134 84 15MB
German Pages 143 Year 1976
WERNER MÜNCHBACH
Regrefikonstruktionen in Schadensfällen
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 26
Regrefikonstruktionen in Schadensfällen Inhalt und Abgrenzung des§ 255 BGB zur Gesamtschuld
Von
Dr. W erner Münchbach
DUNCKER &
HUMBLOT I BERLIN
Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1976 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany
© 1976 Duncker
ISBN 3 428 03542 9
Inhaltsverzeichnis EINFÜHRUNG § 1 Wegweisende Problemanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
ERSTES KAPITEL
Die Entwicklungsgeschichte des § 255 BGB in systematisch kritischer Sicht § 2 Geschichtliches aus dem römischen und gemeinen Recht
16
I. Die Zielsetzung des geschichtlichen Rückblicks . . . . . . . . . . . . . .
16
II. Vorläufer des § 255 BGB im gemeinen und römischen Recht . .
17
III. Die Gesamtschuld im gemeinen und römischen Recht . . . . . . . . 20 1. Die Frage des Regresses von Savigny bis Windscheid . . . . 20 2. Das römischrechtliche Erbe der Gesamtschuld - Schlüssel für die Regreßlosigkeit im gemeinen Recht . . . . . . . . . . . . . . 21 IV. Die Lehre aus der Gegenüberstellung der geschichtlichen Ursprünge beider Figuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines
23 23 23
2. Die Gesamtschuld, - zentrales Regreßinstitut des BGB . . 3. Die Gesamtschuldnormierung als Weiterentwicklung von Regreßhilfskonstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
V. Die Motive zu § 255 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
§ 3 Die Fehlentwicklung des § 255 BGB bis zur Generalregreßnorm . .
29
A. Die erste Stufe -
Die Ausweitung des § 255 BGB zur Regreßnorm . .
30
I. Die "unechte Gesamtschuld" - Vehikel der Fehlentwicklung des § 255 BGB zur Regreßnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Der Pyrrhussieg des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
2. Die Angst vor dem falschen Regreß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 3. Der Zwang zur Schließung der Regreßlücke durch Ausdehnung des § 255 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
Inhaltsverzeichnis
6
II. Die Schwierigkeiten, § 255 BGB zur Regreßnorm beim Schadensersatz umzuinterpretieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Die Bestimmung der Regreßrichtung aus dem Wortlaut des § 255 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
2. § 255 BGB -
Modell nur einseitiger Tilgung . . . . . . . . . . . . . .
39
3. Die folgenlose Meinungsänderung Oertmanns . . . . . . . . . . . .
41
B. Die zweite Stufe - § 255 BGB, die Generalregreßnorm des BGB oder die Lehre Selbs und Nachfolger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
I. Die Gesamtschuld -
Forderungen?
Erfüllungsgemeinschaft gleichstufiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
1. Das Kriterium "Erfüllungsgemeinschaft" . . . . . . . . . . . . . . . .
45
2. Das Kriterium "Gleichstufigkeit" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
II. Verschiedenstufigkeit bei § 255 BGB -
eine externe Wertung?
49
1. Die Ursprünge stufender Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
2. Selbs Unterscheidungskriterium -
ein Phantom? . . . . . . . .
51
3. § 255 BGB -
gesetzliche Stütze der Lehre Selbs? . . . . . . . .
56
4. Eine Meinungsänderung Selbs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
§ 4 § 255 BGB als Regreßvorschrift in der höchstrichterlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
II. Die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . .
62
III. Die Wende und Rückbesinnung in der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
ZWEITES KAPITEL
Inhaltliche Erfassung und systematische Einordnung des§ 255 BGB 1. Abschnitt
Die Basis: Die Gesamtschuld als zentrales Regreßsystem § 5 Die Bedeutung der Gesamtschuldproblematik für die Auslegung des § 255 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
§ 6 Der dreigliedrige Gesamtschuldbegriff, insbes.o ndere die Schutzzweckgesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
I. Die drei Typen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
Inhaltsverzeichnis
7
II. Die Zwecke im Schuldverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
1. Die Zwecke der Erwerbsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Abwicklungszwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72 73
III. Gleichgründige Gesamtschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
..................................
74
V. Schutzanspruch und Schutzzweckgesamtschuld . . . . . . . . . . . . . .
74
IV. Sicherungsgesamtschulden
74 2. Die Schutzzweckgesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3. Fallgruppen der Schutzzweckgesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . . 77 4. Die Bandbreite der Schutzzweckgesamtschuld . . . . . . . . . . . . 79 1. Der Schutzanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Abschnitt Inhalt und Rechtsfolgen des § 255 BGB § 7 Der Inhalt des § 255 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
I. § 255 BGB - Funktion der Verpflichtung zur vollen Ersatzleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
..............................
85
II. Interpretative Einschränkung
III. Der Inhalt des § 255 BGB in seinem Kernbereich - Die doppelte Bedeutung der Vorschrift im Dreiecksverhältnis . . . . . . . . 87 IV. § 255 BGB - eine Vorschrift über den Regreß beim Schadensersatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Die unterschiedlichen Strukturen eines Ausgleichs- und
Regreßmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Grundausstattung einer Regreßvorschrift . . . . . . . . . . . . 3. Abtretungsrichtung und Wertung bei § 255 BGB . . . . . . . . . . 4. Die Umkehrung der Verantwortung- Prüfstein der Funktion des § 255 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91, 92 93
V. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
VI. Der Verlust eines Rechtes bei § 255 BGB
95
98
VII. Die analoge Anwendung des § 255 BGB - Herausgabe entwerteter Reste als Korrelat vollen Schadensersatzes . . . . . . . . . . 101 bei Entwertung von Sachen
101
2. -bei Entwertung von Rechten
102
1. -
VIII. Grenzfälle analoger Anwendung des § 255 BGB . . . . . . . . . . . . . . 102
8
Inhaltsverzeichnis
§ 8 Umfang und Rechtsfolgen der Abtretungspflicht aus § 255 BGB
106
I. Die Wirkung der AnsprUchsabtretung . .. ................ . .... 106
II. Die bei § 255 BGB abzutretenden Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1. Der dingliche Herausgabeanspruc.il und Besitzansprüche . . 109 2. Obligatorische Herausgabeansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 3. Schadensersatzansprüche auf Herausgabe ............... . 111
4. Die Rechte des Gläubigers aus §§ 250, 251 BGB - Grenze der Anwendbarkeit des § 255 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 111. Die Rechtsfolge bei Wiedererlangung der entzogenen Sache . . 113
3. Abschnitt
Die Abgrenzung zur Gesamtschuld § 9 Das Verhältnis der §§ 255- 421 ff. BGB zueinander
117
I. Gründe der Auslagerung des § 255 BGB aus der Gesamtschuldregelung .......................... . ................. . . .. .... 117 1. Die gesetzgeberischen Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
2. Die Funktion der Gesamtschuld in Gegenüberstellung zu § 255 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 3. Die Unanwendbarkeit der §§ 422, 426 BGB auf Herausgabeansprüche ................................................ 119 li. Das Verhältnis der §§ 255-421 ff. BGB: Spezialität oder Regelung eines Aliud? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 111. Die Anwendung der §§ 421 ff. neben § 255 BGB . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Die Aussage vom totalen gegenseitigen Ausschluß ........ 123 2. Das Ineinandergreifen beider Abwicklungsmodelle . . . . . . . . 124 3. Die Unabhängigkeit beider Abwicklungsmodelle voneinander ............... . ...... ................................. 125 § 10 Die Einordnung der Anspruchskonkurrenz: Schadensersatz-Surrogatansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
I. Die Grenzproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 II. Die bahnbrechende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs . . 129 III. Die Leistungsfähigkeit der Gesamtschuldlösung . . . . . . . . . . . . . . 131 1. Die Fortentwicklung des Beispielfalles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Die Abwandlung des Beispielfalles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 3. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
Inhaltsverzeichnis IV. Irrwege als Folge einer Grenzverwischung
9
134
V. Das Verbot der Anwendung der§§ 280, 281 BGB auf den Herausgabeanspruch bei § 255 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 SCHLUSSBEMERKUNG
137
SCHRIFTTUMSVERZEICHNIS
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Abkürzungsverzeichnis Paragraphen des BGB werden ohne Gesetzesangabe zitiert. a.A. aaO. AcP Allg. SehR Alt. ALR Anm. Arch. Bürgl. R. BAG Basil. BayObLG Beil. BGB BGH BGHZ
c.
Code
D. Diss. DJZ DNotZ DR EI
EII Fn. GoA GrünhutsZ GS HaftpflG HGB h.M. JA
anderer Ansicht am angegebenen Ort Archiv für civilistische Praxis Allgemeines Schuldrecht Alternative Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794. Anmerkung Archiv für Bürgerliches Recht Bundesarbeitsgericht Basiliken Bayrisches Oberstes Landesgericht Beilage Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. 8. 1896 Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Codex Iustinianus Code Civil, - Französisches Zivilgesetzbuch von 1804 Digesta Iustiniani Dissertation Deutsche Juristenzeitung Deutsche Notarzeitschrift Deutsches Recht (Fortf. der Juristischen Wochenschrift) Entwurf I zum BGB Entwurf II zum BGB F ußnote (paragraphenweise durchnummeriert) Geschäftsführung ohne Auftrag, im Sinne der §§ 677 687 BGB Zeitschrift für das Privat- und Öffentliche Recht der Gegenwart, begr. v. Grünhut Großer Senat Reichshaftpflichtgesetz vom 7. 6. 1871 Handelsgesetzbuch herrschende Meinung Juristische Arbeitsblätter
11
JherJb JR JUS JW JZ Karlsruher Forum KLB KritvjSchr I. LM
LohnfortZG NJW m . w.N. OR pr. Prot. RdSchV RG RGZ RheinZ Rn. ROHG RPrR Schol. SehR SchRAT SR st. Rspr. StVG VA VerkR VersR VVG ZAkDR ZR
Abkürzungsverzeichnis Jherings Jahrbücher der Dogmatik des bürgerlichen Rechts Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Beiheft zur Zeitschrift "Versicherungsrecht" Kurzlehrbuch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft lex Lindenmaier-Möhring, Nachschlagwerk des Bundesgerichtshofs Lohnfortzahlungsgesetz vom 27. 7. 1969 Neue Juristische Wochenschrift mit weiteren Nachweisen Obligationenrecht Principium Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des BGB Recht der Schuldverhältnisse Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozeßrecht Randnummer Reichsoberhandelsgericht Römisches Privatrecht Scholien Schuldrecht Schuldrecht, Allgemeiner Teil Sachenrecht ständige Rechtsprechung Straßenverkehrsgesetz vom 19. 12. 1952 Vorteilsausgleichung Verkehrsrechtliche Rundschau Versicherungsrecht, Juristische Rundschau für die Individual Versicherung Gesetz über den Versicherungsvertrag vom 30. 5. 1908 Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Zivilrechtliche Abteilung der Zeitschrift Juristische Arbeitsblätter
Einführung § 1 Wegweisende Problemanalyse
Voller Schadensersatz trotz Fortbestand der entzogenen Sache oder des Rechts, - dieser über die schadensrechtliche Differenzhypothese hinausgehende Satz ist im BGB nirgendwo ausgeschrieben. Er ist gleichwohl in § 255 BGB mitgedacht und - gepaart mit der These, daß die von ihm geprägte Abwicklung des durch Sach- oder Rechtsverlust eröffneten Dreiecksverhältnisses von jeder Wertung abstrahiert-, Schlüssel für eine treffende Erfassung und Einordnung dieser langezeit grundlegend mißverstandenen Norm. Die Auslegung des§ 255 BGB war tief verstrickt in die mannigfachen Irrwege, welche die Regreßproblematik beim Schadensrecht von Savigny bis heute genommen hat. Als folgenschwere Fehlentwicklung sind daraus unter der Herrschaft des BGB die "unechte Gesamtschuld" als mindere, regreßlose Abart der "echten" Spezies und aus der Not, den vermeintlich fehlenden Regreßweg zu gewährleisten, eine Ausdehnung und Denaturierung des § 255 BGB zu einer durch Wertungen ausgefüllten Regreßvorschrift bei konkurrierenden Schadensersatzpflichten hervorgegangen. Die vorliegende Untersuchung setzt sich zum Ziele - nachdem durch die begriffliche Erfassung der Gesamtschuld in drei Typen1 im hier betroffenen Bereich der Schadensgesamtschulden die Konturen zurechtgerückt wurden - Ursache und Wirkung der Ausweitung des § 255 BGB bis zur Generalregreßnorm zu analysier en , um diese Vorschrift dann aus einer Erfassung ihres Gehalts auf den ihr gemäßen, gesetzlich zugeordneten Anwendungsbereich zurückzuführen. Die Fehlentwicklung des § 255 BGB ist aufs Engste mit der des Gesamtschuldbegriffes verbunden und findet mit diesem ihre gemeinsame Wurzel im römischen und gemeinen Recht. Aus der unzulänglichen systematischen Durchdringung der r ömischrechtlichen Anfänge der Gesamtschuld resultiert noch im gem einen Recht das von S avigny 2 treffend erkannte F ehlen des Regresses, einer notwendigen, der Haftung mehrerer Schädiger aufs Ganze entsprechenden Ausgleichsnormierung. Zur Abhilfe und Vermeidung des ungerecht erscheinenden Ergebnisses dienten Regreßhilfskonstruktionen wie etwa die cessio legi1 2
Ehmann, Die Gesamtschuld, 1972. Obligationenrecht I, § 23, S. 226/227.
Einführung
14
tima. Die Väter des BGB glaubten, diesen offenkundigen Mangel durch die Zuordnung einer voraussetzungslosen Regreßnorm zur Gesamtschuldregelung beheben zu können - doch weit gefehlt - , Wissenschaft und Rechtsprechung ergriffen aus Angst und Unverständnis die gebotene Chance nicht, retteten vielmehr entgegen dem erklärten gesetzgeberischen Willen mit der "unechten Gesamtschuld" die regreßlose Gesamtschuld des gemeinen Rechts in den Geltungsbereich des BGB hinüber. Doch damit drängte das gleiche Problem, vor welches sich Savigny 2 einst gestellt sah, eine Legitimation für den als notwendig erkannten, von Gesetzes wegen vermeintlich versagten Regreß zu finden. § 255 BGB bot sich als Retter in der Not, als Regreßhilfskonstruktion geradezu an und wurde eingestandenermaßen zunächst auch als Lückenfüller begriffen. Unschwer ließ sich der Verlust einer Sache bei einer dem Wortlaut verhafteten Auslegung als deren endgültiger Untergang begreifen, und schon gab § 255 BGB eine Aussage über die Abtretung eines der konkurrierenden Schadensersatzansprüche her. Ohne sich der Zufälligkeit des Ergebnisses bewußt zu werden, übernahm die höchstrichterliche Rechtsprechung bereitwillig den von der Wissenschaft vorgezeichneten Weg als flankierende Maßnahme zur "unechten Gesamtschuld". Trotz aller Unzulänglichkeiten bewies die Wortlautinterpretation des zur Regreßnorm erweiterten § 255 BGB, wonach die Abtretung stets nur an den Vertrags-, nicht dagegen an den Deliktsschuldner zu erfolgen hat, eine erstaunliche Durchsetzungskraft. Nicht recht verständlich aber mutet es an, wenn Selb 3 aus der Not eine Tugend macht und § 255 BGB durch Ausfüllung mit einer stufenden Wertung und unter Zurückdrängung der Gesamtschuld auf das gesetzlich unumgängliche Maß vom Lückenfüller zur Generalregreßnorm des BGB ausbaut. Zwar erschien auf der Entwicklungsstufe, die Savigny einst im gemeinen Recht vorfand, die cessio legitima in Ermangelung eines anderen Mittels noch durchaus sinnvoll. Um so mehr verwundert, daß die Übersteigerung des § 255 BGB zur zentralen Regreßvorschrift durch Selb 3 und seine Anhänger unter der Geltung des BGB und seiner Gesamtschuldnormierung vollzogen wurde, als der historisch rechtfertigende Anlaß - das Fehlen eines Gesamtschulclregresses -längst beseitigt war. Was sich bei einem kurzen Blick auf die Entwicklungsgeschichte schon mehr als nur erahnen läßt, wird bei systematischer Erfassung des § 255 BGB vollends zur Gewißheit werden. § 255 BGB enthält keine Wertung und verliert mit dieser Erkenntnis zwangsläufig jede Eignung als Regreßvorschrift. § 255 BGB ordnet unabhängig von Grund und Umständen der Ersatzpflicht stets nur die Abtretung von Herausgabeansprüchen bei Fortbestand der entzogenen Sache innerhalb der Drei3
Schadensbegriff und Regreßmethoden, 1963.
§ 1 Wegweisende Problemanalyse
15
ecksbeziehung an. Eine Regreßvorschrift aber, die sowohl im Außenwie im Innenverhältnis von Grund und Umständen der Ersatzpflicht, somit von jeder Wertung abstrahiert, ist schlechterdings undenkbar. Die Vorschrift des § 255 BGB bedarf deshalb einer Beschränkung auf ihren ursprünglichen und eigentlichen Anwendungsbereich, die Regelung der durch Zuerkennung vollen Schadensersatzes bei gleichzeitigem Fortbestand der Sache in der Dreiecksbeziehung veranlaßten risikoverlagernden Abwicklung. § 255 BGB gewinnt insoweit die Bedeutung einer eng begrenzten Ausgleichsnorm in einem Bereich, welchen die Gesamtschuld mit den Mitteln ihrer Rechtsfolgeanordnung nicht zu erfassen vermag. Sie öffnet die Schadensersatzforderung aufs Ganze trotz Fortbestand der Sache und verbindet die aus der Zahlung vollen Sachwertinteresses im Zweipersonenschuldverhältnis ErsatzgläubigerSchadensersatzschuldner folgende Notwendigkeit der Bereicherungsabschöpfung mit der das ganze Dreiecksverhältnis umgreifenden Funktion, den mit Sachentzug und voller Ersatzleistung gebotenen Ausgleich in der Person und auf das Risiko des Schadensersatzpflichtigen durch Rechtsübertragung zu vollziehen. § 255 BGB unterscheidet sich damit nach Voraussetzung und Wirkung grundlegend von einer Regreßvorschrift: er verlagert das Risiko der Wiedererlangung der entzogenen, im Dreiecksverhältnis physisch und rechtlich noch vorhandenen Sache, - eine Regreßnorm verteilt oder verlagert die Einstandspflicht für die Schließung einer Schadenslücke. Die Erfassung des Bedeutungsgehalts des § 255 BGB einerseits und die Typisierung der Gesamtschuld durch Ehmann 4 andererseits bieten die Grundlage für eine sachgerechte Einordnung von Grenzfällen und zuverlässige Abgrenzung beider Rechtsinstitute gegeneinander. Sollte es gelingen, die aus Entzug und Untergang von Sachen und Rechten folgenden Abwicklungsprobleme bei Mehrfachverpflichtung in leistungsfähigen Modellen transparent zu machen und zuverlässig gegeneinander abzugrenzen, so wäre wieder ein Schritt vollzogen, die Abwicklung von Schadensfällen in der Rechtswirklichkeit zu erleichtern. Die verbleibenden, im Tatsächlichen begründeten Schwierigkeiten sind groß genug, um wenigstens im rechtlichen Bereich unnötige zu vermeiden.
4 Die Gesamtschuld pen, 1972.
Versuch einer begrifflichen Erfassung in drei Ty-
Erstes Kapitel
Die Entwicklungsgeschichte des § 255 BGB in systematisch kritischer Sicht § 2 Geschichtliches aus dem römischen und gemeinen Recht I. Die Zielsetzung des geschiehtZiehen Rückblicks
Die hier untersuchte Vorschrift hat ihre Wurzel im römischen Recht. Das dem § 255 zugrunde liegende Prinzip der Anspruchsabtretung, es sei noch dahingestellt von Ansprüchen welcher Art, bei "Verlust" einer Sache oder eines Rechts ist in mannigfachen Quellenstellen1 bereits deutlich ausgeprägt. So wurde vor allem in der Anfangszeit nach dem Inkrafttreten des BGB, aber auch noch heute, zur Erfassung des Sinngehalts der Norm mit römischrechtlicher Überlieferung argumentiert. Gerade die ersten Darstellungen2 zum vorliegenden Problemkreis bauen auf eingehenden Untersuchungen des überkommenen Quellenmaterials auf. Auch die herrschende Meinung 3 , die in§ 255 eine Vorschrift über den Regreß zu finden glaubt, und sie auf die Abtretung von Schadensersatzansprüchen erstreckt, sucht eine Stütze im römischrechtlichen Herkommen. Oertmann4, der mit seiner Darstellung zu § 255 diese Rechtsentwicklung maßgeblich beeinflußt hat, führt hierzu wörtlich aus: "Auch soweit Ansprüche aus dem Eigentum auf Schadensersatz gerichtet sind (§§ 989 fg.) unterliegen sie der Abtretungspflicht .... Auch das bewährte Vorbild des römischen Rechtes spricht für das hier vertei1 Vgl. D. 6, 1, 69; D. 6, 1, 63; D. 6, 1, 47; D. 47, 2, 54, 3; D. 5, 3, 13, 14; D. 46, 3, 95, 9; D. 20, 6, 12, 1; D. 20, 4, 19. 2 Oertmann, VA, S. 256 ff.; Diss. Horn, 1906; Diss. Taucher, 1904. 3 Palandt I Danckelmann, 26. Aufl., § 255, 2; RGRK-Oegg, § 255, 1; Erman I Sirp, § 255, 2; Oertmann, VA, S. 282 ff.; Schollmeyer, § 255, 2 b; Fischer, S. 250; Larenz, SchRAT, § 32 I, S. 381; Esser, SehR, 2. Aufl., § 63, 7, S. 275; Esser, SchRAT, 4. Auf!., § 48 IV, S. 346; differenzierend: Staudinger I Werner, § 255, 1 a. Er schließt Schadensersatzfälle als Folge eines Eigentumsverlustes durch gutgläubigen Erwerb vom Anwendungsbereich des § 255 aus. A. A.: Planck I Siber, § 255, 2; Oertmann, Gierke Festschrift, S . 13; Rud. Schmidt, JherJb 72, 1 ff.; Leonhard, SehR I, S. 211/212; Zoll, S. 7 ff.; Thiele, JUS 68, 149 (153). Die Anhänger der Mindermeinung beschränken § 255 mehr oder weniger konsequent auf Aufgaben außerhalb der Konkurrenz von Schadensersatzansprüchen. 4 VA, S. 286/287.
II. Vorläufer des§ 255 BGB im gemeinen und römischen Recht
17
digte Ergebnis; auch dort bezog sich die Abtretungspflicht in gleicher Weise auf Eigentums- wie auf Deliktsklagen. Aber natürlich müssen es gerade Deliktsklagen wegen Verletzung des Eigentums, genauer des Eigentums an der Sache sein, ... ". Eine derartige Bezugnahme ist aber nur dann legitim, wenn ein Institut durch die Rechtsentwicklung anderer rechtstechnischer Instrumente nicht berührt wurde, nicht jedoch, wenn ein Teil seines früheren Geltungsbereichs durch parallel laufende Rechtsentwicklungen gleichsam überholt wurde. Ein solcher Vorgang wird hier bezüglich § 255, seiner entwicklungsgeschichtlichen Vorgänger und des angrenzenden Regreßinstituts Gesamtschuld behauptet. Nicht der Historie, sondern dem Nachweis eines "Vberholvorganges" dient die folgende Darstellung. Diese Zielsetzung macht es notwendig, die wesentlichen Züge der gemeinrechtlichen Rechtsauffassungen und der wichtigsten römischrechtlichen Quellen zum Rechtsgedanken des § 255 und der Gesamtschuld aufzuzeigen. Zumindest im letzteren Bereich kann für den hier verfolgten Zweck eine Beschränkung auf die Darstellungen in den wichtigsten Lehrbüchern5 des römischen Privatrechts erfolgen, da schon daraus die maßgeblichen Strukturen sichtbar werden6 •
11. Vorläufer des § 255 BGB im gemeinen und römischen Recht Die Pandektistik hat für das gemeine Recht auf der Grundlage noch näher aufzuzeigender Pandektenstellen im Falle der Inanspruchnahme für einen durch Dritte verursachten Verlust einer Sache ein allgemeines Prinzip aufgestellt, das sich bei Vangerow 1 so liest: "Wer jemandem zum Schadensersatz wegen abhanden gekommener oder beschädigter Sachen verpflichtet ist, kann die Abtretung der diese Sachen betreffenden Klagen verlangen."
Selb führt das Auftauchen dieses Satzes in der neueren Pandektistik in seiner jüngsten Abhandlung8 zum Themenkreis des § 255 zurück auf eine Monographie Mühlenbruchs mit dem Titel: "Die Lehre von der Cession der Forderungsrechte, nach den Grundsätzen des römischen Rechts dargestellt, 1817" 9 , wo soweit ersichtlich, erstmals eine generelle Aussage gemacht wird, losgelöst aus dem Zusammenhang einzelner Digestenstellen, die das Problem nur topisch, etwa bei der Leihe, s Jörs I Kunkel/ Wenger; Kaser. 6 Vgl. hierzu auch den Querschnitt bei Ehmann, § 1 111, B, 2 ff. 7 Pandekten 111, S. 574, Anm. 4, 4. 8 Selb, Larenz Festschrift, S. 517 ff. (526). 8 Carl Friedrich Mühlenbruch, Greifswald 1817. 2 Münchbach
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§ 2 Geschichtliches aus dem römischen und gemeinen Recht
dem Werkvertrag, der Verwahrung und Vindikation lösen. Dort heißt es -man erkennt die Übernahme durch Vangerow 10 - : "Wer Jemandem zum Schadensersatz wegen abhanden gekommener oder beschädigter Sachen verpflichtet ist, der kann verlangen, daß ihm die, diese Sachen betreffenden Klagen zur Entschädigung abgetreten werden." Noch die Autoren des Usus modernus11 hatten bei der Abtretungspflicht nur den dinglichen Herausgabeanspruch des Eigentümers gegen den Dritten vor Augen. Bereits bei den späteren Pandektisten 12 kommt diese Beschränkung auf Klagen, welche die Herausgabe einer noch existenten Sache zum Gegenstand haben, wohl mehr unbewußt als bewußt nicht mehr zum AusdruckP. Die Abtretungspflicht erstreckt sich nunmehr ganz allgemein auf Klagen jeglicher Art, auch soweit sie auf Ersatzleistung für Substanzverlust, etwa gegen den Dieb gerichtet sind. Der Satz von Vangerow gewinnt damit die Bedeutung einer allgemeinen Vorschrift über den Regreß. Das kam nicht von ungefähr, denn viele Quellenstellen sprechen einfach von der Abtretung des oder der Ansprüche, ohne ihre Rechtsnatur näher zu bezeichnen. Zu nennen sind etwa: D. 6, 1, 63
"actione sua cedat"
D. 47, 2,54,3 "actione ei cedit" "actionibus suis cedat" D. 11, 3, 14, 9 "cedere ... actionibus" D. 42, 1, 12 "actionibus suis ... cedat" etc. D. 6, 1, 21
Im nachklassischen Vulgarrecht der Basilikenscholie 14 ist sogar ausdrücklich ausgesprochen, daß alle möglichen Ansprüche für eine Abtretung in Frage kommen. Es lassen sich aber auch Quellenstellen anführen, die eine weniger allgemeine Aussage abgeben. Eine Vielzahl von Stellen geht davon aus, daß die entzogene Sache beim Dritten noch fortbesteht. Nur so läßt sich erklären, warum sich die römischen Juristen eingehend mit der WirZitiert nach der 3. Aufl., Greifswald 1836, S. 409. Vgl. Glück, Ausführliche Erläuterung der Pandekten nach Hellfeld, Ein Commentar, Erl. 1807, VIII, 1, 211 ff.; Lauterbach, Collegium Pandectarum theoretico-practicum, 6. Aufl., Tübingen 1784, I, 483. 12 Windscheid, Pandekten I,§ 193, Note 7 u. 12m. w. N. 13 Selb, Larenz Festschrift, S. 528 gibt für diese Entwicklung keine Erklärung. Dieser Vorgang wird jedoch sehr wohl verständlich, wenn man sich die Regreßlosigkeit der Gesamtschuld vergegenwärtigt und die daraus folgende Notwendigkeit, andere Regreßwege beim Schadensersatz zu erschließen. Der genannte Satz bot sich, war er erst einmal so allgemein gefaßt, als Ausweg geradezu an. 14 Schol. 77 zu Basil. XV, 1, c, 21 (suppl ed. Zach. de Lingeth. p. 16): actiones quas tamquam dominu ser vi habet. 10 11
li. Vorläufer des§ 255 BGB im gemeinen und römischen Recht
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kung der Abtretung, insbesondere der rei vindicatio auseinandersetzen. Der Ersatzpflichtige wird bei Verlust der Sache so gestellt, als hätte er die Sache gekauft15 • (D. 41, 4, 3 - "litis aestimatio similis est emptioni16. ") Auch der wohl häufigste Fall der Zession der rei vindicatio deutet auf den "Kernbereich" 11 des Sachtortbestandes hin. (D. 19, 2, 25, 8 - "necesse est domino vindicationem eorum ... cedere.") Ferner ist auch die Stelle, die das Verhältnis der Klagen gegen Ersatzpflichtigen und Dieb anspricht, nur verständlich, wenn man sich die betreffende Sache am gleichen Orte bei einer bekannten Person greifbar vorstellt: D. 19, 2, 60, 2 - "vestimenta tua fullo perdidit et habeas unde petas nec repetere vis: agis nihilo minus ex locato cum fullone, sed iudicem aestimaturum, an possis adversus furem magis agere et ab eo tuas res consequi fullonis videlicet sumtibus: sed si hoc tibi condamnabit, tuas autem actiones te ei praeastare compellet." Schließlich setzen sich die Quellen mehrfach mit der Problematik der Wiedererlangung der verlustig gegangenen Sache durch den dominus nach Inanspruchnahme des Ersatzpflichtigen auseinander. Die Stelle D. 13, 6, 17, 5 behandelt den Fall anschaulich18 : "rem commodatam perdidi et pro ea pretium dedi, deinde res in potestate tua venit; Labeo ait contrario iudicio aut rem mihi praestare te debere aut quod a me accepisti reddere." Die angezogenen Stellen lassen den Schluß zu, daß die Anwendung des Prinzips des heutigen § 255 schon in geschichtlicher Zeit primär für den Fall des Fortbestandes einer Sache nach Sachverlust gedacht war. Im Vergleich dazu behandeln nur wenige Quellen ausdrücklich die Abtretung von Ansprüchen, die auf eine Ersatzleistung oder gar eine Buße gerichtet sind.
Gaius schreibt in D. 19, 2, 25, 8: "Si fullo aut sarcrinator vestimenta perdiderit, necesse est domino vindicationem eorum et condictionem cedere." Mit condictio ist die condictio furtiva gemeintl9, die auf den einfachen Sachverlust gerichtet, dem dominus selbst dann zusteht, wenn der Dieb die Sache verloren hat20 • Andere Stellen handeln von der Abtretung der actio furti, einer deliktischen, sogar pönalen Klage21 • So ist in D. 47, 2, 54, 3 der wegen Verlustes einer Sache auf SchadensVgl. Windscheid I Kipp I,§ 193, Fn. 12. Vgl. ferner D. 41, 4, 1; D. 6, 2, 7, 1; D. 25, 2, 22, pr. 17 Vgl. dazu näher unten§ 7 III. 1s Vgl. ferner D. 6, 1, 63; D. 12, 7, 2; D. 14, 2, 27. to Vgl. Oertmann, VA, S. 262. 2° Kaser, RPrR., § 143 III, S. 5161517; Kaser, KLB, § 51 I, 4, S. 195; a. A.: Jörs I KunkeL I Wenger, § 157, 3, S. 255 - wonach die actio primär auf Herausgabe gerichtet ist, aber auch Interessenersatz selbst im Falle zufälligen Untergangs beim Diebe gewährt. 21 Kaser, RPrR., § 143 II, S. 516. 15
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ersatz in Anspruch genommene Geschäftsführer nur gegen Abtretung der dem Eigentümer gegen den Dieb zustehenden actio furti ersatzpflichtig. D. 4, 9, 6, 422 bestimmen eine Abtretung der "actio furti vel damni iniuria". Die Entwicklung des Gedankens des § 255 durch Erstreckung der Abtretungspflicht auf Schadensersatzansprüche zum Regreßinstrument vergleichsweise niedriger Stufe23, gemessen an der Gesamtschuldregelung des BGB, wird erst aus einer vergleichenden Gegenüberstellung der Regreßfrage bei der Gesamtschuld recht verständlich.
III. Die Gesamtschuld im gemeinen und römischen Recht 1. Die Frage des Regresses von Savigny bis Windscheid
Die Regreßfrage bei der Gesamtschuld im gemeinen Recht läßt sich vielleicht am besten durch zwei Zitate charakterisieren, die zugleich die Zeitspanne von Savigny 24 bis Windscheid25 und damit bis zum Inkrafttreten des BGB umschließen.
Savigny erfaßt den Entwicklungsstand in der Regreßfrage bei der Gesamtschuld wie folgt: "-daß das abstracte Wesen der Correalschuld an sich, auf eine Ausgleichung nicht führt, daß dieselbe also jenem Wesen fremd ist" 26 , und erläutert, darin sei "nicht sowohl die Verneinung des Regresses enthalten, als vielmehr der bloße Mangel eines Grundes den Regreß zu behaupten" 27 • Die Notwendigkeit eines Regresses steht für Savigny schon deshalb außer Frage, weil sonst die Gesamtschuld, deren "wahre praktische Bedeutung" 28 er zwar einseitig in der Hervorhebung der Gläubigerinteressen sieht, - "in der Sicherheit und Bequemlichkeit in der Rechtsverfolgung" 29 , wirken müßte "fast wie ein Glücksspiel mit zufälactio furti auch in C. 6, 2, 22, 2. Vgl. Soergel I Siebert IR. Schmidt, § 255, Rn. 4. Nach dessen Auffassung legt die h. M. dem § 255 "den Charakter einer Regreßvorschrift, die allerdings eine "Entwicklungsstufe" unter den Vorschriften liegt, welche den Regreß auf Grund gesetzlichen Forderungsüberganges vorsehen", bei. 24 OR I, § 23, S. 226 ff. 25 Pandekten II, § 294, S. 206. 2a OR I,§ 23, S. 227. 27 OR I, § 23, S. 227/228. 2s OR I, § 22, S. 216. 29 OR I, § 22, S. 218, vgl. auch S. 216. Dieser Grundsatz gilt bei Sav igny auch für die "unächten Fälle" insbes. "für die Obligation aus einem Delict, in soweit sie auf Entschädigung geht" (S. 198), denn es ist "auch bei der Bildung der für sie geltenden Rechtsregeln der selbe Gesichtspunkt leitend gewesen". (S. 219). 22
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III. Die Gesamtschuld im gemeinen und römischen Recht
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ligem Gewinn und Verlust, ohne inneren Grund, verbunden" 30 • Er verwahrt sich jedoch sogleich, auch von seinem Standpunkt der Überbetonung der Gläubigerinteressen, gegen eine solche Deutung, indem er bekennt: "Es wäre ein großer Irrtum, diesen möglichen Erfolg als die wahre Absicht, als die praktische Bedeutung des Instituts anzusehen31."
Savigny hält die Anerkennung eines Regresses denn auch für "billig und wünschenswert" 32 und sieht darin "keinen Widerspruch gegen das Correalverhältniß, keine Gefährdung des Wesens desselben" 33 • Dagegen begreift er den Ausgleich noch nicht als notwendige, diesem Institut immanente Folge der Anordnung voller Außenhaftung ohne Rücksicht auf den einzelnen Tatbeitrag. So kann er lediglich folgern: "Die Zulassung des Regresses erscheint hiernach nicht eigentlich als eine praktisch gültige Rechtsregel, sondern vielmehr als eine gestellte Aufgabe, die nur durch die consequente Anwendung anderer, selbständiger Rechtsregeln vollständig und befriedigend gelöst werden kann 34 . " Diese Regel findet Savigny "außer und neben dem Correalverhältniß" 35 von Fall zu Fall unter Heranziehung einer "actio pro socio", "actio mandati", "actio negotiorum gestorum", der "freiwilligen, erzwungenen und fingierten Cession"so. Die Regreßlosigkeit der Gesamtschuld, wo nicht Hilfskonstrukuonen. sei es ein "schützender Nebenvertrag", der die interne Beteiligung festlegt, seien es Bereicherungsrecht, Geschäftsführung ohne Auftrag etc., Platz greifen, wurde im gemeinen Recht nicht mehr überwunden. Das Fehlen eines Gesamtschuldregresses wird noch bei Windscheid 31 deutlich, wenn er zur Frage des Ausgleichs unter Mitschuldnern schreibt: "Auf diese Frage gibt die Korrealobligation als solche keine Antwort; es kommt auf das derselben zugrunde liegende materielle Rechtsverhältnis an." 2. Das römischrechtliche Erbe der GesamtschuldSchlüssel für die Regreßlosigkeit im gemeinen Recht
Die Unfähigkeit der Pandektistik, die Probleme der Gesamtschuld, insbesondere die Regreßfrage, aus sich heraus zu lösen, war durch das OR I, § 22, S . 216/217. 31 OR I,§ 22, S. 217. 32 OR I, § 23, S. 229. 33 OR I, § 23, S. 228. 34 OR I, § 23, S. 229/230. 35 OR I, § 23, S . 228. 36 Vgl. OR I, § 23, S. 232 ff. 37 Pandekten II, § 294, S. 206. 3o
§ 2 Geschichtliches aus dem römischen und gemeinen Recht
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Fehlen eines ausgeformten Gesamtschuldbegriffes in den römischrechtlichen Quellen angelegt. Die Gründe hierfür sind noch tiefer, wohl vor allem im langwierigen Entwicklungsprozeß des Schadensrechts vom Buß- zum Ausgleichsgedanken zu suchen3s. So verwundert nicht, daß Ausgangsfall für die Entstehung der Gesamtschuld die "stipulatio" war39, das gemeinsam abgegebene förmliche Versprechen mehrerer Schuldner. Gerade dieser Fall aber bot zur Entwicklung eines der übernommenen Verpflichtung korrespondierenden Regresses am wenigsten Anlaß, da Parteien bei der Übernahme einer derartigen gemeinsamen Verpflichtung gewöhnlich eine Abrede über die endgültige Verteilung der Lasten untereinander treffen. Für Deliktsobligationen war nach Kunkel 40 , wie auch in vereinzelten Fällen der Gesamthaftung, noch in klassischer Zeit bestimmt, daß jeder Mittäter selbständig der Strafe unterliege, wenn die unerlaubte Handlung durch mehrere gemeinschaftlich begangen war. Die Korrealobligation erlosch zwar insgesamt durch Erfüllung seitens eines Schuldners, doch war ein Regreß nur auf Grund konkreten Rechtssverhältnisses mittels der actio pro socio, mandati, negotiorum gestorum, communi dividundo, familiae erciscundae möglich 41 • Bisher bestand nur ausnahmsweise ein Rückgriffsrecht, sofern die Gesamtschuld nicht auf Rechtsgeschäft beruhte. Die Entwicklung verlief in spätklassischer Zeit in Richtung auf einen Zwang zur Abtretung der verbliebenen Forderung an den leistenden Gesamtschuldner42 • Doch wurde auch sie nur vereinzelt gewährt. Selbst unter Justinian, der bisweilen einen selbständigen Regreßanspruch als actio utilis gewährte, konnte sich ein allgemeiner, von der konkreten Innenbeziehung losgelöster Ausgleichsanspruch nicht durchsetzen43 • Zu mächtig war das, was Kaser44 als die Sicht der Römer von der Gesamtschuld so charakterisiert: "Der Zweck der Gesamtobligation erschöpft sich nach ihnen darin, dem Gläubiger, der das Recht aus der Gesamtforderung ausübt ... das Recht auf die ganze Leistung zu gewähren; das Innenverhältnis ... wird damit nicht geregelt." 38 Zur Entwicklung vgl. einerseits Kaser, KLB, § 32 II, § 35 II; Sohm I Mitteis I Wenger, § 74 I, § 62 II, 3; Jörs I Kunkel I W enger, § 131, 3; andrerseits Savigny, OR I, § 20, S. 201; Sohm I Mitteis I Wenger, § 62 II, 3. 39 Vgl. Kaser, RPrR., § 154, S. 549; Jörs I Kunkel I Wenger, § 131, 2, S. 2101
211. 40
41 42
43 44
Jörs I Kunkel I Wenger, § 131, 3, S. 211. Kaser, RPrR., § 154 III, S. 552; KLB, §56 II, 4, S. 211. Kaser, RPrR., § 277 II, 2, S. 330. Vgl. auch dazu Kaser, RPrR., § 277 II, 2. RPrR., § 154 III, S. 552; Man beachte Savigny, OR I,
und Bequemlichkeit in der Re·chtsverfolgung."
S. 218: "Sicherheit
IV. Die Lehre aus den geschichtlichen Ursprüngen
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IV. Die Lehre aus der Gegenüberstellung der geschichtlichen Ursprünge beider Figuren 1. Allgemeines
Angesichts des geringen Entwicklungsstandes der Gesamtschuld im Schadensersatzbereich wird verständlich, daß die römischen Juristen den Fall des Entstehens mehrerer Ersatzansprüche als Folge des Untergangs einer verlustig gegangenen Sache nicht der Gesamtschuld zuordnen konnten. Vor allem die Regreßfrage gestaltete sich dort mangels konkreter Innenbeziehung besonders schwierig. So lag es nahe, diesen Falltypus dem des Fortbestandes der Sache gleich zu behandeln, um auf diese Weise durch erzwungene Abtretung den Regreß zu sichern, welchen die Gesamtschuld nicht zu bieten vermochte. Strukturelle Unterschiede beider Institute konnten beim Stande der damaligen Entwicklung noch nicht deutlich werden. Wie sehr die Gesamtschuld als unbillig empfunden wurde, in ihrer einseitigen Ausrichtung auf den Gläubiger-Vorteil zu Lasten des gerechten Ausgleichs, wird aus spätklassischen Versuchen deutlich, einen Regreßweg durch Hilfskonstruktionen zu eröffnen, und erhellt noch viel später aus dem Zwiespalt, in dem sich Savigny befand45 • So muß die Anwendung des später in§ 255 hineingelegten Rechtsgedankens auf die Abtretung von Ansprüchen aller Art, selbst von Schadensersatzansprüchen, als Hilfskonstruktion verstanden werden, die den offenkundigen Mangel der Regreßlosigkeit der Gesamtschuld überwand. Bei der Parallelentwicklung beider Institute zum Regreßinstrument bis hinein ins gemeine Recht bei Vangerow war der Vorläufer des § 255 der Gesamtschuld lange Zeit überlegen. Als Kennzeichen der Parallelität der Problemstellung ist die Verweigerung des beneficium der Abtretung, der cessio legitimadesfrühen "§ 255" signifikant, soweit der Ersatzpflichtige B aus dinglichen Klagen in Anspruch genommen wurde, und er hinsichtlich des Sachverlustes "dolus" zu vertreten hatte46 • Die gleiche Erscheinung finden wir bei Savigny 47 im Bereich der Solidarität bei gemeinsam begangenem "dolosen Delicte". 2. Die Gesamtschuld, - zentrales Regreßinstitut des BGB
Bis zum Inkrafttreten des BGB galt der Satz der Regreßlosigkeit der Gesamtschuld aus sich heraus und überhaupt, sofern nicht Hilfskonstruktionen - Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag, vertrag45 48 47
Vgl. die Ausführungen oben§ 2 Ill, 1. Vgl. dazu D. 6, 1, 63; D. 6, 1, 69; und Oertmann, VA, S. 257/258. OR I, § 24, S. 256/257.
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§ 2 Geschichtliches aus dem römischen und gemeinen Recht
liches Innenverhältnis oder erzwungene Zession48 - als "unabhängige Rechtsverhältnisse" 49 Abhilfe boten. Diesem Zustand, den der Gesetzgeber sehr wohl erkannt hatte, setzte er durch die Schaffung einer eigenen, der Gesamtschuld selbst zugeordneten Regreßregel ein Ende. Man kann die Vorschrift des § 426 Abs. I, die mit ihrer flexiblen Fassung, "soweit nicht ein anderes bestimmt ist", jedes Maß eines Regresses zuläßt und mit der cessio legis des § 426 Abs. II die höchstentwickelte Form der Unterstützung eines Ausgleichs bietet, auf dem Boden der vom römischen Recht überkommenen Verworrenheit als genial bezeichnen. Vielleicht war sie zu genial, um sogleich in ihrer umfassenden Bedeutung richtig erkannt zu werden. Festzuhalten ist, daß das Gesetz die Schaffung einer voraussetzungslosen Regreßnorm im Auge hatte, in bewußter Abkehr von hergebrachten Hilfskonstruktionen. Die Motive 50 verdeutlichen diese gesetzgeberischen Intentionen wie folgt: "Die Frage na'ch dem inneren Verhältnisse der Gesamtgläubiger bzw. der Gesamtschuldner zueinander wird in der gemeinrechtlichen Doktrin wie in der Gesetzgebung vorzugsweise in der speziellen Richtung auf die Ausgleichungs- und Regreßpflicht behandelt. Nach der für das gemeine Recht herrschenden, auch in der Praxis schon aufgenommenen Ansicht ist die Frage aus den konkreten zwis'c hen den Gläubigern oder den Schuldnern bestehenden Rechtsverhältnissen zu beantworten, nicht aus dem Bestehen eines Gesamtschuldverhältnisses, da solches (die Korrealobligation) nur die äußeren Beziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner betreffe. (Windscheid §§ 294, 298 N. 12) Auf diesem Standpunkt steht auch prinzipiell das sächs. GB (§ 1036) und der dresdn. Entw. 16. Dagegen sprechen die übrigen neueren Gesetze den Gesamtschuldnern und Gesamtgläubigern oder doch den Ersteren allgemein den Anspru'ch auf nachfolgende Ausgleichung zu (ALR I 5 §§ 436, 443 ff.; öst. GB §§ 895, 896; Code 1213- 1216; hess. Entw. 11, 12, 13; bayr. Entw. 239; schweiz. ObligR. 168)." Mit der Erkenntnis der Unvollkommenheit der gemeinrechtlichen Gesamtschuldregelung war der Anstoß zur Weiterentwicklung bereits gegeben. Die Väter des BGB hielten die Überwindung der einseitig gläubigerbetonten Auffassung und der Regreßlosigkeit der Gesamtschuld durch eine ihr selbst zugeordnete Regreßnorm für so vordringlich, daß alle theoretischen Bedenken zurückstehen mußten51 : "Die theoretische Betrachtung mag in der That zu dem Ergebnisse führen, daß die Entscheidung der Ausgleichsfrage lediglich davon abhänge, ob das konkrete, zwischen Gesamtgläubigern und Gesamtschuldnern bestehende 48 Savigny meint damit die Abtretungspflicht der cessio legitima; vgl. OR I, § 23, S. 232 ff. 49 Vgl. Savigny, OR I , § 23, S. 228. 50 Motive II, S. 169 = Mugdan II, S. 93. 51 Es folgt Fortsetzung des Zitats aus Motive II, S. 169 Mugdan II, s. 93.
IV. Die Lehre aus den geschichtlichen Ursprüngen
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Rechtsverhältniß den Anspruch auf Ausgleichung begründe, dergestalt, daß der Ausgleichung Verlangende das Dasein eines solchen Verhältnisses zu beweisen hatte. Praktische Erwägungen erheischen aber, wie auch der Vorgang der erwähnten großen Gesetzgebung zeigt, eine andere Bestimmung, nähmlich, daß, soweit nicht aus Gesetz (z. B. §§ 338, 713, 1696) oder Rechtsgeschäft ein Anderes sich ergiebt, im Verhältnisse zueinander die Gesamtgläubiger als zu gleichen Antheilen berechtigt, die Gesamtschuldner als zu gleichen Antheilen verpflichtet gelten. Diese Bestimmung (Abs. 1) hat übrigens eine über das nach empfangener oder bewirkter Leistung in Frage kommende Ausgleichungs- und Regreßrecht hinausgehende Bedeutung. Sie enthält ein Prinzip, über das innere Verhältnis überhaupt. Es erhellt hieraus besonders, daß die mehreren Schuldner in Ermangelung gegentheiliger Bestimmung von vornherein mit der Begründung des Gesamtschuldverhältnisses als in einem inneren Schuldverhältnisse stehend anzusehen sind, das sie verpflichtet, so zu handeln, daß es überhaupt zu einem Regresse nicht kommt." Damit ist ausweislich der Motive ein Gemeinschaftsverhältnis der Schuldner untereinander nicht Voraussetzung für das Entstehen einer Gesamtschuld, - wie Enneccerus52 später in Umkehrung der gesetzgeberischen Intentionen lehrte - , sondern schlichte Folge der Verbindung53. Das Innenverhältnis der Gesamtschuldner wird näher so umschrieben54: "Sie sind kraft dieses inneren Schuldverhältnisses einander zu der erforderlichen Mitwirkung und Beitragung bei der Leistung verpflichtet, sofern nicht nach dem inneren Verhältnisse die Leistung nur von einem oder einigen Genossen zu bewirken ist. Letzterenfalls haben aber die nicht Leistungspflichtigen gegen die Leistungspflichtigen auch einen Anspruch darauf, daß sie selbst vor dem Anspruche des Gläubigers bewahrt bleiben." Mit der Schaffung des § 426 wurde gelöst, was Savigny 55 noch als Aufgabe sah, - die Gesamtschuld war zum zentralen Regreßinstitut des BGB ausgebaut; zentrales Institut deshalb, weil die flexible Fassung des § 426 Abs. I jedes individuelle Maß eines Ausgleichs nicht nur ermöglicht, sondern auch jeden auszugleichenden Fall lückenlos erfassen will. Zum ersteren wird "ein anderes bestimmt", etwa durch § 254, durch Vorschriften über den einseitigen Zessionsregreß, oder es sind aus dem Zweck der einzelnen Leistungsbeziehungen heraus andere Anteilsbestimmungen erkennbar. Die zweitgenannte Intention wird deutlich aus der Schaffung der subsidiär immer bereiten Hilfsregel gleichmäßiger Verteilung: "Die Gesamtschuldner sind im Verhältnisse 52 RdSchV., § 90 II, 2: "Die mehreren Schuldner oder Gläubiger sind durch ihren Willen oder nach den Vorschriften der Rechtsordnung zur Erreichung desselben Zwecks miteinander verbunden, ... "; Bereits Oertmann, VA, S. 293 ~eht davon aus, daß die Anwendung des "... § 426 ein irgendwie geartetes ,Verhältnis der Gesamtschuldner' zueinander voraussetzt ... ". 53 Zutreffend Wahl, S. 151, Fn. 45 unter Hinweis auf communio incidens. 54 Es folgt Fortsetzung des Zitats aus Motive II, S. 169 = Mugdan Il, S. 93. 55 Vgl. die Ausführungen oben§ 2 Ill, 1.
