johann von 85 Salzmann, Christian Gotthilf 281 Sand, Karl Ludwig 249 Sanftleben 460 Sassoferrato, Bartolus 345
503 Savye, Lambert de 420 Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Wilhelm zu 297 Scandello, Antonio 412 Scharold, Carl Gustav 146, 160 Scheidemantel, Heinrich Gottlob 321 Schein, Johann Hermann 424 Schiller, Friedrich 262, 322, 331, 349, 371–376, 446, 448, 451, 453, 456, 461 f. Schinkel, Karl Friedrich 390 Schlegel, August Friedrich 322 Schleicher, Daniel 111 Schleinitz, Dietrich von 80, 82, 85 Schleinitz, Heinrich von 80, 82 Schleupner, Christoph 151 Schmerzing, Hannibal von 201 Schmid, Achatius Ludwig Karl 319 f. Schneegass, Cyriacus 424 Schneider 293 f. Schneider, Heinrich Julius 391 Schneidewein, Heinrich 337 f. Schönberg, Caspar von 85 Schönberg, Ludwig von 218 Schöpflin, Johann Daniel 208 Schramm, Christoph 416 Schulenburg-Beetzendorf, Graf Werner von der 256 Schulze, Hermann 309 Schumann, Robert 426 Schurff, Hieronymus 100, 138, 140 f. Schweighofer, Pauline 452 Schweinitz, Hans Lothar von 460 Schweitzer, Anton 370 Schweitzer, Christian Wilhelm 250 f., 298, 327 Schwind, Moritz von 396 Scotto, Girolamo 416, 418 Seckendorff, Friedrich Heinrich von 214
504 Seckendorff, Veit Ludwig von 29, 176, 314 Seebeck, Karl Julius Moritz 331 Shakespeare, William 359, 362, 437, 439, 446, 457, 461 f. Siemens, Wilhelm von 458 Sigismund (der Münzreiche), Erzherzog von Tirol 471 Sophie, Gräfin von Henneberg 56 Sophie von Mecklenburg, Herzogin von Sachsen 93 Sophie von Oranien-Nassau, Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach 262 Spalatin, Georg 11, 97 f., 100, 135, 140 f., 143, 414 Stanislawski, Konstantin Sergejewitsch Alexejew 460, 467 Staupitz, Johann von 83 Stein, Wolfgang 127–129, 131 Steinbach, Fritz 442, 445, 454, 459, 467 Stichling, Carl Wilhelm Constantin 326 Stichling, Gottfried Theodor 260 Stör, Carl 431 f. Straßen, Michael von der 135 Strauch, Johannes 315 Strauss, Jakob 95 f., 98, 127, 133 Strauss, Richard 425, 432–437, 459 Struve, Georg Adam 315 f. Taubenheim, Christoph von 117 f. Taubenheim, Hans von 139 Tauwitz, Johann 398 Tell, Wilhelm 275 Tentzel, Wilhelm Ernst 470 Terry, Ellen 458, 467 Tettau, Marquardt von 85, 88 Teutleben, Caspar von 310 Thiem, Veit 399 Thun, Friedrich von 88, 131 Thun, Joachim von 217
PERSONENREGISTER
Thun, Ulrich von 205, 208–220 Tieck, Ludwig 429 Tilly, Johann T’Serclaes von 147, 159 f. Toscanini, Arturo 467 Treischler, Hans 463 Treitschke, Heinrich von 259 Türcke 275 Ubaldis, Baldus de 345 Ulpian, Domitius 343 Umberto I., König von Italien 447 Uslar 196 Uslar, Georg von 157 Vecchi, Orazio 420 f. Victoria, engl. Königin 225, 447, 457 f. Vigelius, Nikolaus 344 Voltaire 17, 205, 207, 209 f., 217 Vogler, Georg 112, 118 Voit, Johann 127 Volta, Alessandro 349 Wackenroder, Wilhelm Heinrich 429 Wagener, Herrmann 255 f. Wagner, Cosima 433–437 Wagner, Richard 426–432, 434–438 Walch, Carl Friedrich 175 Wallenstein, Albrecht Wenzel von 159 f. Walter, Johann 422 Waltkirch, Balthasar 110 Wangenheim, Friederike von 217 Wartensleben, Alexander Hermann von 194 Watzdorff, Bernhard von 230, 252 Weber, Max 378 Weber, Carl Maria von 452 Weigel, Erhard 313 Weishaupt, Adam 323 f. Welter, Michael 396 Wermuth, Christian 469, 476, 479
