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German Pages 278 Year 2014
Historische Forschungen Band 102
Reformierte Staatslehre in der Frühen Neuzeit Herausgegeben von
Heinrich de Wall
Duncker & Humblot · Berlin
Reformierte Staatslehre in der Frühen Neuzeit
Historische Forschungen Band 102
Reformierte Staatslehre in der Frühen Neuzeit
Herausgegeben von Heinrich de Wall
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0344-2012 ISBN 978-3-428-14238-5 (Print) ISBN 978-3-428-54238-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-84238-4 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Der vorliegende Band dokumentiert Referate einer Tagung unter dem Oberthema „Reformierte Staatslehre in der frühen Neuzeit“, die die Johannes-Althusius-Gesellschaft zur Erforschung der Naturrechtslehren und der Verfassungsgeschichte des 16. bis 18. Jahrhunderts e. V. im Jahr 2010 in Erlangen veranstaltet hat. Dabei boten das Calvin-Jahr 2009, in dem des 500. Geburtstages des Reformators gedacht wurde, und das seit einiger Zeit verstärkte wissenschaftliche Interesse an den konfessionellen Bezügen der frühneuzeitlichen Staatslehre den Anlass, gerade die reformierte Tradition, zu der der Namensgeber der Gesellschaft gehört, in den Blick zu nehmen und über die Erkenntnisse der neueren Diskussion zu reflektieren. Zu danken ist allen, die an der Durchführung der Tagung und an der Veröffentlichung der Referate mitgewirkt haben – zu allererst den Referenten und darunter ganz besonders denjenigen, die ihre Beiträge zeitnah in druckfertiger Form zur Verfügung gestellt haben. Dank gebührt aber auch der Dr. Alfred Vinzl-Stiftung und der Evangelischen Kirche in Deutschland, die die Tagung mit ihrer finanziellen Unterstützung erst ermöglicht haben, und dem Verlag Duncker und Humblot für die großzügige verlegerische Betreuung. Erlangen, im Juli 2013
Heinrich de Wall
Inhaltsverzeichnis Heinrich de Wall Reformierte Staatslehre in der frühen Neuzeit – Einleitende Bemerkungen . . . .
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Mathias Schmoeckel Die Gewährleistung der Freiheit des Einzelnen als Staatszweck nach Calvin . .
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Jörg Luther Jean Calvin, ein guter Geist des Konstitutionalismus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
Robert von Friedeburg Von den Ephoren als Institut ständischer Mitbestimmung zur Fundamentalverfassung des Gemeinwesens: Die Entwicklung von Calvin bis hin zu Althusius, Besold und Boxhorn um die Mitte des 17. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Corrado Malandrino The Calvinistic Covenant’s Theology and Federalism: the Experience of Althusius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
Merio Scattola Die Lehre vom Vertrag in der Föderaltheologie der ersten englischen Puritaner
133
Lucia Bianchin Die Rolle der Gesetze in Johannes Althusius’ „Respublica Christiana“ . . . . . . . 151 Michael Becker Ratio naturalis und sacra auctoritas. Naturrecht und Bibelstellenverweise in Hugo Grotius’ „De iure praedae commentarius“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Christoph Strohm „Silete theologi in munere alieno“. Konfessionelle Aspekte im Werk Alberico Gentilis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Francesco Ingravalle Theologie und politischer Calvinismus im XXVIII. Kapitel der Politica methodice digesta des Johannes Althusius. Beobachtungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Judith Becker Die Rolle der Obrigkeit in reformierten Kirchenordnungen der Frühen Neuzeit 235
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Inhaltsverzeichnis
Dieter Wyduckel Zur Neu-Edition und Übersetzung der Politica des Johannes Althusius . . . . . . . 261 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
Reformierte Staatslehre in der frühen Neuzeit – Einleitende Bemerkungen Von Heinrich de Wall, Erlangen
A. Von reformierten Lehren zum modernen Verfassungsstaat – Zusammenhänge und Themenkreise In jüngeren Untersuchungen1 ist deutlich geworden, dass die Vorstellung, dass eine direkte Linie von Calvin über Althusius zu modernen Vorstellungen demokratischer Verfassungsstaatlichkeit führt, deutlich zu relativieren ist. So wenig eindimensional die von den berühmten Untersuchungen Max Webers zu Tage geförderten Zusammenhänge zwischen calvinistischem Protestantismus und Kapitalismus sind, so problematisch ist es, von der Wiederentdeckung des Johannes Althusius durch Otto von Gierke ausgehend, eine unmittelbare Abfolge von der reformierten Föderaltheologie über Althusius’ Vorstellungen über die Organisation der Staatsgewalt zur modernen Demokratie zu ziehen. Dass die Zusammenhänge sehr viel komplexer sind und dass einfache Zu- und Fortschreibungen von vermeintlichen Kontinuitäten zu hinterfragen sind, wurde auch auf der hier dokumentierten Tagung bestätigt. So wurde beispielsweise darauf aufmerksam gemacht, dass zwischen religiösem Bund und Föderaltheologie einerseits und einer vertraglichen Begründung der Staatsgewalt andererseits deutlich zu differenzieren sei, da der in der Föderaltheologie eine überragende Rolle einnehmende Bund Gottes mit seinem Volk nicht wie der Gesellschaftsvertrag der Staatsvertragslehren als Pakt grundsätzlich Gleichberechtigter verstanden werden kann und auch in der Lehre des 16. und 17. Jahrhunderts nicht so verstanden wurde2. Hingewiesen wurde auch darauf, dass die Föderaltheologie nicht nur in den Kontext der vertraglichen Herrschaftsbegründung gestellt, sondern auch als Variante der göttlichen Erwählung politischer Herrschaft gedeutet werden kann3 – insofern steht sie
1 s. etwa die großen und grundlegenden Arbeiten von Christoph Strohm, Calvinismus und Recht, Tübingen 2008; John Witte, The Reformation of Rights: Law, Religion, and Human Rights in Early Modern Calvinism, Cambridge, 2007, s. auch etwa den Tagungsband der Tagung der Althusius-Gesellschaft 2006, Konfessionalität und Jurisprudenz in der frühen Neuzeit, hrsg. v. Christoph Strohm und Heinrich de Wall, Berlin 2009. 2 s. in diesem Band bei Malandrino, S. 99 und Scattola, S. 133. 3 s. in diesem Band bei Scattola, S. 134.
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aber in einem Spannungsverhältnis zu der säkularisierenden Tendenz, die der vertraglichen Herrschaftsbegründung sonst innewohnt. Diese Beispiele zeigen, dass es für das Verständnis frühneuzeitlicher Lehren entscheidend ist, die Diskussionszusammenhänge und die Implikationen der verwendeten Begriffe aus dem zeitgenössischen Kontext heraus richtig zu deuten, und nicht den modernen Gebrauch der Worte, der durch eine Entwicklung von mehreren hunderten Jahren geprägt ist, einfach in die Vergangenheit zurückzuprojizieren. Entsprechendes gilt für die jeweiligen fachlichen Diskussionszusammenhänge. Es reicht nicht aus, mit dem heutigen, durch eine spezifische fachliche Perspektive geprägten, Blick die Fragestellungen der frühen Neuzeit nachzuvollziehen, bei der die Diskussion über die heutigen Fachgrenzen hinaus in anderen Disziplinen verankert und in anderen Sachzusammenhängen geführt wurde. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass man namentlich die theologischen Implikationen der frühneuzeitlichen Lehren nicht erkennt und die spezifische Verwendung von grundlegenden Begriffen wie „Bund“, „Vertrag“ oder „Gesetz“ missdeutet. Umso wichtiger ist die interdisziplinäre Diskussion und Perspektive: nicht, um den Forderungen aktueller Wissenschaftspolitik nachzukommen, und auch nicht, um die vermeintliche Enge fachspezifischer Methoden zu überwinden – ob derlei in den vielen Großprojekten mit interdisziplinärem Anstrich sinnvoll ist, kann hier nicht entschieden werden. Für die Staatslehre der frühen Neuzeit ist vielmehr entscheidend, dass Theologie und Kirchengeschichte, Rechts- und Verfassungsgeschichte, Ideengeschichte und allgemeine Historie zusammenwirken, um den Sinnzusammenhang der untersuchten Lehren freizulegen. In der Tagung sind einige Themenkreise herausgegriffen worden, die diese Aufgabe besonders verdeutlichen und bei denen eine genaue Analyse der Wirkungen und Entwicklungslinien notwendig und vielversprechend erscheint. Dabei handelt es sich um Fragenkreise, die in Beiträgen zu ganz unterschiedlichen Theorien und Lehren sowie spezifischen Zeiträumen und Themenstellungen aufgegriffen wurden. Sie stellen daher die einzelnen Beiträge in einen je eigenen Zusammenhang und verdeutlichen damit zugleich den besonderen Sinn und Wert von übergreifenden Fachgesprächen, wie sie in Erlangen geführt wurden. In mehreren Beiträgen ist nach „konstitutionellen“ Elementen der Staatslehre gefragt worden, wozu die Bindungen und Grenzen der Macht der Obrigkeit, die Frage nach der Rolle des Individuums und der niederen Obrigkeiten und die These von der Freiheitssicherung als Staatszweck gezählt werden können. Bei diesem Themenkreis steht die Einschätzung von Kontinuitäten und Diskontinuitäten, engeren oder weiteren Zusammenhängen zwischen der frühneuzeitlichen und der heutigen Lehre besonders im Vordergrund. Ein zweiter Themenkreis ist der Zusammenhang der Betrachtungen über Obrigkeit, Recht und Glaube, oder, in den zugehörigen akademischen Disziplinen ausgedrückt, zwischen Politik, Jurisprudenz und Theologie. Gebündelt wird dieser Zusammenhang im Begriff des Gesetzes, der ein Zentralbegriff aller dieser Perspektiven ist und bei dem daher in besonderer Weise nachzufragen ist, ob und inwiefern er in un-
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terschiedlichen Sinnschattierungen auftaucht. Ein weiterer zentraler Begriff ist der des Vertrages als Oberbegriff einer Reihe von Erscheinungsformen wie „foedus“, „pactum“, „contractus“ etc. Dass diese Institute in der frühneuzeitlichen Lehre differenziert behandelt wurden, zeigen mehrere Beiträge. Eine weitere Frage, die mit dem zweiten Themenkreis eng zusammenhängt, ist die nach der Rolle der Religion und – spezieller – der Konfession für die Staatslehre und für die Rechtslehre sowie die Abgrenzung zu anderen, außerreligiösen Diskussionsund Traditionszusammenhängen. Damit hängt wiederum auch das vierte übergreifende Thema zusammen, nämlich die Verhältnisbestimmung von weltlicher Obrigkeit und weltlichem Recht zu Religion, Kirche und kirchlichem Recht, die gleichsam als ein Paradigma für die beiden vorgenannten Themen gelten kann. Insgesamt erweisen sich die Zusammenhänge und Traditionslinien, die auf der Grundlage dieser differenzierten Themenbereiche herausgearbeitet werden konnten, als äußerst differenziert und komplex. Gleichwohl kann insgesamt ein positiver Befund formuliert werden. Nicht nur können trotz aller Relativierungen Wurzeln heutigen Staatsdenkens in der reformierten Staatslehre der frühen Neuzeit ausgemacht werden. Sie hat auch eine besondere Prägekraft gehabt.
B. Calvinismus und Verfassungsstaat Dies darzulegen, steht insbesondere in den Beiträgen Matthias Schmoeckels („Die Gewährleistung der Freiheit des Einzelnen als Staatszweck nach Calvin“, S. 21) und Jörg Luthers („Jean Calvin, ein guter Geist des Konstitutionalismus?“, S. 51) im Vordergrund. Sie wenden sich Elementen der reformierten Lehre zu, die Strukturelemente moderner Verfassungsstaatlichkeit vorwegnehmen und insofern als „konstitutionelle“ Elemente reformierten Staatsdenkens bezeichnet werden können. Beide nehmen insbesondere Johannes Calvin selbst in den Blick. Dabei führt Schmoeckel die Entwicklung von Elementen des Rechtsstaatsgedankens auf die Veränderung des Menschenbildes zurück, zu der die calvinische Theologie führte. So wird der Einfluss Calvins auf die Staatslehre als ein eher indirekter markiert. Schmoeckel zeichnet die Entwicklung der auf Recht und Staat bezogenen Lehren Calvins nach und arbeitet als Elemente einer „Staatslehre Calvins“, soweit von einer solchen überhaupt die Rede sein kann, den Amtsgedanken, die Lehre von den Staatsformen und den Gedanken der Humanität in der Strafrechtspflege heraus. Calvin sehe das Volk, den Magistrat und das Gesetz als konstitutive Elemente des Staates. Dabei wird die Verpflichtung der Herrschenden betont, durch das Gesetz Gottes Willen und damit das Gemeinwohl zu erfüllen (S. 29). Die religiöse Rückbindung des Gesetzes und damit der religiöse Zusammenhang der „Staatslehre“ werden hier verdeutlicht und bestätigt. Zu den im genannten Sinne „konstitutionellen“ Elementen in der Lehre Calvins gehört auch der Gedanke einer wechselseitigen Bindung
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von Magistrat und Volk im Herrschaftsverhältnis. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine juristische, durch Vertrag begründete Pflichtenbindung – ein Herrschafts- oder Gesellschaftsvertrag im Sinne späterer Vertragslehren kommt nicht in den Blick. Andererseits ist aber, so Schmoeckel, der Schutz der Freiheit der Untertanen ein wesentlicher Herrschaftszweck. Das hebt die Bedeutung Calvins für die Geschichte der Freiheit des Individuums hervor. Dass aber Calvin nicht unmittelbar als Ahnherr verfassungsstaatlicher Ideen in Anspruch genommen werden kann, wird bei Schmoeckel auch deutlich. So weist er daraufhin, dass die unterschiedslose Verwendung des Begriffs des Gesetzes (lex) dem Gedanken höherrangiger Verfassung entgegenstehe. Allerdings stehe dem die häufige Verwendung des Begriffs „constituere“ gegenüber, insofern wäre doch zu fragen, inwiefern späteres Verfassungsdenken auch auf bei Calvin angelegten Gedanken aufbauen kann. Schmoeckel stellt schließlich zwei Grundansätze politischen Denkens gegenüber: die angloamerikanische Tradition, die von Rechten ausgehe, die der Mensch dem Staat entgegenhalten kann, und die deutsche Tradition, die vom Staat her denke und die Pflichten des Individuums betone. Beide Ansätze sind, so Schmoeckel, mögliche Ausdeutungen und Konsequenzen von Calvins Vorstellungen vom Staat. Noch nachdrücklicher als Schmoeckel betont Jörg Luther die Bedeutung des calvinischen Denkens für den säkularen, neuzeitlichen Konstitutionalismus. Allerdings weist er darauf hin, dass Calvin selbst den Begriff „constitutio“ allein auf die Kirchenverfassung bezieht und seine Vorstellungen zunächst im Bereich der Kirchenverfassung entwickelt und verwirklicht. Allerdings hebt Luther auch die Rolle Calvins als Berater der der Kirchenreform folgenden „nachführenden Verfassungsreform“ (S. 66) der Stadt Genf hervor. Auch weist er auf die Parallelen dieser Reform zur calvinischen gemeindlichen Kirchenverfassung hin, die insbesondere in der Aufwertung des Kollegialitätsprinzip bestünden (S. 69). Hierin sieht Luther Parallelen zum heutigen säkularen Konstitutionalismus. Luther betont die Verbindungslinie von der Bundestheologie zu vertragstheoretischen Vorstellungen natürlicher Rechte, eine Verbindungslinie, die in anderen Beiträgen (Schmoeckel, Malandrino, Scattola) eher relativiert wird. Für „die Rolle Calvins in der Herausbildung einer Kultur des protestantischen Konstitutionalismus“ betont Luther auch die mit der Religionsfreiheit notwendigerweise verbundene politische Freiheit und stellt die These auf, dass Calvin und der Calvinismus bedeutende Beiträge zur Entwicklung wirtschaftlicher und sozialer Grundrechte geleistet hätten.4 Dieser Hinweis macht auch auf weitere Forschungsaufgaben aufmerksam. Schließlich gehe auch die Auffassung, dass die Verfassung Mittel zur Regulierung von Verfahren sozialer Integration und zum Zusammenhalt der Herde sei und nicht bloßes Instrument des Souveräns, auf protestantisches Denken zurück (S. 75 f.). Dass Jörg Luther den „Beitrag des Protestantismus zur Kultur und zum Konstitutionalismus“ nicht nur darin sieht, „Demokratie zur ermöglichen, sondern auch ihr Bedürfnis nach Schranken und Sicherung gegen persönliche Tyrannei durch republikanische Moralprinzipien, Werte und Modelle für Amts4
Dafür beruft er sich u. a. auf John Witte, Reformation of Rights (o. Anm. 1).
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träger und Bürger zu erkennen“ (S. 76), verdeutlicht jedenfalls auch, dass eindeutige innerprotestantische Zuweisungen dergestalt, dass etwa allein der Calvinismus für demokratisch konstitutionelles, das Luthertum dagegen für obrigkeitliches Denken stehe, zu relativieren sind. Insgesamt stehen die Ausführungen Jörg Luthers deutlich in der Tradition derjenigen, die den Protestantismus und darin insbesondere die reformierten Lehren als ausschlaggebend für die Entwicklung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einschätzen. Einem für reformierte Staatslehren, zum Teil aber auch Staatslehren anderer Konfession charakteristischen Element, nämlich den „Ephoren als Institut ständischer Mitbestimmung“ wendet sich Robert von Friedeburg zu5. „Ephoren“ bezeichnen dabei dem summus magistratus untergeordnete Obrigkeiten, die mit eigenen Funktionen in die Herrschaftsausübung einbezogen sind. Von Friedeburg weist darauf hin, dass Calvin nicht auf die Verfassung Spartas Bezug nimmt, aus deren Tradition der Begriff der Ephoren stammt, sondern auf das Römische Recht, dem die Institution niederer Magistrate ebenfalls bekannt war. Bei Calvin selbst spielen die Ephoren aber, so von Friedeburg, eine relativ geringe Rolle. Damit relativiert er – mit der neueren Forschung insbesondere Quentin Skinners und Howell Lloyds6 – frühere Thesen von einer „Einbahnstraße des Calvinismus zu Demokratie und Republik“ (S. 79). Der Beitrag v. Friedeburgs ist im Meinungsspektrum der Beiträge zu diesem Band damit in gewisser Weise der Gegenpol zu den Ausführungen Jörg Luthers. Calvin beschreibt, so von Friedeburg, die Institution der Ephoren im Zusammenhang mit der Widerstandslehre. Dabei geht Calvin von einer unbedingten Gehorsamspflicht der Untertanen aus. Zur Mäßigung der königlichen Gewalt seien nicht die Untertanen selbst berufen, vielmehr seien dafür Ephoren, populares magistratus, eingesetzt, deren Amt es sei, für die Untertanen einzuschreiten (S. 83). Das Institut der Ephoren sei auch keineswegs calvinistisches Proprium. Der Begriff komme vielmehr bei Philipp Melanchthon sehr viel häufiger vor als bei Calvin. Ein Unterschied zwischen Melanchthon und Calvin bestehe aber darin, dass Calvin von einer generellen Einsetzung von Rechtswächtern durch Gott ausgehe, während Melanchthon empirisch die Rolle der Ephoren in konkreten Rechtsordnungen beschreibt. Nachdem die Ephoren in der Lehre Althusius noch eine besondere Bedeutung hatten, spiele der Begriff in den 1630 bis 1650iger Jahren – so von Friedeburg – keine Rolle mehr. Insgesamt gehe die Entwicklung in der deutschen Staatslehre der frühen Neuzeit aber weg von der Teilhabe niederer Obrigkeiten an der Herrschaft, für die die Lehre von den Ephoren ein Beispiel sei, dagegen hin zur verfassungsrechtlichen Absicherung von Ständen und ihren Privilegien (S. 97, 79). Zu erwägen scheint mir freilich auch, 5 Robert von Friedeburg, Von den Ephoren als Institut ständischer Mitbestimmung zur Fundamentalverfassung des Gemeinwesens: Die Entwicklung von Calvin bis hin zu Althusius, Besold und Boxhorn um die Mitte des 17. Jahrhunderts, in diesem Band S. 80. 6 Quentin Skinner, The Origins of the Calvinist Theory of Resistance, in: Barbara C. Malament, After the Reformation, Essays in Honour of J. H. Hexter, Pittsburgh 1980, 309 – 330; Howell Lloyd, Calvin and the Duty of Guardians to Resist, in: Historical Journal 32, (1981), 65 – 70.
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dass die niederen Obrigkeiten in den bei von Friedeburg angesprochenen Lehren weniger die Funktion der Teilhabe an der Staatsgewalt haben, als vielmehr Versuche sind, den Widerstand gegen eine das Naturrecht oder die Fundamentalgesetze verletzende Obrigkeit zu kanalisieren. Auch die Ausführungen von Friedeburgs zeigen zum einen die Notwendigkeit, den jeweiligen Diskussionszusammenhang frühneuzeitlicher Begriffsbildungen zu berücksichtigen und diese nicht einfach in moderne Kategorien zu übersetzen, zum anderen die damit zusammenhängende Problematik, gerade Entwicklungslinien zwischen frühneuzeitlichen Lehren und modernem Staatsverständnis zu ziehen.
C. Föderaltheologie und Vertragstheorie Die föderalen, bündischen Elemente reformierten Denkens, ihr Zusammenhang mit der vertraglichen Einbindung der Obrigkeit und deren Bedeutung für die allgemeinen vertragstheoretischen Begründungen der Staatsgewalt in der naturrechtlichen Theorie der frühen Neuzeit werden im mehreren Beiträgen analysiert. Corrado Malandrino wendet sich in seinem Beitrag „The Calvinistic Covenant’s Theology and Federalism: the Experience of Althusius“ (S. 99) den bündischen Wurzeln der Lehre des Althusius zu. Dabei geht er aber auch auf die Gründerväter der reformierten Theologie sowie deren Rezeption im späten 16. und im 17. Jahrhundert ein. Malandrino nimmt insbesondere den Wortgebrauch von Termini aus dem Begriffsfeld „foedus“, „covenant“ usw. in den Blick und setzt diese in Beziehung zu den Bünden des Alten und des Neuen Testaments. Malandrino weist darauf hin, dass jüngere Arbeiten zu föderalen bzw. bündischen Elementen frühneuzeitlicher, insbesondere reformierter Lehren das Erfordernis herausgestrichen haben, sowohl die Diskussionsebenen, insbesondere solche theologischer und politischer Art, sowie die differenzierten Begriffe deutlich zu unterscheiden. So habe bereits David Poole7 herausgearbeitet, dass der einseitige Charakter des Bundes Gottes mit seinem Volk zu berücksichtigen sei. Das stelle die Übersetzung dieses „Vertrags“-Gedanken der Föderaltheologie auf den politischen Bereich in Frage. Es führe auch kein direkter Weg von mittelalterlichen Traditionen einer Föderaltheologie zu politischen Theorien der frühen Neuzeit, die vom Calvinismus beeinflusst sind. Zwar gebe es Einflüsse der föderalen Theologie auf die politische Lehre Althusius’, aber keine direkte Linie. Die Lehre Althusius’ wird von Malandrino als „protoföderal“ bezeichnet. Richtig sei herausgearbeitet worden, dass der theologische Hintergrund der „consociatio symbiotica“ in der althusischen Staatslehre ebenso wenig übersehen werden darf wie die Unterscheidung zwischen dem pactum civile und dem pactum religiosum. Malandrino weist auf den sehr differenzierten Wortgebrauch bei Althusius hin. So werde der Begriff „foedus“ bei Althusius im Sinne der 7 David N. J. Poole, The History of the Covenant Concept from the Bible to Johannes Cloppenburg: De foedere Dei, 1989.
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römisch-rechtlichen Tradition auf Verträge zwischen Völkern bezogen. Er ist also keinesfalls Synonym für Verträge, „pacta“, im Allgemeinen. Auch der Begriff „consociatio“, der zur Charakterisierung der bürgerlichen Gesellschaft verwendet wird, sei im althusischen Wortgebrauch nicht einfach mit „foedus“, „pactum“ oder „contractus“ gleichzusetzen. Malandrino weist nachdrücklich darauf hin, dass für das Verständnis der Althusischen Lehren nicht nur dieser differenzierte Sprachgebrauch zu beachten ist, sondern dass auch die unterschiedlichen Ebenen der Argumentation auseinanderzuhalten sind: je nach Zusammenhang geht es um eine allgemeine Theorie menschlicher Zusammenschlüsse von der Familie bis zum Staat, um Vereinbarungen zwischen Trägern von Staatsgewalt oder um Zusammenschlüsse verschiedener Staatsgebilde. In seinem Beitrag „Die Lehre vom Vertrag in der Föderaltheologie der ersten englischen Puritaner“ (S. 133) arbeitet Merio Scattola heraus, dass wesentliche Elemente der Lehre des Johannes Althusius bereits in der puritanischen Theologie des späten 16. Jahrhunderts, insbesondere bei Dudley Fenner8, formuliert wurden. Scattola nennt insbesondere die Beziehung zwischen politischer Lehre und Offenbarung, zwischen natürlicher Ordnung und übernatürlichem Gesetz, zwischen Immanenz und Transzendenz, kurz: die politische Theologie (S. 133). Dabei sieht er im Verlauf der Geschichte des Christentums drei Grundmuster der Zuordnung der genannten Begriffspaare. Während die augustinische Lösung die Aufgabe der Vermittlung der Transzendenz allein der Kirche zuweise und dem irdischen Reich heilsgeschichtliche Funktionen abspreche, habe nach der eusebischen Lösung das irdische Reich die Rolle des Vermittlers zwischen Menschlichem und Göttlichem. Nach der gelasischen Lösung komme diese Aufgabe in unterschiedlichem Maße sowohl der Kirche als auch dem politischen Reich zu. Während Scattola die lutherischen und die katholischen Lehren des 16. Jahrhunderts der augustinischen oder der gelasischen Variante zuordnet, sieht er die reformierten Theorien, namentlich diejenigen der frühen englischen Puritaner und Althusius’, auf der Seite der eusebischen Lösung, da bei ihnen der politischen Gemeinschaft die wesentliche Rolle bei der Heilsvermittlung zukomme. Zur Begründung dieser These weist Scattola auf die Besonderheiten der diesen Lehren zugrundeliegenden Vorstellungen vom religiösen Bund und dem politischen Vertrag hin. Nach den Lehren der frühen englischen Puritaner werden für die Errichtung der politischen Gemeinschaft zwei Verträge geschlossen, nämlich – erstens – ein Bund zwischen Gott und der Gesamtheit des Gemeinwesens und – zweitens – ein Vertrag unter den Teilen des Gemeinwesens. Dabei ist Vertragspartner des religiösen Bundes nicht die gesamte Menschheit, sondern nur die Gemeinschaft der Auserwählten. Er ist insofern auch, worauf auch Malandrino hinweist, kein gegenseitiger Vertrag Gleichgeordneter, sondern der Bund Gottes mit seinem Volk, das darin verspricht, den Kult getreu zu erhalten und die göttlichen Gesetze und Gebote einzuhalten. Dagegen ist Gegenstand des zweiten Vertrages, der unter den Teilen des Gemeinwesens geschlossen wird, das gegenseitige Versprechen, eine gesetzmäßige Regie8 Dudley Fenner, The Sacred Doctrine of Divinitie, Gathered out of the Word of God (1599), London 1613.
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rung des Gemeinwesens zu errichten und deren Fundamentalgesetze zu beschließen. Dabei handelt es sich also um das in den Vertragslehren geläufige pactum unionis. Diese Zwei-Vertragskonstruktion begründet ein Gemeinwesen von Auserwählten in einer Umgebung anderer Gemeinwesen, deren Mitglieder nicht zu den Erwählten gehören. Sie beschreibt und legitimiert eine besondere Gemeinschaft und deren Existenz in einer „feindlichen“ Umgebung.9 Im Übrigen weist Scattola auf viele Gemeinsamkeiten der Vertragslehren der Puritaner mit Althusius’ Lehre hin, insbesondere in Bezug auf die Rolle der niederen Obrigkeiten, der „Ephoren“, bei der Einforderung vertraglicher Pflichten, die dem summus magistratus, dem Herrscher nach dem zweiten Vertrag obliegen. Auch die Ausführungen Scattolas verweisen darauf, dass politische Lehren der frühen Neuzeit, namentlich solche die dem reformierten Zweig der Reformation zuzuordnen sind, vor ihrem theologischen und historischen Hintergrund zu verstehen sind, so dass die dort formulierten Ideen einer bündischen Grundlage politischer Gemeinschaften nicht undifferenziert auf spätere Vertragstheorien projiziert werden dürfen.
D. Begriff, Funktion und Grundlage des Gesetzes Begriff und Verständnis des Gesetzes spielen in zahlreichen Zusammenhängen der Staatslehre eine besondere Rolle. Dies wird beispielsweise in den Ausführungen Matthias Schmoeckels und Jörg Luthers zu den konstitutionellen Elementen reformierter Staatslehren deutlich. Im Zentrum der Untersuchung steht der Gesetzesbegriff bei Lucia Bianchin und bei Michael Becker. In ihrem Beitrag „Die Rolle der Gesetze in Johannes Althusius Respublica Christiana“ (S. 151) zeichnet Lucia Bianchin eine Linie von Calvin über Lambertus Danaeus zu Althusius, was das Verständnis von Begriff und Funktion der Gesetze angeht. Dabei kehrt sie insbesondere die Bedeutung Danaeus‘ für zentrale Begriffe bei Althusius heraus, insbesondere für Kategorien wie „politia“ oder „consociatio“. Der Gesetzesbegriff bei Calvin, wonach „das Gesetz eine stumme Obrigkeit und die Obrigkeit ein lebendiges Gesetz (ist)“ wird, so Bianchin, bei Danaeus und Althusius aufgenommen. Wie bei Calvin würden trotz der Unterscheidung von lex dei, lex naturalis und lex positivum alle diese Normen der einen Kategorie „Gesetz“ unterfallen (S. 162). Grundmuster aller Normen ist für Althusius, in calvinischer Tradition, das „moralische oder allgemeine Gesetz“, worunter der „natürliche, von Gott jedem Menschen eingepflanzte Trieb“ verstanden wird, „der dazu antreibt, das Gute zu tun und das Böse zu meiden“ (S. 161). Damit bilden moralisches Gesetz, göttliches Gesetz und natürliches Gesetz eine Einheit. Substanz dieser Einheit ist, bei Calvin wie bei Althusius, der Dekalog. Dieser wird zur Grundlage der Rechtsordnung (S. 155, 162). Das bürgerliche, positive Gesetz wird demgemäß als Explikation bzw. Spezifikation des Dekalogs verstanden. Auch damit wird verdeutlicht, wie 9
Dies weist auf die historische Situation reformierter Gemeinwesen hin.
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tief politische und juristische Kategorien der frühneuzeitlichen Staatslehre im Religiösen wurzeln. Aber deutlich wird auch, dass bei Althusius das ererbte Gedankengut weiterentwickelt wird – so etwa wenn er das Gesetz als das Band versteht, das das Gemeinwesen zusammenhält, als jus symbioticum (S. 161). Es ist insofern „Leuchte des bürgerschaftlichen Lebens, Waage der Gerechtigkeit, Bollwerk der Ordnung und des öffentlichen Friedens, Hüter der Freiheit“. Damit ist die Grundlage für Althusius’ Gegnerschaft gegen die absolute Souveränität im Sinne einer potestas legibus soluta bei Bodin markiert. Insofern liegt in diesem Gesetzesverständnis ein unaufhebbarer Dissens zwischen Althusius und Bodin und wird deutlich, dass Althusius nicht zu Unrecht in eine konstitutionelle Tradition gestellt wird (S. 167). Deutliches Gegenbild zu bodinschen Vorstellungen ist auch der althusiussche Gedanke, dass Gesetze auf die gleiche Weise binden wie Verträge. Das Gesetz ist eben nicht nur Befehl des Souveräns, sondern hat als Explikation und Spezifikation des Dekalogs eine moralische Grundlage. Stand bei Calvin noch die Bindung der Untertanen an die Gesetze im Vordergrund, so betont Althusius die Verpflichtung des summus magistratus zum Gehorsam gegenüber den Gesetzen – auch dies ein Dissens Althusius’ gegenüber Bodin (S. 159, 165): Bei Bodin steht der Fürst als souveräner Gesetzgeber über dem Gesetz, der summus magistratus bei Althusius ist dagegen Vollstrecker der im Einverständnis der Gemeinschaft beschlossenen Gesetze (S. 167). Michael Becker nimmt in seinem Beitrag „Ratio naturalis und sacra auctoritas. Naturrecht und Bibelstellenverweise in Hugo Grotius’ „De jure praedae commentarius“ (S. 169) den „Vater des modernen Völkerrechts“ in den Blick. Er analysiert dabei nicht dessen bekanntes Hauptwerk „De Iure Belli ac Pacis“ (1625), sondern den früheren, erst in unseren Tagen wieder entdeckten Kommentar zum „Ius Praedae“10 (Recht der Kriegsbeute). Dabei weist Becker darauf hin, dass Grotius schärfer als seine Zeitgenossen Alberico Gentili oder Johannes Althusius zwischen ius civile, ius divinum hebraeorum und lex dei unterscheide (S. 174). Auch bei ihm bleibe aber die Bibel als Zeugnis des göttlichen Willens eine Rechtsquelle ersten Ranges. Sein Werk unternehme den Versuch, die Kongruenz der natürlichen Vernunft mit der göttlichen Autorität nachzuweisen. Auch diese frühere Lehre Grotius‘ ist noch ein Beleg für die mehrfach konstatierte legitimatorische Funktion der Offenbarung für die Rechts- und Staatslehren. Das Naturrecht als wichtigste Rechtsquelle bei Grotius wurzelt, so Becker, in der voluntas dei (S. 183). Grotius bemühe sich um einen differenzierten Umgang mit der Bibel und dem ius divinum. Bibelstellenverweise hätten bei Grotius Legitimationsfunktion, die Bibel bilde einen „Exempelfundus“ (S. 193), mit dessen Hilfe Grotius den Nachweis des Gleichklanges zwischen Naturrecht und göttlichem Recht zu führen versuche. Anders als im späteren Ius Belli ac Pacis lasse sich – so Michael Becker – im Ius Praedae noch kein Bemühen um ein säkularisiertes Naturrecht erkennen.
10 Hugo Grotius, De Iure Praedae Commentarius (1604 – 1608), hg. v. H. G. Hamaker, Den Haag 1868.
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Alberico Gentili, vor seiner Konversion zum Anglikanismus reformierter Rechtslehrer, hat den bekannten Satz geprägt: „silete theologi in munere alieno“ und scheint damit dafür zu plädieren, die Theologen aus anderen Zusammenhängen – vorliegend, wie Carl Schmitt konstatiert11: aus der Erörterung des Kriegsbegriffs – herauszuhalten. Allerdings markiert dieser Satz, wie Christoph Strohm in seinem Beitrag „,Silete Theologi in munere alieno‘. Konfessionelle Aspekte im juristischen Werk Alberico Gentilis“ (S. 195) zeigt, eher den Anspruch des Juristen, den Dekalog und die daraus abgeleiteten Gebote aus eigener Kompetenz zu deuten und dies nicht den Theologen überlassen zu müssen, wenn es um rechtliche Zusammenhänge geht. Gerade für die Auffassung Althusius’, wonach die Bibel beispielhafte Aussagen zu Recht und Staat enthält, war es zentral, dass Juristen nicht der Deutungshoheit der Theologen unterworfen sind (S. 219). Über diese Frage hat Althusius seinerseits eine Auseinandersetzung mit den in Herborn lehrenden Theologen geführt. Das Selbstbewusstsein der „Laien“ hat damit sowohl bei Gentili als auch bei Althusius Ausdruck gefunden. Strohm sieht darin ein Beispiel für eine „gemeinprotestantische Aufwertung des weltlichen Regiments und damit auch der Tätigkeit der Juristen“ (S. 219). Ohne dass dadurch die Bedeutung des Dekalogs als Explikation des moralischen Gesetzes in Frage gestellt würde, liegt hierin eine Tendenz zur Entsakralisierung der politischen und rechtlichen Ordnungen, die, so Strohm, mit zwei Grundentscheidungen der Reformation konvergiere: Der Gegnerschaft gegen eine Vermischung von Gott und Welt, wofür bei Gentili das kanonische Recht als Negativbeispiel stehe, zum anderen der Kampf gegen eine „päpstliche Unterminierung der weltlichen Gewalt“ (S. 222). Bei Althusius wie bei Gentili sollen Verweise auf Bibelstellen die Rechtswissenschaften von der Dominanz der Theologen gerade emanzipieren (S. 222). Und diese biblischen Texte stimmen mit der recta ratio überein, auch dies Gemeingut für Althusius, Gentili und andere reformierte Juristen (und auch außerhalb des reformierten Protestantismus nicht unbekannt). Man wird dies alles zwar als Ausdruck einer Tendenz zur Säkularisierung der Rechtswissenschaften beschreiben können. Aber die allgemeine Kategorie der Säkularisierung beschreibt diese Lehren doch recht ungenau, jedenfalls wenn damit die Vorstellung verbunden sein sollte, dass sich die Rechtswissenschaft von den biblischen Texten entfernte. Das Gegenteil ist der Fall. Gentili wie Althusius betonen, dass das Recht Emanation des göttlichen Willens ist. Ihnen geht es darum, dennoch die eigene Kompetenz der Juristen für Auslegung und Verständnis des Rechts gegenüber den Theologen zu betonen.
11 Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum (1950), 4. Aufl. Berlin 1997, S. 131.
Einleitende Bemerkungen
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E. Weltliche Obrigkeit, Religion und Kirche Dass die protestantischen Staatslehren der frühen Neuzeit und moderne Vorstellungen nur sehr bedingt in Einklang zu bringen sind, wird besonders an der Verhältnisbestimmung von weltlicher Obrigkeit und Kirche deutlich. In dieser Hinsicht sind die Lehren und namentlich die Praxis der Reformatoren und ihrer frühneuzeitlichen Nachfolger von modernen säkularen Vorstellungen weit entfernt. Wie wenig säkular die Lehren des 16. und 17. Jahrhunderts sind, wird nicht nur an der Rückbindung des positiven Gesetzes an die zehn Gebote deutlich, wie sie in den Beiträgen von Bianchin und Michael Becker sowie bei Schmoeckel beschrieben worden ist. Es kommt auch in der Rolle zum Ausdruck, die die Obrigkeit für die Ausbreitung des Evangeliums und gegenüber der christlichen Gemeinde hat. Diesem Aspekt, der am Rande auch von Jörg Luther angesprochen wird, wenden sich Judith Becker („Die Rolle der Obrigkeit in reformierten Kirchenordnungen der Frühen Neuzeit“, S. 235) und Francesco Ingravalle („Theologie und politischer Calvinismus im 28. Kapitel der Politica methodice digesta des Johannes Althusius“, S. 225) zu – der Letztere auf der Ebene der Staatslehre, indem er das einschlägige 28. Kapitel der „Politica methodice digesta“ Johannes Althusius’ in den Blick nimmt. Dagegen zieht Judith Becker die Perspektive des positiven Rechts heran, indem sie die Rolle der Obrigkeit in reformierten Kirchenordnungen der Neuzeit beschreibt. Bei der Rolle, die Johannes Althusius der weltlichen Obrigkeit in Bezug auf religiöse und kirchliche Fragen einräumt, geht es nicht lediglich um eine Art äußere Aufsicht über verschiedene Kirchengemeinschaften. Dies wird von Ingravalle verdeutlicht. Auch wenn das Individuum nicht zu einer bestimmten Religion gezwungen werden darf – diese Erkenntnis ist reformatorisches Allgemeingut – wird doch die Religion als Grundlage des Staates gesehen und wird daher der Obrigkeit auch die Kontrolle der religiösen Praxis eingeräumt. Dem summus magistratus obliegt auch die administratio ecclesiastica, die in der Sorge für die öffentliche Weitergabe der Lehre der wahren Religion und in der Einführung und Erhaltung des freien Bekenntnisses bei ihrer Ausübung und Praxis besteht (S. 228). Die Einrichtung kirchlicher Versammlungen und die Durchführung von Visitationen durch den summus magistratus sind dabei Mittel der Kontrolle12. Besonders krassen Ausdruck findet aus heutiger Sicht diese Sorge der weltlichen Obrigkeit für die Religion in der Behandlung von Häresien, die auch öffentliche Strafen einschließt (S. 232). Das Beispiel Althusius’ zeigt, wie himmelweit nicht nur der tatsächliche Rechtszustand, sondern auch die Lehre von heutigen Vorstellungen von Säkularität des Staates oder Religionsfreiheit entfernt waren. Judith Becker arbeitet im Einzelnen heraus, wie unterschiedlich die Umsetzung gemeinsamer Grundsätze in den reformierten Kirchenordnungen der frühen Neuzeit gewesen ist. Dabei kann differenziert werden zwischen autonomen Kirchenordnun12 Dabei werden durchaus geltende Verfassungszustände beschrieben – und zwar nicht nur solche in evangelischen Territorien, waren doch obrigkeitliche Visitationen kirchlicher Einrichtungen auch vor der Reformation nicht unbekannt.
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gen, die unabhängig von einer (andersgläubigen) Obrigkeit entstanden sind, Kirchenordnungen, die in Absprache mit der Obrigkeit erlassen wurden und durch die Obrigkeit selbst erlassene Kirchenordnungen. Trotz der Unterschiede im Einzelnen weist Judith Becker auf die gemeinsamen Grundkonstanten hin: In Anspruchnahme der Obrigkeit als Garantin des christlichen Lebens bei gleichzeitiger Eindämmung weltlichen Einflusses auf innerkirchliche Angelegenheiten. Ausgangspunkt war dabei das Ideal einer selbständig verfassten Kirche. Immerhin insofern können die reformierten Kirchenordnungen doch als Ausdruck eines Grundgedankens gesehen werden, der auch modernen Vorstellungen der Zuordnung von Staat und Kirche zugrunde liegt.
F. Die Übersetzung frühneuzeitlicher Lehre in moderne Sprache Die besondere Problematik der Einordnung und des Verständnisses der Staatslehren der frühen Neuzeit wird schließlich auch in einem aktuellen Projekt deutlich, nämlich der Neuedition und Übersetzung der Politica des Johannes Althusius, von der Dieter Wyduckel berichtet (S. 261). Dabei geht es nicht nur darum, einen aktuellen Ansprüchen entsprechenden Text in kritischer Edition vorzulegen. Vielmehr ist für die heutige Forschung auch die Übersetzung ins Deutsche von entscheidender Bedeutung. Die italienische Ausgabe der Politica, die erst jüngst vorgelegt wurde13, verdeutlicht diese Anliegen für einen anderen Sprachraum. Wyduckel weist darauf hin, dass eine doppelte Übertragung erforderlich sei, nämlich zum einen vom Lateinischen ins Deutsche und zum anderen von einem zeitgenössischen, frühneuzeitlichen Gebrauch der Sprache in einen heutigen Sprachgewohnheiten entsprechenden Text (S. 266). Zentrale Begriffe wie „consociatio“, „res publica“ oder „summus magistratus“ lassen sich schwer übertragen. Die naheliegenden Übersetzungen „Gemeinschaft“, „Republik“ oder „höchste Obrigkeit“ haben im Verlaufe ihrer Begriffsentwicklung im Deutschen eine ganz andere Konnotation erhalten, als sie in der frühen Neuzeit hatten, und können daher nicht verwendet werden, ohne die Gefahr von grundlegenden Missverständnissen hervorzurufen. Dies sind nur wenige, aber doch sehr plastische Beispiele für die Schwierigkeiten, die mit einer solchen Übersetzung verbunden sind. Sie ist aber erforderlich, damit das Wissen um die frühneuzeitlichen Staatslehren und die Möglichkeit zu ihrer Einordnung in die Ideen- und Institutionengeschichte auch in Zukunft eröffnet wird und damit so die Arbeit an den Fragekreisen, die im Rahmen der Erlanger Tagung erörtern wurden, vorangebracht werden kann.
13 Johannes Althusius, La politica. Elaborata organicamente con metodo e illustrata con es empi sacri e profani, a cura di Corrado Malandrino, Francesco Ingravalle, Mauro Povero, con testo latino a fronte, Torino 2009.
Die Gewährleistung der Freiheit des Einzelnen als Staatszweck nach Calvin Von Mathias Schmoeckel, Bonn
A. Zusammenhang zur Begründung der deutschen Rechtsstaatslehre Die Frage nach den Ursprüngen des Rechtsstaats ist bisher vorwiegend begriffsgeschichtlich beantwortet worden. Bekanntlich entwickelte Immanuel Kant das Konzept in seiner Rechtslehre von 1797 und in Reaktion darauf prägte Johann Wilhelm Placidus (Petersen)1 in seiner „Litteratur der Staatslehre – ein Versuch“ von 1798 den Ausdruck der Schule der Rechts-Staats-Lehre.2 Staatsziel sollte nicht die Glückseligkeit, sondern die Wahrung der bürgerlichen Rechte sein. 1793 postulierte Kant die Bewahrung der individuellen Rechte als oberstes Prinzip des Staates; die Glückseligkeit könne jeder erst im freien Gebrauch seiner Rechte erlangen.3 „[…] das öffentliche Heil […] ist gerade diejenige gesetzliche Verfassung, die jedem seine Freiheit durch Gesetze sichert, wobei es ihm unbenommen bleibt, seine Glückseligkeit auf jedem Wege, welcher ihm der beste dünkt, zu suchen, wenn er nur nicht jener allgemeinen gesetzmäßigen Freiheit, mithin dem Rechte anderer Mituntertanen, Abbruch tut.“
Jeder erreicht sein Glück, indem er frei ist, das zu tun, was er möchte. Die Grenze der eigenen Freiheit ist immer die Freiheit der anderen. Dieser Ansatz soll zugleich das öffentliche Wohl realisieren. Aus diesen Freiheitsgesetzen wird ein Staat gebildet, der das Wohl der Staatsbürger und ihre Glückseligkeit zum Ziel hat.4 Es sind also Gesetze, welche die Handlungsweise des Staates festlegen; der Ablauf im Staat hängt 1 Johannes Wilhelm Placidius, Litteratur der Staatslehre – ein Versuch, Straßburg 1798, Einl. § 7, 73: „die kritische oder die Schule der Rechts=Staats=Lehrer“; zu ihm Hermann Fischer, Art. Petersen, Johann Wilhelm, in: ADB 25 (1887), S. 506 – 508. 2 Michael Stolleis, Art. Rechtsstaat, in: HRG IV, Berlin, Sp. 367 – 375, 367; Ernst Wolfgang Böckenförde, Art. Rechtsstaat, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, 8, Basel 1994, Sp. 332 – 342, 332; Werner Conze, Art. Sicherheit, in: O. Brunner/W. Conze/R. Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe, 5, Stuttgart 1984, S. 831 – 862, 851. 3 Immanuel Kant, Über den Gemeinspruch, Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, in: Kant-Werkausgabe, W. Weischedel (Hg.), Darmstadt 1998, 6, S. 125 ff, hier S. 154 f. 4 Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten, 1. Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, 1797, in: Kant-Werkausgabe, W. Weischedel (Hg.), Darmstadt 1998, 4, § 49, S. 305 ff., hier S. 437.