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§ 2 Geschichtliches aus dem römischen und gemeinen Recht
zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist." 3. Die Gesamtschuldnormierung als Weiterentwicklung von Regreßhilfskonstruktionen
Mit der Behebung des Strukturmangels fehlenden Regresses der Gesamtschuld wurden die bisher gebrauchten Regreßhilfskonstruktionen von der Rechtsentwicklung überholt und gegenstandslos. Dies gilt insbesondere für die Abtretungspflicht nach den Prinzipien des heutigen § 255 bei konkurrierenden Schadensersatzansprüchen. Ansprüche auf Ersatz desselben Schadens sind unter dem Gesichtspunkt gleichen Schutzzwecks der Gesamtschuld zuzuordnen 56, mit der Folge, daß § 426 als Regreßregel Platz greift. Im übrigen ist die cessio legitima des § 255 durch die cessio legis des § 426 Abs. II schon rechtstechnisch ausgeschlossen. Es wäre auch sinnwidrig und verstieße gegen Absicht und Ausgestaltung der Gesamtschuldregelung im BGB, wollte man frühere Hilfskonstruktionen und Entwicklungsstufen wie den Gedanken des § 255 im Bereich konkurrierender Schadensersatzansprüche, parallel zur Gesamtschuld weiterkultivieren oder gar ausdehnen, nachdem die entwicklungstechnisch höher stehende57 , umfassende Regreßregel Gesetz geworden ist. Mit diesem Schritt wurde der Anlaß beseitigt, der über ein Unbehagen am Entwicklungsstand der Gesamtschuld zur Ausbildung anderweitiger Regreßwege führte 58• Nach dem Exkurs ins gemeine Recht ist deutlich geworden, daß die Berufung auf gemein- und römischrechtliches Herkommen die Rechtsentwicklung verkennt und nicht geeignet ist, die Anwendung des § 255 auf die Abtretung von Schadensersatzansprüchen im Sinne einer Regreßnorm zu stützen. Wenn dies dennoch geschah, so ist der Grund allein darin zu suchen, daß der Satz vom fehlenden Regreß bei der Gesamtschuld in der "unechten Gesamtschuld" über das lokrafttreten des BGB hinaus perpetuiert wurde. Oertmanns59 Darstellung des § 255 liefert dafür ein treffendes Beispiel. Er ist sogar bereit, den aus dem gemeinen Recht überkommenen, sonst anerkannten Satz der gesamtbefreienden Wirkung einer Leistung bei der Gesamtschuld aufzugeben, um die Anwendung des § 255 als Regreßregel für Ersatzverbindlichkeiten begründen zu können. Bestimmend hierzu war die vom Inkrafttreten des § 426 unberührt gebliebene Überzeugung vom Regreßmangel der Gesamtschuld, - nunmehr gekleidet in die Figur der "unechten sG 57 58
59
Vgl. unten§ 6 IV. Vgl. Soergel I Siebert IR. Schmidt, § 255, Rn. 4. Vgl. zu diesem Vorgang Ehmann, §§ 1- 3. VA, S. 256 ff.
V. Die Motive zu § 255 BGB
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Gesamtschuld". Oertmann60 versucht sich wie folgt aus der Affäre zu ziehen: "Liegt aber auch nur eine unechte Solidarität vor, so sind damit noch nicht alle Bedenken erledigt. Denn auch bei ihr tilgt die Leistung des einen Schuldners wegen der Identität des Zwecks in der Regel die Verpflichtungen aller.... Damit wäre das zu b) als unannehmbar behauptete Ergebnis wieder aufgetaucht, nur für einen anderen Fall: dort wäre der Delinquent der Folgen seines Thuns ledig geworden, wenn zuerst er selbst, hier, wenn zuerst der Vertragsschuldner belangt wurde." Dieser vermeintlich drohenden Gefahr der Befreiung des Falschen als Folge mangelhaften Verständnisses der ineinandergreifenden Regelung der §§ 422, 426 begegnet Oertmann61 mit dem Modell einer einseitigen Tilgung: "Wiederum kann uns demgegenüber das bewährte Vorbild des römischen Rechts schätzbares Material geben. Wir haben ja oben (S. 270 fg.) auf Grund 1.22 C.VI, 2 festgestellt, daß in Rom in einem derartigen Fall zwar die Leistung des Delikts- den Vertragsschuldner befreite, nicht aber auch umgekehrt diejenige des Vertrags- den Deliktsschuldner." Mit dieser Rückbeziehung auf einen überholten Rechtsstandard war der Weg frei zur Anwendung des § 255 auf konkurrierende Schadensersatzansprüche. V. Die Motive zu § 255 BGB
Auch aus den Entwürfen und Motiven zu§ 255 läßt sich nichts für die Annahme herleiten, § 255 regle als Regreßnorm Konkurrenz und Ausgleich bei Schadensersatzansprüchen in Form der Anspruchsabtretung. Dessen waren sich Juristen auch schon bei Inkrafttreten des BGB durchaus bewußt, wie in den nachfolgenden Ausführungen bei Taucher62 deutlich wird. "Der weitaus wichtigste Fall ist der unter I. b 63 genannte, wenn die Sache dem Besitze des Berechtigten entzogen ist; aus den Motiven ist zu entnehmen, daß er dem Gesetzgeber vor Augen schwebte und daß hier die Abtretungspflicht den Wert ausgleichen soll, den die dem Eigentümer verbliebenen Ansprüche gegen Dritte besitzen." Dies war treffend erkannt, wurde jedoch in der Konsequenz 60 Vorteilsausgleichung, S. 293; später in Festschrift für Otto Gierke, S. 12/13 stellt er seine bisherige Auffassung ganz in Frage und will § 255 auf die Abtretung dinglicher Ansprüche beschränken. 61 VA, S. 293. 62 Die Pflicht zur Abtretung der Ersatzansprüche nach § 255 des Bürgerlichen Gesetzbuches unter Berücksichtigung des gemeinen Rechtes, Diss., Erlangen 1904, S. 24. 83 Unter b .) ist ausgeführt: (S. 24) "Die Sache ist nur im engeren Sinne verloren, d. h. nicht physisch zu Grunde gegangen, aber dem Besitze des Berechtigten entzogen."
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§2
Geschichtliches aus dem römischen und gemeinen Recht
der Beschränkung des § 255 auf diesen Bereich nicht durchgehalten. Maßgebend hierfür war wiederum der oben64 angeführte Grund eines vermeintlich fehlenden Regresses, in diesem Fall "unechter Gesamtschuld" in der geradezu typischen Erklärung gipfelnd65 : "Man kann im Zweifel darüber sein, ob der Gesetzgeber nicht besser getan hätte, ganz allgemein für das interne Verhältnis mehrerer auf denselben Schaden Verpflichteter den Delinquenten zu verhaften, oder die Ansprüche aus unerlaubten Handlungen jedem Interessenten zu gewähren, für das positive Recht ist man jedenfalls gezwungen, die Lücke durch obige66 Auslegung des § 255 auszufüllen." Dabei waren die Motive zu § 255 in durchaus harmonischem Verhältnis zur Neuregelung des Gesamtschuldregresses, - ohne die Querverbindung allerdings ausdrücklich herzustellen - , ersichtlich nur vom "Kernbereich" 61 des Besitzverlustes bei Fortbestand der Sache ausgegangen. Schon ein Blick auf § 223 des ersten Entwurfs lehrt, daß mit Verlust einer Sache nur die engere Bedeutung des Besitzverlustes gemeint sein kann. § 223 E I lautet68 : "Wird in Folge der Entziehung oder Vorenthaltung einer Sache oder eines Rechtes Schadensersatz für den Verlust der Sache oder des Rechtes selbst von dem Ersatzpflichtigen geleistet, ... ".
"Entziehung" und "Vorenthaltung" lassen sich begrifflich nur bei Fortbestand einer Sache unter Änderung der Besitzlage erfassen; sie sind im Falle ihrer Zerstörung unverständlich. Nun sind aber Anhaltspunkte dafür nicht ersichtlich, daß die Streichung dieses Passus im zweiten Entwurf (E I I - § 218) und der Gesetzesfassung des§ 255mehr als nur eine redaktionelle Straffung zur Vermeidung einer Tautologie bedeutete. Schon daraus wäre eine Beschränkung des § 255 auf Herausgabeansprüche bei Fortbestand der Sache im Dreiecksverhältnis zu folgern. In den Motiven 69 wird dieser Fall als der eigentliche Anwendungsbereich des§ 255 noch mehrfach deutlich aus der Wahl der angezogenen Beispiele, - wenn etwa erwogen wird, "daß der Beschädigte das Entzogene wieder erhalten kann" und ausgeführt ist, der unmittelbare Anspruchsübergang sei für den Ersatzpflichtigen günstiger, "weil zur Zeit der Ersatzleistung oft verkannt wird, daß eine objektive Unmöglichkeit nicht vorliegt, und weil deshalb die Erzwingung der Abtretung nicht selten unterbleiben würde". Die Vorschrift des § 223 E I = § 255 § 2 III, 1. Taucher, S. 42/43. 86 Lies: die Erstreckung auf die Konkurrenz von Schadensersatzansprüchen aus unerlaubter Handlung. 67 Vgl. dazu und zur Darstellung der diesbezüglichen Fälle unten § 7 III. os Mugdan II, S. IV. 64
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V. Die Motive zu § 255 BGB
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BGB soll "insbesondere" auch den Fall treffen, "wenn bei der Gebrauchsleihe der Entleiher dem Verleiher für die geliehene Sache, weil sie abhanden gekommen, Schadensersatz geleistet hat, und die Sache nachher wieder aufgefunden wird" 69 • Das aus der Gesetzesgeschichte gewonnene Ergebnis über die fehlende Anlage des § 255 zur Regreßnorm wird bestätigt durch Wortlaut und Stellung der Vorschrift im Gesetz. § 255 steht isoliert als singuläre Vorschrift bei Normen, die Einzelfragen des allgemeinen Schadensersatzes regeln. Es werden dort ausschließlich Probleme des Zweipersonenschuldverhältnisses behandelt, die Regelung von Dreiecksverhältnissen ist in diesem Zusammenhang nicht veranlaßt. Auch die Wortfassung enthält nichts über Grund und Maßstab des Ausgleichs. Beides gehört jedoch zur unerläßlichen Inhaltsbestimmung einer Regreßnorm. Planck-Siber10 erfaßt diese Erkenntnis treffend: " ... diese (Vorschrift) 71 handelt von der Schadensersatzpflicht im allgemeinen, ein Zusammenhang, in dem die vom Rechtsgrund der einzelnen Schadensersatzpflicht abhängige Regreßpflicht gar nicht geregelt werden kann; § 255 kann deshalb mit dem Regreß überhaupt nichts zu tun haben ... ". Demgegenüber ist die Gesamtschuld als das zentrale Institut der Schuldnermehrheit ausgestaltet. § 426 steht dort, wo eine Regreßnorm zu erwarten ist, bei der Regelung von Fragen der Schuldnermehrheit, und ist als solche ausdrücklich konzipiert. Auf die weite Bandbreite seiner Anwendung durch eine flexible Fassung wurde bereits hingewiesen. Es bleibt somit zusammenzufassen: Eine Berufung auf römisch- und gemeinrechtliches Herkommen zur Rechtfertigung des Einsatzes des § 255 als Regreßnorm ist nicht legitim, da Anfangs- und Parallelentwicklungen insofern durch die Generalregreßnorm des § 426 überholt sind. Auch Gesetzesgeschichte, Wortlaut und Stellung des § 255 im Gesetz können nicht für eine Erstreckung auf die Abtretung von Schadensersatzansprüchen herangezogen werden. § 3 Die Fehlentwicklung des § 255 BGB bis zur Generalregreßnorm
Wurzel der Fehlentwicklung des § 255 bis in die jüngste Vergangenheit war die fehlende Einsicht in die Gesamtschuldnormierung des Motive li, S. 25/26 = Mugdan II, S. 14. Vgl. dazu Planck I Siber, § 255, 2 a: "Damit wird in den§ 255 die Voraussetzung einer ohnehin bestehenden Regreßberechtigung hineingetragen, die eben nicht darin steht, ..." 11 Hinzufügung v. Verf. 69
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§ 3 A. Die Fehlentwicklung des§ 255 BGB- erste Stufe
BGB, welche durch ganz bewußte Schaffung einer voraussetzungslosen Regreßvorschrift als zentrales Regreßinstitut hervorgehoben wurde. Aus dem Zwang zur Schließung der vermeintlichen Regreßlücke folgt eine zweistufige Fehlentwicklung des § 255 zur Regreßnorm. Die erste Stufe 1 ist gekennzeichnet durch das vom gemeinen Recht bekannte Bemühen um Regreßhilfskonstruktionen - unter anderem des § 255 - als Lückenfüller. Sie nimmt eine wenig leistungsfähige Wortinterpretation dieser Vorschrift zum Ausgangspunkt. Die zweite Stufe 2 sucht den Geltungsgrund für die Regreßanordnung des § 255 in einer vorgeblich dieser Norm immanenten Wertung und macht in geradezu paradoxer Übersteigerung aus der Not eine Tugend, indem der vormalige Lückenfüllerparagraph eine Erweiterung zum zentralen Regreßinstitut des BGB erfährt. A. Die erste StufeDie Ausweitung des § 255 BGB zur Regreßnorm
Das Fehlverständnis des § 255 geht zurück bis zum Erlaß des BGB. Vor allem Oertmann hat bereits im Jahre 1900 mit der ersten bedeutenden Abhandlung zu diesem Problemkreis3 die Weichen gestellt, in dieser Norm primär eine Regreßvorschrift zu sehen. Die Erkenntnis, daß damit der Anwendungsbereich dieser Vorschrift schon ausgeschöpft sei, daß § 255 als Regreßnorm verstanden "widersinnig"4 ist und sich als solche überhaupt nur handhaben ließ, indem immer wieder neue Kriterien zur Bestimmung der Abtretungspflicht in sie hineingelegt wurden, konnte sich jedoch bis heute nicht durchsetzen.
I. Die "unechte Gesamtschuld"Vehikel der Fehlentwick lung des§ 255 BGB zur Regreßnorm 1. Der Pyrrhussieg des BGB
Mit der Schaffung einer einheitlichen Gesamtschuldnormierung wollte der Gesetzgeber des BGB den unfruchtbaren Streit5 zwischen Vgl. unten § 3 A. Vgl. unten§ 3 B. 3 Die Vorteilsausgleichung beim Schadensersatzanspruch, 2. Teil, S. 256 ff.; Die Abtretungspflicht der Ansprüche aus§ 255 BGB. 4 Planck I Siber, § 255, 2 a. 5 Korrealität wurde als Einheit der Forderung trotz Mehrheit der Schuldner, Solidarität als Mehrheit von Forderungen mit einheitlichem Leistungsgegenstand begriffen. Anders die h. M. zur Gesamtschuld des BGB : Dem Gläubiger steht gegen jeden Schuldner eine besondere Forderung zu, deren rechtliches Schicksal getrennte Wege gehen kann. Vgl. L eonhard, SehR I, S. 725; Larenz, SchRAT, 7. Auf!., § 33 I, S. 381 unten; Planck I Siber, vor 1
2
§ 420, 1 b; Palandt I Heinrichs, § 421, 1.
I. Die "unechte Gesamtschuld" als Vehikel der Fehlentwicklung
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Korreal- und Solidarobligation des gemeinen Rechts abschneiden6 • Stattdessen sprangen, wie Klingmüller1 pointiert unter Heranziehung eines Vergleichs des Kampfes des Herkules mit der lernäischen Hydra bemerkt, "statt einer ... zwei Arten von Solidarität, die echte und die unechte, hervor" 8 • Durch die Figur der "unechten Gesamtschuld" 9 rettete die Lehre im Widerspruch zur gesetzgeberischen Absicht1°, eine regreßlose Gesamtschuld aus dem gemeinen Recht in den Geltungsbereich des BGB hinüber. Wesentliches Kennzeichen dieser Abspaltung von der Gesamtschuld11 war und ist, daß die Vorschrift des § 426 über den Regreß bei der Gesamtschuld keine Anwendung finden soll. Damit verharrte die Entwicklung auf der Stufe, die Savigny 12 einst erreicht Motive II, S. 155 = Mugdan II, S. 85. JherJb 64, 34. 8 Weitnauer, in Karlsruher Forum 1970, spricht von dem "aus dem gemeinen Recht überkommenen Gespenst der unechten Gesamtschuld"; Esser, SchRAT, § 58 II, bezeichnet die Unterscheidung echter - unechter Gesamtschuld zu Recht als "eine unkoutrollierte Nachwirkung des gemeinen Rechts". 0 Als Begriff erstmals in Erscheinung getreten bei Eisele, AcP 77, 374 6
1
(4801481).
10 "Praktische Erwägungen" (Motive II, S. 169 = Mugdan II, S. 93) waren für die Schaffung einer unmittelbar der Gesamtschuld zugeordneten Regreßvorschrift bestimmend. 11 Maßgebend für die Abspaltung war die von Ehmann, § 2 II, 3; III, 1 beschriebene Angst vor dem falschen Regreß, zu dessen Vermeidung zusätzliche Kriterien gesucht wurden, welche die Anwendung der §§ 422, 426 erst eröffnen sollten. Diese Funktion übernahm zunächst das Merkmal "eadem causa"; Erstmals benutzt Eisele den einheitlichen Schuldgrund zur Abgrenzung bereits 1891 in AcP 77, 374 ff. (458, 481), vgl. im übrigen Schollmeyer, § 426, 2; Crome II, § 206 II, Nr. 3, S. 376; RGZ 61, 56 (60); RGZ 67, 128 (131); Fortwirkung noch bis Staudinger I Seufert, § 812, 11 b. Aus der Kritik an diesem Merkmal vgl. (Planck I Siber, § 421, 1 b, S. 622; Enneccerus, RdSchV. Bd. 1, 2. Abtlg., S. 266; Klingmüller, JherJb 64, 68 ff.; Rabel, RheinZ 1919, S. 93 = S. 312 Gesammelte Aufsätze I.) entstand das vieldeutige Gesamtschuld-Kriterium der "Zweckgemeinschaft". Enneccerus, RdSchV, Bd. 1, 2. Abtlg., S. 266 ff. begründet diese Lehre: "Die mehreren Schuldner . . . sind durch ihren Willen oder nach den Vorschriften der Rechtsordnung zur Erreichung desselben Zwecks miteinander verbunden, ... " Sie fand Übernahme durch die Rechtsprechung, RGZ 77, 323: "für die Anwendung der Vorschriften über die Gesamtschulden, insbesondere des § 426, bedarf es einer Gemeinschaft unter den mehreren Schuldnern, man wird diese Gemeinschaft als Zweckgemeinschaft aufzufassen haben." Vgl. auch RGZ 159, 86 (89). In subjektiver Färbung tritt die Zweckgemeinschaft zur Abgrenzung der "unechten Gesamtschuld" von der echten Spezies bei Klingmütler, JherJb 64, 31 ff. (63) und als rechtliche Zweckgemeinschaft bei Planck I Siber, § 421, 1 b, S. 623 in Erscheinung. Die unechte Gesamtschuld, gekennzeichnet durch das Fehlen einer Zweckgemeinschaft fand weitestgehende Anerkennung - Vgl. Enneccerus I Lehmann, § 90, II, 3; Klingmüller, JherJb 64, 31 (38 ff.); Eisele, AcP 77, 374 (4801481); Oertmann, VA, 293; PalandtiHeinrichs, § 421, 2; Staudinger i Werner, § 421, 2; RGZ 261, 56 (60); RGZ 67, 128 (132); RGZ 77, 317 (323); RGZ 79, 288 (290); RGZ 92, 401 (408); RGZ 149, 365 (368). Vgl. zum ganzen die eindringliche Darstellung bei Ehmann, §§ 1- 3. 12 Vgl. oben§ 2 III, 1.
§ 3 A. Die Fehlentwicklung des § 255 BGB -
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erste Stufe
hatte. Die "unechte Gesamtschuld" bedurfte als aus sich heraus regreßlose Abart der "echten" besonderer, anderweitiger Regreßbestimmungen13. 2. Die Angst vor dem falschen Regreß Den tieferen Grund für diese Fehlentwicklung zur "unechten Gesamtschuld" hat Ehmann 14 in der "Angst vor dem ,falschen' Reg1·eß" oder dem Fehlen eines Regresses aufgedeckt15 : "Am Anfang war es die Angst, der Gläubiger könnte von den mehreren Schuldnern das doppelt erhalten, was ihm nur einmal gebührt; davor schützt richtig verstanden die Regel des § 422. Dann war es die Angst, der eigentlich letztlich nicht Verantwortliche könnte "auf dem Schaden sitzen bleiben"; davor schützt richtig verstanden die Regel des § 426 I. Aber durch diese Regel sind neue Ängste geschaffen worden, welche die Diskussion der neueren Literatur beherrschen und in einer doppelten Gefahr begründet sind: (1) Die Leistung des im Innenverhältnis letztlich nicht Verpflichteten
könnte auch den anderen, letztlich Verpflichteten befreien(§ 422); (2) Der im Innenverhältnis letztlich Verpflichtete könnte einen Ausgleichsanspruch auf den gleichen Anteil (§ 426 II 1) gegen den anderen, im Innenverhältnis freizustellenden Schuldner erwerben."
Diese Angst vor dem falschen Regreß bei Anwendung der Gesamtschuldregeln blieb bis in jüngste Zeit erhalten. Besonders deutlich tritt sie in einer neueren Lehrdarstellung 16 des Gesamtschuldbegriffs hervor. Dort ist in Entgegnung auf die Auffassung, wonach auf das Verhältnis von Schädiger und Versicherer Gesamtschuldgrundsätze Anwendung finden sollen, ausgeführt: "Weil indessen diese Konsequenz17 nicht befriedigt (soll der Schädiger gern. § 426 BGB einen Ausgleichsanspruch gegen den Versicherer haben?), hat man schon früh eine Eingrenzung des Gesamtschuldbegriffes versucht." Diese Aussage ist nur aus einem tiefgreifenden Mißverständnis des Gehalts des § 426 verständlich, sie unterschätzt das breite Spektrum dieser Vorschrift, 13 Wie bereits von Savigny wurden auch unter der Geltung des BGB zum Teil auch Geschäftsführung ohne Auftrag (vgl. Crome, JherJb 35, 124; Oertmann, Korn., § 426, 2 d, e; Klingmüller, JherJb 64, 97 u. 101; das RG im Dombrandfall RGZ 82, 213 ff.) und Bereicherungsrecht (vgl. Klingmüller, JherJb 64, 98- 100; Esser, SchRAT, § 59 IV, 4; Frotz, JZ 64, 665 (670)) als Regreßhilfskonstruktionen herangezogen. Eine beherrschende Stellung nahm jedoch § 255 ein. §§ 1 II; 2 II, 3; 2 111, 1. § 1 II, S. 25. 1s JA 1970, ZR, S. 99 (S. 313).
14
15
17 Lies: - die Gesamtschuldnerschaft, (der Verf.).
I. Die "unechte Gesamtschuld" als Vehikel der Fehlentwicklung
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die jedes Maß eines Regresses gewährleistet1 8 • Maßgebend hierfür war wiederum das Unvermögen, den mit der weiten Fassung, "soweit nicht ein anderes bestimmt ist", eröffneten Anwendungsbereich aus dem Gesetz, z. B. § 67 VVG und anderen speziellen Zessionsvorschriften, notfalls auch direkt aus den Zweckbeziehungen der Ansprüche auszufüllen19. Die Angst vor einer ungerechtfertigten Befreiung des Mitverpflichteten resultiert aus unzureichender Erschließung des Systems der §§ 422, 426. Sie entfällt mit der Erkenntnis, daß hinter der Befreiung im Verhältnis zum Gläubiger immer die Zessionsanordnung des § 426 steht, wenn und soweit ein Regreß erforderlich ist. Hätte Larenz dies bedacht, so hätte er nicht schreiben können20 : "Im Dombrandfall (oben§ 32 II aE) ist die Gleichstufigkeit der Verpflichtungen des Schädigers und des Kirchenbaulastpflichtigen und damit ein Gesamtschuldverhältnis unter ihnen deshalb zu verneinen, weil es nicht im Sinne der Übernahme der Kirchenbaulastpflicht durch den Staat gelegen sein konnte, damit einen eventuellen Schädiger zu entlasten." 3. Der Zwang zur Schließung der Regreßlücke durch Ausdehnung des § 255 BGB
Mit der Fehlentwicklung zur "unechten Gesamtschuld" war die Anwendung der zentralen Regreßnorm des § 426 bewußt ausgeschlossen. Da aber die Gerechtigkeit zwingend einen Ausgleich konkurrierender Schadensersatzpflichten durch Regreß gebietet, sah man sich wie einst Savigny 21 gezwungen, eine anderweitige Rechtsgrundlage zur Ermöglichung eines Regresses zu finden. Bezeichnend für diesen Vorgang ist die Kommentierung Plancks22 zu § 426: "Bei den sog. unechten solidarischen Verbindlichkeiten findet z. B. eine Ausgleichspflicht nicht statt; hier wird m eistens der§ 255 zur Anwendung kommen." In§ 255 wurde sogar noch weitergehend die gesetzliche Bestätigung der Figur der "unechten Gesamtschuld", ihre einzige gesetzliche Stütze gesehen23 • Als Stütze der unechten Gesamtschuld war § 255 allerdings erst tauglich nach zuvor erfolgter Ausdehnung auf den gewünschten Anwendungsbereich als Regreßnorm, die wiederum im Mangel des Regresses unVgl. dazu Ehmann, § 3 IV, 3 b; zutreffend neuerdings auch BGHZ 59, BGH NJW 72, 1802. 19 Vgl. dazu Ehmann, § 2 li, 3. 20 SchRAT,§ 37 I, S. 435. 21 Obligationenrecht I, § 23, S . 228. 22 3. Aufl. 1907, § 426, 1. 23 Donnevert, S. 13; Schollmeyer, § 426, 2; Fischer, S. 108; Oertmann, Gierke Festschrift, S. 13: "§ 255, die einzige gesetzliche Stütze jener Lehre . . ." 18
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=
3 Münchbach
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echter Gesamtschuld begründet lag. Deutlicher kann eine Kreisargumentation nicht zutage treten. Vordergründig bot § 255 mit dem Begriff "Verlust einer Sache oder eines Rechtes" eine willkommene Handhabe für die Ausdehnung zur Regreßvorschrift. So setzte eine begriffLiche Auslegung 24 am Wortlaut "Verlust" an und gelangte leicht zu dem gewünschten Ergebnis: "Verlust einer Sache tritt zweifellos mit deren Untergang ein25 ." Dabei hatte die Gesetzesgeschichte durch die Fassung des § 223 EI = § 255 BGB eine Auslegungshilfe für eine Beschränkung des Verlustbegriffes auf Besitzentzug bei Fortbestand der Sache gegeben, wenn in diesem Stadium noch formuliert wurde26 : "Wird in Folge der Entziehung oder der Vorenthaltung einer Sache oder eines Rechtes Schadensersatz für den Verlust der Sache oder des Rechtes selbst von dem Ersatzpflichtigen geleistet, ...". Oertmann27 stand dieser Erkenntnis noch am nächsten, wenn er neben einem weiten Verlustbegriff, der physischen Untergang und Eigentumsverlust durch gutgläubigen Erwerb beinhaltete, Sachen unterschied, die nur "im engeren Sinne verloren", d. h. nicht physisch zu Grunde gegangen, sondern dem Besitz des Berechtigten entzogen waren." Er bekannte sogar, "der Ausdruck ,Verlust' paßt gerade auf diesen Fall subjektiver Unmöglichkeit der Leistung nach dem Sprachgebrauch am besten; hätte eine volle Ersatzpflicht nach der Ansicht des Gesetzgebers nur bei Untergang der Sache stattfinden sollen, so würde § 255 vernünftiger Weise auch haben lauten müssen: ,wer für den Untergang ..."' 28 • Aber diese Erkenntnis vermochte sich unter dem Zwang, wegen der regreßlosen "unechten Gesamtschuld" einen anderweitigen Regreß zu schaffen, nicht durchzusetzen. Denn hinter der Wortauslegung des Verlustbegriffes stand in Wahrheit das Bemühen, den Regreßmangel der "unechten Gesamtschuld" auszugleichen. Schon bei Oertmann kommt dieser tragende Hintergrund zum Durchbruch, wenn er im folgenden ausführt29 : "Für eine verhältnismäßige Ausgleichung der mehreren Verpflichteten ist kein Raum, weil die sie anordnende Bestimmung des § 426 ein irgendwie geartetes "Verhältnis der Gesamtschuld24 Brückmann, Der Begriff der verlorenen Sache, in Arch. f. Bürgerl. Recht 1904, Bd. 23, 322 ff. (327). Er sucht den Begriff des Sachverlustes für das BGB einheitlich festzulegen und gelangt zu einer weiten Fassung, die auch den Untergang einer Sache einschließt und die weite regreßbestimmte Auslegung des § 255 ermöglicht. 25 Schotlmeyer, § 255, 2 b. 2s Mugdan II, S. IV. 27 Vorteilsausgleichung, S. 282, 283. 28 VA, S. 284. 29 VA, S. 293.
II. Auslegungsschwierigkeiten bei der Ausdehnung zur Regreßnorm
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ner" zueinander voraussetzt, das in unserem Fall eben nicht vorliegt." Die vermeintliche Regreßlücke füllt Oertmann dann unter Heranziehung des § 255 mit folgenden Erwägungen aus30 : "Aber damit der hauptsächliche Anstifter des Schadens, der Delinquent, auch zum Träger des zu leistenden Ersatzes werde, hat die Rechtsordnung allen Anlaß, in Ermangelung eines anderen Mittels31 den Anspruch des befriedigten Gläubigers gegen den Delinquenten zu verwerten, um das Regreßinteresse des zahlenden Vertragsschuldners zu befriedigen. Das römische Recht hat diesen Weg gewählt, aber auch nach dem neuen BGB gilt dasselbe." Noch klarer wird die mit der Ausdehnung des Verlustes auf physischen und rechtlichen Untergang einer Sache verfolgte Zielsetzung bei Taucher 32 vorgestellt, der zunächst die Frage der Notwendigkeit eines Regresses im Bereich der "unechten Gesamtschuld" anspricht33 : "Dagegen taucht nunmehr die Frage des Ausgleichs unter den mehrer en Verpflichteten genauso auf wie bei den echten Gesamtschuldverhältnissen." Den Zwang zur Schließung der Regreßlücke bekennt er daraufhin ganz offen34 : "Man kann im Zweifel darüber sein, ob der Gesetzgeber nicht besser daran getan hätte, ganz allgemein für das interne Verhältnis mehrerer auf den selben Schaden Verpflichteter den Delinquenten zu verhaften, oder die Ansprüche aus unerlaubten Handlungen jedem Interessenten zu gewähren, für das positive Recht ist man jedenfalls gezwungen, die Lücke durch obige Auslegung35 des § 255 auszufüllen36."
11. Die Schwierigkeiten,§ 255 BGB zur Regreßnorm beim Schadensersatz umzuinterpretieren Aber auch die Ausdehnung des § 255 auf die Abtretung von Schadensersatzansprüchen konnte nicht von der Problemstellung entbinden, die Regreßrichtung festlegen zu müssen und beliebig wechselseitigen Regreß auszuschalten. So ist es nicht verwunderlich, daß auch hier die Angst vor dem falschen Regreß auftauchte, die Anlaß dazu war, durch Abspaltung der "unechten Gesamtschuld" aus den §§ 422, 426 heraus zur vermeintlich eindeutigen Regreßregel des § 255 zu kommen. Vor in VA, S. 294. Hervorh. v. Verf. 32 Die Pflicht zur Abtretung der Ersatzansprüche nach § 255 des Bürgerlichen Gesetzbuches unter Berücksichtigung des gemeinen Rechtes, 1904. ss Taucher, S. 42. 34 Taucher, S. 42/43. 35 Im Sinne einer Anwendung als Regreßnorm. as Hervorh. v. Verf. 30
a1
3•
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§ 3 A. Die Fehlentwicklung des § 255 BGB -
erste Stufe
der Natur der Sache begründeten Problemstellungen gibt es nun einmal kein Ausweichen, in welche begrifflichen Kategorien auch immer man sie zu verlagern gedenkt. Eindeutig ist diese Vorschrift, sieht man in ihr eine Norm über den Regreß bei konkurrierenden Schadensersatzansprüchen, aber gerade nicht37 . Sie enthält keine Festsetzungen über die Ausgestaltung des Innenverhältnisses, über den Grund oder das Maß der Regreßpflicht. Derartige Angaben sind für eine Regreßnorm, die den verschiedensten Fallkonstellationen gerecht werden soll, jedoch unerläßlich38. Angesichts dieses offenkundigen Mangels verwundert nicht, daß die Abtretungspflicht des § 255 bereits im Jahre 1900 eine Auslegung erfuhr, in einer Weise, welche den Ausdehnungsbemühungen um§ 255 gewiß nicht förderlich war39: "Denn es fragt sich: Kann der Berechtigte unter den mehreren Verpflichteten frei wählen; so daß der von ihm Belangte, der den Gläubiger abfindet, den Anspruch gegen den Verpflichteten erhält? Nach unserem Rechte kann man nicht anders als diese Frage bedingungslos zu bejahen. Damit wird eine Art von Prämie40 ausgesetzt, den mehrfachen Gläubiger so pünktlich wie möglich zu befriedigen und sich die Ansprüche gegen andere Verpflichtete dadurch zu sichern .... Vielleicht noch auffallender wird das Ergebnis, wenn man erwägt, daß dem zweiten Verpflichteten nicht etwa nur verhältnismäßige Ausgleichung in Gemeinschaft mit dem zuerst Leistenden zugemuthet wird, sondern volle Zahlung; so daß in der That auf ihn, der zuletzt als Pflichtiger in Betracht gezogen wird, alles dem Gläubiger zu Leistende zugeschoben wird41 ." 1. Die Bestimmung der Regreßrichtung aus dem Wortlaut des§ 255 BGB Oertmann42 hat die in einer Ausdehnung des § 255 auf konkurrierende Schadensersatzansprüche liegende Gefahr schon erkannt: "Um so be37 Esser, SchRAT, § 48 IV, S. 345: "Der Wortlaut des § 255 läßt manche Zweifel offen"; Ähnlich Staudinger I Werner, § 255, Rn. 1; Larenz, SchRAT, § 32, s. 382. 38 Vgl. PLanck I Siber, § 255, 2 a. 39 Stammler, Die Einrede aus dem Rechte eines Dritten, 1900. 40 Diese im Ergebnis geradezu groteske Schlußfolgerung erinnert an die bei der Zahlung eines von mehreren Sicherungsgebern entstehenden Regreßprobleme. Man denke etwa an den "Wettlauf der Sicherer" im Falle der Konkurrenz von Bürge und Hypothekar. Vgl. dazu Ehmann, § 11 li, 1 e. Die Sicherungsgesamtschuld räumt diese Schwierigkeiten zuverlässig aus. Vgl. Ehmann, § 11 II. 41 StammLer, S. 61162. 42 Vorteilsausgleichung, S. 292.
II. Auslegungsschwierigkeiten bei der Ausdehnung zur Regreßnorm
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denklicher, das beweisen bereits die letzten Erwägungen, würde es sein, dem zuerst belangten Delinquenten die Wohlthat des § 255 zu gewähren. Der Dieb und Räuber sollten sich die Klage des Gläubigers gegen den fahrlässigen Verwahrer des gestohlenen Gutes abtreten lassen und damit volle civilrechtliche Verantwortung dem Endergebnis nach denn die Ausgleichung nach § 426 steht hier nicht in Frage- auf einen im Vergleich zu ihnen viel weniger Schuldigen abwälzen können? Ich halte ein derartiges Ergebnis für schlechthin unannehmbar." Oertmann glaubt diese Konsequenz allein durch den Wortlaut des § 255 ausgeschlossen und gewinnt daraus die Bestimmung der Regreßrichtung43 : "Zum Glück bietet uns schon der Wortlaut einen Ausweg. § 255 legt dem Kläger die Abtretungspflicht nur bezüglich der ihm auf Grund des Eigentums zustehenden Ansprüche auf. Während nun der Anspruch gegen den Dieb als ein solcher aufzufassen ist, da er wegen ,Verletzung des Eigentums' im Sinne von § 823 haftet, steht es mit der Haftung des Aufsichtspflichtigen anders. Sie beruht auf der Verletzung nicht des Eigentums, sondern der übernommen en Vertragspflicht - würde sie doch auch begründet sein, wenn der die Sache in Verwahr gebende Gläubiger nicht ihr Eigentümer sondern nur sonst daran interessiert wäre44 ." Diese auf einem völligen Mißverständnis des Gehalts des § 255 beruhende WOrtlautinterpretation hat ganz überwiegend Zustimmung gefunden und sich bis in die neuere Zeit behauptet45 • So war noch im Jahre 1963 bei Larenz in der 6. Auflage seines Schuldrechts - Allgemeiner Teil- zur Regreßrichtung bei § 255 ausgeführt46 : "Nur solche Ansprüche sind abzutreten, die dem Ersatzberechtigten gerade auf Grund seines Eigentums an der Sache zustehen, nicht aber z. B. Ansprüche aus Vertrag. Entschädigt also der Dieb, der die Sache nicht mehr hat, den Eigentümer, dann kann er nicht etwa die Abtretung eines Anspruchs verlangen, den dieser wegen nachlässiger Ve rwahrung VA, S. 292. Die gleichen Erwägungen finden sich bei Fischer, Der Schaden, 1903, S. 254/255: "Aber soll man auch umgekehrt dem ersatzleistenden Deliktsschuldner die gleichen Rechte einräumen und ihn so in die Lage versetzen, den Schaden auf den doch minderschuldigen Vertragsschuldner abzuwälzen? Das Billigkeitsgefühl spri'cht entschieden dagegen. Und wir sind auch durch den Wortlaut des Gesetzes in § 255 nicht gezwungen, diesen letzteren unwillkommenen Schluß zu ziehen. Denn abzutreten sind nur die Ansprüche, welche dem Ersatzschuldner auf Grund des Eigentums (bzw. auf Grund des Rechts) zustehen. Die Ansprüche gegen den Dieb stehen ihm auf Grund des Eigentums zu, diejenigen gegen den nachlässigen Vertragsschuldner nur auf Grund des Vertrages sind also nicht abzutreten." 45 RG JW 1902, Beilage, S. 245; Donnevert, S. 41, 44, 49; Taucher, S. 39; Lips, S. 49; Last, S. 31 f f .; Staudinger I W erner, § 255, Rn. 9. 43
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46
§ 14 III, c, S. 161.
38
§
3 A. Die Fehlentwicklung des § 255 BGB - erste Stufe
gegen den Venuahrer oder aus dem Versicherungsvertrage gegen den Versicherer hat." Es hat nun nicht an Stimmen gefehlt, welche die Mängel dieser Auslegungsweise aufdeckten. Bereits Siber41 hatte richtig erkannt, daß die Bestimmung der Regreßrichtung aus dem Wortlaut zu "Zufallstreffern" führen muß. Diese Methode konnte wohl nur deshalb so lange fortwirken, weil sie zufällig gerade im Normalfall die richtige Regreßbestimmung gegen den letztlich Alleinverantwortlichen eröffnet. Aber bereits eine geringfügige Abänderung des Regelfalles, welche sich bei gleichem äußeren Ablauf auf die Willensrichtung des Dritten C beschränken kann, macht das Versagen der Wortlautinterpretation deutlich. Wenn noch im Schulfall Verwahrer-Dieb die Verantwortungsbeiträge so verteilt sind, daß der des fahrlässig handelnden Vertragsschuldners gegenüber dem des Deliktsschuldners völlig außer Betracht bleiben kann, so muß sich die Beurteilung schon dann verändern, wenn bei gleichem objektiven Tatbild ein gutgläubiger Dritter die Stelle des Diebes einnimmt, welcher die dem Verwahrer weggenommene Sache des A versehentlich für seine eigene hält48 • Gesetzt den Fall, der Dieb C stiehlt aus einer vom Verwahrer B nachlässig bewachten Garderobe den Mantel des A, welcher dann bei C untergeht, so stimmen Wertung der Verantwortungsbeiträge und die aus § 255 hergeleitete Regreßrichtung zufällig noch überein. Nimmt jedoch bei gleicher Sachlage der gutgläubige Dritte C den Mantel des A eigenmächtig aus der nachlässig bewachten Garderobe deshalb mit, weil er ihn versehentlich für seinen eigenen hält, und geht der Mantel bei ihm aus Fahrlässigkeit unter, so dürfte je nach den Umständen des Einzelfalles eine intern gleiche Haftungsquote des B und C von 50 : 50 angemessen sein. Soll auch hier der dem Eigentümer A Ersatz leistende "Vertragsschuldner" B beim Dritten C vollen Regreß nehmen können? -Die Lehre von der Bestimmung des Regresses aus dem Wortlaut zwingt zu diesem untragbaren Ergebnis und führt sich damit selbst ad absurdum. Eine Erklärung für ihr Versagen ist einmal darin zu suchen, daß die Verantwortung für den Untergang der Sache nicht immer so verteilt ist, daß sich der Ausgleich des Innenverhältnisses stets durch Abtretung der Deliktsansprüche bzw. Versagung der Abtretung von Vertragsansprüchen realisieren läßt. Zum andern resultiert ihre Leistungsschwäche daraus, daß der Wortlaut des § 255 die Abtretung nur einer Art von Ansprüchen, derer "aus dem Eigentum" anordnet, ohne Rücksicht auf die Verteilung der Verantwortungsbeiträge im Schadensfall. 47 Planck I Siber, § 255, 2 a; zutreffend Vogels, § 255, Rn. 4. 48 Beispiel nach Weitnauer, Karlsruher
auch W eitnauer bei Schlegelb ergeT I Forum 1970.
li. Auslegungsschwierigkeiten bei der Ausdehnung zur Regreßnorm
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Die bedingungslose Anordnung einer Abtretungspflicht unabhängig von den Umständen des Sachverlustes ist deshalb nur solange sinnvoll, "als man strikt am Wortlaut des § 255 festhält und unter den abzutretenden Ansprüchen aus Eigentum nur Ansprüche auf Herausgabe der noch vorhandenen Sache versteht" 49 • 2. § 255 BGB -Modell nur einseitiger Tilgung
Die Ausgestaltung des § 255 zum Prototyp "unechter Gesamtschuld" war mit der weiteren Schwierigkeit verbunden, eine Erklärung für den Fortbestand der Deliktsobligation nach Leistung des Vertragsschuldners zu finden, da diese Forderung zur Durchführung des Regresses dienen mußte. Leistete der Deliktsschuldner vor dem Vertragsschuldner, so stand einem Erlöschen beider Forderungen nichts im Wege. Nun ging aber zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des BGB die einhellige Auffassung dahin, die Leistung eines Verpflichteten tilge bei unechter wie bei echter Gesamtschuld stets auch die Verbindlichkeiten aller Mitschuldner50 • Einer wechselseitigen Tilgungswirkung der Leistung eines Schuldners bei der "unechten Gesamtschuld" hätte als Regreßweg jedoch allenfalls Geschäftsführung ohne Auftrag oder eine Bereicherungskonstruktion entsprochen, nicht jedoch § 255, der den Fortbestand des abzutretenden Anspruchs voraussetzt. Aber auch dieses Hindernis war nicht stark genug, den Mißbrauch des § 255 zu Regreßzwecken zu verhindern. Oertmann setzte sich mit seiner Überwindung wie folgt auseinander51 : "Liegt aber auch nur eine unechte Solidarität vor, so sind damit noch nicht alle Bedenken erledigt. Denn auch bei ihr tilgt die Leistung des einen Schuldners wegen der Identität des Zweckes die Verpflichtungen aller. Es möchte also scheinen, als ob sowohl durch die Leistung des Delinquenten der ersatzpflichtige Kontraktsschuldner, wie umgekehrt durch dessen Leistung der Delinquent befreit würde. . . . Wiederum kann uns demgegenüber das bewährte Vorbild des römischen Rechtes schätzbares Material geben. Wir haben ja oben (S. 270 fg.) auf Grund der 1. 22 C. VI, 2 festgestellt, daß in Rom in einem derartigen Fall zwar die Leistung des Delikts- den Vertragsschuldner befreite, nicht aber auch umgekehrt diejenige des Vertrags- den Deliktsschuldner." Eine echte Begründung für diese Konstruktion vermögen weder Oertmann noch seine Zeitgenossen zu geben. So gewinnt er die Rechtfertigung allein aus dem angestrebten Ziel und kommt zu dem Schluß52 : 49
50 51 52
Planck I Siber, § 255, 2 a. Vgl. Fischer, S. 108; Taucher,
Vorteilsausgleichung, S. 293. VA, S. 294.
S. 43; Oertmann, VA, S. 294.
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§ 3 A. Die Fehlentwicklung des § 255 BGB - erste Stufe
"Aber damit der hauptsächliche Anstifter des Schadens der Delinquent, auch zum endgültigen Träger des zu leistenden Ersatzes werde, hat die Rechtsordnung allen Anlaß, in Ermangelung eines anderen Mittels53 den Anspruch des befriedigten Gläubigers gegen den Delinquenten zu verwerten, um das Regreßinteresse des zahlenden Vertragsschuldners zu befriedigen." Trotz dieses offensichtlichen Mangels einer Begründung schließt sich die herrschende Meinung 54 der Auffassung Oertmanns über die einseitige Tilgung an. Andere Autoren halten zwar an der obligationszerstörenden Kraft der Zweckerreichung fest, fingieren dann aber den Fortbestand der an sich erloschenen Forderung in der Person des Zessionars. Fischer55 bedient sich dazu der dem römischen Recht entlehnten Figur der actio inanis. Dieser Begriff besagt, daß der Anspruch in der Hand des bereits anderweitig befriedigten Zedenten A inhaltslos geworden, sich durch die Abtretung in der Person des Zessionars B mit neuem Inhalt erfülle und gegen C geltend gemacht werden könne. Bemerkenswerterweise kann auch Fischer die nur einseitige Anwendung der actio inanis ausschließlich zum Vorteil des Vertragsschuldners nur durch Billigkeitsgründe rechtfertigen56 • An die Gedankengänge Fischers anschließend, bekennt Taucher 51 ganz offen, daß man sich aus dem Zwang zur Schließung der Regreßlücke durch § 255 auf ein Feld begeben habe, das rationaler Begründung nicht mehr zugänglich ist58 : "Eine juristische Begründung für die Ungleichheit und insbesondere für die Wirksamkeit der Abtretung von bereits nicht mehr bestehenden Ansprüchen vermag ich nicht zu geben." Deutlicher kann der juristische Offenbarungseid59 einer Lehrmeinung nicht mehr abgelegt werden. 53 Darin drückt sich wiederum der Zwang zur Schließung der durch die unechte Gesamtschuld eröffneten Regreßlücke aus. 54 Fischer, S. 108; Oertmann, Korn., § 255, 7; Last, S. 55; Klingmüller, S. 76 ff.; Taucher, S. 43; Lips, S. 49; Donnevert, S. 46- 49; Crome, II, S. 82. 55 Der Schaden, S. 11 ff. 56 s. 255. 57 Die Pfli:cht zur Abtretung der Ersatzansprüche nach § 255 des Bürgerlichen Gesetzbuches unter Berücksichtigung des gemeinen Rechtes, 1904. 58 s. 43. 59 Nicht besser steht es um zwei weitere Erklärungsversuche, die über eine Außenseiterstellung nie hinauskamen. Schutz (Rückgriff und Weitergriff, 1907) begreift § 255 als Form des Aufwendungsersatzes, um unter Zuhilfenahme der "materiell fremden Verbindlichkeit": - "Fremd ist eine Verbindlichkeit dann, wenn ein anderer zur Ersatzpflicht näher steht" (S. 34) als allgemeinen Grundsatz zu gewinnen: "Die Erfüllung fremder Verbindlichkeiten erzeugt stets einen Regreßanspruch gegen denjenigen, für den
II. Auslegungsschwierigkeiten bei der Ausdehnung zur Regreßnorm
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3. Die folgenlose Meinungsänderung Oertmanns
Oertmann, der die Fehlentwicklung des § 255 zur Regreßnorm ganz maßgeblich beeinflußt hatte60 , distanzierte sich 10 Jahre später in der Festschrift für Otto Gierke (1911) 81 von seinen eigenen Ausführungen62 : "Wörtlich genommen umfaßt § 255, die einzige gesetzliche Stütze jener Lehre, gar nicht die Fälle der unechten Solidarität: er hat es vielmehr mit der Abtretung solcher Ansprüche zu tun, die dem Ersatzberechtigten auf Grund des Eigentums an der verlorenen (und zu ersetzenden) Sache gegen Dritte zustehen. Darunter braucht man jedenfalls nach dem Wortlaut nur dingliche Ansprüche zu verstehen, auf die nach ihrer Eigenart im Verhältnis zu obligatorischen der Gesichtspunkt einer auch nur ,unechten' Solidarität nicht wohl angewendet werden kann." Mit seiner in der Beschränkung auf dingliche Ansprüche allerdings zu weitgehenden Einschränkung des § 255, glaubte sich Oertmann frei zu einer vom Gesetz völlig unbeeinflußten Behandlung der unechten Solidarität. Insbesondere stand damit § 255 nicht mehr der Annahme einer schlechthin befreienden Wirkung der Leistung des einen Solidarschuldners auf die Leistungspflicht des oder der anderen bei unechter Solidarität entgegen63 • Diese revidierte Meinungskundgabe blieb jedoch - im Gegensatz zur ersteren - wohl deshalb ohne Resonanz, weil sie die Verbindli'chkeit eine eigene ist." (S. 39). Schutz stellt jedoch dabei den Begriff der Aufwendung geradezu auf den Kopf, indem er sie nicht nach der Lücke im Vermögen des Ersatzpflichtigen, sondern nach der Bereicherung im Vermögen des Ersatzberechtigten bemißt. Zur Kritik vgl. auch Oertmann, Korn., § 255, 1; Zoll, S. 19. Völlig verfehlt und zur Bedeutungslosigkeit verurteilt ist der Versuch Müllers (Die Bedeutung des Kausalzusammenhanges im Straf- und Schadensersatzrecht, 1912), die Regreßbestimmung bei § 255 aus Bereicherungsrecht zu erschließen: "Leistet dagegen der Verwahrer Schadensersatz, so geht zwar gleichfalls die Schadensersatzverpflichtung des Deliktsschuldners unter; weil dies aber durch Aufwendung einer Schadensersatzforderung des Berechtigten bewirkt wird, auf welche der Deliktsschuldner bei Erfüllung seiner Schadensersatzverpflichtung keinen Anspruch hätte geltend machen können, ist hier der Deliktsschuldner durch den Wegfall seiner Schadensersatzverpflichtung auf Kosten des Berechtigten ungerechtfertigt bereichert, und bleibt daher diesem verpflichtet, das was er zum Ausgleich des Schadens hätte aufwenden müssen, als ungerechtfertigte Bereicherung herauszugeben." (S. 131). Vgl. zur Abgrenzung der Leistungskondiktion von der Eingriffskondiktion im modernen Bereicherungsrecht Ehmann, NJW 69, 398; NJW 69, 1833 und NJW 71,612. 60 Vorteilsausgleichung, S. 256 ff., 1901. 61 Der Einfluß bestehender Unterhaltsansprüche auf die Schadensersatzansprüche aus BGB § 843, in Festschr ift für Otto Gierke, 1911. 62 03
s. 13. s. 12/13.