PERSONENREGISTER
Werthern, Hans von 80, 82, 85, 89 Wesenbeck, Matthäus 337 f., 340 Widukind 11 Wieland, Christoph Martin 246, 262, 279 f., 349–359, 362, 364 f., 367 f., 370–372, 374, 376 Wieland, Ludwig 297 Wildenfels, Anarg Heinrich zu 127 Wilhelm (der Reiche), Graf von NassauDillenburg 115 Wilhelm, Herzog von Sachsen-Weimar 42, 474 f. Wilhelm zu Castell 60 Wilhelm I., dt. Kaiser 260, 451 Wilhelm I. (der Schweiger) von NassauDillenburg, Fürst von Oranien 360 Wilhelm I., König von Württemberg 164 Wilhelm I./II., Graf von HennebergSchleusingen 59 Wilhelm I. (der Einäugige), Markgraf von Meißen, Landgraf von Thüringen 58 Wilhelm II./III., Graf von Henneberg-Schleusingen 59 f. Wilhelm II., dt. Kaiser 270, 273, 451, 457, 460, 464 Wilhelm II., Graf von Neuenahr 114 Wilhelm von Holland, römischdeutscher König 56 Wilhelm II., Landgraf von Hessen 83 Wilhelm III./IV., Graf von HennebergSchleusingen 59, 62, 64, 67 Wilhelm III. (der Tapfere), Herzog von Sachsen 60, 62, 67, 94, 165, 286, 392
505 Wilhelm III., König der Niederlande 455 Wilhelm IV., Herzog von SachsenWeimar 15, 27, 167, 311 f., 314 f., 400 Wilhelm V. (der Beständige), Landgraf von Hessen-Kassel 28, 148 Wilhelm VI./IV., Graf von HennebergSchleusingen 59, 61, 64–70 Wilhelm Ernst, Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach 262, 264, 270 f., 273 f., 332 Wilhelm Ernst, Herzog von SachsenWeimar 316, 478 Wilhelm Heinrich, Herzog von Sachsen-Eisenach 475 Willaert, Adrian 416, 420 Wilson, Woodrow 269 Witzel, Georg 98 Wolff, Christian 206 f. Wolff, Hermann 449 Wolff, Pius Alexander 452 Wolfgang, Fürst von Anhalt-Köthen 105, 115 Wolfgang, Georg Andreas 208, 212 Wolfgang II., Graf von HennebergSchleusingen 65 Wolzogen, Wilhelm von 374 Wüstemann, Carl Christian von 329 Wurm, Balthasar 82 Zeiß, Carl 233 Ziegesar, Anton Freiherr von 330 Ziegesar, August Friedrich Carl Freiherr von 176, 181 Zwingli, Huldrych 102, 111–114, 121
ORTSREGISTER
Ortsregister ORTSREGISTER
Adorf 88 Allstedt 82, 128, 166 Altdorf 344 Altenburg 10 f., 13, 83, 124 f., 169, 176, 182 f., 207, 267, 272, 274–76, 281, 287, 293, 312, 393, 398 f., 401 f., 474 Amberg 174 Amsterdam 439, 442, 449, 455 f. Annaberg 76 f., 88, 472 Antwerpen 451, 462 f. Apolda 266, 311, 330 Arolsen 214, 217 Arnheim 456 Arnstadt 9, 115, 198, 338, 418 Augsburg 114, 115, 116, 130, 282, 473 Bamberg 56, 59, 62, 70, 86, 107, 109 f. 146–150, 157–159, 190, 368 Basel 119, 204, 442, 447 Bautzen 78 Bayreuth 429, 433–438 Berlin 205–207, 210, 216 f., 219, 255, 259, 261, 265, 270, 273, 297, 386, 413, 432, 437, 439, 442, 448, 449–451, 454, 457, 472, 478 f. Bern 119, 213 Bethlehem 63 Biebrich 203 Bischofswerda 86 Borna 98, 135 Breisach 161 Breitenfeld 146 Bremen 272, 439 Breslau 63, 78 f., 107, 440, 449 Brünn 454 Brüssel 382, 442, 451, 462 f. Buchholz 472