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vom Recht, nicht von einer Person ab.5 Diese Fundierung des Staats im Recht dient damit gleichzeitig dem Schutz und der Begrenzung der Freiheit des Einzelnen. Ohne Zweifel stellten diese Schriften Reaktionen auf die Französische Revolution, insbesondere die „Déclaration des droits de l’homme et du citoyen“ von 1789 dar, die es in Art. 2 als Ziel eines jeden Staates definierte, die natürlichen Rechte der Menschen, Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung zu erhalten. In Art. 4 wurde noch einmal die Freiheit der Ausübung der natürlichen Rechte gewährleistet, soweit dadurch nicht die Rechte anderer gefährdet seien. Nur in Form eines Gesetzes dürfe der Staat in diesen Freiheitsraum der Bürger eingreifen. Der Inhalt des Rechtsstaates scheint hier bereits in seinem wesentlichen Gehalt auf: Einerseits gewährt er die bürgerlichen Freiheitsrechte, andererseits dient er gleichzeitig zu deren Begrenzung, um eine sinnvolle Gemeinschaft zu erhalten. Gerade in diesem Doppelauftrag wird noch heute der Inhalt des Rechtsstaats gesehen.6 Der Begriff des Rechtsstaats hat allerdings aufgrund seiner ebenso vielfältigen wie anhaltenden Rezeption in Deutschland nicht nur eine enorme Bedeutung erhalten und wird nahezu als Grundbegriff des Verfassungsrechts angesehen, sondern ist im Zuge dieser Entwicklung auch ganz unterschiedlich verstanden und interpretiert worden.7 Schon in der frühesten Rezeption des Begriffs am Beginn des 19. Jahrhunderts wird das Verständnis erweitert, indem die Autoren den Rechtsstaat vor allem als Vernunftstaat begreifen, der deswegen allerdings dann auch die bürgerlichen Freiheitsrechte bewahren und begrenzen will.8 Wenn man nun nach dem ideengeschichtlichen Zusammenhang forscht, muss man sich auf ein Problem konzentrieren: Im Hinblick auf die „Déclaration des droits de l’homme et du citoyen“ und die Rezeption bei Kant und den ersten Rechtsstaatslehren scheint es legitim, auf die noch heute relevante Doppelfunktion des Schutzes und der Begrenzung individueller Freiheit als Staatszweck abzustellen. Bisher haben sich die Autoren, die sich diese Frage gestellt haben, allerdings nur kursorisch wenigen juristischen Autoren des 16. Jahrhunderts gewidmet.9 Öfter wur5
Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (Anm. 4), § 52, S. 464. Eberhard Schmidt-Aßmann, § 26. Der Rechtsstaat, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, II: Verfassungsstaat, 3. Aufl. Heidelberg 2004, S. 541 – 612, 542 Rn. 1, 544 Rn. 4. 7 Vgl. Conze, Art. Sicherheit (Anm. 2), Sp. 853 – 855; Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Stuttgart 1981, 6, S. 82 ff., S. 1081 ff. Zur Vielfältigkeit des Begriffs auch Edin Sˇarcˇevic´, Der Rechtsstaat (Leipziger Juristische Studien, 1), Leipzig 1996, S. 6 ff. 8 Zu Th. Welcker, J. C. Frhr. v. Aretin und R. v. Mohl vgl. bei Ernst Wolfgang Böckenförde, Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, in: Horst Ehmke (Hg.), Festschrift für Adolf Arndt zum 65. Geburtstag, Frankfurt a.M. 1969, S. 53 – 76; ders., Recht, Staat, Freiheit, Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt a. M. 1991, S. 143 – 169, 145. 9 Thomas Würtenberger, L’Etat de droit avant l’Etat de droit, in: O. Jouanjan (Hg.), Figures de l’État de droit, Collections de l’Université Robert Schuman/ Institut de Recherches Carré de Malberg, Strassbourg 2001, S. 79 – 100, 80, mit Hinweisen auf Oldendorp und Althusius. 6
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den Philosophen der Aufklärung ab der Mitte des 18. Jahrhunderts untersucht.10 Präzisiert man die Fragestellung im eben definierten Sinne, ist weder auf Landfrieden noch andere Rechtsgewährleistungen durch Herrscher abzustellen. Gesucht wird nicht der Ausdruck einer allgemeinen Überzeugung, dass Recht im Staat gelten soll, denn sonst würde man schon in der Antike fündig werden.11 Auch der Gedanke einer gesellschaftsvertraglichen Verbindung zwischen Herrscher und Volk wäre bereits antiken Ursprungs und kann daher hier nicht ausschlaggebend sein.12 Der Gedanke eines strafrechtlichen Schutzes privater Rechtspositionen ist schließlich ebenso alt und daher in gleicher Weise wenig aussagekräftig. Stattdessen steht im Zusammenhang mit der Freiheitsgewähr der „Déclaration des droits de l’homme“ die Anerkennung von Bürgern, die zur eigenverantwortlichen Ausgestaltung ihres Lebens Rechtsgüter und in Bezug auf diese die Gewährleistung eines freien Gebrauchs erhalten. Der Staat wird dadurch verpflichtet, diese Verpflichtung macht geradezu seinen Sinn und Zweck insgesamt aus. Der Freiheit des Bürgers wird also Vorrang eingeräumt. Dabei kommen mehrere Elemente zusammen: Neben dem Freiheitspathos und dem politischen Programm der konstitutionellen Bewegung sieht man Elemente des Wirtschaftsliberalismus,13 Ziel des Menschen ist der Erwerb der Glückseligkeit. Der gewandelten Staatsaufgabe liegt ein anderes Menschenbild zugrunde, das dem Menschen nicht nur Freiheit zuspricht, sondern diese Freiheit für existentiell erforderlich hält. Das erinnert an Martin Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ aus dem Jahr 1520. Luther argumentierte, dass die Entscheidung über das, was Gott wolle, dem Individuum überantwortet sei.14 Luther argumentierte hier jedoch nur in spiritueller Hinsicht, was die Bauern missverstanden. Im weltlichen Regiment lehrte er eine strikte Unterordnung, die keinen Raum für bürgerliche Freiheit ließ.15 Ähnliches gilt für den frühen Melanchthon.16 In seiner Abhandlung vom Amt der Fürsten wird nur von den aus dem Amt folgenden Pflichten und der 10
Z.B. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt. Von den Anfängen der deutschen Staatsrechtslehre bis zur Höhe des staatsrechtlichen Positivismus, (Schriften zum Öffentlichen Recht, 1), Berlin 1958, S. 20 ff. zu Locke, Montesquieu, Rousseau. 11 In diesem Sinne die Zusammenstellung von Dokumenten in J. Brand/ H. Hattenhauer (Hg.), Der Europäische Rechtsstaat. 200 Zeugnisse seiner Geschichte, Heidelberg 1994. 12 S. Marcel Senn, Art. Gesellschaftsvertrag (contrat social), HRG 2. Aufl., 2, 10. Lieferung, Berlin 2009, Sp. 287 – 293. 13 So schon Stolleis, Art. Rechtsstaat, (Anm. 2), Sp. 368. 14 Martin Luther, Von der Freyheyt eynisz Christen menschen, WA 3.7, Weimar 1897, 22 „Czum funfften“. 15 Vgl. John Witte Jr., Law and Protestantism. The Legal Teachings of the Lutheran Reformation, Cambridge 2002, S. 111 f.; Verf., Fragen zur Konfession des Rechts im 16. Jahrhundert am Beispiel des Strafrechts, in: I. Dingel/W.-D. Schäufele (Hg.), Kommunikation und Transfer im Christentum der Frühen Neuzeit, (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz; Beihefte, 74), Mainz 2008, S. 157 – 191. 16 Vgl. Philipp Melanchthon, Loci communes 1521, ed. H. Poehlmann, Gütersloh 1997, 7.13, 292 und 11.16, 374.
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entsprechenden Schuld der Fürsten gehandelt, nicht von Rechten, die zu schützen sind.17 Fündig wird man dagegen bei Jean Calvin, der Luthers Ansatz auch für die Staatslehre fruchtbar machte. Darin wirkten sowohl seine juristische Ausbildung als auch seine praktischen Erfahrung in der Leitung Genfs mit.18 Bereits in der ersten Ausgabe seines Hauptwerks, der „Institutio christianae Religionis“ von 1536,19 findet man Ausführungen zum Wert der Freiheit der Menschen im Staatswesen. Diese Auffassung soll im Folgenden dargestellt und in Beziehung zum frühen Verständnis des Rechtsstaats gesetzt werden. Dabei geht es offensichtlich nicht um die Erfindung eines öffentlichen Rechts20 oder um juristische Dogmatik, sondern um eine neue Theologie, die zu Veränderungen des Menschenbildes führte. Dem sollte sich dann der Staat mit seiner Rechtsordnung anpassen. Dementsprechend muss die Darstellung der Lehre Calvins auch auf sein Bild von Gott und den Menschen eingehen. Erst diese Positionen ermöglichen zu verstehen, wie Calvin die Bedeutung individueller Freiheit als Grundlage des Staates bestimmte. Bisher wurde in diesem Kontext meist die Frage gestellt, inwieweit Calvin die moderne Demokratie geprägt habe. Dazu gibt es seit langem21 eine anhaltende Forschungskontroverse.22 Angeregt wird die Kontroverse durch unterschiedliche Stellungnahmen Calvins, wobei die französische Ausgabe von 1541 die Kritik an der Monarchie eher versteckt, während die letzte lateinische Ausgabe sich klar für
17 Philipp Melanchthon, De officio principum, quod mandatum Dei praecipiat eis tollere abusus Ecclesiasticos, [1539], in: Melanchthons Werke in Auswahl, ed. R. Stupperich, 1, Gütersloh 1951, S. 388 – 410. 18 Zum Überblick s. Christoph Strohm, Recht und Kirchenrecht, in: H. J. Selderhuis (Hg.), Calvin Handbuch, Tübingen 2008, S. 392 – 401 mit weiteren Nachweisen. 19 Zur Entwicklung dieser Schrift vgl. Wilhelm Neuser, Von Zwingli und Calvin bis zur Synode von Westminster, in: C. Andresen (Hg.), Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte, 2, Göttingen 1989, VI. § 2, S. 240 ff. 20 Zu den calvinistischen Anfängen des Ius Publicum vgl. Christoph Strohm, Calvinismus und Recht. Weltanschaulich-konfessionelle Aspekte im Werk reformierter Juristen in der Frühen Neuzeit, Tübingen 2008, S. 318 ff. 21 Einen Überblick vermitteln dazu bereits John T. McNeill, The Democratic Element in Calvin’s Thought, Church History 18 (1949), S. 153 – 171; Winthrop S. Hudson, Democratic Freedom and Religious Faith in the Reformed Tradition, Church History 18 (1949), S. 177 – 194; Hermann Vahle, Calvinismus und Demokratie im Spiegel der Forschung, in: Archiv für Reformationsgeschichte 66 (1975), S. 182 – 212; teilweise zitiert sind die Literaturstimmen in Robert M. Kingdon/Robert D. Lindner, Calvin and Calvinism. Sources of Democracy?, Lexington Mass. 1970. 22 Joachim Staedtke, Calvins Genf und die Entstehung politischer Freiheit, in: Walther Peter Fuchs (Hg.), Staat und Kirche im Wandel der Jahrhunderte, Stuttgart u. a. 1966, S. 100 – 114, 107; Eberhard Busch, Calvin und die Demokratie, [http://wwwuser.gwdg.de/~ebusch/ cdemo.htm, zuletzt 15.10. 2013]; Mario Turchetti, Der Beitrag Calvins und des Calvinismus zur Entstehung der modernen Demokratie, in: M. E. Hirzel/M. Sallmann (Hg.), 1509 – Johannes Calvin – 2009. Sein Wirken in Kirche und Gesellschaft, Zürich 2008, S. 237 – 266.
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eine Aristokratie, am besten mit Elementen der Demokratie versehen, ausspricht.23 Dabei stellte sich Calvin vielleicht auf ein unterschiedliches Publikum ein. Sicherlich ist auch die Fragestellung missverständlich, weil sich der heutige Demokratiebegriff von dem Calvins erheblich unterscheidet.24 Dieses Beispiel lehrt zum einen, dass man mit Widersprüchen im Werk Calvins rechnen muss. Zum anderen illustriert es die Notwendigkeit, auf die Möglichkeit einer sich wandelnden Auffassung Calvins zu achten. In Bezug auf seine Rechtslehre hat dementsprechend schon John Witte zwischen dem jungen und dem reiferen Calvin unterschieden, wobei letzterer stärker integrativ und institutionell gedacht habe.25 Im Folgenden ist daher nicht nur auf die verschiedenen Thesen Calvins, sondern auch auf die Entwicklung seiner Gedanken einzugehen.26
B. Calvins Staatslehre I. Gott als wahrer Herrscher der Welt Ausgangspunkt der Staatslehre Calvins ist die Grundannahme, dass nur Gott allein als wahrer Herrscher der Welt angesehen werden könne.27 Gott schuf die Welt und nimmt nach wie vor bestimmenden Einfluss auf die Entwicklung. Darauf gründet sich in Calvins Lehre eine einfache und logische Verfassung im modernen Sinn: Da nur Gott der wahre Herrscher ist, gibt es auf der Welt nur Menschen, die in verschiedene Positionen gestellt sind und dort ihm zu dienen haben. Dies betrifft nicht nur die weltlichen Herrscher, sondern auch ihre Funktionsträger, als Kollektivsingular Magistrat genannt, zwischen denen kein kategorischer Unterschied mehr bestehen kann: Beide Gruppen müssen je auf ihren Positionen ihren Verantwortungen gegenüber Gott nachkommen. Von dieser Grundannahme aus entwickelt Calvin eine Staatslehre, die in ihren Strukturen so stringent ist wie in ihren Konsequenzen überraschend modern klingt. Doch wenn Gott die Welt beherrscht, muss man danach fragen, wie er seinen Willen den Menschen kundtut bzw. wie die Menschen seine Befehle verstehen können. 23 Nach Harro Höpfl, The Christian Polity of John Calvin, Cambridge 1982, S. 153 ff., fand Calvin erst 1543 zu seiner Vorliebe für die Aristokratie. 24 Darauf wies schon hin Höpfl, The Christian Polity of John Calvin (Anm. 23), S. 159. 25 John Witte Jr., The Reformation of Rights. Law, Religion, and Human Rights in Early Modern Calvinism, Cambridge 2007, S. 56. 26 Zu diesem Zweck werden die verschiedenen Fassungen nach Erscheinungsjahr zitiert und stets ein möglichst früher Beleg für eine Aussage gewählt. Spätere Fassungen werden nur in Einzelfällen zusätzlich aufgeführt, wenn die Stabilität von Gedanken betont werden soll oder Unterschiede aufgezeigt werden. 27 Jean Calvin, Institution de la religion chrestienne [1541], 1 und 4, Paris 1961, c.16, 239: „Le Seigneur donc est Roy des Roys“; dazu schon Gisbert Beyerhaus, Studien zur Staatsanschauung Calvins, Berlin 1910, Reprint Aalen 1973, S. 52 ff.; Josef Bohatec, Calvins Lehre von Staat und Kirche mit besonderer Berücksichtigung des Organismusgedankens, Breslau 1937, Reprint Aalen 1968, S. 184 ff.
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Bevor also auf die Funktion der weltlichen Fürsten und des Magistrats einzugehen ist, muss die Frage der Erkenntnis des göttlichen Willens dargestellt werden. Dabei wird sich zeigen, dass Gott gerade durch die in der Bibel verkündeten Gesetze kein deus absconditus ist. Zwei Umstände verhindern jedoch die Erkenntnis von Gottes Willen. Durch die Ursünde verlor der Mensch zum einen seine Gottesebenbildlichkeit, so dass ihm die Fähigkeit zum Glauben und Gehorsam gegenüber Gott abhanden kam. Selbst seine Vernunft, die Calvin an sich als menschliche Fähigkeit schätzt, wurde dadurch korrumpiert. Die Menschheit ist damit grundsätzlich verdammt.28 Zum anderen gilt dadurch, immer noch Calvin folgend nicht mehr die Klarheit der Rechtsgeltung des Alten Testaments. Durch den Bund mit Israel erwählte Gott dieses Volk zur Errettung und ebenso dessen Samen.29 Das Alte Testament wird damit von Calvin als Ausdruck von Gottes Willen gedeutet, den die Menschen auf diese Weise erfahren können. Da die Menschen nach dem Sündenfall Gottes Willen nicht mehr klar erkennen können, schuf er ihnen ein schriftliches Recht.30 Dank des Alten Testamentes kann sich der Mensch nicht mehr auf Unkenntnis berufen.31 Die Befolgung dieser Gebote der Gerechtigkeit ist schon deswegen eine Pflicht der Menschen, da Gott Gerechtigkeit liebt und der Mensch seinem Schöpfer Dank und Verehrung schuldet. Indem man sein Gesetz einhält, lobt man Gott.32 Gottes Gesetz verlangt zunächst, dass die Menschen Gott lieben. Die vollständige Einhaltung der Gebote der Gerechtigkeit ist dem Menschen dagegen unmöglich, so dass er aus diesem Grund verdammt ist.33 Die Unbedingtheit der Geltung der Regeln des Alten Testaments ist aber durch Christus beendet worden. Zum besseren Verständnis des Gesetzes schickte Gott seinen Sohn als Mittler, als optimus interpres legis.34 Das Neue Testament dient damit dem Verständnis des Alten Testamentes und des einen von Gott mit den Menschen geschlossenen Bundes. Das von Christus interpretierte Gesetz erfüllt dabei nach Calvin – in Übernahme der Lehre von Melanchthon – dreierlei Funktionen:35 Theologisch gesehen warnt es
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Vgl. Wolf-Dieter Hauschild, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte, 2: Reformation und Neuzeit, 3. Aufl. Gütersloh 2005, S. 350. 29 Calvin, Comm. Ps 105.8 und 10 = CR 60, 100 f. 30 Marc-Edouard Chenevière, La pensée politique de Calvin, Genf 1937, Reprint 1970, S. 109. 31 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.3, 198 f. 32 Calvin, Comm. Ps 105.44 = CR 60, 115. 33 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.14, 132 f. 34 Neuser, Von Zwingli (Anm. 19), VI. § 4, 246; vgl. Calvin, Comm. Joh 3.16 = CR 47, 64. Dazu Byung-Ho Moon, Christus Mediator Legis, in: H. J. Selderhuis (Hg.), Calvinus sacrarum literatrum interpres. Papers of the International Congress on Calvin Research, (Reformed Historical Theology, 5), Göttingen 2008, S. 88 – 107. 35 Dazu schon Witte Jr., Reformation of Rights, (Anm. 25), S. 59 f.
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vor den Sünden, es informiert und überführt damit den Sünder.36 Auch wenn Gott das Gesetz mit seinem Finger in die Herzen der Menschen eingeschrieben hat, ist die Einhaltung dem Menschen aufgrund seiner Natur nicht möglich, so dass es in diesem Sinn die Verworfenheit des Menschen anzeigt.37 Im bürgerlichen Gebrauch listet es menschliches Fehlverhalten auf. Zwar kann die Natur des Menschen nicht verbessert werden, doch kann die Furcht vor der angedrohten Strafe vor der Tat zurückschrecken lassen. Schließlich hat das Gesetz sogar die wichtigste Funktion (usus praecipuus), den Menschen auf Christus hin auszurichten bzw. entsprechend zu erziehen (usus paedagogicus bzw. normativus).38 Der Mensch hat damit die Chance, Gottes Willen zu erfahren und sich danach zu richten. Nach Calvin kann man sagen, dass das Gesetz, das zwar weitaus weniger vollständig als die Lehre Christi ist, doch immerhin als eine Anleitung für Kinder zu verstehen ist, während Christus eher für Erwachsene lehrt.39 Das Gesetz als Zuchtmeister auf Gott (Gal 3.24) lässt den Menschen die richtige Verhaltensweise einüben, so dass der Mensch Demut und Gerechtigkeit lernen kann. Das Gesetz kann den Ungläubigen daher als Arznei dienen, obgleich es nicht so vollständig informiert wie Christus selbst. Doch auch diejenigen, die schon im Glauben leben, haben die Unterweisung des Gesetzes nötig. Dabei kann nach Calvin die Befolgung des Gesetzes allein nicht dazu führen, dass sich der Mensch selbst heiligen könnte. Das Gesetz wurde durch Christus überwunden. Damit bildet nicht mehr die Befolgung des konkreten Wortlauts die Aufgabe der Menschen, sondern die pietas und die Liebe Gottes.40 Da Gott in die Herzen schaut, ist nicht die äußere Tat, sondern die innere Einstellung entscheidend. Gute Taten aus den falschen Motiven, etwa Hass, sind Sünden. Was nicht aus dem Glauben geschieht, sondern nur zur Befolgung eines äußeren Gebots dient, ist wertlos. Auch reicht es nicht aus, nur die Laster zu lassen, vielmehr muss man das Gute innerlich wollen.41 Entscheidend ist, dass die Handlung aus Liebe zu Gott erfolgt. Dafür ist das Gesetz durch Christus aufgehoben, so dass das Gewissen frei ist, auf Gottes Willen zu hören. Insoweit kommt es letztlich nur darauf an, dass der Mensch seine Freiheit richtig nutzt. Das Gesetz bleibt für Calvin nur ein Wegweiser auf dem Weg zum Glauben. Doch wegen der Schwäche des menschlichen Verstandes behält Gott die freie Entschei-
36 Jean Calvin, Institutio Christianae Religionis [1536], c.1.49, 61, in: Joannis Calvini Opera selecta, ed. P. Barth, 1, München 1963; ders., Institutionis Christiane Religionis [1559], II.c.7, 326 ff., in: Joannis Calvini Opera selecta, ed. P. Barth, 3, München 1963. 37 Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.1.50, 62. Hier bezieht sich Calvin auf das moralische Gesetz, nicht das Zeremonial- oder Gerichtsgesetz, die nur für eine Zeit und eine Gesellschaft geschaffen sind, vgl. Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.237, 268. 38 Hauschild, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte (Anm. 28), S. 354. 39 Jean Calvin, Comm. zu Joh 4.36, CR 75, 96. 40 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.14, 131. 41 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 204, 206 und 209.
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dung, wen er zur Rettung erwählen will.42 Calvin hält hier eine bisweilen prekäre Balance zwischen der Möglichkeit, vom pädagogischen Gebrauch des Gesetzes zu profitieren einerseits und der notwendigen Freiheit Gottes andererseits, aus freiem Willen, nicht aufgrund der Taten, die Menschen zu erretten. Rechtfertigung findet also nur, wer von Gott erwählt wird. Dabei hat er vor aller Zeit nur eine gewisse Anzahl von Menschen zum Heil bestimmt, dem Rest bleiben Glauben und Errettung versagt.43 Das Gesetz wird daher falsch verstanden, wenn man annimmt, durch seine Befolgung Rechtfertigung erlangen zu können. Vielmehr verleiht Gott durch das Gesetz des einen Bundes die Kindschaft aus Gnaden. Calvin zufolge steht es daher eigentlich schlecht um den Menschen. Zwar kann er durch den rechten Gebrauch des Gesetzes viel von Gott und seinem Willen lernen, doch erzwingen kann er damit nichts. Allerdings ist Gott großzügig und der Mensch kann hoffen, für seine Anstrengungen sowohl im Jenseits als sogar auch schon zu seinen Lebzeiten belohnt zu werden. Erfolg im Leben, sogar seine Annehmlichkeiten, können eine solche Belohnung Gottes darstellen.44 Damit ist der Mensch, wenn er gerettet werden will, aufgefordert, sich mit aller Macht um die Erkenntnis des Gesetzes zu bemühen. Zwar sind durch den Sündenfall sowohl sein Verstand gemindert als auch sein Gewissen des Irrtums fähig.45 Doch mit diesen verbliebenen Möglichkeiten muss er sich anstrengen,46 auch wenn er letztlich nur mit Hilfe Gottes zum Ziel gelangt. Nur die größte Anstrengung, die zu einem sichtbar christlichen Leben führt, kann für Calvin die Hoffnung – niemals aber mehr – begründen, Gottes Willen zu entsprechen und dadurch errettet zu werden. Diese Verpflichtung betrifft dabei nicht nur den allgemeinen Umgang mit den Mitmenschen, sondern gerade auch die soziale Stellung des Menschen. Hier zeigt sich, dass Calvins Lehre nicht nur das geistliche Regiment betrifft, sondern ihm eine Bedeutung für das Leben in der Gesellschaft zukommen soll. Das Gesetz erinnert den Menschen an alle seine Pflichten, gerade auch diejenigen, die mit seinem speziellen Amt, also seiner sozialen Stellung verbun-
42 Vgl. Christian Link, Erwählung und Prädestination, in: M. E. Hirzel/M. Sallmann (Hg.), 1509 – Johannes Calvin – 2009. Sein Wirken in Kirche und Gesellschaft. Essays zum 500. Geburtstag, Zürich 2008, S. 139 – 157; Wilhelm H. Neuser, Prädestination, in: H. J. Selderhuis (Hg.), Calvin Handbuch, Tübingen 2008, S. 307 – 317. 43 Hauschild, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte (Anm. 28), S. 356. 44 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 201; Calvin, Institutionis Christianae Religionis [1559], in: CR 29, ed. G. Baum/E. Cunitz/E. Reuss, Brunsvigae 1864, II.8 n.4, 268 f. 45 Chenevière, La pensée politique, (Anm. 30), S. 73 ff. 46 Chenevière, La pensée politique, (Anm. 30), S. 78 ff. Dies findet sich schon bei Melanchthon, vgl. Verf., Erkenntnis durch ratio und conscientia: Die Begründung einer modernen Wissenschaftlichkeit des Rechts durch Melanchthons Naturrechtslehre, in: Görge K. Hasselhoff/Michael Meyer-Blanck (Hg.), Religion und Rationalität (Studien des Bonner Zentrums für Religion und Gesellschaft, 4), Würzburg 2008, S. 179 – 220.
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den sind.47 Jeder muss daher mit größter Anstrengung die Pflichten erfüllen, die an seine Stellung in der Gesellschaft gestellt werden, um sich die Chance auf Errettung zu erhalten. II. Die Herrscher als lieutenants de Dieu Dies gilt in erster Linie für die Herrscher. Calvin begriff sie nie anders als Vertreter Gottes auf Erden. Sowohl lieutenant als auch vicaire bezieht sich auf eine Hierarchie, in der ein anderer für den Höheren eintreten kann.48 Daher liegt es nahe, die Stellung als Stellvertreter bzw. Leutnant Gottes juristisch zu deuten. Calvin bezeichnete dieses Unterordnungsverhältnis gelegentlich militärisch, häufiger liegt dagegen eine quasi beamtenrechtliche Konnotation nahe: Gott verleiht den Königen Autorität und Würde,49 gelegentlich spricht Calvin sogar von einem Amt, mit dem Pflichten verbunden sind.50 In der Vergangenheit wurde die Stellung der Fürsten teilweise als Vasallenverhältnis zu Gott gedeutet.51 Doch bemerkte Bohatec zutreffend, dass Calvin den König in diesem Zusammenhang nicht als Vasallen bezeichnet.52 Sein Abstellen auf die reine Hierarchie, die an ein Beamtenverhältnis erinnert, ist damit wesentlich moderner als es der Rückgriff auf das Lehnsrecht gewesen wäre. Als Vertretern Gottes schulden die Untergebenen ihren Fürsten Gehorsam.53 Ihre hohe Stellung berechtigt die Fürsten jedoch nicht, ihre Untergebenen als Sklaven zu behandeln.54 Vielmehr müssen sie diese mit „humilité et modestie“ behandeln. Die Herrscher wurden eingesetzt, um Recht zu sprechen und Gerechtigkeit zu schaffen (ut faciant iudicium et iustitiam).55 Ihnen kommt damit die Aufgabe zu, die Bedrückten zu befreien, Fremde, Witwen, Waisen und Unschuldige zu beschützen. Darüber hinaus begreift sie Calvin als Schützer der öffentlichen Ruhe, der Ehre und Mäßigung 47 Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.196, 224; ders., Institutio [1559] (Anm. 44), III.19.2, 614: „In hoc situm est Legis officium, ut eos officii sui admonendo, ad sanctitatis et innocentiae studium excitet.“ 48 Vgl. Verf., Die Entwicklung der juristischen „Stellvertretung“ im Kontext theologischer und juristischer Begrifflichkeiten, in: O. Condorelli/F. Roumy/Verf., Der Einfluss des kanonischen Rechts auf die europäische Rechtskultur, 1: Zivil- und Zivilprozessrecht, (Norm und Struktur, 37.1), Köln/Weimar/Wien 2009, S. 107 – 135, 111 ff. 49 Vgl. Jean Calvin, Sermo zu Joh 31.9, CR 62, 656. 50 Jean Calvin, Sermo zu Deut 25.1 – 4, CR 56, 213 f. 51 L. Cardauns, Die Lehre vom Widerstandsrecht des Volks gegen die rechtmäßige Obrigkeit im Luthertum und im Calvinismus des 16. Jahrhunderts, Diss. Bonn 1903; ihm folgend Beyerhaus, Studien (Anm. 27), S. 88; ähnlich noch Josef Bohatec, Calvin und das Recht, Graz 1934, S. 74; Jean Calvin, Sermo 152 zu Job 39.8 – 21, CR 63, 420 f. 52 Bohatec, Calvins Lehre (Anm. 27), S. 186. 53 Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.242, 273: „ut Dei ministros ac legatos.“ 54 Jean Calvin, Sermo zu Joh 31.9, CR 62, 656: „c’est qu’en premier lieu ceux qui sonst eslevez en quelque dignité cognoissent que Dieu ne les a point là mis pour se lascher la bride à molester les autres, et à leur tenir le pié sur la gorge: mais qu’il faut qu’ils se retiennent tousiours en humilité et modestie.“ 55 Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.233, 263.
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(modestia), des Gemeinwohls und des Friedens.56 Damit schaffen sie vor allem Ordnung.57 Dabei ist ihre Aufgabe nicht nur repressiver Natur, sondern auch präventiver: Im Vorfeld von Unrecht sollen sie tätig werden, um es zu verhindern. Schon in der Widmung des Werks, die in allen Auflagen François Ier gilt, wird der König als Vorbild der Tugenden bezeichnet, insbesondere des Mitleids, der Zucht, Güte, Selbstbeherrschung, Geduld und Bescheidenheit.58 Die hochgestellte Funktion gibt ihnen das Amt, andere zu belehren. Sie müssen guten Charakters sein, um als Exempel für andere zu dienen. Die Vertreter Gottes auf Erden haben damit für Calvin eine überaus wichtige Bedeutung für das Heil der Menschen. Sie sind eingesetzt, um durch die Aufrechterhaltung der Ordnung dem Gemeinwohl zu dienen (bien commun).59 Wiederholt haben die Interpreten von Calvins Pathos für die Ordnung gesprochen.60 Angesichts der Schlechtigkeit der Menschen ist diese Aufrechterhaltung der Ordnung notwendig zum Überleben der Menschen. Indem die Obrigkeit Gerechtigkeit herstellt, realisiert sie das Gesetz Gottes. Sie ist daher der Wächter der Gesetze.61 Gleichzeitig lebt sie es vor und leitet somit ihre Untertanen an. Die Unschuldigen werden so angelernt, den Glauben aufzunehmen, zu umarmen, zu schützen, zu verteidigen und zu befreien.62 Die Monarchen sind damit ein Abbild der göttlichen Vorsehung, von Gottes Güte, seiner Freundlichkeit und Gerechtigkeit.63 Vor allem aber ist die Ordnung für ein gottgefälliges Leben ebenso erforderlich wie die Nahrung. Sie sichert die Sicherheit und öffentliche Ordnung (tranquilité publique) und verhindert, dass die Menschen zu ihrem Überleben in der Gesellschaft Sünden begehen müssen.64 Ohne Obrigkeit gibt es überhaupt keine Chance, ein gottgefälliges Leben zu führen.
56 Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.233, 263: „Videmus ergo publicae innocentiae, modestiae, honestatis ac tranquillitatis protectores statui ac vindices, quibus studium unum sit, communi omnium saluti ac paci prospicere.“ 57 Jean Calvin, Sermo zu Joh 31.9, CR 62, 656: „Mais ç’a esté afin qu’il y eust quelque ordre entre le genre humain, et quelque police.“ 58 Calvin, Institutio [1536], Widmung an François Ier, CR 29 (opp.1), 26: „vita nostra castitatis, benignitatis, misericordiae, continentiae, patientiae, modestiae, et virtutis cuiusvis exemplum esse possit.“ 59 Jean Calvin, Sermo 113 zu Job 31.9, CR 62, 656: „Dieu n’a-il pas establi les principautez et les royaumes pour le bien commun?“ 60 Josef Bohatec, Calvin und das Recht (Anm. 51), S. 62; ders., Calvins Lehre von Staat und Kirche mit besonderer Berücksichtigung des Organismusgedankens, Breslau 1937 2., Reprint Aalen 1968, S. 167, 245; zur Nützlichkeit des Staates auch Chenevière, La pensée politique, (Anm. 30), S. 140 ff. 61 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 201. 62 Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.234, 264 „Iustitia quidem est, innocentes in fidem suscipere, complecti, tueri, vindicare, liberare.“ 63 Calvin, [1541] (Anm. 27), c.16, 204: „[…] de representer aux hommes, en tout leur faict, comme une image de la providence, sauvegarde, bonté, doulceur, et Justice de Dieu.“ 64 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 200.
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Die Menschen, die von Gott als Könige eingesetzt wurden, üben Calvin zufolge ihre Funktion in ihrer Verantwortung gegenüber Gott und den Menschen aus. Ihr Amt können sie allerdings nur mit Gottes Hilfe erfüllen, denn er bleibt die Quelle jeder Gerechtigkeit und Wahrheit.65 Monarchen, die den Pflichten ihres Amtes nachkommen, helfen den Menschen dabei, den Weg des Gesetzes zu gehen und sich Gott zu nähern. Insoweit haben die Fürsten eine Berufung. Ihr Amt ist nicht nur hilfreich, sondern sogar nötig66 sowohl zum Überleben als auch für die Chance auf ein christliches Leben. Soweit sie sich bemühen, nach Gottes Willen zu regieren, können sie darauf vertrauen, in ihren Entscheidungen von Gott unterstützt zu werden. Dafür dürfen sie sich nicht irgendwelchen Launen hingeben, sondern müssen versuchen, mit Milde und ohne übertriebene Grausamkeit zu herrschen.67 Trotzdem müssen sie ständig weiter Gott fürchten68 und sich daran erinnern, dass sie als vicarios ihm zur Rechenschaft verpflichtet sind.69 Als Vertreter und Diener Gottes70 haben die Könige klar umrissene Aufgaben. Da das Moralgesetz überall gilt,71 müssen sich ihre Anweisungen konsequenterweise in diesem Rahmen halten. Neben der Einhaltung der göttlichen Liebesgebote ist vor allem für die Frömmigkeit zu sorgen.72 Der König soll das Bild der göttlichen Vorsehung wiedergeben und dadurch Güte, Freundlichkeit und Gerechtigkeit lehren.73 Nach den Maßgaben der zweiten Tafel hat er Recht und Gerechtigkeit zu wahren, Fremde, Witwen und Waisen sowie die Armen und Unschuldigen schützen. Die Herrschaft dient gleichzeitig dem Ideal der humanité74 und darf nicht grausam werden. Die Fürsten müssen Gericht halten und Gerechtigkeit walten lassen und dabei jedem sein Recht zukommen lassen, also die aequitas verwirklichen. Gleichzeitig müssen sie in der Bestrafung Härte zeigen.75 Wird die Herrschaft jedoch grausam, dann ist sie zugleich auch eine ungerechte Tyrannei. Grausam ist es vor allem, 65 Jean Calvin, Sermo zu Deut 25.1 – 4, CR 56, 213 f „Voila Dieu qui est la fontaine de toute iustice et de toute verité, c’est luy qui en est le garant. Or il attribue cest office ici aux hommes, il les constitue en son lieu.“; Jean Calvin, Comm. Ps 72.4, CR 59, 665 f.: „non aliter fieri ut se contineant reges in iustitia et aequitate, nisi per Dei gratiam: quia ubi non praeest e coelo spiritus rectitudinis, omne imperium in tyrannidem et latrocinium vertitur.“ 66 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 203: „Une vocation, non seulement saincte et legitime devant Dieu, mais aussi tressacrée et honorable entre toutes les autres.“ 67 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 212 f. 68 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 204: „Maintenant donc la crainte de Dieu soit sur vous, et regardez de faire comme il appartient.“ 69 Calvin, Institutio [1559] (Anm. 44), IV.20 n.6, 1096. 70 Calvin, Institutio [1559] (Anm. 44), IV.20 n.4, 1095. 71 Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.237, 268. 72 Calvin, Institutio [1559] (Anm. 44), IV.20 n.9, 1099. 73 Calvin, Institutio [1559] (Anm. 44), IV.20 n.5, 1096; zu den Aufgaben des Herrschers auch Bohatec, Calvins Lehre, (Anm. 27), S. 241. 74 Vgl. als Ziel der Strafrechtspflege bei Jean Calvin, Sermo zu Deut 25.1 – 4, CR 56, 222. 75 Jean Calvin, Lectura zu Jer. 22.1 – 3, CR 66, 372: „severitas in poenis exigendis.“
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der einfachen Bevölkerung ihr tägliches Brot zu nehmen,76 denn der Herrscher ist vor allem zum Schutz der Armen und Schwachen eingesetzt.77 Gerechtigkeit darf nicht mit übertriebener Strenge gehandhabt werden. Jedoch darf der Fürst auch nicht durch ein abergläubisches Haschen auf den Anschein der Milde von der gebotenen Strafe absehen und dabei in eine höchst grausame, falsche Menschlichkeit verfallen.78 Daneben gibt es weitere klare Gesetzesinhalte: Gewalttaten gegen Menschen79 sind ebenso verboten wie Diebstahl und Falschaussagen.80 Zum Zweck der Abwehr äußerer Gefahren darf der König aber Krieg führen und dafür die Hilfe seines Volkes in Anspruch nehmen, ebenso darf er Steuern erheben.81 Seine Kompetenzen werden hier in sehr engen Grenzen definiert, so dass anzunehmen ist, dass die Aufzählung abschließend in Anlass und Modalitäten gemeint ist. Die Befehle des Königs binden nach Calvin allerdings nicht mehr, wenn sie gegen die Religion verstoßen, denn vorrangig sind die Menschen an Gott und seine Gebote gebunden.82 Diese kann kein König aufheben. Verstoßen seine Anordnungen dagegen, sind diese nichtig. Wer daher solche nichtigen Befehle missachtet, lehnt sich auch nicht gegen die Autorität des Königs auf.83 Gleiches gilt, wenn die Befehle barbarisch oder unsinnig sind.84 Der König büßt auf diese Weise seine Herrschermacht ein und wird zum einfachen Mann.85 Daraus folgt nach Calvin jedoch kein Widerstandsrecht für das Volk.86 Der König wurde von Gott eingesetzt und Gott allein hat das Recht, ihm sein Amt wieder zu nehmen. Da jede Herrschaft von Gott stammt, ist es egal, wie der König an das Amt gelangte und ob er ein Usurpator ist.87 Ein König kann zwar zum Tyrann werden,
76 Jean Calvin, Lectura zu Jer. 22.13 – 14, CR 66, 383: „Nihil autem crudelius est, quam fraudare laboris sui fructu, miseros homines, qui in diem victitant ex suo labore.“ 77 Jean Calvin, Comm Ps 82.3, CR 59, 770 : „Hoc si regibus et aliis iudicibus solide persuasum esset, se tutores pauperibus esse datos, ut se iniuriis opponant, compescantque omnem iniustam violentiam, vigeret ubique summa rectitudo.“ 78 Calvin, Institutio [1559] (Anm. 44), IV.20 n.10, 1102. 79 Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.234, 264: „Occidere lex Domini prohibet, at ne impunita sint homicidia, gladium in manum suis ministris dat Dominus, quem in homicidas omnes exerant.“ 80 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 219: „La loy de Dieu deffend de desrober, faulx tesmoingage, homicide.“ 81 Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.235, 266/ VI.236, 267. 82 Staedtke, Calvins Genf (Anm. 22), S. 101, mit Hinweis auf Calvin, Institutio [1559] (Anm. 44), I.7.4, 59. 83 Jean Calvin, Comm. Acta 17.7, CR 76, 398. 84 John T. McNeill, Democratic Element, (Anm. 21), S. 159. 85 Vgl. Witte Jr., Reformation of Rights (Anm. 25), S. 51. 86 Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.246 und 247, 278 f.; vgl. dazu auch Robert von Friedeburg, Widerstandsrecht und Konfessionskonflikt, Berlin 1999, S. 46 ff. 87 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 206.
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also zum Prototyp ungerechter Herrschaft, dennoch bleibt er ein Vertreter Gottes.88 Keine drei Tage könnte sich ein König ohne Gottes Willen an der Macht halten. Damit ist er stets wie ein Gott zu behandeln, seine Regierung bleibt stets Gottes Werk.89 Widerstand gegen die Könige ist damit immer auch ein Widerstand gegen Gott.90 Man kann nur darauf vertrauen, dass das Königreich des ungerechten Monarchen untergehen wird bzw. Gott einschreiten wird.91 Calvins Lehre schürt noch viel stärker als die Möglichkeit einer göttlichen Intervention die Furcht der Könige vor der ewigen Verdammnis. Die schrecklichen Beispiele der Vergangenheit sollen sie abschrecken, sich gegen Gott zu versündigen.92 Immer wieder setzte sich Calvin mit Beispielen königlicher Fehler auseinander.93 Könige dürfen sich nicht Lustbarkeiten hingeben, sondern sollen über Gottes Gesetz nachdenken.94 Calvin schärfte den Königen ein, Gott zu fürchten, dem sie für ihre Taten Rechenschaft abzuleisten hätten.95 Ein König darf nichts unternehmen, wenn er dabei sein gutes Gewissen gegenüber Gott verliert.96 III. Der Magistrat Der Magistrat ist Hüter und Bewahrer der Gesetze,97 ihm wird Gehorsam geschuldet. Der Ausdruck bezieht sich damit sowohl auf den Monarchen als auch auf eine Schicht Herrschaft ausübender Funktionäre. Die Möglichkeit des Missbrauchs der Monarchie führt Calvin dazu, über die Vorzüge der Staatsformen zu sprechen.98 In den lateinischen Fassungen gibt er klar der Aristokratie den Vorzug, am besten
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Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.232, 263. Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 201 f. 90 Beispiele bei Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.244, 275 f.; ders., Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 205; ders., Institutio [1559] (Anm. 44), IV.20.26, 1112; ders, Comm. zu Ps 7. 8 = CR 59, 82, zu Saul. 91 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 209; dazu schon Beyerhaus, Studien (Anm. 27), S. 94. 92 Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.247, 279. 93 Für John T. McNeill, Democratic Element, (Anm. 21), S. 159, stellt Calvins Sermo zu Job [1554], CR 61 – 63, eine Liste typischer Fehlverhalten der Könige dar; im Sermo zum Deuteronomium [1554 – 5], CR 53 – 57, beschreibt er königliche Bösartigkeit, im Sermo zu Daniel [1561], CR 68 – 69, zeigt er Darius, der durch Schmeichelei vom Adel abhängig wurde. 94 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 208. 95 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 204 „[…] ilz sont comme Lieutenans de Dieu, auquel ilz auront à rendre compte de leur charge.“ 96 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 216. 97 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 201: „gardien et conservateur des loix.“ 98 Dazu bereits Beyerhaus, Studien (Anm. 27), S. 109 f.; Bohatec, Calvins Lehre (Anm. 27), S. 159 ff. 89
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mit demokratischen Elementen gemischt.99 Da der König zu einem Tyrann werden und seine Alleinherrschaft das Volk zum Abfall (seditio) bewegen kann,100 beinhaltet diese Staatsform für beide Seiten das Risiko, sich gegen Gottes Herrschaft zu versündigen. Daher sei die Verteilung der Herrschaft auf mehrere besser. Vorzugswürdig sei weiterhin die Wahl der Herrschenden.101 In der französischen Fassung wurde dies vorsichtiger formuliert: Hier fällt vor allem die Behauptung auf, dass königliche Herrschaft immer legitim sei, da sie stets Gottes Willen entspreche.102 Doch letztlich ist es immer Gottes Wille, wer regiert. Die Funktionäre der Fürsten üben wie Könige die Herrschaft als Vertreter Gottes aus. Es gibt daher zwischen ihnen nur einen graduellen Unterschied im Hinblick auf den Rang und die Macht, jedoch sind beide zu den gleichen Zielen der Herrschaft verpflichtet. Egal ist es daher, ob die Magistrate ihre Macht im Namen eines Königs oder in eigenem Namen ausüben, sind sie als Regierende dazu verpflichtet, Gottes Willen für die Welt umzusetzen.103 Gott verlieh ihnen wie den Monarchen ihre Macht,104 um Gerechtigkeit zu schaffen und als Vorbild zu dienen. Calvin bezeichnet daher auch die Magistrate als Landesväter, Hirten des Volkes, Wächter des Friedens, Schützer der Gerechtigkeit, Bewahrer der Unschuld.105 Sie schulden dem Volk Schutz, gegebenenfalls auch gegen ungerechte Monarchen,106 ebenso gegenüber jeder Schlechtigkeit und Ungerechtigkeit.107 Damit erhalten sie die menschliche Gesellschaft, letztlich sichern sie damit das Überleben der Menschen.108
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Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.232 f., 263. Nach Chenevière, La pensée politique, (Anm. 30), S. 226, wurde Calvin im Laufe der Zeit, abhängig von den zunehmenden Verfolgungen in Frankreich, kritisch gegenüber der Monarchie. 100 Zur seditio-Lehre in der Jurisprudenz s. David v. Mayenburg, Ubi est incolumitas, ibi sana est forma doctrina – Aufruhr und Revolte im kanonischen Recht, in: O. Condorelli/ F. Roumy/Verf., Der Einfluss des kanonischen Rechts auf die europäische Rechtskultur, 2: Öffentliches Recht, (Norm und Struktur, 37.2), Köln/ Weimar/ Wien 2010. 101 John T. McNeill, Democratic Element, (Anm. 21), S. 159 mit Hinweis auf Calvin, Sermo zu Deuteronomium [1555 – 6], CR 53 – 57; Staedtke, Calvins Genf (Anm. 22), S. 106. 102 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 207 „Car si c’est son plaisir de constituer Roys sur les Royaumes et sur les peuples libres autres supérieurs quelconques, c’est à nous à faire de nous rendre subjectz et obéissans […];“ Calvin, Institutio [1559] (Anm. 44), IV.20 n.8, 1098. 103 Zum Zweck des Staates s. bereits Bohatec, Calvins Lehre (Anm. 27), S. 164 ff. 104 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 201. 105 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 229: „Père du païs, lequel il gouverne, pasteur du peuple, gardien de paix, protecteur de justice, conservateur d’innocence, […].“ 106 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 238 f. 107 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 221: „[…] deffenduz contre la mauvaistié et injustice des iniques et que subz leur sauve garde nous vivions paisiblement.“ 108 Bohatec, Calvins Lehre (Anm. 27), S. 168 mit weiteren Nachweisen.
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Somit müssen sie sowohl repressiv als auch präventiv tätig werden. Sie halten das Schwert Gottes in der Hand, um es einerseits etwa gegen die Mörder einzusetzen.109 Ihre Aufgabe besteht insoweit vornehmlich in der Bestrafung.110 Indem sie die gebotene Strafrechtspflege ausüben, kommen sie so Gottes eigener Rache zuvor, welche wie Sodom und Gomorra den ganzen Staat bedrohen würde.111 Andererseits dürften die Magistrate nicht erst handeln, wenn Schaden entstanden ist, sondern sollen die Ruhe in der Gesellschaft bewahren und diese dadurch möglichst vor Verletzungen und Schäden schützen. Ziel ihrer Tätigkeit ist damit, Recht und Billigkeit zu wahren.112 Da sie das Gesetz durchsetzen sollen, könne man sie als die Seele des Gesetzes bezeichnen.113 Vor allem die Richter sind als Vertreter Gottes an die Gerechtigkeit gebunden. Sie müssen ständig daran denken, als Organ der Wahrheit Gottes zu fungieren.114 Sollten sie versagen, wird ihre Bestrafung viel grausamer als ihre eigene Handlung sein.115 In seinem Kommentar zu Deut 25.1 – 4 findet sich geradezu ein kleiner „Richterspiegel“, der höchst moderne Vorstellungen der Strafrechtspflege vertritt. Dabei bezieht Calvin insbesondere gegen übermäßige Strafen und Verstümmelungsstrafen Stellung: – Calvin zitiert Deut 25.1, um eine Bestrafung nach Maßgabe der Schwere der Straftat zu fordern.116 Je nach Straftat müsse die Strafe einmal leichter, ein anderes Mal schwerer ausfallen.117 Abzustellen sei dabei auf die Absicht Gottes, nach der die Strafgesetze mithin zu interpretieren sind.118 Trotz der grundsätzlich notwendigen Strenge der Strafrechtsjustiz muss im Einzelfall Mäßigung herrschen.119
109 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 209 f. „le Seigneur met la glaive en la main de ses ministres, en user contre les homicides.“ 110 Jean Calvin, Comm. zu Röm 4, CR 77, 78 ; ders., Sermo zu Deut 25.1 – 4, CR 56, 211 „Dieu a ordonné les Magistrats, à ce qu’ils repriment tous malefices, et qu’ils ne permettent point que les iniures et violences se commettent, qu’il n’y ait punition.“ 111 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 224. 112 Jean Calvin, Sermo zu Deut 25.1 – 4, CR 56, 211: „que droict et equité regne.“ 113 Jean Calvin, Sermo zu Deut 25.1 – 4, CR 56, 216: „ames des loix.“ 114 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 203: „En quelle hardiesse prononceront-ilz sentence injuste de leur bouche, laquelle ilz congoistront estre destinée pour estre organe de la vérité de Dieu?“ 115 Jean Calvin, Sermo 113 zu Job 31.9, CR 62, 656. 116 Jean Calvin, Sermo zu Deut 25.1 – 4, CR 56, 215:„Que le meschant sera condamné selon son demerite.“ 117 Calvin, Sermo zu Deut 25.1 – 4, CR 56, 220. 118 Calvin, Sermo zu Deut 25.1 – 4, CR 56, 219: „regarde à l’intention de Dieu.“ 119 Calvin, Sermo zu Deut 25.1 – 4, CR 56, 219 f.: „Dieu veut que la rigueur de iustice s’observe, voire avec telle moderation qu’il appartient.“
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– Die Strafe darf dabei den Körper des Straftäters nicht verstümmeln oder verunstalten, vielmehr soll seine körperliche Integrität erhalten bleiben.120 Damit kennt er ein Argument gegen die Todesstrafe, um dem Menschen durch sein Weiterleben die Chance auf eine Besserung zu erhalten.121 – Als Maßstab verweist Calvin auf verschiedene Ansatzpunkte. Einerseits muss jede Bestimmung der Strafe raisonnable sein.122 Ebenso war jede Grausamkeit, jede Misshandlung ausgeschlossen.123 Auch in der Strafjustiz ist also der Grundsatz jeder Regierungstätigkeit, die Humanität, zu wahren.124 Hier findet man die großen Themen der Strafrechtsreform der Aufklärung präfiguriert: die Forderung nach rationaler Bestimmung der Strafen, nach Proportionalität zwischen Straftat und Strafe sowie nach mehr Menschlichkeit. Auch der Gesichtspunkt des Nutzens einer Strafe für die Gesellschaft wird bereits angesprochen.125 Diese spätere Diskussion seit Montaigne kann man eigentlich sogar erst richtig begreifen, wenn man sie auf Calvin bezieht.126 Warum die Grausamkeit als ein so verabscheuenswürdiges Laster der Herrschaft gilt, wird erst durch diese religiöse Deutung wirklich verständlich. Die Gebote der Magistrate sind ebenso wie die von Herrschern nichtig, wenn sie gegen die Religion verstoßen. Der Magistrat darf ebenso wenig wie Fürsten gottgegebene Rechte schmälern oder aufheben. Verstößt er jedoch dagegen, kann man die Anordnungen der Obrigkeit insoweit missachten, weil sie rechtlich nicht bindend sind.127 Soweit sich der Magistrat gegen Gott auflehnt, verliert er seine Ehren.128 Gegen den Magistrat gibt es für die Untertanen also ebenso wenig ein Widerstands120
Calvin, Sermo zu Deut 25.1 – 4, CR 56, 216: „Afin que l’homme ne soit point mutilé ou deffiguré en son corps, qu’il demeure en son entier.“ 121 Calvin, Sermo zu Deut 25.1 – 4, CR 56, 219: „Dieu veut que cela soit ainsi puni, et qu’on ne laisse point eschapper le malfaicteur.“ 122 Calvin, Sermo zu Deut 25.1 – 4, CR 56, 218: „Faut y aller avec mesure raisonnable“. Diese Stelle belegt noch eindringlicher, dass schon Calvin für die Besserungsstrafe und letztlich gegen die Todesstrafe eingestellt war, in diese Richtung bereits – ohne diese Belegstelle zu kennen – Verf., Metanoia. Die Reformation und der Strafzweck der Besserung, in: R. Schulze/Th. Vormbaum/Chr. Schmidt/N. Willenberg (Hg.), Strafzweck und Strafform zwischen religiöser und weltlicher Wertevermittlung, (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesystem, 25), Münster 2008, S. 29 – 58. 123 Calvin, Sermo zu Deut 25.1 – 4, CR 56, 220 f. 124 Calvin, Sermo zu Deut 25.1 – 4, CR 56, 222: „Dieu nous declaire, qu’il nous faut traitter en telle humanité ceux qui labourent pour nous, Qu’ils ne soyent point grevez autre mesure.“ 125 Vgl. Verf., Humanität und Staatsraison. Die Abschaffung der Folter in Europa und die Entwicklung des gemeinen Strafprozeß- und Beweisrechts seit dem hohen Mittelalter, (Norm und Struktur, 114), Köln/Weimar/Wien 2000, S. 459 ff. zur Proportionalität und den Strafzwecken. 126 Verf., Humanität und Staatsraison (Anm. 125), zu Montaignes Argument der Grausamkeit, S. 125 ff., 495 ff. allgemein zum Topos der Grausamkeit. 127 Dazu schon Witte Jr., Reformation of Rights (Anm. 25), S. 65 – 67. 128 Jean Calvin, Comm. zu Act 5.29, CR 76, 109.