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§ 3 B. Die Fehlentwicklung des § 255 BGB -
zweite Stufe
nicht mit dem gebotenen Nachdruck und an zu versteckter Stelle erfolgte. B. Die zweite Stufe - § 255 BGB, die Generalregreßnorm des BGB oder die Lehre Selbs und Nachfolger
Während die frühe Zivilrechtswissenschaft zum BGB 64 wegen der aus der "Angst vor dem falschen Regreß" geborenen Abspaltung der "unechten Gesamtschuld" § 255 gezwungenermaßen zur Regreßnorm erweiterte, machte Selb 65 aus der Not eine Tugend. Er verallgemeinert die "Folgeaussage aus § 255 BGB" und gewinnt damit bei gleichzeitiger rigoroser Einschränkung der Gesamtschuld aus dieser Vorschrift die Generalregreßnorm des BGB66 : "Wo immer im Rahmen der Schadensberechnung die Leistung des einen Schuldners einem anderen Schuldner zum Vorteil gereicht, nicht aber umgekehrt, hat eben dieser andere, falls er zuerst leistet, einen Anspruch darauf, daß ihm die Forderung gegen den einen abgetreten wird." Selb 61 erzielt diese allgemeine Formel aus der Anwendung einer "einseitigen Vorteilsausgleichung" auf die Fälle, die früher der "unechten Solidarität" zugeordnet wurden. Er entwickelt seine Lehre an den bekannten Anspruchskonkurrenzen der Kirchengemeinde gegenüber dem baulastpflichtigen Fiskus und dem Brandstifter, den Ansprüchen eines körperlich Verletzten gegenüber dem Unterhaltspflichtigen und dem dritten Deliktsschuldner und nicht zuletzt am Lehrbeispiel des nachlässigen Verwahrers im Verhältnis zum Dieb. Dabei soll stets nur die Leistung des dem Schaden "Näherstehenden" über eine Anrechnung im Wege der Vorteilsausgleichung den "Fernerstehenden" befreien, nicht dagegen umgekehrt6s.
Selb rechtfertigt dieses Ergebnis aus einer vorgeblich unmittelbar dem § 255 zu entnehmenden Wertung 69 , wonach die beiden Ersatzpflichtigen in einem abgestuften Nähe-Verhältnis zum Schaden steVgl. oben § 3 A, I, 3. Schadensbegriff und Regreßmethoden, 1963. 66 s. 24/25. 67 S. 22 ff. Im Anschluß an Selb ersetzt eine stufende Wertung weitgehend die hergebrachte Zweckgemeinschaft als Kennzeichen der von der Gesamtschuld auszunehmenden Fälle "unechter" Gesamtschuld, zum Teil auch als "scheinbare" Gesamtschuld bezeichnet. Vgl. Larenz, SchRAT, § 32 II, S. 385, § 37 I, S. 434. Im Gegensatz zur 7. Aufl. § 33 III, S. 389 taucht bei Larenz in der 10. Aufl. der Begriff "scheinbare" Gesamtschuld nicht mehr auf. Larenz verneint insoweit, daß überhaupt eine Gesamtschuld bestehe. Zur "scheinbaren" Gesamtschuld vgl. auch Esser, SchRAT, § 58 I, S. 433; Fratz, NJW 65, 1257 (1259). as Selb, S. 22/23. 60 s. 22 u. 24. 64
65
§ 3 B. Die Fehlentwicklung des § 255 BGB -
zweite Stufe
43
hen70 • Die Fälle "verschiedenstufiger Forderungen", bei denen eine hinter der anderen zurücktritt, sollen dadurch gekennzeichnet sein, daß der eine Schuldner immer nur in Vorlage zu treten brauche, während der andere der eigentliche, letztlich Verpflichtete sei. Mit der "einseitigen Vorteilsausgleichung" 11 verbindet Selb einen "normativen Schadensbegriff"12, der durch die gleiche Wertung das Anspruchselement 70 Der Gedanke, eine Wertung nach der Schadensnähe für den Regreß nutzbar zu machen, ist nicht neu. Schulz stellt bereits 1907 ein Schema über das Näheverhältnis zum Schaden bei verschiedenen Haftungsarten auf, das jedoch in dieser Generalisierung nur wenig weiterführt (S. 38):
Ersatzpflicht "I. Personen, denen Verschulden zur
1. Deliktisches Verschulden
li. Personen, die ohne eigenes Verschulden ersatzpflichtig sind.
2. Rein kontraktl. Verschulden 3. Schuldhafte mittelbare Verursachung. 4. die für das Verschulden ihrer Leute haften, 5. die für die Ersatzpflicht ein Äquivalent erhalten haben. 6. alle übrigen."
Last fällt.
s. 22. Kritisch zu dieser Begriffsbildung Mertens (Der Begriff des Vermögensschadens im bürgerlichen Recht, 1967), der Selb der Willkür zeiht (S. 89): "Damit bedeutet die behauptete Narrnativität des Schadens nichts mehr anderes, als daß man sich das Recht nimmt, einen tatsächlichen Schaden zu fingieren, oder was auf das gleiche hinausläuft, ihn als Anspruchsvoraussetzung des gesetzlichen Tatbestandes zu eliminieren, wenn man es für richtig hält, Ersatz aus Gründen der Re'chtsverfolgung oder der Buße zuzusprechen." Vgl. auch die resignierende Feststellung Ehmanns, § 9 III, 5: "Eine klare Bestimmung dessen, was in der Literatur und auch in der Rechtsprechung unter normativem Schadensbegriff verstanden wird, ist k aum möglich." Ablehnend auch Lieb, JZ 71, 358 (Wegfall der Arbeitskraft und normativer Schadensbegriff). Wozu die Leerformel "normativer Schaden" erst neuerdings führte, hebt Lieb in einer Besprechung zweier divergierender, etwa gleichzeitig ergangener Ents·c heidungen des BAG und des BGH hervor. (BAG JZ 71, 380 - BGHZ 54, 45): "Während nämlich das BAG eine zusprechende Entscheidung ausdrücklich damit begründet hat, daß der BGH in seiner neueren Rechtsprechung einen normativen Schadensbegriff entwickelt habe, der es gestatte, bereits den Wegfall der Arbeitskraft als solcher als Schaden anzusehen, vertritt eben dieser BGH genau die umgekehrte Auffassung und hält daher an der traditionellen Forderung fest, daß sich der Ausfall der Arbeitskraft konkret und sichtbar vermögensmäßig ausgewirkt haben müsse." Der Bundesgerichtshof sah sich in seiner " Chemiker-Entscheidung" (BGHZ 54, 45) erst jüngst gezwungen, weiterer ungezügelter Ausuferung des Schadensrechts einen Riegel vorzuschieben. Der Entscheidung lag das Begehren eines selbständigen Chemikers zugrunde, für den unfallbedingten Ausfall seiner Arbeitskraft fiktiv das Gehalt einer Ersatzkraft zu b erechnen. Rein rechneris'c h hatte sich der Ausfall des Klägers nicht niedergeschlagen, da keine Ersatzkraft eingestellt wurde, und sein offenbar gut eingespielter Betrieb mit gleichem Umsatz und Gewinn weiterlief. Der Bundesgerichtshof 71
72
§ 3 B. Die Fehlentwicklung des § 255 BGB -
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zweite Stufe
Schaden für die Dreiecksbeziehung nutzbar machen soll73 • Beides zusammen erhält im Seihsehen System den Anspruch des Eigentümers gegen den dem Schaden Näherstehenden - trotz Ersatzleistung des Fernerstehenden - zum Vorteil des letzteren, damit er über die Anspruchsabtretung nach § 255 bei dem unmittelbaren Schadensverursacher Regreß nehmen kann74 .
Selb sieht, was hier als Ausuferung des § 255 zur Generalregreßnorm bezeichnet werden muß, als Vorgang einer "Wandlung der Denkformen"75- "mit deren Hilfe man bislang einen Ausgleich zwischen den zum Schadensersatz Verpflichteten und dritten Ersatz- oder Deckungspflichtigen zu erreichen versucht hatte76 • 77 ." Damit ist auch der Wirkungsbereich der Gesamtschuld betroffen. Es sei zunächst kurz dargestellt, wie Selb im Bereich der Gesamtschuld den zur Ausdehnung des § 255 erforderlichen Raum schuf.
I. Die GesamtschuldErfüllungsgemeinschaft gleichstufiger Forderungen? Die Beschränkung der Gesamtschuld auf das schlechthin unumgängliche Maß, die von den Parteien gewollte oder gesetzlich unzweideutig angeordnete Gesamtschuldabwicklung, leisten bei Selb zwei Begriffe78 , die sich bei näherer Betrachtung als sinnwidrig, zumindest jedoch völlig undurchsichtig erweisen: - die "gewollte oder gesetzlich angeordnete Erfüllungsgemeinschaft" und "Gleichstufigkeit der Forderungen".
wies die auf normativen Schaden gestützte, mit einer langen Reihe seiner eigenen Entscheidungen zu diesem Punkt untermauerte Revision zurück. Seine vorgängigen Entscheidungen (BGHZ 7, 30; 21, 112; 38, 55; 40, 345; 43, 378; 45, 212; 50, 304) will das Gericht auf die Anerkennung eines objektiven Mindestschadens begrenzt wissen, der in Abkehr von der reinen Differenzberechnung s·c hon dann begründet sei, wenn sich "das Maß der Beeinträchtigung nach objektiven, im Verkehr anerkannten Maßstäben geldlich bewerten läßt". Zum traditionellen Differenzschadensbegriff vgl. Mertens, S. 23 ff.; Hagen, S. 151 ff.; Fischer, Der Schaden, 1903. ;a Selb, S. 49 ff. (50/51). 74 Vgl. zur Frage des Schadenswegfalls bei Drittleistungen, insbes. Lohnfortzahlungsfällen die instruktive Darstellung bei Marschall v. Bieberstein, s. 75 ff. 75 Aus dem Untertitel der Selbschen Studie. 76
s. 11.
Dilcher, JZ 73, 199 und dort Fn. 3 sieht zu Unrecht das Verdienst Selbs darin, in § 255 neben dem Gesamtschuldausgleich den immer deutlicher als zweiten in Frage kommenden Weg profiliert zu haben. 1s Selb, S. 17/18. 77
I. Die Gesamtschuld -
gleichstufige Erfüllungsgemeinschaft?
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1. Das Kriterium "Erfüllungsgemeinschaft"
Selb 19 gewinnt dieses Merkmal in Anlehnung an die Entstehungsgründe der Gesamtschuld im schweizerischen Recht. Er sieht in der "Erfüllungsgemeinschaft" und "§ 422" die maßgeblichen Kriterien zur Bestimmung des Wesens der Gesamtschuld80• Aus seinen Ausführungen geht jedoch nicht eindeutig hervor, ob mit dem Begriff Erfüllungsgemeinschaft nur die objektive Wirkung des § 422 umschrieben werden soll81 , oder ob man davon ausgehen muß, die Leistung eines Schuldners erfülle (§ 362) auch die Verbindlichkeiten der anderen Schuldner82 • Deutlich wird nur die Zielsetzung, es soll eine Kumulation der auf dasselbe Ziel gerichteten Verbindlichkeiten verhindert werden83 • Nimmt man Selb beim Wort, so fällt es nicht schwer, seine Begriffsbildung ad absurdum zu führen. In seinem System soll es "eine indirekte Wechselwirkung der Tilgung, d. h. eine Tilgungsgemeinschaft außerhalb der Erfüllungsgemeinschaft" nicht mehr geben84• Er wendet sich deshalb gegen die Idee von einer Tilgungsgemeinschaft, wie sie in bisherigen Darstellungen zum Ausdruck kam85 • Dabei verrät er, was er mit Erfüllungsgemeinschaft eigentlich meint, - die bewußte Leistung eines der mehreren Schuldner für sich selbst und zugleich für andere86 : "Man hielt es für dasselbe, wenn der Deliktsmittäter für sich und den Genossen zahlte, und dessen Verbindlichkeit miterfüllte oder, wenn der Versicherer für sich selbst leistete 81 , und damit - wir sehen heute gleich die Unterstellung - die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches gegen den Deliktstäter vernichtete, weil der Schaden entfiel." Die gesetzliche Gesamtschuldnormierung umfaßt aber gerade Fälle, in denen von einer Erfüllungsgemeinschaft in diesem Sinne nicht die Rede sein kann. Man denke an Mitbürgen (§§ 769, 774 Abs. II), die voneinander keine Kenntnis haben, oder daran, daß zwei Fabrikanten unabhängig voneinander Giftstoffe in ein Gewässer einleiten, wobei jeder für sich bereits den vollen Schaden herbeigeführt hätte88• Wie soll hier 79
s. 17.
Zustimmend zum Begriff Erfüllungsgemeinschaft Frotz, JZ 64, 665 (668). Dies hält ihm Börnsen, S. 87 zugute. 82 So wird Selb von Rud. Schmidt, AcP 163, 530 (533) und Hillenkamp, S. 89 ff. verstanden. 83 Selb, S. 17. 84 Selb, S. 18. ss Leonhard, SehR I, S. 738 hat darin das die Gesamtschuld prägende Merkmal gesehen. 86 Se!b,S. 17. 87 Hervorh. v . Verf. 88 Beispiel nach Rud. Schmidt, AcP 163, 333. 80
81
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§ 3 B. Die Fehlentwicklung des § 255 BGB -
zweite Stufe
ein Mitbürge oder einer der Deliktstäter "für sich und die Genossen" zahlen, von deren Existenz er überhaupt nichts weiß89 ? Aber selbst bei einer Erfassung des Begriffs "Erfüllungsgemeinschaft" ohne jedes subjektive Moment als Umschreibung der Rechtsfolge des § 422 90 begegnet Selb ein zweifaches Bedenken. Indem Selb § 422 zur Wesensbestimmung der Gesamtschuld hinzunimmt, macht er in einem Zirkelschluß die Rechtsfolge zur Voraussetzung. Darauf hat Ehmann91 erneut hingewiesen. § 422 vermag so wenig wie § 421 die Antwort auf die Frage zu geben, zu deren Klärung Selb den Begriff "Erfüllungsgemeinschaft" verwendet wissen will, - wann der Gläubiger im Gegensatz zur Kumulation die Leistung nur einmal erhalten soll. § 422 bestimmt auch inhaltlich keine "Miterfüllung" im Selbschen Sinne. Das Erlöschen der Mitverpflichtungen über § 422 bleibt in seiner Wirkung hinter der Erfüllung (§ 362) weit zurück. Die Befreiung nach § 422 hat mit der Erfüllung nur eine Funktion gemein, einen weiteren Zugriff des Gläubigers auf den Schuldner zu verwehren. Die zweite wesentliche Funktion der Erfüllung, die endgültige Befreiung auf Grund der erbrachten Leistung, ist durch Bezugnahme auf § 426 in Abhängigkeit von der Notwendigkeit eines Ausgleichs im Innenverhältnis gesetzt. Eine Erfüllung im Sinne des § 362 ist somit auf die relative Beziehung zwischen dem leistenden Schuldner und dem Gläubiger beschränkt92 • Es bleibt somit festzuhalten: Wie man das Kriterium "Erfüllungsgemeinschaft" auch dreht und wendet, es ist in keinem Falle geeignet zur Abgrenzung der Gesamtschuld gegenüber anderen Fällen der Schuldnermehrheit. 2. Das Kriterium "Gleichstufigkeit" a) -bei Selb Zum Inhalt des zweiten Merkmals einer engbegrenzten Gesamtschuld, dem als Konträrbegriff die Ungleichstufigkeit bei den Fällen des§ 255 korrespondiert, äußert sich Selb nicht weniger dunkel. Unter "Gleichstufigkeit" könnte einmal ein gleiches Maß interner Beteiligung, eine gleichhohe endgültige Haftungsquote verstanden werden, in dem Sinne, wie die Hilfsregel des § 426 Abs. I, S. 1 eine interne Verpflichtung zu gleichen Anteilen bestimmt. Eine derartige
90
Vgl. Rud. Schmidt, AcP 163, 333; Ehmann, § 2 IV, 5. In diesem Sinne Börnsen, S. 87.
91
§ 2 III, 2.
92
Zum "kommunizierenden System" der §§ 422, 426 Abs. II vgl. Ehmann,
89
§ 3 IV, 2 b, e.
I. Die Gesamtschuld-gleichstufige Erfüllungsgemeinschaft?
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Auslegung wäre jedoch mit der gesetzlichen Gesamtschuldnormierung unvereinbar, die durch die offene Fassung des § 426 Abs. I, S. 1, "soweit nicht ein anderes bestimmt ist" - ausgefüllt z. B. durch Kriterien des § 254 - ein breites Spektrum möglichen Ausgleichs zwischen den Größen 0 und 1 eröffnet. Selb 93 warnt denn auch: "Bei der Beurteilung der Kategorien ist zu beachten, daß man nicht Gleichstufigkeit und gleiches Maß interner Beteiligung in eines setzt." Das kommt nicht von ungefähr. Esser94 war bereits soweit gegangen, sogar die Fälle gesetzlicher Gesamtschulclanordnung- §§ 840 Abs. II und III- wegen der einseitigen Schadensverteilung im Innenverhältnis zu "scheinbaren" Gesamtschulden zu degradieren. Selb stellt in seiner Kritik an Esser nochmals klar, was Verschiedenstufigkeit nicht besagen soll95 : "Die scheinbare Gesamtschuld kennt eben nur die interne Haftung eines der Schuldner, die echte Gesamtschuld kennt auch einmal die volle interne Belastung eines Gesamtschuldners. Im ersteren Falle ist mit der Verschiedenstufigkeit der Haftung ganz selbstverständlich eine einseitige interne Lastenverteilung gegeben, im letzteren Falle ist mit der Gleichstufigkeit noch lange nicht über das gleiche Maß interner Beteiligung entschieden96." Was Selb vielleicht gemeint hat, läßt sich aus anderem Zusammenhang mehr erahnen denn erschließen. Gesamtschuldausgleich soll nach Selb 97 eine "gesetzliche Interessengemeinschaft" zur Voraussetzung haben, damit ein "Gemeinschaftsausgleich" stattfinde. Selb kennzeichnet die "gesetzliche Interessengemeinschaft" mit Kriterien, die wohl zugleich eine Umschreibung der "Gleichstufigkeit" darstellen98 : "Nicht der gleichmäßige Ausgleich macht die Interessengemeinschaft aus, sondern das gemeinschaftliche Einstehen nach außen, dem Gläubiger gegenüberuu." Die Berechtigung, in dieser Aussage eine Definition der Gleichstufigkeit zu sehen, folgt mangels anderer eindeutiger Aussagen daraus, daß die Fälle der "Interessengemeinschaft" und der "Gleichstufigkeit" voraussetzungsgleich sind, weil bei Selb beide Begriffe in gleicher Weise als Gesamtschuldkriterien bezeichnet werden. Dann aber hat Ehmann 100 Selb ganz zu Recht entgegengehalten: 93 94 95 98 97 98 99 100
s. 19.
Schuldrecht, 2. Aufl., § 98, 4, I, S. 453. Fn. 26 zu S. 19. Hervorh. v. Verf. S. 25 ff.; S. 39, 41; Fn. 26 zu S. 19. Fn. 26 zu S. 19. Hervorh. v. Verf. § 2 III, 2.
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§ 3 B. Die Fehlentwicklung des § 255 BGB - zweite Stufe
"Wenn Gleichstufigkeit nur bedeuten soll, daß alle Schuldner dem Gläubiger gleichermaßen verpflichtet sind, dann ist dies nichts anderes als eine Floskel; denn dies ist in§ 421 bereits viel deutlicher als Voraussetzung genannt." Es ist aber nicht auszuschließen, daß Selb etwas ganz anderes gemeint hat und den Begriff deshalb nicht beschreiben konnte, weil er sich logisch nicht erfassen läßt. Darauf wird noch im Rahmen einer Analyse des von Selb zum Kennzeichen des Regresses nach § 255 erhobenen Begriffs der "Ungleichstufigkeit" einzugehen seintot. b) -bei Larenz Wie wenig rational faßbar die Seihsehen Gesamtschuldkriterien sind, wird bei Larenz deutlich. Dort haben die Begriffe schon einen ganz anderen Gehalt102, obwohl Larenz103 die Auslegung des § 255 und damit die stufende Wertung von Selb voll übernimmt. Bei ihm dient das Merkmal "wechselseitiger Tilgungsgemeinschaft", dem er gleichrangig die "Gleichstufigkeit" zuordnet, zur Abgrenzung der Gesamtschuld von Fällen gesetzlicher oder vertraglicher Zession104 • Dabei umschreibt er die "Gleichstufigkeit" mit Kriterien, die bei der Erschließung des Innenverhältnisses unter Gesamtschuldnern wiederum auftauchen. Daraus müßte sich folgerichtig eine Beschränkung der Gesamtschuld auf Fälle gleicher Quotelung ergeben. Da diese Konsequenz sein Gesamtschuldkriterium ad absurdum führt, kann Larenz sie nicht anerkennen, auch mit Rücksicht auf die ständige Rechtsprechung105 zur Anwendung des § 254 im Rahmen des § 426, die jede Haftungsverteilung zwischen voll einseitiger Überwälzung und voller Entlastung eröffnet. Zur Vermeidung eines offenkundigen Bruchs mit der gesetzlichen Regelung ist Larenz schließlich sogar gezwungen, bei bestimmten gesetzlichen Gesamtschuldfällen auf das Merkmal "Gleichstufigkeit" und damit zugleich auf die "Tilgungsgemeinschaft" zu verzichten106 : "Denn wenn es an solcher Gleichstufigkeit fehlt, dann ist, - sofern nicht etwa das Gesetz eine Gesamtschuld ausdrücklich angeordnet hat, die für die Gesamtschuld charakteristische wechselseitige Tilgungswirkung nicht anzunehmen und das Vorliegen einer Gesamtschuld aus tot Vgl. unten § 3 B, li, 2. 102
Vgl. hierzu die eindringliche Darstellung bei Ehmann, § 2 IV, 4.
toa Lehrbuch des Schuldrechts, Allgemeiner Teil,§ 37.
104 Larenz, SchRAT, § 37 I, S. 434. Diese Abgrenzung erweist sich auf dem Boden des hier vertretenen dreigliedrigen Gesamtschuldbegriffs schon deshalb als unsinnig, weil die gesetzlichen Zessionsfälle Gesamtschulden sind, bei denen "etwas anderes bestimmt" ist. Vgl. Ehmann, § 2 IV, 2 a. 105 Vgl. aus neuer Zeit BGH NJW 72, 1802 (1803) = BGHZ 59, 97; BGHZ 51, 275 (279); 43, 227 (231); st. Rspr. tos SchRAT,§ 37 I, S. 436.
II. § 255 BGB- Verschiedenstufigkeit externer Wertung?
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diesem Grunde zu verneinen101 ." Das Versagen der Selbschen Kriterien kann nicht deutlicher werden als durch ihre Unbrauchbarkeit in Fällen gesetzlicher Gesamtschuldanordnung. II. Verschiedenstufigkeit bei§ 255 BGBeine externe Wertung? Der Gedanke Selbs, eine stufende Wertung der einzelnen Verpflichtungen mehrerer Schuldner vorzunehmen, ist nicht neu; ein Eingehen auf seine Entwicklung mag zu seiner richtigen Einordnung hilfreich sein. Selb findet in der Verschiedenstufigkeit mehrerer konkurrierender Forderungen das Abgrenzungsmerkmal zur Gesamtschuld und damit zugleich den Geltungsgrund für eine cessio legitima über § 255, vermittelt durch eine einseitige Vorteilsausgleichung. Verschiedenstufigkeit soll, wie der Autor im Zusammenhang mit dem konträren Merkmal "Gleichstufigkeit" äußert, nicht zu verwechseln sein mit der Frage nach dem "Maß interner Beteiligung"108. Noch deutlicher kommt die Zuordnung des Begriffsinhalts zum Außenverhältnis zum Ausdruck, wenn Hagen 109 zur Widerlegung eines reinen Differenzschadensbegriffs ausführt110: "Ebensowenig kann der Differenzschadensbegriff die Fälle klären, in denen bereits im Außenverhältnis eine ungleichstufige Schuldnermehrheit111 vorliegt, wie z. B. bei der vielerörterten Haftungskonkurrenz zwischen Schädiger und Unterhaltspflichtigem, Schädiger und Baulastpflichtigem, Schädiger und Schadensversicherer, Schädiger und zur Lohnfortzahlung verpflichtetem Arbeitgeber usw." 1. Die Ursprünge stufender Wertung
Geht man auf die Ursprünge des Begriffs "Verschiedenstufigkeit" zurück, so fällt auf, daß er in ganz anderem Zusammenhang entwickelt wurde, zur Typisierung interner Tragungspflicht bei der Gesamtschuld, nicht jedoch zur Eröffnung eines neuen Regreßweges über § 255. Rabel 112 spricht in diesem Sinne von einer "Solidarität mit zweistufigem Innenverhältnis"113. Er verdeutlicht diesen Begriff mit der Feststellung114 : 101 108 109 110
Hervorh. v. Verf. Selb, S. 19. Die Drittschadensliquidation im Wandel der Rechtsdogmatik, 1971.
s. 159.
Hervorh. v. Verf. 112 Ausbau oder Verwischung des Systems, in Rhein. Zeitschr. für Zivilund Prozeßrecht 10 (1919/20), S. 89 ff. = S. 309 ff., Ges. Aufsätze I. 113 S. 92 = S. 311/312, Ges. Aufsätze I. 114 S. 92/93 = S. 311/312, Ges. Aufsätze I. 111
4 Münchbach
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§ 3 B. Die Fehlentwicklung des § 255 BGB -
zweite Stufe
"Es ist nichts Seltenes, daß ein Schuldner als dem Schaden näher zu betrachten ist, daß es also als gerecht erscheint, den Schaden in letzter Reihe auf ihm "sitzen" zu lassen, .. .. Diese Erwägung spielt eine bekannte große Rolle bei der Verteilung der Schuldlast im inneren Verhältnis wahrer Korrealschuldner." Auch Rud. Schmidt115 verwendet das Begriffspaar Gleich- und Verschiedenstufigkeit zur Kennzeichnung des Innenverhältnisses bei der Gesamtschuld. Mit Gleichstufigkeit bezeichnet er den Fall, daß mehrere Schuldner "auf derselben Stufe" stehen und deshalb zufolge der Hilfsregel des § 426 Abs. I, S . 1 als Gesamtschuldner im Innenverhältnis zu gleichen Anteilen verpflichtet sind116 • Im Falle der Verschiedenstufigkeit soll nicht etwa der Regreß über § 426 zugunsten einer Anwendung des § 255 ausgeschlossen sein. Wenn mehrere Schuldner "auf verschiedener Stufe" stehen, besage dies lediglich, "daß sich damit ein Regreß nach der Hilfsregel des § 426 verbietet"117. Erstmals in neuerer Zeit118 wird der Gedanke stufender Wertung nach der Schadensnähe in einer über die Kennzeichnung des Innenverhältnisses hinausgehenden Bedeutung erwähnt. Verschiedenstufigkeit dient bei Wüst119 zur Erklärung einer "externen Rangordnung" von Unterhaltspflichten. Er geht von der "zweistufigen Solidarität" Rabels und dessen Beispiel der körperlichen Verletzung eines Jungen durch einen Deliktsschädiger aus, wobei der unterhaltspflichtige Vater die Heilungskosten trug, und anerkennt den Gedanken der stufenden Wertung mit der Feststellung120 : " - der deliktische Schädiger ist ,näher dran', den verursachten Schaden auszugleichen -", um dann fortzufahren 121 : "Vergleichbare Gedanken begegnen uns bei der Stufung der Unterhaltspflichten in § 1606 bis 1608 BGB, aber auch bei der unehelichen Kindschaft in § 1709 Abs. II BGB. Zwar kann man nicht von Solidarschuld sprechen, denn nach dem Gesetz ist der Erzeuger, wenn wir beim letzteren Fall bleiben wollen, primär unterhaltspflichtig (§ 1709 I BGB), die Rangfolge also klargestellt und zwar auch extern wirksam122 ." Von dieser "externen Rangordnung" unterscheidet der Autor die Fälle interner Stufung123 : "Gleichzeitig dasselbe schulden, 115 116
Unechte Solidarität, JherJb 72, 96 ff.
s. 100.
s. 101. Der Gedanke kommt bereits 1907 bei Schulz zum Tragen, vgl. oben Fn. 70 zu§ 3. 119 Die Interessengemeinschaft, ein Ordnungsprinzip des Privatrechts, 1958, s. 80 ff. 120 s. 81/82. 121 s. 82. 122 Hervorh. v. Verf. 123 s. 82. 117
118
II. § 255 BGB- Verschiedenstufigkeit externer Wertung?
51
wenn wir einen Schritt weiter gehen, Hauptschuldner und selbstschuldnerischer Bürge. Ähnlich ist die Lage, wenn neben dem Täter eine Schadensversicherung einzustehen hat. Aber auch dann stehen die Schuldner nicht auf derselben Ebene; zwischen ihnen besteht vielmehr intern eine Rangordnung." Die Vorschrift des § 255 begreift Wüst im Gegensatz zu Selb als Ausdruck einer solchen internen Stufung. Er sieht jedoch in diesem Merkmal nicht das Kriterium eines besonderen, von der Gesamtschuld streng zu scheidenden Regreßweges, sonst könnte er nicht § 255 und Gesamtschuldfälle gerade in Bezug auf diese Abstufung gleichsetzen124 : "Darin (lies: in§ 255) ist zugleich mittelbar eine Stufung ausgesprochen, die den Dieb als den näher Verpflichteten bezeichnet. Schließlich gibt es auch im Deliktsrecht ein Beispiel; in § 840 II und III BGB werden intern bei mehreren deliktischen Gesamtschuldnern näher und ferner Verpflichtete unterschieden." Schon aus der Entwicklung des Begriffs Verschiedenstufigkeit und seiner Ausfüllung durch bedeutende Autoren spricht alles gegen, nichts für die Begriffsbildung Selbs, die sich nicht auf die Frage ungleicher Verteilung der endgültigen Tragungspflicht im Innenverhältnis beschränken, sondern Kennzeichen einer besonderen Gruppe von Regreßfällen des § 255 außerhalb der Gesamtschuld sein soll. Es drängt sich deshalb die Frage auf: 2. Selbs Unterscheidungskriterium- ein Phantom?
Selb versteht Verschiedenstufigkeit als Funktion einer Wertung125 und umschreibt den Begriff und mit ihm zugleich den Anwendungsbereich der Regreßnorm § 255 als 126 "Fälle verschiedenstufiger Forderungen, bei denen die eine in der Weise hinter der anderen zurücktritt, daß sie nur eine Vorschußleistung gibt, ... ". Erst an Hand eines seiner Anwendungsfälle für das Regreßprinzip konkretisiert er, wie die Wertung beschaffen sein soll, die zur Annahme der Verschiedenstufigkeit führt1 27 : "Es wird eine Wertung von uns verlangt, wer dem Schaden näher steht. Wie beim Grundfall des Verwahrers und Diebes können wir festhalten, daß einer der Beteiligten unmittelbarer Schadensstifter128 ist, der andere aber nur die Möglichkeit gegeben hat, daß jener den Schaden stiftete." Selb wertet die Verbindlichkeiten also nach dem Maß der beiderseitigen Ursächlichkeit oder den Umständen bei der 124 125 126 127 128
s. 82/83. s. 23 ff. s. 18. s. 24.
Hervorh. v. Verf.
§ 3 B. Die Fehlentwicklung des § 255 BGB -
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zweite Stufe
Schadensentstehung129• Dies aber sind genau die gleichen Kriterien, die auch bei § 426 zur Bestimmung des Innenverhältnisses in Verbindung mit einer analogen Anwendung des § 254 heranzuziehen sind. Worin soll dann der Unterschied zu einer Festlegung der Beteiligung im Innenverhältnis bei gleicher Haftung auf das Ganze nach außen noch liegen? Und dennoch mahnt Selb bei der Darstellung der Gleichstufigkeit, dem Konträrbegriff zur Verschiedenstufigkeit, zu beachten130, "daß man nicht Gleichstufigkeit und gleiches Maß interner Beteiligung in eines setzt" und fährt an anderer Stelle fort 131 : "Vor allem besagt dieses auf verschiedener Stufe stehen noch verschiedenes: Der Unterschied der Haftung kann die interne Verteilung betreffen, er kann aber auch schon bedeuten, daß keine gesamtschuldnerische Haftung vorliegt." Bemerkenswert ist, was schon am Begriff Gleichstufigkeit und Erfüllungsgemeinschaft auffiel: Sobald Selb die Höhe wohlklingend allgemein formulierter Begriffe verläßt und vereinzelt auf präziser faßbare Kriterien eingeht, wird das Versagen seiner Begriffsbildung deutlich. Es sei deshalb die - noch zu beweisende Behauptung - gewagt: In unser Rechtssystem läßt sich eine Verschiedenstufigkeit im Selbschen Sinne nicht einordnen, die einerseits weder Subsidiarität im Außenverhältnis unter mehreren Haftenden kennzeichnen, noch andrerseits lediglich eine ungleiche Verteilung der endgültigen Haftungsquote (innerhalb des Spektrums 0 -1) bei voller Haftung im Außenverhältnis gegenüber dem nur einmal berechtigten Gläubiger bedeuten soll. In gleicher Weise gibt es im System des BGB keine Gleichstufigkeit von Forderungen - die noch dazu als konstitutives Merkmal einer Gesamtschuld dienen - und dabei etwas anderes oder mehr besagen soll, als eine Umschreibung der vollen Außenhaftung der einzelnen 129 Mit diesen Maßstäben kommt Selb, - sein Modell erlaubt keine weitergehende Differenzierung - in einem Fall zur 0 :I-Verteilung, der sogar zwingend eine Verteilung der Schadenslast auf beide Beteiligten erfordert (S. 24): "A besaß bei Kriegsende ein Motorrad. Die einrückenden Besatzungstruppen nahmen es mit und schenkten es, als es defekt wurde, dem Bauern B. Dieser reparierte es, und fuhr damit. Eines Tages ließ er den Knecht K, der noch keinen Führerschein besaß, darauf üben. K fuhr dabei zu schnell, wurde aus einer Kurve getragen und verwandelte das Motorrad zu wertlosem Schrott. A, der den Verbleib des Motorrads ermittelt hat, verlangt von K Schadensersatz. K will nur leisten, wenn A ihm seine Ansprüche gegen B abtritt." Selb hält das Zessionsbegehren des K für ausgeschlossen, weil er dem Schaden näher stehe und deshalb letztlich allein dafür eintreten müsse. Eine differenziertere Betrachtung, die in diesem Fall erst zum billigen und gerechten Ausgleich führen könnte, ist ihm konstruktiv versagt. Dabei müßte bereits der Begriff "näher stehen" als relative Aussage eine anteilige Quotelung eröffnen. 130 131
s. 19.
s. 39.
II. § 255 BGB- Verschiedenstufigkeit externer Wertung?
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Schuldner gegenüber dem Gläubiger oder die Feststellung einer anteilig gleichen Verteilung der endgültigen Haftungsquote im Innenverhältnis unter mehreren Schuldnern. Eine Wertung, die zu einer Position zwischen den angegebenen führen soll, ist sowohl systemfremd als auch logisch unhaltbar. Selb nimmt aber gerade diese dritte Position für sich in Anspruch. wenn er die Verschiedenstufigkeit nicht als intern sondern extern132 wirksames Merkmal auffaßt, ohne damit allerdings den Fall der Subsidiarität begreifen zu wollen. Dieser Begriffsinhalt ist jedoch in sich widersprüchlich, wie schlagend aus einer Gegenüberstellung zweier möglicher Haftungsmodelle folgt. Es sind zwei Grundformen eines Haftungssystems bei Mehrfachverpflichtung denkbar: Entweder man stuft bereits mit externer Wirksamkeit nach der Schadensnähe der einzelnen Verbindlichkeiten ab und gewinnt so die Teil-Haftung oder Subsidiarität, oder bezieht die Abstufung nur auf den Innenaus~tleich bei voller Außenhaftung auf das Ganze. Die Verschiedenstufigkeit nach außen macht einen Regreß überflüssig, da sie sogleich ohne überschießende Belastung des einzelnen Schuldners eine den Verantwortungsbeiträgen entsprechende Verteilung der Schadensersatzpflicht gewährleistet. Dieses System birgt aber vor allem den Nachteil für den Gläubiger, daß die Haftung jedes einzelnen in Anspruch genommenen Schuldners sich erst nach einem Eingehen auf die Verantwortungssphären aller anderen Mitschuldner festsetzen läßt133 • Den Weg einer externen Abstufung ist das Gesetz bei den Unterhaltsansprüchen der §§ 1601 ff. gegangen134 . In dieses System paßt die Selbsche Verschiedenstufigkeit nicht, denn sie hat als Kriterium eines Rechtsmodells dort keine Berechtigung, wo Regreß als Mittel zur Herstellung einer gerechten Schuldnerbelastung überflüssig ist. Extern wirksame Verschiedenstufigkeit legt bereits selbst als Folge ihrer Außenwirkung die endgültige Belastungsquote eines jeden Schuldners fest. Ein einheitliches Gläubigerinteresse entfällt, das die Gesamtschuld und auch das Regreßmodell Selbs bei der Außenhaftung kennzeichnet. 132 Auch Dilcher versteht Selb in diesem Sinne, wenn er die Frage aufwirft (JZ 67, 110 (112)): "Da das einheitliche Leistungsinteresse des Gläubigers in allen F ällen vorliegt, erhebt sich die Frage, wann es sich um eine bloß interne Pflicht eines Gesamtschuldners handelt, die ganze Leistung endgültig zu tragen, wann dagegen eine (die Gesamtschuld ausschließende) extern wirkende Verschiedenstufigkeit vorliegen soll." (Hervorh. v. Verf.). Vgl. dazu Selb, S. 39; Wüst, S. 82. 133 Vgl. Hauß, Anm. zu BGH LM § 840, Nr. 7. 13 4 Vgl. auch das Beamtenprivileg des § 839 Abs. I, S. 2 Subsidiäre Haftung als Fall externer Verschiedenstufigkeit.
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Ein Ausgleich im Wege des Regresses ist nur dann erforderlich, wenn das Gesetz nach außen von einer Wertung völlig abstrahiert und so zur gleichmäßigen Verpflichtung aller Schuldner gelangt. Dieser ist jedoch dann ins Innenverhältnis verlagert, denn an die gleichlautenden Außenverpflichtungen läßt sich keine stufende Wertung mit externer Wirkung mehr anlegen. Den letzteren Weg hat das BGB mit der Gesamtschuld eingeschlagen. In dieses System läßt sich aber eine Verschiedenstufigkeit nicht einordnen, welche die Gesamtschuldregeln ausschließen, einen Regreßweg über § 255 eröffnen und dabei weder die gleichmäßige Haftung nach außen gegenüber dem Gläubiger, noch die Verteilung der endgültigen Schadensübernahme im Innenverhältnis betreffen soll. - Tertium non datur! Trotz aller Ungereimtheiten findet der Seihsehe Begriff der Verschiedenstufigkeit und die Notwendigkeit einer ihm zugrundeliegenden Wertung gerade in den modernen Lehrbüchern von Larenz135 und Esser136 Verwendung, als Abgrenzungsmerkmal des Zessionsregresses über § 255 gegenüber der Gesamtschuld. Er ersetzt weitgehend die bisherigen Kriterien der "unechten Gesamtschuld" 137 • Selbstredend zeigt sich auch dort sein Versagen gerade dann, wenn vom Blankettbegriff abgegangen und eine nähere Umschreibung gewählt wird138 •
Larenz bemüht sich um eine Klarstellung des Unterschieds zwischen dem gestuften Regreß nach § 255 und einem nur intern einseitigen Gesamtschuldausgleich139 : "In den Fällen, die das Gesetz in § 255 im Auge hat, wertet es die Verpflichtungen des einen und des anderen Schädigers jedoch nicht als gleichwertig. Vielmehr ist hier nach der Wertung des Gesetzes der eine der Schädiger näher dar an, den Schaden letztlich zu tragen, als der andere ... ". Das Gegenteil soll Kriterium 135
Lehrbuch des Schuldrechts, Band I, Allgemeiner Teil, 10. Aufl., 1970;
§ 32 I.
Schuldrecht, Band I, Allgemeiner Teil, 4. Aufl., 1970; § 48 IV. Vgl. auch Medicus, § 33, 1 b, 2 und Esser, SchRAT, § 48 IV, S. 345; Für mehrere demselben Leistungsinteresse dienende Ersatzansprüche zieht Esser, SchRAT, § 59 IV jedoch nicht die Konsequenz einseitiger Tilgung aus der stufenden Wertung. Auch bei Leistung des nur in zweiter Linie Verpflichteten soll der Schaden entfallen. Er konstruiert den Regreß über § 812 Abs. I, S. 1, 2. Alt. (Rückgriffskondiktion). Die stufende Wertung liefert hierzu die Begründung : Der Erstverpflichtete werde durch die Leistung des nachrangigen Schuldners ohne rechtlichen Grund befreit. 138 Kritisch zu diesem Kriterium auch Frotz, JZ 64, 665 (669): "Mir s·c heint es freilich zweifelhaft, ob Gleich- oder Verschiedenstufigkeit der Haftung überhaupt ein dem Gesetz entsprechendes Abgrenzungskriterium ist: die gesetzlichen Gesamtschuldfälle weisen eher auf das Gegenteil hin." Er löst (S. 670) wie später auch Esser, SchRAT, § 59 IV, 4 die Regreßfrage über Bereicherungsrecht. 139 SchRAT, § 32 I, S. 383. 136
137
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der Gesamtschuld sein, "die Gleichstufigkeit oder Gleichwertigkeit der Verpflichtungen, an der es dann fehlt, wenn von vornherein und nicht erst auf Grund einer Abwägung im Einzelfall etwa analog § 254140 einer der Verpflichteten als der letztlich Alleinverpflichtete anzusehen ist" 141 • Auch beim Zusammentreffen von Gesamtschuldnern im gesetzlich festgelegten Verhältnis des § 840 Abs. II und III zueinander liegt die volle interne Einstandspflicht eines Schuldners für den Schaden bereits von vornherein, nicht erst auf Grund einer Abwägung im Einzelfall fest142 • Der gesetzlichen Regelung des § 840 Abs. II und III liegen die gleichen Erwägungen zugrunde, die bei einer Einzelfallabwägung nach § 254 im Rahmen des § 426 maßgeblich wären, - eine Bemessung der Verursachungsbeiträge und der Umstände des Schadensfalles. Der Unterschied besteht allein in der ausdrücklichen gesetzlichen Normierung des Ergebnisses einer ins Gesetzgebungsverfahren vorverlagerten Wertung für eine h äufig vorkommende, typische Fallgestaltung. Auch hinsichtlich der Zerstörung einer Sache im Verhältnis Verwahrer Dieb läßt sich der letztlich Verpflichtete von vornherein feststellen, denn es handelt sich insoweit um eine typische Verteilung der Verantwortung. Mit den Kriterien unmittelbarer und mittelbarer Verursachung verwendet auch Selb 143 bei diesem Fall Wertungsmaßstäbe, die mit denen des § 254 identisch sind. Die Unterscheidung von Larenz würde letztlich darauf hinauslaufen, den typischen Fall offenkundiger Verpflichtung eines Schuldners zur vollen Schadensübernahme als verschiedenstufig dem § 255 zuzuordnen, den im einzelnen schwieriger gelagerten atypischen Fall dagegen, der erst nach eingehender Prüfung der Abwägungskriterien des § 254 vielleicht zum gleichen Ergebnis einer voll einseitigen Haftungsverteilung führt, der Gesamtschuldregelung vorzubehalten. Die Undurchführbarkeit dieser Unterscheidung liegt auf der Hand. Zusammenfassend ist festzuhalten: Eine Verschiedenstufigkeit als Abgrenzungskriterium der Regreßfälle des § 255 gegenüber der Gesamtschuld im Sinne Selbs gibt es nur als nebelhaften Blankettbegriff, als Phantom. In Wahrheit - und das wird immer dann deutlich, wenn die Vertreter dieser Auffassung die abstrakte Begriffshöhe verlassen und konkreter werden- handelt es sich um genau die gleichen Kriterien, die gleiche Abstufung, welche im Rahmen der Gesamtschuld bei § 426 zur Bestimmung des Innenverhältnisses innerhalb eines Spekuo Hervorh. v. Verf. u1 SchRAT,§ 37 II, S. 436. 142 Vgl. zur Kritik an Larenz insofern auch HiHenkamp, S. 75. 143 22, 24.
s.
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zweite Stufe
trums von 0 bis 1 notwendig wird oder gesetzlich bereits vorgegeben ist144• 3. § 255 BGB -
gesetzliche Stütze der Lehre Selbs?
Selb und die Anhänger seiner Lehre sehen den Grund für die Anwendung einseitiger Vorteilsausgleichung bei § 255 in einer stufenden Wertung, welche dieser Vorschrift immanent seP 45 • Die einseitige Vorteilsausgleichung soll bewirken, daß "zwar dem Verwahrer die Leistung des Diebes, nicht aber umgekehrt die des Verwahrers dem Dieb zugutekommen" kann146 , oder wie Selb 147 zu einem anderen Schulbeispiel ausführt, daß der Brandstifter nicht einfach durch die Leistung des Baulastpflichtigen befreit wird, denn "die Leistung des Baulastpflichtigen geht ihn nichts an". Die stufende Wertung im Sinne Selbs ist weder methodisch in das geltende Haftungssystem bei Mehrfachverpflichtungen einzuordnen noch als Abgrenzungskriterium für Regreßfälle des § 255 gegenüber der Gesamtschuld tauglich. Mit § 255 als gesetzlichem Aufhänger sucht Selb seine Konstruktion abzusichern und als dem Gesetz entsprechend darzustellen148 : "Immerhin erkennen wir, daß einmal die Schadenslehre den Gedanken des nur einseitigen Vorteilsausgleichs nicht ohne Anhalt im BGB entwickeln mußte, und daß andrerseits die Lösungen der Beispielfälle jener Lehre vom einseitigen Vorteilsausgleich der gleichen stufenden Wertung, wie sie in § 255 zu finden ist, entsprechen", denn: "Die Bestimmung des § 255 BGB enthält nur die folgerichtige Weiterführung der Idee von der einseitigen Vorteilsausgleichung149 und gleich144 durch gesetzliche Normierung wie § 840 Abs. II, III oder Zessionsnormen, z. B. § 67 VVG etc.
145 148
147 148
SeZb, S. 22 - 24. 23. s. 31. s. 24.
s.
149 Die Vorteilsausgleichung wird bei SeZb versagt, nicht etwa im Interesse des Geschädigten, sondern im Interesse dessen, dem der Fortbestand des Anspruchs einen Regreß ermöglicht. Für den Geschädigten selbst ist der Fortbestand des Schadensersatzanspruchs nur ein Durchgangsposten ohne Vermögenswert, da er zugleich mit der Abtretungspflicht belastet wird (vgl. Rud. Schmidt, AcP 163, 530; Hüffer, S. 115; ThieZe, AcP 167, 193 (213, 216)). Damit wird dieses Rechtsinstitut durch den Einsatz als Regreßhilfe seines eigentlichen Sinnes entkleidet. Nicht mehr die Sphäre des Geschädigten, sondern das Dreiecksverhältnis ist nunmehr ihr Maßstab. Kritisch zum zweistufigen Denkprozeß SeZbs, zunächst im Rahmen der Schadensberechnung mit dem Erhalt der Forderung des Ersatzberechtigten die Grundlage für die dann auszuführende Zession zu schaffen, Hüffer, S. 112 (Der Rückgriff gegen den deliktisch handelnden Schädiger bei Entschädigungsleistungen Dritter, 1970). Er sieht im französischen und angloamerikanischen Surrogationsregreß das Vorbild für eine sachgerechte Lösung der Regreßfrage. Dem in rechtsvergleichender Betrachtung gewon-
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zeitig implicite die Entscheidung für einige solcher Fälle150." Wenn Selb eine vorgeblich dem § 255 immanente Wertung so pauschal und bestimmt zur Rechtfertigung seiner Lehre in Anspruch nimmt, so müßte sie zweifellos bei allen Anwendungsfällen dieser Vorschrift zum Ausdruck kommen - auch bei dem stets unstreitigen "Mindest"-Anwendungsbereich des Ausgleichs bei physischem und rechtlichem Fortbestand einer Sache innerhalb der Dreiecksbeziehung. Auffallend ist allerdings, daß Selb diesem für die Frage nach dem Sitz einer Wertung so bedeutsamen Fallbereich lediglich in einer Fußnote151 , somit völlig unzureichend Beachtung schenkt. Dabei wird gerade in diesem eigentlichen Anwendungsbereich der Vorschrift offenbar, wie sie ohne, ja sogar konträr jeder Wertung nach der Schadensnähe arbeitet. Vorab 152 mag ein einziges Beispiel als Exempel genügen: Die dem Eigentümer A 1 gestohlene Sache wird von A gefunden und als dem A 1 gehörig erkannt. A gibt sie als Treuhänder für A 1 beim Verwahrer B in Verwahrung, der sie unterschlägt und an den gutgläubigen C veräußert153. Der Aufenthalt des C ist unbekannt, die Sache sei: (a) -
noch bei C vorhanden,
(b) -
während der Rechtshängigkeit des Herausgabeanspruchs bei C infolgedessen leichter Fahrlässigkeit untergegangen.
Der Fall ist dem Schulbeispiel Verwahrer - Dieb konträr gelagert. Bei Anwendung der stufenden Wertungsmaßstäbe Selbs wäre der vorsätzlich unterschlagende VerwahrerB gegenüber dem gutgläubigen Erwerber C in beiden Fällen (a) und (b) als der letztlich Alleinverpflichtete anzusehen. Dann müßte aber auch § 255 in beiden Fällen zur Abtretung der Ansprüche des A gegen den unmittelbaren Schadensstifter B an den gutgläubigen Erwerber C führen. Im Falle (a) kann jedoch- gerade umgekehrt- stets nur der Verwahrer B die Abtrenenen Prinzip des Regresses als eines einheitlichen Vorgangs soll im deutschen Recht am ehesten noch ein Rückgriff analog§ 255 entsprechen (S. 111 ff.). Hüffer verkennt jedoch, daß § 255 auch in analoger Anwendung keine Handhabe für den Regreß beim Zusammentreffen von Schadensersatzansprüchen bietet. 150 Selb, S. 22. 151 Selb, Fn. 43, zu S. 24 Nur L eonhard, SehR I, S. 210 dient Selb als Beleg für das durch die Lehre von der wechselseitigen Tilgung bedingte Fehlverständnis des § 255. 152 Vgl. zum ganzen unten§ 7 IV, 3 u. 4. 153 Rechtsinhaber A 1 und der treuhänderis'ch Handelnde A entsprechen betrachtet man den Schaden des A 1 und den Anspruch des A vereint dem Berechtigten A im Schulfall Verwahrer-Dieb. Die Vereinigung wird rechtlich durch die Figur der Drittschadensliquidation vollzogen. Der Vertragspartner A des Verwahrers B kann mittels seiner Vertragsansprüche den Schaden des A 1 bei B Zug um Zug gegen Abtretung der Re'c hte aus dem Eigentum liquidieren.
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§ 3 B. Die Fehlentwicklung des § 255 BGB - zweite Stufe
tung der Herausgabeansprüche des A gegen C verlangen und zwar ganz unabhängig davon, ob B wie hier als vorsätzlich Unterschlagender einem gutgläubigen Erwerber C, oder ob wie im Schulfall dem nachlässigen VerwahrerB ein vorsätzlich handelnder Dieb C gegenübertritt. Im Schulfall entspricht die Richtung der Abtretung nur zufällig der Wertung, bei umgekehrter Verteilung der Verantwortung ist sie ihr gerade entgegengesetzt. Dies folgt in beiden Fällen aus einer Abtretung des Herausgabeanspruchs, die § 255 stets und ganz unabhängig von einer stufenden Wertung anordnet154• § 255 abstrahiert mit gutem Grund von einer Wertung der Verpflichtungen oder den Umständen der Schädigung und zwar nicht nur im Außenverhältnis wie die Gesamtschuld, sondern auch im Innenverhältnis, denn selbst an den letztlich verantwortlichen Dieb müssen Herausgabeansprüche abgetreten werden155. Allein in der Fallgruppe (b)- beim Regreß nach Untergang der entzogenen Sache- führt die vorbenannte Wertung zum sachgerechten Ergebnis. Der tiefere Grund hierfür ist jedoch darin zu suchen, daß insoweit die gleichen Abwägungsmaßstäbe zur Anwendung kommen, die das Innenverhältnis der Gesamtschuld bestimmen. Dieser Vorgang wird allerdings durch Phantom-Begriffe verdeckt und mit dem Anschein folgerichtiger Gesetzestreue umgeben. Nachdem auch die gesetzliche Stütze der Lehre Selbs als bloßer Schein einer solchen erkannt wurde, verbleibt von dem bei § 255 angelagerten umfassenden Regreßmodell schlechterdings nichts mehr. 4. Eine Meinungsänderung Selbs?