Buchsweiler 214 Budapest 438, 441 f., 454 Bückeburg 214 Bürgel 141 Buttstädt 313 Callenberg 274, 388, 390 Chemnitz 63 Coburg 10, 13, 56–58, 87 f., 177, 180, 183, 196, 203, 288, 295, 309, 322, 373, 388–392, 424, 452, 474, 477 Creuzburg 98, 134 Cronschwitz 139 Darmstadt 207 f., 214, 220, 371, 385 Den Haag 456 Dresden 10–12, 63, 78, 87, 165, 200, 306, 411 f., 419, 431 f., 449, 472, 478 f. Düsseldorf 359, 449 Ebern 151 Eger 78 Eichstätt 58 Eilenburg 78, 84–87, 143 Eisenach 13, 28, 95, 98, 104, 127, 133, 135, 139, 141, 203, 239, 288, 313, 316, 332, 387, 390, 394, 398 f., 478 Eisenberg 312 f. Elxleben 131 Erfurt 42, 66, 74, 83, 86, 128 f., 131, 260, 273, 276, 313, 335 f., 349, 351 f., 355, 359, 367, 420, 425, 477 Esslingen 130 Fischberg 58 Fladungen 151 Florenz 369, 419, 447
ORTSREGISTER
Forchheim 147, 150, 157 Frankfurt/Main 202, 214, 254, 282, 284, 290, 310, 356, 358–360, 439 Freiberg 472 Freyburg 398 Fulda 58 f., 69 Genf 205, 209, 211, 213, 216, 219 Gerolshofen 151 Gerstungen 98, 134 Görlitz 78 Göttingen 320 f., 369 Gotha 9–11, 13, 28, 30, 139, 146, 151, 166, 169, 188, 198 f., 203 f., 207, 209 f., 214 f., 217–219, 233, 238 f., 253, 262 f., 267 f., 274, 276 f., 281, 295 f., 313, 316, 320, 322, 359, 373, 385 f., 388, 398 f., 401, 403 f., 470, 473, 476, 478 f. Gräfentonna 189 Graz 442, 454 Greifswald 213 Grimma 78 f. Groningen 84 f. Großenhain 78 f. Halle/Saale 86, 320 f., 425 Hagenau (Elsass) 196 Hamburg 432, 439 f. Harlem 456 Heldburg 57, 387 Heidelberg 64, 68 Heilbronn 148, 152, 360 Hersfeld 58 Heusdorf 139 Hildburghausen 13, 16, 47, 57, 183, 203, 275, 402, 478 Hoberg 361 Hörselgau 135 Ilmenau 58, 167, 180, 479
507 Ingolstadt 147, 323 Jena 10 f., 13, 15, 24, 42, 49, 51, 80, 123, 141, 155, 168 f., 175 f., 181 f., 210, 226, 228 f., 233, 235, 240, 246, 249 f., 266–268, 272, 276, 281, 290, 297 f., 306–317, 319 f., 323–333, 336–338, 340, 344, 347, 349 f., 372 f., 375 f., 381, 383 f., 393, 475 Jerusalem 57, 63 Joachimsthal 471 Jülich 65 Kahla 141, 313 Kaltennordheim 58 Kamp am Rhein 203 Karlsbad 285, 292, 300 Karlsruhe 353, 436 Karlstadt 151 Kassel 108 f., 214, 268, 272 Kiel 272, 439 Kiew 438, 460, 461 Kirchheim unter Teck 214 Koblenz 203 Köln 65, 105, 118, 335 Königsberg (Coburg) 102, 204 Königsberg (Preußen) 213, 442 Königshofen 149,151 Köthen 310 Kopenhagen 438, 442, 453, 464–466 Kronach 150, 157 Landau 196 Lauchstädt 363, 425 Leiden 208 Leipzig 11 f., 75, 77–79, 186, 191, 193, 205, 207, 210, 213, 215, 217, 282, 336, 425, 432, 439, 472 Leisnig 141 Liebenwerda 78 f. Liegnitz 79
ORTSREGISTER
508 Löwen 337 London 224, 382, 405, 438, 442, 446, 450–452, 457–459 Mailand 413, 447 Mainberg 58, 70, 151 Mainz 106, 125, 190, 194, 203, 282, 351, 354 f., 358 f. Magdeburg 69, 83, 105, 272 Mannheim 371 f. Marburg 341 Maßfeld 58 Meiningen 13, 68, 70, 183, 262, 272, 275, 322, 385, 409, 425, 436–439, 448, 452 f., 457–459, 464–468 Meißen 78, 86, 143 Melbourne 462 Merseburg 95, 135, 470 Metz 448 Meuselwitz 207, 214 Moskau 438, 453, 460 f. Mühlberg an der Elbe 11 Mühlhausen 40, 42, 313, 361, 477 München 332, 432 f. Naumburg 80, 86, 91, 134, 313 Neapel 368 Neuenburg am Rhein 474 Neuenfelden am Rhein 162 Neustadt an der Orla 141, 313 Nohra 273 Nördlingen 161, 196 Nordhausen 425, 477 Nürnberg 70, 108, 112 f., 114 f., 119, 194, 343, 414, 471 Oberschwarzach 157 Ochsenfurt 151 Odense 465 Odessa 438, 460 f. Orlamünde 128, 141