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recht wie gegenüber Fürsten.129 Dafür gibt es die Pflicht der Magistrate, sich gegen den Fürsten aufzulehnen, wenn seine Herrschaft gegen Gottes Gebote verstößt.130 Magistrate dürfen sich daher ebenso wenig wie Könige ihren Launen hingeben, vielmehr müssen sie sich vor Zorn, Hass und allzu großer Härte hüten.131 Ihre Entscheidungen haben mit der aequitas übereinzustimmen. Gesetze sind daher nicht unterscheidungslos anzuwenden.132 Beständig soll die Obrigkeit an die Pflichten ihres Amtes gegenüber der Gesellschaft, vor allem aber gegenüber Gott nachdenken. Die Furcht vor Gottes Rache an ungerechten Entscheidungen kann ihnen dabei ein guter Ansporn sein.133 Herrschaft betrifft damit nach Calvin nicht nur die Entscheidungen der großen Politik, sondern alle Handlungen derjenigen, die mit Macht ausgestattet sind. Jede Handlung eines Menschen, der insoweit zur Obrigkeit gehört, muss den Zielen der Herrschaft dienen. Jede Ungerechtigkeit betrifft dabei nicht nur die Gesellschaft, sondern ebenso den Entscheidungsträger selbst, der insoweit seinen Amtspflichten nicht nachkommt und damit eine Ungerechtigkeit begeht, die ihm die ohnehin vage Chance der Rechtfertigung nimmt. Vor diesem eschatologischen Hintergrund kann man vielleicht verstehen, warum calvinistische Amtsinhaber von größerer Unruhe erfüllt und eher bereit waren, Änderungen in der Gesellschaft vorzunehmen, wenn dies als Wille Gottes verstanden wurde.134 IV. Die Gesetze Das Staatswesen setzte sich für Calvin aus drei Komponenten zusammen: Neben Volk und Magistrat trat das Gesetz.135 Die Gesetze seien die Nerven bzw. die Seele aller Gemeinwesen.136 Man könne sie auch als stumme Obrigkeit oder die Magistrate als redendes Gesetz begreifen. Damit sind die Gesetze Teil der Obrigkeit und erfüllen die gleiche Funktion wie diese. Sie dienen damit der Sicherung der Ordnung, Gerech-
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Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.243, 274 f. Dazu auch David T. Ball, The Historical Origins of Judicial Review, 1536 – 1803, Lewiston N.Y. 2005, S. 50 f. 131 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 213. 132 Vgl. Witte Jr., Reformation of Rights (Anm. 25), S. 67. 133 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 203: „Ce que doivent continuellement penser les Magistratz; veu que ceste cogitation leur peut estre un bon esguyllon, pour les piquer à faire leur devoir, […].“ 134 Vgl. etwa die größere Bereitschaft von Calvinisten, gegen die Folter vorzugehen, s. Verf., Humanität und Staatsraison (Anm. 125), S. 551 – 559. 135 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 201. 136 Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.237, 267: „Leges, validissimi rerum publicarum nervi, vel, quomodo a Cicerone vocantur, animae, sine quibus consistere nequit magistratus, […]“; ders., Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 216 „les loix, qui sont vrais nerfz ou […] „âmes de toutes Republiques“.“ 130
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tigkeit und Frieden und sollen sowohl repressiv wie präventiv den Zustand des Gemeinwesens verwirklichen, der für ein christliches Leben dienlich und anregend ist. Hierbei spielt die menschliche Freiheit für Calvin allerdings eine besondere Rolle. Nur das Sittengesetz (lex moralis) sei für alle Menschen gleich. Dieses könne mit der aequitas137 und dem ius naturale gleichgesetzt werden; Calvin unterscheidet hierbei nicht genau.138 Als Ausdruck des Naturrechts und inhaltlich im Wesentlichen identisch mit den 10 Geboten ist es im Herzen der Menschen eingeschrieben.139 Vom Moralischen Gesetz, das der Verehrung Gottes gilt, werden das Zeremonial- und das Gerichtsgesetz getrennt.140 Das Zeremonialrecht hat dabei eine erzieherische Funktion, um die Gerechtigkeit zu erlernen; das Gerichtsgesetz dient dem friedlichen Zusammenwohnen im Gemeinwesen.141 Beide werden von der Gesellschaft geschaffen und gelten nur in ihrer Zeit und ihrer Kultur. Erneut wird deutlich, wie vielfältig der Begriff des Gesetzes bei Calvin genutzt wird.142 Damit hat jede Gesellschaft wieder die Aufgabe, die für sich passenden Gesetze auf der Ebene des Zeremonial- und Judizialgesetzes zu schaffen. Fremde Gesetze taugen nicht im eigenen Land143 und können daher nicht einfach übernommen werden. Das positive Recht muss von der Obrigkeit immer wieder neu nach den Anforderungen von Zeit und Raum formuliert werden.144 Hierin aktualisiert sich besonders das Gestaltungspotential, das der Herrschaft zukommt. Insoweit hat jede Obrigkeit auch die Freiheit, solche Gesetze zu schaffen.145 Nicht nur die Gerichtsentscheidung, auch und gerade diese grundsätzlichen Entscheidungen zur Einrichtung des Gemeinwesens obliegen dem Amt der Herrschenden. Als Gesetzgeber sind die Herrschenden zwar nicht an die bestehenden Gesetze gebunden, hier griff Calvin die römische Maxime des princeps legibus solutus
137 Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.238, 269: „Aequitas, quia naturalis est, non nisi una omnium esse potest; ideo et legibus omnibus, pro negotii genere, eadem proposita esse debet.“ 138 So schon John T. MacNeill, Editor’s Introduction, in: John Calvin, On God and Political Duty, Indianapolis/New York 1956, S. xvi; ähnlich Beyerhaus, Studien zur Staatsanschauung Calvins (Anm. 27), S. 66 f. zu ordo naturae und ius natuae. 139 So auch Chenevière, La pensée politique, (Anm. 30), S. 69 f.; John T. McNeill, Democratic Element, (Anm. 21), S. 158. 140 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 217. 141 Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.237, 268. 142 So auch Cornelis P. Venema, Accepted and Renewed in Christ. The „Twofold Grace of God“ and the Interpretation of Calvin’s Theology, (Reformed Historical Theology, 2), Göttingen 1997, S. 229 f. 143 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 216. 144 Dazu Chenevière, La pensée politique, (Anm. 30), S. 99 ff. 145 Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.238, 269: „libertas certe singulis gentibus relicta est condendi quas sibe conducere providerint leges, […]“; ders., Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 218: „liberté est laissée à toutes nations de se faire telles loix.“
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auf.146 Jedoch sind sie darauf festgelegt, Gottes Willen und damit das Gemeinwohl zu verwirklichen. Als lebendes Gesetz verkörpern sie geradezu das Gesetz Gottes, dem sie zu dienen bestimmt sind.147 Umso mehr betont Calvin die Verpflichtung der Herrschenden, die Ziele des Gemeinwesens mit den Mitteln der Gesetzgebung zu erreichen, insbesondere Sicherheit und öffentliche Ordnung. Insoweit kommt den Gesetzen die gleiche grundlegende Funktion wie den Magistraten zu. Mehrfach spricht Calvin in diesem Kontext von der konstitutiven Funktion der Gesetze148 bzw. nutzt diesen Wortstamm in diesem Zusammenhang.149 Diese Gesetze, durch die das Gemeinwesen regiert wird, werden daher teilweise auch constitutiones genannt,150 ohne dass man diesen älteren Begriff aufgrund einer modernen Verwechslung als Verfassung deuten darf. Immerhin ist es aber die Aufgabe der Gesetzgeber, dem Staatswesen eine festgelegte Gestalt zu geben, die der aequitas und der Aufgabe der Herrschaft entspricht. Dabei gibt es durchaus Inhalte, die direkt aus Gottes Willen folgen. Die oben beschriebenen Verpflichtungen des Magistrats ergeben die Formulierung eines kleinen Strafgesetzbuchs. Im Übrigen müssen sie Gottes Gesetz interpretieren. Dabei dürfen sie nicht am Wortlaut kleben, sondern sollen den Sinn des Gesetzes erfassen. Sie dürfen sich im Verständnis des Gesetzes von ihrer Erfahrung leiten lassen.151 Dennoch bleibt es nach Calvin dem Magistrat aufgrund seiner menschlichen Schwächen notwendigerweise unmöglich, das Gesetz Gottes vollkommen zu erfüllen.152 Angesichts der Größe der Aufgabe und der menschlichen Unfähigkeit, sie zu erledigen, müssen Todesangst und Verzweiflung die Obrigkeit erfüllen.
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Dazu schon Bohatec, Calvins Lehre (Anm. 27), S. 36 ff. Calvin, Institutio [1559] (Anm. 44), IV.22, 1110. 148 So etwa Calvin, Christianae Religionis Institutio [1536], in: CR 29, ed. G. Baum/ E. Cunitz/E. Reuss, Brunsvigae 1864, c.5, 226: „neque politia ulla satis firma est, nisi certis legibus constituta.“ 149 Dazu schon Bohatec, Calvins Lehre (Anm. 27), S. 35 (mit weiteren Nachweisen), S. 109 f. 150 Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.238, 269: „Constitutiones, quia circumstantias adnexas habent, a quibus pro parte pendeant, modo in eundem aequitatis scopum omnes pariter intendant, diversas esse nihil obest.“ Zum Verfassungsdenken bei Calvin s. den Beitrag von Jörg Luther in diesem Band. Heinz Mohnhaupt, in: ders./Dieter Grimm, Verfassung. Zur Geschichte des Begriffs von der Antike bis zur Gegenwart, (Schriften zur Verfassungsgeschichte, 47), Berlin 1995, S. 34 f. geht erst auf spätere Juristen ein, ebenso zu den Calvinisten Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 1, 1600 – 1800, München 1988, S. 105 ff. 151 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.3, 207 f. 152 Calvin, Institutio [1559] (Anm. 44), II.8 n.3, 268. 147
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V. mutua obligatio Noch in einer anderen Hinsicht betonte Calvin die Bindung der Herrschenden. Weil das Ziel der Herrschaft die Förderung der Bürger im Glauben ist, liegt nicht nur eine Verpflichtung gegenüber Gott als wahrem Souverän vor, sondern ebenso eine Bindung gegenüber der Bevölkerung. Mehrfach spricht Calvin von einer gegenseitigen Verpflichtung (mutua obligatio/obligation mutuelle) im Herrschaftsverhältnis, indem dieses ihnen nicht nur Rechte verleiht, sondern auch Pflichten einbringt.153 Er vergleicht diese Gegenseitigkeit mit der Stellung von Ehemännern gegenüber ihren Frauen und Vätern gegenüber der Familie: Mit der Herrschaft und Verantwortung gegenüber Ehefrauen und Familien verbunden ist die Pflicht, für die Anvertrauten zu sorgen. Der Herrscher ist also nicht nur allgemein zugunsten des Gemeinwohls berufen, vielmehr erhält er seine Stellung nur um des Volkes willen.154 Sein Recht der Herrschaft wird verbunden mit der Pflicht, dem Volk dienlich zu sein. Ebenso wird die Unterordnung des Volks in diesem Gegenseitigkeitsverhältnis verstanden:155 Es erhält die Pflicht zu dienen, um durch den Monarch die Grundlage eines geordneten Gemeinwesens zu erhalten, in dem ein christliches Leben möglich ist. Herrscher und Volk werden damit gegenseitig berechtigt und verpflichtet. Fraglich ist jedoch die Natur dieser Verpflichtung. Sie ist in der Vergangenheit in verschiedener Hinsicht als juristische Pflicht gedeutet worden. Allerdings wurde meist zu Recht erkannt, dass hiermit kein naturrechtlicher Unterwerfungsvertrag verbunden ist;156 die Lehre vom Gesellschaftsvertrag wurde erst nach Calvin ein dominierendes Element der Calvinisten.157 Ohnehin wird die Herrschaft nicht mit der Unterwerfung des Volkes begründet, sondern der Einsetzung durch Gott. Es gibt auch keinen Vertrag zwischen dem Herrscher und seinem Volk. Umso mehr stellt sich die Frage nach der juristischen Einordnung dieser Pflichtbindung. Wie wenig juristisch hier Calvin die Natur der Gegenseitigkeit sieht, wird durch eines seiner Beispiele deutlich. Er legt dar, dass auch bei einem Geschenk eine ge153 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 236: „mutuel devoir des supérieurs envers leurs subjectz.“ Dazu bereits Beyerhaus, Studien (Anm. 27), S. 125 f.; Bohatec, Calvins Lehre (Anm. 27), S. 64 ff. 154 Beyerhaus, Studien (Anm. 27), S. 95 mit Hinweis auf Jean Calvin, Sermo 113 zu Job 31.9, CR 62, 656; ders., Sermo 38 zu Ephes 5.18 ff., CR 79, 732. 155 Calvin, Institutio Christianae Religionis [1537], in: ders., Institution [1541] (Anm. 27), c.16, 345 sub b. 156 Bohatec, Calvins Lehre (Anm. 27), S. 66 f. 157 So auch William Klempa, The Concept of the Covenant in Sixteenth- and SeventeenthCentury Continental and British Reformed Theology, in: Donald K. McKim (Hg.), Major Themes in the Reformed Tradition, Grand Rapids Mich. 1992, S. 94 – 107, 94. Anders Emile Doumergue, Jean Calvin, Les Hommes et les choses de son temps, 5, Lausanne 1917, S. 480, der aus der mutua obligatio auf einen „contrat de gouvernement ou constitution“ schließt, doch keine seiner Quellen enthält einen Hinweis auf einen Vertrag.
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genseitige Verpflichtung entstünde.158 Gemeint ist also die moralische Pflicht des Beschenkten, Dankbarkeit zu empfinden. Soziologisch kann man sagen, dass damit selbst die Schenkung stets eine Gegenleistung im Sinne eines „reziproken Altruismus“ erfordert. Dies entspricht jedoch nicht dem juristischen Verständnis, weder damals noch heute.159 Die Pflicht des Beschenkten, von der Calvin handelt, ist damit nicht juristischer Natur. Zwar spricht er von den Pflichten der Obrigkeit,160 doch zwingt dies nicht dazu, die obligation anders als bisher in einem juristischen Sinn zu begreifen. Allerdings gibt es im Werk Calvins eine Verbindung, die man durchaus als Vertrag auffassen kann. Immer wieder handelt er vom dem Bund zwischen Gott und den Menschen (foedus),161 der den Menschen die Möglichkeit gibt, Gottes Willen zu erkennen und den Glauben zu erhalten. Dieser Bund ist in der Religion begründet und dient dem Glück des Volkes.162 Er ist unverbrüchlich163 und bedeutet, dass jede Sünde zugleich ein Verstoß gegen diesen Bund mit Gott darstellt.164 Juristisch stört an einer vertraglichen Deutung, dass der Bund auf der freien Setzung einer Seite beruht, die allein Macht hat, während die andere Seite nur zustimmen darf.165 Zwar sah Calvin im Bund gegenseitige Pflichten begründet,166 doch beantwortet dieser erneute Rekurs auf die mutua obligatio nicht die Frage, ob es sich hierbei um juristische Pflichten handeln soll. Der theologische Kontext legt dies nicht nahe. Im Hinblick auf Calvins Auslegung des ersten Buch Samuel, wonach dieser das Verhältnis zwischen den Teilen der Gesellschaft organisch als Haupt bzw. als Rumpf eines Körpers deutete, verwies Bohatec auf die Ständeversammlung von Orléans, die im gleichen Jahr tagte, in dem Calvin dieses Werk schrieb.167 Vielleicht regte das politische Ereignis Calvin zu diesem Bild an. Es gibt offensichtlich viele Möglichkei158 Calvin, Sermo 4 zu Deut 26.16 – 19, CR 56, 286: „obligation mutuelle.“ Ähnlich übrigens auch Calvins Studienkollege François Connan, vgl. Verf., François Connan (1508 – 1551), das Synallagma und die Föderaltheologie, in: B. d’Alteroche/F. Demoulin-Auzary/ O. Descamps/F. Roumy (Hg.), Mélanges en l’honneur d’Anne Lefebvre-Teillard, Paris 2009 [2010], S. 963 – 989, der allerdings die Dankbarkeit aufgrund einer Schenkung als juristische Pflicht deuten wollte. 159 HKK/Guido Pfeifer, §§ 516 – 536, Rn. 2 mit weiteren Nachweisen zur Soziologie, Rn. 25 zur Schenkung in der Frühen Neuzeit, 3, Tübingen, noch nicht erschienen. 160 Jean Calvin, Comm. zu Röm 13.4, CR 77, 510; Staedtke, Calvins Genf (Anm. 22), 104. 161 Calvin, Comm. Joh 8.33 = CR 47, 203. 162 Calvin, Comm. Ps 69.36 = CR 59, 653, zu foedus: „quia in religione fundata erat populi felicitas.“ 163 Calvin, Comm. Ps 74.2 = CR 59, 692: „Deus inviolabile foedus cum Abraham pepigerat.“ 164 Calvin, Comm. Joh 8.11 = CR 47, 191: „[…] simul violat sacrum Dei foedus, sine quo nulla in mundo sanctitas salva manet.“ 165 So auch schon Staedtke, Calvins Genf (Anm. 22), S. 102. 166 Calvin, Comm. Ps 81.5 = CR 59, 760: „Quia autem in foederibus mutua est conventio.“ 167 Bohatec, Calvins Lehre (Anm. 27), S. 205 im Hinblick auf Jean Calvin, Homilia 31 zu 1 Sam 9.17 – 25, CR 57, 584.
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ten, die Unterordnung des Volks unter den Herrscher zu beschreiben. Die rechtliche Bedeutung ist damit nicht ohne weiteres geklärt. Die Stellung Gottes als oberster König bedeutet, dass Gott die Könige für den Fall ihres Ungehorsams bestrafen kann, indem er sie entweder in ihrem zeitlichen Leben bestraft oder indem sie ihr ewiges Heil verlieren. Dabei handelt es sich auch nicht bloß um Rechtsfolgen, sondern aus theologischer Sicht um eine weitaus härtere Bestrafung. Der König ist nicht durch einen Vertrag mit dem Volk verbunden, denn er erhält seine Macht stets allein von Gott. Weil der ungerechte Herrscher damit keine Rechtspflicht gegenüber dem Volk brechen kann, darf dieses keinen Widerstand üben. Damit bleiben diese Pflichten der Gegenseitigkeit sittlicher Natur und können nicht als Rechtspflichten im Staate begriffen werden.168 Diese Pflichten werden auch dadurch nicht selbst juristischer Natur, dass sie Verpflichtung zum Schutz von Gesetz und Gerechtigkeit169 enthalten. Erst später wurden diese Beziehungen als Vertrag gedeutet, zumal Calvin Gott als Garant aller Bündnisse auffasste.170 Bei der mutua obligatio muss es sich keineswegs um eine juristische Pflicht handeln. Dies mindert allerdings nicht ihre Bedeutung, denn Calvin begreift diese Schutzpflichten des Herrschers als oberste Pflichten.171 Auch könnte man die Frage nach der juristischen Einordnung als anachronistisch begreifen, denn für Calvin ging es immer um die Einhaltung des Gesetz Gottes. Der Fürst, der sich an die mit den Rechten verbundenen Pflichten hielt, erfüllt die ihn betreffenden Gebote aus dem Gesetz Gottes. Insoweit wurde hier eine Ebene konstruiert, die gleichermaßen juristisch und theologisch war, bzw. mit den Mitteln des Rechts und der Theologie ein Höchstmaß an Verbindlichkeit für die Obrigkeit schuf.
VI. Freiheitsrechte der Bürger Die Aufgabe der Obrigkeit richtet sich also auf die Förderung der Untertanen. Dies hängt mit Calvins Menschenbild zusammen: Durch Christus wurde das Gesetz des Alten Testaments insoweit aufgehoben, als die Gewissen vom Gesetz frei gestellt wurden.172 Da Christus die Gerechtigkeit Gottes vollständiger lehrt als das Gesetz, muss der Mensch frei sein, mit seinem Glauben individuell die Gebote Gottes zu erfassen.173 Das Gesetz dient noch dazu, das Recht zu erfassen. Doch muss das Gewissen der Menschen frei sein, um sich darüber hinaus Christus anzunähern, und damit die rechte Tätigkeit nicht nur als Erfüllung des Gesetzes geschieht, sondern aus frei168 So auch Chenevière, La pensée politique, (Anm. 30), S. 162 ; Bohatec, Calvins Lehre (Anm. 27), S. 72 f. 169 Dazu auch Bohatec, Calvins Lehre (Anm. 27), S. 243. 170 Vgl. bei Bohatec, Calvins Lehre (Anm. 27), S. 72 f. zu den „Vindiciae contra tyrannos.“ 171 Calvin, Comm. zu Ps 89.19 = CR 59, 817; ders., Sermo 3 zu Deut. 1.5.9 – 15, CR 53, 636: „observans touiours la charge principale qui leur est commise de Dieu.“ 172 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.14, 130. 173 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.14, 131.
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em Herzen, also aus dem Glauben.174 Gegenüber den Adiaphora schließlich, also den ethisch neutralen und zeitlich veränderbaren äußeren Dingen, muss der Christ frei sein, um die dem Glauben angepasste Reaktion zu bestimmen.175 Der Christ hat diese Dinge also individuell für sich durch die Kraft des eigenen Glaubens zu entscheiden. Die von Gesetz und Obrigkeit geleistete Erziehungsarbeit dient also dem Ziel der Selbsterziehung.176 Dadurch wird verständlich, warum die Leistung der Obrigkeit mit ihren Gesetzen nach Calvin vorrangig darin liegt, eine dienliche Plattform für den ungestörten Gebrauch der christlichen Freiheit zu schaffen.177 Das Gemeinwesen dient daher dazu, gleichzeitig diese Freiheit zu schützen und ihre Auswüchse, die sich als Einschränkung der Freiheit anderer darstellen, zu unterbinden.178 Durch die Bewährung dieser bürgerlichen Freiheit schützt die Obrigkeit den Glauben und gleichzeitig die Rechte der einzelnen Untertanen.179 Das Amt der Obrigkeit zum Schutz der Freiheit bedeutet gleichzeitig, dass die Bürger ihrerseits für den Umgang mit ihren Gaben und Gütern selbst verantwortlich sind. Mit den Geschenken Gottes müssen sie verantwortlich umgehen; gerade in dem rechten Umgang mit der Freiheit zeigt sich, ob sie zum Heil erwählt sind. Für den Menschen hat diese Freiheit daher einen zentralen Stellenwert im Leben,180 sie ist eine der größten Gaben Gottes.181 Je mehr die Obrigkeit stabile politische Verhältnisse schafft, desto mehr wird der Bereich der religiösen Freiheit für die Bürger erweitert.182
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Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.196 f., 224 f. Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.198, 226. 176 So auch Volker Reinhardt, Die Tyrannei der Tugend. Calvin und die Reformation in Genf, München 2009, S. 213. Sicherlich ist Calvins Freiheit, sich zum Richtigen zu entscheiden, keine Freiheit im modernen Sinne, sich im beliebigen Sinne zu entscheiden. Auch wenn die Freiheitskonzepte sich also unterscheiden mögen, kann man den Wortstamm um „libertas“ bei Calvin nicht anders als mit „Freiheit“ bezeichnen. 177 Jean Calvin, Homilia 29 zu Sam 1.8, CR 57, 554: „tranquille et quiete ac pacifice acceptis a Deo bonis et facultatibus uti et frui oporteat“. Dazu auch Witte Jr., Reformation of Rights (Anm. 25), S. 47 ff.; G. L. Pinette, Freedom in Hugenot Doctrine, Archiv für Reformationsgeschichte 50 (1959), S. 200 – 234, 211. Zu Calvins Freiheitsbegriff s. Höpfl, The Christian Polity of John Calvin (Anm. 23), S. 158 f. 178 Calvin, Institutio [1559] (Anm. 44), IV.20 n.8, 1098: „Quinetiam huc summa diligentia intenti magistratus esse debent, neque in parte libertatem, cuius praesides sunt constituti, minui, nedum violari patiantur.“ 179 Vgl. Bohatec, Calvins Lehre (Anm. 27), S. 211. 180 Dazu schon Bohatec, Calvins Lehre (Anm. 27), S. 97 mit weiteren Nachweisen. 181 Jean Calvin, Homilia 29 zu Sam 1.8, CR 57, 556: „libertatis beneficium a solo Deo Opt. Max. profectum.“ 182 Witte Jr., Reformation of Rights (Anm. 25), S. 65. 175
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Diese Freiheit beschrieb Calvin dabei durchaus als Recht (ius).183 Diese Rechte bestehen also im Staat und sind von der gerechten Herrschaft zu bewahren. Als Recht der Untertanen ist gerade der Schutz dieses Freiheitsrechts die oberste Aufgabe der Obrigkeit.184 Calvin zog gerade die Verteilung der Macht in Aristokratie und Demokratie vor, weil ihm dadurch die individuellen Freiheitsrechte besser geschützt vorkamen.185 Nirgendwo sei eine Herrschaft glücklicher als dort, wo die Freiheit, soweit es die Mäßigung zulasse, fest etabliert sei.186 Witte hat diese Rechte als subjektive Rechte beschrieben.187 Diese Bezeichnung trifft zu, denn Calvin führt in diesem Zusammenhang selbst aus, dass es einem Christen erlaubt sei, seine Rechte vor Gericht durchzusetzen. Er warnt zwar vor einem übertriebenen Gebrauch dieses Mittels, also vor einer Prozesswut; ebenso ermahnt er alle zum gegenseitigen Umgang nach Maßgabe der Nächstenliebe. Dennoch habe Gott das Mittel des Gerichts geschaffen, damit man seine Interessen mit der gebotenen Mäßigung durchsetze.188 Ferner ist diese weltliche Gerichtsbarkeit auch nur eine durch Gott geschaffene und von ihm auf die Obrigkeit delegierte Rechtsprechung.189 Die Obrigkeit soll diese Rechte schützen, aber ihre Verwirklichung ist nur mit der Gericht übenden Herrschaft, nicht gegen sie möglich. Sollten diese Rechte missachtet werden, wird die Herrschaft tyrannisch. Wie gesehen bleibt es aber Gottes Vorrecht, die Herrschaft der ungerechten Obrigkeit zu entziehen. Das Gut der Freiheit bezieht sich bei Calvin eher implizit als explizit auf das Leben,190 aus der Begründung der Freiheitsrechte geht auch hervor, dass sie die Frei183 Calvin, Commentarii Romanos et Corinthios et Sermons Corinthios Cap 10 et 11: Commentarius in epistolam Pauli ad Romanos, c.10.23 = CR 77, 468: „ius libertatis christianae.“ 184 Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36) c.6.230, 260: „ut suum cuique salvum sit et incolume.“ 185 Dazu auch Bohatec, Calvins Lehre (Anm. 27), S. 128. 186 Calvin, Institutio [1559] (Anm. 44), IV.20 n.8,1098: „Libenter fateor nullum esse gubernationis genus isto beatius, ubi libertas ad eam quam decet moderationem composita, et ad diuturnitatem rite constituta.“ 187 Witte Jr., Reformation of Rights (Anm. 25), S. 57. 188 Calvin, Institutio [1559] (Anm. 44), IV.20 n.21, 1110; dazu auch John T. MacNeill, Editor’s Introduction (Anm. 138), S. xvii. 189 Calvin, Institutio [1536] (Anm. 36), c.6.242, 273: „velut delegata a Deo iurisdictio.“ Ob bei Calvin deswegen der Ursprung der Überprüfung eines staatlichen Rechtsakts (Gesetz oder Verwaltungsmaßnahme) auf seine Verfassungsmäßigkeit zu finden ist, wie David T. Ball, The Historical Origins of Judicial Review, 1536 – 1803, Lewiston N.Y. 2005, S. 345 ff., behauptet, ist deswegen nicht so einfach auszumachen, weil sich der Prozess bei Calvin nicht gegen die Obrigkeit richten kann. Zwar soll das Gericht Gerechtigkeit herstellen, doch die ungerechte Herrschaft ist wie gesehen zu dulden. Anders allerdings François Hotman, Francogallia, c.7, in: J. Dennert (Hg.), Beza, Brutus, Hotman, (Klassiker der Politik, 8), Köln/Opladen 1968, S. 235. Nach Staedtke, Calvins Genf (Anm. 22), S. 109, jedoch hielt sich Hotmann in engeren Grenzen an die Staatsvorstellungen Calvins. 190 So auch Bohatec, Calvins Lehre (Anm. 27), S. 114.
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heit des Gewissens und damit des Bekenntnisses betrifft.191 John Witte hat daneben noch ein Recht zur Bürgerschaft und zum Leben im Land ausgemacht.192 Indem Calvin immer wieder auf die Rechte des Vaters gegenüber der Familie und des Ehemannes gegenüber seiner Ehefrau hinweist,193 kann man auch auf ein solches Recht auf ungestörtes Leben in der Familie schließen. Diese Rechte werden jedoch nur angedeutet, weil Calvin sich vor allem mit dem Eigentumsrecht auseinandersetzt.194 Das ursprüngliche Gemeineigentum sei geeignet gewesen in einer Zeit reiner Herzen und menschlicher Einigkeit; nach dem Sündenfall sei Privateigentum besser.195 Gott hat jedem zur Erfüllung seiner Aufgaben in der Gesellschaft Eigentum gegeben.196 Das Eigentum sieht Calvin nicht als Ergebnis zufälliger Erwerbungsvorgänge. Vielmehr sieht er eine mehr oder wenige Vermögensausstattung jedes Menschen als notwendige Voraussetzung eines Lebens in der Gesellschaft.197 Ein König braucht eben mehr Vermögen als ein Bettler. Entsprechend bedeutet Eigentum die Verpflichtung, das Gut zur Erfüllung der gesellschaftlichen Pflichten zu nutzen.198 Gerade die Angreifbarkeit des Eigentums begründet für Calvin die Notwendigkeit einer Herrschaft, um den nötigen Schutz zu gewähren.199 Der Monarch darf sich selbst nicht am Eigentum seiner Untertanen vergreifen. Nur im äußersten Notfall hat er ein Recht zur Enteignung. Dabei kommt es gerade nicht darauf an, wie viel jeder besitzt. Zwar sind alle Menschen von der gleichen Natur.200 Doch bedeutet diese Gleichheit vor Gott keine gesellschaftliche Gleichartigkeit, denn Gott teilte die Menschen in soziale Klassen 191
Calvin, Institutio [1559] (Anm. 44), III.19 n.14, 293: „Iam vero quum hac libertatis praerogativa […] donatae fideles conscientiae id Christi beneficio consequutae sint, ne ullis observationum laqueis in iis rebus implicentur in quibus eas esse liberas Dominus voluit“; Bohatec, Calvins Lehre (Anm. 27), S. 114; Mario Turchetti, Der Beitrag Calvins, (Anm. 22), S. 251 f. zur Gewissensfreiheit. Staedtke, Calvins Genf (Anm. 22), S. 101, sieht die Gewissensfreiheit jedoch erstmals 1663 durch Roger Williams angesprochen. 192 Witte Jr., Reformation of Rights (Anm. 25), S. 57. 193 Zum Überblick s. John Witte Jr., Ehe und Familie, in: H. J. Selderhuis (Hg.), Calvin Handbuch, Tübingen 2008, S. 449 – 459 mit weiteren Nachweisen. 194 Dazu Bohatec, Calvins Lehre (Anm. 27), S. 77 ff., 98 ff. 195 Bohatec, Calvins Lehre (Anm. 27), S. 100 mit Fn. 246: Zitat nach Jean Calvin, Sermo 152 zu Job 39.8 – 21, CR 63, 420 f. 196 Calvin, Commentarius zu Ex 3, CR 52, 49 n.22: „Sed videamus quidnam sit cuiusque? Quod suum esse jactabit nisi quod a Deo datum est? Et quidem ut precario possideant singuli quod Deo placet, cui liberum est singulis momentis auferre quod dedit.“ 197 So schon Bohatec, Calvins Lehre (Anm. 27), S. 105. 198 s. o. (Anm. 177). 199 Jean Calvin, Homilia 31 zu Sam 1.9, CR 57, 583 f. 200 Jean Calvin, Comm. zu Deut 5.5.17, CR 54, 321: „nous sommes d’une meme nature: tous cela emporte que les hommes sont pareils.“; dazu Bohatec, Calvins Lehre (Anm. 27), S. 147; ders., Calvin und das Recht, (Anm. 60), S. 67.
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ein.201 Die Menschen sind zwar Brüder, dennoch existieren Herren und Knechte.202 Wie das Beispiel der Könige zeigt, gibt es Menschen mit mehr Macht, wozu auch eine größere Ausstattung mit weltlichen Gütern gehört. Mehr Eigentum bedeutet damit auch eine größere Verantwortung im Umgang mit diesen Gütern. Die Menschen sind auch deswegen unterschiedlich mit zeitlichen Gütern ausgestattet, weil sich darin Gottes Segnungen bzw. Bestrafungen ausdrücken.203 Wohlstand kann demnach eine Belohnung Gottes für ein gottesfürchtiges Leben darstellen. Als Zeichen göttlicher Anerkennung ist es dann durchaus legitim, Freude an den irdischen Gütern zu empfinden. Gott hat Fleisch und Wein zum Verzehr, Gold und Elfenbein zum Gebrauch geschaffen. Damit ist ihr Konsum von Gott gewollt. Man darf nicht soweit gehen, im Besitz des letzten Zweiges noch eine Sünde zu sehen. Wichtig ist nur der verantwortliche Umgang mit den Gütern, die Vernunft (ratio) muss das Handeln leiten. Man darf also weder verschwenden noch verprassen, doch was vernünftig ist, bleibt erlaubt.204 Vernünftig ist dabei durchaus, Handel zu treiben. Selbst gegen das Verleihen von Geld gegen Zinsen hatte Calvin grundsätzlich nichts einzuwenden. Nur durften diese Zinsen wieder nicht unmäßig ausfallen, was etwa schon dann zu vermuten war, wenn man von diesen Zinsen leben wollte.205 Entsprechende gesetzliche Regelungen wurden in Genf eingeführt.206 Die Gleichartigkeit der Menschen führt dazu, ihre Freiheitsrechte unterschiedslos anzuerkennen. Dies führt dann zu einer unterschiedlichen Ausstattung mit zeitlichen Gütern, denn gerade im verantwortungsvollen Umgang mit den Gütern und Freiheitsrechten zeigt sich, wer sich mit welchem Geschick auf dem Weg des Glaubens befindet. Im unterschiedlichen Ausgang erweist sich, dass nur einige zum Heil berufen sind. Das Ergebnis der Freiheit führt notwendigerweise dazu, dass viele verworfen werden.
C. Zusammenfassung Calvins Staatsverständnis unterscheidet sich also erheblich von dem Luthers und der früheren Zeit. Zwar betont er wie Luther die Rache Gottes. Doch trotz der Übernahme der Zweireichelehre vermag er es, die Sorge eines jeden Menschen um die Rechtfertigung für die Zwecke des weltlichen Regiments nutzbar zu machen. Da 201
Calvin, Comm. Ps 87.6 = CR 59, 804: „in suas classes distribuens, quum par sit hominum conditio, alios ab aliis discernit.“ 202 Jean Calvin, Sermo 46 zu Tim 6.1 – 2, CR 82, 554: „Nous sommes freres, et cela n’empeschera point que l’un ne soit maistre et l’autre valet, […].“ 203 Calvin, Institutio [1559] (Anm. 44), II.8 n.4, 268. 204 Calvin, Institution [1541] (Anm. 27), c.14, 135; ders., Institutio [1559] (Anm. 44), III.19 n.7, 287; n.9, 289. 205 Vgl. Jean Calvin, De l’usure, in: P. Barth/D. Scheuner (Hg.), Calvini opera selecta, 2. Aufl. München 1970, 2, S. 391 – 396. 206 Emile Doumergue, Jean Calvin. Les Hommes et les choses de son temps, 5, Lausanne 1917, S. 686.
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nur wenige ausgewählt sind und die Hindernisse, um von Gott ausgewählt zu werden, hoch sind, wird jedem eingeschärft, wie wichtig es ist, alle Kräfte zu nutzen, um Gottes Gesetz einzuhalten. Dabei kommt es nicht auf Armut oder Reichtum, Macht oder Unterworfensein an, denn jeder hat in seiner Position Verantwortung. Je höher die Stellung, je verantwortungsvoller das Amt, desto größer wird nur die Verpflichtung. Damit kann Calvin die grundsätzliche Gleichartigkeit der Menschen als Brüder zugrunde legen, um doch die Bildung sozialer Klassen und eine ähnliche Differenzierung durch das Vermögen zuzulassen. Zwar sind alle ursprünglich gleich, doch Gott hat einige ausgewählt, denen auch im Leben Erfolg als sichtbares Zeichen ihres Glaubens zuteil werden kann. Da die Menschen ihre Gaben nicht gleichermaßen verantwortungsvoll und nach den Vorschriften des Gesetzes gebrauchen, ist die Unterscheidung nach dem Erfolg gottgewollt und unumgänglich. Der weltliche Erfolg kann dabei ein Zeichen des rechten Glaubens sein, umso erstrebenswerter ist es, sich im Leben und im Beruf als erfolgreich zu erweisen. Denn für den gläubigen Menschen ist die Angst vor der Verwerfung ein noch höherer Ansporn als der Erwerb von Reichtum. Die Verbindungen zwischen Gott und dem Herrscher, Gott und dem Volk sowie zwischen Obrigkeit und Untertanen werden bei Calvin nicht als juristischer Vertrag gedeutet. Jedoch legt seine sich wandelnde Beschreibung dieser wechselseitigen Pflichten eine Nähe zur Jurisprudenz nahe. Es überrascht daher nicht, dass schon die nächste Generation der Calvinisten von einem solchen Vertragsmodell ausgeht. Für Calvin sind die Gebote des Gesetz Gottes ohnehin viel wirkungsmächtiger als jeder Vertrag. Der eine Bund, den Gott mit Abraham abschloss, verspricht den Menschen die Errettung, ohne dass hieraus justiziable Pflichten erwüchsen. Die sittlichen Pflichten sind vor dem Hintergrund der Angst um die Errettung wesentlich wirksamer.207 Das gesamte Staatswesen, Obrigkeit und die Gesetze, dienen einzig als Plattform für die Freiheit eines Christenmenschen. Dabei muss die Freiheit des einen sowohl gewährleistet als auch Auswüchse zulasten der Freiheit des anderen beschränkt werden. Diese Begründung des Staates entspricht damit genau der Definition von Kant, nach dessen Modell man um 1800 von dem Rechtsstaat zu sprechen lernte: Der Fürst erlässt dabei allgemeine Gesetze, die den Umgang im Gemeinwesen allgemeinverbindlich definieren. Staatliche Willkür und absolutistische Herrschaft kann es daher nicht geben, vielmehr dient der Staat dazu, die einzelnen zum Leben notwendigen Aspekte zu sichern, indem sie in den Gesetzen als subjektive Rechte ausgestaltet werden. Nicht ohne Grund kann man diese Freiheitsrechte schon im Sinne einer bürgerlichen und politischen Freiheit begreifen.208 Die Gewähr von Leben, der Freiheit von
207 Zum äußeren Erfolg eines jedenfalls nach Außen gottesfürchtigen Lebens s. Volker Reinhardt, Die Tyrannei der Tugend (Anm. 176), S. 210. 208 Dazu Bohatec, Calvins Lehre (Anm. 27), S. 81 – 83.
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Eigentum, Familie und Gewissen erinnern dabei sogar an Grundrechte, wie sie erst im 18. Jahrhundert geschaffen wurden.209 Dafür bemüht sich Calvin um eine allgemeine, feste gesetzliche Regelung des Staates. Sinn der Staatsordnung ist die Aufrechterhaltung und Durchsetzung von Recht und Billigkeit.210 Dies entspricht durchaus dem, was man später in der Nachfolge Kants als Rechtsstaat angesprochen findet. Allerdings folgt dies bei Calvin nicht aus naturrechtlichem Denken. Zwar kannte er durchaus höherrangige Gesetze wie das Gesetz Gottes, das moralische Gesetz, das Naturgesetz, dem die positiven Gesetzes des Landes untergeordnet sind. Die unterschiedslose Verwendung des Begriffs lex verhinderte jedoch, dass er zwischen einer höherrangigen Verfassung und einfachen Gesetzen des Landes differenzieren konnte. Immerhin ist auffällig, wie häufig Calvin in diesem Zusammenhang von der festen Konstituierung (constituere) und Konstitutionen sprach, so dass man hier überlegen kann, ob nicht doch ein Einfluss Calvins auf das spätere Verfassungsdenken anzunehmen ist. Diese Befunde sind kaum unbekannt, sie finden sich bereits bei Bohatec und Witte. In Übereinstimmung mit der Literatur wird hier ebenso die Bedeutung der Freiheit herausgestellt. Auch die Bedeutung Calvins für die Ausbildung subjektiver Rechte und zum Schutz individueller Freiheit ist schon seit Bohatec und Witte bekannt. In gleicher Weise wurde schon vorher auf die verschiedenen Inhalte des allgemeinen Freiheitsrechts hingewiesen, die zusammengenommen stark an frühe Grundrechtskataloge erinnern. Allenfalls wird hier die juristische Natur der mutua obligatio kritisch hinterfragt. Hier sollte darüber hinaus verdeutlicht werden, wie prägend Calvin für die Ausprägung des Rechtsstaats-Gedankens wurde. Dabei wurde hier nicht eine Rezeption calvinistischer Ideen durch Kant behandelt.211 Vielmehr wurde unter Voraussetzung der Inhaltsgleichheit versucht nachzuweisen, dass der für Kant geprägte Begriff sich mit gleicher Berechtigung auf Calvin anwenden lässt. Nicht zu verkennen ist, dass der Begriff des Rechtsstaates heute sich wiederum gewandelt hat.
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Schon Emile Doumergue, Jean Calvin, Les Hommes et les Choses de son Temps, 5, Lausanne 1917, S. 615 ff., sah bei Calvin die Trias von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit begründet. Zur Entstehung der Grundrechte vgl. u. a. Horst Dreitzel, Grundrechtskonzeptionen in der protestantischen Rechts- und Staatslehre, in: G. Birtsch (Hg.), Grund- und Freiheitsrechte von der ständischen zur spätbürgerlichen Gesellschaft, Göttingen 1987, S. 180 – 214, leider ohne Calvin zu beachten. 210 Jean Calvin, Sermo zu Deut 25.1 – 4, CR 56, 211 „que droict et equité regne“. 211 Für solche Rezeptionsvorgänge im 16. und 17. Jahrhundert s. immerhin Stefan Bildheim, Calvinistische Staatstheorien. Historische Fallstudien zur Präsenz monarchomachischer Denkstrukturen im Mitteleuropa der Frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. usw. 2001.
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D. Ausblick Es ist unmöglich, die Wirkungen dieser Lehre Calvins in den Generationen nach ihm darzustellen, ohne eine Monographie zu schreiben. Das dargelegte Material wirft jedoch Fragen auf, die angesprochen werden sollten, aber nicht beantwortet werden können. Viele frühere Darstellungen haben die Auswirkungen angerissen und damit Möglichkeiten umrissen, die schon deswegen immer noch interessant sind, weil das Rätsel der Herkunft der Grundrechte des 18. Jahrhunderts nach wie vor eines der größten rechtshistorischen Rätsel darstellt. Schon deswegen lohnt es sich, in diesem Kontext drei Vermutungen anzusprechen. Die besondere Betonung der Freiheit hat dazu geführt, dass manche in Calvin den Ursprung für die Freiheitsdebatte in Frankreich sahen.212 Zeitlich lässt sich etwa die Verbindung zu dem um 1547 entstandenen „Discours de la servitude volontaire ou Contr’un“ des Estienne de la Boétie gut ziehen. Montaigne sorgte als engster Freund dieses Autors für die Verbreitung des Werks und seiner Ideen. Daher kommt der kurzen Schrift eine besondere ideengeschichtliche Bedeutung zu. Doch über die Verbindung zum Calvinismus hat man schon öfter spekuliert.213 Man muss konzedieren, dass die Argumentation von de la Boétie nicht theologisch, sondern politologisch gemeint und durch die antike Tradition geprägt ist. Eine Übernahme der Ideen von Calvin lässt sich damit kaum nachweisen. Umgekehrt ist bei Althusius, der nun wahrlich ein Vorkämpfer der calvinistischen Sache war, kaum ein Beachtung der Freiheit zu finden.214 Deswegen verbietet es sich, eine große Gerade von Calvin zur Französischen Revolution zu ziehen. Die große Bedeutung, die Calvin dem Eigentum zumisst erinnert an Max Webers berühmte Kapitalismus-These. Calvins offene Einstellung gegenüber Handel, Zulassung des Zinses und Freude am Eigentum passt gut zu dieser Auffassung. Darüber hinaus kann das Eigentum als Zeichen für göttliche Belohnung auch theologisch als wertvoll angesehen werden. In Verbindung mit dem Verbot eines übermäßigen Genusses, und der Maßgabe, das Vermögen stets mit Vernunft anzuwenden, leuchtet Webers These unmittelbar ein. Ob allerdings gerade der Ausdruck einer „innerweltlichen Askese“ hier angemessen erscheint, kann bezweifelt werden, weil davon in dem hier präsentierten Kontext nichts zu spüren war.215 Dass die doppelte Prädesti-
212 G. L. Pinette, Freedom in Hugenot Doctrine, Archiv für Reformationsgeschichte 50 (1959), S. 200 – 234, 222. 213 Vgl. Louis Desgraves, Introduction, in: Estienne de la Boétie, Oeuvres complètes, ed. L. Desgraves, 1, Bordeaux 1991, S. 31. 214 Vgl. etwa nur Johannes Althusius, Politica methodice digesta, 3. Aufl. Herborn 1614, Reprint Aalen 1981, c.37 n.100, 872, wo die Freiheit erst am Ende der Aufzählung weit nach der körperlichen Unversehrtheit aufgeführt wird; c.22 n.4, 426 spricht dagegen von der Freiheit des Magistrats. 215 Max Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, ed. D. Kaesler, München 2. Aufl. 2006, S. 139 ff.