In seiner erst jüngst veröffentlichten Abhandlung 156 scheint Selb von seiner bisher157 vertretenen, nahezu uferlosen Ausdehnung des § 255 zur Generalregreßnorm auf der Grundlage einer stufenden Wertung und einseitiger Vorteilsausgleichung abrücken und die Vorschrift enger begrenzen zu wollen. Er hat sich hier - im Gegensatz zu seiner früheren Studie- erstmals mit dem eigentlichen Anwendungsbereich des § 255 - dem Fortbestand der entzogenen Sache und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift auseinandergesetzt. Hat er hieraus die Erkenntnis von der mehr singulären Natur dieser Norm gewonnen?- Selb gelangt jedenfalls in der zusammenfassenden SchlußÄhnlich Planck I Siber, § 255, 2 a; Rud. Schmi dt, JherJb 72, 25; Zoll, S. 23. Vgl. dazu eingehend unten § 7 IV; vgl. Oertmann, VA, S. 282; Planck I Siber, § 255, 2 a; Reichel, S. 52, Fn. 1; Staudinger I Werner, § 255, Rn. 6; Metzler, JUS 71, 589 (591). 156 Entstehungsgeschichte und Tragweite des § 255 BGB, in Larenz Festschrift, 1973, S. 517 ff. 157 Schadensbegriff und Regreßmethoden, 1963. 154
155
II. § 255 BGB- Verschiedenstufigkeit externer Wertung?
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folgerung am Ende der Abhandlung zu dem, gemessen am Inhalt seiner Ausführungen recht unvermittelten Ergebnis158 : "Wir sollten den Satz (§ 255)159 nur aus seinen Anlaßfällen verstehen, d.h. a) die Zession nur dem gewähren, der aufgrund einer gesetzlichen oder vertraglichen Obhutspflicht für eine fremde Sache zum Ersatz verpflichtet ist, weil er diese Sache nicht mehr herausgeben kann, und b) gegen den, der zum Nachteil des EPfJ.1 60 diese Verpflichtung ausgelöst und damit einen Schaden des EPfl. verursacht hat. Die Einseitigkeit der Zessionspflicht wird damit gewährleistet. Wir hätten auch eine Lösung für den Fall, in dem der EPfl. dem EB.161 genau wie der Dritte aus §§ 987 ff. BGB haftet, der Dritte aber die Sache zerstörte und erneut verlor." Zwar geht Selb nicht soweit, die Vorschrift auf die Abtretung der Herausgabeansprüche bei Fortbestand der entzogenen Sache innerhalb der Dreiecksbeziehung zu beschränken162• Die dort zum Anwendungsbereich des § 255 getroffene Aussage erweist sich jedoch wesentlich enger als die generalklauselartige Weite seiner früheren Studie. Man wird wohl nicht fehl gehen, darin den Versuch eines vorsichtigen Abrückens von einer inzwischen als verfehlt erkannten Auffassung zu sehen. Es wäre allerdings wünschenswert gewesen, daß Selb, statt unvermittelt eine These zu präsentieren, sich mit seinen eigenen früheren Ausführungen auseinandergesetzt hätte, was nicht einmal andeutungsweise geschieht. Auch die in§ 255 hineingelegte stufende Wertung nach der Schadensnähe, wie wir sie noch in "Schadensbegriff und Regreßmethoden" 163 finden, liest sich jetzt anders16 4 : "Immerhin ist die Wertung sichtbar geworden, warum die Zessionspflicht und die Vorteilsausgleichung einseitig dem EPfl. zugute kommen: Die Haftung des EPfl. ist in einem weiteren Sinn Haftung für fremdes Verhalten. Deshalb soll sie nur als 158
s. 547.
Hinzufügung v. Verf. EPfl. = Ersatzpflichtiger, Verwahrer etc. 1 6 1 EB. = Ersatzberechtigter, Eigentümer etc. 162 Auch Dilcher, JZ 73, 201 schränkt allerdings ausgehend von seinem Gesamtschuldkriterium gemeinsamer Verursachung - den Wirkungsbereich des § 255 neuerdings wieder ein, wenn er im Falle Verwahrer-Dieb der Gesamtschuldregelung Vorrang einräumt. Indem Dilcher den Fall von Sachentzug und Untergang der Sache wohl gleich behandeln will, geht er jedoch über das Ziel hinaus. 183 Schadensbegriff und Regreßmethoden, 1963 Eine Studie zur Wandlung der Denkformen des Regresses bei Schuldnermehrheit mit der Veränderung des Schadensbegriffes. 164 Festschrift für Larenz, S. 547/548. 1s9
16°
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§ 4 § 255 BGB als Regreßnorm in der Rechtsprechung
Pflicht zur Übernahme des Liquidationsrisikos gegenüber dem Geschädigten zu vertreten sein. Das kann man von der Haftung des Dritten nicht sagen. Er steht für sich selbst ein, haftet in keinem Sinn für einen anderen. Ihm einen Rückgriff über die Zession zu geben, besteht kein Anlaß. Oder - um terminologische Schwierigkeiten auszuräumen -: Die Zessionspflicht kommt nur demjenigen EPfl. zugute, der i. w. S. für das Verhalten des anderen einzustehen hat." Eine weitere Deutung erscheint allerdings möglich und dürfte die Selb wohl am meisten entsprechende sein: - daß der unbefangene Leser der Studie - "Schadensbegriff und Regreßmethoden" - die Ausführungen und wahren Absichten des Verfassers dort völlig falsch verstand und deshalb zu Unrecht dagegen zu Felde zog. Dies würde nicht einmal überraschen, nachdem Selb sich über ihm widerfahrenes Fehlverständnis in dieser Studie erst jüngst beklagte165 und nicht etwa von seiner Meinung abrückte, sondern "Mißverständnisse" bei Begriffen wie "normativer Schaden" und "Sozialschaden" zurechtrückte. Dem kann nur entgegengehalten werden, daß ein Autor sich am schriftlich Fixierten sollte festhalten lassen können, und exakte Wissenschaft Anlaß zu Mißverständnissen erst gar nicht gibt. § 4 § 255 BGB als Regreßvorschrift in der höchstrichterlichen Rechtsprechung I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
Auch durch die höchstrichterliche Rechtsprechung zieht sich der Faden einer Ausdehnung des § 255 mit dem Ziele, im Sinne einer Heranziehung als Regreßhilfe der Abwicklung von Mehrfachverpflichtungen nach Schadensfällen zu dienen. Schon in ihren Anfängen, bereits unmittelbar nach dem Inkrafttreten des BGB, hat die Lehre von der Regreßnorm § 255 - allen voran Oertmann1 - Bestätigung durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts2 und damit die Durchsetzungskraft des durch Instanzgerichte in die Rechtswirklichkeit vermittelten geltenden Rechts erlangt. Es überrascht, wie vollständig die höchstrichterliche Entscheidung den Schritt zur Anwendung des§ 255 auf konkurrierende Schadensersatzansprüche nach Sach- oder Rechtsverlust, somit zur Regreßvorschrift gegangen ist3 : "Wer für den Verlust von Sache oder Recht Ersatz erhalten hat, soll nicht noch einmal Ersatz (durch Restitution oder Geld) von dem Dritten erhalten und so nicht bloß 165 In AcP 173, 366/367 Besprechung von Brigitte Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972. 1 Vorteilsausgleichung, S. 256 ff. 2 RG JW 1902, Beil. 245. 3 s. 245.
I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
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Ersatz des Schadens erlangen, sondern bereichert werden. Darum hat der Verwahrer, der für den Verlust der Sache aufzukommen und dem Eigenthümer der Sache Ersatz geleistet hat, Anspruch gegen den Eigenthümer auf Abtretung seines Eigenthums - oder Ersatzanspruches gegen den Dieb, und die Versicherungsgesellschaft, die für die abgebrannte Sache Ersatz geleistet hat, Anspruch auf Abtretung des Ersatzanspruchs gegen den Brandstifter." Das Ausmaß der Identifikation der Rechtsprechung mit der herrschenden Lehre4 zu § 255 wird in der gleichen Entscheidung durch Übernahme der "Wortlautinterpretation" 5 deutlich, wonach nur Ansprüche aus dem Eigentum, nicht aber solche vertraglicher Natur unter die Abtretungspflicht fallen sollen6 : "Was die Beklagten abgetreten haben wollen, sind Ansprüche aus einem selbständigen Vertrage der Klägerin ..., die ohne diesen Vertrag nicht bestehen würden und in keiner Weise unter den rechtlichen Gesichtspunkt des § 255 gebracht werden können." Die frühe und eindeutige Stellungnahme des Reichsgerichts hatte zunächst eine Abklärung der Problematik in der Rechtsprechung bewirkt, welche sich in einem Abklingen der Veröffentlichung weiterer höchstrichterlicher Entscheidungen niederschlug. In der Folgezeit hat das Reichsgericht1 die "Wortlautinterpretation" 5 zu § 255 dann doch noch einmal bestätigt, indem es die Unanwendbarkeit dieser Vorschrift auf die Abtretung von Ansprüchen aus schuldrechtlicher Beziehung wie Vermietung und Leihe betonte, um schließlich diese Grenze Mitte der zwanziger Jahre fallen zu lassen8 mit dem Ziele, die Vorschrift noch umfassender dem Regreß dienstbar zu machen. Den Anlaß hierzu gab die Schadensabwicklung bei konkurrierenden vertraglichen Ansprüchen nach Untergang von Frachtgut. Das Reichsgericht9 hat für Recht erkannt, ein Spediteur, der für infolge seines Verschuldens im grenzüberschreitenden Güterverkehr beschlagnahmte Ware auf Schadensersatz in Anspruch genommen wurde, könne aus § 255 Abtretung der dem geschädigten Versender wegen Fehlens einer zugesicherten Eigenschaft gegen seinen Verkäufer zustehenden Ansprüche verlangen. Die Entwicklung gipfelt1° in dem allgemeinen, aus § 255 hergeleiteten Satze, der Geschädigte könne Schadensersatz nur Zug um Zug gegen 4 Zum Zeitpunkt des Erlasses der RG-Entscheidung insbesondere repräsentiert durch Oertmann, VA, S. 256; Korn.,§ 255; Schollmeyer § 255, 2 b. 5 Anspruchsabtretung stets nur zugunsten des Vertragsschuldners, nicht dagegen des Deliktsschuldners. Vgl. dazu und zu den Schwächen dieser Auslegung oben § 3 A, II, 1.
6
s. 246.
RG JW 1908, 446. RG VerkR 1925, 719. 0 RG VerkR 1925, 719. to RG DR 1941, 1959. 7
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§ 4 § 255 BGB als Regreßnorm in der Rechtsprechung
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Abtretung der Ansprüche verlangen, durch deren Erfüllung der Schaden unmittelbar vermindert werde. Das Reichsgericht11 hatte unter Bezugnahme auf § 255 den Ersatzpflichtigen zur Ersatzleistung nur gegen Abtretung eines Darlehensanspruchs für verpflichtet erachtet. Dem lag eine Fallgestaltung zugrunde, bei welcher der eingeklagte Schaden durch Rückerstattung eines Darlehens seitens eines dritten Schuldners an den Kläger unmittelbar gemindert wurde.
11. Die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Der Bundesgerichtshof hat in seiner frühen Rechtsprechung vergleichsweise nur zurückhaltend zu der Frage Stellung genommen, inwieweit § 255 für die Lösung von Regreßfragen beim Schadensersatz herangezogen werden kann. Dies mag einmal auf dem Mangel an Anlaßfällen, zum anderen auf weiser richterlicher Zurückhaltung in der Behandlung nicht entscheidungserheblicher Rechtsfragen beruhen. So hat das Gericht12 im Zusammenhang mit der Entscheidung, ob der nach § 816 Abs. I, S. 1 zur Herausgabe Verpflichtete aus § 255 die Abtretung der Ansprüche des Rechtsinhabers wegen des Sachverlustes gegen einen Dritten verlangen kann, lediglich ausgeführt, nur im umgekehrten Falle unterliege der Anspruch aus § 816 als Fortsetzung des Eigentumsherausgabeanspruchs der Abtretungspflicht aus § 255. Nachdem die Einordnung der Surrogatansprüche durchaus im Grenzbereich liegt13 , und diese selbst von Anhängern14 einer einschränkenden Auslegung dem Geltungsbereich des § 255 zugeordnet werden, läßt sich aus dieser Entscheidung für die Stellung des Bundesgerichtshofs zur Regreßfrage nichts herleiten. Deutlicher hat der Bundesgerichtshof § 255 den Regeln über Regreß beim Schadensersatz in seiner zweiten Lohnfortzahlungsentscheidung15 zugeordnet, indem er - in Ermangelung eines anderen Regreßmittels - neben arbeitsvertragliehen Erwägungen auf den Rechtsgedanken des § 255 zur Überleitung der Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers auf den zur Lohnfortzahlung verpflichteten Arbeitgeber zurückgegriffen hat. Es verwundert schon nicht mehr - Anlaß zur Heranziehung des § 255 oder zumindest seines Rechtsgedankens als Regreßhilfe war dort wie einst bei Inkrafttreten des BGB das ungelöste Problem Gesamtschuldl&. DR 1941, 1959. BGHZ 29, 157. Vgl. dazu die Anm. v. Caemmerers in JR 59, 462 ff. 13 Vgl. dazu ausführlich unten § 10 I; und neuerdings Goette, VersR 74, 526 (529), sowie in Gesamtschuldbegriff und Regreßproblem, S. 154 ff. 14 Rud. Schmidt, JherJb 72, 21 ff. (25); Zoll, S. 35. 15 BGHZ 21, 112 (119). 16 Vgl. zur Zuordnung der Konkurrenz von Lohnfortzahlungs- mit Schau
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III. Die Wende in der jüngsten Rechtsprechung
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III. Die Wende und Rückbesinnung in der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs In seiner jüngsten Entscheidung17 vollzieht der Bundesgerichtshof in Abkehr von der bisherigen, uneingeschränkten Anwendung des § 255 als Regreßvorschrift eine deutliche Wende zum Primat der Gesamtschuld. Was bei der besonderen Gestaltung Dieb - Abnehmer einer Sache im "Stapellagerfall" 18 mit einer vorsichtigen Behandlung "wie Gesamtschuldner" begonnen hatte, wird jetzt im "Wolle-Fall" 19 auf eine Fallkonstellation verallgemeinert, die dem Schulfall des § 255 Verwahrer- Dieb entspricht. Der Senat20 unterstellt diesen Fall unter dem Gesichtspunkt gleichen Schutzzwecks dem Abwicklungsmodell Gesamtschuld. Die grundlegende Bedeutung der Entscheidung kommt allerdings in ihrer Begründung nicht mit der wünschenswerten Klarheit zum Ausdruck. Die "WOlleEntscheidung" behandelt als Vorfrage eines Schadensersatzbegehrens des Klägers inzident eine Fallgestaltung, die sich nach herrschender Meinung 21 typischerweise als Anwendungsfall des § 255 darstellt. Der Kläger (B) haftet der Beklagten und Eigentümerin (A) aus Geschäftsbesorgung für die Wahrung ihrer Interessen beim Verkauf von unter Eigentumsvorbehalt gelieferter Wolle. Insbesondere sollte eine ausreichende Sicherung des Eigentums der Beklagten an der Wolle und des aus der Veräußerung der Wolle erzielten Erlöses gewährleistet werden. Das Eigentum der (A) wurde dann allerdings durch ein in die Transaktionen eingeschaltetes Bankhaus (C) verletzt, welches der Eigentümerin demzufolge aus § 823 haftbar ist. Damit liegt eine dem Fall Verwahrer - Dieb vergleichbare Konstellation einerseits vertraglicher Ersatzpflicht für übernommene Obhut, andrerseits deliktischer Haftpflicht für einen schädigenden Dritteingriff vor. Der Bundesgerichtshof22 ordnet diesen Fall der Gesamtschuld zu, glaubt dabei aber wie bereits im "Stapellager-Fall" "offenlassen" zu können, "ob an der densersatzansprüchen zur Gesamtschuld, Ehmann, § 9 und unten § 6 IV, 4, c, bb. 17 BGHZ 59, 97 = NJW 72, 1802; Urteil vom 29. 6.1972. Der Umschwung wurde bereits eingeleitet durch die "Stapellager-Entscheidung", BGHZ 52, 39; vgl. auch unten § 6 IV, 4 b. ts BGHZ 52, 39 ff. t9 BGHZ 59, 97 ff. 20 In beiden Fällen der gleiche VII. Senat. 21 Palandt I Danckelmann, 26. Aufl., § 255, 2; Patandt I Heinrichs, 32. Aufl., § 255, 2; RGRK-Oegg, § 255, 1; Staudinger I Werner, § 255, Rn. 3 ; Erman I Sirp, § 255, 2; Schollmeyer, § 255, 2 b; Fischer, S. 250; Oertmann, VA, S. 282 ff.; Larenz, SchRAT, § 32 I, S. 381; Esser, SehR, 2. Aufl., § 63, 7, S. 275; Esser, SchRAT,§ 48 IV, S. 346. 22 NJW 72, 1803.
§ 4 § 255 BGB als Regreßnorm in der Rechtsprechung
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bisher geforderten Voraussetzung der ,Zweckgemeinschaft' für die Annahme eines Gesamtschuldverhältnisses nach§ 421 BGB festzuhalten ist". Diese Zweckgemeinschaft soll im vorliegenden Fall entsprechend der "Stapellager-Entscheidung" gegeben sein und darin bestehen, "daß beide Ansprüche dem Schutz des Eigentums dienen und den Eigentümer für den Verlust einer Sache entschädigen sollen" 23 • Damit wurde erneut24 der tragende Gesichtspunkt desselben Schutzzwecks treffend erkannt, der beide Ansprüche zur (Schutzzweck) - Gesamtschuld verbindet. Verfehlt ist allein der Versuch, das von Ehmann eingehend begründete Gesamtschuldkriterium25 unter dem Begriff "rechtliche Zweckgemeinschaft" 26 als kontinuierliche Fortsetzung der bisherigen Lehre von der "Zweckgemeinschaft" darstellen zu wollen. Hier wird Unvereinbares, die Gemeinschaft der Schuldner untereinander mit der Ausfüllung der Zweckbeziehungen Schuldner - Gläubiger gleichgesetzt, oder aber der Inhalt des Begriffs vollständig ausgetauscht. Mit den zu § 255 in seiner Ausgestaltung als Regreßnorm vertretenen Lehren setzt sich der Bundesgerichtshof nicht auseinander. Er sieht diese Vorschrift zu Recht schon durch das Vorliegen einer Gesamtschuld in den Hintergrund gedrängt27 : "Ein echtes Gesamtschuldverhältnis ist auch nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil hier die Voraussetzungen des § 255 erfüllt sein können .... Für die echte Gesamtschuld enthält § 426 die allein maßgebliche Bestimmung über den Ausgleich zwischen den Schuldnern. Sie geht als die speziellere - in ihren Auswirkungen stärkere- Regelung dem§ 255 BGB vor." Das Gericht kritisiert im folgenden ganz zu Recht die mangelnde Eignung des § 255 als Regreßregel und legt dabei die Wertungskriterien Selbs 28 einer unmittelbaren bzw. mittelbaren Verursachung zugrunde29 : "Dagegen erscheint es nicht in allen Fällen sachgerecht und ist mit den Grundsätzen des billigen Schadensausgleichs unvereinbar, letztlich denjenigen den Schaden immer ganz tragen zu lassen, der ihn durch unmittelbare Einwirkung auf das Eigentum verursacht hat, wie es § 255 BGB vorsieht, etwa auch dann, wenn ihn kein größerer oder sogar nur ein geringerer Schuldvorwurf trifft als den anderen Schädiger." Dies ist im Ansatz richtig gesehen. Die weitergehende, zutreffende Konsequenz
s. 1803. Erstmals in der "Stapellager-Entscheidung" (BGHZ 52, 39). 25 Vgl. dazu und dem dreigliedrigen Gesamtschuldbegriff Ehmann, § 6 li, B, 12; IV;§§ 8, 9; und unten§ 6. 26 um damit wie bisher in der Rechtsprechung den Begriff Zweckgemeinschaft als vieldeutige "Leerformel" weiterzuverwenden; vgl. Ehmann, 23
24
§ 2 II, 1. 27 NJW 72, 1803. 28
Vgl. dazu oben§ 3 B, I, 2.
~9
NJW 72, 1804.
III. Die Wende in der jüngsten Rechtsprechung
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liegt allerdings in der Erkenntnis, daß § 255 einer Wertung und damit dem Regreßproblem zwischen Schadensersatzansprüchen nicht zugänglich ist. Folgerichtig hebt dann der Senat die Bedeutung des § 426 hervor als einer nach allen Richtungen flexiblen Regreßvorschrift, die eine "Angst vor einem falschen Regreß" 30 schlechthin als unbegründet erscheinen läßt31 : "Sie ermöglicht flexiblere, den Erfordernissen des Einzelfalles leichter anzupassende und damit gerechtere Lösungen als die starre Bestimmung des § 255 BGB, nach der - bei entsprechender eigener Ersatzleistung - stets die Abtretung der vollen Ersatzansprüche gegen Dritte verlangt werden kann. Demgegenüber gestattet die Anwendung des § 254 BGB im Rahmen des § 426 Abs. I BGB . .. eine differenzierte Betrachtungsweise, die aber durchaus auch dazu führen kann, daß der eine Gesamtschuldner gegenüber dem anderen von der Haftung frei ist." Die "Wolle-Entscheidung" vermag vielleicht noch nicht die Schlußfolgerung zu rechtfertigen, § 255 könne in keiner denkbaren Fallgestaltung mehr als Regreßnorm bei konkurrierenden Schadensersatzansprüchen Verwendung finden, mit der Folge seiner Beschränkung auf die Regelung des Ausgleichs bei Fortbestand der entzogenen Sache. Die Übernahme der Schadensabwicklung durch das Modell der §§ 422, 426 zwingt jedoch letztlich zu der aufgezeigten Konsequenz, welche in dieser Deutlichkeit auszusprechen, das Gericht noch keinen Anlaß hatte. Allein, der Bundesgerichtshof ist auf dem richtigen Wege, was um so höher zu bewerten ist, als ihm dabei aus der Wissenschaft nennenswerte Hilfe32 langezeit nicht zuteil wurde.
Vgl. Ehmann, § 2 II, 2; III, 1. NJW 72, 1803/1804. 32 Bereits v . Caemmerer hat allerdings mit seiner Anm. zu BGHZ 29, 157 in JR 59, 462 den richtigen Weg gewiesen. Möglicherweise wurde die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch schon durch den wegweisenden, bislang nicht veröffentlichten Vortrag Weitnauers im Karlsruher Forum 1970 beeinflußt. 3o
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5 Münchbach
Zweites Kapitel
Inhaltliche Erfassung und systematische Einordnung des§ 255 BGB 1. Abschnitt
Die Basis: Die Gesamtschuld als zentrales Regreßsystem § 5 Die Bedeutung der Gesamtschuldproblematik für die Auslegung des § 255 BGB Ursprünge und Fortgang der Fehlentwicklung des § 255 zur Regreßhilfskonstruktion und schließlich zur Generalregreßnorm waren Zeugnis für die ursächliche Verbindung seiner Auslegung mit der vermeintlich aus dem gemeinen Recht überkommenen regreßlosen Gesamtschuld, der "unechten" als mindere Abart der "echten" Gesamtschuld1• Der Eliminierung der unechten Erscheinungsform und Einsetzung der Gesamtschuld in die ihr vom Gesetzgeber2 zugedachte Rolle als zentrales Regreßinstitut kommt deshalb eine ganz wesentliche Bedeutung zu. Sie eröffnet mit der Befreiung des § 255 von dem stillen oder offen ausgesprochenen Zwang 3 , als Lückenfüller dem Regreß zu dienen, eine inhaltlich sachgerechte Erfassung dieser Vorschrift. Wie tief das Fehlverständnis des § 426 als voraussetzungsloser Regreßnorm4 verwurzelt ist, wird deutlich aus den Beschlußgründen einer erst jüngst ergangenen Entscheidung des Bayrischen Obersten Landesgerichts5 zur Frage der Ausgleichspflicht unter Wohnungseigentümern bei Befriedigung eines Gesamtschuldgläubigers durch einen von ihnen. Der Senat verharrte- man bedenke im Jahre 1973! - auf dem Stande der Rechtsentwicklung, die Savigny 6 einst im gemeinen Recht erreicht hatte: "Auch die Vorschriften der §§ 421 - 427 begründen - wie § 1173 Abs. 2 BGB - nicht bereits Ausgleichspflichten; sie setzen ein die gemeinVgl. oben§§ 2 u. 3. Vgl. oben§ 2 IV u. V. a Vgl. oben § 3 IV, 1. 4 Motive II, S. 169 = Mugdan II, S. 93. 5 NJW 73, 1881 (1882); vgl. dazu die Besprechung von Weitnauer in DNotZ 74, 82 ff. (86/87). o Vgl. oben§ 2 III, 1. 1
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Die Gesamtschuld, das zentrale Regreßsystem
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schaftliehe Leistungspflicht und damit die Ausgleichspflicht begründendes Rechtsverhältnis unter einer Mehrzahl von Schuldnern vielmehr voraus (Palandt- Heinrichs, aaO. § 421 Anm. 1). Dabei liegt ein solches Rechtsverhältnis nicht bereits vor, wenn mehrere Schuldner einem Gläubiger die gleiche Leistung schulden (sog. unechte Gesamtschuld); die (sog. echte) Gesamtschuld setzt zusätzlich das Bestehen einer rechtlichen Zweckgemeinschaft unter den Schuldnern voraus ...". Die Unausrottbarkeit der "unechten" - aus sich heraus regreßlosen - Gesamtschuld bis in heutige Zeit mag in dem Fehlen einfacher, treffender Kriterien zu suchen sein, welche die Gesamtschuld von anderen Schuldnermehrheiten zuverlässig abgegrenzt hätten. Daraus erklärt sich zugleich die mangelnde Durchsetzungskraft jener Lehrmeinungen, welche die umfassende Bedeutung der Gesamtschuldnormierung schon früher erkannten7 • Dabei findet die "unechte Gesamtschuld" im Gesetz keine tragfähige Stütze; so wurde denn auch nur vereinzelt - allerdings zu Unrecht- § 255 als ihr gesetzlicher Aufhänger in Anspruch genommen8 • Die Problematik der Erfassung der Gesamtschuldregelung liegt in der Notwendigkeit begründet, die gesetzliche Gesamtschulddefinition durch sichere, leicht handzuhabende Kriterien zu erschließen, begleitet von der Erkenntnis, daß es irgendwelcher zusätzlicher Voraussetzungen nicht bedarf, um die Rechtsfolgeanordnungen der Gesamtschuld in Wirkung zu setzen. Es hat an Versuchen nicht gefehlt, die Zauberformel zu finden, welche zuverlässig die Fälle angab, in denen mehrere eine Leistung in der Weise schulden, "daß jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist (Gesamtschuldner), . .. " 9 • Nichts zur Lösung der Problematik beitragen konnten allerdings Autoren10 , die in § 421 eine erschöpfende, aus sich heraus anwendungsfähige Umschreibung der Gesamtschuld sahen. Sie scheiterten, wie das Gesetz selbst, an der praktischen Fallanwendung, da Maßstäbe zur Entscheidung fehlten, wann im Gegensatz zur Kumulation der Gläubiger die Leistung nur einmal erhalten soll. Auch das zum Gesamtschuldkriterium erhobene Merkmal "Tilgungsgemeinschaft" 11 führt über die gesetzliche Rechtsfolgeanord7 Kress, Allg. SehR, S. 608 ff.; Heck, SehR, S. 234 ff.; Leonhard, SehR I, S. 732 ff.; ähnlich Rud. Schmidt, JherJb 72, 1 ff.; v. Tuhr, DJZ 1914, 334 (337), Besprechung des FuLdaer Dombrandfalles; neuerdings Anm. Rietschel, LM Nr. 9 zu § 633. 8 Donnevert, S. 13; Schollmeyer, § 426, 2; Fischer, S. 108; Oertmann, Gierke Festschrift, S. 13: "§ 255, die wohl einzige gesetzliche Stütze jener Lehre ..." 9 Gesetzeswortlaut § 421 BGB. 10 Leonhard, SehR I, S. 732ff. ; Heck, SehR, S. 234ff.; v . Tuhr, DJZ 1914, 334 (337). 11 Eingeführt von Leonhard, SehR I, S. 738; noch heute benutzt bei Fratz, JZ 64, 667; Larenz, SchRAT,§ 37 I, S. 434.
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§ 5 Gesamtschuldproblematik und§ 255 BGB
nung des § 422 nicht hinaus und ist damit zur Abgrenzung gegenüber anderen Schuldnermehrheiten untauglich12 • Weit mehr Beachtung verdient der richtungsweisende Versuch, die Gesamtschuld aus den beteiligten Einzelschuldverhältnissen heraus mit einem abgrenzungsfähigen Inhalt zu erfüllen. Kress13 findet in den Zweckbeziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner den Geltungsgrund für die Anwendung der Gesamtschuld anstelle ihrer "unechten" Abart und einem zur Regreßnorm ausgestalteten § 255. Er beschreibt die "Gemeinsamkeit der Schuld" als Voraussetzung dafür, daß die Leistung des einen Gesamtschuldners für den anderen wirksam ist, und die Rechtsfolge des § 422 eintritt. Dabei soll: "die Gemeinsamkeit der Schuld nur nach den einzelnen Schuldverhältnissen, den Beziehungen (Zweckbeziehungen) zwischen dem Gläubiger und den einzelnen Schuldnern beurteilt werden" 14 • An anderer Stelle konkretisiert Kress15 weiter: "Die Beteiligung mehrerer an derselben Schuld (Leistung) muß durch die einzelnen Schuldverhältnisse, also durch die zwischen dem Gläubiger und den einzelnen Schuldnern vereinbarten Zweckbeziehungen klargestellt sein, bei gesetzlich begründeten Schuldverhältnissen durch die gesetzlichen Zweckbeziehungen, (durch den Zweck der Wiedergutmachung desselben Schadens) - nicht, wie die herrschende Lehre annimmt, durch Zweckbeziehungen unter den mehreren Schuldnern." Mit dieser Erkenntnis hatte Kress den richtigen Weg eingeschlagen16, doch konnte auch er der Versuchung nicht widerstehen, aus einem Begriff alles erklären zu wollen17 • Darin ist wohl auch der Schlüssel für die mangelnde Durchsetzungskraft seiner Lehre zu suchen. Die notwendige Allgemeinheit eines das ganze Fallspektrum umfassenden Begriffs bietet zwangsläufig nicht eine für die praktische Handhabung unabdingbare Bestimmtheit und Schärfe. In neuerer Zeit hat die Erkenntnis Raum gewonnen, daß sich die der Gesamtschuld zuzuordnenden Fälle nicht einheitlich, sondern nur in einer Typologie, einer Gruppenbildung, begreifen lassen18 • Darin er12 Zur Kritik und zum Wandel der "Tilgungsgemeinschaft" vgl. Ehmann, § 2 II, 3, 4. ta Allg. SehR, S. 608. t4 Allg. SehR, S. 608. 1s Allg. SehR, S. 605. 16 Vgl. Kress, S. 288, 609 die Schulfälle Verwahrer-Dieb, Schadensversicherung und Dombrandfall finden über die Zwecklehre ihren sachgerechten Platz in der Gesamtschuldregelung. 17 aus dem Begriff der "gemeinsamen Schuld". 18 Vgl. Ehmann, Vorrede, S. 9 u. Fn. 2 zu § 2 I, durchgeführt in §§ 7, 8 u. 11; Dilcher, JZ 67, 105 ff.; Hillenkamp, S. 115; Thiele, JUS 68, 150; Börnsen, S. 95; - aber auch schon sehr früh erkannt von Mitteis in GrünhutsZ 14, 476: " ... wird niemand verkennen, daß es nicht räthlich ist, alle passiven
Die Gesamtschuld, das zentrale Regreßsystem
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schöpft sich aber auch bereits der erzielte Konsens, im übrigen ist die Zerrissenheit und Meinungsvielfalt angesichts der mannigfachen Gruppenbildungen größer denn je. Die Extrempositionen sind durch die resignierend negative Umschreibung der Gesamtschuld als verbleibender, von den Vorschriften des Zessionsregresses nicht erfaßter "Restbereich"19 und eine aus elf - noch dazu in sich erweiterungsfähigen Gruppen - aufgebaute Typologie20 einer Gesamtschuld gekennzeichnet. Einerseits ist es methodisch und praktisch verfehlt, die Gesamtschuld das Zentralinstitut des Regresses - nur als den aus anderen gesetzlichen Regelungen verbleibenden Rest erfassen zu wollen, andrerseits krankt die zweitgenannte Typisierung am Fehlen übergeordneter Strukturen und einem Zerfließen in die vielfältigen Gestaltungen des Einzelfalles. Diese und andere neuere Gruppenmodelle 21 sind an der Größe der zu bewältigenden Problematik gescheitert; so hat denn auch keine der Thesen nennenswerte Bedeutung erlangt22 • In einer erst vor kurzem erschienenen Abhandlung versucht Goette 23, neuerdings wieder das Rad der Entwicklung zurückzudrehen, indem er der Gesamtschuldregelung die mit ihrem Inkrafttreten im BGB erSolidarschuldverhältnisse als eine durchaus homogene Masse hinzustellen, man muß dieselben vielmehr nach Ursprung und Zweck in verschiedene Gruppen sondern." 19 So Thiele in JUS 68, 149 ff. (Gesamtschuld und Gesamtschuldnerausglei'ch). 20 Hillenkamp, Zur Lehre von der unechten Gesamtschuld, Diss. Harnburg 1966, S. 116 ff. 21 Dilcher, JZ 67, 105 ff. erkennt die gemeinsame Verursachung des Schadens als Kriterium für das Vorliegen einer Gesamtschuld und gewinnt so drei Fallgruppen. Gleichwohl ordnet er die Schuldnerkonkurrenz Verwahrer-Diebbei Untergang der Sache dem § 255 als Regreßvors·chrift zu (S. 115); neuerdings schränkt Dilcher, JZ 73, 201, den Wirkungsbereich des § 255 wieder ein, indem er im Falle der Anspruchskonkurrenz Verwahrer-Dieb der Gesamtschuldausgleichung Vorrang einräumt, - gleichwohl aber S. 199 - in § 255 einen neben der Gesamtschuld eröffneten zweiten Regreßweg zu erkennen glaubt. Börnsen nimmt die Gleichpflichtigkeit, die der Umschreibung des § 421 entspri'cht, zum Ausgangspunkt einer Vierer-Gruppenbildung. Nachdem die einzelnen Gruppen zu seiner Prämisse hinzutreten, ohne sie zu erklären, ist diese Typologie zur Klärung der in § 421 aufgeworfenen Fragestellung nicht geeignet. 22 Wenig tauglich zur Bestimmung und klaren Abgrenzung der Gesamts'c huldregelung erscheint der neuerdings von Walter Schmidt unternommene Lösungsversuch. Er bestimmt den Anwendungsbereich der Gesamtschuld allgemein durch eine nicht näher ausgeführte "Wertung" unter wechselweisem Heranziehen der Gläubiger- bzw. Schuldnerinteressen. (Vgl. S. 98 ff., 99.) Auf den Fall bezogen sucht Schmidt den Geltungsbereich der Gesamtschuld an Hand der gesetzlich vorgegebenen Fälle unter Zuhilfenahme eines bei verschiedenartiger Begründung in Rechtsprechung und Lehre bestehenden teilweisen Konsenses über ihre Anwendbarkeit in einzelnen Fallgruppen abzugrenzen (vgl. S. 115 ff., 1 ff., 8 ff.). 23 Gesamtschuldbegriff und Regreßproblem, 1974.
§ 5 Gesamtschuldproblematik und § 255 BGB
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zielte Errungenschaft abspricht24, als ein die Einzelschuldverhältnisse überspannendes, universelles Abwicklungsmodell bei Mehrfachverpflichtungen zu dienen25 . Er stellt Teil- und Gesamtschuldverhältnisse in ein Regel-Ausnahmeverhältnis26 und gelangt so zu einem Kernbereich der Gesamtschuld, bestehend aus den Fällen gesetzlicher Anordnung oder vertraglicher Vereinbarung, um weitere Einzelfälle entsprechend dem Willen des Gesetzes und der Parteien daran anzulagern27. Dabei hält Goette den dreigliedrigen, aus der causa-Lehre entwickelten Gesamtschuldbegriff Ehmanns28 für unzureichend, um zur Definition der Gesamtschuld dienen zu können, und wendet ihr gegenüber ein, sie gehe nicht über eine blankettartig weite Begriffsbestimmung aus dem Wortlaut des § 421 hinaus29, wie sie etwa bereits von Rud. Schmidt30 vorgenommen wurde. Der haltlose Vorwurf, der dreifachtypisierte Gesamtschuldbegriff sei "vollkommen konturlos geworden"31, ist allein auf der Grundlage eines völlig unzureichenden Eindringens in die von Kress 32 begründete und von Ehmann33 fortgeführte Zwecklehre erklärbar. Die bestimmende Wirkung des Zwecks sowohl für das Einzel- als auch für das Gesamtschuldverhältnis läßt sich nicht einfach oberflächlich als "für das Entstehen gesamtschuldnerischer Haftung belanglos" beiseite schieben, wie dies Goette meint tun zu können. Heute steht uns mit der Monographie Ehmanns34 eine Erfassung der Gesamtschuld in ihrer umfassenden Bedeutung als zentrales Modell der Schuldnermehrheit und des Regresses überhaupt in drei abgeschlossenen, aus dem Zweckgedanken im Schuldverhältnis hergeleiteten Typen zur Verfügung, welche trotz ihrer erheblichen Spannweite 24 Insbesondere soll § 421 BGB für das Entstehen gesamtschuldneris'cher Haftung keine irgendwie geartete konstitutive Bedeutung haben (vgl. S. 68 ff., S. 77 ff.) auch nicht i. V. m. einer Ausfüllung der Norm aus dem Zweck der Einzelschuldverhältnisse (vgl. S. 64 ff.). 2s Vgl. dazu oben § 2 IV m. w. N. 26 Goette, S. 78 ff. 27 Goette, S. 90 ff. 28 Die Gesamtschuld, §§ 7-9. 29 Goette, S. 65/66. Dieser Vorwurf wäre allenfalls gegenüber dem jüngsten Lösungsversuch der Regreßproblematik durch Rüssmann (JUS 74, 292 ff.) gerechtfertigt. Dieser hält die Regelung des § 421 allein aus sich heraus für genügend bestimmt, um Geltungsgrund und Grenze der Gesamtschuld abzugeben. Dabei verkennt er, daß § 421 gerade keine Bestimmung darüber enthält, wann die Gesamtschuldregelung, wann Kumulation der Leistungen eintritt. Zur Klärung dieser Frage bedarf es eines Zurückgehens auf die Zweckbeziehungen; vgl. Ehmann, § 2 I,§§ 5 ff. 30 JherJb 72, 46 ff. 31 Goette, S. 65/66. 32 Allg. SehR, S. 608 und § 5 insgesamt.
33 34
Ehmann, § 6.
Die Gesamts·chuld, Versuch einer begrifflichen Erfassung in drei Typen,
1972.
I. Die drei Typen
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wegen der Bestimmtheit ihrer Kriterien den Einzelfall treffend einordnet. Diese Typologie soll, soweit sie die Gesamtschuldseite der Problematik betrifft, der vorliegenden Untersuchung zugrunde gelegt werden. Durch die Darstellung des § 255 wird der dreigliedrige Gesamtschuldbegriff auf unabhängigem Wege Bestätigung erfahren, indem die dort vorgenommene umfassende Zuordnung von Regreßfällen zur Gesamtschuld in einer Beschränkung des § 255 auf den gesetzlich vorgegebenen Anwendungsbereich ihre Entsprechung findet. Es wird sich erweisen, daß beide Bereiche nahtlos, im Sinne konvex-konkaver Körper35 aneinanderlagern, womit verschobene Konturen auf beiden Seiten wieder zurechtgerückt wären. Zur Kennzeichnung der Basis, der Gesamtschuldseite der Problematik, bedarf der Gesamtschuldbegriff einer kurzen Darstellung seiner wesentlichen Züge. Dabei gewinnt im vorliegenden Zusammenhang vor allem der Typus "Schutzzweckgesamtschuld" Bedeutung, die Fallgruppe konkurrierender Verpflichtungen mehrerer zur Deckung desselben Schadens. Die Schadensgesamtschuld greift mit ihrer Ausfüllung und Abgrenzung durch den Schutzzweckgedanken hierbei in den Anwendungsbereich des § 255 über, in seiner traditionell weiten, auch die Konkurrenz von Schadensersatzansprüchen bei Untergang von Sachen und Rechten erfassenden Auslegung 36 . § 6 Der dreigliedrige Gesamtschuldbegriff, insbesondere die Schutzzweckgesamtschuld
I. Die drei Typen Ausgehend vom Kress'schen Denkansatzt, nicht die Zweckgemeinschaft unter den Schuldnern, sondern die Zweckbeziehungen zwischen dem Gläubiger und den einzelnen Schuldnern für die Erfassung von Wesen und Wirkungen der Gesamtschuld nutzbar zu machen, umschreibt Ehmann zunächst präzise den Zweck des Einzelschuldverhältnisses als Baustein der Gesamtschuld2 • Am Ende dieses Prozesses stehen drei in sich und gegeneinander abgeschlossene Gruppen der Gesamtschuld: 1. die "gleichgründige Gesamtschuld" 3 (z. B. Verpflichtung mehrerer durch Vertrag zu einer Leistung § 427) 35 Dem umfassenden Anwendungsbereich der durch den Schutzzweckgedanken ausgefüllten Schadensgesamtschuld entspricht dabei das Bild vom konvexen Körper, dem auf eine spezifische Ausgleichsfunktion beschränkten § 255 das der konkaven Formung. 36 Vgl. dazu unten§ 6 IV, 4. 1 Vgl. Kress, Allg. SehR, S. 608. 2 § 5 I, 1. 3 Ehmann, § 5 III, 3 a.
§ 6 Der dreigliedrige Gesamtschuldbegriff
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2. die "Sicherungsgesamtschuld" 4 (z. B. Bürgschaft, Mitbürgschaft, kumulative Schuldübernahme, abstraktes Versprechen sicherungshalber, Wechsel, Pfandrecht, Hypothek, Grundschuld etc.)
3. die "Schutzzweckgesamtschuld" 5 (z. B. Schadensersatzansprüche, die dem Schutze, der Erhaltung bzw. der Wiedergutmachung desselben Rechtsgutes dienen.) II. Die Zwecke im Schuldverhältnis Grundlage der Ableitung ist der Gedanke, daß Schuldverhältnisse in einer Rechtsordnung, die der Privatautonomie und dem Güterschutz dient, stets nur zu einem bestimmten Zwecke zustande kommen. "Der Zweck bleibt die Seele des Schuldverhältnisses6 .'' Der Zweck im Schuldverhältnis und zugleich die erste große Zweiteilung der Zwecklehre von Kress äußert sich im Entstehen von Schuldverhältnissen, entweder mit dem Ziele, dem Erwerb von Gütern (Erwerbsansprüche) oder zum Schutz von Gütern (Schutzansprüche) zu dienen7 • 1. Die Zwecke der Erwerbsansprüche
Sie lassen sich weiter differenzieren, als typisch für viele Rechtsvorgänge sind jedoch hervorzuheben8 : - der Austauschzweck (causa aquirendi) - der Schuldner will für seine Leistung oder sein Leistungsversprechen eine Gegenleistung eintauschen, - der Liberalitätszweck (causa donandi) - die unentgeltliche Leistung. Es bleibt der Privatautonomie überlassen, einem Geschäft jeden weiteren, selbst atypischen Zweck rechtsverbindlich beizulegen. Durch Vereinbarung können auch typische mit atpyischen Zwecken, oder diese jeweils unter sich gemischt und auf gleicher Ebene nebeneinander zum Geltungsgrund einer Leistung oder eines Leistungsversprechens erhoben werden. Kress 9 spricht dann von "gemischten" Zwecken. An einen typischen oder atypischen Primärzweck, der für sich allein schon einen zureichenden Rechtsgrund bildet, lassen sich ein oder mehrere typische oder atypische Zwecke in
Ehmann, § 5 III, 3 b u. § 11 II, 1 a. Ehmann, § 5 III, 4 c u. § 8 II. ' Kress, Allg. SehR,§ 5, 5, S. 59. 7 Kress, Allg. SehR,§§ 1 u. 2, S. 1-3. 8 Kress, Allg. SehR, § 5, 1 a, S. 35. o Allg. SehR, § 6, 1 c, S. 76: "Hier wird ein Teil der Leistung zu dem einen, und der andere Teil zu dem anderen Zwecke bewirkt, ohne daß Teile von den Vertragsschließenden ausgeschieden werden." 4
5
III. Gleichgründige Gesamtschulden
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gestufter, sekundärer Stellung von den Parteien oder schon durch das Gesetz10 "anstaffeln" 11 • 2. Die Abwicklungszwecke Auf einer zweiten unselbständigen Ebene 12 hinter dem Versprechensvertrag liegen die Abwicklungszwecke. Sie haben eine Güterbewegung in Abwicklung des Schuldverhältnisses zur Voraussetzung. Typische Abwicklungszwecke sind der Erfüllungszweck und der Sicherungszweck13. III. Gleichgründige Gesamtschulden Den Grund der gesamtschuldnerischen Verbindung zur "gleichgründigen Gesamtschuld" erkennt Ehmann14 - "bei den durch gemeinsame Verpflichtung aus einem einheitlichen Schuldverhältnis (im weiteren Sinne) entstandenen mehreren Verpflichtungen (=Schuldverhältnis im engeren Sinne) ... in dem identischen Zweck (ex eadem causa) der Ansprüche". Er führt ihn auf einen autonomen Akt der Schuldner selbst zurück: "Die Schuldner wollen sich zwar jeder, aber nur zu einer Leistung, zu einem Zweck verpflichten15 ." In diesen Fällen sind Leistungsgegenstand und Leistungszweck der verschiedenen Schuldverhältnisse (im engeren Sinne) identisch, wie etwa an dem Beispiel deutlich wird, wenn mehrere Mieter gemeinsam den Mietzins versprechen, um die Mietsache zum gemeinsamen Gebrauch zu erhalten16 • Darin, nicht in der Gleichzeitigkeit der Vereinbarung,- sie kann auch sukzessive erfolgen -, liegt der Geltungsgrund für die gesamtschuldnerische Verbindung. 10 Vgl. hierzu die Beispiele bei Ehmann, § 6 VIII, 2: a) Gesellschaftsvertrag, § 705; b) Vergleich; c) Ausstattungsversprechen, § 1624; Dem Austauschzweck ist a) der vereinbarte Gesellschaftszweck, b) der Friedenszweck angestaffelt. Der unentgeltlichen Zuwendung ist c) der Ausstattungszweck angestaffelt. 11 Zum Begriff vgl. Kress, Allg. SehR, § 5, 1 c, S. 37; § 6, 1 c, S. 76; "Bei der Zweckstaffelung kommt keine Teilung der Leistung nach den Zwecken in Frage; die ganze Leistung (Güterbewegung) wird vielmehr zu dem ersten (typischen) Zwecke versprochen oder real bewirkt und das so zunächst begründete Schuldverhältnis - sein Zustandekommen oder doch sein Fortbestand (812) - zugleich von der Erreichung des weiteren (gestaffelten) Zweckes abhängig gemacht." Zur Zweckvereinbarung bei der Erfüllung vgl. Ehmann, JZ 68, 549 ff. 1z Vgl. Kress, Allg. SehR,§ 5, 1 b, S. 36. 13 Vgl. Kress, Allg. SehR,§ 5, I b, S. 36. 14 Allg. SehR, § 5 III, 3 a. 1s Allg. SehR, § 5 III, 3 a. 1& Allg. SehR, § 7 II, 1.
§ 6 Der dreigliedrige Gesamtschuldbegriff
74
IV. Sicherungsgesamtschulden Das maßgebliche Kriterium der Sicherungsgesamtschuld findet Ehmann im Sicherungszweck, den er wie folgt umschreibt17 : "Der Sicherungszweck ist Abwicklungszweck und als solcher von unselbständiger Art, angelegt auf die Abwicklung der gesicherten Schuld. Daraus ergibt sich notwendig, daß trotz mehrerer Schuldverhältnisse die Leistung nur einmal geschuldet ist, und letztlich im Innenverhältnis der Hauptschuldner grundsätzlich allein verpflichtet ist." Eine Sicherungsgesamtschuld tritt einmal in der Erscheinungsform der Konkurrenz mehrerer auf die Sicherung des gleichen Hauptanspruchs gerichteter Verpflichtungen zutage(§ 769- Mitbürgschaft), zum anderen kann sie, kraftder Natur des Sicherungszwecks, neben eine Schuld jeden beliebigen Zwecks zu treten, auch im Zusammentreffen sichernder und gesicherter Forderung verwirklicht werden18. V. Schutzanspruch und Schutzzweckgesamtschuld 1. Der Schutzanspruch
Schutzansprüche - die zweite Gruppe der Zweiteilung des Zweckmodells- beruhen zumeist auf gesetzlichen Normen, die den Eingriff in fremde Rechte, in Vermögens- und Lebensgüter verbieten. Auf Grund ihrer Zielsetzung, dem Güterschutz zu dienen, weisen sie eine absolute, gegen jedermann gerichtete Schutzrichtung19 auf, können aber auch als relative Ansprüche auf vertraglicher Grundlage entstehen20 • Schutzansprüche sind auf positive Leistung, (Schadensersatz, Beseitigung der Störung) oder auf ein Negativum (Unterlassung) gerichtet21 • Entsprechend dem Grade ihrer Entwicklung zerfallen die Schutzansprüche in zwei Untergruppen, die "unentwickelten" und "entwickelten" Ansprüche22 • Als "unentwickelte" verlangen sie jedem potentiellen Störer eines Rechtsgutes die Unterlassung von Eingriffen ab, sie können aber insbesondere innerhalb von Schuldverhältnissen im Sinne einer Nebenleistungspflicht auch auf ein positives Tun gerichtet sein. Bedeutsamer sind die Schutzansprüche in "entwickeltem" Zustand, wenn sie auf Wiedergutmachung eines Eingriffs im weitesten Sinne gerichtet sind. Zu den entwickelten Schutzansprüchen zählen jede Art von Schadensersatzansprüchen, sei es aus Gesetz, insbesondere Deliktsund Gefährdungshaftung oder aus Vertrag, z. B. aus §§ 823 ff., 987 ff. 11 18 19 20
21 22
Vgl. den überblick, § 5 III, 3 b. Vgl. Weitnauer, Karlsruher Forum 1970. Kress, Allg. SehR,§ 1, 2 b, S. 3/4; Ehmann, § 5 II, 4; § 6 VI. Kress, Allg. SehR,§ 1, 2 b, S. 5; Ehmann, § 6 VI. Vgl. Ehmann, § 6 VI. Kress, Allg. SehR,§ 1, 3 a, S. 5; Ehmann, § 6 VI.