Oschatz 73, 78 f. Oxford 340 Paris 205 f., 208, 210 f., 216–219, 337, 353, 357 f., 419, 448, 462 Pavia 338 Pößneck 141, 313 Prag 63, 109, 419, 454 f., 474 Regensburg 63, 205 Reinhardsbrunn 103, 387 f., 390 f., 394 Rheinfelden 161 Römhild 16, 192 Rom 63 f., 357, 364, 368, 370, 437, 447 Ronneburg 127 Rosenau 388, 390 Rostock 208, 340 Rotterdam 456, 462 Rudolstadt 276 Saalfeld 23, 113, 141, 161, 263, 472, 477 f. Sagan 79 Salurn 64 Salzungen 98, 134 Schlemmin 208 Schleusingen 58 f., 69, 313 Schmalkalden 64, 118 Schneeberg 40, 76–78, 80, 470, 472 Schweinfurt 58, 119, 156 Schweinitz 85 Senftenberg 80 Sievershausen 25 Sinsheim 190 Sondershausen 479 Speyer 105–107, 110–114 Spremberg 79 Sprottau 79 Stade 340 St. Petersburg 220, 224, 260, 374 f., 438, 447, 450 f., 453, 461
ORTSREGISTER
St. Gotthard 187 Stedten 359 Stettin 472 Stockholm 438, 465 f. Straßburg 65, 111, 190, 208, 213, 438, 442, 448 Stuttgart 360 f., 363 Suhl 198, 479 Sundhausen 135 f. Tenneberg 98, 135–137, 140 Themar 58 Tiefurt 405, 409 Torgau 10, 75, 78 f., 84, 93, 97, 101, 130, 135, 143, 306 Trier 106 Triest 438, 454 f. Tübingen 335, 360 f. Turin 216 Ulm 111 Utrecht 456
509 Weimar 10–13, 26 f., 29 f., 41 f., 49, 62, 65, 82, 90, 97, 107–109, 126–132, 148, 151 f., 159, 166–169, 173, 175 f., 179 f., 188, 191, 198–200, 204, 226 f., 252 f., 261 f., 267, 270–273, 279, 281, 286, 288, 291, 297 f., 306, 310, 312 f., 315 f., 319–322, 325–327, 329, 349, 351–353, 358–364, 366–376, 383, 385, 386, 391, 395, 399 f., 402, 405, 409, 418, 425–438, 470, 474–476, 478 f. Weißenfels 80, 470 Wetzlar 203 Wien 25, 177, 193, 291, 432, 439–442, 448 f., 454 f., 473 Wiesbaden 203 Wilhelmshaven 272 Wittenberg 10, 24, 39 f., 81, 97, 99, 112, 123, 126, 130, 138, 141, 306, 315, 335–338, 384, 392, 414, 416 Wittenweier 161 Würzburg 146, 150 f., 153–156, 158, 161, 194 Wurzen 80, 85–87, 91
Venedig 63, 363 f., 414, 416, 418 f. Waltershausen 135 Warschau 460 f. Wasungen 58 Weida 141
Zeitz 470 Zella-Mehlis 479 Zinna 200 Zürich 119, 360, 428 Zwickau 74, 127, 470
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Dagmar BLAHA Abteilungsleiterin für ältere Bestände (940–1920) im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar Michael CHIZZALI, Dr. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena (DFG-Eigene Stelle) Alfred ERCK, Prof. Dr. Hochschullehrer a. D., Meiningen Stefan GERBER, PD Dr. Forschungsstelle für Neuere Regionalgeschichte Thüringens an der FriedrichSchiller-Universität Jena Werner GREILING, Prof. Dr. Professor für Geschichte der Neuzeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Hans-Werner HAHN, Prof. Dr. Professor em. für Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts an der FriedrichSchiller-Universität Jena Oliver HEYN, Dr. Militär- und Frühneuzeithistoriker, Meißen Marko KREUTZMANN, Dr. Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München Klaus MANGER, Prof. Dr. Lehrstuhlinhaber von 1992–2012 für Neuere deutsche Literatur an der FriedrichSchiller-Universität Jean, seit 2007 Projektleiter der historisch-kritischen WielandEdition (Oßmannstedter Ausgabe), seit 2015 Mitprojektleiter des Akademieprojekts „Propyläen. Forschungsplattform zu Goethes Biographica“ Johannes MÖTSCH, Dr. Archivdirektor a. D., Meiningen