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nation,216 die Weber für maßgeblich hielt, gerade nicht in allen calvinistischen Ländern rezipiert wurde, welche früh Industrie entwickelten, wurde schon festgestellt.217 Es ist ferner durchaus fraglich, inwieweit bei Calvinisten die Disziplin tatsächlich stärker ausgeprägt war als bei Angehörigen der anderen Konfessionen.218 Ohnehin wurde schon festgestellt, dass Webers These mehr soziologisch rezipiert als religionshistorisch verifiziert wurde.219 Auch hier könnte man eine solche prägende Wirkung Calvins nicht einheitlich feststellen, sondern müsste auf die verschiedenen Entwicklungen in den europäischen Regionen abstellen. John Witte hat schließlich auf die Verbindung von der felicitas bei Beza zur happiness der amerikanischen Verfassungstradition hingewiesen. Beza’s Beschreibung der Glückseligkeit des Menschen als Staatszweck220 soll damit der britisch-amerikanischen Formulierung des pursuit of happiness zugrunde liegen.221 Dann wäre die Glückseligkeit als Staatszweck, die sich auch bei Kant in der anfangs zitierten Stelle findet, direkt mit dem verbunden, was in Deutschland als Rechtsstaat bezeichnet wurde.222 Während in der deutschen Tradition also vom Staat her gedacht und Pflichten definiert werden, formuliert die anglo-amerikanische Tradition Rechte, die der Mensch dem Staat entgegenhalten darf. Beides sind mögliche Ausdeutungen für Calvins Vorstellung vom Staat.
216 Zu dieser Verbindung von Rechtfertigung durch Glauben allein und Neugeburt im Glauben durch Buße eingehend Venema, Accepted and Renewed in Christ (Anm. 142), passim. 217 Hartmut Kretzer, Die Calvinismus-Kapitalismus These Max Webers vor dem Hintergrund französischer Quellen des 17. Jahrhunderts, in: ders., Calvinismus versus Demokratie respektive „Geist des Kapitalismus?“, Oldenburg 1988, S. 59 – 71; zur Übersicht über die kritischen Stimmen vgl. Ulrich H.J. Körtner, Calvinismus und Kapitalismus, in: M. E. Hirzel/ M. Sallmann (Hg.), 1509 – Johannes Calvin – 2009. Sein Wirken in Kirche und Gesellschaft. Essays zum 500. Geburtstag, Zürich 2008, S. 201 – 217, 211. 218 Zweifelnd etwa Johannes Burkhardt, Das Reformationsjahrhundert. Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung 1517 – 1617, S. 127. 219 Vgl. bei Hartmut Lehmann, Max Webers „Protestantische Ethik.“ Beiträge aus der Sicht eines Historikers, Göttingen 1996, S. 42 ff.; diese Beobachtung wird bestätigt durch einen Blick in die von C. Seyfarth/W. Sprondel (Hg.), Seminar: Religion und gesellschaftliche Entwicklung. Studien zur Protestantismus-Kapitalismus-These Max Webers, Frankfurt a.M. 1973, gesammelten Beiträge. 220 Theodor Beza, Tractationum Theologicarum, Genevae 1582, 1, 91 f.: „ut quam felicissime vivant.“ 221 Witte Jr., The Reformation of Rights (Anm. 25), S. 92. 222 Zum deutschen Sonderweg bezüglich des Rechtsstaats s. Hasso Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaats, in: Der Staat 34 (1995), S. 1 – 32, 1 f.
Jean Calvin, ein guter Geist des Konstitutionalismus? Von Jörg Luther, Alessandria
A. Einleitung Der Verfassungslehre, insbesondere auch der deutschen Verfassungsrechtslehre war Calvin immer schon ein Klassiker, d. h. er wurde verschieden interpretiert, war mystifizierbar und angreifbar. Die folgenden Überlegungen versuchen, im Anschluss an die neueren Calvinforschungen seinen Beitrag zur Ideen- und Institutionengeschichte des Konstitutionalismus zu erschließen, dessen nach-neuzeitliche Aussichten – jedenfalls in Italien – manchen heute eher ungewiss erscheinen.1 Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist der Begriff des Konstitutionalismus, der mitten aus dem 19. Jahrhundert stammt, aber erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts einen weltweiten Aufschwung genommen hat.2 Im europäischen und im globalen Kontext wird er vor allem von der westlichen Welt nicht nur als Kriterium und Maßstab zur politischen Bewertung von Staaten benutzt, deren Verfassungen sich mit oder ohne Konstitutionalismus oder mit mehr oder weniger Konstitutio-
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Überarbeitete deutsche Fassung eines auf der Tagung „Calvino e Calvinismo politico dalle origini cinquecentesche all’età contemporanea“ in Torre Pellice (9.9. 2009) gehaltenen Vortrags, der unter dem Titel „Calvino ispiratore di un costituzionalismo protestante?“ in: Corrado Malandrino/Luca Savarino (Hg.), Calvino e il calvinismo politico, Torino 2011, S. 344 ff. veröffentlicht wurde. Besonderer Dank ist Eberhard Busch in Göttingen und meinem Göttinger „maestro“ Christoph Link in Erlangen geschuldet. 2 C. Howard Mc Ilwain, Constitutionalism. Ancient and Modern, Ithaca 1947; Jon Elster/ Rune Slagstad, Constitutionalism and Democracy, Cambridge 1988; Mario Dogliani, Introduzione al diritto publico, Bologna 1994; Hans Vorländer, Die Verfassung. Idee und Geschichte, München 1999; Horst Dippel, „Modern Constitutionalism“ (2002), www.modernconstitutions.de; Dieter Wyduckel, Verfassung und Konstitutionalisierung – Zur Reichweite des Verfassungsbegriffs im Konstitutionalisierungsprozess, in: Gilbert H. Gornig/Urs Kramer/ Uwe Volkmann (Hg.), Festschrift für Werner Frotscher zum 70. Geburtstag, Berlin 2007, S. 892 ff. Eine kritische gegenwartsbezogene Teorie des Konstitutionalismus bietet z. B. Ran Hirschl, Towards Juristocracy: The Origins and Consequences of the New Constitutionalism. Harvard University Press, 2004; die Unmöglichkeit eines demokratischen Konstitutionalismus vertritt u. a. Jeremy Waldron, Constitutionalism – A Skeptical View, New York University School of Law, Public Law & Legal Theory Research Paper Series Working Paper No. 10 – 87, 12/2010, http://ssrn.com/abstract=1722771.
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nalismus auszeichnen lassen. Er dient auch der Forderung nach einer Konstitutionalisierung über- oder unterstaatlicher Politikebenen. Heute bezeichnet Konstitutionalismus also nicht mehr nur eine bestimmte Epoche, sondern mehr oder weniger dicke oder dünne Komplexe von Ideen und Praktiken, die nach dem derzeitigen Stand der geschichtlichen Erfahrung eine gute Verfassung auszeichnen. Hierzu zählen nicht nur die Garantien subjektiver Menschenrechte und die Gewaltenteilung (Art. 16 der französischen Erklärung der Menschenrechte), sondern im Lichte der demokratischen Theorien auch Garantien der Rechtsstaatlichkeit und der Volkssouveränität, sogar in der Verfassungsgebung. Er beinhaltet das Recht, eine Regierung zur Verantwortung zu ziehen und die Verfassung zu ändern oder sie selbst gegen Gesetze zu verteidigen, ohne den Frieden und die Trennung politischer von kultureller und wirtschaftlicher Macht aufzuheben. Von all dem scheint sich die frühe Neuzeit Calvins und der Reformation natürlich immer mehr, vielleicht auch immer schneller zu entfernen. Aber gerade in dem Maße, in dem wir uns auch von den Verfassungsrevolutionen entfernen, haben wir den kommenden Generationen gegenüber die Pflicht, Verfassungskultur in weiterreichenden Geschichten zu bewahren und zu erneuern. Eine dieser noch nicht ausgeforschten Geschichten führt auch zum Verfassungsgrundsatz der Trennung von Politik und Religion, der im postsäkularen Zeitalter den Konstitutionalismus in Frage zu stellen scheint.3 Die Erschließung des Beitrags Calvins zur Geschichte des Konstitutionalismus erfolgt in fünf Schritten. Zunächst werden einige Calvinzitate in den Schriften vornehmlich der deutschen Verfassungslehre des letzten Jahrhunderts untersucht (B.). Anschliebend wird versucht, in Calvins Werken Vorstufen eines Verfassungsbegriffs zu rekonstruieren, der vor allem im kirchlichen Bereich ansetzt (C.). In weiteren Schritten wird sodann Calvins Kirchenordnung als Kirchenverfassung gelesen (D.) und sein Beitrag zur republikanischen Verfassungsgeschichte Genfs rekonstruiert (E.). Besonderes Interesse verdient schlieblich der europäische Kontext dieser Geschichte (F.), in dem Calvin gewiss nicht als Held oder heiliger Vater, eher als Wegbereiter des modernen Konstitutionalismus erscheint. Sein Denken und Wirken können vielleicht auch heute noch helfen, die humanitäre Botschaft des Konstitutionalismus und einige Verfassungsgrundsätze wie Laizität und Solidarität, Föderalismus und Subsidiarität, aber auch die Herrschaft willkürfreier Gesetze in der Republik besser zu verstehen (G.).
3 Hierzu in Italien Gian Enrico Rusconi, Introduzione, in: Lo Stato secolarizzato nell’età post-secolare, Bologna 2008, S. 9 ff. = Der säkularisierte Staat im postsäkularen Zeitalter, Berlin 2010; Gustavo Zagrebelsky, Scambiarsi la veste, Roma 2010. In Deutschland zuletzt H. Dreier, Säkularisierung und Sakralität, Tübingen 2013.
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B. Calvin als Klassiker deutscher Verfassungslehren: Gemeinschafts- oder Mischverfassung? Der Jurist und Theologe Calvin ist eigentlich ein alter Bekannter der deutschsprachigen Staats- und Verfassungslehre, nicht nur im Staatskirchenrecht.4 Schon Otto von Gierke sah im Lehrer des Althusius eine Art Miturheber der Idee des Verfassungsstaates.5 Gegen den Spott von Thomas Hobbes, noch kein Autor habe verstanden, was denn eigentlich ein fundamentall law sei,6 berief sich dann Georg Jellinek auf die Idee des Verfassungsvertrages zwischen rex und regnum. Sie habe sich besonders bei den Puritanern mit der auf den Staat übertragenen calvinistischen Idee der Gemeinde als Trägerin des Kirchenregiments verknüpft und führe vom agreement of the people zu den Fundamental orders der amerikanischen Kolonien.7 Diese Theorie wurde von Carl Schmitt in seiner Verfassungslehre angefochten. Er erkannte als einzigen echten Verfassungsvertrag nur den Bundessstaatsvertrag an, lehnte jegliche Verknüpfung von Verfassung und Covenant bzw. Gesellschaftsvertrag ab, da das Volk als politische Einheit bereits vor der Verfassunggebung bestehen müsse.8 Schmitt sah in Calvin eher den Ahnherrn der Theorie des modernen Rechtsstaates und eines gegen den Absolutismus gerichteten Modells der aristokratischen oder gemischten Verfassung (vel aristocratiam, vel temperatum ex ipsa et politia statum).9 Auch Franz Neumann sah vor allem in Calvins „Darstellung des geltenden Verfassungsrechts“ zur Widerstandslehre einen „Verfassungsrealismus“, der die Theorie der Monarchomachen inspiriert habe. Dieser Konstitutionalismus sei
4 Gustav Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, 1910, S. 102: „In der Verfassung der reformierten Kirche hatte dagegen der genossenschaftliche Charakter des Protestantismus von Anfang an Ausdruck gefunden: Calvin, der Jurist, hatte die Teilnahme von Gemeindevertretungen, Presbyterien, an der Kirchenverwaltung, und zwar, nach katholischer Weise, nicht nur als menschlich zweckmäbig, sondern als religiös notwendig, gefordert und verwirklicht.“ 5 Otto von Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, 4, Berlin 1881, S. 366, und ders., Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien, Breslau 1880; ital.: Giovanni Althusius e lo sviluppo storico delle teorie politiche giusnaturalistiche, Torino 1943. Zum kommunitaristischen Begriff der Verfassung im materiellen Sinne schon Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, Berlin 1887, 5. Aufl. 1920, S. 35: „Die Verfassung des Zusammenlebens ist ökonomisch, d. h. gemeinschaftlich (kommunistisch)“. 6 Thomas Hobbes, Leviathan, 1651, part 2 „Of Common-Wealth“, ch. 26 „Of Civil Laws“: „There is also another distinction of Laws, into Fundamental, and not Fundamentall: but I could never see in any Author, what a Fundamentall Law signifieth. Nevertheless one may very reasonably distinguish Laws in that manner. For a Fundamentall Law in every Commonwealth is that, which being taken away, the Common-wealth failed, and is utterly dissolved; as a building whose Foundation is destroyed“. 7 Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1913 (Reprint Bad Homburg 1960), S. 509, 721. Vgl. Jens Kersten, Jellinek und die klassische Staatslehre, Tübingen 2000, 275. 8 Carl Schmitt, Verfassungslehre, Berlin 1928, S. 61 ff. 9 Carl Schmitt, Verfassungslehre, Berlin 1928, S. 203.
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„durch eine gleichermaßen starke Abneigung vor Absolutismus und Anarchismus ausgezeichnet“.10 Während noch Bluntschli meinte, „daß die reformatorische Bewegung des XVI. Jahrhunderts eher dem seinem Ende zureifenden Weltalter des Mittelalters als der jugendlich aufstrebenden Neuzeit angehört“,11 fanden im 20. Jh. vor allem die Thesen von Max Weber zum protestantischen „Geist des Kapitalismus“ und von Ernst Troeltsch zur „Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt“ Eingang in die Staatslehre.12 Troeltsch hatte im Gemeindeaufbau Calvins den Anfang der Republikanisierung des Staatslebens gesehen, wobei Calvin eher zur Aristokratie tendiert habe. Sein begrenztes Widerstandsrecht habe gegen seinen Willen zur Revolution geführt und trotz seines theokratischen Ideals hätten sich die Freikirchen letztlich vom Staat gelöst.13 Die schon von Engels behauptete14 und auch von Troeltsch dem Calvinismus bescheinigte Demokratietauglichkeit stieß neue Forschungen zu Calvins Verständnis vom Staat und von der frühmodernen Ständeverfassung an.15 Am Ende der Republiken von Weimar und Wien stand einerseits die österreichische literarische Anklage von Stefan Zweig, andererseits die schweizerische theolo10 Franz Neumann, The Governance of the Rule of Law (1936), dt. Die Herrschaft des Gesetzes, Frankfurt 1980, S. 97 f. 11 Johann Caspar Bluntschli, Allgemeine Staatslehre, 5. Aufl. Stuttgart 1875, S. 55. 12 Vgl. z. B. Anton Menger, Neue Staatslehre, Jena 1904, S. 226: „Wenn also Marx und noch mehr der Marxismus auch das religiöse Leben als eine Konsequenz der wirtschaftlichen Verhältnisse betrachtet, wenn beispielsweise Engels von diesem Standpunkt aus die Behauptung aufstellt, Calvins Ansichten über die Gnadenwahl seien der religiöse Ausdruck der Tatsache, daß in der Handelswelt der Konkurrenz Erfolg oder Bankrott nicht abhängt von der Tätigkeit oder dem Geschick des einzelnen, sondern von Umständen, die von ihm unabhängig sind – so streifen solche Ansichten hart an das Gebiet der Lächerlichkeit.“ Hermann Heller, Staatslehre (1934), Tübingen 1983, S. 136: „Trotzdem hat die Reformation durch die ihr folgenden fürchterlichen Glaubenskriege, auch abgesehen von der calvinistischen Wirtschaftsethik, zur Verweltlichung des allgemeinen Bewußtseins sehr wesentlich mitgeholfen.“ 13 Ernst Troeltsch, Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit (1906/1909/ 1922), in: Kritische Gesamtausgabe, 7, Berlin 2004, S. 81 ff. 14 Friedrich Engels, Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, Vorwort zur engl. Ausgabe, London 1892: „Dazu war Calvins Kirchenverfassung durchweg demokratisch und republikanisch; wo aber das Reich Gottes republikanisiert war, konnten da die Reiche dieser Welt Königen, Bischöfen und Feudalherrn Untertan bleiben? Wurde das deutsche Luthertum ein gefügiges Werkzeug in den Händen deutscher Kleinfürsten, so gründete der Calvinismus eine Republik in Holland und starke republikanische Parteien in England und namentlich in Schottland. Im Calvinismus fand die zweite große Erhebung des Bürgertums ihre Kampftheorie fertig vor.” 15 Gisbert Beyerhaus, Studien zur Staatsanschauung Calvins mit besonderer Berücksichtigung seines Souveränitätsbegriffs, Berlin 1910; Hans Haussherr, Der Staat in Calvins Gedankenwelt, Leipzig, 1923; Hans Baron, Calvins Staatanschauung und das konfessionelle Zeitalter, Berlin 1924; Josef Bohatec, Calvin und das Recht, Feudingen 1934; ders., Calvins Lehre von Staat und Kirche mit besonderer Berücksichtigung des Organismusgedankens, Breslau 1937.
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gische Verteidigung durch Karl Barth, dessen dialektische Theologie aus der Lehre der Rechtfertigung und der Idee der Christen- und Bürgergemeinde eine politische Verantwortung für die Demokratie bis hin zu einer Widerstandspflicht entwickelte.16 Nach dem zweiten Weltkrieg fanden daher die Naturrechts- und Widerstandslehre Calvins und der Monarchomachen wieder besondere Aufmerksamkeit.17 In „Naturrecht und Menschenwürde“ Ernst Blochs tritt Calvin als „weltkluger Jurist“ auf, der im Westen lebte, „in einem fortgeschritteneren Bürgertum, das auf den Staat Einfluss zu nehmen begann“. In einem „gegen das Lutherische progressiv pervertierten Naturrecht, das sich auf Handel und Wandel verstand“, habe Calvin die „lex Christi“ wieder mit der „lex Mosis“ identifiziert, das Privateigentum als Stiftung Gottes („Obereigentümer“) gesichert, „Anfänge von Volkssouveränität, Revolutionsrecht, konstitutioneller Bindung“ geschaffen und der Gewissensfreiheit als „theologische(r) Wurzel“ des Naturrechts der Menschenrechte vorgearbeitet.18 In „Constitutional Reason of the State“, sah Carl-Joachim Friedrich dagegen bei Calvin eher eine konfessionalisierte reason of church die Staatsraison verdrängen, weshalb der Calvinismus sowohl autoritäre Tendenzen in den eigenen Staaten, als auch revolutionäre Radikalität und Widerstand in den anderen Staaten gefördert habe.19 Auffällig zurückhaltend blieb schließlich der reformierte Rudolf Smend, der im evangelischen Kirchenlexikon 1959 resümierte, es gäbe keine reformierte Staatslehre. Die Zweireichelehre enthalte keinen Baustoff für den Staat und fördere keine statische Ordnung, allenfalls zeichne sie sich durch ein außerordentliches Kritikpotential aus, „freilich mehr bei Luther als bei Calvin“.20
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Karl Barth, Rechtfertigung und Recht, Zürich 1938, S. 16 ff. Christengemeinde und Bürgergemeinde, München 1946. Vgl. auch Dietrich Bonhoeffer, Ethik, 4. Aufl., München 1958, S. 42 f.: „Die Begrenzung aller irdischen Gewalten durch die Souveränität Gottes“, dieser „dem Calvinismus entstammende Gedanke“ „begründet die amerikanische Demokratie“. 17 Ulrich Scheuner, Zum Problem des Naturrechts nach evangelischer Auffassung, in: Kirche und Recht, Göttingen 1950, und Schriften zum Staatskirchenrecht, Berlin 1973, S. 580; Ernst Wolf, Das Problem des Widerstandsrechts bei Calvin, in: Widerstandsrecht und Grenzen der Staatsgewalt, Berlin 1956, S. 45 ff. 18 Ernst Bloch, Naturrecht und menschliche Würde (1961), Frankfurt 1980, S. 46 ff. Vgl. auch Erik Wolf, Das Problem der Naturrechtslehre, Karlsruhe, 3a, 1964, S. 103 ff. Das Prinzip der „mutua obligatio“ im Sozialstaat hebt hervor Jörg Baur, Gott, Recht und weltliches Regiment im Werke Calvins, Bonn 1965, S. 125. Zum Naturrechtsdenken in Calvin zuletzt Kalle Elonheimo, Das universale Recht bei J. Calvin, Helsinki 2006. 19 Carl Joachim Friedrich, Constitutional Reason of State: The Survival of the Constitutional Order, Providence 1957, dt. Staatsraison im Verfassungsstaat, Freiburg 1961, S. 61, ihm folgend Herfried Münkler, Im Namen des Staates, Frankfurt 1987, S. 99. Vgl. auch Carl Joachim Friedrich, Johannes Althusius und sein Werk im Rahmen der Entwicklung der Theorie von der Politik, Berlin 1975, S. 65. 20 Rudolf Smend, Staat, in: Evangelisches Kirchenlexikon, 1959, 3, S. 1105 ff.
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Die Smendsche Integrationslehre des Staates als reale Verbandseinheit selbst stand zwar dem Calvinschen Gemeindevolk durchaus näher als der Sozialvertragslehre, sie hat jedoch das reformierte Misstrauen gegenüber monokratischer Führung weniger verdeutlicht. Viele dieser Gedanken bezeichnen noch heute offene Fragestellungen der Verfassungslehre. Die Nutzlosigkeit einer Vertragslehre der Verfassung ist nicht erwiesen, aber auch die von Jellinek angedeutete Verkoppelung des Gesellschaftsvertrags mit dem Modell der christlichen Gemeinde vermag die heutige Verfassung der europäischen Parteiendemokratie kaum zu erklären oder zu entwickeln. Der im republikanischen Deutschland aus der vergleichenden Sicht Winfried Bruggers vorherrschende kommunitaristische Verfassungsbegriff21 ist zudem durch Kontroversen um Volksbegriff, „Wertordnung“, „Verfassungspatriotismus“ und neuerdings auch um die „Verfassungsidentität“ belastet. Liest man in Calvin allein einen Beitrag zur Mischverfassung, dann wäre zumindest zu fragen, ob nicht das besondere Vertrauen in die Verfassungsrichter als eine Erfolgsgeschichte seiner Ephorenlehre zu lesen ist. Liest man Calvin dagegen als puritanischen Tugendtyrann,22 dann erscheint er kaum geeignet, den modernen Konstitutionalismus gegen evangelikale Anfechtungen zu verteidigen, die die Säkularisierung für beendet erklären und ihre Rückabwicklung einfordern. Schon dieser erste Durchgang durch die Bibliothek der Verfassungslehren zeigt, dass Calvin ein Klassiker ist, dessen Bild im Calvinismus und im Anticalvinismus nicht frei von teils mythischen, teils dämonischen Zügen gezeichnet wurde. Nur eine erneute Exegese seiner Werke kann helfen, seine reformierte Staatslehre fortzuschreiben.
C. In principio fit verbum: Constituere ordo ecclesiae Sucht man bei Calvin nach Konstitutionalismus, so stellt sich die Frage, mit welchen sprachlichen Mittel er sich dem Verfassungsproblem nähert. Im Genf des 16. Jh. konnte man gewiss noch nicht von einer förmlichen geschriebenen normativen Verfassung sprechen und auch die sog materielle Verfassung der Republik war nach der Abreise des letzten Bischofs unklar. Nach dem heutigen Forschungsstand hatte der römischrechtliche und kanonistische Begriff der constitutio allenfalls die Solemnität der Form, aber noch nicht die
21 Vgl. nur Winfried Brugger: Kommunitarismus als Verfassungstheorie des Grundgesetzes, in: Archiv des öffentlichen Rechts 1998, S. 337 ff. 22 Volker Reinhardt, Die Tyrannei der Tugend, München 2009.
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Funktion des modernen Verfassungsbegriffs.23 Bislang spricht man deshalb traditionell eher von einer Staatslehre als von einer Verfassungslehre Calvins, wobei sofort zu bemerken ist, dass er estat auch auf die Kirche anwendet (le corps de l’église en son estat). Seine im Seneca-Kommentar gefestigte humanistische Bildung hat Calvin allerdings mit den Begriffen civitas („societas quae probis moribus et aequis legibus vivat“) und res pubblica (status reipublicae bene constitutus) ausgestattet, zu denen ein Aristoteles und Cicero verknüpfendes politiam constituere hinzutritt. Seine Schriften verwenden das Substantiv Constitutio daher im traditionellen römisch-kanonistischen Sinn, laden es aber in bestimmten Kontexten auch mit der besonderen Bedeutung eines Institutionen ordnenden constituere auf. Was später Verfassung genannt wird, ist bei Calvin eine konstituierende constitutio. Der Genfer Stadtstaat wird als res publica (sine republica non est Caesar, status reipublicae bene constitutus) und politia mit einem besonderen status (status politicus, politiae status, status populi) konzipiert. Constituere wird aber nicht nur auf die Republik (neque politia ulla satis firma est, nisi certis legibus constituta), sondern auch auf die Freiheit bezogen: libertas ad moderationem composita (..) et rite constituta. Der Grund für dieses Interesse Calvins an der Republik stand im Brief des Jeremias: „Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe lassen wegführen (29, 7).“ Im Vordergrund seines theologischen und juristischen Denkens stand jedoch die richtige Ordnung der Kirche. So finden sich in der ersten Auflage der Institutio, im letzten Kapitel zur christlichen Freiheit, zwei Abschnitte zur Legitimität einer Kirchenordnung: an episcoporum constitutiones obligent und quae ad ecclesiae eutaxian pertinent constitutiones legitimae sunt. Darin vertritt er zunächst die Auffassung, dass die Kirchengesetze keine Bindung in dem von Gott freigesetzten Gewissen erzeugen und keinen tyrannischen Gewissendruck erzeugen sollen. Daher geht es nur noch um Gesetze, quibus ecclesiae ordo constituitur (des reigles qui sont mises pour tenir ordre en l’eglise). Dabei gelte es zu verhindern, die göttlichen Imperative durch menschliche Traditionen (constituer la Religion en ces vaines traditions) zu ersetzen, da die wahre Kirche allein auf die göttliche Souveränität gegründet sei. Si in omni hominum societate necessariam esse politiam aliquam videmus, quae ad alendam communem pacem, ac retinendam concordiam valeat, si in rebus agendis aliquem ritum qui ad publicum pertineat honestatem atque adeo humanitatem ipsam, is in ecclesiis praesertim observandum esse, quae cum bene constituta rerum omnium compositione optime sustinentur, tum vero sine concordia nullae sunt prorsus. Im vierten Buch der Institutio von 1541 werden daher eine Reihe von theologischen und rechtlichen Prinzipien zusammengestellt, die den göttlichen Stifterwillen für eine neue Ordnung der Kirche in der Welt auslegen: de externis mediis vel adminiculis quibus Deus in Christi societatem nos invitat & in ea retinet. Die göttliche Institutio der unsichtbaren Kirche, quia piorum omnium mater est, inspiriert auch das Regiment der sichtbaren Kirche durch seine lieutenants – Rousseau spricht später 23 Vgl. Heinz Mohnhaupt/Dieter Grimm, Verfassung, Berlin 1995; Antonio Trampus, Storia del costituzionalismo italiano nell’età dei Lumi, Roma 2009, S. 4 ff.
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von agents. Sie sind wie Nerven, die die Gläubigen zu einem einzigen Körper vereinen: de ecclesiae doctoribus & ministris. Ihre Aufgabe ist die Verkündung des göttlichen Wortes und dadurch auch „bouche de la loi“ zu sein. Da Christus selbst die ersten Apostel berufen hat, erfordern das Recht und die Freiheit der Kirche eine Kooptation der Doktoren und Verwalter durch die Pastoren unter Zustimmung des Volkes, das ihre Dignität und Fähigkeit zu bezeugen hat (IV 3). Aus einer Geschichte der Verfassung der Urkirche, de statu veteris Ecclesiae, & ratione gubernandi quae in usu fuit ante Papatum (IV 4), und ihrer Korruption durch die päpstliche Praxis begründet Calvin eine Dreiteilung der geistlichen Gewalten, die nicht personen-, sondern amtsgebunden seien. Die erste Gewalt besteht in den ministères de la parole, der Umsetzung von Gottes Wort in Glaubensartikel und ihrer Auslegung (IV 8). Hierzu hätten die Konzilien kein Monopol auf Wahrheit und authentische Auslegung, sondern allenfalls ein Recht auf „Vor(be)urteil(ungen)“ (IV 9). Die zweite Gewalt sei die gesetzgebende (de potestate in legibus ferendis), von der das Papsttum einen tyrannischen Gebrauch gemacht habe, um die Gewissen in einem vom göttlichen Gesetz nicht erforderlichen Mabe zu binden. Christus habe die Gewissen nicht dazu befreit, dab die Kirche sie wieder mit unnützen zeremoniellen Dienstbarkeiten belaste. Eine Kirchenordnung sei nur insofern legitim, als sie Disziplin, Ehrlichkeit und Frieden schaffe (IV 10). Die dritte Gewalt in der Kirche könne daher allein der Aufrechterhaltung der Disziplin dienen. Die Jurisdiktion sei bien en vérité la principale en un état bien réglé, solange sie auf die Schlüsselgewalt zurückgeführt und nicht zu weltlichen Zwecken missbraucht werde (IV 11).24 Dem gouvernment civil (IV 20) komme schließlich die Aufgabe zu, diesen statum Ecclesiae zu verteidigen, vitam nostram ad hominum societatem componere, ad civilem iustitiam mores nostros formare, non inter nos conciliare, communem pacem ac tranquillitatem alere. Statt der menschlichen Eitelkeit zu frönen und eine abstrakt beste Regierungsform zu empfehlen, gelte es, Tyrannei und Anarchie zu vermeiden und die Humanität der weltlichen Regierung zu sichern: ut inter Christianos publica religionis facies existat, inter homines constet humanitas. Hierzu dienen drei rechtsstaatliche Elemente des gouvernement civil: Magistratus qui praeses est legum ac custos: Leges, secundum qua se ipse imperat: Populus, qui legibus regitur et magistrati paret. (IV 20,3). Die Magistrate seien Träger einer besonderen Würde, vicaires de Dieu, und sollten ihre supériorité civile als einen Beruf (vocation) und Dienst an göttlicher Gerechtigkeit verstehen, die erste und die zweite Tafel des Dekalogs beachten, ungeordnete Strenge und abergläubische Milde ebenso vermeiden wie unverhältnismäßige Abgaben (subsides de la nécéssité publique) und Ausgaben. Auf die Frage, quibus legibus costituenda sit Christiana politia (IV 20, 14), antwortet Calvin, die Gesetze seien rerum pubblicarum nervi und animae, sine quibus consistere nequit 24 Dem schließt sich an die Reform der Zensur (IV 12), die Abschaffung von Mönchsorden und Zölibat (IV 13), die Reform der Sakramente (IV 14), der Taufe (IV 15 – 16) und der „sacra Christi Coena“ (IV 17 – 18).
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magistratus und dienten der Pflege von mores, ceremoniae, iudicia. Das Sittengesetz gebiete Pietas und Caritas. Die Zeremoniale dürften nicht der Pietas, die Rechtsgesetze nicht der Caritas widersprechen. Jede Nation sei frei in der Wahl der gesetzlichen Mittel, die den Zweck der Caritas verwirkliche (IV 20, 15). Jedes Gesetz habe Form und Substanz, legis constitutio et aequitas, ordonnance und équité (IV 20,16). Das Volk schließlich, soweit es eine christliche Gesellschaft (compagnie des chrétiens) bildet, begeht keine Selbstjustiz, sondern achtet die Magistrate und die Gesetze (IV 20, 17 ff.) und überlässt den Widerstand gegenüber Tyrannen Ephoren oder Volkstribunen (IV 20, 31). Im Schlusskapitel seiner Institutio vertraut Calvin also der police bzw. dem bürgerlichen Regiment den Schutz und die Pflege der Religion an (recte constituendae religionis curam, IV 20, 3). Seine Aufgabe, constituere ordo ecclesiae, erfordert aber ebenso wie das „constituere rem pubblicam“ eine besondere constitutio25, ein menschliches Gesetz, das die göttliche Institutio schützt und die Organisation von Religion und Politik strukturell verkoppelt. Die reformierte Kirche wird mit einem reformierten Staat organisch verwoben. Bohatec hat sogar eine Stelle gefunden, in der constitutio synonym für organische Zusammenbindung verschiedener Teile steht: Graece apud Paulum est jataqtisl|r, quod vocabulum significat coaptationem rerum, in quibus debet esse symmetria et proportio. Quemadmodum in humano corpore est iusta et bene digesta membrorum coagmentatio. Unde etiam pro perfectione sumitur. Sed mihi magis probatori constitutio. Nam dicunt proprie Latini, constitui rem publicam aut regnum aut provinciam, quum ex dissipatione omnia in rectum et legitimum statum restitui contingit.26 Der neuartige Gebrauch des Verbums constituere bei Calvin hat in der eleganten Jurisprudenz seiner Zeit Parallelen. Im „Magnum Lexicon Juridicum Johanni Calvini“ (alias J. Kahl) von 1759, dessen Erstausgabe auf 1600 datiert ist, finden sich neben der allgemeine Definition generali nomine dicitur jus quod a principe conditur u. a. Wendungen von Oldendorp (constituere alius est formare & bonam dispositionem adhibere) und Brisson (constituere jura, id est, condere), aber auch bei Alciati (cum parte statuere & deliberare).27 Im Vokabular des Calvinismus werden später noch weitere Neologismen des Konstitutionalismus registriert. Im „Discours sur les Moyens de bien gouverner et maintenir en bonne Paix un Royaume ou autre Principauté“ des Innocent Gentillet von 1576 taucht erstmals der Begriff „loix fondamentales“ auf, der in „The Maximes of the Law“ von Francis Bacon 1596 mit „fundamental laws“ übersetzt wird.28 25 „Quemadmodum, nulla urbs nullusve pagus sine magistratu et politia stare potest: sic ecclesia Dei – sua quidam spirituali politia indiget” (IV 11, 1). 26 Bohatec, Staat und Kirche (Anm. 15), S. 417. 27 Gerald Stourzh, Constitution: Changing Meanings of the Term from the Early Seventeenth to the Late Eighteenth Century, in: Terence Ball/John Pocock (Hg.), Conceptual Change and the Constitution, Kansas 1988, S. 35 ff. 28 Stourzh, Constitution (Anm. 27), S. 35 ff.
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Während Calvin und der Calvinismus constituere und constitutio vor allem auf die Kirchenordnung anwenden, wird im Katholizismus der Begriff erstmals auf die Staatsorganisation bezogen. 1578 beruft sich der Jesuit Petrus Gregorius Tholosanus auf die constitutio rei publicae, um all jene anzuklagen, die diese Verfassung der Republik stören, zerstören und umstürzen.29 Von einer antichristian constitution der anglikanischen Kirche spricht dagegen Henry Barrow 1592,30 worauf ein lange anhaltender Streit um die wahre Kirchenverfassung geführt wurde.31 Schon Lord Edward Coke hatte in The Chamberlain of London Case (1590) entschieden, London habe wie jeder corporate body ein Recht auf „ordinances and constitutions for the good order and government of the citizens, &c. consonant to law and reason“.32 Nach der Revolution beschrieb dann Matthew Hale 29
Vgl. Mohnhaupt, (Anm. 23), S. 33 ff. Vgl. auch pamphlete „A True confession of the Faith“ (1596) nonché „Salomon or A treatise declaring the state of the kingdome of Israel, as it was in the daies of Salomon: Whereunto is annexed another treatise, of the Church: or more particularly, of the right constitution of a Church“ (1596). 31 Vgl. nur die folgenden Titel: Joseph/John/Iohn/Iojn Smyth, The character of the beast, or, The false constitution of the church: discovered in certayne passages betwixt Mr. R. Clifton & Iohn Smyth, concerning true Christian baptisme of new creatures, or new borne babes in Christ, and false baptisme of infants borne after the flesh, 1609; Henry Jacob, The Divine Beginning and Institution of Christs true Visible or Ministeriall Church. Also the Unchangeablenes of the same by men; viz. in the forme and essentiall constitution thereof, Henry Hastings: Leyden, 1610; James Maxwell, A new Eight-fold Probation of the Church of Englands divine constitution, prooved, by many pregnant arguments, to be much more complete than any Genevian in the world, London, 1617; John Cotton, The true constitution of a particular visible church, proved by Scripture: Wherein is briefly demonstrated by questions and answers what officers, worship, and government Christ hath ordained in his church, London, 1642; Christopher Blackwood, The storming of antichrist, in his two last and strongest garrisons, of compulsion of conscience and infants baptisme: wherein is set down a way and manner for church constitution together with markes to know right constituted churches, from all other societies in the world, 1644; James Noyes, The Temple measured; or, a Brief Survey of the Temple Mystical, which is the instituted Church of Christ. Wherein are solidly and modestly discussed most of the material Questions, touching the Constitution and Government of the Church militant here on earth, etc. in: John Ellis, Vindiciæ Catholicæ, or the rights of particular Churches rescued: and asserted against that meer … notion of one Catholick, Visible, Governing Church: the foundation of the … presbyterie, London, 1647; George Lawson, Politica sacra & civilis: or, A modell of civil and ecclesiasticall government: Wherein, besides the positive doctrine concerning state and church in general, are debated the principall controversies of the times. Concerning the constitution of the state and Church of England, tending to righteousness, truth and peace, London, 1660. 32 7 Eng. Rep. at 151: „ordinances, constitutions, or by-laws (…) contrary or repugnant to the laws or statutes of the realm are void and of no effect“. Dazu Mary Bilder, The Corporate Origins of Judicial Review, The Yale Law Journal 2006, S. 527. Auch die „charter“ der amerikanischen Kolonien waren „constitution“: „Fundamental Constitutions of Carolina“, 1669; „Great Charter or Fundamentals“ of West New Jersey, 1676. Im 18. Jh. wird erstmals zwischen alter und neuer „constitution“ unterschieden: George St. Amand, An historical essay on the legislative power of England: Wherein the origin of both Houses of Parliament, their ancient constitution, and the changes that have happen’d … ; London, 1725; Jonathan Swift, A 30
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in seiner „History of the Common Law of England“ das „Common Municipal Law“ als „Complection and Constitution of the English Commonwealth“.33 Die deutsche Übersetzung in „Kirchenverfassung“ wurde im 17. Jahrhundert verbreitet.34 Die Kontroversen um sie fanden mit der französischen Revolution kein Ende,35 an die sich im 19. Jh. der Begriff des „Konstitutionalismus“ anschloss.36 Defence of the legislative constitution of the province of Pennsylvania, as it now stands confirmed and established, by law and charter, s.l.: Andrew Bradford, [1728]. 33 Matthew Hale, The History of the Common Law of England, London 1713. 34 Deß H. R. Reichs Frey¨er Statt Straßburg Regiment Kirchen unde Schul-Verfassung, Straßburg, Paullus: 1680; Der wohleingerichtete Staat Des bishero von vielen gesuchten, aber nicht gefundenen Königreichs Ophir: Welcher Die völlige Kirchen-Verfassung, Einrichtung der hohen und niedern Schulen, des Königs Qualitäten, Vermählungs-Art … Gesetze und Ordnungen, nebst allen zu wissen nöthigen Nachrichten und Merckwürdigkeiten vorstellet, Groschuff: Leipzig, 1699; Philipp Balthasar Sinold von Schütz, Die glückseeligste Insul auf der gantzen Welt, oder das Land der Zufriedenheit : dessen Regierungs-Art, Beschaffenheit, Fruchtbarkeit, Sitten derer Einwohner, Religion, Kirchen-Verfassung und dergleichen, samt der Gelegenheit, wie solches Land entdecket worden, ausführlich erzehlet wird, Königsberg : Frommann, 1723; J. J. Struve, Eines evangelischen Lehrers freimüthige Beantwortung einiger von seiner Obrigkeit ihm vorgelegten Fragen betreffend die heutige Kirchen-Verfassung, 1731; David Cranz, Kurze, zuverlässige Nachricht von der, unter dem Namen der BöhmischMährischen Brüder bekanten, Kirche Unitas Fratrum Herkommen, Lehr-Begrif, äussern und innern Kirchen-Verfassung und Gebräuchen, aus richtigen Urkunden und Erzählungen, 1762; Magnus Friedrich Roos, Christliche Gedanken von der Verschiedenheit und Einigkeit der Kinder Gottes: nebst des sel. Hrn. Superintendenten Christoph Friedrich Steinhofers Entwurf eines theologischen Sendschreibens von dem Unterschied der gemeinen Kirchenverfassung, und der besondern Anstalten und Gemeinen, Stuttgart : Erhard, 1764; Johann Stefan Pütter, Die Augsburgische Confession : in einem neuen Abdrucke und mit einer Vorrede worinn unter andern der Unterschied der evangelischen Reformation und der catholischen Gegenreformationen wie auch der wahre Grund der evangelischen Kirchenverfassung aus der A. C. selbst erläutert wird, Göttingen : Vandenhöck, 1776; H.-G. Scheidemantel, Allgemeines KirchenRecht beyder Evangelischen Confeßionen in Pohlen und Litthauen, die Kirchen-Verfassung, gute Ordnung, Policey und rechtliche Thätigkeit der Consistorien betreffend Warschau: Dufour, 1780; C. Velthusen, Einige Nachricht von der evangelischen Kirchenverfassung in Nordcarolina, insonderheit von den Schicksalen und Bemühungen des im Jahre 1773 dahin abgesandten Predigers Nussmann, Helmstedt, 1786. In Italia: Veri principj della costituzione della Chiesa Cattolica opposti alle speculazioni moderne distruttive della gerarchia e della giurisprudenza canonica Traduzione dal francese, Fermo 1788. 35 Vgl. insbesondere: „Rede über die Grundsätze einer protestantischen Kirchen-Verfassung im Elsasse: in dem Strasburgischen Kirchen-Convente den 21. Novemb. 1790 gesprochen“, Straßburg, 1790; Johann Roth, Privatgedanken über das Recht deutscher Landesherrn gegen Religion und Kirche nach der heutigen deutschen Staats- und Kirchenverfassung: mit Hinsicht auf das zukünftige neue dt. Konkordat durch wirkliche Fälle bey Regierungen und Vikariaten erläutert, Würzburg, 1805; Ueber das patriotische Wort zu seiner Zeit, welches Dr. H. ein katholisch-geistlicher Canonist zur baldigen Wiederherstellung der katholischen Kirchenverfassung in den rheinischen Bundesstaaten ausgesprochen hat, Freyburg und Konstanz: Herder, 1812; K.-H. Neumann, Aus welchem Gesichtspunkte muß die in Anregung gebrachte Verbesserung der protestantischen Kirchenverfassung betrachtet werden? Berlin, 1815; Johann Christian Wilhelm Augusti, Betrachtungen über die Reformation und Kirchen-Verfassung in Schweden, Breslau, 1816; Jonathan G. J. Schuderoff, Über den innerlich nothwendigen Zusammenhang der Staats- und Kirchen-Verfassung, Ronneburg, 1818; Karl Dietrich
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D. Calvin als Verfassungsvater der reformierten Kirche Genfs Die erste Ausgabe der Institutio ist zwar kein Programm einer Verfassungspolitik, geht aber einer Reihe von rechtlichen Werken voraus, an denen Calvin als jure consultus mitwirkte und die im Lichte ihrer in den weiteren Auflagen entwickelten Ideen ausgelegt werden können. Sie betrafen vor allem die Organisation der Genfer Kirche und ihre Beziehungen zur politischen Gewalt. Zur Kirchenorganisation definierte Calvin zunächst die vera ecclesia als unsichtbare Union der Auserwählten aller Zeiten und Orte, die sich als Glieder „unter dem caput Christi im corpus Christi mysticum vereinen“. Die von Gott gestiftete Kirche könne nur in loco in der ecclesia externa sichtbar werden, die die Gemeinschaft der Gläubigen bilde und einer potestas ecclesiastica bedürfe, die den „ministros Christi e dispensatores mysteriorum Die“ zustehe.37 Das Ziel einer „ecclesia spiritu Domini gubernatur“ erforderte eine Reform der bestehenden Rechtsgrundlagen, die die dem Geiste der Institution widersprechenden Regeln ausscheiden und mit aus der Offenbarung abgeleiteten Prinzipien eine neue ordo ecclesiae herstellen sollte.38 Schon im Januar 1537 hatten die Pastoren einen ersten Vorschlag erarbeitet, den Farel der Genfer Stadtregierung vorlegte. Es waren einige Artikel zum Abendmahl, der saincte Cene de nostre Seigneur, die sie selon la cognoysenance que le Seigneur nous en az donne entwarfen und dem Rat zur Entscheidung ce qui est de votre office übermittelten: Que les ordonnances par lesquelles son église est entretenue sont que elle soyt vrayement et le plus prest que fere se puelt confermee a sa parolle qui est la certayne reigle de tout gouvernement et administrations mays principalement du Hüllmann, Ursprünge der Kirchenverfassung des Mittelalters; Bonn 1831; Friedrich Julius Stahl, Die Kirchenverfassung nach Lehre und Recht der Protestanten, Erlangen, 1840; Johann Caspar Bluntschli, Zur Geschichte der reformirten Kirchen-Verfassung, Tübingen, 1842. Vgl. auch Eugène Diény, Recherches sur la constitution intérieure de l’Église dans saint Paul, 1853; Élie J. Castel, Les Huguenots et la constitution de l’Église réformée de France en 1559, Paris, 1859. 36 Der Begriff „constitutionalisme bâtard“ (Camille Jordan) findet sich in französischen Pamphlets seit 1817. Vgl. Karl Hermann Scheidler, Paränetische Propädeutik der Rechtsphilosophie: mit besonderer Beziehung auf die practische Bedeutung des Vernunftrechts für die wichtigsten politischen Probleme unserer Zeit, den Constitutionalismus und die Lebensfrage der Civilisation überhaupt, Jena, 1842; Ludwig Kellermann, Urtheil in Sachen der Krone wider die National-Versammlung und der National-Versammlung wider die Krone: vom Standpunkte des Gesetzes und der politischen Grundideen des Constitutionalismus, Berlin 1848; Anonymus, „Der Schein-Constitutionalismus“, in: An die Wähler. Expedition des „Centralcomité für volksthümliche Wahlen im Preußischen Staate“ zu Berlin, Berlin, 1849; Anonimo, Esame degli stati civilizzati del mondo dal quale resta statisticamente dimostrata la preponderanza che l’elemento nazionale ed il costituzionalismo vanno sempre più acquistando … : studio di un veneto, Torino, 1860; James Lorimer, Constitutionalism of the future; or, Parliament the mirror of the nation, Edinburgh, 1865. 37 Kap. VI, S. 205. 38 Kap. VI, S. 226.