V. Schutzanspruch und Schutzzweckgesamtschuld
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BGB, 7 StVG etc. oder positiver Vertragsverletzung, culpa in contrahendo etc. 23 . Aber auch andere, dem Güterschutz dienende Ansprüche kommen in Betracht, beispielsweise24 : -
familienrechtliche Unterhaltsansprüche, vertragliche Schutzansprüche wie Versicherungsansprüche, Lohnfortzahlungsansprüche25, die allgemeine Eingriffskondiktion aus § 812, auch in Verbindung mit§ 951, der Sonderfall der Eingriffskondiktion aus § 816 als Surrogatanspruch26, der Herausgabeanspruch aus § 687 Abs. II, Surrogationsansprüche, etwa nach § 2019, der Anspruch auf Nutzungsherausgabe nach § 987, der Beseitigungsanspruch aus § 1004, die Besitzschutzansprüche der §§ 858 ff., der dingliche Herausgabeanspruch aus § 985. 2. Die Schutzzweckgesamtschuld
Sind mehrere Schuldner einem Gläubiger zu Leistungen verpflichtet, die dem Ersatz desselben Schadens dienen oder sonst den Schutz des identischen Rechtsgutes bezwecken, so verbindet der gemeinsame Schutzzweck diese Ansprüche zur Gesamtschuld. Da der Schutzanspruch keine pönalen Elemente enthält wie noch in geschichtlicher Zeit27, beschränkt er sich auf die reine Ausgleichsfunktion28 • Der dem Schutzanspruch immanente Zweck verbietet und verhütet damit zugleich den Eintritt einer "Vberkompensation" beim Gläubiger29 , oder anders ausgedrückt, der Gläubiger soll nur einmal Ersatz seines Schadens bekam23 Vgl. Ehmann, § 5 II, 4; Kress, Allg. SehR, § 1, 2 b, S. 4/5; § 4, 2 a, S. 22; Weitnauer, Karlsruher Forum 1970. 24 Nur eine Auswahl der wichtigsten Ansprüche. Vgl. zum ganzen Kress, Allg. SehR,§ 1, 2 b, S. 4ff.; § 4, 2 a, S. 22ff.; Ehmann, § 5 II, 4; § 6 VI;§ 8 Il; Weitnauer, Karlsruher Forum 1970. 25 Da hier der Schutz um einer Gegenleistung willen gewährt wird, ist dem Schutzzweck typischerweise der Austauschzweck angestaffelt. 2s So auch BGHZ 52, 39. 27 Zu denken ist an die Entwicklung im römischen Re'cht von der Buße zur Schadensersatzleistung, vgl. Jörs I Kunkel/ Wenger, § 106. Der Strafcharakter der Bußansprüche verwirklicht sich noch in klassischer Zeit in der sog. kumulativen Konkurrenz, d. h. daß von mehreren Mittätern jeder auf den vollen Bußbetrag haftet, wodurch der Verletzte ein Vielfaches seines Schadens erhielt, vgl. Kunkel, § 106, 2 b. 28 Zur ausschließliehen Ausgleichsfunktion des Schadensrechts vgl. Mertens, S. 93 (95); Esser, SchRAT,§ 40 Il, 1 u. 4; Larenz, SchRAT,§ 27 I, S. 307. 29 Vgl. Ehmann, § 5 III, 3.
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6 Der dreigliedrige Gesamtschuldbegriff
men30• Mit dem Schutzzweckgedanken ist für die wohl wichtigste Fallgruppe konkurrierender Schadensersatzpflichten - sei es aus Vertrag oder Gesetz - das langgesuchte, die Fragestellung des § 421 -wann soll der Gläubiger die Leistung nur einmal erhalten- präzise aus der Natur des Einzelschuldverhältnisses heraus umschreibende Kriterium gefunden31 • Gerade im Bereich des Schadensersatzes spricht eine weitere, praktische Überlegung für die Verbindung von Schutzansprüchen zur Gesamtschuld. Ohne diese Figur müßte der Gläubiger die einzelnen Schädiger auf eine ihrem Verursachungsanteil entsprechende Quote in Anspruch nehmen, was ihn zwänge, in jedem einzelnen Prozeß auf die Anteile aller, oft nicht einmal bekannter Schädiger einzugehen32• Diesen Schwierigkeiten ist der Gläubiger enthoben durch die Zusammenfassung der Verursachungsbeiträge im Außenverhältnis und die Verlagerung der Bemessung der einzelnen Verantwortungssphären zum Zwecke einer endgültigen, gerechten Verteilung in das Innenverhältnis unter den Schädigern33• Die Abstraktion vom Ausmaß der einzelnen Verantwortungsbeiträge im Außenverhältnis bedingt diese Verlagerung auf eine nachgeordnete Stufe. Regreß ist demgemäß eine Forderung ausgleichender Gerechtigkeit und zwingende Folge einer vom Ausmaß des Beitrages zum Haftungsereignis unabhängigen Außenhaftung auf das Ganze. Das Gesetz hat mit den §§ 422, 426 ein hochentwickeltes Regreßsystem zur Verfügung gestellt. § 422 verwirklicht den immanenten Zweck der Schutzansprüche, eine Mehrfachentschädigung zu verhindern, durch die Rechtsfolgeanordnung, daß die Leistung eines Gesamtschuldners alle Mitschuldner mit relativer Wirkung, d. h . dem Ersatzgläubiger gegenüber befreit34 • Zugleich hält § 422 in einer weiteren relativierenden Weise die Ersatzansprüche des Gläubigers gegen die Mitschuldner aufrecht, jedoch nur dann und nur insoweit, als ein Mitverpflichteter dem Leistenden ausgleichspflichtig ist; im übrigen erlöschen die konkurrierenden Verpflichtungen. § 426 bestimmt somit den Umfang der Erlöseheuswirkung des § 422 und leitet Ansprüche, soweit sie bestehen bleiben, zum Zwecke des Regresses auf den Ersatzleistenden über. 30 § 840 stellt für Deliktsansprüche lediglich eine Bestätigung dieses Grundsatzes dar. Gleiches gilt für § 17 StVG und die entsprechenden Vorschriften der Spezialgesetze zur Gefährdungshaftung. Vgl. Weitnauer, Karlsruher Forum 1970. 31 § 422 stellt dann lediglich eine Rechtsfolgeanordnung dar. az Vgl. Ehmann, § 8 I, 2. 33 Vgl. zu diesen Konsequenzen auch Anm. Hauß, BGH LM Nr. 7 zu § 840 (Einzel- Gesamtabwägung). 34 Zur relativen Befreiungswirkung vgl. Ehmann, § 8 III, 1; § 3 IV, 2 c, 3 b; Weitnauer, Karlsruher Forum 1970.
V. Schutzanspruch und Schutzzweckgesamtschuld
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Beide Vorschriften verbinden sich in der dargestellten Weise zu "kommunizierendem" Zusammenspiel35• Grund und Umfang des Ausgleichs folgen, soweit Schutzzweckgesamtschulden auf eine Schadensersatzleistung gerichtet sind, dem Maß der Verursachung und des Verschuldeos. Diese Aussage findet ihre Rechtsgrundlage in der Heranziehung des § 254 36 und seiner Abwägungsmaßstäbe zur Ausfüllung der Beteiligungsverhältnisse im Rahmen des § 426. In Fällen vertraglich übernommener oder gesetzlich auferlegter Schutzpflichten (Versicherung, Unterhalt, Lohnfortzahlung etc.) trifft unmittelbar der Zweck dieser Verpflichtungen die Bestimmung über das Platzgreifen und die Höhe eines Regresses37. 3. Fallgruppen der Schutzzweckgesamtschuld Das verbindende Kriterium des Schutzzwecks bedingt eine Einordnung der nachfolgenden wichtigen Fallgruppen konkurrierender Schadensersatzpflichten zum Geltungsbereich der "Schutzzweckgesamt-
schuld"38.
a) § 840 BGB bestimmt gesamtschuldnerische Haftung, wenn "für den aus einer unerlaubten Handlung entstehenden Schaden mehrere nebeneinander verantwortlich" sind. Auf der Grundlage des hier vertretenen Gesamtschuldbegriffs kommt dieser Vorschrift nurmehr eine klarstellende Funktion zu. Selbst ohne die gesetzliche Anordnung wären die dort angesprochenen Fälle der Gesamtschuld zu unterstellen, vermöge des gemeinsamen Schutzzwecks, welcher die Ansprüche verbindet und eine Überkompensation des Schadens ausschließt. b) Auch Schadensersatzansprüche aus Gefährdungshaftung bilden untereinander oder in Konkurrenz zu deliktischen Ansprüchen eine Schutzzweckgesamtschuld, wenn Ersatz für die Beeinträchtigung desVgl. dazu Ehmann, § 3 IV, 2 c. Ganz allgem. Meinung, vgl. RGZ 75, 251 (256); 136, 275 (286); BGHZ 17, 214 (222); 26, 217 (222); In RGZ 75 (256) ist ausgeführt: "Für eine gerechte Ausgleichung im Sinne des Gesetzesgedankens im Anfangssatze des § 426 bietet alsdann, wenn diese Belastung den Anteil des anderen Gesamtschuldners an der Verursachung der Verletzung nicht vollständig aufwiegt, die entsprechende Anwendung des § 254 BGB den gangbaren Weg, so daß auch hier, wie im Verhältnisse des Schädigers zu dem Geschädigten, eine Verteilung des Schadens nach den Umständen, nach der Schwere des Verschuldens und dessen Bedeutung für die Verursa·chung des eingetretenen Schadenserfolges stattzufinden hat. Die Anordnung der gleichmäßigen Verteilung des Schadens bei der Ausgleichung auf die Gesamtschuldner stellt sich hier noch als Hilfsregel dar, die nur Platz greift, wo ein anderweitiger Verteilungsmaßstab nicht gegeben ist." 37 Vgl. Ehmann, § 8 III, 1 a. E. 38 Zum ganzen vgl. Ehmann, § 8 II. 35
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§
6 Der dreigliedrige Gesamtschuldbegriff
selben Rechtsgutes geschuldet wird39 • Ohne die maßgeblichen gesamtschuldbegründenden Kriterien erkannt zu haben, hat das Reichsgericht40 schon früh mit sicherem Judiz für das zutreffende Ergebnis die in § 840 angeordnete Gesamtschuldhaftung auf Gefährdungshaftungsansprüche gegen einen Tierhalter (§ 833) und einen Eisenbahnunternehmer (§ 1 HPflG) ausgedehnt. Dem Gericht diente dabei als gesetzlicher Anknüpfungspunkt, daß unter der Titelüberschrift "Unerlaubte Handlungen" auch die Haftpflicht von Personen für Schäden geregelt sei41 , "wenn feststeht, daß derselbe nicht auf einem ihnen zur Last fallenden schuldhaften Verhalten beruht(§§ 829, 833, 835)". c) Ebenso sind Schadensersatzansprüche aus der Verletzung vertraglicher oder vorvertraglicher Nebenpflichten in ihrem entwickelten Stadium Schutzansprüche, - aus culpa in contrahendo oder positiver Forderungsverletzung. Die Rechtsprechung42 hat mit der vieldeutigen Leerformel der "Zweckgemeinschaft" zumindest einen Teil der diesem Bereich zugehörigen Fälle der Gesamtschuld zugeordnet und damit unter Überwindung der Beschränkung des § 840 auf unerlaubte Handlung eine Gesamtschuld auch bei Konkurrenz vertraglicher mit deliktischer Ersatzpflicht43 oder vertraglicher Ersatzansprüche untereinander44 anerkannt. Gleichwohl wurde die Geltung des Gesamtschuldmodells bei Fallgestaltungen wie der Anspruchskonkurrenz Verwahrer-Dieb bei Untergang der entzogenen Sache oder im Verhältnis VersichererBrandstifter beständig abgelehnt45 • 39 St. Rspr., die erste Entscheidung des Reichsgerichts datiert aus dem Jahre 1902. 40 RGZ 53, 114 (120).
41
RGZ 53, 114 -
s. 121.
Vgl. RGZ 77, 317 (323): "Auch der Umstand, daß der eine aus Vertrag, der andere aus unerlaubter Handlung haftet, schließt die Gemeinschaft, um die es sich hier handelt, nicht notwendig aus ... Der Transport (von Gütern) bildet mithin einen gemeinsamen Zweck." - siehe auch RGZ 82, 42
436 (439).
RGZ 77, 317 (323). Der große Senat des Bundesgerichtshofs erkannte in seiner Architektenentscheidung, BGH GS 43, 227 = NJW 65, 1175 Gesamtschulden erstmals auch bei voneinander unabhängiger, auf verschiedenen Verträgen beruhender Vertragsverletzung an. In der Begründung bleibt er traditionell, - "Zweckgemeinschaft" unter den Schuldnern flankiert von einer Analogie zu § 840. Mit der Analogie zu § 840 hat das Gericht den Fall unbewußt dem "Schutzzweckbereich" zugeordnet. 45 Enneccerus I Lehmann, § 90 II, 3; Patandt I Dancketmann, 26. Aufl., § 421, 2; Patandt I Heinrichs, 32. Aufl., § 421, 2. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts hat bei der Entscheidung einschlägiger Fälle die Gesamtschuldregelung völlig negiert, indem sie z. B. im Futdaer Dombrandfan mit keinem Wort erwähnt wird; vgl. RGZ 82, 206. Die Übernahme der in der Wissenschaft vorgezeichneten Anwendung des § 255 als Regreßvorschrift durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts erfolgte gleichfalls ohne Auseinander43
44
V. Schutzanspruch und Schutzzweckgesamtschuld
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Der Schutzzweck beherrscht über den Anwendungsbereich der wohl bedeutendsten Vorschrift des § 840 hinaus auch die meisten anderen Fälle gesetzlicher Gesamtschulden, unabhängig davon, ob die Verpflichtung zum Ersatz desselben Schadens auf einer schadensverursachenden Handlung, sei es Delikt, Gefährdungshaftung oder Vertrag beruht oder in sonstiger Weise gesetzlich oder vertraglich begründet wurde. Schon die weitgehend abstrakte Umschreibung des Anwendungsbereichs der Schutzzweckgesamtschuld macht ihr umfassendes Übergreifen in den Bereich der Fallgestaltungen deutlich, welche der "Regreßnorm § 255" zugeordnet werden. Der Vorgang soll an den typischen, meistdiskutierten Schulfällen aufgezeigt werden. 4. Die Bandbreite der Schutzzweckgesamtschuld
Besonderer Hervorhebung bedarf die Zuordnung mehrerer umstrittener Fallgruppen zur Schutzzweckgesamtschuld im System Ehmanns: a) Die Anspruchsmehrheit gegen den nachlässigen Verwahrer und den Dieb unterliegt bei Untergang oder Beschädigung der entzogenen Sache den Gesamtschuldregeln, wobei die konkurrierenden Schadensersatzansprüche durch den gemeinsamen Schutzzweck verbunden werden. Nachdem die Zweckbeziehungen der Schuldner zum Gläubiger als die tragenden Kriterien der Gesamtschuld erkannt wurden, verliert das schillernde Merkmal der Zweckgemeinschaft unter den Schuldnern jede Bedeutung. Auch auf eine extern wirkende Verschiedenstufigkeit, die eine Funktion voll einseitiger Zessionsberechtigung und mangelnder wechselseitiger Erfüllung sein soll, kann es nicht mehr ankommen46 • Der gemeinsame Schutzzweck ist Bindeglied zur Gesamtschuld, ganz unabhängig von der auf den einzelnen Schuldner entfallenden endgültigen Tragungsquote4 7. b) In einer weiteren Fallgestaltung, dem Verhältnis zwischen dem Dieb und dem Abnehmer einer Sache, hat der Bundesgerichtshof48 den tragenden Gedanken der Schutzzweckgesamtschuld erkannt und die Ansprüche gegen den Dieb mit dem Surrogatanspruch aus § 816 Abs. I, S. 1 gegen den Abnehmer der Sache der Gesamtschuld unterstellt49 : "Die Gemeinschaft des Zwecks beider Ansprüche besteht darin, daß setzung mit der Gesamtschuld; vgl. RG JW 1902, Beil. 245; RG VerkR 1925, 719; RG DR 1941, 1959 und zum ganzen oben§ 4 I. 48 Ehmann, § 8 II, 1; § 2 IV, 5; § 3 IV, 3 a. 47 Vgl. Weitnauer, Karlsruher Forum 1970; Ehmann, § 3 IV, 2 a. 48 BGHZ 52, 39 ff. = NJW 69, 1165. 49 Anders noch BGHZ 29, 157 ff. BGH JR, 59, 461 mit Anm. v. Caemmerer.
§ 6 Der dreigliedrige Gesamtschuldbegriff
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sie dem Schutz des Eigentums dienen und den Eigentümer für den Verlust der Sache entschädigen sollen. Das ist maßgebend ... " 50• Der Bundesgerichtshof51 hat mit diesen Ausführungen erstmals52 in der höchstrichterlichen Rechtsprechung den Schutzzweckgedanken umschrieben und als maßgebendes Kriterium für das Vorliegen einer Gesamtschuld begriffen. Wohl nur, um den Schein der Kontinuität zu wahren, beruft sich das Gericht ergänzend darauf, auch in diesem Fall sei eine "Zweckgemeinschaft" gegeben, verläßt jedoch dann materiell diesen Begriff ganz, um auf die Zweckbeziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner abzustellen. c) Der Gesamtschuld ist weiterhin die Fallgruppe des Zusammentreffens von Schutzversprechen53 mit deliktischen oder vertraglichen Schadensersatzansprüchen zuzuordnen. Es handelt sich hierbei um Fälle, wo beispielsweise neben einen Schadensersatzanspruch ein Versicherungsanspruch, Unterhaltsanspruch oder Lohnfortzahlungsanspruch tritt54 • Zur Lösung dieser Anspruchskonkurrenz wird vielfach wiederum§ 255 bemüht, teilweise in analoger Anwendung 55• Diese von den Schadensersatzansprüchen zu sondernden Schutzansprüche weisen die Besonderheit auf, daß die Leistungspflicht nicht an eine Rechtsgutoder Schutzpflichtverletzung anknüpft. Sie sind vielmehr Funktion einer gesetzlichen oder vertraglichen Umschreibung eines selbst- oder drittverursachten Schadensfalles, deren Erfüllung eine Verpflichtung auslöst. aa) Auch Versicherungsansprüche im Bereich der Schadensversicherung56 werden vom Schutzzweck beherrscht, ganz im Gegensatz zur BGHZ 52, 39 (44). Der BGH formuliert zunächst vorsichtig (S. 43) und will die Vorschrift des § 422 Abs. I, S. 1 wenigstens entsprechend anwenden, kommt dann jedoch zu dem eindeutigen Ergebnis (S. 45): "Grundsätzliche Bedenken gegen die Anwendung der Gesamtschuldregeln bestehen danach nicht. Sie führt im vorliegenden Falle dazu ..." 52 Vgl. dazu auch die neueste Entscheidung des BGH zu § 255 (BGHZ 59, 97 = NJW 72, 1802) und ihre Besprechung oben § 4 III. In der ersten Architektenentscheidung BGH GS 43, 227 = NJW 65, 1175 lag der BGH in der Begründung nicht nur formell, sondern auch materiell auf der Linie der "Zweckgemeinschaft" im Sinne der h. M. (S. 1177): "Die Sa'chlage ist hier derjenigen vergleichbar, die zwischen mehreren Schuldnern besteht, die nebeneinander einen Dritten durch eine unerlaubte Handlung geschädigt haben. Dadurch, daß die Schuldner den Schaden deliktisch verursacht haben, werden sie zu einer Zweckgemeinschaft verbunden und haften na'ch § 840 als Gesamtschuldner." 53 -vertraglicher Art oder in bereits gesetzlich typisierter Normierung. 54 Vgl. Ehmann, § 8 II, 1 d. 55 Palandt I Putzo, 32. Auf!., § 616, 5; Nipperdey, ZAkDR 38, 262 ff.; BGHZ so
51
21, 112 (119); Donnevert, S . 66/67; Selb, S. 71 ff. (80). 56 Vgl. dazu Ehmann, § 5 III, 3 c.
V. Schutzanspruch und Schutzzweckgesamtschuld
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Summenversicherung57 , die wegen des mit ihr verbundenen Sparzwecks
eine Überkompensation bezweckt. Der Ausschluß jeglichen "Gewinns aus dem Schadensfall", selbst bei einer noch so gut versicherten Sache, kommt im Bereich der Schadensversicherung besonders bei der "Doppelversicherung" zum Ausdruck (§ 59 Abs. I VVG). Dem Ersatzberechtigten wird dort durch die Gesamtschuldanordnung versagt, mehr als seine Schadenssumme zu liquidieren, selbst wenn das zerstörte oder beschädigte Objekt bei mehreren Versicherungen "mehrfach" gegen entsprechende Gegenleistung versichert war. Einer gesamtschuldnerischen Bindung steht nicht entgegen, daß der Schutz durch eine Gegenleistung erkauft wurde 58• Der Austauschzweck ist dem Schutzzweck lediglich in zweiter Ebene angestaffelt, ohne den primären Zweck zu beseitigen. Aus dem Zweck der Versicherungsleistung wiederum folgt die einseitige Regreßregelung im Innenverhältnis als Modifikation des Regeltatbestandes des § 426 Abs. I. Selbst das Bestehen besonderer Vorschriften über die cessio legis (§ 67 VVG) hindert nicht die begriffliche Einordnung in die Gesamtschuld, denn diese füllen als Spezialvorschriften lediglich den von § 426 eröffneten Rahmen anderweitiger Bestimmung aus und ordnen sich damit harmonisch in die Gesamtschuld ein59• bb) Auch der Lohnfortzahlungsanspruch aus § 616 Abs. I ist mit dem Anspruch gegen den Drittschädiger unter dem Gesichtspunkt gemeinsamen Schutzzwecks gesamtschuldnerisch verbunden. Der Weg zur Anerkennung der Gesamtschuld wurde frei mit der "wiedergefundenen" Erkenntnis, daß die Existenz eines Lohnfortzahlungsanspruchs auf den Bestand der Schadensersatzpflicht des Dritten ohne Einfluß ist60 • Der dem Lohnanspruch immanente Austauschzweck tritt als Folge der Gefahrentlastung zugunsten des Schutzzwecks zurück; aus dem Lohnanspruch wird als "fiktiver Gegenleistungsanspruch" 61 ein solcher auf Lohnfortzahlung. Ehmann62 hat diesen Austausch der Primär-Zwecke 57 Vor allem Unfall-, Tagegeld-, Lebensversicherungen. Dieser Versicherungstyp soll nicht einen Schaden ersetzen, sondern nur aus Anlaß des Versicherungsfalles dem Begünstigten eine Geldsumme zur freien Verfügung gewähren. Eichler, S. 124; Bruck I Möller,§ 1, Anm. 24 ff. 58 Vgl. Ehmann, § 8 II, 1 d; § 2 II, 6; § 8 II, 2. Den Fällen der Schadensversicherung vergleichbar ist die dem Baulastpflichtigen auferlegte Schutzanordnung. Hier ist deshalb auch der Fuldaer Dombrandfall (RGZ 82, 206) einzuordnen. Folgerichtige Zuordnung zur Gesamtschuld bereits bei v. Tuhr, DJZ 1914, 338. 59 Vgl. Ehmann, § 8 II, 1 d; § 9 IV, 1 u. 4. 80 Vgl. Ehmann, § 9 III ff.; Zum Zick-Zack-Kurs der Rechtsprechung des RG in Fragen Schaden bei Versorgungsleistungen vgl. Marschall v. Bieberstein, S. 60- 82; Zum "Schadenswegfall" vgl. insbesondere RGZ 15, 114; 17, 45; 64,350.
Ehmann, § 9 li, 4 a. E.; § 8 li, 1 e. Ehmann hat diese wesentliche Erkenntnis überzeugend hergeleitet § 9 li, 4. 61
62
6 Münchbach
§ 6 Der dreigliedrige Gesamtschuldbegrüf
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überzeugend nachgewiesen und den Lohnfortzahlungsanspruch folgerichtig der Schutzzweckgesamtschuld zugeordnet, denn die Lohnfortzahlung ersetzt mit der Abdeckung des Lohnausfallrisikos eine versicherungsrechtliche Regelung. Mit der Anwendung der§§ 422, 426 Abs. II im vorliegenden Fall ist zugleich eine Harmonisierung des Regreßweges mit § 4 LohnfortZG erreicht, der als Anordnung der cessio legis eine Spezialvorschrift zu § 426 Abs. II darstellt. cc) Der Schutzzweck verbindet als weitere Fallgruppe aus dem Bereich der Versorgungsansprüche die Unterhaltsansprüche - meistdiskutiert der Anwendungsbereich des § 843 Abs. IV - mit den überwiegend deliktischen Schadensersatzansprüchen zur Gesamtschuld63 • Der familienrechtliche Fürsorgegedanke begründet eine Einstandspflicht des Unterhaltsschuldners nicht nur für selbstverschuldetes oder zufälliges Unglück, sondern auch im Falle deliktischer Schädigung durch Dritte. Die im Rahmen familiärer "Soforthilfe" geschuldete Versorgungsleistung darf aber zu keiner Doppelentschädigung führen. Diese gesetzliche Zwecksetzung kommt schon darin zum Ausdruck, daß Unterhaltsansprüche die Unterhaltsbedürftigkeit des zu Unterstützenden voraussetzen (§ 1602 Abs. I). Zum andern hat das Gesetz nur den Schutz des Geschädigten vor Augen, dagegen soll der Schädiger aus der Unterhaltsleistung keinen Vorteil ziehen können. Aus der Schutzzweckbeziehung folgt die gesamtschuldnerische Bindung und daraus der notwendige Regreß. Dessen Richtung ist nach dem gesetzlichen Zweck der Schutzanordnung zugunsten des in Vorlage tretenden Unterhaltsschuldners bestimmt64 • ss Vgl. Ehmann, § 10 IV, 3. Die sinnwidrige Trennung, die zuweilen aus § 843 Abs. IV herausgelesen wurde, Nichtanrechnung des Unterhaltsanspruchs, jedoch Anrechnung der bereits erfolgten Unterhaltsleistung auf den Schaden wird damit hinfällig. Ablehnend gegenüber der Scheinlogik dieses Umkehrschlusses Selb, S. 74/75; Ehmann, § 10 III, 1; So aber gehandhabt von Enneccerus I Lehmann, § 248 III, 2 f., S. 999; Esser, SehR, 2. Auf!., § 63, 6 d, S. 273; Erman I Drees, § 843, 8; Marcuse, JW 15, 264; RGRK-Kreft, § 843, Anm. 16; Instruktiv besonders Enneccerus I Lehmann, § 248, III, 2 d: "Der Anspruch auf die Rente wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß ein anderer dem Verletzten Unterhalt zu gewähren hat, § 843 IV . .. Soweit indes der Unterhaltspflichtige schon Leistungen gema·c ht hat, die sich mit den Verpflichtungen des Schädigers decken, muß der Anspruch des Geschädigten, weil er insofern nicht mehr geschädigt ist, wegfallen." Auch den Regreßkonstruktionen über ungerechtfertigte Bereicherung und Geschäftsführung ohne Auftrag (vgl. RGZ 65, 164; 84, 390; 132, 223; 138, 1; OLG Celle, NJW 62, 51 ff.; RGRK-Kreft, § 843, Anm. 16; Marcuse, JW 15, 264; Erman I Drees, § 843, Anm. 8; Palandt I Thomas, 32. Auf!., § 843, 7.) ist mit dem Wegfall der generellen Befreiung des Schädigers durch die Unterhaltsleistung der Boden entzogen. Ablehnend gegenüber diesen Konstruktionen, insbes. GoA mit ausführ!. Begründung Rabel, RheinZ 1919/ 20, 84 - 121 = Ges. Auf. I, S. 309 ff. 64
I. § 255 BGB -
Funktion voller Ersatzpflicht
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Mit der Zuordnung der vorgenannten Fallgruppen zum Gesamtschuldregreß verbleibt nunmehr, den Inhalt des § 255 aus sich heraus zu erschließen. Dabei wird sich auf unabhängigem Wege erweisen, wie treffend der Geltungsbereich der Gesamtschuld festgelegt wurde, denn § 255 stellt gerade keine Regreßvorschrift sondern eine topische Ausgleichsnorm besonderer Art dar. 2. Abschnitt
Inhalt und Rechtsfolgen des § 255 BGB § 7 Der Inhalt des § 255 BGB I. § 255 BGB- Funktion der Verpflichtung zur
vollen Ersatzleistung-
Der Schadensersatzgläubiger und Rechtsinhaber A kann als Folge des Besitzentzuges trotz Fortbestands seines Eigentumsrechts Ersatz des vollen Sachwertinteresses verlangen. Dieser im BGB nirgendwo ausgeschriebene Satz liegt der Regelung des § 255 als Prämisse zugrunde1 und läßt sich mit einem Umkehrschluß aus dieser Vorschrift ableiten. Die in § 255 mitgedachte und über den Ersatz des Besitzinteresses - wie es der Differenzhypothese entsprechen würde - hinausgehende Anordnung ist die rechtliche Funktion der im Tatsächlichen begründeten Unsicherheit über den Verbleib und die Möglichkeiten einer Wiedererlangung der verlustig gegangenen Sache2 • Der Rechtsinhaber muß sich nicht zuletzt wegen der aus der Unsicherheit und vielfach völligen Unrealisierbarkeit seiner Herausgabeansprüche folgenden Bewertungsschwierigkeiten keinen Abzug vom Ersatzanspruch wegen des fortbestehenden Rechts machen lassen3 • Die Möglichkeit, die Sache oder das Recht wiederzuerlangen, bleibt vielmehr - als für den Rechtsinhaber unzumutbar - bei der Bemessung des Ersatzes außer Betracht und wird lediglich dem Ersatzpflichtigen durch Abtretung zur Realisierung offengelassen4 • Eine Öffnung des Schadensersatzanspruchs auf das volle Sachwertinteresse und die daraus folgende "Überschadensbeseitigung" 5 beim Rechtsinhaber ist Geltungsgrund für 1 Vgl. Motiv e II, S. 24/25 = Mugdan II, S. 13/ 14; F i scher, S. 177 ff.; neuerdings auch Goette, VersR 74, 527 und Goette, S. 158, der hier zu Recht eine der bedeutsamsten Aussagen des § 255 sieht. 2 Vgl. Motive II, S. 24/25 = Mugdan II, S. 13/14; Weitnauer, bei SchlegelbergeT I Vogels, § 255, Rn. 1. 3 Vgl. Wei tnauer, § 255, Rn. 1. 4 Vgl. Motive II, S. 24/25 = Mugdan II, S. 13/14 ; W ei tnauer, § 255, Rn. 1. 5 Nach Fischer, S. 117 ff.
6•
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§ 7 Der Inhalt des § 255 BGB
die Anordnung des § 255 6 und Maßstab für die Durchführung der risikoverlagernden Abwicklung. Sie kennzeichnet den seit jeher neben der umstrittenen Anwendung des § 255 beim Schadensregreß7 ganz einhellig als Anwendungsfall des § 255 begriffenen Sachverhalt des Besitzverlustes bei physischem und rechtlichem Fortbestand der entzogenen Sache. Dieser Tatbestand ist in zweifacher Weise zu kennzeichnen entsprechend den beiden Möglichkeiten eines Unterganges der Sache. Zu dem wohl häufigsten Falle des physischen Unterganges durch Zerstörung tritt als zweite Alternative der Rechtserwerb durch einen außerhalb der Dreiecksbeziehung stehenden Dritten hinzu8 • Die letztgenannte Möglichkeit einer Herausnahme der entzogenen Sache aus der Dreierbeziehung soll im folgenden rechtlicher Untergang der Sache - immer bezogen auf das Dreiecksverhältnis - genannt sein und die durch Rechtsvorschriften wie gutgläubigen Erwerb, Ersitzung, Verbindung, Vermischung oder Verarbeitung erfolgte neue rechtliche Zuordnung bezeichnen9 • Eine Anwendung des§ 255 hat deshalb zur Voraussetzung, daß die entzogene Sache in ihrem tatsächlichen Bestand erhalten bleibt und auch rechtlich nicht untergegangen ist. Bezogen auf diesen Fall ordnet§ 255 die Abtretung der Ansprüche aus dem Eigentum zugunsten des Ersatzpflichtigen an. Dieser Anwendungsbereich entspricht dem Wortlaut und soll wegen der bei aller Meinungsvielfalt insoweit festzustellenden Übereinkunft zum Zwecke seiner knappen Kennzeichnung als "Kernbereich" der Norm bezeichnet werden. Der Gesetzgeber hatte bei der Schaffung des § 255 eben diesen Sachbereich eines Entzuges der Sache im engeren Sinne - wie er bisweilen auch bezeichnet wurde10 6 Der Grund der Abtretungsanordnung des § 255, eine Überkompensation durch Ersatzleistung auf das Ganze bei Fortbestand eines Restes des Vollrechtes zu vermeiden (bei § 255 - das des Besitzes entkleidete Eigentum) entspricht auch der gemeinhin als Eviktionshaftung erklärte § 440 Abs. II IV (bei § 440 - der die volle Rechtsinhaberschaft entbehrende Besitz); auch § 440 gewährt vollen Schadensersatz nur Zug um Zug gegen Übertragung der bezüglich der Sache noch bestehenden Rechtsposition. 7 Vgl. zum gegensätzlichen Meinungsstand die in Fn. 3 zu§ 2 Genannten. 8 Soweit ersichtlich, differenziert nur Staudinger I Werner, § 255, 1 a bei der Anwendung des § 255 als Vorschrift über den Schadensregreß nach den Arten des Untergangs der Sache. Er schließt Schadensersatzfälle als Folge eines Eigentumsverlustes durch gutgläubigen Erwerb von der Geltung des § 255 aus. Die h. M. subsumiert überwiegend auch diesen Fall unter die weite Regreßauslegung des § 255. Vgl. Oertmann, VA, S. 282 ff.; Korn., § 255, 4; Schollmeyer, § 255, 2 b; Fischer, S. 250; Taucher, S. 44 ff. Zoll, S. 35; Rud. Schmidt, JherJb 72, 21 (25) und neuerdings Goette, VersR 74, 529 sowie Goette, S. 161 - 163 wollen zwar nicht die Fälle des physischen, sondern die des rechtlichen Sachuntergangs von § 255 erfaßt wissen. Goette setzt den Fortbestand der Sache und den diese repräsentierenden Erlös zu Unrecht gleich. Zur Widerlegung vgl. unten § 10. 9 Rechtlicher Untergang kann weitergehend auch durch Umwandlung eines auf Herausgabe gerichteten Schadensersatzanspruchs in einen solchen auf Wertersatz gemäß §§ 250, 251 eintreten. 10 So Oertmann, VA, S. 282/283.
II. Interpretative Einschränkung
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vor Augen und sich dabei ausweislich der Motive hinsichtlich der Statuierung der Abtretungspflicht von folgenden Erwägungen leiten lassen11 : "Der Grund liegt darin, daß der Kläger, falls er neben dem erhaltenen Schadensersatze auch seine Ansprüche gegen Dritte behielte, durch die Leistung des ohne Rücksicht auf die event. Möglichkeit der Realisierung dieser Anprüche festgestellten Schadensersatzes dann, wenn er jene Ansprüche verfolgte und mit ihnen entgegen der erwähnten Voraussetzung durchdringen würde, zuviel erhielte. Andrerseits kann man vom Kläger keineswegs immer verlangen, daß er zunächst die vielleicht unsicheren und weitaussehenden Ansprüche gegen den Dritten verfolge und erst im Falle der Erfolgslosigkeit den Ausfall im Wege des Schadensersatzanspruches gegen den ihm zunächst zur Herausgabe oder Restitution Verpflichteten geltend mache. Der Anspruch auf Schadensersatz ist kein subsidiärer in diesem Sinne. {vgl. Entsch. 9, 288). Es geht auch nicht an, dem Kläger etwa am Schadensersatzbetrage wegen jener mindestens im schließliehen Ergebnisse zweifelhaften Ansprüche einen Abzug zu machen12." Der tiefere Grund für die Anordnung des § 255 wird in der letzten Aussage angesprochen. Er ist darin zu suchen, daß das Gesetz stillschweigend von einer Ersatzpflicht des nachlässigen Verwahrers gegenüber dem Eigentümer auf das volle Sachwertinteresse ausgeht, obwohl der Ersatzberechtigte Rechtsträger bleibt und nur die Nutzung, den Zugriff auf die Sache, entbehrt13. Maßgebend für diese Prämisse ist die Unsicherheit der Ansprüche gegen den Dritten, was ihre tatsächliche Realisierung angeht. Dies gilt vor allem bei beweglichen Sachen, wo oft deren Aufenthaltsort und die Person des Dritten unbekannt sind14•
11. Interpretative Einschränkung § 255 bietet dem Eigentümer und Schadensersatzgläubiger eine Privilegierung, die nach Art und Ausmaß eine Entsprechung b ei der gläubigerbetonten15 Gesamtschuldnormierung findet. Maßgebend für die Zuerkennung vollen Schadensersatzes bei Fortbestand der entzogenen Sache ist einmal die aus der Abschätzung der Risiken einer Rechtsverfolgung gewonnene Unzumutbarkeit, den Ersatzgläubiger auf seine zweifelhaften Ansprüche gegen den Dritten wegen der Sache zu verweisen16, vor allem aber die im Regelfall bestehende Unkenntnis des Motive II, S. 24/25 = Mugdan II, S. 13/14. Hervorh. v. Verf. 13 Vgl. dazu eingehend im Anschluß unten § 7 II. 14 Zur daraus veranlaßten interpretativen Einschränkung vgl. unten § 7 II. 15 Vgl. dazu die römischrechtlichen Ursprünge der Gesamtschuld Kaser, RPrR, § 154 III, S. 552 und oben § 2 III, 2; insbesondere auch Savigny, OR I, § 22, S. 218, welcher den Grund der Gesamtschuldanordnung in der Hervorhebung der Gläubigerinteressen, "in der Sicherheit und Bequemlichkeit in der Rechtsverfolgung" erkennt. 16 Vgl. die Aussage der Motive II, S. 24/25 = Mugdan II, S. 13/14. 11
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§ 7 Der Inhalt des§ 255 BGB
Aufenthalts der Sache und Unsicherheit über ihren Fortbestand überhaupt, welche eine wirtschaftliche Geringschätzung der dem Eigentümer verbliebenen Position rechtfertigen. Die Geltung des § 255 bedarf deshalb überall dort einer interpretativen Einschränkung, wo die für die Zuerkennung vollen Schadensersatzes maßgeblichen Gründe nicht gewichtig genug sind oder ganz entfallen. Das ist einmal beim Entzug von Grundstücksrechten der Fall. Man denke an die durchaus aktuelle Situation, daß ein Hausverwalter oder Mieter schuldhaft die "Okkupation" eines Gebäudes durch Kommunen ermöglicht. Soll der Eigentümer hier den vollen Sachwert verlangen können? - mit Sicherheit nicht. Bei Immobilien und Grundstücksrechten, deren örtlicher Sitz nie Zweifel aufgibt, ist es gerechtfertigt, den Eigentümer auf den Ersatz seines Nutzungsinteresses zu beschränken und ihn im übrigen auf seine Ansprüche gegen den dritten Störer zu verweisen17• Wenn die Sache selbst greifbar ist, und dem Eigentümer somit keine erhöhten Schwierigkeiten der Rechtsverfolgung entgegenstehen, muß im Gegensatz zum Regelfalle das Verlangen vollen Wertersatzes rechtlich ausgeschlossen sein. Dem vollen Ersatzbegehren steht insoweit die exceptio doli entgegen. Der Rechtsinhaber muß die normalen Risiken einer Recht3verfolgung gegen einen ihm bekannten Besitzstörer tragen, kann deren Kosten allerdings beim Obhutspflichtigen liquidieren, soweit sie ihn treffen . Zwar mutet die Rechtsordnung grundsätzlich jedermann zu, seine Rechte selbst, notfalls gerichtlich geltend zu machen; gleichwohl wird man den Ersatzgläubiger aus dem zum Obhutspflichtigen bestehenden Schuldverhältnisse heraus für berechtigt halten müssen, von diesem zu verlangen, daß der Obhutspflichtige die entzogene Sache für ihn herausklage. Deshalb findet § 255 grundsätzlich im Bereich von Grundstücksrechten und anderer, Immobilien betreffender Rechte keine Anwendung18• Aber selbst beim Entzug beweglicher Sachen muß gleiches gelten, sofern nur der Dritte bekannt, der Aufenthalt der Sache gesichert ist, und der Rechtsverfolgung keine Schwierigkeiten entgegenstehen. Auch in diesem Falle ist der direkte Weg gegen den Störer, gegebenenfalls über eine Klage des Obhutspflichtigen einzuschlagen19 . Insoweit sind 17 Insoweit ist der Anspruch gegen den Obhutspflichtigen B, soweit er das Nutzungsinteresse übersteigt, gegenüber dem gegen den Störer C gerichteten Herausgabeverlangen subsidiär. 18 So auch zumeist beiläufig Zoll, S. 9 Fn. 1; Rud. Schmidt, JherJb 72, 37; Taucher, S. 61 - der dann bereits einen Sachverlust verneint. A. A.: Schollmeyer, § 255, 2 b; Crome II, § 151, Anm. 77; wohl auch Oertmann, VA,
s. 300.
19 Ähnlich zum römischreChtlichen Satz, wonach der Rechtsinhaber A gegen den Dieb C "magis agere potest", Oertmann, VA, S. 264. Er setzt für die Subsidiarität Sachentzug durch eine bekannte Person am Ort oder in der Nähe voraus.
111. Die Doppelbedeutung des§ 255 BGB in seinem Kernbereich
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die oben als Geltungsgrund des § 255 bezeichneten Voraussetzungen teils nicht verwirklicht, teils haben sie nicht das Gewicht, welches durch Überschreiten der Zumutbarkeitsschwelle die Zuerkennung vollen Schadensersatzes rechtfertigt. Erst wo eine einfache Rechtsverfolgung ausgeschlossen ist, greift § 255 zur Abwicklung der Dreiecksbeziehung ein. Im übrigen bleibt der Rechtsinhaber auf die Geltendmachung des Nutzungsinteresses beschränkt.
111. Der Inhalt des § 255 BGB in seinem Kernbereich -Die doppelte Bedeutung der Vorschrift im Dreiecksverhältnis Als Ausgangspunkt ist festzuhalten, daß durch die - § 255 als Prämisse unterstellte - Gewährung vollen Schadensersatzes trotz physischen und rechtlichen Fortbestands der entzogenen Sache in der Dreiecksbeziehung eine unausgeglichene Vermögenslage entstanden ist. Dieser Konflikt, den § 255 ausräumen soll, tritt allerdings dann nicht auf, wenn der Gläubiger anstelle des vollen Sachwertinteresses nur das Besitzinteresse beansprucht. Durch die Zuerkennung vollen Wertersatzes bei Fortbestand der Sache tritt zunächst eine Überkompensation des Schadens ein; Fischer20 spricht von einer "Vberschadensbeseitigung". Zur Eliminierung dieser Wirkung, zur Abschöpfung einer Bereicherung des Ersatzberechtigten im Wege der Abtretung wurde § 255 geschaffen21 • Die Motive22 sprechen deutlich aus, daß der Gläubiger sonst "zuviel erhielte". Angesichts dieser bestimmten, schlüssigen Aussage hat der Gedanke der Bereicherungsabschöpfung zwar nicht unwidersprochen23 , aber doch weitgehend Anerkennung in Literatur24 und Rechtsprechung 25 gefunden.
° Fischer, S . 177 ff.
2
Die Bereicherung des Rechtsinhabers ist notwendiges Übel aus der vollen Schadensbeseitigung, nicht wird sie von § 255 bewußt angestrebt wie zum Teil angenommen wird, vgl. Rud. Schmidt, JherJb 72, 16; Zoll, S. 3, 63 ff. 22 Motive II, S. 24/25 = Mugdan II, S. 13/14. 23 Es wird entgegengehalten, § 255 sei bei dieser Auslegung völlig überflüssig, denn schon auf Grund der allgemeinen Vorschriften über ungerechtfertigte Bereicherung ließe sich der erstrebte Ausgleich herstellen, ohne daß § 255 überhaupt bemüht werden müßte. So Rud. Schmidt, JherJb 72, 16; Zoll, S. 3, 63 ff. Diese Betrachtungsweise verkennt jedoch die elementarsten Grundsätze des Bereicherungsrechts. Rud. Schmidt stellt eine Bereicherung des Ersatzgläubigers A durch die Ersatzleistung des Obhutspflichtigen B überhaupt in Abrede, indem er aus der Prämisse, die Rückgabe der Sache durch den Dieb erzeuge einen Anspruch auf Kondiktion der Ersatzleistung, folgert (S. 16117): "Der Eigentümer wird durch die Rückgabe der Sache nicht bereichert, da er infolgedessen den Ersatz herausgeben muß, und daher vermag auch der Anspruch auf Rückgabe ihn nicht zu bereichern; denn ein Anspruch, na:ch dessen Erfüllung eine Bereicherung nicht vorhanden ist, kann auch vor der Erfüllung keine Bereicherung darstellen." Zweifelsfrei gleichen sich Bereicherung und Anspruch zu dessen 21
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§ 7 Der Inhalt des § 255 BGB
Diese Betrachtungsweise sieht § 255 allerdings zu isoliert in der Beschränkung auf das Verhältnis zwischen Ersatzgläubiger und Schadensersatzschuldner. Die Wirkungen voller Ersatzleistung und der Anordnung einer Abtretungspflicht lassen sich aus dem Zweipersonenschuldverhältnis nicht umfassend erklären26 , sie reichen über dieses hinaus; denn Wirkungskreis des § 255 ist das Dreiecksverhältnis der Personen A - B - C. Geltungsgrund und Aufgabe des § 255 lassen sich deshalb allein aus dem Dreiecksverhältnis erschließen. Sie sind Funktion des durch die Zuerkennung vollen Schadensersatzes auf das Sachwertinteresse trotz Fortbestand der entzogenen Sache im Dreiecksverhältnis geschaffenen Spannungsfeldes. Aus dem Obersatz der Eröffnung eines auf den vollen Sachwert gerichteten Ersatzanspruchs folgt eine doppelte Zwecksetzung, welcher das Abtretungsgebot des § 255 zu dienen hat: a) In Bezug auf den Ersatzberechtigten und Rechtsinhaber (A): eine Bereicherung als Folge des Ersatzes vollen Sachwertinteresses trotz Fortbestand der Sache im Dreieck abzuschöpfen. b) In Bezug auf den Schadensersatzpflichtigen (B): - durch Rechtsübergang den Ausgleich in der Person und auf das Risiko des Schadensersatzpflichtigen zu ermöglichen. Beide Zwecksetzungen und Wirkungen sind stets und notwendig miteinande r verbunden27 • Es erübrigt sich deshalb, sie in Haupt- und Abschöpfung im Saldo aus. Kann es aber einen besseren Nachweis für den Eintritt einer Bereicherung beim Gläubiger geben als den Bestand eines Berei'cherungsanspruchs? Zoll hält dagegen im Anschluß an Lips "eine condictio sine causa" des B gegen A wegen der bereits erbrachten Ersatzleistung schlechthin für gegeben, denn mit der Wiedererlangung der Sache durch den Gläubiger sei "dieser zwar nicht durch Leistung des Schuldners, wohl aber auf sonstige Weise ohne rechtlichen Grund um die Ersatzleistung bereichert" (S. 64) ; Die Begründung steht jedoch im Widerspruch dazu, daß innerhalb einer geschlossenen Kette von Leistungsbeziehungen Geleistetes nicht als Bereicherung in sonstiger Weise herausverlangt werden kann. (Vgl. BGHZ 40, 272 (278) ; Ehmann, NJW 71, 612 (613); Esser, SehR, 2. Aufl., S. 788, 800; Palandt I Thomas, 32. Aufl., § 812, 2.); Es verbleibt lediglich die Leistungskondiktion wegen späteren Wegfalls des rechtlichen Grundes - sie ist jedoch durch § 255 gerade ausgeschlossen; vgl. dazu unten § 8 III. 24 Zustimmend Planck I Siber, § 255, 1 ; Staudinger I Werner, § 255, 3; RGRK-Oegg, § 255, 2 ; Fischer, S. 225; Rümelin, KritvjSchr 45, 207 ff.; Oertmann, VA, S. 275 ff.; Taucher, S. 6; Lips, S. 8; v . Tuhr, KritVjSchr 47, 84;
Schollmeyer, § 255, 6; Horn, S. 54. 25 RGZ 53, 327; RG JW 1902, Beil., S. 245; RG JW 1908, 446; RG VerkR 1925, 719; RG DR 1941, 1959.
28 In der einseitigen relativen Betrachtung der auf Zweipersonenschuldverhältnisse zugeschnittenen Rechtsbegriffe sieht schon Marschall v . Bieberstein, S. 195 den eigentUchen Grund für die Schwierigkeiten der Beurteilung von Regreßfragen im Dreiecksverhältnis; vgl. auch Ehmann, S. 97 und öfters. 27 A. A.: Siber, (Planck I Siber, § 255, 2), der die Funktion des § 255 ein-
III. Die Doppelbedeutung des§ 255 BGB in seinem Kernbereich
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Nebenwirkung zu unterscheiden. Von ihrer Funktion her kommt der Bereicherungsabschöpfung nur relative Wirkung in der Beziehung der Personen A und B, dem Ausgleichsmoment übergreifende Wirkung innerhalb des Personen-Dreiecks A - B - C zu. Bindeglied beider Wirkungsformen ist der Fortbestand der entzogenen Sache innerhalb des Dreiecks bei permanenter rechtlicher Zuordnung zum Rechtsinhaber A. Die doppelte Wirkungsform des § 255 läßt sich im einzelnen noch näher kennzeichnen: zu a): Durch "Überschadensbeseitigung" im Wege der Gewährung vollen Substanzinteresses erhält der Ersatzberechtigte zunächst mehr als ihm endgültig zusteht. Rechtsp1·echung und Lehre 28 haben deshalb zu Recht im Einklang mit den gesetzgeberischen Intentionen29 die Abtretungspflicht als Bereicherungsabschöpfung beim Rechtsinhaber A verstanden30 • Die Bereicherung des Ersatzberechtigten A besteht bei voller Ersatzleistung für die Sache im Fortbestand der die entzogene Sache betreffenden Ansprüche gegen den Störer C und der nur durch den Besitzentzug geschmälerten Rechtsinhaberschaft. Eine folgerichtige Durchführung des Gedankens der Bereicherungsabschöpfung beim Ersatzgläubiger A muß deshalb zu einer Übertragung des Eigentums an der entzogenen Sache auf den Ersatzpflichtigen B führen, damit in der Person des A nach der Schadensabwicklung auch nicht der Vorteil der nominellen Rechtsinhaberschaft verbleibt31 • Die Bedeutung des
seitig auf Bereicherungsabschöpfung beim Rechtsinhaber beschränkt, allerdings als erster das Versagen der Vorschrift beim Schadensregreß erkennt und die Abtretungspflicht folgerichtig nur auf Herausgabeansprüche bezieht. 28 Vgl. die Nachweise in Fn. 24 u. 25 zu§ 7. 29 Vgl. Motive li, S. 24/25 = Mugdan II, S. 13/14; oben§ 2 V. 30 Der von Rud. Schmidt (JherJb 72, 21 ff.) hervorgehobene Gedanke, § 255 ziele darauf ab, eine Bereicherung des Dritten C abzuschöpfen, muß notwendig versagen, wo ein Dritter fehlt - z. B. die Sache ging dem Obhutspflichtigen B verloren, und neuer Besitz wurde noch nicht begründet. Auch seine weitere Argumentation vermag nicht zu überzeugen, - ohne die Abtretung nach § 255 bestünde die Gefahr, der durch die Ersatzleistung voll entschädigte Rechtsinhaber A betreibe die Verfolgung seiner Rechte gegen den Störer C nicht mit dem gebotenen Na'c hdruck, so daß C unangefochten im Besitz der Sache und bereichert bleibe. Dem ist entgegenzuhalten, daß die Rechtsposition des Dritten C durch die in § 255 angeordnete Abtretung nicht verändert wird. Es tritt nur ein Wechsel der Aktivlegitimation in Bezug auf die gleichen, weiterhin gegen C gerichteten Ansprüche ein. Von einer Bereicherung des C ohne diese Abtretung kann keine Rede sein. Auch wäre die Re'chtsordnung überfordert, und es entspräche auch gar nicht ihrem Wesen, wollte sie über die Gewährung von Anspruchsrechten hinaus auch noch für den Fall einen gerechten Ausgleich anstreben, daß der einzelne von eben diesen Rechten keinen Gebrauch macht. (Zur Kritik vgl. auch Lehning, S. 8; Zoll, S. 5.) 31 Vgl. zur Rechtsfolge der Anordnung des § 255 näher unten § 8 I, III.