VERZEICHNIS DER AUTORINNEN UND AUTOREN
511
Gerhard MÜLLER, Dr. Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Akademienprojekt „Ernst Haeckel (1834– 1919): Briefedition“ am Ernst-Haeckel-Haus der Friedrich-Schiller-Universität Jena Doreen von OERTZEN BECKER Stipendiatin im Forschungsprojekt „Thüringen im Jahrhundert der Reformation“ an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Thomas PESTER, Dr. Mitarbeiter im Universitätsarchiv Jena Bernhard POST, Dr. Direktor des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar Alexander QUERENGÄSSER Freiberuflicher Historiker, Leipzig Bärbel RASCHKE, Dr. Germanistin und Kulturwissenschaftlerin, Leipzig Martin SALESCH, Dr. Leiter der Museen und Besucherinformation der Stiftung Stift Neuzelle Uwe SCHIRMER, Prof. Dr. Professor für Thüringische Landesgeschichte an der Friedrich-SchillerUniversität Jena Georg SCHMIDT, Prof. Dr. Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Friedrich-SchillerUniversität Jena Hannelore SCHNEIDER, Dr. Leiterin des Landeskirchenarchivs Eisenach Axel SCHRÖTER, Dr. phil. habil. Akademischer Rat/Universitätslektor am Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik der Universität Bremen Wolfgang STEGUWEIT, Dr. stellv. Direktor i. R. des Münzkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin
512
VERZEICHNIS DER AUTORINNEN UND AUTOREN
Helmut G. WALTHER, Prof. Dr. Professor em. für Mittelalterliche Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Siegrid WESTPHAL, Prof. Dr. Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit & zurzeit Direktorin des Interdisziplinären Instituts für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Osnabrückbbildungsnachweis
VERÖFFENTLICHUNGEN DER HISTORISCHEN KOMMISSION FÜR THÜRINGEN NEUE FOLGE. KLEINE REIHE HERAUSGEGEBEN VON WERNER GREILING
EINE AUSWAHL
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2011. 304 S. 88 S/W-ABB. GB. ISBN 978-3-412-20645-1
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WETTINISCHER LANDESHERRSCHAFT
KEN. GB. | ISBN 978-3-412-21071-7
2012. IV, 278 S. 43 S/W-ABB. UND EINE FARB. KT. GB. | ISBN 978-3-412-20776-2
BD. 40 | RUTH SCHILLING JOHANN FRIEDRICH GLASER (1707–1789)
BD. 34 | REINHARD HAHN
SCHARFRICHTERSOHN UND
GESCHICHTE DER MITTELALTERLICHEN
STADTPHYSIKUS IN SUHL
DEUTSCHEN LITERATUR THÜRINGENS
2015. 279 S. 15 S/W-ABB. UND 2 KT.
2012. VIII, 425 S. GB.
GB. | ISBN 978-3-412-22141-6
ISBN 978-3-412-20926-1 BD. 41 | CHRISTIAN HAIN BD. 36 | KERSTIN VOGEL
DAS FALKSCHE INSTITUT IN WEIMAR
CARL HEINRICH FERDINAND
FÜRSORGE UND GESCHLECHT
STREICHHAN
IM 19. JAHRHUNDERT
ARCHITEKT UND OBERBAUDIREKTOR IN
2015. 507 S. 4 S/W-ABB. GB.
SACHSEN-WEIMAR-EISENACH 1848–1884
ISBN 978-3-412-22285-7
2013. 365 S. 60 S/W-ABB. GB.
TR806
ISBN 978-3-412-20955-1
böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar
VERÖFFENTLICHUNGEN DER HISTORISCHEN KOMMISSION FÜR THÜRINGEN NEUE FOLGE. KLEINE REIHE BD. 42 | MANFRED STRAUBE
BD. 47 | OLIVER HEYN
GELEITWESEN UND WARENVERKEHR
DAS MILITÄR DES FÜRSTENTUMS
IM THÜRINGISCH-SÄCHSISCHEN RAUM
SACHSEN-HILDBURGHAUSEN
ZU BEGINN DER FRÜHEN NEUZEIT
1680–1806
2015. 1095 S. ZAHLR. TAB. UND 2 KT. GB.