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gouvernement ecclesiastique.39 Formell war die Rechtsetzungsgewalt des Rates anerkannt, aber der Sache nach beanspruchten die Pastoren eine eigene autonome Befugnis, die dem göttlichen Geist am besten entsprechenden Regeln zu erkennen. Die erste Reformidee der Pastoren betraf mit dem Abendmahl nicht nur den Kernritus der Kirchengemeinschaft, den Moment der mystica unio, sondern beanspruchte auch die Entscheidung über den Kirchenausschluss, die Aufhebung des Zölibats und die Abfassung einer Konfession. Der Rat entsprach diesem Vorschlag nicht, aber Calvin verfasst dessen ungeachtet eine Instruction et confession de foy dont on use en l’église de Genève. Farel erstellte daraus eine Confession de la foy la quelle tous bourgeois et habitants de Genève et subiectz du pays doyvent iurer de garder et tenir, extraicte de l’Instruction. Die Stadtregierung hielt daraufhin am 27.7. 1537 eine von der Opposition verweigerte Vereidigung ab, verbot aber den Kirchenausschluss der Verweigerer. Die Opposition gewann im Februar 1538 die Wahlen, verbot Farel und Calvin jede Einmischung in die Politik und entschied nach Ostern, beide zu entlassen und auszuweisen.40 Bei seiner Rückkehr verlangte Calvin in einem Brief an Farel unverzüglich neue Ordonnances: Exposui non posse existere ecclesiam, nisi certum regimen constitueretur.41 Sein Entwurf von 1541, das Projet d’ordonnances ecclésiastiques beginnt nicht mehr mit den Fragen des Kultus, sondern mit der Organisation der vier Ämter. „Il y a quatre ordres d’offices que notre seigneur a institué pour le gouvernement de son église. Premierement les pasteurs, puis les docteurs, après les anciens, quatrement les diacres.“ Die Pastoren verkünden Gottes Wort „pour endoctriner, admonester, exhorter et reprendre tant en public comme en particulier“ und verwalten die Sakramente und die Sanktionen. Die Doktoren stehen aufgrund ihrer lecture de théologie der Kirchenregierung am nächsten (plus conjoint au gouvernement de l’esglise) und verwalten die Lehrtätigkeit mit dem Auftrag: „preparer tant au ministere que au gouvernement civil“. Die Ältesten nehmen an der Disziplinargewalt teil, ermahnen, verwarnen und berichten der compaignye der Pastoren, die über die Sanktionen entscheiden. Die vierte Ordnung der Diakonen befasste sich mit den guten Werken der Kirchengemeinschaft, speziell der Krankenhausverwaltung und – abweichend von anderen protestantischen Städten – der Armenfürsorge, da Betteln der bonne police widersprach. Die Bestellung der Pastoren folgte dem bestehenden Modell, l’ordre de l’église ancienne, der internen Wahl und der externen Approbation durch den Rat. Zur Bestellung der Doktoren schweigt die Ordonnance. Für die Kollegien der Ältesten und 39 Articles concernant l’organisation de l’église et du culte à Genève, proposés au conseil par les ministres, 16.1. 1597, Iohannis Calvini Opera qua supersunt omnia, 22, 6 ff. Endfassung in: Registres de la Compagnie des pasteurs de Genève, vol. I. 1546 – 1553, Genève 1964, S. 1 ff. 40 Frans Pieter van Stam, in: Herman Selderhuis, Calvin Handbuch, Tübingen 2008, S. 32 ff.; Volker Reinhardt, Die Tyrannei der Tugend, München 2009, S. 89 ff. 41 Vgl. Bohatec, Staat und Kirche (Anm. 15), S. 381.
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der Diakone wird eine gemischte politische Selektion vorgeschlagen, wonach zwei vom Engeren Rat, vier vom Rat der Sechzig und sechs vom Rat der Zweihundert gewählt werden: „Et les faudra tellement eslire qu’il y en ait en chascun quartier de la ville, affin davoir loeil par tout.“ Dieses System einer starken Laienbeteiligung wurde nur mit einigen Änderungen und im Laufe der Zeit verwirklicht. Die erste Ordnung bildete die compagnie des pasteurs42 und vereinigte sich mit der dritten Ordnung der Ältesten députés par la Seigneurie au consistoire. Das Genfer Konsistorium war ursprünglich nicht von Calvin vorgesehen, wurde aber dann von ihm als moderateur präsidiert und unterschied sich von anderen Disziplinargerichten, speziell auch von der in anderen protestantischen Städten bestehenden Ehegerichtsbarkeit durch seine gemischte Zusammensetzung. Für die zweite Ordnung wurde ein Collège de la rive und 1559 eine Akademie gegründet, der Calvin und Bèze als Mitglieder angehörten. Die vierte Ordnung wurde in die bestehenden städtischen Einrichtungen integriert, zuletzt durch eine neue Compagnie des pasteurs et des diacres ergänzt. In dieser auf die Prinzipien der Pluralität und Kollegialität gegründeten Ordnung der weder käuflichen, noch vererblichen Gemeindeämter dominierten stets die Pastoren und Doktoren, deren Bestellung jedoch nach den Ordonnances von 1560 von mindestens zwei Ältesten und dem Rat genehmigt und von der Gemeinde abgelehnt werden konnte.43 Die Ordonnances enthielten kein jus divinum der unsichtbaren Universalkirche und beanspruchten keine Bindung im Gewissen, konnten sich daher den örtlichen Bedingungen anpassen: „Pour entrenir bonne police, il est expedient qu’il y ait des ordonnances convenables à l’estat et disposition de chascune Eglise.“ Dieser ordre institué pour conserver la police spirituelle, gründete sich auf eine autonome Schlüsselgewalt, mit einem Recht zur Exkommunikation, das nur mit der Zustimmung plebis consessu ausgeübt werden sollte,44 aber im Verhältnis der Kirche zu den bestehenden politischen Institutionen in Genf umstritten blieb.45 Die Architektur der Genfer Kirche, erst später „Verfassung“ genannt, und die der anderen reformierten Kirchen ist in der Geschichte des öffentlichen Rechts unterschiedlich interpretiert worden. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts leitete Karl Rieker aus Calvins Schriften ein gemeinsames Formalprinzip ab, nach dem die Verfassung aus Gottes Wort abzuleiten (Schriftmäßigkeit) und mit der Ordnung der apostolischen bzw. christlichen Urkirche übereinzustimmen habe. Zu diesem original intent komme als Materialprinzip die Alleinherrschaft Christi (Christus rex), die jegliche hierarchische Herrschaft von Menschen über die Kirche ausschließe. Die grundsätz42 Der Entwurf der Ordonnance von 1541 sah eine „Konferenz“ vor: „(…) pour conserver la pureté et la concorde de doctrine entre eulx, conviennent ensembles un iour certain la semaine pour avoir conference des escripyures et que nulne sen exempte sil na excuse legittime.“ 43 Bohatec, Staat und Kirche (Anm. 15), S. 480 f. 44 Bohatec, Staat und Kirche (Anm. 15), S. 411. 45 Vgl. nur Peter Opitz, Leben und Werk Johannes Calvins, Göttingen 2009, S. 82 ff.
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liche Gleichheit der Christus dienenden Amtswalter habe es ermöglicht, das Presbyterium im Laufe der Zeit auch als ein repräsentatives Organ der Gemeinde zu verstehen. Die reformierte Kirche als von Gott mit Schlüsselgewalt ausgestattete societas fidelium sei in ihrer Rechtsform daher eher eine „Genossenschaft“ (bzw. Kongregation) als eine „Anstalt“ (oder Parocchia).46 Im Wien der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts hat Josef Bohatec die These gewagt, Calvin habe sich in diesen Punkten nicht von Luther entfernt.47 Die Kirchenverfassung Calvins beruhe auf einem organischen Konzept, dem comune ministerium aller Ämter, der Integralität von Geist und Körper (corporis integritas constituitur), pastoralen und laikalen Aufgaben, ordo cleri und ordo plebis. Das Modell sei weniger „christokratisch“ als vielmehr „pneumokratisch“.48 Die Debatte über die theologischen und politischen Elemente der calvinschen Kirchenverfassung, insbesondere die christliche Freiheit, Disziplin und Mäßigung der Ausübung der Kirchengewalt können hier nicht vertieft werden.49 Deutlich werden in ihr Elemente des rechtlichen Vokabulars des heutigen säkularen Konstitutionalismus. Das gilt für die Dreiteilung in Ministerium (des Wortes), Gesetze und Rechtsprechung in der Kirchenordnung, die in bemerkenswerter Analogie zur ad-ministratio politica verfasst ist. Auch das Prinzip der Kollegialität und der Autonomie der Kirchenkollegien, die sich allerdings den Räten der Republik unterordnen, führt zu gemeinsamen Traditionen des europäischen öffentlichen Rechts, die sich nur schwerlich mit dem Fürstenabsolutismus vertragen. Wenn nur Christus der König der Kirche sein kann und die „Minister“ sie unter der Beteiligung der Laien regieren, verlangt diese neue Regierungsform Garantien gegen menschliche Tyrannei, speziell eine Selbstdisziplin, in der die Pastoren ein Vorbild für die übrigen Gläubigen geben müssen. Die an die Stelle der bischöflichen Ehejurisdiktion tretende Disziplinargerichtsbarkeit beruhte auf dem Anspruch, in ein individuelles an den Dekalog gebundenes Gewissen zu reden und bildete im Grundsatz durch moral suasion eher soft law als harsh justice. Der Ausschluss vom Abendmahl und aus der Gemeinde bedeutete letztlich nur eine zivile Sanktionsgewalt, aber das Konsistorium zeigte auch die Sünder und Frevler beim Rat an und nahm insofern die Rolle einer Art Staatsanwaltschaft ein.50 46
Karl Rieker, Grundsätze reformierter Kirchenverfassung, Leipzig 1899. Bohatec, Staat und Kirche (Anm. 15), S. 382 ff. 48 Bohatec, Staat und Kirche (Anm. 15), S. 432. 49 Vgl. nur Ralf Dreier, Das kirchliche Amt, München 1972, 143 ff.; Hans Dombois, Das Recht der Gnade, II, Bielefeld 1983, S. 169 ff. Klärungsbedürftig bleibt vor allem, ob die „tria munera“ Christi der funktionellen Differenzierung der Ämter zugrunde liegt, also Pastoren und Doktoren vor allem an die priesterliche und prophetische Funktion, Presbyter und Diakonen dagegen an die königliche Funktion anknüpfen. 50 Noch 1563 befasste sich Calvin mit für das Verhältnis von Staat und Kirche besonders empfindlichen Rechtsfragen, z. B. ob das Konsistorium die Straftaten der Sünder zur Anzeige bringen sollte oder ob die Taufe durch Gemeindemitglieder, die nicht Pastoren sind, stets rechtsunwirksam sei. 47
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Diese Kirchenverfassung basierte auf einer Kritik der Verfassung der Katholischen Kirche und des Kirchenstaates anhand der Bibel und der veteris ecclesiae forma. In der Institutio von 1543 wurden unter Ausschluss des Papstes und des Bischofsamtes alle vier Kirchenorgane auf göttliche Stiftung oder Vorsehung zurückgeführt (u. a. 1. Korintherbrief 12, 28, Epheserbrief 4, 11 ff.). Die Regierungsform konnte nicht demokratisch, durfte aber keinesfalls monarchisch sein (Lukas 22, 26). Die Presbyter und Diakonen führten eine Laienbeteiligung an der Kirchenregierung ein, erstere nach dem Modell der römischen civitas: consessum seniorum, qui erat in ecclesia quod in urbe est senatus. Die theologische Begründung des Modells darf deshalb nicht den nur kaum explizierten rechtsvergleichenden Rundblick verdecken, der von den antiken Institutionen des Senats in Rom und des Synedriums in Jerusalem über die Serenissimia Signoria Venedigs (1462), Savonarolas Consiglio maggiore in Florenz (1494) und das zweijährige Dogato Genuas (1528) bis hin zu den neueren Einrichtungen der Stadtrepubliken Zürich, Bern, Basel und Straßburg reichte. Die aus diesen historischen Modellen konzipierte republikanische Verfassung der reformierten Kirche entsprang freilich weder einer autonomen pastoralen Gewalt, noch einer ungebundenen Zivilgewalt. Sie beruhte auf einer vorreformatorischen Konflikt- und Kooperationsgeschichte, in der sich als allgemeine Tendenzen die Laikalisierung der Kirche und die Konfessionalisierung der Republik verkoppelten.
E. Calvin als Berater der nachführenden Verfassungsreform der Republik Genf Zwischen Kirchenverfassung und Verfassung der Republik bestehen in Calvins Denken zahlreiche Verknüpfungen. Schon Montesquieu stellte in seinem „Geist der Gesetze“ fest, sowohl der republikanische Protestantismus des Nordens als auch der monarchische Katholizismus des Südens „n’ont guère d’autres idées de police que celle de l’Etat dans le quel ils sont nés. Calvin ayant pour lui des peuples qui vivaient dans des républiques, ou des bourgeois obscurcis dans les monarchies, pouvait fort bien ne pas établir des prééminences et des dignités.“51 Die Kirchenverfassung variierte je nach ihrem territorialen und geschichtlichen Kontext, weil die Religionen die Regierungsformen ihrer Regionen adaptierten. Hinsichtlich der Verfassungsgeschichte Genfs52 ist zunächst daran zu erinnern, dass es seit dem Jahre 1032 dem Heiligen Römischen Reich untergeordnet war, seit 1124 von einem Bischof als geistlicher Fürst regiert wurde, seit 1285 unter 51 Charles Montesquieu, Livre XXX, chap. V („Que la religion catholique convient mieux à une monarchie et que la protestante s’accommode mieux d’une république“). 52 Vgl. H. Fazy, Les constitutions de la Republique de Genere, Geneve 1890; Leopold Micheli, Les institutions municipales de Genève au XVe siècle, Genève 1912; Bohatec, Staat und Kirche (Anm. 15) S. 254 ff.; Henri Naef, Les origines de la Reforme a Genève (2 col.), Genève 1968; Les libertés et franchises de Genève, 1387 – 1987, Etat et Ville de Genève, 1987; Reinhardt, Tyrannei (Anm. 40), S. 26 ff.
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dem Schutz des Hauses Savoyen stand und 1387 eine charte des franchises erhalten hatte. Die communauté wurde von einem Conseil (du) général regiert, dem alle bourgeois und citoyens angehörten, die am ersten Sonntag jedes Jahres vier Syndices wählten. Letztere ernannten einen Conseil ordinaire (Rat der 2553 oder Engerer Rat), erstere einen Rat der 50. 1526 wählte die Stadt erstmals einen nicht vom Herzog vorgeschlagenen Bürgermeister, der einen Vertrag der combourgeoisie mit Fribourg und Bern unterzeichnete. Der Rat der 50 wuchs zu einem Rat der 60, zu dem 1527 ein noch größerer „Rat der 200“ trat. 1528 beschloss Bern, die Reform durchzuführen. Freiburg lehnte sie ab. 1529 weigerte sich Genf, die combourgeoisie aufzukündigen und widerstand erfolgreich der Belagerung durch die Truppen des Bischofs und Herzogs. Im selben Jahr wurde ein Lieutenant en la Justice Ordinaire berufen, dem seit 1534 ein Procureur du Comun beistand. 1530 griff Bern militärisch zum Schutze gegen den Herzog ein, der im Friedensvertrag von Saint Jullien die Unabhängigkeit der Stadt anerkennen musste. Die Bürger wurden dazu verpflichtet, „contra cives et burgenses non habeant compellere per curiam apostolicam sive curiam Vienne, sub poena privacionis borghesie“. Der Rat der 200 beanspruchte nun selbst, den Engeren Rat zu wählen und wies dem ordentlichen Rat die Aufgabe des facere duecentenarium zu. 1536 eroberte Bern das Vaud und schloss einen neuen Vertrag mit Genf, der es zur offenen Stadt erklärte, die Kirchengüter der Armenfürsorge widmete (sustentation des pauvres de leurs hospital)54 und die Außenpolitik unter den Vorbehalt der Zustimmung aus Bern stellte. Der Vertrag zur Erneuerung der combourgeoisie aus demselben Jahr enthält ein Versprechen gegenseitiger Treue und Wahrheit,55 Freundschaft, guter Nachbarschaft und Frieden „principallement puys que a pleu à Dieu esternel et tout puyssant par sa grace ordonner et disposer que nous, sud. de Genesve, nous sumes faicts conformes à nousd. combourgeoys de Berne en la foy“. Calvin wird daher in eine neue Stadtrepublik berufen, deren Institutionen tiefgreifende Transformationen erfahren haben und die an Bern durch einen Bundesvertrag gebunden ist, der auf einer „konform“ gewordenen Religion beruht. Das letzte Kapitel der Institutio behandelt daher unter der Überschrift „de politica administratione ou du gouvernement civil“ auch das zweite der beiden „Regimente“, dem die Aufgabe zukommt „ordonner seulement une justice civile, et réformer les moeurs extérieures“.56 53
Vorbild könnte c. 61 der Magna Carta gewesen sein: „Quod barones elegant XXV barones de regno nostro quos voluerint qui debent pro totis viribus suis observare, tenere et facere observare pacem et libertatesquas eis concessimus“. 54 Robert Kingdon, Social Welfare in Calvin’s Geneva (1968), in: Church and Society in Reformation Europe, London 1985, S. 50 ff. bezeichnet als Vorbilder Nürnberg (1522), Ypern (1525) und Lyon (1531), als Nachahmer auf nationaler Ebene England (1536) und Frankreich (1543). 55 „(…) jurons … de ministrer à l’autre loyaulté et verité, avancant leur honneur et prouffit et evitant leur dommage, demonstrant cecy, et faire les ungs envers les autres ce que sera honneste et licite, comme à bon set loyous bourgeoys appertient.“ 56 Engl.: „which pertains only to civil institutions and the external regulation of manners“.
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In diesem Kontext konnte Calvin seinem zur Reformation verpflichteten Dienstherrn nicht die Aufgabe einer cura religionis absprechen: „D’exclure ceux qui sont au gouvernement civil, qu’ils ne soyent aussi bien superintendens au regime spirituel, il me semble que ce soit contre toute raison.“57 In den ordonnances ecclesisastiques von 1541 wurde die Regierung der Stadt in die Kreierung der Kirchenorgane einbezogen. Dem entsprach die 1542 erfolgte Vereidigung der Pastoren und Diakone devant tout le peuple: „Premierement jurent fidelement annoncé la parole de Dieu et edifficacion du peuple et de servi en bonne conscience à ceste esglise à laquelle Dieu m’a obligé; et d’estre loyal à la Seigniorie, et gardé le bien et l’honneur comment vrays fideles doibvent faire, et de monstré bon exemple de subjecgtion, en obeyssant au loys et ordonnances par ladicte Seigniorie; reservant toujours la liberté de presché sa parolle comment nostre office le porte, selon son sainct commandement.“ Dieser Schwur beinhaltet eine doppelte, geistliche und weltliche Loyalität, erkennt aber einen Vorrang der weltlichen Gehorsamspflicht mit der einzigen Ausnahme der Freiheit der Predigt als Ausfluss der Gewissensfreiheit. Die in Calvins Werken als Entwurf der Pastoren verzeichnete ab 1544 registrierte Formel wurde weiter zugunsten der Kirchenautonomie ausdifferenziert. Der Schwur wurde zuerst auf das Amt (aut ministere autquelt je suys appelé) geleistet, nur dem Ruhme Gottes und dem Nutzen seines Volkes (l’utilité de son peuple autquelt je suys debteur) zu dienen, nicht „à mes affections charnelles, ne pour complaire à homme vivant“. In zweiter Hinsicht galt der Schwur der Rechtstreue zur Kirchenordnung „et en ce que m’est là donné de charge de admonester cieulx quil hont fally, m’en acquiter loyalement, sans donner lieu nha hayne, nha faveur, nha vengeance, nha aultre cupidité charnelle“. Der dritte Teil des Schwurs galt der Beachtung und Mehrung von Ehre und Nutzen der Stadt: „l’honneur et le proffit de la Seygniorie et de la Cité, mecstant poienne, en tan quha moy sera possibile, que le peuple ce entreteigne en bonne paix et ugnion soub le goubernement de la Seygniorie et ne conscentye nullement à ce qui contreviendront à cella.“ Schlieblich wurde eine allgemeine Rechtstreue versprochen „à la police et aux statuts de la cité“, freilich ohne damit die Religionsfreiheit einzuschränken: „sans prejudicquer à la liberté que nous debvons avoyer et enseygner, selon que Dieu le nous commande, et fayre des choses que sont de nostre office. Et ainsi je promest de servyr tellement à la Seygniorie et aut peuple que par cella je ne soyt nullement empeché de rendre à Dieu le service que je luy doys en ma vocation.“58 Auch im Lichte der Lehren der Institutio beinhaltete diese Eidesformel a) die Idee einer alle öffentlichen Ämter bindenden republikanischen Staatsraison,
57
Zit. nach Rieker, (Anm. 46), S. 100. R.C. vol. 38, fol. 228 – 229. Nel 1546 (R.C. 41, vol. 70). Weiter heißt es: „Et ce tam dans la cité que dehors, et tam en temps de prosperité que d’adversité, comment de guerre, de peste, aisyn qui sera advisé.“ 58
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b) einen Grundsatz der Subsidiarität der Disziplinar- und Zensurgewalt der Kirche, c) die Idee einer Schranke der politischen Gehorsamspflicht und eines Vorrangs der eigenen Amtspflicht, die die Kirche als eigenen Stand dazu berechtigte, solchen Rechtsakten der weltlichen Gewalt sich zu widersetzen, die den Pflichten der Kirche widerstrebten. Schon 1542 hatte Calvin den Auftrag erhalten, mit dem Bürgermeister Claude Roset ein „edyct sus la Republicque“ zu verfassen. Er nahm damit eine beratende Funktion in der Verfassungspolitik der neuen Genfer Republik wahr.59 Nachdem ein erster Vorschlag abgelehnt worden war, jedes Jahr nur noch die Hälfte der Bürgermeister zu wählen und so ihr Amt auf zwei Jahre auszudehnen, erging schließlich eine Prozessordnung (édit de lieutenant, 12.11. 1542) und eine Amtsordnung (ordonnances sur les offices et officiers, 28.1. 1543). Die in diesen Gesetzen implizierte republikanische Verfassungsordnung entwickelte die bestehende Regierungsform mit vier Bürgermeistern (einschl. eines „Ersten“) und vier Räten (Petit, 60, 200, Grand), schloss die Erblichkeit der Ämter aus und regelte die Zulassung zur bourgeoisie des Grand Conseil – Wahlorgan und Gesetzgeber der ordonnances – durch einen Mechanismus der Kooptation und der Erhebung einer Abgabe. Robert Kingdon hat zu Recht auf das Kollegialitätsprinzip hingewiesen, das die Stadtverfassung mit der Gemeindeverfassung teilte. Hinzu trat ein Prinzip der politischen Verantwortung, das durch kontinuierliche Wahlen garantiert wurde, die die Erblichkeit der Ämter ablösten. Diese Wahlen garantierten keinen dominierenden Einfluss der Kirche auf die Politik. Erst ab 1556 gelang es Calvin und den Pastoren, eine sich ihren Vorstellungen unterordnende Mehrheit in den Räten zu konsolidieren.60 Das begründete letztlich keine Hierokratie (oder Klerokratie), sondern nur die durch Wahlen hergestellt Dominanz einer calvinistischen Partei in einer Republik, die damals eher aristokratisch als demokratisch war. Der Barth-Schüler Eberhard Busch hat Calvins Konzeption der Beziehungen der Kirche zum Staat in zwei Prinzipien zusammengefasst.61 Einerseits muss der Staat nicht um der christlichen Gewissensfreiheit willen reformiert werden, da sie auch unter einer politischen Knechtschaft Bestand haben kann (IV, 20,1). Andererseits kann der Staat aber keinen Verstoß gegen göttliche Gebote befehlen, denn Gott sei „celui sous la volonté duquel il est raisonnable que tous les édits des rois se con59
Bohatec, Staat und Kirche (Anm. 15), S. 254. Robert Kingdon, Calvin and the Government of Geneva, in: Wilhelm Neuser (Hg.), Calvinus ecclesiae custos, Frankfurt 1984, S. 49 ff.; ders., John Calvin’s contribution to Representative Government, in: Phyllis Mack (ed.), Politics and culture in early modern Europe, Cambridge 1987, S. 183 ff. 61 Eberhard Busch, Gotteserkenntnis und Menschlichkeit, Zürich 2005, trad. it.: La teologia di Giovanni Calvino, Torino 2008, 186 ff.; ders., Calvin und die Demokratie, in: Christoph Strohm (Hg.), Bibliothek und Reformation: Miszellen aus der Johannes a Lasco Bibliothek Emden, Wuppertal: Foedus, 2001, S. 117 ff. 60
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tiennent“ bzw. „Rois des rois lequel (…) soit être sur tous, pour tous et devans tous écouté.“ (IX 20, 32). Den irdischen Autoritäten ist Gehorsam zu leisten, aber sie sind nicht schrankenlos, sondern dem Schutz der Kirche und der Ehre Gottes in seiner geistigen Souveränität ebenso verpflichtet wie der Bewahrung von Humanität, Gemeinwohl und Frieden, ohne die das kommende Reich seiner Barmherzigkeit in der irdischen Welt keinen Anfang finden. Auch die beste Regierungsform ist immer nur relativ und kann die Staatszwecke nur dann verwirklichen, wenn „plusieurs gouvernent, s’aidant les uns aux autres, et savertissant de leur office; et si quelqu’un s’élève trop haut, que les autres lui soient comme censeurs et maîtres“. (IV 20, 8) Dieses Prinzip eines Pluralismus der Institutionen und einer Kooperation von Staat und Kirche ist als solches nicht notwendig antimonarchisch oder gar demokratisch, aber bedeutet eine differenzierte Repräsentation und die Suche nach einer „Konkordanz“ unter den Gewalten, die heute staatskirchenrechtliche Konkordate einerseits und eine politische Kultur des consociativism andererseits stützen könnte. Auch die „mutua obligatio“ zwischen Regierenden und Regierten könnte zu diesem Konzept gehören.62 Das bedeutet für die drei Staatselemente (Magistrate, Gesetze, Volk) der Institutio: a) Amtsmissbrauch und -willkür sind jedenfalls dann zu korrigieren, wenn sie dem Geiste der Institution und dem religiös begründeten Berufsethos des laikalen Amtsträgers widersprechen, b) die Gesetze haben die Freiheit der Religion zu schützen und eine wirksame humanitäre Fürsorge für die Armen und Bedürftigen, speziell auch die Flüchtlinge zu gewährleisten, c) das Volk hat bei den Wahlen mitzuwirken und kann von den Ständen zu Formen gewaltfreien Widerstands aufgerufen werden, um sein Recht auf einen Regierungswechsel durchzusetzen. Man mag insofern auch von einer ganz eigenartigen „gemischten“ Verfassung sprechen63, in der die bestehenden Institutionen der Genfer Republik weitgehend erhalten bleiben, eine Einzelherrschaft – auch die eines „Premier“ – ausgeschlossen und eine Laizisierung der Kirche mit einer Konfessionalisierung der Republik verkoppelt wird. Calvin benutzte sein Lehramt auch zur Behandlung sozialer Fragen, aber kandidierte nicht zu den Ratswahlen und ließ sich von einer kompromissbereiten Partei unterstützen. Der Calvinismus könnte insofern auch das spätere Entstehen der Konkordanzdemokratie und der direktoralen Regierungsform in der Schweiz begünstigt haben. Es bleibt jedoch die Frage, inwieweit diese Verfassung nicht primär eine Form von „Theokratie“ zu verwirklichen beanspruchte. Schon Josephus Flavius hatte die im 62
Vgl. die eher genossenschaftliche Sicht von Bohatec, (Anm. 15), S. 64 ff. Eberhard Busch, Calvin und die Demokratie (1995), www.user.gwdg.de/~ebusch/cdemo.htm, fasst die dazu vertretenen Auffassungen wie folgt zusammen: „Während eine Gruppe von Untersuchungen Calvin (…) als einen dezidierten Nicht- oder sogar Antidemokraten einschätzt, wird in einer andere Gruppe einiges dagegen geltend gemacht, mit dem Resultat, daß Calvin doch so etwas wie eine ,konservative Demokratie‘ bejaht oder akzeptiert habe, was heißen kann: eine ,aristocracy tempered by democracy‘, oder umgekehrt: eine durch die Aristokratie ,gemäßigte Demokratie‘, was aber wohl auf dasselbe hinausläuft.“ 63
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alten Testament erkenntliche mosaische Regierungsform des jüdischen Volkes quasi als „vierte“ Form auf diesen Begriff gebracht.64 Im 19. Jh. hatte sie vor allem der Schweizer J. C. Bluntschli als überwiegend asiatische Staatsidee und -form charakterisiert, die Religion und Politik vermische, das Prinzip der Autorität und eine besondere Unveränderlichkeit der Ordnung beanspruche.65 Georg Jellinek behandelte sie daraufhin in der Soziallehre des Staates und unterschied eine absolutistische Form der Herrschaft gottgleicher oder -vertretender monokratischer Organe von einer Form dualistischer Herrschaft, bei der sich die politischen Organe gänzlich den religiösen Autoritäten unterwerfen.66 Neben dem Modell Jerusalem, von Jellinek als Beispiel des zweiten Typus angeführt, hat dann Karl Loewenstein Genf freilich ohne Begründung als wichtigstes Beispiel europäischer Theokratie qualifiziert.67 Hans Kelsen hingegen hatte die Theokratie als eine Union von Kirche und Staat definiert, bei der der religiöse Zweck für den Staat maßgeblich und den Kirchenorganen das letzte Wort derart zugewiesen wird, dass die Kirche zum Staate wird (Kirchenstaat) und nicht der Staat zur Kirche kommt (Staatskirche).68 Solange die Kirchengemeinde nur eine Teilordnung der civitas war, wäre dieser Theokratiebegriff wohl nicht auf Genf anwendbar. Für Calvin wie Luther ist der Staat ein Geschenk Gottes. Ein Christ darf sich Cäsar nicht im Namen Gottes widersetzen, sondern hat die Ämter und die Gesetze als Werkzeuge der göttlichen Gerechtigkeit zu achten (IV, 20.6). Nach der Prädestinationslehre ist jedoch nur die Kirche der Ort der Erwählung, während der Staat ein Ort auch der Tyrannei oder Pöbelei und des Missbrauchs von Macht zu persönlichen Interessen sein kann. Tyrannei zu beenden, ist Aufgabe Gottes, nicht der Privatperson, die allenfalls dafür beten kann. Sie zu verhindern und sich ihr zu widersetzen, ist Aufgabe der Ephoren oder Generalstände „tuteurs par le vouloir de Dieu“ (IV, 20,31). Auch dies begründete keine Pastorenherrschaft, sondern bezweckte eine Bindung der staatlichen Gewalt. 64 Avihu Zakai, Theocracy in Massachusetts: Reformation and Separation in Early Puritan New England. Lewiston, NY: Mellen University Press, 1993 und ders., Theocracy, in: International Encyclopedia of the Social Sciences, 2ed., Amsterdam 2001, XXIII, S. 342: „According to Calvin, a well-ordered Christian community results from a synthesis of rule, cooperation, and order emanating from the divine laws of God; such a community is unified, organized, and structured upon the idea of advancing the glory of God in the world.“ Zu den deutschen frühneuzeitlichen Staatslehren vgl. Heinrich de Wall, Theorien der Herrschaftsbegründung und Konfession – zum Zusammenhang von Luthertum und theokratischer Theorie, in: Christoph Strohm / Heinrich de Wall (Hg.), Konfessionalität und Jurisprudenz in der frühen Neuzeit, Berlin 2009, S. 413: „Soweit monarchomachische Lehren als spezifisch reformiert gelten können, sind solche theokratischen Herrschaftsbegründungen gegen eine typische reformierte Lehre gerichtet.“ 65 Vgl. Johann Caspar Bluntschli, Allgemeine Staatslehre, Stuttgart 1875, S. 386 ff.. 66 Jellinek, Allgemeine Staatslehre (Anm. 7), S. 289 f., 667. Vgl. auch E. Troeltsch, Protestantisches Christentum (Anm. 13), S. 220. 67 Karl Loewenstein, Verfassungslehre, Tübingen 1959, S. 132. 68 Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Berlin 1925, S. 136.
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Die reformierte Kirche beanspruchte und erhielt eine eigene geistige Souveränität in einer Ordnung der christlichen Freiheit, die sich vom Staate abzulösen begann. 1555 erkannte der Rat auf der Grundlage entsprechender Gutachten der deutschsprachigen Kantone die Autonomie der Kirche auch hinsichtlich des Ausschlusses vom Abendmahl an.69 Die calvinistische Konfessionalisierung baute bis zur Bartholomäusnacht gewiss nicht eine anabaptistische „Wall of Separation“, aber setzte wohl die Säkularisierung des geistlichen Fürstentums fort. Dies Kooperationsmodell war auch nach anderen geographischen und politischen Richtungen hin offen.
F. Der europäische Kontext von Calvins Verfassungspolitik Die Ideen und Werke Calvins sind nicht nur auf Genf bezogen, sondern stehen in einem auch über die Schweiz hinausgreifenden europäischen Kontext. Das sich als Weltzentrum wahrnehmende Europa war sich seiner „renascentes musae“ (Melanchton), seiner Aufgabe der „querela pacis“ (Erasmus) und seiner eigenen politischen Kultur bewusst geworden: „nur Europa hat einige wenige Königreiche und zahllose Republiken“.70 Gerade auch die Immigration aus ganz Europa brachte Genf dazu, die politischen Ordnungsmodelle der Gegenwart und Vergangenheit vor Ort zu erneuern und ihre weitere Entwicklung durch den politischen Calvinismus zunächst vor allem in Westeuropa anzustoßen. Calvin widersetzte sich nicht nur dem römischen Papsttum und der spanischen Inquisition. Selbst das alte römische Reich, in dem die dignitas des Senats mit der maiestas des Volkes verknüpft war, sei in Wahrheit weder eine Monarchie, noch eine Republik gewesen, sondern ein „confusum nescio quid“, ja sogar ein „magnum latrocinium“.71 Aus der Schweizer Sicht war auch das mehrheitlich katholisch regierte heilige römische Reich in keiner vorbildlichen Verfassung. Nach Luthers Tod hatte der Schmalkaldische Bund 1547 das Recht auf Widerstand zur Verteidigung der Confessio Augustana von 1530 in Anspruch genommen, die Calvin 1541 in Regensburg unterzeichnet hatte, und 1551 im Vertrag von Chambord den Fürstenaufstand eingeleitet, der mit der Religionsklausel im Frieden von 1555 einer weiteren Verbreitung des Calvinismus im Reich zunächst nicht zuträglich zu sein schien.72 69
Vgl. Opitz, Calvin (Anm. 45), S. 111. Niccolo Macchiavelli, Arte della guerra, 1521, zit. nach Federico Chabod, Storia dell’idea d’Europa, Bari 1961, Neudruck 1991, S. 49. 71 Zit. nach Bohatec, Staat und Kirche (Anm. 15), S. 608 ff. 72 Martin Heckel, Deutschland im konfessionellen Zeitalter, Göttingen 1983, S. 35 ff.; id., Reichsrecht und „Zweite Reformation“, in: Heinz Schilling (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland, Gütersloh 1986, S. 11 ff.; zu seiner Entfaltung in der Reichspublizistik Christoph Strohm, Calvinismus und Recht, Tübingen 2008. 70
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Dagegen hatte Jean Calvin, „ille Gallus“, die Erstausgabe der Institution dem französischen König Franz I. gewidmet, um ihn als Förderer des Humanismus und Verbündeten Genfs zu gewinnen. Der juristische Fürsprecher stoischer clementia wünschte sich nun, Gott als „Roi des Rois“ könne dessen Thron im Gewissen und seinen Szepter in Billigkeit festigen.73 Calvin erbat nicht nur Milde für die französischen Reformatoren, sondern unterstrich im Vorwort einen Grundsatz der Kooperation, von dem der Protestant annehmen konnte, im kulturellen Wettbewerb mit dem Katholizismus besser bestehen zu können. Das Konkordat von Bologna von 1516 hatte die Hoheit des Königs über die Kirchenorganisation in Frankreich in einem kooperativen Ernennungsverfahren relativiert, das auch Calvin für die Genfer Republik übernahm. Die neuen Versammlungen der „lits de justice“ (1527, 1537) hatten den Parlamenten in Frankreich neues konstitutionelles Gewicht gegeben.74 Noch 1559, als Calvin auf die synodale Organisation der französischen Protestanten einwirkte,75 waren die Einleitung und das letzte Kapitel seiner Institutio Ausdruck von Sorge um das Verhältnis der Monarchie zur Reformation. Der Kommentar von 1561 zum emigrierten Propheten Daniel und über den Umgang mit Tyrannen entstand auch vor dem Hintergrund des Aufstandes der hugenottischen Stände im Languedoc, die die Säkularisierung der Kirchengüter und die Bildung eines eigenen „estat“ betrieben.76 Das von Calvin propagierte Prinzip der Kooperation widersprach dagegen eindeutig dem Act of Supremacy von 1534, mit dem Heinrich VIII., „the only supreme head in earth of the Church of England, called Anglicans Ecclesia“, beanspruchte: „full power and authority from time to time to visit, repress, redress, record, order, correct, restrain, and amend all such errors, heresies, abuses, offenses, contempts and enormities, whatsoever they be, which by any manner of spiritual authority or jurisdiction ought or may lawfully be reformed, repressed, ordered, redressed, corrected, restrained, or amended, most to the pleasure of Almighty God, the increase of virtue in Christ’s religion, and for the conservation of the peace, unity, and tranquillity of this realm“. In einer Art „Verfassungsaußenpolitik“ versuchte Calvin Edward VI. bei seiner Reform der anglikanischen Kirche zu beeinflussen, wurde jedoch vom schottischen Parlament in Schwierigkeiten gebracht, das unter dem Einfluss 73
Vgl. hierzu Harro Höpfel, The Christian Polity of John Calvin, Cambridge 1982, S. 5 ff.; zur unbedingt konservativen politischen Tendenz Calvins auch in seiner Anti-Täuferschrift 1544 vgl. Hans Scholl, Der Geist der Gesetze, in: Peter Opitz (Hg.), Calvin im Kontext der Schweizer Reformation. Historische und theologische Beiträge zur Calvinforschung, Zürich 2003, S. 93. 74 Vgl. Sarah Hanley, The Lit de Justice of the King’s of France. Constitutional Ideology in Legend, Ritual and Discourse, Princeton 1983; dazu auch Dale Van Kley, The Religious Origins of the French Revolution, New Haven 1996, S. 21. 75 R. Mentzner, in: H. Selderhuis (Hg.), Calvin-Handbuch vgl., S. 86. 76 Vgl. Emmanuel Le Roy Ladurie, Les paysants de Languedoc (1969), engl.: The Peasants of Languedoc, Illinois 1974, S. 173 ss. Per il testo dell’atto di costituzione del 1562 vgl. Gordon Griffiths, Representative Government in Western Europe in the Sixteenth Century. Commentary and Documents of the Study of Comparative Constitutional History, Oxford 1968, S. 265 ff.; in: Angelo Torre, Stato e società nell’antico regime, Torino 1983, S. 122 ff.
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von John Knox nach einigen ersten „Covenants“ (1557, 1559) die Jurisdiktion der katholischen Kirche aufgehoben und den „Confession of Faith Ratification Act“ (1560) beschlossen hatte.77 Calvin selbst erlebte nicht mehr das Scheitern der Reformation in Frankreich, nur das Gelingen der Übersetzung der Institution, die 1560 in Emden veröffentlicht wurde. Auch dank Lasco wirkten Calvins Ideen über Frankreich hinaus in der Kurpfalz, Belgien und den Niederlanden. Die Ordnungen der Synode von Emden (1571), der Union von Utrecht (1579) und sogar die Unabhängigkeitserklärung der „Republiek de Zeven Verenigde Provinciën“ (1581) griffen seine Ideen auf.78 Es begann die Geschichte des Calvinismus,79 der die Früchte seiner Verfassungspolitik nicht nur in Europa erntete und aussäte, sondern auch in den amerikanischen Kolonien. Im 17. Jh. führte er schließlich auch die puritanische Revolution, in der nach der traditionellen Staatslehre die Wurzeln des westlichen Konstitutionalismus mit „rule of law“ und parlamentarischer Demokratie,80 mit Harold Berman auch die Anfangsgründe einer neuen „historical jurisprudence“ liegen81.
G. Der Verfassungsstaat als Aufgabe und Gabe Um die Rolle Calvins in der Herausbildung einer Kultur des protestantischen Konstitutionalismus zu bewerten, ist ein um 1800 in Mailand gedrucktes Pamphlet in Erinnerung zu bringen: „Calvinismo è stato la causa principale della Rivoluzione francese. Ossia confutazione della dichiarazione dei diritti dell’uomo e del cittadi77
Zu der vom Genfer Modell abweichenden Organisation der schottischen Kirche Reinhardt, Tyrannei (Anm. 40), S. 246 f. 78 „As it is apparent to all that a prince is constituted by God to be ruler of a people, to defend them from oppression and violence as the shepherd his sheep; and whereas God did not create the people slaves to their prince, to obey his commands, whether right or wrong, but rather the prince for the sake of the subjects (without which he could be no prince), to govern them according to equity, to love and support them as a father his children or a shepherd his flock, and even at the hazard of life to defend and preserve them. And when he does not behave thus, but, on the contrary, oppresses them, seeking opportunities to infringe their ancient customs and privileges, exacting from them slavish compliance, then he is no longer a prince, but a tyrant, and the subjects are to consider him in no other view. And particularly when this is done deliberately, unauthorized by the states, they may not only disallow his authority, but legally proceed to the choice of another prince for their defense. This is the only method left for subjects whose humble petitions and remonstrances could never soften their prince or dissuade him from his tyrannical proceedings; and this is what the law of nature dictates for the defense of liberty, which we ought to transmit to posterity, even at the hazard of our lives. And this we have seen done frequently in several countries (…).“ 79 Seit Theodore Beza, Du droits de Magistrats sur leurs subjets, 1574. 80 Vgl. nur Karl Loewenstein, Der britische Parlamentarismus, Hamburg 1964, S. 42 ff.; Martin Kriele, Einführung in die Staatslehre, Hamburg 1975, S. 119 ff. 81 Harold Berman, Law and Revolution, II. The Impact of the Protestant Reformations on the Western Legal Tradition, Harvard 2006, S. 10.
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no“ (Der Calvinismus war Hauptgrund der französischen Revolution. Widerlegung der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte). Auch ohne die ein Jahrhundert später geführten Streitigkeiten um Jellineks Theorie der Genealogie dieser Erklärung wieder aufzurollen,82 lassen sich doch gewisse Verbindungslinien von der protestantischen Bundestheologie zu vertragstheoretischen Vorstellungen „natürlicher Rechte“ nicht mehr leugnen. Die in der Reformation geforderte Religionsfreiheit war eine individuelle und partikuläre Gewissensfreiheit, deren Ausübung nur in der Kirche und durch die Kirche garantiert werden konnte. Die calvinsche Gewissensfreiheit war freilich eher eine „positive“, auf wenige den Doktoren zu verdankende Gewissheiten gegründete Freiheit, weniger eine lutherische Freiheit des gelebten Zweifels. Die Genfer Republik hatte die reformierte Religion zu privilegieren und zu verteidigen und hatte keine anderen Religionen, auch Juden nicht zu tolerieren. Die Religionsfreiheit war freilich auch nicht ohne eine gewisse politische Freiheit möglich. Hinzu kommt, dass Calvin und der Calvinismus bekanntlich bedeutende Beiträge zur Entwicklung wirtschaftlicher und sozialer Grundrechte geleistet haben, die auch heute noch den europäischen Konstitutionalismus charakterisieren.83 Das gilt nicht nur für die heutige Berufsfreiheit, in der eine besondere „Berufung“ („calling“) eingebettet ist,84 sondern auch für die sozialen Rechte auf Fürsorge der Armen, deren Schutz den Diakonen und der Regierung aufgegeben wurde: „de faire droit au pauvre et indigent“.85 Nicht nur die neutestamentliche Nächstenliebe hatte den fremden Flüchtlingen und Einwanderer zu gelten. Der Kommentar Calvins zum Buch Jesaja behauptete auch Schutzrechte der Armen, da die Hungrigen ihres Rechts beraubt würden, wenn man ihrer Not nicht abhelfe.86 Hier lagen Wurzeln für eine Freiheit vor dem Liberalismus und für einen sozialen Rechtsstaat. Die Republik hatte die Beachtung der Gesetze sicherer und die Gerechtigkeit effizienter zu gestalten, der Willkür der Regierenden und der Unbilligkeit der Gesetze vorzubeugen, zivile Formen des Zusammenlebens zu fördern, um gewaltsamen Widerstand zu erübrigen. Aus dieser Sicht kann die Verfassung ein Mittel zur Regulierung von Verfahren sozialer Integration und zum Zusammenhalt der Herde 82 Hierzu Jörg Luther, L’idea dei diritti fondamentali nel protestantesimo, Materiali per una storia della cultura giuridica 1991, S. 329 ff.; Jörg Luther, La libertà di coscienza nella dottrina teologica e politica della riforma, Il diritto ecclesiastico 1991, S. 653 ff. 83 Vgl. nur John Witte, The Reformation of Rights: Law, Religion and Human Rights in Early Modern Calvinism, Cambridge 2007; Gerhard Robbers, Menschenrechte aus der Sicht des Protestantismus, in: Detlef v. Merten/Hans-Jürgen Papier (Hg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Heidelberg 2004, S. 388 ff. 84 Hierzu zuletzt Mario Miegge, Vocazione e lavoro, Torino 2010. 85 Inst. IV 20, 9. Vgl. auch Jesaja 10,1: „Weh denen, die unheilvolle Gesetze erlassen / und unerträgliche Vorschriften machen, um die Schwachen vom Gericht fern zu halten / und den Armen meines Volkes ihr Recht zu rauben, um die Witwen auszubeuten / und die Waisen auszuplündern.“ 86 Zitiert nach Busch, Calvin und die Demokratie (Anm. 63), S. 195.
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werden: nicht lediglich ein instrument of government, eher ein agreement of the people. Gerade auch im Kontext der heute hervorgehobenen „Sozialdisziplinierung“87 und „Konfessionalisierung“88 kann Calvin deshalb helfen, einige Leitbegriffe des modernen Konstitutionalismus zu überdenken, so z. B. kulturelle Freiheit, laikale Gleichheit, soziale Gerechtigkeit, republikanischen Föderalismus und vertikale Subsidiarität. Viele weitere Prinzipien des protestantischen Denkens und Handelns dürften kulturelle Elemente des heutigen Konstitutionalismus geprägt haben. Zu denken ist an das Prinzip der sola scriptura und das spätere Kodifikationsideal der „geschriebenen Verfassung“, auch aus calvinistischer Sicht nur unvollkommenes und stets revisionsbedürftiges Werk menschlicher verfassunggebender Gewalt. Auch sie konnte nicht dem Geiste der Mäßigung und Abwägung entsagen, der dem Gesetz die Suche nach Billigkeit und der gesamten Gesellschaft eine Suche nach zeitgemäßen Auslegungen auferlegt. Zu denken ist auch an das Prinzip sola gratia, das jedes Recht auf Sicherheit der Menschen ausschließt und eine im Zweifel auf Freiheit gegründete individuelle Lebensverantwortung ebenso wie eine nicht zur Sklaverei zu degradierende Menschenwürde bejaht. Gleiches gilt für soli Deo Gloria, die einerseits jegliche „Personalisierung“ politischer Herrschaft verbietet, andererseits eine individuelle Beteiligung an der Christokratie gestattet. Der Beitrag des Protestantismus zur Kultur des Konstitutionalismus lag nicht nur darin, Demokratie zu ermöglichen, sondern auch ihr Bedürfnis nach Schranken und Sicherungen gegen persönliche Tyrannei durch republikanische Moralprinzipien, Werte und Modelle für Amtsträger und Bürger zu erkennen. Der Laie hat an der Demokratie teilzunehmen und über sie zu wachen und ihren Schutz an Ephoren zu delegieren, weshalb auch Verfassungsrichter heute ein größeres Vertrauen als Parlamentarier genießen. Der aus solchen vor- bzw. frühneuzeitlichen Wurzeln89 entstandene und mit Gegengiften gegen Tyrannei ausgestattete Verfassungsstaat kann so gleichzeitig als Aufgabe und als zu bewahrende „Gabe“ verstanden werden. Diese Bewertungen machen Calvin weder zu einem Heiligen, noch zu einem Helden, aber relativieren doch die radikalen Kritiken u. a. von Francesco Ruffini (1902), Stefan Zweig (1936), Richard Bainton (1953), er sei nur ein Tyrann der Tugend und Prediger einer intoleranten Theokratie gewesen. Ihnen ist Recht zu geben, dass er selbst sich auch an den Maßstäben des modernen Konstitutionalismus zu messen hat lassen. Calvin hat immerhin den Dialog mit Miguel Servet gesucht und seine antitrinitarische Häresie zunächst mit den Mitteln der theologischen Argumentation bekämpft. Auch hat er vergeblich versucht, die Feuerstrafe als antizipiertes Inferno der 87 Gerhard Oestreich, Strukturprobleme des europäischen Absolutismus, in: Geist und Gestalt des frühmodernen Staates, Berlin 1969, S. 179 ff. 88 Zu den Thesen von H. Schilling und W. Reinhardt zuletzt D. Freisa, Absolutismus, Darmstadt 2008, S. 60 ff. 89 Wegweisend Christoph Link, Herrschaftsordnung und bürgerliche Freiheit. Grenzen der Staatsgewalt in der älteren deutschen Staatslehre, Wien 1979.
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Seele in eine Enthauptung abzumildern, die für Verbrechen gegen den weltlichen Frieden galt. Mit den heutigen verfassungsstaatlichen Grundsätzen der Gewissensfreiheit und Menschenwürde ist dieses Verhalten jedoch noch völlig unvereinbar. Es ist vielleicht eine Ironie der Geschichte, dass ihr Urteil Calvins Sünde der Intoleranz nicht vergeben kann. Die Geschichte von Calvin und dem Calvinismus dient so paradoxerweise sowohl im Guten als auch im Bösen dem Erlernen verfasster Demokratie. Auch demokratische Verfassungen sind weder von Heiligen und Helden, noch für sie gemacht. Sie dienen Menschen mit freiem religiösen und zivilem Gewissen und Bewusstsein, ihren Ängsten und Hoffnungen, ihrem Gerechtigkeitsempfinden und Sicherheitsbedürfnis. Und postmoderne Verfassungen könnten nicht nur Vernunft, sondern auch Selbstironie voraussetzen. Calvinus docet.