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§ 7 Der Inhalt des§ 255 BGB
§ 255 reicht insofern über die aus dem Wortlaut zu entnehmende Abtretung der Ansprüche aus dem Eigentum hinaus. zu b): Wenn die entzogene Sache unter den Beteiligten noch fortbesteht, dient die in § 255 angeordnete Abtretungspflicht zugleich einem rechtlichen Risiko- und Interessenausgleich der Dreiecksbeziehung, indem eine der Rechtszuordnung entsprechende Besitzlage hergestellt wird. Das Gesetz hat den Rechtsinhaber A durch die Gewährung voller Interesseleistung von der Gefahr der Wiederbeschaffung der Sache voll entlastet. Was ihm durch eine privilegierte Schadensbeseitigung abgenommen wird, kann dem Obhutspflichtigen B, der durch sein Verhalten zum Verlust beigetragen hat, als Risiko und Chance zugleich aufgebürdet werden, sein Vermögen durch die ungewisse Rückerlangung der entzogenen Sache vom Nichtberechtigten C wieder auszugleichen32. Zur Bereinigung der Diskrepanzen in der Dreiecksbeziehung gibt ihm § 255 Recht und Ansprüche, damit er versuche, die Einheit von Rechtsinhaberschaft und tatsächlichem Innehaben wieder herzustellen. Diese risikoverlagernde Ausgleichsfunktion ist selbst im Falle doloser Besitzentziehung, beispielsweise durch einen untreuen Verwahrer gerechtfertigt, denn sie dient zivilrechtlich neutraler Abwicklung der Dreiecksbeziehung ohne pönales Element33 •
Demgegenüber wollen die Anhänger einer weiten Auslegung des § 255 als Regreßnorm beim Schadensersatz seinen Inhalt auf die erstgenannte Funktion der Bereicherungsabwehr zugleich als einzige beschränkt wissen34 • Diese ausschließliche Zwecksetzung erlaubt ihnen, § 255 im Sinne einer Regreßvorschrift anzuwenden, wenn die Sache physisch untergegangen ist oder durch gutgläubigen Erwerb rechtlich neu zugeordnet wurde. Bei der damit eröffneten Konkurrenz von Scha32 Anders die von Rud. Schmidt (JherJb 72, 21 ff. (24/25)) begründete, von Zoll, S. 5 fortgeführte Betrachtungsweise, die § 255 gewisserma ßen als Motor der Naturalrestitution begreift. Entsprechend seinem Ausgangspunkt der unzureichenden Rechtsverfolgung des entschädigten Rechtsinhabers soll nach Rud. Schmidt der Ersatzleistende die Ansprüche des A erhalten, damit er die Sache vom Störer C zurückerlange, um alsdann seine Ersatzleistung zu kondizieren und im Sinne der Naturalrestitution die Ausgangslage wiederherzustellen. Angesichts der Unhaltbarkeit der Prämisse Schmidts zieht Zoll (S. 5) den Gedanken der Naturalresitution als Grundlage der Schadensersatzvorschriften zur Begründung des übereinstimmenden Ergebnisses heran. Beide verkennen, daß § 255 kein Karusell zur Wiederbeschaffung der Sache eröffnet, sondern eine grundsätzlich endgültige risikoverlagernde Schadensabwicklung beinhaltet. Fortwirkung dieser Auffassung jedoch bis Soergel I Siebert IR. Schmidt, § 255, Rn. 4. A. A.: Taucher, S. 51/52, bei dem der von Rud. Schmidt herausgestellte Gedanke wohl erstmals hervortrat, jedoch a limine abgelehnt wurde. 33 Vgl. Planck I Siber, § 255, 2 a; Staudinger I Werner, § 255, Rn. 7; M etzler, JUS 71, 589 (591); Thiele, JUS 68, 149 (153). 34 Vgl. nur Oertmann, VA, S. 275 ff.; Taucher, S. 6; Lips, S. 8.
IV. § 255 BGB- eine Regreßvorschrift?
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densersatzansprüchen wäre allerdings die zweitgenannte Inhaltsumschreibung des § 255, der risikoverlagernde Ausgleich, gegenstandslos geworden. Zur weiteren Fundierung der hier vertretenen Auslegung sollen deshalb die Konturen der Kernbereichsfälle herausgearbeitet werden, um sie an denen von Regreßfällen in vergleichender Gegenüberstellung zu messen. Dabei werden sich grundlegende Unterschiede zum Schadensregreß erweisen, die zu der Schlußfolgerung nötigen, daß § 255 zur Bewältigung einer Regreßsituation überhaupt nicht angelegt und geeignet ist.
IV. § 255 BGB- eine Vorschrift über den Regreß beim Schadensersatz? Die Lehre von der Anwendung des § 255 beim Schadensregreß muß sich eine Überprüfung dahingehend gefallen lassen, ob § 255 in seinem ursprünglichen Kernbereich nach Inhalt und Wirkungsform etwas mit einer Regreßanordnung gemein hat. Die weite Auslegung einer Vorschrift ist als solche überhaupt nur so lange gerechtfertigt, als sie einen in dieser angelegten Regelungsgehalt zur Geltung bringt. Ihre Grenze ist mit der Dienstbarmachung des § 255 zu Regreßzwecken bereits überschritten, denn Inhalt und Wirkungsweise des § 255 sind gegenüber einer Regreßnorm völlig heterogener Natur. 1. Die unterschiedlichen Strukturen eines Ausgleichs- und Regreßmodells
Wesensbestimmendes Kennzeichen der Kernbereichsfälle, ist der Fortbestand der entzogenen Sache in der Dreiecksbeziehung. Ein Ausgleichsbedürfnis innerhalb des beteiligten Personenkreises folgt aus dem von der Rechtsordnung nicht gewünschten Auseinanderfallen von Recht und tatsächlichem Innehaben und der daraus resultierenden Ersatzpflicht auf das volle Sachwertinteresse. Im Gegensatz zu den Fällen des Untergangs einer Sache, immer bezogen auf das Dreiecksverhältnis A - B - C, ist, was die Substanz der Sache anlangt, kein Wert zerstört und damit keine Lücke gerissen, für deren Schließung einer der Beteiligten letztlich aufkommen und damit sein Vermögen in nicht wieder ausgleichbarer Weise belasten müßte. Überschaut man die Vermögenslage der drei Beteiligten in einer Gesamtbetrachtung und bezieht die Vermögensrechnung auf das Dreiecksverhältnis als Ganzes, so ist der Saldo ausgeglichen. Hier kann allein durch Verschiebung vorhandener Werte, durch Wiederherstellung der Einheit von Recht und Besitz in der Person des Ersatzleistenden B der Ausgleich erreicht werden. Mit der Zuerkennung vollen Schadensersatzes, ver-
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§ 7 Der Inhalt des§ 255 BGB
bundenmit der Abschöpfung der Bereicherung im Wege der Abtretung hinsichtlich des Rechtsinhabers A und nach Ausgleich der Belastung des Ersatzpflichtigen B durch Wiedererlangung der entzogenen Sache vom Störer C, ist im Vermögen eines jeden Beteiligten rechnerisch der Zustand vor dem Besitzentzug wieder hergestellt. Keiner der Betroffenen war genötigt, mit eigenen Mitteln eine Schadenslücke zu schließen, für die er nicht wieder Ersatz erlangt hätte. Selbstverständlich hängt die volle Realisierung dieses Ausgleichs von der tatsächlich oft zweifelhaften Durchsetzbarkeit der auf den Ersatzleistenden B übergegangenen Rechte ab. Es wird deshalb nicht ausbleiben, daß der Ersatzleistende B letztlich einen Ausgleich für seine Vermögensaufwendung nicht erlangen kann. Das Gesetz35 hat gerade mit Rücksicht auf die tatsächlichen Unsicherheiten der Rechtsverfolgung den Ersatzberechtigten vom Ausgleichsrisiko entlastet und es auf die Person überbürdet, die durch ihre Nachlässigkeit oder gar Vorsatz zum Entzug der Sache beigetragen hat. Schulz36 hat die Zielsetzung der Abtretung in einer beiläufigen Bemerkung bereits treffend erkannt und schlagwortartig umrissen: "Der oekonomische Zweck der Vindikationszession ist natürlich, für den an den Eigentümer gezahlten Ersatz wiederum Ersatz zu schaffen." Er entwickelte allerdings diesen Gedanken nicht weiter, mit der Folge, daß dieser unter dem Einfluß der herrschenden Meinung zu§ 255 wieder verloren ging. Ganz anders geartet sind die Konturen des Regresses bei mehrfacher Schadensersatzverpflichtung. Dort ist durch den haftungsbegründenden Schadensfall im Vermögen des Rechtsinhabers eine mittels Ersatzleistung zu schließende Substanz- und Wertlücke gerissen, die es letztlich aus dem Vermögen eines oder mehrerer Schädiger auszugleichen gilt. Der Verpflichtung zur Schadensübernahme entspricht kein zum Ersatze hierfür dienendes oder diese ausgleichendes Äquivalent, so daß die Belastung vom einzelnen als rechtlich endgültige zu tragen ist. Die grundlegenden strukturellen Unterschiede lassen sich deshalb zusammenfassend gegenüberstellen: § 255 verlagert das Risiko der Wiedererlangung der entzogenen Sache, die im Dreiecksverhältnis rechtlich und physisch fortbesteht, eine Regreßnorm verlagert die endgültige Einstandspflicht für die Schließung einer Schadenslücke. 2. Die Grundausstattung einer Regreßvorschrift Besteht aber die Aufgabe einer Regreßvorschrift in der Verteilung oder nicht wieder ausgleichbaren Überwälzung der Einstandspflicht 35 Vgl. die Erwägungen der Väter des BGB in dan II, S. 13/14; und oben§ 2 V. 36 Rückgriff und Weitergriff, S. 106.
Motive II,
S. 24/25
=
Mug-
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für einen Schaden unter mehreren Schuldnern, so folgt daraus ganz zwingend, daß eine solche den Grund der Haftung, Art und Umfang der Beteiligung jedes Verpflichteten am Schadensereignis zum Maßstab für die Anordnung und Höhe eines Regresses nehmen muß37• Nur so läßt sich eine gerechte endgültige Schadensverteilung erzielen. Siber38 hat folgerichtig in Zuspitzung gegen die Anhänger einer weiten regreßorientierten Auslegung des § 255 argumentiert: "daß § 255, als Regreßvorschrift verstanden widersinnig ist: ein Regreßrecht, das vom Grunde der Ersatzpflicht unabhängig und nur von dem Zuvorkommen mit der Ersatzleistung abhängig sein soll, bleibt ein rechtspolitisches Unding ... " Die Analyse einiger weniger Beispiele allgemein anerkannter Regreßvorschriften fördert denn auch stets eine Wertung nach Grund und Umständen des verpflichtenden Schuldverhältnisses zutage. Beispielhaft sind die Festsetzungen über die Einstandspflicht in § 840 Abs. II und Abs. III, welche als Folge einer Abwägung von Gefährdungshaftung oder Haftung aus vermutetem Verschulden gegenüber Verschuldenshaftung demjenigen im Innenverhältnis die volle Haftungsquote auferlegt, der nachweislich schuldhaft gehandelt hat. Auch die Zessionsbestimmung des § 67 VVG setzt als Prämisse eine Bewertung der konkurrierenden Verpflichtungsgründe voraus. 3. Abtretungsrichtung und Wertung bei§ 255 BGB
Gegenstand der durch § 255 angeordneten Abtretung sind während des Fortbestandes der entzogenen Sache als Ansprüche aus dem Eigentum nur Herausgabeansprüche, nicht jedoch Schadensersatzansprüche, da es insoweit am schadensbegründenden Ereignis, dem Untergang der Sache fehlt. Die Abtretung der Herausgabeansprüche vollzieht sich jedoch völlig unabhängig von einer Wertung der Innenbeziehung Verwahrer-Dieb und losgelöst vom Grund der Ersatzpflicht39• Sie wird allein durch das Auseinanderfallen von Schadensersatzpflicht (des B) und Sachbesitz (des C) bestimmt und hat nach dem Prinzip, Ersatz für die Ersatzleistung zu bieten, stets an den zur Leistung des Sachwert37 Symptomatisch ist dafür die Heranziehung der Abwägungskriterien des § 255 zur Ausfüllung des § 426 Abs. I; Präzedenzfall: RGZ 75, 251 ff.; seitdem st. Rspr., vgl. die weiteren Na·chweise oben in Fn. 36 zu§ 6. as Im Kommentar von Planck, 4. Aufl., § 255, 2 a. 39 Dies ist überraschenderweise ganz überwiegende Meinung. Oertmann, VA, S . 282; Planck I Siber, § 255, 2 a; Reiche!, S . 52, Fn. 1; Staudinger I Werner, § 255, Rn. 6; Metzler, JUS 71, 589 (591); Der eklatante Widerspruch zur Ausgestaltung des § 255 als Regreßvorschrift wird jedoch nur von Si ber bei Planck erkannt: ihm sind jedoch später Wei tnauer, im Kommentar von Schlegelherger I Vogels, § 255, Rn. 5 und Kress, Allg. SehR, S. 288 und Fn. 36 gefolgt.
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interesses Verpflichteten zu erfolgen. Solange die entzogene Sache im Dreieck noch vorhanden ist, muß eine Wertung, etwa an Hand der Kriterien der §§ 426, 254 nach Art und Umständen der Schadensverursachung ohne jeden Sinn bleiben40 • Es kann keinen letztlich Einstandspflichtigen geben, wenn keine Wertlücke gerissen, sondern allein durch Herstellung einer der Rechtszuordnung entsprechenden Besitzlage der Schadensfall abgewickelt ist. In weiser Erkenntnis dieser Zusammenhänge verlautbaren bereits die Motive 41 : "Der § 223 (jetzt § 255 BGB)42 gilt für alle Verbindlichkeiten auf Herausgabe oder Restitution ohne Rücksicht auf den Grund, auf dem die Verbindlichkeit beruht, für persönliche wie dingliche Ansprüche." § 255 abstrahiert die Abtretungspflicht folgerichtig sowohl im Innenals auch im Außenverhältnis vom Verpflichtungsgrund. Wer aus der Gewährung der Abtretung in einer Richtung und der Versagung einer solchen in der anderen eine Wertung herleiten will, um diese zur Grundlage einer Regreßanordnung bei Konkurrenz von Schadensersatzpflichten zu erheben, verkennt die einfachsten, an Hand der Kernbereichsfälle herausgearbeiteten Konturen des§ 255.
Wesen und Wirkung von Regreßvorschriften unterscheiden sich davon grundlegend. Durch den Schadensfall wird ein Wert zerstört, eine Substanzlücke gerissen, die aus dem Vermögen eines Ersatzpflichtigen geschlossen werden muß, ungeachtet dessen, daß der letztlich Verpflichtete dafür keinen Ersatz verlangen kann. Die Verteilung der endgültigen Belastung bemißt sich nach dem Grunde der Ersatzpflicht und den Umständen des Schadensfalles. So nimmt § 426 als Regreßvorschrift der Gesamtschuld durch die flexible Fassung, "soweit nicht ein anderes bestimmt ist", auf die Wertungskriterien des § 25443 oder überhaupt auf Grund und Zwecksetzung der konkurrierenden Ersatzpflichten Bezug44 • § 426 trifft eine Regelung des Innenverhältnisses unter mehreren Schädigern durch die Anordnung einer Regel- und Ausnahmebestimmung über die Verteilung der endgültigen Schadensquote innerhalb einer Drei- oder Mehrpersonenbeziehung. Aus dieser Gegenüberstellung kann schon jetzt die Schlußfolgerung gezogen werden: § 255 BGB ist keine Vorschrift über den Regreß beim Schadensersatz, sondern erschöpft sich in einer spezifischen Ausgleichsfunktion45 als Folge des Fortbestands der entzogenen Sache in der 40
41
Zutreffend auch Rud. Schmidt, JherJb 72, 24/25. Motive II, S. 26 = Mugdan II, S. 14.
Ergänzung v. Verf. Vgl. oben Fn. 36 zu§ 6. 44 Vgl. dazu Ehmann, § 8 111, 1 a. E. 45 Lediglich ein Benennungsstreit ohne praktische Bedeutung ist die Frage, ob die Ausgleichsfunktion des § 255 als Anwendungsfall der Vorteilsaus42
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Dreiecksbeziehung. Sie ist der Gesamtschuld und generell Schadensregreßfällen in dem Sinne vorgelagert, daß sie einen Ausgleich auf der Stufe des Entzuges vor Untergang der Sache herstellt, solange die endgültige Verteilung einer Substanzeinbuße noch nicht veranlaßt ist. 4. Die Umkehrung der Verantwortung - Prüfstein der Funktion des § 255 BGB Die bisherigen Ausführungen zur Dreiecksbeziehung A - B - C bauen auf dem Modell einer bestimmten Verteilung der Verantwortung am Sachverlust auf, repräsentiert durch den Schulfall des nachlässigen Verwahrers B, welchem eine Sache vom Diebe C entwendet wurde. Hier ist wenigstens der Anschein noch gewahrt, daß die Richtung der Abtretung durch eine Wertung bestimmt würde. Bei einer Einstufung der konkurrierenden Ansprüche nach der Schadensnähe mochte man den Dieb für allein verpflichtet halten und daraus die Abtretung zugunsten des lediglich nachlässigen Verwahrers rechtfertigen. Allein, wie konsequent § 255 ohne Rücksicht auf die Art der Ersatzpflicht oder eine Wertung stets die Abtretung von Herausgabeansprüchen zugunsten des nichtbesitzenden Ersatzpflichtigen B anordnet, wird offenbar aus Fallbeispielen, die ich "Umkehrfälle" nennen will. Als "Umkehrfälle" seien sie deshalb bezeichnet, weil die Verteilung der Verantwortung den gängigen Schulbeispielen46 konträr gelagert ist.
Fall 1: Der Dieb B verkauft, schenkt oder überläßt die gestohlene Sache einem gutgläubigen Dritten C, dessen Aufenthalt unbekannt ist. gleichung gelten muß oder dieser nur nahesteht. (Vgl. Esser, SchRAT, 4. Aufl., § 48 IV: "Sonderfall der Vorteilsausgleichung"; Larenz, SchRAT, 7. Aufl., § 14 II, S. 164: "Mit der Vorteilsausgleichung berührt sich die Bestimmung des § 255. ") Die Stellungnahme wird geprägt von der Grundeinstellung zum Schadensbegriff. Anhänger konkreter Schadensberechnung begreifen den Schaden als Einzelfolge der schädigenden Handlung (vgl. Walsmann, S. 16; Oertmann, VA, S. 6: "... die Einbuße selbst, welche das Rechtssubjekt in Gestalt der Entziehung oder Beschädigung eines Vermögensbestandteiles am Vermögen erlitten hat.") und eliminieren die Vorteilsausgleichung aus der Schadensberechnung, indem sie diese auf von den einzelnen Schadensfaktoren verschiedene Vorteile beschränken. Sie ordnen § 255 der Vorteilsausgleichung nur in einem weiteren Sinne zu (eingehend Oertmann, VA, S. 17 ff., S. 275 ff.; Oertmann, Korn., § 255, 1; Staudinger I Werner, § 255, 3; Palandt I Danckelmann, 26. Aufl., § 255, 1). Für die Vertreter abstrakter Schadensberechnung stellt sich § 255 dagegen als unmittelbarer Anwendungsfall der Vorteilsausgleichung dar, denn der Schaden wird bei dieser Ausgangsposition als rechnerische Differenz zweier gedachter Vermögenszustände ermittelt. (Vgl. vor allem Fischer, S. 247 ff.; SchoHmeyer, § 255, 6; Leonhard, SehR I, S. 2101211 - der § 255 als einzigen, gesetzlich geregelten Fall der Vorteilsausgleichung bezeichnet.) 46 Verwahrer- Dieb ; Versicherer- Brandstifter etc.
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Fall 2: Dem Eigentümer A 1 wird eine Sache gestohlen, A erkennt sie als dessen Gut und gibt sie dem B als Treuhänder für A 1 in Verwahrung, der sie unterschlägt und an den gutgläubigen Dritten C veräußert47. Fall 3: Dem Dieb B wird eine gestohlene Sache vom Dieb C erneut gestohlen48• Die Sachen seien jeweils beim Dritten C noch vorhanden und damit physisch in der Dreierbeziehung weiter existent. Auch ihr rechtlicher Fortbestand im Dreiecksverhältnis ist gewährleistet, denn ein Eigentumsverlust durch gutgläubigen Erwerb scheitert an § 935 Abs. I. Leistet nun der Dieb oder der Unterschlagende B dem Rechtsinhaber A vollen Schadensersatz, so kann er gemäß § 255 von A Abtretung der Ansprüche verlangen, "die dem Ersatzberechtigten auf Grund des Eigentums an der Sache gegen Dritte zustehen" 49 • Das Recht auf Abtretung gebührt auch einem deliktisch Verantwortlichen50, denn er ist durch die Ersatzleistung zivilrechtlich voll rehabilitiert. Das auf Ausgleichung gerichtete Schadensersatzrecht kennt keine Strafsanktion51 • Auch in diesen Fällen soll der Schadensersatzgläubiger A durch die Ersatzleistung keine Bereicherung erfahren, und der Ausgleich der Dreiecksbeziehung in der Person und auf das Risiko des Schadensersatzschuldners B erfolgen. Die Auffassung, wonach Abtretungspflicht und Richtung Funktion einer dem "§ 255 immanenten Wertung" sei5 2 , versagt im Bereich der Umkehrfälle bei Sachfortbestand völlig. Wenn dem § 255 eine Wertung der konkurrierenden Verbindlichkeiten zugrunde liegen sollte, so müßte sie bei allen seinen Anwendungsfällen zum sachgerechten Ergebnis führen, vor allem aber bei den ganz unumstritten dieser Vorschrift zuzuordnenden "Kernbereichsfällen" des Sachentzuges. 47 Rechtsinhaber A 1 und der treuhänderisch Handelnde A entsprechen - betrachtet man den Schaden des A 1 und den Anspruch des A vereint dem Berechtigten A im Schulfall Verwahrer-Dieb. Die Vereinigung wird rechtlich durch die Figur der Drittschadensliquidation vollzogen. Der Vertragspartner A des Verwahrers B kann mittels seiner Vertragsansprüche den Schaden des A 1 bei B Zug um Zug gegen Abtretung der Rechte aus dem Eigentum liquidieren. 48 Beispiel nach Siber, Planck I Siber, § 255, 2 a ; vgl. auch Reichel, S. 52,
Fn.l.
Gesetzeswortlaut § 255. Vgl. Oertmann, VA, S. 282; Planckl Siber, § 255, 2 a; Reichet, S. 52, Fn. 1; Staudinger I Werner, § 255, Rn. 6; Metzler, JUS 71, 589 (591). 51 Übereinstimmend Staudinger I Werner, § 255, Rn. 7; Metzler, JUS 71, 589 (591); Thiele, JUS 68, 149 (153) ; Planck I Siber, § 255, 2 a. 52 So vor allem Selb, S. 21 ff. (24); Larenz, SchRAT, § 32 I, S. 380 ff.; Esser, SchRAT,§ 48 IV, S. 345; Medicus, § 33 II, 1 b, 2. 49
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V. Folgerungen
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Im Falle (1) und (2) liegt die ganz überwiegende Verursachung eindeutig beim Dieb oder Unterschlagenden B, so daß im Verhältnis zu ihm der gutgläubige Dritte C völlig zu entlasten wäre. Die Situation ist der des nachlässigen Verwahrers B im Verhältnis zum Dieb C genau entgegengesetzt. Gleichwohl kann nur B nach der Ersatzleistung Abtretung der (Herausgabe)-Ansprüche des A verlangen. Gibt C dagegen die Sache an A heraus, so entfällt mit dem Schaden auch der Ersatzanspruch des A gegen B. Eine Abtretung in umgekehrter, der Wertung entsprechenden Richtung scheidet somit aus, d. h. nur der ganz überwiegend belastete B, nicht dagegen der völlig zu entlastende C, kann Adressat einer Abtretung sein. Das Versagen des Wertungsgedankens zur Erklärung des § 255 wird auch im Falle (3) deutlich. Dort sind beide Diebe gleichermaßen belastet; eine Wertung könnte somit nie die Abtretung nur in einer, noch dazu der gesetzlich angeordneten Richtung rechtfertigen. Auch hier führt es zur Lösung, wenn man unter "Ansprüchen auf Grund des Eigentums" nur Herausgabeansprüche begreift; dann kann der Dieb B Zug um Zug gegen Ersatzleistung Abtretung der dem Rechtsinhaber A verbliebenen Herausgabeansprüche verlangen53, wohingegen die Rückgabe der entzogenen Sache durch den Dieb C die Ersatzansprüche des A gegen B zum Wegfall bringt.
Nach alLem werden die AbtretungspfHcht in§ 255 und ihre Richtung nicht aus einer vorgeblich dieser Vorschrift immanenten Wertung, sondern durch die Qualifizierung eines der konkurrierenden Ansprüche als Herausgabeanspruch bestimmt54 • Der Schadensersatzschuldner kann aus § 255 stets ganz unabhängig von irgendwelchen Verantwortungsmaßstäben Abtretung der Herausgabeansprüche des Rechtsinhabers A gegen den Sachbesitzer C verlangen, während § 255 das umgekehrte Abtretungsbegehren des Herausgabepflichtigen genauso absolut unterbindet. V. Folgerungen Aus einer Erschließung der Kernbereichs- und Umkehrfälle wurde die Erkenntnis gewonnen: (a) § 255 macht weder Angaben zum Grund der Haftung, noch über die Gestaltung des Innenverhältnisses. 53 Der Schadensersatzschuldner B hat einen echten durchsetzbaren Anspruch gegen den Rechtsinhaber A auf Abtretung, nicht nur eine auf Zug um Zug-Leistung gerichtete Einrede. Er kann diesen allerdings mit der Wirkung einer Einrede gern. § 273 geltend machen (RGZ 59, 370), ihn jedoch nach allgemeiner Meinung auch noch nach bereits erbrachter Ersatzleistung verfolgen (RGZ 117, 338). Vgl. zum ganzen Weitnauer bei SchlegelbergeT I Vogels, § 255, Rn. 6; SoergeL I Siebert IR. Schmidt, § 255, Rn. 5. Die nachträgliche Abtretungspflicht wird bereits von Oertmann, VA, S. 272 bejaht und war sogar schon im römischen Recht anerkannt, vgl. D 19, 2, 25, 8. 54 Im Ergebnis insoweit gleich Planck I Siber, § 255, 2 a.
7 Münchbach
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(b) § 255 enthält keine Wertung der konkurrierenden Verpflichtungen, er arbeitet vielmehr ganz unabhängig und sogar im Widerspruch zu einer derartigen Wertung. Daraus ist die Feststellung veranlaßt: § 255 ist ohne Bezugnahme auf eine Wertung der Ersatzpflichten als Regreßvorschrift schlechterdings untauglich. Sein Anwendungsbereich ist deshalb in Übereinstimmung mit der gesetzlichen Anordnung zu beschränken auf Fälle des physischen und rechtlichen Fortbestandes der entzogenen Sache innerhalb der Dreierbeziehung. Der Abtretung unterliegen nur Herausgabeansprüche. Die Umgestaltung des § 255 zur Regreßnorm ist unhaltbar geworden, da sie nur möglich war, indem der Vorschrift eine Wertung unterstellt bzw. in sie hineingelegt wurde, die ihr nicht nur nicht entspricht, sondern bisweilen sogar völlig ihrer Funktion entgegengesetzt ist. § 255 hat viel weniger weitgehend nur die Bedeutung, die durch Entzug der in der Dreiecksbeziehung noch vorhandenen Sache veranlaßten Diskrepanzen in zweifacher Weise, risikoverlagernd auszugleichen. Sobald allerdings die entzogene Sache untergegangen oder durch gutgläubigen Erwerb rechtlich entzogen ist, bestehen lediglich noch auf die Schließung der Schadenslücke gerichtete, konkurrierende Schadensersatzansprüche. Dann kann § 255 keine Anwendung mehr finden, denn es ist die Konstellation des Schadensregresses eröffnet, die ihre Lösung im Gesamtschuldverhältnis nach Maßgabe des aus einer Wertung der einzelnen Verbindlichkeiten und ihrer Zwecke oder einer Heranziehung der Abwägungskriterien des § 254 bestimmten Innenverhältnisses findet. Die aus der Analyse des § 255 zu ziehende Folgerung läßt sich auf den einfachen Nenner bringen: § 255 verlagert das Risiko der Wiedererlangung einer entzogenen Sache, solange sie in der Dreiecksbeziehung noch existiert, die Gesamtschuldnormierung verlagert nach deren Untergang die Last endgültiger Schadenstragung.
VI. Der Verlust eines Rechtes bei§ 255 BGB Bisher wurde der Verlust einer Sache in den Mittelpunkt der Inhaltsbestimmung des § 255 gestellt. Als Ergebnis bildete sich heraus, daß unter Verlust lediglich Besitzverlust bei physischem und rechtlichem Fortbestand der Sache innerhalb des Dreiecksverhältnisses zu verstehen ist. § 255 gilt jedoch gleichermaßen für den Verlust von Rechten, wenn auch die praktische Bedeutung dieser Anordnung geringer ist. Die für Sachen gefundene Begrenzung der Abtretungspflicht auf Herausgabeansprüche findet ihre Entsprechung im Bereich des Rechtsverlustes. Auch hier hat die folgenschwere Ausdehnung und Umgestaltung des § 255 zur Regreßnorm Platz gegriffen, indem nicht nur die
VI. Rechtsverlust und seine Regelung in § 255 BGB
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Fälle des Besitzentzuges hinsichtlich einer Sache, an der ein dingliches oder persönliches Recht besteht, sondern auch die Konkurrenz von Schadensersatzansprüchen infolge Untergangs des Rechts, somit zwei völlig heterogene Fallgestaltungen unter diese Vorschrift subsumiert wurden55 • § 255 kann jedoch nur die Fallgruppe erfassen, wo das Recht durch Entzug eines Sachsubstrats verloren geht56 • Der Rechtsinhaber hat hier - genau wie der Eigentümer beim Entzug seiner Sache einen Herausgabeanspruch gegen den Dritten, der ihm die Sache vorenthält, auf welche sich sein Recht bezieht. Das auf die Sache bezogene Recht kann dabei dinglicher oder persönlicher Natur sein, z. B. aus Verpfändung, Nießbrauch beweglicher Sachen57, Pacht, Leihe etc. herrühren58. Man setze den Fall, der Rechtsinhaber A habe ein Pferd zum Pfande erhalten, welches er im Stalle des B unterstellt, wo es infolge dessen Nachlässigkeit vom Dieb C gestohlen wird. Der Verwahrer B ist dem A hier nur Zug um Zug gegen Abtretung der actio pigneraticia aus § 1227 des A gegen C zu Ersatzleistung verpflichtet. Eine vergleichbare Fallgestaltung ist auch bei obligatorischen Rechten denkbar. Der obligatorisch berechtigte Entleiher A stellt auf einer Ausstellung geliehene, vom angestellten Wächter B nachlässig bewachte Kunstgegenstände aus, die vom Dieb C gestohlen werden. Hier kann der Besitzdiener B Zug um Zug gegen Ersatzleistung Abtretung der seinem Herrn A aus Leihbesitz gemäߧ§ 861, 1007 gegen den Dieb C zustehenden Ansprüche verlangen. Kennzeichen der Ansprüche gegen den Dritten C ist jeweils ihr auf Herausgabe gerichteter Leistungsinhalt59. § 255 setzt sowohl im Bereich des Sachverlusts den Fortbestand der Sache als auch beim Rechtsverlust den Fortbestand des Rechts voraus, denn nur soweit und solange diese Konstellation besteht, ist die Grundlage für die risikoverlagernde Ausgleichsnormierung des § 255 gegeben. Die Sachbezogenheit des Rechts gewährleistet in Abhängigkeit vom Fortbestand der Sache einen vom Rechtsuntergang streng zu scheidenden Entzug des Rechts bei gleichzeitigem Fortbestand innerhalb der Dreiecksbeziehung. Da die Abtretungsanordnung des § 255 lediglich eine Sachbezogenheit des Rechts im Sinne eines Sachsubstrats zur Voraussetzung hat, sind alle Rechte betroffen, die zum Besitz einer Sache berechtigen, ungeachtet, ob es sich um persönliche58 oder dingliche handelt. 55 RG JW 1906, 109 (110); RG LZ 1914, 1543; Palandt I Danckelmann, 26. Aufl., § 255, 2; Palandt I Heinrichs, 32. Aufl., § 255, 2; RGRK-Oegg, § 255, 1; Oertmann, VA, S. 303 ff.; Fischer, S. 258; Staudinger I Werner, § 255, Rn. 3. 56 Zutreffend Planck I Siber, § 255, 5; Zoll, S. 11. 57 Bei auf Immobilien bezogenen Nutzungsrechten ist § 255 nicht anwendbar; vgl. die interpretative Einschränkung oben in§ 7 II. 58 Vgl. bereits Schollmeyer, § 255, b; Zoll, S. 11. 59 Zutreffend Planck I Siber, § 255, 2 a; K1·ess, Allg. SehR, S. 292, Fn. 43. 7*
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Der durch § 255 zu vollziehende Ausgleich erfolgt bei übertragbaren dinglichen Rechten entsprechend der beim Sachverlust ermittelten Rechtsfolge durch Rechtsübertragung 60 • Sofern allerdings obligatorische Rechte betroffen sind, wird sich die Rechtsfolge des § 255 grundsätzlich in der Abtretung der aus der obligatorischen Rechtsstellung folgenden Ansprüche erschöpfen61 • Ein obligatorisches Recht - etwa aus Miete oder Leihe - ist mit Rücksicht auf die Bindung der Rechtsstellung des A, auf welche§ 255 beim Verlust obligatorischer Rechte Anwendung findet, nicht in gleicher Weise verfügbar wie ein dingliches Recht. Im Gegensatz zu dinglichen Rechten ist das Recht des Mieters oder Entleihers nicht übertragbar, es sei denn durch Mitwirkung des Vermieters oder Verleihers. Die Grenzen der betroffenen Rechtsposition finden zwingend ihre Fortsetzung in der durch das Abtretungsgebot des § 255 erreichbaren Rechtsfolge. Im Gegensatz zum Fallbereich des Verlusts eines sachbezogenen Rechts kommen im Falle des Rechtsuntergangs sowohl gegen den Vertragsschuldner B als auch gegen den Dritten C Schadensersatzansprüche zur Entstehung, die auf eine andere Leistung als Herausgabe gerichtet sind. Die Abwicklung dieser durch gleichen Schutzzweck verbundenen Ansprüche erfolgt nach Gesamtschuldgrundsätzen62 • Wenn beispielsweise ein Fabrikant einen einträglichen Auftrag durch das Zusammenwirken von Fehlverhalten seines Vertreters B mit dem auf Stornierung des Auftrags abzielenden unlauterem Wettbewerbsverhalten des Konkurrenten C verliert, so richten sich die konkurrierenden Schadensersatzansprüche des A ausschließlich nach den Regeln der Gesamtschuld,-§ 255 ist nicht anwendbar63 • Zusammenfassend ist festzuhalten, daß der Verlustbegriff des § 255 bei Sach- wie bei Rechtsverlust die gleiche Bedeutung, und die einschränkende Auslegung des § 255 in beiden Bereichen ihre Berechtigung hat.
Vgl. dazu näher unten§ 8 I. z. B. Ansprüche aus §§ 861, 1007, oder zusätzlich aus § 556, wenn zwis·chen dem Mieter A und dem Dritten C ein Untermietverhältnis besteht und C die in Untermiete empfangene Sache unter Mitwirkung des Vermögensverwalters B des Mieters A unterschlägt. 82 So auch schon Zoll, S. 11, jedoch ohne die Kategorie der Schutzzweckgesamtschuld erkannt zu haben. 83 Zu Unrecht wendet das RG in LZ 1914, 1543 den § 255 bei der Konkurrenz eines Schadensersatzanspruchs mit einem Bereicherungsanspruch beim Untergang von Rechten aus Auftrag an. Dies entspricht allerdings der auch im Bereich des Sachverlusts gehandhabten Anwendung des § 255 als Regreßvorschrift durch die Rechtsprechung; vgl. dazu oben§ 4. 8o
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VII. Die analoge Anwendung des § 255 BGB
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VII. Die analoge Anwendung des§ 255 BGB -Herausgabe entwerteter Reste als Korrelat vollen Schadensersatzes1. -bei Entwertung von Sachen Bei dem in Frage stehenden Analogiefall wird eine Sache in der Herrschaftssphäre des Gläubigers selbst beschädigt oder zerstört, so daß nur ein Zweipersonenschuldverhältnis, keine Dreiecksbeziehung besteht. Hierher gehört der alltägliche Fall, daß ein PKW bei einem Verkehrsunfall Totalschaden erleidet und ein- nicht gänzlich wertloser - Schrotthaufen zurückbleibt. Von Interesse ist dabei allein das Schadensersatzschuldverhältnis zwischen dem Unfallverursacher und dem Eigentümer, die versicherungsrechtlichen Aspekte können außer Betracht bleiben. Der Ersatzpflichtige kann vom Eigentümer gemäß § 255 Herausgabe des diesem verbliebenen Schrotts Zug um Zug gegen Leistung des vollen Sachwertinteresses verlangen64 • Bindeglied zu § 255 ist der Zwang zur Schadensabwicklung unter Einbeziehung des noch vorhandenen Restwertes der beschädigten oder zerstörten Sache, soll der Gläubiger durch die Ersatzleistung keine Bereicherung erfahren. Eine Naturalrestitution ist in diesen Fällen entweder nicht möglich oder dem Interesse des Gläubigers nicht genügend. So kann im Anschluß an den Rechtsgedanken der §§ 280 Abs. II S. 1, 325 Abs. I S. 2 das volle Sachwertinteresse beansprucht werden65 • Zur Vermeidung einer Bereicherung des Schadensersatzgläubigers ist dem Ersatzleistenden in Analogie zu § 255 das Recht auf endgültige Übereignung der Sachreste zuzuerkennen66 • Es handelt sich dabei um einen Anwendungsfall der Vorteilsausgleichung 61 • Die Analogie rechtfertigt sich aus einer weitgehenden Übereinstimmung von Gehalt und Rechtsfolge mit dem eigentlichen Anwendungsfall des § 255 im Sinne einer vollen Interesseleistung für eine (teilweise) in Resten fortbestehende Sache und dadurch bedingte Bereicherungsabschöpfung beim Gläubiger. Lediglich die auf den Ausgleich der Dreiecksbeziehung in der Person und auf das Risiko des Ersatzpflichtigen gerichtete Zielsetzung muß notwendig entfallen, da im Analogiefall nur ein Zweipersonenverhältnis vorliegt.
84 Vgl. Oertmann, VA, Anhang S. 306 ff. (317); Planck I Siber, § 255, 5 und die in Fn. 66 zu § 7 Genannten. 85 Eingehend Oertmann, VA, Anhang, S. 306 ff. (316). 88 Oertmann, VA, Anhang, S. 306ff. (317); Fischer, S. 2581259; Dernburg, SehR I, § 34 II, h; Zoll, S. 12; Eine vergleichbare Regelung bestand schon im römischen Recht, vgl. D. 11, 3, 14, 8 ff. Eingehend dazu Oertmann, VA, Anhang, S. 307 ff.; Planck I Siber, § 255, 5; a. A. neuerdings Selb, Larenz Fests·chr., S. 547. 87 Vgl. dazu oben Fn. 45 zu§ 7.
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§ 7 Der Inhalt des§ 255 BGB
2. -bei Entwertung von Rechten Eine entsprechende Fallgestaltung tritt im Bereich des Rechtsverlustes auf, wenn nicht ein Sachsubstrat entzogen wird, an dem ein Recht besteht, sondern wo ein Recht auf sonstige Weise entwertet wird, z. B. indem ein mit der Einziehung einer Forderung Beauftragter diese schuldhaft verjähren läßt oder nicht rechtzeitig vor dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners einzieht. Auch hier liegt nur ein Zweipersonenschuldverhältnis vor, im Gegensatz zu dem sonst für § 255 typischen Dreiecksverhältnis. Die gleichen Gründe, die zur analogen Anwendung des § 255 auf die Herausgabe entwerteter Reste bei vollem Schadensersatz geführt haben, gelten auch hier68 • Gegenstand der Abtretung ist vorliegend ebenfalls das entwertete Recht selbst. Reichsgericht und Bundesgerichtshof haben im Wechselrecht einen signifikanten Fall analog § 255 entschieden69 : Auf diese Weise wurde bei voller Ersatzleistung die Pflicht zur Abtretung eines Wechselrechts hergeleitet, dessen Geltendmachung wegen Verlustes der Wechselurkunde bis zur Erlangung eines Ausschlußurteils gehemmt ist. VIII. Grenzfälle analoger Anwendung des § 255 BGB
Zwei im Grenzbereich zwischen § 255 und der Anwendung der Gesamtschuldregeln liegende Fallgestaltungen waren Gegenstand der Entscheidung des Bundesgerichtshofs - allerdings nur unter dem Gesichtspunkt der Haftungsbegründung aus positiver Forderungsverletzung70. In dem der Entscheidung BGHZ 25, 124 ff. zugrundeliegenden Sachverhalt hatte eine Heiratsvermittlerin der Klägerin einen Heiratskandidaten zugeführt, der erheblich, unter anderem wegen Betrugs vorbestraft und außergewöhnlich verschuldet war, ohne der Auftraggeberin von diesen, ihr bekannten Umständen Mitteilung zu machen. Die Klägerin gab diesem ein Darlehen, dessen Rückzahlung sie in Anbetracht der Vermögenslosigkeit des Darlehensnehmers nicht erreichen konnte, worauf sie die Heiratsvermittlerin auf Schadensersatz in An6B Vgl. Planck I Siber, § 255, 5; Fischer, S. 259 ; Staudinger I W erner, § 255, Rn. 13. Zoll, S. 12, gerät jedoch wegen der hier notwendigen Rechtsübertragung in Widerspruch zu der von ihr herausgestellten ratio des § 255, der Naturalrestitution in der Person des Ersatzberechtigten gegen Kondiktion der Ersatzleistung. 69 RG JW 1906, 109; BGHZ 6, 61. 70 Auf diese Fälle hat v . Caemmerer aufmerksam gemacht, indem er an Ehmann (brieflich) in Frage stellte, wo er (Ehmann) diese Fälle in seinem System unterbringe. Ehmann neigt dazu, die Fälle unter § 255 zu lösen, und hat die Frage v. Caemmerers zur Beantwortung an den Verfasser weitergereicht; vgl. dazu den weiteren Text.
VIII. Grenzfälle der Analogie
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spruch nahm. Der Bundesgerichtshof11 hat eine Ersatzpflicht der Heiratsvermittlerin abzüglich eines Mitverschuldensanteils aus dem Gesichtspunkt positiver Forderungsverletzung für begründet erachtet. Im vorliegenden Zusammenhang ist jedoch die Fragestellung von Interesse, wie sich die weitere Schadensabwicklung bei Zahlung durch die Ersatzpflichtige unter Einbeziehung des Darlehensrückzahlungsanspruchs der Gläubigerin gestaltet. In einer zweiten Entscheidung72 hatte der Bundesgerichtshof über ein Schadensersatzbegehren eines Bankkunden aus Anlageberatung durch eine Bank zu befinden. Die beklagte Bank hatte den Kunden durch ihre Mitteilung, es handele sich um ein aufstrebendes Unternehmen, dazu bewogen, sich als stiller Gesellschafter mit einer Einlage an der Firma zu beteiligen. Der Kunde ging seines Einsatzes verlustig und nahm das Bankhaus auf Schadensersatz in Anspruch, denn die anlageberatende Bank hatte nicht darauf hingewiesen, daß das Unternehmen in den letzten Jahren mit erheblichen Verlusten abgeschlossen hatte, obwohl sie über dessen Finanzlage als Hausbank bestens informiert war. Der Bundesgerichtshof13 hat auch hier eine durch Mitverschulden geminderte Ersatzpflicht des Vermittlers aus positiver Forderungsverletzung angenommen. Auch hier stellt sich die Frage nach der weiteren Abwicklung der Anspruchskonkurrenz zwischen dem Schadensersatzanspruch und dem Anspruch des A auf Rückzahlung der geleisteten Einlage. Diese und vergleichbare Fallkonstellationen74 scheinen auf den ersten Blick der Gesamtschuldabwicklung zuzugehören, wobei das Innenverhältnis zwischen Ersatzgläubiger A und Ersatzgläubiger B eine genauere Bestimmung an Hand der Abwägungskriterien des § 254 erfahren müßte. Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, daß hier ein Schutzanspruch mit einem Rückabwicklungsanspruch konkurriert, und eine Einordnung unter den Typus Schutzzweckgesamtschuld mangels identischen Schutzzwecks beider Ansprüche damit ausscheiden 71 BGHZ 25 (125/126); Der BGH setzt sich mit der Problematik auseinander, ob angesichts des § 656 Abs. I auch eine Haftung aus positiver Forderungsverletzung ausscheiden müsse. 72 BGH NJW 73, 456 ff. 73 BGH NJW 73, 457/458. 74 Bemerkenswerterweise hat bereits Kipp (Windscheid I Kipp II, § 258, 7 a ß, S. 71) die durch die angezogenen BGH-Entscheidungen aufgeworfene Problematik gesehen, ein entsprechendes Beispiel gebildet und zutreffend dem Anwendungsbereich des§ 255 zugeordnet: .,Wenn der Inhaber eines Auskunftsbureaus fahrlässig die Zuverlässigkeit einer Person versichert hat, bei der jemand Wertsachen hinterlegen wollte, und diese Person die Wertsachen unterschlägt, so kann der Inhaber des Auskunftsbureaus, der den Schaden decken soll, Abtretung der Ansprüche aus dem Hinterlegungsvertrage verlangen."
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§ 7 Der Inhalt des § 255 BGB
muß75 • Zwar kommt die Fallgestaltung in die Nähe des Kreditauftrags, gesetzlicher Bürgschaften und Garantien. Allein der Bundesgerichtshofe hat den Anspruch gegen die Heiratsvermittlerio und die anlageberatende Bank zu Recht als Schadensersatzanspruch aus positiver Forderungsverletzung qualifiziert und damit als Anspruch, der vom Schutzzweck, nicht dagegen vom Sicherungszweck bestimmt ist. Nur diese Einordnung erlaubt auch - im Gegensatz zu einer auf die volle Einstandspflicht gerichteten Bürgschaft wider Willen oder Garantie § 254 anzuwenden und eröffnet damit eine den beiderseitigen Verursachungsbeiträgen angemessene, durch Mitverschulden verminderte Haftung. Im übrigen würde ein Begreifen der Haftung des Vermittlers als Sicherungsanspruch dem Lebenssachverhalt weit weniger gerecht, da die Übernahme einer Bürgschaft oder Garantie den Vorstellungen der Parteien kaum entsprechen dürfte. Da somit selbst eine Einordnung dieser Fallgruppe unter den Typus Sicherungsgesamtschuld77 ausscheidet, muß - wenn man innerhalb des Ehmann'schen Systems bleib en will - eine Zuordnung zur Gesamtschuld überhaupt unterbleiben. Aber auch § 255 kann auf diese Fallgestaltung keine unmittelbare Anwendung finden. Gleichwohl bezieht die hier angesprochene Problematik ihre sachgerechte Lösung aus einer analogen Anwendung dieser Vorschrift. Für eine unmittelbare Geltung des § 255 sind wesentliche Merkmale nicht erfüllt. Es fehlt am Eintritt eines Rechtsverlustes durch Weggabe eines Bachsubstrats seitens des Ersatzpflichtigen B an einen Dritten C. Auch der Rückabwicklungsanspruch des A stellt sich nicht als Herausgabeanspruch dar, wie dies § 255 zur Voraussetzung hat, sondern ist als Gattungsschuld lediglich Verschaffungsanspruch. Dennoch sind noch wesentliche Übereinstimmungen mit dem eigentlichen Anwendungsbereich der Vorschrift erkennbar, die ihre analoge Heranziehung rechtfertigen. So ist in diesen Fällen zum Zeitpunkt der Gelt endmachung von Ersatzansprüchen in gleicher Weise w ie beim Entzug einer Sache im Schulbeispiel Verwahrer-Dieb noch keine Aussage darüber möglich, ob der Schadenseintritt bereits endgültig oder nur vorübergehender Natur ist. Weder der Bacheigentümer noch der Darlehensgeber muß sich in diesem Stadium auf die unsicheren, wirtschaftlich minderwertigen Ansprüche gegen den Dritten verweisen lassen. Die unmittelbare Ersatzpflicht des Verwahrers bzw. Vermittlers B ist denn auch unter dem gleichen r echtlichen Gesichtspunkt der Verletzung von Obhuts- bzw. umfassenderen, auf die Wahrung der Vermögensinteressen des A gerichteter Pflichten begründet. Die Abtretung der Darlehensansprüche an den Vermittler B stellt sich als 75 78 11
Vgl. dazu oben § 6 IV, 1 u. 2. BGHZ 25, 124 ff.; BGH NJW 73, 456 ff. Vgl. dazu oben § 6 III.