2015. 488 S. 10 S/W-ABB. 20 TAB. UND
ISBN 978-3-412-22343-4
24 GRAFIKEN. GB. ISBN 978-3-412-50154-9
BD. 43 | HORST SCHRÖPFER SCHACK HERMANN EWALD (1745–1822)
BD. 48 | HANS-WERNER HAHN,
EIN KANTIANER IN DER THÜRINGISCHEN
DIRK OSCHMANN (HG.)
RESIDENZSTADT GOTHA
GUSTAV FREYTAG (1816–1895)
2015. 435 S. GB.
LITERAT – PUBLIZIST – HISTORIKER
ISBN 978-3-412-22346-5
2016. 295 S. GB. | ISBN 978-3-412-50368-0
BD. 44 | JÜRGEN JOHN
BD. 49 | SANDRA SALOMO
DER THÜRINGER LANDES- UND
DIE ÖKONOMIE DES KNAPPEN GELDES
MINISTERPRÄSIDENT RUDOLF PAUL
STUDENTISCHE SCHULDEN IN JENA
1945 BIS 1947
1770–1830
DARSTELLUNG UND EDITION
2016. 437 S. GB. | ISBN 978-3-412-50371-0
2016. CA. 512 S. CA. 50 S/W-ABB. MIT CDROM. GB. | ISBN 978-3-412-10995-0
BD. 50 | WERNER GREILING, GERHARD
BD. 45 | ULRIKE LÖTZSCH
DIE ERNESTINER
JOACHIM GEORG DARJES (1714–1791)
POLITIK, KULTUR UND GESELLSCHAFT-
DER KAMERALIST ALS SCHUL- UND
LICHER WANDEL
MÜLLER, UWE SCHIRMER (HG.)
GESELLSCHAFTSREFORMER
2016. 512 S. 7 S/W- UND 31 FARB. ABB.
2016. 372 S. GB. | ISBN 978-3-412-50149-5
GB. | ISBN 978-3-412-50402-1
BD. 46 | MAREN GOLTZ, WERNER
BD. 51 | MATTHIAS EIFLER
GREILING, JOHANNES MÖTSCH (HG.)
DIE BIBLIOTHEK DES ERFURTER
HERZOG GEORG II. VON SACHSEN-
PETERSKLOSTERS IM SPÄTEN
MEININGEN (1826–1914)
MITTELALTER
KULTUR ALS BEHAUPTUNGS-
BUCHKULTUR UND LITERATURREZEP-
STRATEGIE?
TION IM KONTEXT DER BURSFELDER
2015. 550 S. 72 S/W- UND 19 FARB. ABB.
KLOSTERREFORM
AUF 17 TAF. GB. | ISBN 978-3-412-50151-8
2016. CA. 1200 S. CA. 208 S/W-ABB. GB.
TR806
ISBN 978-3-412-50558-5
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VERÖFFENTLICHUNGEN DER HISTORISCHEN KOMMISSION FÜR THÜRINGEN NEUE FOLGE. GROSSE REIHE HERAUSGEGEBEN VON WERNER GREILING
EINE AUSWAHL
BD. 18 | GÜNTHER WÖLFING (HG.) DAS PRÄMONSTRATENSERKLOSTER
BD. 13 | JOHANNES MÖTSCH (HG.)
VESSRA
REGESTEN DES ARCHIVS DER GRAFEN
URKUNDENREGESTEN 1130–1573.
VON HENNEBERG-RÖMHILD
MIT EINEM VERZEICHNIS DER WEITEREN
2006. 2 TEILBDE. ZUS. XIV, 1717 S. GB.
ARCHIVALISCHEN QUELLEN
ISBN 978-3-412-35905-8
2010. 776 S. 24 S/W-ABB. AUF 4 TAF. GB. ISBN 978-3-412-20445-7
BD. 14 | VOLKER WAHL (HG.) HENRY VAN DE VELDE IN WEIMAR
BD. 19 | MARIE BEGAS
DOKUMENTE UND BERICHTE ZUR
TAGEBUCH ZUM KIRCHENKAMPF
FÖRDERUNG VON KUNSTHANDWERK
IN THÜRINGEN 1933–1938
UND INDUSTRIE (1902 BIS 1915)
HG. VON HEINZ-WERNER KOCH UND
2007. VI, 532 S. 34 S/W-ABB. AUF 16 TAF.
FOLKERT RICKERS
GB. | ISBN 978-3-412-01306-6
2016. CA. 1168 S. CA. 22 S/W-ABB. AUF TAF.
BD. 15 | VOLKER WAHL (HG.)