Von den Ephoren als Institut ständischer Mitbestimmung zur Fundamentalverfassung des Gemeinwesens: Die Entwicklung von Calvin bis hin zu Althusius, Besold und Boxhorn um die Mitte des 17. Jahrhunderts Von Robert von Friedeburg, Rotterdam Der Herrschaftsverband des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit kam ohne die aktive Partizipation seiner Eliten, vor allem des Adels, nicht aus, ganz gleich wie dieser Herrschaftsverband verfasst war. Das galt für Stadtrepubliken wie Monarchien gleichermaßen. Der Begriff von den Ephoren übersetzte die faktische Abhängigkeit der Krone vom Adel jedoch in einen Rechtstitel auf Kontrolle, der nicht zuletzt im Gefolge der Rezeption Bodins schwer vereinbar mit monarchischer Souveränität wurde. Ephor wurde vor allem im Verlauf der französischen Religionskriege der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts geradezu zur Metapher eines Angriffs auf monarchische Rechte. Daher verlor der Begriff, so soll hier im Folgenden knapp skizziert werden, seit dem zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts an Boden. Die Rechtsposition der Stände wurde dagegen zunehmend in – konfessionsneutralen – mittelalterlichen partikularen Fundamentalgesetzen gesucht, den Fundamentalverfassungen der Vaterländer und Nationen, und ohne Rekurs auf das Schlagwort von den Ephoren. An die Stelle der Forderung nach Teilhabe rückte Rechtsschutz; an die Stelle der Frage nach der besten Verfassung die vermeintliche historische Dignität der je eigenen partikularen Fundamentalverfassung. Calvins berühmt-berüchtigte Ausführung am Ende der Institutiones zu den magistratus popularis und den Ephoren ist zugleich eine besonders geeignete und ungeeignete Stelle, um dieser Entwicklung nachzugehen.1 Die Stelle ist wenig geeignet, weil gleichsam überforscht und seit dem späten 19. Jahrhundert geradezu zum Cliché der vermeintlichen Einbahnstraße des Calvinismus zu Demokratie und Republik geworden.2 Die besondere Aufmerksamkeit auf die Stelle in der Institutio von 1536 geht vor allem auf englischsprachige Veröffentlichungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück, die von dem Versuch durchdrungen waren, der eigenen konsti1
Jean Calvin, Institutio Christianae religionis (1536), c. VI, 247 – 248. Calvin behandelt hier im Abschnitt zur christlichen Freiheit die Einsetzung der Magistrate durch Gott und in diesem Zusammenhang auch den Bestand der „magistratus popularis“. 2 Siehe zu Calvin insgesamt nun Bruce Gordon, Calvin, New Haven 2009.
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tutionellen parlamentarischen Demokratie vermeintliche Calvinistisch-protestantische Wurzeln beizufügen, die in den Weltkriegen dem deutschen Kriegsgegner entgegengehalten wurden. Aus relativ kleinen Anfängen wurde dadurch, nicht zuletzt durch den deutschen Exulanten Hans Baron, ein in sich geschlossenes Gebäude des calvinistischen demokratischen Republikanismus, für den protestantische Monarchomachen3, der Bürgerkrieg in England und die Revolution in Amerika den Weg zur Freiheit ebneten. Locke wurde beispielsweise der Rekurs auf Calvinisten nachgesagt, die sich bei näherem Hinsehen wie im Falle von Bilson, Hooker, Grotius und Milton nur mit erheblichen Vorbehalten so beschreiben lassen.4 Dabei half auch, dass sich ohne große Anstrengungen jede Menge Polemiken finden lassen, die dem jeweiligen Gegner, etwa den Calvinisten durch Mitglieder der Kirche von England nach 1660, oder den Lutheranern durch Katholiken wie Ernstberger im Reich, oder der vermeintlichen Verschwörung aus Puritanern und Jesuiten durch David Owen in England, oder den Jansenisten durch Mazarin in Frankreich, den Umsturz der Ordnung und die demokratische Anarchie vorwarfen – democratia war ja keineswegs, wie heute, ein positiv aufgeladener Begriff.5 Indem solche Umstände geflissentlich übersehen, moderne Ideen ohne viel Federlesens zurückprojiziert und die konkrete Argumentation der Quelle nicht weiter berücksichtigt wurde, florierte bis in die 1980er Jahre diese, im deutschsprachigen Forschungsbereich durch Troeltschs Luther-Kritik abgestützte Sicht der Dinge, nicht zuletzt in Peter Blickles These vom Weg des oberdeutschen Zwinglianischen Kommunalismus zu Republikanismus und Parlamentarismus von 1986.6 Selbst hervorragende Untersuchungen, wie die durch Gerhard Oestreich angeregte Studie zu den hugenottischen Akademien im Frankreich des 17. Jahrhunderts, deren Prediger allesamt – bis präzise 1685 – das Gottesgnadentum der Bourbonen nachhaltig unterstützten und
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Buchanan selbst war Humanist, und sollte nur bedingt dem Kreis protestantischer Reformer zugerechnet werden, vgl. Roger Mason (Hg.), Buchanan, Aldershot 2011. 4 Siehe G. P Gooch/H. J. Laski, English Democratic Ideas in the Seventeenth Century, 1898, Neudruck Cambridge 1927, S. 4 – 5; Herbert Darling Foster, The Political Theories of Calvinists before the Puritan Exodus to America, The American Historical Review 21 (1916), S. 481 – 503; ders., International Calvinism through Locke and the Revolution of 1688, American Historical Review 32 (1927), 475 – 499; Hans Baron, Calvinist Republicanism,. Church History 1939; J. T. McNeill, The Democratic Elements in Calvin’s Thought, American Society of Church History, 1949, 153 ff. 5 Robert von Friedeburg, Widerstandsrecht und Konfessionskonflikt. Notwehr und Gemeiner Mann im deutsch-britischen Vergleich 1530 – 1669, Berlin 1999, 13 – 50; ders., Self Defence and Religious Strife in Early Modern Europe. England and Germany 1530 – 1680, Aldershot 2002, 186 – 191. 6 Vgl. Ernst Troeltsch, Vernunft und Offenbarung bei Johann Gerhard und Melanchthon, Göttingen 1891, sowie Luise Schorn Schütte (Hg.), Alteuropa oder Frühe Moderne. Deutungsmuster für das 16. bis 18. Jahrhundert aus dem Krisenbewusstsein der Weimarer Republik in Theologie, Rechts- und Geschichtswissenschaft, Berlin 1999; Peter Blickle, Kommunalismus, Parlamentarismus, Republikanismus, in: Historische Zeitschrift 242 (1986), 529 – 556.
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insbesondere in der Fronde ein Rückhalt der Krone blieben, vermochten wenig an dieser stählernen Behauptungsfront zu ändern.7 Nicht zuletzt die Veröffentlichungen von Quentin Skinner und Howell Lloyd haben dann dieser Sicht weitgehend den Garaus gemacht. Calvins Ausführungen zu den Ephoren wurden als römisch – rechtliche Argumentationsfiguren erkannt, die weder speziell calvinistisch waren noch ausschließlich von Calvin oder seinen Anhängern benutzt wurden.8 Entsprechend zurückhaltend gestaltet sich die moderne Deutung von Calvin’s Vorgaben zur Obrigkeit.9 Damit wurde der Weg frei zu einer differenzierteren Auseinandersetzung mit dem Einfluss von Calvin, und es scheint, dass sich die Forschung verlagert hat, weg von Unterstellungen über direkte politische oder mentale Folgen der einen oder anderen Konfession auf das Staatsrecht, und hin zur differenzierteren Untersuchung der Einwirkungen auf das Recht, aber auch durch das Recht – hier haben vor allem Christoph Strohm und Mathias Schmoeckel zu Fragen des Naturrechts und der Rechtsquellenlehre Hinweise zum Wirken der protestantischen Reformer auf wichtige Grundentscheidungen der Rechtsentwicklung der frühen Neuzeit erarbeitet, die der Frage nach dem Verhältnis der protestantischen Reformatoren zur Staatslehre ein neues Gesichts geben.10 7 Vgl. Hartmut Kretzer, Calvinismus und französische Monarchie im 17. Jahrhundert: die politische Lehre der Akademien Sedan und Saumur, Berlin 1975. 8 Zu Calvin und seinem Rekurs auf die römisch-rechtliche Figur der Stände als Vormünder des Volkes vgl. Jean Calvin, Institutio Christianae Religionis (1536), lib IV, c XX; vgl. Howell Lloyd, Calvin and the Duty of Guardians to Resist, in: Historical Journal 32 (1981), 65 – 70: Lloyd zeigt dort, dass die durch Calvin genannten Personengruppen, von den Spartanischen Ephoren bis hin zu den Ständen der eigenen Zeit, durch Amt und Pflicht zum Einschreiten (pro officio intercedere) gehalten seien, und zwar weil sie von Gott als „tutores“, Vormünder, für das Volk und dessen Rechte eingesetzt seien. Diese von Lloyd daselbst weiter belegte Deutung ist von der Rechtsgeschichte, von Walter Ullmann bis Peter Stein, an gleicher Stelle weitgehend zustimmend kommentiert worden. Obgleich eine Reihe von spezifischen Positionen Quentin Skinners inzwischen nachhaltig in Zweifel gezogen werden, muss doch darauf hingewiesen werden, dass er mit seinem Beitrag von 1980 einer der ersten war, die auf diese ,mittelalterlichen‘ und vor allem auch römisch rechtlichen Wurzeln des Widerstandsrechts erneut hinwies, vgl. Quentin Skinner, The Origins of the Calvinist Theory of Resistance, in Barbara C. Malament, After the Reformation. Essays in Honour of J.H. Hexter, Pittsburgh 1980, 309 – 330. 9 Vgl. beispielsweise William R. Stevenson, Calvin and political issues, in: Donald K. McKim (Hg.), The Cambridge Companion to John Calvin, Cambride 2004, 173 – 187, see 184 – 5: Untertanen müssen der von Gott gesetzten Obrigkeit gehorchen, auch wenn diese sich tyrannisch verhält; Apostelgeschichte 5 29 weist allein den Weg ins Märtyrium, nicht in den Widerstand; neben dem höchsten Magistrat gibt es freilich auch andere Magistrate, die ebenfalls von Gott eingesetzt sind, und die bei tyrannischem Verhalten einschreiten müssen. 10 Christoph Strohm, Calvinismus und Recht. Weltanschaulich – konfessionelle Aspekte im Werk reformierter Juristen in der frühen Neuzeit, Tübingen 2008; Mathias Schmoeckel, Erkenntnis durch ratio und conscientia. Die Begründung der modernen Wissenschaftlichkeit des Rechts durch Melanchthons Naturrechtslehre, in: Görge K. Hasselhoff/Michael MeyerBlanck (Hg.), Religion und Rationalität, Würzburg 2008, S. 179 – 220.
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Die Ephorenstelle ist aber auch besonders gut geeignet, der Frage einer reformierten Staatslehre nachzugehen, denn sie ist knapp und zwischen den beiden Auflagen der Institutio zu Calvins Lebenszeiten unverändert geblieben.11 Legt man den Nachdruck der Darstellung auf den Vergleich des tatsächlichen spezifischen Wortgehalts und Argumentationshaushalts der Stellen, die auf die Ephoren Bezug nahmen, so zeigen sich quer zu den Grenzen der reformierten und lutherischen Konfession, aber gleichwohl entlang der Grenze zur Kirche von Rom, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Behandlung dieses Topos, an deren Hand wir uns auch der Frage nähern können, was denn nun spezifisch reformierte – oder protestantische – Elemente dieses Topos in den Staatslehren des 16. und 17. Jahrhunderts waren. Dazu vergleicht dieser Beitrag in einem ersten Schritt die Argumentation mit den Ephoren bei Calvin und Melanchthon, geht dann mit Beza und der Vindiciae contra Tyrannos auf einige monarchomachische Schiften des späteren 16. Jahrhunderts ein und schließt mit Besold, Althusius und Boxhorn sowie der Rezeption dieser Gedanken bei Landständen im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts. Der Beitrag verfolgt dabei die These, dass die Auffüllung der Argumentation mit historischen Beispielen der Partikularrechte diverser Gemeinwesen die Argumentation im Laufe der Zeit zunehmend in die Konstruktion vermeintlich aus dem Mittelalter herrührender, unantastbarer partikularer Fundamentalverfassungen verlagerte, deren gemeinsames Merkmal die Sicherung von Rechtstiteln war, während zugleich das Problem der Kontrolle der Krone nicht nur auch ohne eine Institution wie die Ephoren lösbar schien, sondern durch die mit monarchomachischen Thesen befrachtete Argumentation mit dem Ephorat eher behindert wurde.
A. Der Begriff Ephoren leitet sich bekanntlich von den Spartanischen Verfassungshütern – den Aufsehern, den epi horao¯ – ab12, über die wir bis heute – und aufgrund mangelnder Quellendichte wohl auch in der Zukunft – nicht wesentlich mehr in Erfahrung bringen werden.13 In der Forschung wird die frühneuzeitliche Rezeption der antiken Beschreibungen dieses Verfassungsinstituts, jüngst durch Wilfried Nippel, vor allem als Teil der Diskussion über die Mischverfassung verstanden. Diese schien der Entwicklungs- und besonders Verfallsdynamik der einfachen Verfassungen gegenüber robuster; als Beispiel galt die – vermeintlich – über Jahrhunderte stabile Ver-
11 Sie wurde im Gegensatz zur Behandlung anderer Problembereiche in der späteren Ausgabe von 1559 nicht erweitert. 12 1p_ epi, „auf“, „über“, und bq\y horao¯, „sehen“, i. e. „Aufseher“. 13 Siehe Paul A. Rahe, Republics, Ancient and Modern, University of North Carolina Press 1994, 158 – 152; Ernst Baltrusch, Sparta. Geschichte, Gesellschaft, Kultur. Beck, München 2 2003; Andreas Luther, Könige und Ephoren. Untersuchungen zur spartanischen Verfassungsgeschichte, Frankfurt am Main 2004.
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fassung Spartas mit ihren besonderen Verfassungsinstrumenten, dem Doppelkönigtum und eben dem Ephorat.14 Calvins Argument hatte mit der spartanischen Institution freilich kaum etwas gemein. Im letzten Kapitel der ersten Ausgabe der Institutio von 1536 über die Christliche Freiheit, die Gewalt der Kirche und die politische Verwaltung (De Libertate Christiana, Potestate Ecclesiastica, et Politica Administratione) ging er ganz am Ende auf das Problem tyrannischer Herrschaft ein. Die Stelle folgte dem eindringlichen Hinweis, der durch Gott eingesetzten Obrigkeit sei zu gehorchen, auch wenn sie tyrannisch handle. Selbst Nebukadnezar sei von Gott eingesetzt gewesen (Jeremia 27: 6, 120), die Erlangung königlicher Würden sei als Gottes Gehorsamsbefehl gegenüber dem Würdenträger zu verstehen.15 Deshalb wurde den Israeliten durch Gott befohlen, für die Babylonier zu beten, und deshalb verweigerte David den Ungehorsam gegenüber Saul, was auch immer Saul an Ungerechtigkeiten vorhatte. David nannte ihn ehrfürchtig „mein Herr“ und „Gesalbter Gottes“.16 Nun seien die Obrigkeiten freilich auch verpflichtet, den Untertanen gegenüber ihren Verpflichtungen nachzukommen, aber die Untertanen dürfen bei Fehlhandlungen der Magistrate nicht selbst tätig werden, sondern müssen auf Gott setzen. Calvin führt nun eine Reihe von Beispielen solcher göttlichen Eingriffe an, wie die Befreiung aus der Tyrannis des Pharao (Exodus 3) und des syrischen Königs Kuschan (Richter 3) und wiederholte noch einmal, auch Tyrannen seien durch Gott eingesetzt. Diesen klaren Verhaltensanweisungen für die Untertanen zum unbedingten Gehorsam (mit der Einschränkung von Apostelgeschichte V 29, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen) folgt dann der Hinweis auf die gleichfalls von Gott eingesetzten populares magistratus, „ad moderandam regum libidinem“, illustriert an den Beispielen der spartanischen Ephoren, der athenischen Demarchen, der römischen Volkstribune, und, in einigen Königreichen, der Stände („in singulis regnis tres ordines“), deren Amt es jeweils sei, für die Untertanen einzuschreiten („pro officio intercedere non veto, ut si regibus impotenter grassantibus et humili plebeclae insultantibus conniveant….“), und die eingesetzt seien „Dei ordinatione tutores positos… fraudulenter produnt“.17 14
Wilfried Nippel, Antike oder moderne Freiheit?, Frankfurt 2008, 92 – 101. Zur tatsächlichen Fragilität Spartas und zu den Quellenproblemen siehe Rahe, Republics, 120 – 148. 15 Institutio 1559, c VI, S. 245 – 46, hier 245: „Id autem ipsum erat, Domini decreto, in solium regni impositum esse, ac in regiam maiestatem assumtum, quam violare nefas esset“. Grundlage des Textes ist für Calvin die Calvini Opera Database des Instituut voor Reformatieonderzoek, Apeldoorn. 16 Ibid. S. 246, „Absit a me, dicebat (1. Samuel 24), ut coram Domino faciam rem, istam Domino meo, messiae Dominin, ut mittam manum meam inm eum, quoniam Christus Domini est.“ 17 Ibid. S. 248. Es versteht sich, dass dieser Kontext von Calvins Argumentation, also ein durch Gott eingesetztes Amt zur Verfassungskontrolle bei gleichzeitigem unbedingtem Gehorsamsgebot auch gegen den Tyrannen, weil der durch Gott eingesetzt ist, jedem Versuch der Projektion demokratischer oder anderer moderner Verfassungsvorstellungen den Boden entzieht.
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Diese Stelle wurde 1980 durch Howell Lloyd entschlüsselt. Die Calvinschen Formulierungen vom Eingriff dieser Magistrate – pro officio intercedere –, und ihrer Pflicht, einzugreifen18, entstammen dem römischen Recht zu Vormündern, keineswegs der spartanischen Verfassungstheorie oder -wirklichkeit. Dieser rechtliche Bezug wird durch den Hinweis im Text unterstrichen, Voraussetzung des Tatbestandes der dissimulatio der Tutores sei die Kenntnis ihrer Verpflichtungen als Vormünder.19 Walter Ullmann kommentierte hierzu, die Konzeption gerade auch des Königs als irdischer Vormund der Vormünder sei geradezu eine Maxime der mittelalterlichen Rezeption des römischen Rechts und der Reflektion öffentlicher Herrschaft gewesen: Die mittelalterliche Rezeption hatte den Galaterbrief und das römische Recht kombiniert, um die Bestellung eines Vormunds zu begründen. Volk (populus) und Königreich (regnum) wurden in der Folge als Minderjährige unter der Leitung eines Vormunds, des Königs, verstanden. Die Funktion als Tutor war insoweit eine wichtige und etablierte Metapher öffentlicher Herrschaft.20 Der Bezug auf das Institut der Ephoren fiel bei Melanchthon wesentlich häufiger als bei Calvin21, nämlich in Melanchthons historischen und politischen Werken, so dem Chronicon Carionis bei der Behandlung der Verfassungsgeschichte Spartas22, und seinem Kommentar zur Politik des Aristoteles.23 In diesem Kommentar24 ordnete er die Ephoren als Strukturelement denjenigen Königreichen zu, in denen die königliche Gewalt durch Gesetze beschränkt sei („iure circumscriptum“). Neben den Ephoren in Sparta werden die Kurfürsten in Deutschland (Germania) und diverse 18 Ibid.: „… eorum dissimulationem nefaria perfidia non carere affirmem: quia populi libertatem, cuius se Dei ordinatione turotes positos norunt, fraudulenter produnt…“. Der Vorwurf der „Perfidia“ – der Unredlichkeit – blieb, um Strafe nach sich ziehen zu können, abhängig vom Wissen des Vormunds über seine Bestellung – siehe Digesten 26.10.7.1.; 26.7.5.10. Der Vormund erhielt seine Position nicht von den unter Vormundschaft gestellten (Digesten 26.2.7.) und war insofern in der Lage, rechtsgeschäftlich für sie tätig zu werden, sie zu repräsentieren, er war jedoch nicht ihr Mandatar. 19 Siehe Peter Stein, Comment, Historical Journal 32 (1981), S. 69 – 70. Der Begriff Tutor fiel bei Calvin auch mit Hinblick auf den Brief des Paulus an die Galater, iv 1 – 3. 20 Vgl. Peter Ullmann, Comment, Historical Journal 32 (1981), S. 500 – 501. 21 Zur Widerstandsfrage zuletzt zusammenfassend Friedeburg, Widerstandsrecht und Konfessionskonflikt, 53 – 59. 22 Deutsche Erstausgabe Wittenberg 1532; siehe Peter Gemeinhardt, Das Chronicon Carionis und seine Überarbeitung durch Philipp Melanchthon, in: Martin Walraff (Hg.), WeltZeit, Berlin 2005, 115 – 125: Der Name bezieht sich auf den ersten Verfasser, Johannes Nägelein (gräzisiert Carion, 1499 – 1537). Seine Vorarbeit wurde durch Melanchthon zu einer in drei Phasen von insgesamt 6000 Jahren gegliederte Periode in Kombination mit den vier Weltmonarchien umgearbeitet, vgl. Corpus Reformatorum (=CR) 12, S. 711, 799, 805, 812, 869. Vgl. auch Matthias Pohlig, Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung, Tübingen 2007, 176 – 189. 23 Vgl. zum Zusammenhang Nicole Kuropka, Philipp Melanchthon; Wissenschaft und Gesellschaft, Tübingen 2002, zur Entwicklung bis um 1530. 24 CR 16, Commentarii in librum III Politicorum Aristotelis, S. 439 – 440: De variis regum speciebus.
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ständische Versammlungen in Frankreich genannt. Denn wo es die königliche Macht einschränkende Gesetze gäbe, dort müsse es auch Wächter zu ihrer Einhaltung geben: „Habent enim leges, habent et custodes“. Auch in seinem Traktat „De dignitate Electorum“ verglich er die Kurfürsten mit den Ephoren, einem „senatus“, der auch den Kaiser wähle, und durch den das Königtum in Deutschland gemäßigt (temperamentum) gehalten werde.25 Sollte der Kaiser zum Tyrannen werden oder zum Feind der wahren Religion (vera doctrina), können sie ihn auch des Amtes entheben (eripit26 ei imperium).27 Weitere Hinweise enthalten sein Traktat zur Rede Lycurgs gegen Leocrates28 sowie einige seiner zahlreichen Briefe und kleineren Schriften. So erwähnte er 1523 in einem frühen knappen Gutachten zur Widerstandsfrage u. a. auch die Ephoren, die den spartanischen König Pausanias zu Ordnung riefen.29 1541 wies Melanchthon in seinem Vorwort zur Veröffentlichung von Akten der gescheiterten Regensburger Religionsgespräche auf die Rolle der Bischöfe als Ephoren, nicht als Machthaber, hin.30 1546 hob er erneut auf den Konflikt zwischen Ephoren und Pausanias ab, nun jedoch wieder, anders als in der Zwischenzeit, in direktem 25 CR 12: De dignitate Principum quibus Electio imperatoris, S. 81. Das Argument der Mäßigung der Herrschaft durch Austausch der Magistrate und ihre Bindung an das Gesetz findet sich bereits bei Ptolemaeus von Lucca in den von ihm geschriebenen, aber lange Thomas von Aquin zugeschriebenen Buch 2 von De Regimine. Vgl. Ulrich Meier, Mensch und Bürger. Die Stadt im Denken spätmittelalterlicher Theologen, Philosophen und Juristen, München 1994, 118 – 120. 26 Eripio= auch entreißen, gewaltsam wegnehmen. 27 CR 12, 82 – 3: De dignitate Principum quibus Electio imperatoris. Vgl. zum Zusammenhang konstitutioneller Elemente in der ,positiven‘ Verfassung des Reiches mit den Argumenten Melanchthons und Luthers Richard Benert, Lutheran Resistance Theory and the Imperial Constitution, in: Il Pensiero Politico (1973), 17 – 36. 28 CR 17 971 ff.: Interpretatio Orationis Lycurgi conta Leocratem. 29 CR 1 lib III Epistolarum No 231 S. 603: „An sit resistendum arma propter Evangelium moventi, iudicium Philippi Melancthon duci Friderico electori“. Der Text ist nicht identisch mit Heinz Scheible (Hg.), Das Recht des Widerstands als Problem der deutschen Protestanten 1523 – 1546, Gütersloh 1969, Nr. 2, S. 17; siehe hierzu zu den frühen Gutachten der Reformatoren zur Widerstandsfrage Bernhard Lohse, Die Bedeutung des Rechts bei der Frage des obrigkeitlichen Widerstandes in der frühen Reformation, in: Christine Roll (Hg.), unter Mitarbeit von Bettina Braun und Heide Stratenwerth, Frankfurt a.M./Berlin/Bern/New York/Paris/ Wien 1996, 217 – 230. 30 CR IV, epistolarum lib VIII, 675, No 2387 1541. Zu den Regensburger Verhandlungen vgl., wenn auch aus anderer Perspektive, Volkmar Ortmann, Reformation und Einheit der Kirche, Mainz 2001. Die Verhandlungen scheiterten im Endeffekt vor allem an ekklesiologischen Fragen, vgl. auch Horst Rabe, Reich und Glaubensspaltung, München 1989, 248 – 51; Philipp Melanchthon, Alle Handlungen die Religion belangend so sich zu Worms, und Regensburg, auf gehaltenem Reichstag des M.D. XLI jars zu getragen: nemlich Das Buch welchs Keis. M. Zu Regensburg hat lassen fur legen, als einen Weg und Mittel zur Einigkeit in der Religion, 1541; Philipp Melanchthon, Ein Schrift Philip Melanchthons neulich Lateinisch gestellet widder den unreinen Papists Celibat, und Verbot der Priesterehe, verdeutscht durch Justum Jonam, Wittenberg 1541; Philipp Melanchthon, Von des Papst gewalt, welches er sich anmasset wider die Gottliche Schrift: und der ersten Kirchenbräuche, Item von der Bischöfflichen Jurisdiction, gestellet durch Herrn Philip Melanchthon, und verdeutscht d. Vitum Dietherich, Wittenberg 1541.
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Zusammenhang mit dem Recht der Reichsfürsten, im anstehenden Krieg mit Karl V Gegenwehr gegen dessen Angriff zu üben. Der Ausgangspunkt war nun die „manifesta violentia“ des Tyrannen, gegen welche die Fürsten, wie die Ephoren, in Verteidigung der Untertanen vorgehen können und müssen.31 Diese wesentlich häufigeren und ausführlicheren Hinweise – als bei Calvin – führten die ältere deutsch sprachige Forschung zu der Vermutung, Calvin könne seinen Hinweis bei Melanchthon gewonnen haben.32 Aber Richard Benert wandte zu Recht ein, der Begriff sei so allgemein bekannt gewesen, und Melanchthon wie Calvin so fest verwurzelt in humanistischen Wissensbeständen, dass der Gebrauch dieser Argumentationsfigur nicht automatisch eine Abhängigkeit des benutzenden Autors von einem anderen signalisiere.33 Richtig weist Benert ebenfalls darauf hin, dass die Argumentation mit den Ephoren bei Melanchthon sich stark an den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Reiches, und damit den besonderen Rechten der Kur- und Reichsfürsten gegenüber dem bloß gewählten und mit Eid dem Reich verpflichteten Kaiser orientierte. Jede Obrigkeit galt als durch Gott eingesetzt und hatte daher bestimmte Pflichten, aber die Debatte im Reich war früh, sicherlich ab 1530, durch das Diktum vom Evangelium not tollit leges bestimmt, und damit durch den verfassungsrechtlichen Handlungsspielraum, der den Reichsfürsten aufgrund der besonderen partikularen Rechte des Reichsfürstenstanden zukamen. Nun bezog sich die Debatte im Reich zunächst einmal allein auf reichsständische Obrigkeiten und deren Pflicht zum Schutz der Untertanen gegenüber anderen reichsständischen Obrigkeiten, und erst seit 1530, und nur zum Teil, auch auf reichsständischen Schutz gegen über einem rechtsbrecherischen Angriff des Kaisers oder auf Obrigkeiten ohne unbestritten reichsständischen Charakter.34 Darin aber lag der spä31
CR VI, Epistolarum X, 1546, De licita defensione, S. 154. Vgl. beispielsweise Josef Bohatec, Calvin und das Recht, Feudingen 1934. Wichtig für den Überblick über die Forschung noch immer Richard Roy Benert, Inferior Magistrates in Sixteenth Century Political and Legal Thought, University of Minnesota Phd 1967, S. 77 – 80. 33 Benert, Inferior Magistrates, 77. In der Tat verweist Calvin auch in De Clementia von 1532, seinem humanistischen Erstlingswerk, liber I, c IX, auf die Ephoren: „Erant enim eo regnante constitute Ephori qui non permitterent vagari regiam libidinem…“. 34 Vgl. beispielsweise „Ein theologischer Rathschlag von Nürnberg, daß nicht alle, sondern nur die ordentliche Gewalt von Gott. Und daß derowegen die untere Obrigkeit im Reich wolbefugt, wider die unordentliche Gewalt des Obern, in Glaubenssachen, ihre Unterthanen zu schützen“, in: Friedrich Hortleder (Hg.), Der Römischen Kaiser und königlichen Majestät … Handlungen und Ausschreiben … von Rechtmässigkeit, Anfang und Fortgang des deutschen Kriegs … Vom Jahr 1546 bis auf das Jahr 1558, Weimar 1618, Buch II, Nr. 10, S. 86 – 87, hier S. 86, S. 87. Diese Flugschrift von 1531 dehnte beispielsweise ein „Wächteramt“ gegenüber den höheren Obrigkeiten auf alle niederen Obrigkeiten aus. Dieser „niederen Obrigkeit“ wurde, ohne Einschränkung auf die Reichsfürsten, die Pflicht der Verteidigung ihrer Untertanen zugeschrieben. In diesem Zusammenhang fiel das Wort von der „niederen Obrigkeit“ als „Wächter“ der Gesetze, eine Rolle, durch welche die „niedere Obrigkeit“ sogar über ständisch eigentlich höherrangige Gruppen rücken konnte. Alle „ordentliche Gewalt“ sei von Gott, unabhängig davon, ob sie nun höhere oder „untere“ sei: „Darumb daß nicht die Person der Könige den Regierungen für sich, als wenn sie Geber deß Gewalts, einzig Gewalt 32
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ter kontroverse Charakter der Argumentation mit den Ephoren, insbesondere wenn deren besonders umfangreichen Befugnisse nicht nur als Metapher der besonderen kurfürstlichen Befugnisse der Wahlmonarchie des Reiches verwendet, sondern auch auf Erbmonarchien angewendet wurden. Dann wurden Gehorsamsverhältnisse zwischen Fürst und Adel unterlaufen. Und es war Melanchthon, nicht Calvin, der mit seinem Vergleich von Frankreich und dem Reich so verfuhr. Damit sind wir bei der Frage der Erweiterung der durch Gott gesetzten Obrigkeit auf Stände und (Unter-) Obrigkeiten, die bereits für die Diskussionen der 1520er bis 1540er Jahre im Reich eine wichtige Rolle spielte. Einerseits unterschieden Autoren wie Bugenhagen beispielsweise schon 1529 „Unterherren“ und „Oberherren“ und wiesen den Unterherren ihnen eigene Rechte zum Schutz der Untertanen zu, sofern die Oberherren Gottes Gesetze brachen.35 Andererseits hat Ernst Schubert in seiner großen Studie zu mittelalterlichen Königsabsetzungen mit Bezug auf die Kurfürsten eingewandt, dass die Formalisierung der Eidesversicherungen durch Karl V keine wirkliche Neuerung war, sondern Herrschaft im Reich immer im Konsens mit den Großen ausgeübt wurde, ausgeübt werden musste. Das galt der Sache nach auch für das Verhältnis der Großen zur Krone in England oder Frankreich. Die im Verlauf des 16. Jahrhunderts im Gefolge der Religionskriege verschärfte Souveränitätsfrage gebühren oder machen: Sondern daß das Reich oder Regierung den Königen ihre Gewalt … durch die Wahl und Ordnung heimsetzen und geben. Darumb auch eben die nemblich Wächter, so dem König die Gewalt geben und überantwortet, haben ihm den, so er nicht hält, wessen er verpflichtet ist … wiederumb zu nehmen … Auß dem ist auch zu ermessen und zu schließen, daß auch die niedere Gewalt, so fern es Gottes Ordnung ist, nicht allein der höheren Gewalt gleich, sondern auch in etlichen Fällen höher und fürnehmer ist“. Dort ist auch die Rede davon, „Stätte und Communen“ seien ebenso wie der Kaiser als Obrigkeit zu verstehen. Auch sie hätten ihr Amt durch Wahl und Einsetzung erhalten, sie seien Wächter der Gesetze. Luther radikalisierte darüber hinaus die Erweiterung der rechtmäßigen Notwehr auf einen noch breiteren Personenkreis durch seine Konzeption des „Hausregimentes“ aus dem Jahre 1539. Neben „Welt-Regiment“ und „Kirche“ sei es von Gott in der Welt „wider den Teufel geordnet“ und im Fall der apokalyptischen Herausforderung der Gottesordnung durch den Teufel – bzw. den Papst – zur Notwehr berechtigt, vgl. „Etliche Schlußreden D. Martin Lutheri in öffentlicher Disputation vertheidigt“ (1539), in: Hortleder, II, Nr. 18, S. 100 – 103, hier S. 100. Vgl. zu den 70 ursprünglichen Thesen Martin Luther, WA 39 II, De tribus hierarchiis (Die Zirkulardisputation über das Recht des Widerstandes gegen den Kaiser, Math. 19, 21), S. 35 – 91; Scheible, Nr. 22, S. 94 – 98, besonders S. 94. Der durch Scheible wiedergegebene Erstdruck vom April 1539 endet mit einer Spitze gegen den Kaiser. Über diese 70 Thesen wurde jedoch nicht disputiert, sondern über insgesamt 91 Thesen, die als Ankündigung zur der Zirkulardisputation auch gedruckt wurden. Der überraschende Frankfurter Abschied vom 19. April 1539 veranlasste die Zufügung dieser zusätzlichen Thesen, die sich vor allem gegen den Papst richteten, und die auch bei Hortleder erneut gedruckt wurden, vgl. zur Entwicklung dieser Argumentationslinie Luise Schorn-Schütte, Die Drei Stände Lehre im reformatorischen Umbruch, in: Bernd Moeller (Hg.), Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch, Gütersloh 1997, S. 435 – 61, hier S. 439; zur Bedeutung in der Notwehrdiskussion Luther D. Peterson, Justus Menius, Philipp Melanchthon, and the 1547 Treatise von der Notwehr Unterricht, in: Archiv für Reformationsgeschichte 81 (1990), S. 138 – 57, hier S. 140. 35 Vgl. Luise Schorn Schütte, Politische Kommunikation in der frühen Neuzeit: Obrigkeitskritik im Alten Reich, Geschichte und Gesellschaft 32 (2006), 273 – 311.
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und im Zusammenhang damit die besonders strittige Frage zu den Ephoren warfen also keine völlig neuen Probleme auf, sie formulierten alte Probleme in neuer und besonders kontroverser Manier. Es ist nachvollziehbar, dass die Rede von den Ephoren schnell als rotes Tuch wirken musste. So bleibt der entscheidende Unterschied zwischen Calvin und Melanchthon die bei Calvin angenommene generelle Einsetzung solcher Rechts-Wächter durch Gott, bei Melanchthon die an Aristoteles geschulte empirisch-historische Feststellung, einige/gewisse Nationen – „quaedam nationes“ – besäßen nun einmal „custodes regibus, qui ius haberent redigendi eos in ordinem“.36 Die allgemeine Bezeichung custos orientierte sich nicht speziell am römischen Recht, sondern an den spezifischen feststellbaren partikularen Rechten einzelner Gemeinwesen. Hatte das bei Melanchthon mit der theologisch durch das evangelium non tollit leges abgesicherten Rolle des Rechts zu tun oder mit dem an Aristoteles geschulten empirischen Verfassungsrelativismus? Jedenfalls lassen sich diese beiden Varianten des Bezuges auf die Ephoren noch bis in das 17. Jahrhundert verfolgen. Die an tatsächlichen oder vermeintlichen Partikularrechten orientierte Argumentation, so werden wir sehen, sollte sich letztlich gegenüber dem Hinweis auf die Einsetzung durch Gott durchsetzen.
B. Kommen wir zunächst zu den Autoren, die als calvinistische Monarchomachen in erster Linie als Erben der calvinschen Linie in Betracht zu kommen scheinen. Die Ausführungen in Bezas Recht der Magistrate, in den Vindiciae contra Tyrannos und in Althusius’ Politica lassen sich jedoch keineswegs eindeutig dem einen oder anderen Typus, der generalisierenden Annahme der Einsetzung von Ephoren durch Gott als Teil der Einrichtung von Obrigkeit einerseits oder der Rekonstruktion historischen Verfassungsrechts andererseits zuordnen. Beza, für den Christoph Strohm auf die zentrale Rolle juristischer Argumente hingewiesen hat37, teilt beispielsweise in seinem De iure Magistratum die Untertanen generell in drei Kategorien, die einfachen amtlosen Untertanen, niedere Amtsträger mit der Untertanenpflicht zum Gehorsam, und niedere Magistrate mit Widerstandsrecht. Er ordnet diesen drei Gruppen Beispiele aus dem römischen Staatsrecht und
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CR 16, Commentarii in librum III Politicorum Aristotelis, S. 439 – 440: De variis regum speciebus S. 440. 37 Christoph Strohm, Wirkungen der juristischen Schulung auf Bezas theologisches Oevre, in: Theodore de Beze, Act du Colloque de Geneve, Genf 2007, 517 – 535; sowie ders., Das Verhältnis von theologischen, politisch-philosophischen und juristischen Argumentationen in calvinistischen Abhandlungen zum Widerstandsrecht, in: Angela De Benedictis/Karl-Heinz Lingens (Hg.), Wissen, Gewissen und Wissenschaft im Widerstandsrecht (16.–18. Jahrhundert), Frankfurt 2003, 141 – 174, zu Beza 150 – 151; er geht dort auf die juristischen Argumente freilich i.E. kaum mehr ein.
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diverse historische Beispiele zu.38 Wichtig ist freilich, dass Beza nicht schlicht von dem Gottesbefehl der Einrichtung solcher Magistrate ausgeht, sondern von der Vorgängigkeit des populus vor der Einrichtung der Obrigkeit und der damit zusammenhängenden Bedingtheit obrigkeitlicher Autorität aufgrund ihres Zwecks.39 Den historisch-empirischen Beispielen solcher niederer Magistrate mit einem Recht zum Widerstand aus römischer Republik und Kaisereich, Athen, Sparta – hier werden die Ephoren genannt –, Israel – auch unter den Königen –, Dänemark, Schweden, aus England – hier wird das Parlament genannt –, aus Polen, Venedig und Frankreich – hier werden die Stände (ordines) genannt – folgen allgemeine Begründungen, in denen die historisch-empirischen Beispiele auf juristische Prinzipien aus Naturrecht und Billigkeit (ius naturale, aequitas) durch Analogieschlüsse bezogen werden. Die Vorgängigkeit des populus begründet Verpflichtungen der Rechtstreue durch den höchsten Magistrat dem populus gegenüber. Der historische Beleg, etwa der Vertrag von Arras zwischen dem König von Frankreich und dem Herzog von Burgund von 1435 als Beispiel einer vertraglichen Selbstbindung des Königs, und Prinzipien des römischen Rechts, etwa der Ungültigkeit von unter Zwang zu Stande gekommenen Eiden oder Zusageversprechen, werden dann in Bezug gesetzt.40 Analogieschlüsse erlaubten auch, den Schutz von Minderjährigen oder rechtlich aus anderen Gründen Unmündigen auf den Schutz von Völkern (nationes) zu übertragen, die selbst handlungsunfähig sind und bleiben, aber offensichtlich eines Schutzmechanismus bedürfen.41 Die Herkunft dieser Schutzeinrichtung wurde dann jedoch aus der Geschichte der Völker – bzw. den oben angeführten Beispielen – abgeleitet bzw. gewonnen. Bemerkenswerterweise sah sich Beza gezwungen, auf das Beispiel Davids und Sauls einzugehen. Obwohl der Tatbestand des durch Saul begangenen Unrechts unstrittig ist, gehorchte ihm David doch, da kein anderer Richter als Gott vorhanden war. Hier urteilte Calvin unzweideutig. Das Beispiel galt ihm als verallgemeinerbar. Es belege die generelle Gehorsamspflicht der Untertanen dem Tyrannen gegenüber.42 Dem hält Beza nun nicht, wie Calvin, die von Gott eingesetzten Ephoren entgegen, sondern seine empirisch-historischen Beispiele als Beleg generell 38
Textgrundlage Theodor Beza, De iure Magistratuum, geschrieben wahrscheinlich schon 1572, publizierte o.O (Lyon) 1574, lateinisch Lyon 1576. Hg. Klaus Sturm, Neukirchen, (Texte zur Geschichte der evangelischen Theologie Heft 1) 1965, 6. Frage, S. 39. 39 Ibid., S. 46: „populum extitis priusquam magistratus; et propter populum magistratus creatos“. 40 Der Vertrag von Arras wurde am 21 September 1435, einschlägig hier vor allem Artikel 29. Siehe Francois Andre Isambert et al. (Hg.), Recueil général des anciennes lois francaises depuis l’an 1420 jusqu’à la révolution de 1789, Paris 1821 – 33, 29 Bde., hier Band VIII, S. 826 – 827; Ulpian, Corpus Iuris Civilis, Digesten, 4, 2, 1: „Ait praetor, Quod metus causa gestum erit, ratum non habebo.“ Vgl. hierzu Ulrich von Lübtow, Der Ediktstitel „Quod metus causa gestum erit“, Greifswald 1932; Heinrich Honsell, Römisches Recht, Heidelberg 7. Aufl. 2010, zur Berücksichtigung arglistiger Täuschung und Zwang beim Zustandekommen von Verträgen zur Bewertung von deren Gültigkeit bei der Frage S. 45 – 46. 41 Ibid., „ratio a comparatis“, 70 – 71. 42 Calvin, Institutio, 246.
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akzeptierter Billigkeit, die den Völkern und Ständen das Recht vorbehalte, Rechtsbrüche des Fürsten zu ahnden.43 Kennzeichnend scheint mir hierzu auch Bezas Zurückweisung des Einwands, den türkischen Kaisern („turcarum imperatoris“) gegenüber gebe es schließlich auch keine Schutzrechte. Das türkische Reich sei überhaupt kein Königreich, sondern barbarisch und brutal („barbarum“, „brutum“). Ratgeber, welche es als Beispiel heranzögen, seien „publicos humani generis hostes“.44 Beza konstruiert hier eine engere Rechtsordnung der nicht-barbarischen Völker, für die Naturrecht und Billigkeit bindende Rechtsregeln hergeben. Das Osmanische Reich muss für diesen Argumenationszusammenhang als ,barbarisches‘ Gegenbeispiel herhalten. Mathias Schmoeckel wies darauf hin, dass es im Anschluss an Melanchthon im protestantischen Bereich zu einer Weiterentwicklung des Naturrechts und zur Herleitung von Rechtsregeln aus dem Naturrecht gekommen sei.45 Wir haben es hier also mit einer Entwicklung im protestantischen Lager zu tun, aber mit keiner, die man umstandslos als reformiert im Sinne von nicht-lutherisch bezeichnen sollte. Das gilt umso mehr, als Beza selbst in seiner früheren Schrift De Haereticis a civili Magistratu puniendis von 1554 zur Verteidigung der Hinrichtung Servets (Oktober 1553) gegenüber in erster Linie Castellio das Recht weltlicher Magistrate, Häretiker hinzurichten, ausdrücklich verteidigte. Bekanntlich verweigerte Calvin die Auslieferung des Ketzers an die französische Inquisition und dokumentierte durch dessen Hinrichtung in Genf lieber seine klare Ausrichtung an Grundmaximen konfessioneller Offenbarungstheologie, die in Bezas Verteidigung der Hinrichtung noch einmal explizit gemacht wurden: Gerade wenn und weil sich manche Fürsten an den Geboten Gottes vergingen, wogegen Widerstand gegebenenfalls geboten war, wie das Beispiel Magdeburgs erläutere, umso mehr müssten christliche Magistrate gegen den Feind mit allen Mitteln vorgehen, also auch Häretiker hinrichten. Der Tyrann und Feind war für Beza weder 1554 noch 1576 der Verbrecher gegen eine schlechthin christliche oder menschliche Rechtsordnung, sondern der Verbrecher gegen die Gebote der – reformierten – konfessionellen Offenbarungstheologie. Von Fall zu Fall mit anderen Argumenten bewaffnet, aber immer denselben Kreuzzug führend, erschloss sich Beza für sein ,Recht der Magistate‘ freilich gerade auch solche Argumente, die nicht direkt auf Gottesbefehle zurückgingen. Aber wird seine Schrift dadurch, und wenn ja, in welchem Sinne, zu einem Beispiel reformierter Staatslehre?
43 Beza, De iure Magistratuum: „gentes ipsas populique ordines ius sibi plerumque retinuisse fraenandorum principum“. 44 Ibid., S. 73. 45 Mathias Schmoeckel, Die Sünde des Naturrechts aus römisch-katholischer Sicht – Perspektiven einer protestantischen Rechtsquellenlehre, in: Christoph Strohm/Heinrich de Wall (Hg.), Konfessionalität und Jurisprudenz in der frühen Neuzeit, Berlin 2009, 313 – 346, zur Entwicklung der Handhabung des Naturrechts zur Formulierung von Rechtsregeln im protestantischen Bereich; ders., Erkenntnis durch ratio und conscientia. Die Begründung der modernen Wissenschaftlichkeit des Rechts durch Melanchthons Naturrechtslehre, in: Görge K. Hasselhoff/Michael Meyer-Blanck (Hg.), Religion und Rationalität, Würzburg 2008, 179 – 220.
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Auch die Vindiciae Contra tyrannos (publiziert 1579, im Jahr der Rücknahme des 1576 vereinbarten Toleranzedikts) zeichnen sich durch extensiven Rekurs auf Termini des römischen Rechts, auf das Volk als korporativer Einheit der universitas, und auf die einseitige Natur der Rechtsverpflichtungen zwischen Gott als Gläubiger und der universitas als Schuldner und einseitig verpflichteter Vertragspartei aus. Die Stände als rechtsverbindlicher Vertreter im Sinne von Vormündern der universitas sind daher verpflichtet, Verstöße gegen göttliches Recht gegenüber dem Fürsten in Verfolg ihrer Verpflichtung gegenüber Gott zu ahnden. Die parallele Einrichtung der Ephoren (bei Calvin) bzw. der Stände als Vormünder der universitas und gegenüber Gott direkt Verpflichteten in den Vindiciae weist diese als die relativ eindeutigste reformierte Lehre im Anschluss an Calvin aus.46 So sehr freilich zu Recht darauf hingewiesen wird, dass sich das Argument des Bundes mit Gott und seine Einbettung in das römische Recht gut mit Calvins Rechtsterminologie zu den Ephoren verträgt47, steht den durch Gott eingesetzten Tutoren Calvins in den Vindiciae eher der von Gott beauftragte Befreier in höchster Not gegenüber48, jedoch kaum die im Vergleich zu Calvins Institutio erheblich elaboriertere Diskussion und Erläuterung der Korporation der universitas und der Pakte zwischen Korporation, Fürst und Gott. Die nachdrückliche Insistenz auf der empirisch-historischen Validität der behaupteten vertraglichen Bindungen im Wege der Deutung von Krönung und Salbung als eigentlichen Momenten der Inthronisation des Thronfolgers, und nicht der schlichten Erbfolge auf den Tod des Vaters, auf der Bodin und später die Anhänger Mazarins und der Regentin Anna in der Krise der Fronde bestehen sollten, steht beispielsweise in krassem Gegensatz zur doch eher dilatorischen Behandlung der Ephoren bei Calvin. Hier stellt die Argumentation in den Vindiciae die durch Gott eingesetzte universitas in den Mittelpunkt; aus den Händen von deren rechtsgeschäftlichen Vertretern empfängt der Kandidat die eigentliche Inthronisation. Als Teil der Antwort auf die dritte Frage nach der Legitimität von Widerstand rückt daher die Einsetzung der Person durch den populus („Dicimus populum reges constitutere“) – fußend auf der Einrichtung der Obrigkeit durch Gott – in einer Ausführlichkeit in den Mittelpunkt der Analyse, dass sich im Umfang von Text und Argumentation die Gewichte, im Vergleich zu Calvin, erheblich verschieben. Diese Verschiebung wird durch die empirisch-historische Beweisführung mit Hinblick auf Rom und zeitgenössische europäische Königreiche weiter verstärkt. Bei der empirischen Aufzählung kommen sogar das römische Kaiserreich unter Nero und Caligula zum Zuge, und schließlich auch, u. a., Sparta und die Ephoren. So wie auch bei Beza werden Reiche, in denen die Struktur aus populus und universitas nicht zu bestehen scheint, wie das Osmanische Reich, nun
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Vgl. George Garnett, Editor’s Introduction, in: ders. (Hg.), Stephanus Junius Brutus, Vindiciae, Contra Tyrannos, Cambridge 1994, xix-lxxvii, hier xxv-xxvii. Wir verwenden neben dieser Übersetzung die Ausgabe von 1579. 47 Garnett, Introduction, xxvi-xxvii. 48 Vgl. Garnett, Introduction, S. xxix.