VIII. Grenzfälle der Analogie
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eine der Situation des ersatzleistenden Verwahrers entsprechende Risikoüberwälzung dar, denn B erhält Risiko und Chance zugleich, durch spätere Realisierung der Rückzahlungsschuld des C für seine Ersatzleistung sich wiederum Ersatz zu verschaffen. Zwar folgt aus der Rechtsnatur des Darlehens und der Beteiligung als Stiller, daß die Valuta dem Dritten C rechtlich zugeordnet wird, was die für § 255 typische Diskrepanz von rechtlicher Zuordnung und tatsächlichem Innehaben zum Wegfall bringt. Dieser Mangel steht jedoch einer Zuordnung der hier in Frage kommenden Fälle zur cessio legitima des § 255 nicht entgegen, sondern charakterisiert sie noch näher. Es handelt sich bei den angezogenen Beispielfällen um die Entwertung eines dem Ersatzgläubiger A rechtlich und tatsächlich voll zugeordneten Rechts vergleichbar der Entwertung einer dem A in gleicher Weise zugeordneten Sache durch den Ersatzpflichtigen B und die Herausgabe entwerteter Reste. Man darf sich durch die Ausgestaltung des entwerteten Rechtes als gegen einen Dritten gerichteten Anspruchs nicht darüber hinwegtäuschen lassen, daß hier nur eine Frage der Schadensausgleichung im Zweipersonenschuldverhältnis A - B angesprochen, und der Dritte nicht wie sonst bei § 255 in die Ausgleichung einbezogen ist. Schon das Reichsoberhandelsgericht78 hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1874 für den vergleichbaren Fall, daß ein Agent dem von ihm vertretenen Hause statt solventer, zahlungsunfähige Käufer verschaffte, den richtigen Weg gewiesen79 : "Der dem Kläger erwachsene Schaden besteht darin, daß derselbe, statt solvente Käufer zu erlangen, um von diesen Zahlung der von ihnen geschuldeten Fakturabeträge sofort zu erhalten, nur Ansprüche an insolvente Massen geltend machen kann. Der unter solchen Umständen geforderte Schadensersatz wird zutreffend so geltend gemacht, daß der Kläger von dem Beklagten Zahlung der Fakturabeträge fordert und demselben die ihm an die insolventen Käufer und deren Massen zustehenden Forderungen zu cedieren sich bereit erklärt." Diese Abtretungspflicht kann unter der Geltung des BGB zu Recht auf eine analoge Anwendung des § 255 gestützt werden, unter dem Gesichtspunkt der Ersatzleistung für einen endgültig noch nicht fixierten Schaden, der Verlagerung des daraus folgenden Ausgleichsrisikos und der Herausgabe entwerteter Reste8° bei voller Leistung durch den Ersatzpflichtigen. Maßgebend für die entsprechende Anwendung ist einmal, daß auch hier nur eine volle Ersatzleistung zur Entschädigung des Rechtsinhabers A genügt, andererROHG E 14, 400 ff. s. 401. 80 So auch Dernburg, SehR II, § 34; Oertmann, VA, S. 317; Fischer, S. 259; Planck I Siber, § 255, 5; Staudi nger I Werner, § 255, Rn. 13; Zoll, S. 11112. Grundlegend zur vollen Ersatzleistung gegen Überlassung von Resten bereits Oertmann, VA, S. 306 ff. 78
79
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§ 8 Umfang und Rechtsfolgen der Abtretungspflicht
seits durch Abtretung der diesem verbliebenen Ansprüche eine Risikoverlagerung vom Ersatzgläubiger auf den Ersatzschuldner eintritt, und eine Bereicherung des Ersteren durch die Ersatzleistung vermieden wird. § 8 Umfang und Rechtsfolgen der Abtretungspflicht aus§ 255 BGB
I. Die Wirkung der Anspruchsabtretung Wesentlicher Gegenstand der dem Rechtsinhaber A nach Entzug der Sache verbliebenen Rechtsstellung ist der gegen den Störer C gerichtete dingliche Herausgabeanspruch aus § 985 1 • Zwar ordnet § 255 lediglich die Abtretung der auf Grund des Eigentums bestehenden Ansprüche an, zufolge der engen Verbindung des Eigentumsherausgabeanspruchs mit dem Eigentum stellt sich jedoch die Frage, ob die Anspruchsabtretung zugleich den Rechtsübergang bewirken soll. Nur von ganz untergeordneter Bedeutung ist dabei die sachenrechtliehe Qualifizierung des Eigentumsherausgabeanspruchs. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 255 ging die ganz überwiegende Auffassung2 dahin, zur Übereignung nach § 931 sei der dingliche Herausgabeanspruch abzutreten, nachdem weitgehend Einigkeit bestand, daß dieser Anspruch auch isoliert ohne notwendigen Eigentumsübergang abtretbar seiS. Wenn nun heute die wohl überwiegende Meinung bei Fehlen eines Besitzmittlungsverhältnisses die bloße Einigung zum Eigentumsübergang genügen läßt und den Anspruch aus § 985 überhaupt nie als Objekt einer Abtretung, sondern als Ausfluß des Eigentums begreift4 , und damit seine Übertragung, losgelöst vom zugrundeliegenden Recht ausschließt, so dürfen daraus allerdings keine Argumente für eine Auslegung des § 255 in bestimmter Richtung bezogen werden. Nicht aus sachenrechtliehen Prinzipien, sondern allein aus 1 Der Schadensersatzschuldner B hat einen echten, durchsetzbaren Anspruch gegen den Rechtsinhaber A auf Abtretung, nicht nur eine auf Zug um Zug-Leistung gerichtete Einrede. Er kann diesen allerdings mit der Wirkung einer Einrede gern. § 273 geltend machen (RGZ 59, 370), ihn jedoch nach allgemeiner Meinung auch noch nach bereits erbrachter Ersatzleistung verfolgen (RGZ 117, 338). Vgl. zum ganzen W eitnauer bei SchlegelbergeT I Vogels, § 255, Rn. 6; Soergel I Siebert IR. Schmidt, § 255, Rn. 5. Die nachträgliche Abtretungspflicht wird bereits von Oertmann, VA, S. 272 bejaht und war sogar schon im römischen Recht anerkannt, vgl. D 19, 2, 25, 8. 2 Planck, SR, 1. u. 2. Aufl., § 931, 3 a; Oertmann, AcP 113, 51 (78, 90); RGZ 52, 385 (394). 3 Motive III, S. 3991400 = Mugdan III, S. 222; RG JW 32, 1206; Oertmann, AcP 113, 51 ff.; Staudinger I B erg, § 985, Rn. 9; a. A. Wolff I Raiser, § 84 VI;
Westermann, § 30 I, 3. 4 Westermann, § 41 II ; Baur , §51
VI, 1 a u. b.
I. Die Wirkung der Anspruchsabtretung
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Inhalt und Funktion der in Frage stehenden Vorschrift § 255 ist deren Rechtsfolge zu erschließen. Der doppelten, durch das Dreiecksverhältnis bestimmten Funktion des § 255 entspricht allein die über die schlichte Anspruchsabtretung hinausgehende Rechtsfolge der Vollrechtsübertragung auf den Ersatzleistenden B. Nur sie verwirklicht unzweideutig das Gebot der Abschöpfung der als Folge voller Interesseleistung beim Ersatzgläubiger A verbliebenen Bereicherung5 • Auch die zweite Funktion des § 255, die Verlagerung des Wiederbeschaffungsrisikos und die daraus folgende Möglichkeit eines Ausgleichs der Dreiecksbeziehung in der Person des Schadensersatzschuldners B, kann sich nur in Verbindung mit einem Eigentumsübergang vollziehen. Der Ersatzpflichtige B ist zur Realisierung der ihm überlassenen Chance auf die Rechtsinhaberschaft angewiesen, was schon aus einem Besitzwechsel vom Störer C auf D deutlich wird, als dessen Folge sonst der gegen C gerichtete Anspruch des B aus § 985 erlöschen und als Ausfluß des Eigentums, gegen D gerichtet, beim Rechtsinhaber A neu entstehen würde. Eigentumsübergang als Folge der Anspruchsabtretung - hier aus dem Inhalt des § 255 abgeleitet - war denn auch schon im gemeinen Recht6 unter dem Einfluß römischrechtlicher Tradition7 anerkannten Rechts8 . Selbst die Gesetzesgeschichte des BGB läßt sich unterstützend zur Rechtfertigung dieses Ergebnisses heranziehen, wenngleich in den Motiven zunächst das Gegenteil verlautet9 : "Noch weiter zu gehen und, wie das sächs. GB. für einen Fall im Vindikationsprozesse (§ 305) bestimmt, die Re'chte selbst, in welchen die verbliebenen Ansprüche sich gründen, übergehen zu lassen, wäre bei beweglichen Sachen schon wegen des Traditionsprinzips anomal und überhaupt bedenklich, bei Grundstücken aber mit den Prinzipien des Grundbuchrechts unvereinbar."
Diese Aussage kann jedoch für die Gesetz gewordene Fassung des § 255 aus doppeltem Grunde keine Geltung mehr beanspruchen. Das 5 So auch Fischer, S. 255, Fn. 14; v. Tuhr, KritVjSchr 47, 86; Taucher, S. 49; Windscheid I Kipp II, § 258, S. 63, Anm. 7 ; Enneccerus I Lehmann, § 17, 2, S. 87, Anm. 10; RGZ 59, 371. 6 Vgl. Taucher, S. 48149 und die Nachweise in der folgenden Fn. 7. 7 Die Zahlung der litis aestimatio mit nachfolgender Abtretung der rei vindicatio bezweckte im römischen Recht den Eigentumsübergang auf den Ersatzleistenden, der allerdings wegen des strengen Traditionsprinzips erst mit Besitzerlangung an der Sache erfolgen konnte. Vgl. D. 6, 2, 7, 1; D. 13, 6, 5, 1; D. 41, 4, 3: "litis aestimatio similis est emptioni"; desgl. D. 41, 4, 1; D. 6, 2, 7, 1; D. 25, 2, 22 pr. 8 Schulz, S . 25 ff. weist in diesem Zusammenhang auf interessant e historische Ursprünge der Übereignungspflicht hin. So w urde beispielsweise eine Versicherung aufgefaßt als Kauf der v ersicherten Sache gegen Leistung der Versicherungssumme im Sinne eines Kaufpreises. 9 Motive II, S. 25 = Mugdan II, S. 14.
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§
8 Umfang und Rechtsfolgen der Abtretungspflicht
Übergabeerfordernis bei der Eigentumsübertragung wurde erst im zweiten Entwurf verhältnismäßig stark zurückgedrängt, indem man die Möglichkeit der Übereignung durch Abtretung des Herausgabeanspruchs eröffnete. Erst§ 844 E II enthielt die als § 931 Gesetz gewordene Regelung, während noch § 874 E I einen Eigentumsübergang durch Abtretung der Ansprüche aus § 255 (= § 223 E I = § 218 E II) ausschloß10• Im übrigen sind diese Bedenken auch dadurch entfallen, daß die in § 223 E I in Aussicht genommene cessio legis von der zweiten Kommission durch eine Abtretungskonstruktion ersetzt wurde, womit Zeitpunkt und Umfang des Rechtsüberganges zur Erzielung einer größeren Publizität deutlicher zum Ausdruck kamen. Die Protokolle11 legen bei fortgeschrittenem Stand der Beratung zu § 218 E II (= § 255 BGB) bereits Zeugnis dafür ab, daß die Rechtsfolge der Anspruchsabtretung bei§ 255 in einem Übergang der dinglichen Rechte begriffen wurde: "Die Abtretung setze den Zeitpunkt und den Umfang des Übergangs der Ansprüche außer Zweifel und biete insbes. für das Verhältniß zu Dritten den großen Vortheil, daß diese nur zu prüfen hätten, ob sie erfolgt sei, ohne auf die Frage eingehen zu müssen, ob und inwieweit Schadensersatz geleistet worden sei. Bei dinglichen Ansprüchen führe die kraft Gesetzes eintretende Übertragung zu dem ganz unzweckmäßigen Ergebnisse, daß wenn theilweise Ersatz geleistet sei, ein dingliches Gemeinschaftsverhältniß mit Antheilen bestehe, deren Größe sich nach dem Verhältnisse zwischen dem ersetzten und dem nicht ersetzten Theile des Schadens bestimme." Nun sollte und kann allerdings durch § 255 keine besondere Form der Übereignung geschaffen werden. Zur Anspruchsabtretung im Sinne des § 931 muß weiterhin stets die Einigung über den Eigentumsübergang hinzutreten. Aus der Zwecksetzung des § 255 heraus ist der Ersatzberechtigte jedoch zur Eigentumsübertragung verpflichtet12 • Deshalb ist die Vermutung gerechtfertigt, daß die Einigung über den Eigentumsübergang regelmäßig bereits in der " Abtretung" enthalten ist, denn der Ersatzberechtigte wird sich im Zweifel rechtstreu verhalt en und die Zwecksetzung des § 255 nicht vereiteln wollen13 • Auch der Ersatzpflichtige wird in aller Regel den Willen haben, die Sache zu erwerben, für die er vollen Ersatz leisten muß. Notfalls kann er den Anspruch auf Übereignung gerichtlich durchsetzen. Der gegen die Verpflichtung zur Eigentumsübertragung erhobene Vorwurf14, der Ersatzberechtigte A werde unbillig belastet, weil er 1o
Vgl. auch Taucher, S. 48.
11
Prot. II, S. 606 = Mugdan II, S. 519.
RGRK-Oegg, § 255, 2; Patandt I Danckelmann, 26. Auf!., § 255, 3; Taucher, S. 48 ff.; Ptanck, SehR, 3. Auf!., § 255, 3; Dernburg, SehR II, § 34 II, c; Windscheid I Kipp II, S. 72; Fischer, S. 255, Fn. 14; Enneccerus I L ehmann, § 17, 2, S. 87, Anm. 10. 13 Vgl. Fischer, S. 255, Fn. 14; Staudinger I W erner, § 255, 3 c; Enneccerus I 12
Lehmann, § 17, 2, S. 87; Horn, S . 100.
li. Die abzutretenden Ansprüche
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schon bei Geltendmachung der Schadensersatzforderung vor die Wahl gestellt werde, entweder das Eigentum an einer vielleicht besonders geschätzten Sache aufzugeben oder die unsicheren Herausgabeansprüche gegen einen unbekannten Dritten zu verfolgen, läßt sich nicht aufrechterhalten. Dem Rechtsinhaber A steht immerhin die Möglichkeit offen, durch zumindest vorläufige Beschränkung seiner Ersatzansprüche auf das Nutzungsinteresse eine Übereignung abzuwenden. Im übrigen wird verkannt, daß dem Eigentümer bei § 816 Abs. I - der Genehmigung rechtswidriger Veräußerung- die gleiche Entscheidung abverlangt wird15 • Hier wie dort ist der Eigentümer vor die Wahl gestellt, entweder den unsicheren Herausgabeanspruch zu verfolgen oder den Erlös - bei § 255 Schadensersatz - zu beanspruchen. Die Wahl des sicheren Weges der Erlösherausgabe ist jedoch infolge einer Genehmigung der Verfügung mit dem Verlust des Eigentums verbunden. Die Interessenahwägung stellt sich in beiden Fällen gleich dar. Bei diesen Fallkonstellationen- § 816 Abs. I wie § 255- wird der Eigentümer dadurch abgesichert, daß er Genehmigung oder Abtretung Zug um Zug vom Erhalt des Erlöses oder der Ersatzleistung abhängig machen kann. Damit läßt sich zusammenfassend feststellen, daß die Vorschrift des § 255 nach Inhalt und Zwecksetzung auf eine Übertragung des dinglichen Rechtes selbst, nicht auf eine isolierte Anspruchsabtretung angelegt istl 6 • II. Die bei § 255 BGB abzutretenden Ansprüche
Bisher wurden die bei § 255 abzutretenden Ansprüche nur ganz allgemein als Herausgabeansprüche bezeichnet. Nach Klärung von Inhalt und Anwendungsbereich dieser Vorschrift können sie nun näher bestimmt werden. 1. Der dingliche Herausgabeanspruch und Besitzansprüche
Der dingliche Herausgabeanspruch aus § 985 unterliegt im Zusammenhang mit der als Rechtsfolge des § 255 herausgearbeiteten Eigentumsübertragung der Abtretungspflicht17 • Aus der auf Eigentumsübergang gerichteten Zielsetzung und der das BGB beherrschenden Anspruchskonkurrenz rechtfertigt sich weitergehend auch die Abtretung des Abholungsanspruchs aus § 1005 und der Besitzschutzansprüche der Planck I Siber, § 255, 3 d; Oertmann, VA, S. 301. Vgl. RGZ 106, 45; 115, 34; BGH JZ 61, 24; Enneccerus I Lehmann, § 255 I, 3; Erman I Seiler, § 816, 1; a. A.: Heck, SehR, § 142, 9. 16 Im Ergebnis ebenso Weitnauer, Karlsruher Forum 1970; Metzler, JUS 71, 589 (591); v. Caemmerer, JR 59, 463. 11 Ganz h. M., vgl. nur Zoll, S. 29. 14
1s
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§ 8 Umfang und Rechtsfolgen der Abtretungspflicht
§§ 861, 867 sowie des Anspruchs aus besserem Besitz gemäß § 1007 in zumindest analoger Anwendung des § 255 18• Nur durch Abtretung aller auf Grund dieser Vorschrift bestehender Ansprüche verliert der ersatzberechtigte Eigentümer jede Einwirkungsmöglichkeit auf die in der Hand des Dritten noch existente Sache. Nur diese Rechtsfolge entspricht den an eine Eigentumsübertragung gestellten Anforderungen, denn § 931 setzt den Abbruch jeder tatsächlichen und rechtlichen Beziehung zur Sache voraus19• 2. Obligatorische Herausgabeansprüche
Wegen ihrer Entstehung aus Vertrag lassen sich obligatorische Herausgabeansprüche20, die bei § 255 allerdings nur in seltenen Fällen begründet sein werden, schwerlich unter die Wortfassung der Abtretungsbestimmung "auf Grund des Eigentums" subsumieren. Man denke daran21 , daß etwa der Inhaber B eines Auskunftsbüros fahrlässig die Zuverlässigkeit und Seriosität eines Verwahrers C versichert, bei dem sein Klient A Wertsachen hinterlegen will, und der Verwahrer die Sachen derart unterschlägt, daß sich ihr Aufenthalt nicht ohne weiteres ermitteln läßt22 . Dem vergleichbar ist der Fall, daß der Betriebsinhaber A beim Lagerverwalter C Waren einlagert, welche dieser im Zusammenwirken mit dem untreuen Generalbevollmächtigten und Vermögensverwalter B des Betriebsinhabers A unterschlägt. In diesen Fällen, wo der Rechtsinhaber A nicht nur zu dem im weitesten Sinne seine Vermögensinteressen wahrnehmenden B, sondern auch zu dem Dritten C die entzogene Sache betreffende Vertragsbeziehungen unterhält, konkurrieren mit dem dinglichen Herausgabeanspruch auch vertragliche Herausgabeansprüche, wenigstens solange die unterschlagenen Sachen noch fortbestehen. Die doppelte Funktion des § 255 - Bereicherungsabschöpfung und Verlagerung des Wiederbeschaffungsrisikos auf den Ersatzpflichtigen B -gebietet die Abtretung aller, auch vertraglicher in der Beziehung A - C bestehender Herausgabeansprüche23. Sie ist im übrigen deshalb gerechtfertigt, weil der durch die volle Ersatzleistung entschädigte Rechtsinhaber A mit diesen vertraglichen Ansprüchen sonst die Geltendmachung der übrigen abge1e Vgl. Horn, S. 95.
Vgl. Westermann, § 41 li, 3, 4; Erman I Westermann, § 931, 3; Johannsen, § 931, 10; RGZ 52, 394. 19
RGRK-
Etwa aus der Rechtsstellung des Mieters oder Entleihers etc. Beispiel nach Windscheid I Kipp li, § 258, 7 a ß, S. 71. 22 Sonst müßte A unter Umständen gegen C direkt auf Herausgabe klagen; vgl. oben § 7 li. 2o 21
23
A. A.: Zoll, S. 34; Lehning, S. 23.
II. Die abzutretenden Ansprüche
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tretenen Herausgabeansprüche durchkreuzen könnte24 • Letztlich gilt auch hier, daß zur Bewirkung des Eigentumsübergangs jede Beziehung des Voreigentümers zur Sache abzubrechen ist. 3. Schadensersatzansprüche auf Herausgabe Bisher wurden in bewußter Vereinfachung Schadensersatz- und Herausgabeansprüche einander als aliud gegenübergestellt. Bei näherer Betrachtung erweist sich jedoch, daß gewisse Überschneidungen möglich sind, denn bei physischem und rechtlichem Fortbestand der entzogenen Sache sind Schadensersatzansprüche auf Naturalrestitution (§ 249 S. 1), somit auf Herausgabe der existenten Sache gerichtet. Angesichts der Doppelnatur dieser Ansprüche erhebt sich die Frage, ob auf Herausgabe gerichtete Schadensersatzansprüche nun als Schadensersatzansprüche der Gesamtschuldregelung oder als Herausgabeansprüche der Abtretungspflicht nach § 255 unterliegen. Die richtige Einordnung wird auch hier aus den Wesensmerkmalen der Ausgleichsnormierung des § 255 bestimmt. Diese Ersatzansprüche konkurrieren mit der rei vindicatio und erhalten ihre Prägung dadurch, daß sie auf Sachherausgabe gerichtet sind. Für die deliktischen Herausgabeansprüche gilt trotz ihrer Qualifizierung als Schadensersatzansprüche gleiches wie für Herausgabeansprüche überhaupt. Sie sind nur im charakteristischen Anwendungsfall des § 255 denkbar, beim Besitzentzug unter Fortbestand der Sache25 • Dann ist auch die besondere Ausgleichssituation des § 255 gegeben, nicht die allgemeine Regreßsituation der §§ 421 ff. eröffnet wie bei Untergang der Sache. Die §§ 422, 426 sind insoweit unanwendbar, denn die Richtung der Abtretung läßt sich nach den Kriterien des Innenverhältnisses unter Gesamtschuldnern nicht festlegen, da sie den Fall des Fortbestandes der entzogenen Sache in der Dreiecksbeziehung nicht erfassen können26 • Es bleibt deshalb zusammenzufassen: Auch die auf Herausgabe gerichteten Schadensersatzansprüche sind mit den übrigen Herallsgabeansprüchen nach § 255 abzutreten. Erst wenn der Anspruch nicht mehr auf Herausgabe im Sinne der Naturalrestitution, sondern nach Untergang der Sache auf das Interesse (Geld) gerichtet ist, liegt die Gesamtschuldkonstellation vor, und ist die Anwendung der §§ 422, 426 veranlaßt. Diese den Grundsatz treffend erfassende Aussage bedarf jedoch noch einer weitergehenden Erläuterung in Hinblick auf Fristsetzung und facultas alternativa des Gläubigers gemäߧ§ 250, 251. 24 So auch Planck I Siber, § 255, 2 c; Windscheid I Kipp II, 7 Weitnauer, bei Schlegelberger I Vogels,§ 255, Rn. 4. 2s Vgl. oben§ 7 111, IV. 20 Vgl. ausführlich unten § 9 I, 3.
a ß, S. 71;
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§ 8 Umfang und Rechtsfolgen der Abtretungspflicht
4. Die Rechte des Gläubigers aus §§ 250, 251 BGB - Grenze der Anwendbarkeit des § 255 BGB Zwar steht dem Rechtsinhaber und Gläubiger eines auf Herausgabe der entzogenen Sache gerichteten Schadensersatzanspruchs kein freies Wahlrecht auf den zur Naturalherstellung erforderlichen Geldbetrag gemäß § 249 S. 2 zu, wie dies bei Sachbeschädigung der Fall ist27 • Es besteht jedoch die Möglichkeit, den auf Sachherausgabe gerichteten Anspruch gegen den Dritten C durch Fristsetzung gemäß § 250 oder Gebrauchmachen von der facultas alternativa des § 251 in einen solchen auf Schadensersatz in Geld umzuwandeln. Nach fruchtlosem Fristablauf unter Ablehnungsandrohung erlischt der Herausgabeanspruch kraft ausdrücklicher Anordnung des § 250, an seine Stelle tritt ein Geldleistungsanspruch. Dem vergleichbar wird etwa im Falle, daß sich die Herausgabe, z. B. durch Eingriff hoheitlicher Gewalt auf unabsehbare Zeit verzögert und deshalb zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist28, das ursprüngliche Schuldverhältnis kraft der Wirkung der facultas alternativa durch einen Zahlungsanspruch ersetzt. Mit Umwandlung des Schuldverhältnisses gemäß § 250 oder § 251 bestehen nunmehr konkurrierende, auf den Ersatz desselben Schadens gerichtete Ansprüche, die durch den Schutzzweck zur Gesamtschuld verbunden und auf eine andere Leistung als Herausgabe gerichtet sind29 • In diesem Grenzbereich zwischen der Anwendung des § 255 und der Schadensgesamtschuld wird die Zuverlässigkeit der zu§ 255 gefundenen Abgrenzung erneut deutlich. Die entzogene Sache besteht zwar physisch weiter fort, sie ist jedoch durch Umwandlung des Herausgabeanspruchs in ein reines Schadensersatzschuldverhältnis in der Dreiecksbeziehung rechtlich untergegangen. Der Dieb C ist dem Eigentümer und dem Verwahrer B gegenüber zum Besitz berechtigt und kann Zug um Zug gegen Ersatzleistung an A Übereignung der Sache verlangen30 • Diese 27 Palandt I Heinrichs, § 249, 2 a; Erman I Erman, § 249, 13 c: "Bei völliger Sachentziehung oder Verlust der Sache kommt § 249 S. 2 nicht zur Anwendung." 28 Sofern nicht bereits weitergehend wegen der voraussehbaren Dauer des Herausgabehindernisses nicht nur eine vorübergehende, sondern endgültige Unmöglichkeit der Herausgabe und damit ein Fall des Untergangs der Sache vorliegt, w elcher bei Mehrfachverpflichtung der Schutzzweckgesamtschuld unterstellt ist. 29 Zur Unanwendbarkeit der Gesamtschuldregelung auf Herausgabeansprüche vgl. unten § 9 I, 3. Bereits Kress, Allg. SehR, S. 292, Fn. 43 hat zutreffend den Gegenstand des Anspruchs zur Abgrenzung des § 255 gegenüber der Gesamtschuld herangezogen. 30 unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung entsprechend der Herausgabe entwerteter Reste der Sache, für die Ersatz geleistet wird. Vgl. dazu Oertmann, VA, AnhangS. 306 ff.; D. 11, 3, 14,8 ff.
III. Die Rechtsfolge bei Wiedererlangung der Sache
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soll ihm als Folge der Wirkung der §§ 250, 251 endgültig rechtlich zugeordnet werden. So kommt auf die nach Umwandlung der Schuld im Verhältnis A-C erbrachte Ersatzleistung des Verwahrers B § 255 zu Recht nicht mehr zur Anwendung, der ersatzleistende Verwahrer erwirbt vielmehr gemäß §§ 422, 426 Schadensregreßansprüche gegen den Dieb C im Wege der cessio legis. Die bei C befindliche Sache bleibt von der Schadensabrechnung ausgenommen. Die Sachrichtigkeit der Beschränkung des § 255 auf die Abtretung von Herausgabeansprüchen hat sich erneut bestätigt.
III. Die Rechtsfolge bei Wiedererlangung der entzogenen Sache Der Fortbestand der entzogenen Sache in der Dreiecksbeziehung eröffnet die Möglichkeit, daß der Schadensersatzschuldner B nach Abwicklung von Ersatzleistung und Anspruchsabtretung bzw. Eigentumsübertragung die verlustig gegangene Sache wiedererlangt. Damit drängt sich die Frage auf, ob und inwieweit Schadensabwicklung und Rechtsübertragung nach § 255 vom späteren Wiederauffinden der Sache unberührt bleiben, oder ob dieser Sachverhalt zu einer Rückabwicklung zwingt. Diese Fragestellung hat ungeachtet der aus einer Erfassung von Inhalt und Anwendungsbereich des § 255 folgenden Prädisposition ein breites Spektrum von Lösungsvorschlägen veranlaßt31 • Die Extrempositionen sind gekennzeichnet durch die generelle Gewährung eines Bereicherungsanspruchs auf Ausfolgung der Ersatzleistung gegen Rückgabe der entzogenen Sache einerseits32, und das ausnahmslose Beharren auf einem durch das Auftauchen der Sache nicht tangierten Eigentumsübetgang als endgültige Regelung andrerseits33• Vermittelnde Meinungen räumen entweder dem Gläubiger A oder dem Ersatzschuldner B ein freies 34 oder eingeschränktes35 Wahlrecht zwischen Sache und Ersatzleistung ein. Zeugnis für die zumeist unzureichende systema31 Aus den Materialien zum BGB läßt sich zu dieser Frage nichts erschließen. Ein von Rocholl empfohlener Antrag - "Der Beschädigte kann gegen Erstattung der Ersatzleistung von dem Entschädiger Wiederabtretung des von diesem zurückerlangten Eigenthumes oder Rechtes fordern" wurde wieder zurückgezogen, Prot. li, S. 6051606 = Mugdan II, S. 519. 32 Fischer, S. 7; Crome II, S. 82; Ktingmütler, JherJb 64, 83; Staudinger I Werner, § 255, 3 b; Palandt I Danckelmann, 26. Auf!., § 255, 3. 33 Weitnauer, Karlsruher Forum 1970; Schulz, S. 104 ff. (1061107). 34 Vgl. Oertmann, VA, S. 300 ff.; Planck I Siber, § 255, 4; Dernburg, SehR li, § 34 li, g; Leonhard, SehR I, S. 213; Lehning, S. 43 ff.; Schollmeyer, § 255, 3. 35 Der Eigentümer soll bei grundsätzlichem Anspruch auf die wiedergefundene Sache nur dann ein Wahlrecht auf Behalt oder Ersatzleistung haben, wenn die Sache zwischenzeitlich so sehr verschlechtert ist, daß er an ihrer Wiedererlangung kein Interesse mehr hat. So in Analogie zu § 280, Rud. Schmidt, JherJb 72, 40141; Zoll, S. 41.
3 ?.Wnchbach
114
§ 8 Umfang und Rechtsfolgen der Abtretungspflicht
tische Durchdringung der Problematik legt eine erst jüngst veröffentlichte größere rechtsgeschichtliche Abhandlung Selbs36 zu diesem Problemkreis ab. Er hat nachgewiesen, daß im historischen Entwicklungsprozeß meist bedingt durch materielle oder prozessuale Besonderheiten der vorgegebenen Gesamtrechtsordnung nahezu alle denkbaren Lösungen zur Anwendung kamen. Selb zeiht den Gesetzgeber denn auch bei der Schaffung des § 255 einer Unterlassungssünde, wenn er ausführt37 : "Es wäre die Aufgabe des Gesetzgebers zum BGB gewesen, die verstreuten und eher zufälligen Teilansätze zur Lösung des Problems in der Zielsetzung zu vergleichen, sie zu koordinieren und zur vollständigen Lösung zu ergänzen. Dazu hätte der Gesetzgeber freilich die möglichen Lösungen (endgültiger, vorläufiger oder kein Abandon) rechtspolitisch klar erkennen und die Einrichtungen und Begriffe zu ihrer technischen Verwirklichung (Zession, Tradition, Einigung) kritisch als Mittel, nicht als Selbstzweck oder die Lösungen schon begrifflich bietende Instrumente verstehen müssen. Dazu war die Zeit aber nicht reif." Die Problematik bei Wiederauftauchen der entzogenen Sache kann eine zweckentsprechende Lösung nur aus der Erfassung von Inhalt und Rechtsfolgeanordnung des § 255 finden. Aus der doppelten Bedeutung dieser Vorschrift, einerseits eine Bereicherung des Ersatzgläubigers A durch Kumulation von Rechtsinhaberschaft und voller Interesseleistung zu verhüten, andrerseits die Dreiecksbeziehung unter Verlagerung des Wiederbeschaffungsrisikos in der Person des Ersatzpflichtigen B auszugleichen, folgt die Notwendigkeit der Vollrechtsübertragung auf den Ersatzleistenden B 38• Dem Ausgleichsgedanken korrespondiert eine grundsätzlich endgültige Wirkung der Rechtsübertragung, zumal eine Übereignung, welche mit der Vervollständigung der Rechtsposition durch die Besitzerlangung wieder rückgängig zu machen wäre, ihrer Bedeutung entkleidet würde39• Nachdem der Ersatzgläubiger bereits die Wahl zwischen Sachverfolgung und vollem Schadensersatz hatte, besteht grundsätzlich kein Bedürfnis, die ihn privilegierende Art einer Schadensbeseitigung durch Einräumung eines neutralen, freien Wahlrechts wieder umzustoßen. Im übrigen steht zu befürchten, daß dann vor allem spekulative Motive die Wahl zwischen Sache und Ersatzleistung bestimmen werden, ein Ergebnis, das zu Unbilligkeiten führen, und das zu fördern, nicht Sinn des§ 255 sein kann40 • 36 Entstehungsges·chichte und Tragweite des § 255 BGB in Larenz Festschrift 1973, S. 517 ff. 37
as
ao 40
Selb, S. 540.
Vgl. oben§ 7 III, IV. Vgl. dazu auch Zoll, S. 56. Kritisch in diesem Sinne auch ZoH, S. 57.
III. Die Rechtsfolge bei Wiedererlangung der Sache
115
Das gewonnene Ergebnis endgültiger Eigentumsübertragung auf den Ersatzleistenden wird aus einer Analogie zu § 861 HGB über den seerechtliehen Abandon bestätigt41 • § 861 HGB regelt42 genau wie § 255 den Fall einer Verpflichtung zur Ersatzleistung für den Besitzverlust einer Sache, konkretisiert durch einzeln aufgeführte Verlustfälle von Seeschiffen, welche eine Ersatzpflicht des Seeversicherers auslösen. Weitere Voraussetzung für die Leistung der Versicherungssumme ist die einseitige Abandon-Erklärung des Schiffseigners, durch die er auf sein Eigentum an dem möglicherweise noch existenten Schiff verzichtet. Der Versicherer wird durch die Abandon-Erklärung Eigentümer des Schiffes und bleibt es, unbeschadet eines eventuellen Wiederauftauchens. In diesem Fall muß der Versicherte kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung die Versicherungsleistung nicht zurückgewähren (§ 866 Abs. III HGB) 43 • Der gegen eine analoge Heranziehung des Abandon-Gedankens bei § 255 erhobene Einwand44 , die Regelung des § 861 HGB erkläre sich lediglich daraus, weil mit Seeschiffen bedeutende, die Existenzgrundlage des Eigners bildende Objekte in Frage stünden, vermag nicht zu überzeugen. Auch bei § 255 können wertvolle Sachen Gegenstand der Ersatzpflicht sein, und selbst unabhängig vom Wert hat der Gläubiger ein Interesse daran, über die erhaltene Ersatzleistung frei verfügen zu können, ohne eine ihren Wert schmälernde Rückabwicklung gewärtigen zu müssen45 • In gleicher Weise wie § 866 Abs. III HGB schließt § 255 eine an sich eröffnete bereicherungsrechtliche Rückabwicklung grundsätzlich aus46, Vgl. Schulz, S. 104 ff. (106/107). § 851 Abs. I HGB lautet: "Der Versicherte ist befugt, die Zahlung der Versicherungssumme zum vollen Betrage gegen Abtretung der in Ansehung des versicherten Gegenstandes ihm zustehenden Rechte in folgenden Fällen zu verlangen (Abandon): (1.) wenn das Schiff verschollen ist; (2.) wenn der Gegenstand der Versicherung dadurch bedroht ist, daß das Schiff oder die Güter unter Embargo gelegt, von einer kriegsführenden Macht aufgebracht, auf andere Weise durch Verfügung von hoher Hand angehalten oder durch Seeräuber genommen und während einer Frist von sechs, neun oder zwölf Monaten nicht freigegeben sind, je nachdem die Aufbringung, Anhaltung oder Nehmung geschehen ist ... " (Es folgen Angaben über den Schiffsverlust auf im einzelnen bezeichneten Meeren.) 43 § 866 III HGB lautet: "Die Abandonerklärung ist unwiderruflich." Vgl. auch § 867 - "Die Abandonerklärung ist ohne rechtliche Wirkung, wenn die Tatsachen, auf welche sie gestützt wird, sich nicht bestätigen oder zur Zeit der Mitteilungen der Erklärung nicht mehr bestehen. Dagegen bleibt sie für beide Teile verbindlich, auch wenn sich später Umstände ereignen, deren früherer Eintritt das Recht zum Abandon ausgeschlossen haben würde." 44 Zoll, S. 61. 45 Diesen Gesichtspunkt betont schon Windscheid I Kipp II, § 258, 7 a, y, S. 72; vgl. auch v. Caemmerer, JR 59, 462 (463). 46 Als erster hat Schulz, S. 107 diesen Analogieschluß eingehend begründet. 41
42
s•
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§ 8 Umfang und Rechtsfolgen der Abtretungspflicht
was allerdings nicht ausdrücklich, sondern erst nach der Erfassung seines Gehalts erkennbar ist. Dem von Selb 41 aus historischer Ableitung gewonnenen Ergebnis der Zurückdrängung des Abandon-Gedankens zugunsten einer obligatorischen Rückabwicklung des Schadensfalls nach Bereicherungsgrundsätzen kommt demgegenüber vergleichsweise geringe Bedeutung zu. Nachdem Selb selbst nachgewiesen hat, wie vielfältig die geschichtlichen Lösungsvorstellungen sich gestalteten, und wie sehr sie von anderen vorgegebenen Faktoren der Gesamtrechtsordnung abhängig waren, erweist sich eine rein historische Betrachtung zwar höchst aufschlußreich und geeignet, den Blick für das Wesentliche zu schärfen, jedoch allein aus sich heraus nicht in der Lage, die Problematik für das heutige Recht zu einer Lösung zu führen. Obwohl das Prinzip endgültiger Übereignung und des Ausschlusses einer Rückabwicklung grundsätzlich als zwingende Funktion des Gehalts des § 255 erkannt wurde, erscheint eine Ausnahme in bestimmten Fällen angebracht. Die durch § 255 mit der Gewährung des vollen Interesses getroffene Risikoabwägung und Festsetzung einer Zumutbarkeitsschwelle48 muß trotz der dem Gläubiger eröffneten Möglichkeit, sein Ersatzbegehren auf das Nutzungsinteresse zu beschränken, dann revidiert werden, wenn eine entzogene Sache nach erbrachter Ersatzleistung wieder auftaucht, die typischerweise49 Gegenstand von Affektionsinteressen ist. Man denke etwa an das wertvolle Bild eines Sammlers, überhaupt an Gegenstände aus Sammlungen oder Geschenk- und Erinnerungsstücke, denen der Verkehr allgemein diese Bedeutung zulegt50. Da die Ersatzleistung den Verlust nicht in seiner vollen Tragweite ausgleichen konnte, gebietet § 242 BGB die Gewährung eines Wahlrechts, damit der Gläubiger notfalls auf die entzogene Sache selbst zurückgreifen kann51 • Dem Gläubiger steht demnach ein Anspruch auf Rückübereignung der entzogenen Sache Zug um Zug gegen Rückerstattung der Ersatzleistung zu, beschränkt auf diesen engumgrenzten Bereich, wo ein anerkennenswertes Sonderinteresse des Gläubigers an einer Restitution der Sache die allgemein bestimmende, § 255 zugrundeliegende Interessenwertung in den Hintergrund drängt. Diese Ausnahme bestätigt die Regel, wonach § 255 eine endgültige Schadensabwicklung durch Übereignung der entzogenen Sache unter Ausschluß der Rückabwicklung herstellt. Vgl. Selb, Larenz Festschrift, S. 547. Vgl. dazu oben § 7 I. 49 Die bewußte Generalisierung soll Mißbrauch zu Spekulationszwecken vermeiden, etwa mit dem Argument, die Sache sei persönlich besonders geschätzt und liebenswert. 50 Es dürften nur Speziessachen in Frage kommen. 51 In gleichem Sinne zutreffend Larenz, SchRAT, 7. Aufl., § 14 III, S. 114, Fn. 2; Frage offen gelassen in der 10. Aufl., § 32 I, S. 381, Fn. 2; Weimar, JR 59, 92 (93); v. Caemmerer, JR 59, 462 (463/464). 47
4s
I.
Auslagerung des § 255 BGB aus der Gesamtschuldregelung
117
3. Abschnitt
Die Abgrenzung zur Gesamtschuld § 9 Das Verhältnis der§§ 255-421 ff. BGB zueinander
I. Gründe der Auslagerung des§ 255 BGB aus der Gesamtschuldregelung Im Anwendungsbereich des § 255 konkurrieren Schadensersatz- mit Herausgabeansprüchen; beide Anspruchsgruppen sind vom Schutzzweck beherrscht. Dies gilt ganz besonders vom wichtigsten Herausgabeanspruch, dem dinglichen aus § 985, der als Ausfluß des Eigentumsrechtes ursprünglichste Schutzfunktion zu erfüllen hat. Die Gemeinsamkeit des Schutzzwecks bezüglich eines Rechtsgutes ist tragendes Kriterium für die Verbindung einer Schuldnermehrheit zur Gesamtschuld vom Typus "Schutzzweckgesamtschuld". Nun weisen allerdings bei § 255 in seinem Kernbereich die gegen beide Schuldner gerichteten Ansprüche Schutzzweckcharakter auf, ohne daß die Schuldnermehrheit deshalb zur Gesamtschuld verbunden würde. Die Gründe, welche zur Auslagerung der § 255-er Fälle aus der Gesamtschuld zwingen, sollen im folgenden erschlossen werden, um damit zugleich die Wurzel dieses wohl einzigen Ausnahmefalles der Auslagerung von Ansprüchen gleichen Schutzzwecks aus der Gesamtschuld zu ergründen. 1. Die gesetzgeberischen Erwägungen
Rechtsprechung und Literatur haben sich in dieser Zuspitzung mit dieser Fragestellung, soweit ersichtlich, nahezu überhaupt nicht befaßt1. Lediglich Ehmann2 führt dazu aus: "Die Herausnahme der ,Fälle des Besitzverlustes ohne gleichzeitigen Eigentumsverlust' rechtfertigt sich aus den dogmatischen Schwierigkeiten der Legalzession der dinglichen Herausgabeansprüche." Er beruft sich dabei auf Erwägungen, welche die Beratungskommission im Gesetzgebungsverfahren veranlaßten, die cessio-legis-Regel des § 223 E I, den Vorläufer des § 255, durch die Gesetz gewordene Abtretungskonstruktion zu ersetzen3 • "Bei dinglichen Ansprüchen führe die kraft Gesetzes eintretende Uebertragung zu dem ganz unzweckmäßigen Ergebnisse, daß, wenn theilweise Ersatz geleistet sei, ein dingliches Gemeinschaftsverhältniß mit Anthei1 Maßgebend hierfür war, daß der Schutzzweck als Kriterium der Gesamtschuld erst in der jüngsten Rechtsprechung des BGH auftaucht. (BGHZ 52,
39). 2
3
§ 2 IV, 2 b .
Prot. II, S. 606
=
Mugdan II, S . 519.
118
§ 9 Die Abgrenzung des § 255 BGB zur Gesamtschuld
len bestehe, deren Größe sich nach dem Verhältnisse zwischen dem ersetzten und dem nicht ersetzen Theile des Schadens bestimme." Dieses Argument erklärt nur einen Teil des Problems4 • Es verdeutlicht, warum die Kommission statt der ursprünglich vorgesehenen cessio legis (§ 223 E I) die Abtretungskonstruktion wählte, klärt jedoch noch nicht umfassend, warum man bereits den§ 223 EI unter Beibehaltung der cessio-legis-Konstruktion aus der Gesamtschuld ausgliederte. Die Schwierigkeiten der cessio legis dinglicher Herausgabeansprüche können hierfür nicht maßgeblich gewesen sein, denn sie wären bei § 223 E I in gleicher Weise wie bei der Gesamtschuld aufgetreten. Die Gründe für die Auslagerung der Herausgabeansprüche trotz ihrer Prägung durch den Schutzzweck aus der Gesamtschuld liegen tiefer. Sie folgen aus der Funktion der Gesamtschuld und der Unanwendbarkeit von Wirkungsform und Rechtsfolgen der §§ 422, 426 auf die Anspruchskonkurrenz mit Herausgabeansprüchen5• 2. Die Funktion der Gesamtschuld in Gegenüberstellung zu § 255 BGB Die Gesamtschuldregelung hat nach moderner Auffassung im Bereich der Schadensabwicklung eine doppelte Funktion6 : (a) Sie dient einmal der Sicherheit und Bequemlichkeit der Rechtsverfolgung des Gläubigers gegenüber mehreren Schuldnern. (Dem entspricht die Mehrfachverpflichtung aufs Ganze.) (b) Sie bezweckt die endgültige, gerechte Verteilung der Schadenslast auf die einzelnen Schuldner. (Daraus folgt der Regreß als notwendiges Korrelat der Mehrfachverpflichtung7.) Die Schadensgesamtschuld ist damit als Regreßinstitut gekennzeichnet mit der Aufgabe, im Bereich der Schutzzweckgesamtschuld die Einstandspflicht für eine durch Schädigung zugefügte Werteinbuße in der Rechtsverfolgung für den Gläubiger rationell, und doch für die Schuldner gerecht zu gestalten. Eine Gesamtschuld ohne Regreß, ohne ein diesen bestimmendes Innenverhältnis ist gerechterweise nicht denkbar8. Demgegenüber besteht der Inhalt des § 255 in einer Ausgleichs4 Dessen war sich auch Ehmann bewußt (vgl. S. 70, Fn. 121), der verabredungsgemäß diese Probleme dem Verf. zur Klärung überlassen hat. Der von Goette, VersR, 74, 529, Fn. 46 gegen Ehmann erhobene Vorwurf geht deshalb fehl. s Vgl. dazu unten § 9 I, 3. 6 Vgl. Ehmann, § 3 IV, 1 u. 2. 7 Vgl. im Gegensatz dazu die einseitige Betonung der Sicherheit und Bequemlichkeit der Rechtsverfolgung bei Savigny, OR I, S. 217. 8 Weitnauer, Karlsruher Forum 1970; Ehmann, § 8 I, 3.
I. Auslagerung des§ 255 BGB aus der Gesamtschuldregelung
119
normierungbei Fortbestand der Sache oder des Rechts in der Dreiecksbeziehung, die sich von einer Regreßregelung dadurch grundlegend unterscheidet, daß lediglich eine Verlagerung des Risikos der Wiedererlangung der Sache, nicht eine solche endgültiger Einstandspflicht für eine Schadenslücke stattfindet9 • Damit ist - im Gegensatz zur Gesamtschuld - in § 255 ein Innenverhältnis weder geregelt noch überhaupt notwendig, das über eine Haftungsquote Aufschluß geben könnte. Der Abtretung unterliegt in völliger Abstraktion von den zugrundeliegenden Verpflichtungsverhältnissen stets nur der Herausgabeanspruch10. Diese Strukturunterschiede - eine Funktion des Fortbestands der entzogenen Sache und Qualifizierung eines der konkurrierenden Ansprüche als Herausgabeanspruch - erklären bereits die Auslagerung der Fälle des § 255 aus der Gesamtschuldnormierung. Bei Betrachtung der wichtigsten, wesensbestimmenden Rechtsfolgen der Gesamtschuld, der §§ 422, 426, werden jedoch noch weitere, zu einer Ausgliederung zwingende Gründe deutlich. 3. Die Unanwendbarkeit der §§ 422, 426 BGB auf Herausgabeansprüche Das Versagen der Gesamtschuldregelung im Bereich der Herausgabeansprüche, dem Kernbereich des § 255, wird offenbar, wenn man zum Exempel die Fälle eines eng verstandenen § 255 den Rechtsfolgen der §§ 422, 426 unterstellt. § 422 ist mit § 426 in einem System wechselseitiger Beeinflussung verbunden. Das Maß der Befreiung eines Schuldners wird bestimmt durch die Höhe des Regresses, wobei jeweils alle Werte zwischen voll einseitiger Belastung und voller Entlastung möglich sind11 . Über das Eintreten und die Höhe des Regresses ist bei Schutzzweckgesamtschulden zu entscheiden an Hand der Kriterien des § 254 BGB oder aus einer Erschließung der Zweckbeziehungen, hilfsweise tritt gleichmäßig anteilige Tragung nach § 426 Abs. I, S. 1 ein. Der Versagung des Regresses gegen einen Schuldner entspricht eine totale schuldbefreiende Wirkung bei § 422, dem vollen Regreß die totale Nichtbefreiung. Teilregreß, ergänzt durch Teilbefreiung bis zur Höhe der Forderung, ist in jeder beliebigen Quotelung möglich. Die Vorschriften der §§ 422, 426 sind im Zusammenwirken der Verhütung von Mehrfachentschädigung und notwendigem Ausgleich der vollen Außen9 Vgl. oben § 7 III, IV. 10 Zum Grenzfall eines Wechsels vom Anwendungsbereich des § 255 zur Gesamtschuldregelung kraft Umwandlung des Schuldverhältnisses zum sachbesitzenden Dritten C gemäß §§ 250, 251 vgl. oben § 8 II, 4. 11 Vgl. Weitnauer, Karlsruher Forum 1970; Ehmann, § 3 IV, 2 a.