CD-ROM. GB. | ISBN 978-3-412-20661-1
UND EINEM DOKUMENTENANHANG AUF DAS STAATLICHE BAUHAUS IN WEIMAR DOKUMENTE ZUR GESCHICHTE
BD. 20 | HERBERT KÜHNERT
DES INSTITUTS 1919–1926
FORSCHUNGEN ZUR
2009. VI, 820 S. 36 S/W-ABB. AUF 32 TAF.
GESCHICHTE DES JENAER GLASWERKS
BEGLEITBD. AUF CD-ROM. GB.
SCHOTT & GENOSSEN
ISBN 978-3-412-20170-8
AUS DEM NACHLASS HERAUSGEGEBEN VON VOLKER WAHL UNTER MITARBEIT
BD. 16 | FRIEDHELM TROMM
VON VERA FASSHAUER, UTE LEONHARDT
DIE ERFURTER CHRONIK DES
UND ERNST WERNER
JOHANNES WELLENDORF (UM 1590)
2012. 511 S. 6 S/W-ABB. MIT CD-ROM. GB.
EDITION – KOMMENTAR – UNTERSUCHUNG
ISBN 978-3-412-20910-0
2013. LXII, 911 S. 1 S/W-ABB. 1 FARB. KT. AUF VORSATZ. GB.
BD. 21 | CHRISTIAN LOEFKE (HG.)
ISBN 978-3-412-20230-9
DAS MITTELALTERLICHE TOTENBUCH DER MÜHLHÄUSER FRANZISKANER
BD. 17 | JACOB SIMON
EDITION UND KOMMENTAR
EIN JÜDISCHES LEBEN IN THÜRINGEN
2016. CA. 244 S. CA. 50 FARB. ABB. GB.
LEBENSERINNERUNGEN BIS 1930
ISBN 978-3-412-22532-2
HG. VON JOHANNES MÖTSCH UND KATHARINA WITTER 2009. VII, 306 S. 8 S/W-ABB. AUF 6 TAF.
TT093
GB. | ISBN 978-3-412-20382-5
böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar
QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZU THÜRINGEN IM ZEITALTER DER REFORMATION HERAUSGEGEBEN VON WERNER GREILING UND UWE SCHIRMER BD. 1
BD. 4
JOACHIM EMIG, VOLKER LEPPIN,
WERNER GREILING, ARMIN KOHNLE,
UWE SCHIRMER (HG.)
UWE SCHIRMER (HG.)
VOR- UND FRÜHREFORMATION
NEGATIVE IMPLIKATIONEN DER
IN THÜRINGISCHEN STÄDTEN
REFORMATION?
(1470–1525/30)
GESELLSCHAFTLICHE TRANSFORMA-
2013. XII, 482 S. 16 S/W-ABB. GB.
TIONSPROZESSE 1470–1620
ISBN 978-3-412-20921-6
2015. 439 S. 27 S/W- UND 7 FARB. ABB. GB. | ISBN 978-3-412-50153-2
BD. 2 ECKHARD BERNSTEIN
BD. 5
MUTIANUS RUFUS UND SEIN
WERNER GREILING, HOLGER BÖNING,
HUMANISTISCHER FREUNDESKREIS
UWE SCHIRMER (HG.)
IN GOTHA
LUTHER ALS VORKÄMPFER?
2014. 429 S. GB. | ISBN 978-3-412-22342-7
REFORMATION, VOLKSAUFKLÄRUNG UND ERINNERUNGSKULTUR UM 1800
BD. 3
2016. CA. 400 S. CA. 20 S/W-ABB. GB.
WERNER GREILING, UWE SCHIRMER,
ISBN 978-3-412-50556-1
RONNY SCHWALBE (HG.) DER ALTAR VON LUCAS CRANACH D.Ä. IN NEUSTADT AN DER ORLA UND DIE KIRCHENVERHÄLTNISSE IM ZEITALTER DER REFORMATION 2014. 527 S. 93 S/W- UND 63 FARB. ABB. GB. | ISBN 978-3-412-22341-0
böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar
VOLKER WAHL (HG.)