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aber auch das christliche Moskau, als Räuberbanden bezeichnet.49 Der grundlegenden Verfassungstruktur nach steht die Einsetzung von Obrigkeit und Vertretern der universitas durch Gott und die ihm gegenüber eingegangen Verpflichtungen im Mittelpunkt; dem Gang der Argumentation nach überwuchert jedoch eine auf empirischhistorischen Beispielen beruhende Abgrenzung legitimer öffentlicher Ordnungen von ,Räuberbanden‘ die Darstellung. Als Kriterium der Abgrenzung zwischen legitimer öffentlicher Ordnung und Räuberbande zählt jedoch nicht schlicht das Christentum oder die göttliche Ordnung, sondern der Bestand bestimmter Rechtsinstitute, vor allem der Rechtsschutz gegen rechtsbrecherische Maßnahmen des höchsten Magistrats. Die Darstellung wird dadurch in eine Erörterung der verfassungs- und rechtsgeschichtlichen Bahnen der partikulären Gemeinwesen gedrängt. Mit Hinweisen auf Hotman und den Sachsenspiegel50 wird die im Christentum begründete Unterscheidung von Augustinus zwischen Staat und Räuberbande auf die Unterscheidung der durch Faktizität belegten und durch historische Dignität legitimierten Rechtsverfahren legaler öffentlicher Ordnungen von denen ohne solche Legalität begründenden Prozeduren übertragen.
C. Auf die Ephoren bei Althusius brauche ich nicht näher einzugehen. Die Grundlagen seiner politischen Theorie bleiben umstritten, insbesondere die Frage nach der föderalen Anlage dieser Theorie. Beschränken wir uns auf knappe Hinweise zu Kapitel XVIII der Politica von 1614. Althusius beschrieb bekanntermaßen die Verfassung des regnum mit einem Dualismus aus Herrschaftspositionen, nämlich der Herrschaft qua repraesentatio potestatis – dem magistratus summus im regnum, der Provinz oder der Stadt – und einem die jeweilige universitas des Reiches, der Provinz oder Stadt im Wege der representatio identitatis vorstellenden Kollegium, wobei cum grano salis immer das maior singulis, minor universalis – Prinzip galt51. Diese Beschreibung besaß den Anspruch, die Verfasstheit aller Gemeinwesen 49 Vgl. Vindiciae, S. 74: „Ad hoderna vero imperia quod attinet (Turcicum, Moschium, & alia hujus generis, magna latrocinia (latrocinium = Räuberei, Räuberbande), magis quam imperia sunt) nullum omnino est, quod si non hoc tempore, saltem olim non ita administratum fuerit.“ Vgl. Augustinus, De Civitate Dei, IV, 4: „Remota itaque justitia quid sunt regna nisi magna latrocinia“; siehe hierzu Otfried Höffe, Positivismus plus Moralismus: Zu Augustinus’ eschatologischer Staatstheorie, in: Christoph Horn (Hg.), De civitate Dei, Berlin 1997, 259 – 296. 50 Vindiciae, S. 75. 51 Zum Repräsentationsbegriff Hasso Hoffmann, Repräsentation. Studie zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis zum 19. Jahrhundert, Berlin 1974; ders., Der spätmittelalterliche Repräsentationsbegriff in Reich und Kirche, in: Der Staat 21 (1988), 523 – 45; Wolfgang Mager, Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment. Zur Konzeptualisierung der politischen Ordnung in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen deutschen Stadt, in: Luise Schorn-Schütte (Hg.), Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhundert, München 2004, 13 – 122. Althusius griff insbesondere auf den von Mager diskutierten Losaeus zurück, vgl. Althusius, Politica Methodice Digesta,
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schlechthin zu ergründen. Die nachgeschobenen historischen Beispiele begründen nicht, sondern erläutern. Wie schon bei Beza stehen die Kurfürsten an erster Stelle der Beispiele, aber die Stände anderer Königreiche werden ebenfalls angeführt. Die Beispiele reichen bis auf Moses und ein Ephorat aus 70 Ältesten.52 Interessant ist die Breite der Literatur, auf die sich Althusius zu Beginn des 17. Jahrhunderts bereits stützen kann. Neben den Vindiciae kann er auf Beza, Hotman, Daneus, Mariana, Pareaus usf. verweisen, aber auch auf Rosenthal und Paurmeister. Kurz, er fasste nicht allein die bereits zu diesem Zeitpunkt durch William Barclay und Henning Arnisaeus als monarchomachisch diffamierte ausdrücklich ständefreundliche Literatur, sondern auch Werke der entstehenden Reichspublizistik (Paurmeister, Rosenthal) zusammen. Der Kern der Debatte, so wie Althusius sie gegen Arnisaeus und Barclay führte53, betraf die Situierung der Souveränitätsrechte bei den das Volk repräsentierenden Ephoren, also vor allem bei den privilegierten Ständen der genannten Königreiche. Wie Hasso Hoffmann 1988 feststellte, erlangte die Vielzahl „reichlich herangezogener exempla profana“ eine gewisse “Eigengesetzlichkeit“ zugunsten der „Wirklichkeit der Reichsrechte“. Was sich im Verlaufe der Debatte herausschälte war weniger eine in sich geschlossene reformierte oder – katholische – monarchomachische Theorie, sondern eine Lehre von der Vorgängigkeit der politischen Gemeinschaft – ergo ihrer Repräsentanten –, die sich als Rekonstruktion historischen Verfassungsrechts, teils mit Bezug auf einen Herrschaftsvertrag, darstellt.54 Der wichtigste Konkurrent dieser Richtung waren freilich weniger die theoretischen Vertreter unbeschränkter monarchischer Herrschaft, ob nun von Gottes Gnaden (beispielsweise William Barclay) oder aus Funktionsgründen (Bodin, Arnisaeus), sondern die neu-aristotelischen Verfassungsrelativisten, die ein breites Spektrum möglicher Verfassungen voraussetzten und dazu nicht zuletzt im Reich selbst breites Anschauungsmaterial besaßen, wo Erbfürstentümer, geistliche Wahlfürstentümer und Stadtrepubliken – in der Regel aristokratisch, kleinere auch demokratisch verfasst – nebeneinander bestanden. Marcus Zuericus Boxhorn beispielsweise unterstrich in seinen Institutiones Politicae von 1657 diese Vielfalt möglicher Verfassungsformen und ihre jeweils von Fall Herborn 1614, C XVIII, n 12, 48, 49. In der Zwischenzeit liegen deutsche und englische Übersetzungen der Politica vor. Die beste Zitationsweise bleibt jedoch der Hinweis auf Kapitel und Abschnitte der der lateinischen 3. Auflage von 1614. 52 Althusius, Politica, c XVIII n 59 – 60. 53 Ibid, c XVIII, n 92 – 93. Teilcharakterisierung bei Merio Scattola, Controversia de vi in principem. Vertrag, Tyrannis und Widerstand in der Auseinandersetzung zwischen Johannes Althusius und Henning Arnisaeus, in: Angela De Benedictis/Karl-Heinz Lingens (Hg.), Wissen, Gewissen und Wissenschaft im Widerstandsrecht (16. – 18. Jahrhundert), Frankfurt 2003, 175 – 250. 54 Hofman, Spätmittelalterlicher Repräsentationsbegriff; siehe zum Vorschlag dies alles als monarchomachische Traktate zu kennzeichnen Horst Dreitzel, Politische Philosophie des 17. Jahrhunderts, Paragraph 12: Die Monarchomachen, in: Helmut Holzey/Wilhelm SchmidtBiggeman, Grundriss der Geschichte der Philosophie: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts, Bd. 4, Basel 2001, S. 613 – 638.
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zu Fall unterschiedlichen Vor- und Nachteile. Er unterstrich zwar die besondere Stärke aristokratischer Regime (Buch II, Kapitel V), bezog sich jedoch mit keinem Wort auf die Ephoren.55 Der neu-aristotelische und tacitistische Ausgangspunkt Boxhorns ließ ihn annehmen, die natürliche Gleichheit der Menschen führe notwendig zu Reibungen mit der Notwendigkeit von Herrschaft und Unterordnung im Gemeinwesen.56 Hier unterschied sich der Neu-Aristotelismus markant von seinem Namensgeber. Und daher benötige das Gemeinwesen künstliche Mechanismen, um Zusammenhalt zu gewährleisten, vor allem Recht zur Gewährleistung von Eigentum, und Religion. Metus, utilitas, necessitas – Furcht, Nutzen, Notwendigkeit hatten zur Entwicklung und Akzeptanz staatlicher Hoheitsrechte geführt, die sich in Umfang und Gewicht je nach Klima und Region anders darstellten.57 Zusammenfassung der Herrschaftstitel (maiestas), Gehorsam und privatrechtliche Rechtstitel (libertas) balancierten im Staat in jedem Fall die auseinanderlaufenden Interessen der Menschen. Angesichts dieser funktionalistischen Deutung der Gesetze und der Anerkennung historischer Kontingenz gegebener menschlicher Verfassungen blieb für die herausgehobene Stellung einer Gruppe als Ephoren bei Boxhorn kein Spielraum. Ähnlich wie bei Arnisaeus liefert denn auch die Eroberung einen völlig legitimen Titel auf Herrschaftsausübung. Gleichwohl insistiert Boxhorn, faktisch ruhe die maiestas ausschließlich auf dem Willen der Untertanen zum Gehorsam, der wiederum letztendlich deren Interessen am Schutz von Person und Eigentum entspringe.58 Entsprechend verteidigte Boxhorn die gemischte Verfassung nicht aufgrund von Überlegungen zur Balance, sondern aufgrund des Eigeninteresses (amor sui) unterschiedlicher Gruppen, die durch Einbindung in Verfassungsinstitutionen in ihren auseinanderstrebenden Interessen gebändigt werden.59 Im Reich blieb Christoph Besold während des zweiten Viertels des 17. Jahrhunderts der vielleicht wichtigste und anerkannteste Autor auf den Feldern Politik und Recht.60 Zwar ruhten seine Überlegungen, ganz anders als bei Boxhorn, auf der Über55 Marcus Zuericus Boxhorn, Institutiones Politicae, Leiden 1657. In den Disquisitiones Politicae wurden unter den Fallbeispielen aus der Alten Geschichte u. a. Theben, Athen und Rom behandelt, jedoch nicht Sparta. 56 Boxhorn, Institutiones Politicae I, 2 – 3, S. 13 – 19; auch II 4, S. 313. Der wichtigste Forscher, der auf diese besonderen Eigenschaften des Neuaristotelismus hingewisen hat, bleibt mit seiner nach wie vor grundlegenden Monongraphie Horst Dreitzel, Protestantischer Aristotelismus und absoluter Staat. Die „Politica“ des Henning Arnisaeus (ca. 1575 – 1636), Wiesbaden 1970. 57 Boxhorn, Institutiones Politicae, I, 2, S. 2; I, 2 S. 13, S. 9. 58 Boxhorn, Institutiones Politica I, 2, S. 11. 59 Boxhorn, I, 3, S. 22 – 3. 60 Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. I, München 1988, 119 – 122; Horst Dreitzel, Politische Philosophie, in: Helmut Holzey et. al. (Hg.),Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des 17. Jahrhunderts, Basel 2001, Bd. 4, 609 – 866, hier 659 – 663; ausführlichste biographische Informationen bei Barbara Zeller-Lorenz, Christoph Besold (1577 – 1638) und die Klosterfrage, Tübingen 1986; Barbara Zeller-Lorenz/Wolfgang Zeller, Christoph Besold, in: Ferdinand Elsner (Hg.), Le-
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zeugung von der teleologischen Struktur des Zusammenlebens der Menschen, die allesamt „Partikel der göttlichen Aura“ als „Funken Gottes“ besitzen.61 Zwar begriff Besold den Staat „prinzipiell als Verfassungsstaat mit einer auf den Notstand beschränkten absoluten Gewalt“, er verfolgte diese Linie jedoch nicht als verabsolutierte einzige Möglichkeit, sondern beschrieb das „regnum ephoristicum“ der Monarchomachen schlicht als Aristokratie62 und das Deutsche Reich (Imperium Romano Germanicum) und Polen aufgrund der Kombination von Senat – Fürsten und Kurfürsten bzw. Sejm – und gewähltem König als gemischte Verfassung, in der die Aristokratie als censor auftrat.63 Auch die Herzogtümer Jülich und Berg, in denen die Konflikte zwischen den Ständen und dem possedierenden Haus Pfalz Neuburg zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung – 1626 – bereits einige Bekanntheit gewonnen hatten, werden als gemischte Verfassung beschrieben.64 Ich habe an anderer Stelle ausgeführt, dass Besolds Schwerpunkt weniger bei der Insistenz auf den direkten partizipatorischen Mitwirkungsmöglichkeiten der Stände lag, als auf der Insistenz der rechtlichen Gebundenheit fürstlicher Herrschaft im Reich an Reichsgesetze und Reichsherkommen.65 Es lag daher nicht an den Ständen, sich zu Richtern ihrer Fürsten aufzuwerfen, wohl aber, wie in allen legitimen Herrschaften möglich, den Rechtsweg vor ein Gericht zu gehen. So beschreibt er das regnum ephoristicum an anderer Stelle denn auch nicht als Aristokratie bzw. Ideologie der Monarchomachen66, sondern als Form der legitimen Monarchie, in der die Fundamentalgesetze und Privilegien der Stände die königliche Gewalt einschränken und die Ephoren als custodes dieser Gesetze auftreten.67 Von einer Einsetzung durch Gott oder einen Pakt mit Gott ist freilich keine Rede. Und auch wo keine solche Verfassungsinstitution explizit besteht, muss den Untertanen und Ständen doch die Möglichkeit bleiben, Rechtswege zu suchen. Die historisch-politisch-empirische Anbensbilder zur Geschichte der Tübinger Juristenfakultät, Tübingen 1977, 9 – 18; Julian H. Franklin, Sovereignty and the mixed constitution: Bodin and his critics, in: J. H. Burns (Hg.): Cambridge History of Political Thought 1450 – 1700, Cambridge u. a. 1991, 298 ff.; Robert von Friedeburg, Lutherische Unverfügbarkeit des Glaubens und Juridifizierung des Naturrechts: Besolds These vom freien Gewissen zu glauben was man will und Staatszweck und Naturrecht seiner Zeit, in: Rechtsgeschichte 15 2009, 33 – 61. 61 Dreitzel, Politische Philosophie, 660, mit seiner Diskussion des religiösen Hintergrundes des „Principium et finis politiciae“ bei Besold, insbesondere in den Praecognita prudentiae politicae, Tübingen 1614, diss 1, cap 2, n 1. 62 Collegii politici classi prima et posterior, Tübingen 1614, diss 8 n 24, de aristocratica et democratica civitatis forma, zit. nach Dreitzel, Politische Philosophie, 663. 63 Christoph Besold, Dissertatio Singulari de Statu Reipublicae mixto, in: Operis politici Editio Nova, Strassburg 1626, 210 – 31, cap II De imperio Romano et Polonico, Tübingen 1626, S. 213. 64 Ebd., S. 218. 65 Friedeburg, Besold, S. 46. 66 So Dreitzel, Politische Philosophie, S. 663. 67 Dissertatio Singulari de Statu Reipublicae mixto, in: Operis politici Editio Nova, Strassburg 1626, 210 – 31, cap IV De Regno legitimo, Tübingen 1626, 231 ff.
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schauung des Alten Reiches erlaubte ihm, solche Schlussfolgerungen zu ziehen. Der bei Beza und den Vindiciae, aber auch bei Althusius klare Konfrontationscharakter der Argumentation mit den Ephoren weicht bei Besold dem Verzicht auf die normative Festlegung einer im Lande selbst verankerten Kontrollinstanz bei gleichzeitiger normativer Festlegung der Zugänglichkeit von Rechtswegen.
D. Weder in England, Schottland, Frankreich noch in den territorialen bzw. reichsweiten Konflikten zwischen Land- und Reichsständen bzw. Reichsständen und Kaiser andererseits, bestand für die Zeit der 1630er bis 1650er Jahre nach dem jetzigen Stand unserer Kenntnis ein wesentlicher Rekurs auf das Institut der Ephoren. In den Konflikten in England spielten in den 1640er Jahren weder Sparta noch das Ephorat eine Rolle, sondern die Deutung des konkreten Verhältnisses der Person des Königs zu Ober- und Unterhaus.68 Das Problem der politischen Handlungsfähigkeit des Parlamentes im Notzustand unter den Geboten von necessitas und salus populi stand im Mittelpunkt, nicht die Legitimation von Handlungen durch geregelte Verfassungsprozeduren – die erwiesen sich ja gerade im Angesicht des Konflikte von Unterhaus und Monarch als brüchig.69 So kam es denn in England in den Jahren des Ausbruchs des Bürgerkrieges zur Stunde der Theologen, die einen direkten Gottesbefehl zum Kampf gegen alle Ungläubigen konstruierten – wie der Prediger Steven Marshall – und zur Stunde der Politiker, die in der besonderen Notsituation eines vermeintlichen drohenden Angriffs aus Irland, der Handlungsunfähigkeit des Königs und zugunsten des Wohls des Volkes dem Parlament als High Court besondere Rechte zusprachen.70 Zwar enthielten sowohl der schottische National Covenant von 1638 als auch der Text der Solemn League and Covenant von 1643 knappe Hinweise auf einen Bund mit Gott, diese standen jedoch nicht im Zentrum der Argumentation, von Ephoren war gleich gar nicht die Rede. Im Zentrum standen vielmehr die vermeintlichen historisch belegten Fundamentalgesetze der Königreiche und Überlegungen zur Handhabung des Notstandes durch die Stände bei königlicher Handlungsunfähigkeit. Für die Zeit der Fronde gilt im Hinblick auf die vermeintlichen Rechte des Pariser Parlamentes in einer Zeit der Minderjährigkeit des noch nicht gesalbten Königs und gegenüber einer ausländischen Königinmutter und deren ausländischem Berater das68
Siehe zuletzt Blair Worden, The English Civil Wars, London 2009; John Morrill, The Causes of Britain’s Civil Wars, in: idem, The Nature of the English Revolution, London 1993, 245 – 272, 268 – 9; idem, England’s Wars of Religion, in: Nature, 33 – 44; Mark Kishlansky, Charles I: A Case of Mistaken Identity, Past and Present 189 (2005) 41 – 80. 69 So bereits Hans Werner Lohn, Salus Populi, Necessity und die ererbte Verfassung: Der Spielraum konservativer Ideen in der englischen Revolution bis 1649, Nürnberg 1969. Wir erwarten die Veröffentlichungen der Forschungen von Kathryn Murphy, Oxford, zum selben Thema. 70 Michael Mendle, The Great Council of Parliament an the First Ordinances: The Constitutional Theory of the Civil War, in: Journal of British Studies 31 (1992), 133 – 162.
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selbe. Die Kurfürsten beriefen sich bei ihrer Kritik am Verhalten Wallensteins und Kaiser Ferdinands II auf dem Regensburger Kurfürstentag 1630 schon gleich gar nicht auf die Ephoren, setzen sich aber gegenüber dem Kaiser in praktisch allen Punkten durch. Das mag man nun noch damit erklären, dass insbesondere die katholischen Kurfürsten wohl kaum viel Interesse an Calvins Ephorentheorie gehabt haben mögen. Aber auch in den konfessionell gemischten Herzogtümern Berg und Jülich, die sich mit Unterstützung des Kaisers gegen die possedierende Dynastie Pfalz-Neuburg erfolgreich zur Wehr setzten, oder im reformieren Hessen-Kassel, wo die Stände 1627 den Rücktritt von Landgraf Moritz erzwangen und 1655 nach langwierigen Konflikten eine Festschreibung ihrer Rechte in einem Abschluss erreichten, war von Ephoren nur am Rande die Rede.71 Im Mittelpunkt der von den niederhessischen Ständen beispielsweise zwischen 1647 und 1652 erarbeiteten Stellungnahmen, auch für ihre Klage vor dem Reichskammergericht, stand die Fundamentalverfassung des Reiches einerseits (totus Germaniae consuetudine), die vermeintliche alte Verfassung des hessischen Vaterlandes andererseits, welche sie, die Stände, als „Patrioten“ zu verteidigen hätten. Als Teil dieser partikularen, aus dem Mittelalter herrührenden Fundamentalverfassung wird, vor allem mit Hinweis auf Besold, auf den Bestand eines Senates, in Form von Ständen, geschlossen, die zu selbständiger Versammlung berechtigt sind und Steuern zustimmen müssen. Neben Besold72 wird Althusius als ständefreundlicher Autor herangezogen, um die Rechte und Pflichten der Stände und Patrioten extensiv zu deuten, vor allem in Hinblick auf Althusius’ Bemerkungen über die Optimaten und die Verteidigung des Vaterlandes. Es ging hier, wie auch in Jülich Berg, um die Verrechtlichung des durch die Kriegswirren gegebenen Notstandes und die verfassungsrechtliche Einbindung fürstlicher Prärogative, nicht um die grundsätzliche Herausforderung legitimer fürstlicher Landesherrschaft durch alternative Verfassungsmodelle. Im Hinblick auf die politische Strategie der Kontrahenten lässt sich feststellen, dass sowohl Stände als auch fürstliche Vertreter bemüht waren, der jeweils anderen Seite verfassungsfeindliche Positionen zu unterschieben 71 Siehe Rainer Walz, Stände und frühmoderner Staat. Die Landstände von Jülich und Berg im 16. und 17. Jahrhundert, Neustadt 1982; Armand Maruhn, Necessitäres Regiment und fundamentalgesetzlicher Ausgleich. Der hessische Ständekonflikt 1646 – 1655, Marburg 2004; Robert von Friedeburg, Adel und ständische Vertretungen: Repräsentationen des Landes? Weshalb aus „Rittern“ und „Vasallen“ „Patrioten“ wurden, in: Eckart Conze/Alexander Jendorff/Heide Wunder (eds.), Adel in Hessen, Marburg 2010, 169 – 186; ders., Widerstandsrecht, Untertanen und Vaterlandsliebe: Die Politica des Johannes Althusius von 1614 und ihre Rezeption in einem ständisch-fürstlichen Konflikt (1647 – 1652), in: Frederick S. Carney/Heinz Schilling/Dieter Wyduckel (Hg.), Jurisprudenz, Politische Theorie und Politische Theologie. Beiträge des Herborner Symposiums zum 400. Jahrestag der Politica des Johannes Althusius 1603 – 2003, Berlin 2004, 261 – 283; ders., Widerstandsrecht und Landespatriotismus: Territorialstaatsbildung und Patriotenpflichten in den Auseinandersetzungen der niederhessischen Stände mit Landgräfin Amelie Elisabeth und Landgraf Wilhelm VI von Hessen-Kassel 1647 – 1653, in: Angela de Benedictis/Karl-Heinz Lingens (Hg.), Wissen, Gewissen und Wissenschaft im Widerstandsrecht (16.–18. Jahrhundert), Frankfurt 2003, 267 – 327. 72 Hinweise auf Besold durchziehen sowohl die Schriften von 1648 als auch 1652; vgl. insbesondere Friedeburg, Widerstandsrecht und Landespatroitismus.
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– machiavellistische bzw. monarchomachische –, um selbst den gemäßigten Verfassungsstandpunkt einzunehmen. Erstens musste der katholische Richter am Reichskammergericht, Philip Christoph von Sötern, schließlich durch Argugmente überzeugt und nicht durch schrille Stimmen verschreckt werden. Zweitens hatten die Kriegswirren der Jahre 1630 – 1648, aber auch die Schrecken des englischen Bürgerkrieges und der Fronde eine gemeineuropäische Reaktion gegen jeden Fundamentalkonfessionalismus, gegen Despotie und gegen monarchomachische Argumente hervorgerufen. Was nach Angriff auf Monarchie und Ordnung roch war durch die Nachrichten aus England, Frankreich und Neapel zutiefst diskreditiert. Vor diesem Hintergrund vollzog sich seit der Wende zum 17. Jahrhundert u. a. in England, Frankreich, dem Reich oder den Niederlanden mit Autoren wie Edward Coke (1552 – 1634, Lord Chief Justice of England), Friedrich Lindenbrog (1573 – 1648), Friedrich Hortleder (1579 – 1640), Melchior Goldast (1576/78?-1635)73, Hermann Conring (1606 – 1681) und seinem De origine iuris Germanici, Hugo Grotius oder Guy Coquille (1523 – 1603) und seinem ,Institution de droit francois‘, im Zuge der zunehmenden Verdichtung der Partikularrechte und der Historisierung des und der Emanzipation vom Römischen Recht ein wichtiger Wandel in der europäischen Verfassungsdiskussion. Die vermeintlich mittelalterlichen und der eigenen Nation oder dem eigenen Vaterland vermeintlich eigentümlichen Partikularrechte gerieten immer mehr in den Mittelpunkt der Debatte, einzelne vermeintliche Privilegien und Herkommen wurden zu historischen Verfassungen des eigenen Vaterlandes und der eigenen Nation stilisiert. So auch im Reich und vielen Territorien.74 Diesem Wandel fielen Argumente, die nicht auch historisch brauchbar waren, im Wesentlichen zum Opfer, noch bevor die Entwicklung des jüngeren Naturrechts ebenfalls zur Veränderung der Diskussionslandschaft beitrug. Das nach Calvin durch Gottes Befehl begründete Institut der Ephoren fiel in der Diskussion dieser Entwicklung zugunsten der verfassungsrechtlichen Absicherung von Ständen und ihrer Privilegien zum Opfer, einer Absicherung, die freilich nicht auf die politische Kontrolle der Monachie, sondern auf zunehmende Autonomisierung des Rechts zur Verteidigung von Rechtstiteln hinauslief und letztendlich in Montesquieue ,l’esprit de lois‘ gipfelte. Bis dahin war es um die Mitte des 17. Jahrhunderts noch ein weiter Weg, aber ein Weg, dessen erste Schritte sich bis auf die ständischen Verhandlungen der Mitte des 17. Jahrhunderts im Reich zurückführen lassen.
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Siehe Gundula Gaspary, Späthumanismus und Reichspatriotismus, Göttingen 2006. Diese Entwicklung wird vom Autor breiter belegt und europäisch vergleichend beleuchtet in seinem Europa in der frühen Neuzeit (Neue Fischer Weltgeschichte Band 5), Frankfurt 2012. 74
The Calvinistic Covenant’s Theology and Federalism: the Experience of Althusius By Corrado Malandrino, Alessandria The rise of modernity is held to mark the era of the triumph of the unitary nationstate, achieved above all through the success of monarchic absolutism. This is testified, within the history of political thought, by the theorization of the concept of absolute sovereignty, conceived as the supreme power which is intrinsic to the essence of the state. The theoretical elaboration was due mainly to the work of Jean Bodin and Thomas Hobbes, in whose vision the fundamental attributes of sovereignty resided in originality, unicity, indissolubility, indivisibility, perpetuity, and irrevocability. The absolute State is the first form of a centralized modern State, set up on a secularized basis and drawing its inspiration from criteria of growing legal and administrative rationalization. It did not, however, achieve consolidation without a certain degree of opposition. In parallel with this new conception of the state, a strong challenge against absolute sovereignty, its institutive principle, also began to make itself felt. Criticism assumed various forms, rooted in different doctrines and political positions, including a reformulation of medieval constitutionalism based on Thomist Scholastics or on the republican tradition or, alternatively, on the tradition which in the works of many authors were known as covenantalism; other forms of critical attitudes were expressed by anti-tyrannical thought, termed monarchomachism by William Barclay at the turn of the 17th century, and by the Reformation movements, above all the democratizing strands of such movements arising from a Calvinist background, which lay at the origin of the conflicts that resulted in century-long wars set against a religious backdrop, but underlyingly of a quintessentially political nature. It is in this context that a theological-political re-meditation with a federalizing orientation began to take shape, adapting to the new times the themes characteristic of covenantalism, that is to say, of the pact established between God and man, and between the people and the sovereign. This strand of thought, which developed within the framework of political categories that were still to a large extent premodern and linked to the conception of society as divided into estates, aimed to establish the divine and ‘popular’ origin of sovereignty, together with the intrinsically pluralist and complex make-up of society and the State. Known by historians as ‘federal theology’, it sprang from the investigations of theologians and scholars of law who, in the period between the mid sixteenth and the early seventeenth century, drew their inspiration primarily from the teachings of Jean Calvin, Huldreich Zwingli and his successor in Zurich, namely Heinrich Bullinger, who in 1534 published a pamphlet that would be
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of fundamental importance for the development and propagation of federal theology, entitled De testamento seu foedere Dei unico et aeterno.1 Extending from Huguenot France and from the Swiss cities, and along the course of the Rhine, the influence of federal theology began to spread from Germany to the Low Countries, which were engaged in a struggle against the Spain of Philip II, and also to England and Scotland, leaving a lasting mark on Puritanism and on the political orientation of the American settlers in New England. One of its leading exponents was Caspar Olevianus, a German, who co-authored the Heidelberg Catechism, the most authoritative doctrinal text of the Reformed churches in central Europe. In the work De substantia foederis gratuiti inter Deum et electos (1585),2 Olevianus listed five different types of pact; with regard to political thought, the most significant of these is the pact between God and Moses in the Old Testament, but reformulated through the “Pact of Grace” offered by Christ in the New Testament, from which there derives God’s renewed pact with men. Moreover, as affirmed in another major work forming part of theological-federal production, Vindiciae contra tyrannos by Stephanus Junius Brutus (1579),3 the two-fold covenant between God, men and the sovereign magistrate is the wellspring that forges the constitution of society – made up of the various political communities, which are cells hierarchically coordinated with one another and endowed with autonomy – and civil government. The political acceptation of federal theology is based on the biblical derivation which holds that the relation between God and men was always founded on one or more covenants (foedus), and that, accordingly, the pact-based federal form regulates political relations between a people and its rulers, as well as between various the different peoples. This form has been known since the era of the Reformation in other European cultural environments, such as Swiss, German, French, Dutch, English and Scottish milieux. From the latter it spread to North American culture, where it played a decisive role in the rise of modern constitutional awareness in relation to federalism and the theory of the federal State. The majority of the streams of thought that have grown around “federal theology” share the position of “political calvinism”. Calvinism can be defined as the confessional doctrine and the ecclesiastical movement within the Reformation that sprang from the teachings of Calvin, but which soon merged into a broader and variegated religious and political tendency, also encompassing the experiences of other community leaders of Reformation cities in central Europe, for instance Bucer in Stras1 Christoph Tiguri, Frosch, MDXXXIIII. Cf. now the English translation in: C. S. McCoy/ J. W. Baker, Fountainhead of federalism. Heinrich Bullinger and the Covenantal Tradition, Louisville (Kentucky), Westminster/J. Knox Press, 1991, pp. 101 ff. 2 Genevae, Vignon, 1585. On Olevianus cf. H. Graffmann, K. Olevians Stellung in der Entstehungsgeschichte der Demokratie, in “Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung”, Darmstadt, B. 22., 1971, pp. 85 – 121. 3 Cf. S. Junius Brutus, Vindiciae contra Tyrannos, ed. by S. Testoni Binetti, Turin, La Rosa, 1994. Cf. also S. Testoni Binetti, Il pensiero politico ugonotto. Dallo studio della storia all’idea del contratto (1572 – 1579), Florence, CET, 2002.
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bourg, Zwingli and Bullinger in Zurich. This blossomed into a general orientation which, by virtue of its international character4 in the dramatic transition of the zweite Reformation and in the era of Konfessionalisierung,5 spread from Switzerland – gradually becoming differentiated from Lutheranism – to the whole of Europe and the North American colonies. While accepting the dogma of predestination and of salvation through faith in Christ, the Calvinist conception moved towards an intra-worldly form of asceticism which showed a more marked propensity to embrace the role of “works” and their successful accomplishment as the sign of probable divine grace, and of salvation.6 Hence the strong drive towards activity in this world. Furthermore, Reformed Calvinism was distinguished by the preference awarded to the role of “preachers” and “elders” in the Consistory, in a collegial and assembly-based ecclesiastical model.7 Its spiritual and worldly activism and the ‘democratic’ character of the ecclesial organization symbolized in the image of the “Republic of Saints”8 led to significant differentiations from the other Lutheran–Protestant currents in the sphere of socio-political organization. Just as Lutheranism effectively became the predominant orientation of the territorial princes (in Germany, Denmark and Sweden), so political Calvinism tended to build its strength mainly as a model of city or regional communities that adopted a critical attitude both towards the empire and towards absolutist 4 Cf. International Calvinism 1541 – 1715, ed. by M. Prestwich, Oxford, Clarendon, 1985; Confessions et catéchismes de la foi réformée, ed. by O. Fatio, Genève, Labor & Fides, 1986. 5 Cf. W. Sparn, Politik als zweite Reformation, in Politische Theorie des J. A., cit., p. 438. Here I use the term “second Reformation” to underline above all the importance assumed in this context by the maturing of Althusian discourse, although I am fully aware that there is an extensive historiographic debate behind this expression. On this term and those who are critical of its use, cf. Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – das Problem der ‘Zweiten Reformation’: wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte, ed. by H. Schilling, Gütersloh, Gütersloher Verlagshaus Mohn, 1986; H. R. Schmidt, Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert, EdG, B. 12, Munich, 1992; H. Schilling, Nochmals ‘Zweite Reformation’ in Deutschland. Der Fall Brandenburg in mehrperspektivischer Sicht von Konfessionalisierungsforschung, historischer Anthropologie und Kunstgeschichte, “Zeitschrift für Historische Forschung”, IV, 1996, pp. 501 – 524; H. Klueting, ‘Zweite Reformation’ – Konfessionsbildung – Konfessionalisierung. Zwanzig Jahre Kontroversen und Ergebnisse nach zwanzig Jahren, “Historische Zeitschrift”, CCLXXVII, 2003, pp. 309 – 341; H. Klueting, Problems of the Term and Concept ‘Second Reformation’, in Confessionalization in Europe, 1555 – 1700. Essays in Honor and Memory of Bodo Nischan, ed. by J. M. Headley, H.J. Hillerbrand, A. J. Papalas, Aldershot, Ashgate, 2004, pp. 37 – 49. 6 A classic example, although called into question on numerous occasions, is the interpretation by M. Weber, L’etica protestante e lo spirito del capitalismo (1904), It. ed. ed. by E. Sestan, Florence, 1965. 7 An analysis of the manner of operating of Konfessionalisierung on communical political organization, starting out from the situation of the Reformed church of Emden during the era of Althusius, can be found in the work Die Kirchenratsprotokolle der reformierten Gemeinde Emden 1557 – 1620, 2 vols., ed. by H. Schilling jointly with K.-D. Schreiber, Cologne-Vienna, Böhlau Verlag, 1989 – 1992. 8 Cf. R. H. Bainton, La Riforma protestante (1958), It. Ed.. Turin, Einaudi, 1966, pp. 107 ff.
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territorial statal entities; it should be noted, on the other hand, that such communities were constructed around the principle of an aristocratic republicanism which, especially in the most radical experiments (for example in Geneva, Zurich or the Puritan communities) at times took on a theocratic character. The pivotal elements of political Calvinism are embodied by the biblical premises, enhanced through certain particular convictions. The most significant among these convictions include the glory of God, interpreted as the goal of human and Christian life; the holiness of God, which cannot be objectified in any human ecclesiastical or lay situation and, correspondingly, a strong thrust towards the sanctification of the believers, defined as “intra-worldly asceticism”; the importance awarded to the doctrine of predestination; emphasis on the lordship of Christ and not of the church, a feature that provides an assurance of the secular nature of the state and of political activity while assigning to the Christian community the role of bearing witness, as the community is called upon to display the greatest possible degree of civil and political responsibility with regard to the public good; life in general, and work in particular, lived as a vocation, as the sphere of service to God and one’s fellow-men; collegial and assembly-based forms of governance of the church, which also shape the political vision of Calvinism, leading to a preference for establishing associations of a federative type, both among individuals and among the various associations.9 The doctrinal sources of political Calvinism can be traced, in origin, to the Institutio religionis christianae,10 which addresses the issue of “civil government” in Book IV. The text states that the people, formed of the overall body of the city’s corporations and consociations which are collectively endowed with political sovereignty, delegate the exercise of government to the supreme magistrate, and that the process of government must be founded on respect for the laws, and must act for the promotion of justice and the good of the community. The ruler is assisted in his task by the “Ephori”, established “for the protection of the people”, like the tribunes of the plebeians in ancient Rome. The magistrate’s assignment also includes defense of the cult and the church, while not encroaching on the primary responsibility of the pastors in safeguarding people’s consciences. Calvin displayed awareness of the Aristotelian-Polybian distinction among forms of government, but he preferred mixed government with a predominance of the aristocratic component, in which, however, 9 Cf. P. Ricca, L’identità protestante, Turin, Claudiana, 1973; Id., Grazia senza confini, ivi, 2006. 10 Cf. G. Calvino, Institutio religionis christianae (1536), It. ed. by G. Tourn, Turin, 1971. Of Calvin’s works cf. also Opere scelte, vol. 1. Dispute su Roma, ed. by G. Conte and P. Gajewski, Turin, Claudiana, 2004; vol. 2., Contro nicodemiti, anabattisti e libertini, ed. by L. Ronchi De Michelis, ivi, 2006. On Calvin cf. A. E. McGrath, G. Calvino. Il riformatore e la sua influenza sulla cultura occidentale, Turin 1991; W. J. Bouwsma, Calvino, Roma-Bari 1992; G. Tourn, G. Calvino, il riformatore di Ginevra, Turin, Claudiana, 2005; M. Miegge, Communicatio mutua (Althusius e Calvino), in Il lessico della Politica di Johannes Althusius, ed. by C. Malandrino and F. Ingravalle, Florence, Olschki, 2005, pp. 115 – 124.
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the latter element is composed not so much of the economic oligarchy as, rather, of the Reformed leadership. The obligation of obedience to authority was based on reference to Sacred Scripture. Accordingly, no resistance could be admitted: “one cannot engage in resistance towards the magistrate without showing resistance towards God.” Nevertheless, distancing himself from the greater rigidity of Lutheranism in this regard (although Lutheranism did not exclude “protest” by the princes against the emperor), Calvin theorized the possibility of resistance against a tyrant. This theme would become a fundamental element of subsequent political Calvinism. Just as Moses had led the Hebrews against the pharaoh and out of Egypt, freeing them from the slavery they had suffered in that land, so the Geneva Reformer admitted the possibility that a liberating “hero”, a “new Moses” could rise up against the reiterated tyranny of a magistrate or a prince. This theory of resistance was amplified in constitutional forms by Beza, the successor of Calvin in Geneva, and by Huguenot monarchomachism of the second half of the sixteenth-century. Having thus outlined this general background, it is interesting to note that with regard to the relation between Calvin, Calvinism and federal theology, after almost a century of research an attempt at definition of this multifaceted and variegated subject-matter can be found above all in Elazar, as well as in the works of McCoy and Wayne Baker, which offer in-depth studies on the philological and theoretical definition of the covenant and covenantalism.11 These authors suggest that covenantalism took shape by starting from biblical and premodern concepts which, in the view of the above authors, gave rise to political ideas that can generally be considered within the “great” stream of thought that prepared federalism in early modernity. According to Elazar, these conceptions represented an important mode of political thought and practice in antiquity and the Middle Ages, in particular for certain peoples such as the Hebrews, the Celts, the Germanic peoples, the Anglo-Saxons, all of whom also played a highly significant role in the formation of modern western civilization. Thus in his view the concepts of covenant and covenantalism, springing as they did from ancient bygone eras, acted as a fundamental trait d’union for theorization of the theological-federal ‘pact’ in the Reformation, and subsequently, through profound changes, for the formation of modern American federalism and more generally for western federalist thought. In present-day English, ‘covenant’ means convention, agreement, and it is therefore used today as a more or less synonymous alternative for other terms such as pact, 11 Cf. the impressive quadrilogy in D. J. Elazar, The Covenant Tradition in Politics, vol. I: Covenant & Polity in Biblical Israel; vol. II: Covenant and Commonwealth. From Christian Separation Through the Protestant Reformation; vol. III: Covenant and Constitution. The Great Frontier and the Matrix of Federal Democracy; vol. IV: Covenant and Civil Society. The Constitutional Matrix of Modern Democracy, Transaction Publishers, New Brunswick (USA) and London (UK), 1995 – 1999. For a presentation and commentary on this work, cf. C. Malandrino, Covenant e covenantalism premoderni nell’elaborazione di Daniel Judah Elazar, in Prima di Machiavelli. Itinerari e linguaggi della politica tra il XIV e il XVI secolo, ed. by G. Carletti, Pescara, ESA, 2007, pp. 107 – 128.
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compact, contract.12 But, as Elazar points out, this was not the original acceptation that was predominant on the historical plane in the medieval era and in early modernity. He underlines the literal root, implicit in covenant, of the syntagm coming together, aligning it with the Latin form con-venire (which he also renders as con-gregation) that can be applied both in the physical and intellectual sense. From a political point of view, therefore, the idea of the covenant (a term first used by theologians and scholars of law rather than by politicians) originally illustrated “a coming together of basically equal humans who consent with one another through a morally binding pact supported by a transcendent power, establishing with the partners a new framework or setting them on the road to a new task, and which can be dissolved only by a mutual agreement of all the parties to it”.13 Accordingly, covenant is, in Elazar’s description, the most ancient among the words that concern the formation of the political order through a consensus manifested by means of a pact or an analogous appropriate reciprocal bond.14 It was used predominantly in this sense up to the age of the Reformation. Elazar further underlines that Calvin’s thought, which “absorbed the teachings of Zwingli”,15 showed a development towards the formation of a covenantal attitude, originally expressed not so much on the theological plane as, rather, in terms of the ‘profession of faith’ the inhabitants of Geneva were invited to make, whereby their declaration of faith took the form of a consensual ecclesiastical pact consistent with the dictates of divine and natural law. The genuinely political covenant was, Elazar argues, illustrated above all in the sermon on Samuel I, which states that “the citizens should join together in a political covenant to affirm the city’s political and ec-
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According to Elazar, it was only after the seventeenth century that terms such as compact or contract began to be widely used; however, according to Elazar, these terms had an ambiguous relation of synonymy with ‘pact’ and also with one other. That is to say, while covenant and compact were, from the very beginning of their utilization, mainly employed in the sphere of public and constitutional law, contract originally was reserved to the sphere of private law. In contrast, the difference between covenant and compact is more subtle. According to Elazar the term covenant has greater moral force in binding men to one another, because it has first and foremost a religious character, and in origin it has the authority of God behind it; this authority is maintained even after the process of secularization that began in modernity. The compact, on the other hand, derives its force as a unitary bond from a act more closely related to political law, and it is thus a term standing for a secularized phenomenon. Examining the American case, Elazar notes that covenant was widely used in the early colonial era up to the mid–eighteenth century, while compact became more frequent starting from the rise of enlightenment culture during the period of the revolutionary War of Independence. Contract, on the other hand, is a term that was imported into America, in its public law acceptation, following the fortune of the Rousseauian contrat social after the French Revolution. 13 Cf. Elazar, Covenant and Commonwealth. From Christian Separation Through the Protestant Reformation, cit., p. 1. 14 Cf. Elazar, Idee e forme del federalismo, cit., p. 5. 15 Cf. Elazar, Covenant and Commonwealth, cit. p. 149.
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clesiastical ordinances”.16 This form of covenant, prompted by the Spirit of God, develops between the people and the magistrate. Covenant is the term employed by many English-speaking authors, theologians and politicians to translate the expressions used in the Hebrew bible and the Christian Bible to indicate the pact-based alliance between God and mankind and, on the model of this alliance, the covenant among men: the Hebrew berith, correctly translated into Greek by syntheke and into Latin by foedus. Elazar’s claim is that the covenants of the Bible underlie the foundation of a large part of ancient and medieval constitutionalism, and thus of the federal theology of Reformation protestantism. Moreover, in a more extended perspective, the covenants are seen as lying at the root of modern western constitutional civilization, through a process of secularization in which the work of Locke acted as an essential developmental node.17 This progression came about thanks to the existence of a covenantal stream which, starting out from the Hebrew biblical tradition, eventually filtered into ancient Christianity and the Middle Ages through an “underground or semisubmerged” flow, where it was little by little remolded, and thence into Reformation Protestantism (in Elazar’s view the covenant represents the architectural principle of the Reformation). The evolution of the same stream subsequently influenced early modernity, on the one hand through the religious experience of Puritan-Calvinist federal theology, and on the other, as a result of the contractualist theory secularized by Locke. Thus the conception of the covenant became, additionally, the theoretical basis for the republican commonwealth.18 Having defined the overall background of these premises, the present essay will offer an in-depth enquiry into a crucial issue within the general exploration of the origins of federalism in early modernity. Attention will focus partly on the doctrine of federal theology but also on the secular application of this doctrine that can be perceived in the federative political conception of Johannes Althusius.19 In this context a 16 Ivi, p. 182. Elazar also cites, in addition to the Istituzione della religione cristiana, the political ordinances and edicts inasmuch as they were acts supporting the covenantal constitution of Geneva up to 1791. 17 Cf. Elazar, Covenant and Commonwealth, cit., p. 3. 18 Ivi, p. 47. 19 In this regard, particular attention should be paid to the reading of federalism as a grand design put forward in various articles and books by Daniel J. Elazar, Althusius, Federalism, and the Notion of the State, XIII, 1980, 2, pp. 225 – 232; Id. (with J. Kincaid), The Covenant Connection: Federal Theology and the Origins of Modern Politics, Durham N. C., Carolina Academic Press, 1985 (cf. also by the same editors, the collection entitled The Covenant Connection: from Federal Theology to Modern Federalism, ed. by D. J. Elazar and J. Kincaid, Lanham, Maryland, Lexington Books, 1999); Id., Exploring Federalism, Tuscaloosa, The University of Alabama Press, 1987, in particular pp. 129 – 131, focusing on the ‘early federalism’ of Althusius; attention should also be paid to the overall “postmodern” interpretation suggested in the work, and particularly in chapter seven entitled Will the Postmodern Epoch Be an Era of Federalism?, pp. 223 ff.; see also the introduction to Federalism as Grand Design: Political Philosophers and the Federal Principle (1979), ed. by D. J. Elazar, Lanham, University Press of America, 1987, pp. 1 – 11; Id., The Multi-faceted Covenant: the Biblical
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significant role is played by the concept of federal covenant inasmuch as it represents a founding element of the theological-federal tradition.20 This is a tradition which, according to the supporters of covenantalism, began to take shape in federal practice as from the beginning of the seventeenth century, on the basis of which Massachusetts, Connecticut, New Haven, Rhode Island set up “federal” constitutions, reflected, finally, in the “constitution” of the united colonies of New England (1643).
A. The development of “federal theology” Given this premise, it is now appropriate to put forward a more detailed definition of federal theology in such a manner as to highlight its intersections with the past and more recent reconstructions that explore its relations with the “political” sphere. Such relations underwent a twofold development: firstly, on the theological level properly speaking; secondly, in connection with the first modern formulations of the doctrine of the State and of socio-political movements. An illuminating reconstruction of these issues, which draws on the early historical-critical literature, is given in Gerhard Oestreich’s 1969 essay Die Idee des religiösen Bundes und die Lehre vom Staatsvertrag.21 This work, although later followed by a variety of publications with new and more far-reaching studies, still represents a landmark investigation by virtue of its essential inclusion of federal theology within the broader framework of secularized theological concepts, an approach adopted in Oestreich’s work in line with the well-known Schmittian proposal, applying it to the modern elaboration of the doctrine of the State. His reconstruction provides an insight into the extent and force of the penetration of federal theology, which was central to political Calvinism, into the constitutive theoretical grounding of the main concepts of the State and of politics, as understood in modern terms. Oestreich identifies this moment as the gradual transition – which displayed a characteristic acceleration in the sixteenth century – from a medieval “constitutional” frame of mind to the contractual negotiation of freedom and privileges (Statusvertrag) undertaken by the orders and social groupings (Stände) against princes and lords, and thence to the more modern contractual activity leading to the Approach to the Problem of Organizations, Constitutions, and Liberty as Reflected in the Thought of J. Althusius, ‘Constitutional Political Economy’, II, 1991, 2, pp. 187 – 223. 20 On this aspect, see C. Malandrino, Teologia federale, “Il Pensiero Politico”, XXXII, 1999, n. 3, pp. 427 – 446; Id., Politische Theorie und Föderaltheologie, in Jurisprudenz, Politische Theorie und politische Theologie, ed. by F. S. Carney, H. Schilling and D. Wyduckel, Berlin, Duncker & Humblot 2004, pp. 123 – 142. I take up again here a few observations that I developed more systematically in the Introduction to J. Althusius, La politica elaborata organicamente con metodo e illustrata con esempi sacri e profani, 2 vols., ed. by C. Malandrino, Turin, Claudiana, 2009, vol I, pp. 9 – 122. 21 Cf. in G. Oestreich, Geist und Gestalt des frühmodernen Staates, Berlin, Duncker & Humblot, 1969, pp. 157 – 178.