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§ 9 Die Abgrenzung des § 255 BGB zur Gesamtschuld
haftung durch Regreß unabdingbare Wesensmerkmale der Gesamtschuld12. Die Rechtsfolge der §§ 422, 426 würde nun im Normalfall des Verhältnisses untreuer Verwahrer - sachbesitzender Dieb, bezogen auf den dinglichen Herausgabeanspruch, zu wenig bewirken, da sie lediglich den Anspruch, nicht auch ohne Systemverstoß das dingliche Recht an der im Dreieck fortbestehenden Sache zu übertragen vermögen13. Erbringt der nachlässige Verwahrer B die Ersatzleistung, so müßte an sich der Anspruch des Rechtsinhabers A aus § 985 gegen den Störer C nach §§ 422, 426 auf den Ersatzleistenden B übergehen, - soweit eine isolierte Zession, losgelöst vom Eigentumsrecht überhaupt möglich ist1 4 • Da die Zessionsnormen nur Ansprüche, nicht jedoch das Eigentumsrecht selbst übertragen können, wäre mit dem Übergang des Eigentumsherausgabeanspruchs, im Gegensatz zu schuldrechtlichen Ansprüchen keine endgültige Regelung erreicht; denn wechselt nun der Sachbesitz vom Diebe C zu D, so würde der auf den Ersatzleistenden B übertragene Anspruch aus § 985 kraft seiner Natur als Ausfluß des Eigentumsrechts bei diesem erlöschen und in der Person des Eigentümers A erneut - in seiner ursprünglichen Zuordnung - entstehen. Derartige Ungereimtheiten folgen unmittelbar aus der Rechtsnatur des dinglichen Herausgabeanspruchs und des Fortbestands der Sache, welche durch die Gesamtschuldregelung nicht bewältigt werden können. Die Anwendung der §§ 422, 426 in diesem Bereich hätte im übr igen zur weiteren Folge, daß der Ersatzgläubiger A durch den Fortbestand des Eigentums in seiner Person nach Vollzug der Ersatzleistung bereichert würde. Im Umkehrfall 15 wiederum, wo der untreue Verwahrer B eine gestohlene Sache unterschlägt und an den gutgläubigen Dritten C veräußert - die Verteilung der Verantwortung mithin dem Schulfall Verwahrer-Dieb genau entgegengesetzt ist - , würde die Anwendung des § 422 zuviel bewirken. Auf die Zahlung des letztlich Verpflichteten, des vorsätzlich unterschlagenden Verwahrers B, müßte, da ein Regreß zu seinen Gunsten ausscheidet, zugleich mit dem Schadensersatzanspruch des Rechtsinhabers A gegen B auch der Herausgabeanspruch des A gegen den Dritten C erlöschen, eine Rechtsfolge, die konstruktiv und im Ergebnis untragbar ist. Wie soll ein dinglicher Anspruch bei Fortbestand des dinglichen Rechts, dessen Ausfluß er als entwickelter Vgl. ausführlich Ehmann, § 3 IV. Ähnli'ch erkennt Ehmann, § 2 IV, 2 b den Grund für die Auslagerung des § 255 aus der Gesamtschuldregelung in den Schwierigkeiten einer cessio legis von dinglichen Herausgabeansprüchen. 14 Vgl. dazu oben§ 8 I. 15 Vgl. dazu oben§ 7 IV, 4. 12
13
II. Verhältnis der§§ 255-421 ff. BGB
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Schutzanspruch ist, erlöschen? Als weitere unerwünschte Wirkung würde der Ersatzgläubiger A zusätzlich zum fortbestehenden Eigentum volle Entschädigung erhalten, und damit sein Schaden überkompensiert werden. Die Notwendigkeit einer eigenständigen Regelung des § 255 ist zwingend offenbar. Nach Betrachtung der unterschiedlichen Strukturen hinsichtlich Voraussetzungen und Rechtsfolgeanordnung beider Abwicklungsmodelle ist nicht recht verständlich, wie Heck16 zu der Auffassung gelangen konnte,§ 255 sei völlig überflüssig, indem er vorschlägt: "Am richtigsten ist es vielleicht, den § 255 durch Übernahme der gesetzlichen Subrogation nach§ 426 im Wege der Ausgleichsnormierung auszuscheiden." Die Schuld an diesem Mißverständnis trägt die herrschende Meinung mit dem Mißbrauch des § 255 zur Abwicklung von Regreßfällen. So wurde der wahre Gehalt und die Notwendigkeit dieser Norm für die Fälle bloßen Besitzentzuges bei Fortbestand der Sache im Dreiecksverhältnis verschleiert. II. Das Verhältnis der§§ 255-421 ff. BGB: Spezialität oder Regelung eines Aliud? In der Literatur besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß § 255 und die §§ 421 ff. sich in ihrem Anwendungsbereich gegenseitig ausschließen11. Über Grund und Natur des Ausschlusses allerdings gehen die Meinungen auseinander. Überwiegend werden die §§ 421 ff. gegenüber der allgemeineren Vorschrift des § 255 als leges speciales18 über den Regreß begriffen. Diese Betrachtungsweise setzt voraus, daß die allgmeinere Vorschrift den Fallbereich der spezielleren - gäbe es diese nicht - mitumfassen und regeln würde und unterstellt damit, daß beide Normbereiche den Regreß bei Schadensfällen mit Mehrfachbeteiligung in mehr oder weniger spezifizierter Weise regeln. Sie erklärt sich daraus, daß § 255 mit Rücksicht auf die vermeintliche Regreßlücke der Gesamtschuld zur allgemeinen Regreßnorm ausgebaut wurde19, was in der Seihsehen Übersteigerung des § 255 zur Generalregreßnorm gipfelte20 • So verwundert nicht, daß der Spezialitätsgedanke bereits bei Oertmann21 - dem Begründer der Umgestaltung des § 255 zur SehR,§ 17, S. 54. Vgl. nur Weitnauer, Karlsruher Forum 1970; neuerdings Goette, VersR 74, 529; sowie die in Fn. 18 Genannten. 18 Oertmann, VA, S. 290, 2821283; Soergel I Siebert IR. Schmidt, § 255, 4; Staudinger I Werner, § 255, Rn. 12; BGHZ 59, 97 ff. = BGH NJW 72, 1803; Dilcher, JZ 73, 199. 19 Vgl. oben § 3, A, I, II m. w. N. 20 Vgl. Selb, S. 24/25 und oben§ 3, B, I , II m. w. N. 21 VA, S. 290, 282/283. 1a
17
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§ 9 Die Abgrenzung des § 255 BGB zur Gesamtschuld
Schadensregreßvorschrift - angelegt war: "daß sich die citierten Bestimmungen (der Gesamtschuld) über die Haftung mehrerer Delinquenten als besondere Regeln darstellen, hinter der die allgemeine Bestimmung des § 255, soweit sie reichen, zurücktreten muß". Der Gesichtspunkt der Spezialität wird auch - was die ihn tragenden Irrtümer angeht - neuerdings mit aller wünschenswerten Deutlichkeit bei Rüssmann22 vorgestellt23 : "Die von § 255 erfaßten Fälle lassen sich ohne Schwierigkeiten in der weiten Gesamtschulddefinition des § 421 unterbringen. Es ist sogar möglich, sie der besonderen Gesamtschuldregel des § 840 I zuzuordnen. Dies erweist sie auf der Tatbestandsseite als Teilmenge der von der Gesamtschuld erfaßten Fälle. Will man § 255 überhaupt einen eigenen Regelungsbereich belassen, darf man nicht der umfassenden Gesamtschuld Spezialität zusprechen, sondern muß gerade umgekehrt diese dem § 255 reservieren." Selbst der Bundesgerichtshof24, der in seiner Entscheidung zur Konkurrenz der §§ 255 - 421 im "Wolle-Fall" 24 die Gesamtschuldnormierung als die flexiblere Regreßregelung der Anwendung des § 255 vorzieht, und damit zugleich in Abkehr von der bisherigen Regreßbestimmung den § 255 nicht mehr als Regreßvorschrift bei beiderseitigen Schadensersatzansprüchen ansieht, glaubt, in § 426 noch die speziellere Regreßnorm25 gegenüber dem § 255 zu finden. Die Klassifizierung des § 426 als lex spezialis zu § 255 oder umgekehrt war jedoch nur deshalb möglich, weil und solange beide Vorschriften als Regreßnormen bei konkurrierenden Schadensersatzansprüchen begriffen werden. Vom hier vertretenen Standpunkt aus erweist sich die Fragestellung schon im Ansatz als falsch. § 255 stellt eine dem Schadensregreß vorgelagerte, eng begrenzte Ausgleichsnorm dar, zum risikoverlagernden Abbau des durch die Zuerkennung vollen Schadensersatzes auf das Sachwertinteresse trotz physischen und rechtlichen Fortbestands der Sache im Dreieck geschaffenen Spannungsfeldes26 • Die§§ 421 ff. greifen als Vorschriften über den Schadensregreß erst dann Platz, wenn und soweit die entzogene Sache untergegangen und an die Stelle des auf Herausgabe gerichteten Schuldverhältnisses, auf Geldleistung gerichtete Schadensersatzansprüche27 getreten sind. Beide Regelungen schließen sich, was Voraussetzung und Rechtsfolge angeht, 22
JUS 74, 292 ff.
VA, S. 293. 2' BGHZ 59,97 = BGH NJW 72, 1802; Ehmann, S. 70. 25 "Sie geht als die speziellere in ihren Auswirkungen auch stärkere Regelung dem§ 255 vor." (BGH NJW 72, 1803.) 26 Vgl. oben§ 7 I, III, IV. 27 Vgl. oben§ 7 I und insbes. § 8 II, 4. 23
III. Die Anwendung der §§ 421 ff. neben § 255 BGB
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als Aliud gegenseitig aus28 • Es besteht deshalb auch keine nur teilweise Überschneidung beider Bereiche, etwa dem Sinnbild zweier sich überschneidender Kreise entsprechend29, vielmehr eine klare Grenzlinie, an der sich beide Modelle nahtlos im Sinne zweier konvex-konkaver Körper aneinander anlagern. Die Aussage vom gegenseitigen Ausschluß der Anwendung des § 255 und der Gesamtschuldregelung gilt unbedingt, sie erlaubt gleichwohl ein Nebeneinander beider Abwicklungsformen, allerdings sachlich getrennt, auf verschiedener Ebene. Hierauf wird im folgenden einzugehen sein.
III. Die Anwendung der§§ 421 ff. neben§ 255 BGB 1. Die Aussage vom totalen gegenseitigen Ausschluß
Bisher wurden der Untersuchung des § 255 in bewußter Vereinfachung Fälle des Entzugs wertbeständiger Sachen zugrundegelegt und unterstellt, daß die Sachen nach Besitzentzug nicht beschädigt wurden. Nur auf dieser Basis erweist sich die Feststellung von einer gegenseitigen totalen Ausschlußwirkung der §§ 421 ff. und des § 255 in ihrem Anwendungsbereich als zutreffend, die Weitnauer 30 so beschreibt: "Nach meiner Meinung ist die Anwendung des§ 255 immer dann ausgeschlossen, wenn die Konstellation der Gesamtschuld besteht. § 255 hat dann, soweit ich sehe, nur Bedeutung insoweit, als derjenige, der wegen Beschädigung einer Sache Ersatz zu leisten hat, den Ersatz nur gegen die Übertragung des Eigentums an dieser Sache zu leisten verpflichtet ist. Wo aber eine gesamtschuldnerische Beziehung besteht, muß § 255 ausscheiden." Damit ist der Grundsatz treffend umrissen; soweit der Ausgleich des Substanzverlustes bei wertbeständigen Sachen bzw. deren Fortbestand in Frage steht, ist dem nichts hinzuzufügen. Die Aussage ist jedoch in ihrer Allgemeinheit offen für eine weitergehende Differenzierung, die dann geboten ist, wenn neben das Substanzinteresse weitere, etwa auf den Ausgleich von Wertverlust oder Nutzungsentgang gerichtete Schadenspositionen treten. Diese Sachgestaltung tritt immer dann ein, wenn durch Sachentzug ein Nutzungsschaden verursacht wird, oder die Sache durch Zeitablauf oder Beschädigung eine Wertminderung erleidet. Sie bedingt ein Ineinandergreifen der Abtretung 28 Zutreffend Weitnauer, Karlsruher Forum 1970; und neuerdings Goette, VersR 74, 529. 29 Anders Rüssmann, JUS 74, 293. 30 Weitnauer, Karlsruher Forum 1970; so schon Kress, Allg. SehR, S. 288 ff., 292, Fn. 43; v. Caemmerer, JR 59, 462/463; vgl. dazu auch Rüssmann, JUS 72, 44 (45) und Anm. Kühne, JZ 69, 565 (566): "Gesamtschuld und Regreß über§ 255 schließen sich aus .. ."
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§ 9 Die Abgrenzung des § 255 BGB zur Gesamtschuld
der Herausgabeansprüche nach § 255 und des Gesamtschuldregresses gemäß §§ 422, 426 hinsichtlich ein und derselben Sache nach Maßgabe der verschiedenen Schadenspositionen. 2. Das Ineinandergreifen beider Abwicklungsmodelle Man setze den Fall, daß dem Verwahrer ein PKW gestohlen wird, den der Dieb längere Zeit gebraucht. Aber auch selbst, wenn der Dritte den PKW für einige Zeit in der Garage stillegt, entsteht eine Wertlücke, ein Schaden durch Wertminderung, ganz unabhängig vom Fortbestand der entzogenen Sache in der Dreiecksbeziehung. Die gleiche Sachlage ist gegeben, wenn die entzogene Sache, ohne daß ihr Fortbestand tangiert würde, beschädigt wird. Eine vergleichbare Lage tritt selbst dann ein, wenn ohne Wertverlust durch Benutzung, Zeitablauf oder Beschädigung der Sache sich ein Anteil des Interesses als Ersatzleistung für die verhinderte Nutzung durch den Eigentümer sondern läßt. Dieser Nutzungsschaden ist eine selbständige Größe und stellt eine Wertlücke dar, für die im Gegensatz zum Sachwertinteresse im Dreiecksverhältnis durch den Fortbestand der Sache kein Äquivalent besteht. § 255 erfaßt in allen diesen Fällen nur einen Teil der Abwicklung, und zwar die Abtretung der Herausgabeansprüche und Übereignung der fortbestehenden Sache gegen Leistung des Interesses, welches dem fortbestehenden Sachwert entspricht. Gleichwohl wird und kann der Rechtsinhaber A, der im Regelfall noch nicht weiß, ob die Sache beschädigt oder sonst entwertet ist, vom Ersatzpflichtigen das volle Sachwertinteresse nebst Nutzungsausfall unter Einschluß angemessener Zeit für die Neubeschaffung verlangen. Bezüglich des Wertverlustes oder Nutzungsschadens bestehen gegen den Verwahrer B und den Dieb C konkurrierende Schadensersatzansprüche, von denen keiner auf Herausgabe gerichtet ist. Die auf das Nutzungs- oder Beschädigungsinteresse gerichteten Ansprüche eröffnen eine Regreßsituation. Es gilt, die endgültige Tragungsquote für eine vom Fortbestand der Sache nicht gedeckte Wertlücke, den über den Substanzverlust hinausgehenden Schaden an Hand der Kriterien des Innenverhältnisses unter den mehreren Schädigern festzulegen. Die insoweit bestehenden Ansprüche sind Schutzansprüche und als solche zur Gesamtschuld verbunden.
Das Ineinandergreifen von § 255 und Gesamtschuldabwicklung hinsichtlich verschiedener Schadenspositionen der gleichen Sache wird in besonderem Maße deutlich, wenn der Rechtsinhaber A die entzogene Sache, noch bevor er Schadensersatz verlangt, und der Ersatzpflichtige diesen geleistet hat, vom Diebe C beschädigt zurückerhält. Dann hat
III. Die Anwendung der §§ 421 ff. neben § 255 BGB
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sich der nach § 255 abzuwickelnde Teil der Dreiecksbeziehung durch Herstellung der Ausgangssituation und Erlöschen des Herausgabeanspruchs erledigt. Es verbleibt die Abwicklung der unabhängig vom Fortbestand der Sache und deren Wiedererlangung gerissenen Schadenslücken einer Wertminderung und des Nutzungsausfallsinteresses nach Gesamtschuldregeln. Dem Zusammentreffen von § 255 mit der Gesamtschuldabwicklung ist allerdings eine zeitliche Grenze gesetzt. Diese Konstellation tritt nur ein, wenn die Sachbeschädigung oder der Nutzungsschaden im Zeitraum zwischen dem Verlust, d. h. dem Besitzentzug und der Übereignung der Sache an den Ersatzleistenden B eintritt. Es wird nicht verkannt, daß die Beurteilung der Rechtslage ex ante oft nur sehr schwer möglich ist. Das gilt weniger für die Abwicklung des Nutzungsausfallschadens, dessen Grund, Höhe und Dauer unter Einschluß angemessener Zeit für die Neuanschaffung einer Ersatzsache sich vorab bemessen lassen, als vielmehr für das Ineinandergreifen von Substanzinteresse und Wertminderung. Insoweit werden sich die eingetretenen Rechtsfolgen vollumfänglich erst rückblickend überschauen lassen, wenn die entzogene Sache wieder aufgefunden wurde, oder ihr Untergang feststeht. Der tiefere Grund dieser Erscheinung liegt jedoch nicht im Bereich des Rechtlichen, sondern im Tatsächlichen, in der Schwierigkeit der Abwicklung eines Dreiecksverhältnisses, an dem ein zunächst oder gänzlich unbekannter Dieb beteiligt ist. 3. Die Unabhängigkeit beider Abwicklungsmodelle voneinander
Die beiden AbwickZungsebenen, Gesamtschuld hinsichtlich des Wertverlustes und Nutzungsinteresses und § 255 hinsichtlich des Sachwertinteresses und der Abtretung der Herausgabeansprüche, arbeiten weitgeh end unabhängig voneinander. Als Folge der Leistung des vollen Sachwertinteresses durch den Ersatzpflichtigen B ist gemäß § 255 der Herausgabeanspruch hinsichtlich der beim Dritten C fortbestehenden Sache abzutreten, und zwar ganz unabhängig von der Art der Beteiligung des B und C am Verlust der Sache, sowohl im Regel- wie im UmkehrfalL Die Wirkung der Leistung von Schadensersatz durch B für Wertverlust und oder Nutzungsinteresse dagegen bestimmt sich aus §§ 422, 426. Ist der nachlässige Verwahrer B auf Grund der Abwägungskriterien des Innenverhältnisses letztlich von der endgültigen Schadensübernahme zu Lasten des Diebes ganz freizustellen- so der RegelfalZ- dann geht mit seiner Leistung der Anspruch des A gegen C auf B über. Ist dagegen wie im UmkehrfalZ31 mit gleicher Quote, wenn die Sache dem Dieb B vom Dieb C at Vgl.
oben§ 7 IV, 4.
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§ 10 Anspruchskonkurrenz: Schadensersatz- Surrogatansprüche
wiederum gestohlen wird, der Dieb B hinsichtlich einer Beschädigung oder des Nutzungsschadens in gleicher Höhe wie der Dieb C letztlich verpflichtet, so erlischt auf seine, des B Ersatzleistung, der Schadensersatzanspruch des A gegen C zum Teil gemäß § 422, zum andern geht er nach § 426 auf B über. Auch hier kann B unabhängig davon bei Ersatz des vollen Sachwertinteresses vom Rechtsinhaber A Abtretung des Herausgabeanspruchs und Übereignung der sich bei C befindlichen Sache verlangen. Die Unabhängigkeit hinsichtlich der Abwicklung der verschiedenen Schadensposten voneinander ist auch an einem weiteren Umkehrfall nachweisbar. Wird die gestohlene, vom untreuen Verwahrer B unterschlagene und an den gutgläubigen C weiterveräußerte Sache bei C nach Rechtshängigkeit des Herausgabeanspruchs fahrlässig beschädigt, so haften B und C dem Schadensersatzgläubiger A als Gesamtschuldner für diesen Schaden. Ihre endgültige Belastung im Innenverhältnis bemißt sich nach Maßgabe ihres Kausalbeitrages zur Schadensentstehung. Unabhängig davon, daß insoweit die §§ 422, 426 eingreifen, kann B nach § 255 Abtretung der Herausgabeansprüche und Übereignung verlangen, wenn er vollen Wertersatz für die fortbestehende Sache leistet. Die Beispielfälle verdeutlichen, wie § 255 und die §§ 421 ff. auf verschiedenen Ebenen ineinandergreifen. Da Wertverluste durch Beschädigung oder Minderung des Marktwertes mit Zeitablauf genauso wie ein Schaden durch Nutzungsausfall durchaus alltäglich sind, dürfte die Mehrzahl der praktischen Fälle nicht aus § 255 allein, sondern im Zusammenspiel mit den Gesamtschuldregeln zu lösen sein. Auf Grund dieser Aussage läßt sich das Ausschlußverhältnis von § 255 zu den §§ 421 ff. noch genauer konkretisieren. Die beiden Schadensabwicklungsebenen schließen sich gegenseitig immer nur in Bezug auf denselben Schadensposten aus, Nutzungsschaden und Wertminderungsinteresse einerseits, oder Sachwertinteresse für die noch existente Sache andrerseits, nicht dagegen bei einem Nebeneinander beider Schadensarten. Ein Ineinandergreifen beider Regelungen ist immer dann begründet, wenn einmal der Schaden zum Teil vom Wert der noch existenten Sache abgedeckt wird, zum andern neue, darüber hinausgehende VermögenseinhuBen entstanden sind. § 10 Die Einordnung der Anspruchskonkurrenz: Schadensersatz - Surrogatansprüche
Die Grundsituation, welche zur Entstehung von Surrogatansprüchen im Zusammenhang mit dem Verlust einer Sache führt, ist dadurch gekennzeichnet, daß bei physischem Untergang (durch Zerstörung oder
I. Die Grenzproblematik
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Verarbeitung) oder rechtlichem Untergang der entzogenen Sache (infolge gutgläubigen Erwerbs) ein Anspruch auf das Surrogat entsteht. Das Surrogat kann in Geld, einer Forderung oder einer neuen Sache bestehen. Als wichtigste Anspruchsgrundlagen seien hier nur die aus §§ 687 Abs. II, 816 Abs. I und§§ 951, 812 genannt. I. Die Grenzproblematik
Zur Verdeutlichung der Problemstellung sei ein Beispielfall vorangestellt, der - zweckentsprechend weiterentwickeitl - dem nachgebildet ist, welcher der bahnbrechenden einschlägigen Entscheidung des Bundesgerichtshofs2 , dem "Stapellagerfall", zugrundeliegt. "Dick Dreher (D) stiehlt bei Emil Emmerich (E) Waren im Wert von 30 000,- DM und veräußert sie für 30 000,- DM an den gutgläubigen Kaufmann Konrad Kunz (K). K veräußert sie in seinem Einzelhandelsgeschäft an im einzelnen nicht mehr feststellbare Kunden für insgesamt 35 000,- DM. E genehmigt die Verfügungen des K, nimmt aber zunächst D auf Schadensersatz in Anspruch. D zahlt an E 30 000,- DM Schadensersatz." Dieses Schulbeispiel Dieb-Abnehmer einer Sache wirft die Frage auf, ob D Abtretung des Surrogatanspruchs aus § 816 Abs. I gemäß § 255 verlangen kann, oder die Abwicklung nach Gesamtschuldregeln zu erfolgen hat. Die Zuordnung der Surrogatansprüche, entweder zur Ausgleichsvorschrift des § 255 oder zum Regreßmodell der Gesamtschuld, ist deshalb als echte Grenzproblematik gekennzeichnet, da auf den ersten Blick für jede Seite ganz beachtliche Argumente sprechen. Einerseits ist der Surrogatanspruch vom Schutzzweck geprägt, dem Kennzeichen der Gesamtschuldanordnung, andrerseits läßt er sich als Rechtsfortwirkungsanspruch des Eigentums auf dem Boden einer Wortauslegung ohne größere Schwierigkeiten als Anspruch auf Grund des Eigentums im Sinne des § 255 begreifen. Der letztgenannte Gesichtspunkt wurde in Rechtsprechung3 und Lehre 4 zur Rechtfertigung der Anwendbarkeit des § 255 in den Vordergrund gestellt: "Der ... Anspruch aus § 816 ist an die Stelle des Herausgabeanspruchs getreten und nicht anders zu behandeln als dieser 5 ." - "Da diese Ansprüche den 1
So gestellt im Referendar-Examen der Universität Heidelberg, Herbst
1969, von Prof. Dr. Weitnauer. 2 BGHZ 52, 39 = NJW 69, 1165. 3 RG JW 37, 2778; BGHZ 29, 157 (162). 4 Rud. Schmidt, JherJb 72, 21 (25); Zoll, S. 35; Leonhard, SehR I, S. 211 unten; Erman I Sirp, § 255, 3; RGRK-Nastelski, § 255, 10; Soergell Siebert I R. Schmidt, § 255, 3; neuerdings auch Goette, VersR 74, 529; und Goette, s. 161- 163. :; BGH JR 59, 461 (462) = BGHZ 29, 157 (162).
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§ 10 Anspruchskonkurrenz: Schadensersatz- Surrogatansprüche
Eigentumsanspruch ersetzen, ist ihr Verhältnis zum Entschädigungsanspruch dasselbe, wie es das Verhältnis des Eigentumsanspruchs zum Entschädigungsanspruch war. Auch Surrogatanspruch und Entschädigungsanspruch stehen daher nicht im Verhältnis der Solidarität zueinander6." Dieses Argument bleibt jedoch in einer reinen Wortauslegung des Begriffes "auf Grund des Eigentums" verhaftet und ist deshalb mehr verblüffend als überzeugend, denn genauso gut läßt sich dann ein aus dem Untergang der Sache folgender Schadensersatzanspruch als Eigentumsfortwirkungsanspruch begreifen7 • § 255 ist jedoch auf konkurrierende Schadensersatzansprüche gerade nicht anwendbar8 • Hier geben das Regel-Ausnahme-Verhältnis der§§ 421-255 BGB und die für eine Auslagerung der Fälle des § 255 aus dem Gesamtschuldmodell herausgearbeiteten Gründe9 die Handhabe zur treffenden Einordnung. Ausgangspunkt ist das Zusammentreffen von Schutzzweckansprüchen, das grundsätzlich seine angemessene und sachgerechte Lösung im hochentwickelten Gesamtschuldmodell findet. Den Surrogationsansprüchen ist in gleicher Weise wie Ansprüchen auf Schadensersatz der Schutzzweck immanent. Demgegenüber kann sich der Inhalt des § 255 als spezifische Ausgleichsregelung für den Fall des Fortbestands der Sache im Surrogatfall nicht verwirklichen, denn es ist mit dem Untergang der Sache ein Substanzverlust eingetreten, zu dessen interessegerechter Umlegung die Gesamtschuldvorschriften berufen sind. Die Gründe 10, welche allein die Auslagerung der Konkurrenz mit Herausgabeansprüchen aus der Gesamtschuld bedingen, nötigen im Surrogationsfall nicht zur Sonderbehandlung durch § 255. Eine Beschränkung des § 255 auf die Abtretung von Herausgabeansprüchen findet ihre Entsprechung in der Unanwendbarkeit des Regreßsystems der§§ 422, 426 auf die Konkurrenz von Schadensersatz- mit Herausgabeansprüchen, weil deren Anwendung einerseits zu viel, andrerseits zu wenig bewirken würde11 • Bei Surrogationsansprüchen, sei es, daß sie auf Geld oder ein Sachsurrogat gerichtet sind, tauchen vergleichbare Schwierigkeiten in der WirkungsZitat aus Zoll, S. 35. Man muß nur den Fall abwandeln, dann wird deutlich, daß Ansprüche aus § 816 nicht stets abgetreten werden müssen. 8 Angesichts der Schwierigkeiten der Einordnung der Surrogatansprüche überrascht es nicht, w enn Rud. Schmidt (JherJb 72, 21 (25)) zwar Schadensersatzansprüche von der Abtretungspflicht nach § 255 ausnimmt, gleichwohl Surrogatansprüche generell dieser Vorschrift zuordnet. Zoll, S. 35 differenziert in wenig überzeugender Weise, indem sie Ansprüche auf ein Sachsurrogat dem § 255, auf Geldleistung den §§ 421 ff. unterstellt; Goette (VersR 74, 529 und S. 161 - 163) setzt dem Fortbestand der Sache zu Unrecht den Eintritt eines Sachsurrogats gleich; vgl. dazu näher weiter unten im Text. 9 Vgl. oben § 9 I, II. 10 Vgl. oben§ 9 I. 11 Vgl. oben§ 9 I, 3. 0
7
II. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
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weise des Gesamtschuldmodells nicht auf, so daß Gründe für eine Sonderbehandlung nach § 255 nicht ersichtlich sind, es vielmehr bei der allgemeinen Regel verbleibt, wonach Ansprüche gleichen Schutzzwecks zur Gesamtschuld verbunden werden12 •
II. Die bahnbrechende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Das hier aus einer inhaltlichen Erfassung des § 255 und seiner Einordnung ins gesetzliche System gewonnene Ergebnis hat der Bundesgerichtshof13 im "StapeUager-Fall" unter Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung14, gewissermaßen von der anderen Seite, von der Gesamtschuld her, als richtig erkannt15 und mit der nachfolgenden Aussage einen über die konkrete Problematik hinaus bedeutsamen Wandel der Rechtsprechung eingeleitet16 : "Leistet der Dieb dem Eigentümer der gestohlenen Sache Schadensersatz in Geld, so befreit er in Höhe seiner Zahlung auch einen Abnehmer der Sache von dem Bereicherungsanspruch, den der Eigentümer gegen diesen wegen Veräußerung der Sache erworben hat. Der Dieb und der Abnehmer sind insoweit wie Gesamtschuldner zu behandeln. Gegenüber dem Eigentümer steht dem Dieb in einem solchen Falle kein Anspruch aus§ 255 BGB zu." Mit dem Kernsatz der Entscheidung17 : "Die Gemeinschaft des Zwecks beider Ansprüche (des Schadensersatz- und des Surrogatanspruchs) besteht darin, daß sie dem Schutz des Eigentums dienen und den Eigentümer für den Verlust der Sache entschädigen sollen", - wird der Schutzzweckgesichtspunkt umschrieben. In dieser bahnbrechenden Erkenntnis, die in einer weiteren Entscheidung18 ihre Fortsetzung gefunden 12 Dies verkennt Goette, S. 161 und VersR 74, 526 ff. (528/529), wenn er den Erhalt des Wertes der Sache in Form eines Surrogats dem Sachfortbestand gleichsetzt und damit die Anspruchskonkurrenz Schadensersatz-Surrogatanspruch zu Unrecht dem Anwendungsbereich des§ 255 unterstellt. 13 BGHZ 52, 39 = BGH NJW 69, 1165. 14 BGHZ 29, 157 (162) obiter dictum; zustimmend neuerdings Goette, S. 160 ff. und VersR 74, 529. 15 Goette, S. 160 und VersR 74, 529 verteidigt demgegenüber die aufgegebene Rechtsprechung von BGHZ 29, 157. Sein Ansatzpunkt, wonach der Erlös gewissermaßen in Fortsetzung des dinglichen Herausgabeanspruchs an dessen Stelle trete und deshalb die Anwendung des § 255 eröffne, vermag nicht zu überzeugen. § 255 ist primär aus der Natur des dinglichen Herausgabeanspruchs zu begreifen, welcher Folge des physischen und rechtlichen Fortbestands der Sache innerhalb der Dreiecksbeziehung ist, und nicht allein am Verbleib des Sachwertes orientiert, denn auch ein Schadensersatzanspruch stellt einen Wert dar, welcher an die Stelle der zu vindizierenden Sache tritt. 16 Leitsatz der Ents·c heidung BGHZ 52, 39 = BGH NJW 69, 1165. 17 BGH NJW 69, 1166. 18 BGHZ 59, 97 = BGH NJW 72, 1802; vgl. zur Bedeutung dieser "WolleEntscheidung" oben § 4 111.
9 Münchbach
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§ 10 Anspruchskonkurrenz: Schadensersatz- Surrogatansprüche
hat, liegt die weiterreichende Bedeutung des Wandels der Rechtsprechung, welcher jedoch nicht seiner Bedeutung entsprechend hervorgehoben, sondern als Entwicklung der überlieferten "Zweckgemeinschaft" eher mit dem Anstrich des Althergebrachten versehen wird. Zieht man ergänzend die neueste Entscheidung 18 des gleichen VII. Senats zum Vorliegen eines Gesamtschuldverhältnisses heran, so fällt auf, daß das Gericht, weiterhin um eine scheinbare Kontinuität des Merkmals "Zweckgemeinschaft" bemüht, den richtig erkannten Tatbestand der Schutzzweckgesamtschuld nunmehr mit "rechtlicher Zweckgemeinschaft" umschreibt. Noch im "Stapellager-Fall" 19 hatte das Gericht von einer Behandlung "wie Gesamtschuldner" gesprochen. Es nimmt auch im "Wolle-Fall" 20, genau wie schon in der "StapellagerEntscheidung" Bezug auf eine "Zweckgemeinschaft" im hergebrachten Sinne2 t, versteht diese dann aber materiell, ohne die Abweichung hervorzuheben, nicht mehr im Verhältnis zwischen den Schuldnern begründet, sondern erfüllt sie ganz neu mit dem Schutzzweckgedanken aus der Anspruchsbeziehung der Schuldner zum Gläubiger22 : "Dabei23 hat der Senat ebenfalls offen lassen können, ob an der bisher geforderten Voraussetzung der "Zweckgemeinschaft" für die Annahme eines Gesamtschuldverhältnisses nach den §§ 421 ff. festzuhalten ist. Denn auch in jenem Fall war die Gemeinschaft des Zweckes der fraglichen Ansprüche zu bejahen. Sie bestand darin, daß beide Ansprüche gleichermaßen dem Schutz des Eigentums dienen und den Eigentümer für den Verlust der Sache entschädigen sollen. Ebenso ist es im vorliegenden Fall24." Von einer "Zweckgemeinschaft" unter den Schuldnern als Voraussetzung der Gesamtschuldanordnung im Sinne der bisher hen·schenden Meinung 25 verbleibt nichts mehr. Es wäre jedoch wünschenswert gewesen, daß der Bundesgerichtshof dies klargestellt hätte, statt eine nicht bestehende Kontinuität vorzuschützen. BGHZ 52, 39. BGHZ 59, 97. 21 Die Zweckgemeinschaft zwischen den Schuldnern wurde bei Enneccerus, RdSchV, Bd. 1, 2. Abtlg., § 313 begründet. In der R echtsprechung gewann das Merkmal schnell eine Vieldeutigkeit, die zwar die Einordnung des Einzelfalles erleichterte, das Merkmal selbst aber zur "Leerformel" erstarren ließ. (Vgl. Ehmann, § 2 II, 1.) 22 BGH NJW 72, 1803 = BGHZ 59, 97. 23 Lies: in der früheren Entscheidung BGHZ 52, 39. 24 Lies: der Entscheidung BGHZ 59, 97 = BGH NJW 72, 1802. 25 Vgl. zu dieser vieldeutigen "Leerformel" Enneccerus, RdSchV, Bd. 1, 2. Abtlg., § 313 Il, 2; und RGZ 77, 317; 82, 436; BGH NJW 65, 1175 GS. Zur Kritik dieses Begriffs vgl. Ehmann, § 2 Il, 1. 19
20
III. Die Leistungsfähigkeit der Gesamtschuld
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III. Die Leistungsfähigkeit der Gesamtschuldlösung Die aus dogmatischen Grundsätzen gewonnene Zuordnung der Surrogatansprüche zur Gesamtschuld findet Bestätigung in ihrer Leistungsfähigkeit, denn die Anwendung der Gesamtschuldregeln auf Surrogatansprüche überzeugt durch sachgerechte Ergebnisse, und zwar unabhängig davon, ob der Dieb D oder der Abnehmer K als erster leistet. Auf diesen Umstand hat Weitnauer 26 zuerst aufmerksam gemacht: "Ich empfehle, diesen BGHZ 52, 39 nachgebildeten Fall unter der Annahme durchzuspielen, daß einmal K und einmal D als erster an den Gläubiger E zahlen, und dann jeweils der andere Schuldner in Unkenntnis von der Zahlung des ersten Schuldners nocheinmal an den Gläubiger leistet. Man wird sich leicht davon überzeugen, daß man in bittere Schwierigkeiten gerät, wenn man - entgegen der Lösung des BGH und der hier vertretenen Auffassung - D und K nicht als Gesamtschuldner ansieht." 1. Die Fortentwicklung des Beispielfalles
Die zutreffenden, auf der nachgeordneten Stufe weiterer Abwicklung erzielten Ergebnisse erweisen die Richtigkeit der Gesamtschuldkonstruktion: Zahlt D zuerst 30 000,- DM Schadensersatz, so erlischt der Anspruch des E gegen K aus § 816 Abs. I gemäß § 422 in gleicher Höhe. Leistet K in Unkenntnis dieses Vorgangs nochmals an E, so hat er die condictio indebiti. Weitaus weniger überzeugend gestalten sich die Lösungsmöglichkeiten bei Anwendung des § 255 auf den BeispielfalL Der Ersatzleistende D könnte dann von E Abtretung des trotz der Ersatzleistung fortbestehenden Anspruchs aus § 816 Abs. I in Höhe der Ersatzleistung verlangen, während dem K dann allerdings gegen diesen Anspruch eine Einrede aus dem Innenverhältnis zustünde, da D zur Gewährleistung wegen Rechtsmangels verpflichtet ist. Noch größere Schwierigkeiten macht die Erfassung der Wirkungen einer darauffolgenden Leistung des K. Erlischt durch Leistung des K der an sich an D abzutretende Anspruch aus § 816 Abs. I vor Bewirkung der Abtretung, so wird man dem D in entsprechender Anwendung von § 255 in Verbindung mit § 281 einen Anspruch gegen E auf Herausgabe des Surrogats (der Ersatzleistung des K) in Höhe von 30 000,- DM zubilligen müssen. Nach anderer Ansicht 27 soll D den von ihm gezahlten Schadensbetrag kondizieren können. Gegen eine solche Abwicklung hat bereits v. Caem26
27
9•
Karlsruher Forum 1970. So noch BGH JR 59, 461 (462)
=
BGHZ 29, 157 ff.
132
§ 10 Anspruchskonkurrenz: Schadensersatz- Surrogatansprüche
merer28 in einer Entscheidungsrezension29 gewichtige Einwendungen erhoben, die nicht ohne Einfluß auf den Umschwung des Bundesgerichtshofs zur Gesamtschuld in BGHZ 52, 39 blieben. Er kritisierte die bisherige, in einem obiter dieturn der Entscheidung BGHZ 29, 157 (162) geäußerte Ansicht des Bundesgerichtshofs, wonach sich die Abtretungspflicht nach § 255 auch auf einen Surrogatanspruch aus § 816 Abs. I erstrecke28 : "Der Gedanke des BGH, den Anspruch aus § 816 Abs. I BGB ohne Rücksicht auf die Schadenszahlung zuzusprechen und damit den Dieb und Hehler die von ihm gezahlten Schadensersatzbeträge zurückfordern zu lassen, führt dazu, daß der Bestohlene zunächst einmal mehr erhält als ihm gebührt, während es sich doch, wenn er einmal das Seine erhalten hat, nur noch um das Problem des Regresses unter den verschiedenen Haftenden handeln sollte. Soll wirklich, wenn der Bestohlene vollen Schadensersatz erhalten hat, und nun in Konkurs fällt, sein Konkursverwalter noch den Veräußerungserlös einfordern und den empfangenen Schadensbetrag mit der Konkursquote zurückzahlen können?" 2. Die Abwandlung des Beispielfalles
Gibt nun in Abwandlung des Beispielfalles K zuerst den Erlös heraus, und leistet D anschließend Schadensersatz, so geht nach §§ 422, 426 die Schadensersatzforderung des E gegen D auf K über. Die Leistung des D löst die Wirkung der §§ 412, 407, 816 Abs. II aus, indem die nunmehr K zustehende Ersatzforderung erlischt, und K von E Herausgabe der Ersatzleistung verlangen kann. Wählt D die Möglichkeit, die erbrachte eigene Leistung als rechtsgrundlos von F zu kondizieren, was nach der Rechtsprechung30 zulässig ist, so bleibt er weiter dem Ausgleichsanspruch und dem übergegangenen Anspruch des K (§ 426 Abs. I, Abs. II) ausgesetzt. Hält man aber mit der Gegenansicht31 die Gesamtschuldregeln für unanwendbar, so scheidet bei dieser Variante, wenn K zuerst leistet, eine Abtretungspflicht gemäß § 255 aus, denn K leistet keinen Schadensersatz wie in dieser Vorschrift vorausgesetzt. Der Anspruch aus § 816 Abs. I ist als Fortsetzung des dinglichen Herausgabeanspruchs allerdings unter die abzutretenden Ansprüche aus dem Eigentum im Sinne des § 255 einzureihen, mit der Folge, daß eine AbAnm. in JR 59, 462 (463). Besprechung von BGHZ 29, 157; gegen v. Caemmerer neuerdings zu Unrecht Goette, S. 160 und VersR 74, 528. ao Vgl. RG JW 37, 2778; BGHZ 29, 157; Rud. Schmidt, JherJb 72, 21 ff. (25); Zoll, S. 35; Erman I Sirp, § 255, 3; RGRK-NasteLski, § 255, 10; Soergel I Siebert IR. Schmidt, § 255, 3. a1 Vgl. RGZ 83, 184. 2s 29
III. Die Leistungsfähigkeit der Gesamtschuld
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tretung nur in der entgegengesetzten, nicht in der hier gewünschten Richtung in Frage käme. Zur Herstellung des Ausgleichs ist man dann auf die Rechtsmängelhaftung des D im Innenverhältnis angewiesen. "Wie aber," so wendet Weitnauer 32 zu Recht ein, "käme man weiter, wenn der Kaufvertrag zwischen D und K, der den Ausgleich nach Rechtsmängelgrundsätzen ermöglicht, nicht gültig wäre?" 3. Folgerungen
Bei Weiterverfolgung des Beispielfalles wird deutlich, daß sich aus § 255 bestenfalls eine Abtretung nur in einer, noch dazu der falschen Richtung zugunsten des ersatzleistenden Diebes herleiten ließe. Für die nach Sachlage an sich gebotene Abtretung zugunsten des aus § 816 in Anspruch genommenen K bietet § 255 keine Rechtsgrundlage, wenigstens solange nicht, als man Inhalt und Wortlaut der Vorschrift ernst nimmt. Selb 33 allerdings würde nach Maßgabe seiner Kriterien einer stufenden Wertung und einseitiger Vorteilsausgleichung mit einem zur allgemeinen Regreßnorm ausgebauten § 255 eine Abtretung in der richtigen Richtung erreichen. In Anwendung und Fortführung der Gedankengänge Selbs auf den Surrogationsfall versucht Reeb 34 denn auch die aus strikter Anwendung des § 255 folgende falsche Abtretungsrichtung durch eine stufende Wertung umzukehren: "Das Gesetz(§ 255)35 nimmt hier also eine "stufende Wertung" zwischen den Schuldnern vor: Nur demjenigen, der dem Schaden ferner steht, dessen Verhalten also relativ weniger zu mißbilligen ist, steht das Abtretungsrecht des § 255 zu, niemals aber dem Näherstehenden. Aus dieser Wertung ergibt sich die Unanwendbarkeit des § 255 zugunsten des Diebes: Er hat den Schaden des Eigentümers durch die Diebstähle unmittelbar herbeigeführt36." Vom Ausschluß der Anwendbarkeit des § 255 zugunsten des Diebes gewinnt Reeb durch Analogieschluß die Anwendung des § 255 zum Vorteil des Erlösherausgabepflichtigen, im Widerspruch zur eigenen Erkenntnis, wonach Erlösherausgabe nicht mehr unter die Wortfassung "Schadensersatz" zu subsumieren sei. Für den Fall, daß der abzutretende Anspruch aus § 823 durch Leistung des Schadensersatzes erloschen ist, begründet Reeb in einer "doppelten Analogie" zu § 255 einen Anspruch des K gegen E auf Herausgabe der Ersatzleistung 32
33
Karlsruher Forum 1970.
s. 17 ff.
Rezension zu BGHZ 52, 39 in JUS 70, 214 ff. Einfügung v. Verf. An anderer Stelle hebt Reeb jedoch ausdrücklich hervor (S. 216): "Eine solche Wertung folgt hier aus§ 255." 34
35
36
Reeb, S. 216.
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§
10 Anspruchskonkurrenz: Schadensersatz- Surrogatansprüche
selbst37 • Was bei den Anhängern der Selbschen Regreßlehre eine "doppelte Analogie" erfordert38, löst sich auf der Grundlage der Gesamtschuld ganz einfach aus dem Gesetz, §§ 422, 426, 412, 407, 816 Abs. II. Daraus wird einmal mehr deutlich: Surrogatansprüche, die mit Schadensersatzansprüchen bezüglich derselben Sache zusammentreffen, gleichgültig, ob sie auf Geld, Anspruchsabtretung oder Übereignung eines Sachsurrogats gerichtet sind, finden in Anbetracht der konstruktiven Voraussetzungen und der Angemessenheit der Ergebnisse ihre zutreffende Regelung in der Gesamtschuld. Die eng auszulegende Vorschrift des§ 255 ist auf sie nicht anwendbar.
IV. Irrwege als Folge einer Grenzverwischung Die Bedeutung der Abgrenzung und ausschließlichen Zuordnung der Surrogatansprüche zum Gesamtschuldmodell wird offenbar an den Folgen, die bei einer Verwischung der Grenzen zwischen § 255 und der Gesamtschuld eintreten. Angesichts der Verworrenheit der Lösungsversuche, zu welcher die Anhänger der Selbschen Lehre bei der Anwendung des § 255 auf Surrogatansprüche genötigt waren, verwundert nicht, daß Metzler39 bei der Lösung eines Klausurfalles für Fortgeschrittene vollends auf Irrwege gerät. Grundlage seiner Ausführungen ist die Fallgestaltung, daß zuerst D an E Schadensersatz leistet, und K dem E anschließend den Erlös herausgibt. Metzler geht zunächst zutreffend von einer Verbindung der Ansprüche gemäß § 823 und § 816 Abs. I zur Gesamtschuld aus. Obgleich der Anspruch aus § 816 Abs. I infolge der Ersatzleistung des D erloschen ist (§ 422), verweigert er nun aber dem K die Kondiktion seiner Leistung mit dem Argument40 : " - daß schlüssig vereinbarter Zweck der Leistung des Verfügenden an den Berechtigten die Erlangung von dessen Genehmigung ist .. .", und damit der nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg eingetreten sei. Gleichzeitig wendet er § 255 zugunsten des ersatzleistenden Diebes an41 : "Der Anspruch aus § 255 muß auch dem Dieb zustehen, ... Folglich konnte D von E nach Zahlung der 1500,- DM Verschaffung des Eigentums an dem Farbfernsehgerät durch Abtretung des Eigentumsherausgabeanspruchs gegen K verlangen." Metzler verfolgt nun das Schicksal dieses Anspruchs weiter, ohne die Querverbindung und Abgrenzung zur Gesamtschuld Reeb,S.217. Zustimmend zu dieser Lösung Reebs, Dilcher, JZ 73, 201. 39 JUS 71, 589 ff. Der praktische Fall Das gestohlene Farbfernsehgerät. 40 S. 591 ; Metzler stellt die Verhältnisse auf den Kopf. V leistet allein solvendi causa auf den durch Genehmigung zum Entstehen gebrachten Anspru'ch aus§ 816 I.; Kritisch auch Riissmann, JUS 72, 45. 41 s. 591. 37
38
V. Verbot der Anwendung der§§ 280, 281 BGB
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zu beachten 42 : "Durch die Genehmigung machte E sich die Leistung schuldhaft unmöglich, so daß er dem D aus §§ 280, 276 auf Schadensersatz haftet", und kommt zum Ergebnis: "Da jedoch die Eigentumsverschaffung an D unterblieben ist, ist D den Rückgriffsforderungen des V aus Rechtsmängelhaftung ausgesetzt. Als Schadensersatz kann D von E Befreiung von dieser Verbindlichkeit verlangen." Da E infolge der Genehmigung den Anspruch aus§ 816 Abs. I erlangt hat, und dieser nach § 422 durch die eigene Zahlung des D erloschen ist, "ist somit die Zahlung des V als Ersatz für den Eigentumsverlust des E anzusehen, so daß D neben seinem Befreiungsanspruch aus §§ 280, 249 noch einen Zahlungsanspruch aus§ 281 hat43 ". Der jetzt dringend notwendige Ausgleich bleibt der rechtsgeschäftliehen Innenbeziehung V - D aus §§ 440, 325 überlassen. Damit ist die Verwirrung perfekt! Metzlers Fehler tritt denn auch offen zutage. Er wendet auf die Schuldnermehrheit D und K die Abwicklungsmodelle des § 255 und der Gesamtschuld kumulativ an44 • Die Modelle schließen sich jedoch in Bezug auf den gleichen Schaden gegenseitig aus.
V. Das Verbot der Anwendung der§§ 280, 281 BGB auf den Herausgabeanspruch bei § 255 BGB Die dargestellten Irrwege zwingen, die Abgrenzung zwischen § 255 und der Gesamtschuldnormierung noch schärfer zu fassen, indem Vorschriften eliminiert werden, welche die Grenzlinie überbrücken und damit verwischen könnten. Die Abgrenzung von der Anwendung des § 255 zur Gesamtschuld stellt sich bei Surrogatfällen auch als zeitliche dar und fällt zusammen mit der Genehmigung der Verfügung des Nichtberechtigten durch den Rechtsinhaber. Vor der Genehmigung durch den Eigentümer war die Sache noch physisch und rechtlich im Dreieck vorhanden, Eigentumsherausgabeanspruch und Schadensersatzpflicht trafen zusammen, ein typischer Anwendungsfall des § 255. Mit der Genehmigung ändert sich die Rechtslage grundlegend. Die Sache ist rechtlich untergegangen, die dadurch entstandene Lücke im Wege eines Regresses durch endgültige Lastentragung zu schließen. Die Abwicklung des Substanzinteresses richtet sich nunmehr ausschließlich nach Gesamtschuldregeln, denn Ansprüche aus § 816 Abs. I und § 823 sind zur Schutzzweckgesamtschuld verbunden. Bei Anwendung der das frühere Schuldverhältnis nach § 255 fortsetzenden Vorschriften der ~§ 280, 281 würde die Zäsur übergangen, und der Ausnahmefall des § 255 über seinen Anwendungsbereich hinaus in den Geltungsbereich 42 43
44
s. 592.
Metzler, S. 592. Zur Kritik vgl. auch Rüssmann, JUS 72, 44 ff.
136
§ 10 Anspruchskonkurrenz: Schadensersatz- Surrogatansprüche
der allgemeinen Vorschriften der §§ 421 ff. hinein erweitert. Hier gilt ein ähnliches Verbot der Anwendung der§§ 280, 281 auf den dinglichen und andere Herausgabeansprüche, wie es bei § 985 45 wegen der §§ 987 ff. zur Vermeidung der Verschiebung der Opfergrenze statuiert ist46 • Nur so bleibt die Abgrenzung beider Abwicklungsmodelle gegeneinander gewährleistet.
45 Beim Anspruch des Eigentümers gegen den redlichen Besitzer, der die Sache veräußert hat. 46 RGZ 115, 31 (33); 157, 40 (44); SchlegelbergeT I Weitnauer, § 281, II, 2 a; Westermann, § 31 IV, 4; Erman I Erman, § 281, 2; Erman I Hefermehl, vor § 987, 19, 20; Staudinger I Berg, § 985, 20; a. A.: Staudinger I Werner, § 281, 3; Soergell Siebert IR. Schmidt, § 281, 3.
Schlu.fihemerkung Aus der Abstraktion des § 255 BGB von jeder Wertung- dem unabdingbaren Mindestbestand einer Regreßnorm - , der Unzulänglichkeit und Willkür der dem § 255 BGB unterlegten Wertungskriterien und Phantombegriffe folgt zwangsläufig das Versagen dieser Vorschrift beim Schadensregreß. Der Einschränkung des § 255 BGB auf Fälle des Sach- und Rechtsfortbestandes kommt die durch den Schutzzweckgedanken umfassend verwirklichte Leistungskraft der Schadensgesamtschuld entgegen. Eine Rückbesinnung auf die vom Gesetz vorgegebenen Grenzen des § 255 BGB als eng spezifizierte Ausgleichsnorm hat den von Ehmann41 gewonnenen Gesamtschuldbegriff in seinem umfassenden Geltungsanspruch bestätigt; denn die zutreffende Erfassung von Geltungswille und Geltungskraft des § 255 BGB nötigt dazu, bisher dieser Vorschrift zugeordnete Fallgruppen von ihrem Anwendungsbereich auszunehmen und der Gesamtschuld zuzuordnen, womit die GesamtschuldregeJung Ausfüllung des ihr gesetzlich vorgegebenen Rahmens als zentrales Regreßinstitut erfährt. Am Rande der Gesamtschuld angelagert und zugleich einzige Ausnahme von der Gesamtschuldanordnung trotz gemeinsamen Schutzzwecks, ist § 255 BGB geradezu bestimmt und vorzugsweise geeignet, durch Rechtsübertragung einen dem Regreß und der Gesamtschuld vorgelagerten Ausgleich zu verwirklichen, den diese auf Grund ihrer Strukturierung als Mittel des Schadensregresses und ihrer Rechtsfolgeanordnung nicht gewährleisten kann. Die Anwendungsformen beider Rechtsinstitute grenzen damit nahtlos aneinander und werden auch insoweit den Ansprüchen einer hochentwickelten Rechtsordnung voll gerecht. Nachdem die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs48 sich schrittweise49 den Schutzzweckgedanken zur Bestimmung der Gesamtschuld zu eigen gemacht, und die Gesamtschuld den § 255 BGB in der "WolleEntscheidung"50 als Regreßmittel bereits verdrängt hat, ist die Erwartung nicht mehr unbegründet, daß nunmehr nach Jahrzehnten der Irrwege beiden Instituten alsbald auch in der Rechtswirklichkeit die ihnen entsprechende, vom Gesetz zugemessene Stellung ausnahmslos eingeräumt werde. 47 4B
49 50
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