DAS GEHEIME CONSILIUM VON SACHSEN-WEIMAR-EISENACH IN GOETHES ERSTEM WEIMARER JAHRZEHNT 1776–1786 REGESTAUSGABE. ERSTER HALBBAND 1776–1780. ZWEITER HALBBAND 1781–1786
In dieser Edition werden annähernd 20 500 Geschäftsvorfälle aus Politik und Verwaltung, die zwischen 1776 und 1786 in 761 Sessionen des Geheimen Consiliums von Sachsen-Weimar-Eisenach verhandelt wurden, in Regestform dokumentiert. Johann Wolfgang Goethe nahm als Mitglied dieses Ratskollegiums an etwa zwei Dritteln der Sitzungen aktiv teil. Sie umfassen Angelegenheiten des Fürstenhauses und der auswärtigen Beziehungen, Militär- und Universitätssachen, Vorgänge in Justiz und Verwaltung, Angelegenheiten des Finanz-, Forst- und Bauwesens, geistliche und Schulangelegenheiten, Steuersachen und Angelegenheiten der Landstände, nicht zuletzt Beamten- und Gnadensachen: mithin das gesamte Panorama der Staatsverwaltung unter Goethes Mitarbeit. BEARBEITET VON UWE JENS WANDEL UND VOLKER WAHL 2014. 1386 S. IN 2 TEILBD. 36 FARB. ABB. MIT EINER CD-ROM. GB. 190 X 260 MM. ISBN 978-3-412-22334-2
böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar
OK ! AU CH ALS eBO
MICHAEL MAURER
JOHANN GOTTFRIED HERDER LEBEN UND WERK
Johann Gottfried Herder (1744–1803) suchte seine Spur zu hinterlassen: im praktischen Leben als Familienvater, Prediger und Pädagoge; auf theoretischem Gebiet durch eine Vielzahl von grundlegenden Schriften. Doch im Vergleich mit Goethe und Schiller ist Herder der unbekannte Klassiker. Die neue Biografie über den oft vergessenen Dichter und Denker schafft ihm den gebührenden Platz im Bewusstsein unserer Zeit. Pointiert und anschaulich folgt der Biograf den wichtigen Stationen im Leben und Schaffen Herders und vermittelt verständlich die Grundlagen seiner aufgeklärten Kulturphilosophie. Herders von Humanität geprägtes Denken hat auch im 21. Jahrhundert nicht an Aktualität verloren. Dieser Titel liegt auch für eReader, iPad und Kindle vor. Registereinträge und Weblinks sind in diesem zitierfähigen E-Book interaktiv. 2014. 195 S. 4 S/W- UND 8 FARB. ABB. FRANZ. BR. 135 X 230 MM ISBN 978-3-412-22344-1 [BUCH] | ISBN 978-3-412-21816-4 [E-BOOK]
böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar
SIEGRID WESTPHAL, HANS-WERNER HAHN, GEORG SCHMIDT (HG.)
DIE WELT DER ERNESTINER EIN LESEBUCH
Sie sind die Ahnherren der Queen, von Juan Carlos I. von Spanien und Beatrix der Niederlande. Die Ernestiner gehörten zu den bedeutendsten Fürstengeschlechtern in Europa und beeinflussten das politische, höfische und kulturelle Leben vom Spätmittelalter bis ins 18. und 19. Jahrhundert. Das Lesebuch führt in die Welt der Ernestiner ein und regt an, über die Rolle dieser Dynastie in der deutschen und europäischen Geschichte nachzudenken. Die Ernestiner haben Deutschland und Europa nicht mit Kriegen, sondern nachhaltig mit kulturellen Initiativen geprägt. Trotz des Verlustes der Kurwürde in der Mitte des 16. Jahrhunderts verstanden sie es, sich als eine führende protestantische Dynastie zu behaupten. Sie sind Ahnherren der Reformation, Schirmherren der »Klassik« in Weimar und Jena und stellten etliche europäische Monarchen des 19. Jahrhunderts. Ihre mehr als 500jährige Geschichte zeigt, dass eine mindermächtige und weitverzweigte Dynastie unter dem Schutz von Kaiser und Reich ausgesprochen erfolgreich sein konnte. 2016. 389 S. 7 S/W-ABB. BR. 155 X 230 MM. | ISBN 978-3-412-50522-6
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