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foundation of the State (Staatsvertrag).22 He maintains that the transformation of the religious representation of the pact, from an original status contract, in a free and political contractual relation, brings to light a previously unknown page of the history of political ideas. “The 16th century theory of the secular contract, going beyond the previously stated real features, evolved through a conscious process of analogy on the basis of the biblical idea of the pact, and thereby gained solid compactness and a moral and religious force”.23 This resulted in a sort of virtuous circle composed of reciprocal influences between Jewish-Christian theology, Roman private law and Franko-European feudal law, with the effect that the life of the state became more profoundly underpinned by a moral and religious background.24 An analogous position was put forward in the 1980 s by the work of the American theologian David Alexander Weir, whose dissertation entitled Foedus Naturale: the Origins of Federal Theology in Sixteenth Century Reformation Thought25 gives one of the most precise reconstructions of federal theology. Weir devotes particular attention to the philological plane and its repercussions on the political sphere, with an indepth enquiry into the previously disregarded distinction between the “natural pact or covenant of works” (the pact made with Adam and taken up again, after the fall from grace, with Abraham and Moses) and the “pact of grace” with and in Christ, which brings to completion the history of salvation. He argues that the reference to the “covenant of works” is of the utmost importance on the political plane, in the sense that it concerns all men, not only the elect.26 By virtue of the first pact, on which Calvin remained virtually silent, although it was theorized by Ursinus from as early as the beginning of the 1560 s and subsequently by the later Calvinist and Puritan theologians, the law of God has remained imprinted in the heart of men as a moral law of nature; this in turn has established the relation of mutual obligation between God and men and likewise among men themselves. Therefore, Weir states, it is through the idea of the covenant of works that a potential basis for the State is created.27 From the historical-political perspective, it was the explosion of the wars of religion in France and then little by little throughout the whole of central Europe along the 22 This relation was again confirmed recently by A. Tenenti, Dalle rivolte alle rivoluzioni, Bologna, Il Mulino, 1997, pp. 53 – 57, where, writing on the struggle of the Low Countries for independence against Philip II, a mention is made of the link between the so-called Privilege of Brabant of 1356, which constituted a set of provincial and municipal freedoms and privileges, and the demands of the rebel Calvinists led by William the Silent, who sought to found a new federative State. On this subject, a widely read work is the study by C. Secretan, Les privilèges berceau de la liberté. La révolte des Pays-Bas: aux sources de la penséè politique moderne (1566 – 1619), Paris, J. Vrin, 1990. 23 Cf. Oestreich, cit., pp. 162 – 163. 24 Cf. the summary of Oestreich’s argument, ivi, p. 177. 25 Consulted in the manuscript version presented for completion of the Ph.D. degree at the Faculty of Divinity of Saint Andrews University in 1984 (the dissertation was not published until 1990, with the same title, at New York, Oxford University Press). 26 Ivi, pp. 4 – 6. 27 Ivi, p. 7.
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river Rhine in the second half of the century that acted as the political catalyst, the dynamic force that prompted the rise at one and the same time of international political Calvinism and federal theology. In this context the Vindiciae28 represent the most successful and emblematic locus of the connection between federal theology, the theories of resistance against tyranny and absolutism that were buttressed by the mutua obligatio between the people and the prince and, consequently, Calvinist-political elaboration of a model of a state community built on theological-federal contractualism. After the publication of Oestreich’s essay and other Angloamerican works,29, more thorough research was undertaken on its “systematic structure” – in the form it took in the theoretical investigations of the various authors who endorsed this approach – in relation to the historical and sociological-political sphere, and with a view to its renewed utilization in an ideological framework. Over the last twenty years some studies have placed emphasis on the analytical approach, designed above all to provide a clarification of the theological-federal formulation; others have endeavored to examine in greater detail the works of the various theologicalfederal thinkers, considering research in this direction as an introductory step towards the study of applications in the political dimension, with special attention not only to past history but also to the present and future situation. The analytical approach encompasses studies such as the above-cited work by Weir and also that of David N. J. Poole,30 while the production of authors such as Charles McCoy and J. Wayne Baker, mentioned earlier, who edited the study by Bullinger De testamento seu foedere Dei unico et aeterno, published in the cited volume Fountainhead of federalism, is closer to the second strand of research. McCoy also belongs to the group of scholars who worked on the first section of the work Konsens und Konsoziation in der politischen Theorie des frühen Föderalismus,31 expressly entitled “Politische Theologie als Föderaltheorie”. Elazar and Thomas Hueglin also developed an interpretation of federal theology within a historical and present-day vision of federalism, with particular reference to Althusian studies.32 It is worth considering the results of these studies in further detail. 28 Cf. in this regard the extensive introduction by S. Testoni Binetti alle Vindiciae contra tyrannos, cit., pp. VII-XXXVI; M. van Gelderen, A political theory of the Dutch revolt and the Vindiciae contra tyrannos, “Il pensiero politico”, XIX, 1986, n. 2, pp. 163 – 181. 29 Cf. W. J. van Asselt, The Federal Theology of Johannes Cocceius (1603 – 1669), Leiden – Boston – Köln, Brill, 2001, pp. 325 – 332. 30 Cf. D. N. J. Poole, The History of the Covenant Concept from the Bible to Johannes Cloppenburg: De Foedere Dei, S. Francisco/New York, E. Mellen Press, 1992. 31 Ed. by G. Duso/W. Krawietz/D. Wyduckel, Berlin, Duncker & Humblot, 1997, pp. 3 – 64. The article by C. McCoy is entitled Die Bundestradition in Theologie und politischer Ethik. Anmerkungen zum Verständnis von Verfassung und Gesellschaft der USA, pp. 29 – 46. 32 Cf. Elazar, The multi-faceted covenant, cit., pp. 187 – 223. By Hüglin see Althusius, Federalism, and the Notion of the State, “Il Pensiero politico”, XIII, 1980, 2, pp. 225 – 232; Id., Sozietaler Föderalismus. Die politische Theorie des Johannes Althusius, Berlin/New York, W. de Gruyter, 1991.
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The studies conducted by the first group tend to specify the philological and structural characters of the various federal theologians, in order to expand the range of thinkers who addressed these issues, including within the list of names some who antedated Calvin, such as Bullinger, or the Anabaptists after Müntzer, or in order to devote greater attention to the thought of hitherto more neglected Reformation thinkers. Thus Weir, for example, not only gives an extensive presentation of the federal theology of the German writer Ursinus and his reception in Puritanism and in the 1647 Westminster Confession of Faith, but he also makes a step in the direction of distinguishing, as far as the political application is concerned, federal theology from the doctrine of predestination of Calvinian origin. A similar result seems to emerge from the distinction between the “covenant of works” (or ancient pact, the natural foedus between God and all men through Adam,33 subsequently confirmed with Abraham and Moses) and the “covenant of grace” (new pact) announced and applied through Jesus Christ for all men, but taking effect only for the elect. The declaration of the natural law, reconfirmed in the Decalogue, and its inscription in the hearts of all men, belongs to the ancient pact. While it is possible by virtue of this ancient pact to devise an application for the constitution of civil and political societies, the second pact – for the enjoyment of which only a certain number of human beings are predestined – gives rise only to the constitution of the religious communities of the elect. Federal theology, Weir maintains, develops towards political acceptations only in relation to the natural foedus which is not subordinated to any form of predestination. Basically, the “covenant of works” which men are required to observe through their works inasmuch as they are creatures of God, in order to accomplish God’s own creation, is a theoretical development of the ancient Adamitic pact, renewed through Noah, Abraham and Moses after the fall from grace. It is this pact that provides the theoretical foundation for the relation between sacred history and secular history, between religious faith and the political State. Naturally, the “covenant of works” is not in itself sufficient for achievement of the final goal of the history of salvation: this requires intervention of the “pact of grace”, without which mankind cannot be saved on judgment day. Poole, on the other hand, starts out from a careful examination of the biblical meaning of the Hebrew term berith, rendered in Greek by diatheke (both of which have so far been translated into the various languages as foedus, covenant, pactum, compact, Bund). He makes the point that these renderings are flawed by an underlying misunderstanding and mistranslation (false translation), arguing that in actual fact these terms would appear to suggest an agreement between God and man, whereas the divine pact has a “unilateral character”, since it is not determined by human action34. On the basis of this clarification, Poole believes that doubts can be raised concerning the relation between the theological plane and the political plane, a rela33
Graffmann, Olevians Stellung, cit., p. 104, argues that even in Olevianus one finds, if not the term, at least the idea of the “pact of works” inasmuch as it is the “first pact or union between God and man created in the image of God”. 34 Cf. Poole, The history of the covenant concept, cit., p. 7.
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tion which, in contrast, is strongly upheld by Weir and all the researchers belonging to the second group. According to Poole’s argument, if the theology of the pact pertains only to an order of ideas according to which the pact is a unilateral concession by the Omnipotent, then it is unclear how it can be applied to a political relation which necessarily involves a pact that is desired and entered into upon the initiative of the various parties concerned. However, Poole does confirm the existence of a link that connects Calvinist contractualism not only to the medieval tradition but also to federal theology, when he asserts “Out of the theological idea of covenant arose the closely related political scheme of a state contract”.35 His philological objection could be countered by pointing out that the unilateralness of the initiative of the divine pact, evident in this case, does not rule out the possibility that the very same pact immediately imposes duties on God himself, not only on man, duties God adheres to and fulfils exclusively through his goodness and his own will. Thus in exchange for the confession of faith and obedience (consecrated by Adam in the act of circumcision) God promises life, security, land and protection. The acceptance of commitments deriving from the pact is therefore bilateral. Finally, what is important to underline is that it is not merely the specific pact between God and men, but rather the very model of the pact as a model of private and public human relations36 that is transmitted through federal theology. Moreover, it is transmitted not simply for the purpose of the constitution of human and political societies, but also for a justification of given types of political behavior. In this sense, secularized federal theology takes on the full value, within the context of its times, of a political formula. In Italy, Mario Miegge has focused on the continuity and similarity between the ancient and new pact as interpreted by the major Reformation theologians, from Zwingli to Calvin.37 He sees federal theology and its fortune in theological-political Reformation thought as springing from a “strong positive re-evaluation of ancient Judaism”, viewed in the perspective of defining a clear social doctrine and of drawing up plans for the Reformation republics (mainly cities).38 Miegge notes: “If the question of Israel and also its legal and political institutions formed part of the history of salvation, then they were also capable of becoming a model valid to a large extent in the present as well”. Hence the fortune of the federative contractual model, which effectively also formed the basis of the Hebrew realm, and which in the mind of Calvinist scholars of law and politicians held a position comparable to that of the polis and the civitas. Miegge thus concludes that “Federal practice and language, repressed
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Ivi, p. 263. W. Baker and McCoy speak of the “theory of life” in Fountainhead of federalism, cit., p. 74. 37 Cf. M. Miegge, Sulla politica riformata: ‘vocatio’ e ‘foedus’, in: E. Bein Ricco (ed.), Modernità, politica e protestantesimo, Turin, Claudiana, 1994, pp. 137 – 166; Id., Introduzione a M. Walzer, La rivoluzione dei santi. Il Puritanesimo alle origini del radicalismo politico, ed. by D. Spini, Turin, Claudiana, 1996, pp. 7 – 28. 38 Cf. Miegge, Sulla politica riformata: ‘vocatio’ e ‘foedus’, cit., p. 155. 36
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by the rise of the modern State,39 was awarded a new and far more elevated framework of legitimation by the Reformation theory of the Pact”.40 Two conditions played a key role in the political fortune of federal theology in early modernity and its current rediscovery in a postmodern perspective. First, there came an awareness of and the continuity between the ancient and the new pact, the former represented by the natural pact and the pact of works, the latter by the pact of grace. This was followed, later, by a move towards a distinguishing the pact of works from the doctrine of grace and predestination, according to Weir’s position. Thus it has become possible, through the more recent analysis of the “systematic structure” of the theological-federal conception, to reject as unfounded the conclusion reached by a number of scholars, who hold that the goal of the covenant’s theology is predominantly, if not indeed exclusively – as also mentioned above – of a religious nature and of relevance to otherworldly salvation. Rather, even by virtue of its very root, the “pact” is functional to an industrious and worldly life; it is a model for civil and social coexistence, not limited merely to the ecclesiastical dimension. It is a pact that acquires manifest rationality from the fact of being rooted in divine and natural law. In this sense it cannot be compared with Hobbesian artificial rationality; yet, as all the authors who have studied the politically oriented evolution of federal theology have not failed to point out, it is no less realist and binding than the latter with regard to the constitutional outcomes. To use another wordsymbol of McCoy’s, with regard to the political-federal conceptions of Calvinist theorists, first and foremost those of Althusius, the theological covenant can be likened to a “root-metaphor”41: in other words it can be seen as a “radical” methodological tool capable of illuminating such theories, of providing an account of their link to common sense, of distinguishing them from other theories and providing them with the means to justify their adequacy. The covenant lies at the base of this socio-political vision; human nature itself is “covenantal”, and the corresponding theories of sovereignty, representation and indeed the very nature of the political order all ultimately depend on the covenant. In Fountainhead of Federalism Wayne Baker and McCoy create a sort of theological-political paradigm42 and a coherent sequence of the theological-federal tradition, in its succession and gradual shift from an almost exclusively theological vision to political practice. The year 1534 can be considered as the watershed a quo: this was the year that saw the publication of Bullinger’s work, which endowed the theological-federal tradition with its earliest systematic form. Along the River Rhine, through theoretical, political and military struggles, this tradition became rooted in the German regions including 39 The reference is to the type that arose on the basis of Hobbesian contractualism and of the Bodinian definition of sovereignty. 40 Cf. Miegge, Sulla politica riformata: ‘vocatio’ e ‘foedus’, cit., p. 156. 41 Cf. C. McCoy, The Centrality of Covenant in the Political Philosophy of J. Althusius, in: Politische Theorie des Johannes Althusius, ed. by K.-W. Dahm/W. Krawietz/D. Wyduckel, Berlin, Duncker & Humblot, 1988, pp. 191 ff. 42 Cf. W. Baker/McCoy, Fountainhead of Federalism, cit., pp. 12 – 14.
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the Palatinate, Nassau, Hesse and Westphalia (also spreading to cities of the northern Friesian area, such as Emden, or Hanseatic cities such as Bremen), and the Low Countries, its major representatives being Ursinus, Olevianus, Veluanus, Snecanus, Wiggertz, Althusius, Martini, and Coccejus. From thence it also spread to England and Scotland through authors such as Dudley Fenner and William Perkins, Robert Rollock and Samuel Rutheford. In France the leading exponents of federal theology included Stephanus Junius Brutus in the sixteenth-century, who composed the Vindiciae, and Moïse Amyraut in the seventeenth century. But it is New England that ranks as the veritable home par excellence of the political-federal transformation in terms of a more modern perspective. It was here that while Europe was the uncontested domain of the absolute territorial State, with the result that theological-federal strands of thought were dispersed and fell into oblivion, the federal conception of the colonies underwent a pronounced evolution, laying the ground-work for the blossoming of federalism in the eighteenth century. If the powerful magnetism of the covenant of the Pilgrim Fathers aboard the Mayflower (1620) remained intact (Baker and McCoy describe it as the statement that synthesizes at the origin, in the most effective manner, the basic elements of the theological-federal tradition), it is however the words of the magistrate John Winthrop, governor of the colony of Massachusetts, that embody the most salient transition points of federal progress. After proclaiming the theological-federal covenant on board the Arbella, the sailing ship that was carrying the Puritans in 1630, he formulated its socio-political aspects “with Althusian echoes”43 in the well-known 1645 speech delivered to the General Court of Massachusetts: men enjoy two types of freedom, natural freedom (which they have in common with animals), that became corrupted after the fall from grace, and civil or “federal” freedom. Natural freedom is incompatible with the rise of authority, and cannot act as the springboard for any kind of pact with the latter. The other type of freedom, “civil or federal”, can also be termed “moral” as it refers both to the pact between God and men and thus to the moral law, and also to the political pacts and constitutions that are established by men as an agreement among human beings. Thus in Winthrop one finds the utilization of the term ‘federal’ in its intrinsic meaning, which is then linked bilaterally, on the one hand to the theological conception, and on the other to the political sphere. This breakthrough was not lost between the seventeenth and eighteenth centuries: through authors such as John Witherspoon it filtered down to the generation of the American revolution and to the theorists of the Federalist (1788 – 89). This is the arrival point , the point ad quem of the theological-federal tradition outlined by Baker and McCoy. However, what does not emerge sufficiently clearly from this picture, valuable though it is in its capacity to weave a continuity in federal thought of early modern times, is the inadequate, but necessary, differentiation on the doctrinal and institutional plane between these early federalist elaborations and the quality leap resulting from the thrust given to the modern and contemporary development of federalism above all by the Federalist and by the American federal constitution. Suffice it to think of the distinction between levels of representation and sovereignty 43
Ivi, p. 85.
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between the federation and a member State, the conceptual separation between federation and confederation, the separation of powers set on different planes, etc.44 But such further developments do not truly form part of the theological-federal tradition, in the sense that the latter, while constituting an important forerunner of these developments, is now but a distant ancestor.
B. The influence of theological-federal doctrines in the proto-federal thought of Althusius One specific aspect to which the authors who seek to positively reappraise the role of federal theology devote considerable attention consists in translating theologicalfederal thought into the sociopolitical protofederalism of Althusius. Precisely by virtue of renewed interest in Althusian studies, federal theology has undergone a marked revival in recent years, leading to awareness that the two strands are closely intertwined. Although Althusius apparently cites no theological-federal formulations45 and frames his work in a totally legal-political paradigm, according to McCoy the whole of his account of symbiotic political consociations is underlain by the theological-federal root-metaphor. McCoy’s argument, set forth in clear terms in Fountainhead of Federalism,46 is broadly accepted by the other scholars mentioned earlier. The same point is made in a number of writings by Elazar and Hüglin.47 In the 1990 s, Michael Stolleis’ discovery in the Herzog August Bibliothek of Wolfenbüttel of an important work he attributed to Althusius,48 Disputatio politica de regno recte instituendo et administrando, illuminates the Althusian approach to the issue of the ‘foedus’, which was given a rather more implicit, although no less evident, treatment in the Politica.49 In contrast, much of the Disputatio focuses – more specifically from section V to IX and from XXVIII to XXXI the pactum civile; from XLV to XLIX the religiosum – on the definition and description of the civil and 44
On these aspects, cf. Malandrino, Federalismo, cit., pp. 16 – 19 e 39 – 43. Generally a connection is made between Althusius and the doctrinal arguments of Olievianus, probably due to the fact that they were both professors in Herborn. However, Olevianus is never explicitly cited by Althusius, who seems more likely to have been influenced by the teachings of a number of authors as well as by Olevianus, including Calvin and Zwingli, Ursinus and Bullinger. 46 Cit., pp. 50 – 62. 47 Cf. D. J. Elazar (ed.), Federalism as grand design, Lanham, University Press of America, 1987, pp. 3 – 4; Id., The multi-faceted covenant, cit., pp. 193 ff.; Id., Idee e forme del federalismo, cit., p. 106; Hüglin, Sozietaler Föderalismus, cit., pp. 51 – 54. 48 Cf. G. Duso/M. Scattola/M. Stolleis, Su una sconosciuta ‘Disputatio’ di Althusius, in “Quaderni fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno”, 25, 1996, pp. 13 – 126. See also G. Duso, Il governo e l’ordine delle consociazioni: la Politica di Althusius, in Il potere. Per la storia della filosofia politica moderna, cit., pp. 77 – 79. 49 And in any case clearly present, as pointed out by Duso, in contrast to the interpretation of Q. Skinner, cf. Su una sconosciuta ‘Disputatio’ di Althusius, cit., p. 86, note 43. 45
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religious pacts that forge the realm and justify and legitimate its existence and activity. The civil pact, “the bond of communion”, is twofold, as it is established first and foremost among “the individual members of the entire body of the republic”, and secondly between the universe of the people and the supreme magistrate. It can be noted en passant that the members of the realm may also be the individual provinces, thereby configuring a veritable federative organization of the realm, if one takes into account that they participate in the pact as subjects. It is by virtue of the first type of pact that the politeuma is constituted; it follows that social life is managed according to the laws in order to assure mutual performance of services and mutual communication of things and works, so that the inhabitants of the realm can live peacefully and calmly, with piety and honesty. The mandate the people give to the supreme magistrate must thus conform to the laws and to the end enshrined therein, in other words it must be directed towards the common good and respect for religious piety. The religious pact is established between God, the people and the magistrate and has the function of extreme, worldly and otherworldly, legitimation of the civil pact. In the Althusian treatment even the existence and activity of the Ephori, in relation to the supreme magistrate, is inextricably linked to the prescriptions of the pacts. This theory of the pact is seen as descending from the theological-federal doctrine that was predominant in the Nassauvian city of Herborn, the city of Olevianus, Althusius and Matthias Martini.50 According to the Althusius of the disputatio (and in the forma mentis of the Calvinist theorists), the civil pact “among the individual members of the realm” represents the tool “quo inter se singuli ad politeuma constituendum, et socialem vitam secundum easdem leges commode degendam consentiunt”.51 It is the consent granted by the members to the project of “constituting” the politeuma. Consent, that is to say a conscious expression of a positive will that creates a political obligation, which in turn can be configured as a series of acts and facts, for the people and the magistrate. The plan of salvation, the cosmos in which it unfolds, does not in its own right create that political obligation in the absence of the determined will of the contracting parties in the given case. The fact that the divine order stands out on the horizon of the universe to provide further legitimation perhaps does not represent much more than implied by the greater moral rootedness of the contractualist political theory, already noted by Oestreich. It is a rootedness that does not contrast with the political freedom of the people, but it is 50
It should be recalled, incidentally, that in keeping with this doctrine Count John the Elder of Nassau engaged in many attempts at federation with the neighboring dominions in order to strengthen the political program of Calvinism and to encourage resistance against the Catholic and Lutheran powers. Cf. the doctoral dissertation by L. Paul, Nassauische Unionspläne. Untersuchungen zum politischen Programm des deutschen Kalvinismus im Zeitalter der Gegenreformation, Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster, 1966; G. Menk, “Qui trop embrasse, peu estreind”. Politik und Persönlichkeit Graf Johanns VI. von Nassau-Dillenburg. 1580 – 1606, in “Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte”, Jg. 7, 1981, pp. 119 – 157; H. J. Cohn, The Territorial Princes in Germany’s Second Reformation, 1559 – 1622, in International Calvinism , cit., pp. 135 – 165. 51 Cf. Duso, Su una sconosciuta ‘Disputatio’ di Althusius, cit., p. 26.
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certainly in contrast with the idea of royal absolutism. Furthermore, all this is by no means in opposition with extension of the theological-federal model in such a manner that it becomes the founding criterion of political communities, as was the case in New England and for certain periods in Europe, within and among the communities. Political Calvinism filtered into the circle frequented by Althusius and he translated it into a complete political doctrine in the Politica methodice digesta.52 Here Althusius, while maintaining his allegiance to the Calvinist dimension that profoundly underpinned his thought, developed a conception of politics and put forward a non confessional conclusion that also addressed the relation between ethics, politics and law within the framework of the political thought of early modernity. To gain a full understanding of the significance of Althusian political Calvinism, it is important to have an awareness of the close relation holding between the work of Althusius and the epic events involving the Dutch Calvinists and republicans, also taking into account the doctrinal polemics between radical Gomarists and moderate Arminians. To this should be added the issue of relations with the representatives of the Nassau and Orange dynasties and their plans for a federative alliance among the Calvinist Reformed communities; moreover, special consideration should be given to the role of Johann VI of Nassau- Dillenburg.53 Finally, what is more important from the theoretical perspective is to award due consideration to the relation with Föderaltheologie, which had a strong presence in Herborn and in all the predominantly Calvinist areas. But in order to shed light on these aspects it is necessary to enquire into the non neutral meaning assumed by the word “political” in the Althusian acceptation, within the dramatic context of the zweite Reformation.
52
Cf. J. Althusius, Politica methodice digesta et exemplis sacris et profanis illustrata, Herbornae Nassoviorum, Ex officina C. Corvini, 1603 (second orig. edit., Arnhemii, Ex officina J. Janssonii, 1610; third orig. edit., Herbornae Nassoviorum, Corvinus, 1614 (from which the Latin re-edition was made on the basis of the third orig. edit. ed. by C. J. Friedrich, Cambridge, Harvard University Press, 1932, and the Faksimiledruck edited by Scientia Aalen, Meisenheim/Glan 1961)). The Politica had another two re-editions edited by the author: editio tertia priore auctior et cum Indice amplissimo, Arnhemii, ex officina J. Janssonii 1617; editio quarta, Herbornae, Typis Corvinianis 1625. Cf Hüglin, Sozietaler Föderalismus, cit., pp. 51 – 54 e ID., Early Modern Concepts for a Late Modern World. Althusius on Community and Federalism, Waterloo (Ontario), W. Laurier University Press, 1999, pp. 72 – 73 and 188 – 9, conceptualizes Althusian political Calvinism predominantely in terms of the right to resistance and of anti-tyrannicism, starting out from the theological-federal substrate. 53 With regard to the figure of John VI of Nassau-Dillenburg, knowledge of his activity is essential to understand the development of the Herbornian phase of the life of Althusius, cf. also K. Wolf, Johann VI. der Ältere, “Nassauische Lebensbilder”, Wiesbaden, 1940, vol. 1, pp. 49 – 66; R. Störkel, Landesherr und Untertanen in Nassau-Dillenburg im 16. bis 18. Jahrhundert, in: Konsens und Konsoziation in der politischen Teorie des Frühen Föderalismus, ed. by G. Duso/W. Krawietz/D. Wyduckel, Berlin, Duncker & Humblot 1997, pp. 185 – 208. Among monographic studies, the reference work is by R. Glawischnig, Niederlande, Kalvinismus und Reichgrafenstand 1559 – 1584. Nassau-Dillenburg unter Graf Johann VI., Marburg, Elwertsche Verlagsbuchhandlung, 1973.
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C. The Calvinist meaning of the term “symbiotic politics” in the Althusian acceptation To achieve a complete understanding of this plane of the Politica, and to grasp the acceptation of the term ‘political’ which most fully and most meaningfully corresponds to the Althusian intentionality and conveyed significance, I believe it is necessary to start out from a motion against the historiographic oblivion, lexical reduction – or worse still, distortion – and the radical philosophical neutralization that has been the fate of the Politica with regard to one of its most profoundly characterizing terms, the “holiness” of symbiotic consociation. By this statement I do not intend to indicate that reference to the word has ever been omitted, or that no mention is made of the first chapter which states that politics is the art of constructing “the holy, just, advantageous and happy symbiosis”, But it is my conviction that the attribute “holy”, in the context of Althusian symbiosis, has not receive the attention it deserves. For although Althusius was a past master in avoiding the risk of mixing the field of theology with politics and law, he did not shrink from admitting the links between them, which had indeed always existed. In this sense, “holy” is a central word in the endeavor to grasp the fullness of the meaning of the Politica and of the political and social project in the context of the zweite Reformation. And even if the relationship of Althusian “politica” with religion and Christian morals is underscored, this by no means affects its autonomy as the art of governing, a socially instructive and repressive discipline, and a science of associated living. Strong support for this argument comes from the great work by Michael Walzer on the “revolution of the saints”, which highlights the existence and application, on the philosophical-political plane as well as on that of historical-literary analysis, of a form of language and a range of vocabulary of political discourse characteristic of the Calvinist “saints”. By focusing on these features, Walzer’s work performs a function comparable to that of Pocock’s book on the “Machiavellian moment” in the republican tradition.54 Walzer shows that the revolution derived its origins and also its solid basis from the aspirations and organizations rooted in the teachings of Calvin; additionally, he makes it clear that considerable inspiration came from interaction with the Marian exiles who sought solace in the Geneva schools, such as John Knox and William Perkins, and who later returned to spread the word in England and Scotland. Thus by bringing into play the original characters of the Puritan forma mentis, Walzer constructs a more general picture of the radical ideology that espoused revolutionary goals against the traditional world on the political and socioeconomic plane – an ideology which, in modernity, Walzer states, was destined to acquire new champions in the form of Jacobinism and socialcommunism. From this point of view, Calvinist Puritanism appears as an early and powerful factor of “modernization” (the latter, as 54 Cf. M. Walzer, The Revolution of the Saints. A Study in the Origins of Radical Politics, Cambridge (Maff.), Harvard University 1965 (Ital. transl. La rivoluzione dei santi, cit.); J. G. A. Pocock, The Machiavellian Moment: Fiorentine Political Thought and the Atlantic Republican Tradition, Princeton, Princeton University 1975 (Ital. transl. Bologna, Il Mulino 1980).
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Walzer points out, being something different from “modernity”) long before the emergence of eighteen-nineteenth-century models.55 A particularly striking feature is that the religious but also the political, civil and social profile of the Puritan “saint” as well as the picture of the “holy” communities outlined in the Walzerian work display a remarkable similarity with the model emerging from the Althusian Politica. There is an affinity in their behavioral patterns and their aspirations that is too great to be attributable to pure chance. Furthermore, they have in common the central issue concerning the theory of the covenant (pactum, foedus) and its role in the formation of the “holy” communities (for Althusius the “holy symbiotic consociations”), and the emphasis they place on this central issue links the Walzerian work to Anglo-American historiography of federal theology.56 Those who have continued in this interpretive line have offered a favorable reappraisal of Althusius’ “protofederalist” thought. The problem in question here is that of the “theology of the covenant”, which must be kept in mind as a necessary and central premise of the Politica, even though it is not treated explicitly in the first few chapters, evidently for reasons of autonomy and independence of “politics”, as declared by Althusius himself. The biblical archetype of the pact between God and man, between God and his people, and further, under a different form, between the people and the magistrate, is the figure underlying the Calvinist pact holding among the “saints”, both in Althusius and in the Puritanism described by Walzer: it is by virtue of this pact that men are exhorted to form republics of “saints”. Having thus outlined these premises, I believe that the figure of Althusius who held the position of Syndikus of Emden and was the author of the third edition of 55 It is important to note that some authors have tended to relativize this “modernization”. In the German world, Luise Schorn-Schütte, among others, underlines the interpretive-historiographic deficiency, which is at times severe, when the sixteenth/seventeenth century confessional cultures are viewed through the eyes of Max Weber or Ernst Troeltsch; according to Schorn-Schütte, there is a risk of mythicizing an “active, dynamic, protodemocratic, modern Calvinism” against Catholicism and Lutheranism seen as more conservative, medieval, incapable of resistance, cf. Alteuropa oder Frühe Moderne? Deutungsversuche der Frühen Neuzeit aus dem Krisenbewußtsein der Weimarer Republik in Theologie, Rechts- und Geschichtswissenschaft, ed. by L. Schorn-Schütte, Berlin, Duncker & Humblot, 1999. On this issue cf. M. Miegge’s introduction to Walzer, La rivoluzione dei Santi, cit.; additionally, on the problem of the relation between modernization and reformation cf. also M. Miegge, Martin Lutero. La Riforma protestante e la nascita delle società moderne, Roma 1983; Riforma protestante e rivoluzione sociale, ed. by H. Eilert, Milano 1988; M. Rubboli, La santa causa della libertà. Protestantesimo e rivoluzione americana, in AA.VV., Modernità, politica e protestantesimo, Turin, Claudiana 1994, pp. 167 – 204; A. E. Baldini, Il pensiero politico della Riforma, in Il pensiero politico. Idee, teorie, dottrine, ed. by A. Andreatta and A. E. Baldini, Turin 1999, pp. 55 – 98. 56 Cf. P. Miller, The New England Mind: the Seventeenth Century, New York, Macmillan, 1939; C. S. McCoy/J. W. Baker, Fountainhead of Federalism, cit. Cf. also D. J. Elazar/ J. Kincaid, The Covenant Connection: Federal Theology and the Origins of Modern Politics, Durham N. C., Carolina Academic Press, 1985 (cf. also the collection entitled The Covenant Connection: from Federal Theology to Modern Federalism, likewise edited by D. J. Elazar and J. Kincaid, Lanham, Maryland, Lexington Books, 1999).
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the Politica can well be characterized – with due modifications – by the features ascribed in Walzer’s work to the Puritans. That is to say, both in politics and religion the saints were men of the opposition and their primary task was to destroy the traditional order. Once this was accomplished, they felt committed to ushering in “the concrete reform of human society, creating a republic of saints (Holy Commonwealth) where conscientious activity would be encouraged and even required”. In short, the saints regarded themselves as “divine instruments” and the political vision they upheld was one of “demolishers, architects and builders, uncompromisingly committed to acting in the political world”.57 Althusius – as a scholar of law aware of the need for institutional continuity – opposed the centralizing practice of the territorial prince, partly in the name of the traditional principles that regulated relations among the universitates of the Empire. However, Althusius interpreted these principles in the light of federal theology in its aspects applicable not so much to religious action, but rather to action in the sociopolitical sphere. Analogously, independent Puritanism’s interpretation of the “ancient freedoms”, which were openly threatened by Charles I’s attempts at administrative centralization, was bathed in the light of its own religious truth. Therefore, in seeking to call attention to the full meaning of the term ‘politica’ in the Althusian conception, I would argue that it must portrayed as a formidable attempt by the Calvinist communities to assert their right to political existence while maintaining the presuppositions of their faith intact. It was a militant conception which, for Althusius, was necessarily to be endowed with the presupposition of symbiosis in order to realize a vocatio felt by the elect to be the an integrally founding element of human and social activity. Althusius was well aware of where the limit between theology and ethics lay, and, by the same token, of the limit marking the transition from ethics to politics, and thence to law. He believed that each of these disciplines has its own independence, but this does not imply that they lack interconnections and links. The kind of autonomy of politics proposed by Althusius – on the basis of which he also outlines the discerning and realistic approach that should characterize the rightful manner of action of the magistrate – is neither the amorality of Machiavelli’s politics nor that dictated purely by the techniques of the raison d’État. On the other hand, Althusius no longer moved in a universe dominated by the medieval order of affairs. He no longer shared a universalistic vision of the respublica christiana, even though he tended to universalize the theoretical and prescriptive scope of the doctrinal conceptions that had been elaborated. But he was fully aware that they should hold in absolute terms, despite not being applicable concretely for all people, because not all are “called”. Behind the vision of the German scholar of law lies the deep-seated and tragic sense of predestination. Therefore Althusius, like the Puritans described by Walzer, was moving against the mainstream as compared to the traditionally naturalistic and Aristotelian vision of the world, but he too made
57
Cf. Walzer, La rivoluzione dei santi, cit., p. 39.
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masterly use of Neoscholastic discipline in pursuit of his own ends – ends which did not, however, coincide with those of the Neoscholastic movement. Although his definition of politics and contractualism cannot in any way be likened to modern natural law, understood according to the Hobbes-Rousseau approach, this does not make him ipso facto into a representative of an orientation still imbued with late medieval conceptions. On the contrary, precisely by virtue of the proclaimed requirement of the “holiness” of symbiosis, his acceptation of “politics” is paradoxically modernizing to the extent to which it seeks to defend and usher in the political and civilizing vision of a confession that sets itself the task of representing the choice of today, as opposed to the ancient choice, that of yesterday. This, however, does not amount to claiming that Althusius’ acceptation lies at the origin of another liberal modernity, that of toleration, from Erasmus to Grotius to Locke, names and values that do not belong to the world of the Politica. This conclusion restores Althusius to a position within the framework of the more radical streams of political Calvisinism, despite his professed essential respect for the technical and conceptual independence of the discipline of the political (and also the legal) sphere. The same conclusion is also supported by the close religious and political allegiance Althusius (together with the Calvinists of Herborn and Emden) demonstrated towards the more dogmatic and rigorist streams of Dutch Calvinism. The latter were represented by the Gomarists, who during the Synod of Dordrecht in 1618 – 19 prevailed over the Arminian “remonstrants” led by Conrad Vorstius and Grotius.58 This Calvinist-political approach also had specific institutional “republican”59 implications for the Althusian system. These repercussions made themselves felt above all on the level of the figures of the supreme magistrate and the Ephori, which Althusius incorporated from the classical and medieval tradition, contextualizing them in the protomodern State. Certainly, Althusius by no means had in mind sovereign “city republics” in the full modern sense of the term. It is important also to award greater attention to the irreplaceable function of the biblical archetype of the Respublica Hebraeorum in shaping Althusian “protorepublicanism” (as noted by Diego Quaglioni and Lea Campos Boralevi60). However, it should be pointed out that the Politica, broadened to encompass a great range of themes concerning the city universitates 58 Cf. Malandrino, Introduzione to Althusius, La politica, cit., pp. 52 – 57; Friedrich, Introductory Remarks, in Althusius, Politica, cit., pp. XVIII, XXII, XLI. Naturally a number of publications have touched on this subject, although not all of them follow the line of interpretation suggested here: cf. O. Moorman van Kappen, Die Niederlande in der “Politica” des Johannes Althusius, in Politische Theorie des J. Althusius, cit., p. 123 – 146. 59 On this point I refer the reader, partly for the necessary bibliographical expansion, to C. Malandrino, L’Eforato in Althusius, in Magistrature repubblicane: modelli nella storia del pensiero politico, ed. by C. Carini, V. I. Comparato, G. Pellegrini e F. Proietti, Perugia, 2007. 60 Cf. Politeia Biblica, ed. by L. Campos Boralevi and D. Quaglioni, “Il Pensiero Politico”, XXXV, 3. See also L. Campos Boralevi, Politia Judaica, in Il lessico della Politica di J. A., cit., pp. 253 – 264.
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and the rights of the city and the provinces, reveals considerable evidence pointing in the direction of recognition of an increasingly marked degree of independence and of municipal republican potestas. But what is of interest here is above all the question of the relation between federal theology and Althusian federalism. In this regard, it is worth underlining several Calvinist “words” of Althusian political discourse that confer pregnancy, distinctiveness and originality on the language of the Politica. Frequently he makes use of new terms – suffice it to think of “symbiotics” or words that have undergone a profound transformation in comparison to the received meanings deriving from the Humanist and juridical tradition of the Classical, Greek and Roman era, or from the medieval or Reformation Aristotelian-scholastic tradition. In particular, symbiosis and the symbiotic pact can be seen as founding elements of the Althusian application of the covenant (pactum, foedus) in the formation of the “holy” communities (for Althusius the “holy symbiotic consociations”.
D. Foedus and pactum in Althusian protofederalism Philological analysis has made it possible to ascertain how far it may be justifiable, and within what limits, to define the Althusian system as “federal”, and to rank Althusius himself among the progenitors of “federalism”. To further purse this enquiry, it is necessary to start out from the datum that Althusian protofederalism, with its distinctive and features that are irreducible to modern federalism, did indeed develop in an organic and systematic manner, both on the plane of the internal constitution of the symbiotic political society and on that of interstatal and international relations. In reference to the former of these two planes, in actual fact the basic concept – which represents Althusius’ most specific and original contribution to political vocabulary – is not so much the concept of foedus, but rather that of symbiosis and of pactum. These two words are the premises of politics seen as “symbiotic”. The symbiotic associative process is recognized as a veritable federal construction; it comes about through consensual pacts (pacta), which may be tacit or overtly expressed, originally concerning individual men and later developing within the private and public symbiotic consociationes: from the family – the simplest instance of private consociations – to the tribe, to the ordered social groupings and estates, right up to the most elevated and complex public consociationes, namely the cities, provinces and States. The essence of symbiotic politics in public consociationes is considered to reside in perfect functional integration among its members, in order to accomplish the goal of a “holy, just, comfortable and happy” union. But to what extent is it plausible to define such a construction as “federal”? In effect, quite apart from the trivial fact that Althusius never, either in Latin or in Ger-
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man – uses terms like “federalism” or “federal”, which belong to a later generation, there still remains the question of whether, and in what forms and to what extent, utilizations of the term foedus (and its derivatives) in the Politica implies any specific intention on the part of Althusius to build a federal system, regardless of whether it is definable as modern or protomodern. Another line of enquiry concerns how close he stood – or alternatively, how far-removed he was – with regard to the manner in which other authors made use of the same word, for instance authors who were his contemporaries or wrote in the immediately preceding era, and who shared his background, culture and ideals, above all the authors of the co-called “federal theology”. Within what limits can one take it as an established fact that Althusius had some common ground with theological-federal thought, which constantly makes use of the term foedus? Which of the various positions is most consonant and consistent with the actual manifestation of the “word” in Althusian political vocabulary? It should not be overlooked that the term foedus (and its derivatives) was familiar to Althusius from his knowledge of Roman law. Although the Romans did not have confederal relations with their neighbors and with the Italic, Mediterranean and European populations comparable with the kind of relations typical of the Hebrew and Greek world, their history did experience a number of federative institutions. The first of these was the prelude to forms embodying the fusion of previous social settlements with Rome. The foedus was the pact-treaty, often at the end of a war, through which the Romans established two types of alliances with the peoples of Latium and the other Italic peoples: amicitia, consisting in maintenance of reciprocal peace, and societas, which bound the contracting parties to mutual aid and support. But as early as the republican age, with the rise of imperial expansionism, these foedera lost their significance as pacts among near-equals (while maintaining a substantial range of rights for the parties involved), and took on the nature of a clear subjugation of the foederati to the power of Rome. Under the Augustan Principate, and even more so with the military-bureaucratic reorganization undertaken by the later emperors, these institutions gradually became devoid of significance and tended to disappear. In conclusion, according to this tradition, the foedus is something more, but also something less, than a pactum (pact or contract), inasmuch as it has specific applications. It is a term that is closely linked to “international” law.61 61 Cf. in this regard the pertinent observations by the president of the Institute for Christian Economics – Europe, R. C. Alvarado, editor of the journal “Symbiotica”, in the article entitled Fountainhead of Liberalism, “Contra Mundum”, 1994, n. 10, p. 5 (consulted in www.visi.com/ ~contra_m/cm/features/cm10_font.html). If this can be accepted, since it is for example the acceptation present in the Corpus juris civilis (cf. Vocabularium iurisprudentae romanae auspiciis instituti ecc., Berolini, de Gruyter, MCMXXXIII), it should however be asserted less rigidly. In effect, one should bear in mind that the foedus is present in Roman civilization not only in the “international” public form, but also in the form of a private pact among persons, cf. Thesaurus linguae latinae, cit., p. 1004 – 5. Cf. also the use made of this term by Pierre Grégoire, De Republica, Lugduni, Sumptibus Ioannis Baptistae Buysson 1596, I, 2, p. 12: “Clientes, qui se principalibus familiae, vel foedere, vel fide devinxerant, vel illis se commiserunt”.
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This aspect must be kept in mind when seeking to understand Althusius’ use of this term, which in his usage is neither confused with nor overlaid on pactum, in contrast to the situation in the theological-federal literature of the same era. In effect, in the Reformation doctrine of federal theology that makes use of this term, from Bullinger to the Vindiciae, from Ursinus to Junius (all of these being authors and works that were well known to Althusius and frequently cited)62 the term foedus underwent a shift in meaning, or better, an adaptation, which went considerably beyond the Romanistic tradition. This can be noted by reading Bullinger’s 1534 work, De testamento seu foedere Dei unico et aeterno.63 It features an intersting etymological reconstruction carried out by the theologian who was the successor of Zwingli in Reformation Zurich. Bullinger clarifies that he prefers foedus to testamentum (the Latin translation of pact, preferred by the Fathers of the Church who translated the Bible: it was itself a translation of the Greek diatheke, which in turn was a translation of the Hebrew berith), because in his view it gave a fuller expression of the concept of “pact”. That is to say, according to Bullinger, testamentum, like diatheke, refers more precisely to the legacy or the promise of a will, rather than to the pact in itself. Foedus, on the other hand, concerns both the pact and the circumstances under which it is stipulated. Bullinger also points out that in Latin the word foedus actually has two meanings – the first referring to a pact, as stated, and the second, an adjectival form, means “horrible, terrible, cruel”; he also notes that according to the Latin grammarians there is a connection between these two interpretations. In ancient times, he explains, in the days even before the Romans, when a pact was sealed between two former enemies64 it was customary for an animal, usually a pig, to be sacrified and cruelly (foede) slaughtered. It would be beyond the scope of this paper to go into the sacrificial symbolism underlying this fact. One need only think of the scapegoat.65 But more specifically, Bul62
To cite the most well-known texts, cf. the Dutch scholar G. Snecanus, Methodica descriptio et fundamentum trium locorum communium Sacrae scripturae de gratuito Dei foedere […], Lugduni Batavorum, ex officina J. Paetsii, 1584; the already cited German scholar Olevianus; the English scholar J. Cameron, De triplici Dei cum hominibus foedere theses, Heidelberg 1608 (in TA SYFOLEMA sive Opera […], Genevae, Sumptibus Petri Chouet, MDCLIX, pp. 544 – 551; J. Coccejus, Summa doctrinae de foedere et testamento Dei, Lugduni Batavorum, ex officina Elzeviriorum,1654. But the most widely known influence of this lexical item in the field of political pamphleteering is certainly to be found in the Vindiciae contra tyrannos. Here the foedus, with the new meaning inaugurated by Bullinger – alien to the romanistic tradition –, occurs already in the Seconda questione where it is stated that: “Diximus in Rege inaugurando duplex foedus initum fuisse. Et primum quidem inter Deum, Regem et Populum, sive inter Summum Sacerdotem, Populum et Regem” (cf. Stephanus Junius Brutus, Vindiciae contra tyrannos, cit., p. 40). 63 Cf. the Engl. transl. in McCoy/W. Baker, Fountainhead of Federalism, cit., pp. 99 – 138: 101 – 103. 64 Ivi, p. 103: “In actual fact, a foedus properly speaking is sealed between enemies at the end of a war”. 65 The Online Etymological Dictionary (http://www.etymonline.com/index.php ?l=s&p=6) gives the following explanation of the English term: 1530, “goat sent into the wilderness on
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linger argues that centuries and millennia consolidated the procedure of the pact-treaty solemnly agreed upon through special ceremonies and subject to special conditions, through which the contracting parties enter into (inire) a particular condition of friendship for the duration stipulated in the pact itself. This having been said, Bullinger underlines that the point of contact between theology and the historical-political-literary tradition underlying the word foedus consists in the fact that God, in his great goodness, wishing out of his own free will to propose “the mystery of unity and friendship with men”, chooses to follow “a human custom” – namely that of the stipulation of a pact of “alliance/foedus” between two subjects – taking into account the weakness of human nature. Hence the pact/foedus of Genesis with Abraham and his successors. Other authors of federal theology, after Bullinger, continued to use foedus with the meaning of “pact of alliance”, although they introduced variations regarding the numer of foedera Dei, from one to two, three, and then numerous others. But the most important modification concerns the fact that foedus became the word used not only for the divine pact (foedus operum vel gratiae), for the purposes of the God-men relation and of salvation, but also as a root metaphor, an archetype to describe the twofold religious and political relation between the people, the supreme priest and the magistrate, as can be seen in the Vindiciae contra tyrannos. Through the theological-federal acceptation, the expression which used to be a term of “international law” became a keyword, first of Reformation theology, and subsequently of Calvinist political theory concerning the problem of the foundation of the political order and the sovereignty of the State. But in what way, and in what context of the Politica, did Althusius himself make use of the term foedus? Starting out rigorously from the Althusian text, it is interesting to note a lexical disparity between Althusius and federal theology literature, as the word foedus is never used generically in Althusius, as a mere synonym of pactum or contractus. On the contrary, a clear-cut functional distinction can be observed. On this point, Althusius endeavored to be extremely precise, to the point of fastidiousness. Thus foedus is used for a very specific field of application, essentially concerning relations among different peoples, and the way in which they establish bonds with one another. This emerges very clearly from the second half of Chap. XVII – De cura bonorum corporis consociati et comitiis – and from some interpolations only a few sections long in other chapters: Chap. XXV – De auctoritate summi magistratus –, Chap. XXXI – De studio concordiae conservandae –, Chap. XXXIII – De conciliis universalibus – and Chap. XXXIV, De cura et tractatione armorum tempore pacis. In chapter XXV attention focuses on “foedera ad potentiam necessaria” and examples are the Day of Atonement, symbolic bearer of the sins of the people”, coined by Tyndale from scape (n.) + goat, to translate L. caper emissarius, a mistranslation in Vulgate of Heb. ’azazel (Lev. xvi:8,10,26), which was read as ’ez ozel “goat that departs”, but is actually the proper name of a devil or demon in Jewish mythology (sometimes identified with Canaanite deity Aziz). Jerome’s mistake also was followed by Martin Luther (der ledige Bock). [Translator’s note].
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given of foedera between Solomon and Tyrus, between the Romans and the Carthaginians, etc. Chapter XXXI mentions the “confoederatio cum vicinis” to preserve concord and peace (and men are advised against entering into “foedera cum impiis” in chapter XXXIV). In short, the context is that of treaties stipulated among different peoples, often in cases of previous hostilities among the contracting parties. Thus foedus is not the word normally used by Althusius to define the celebrated “expressed or tacit pact” of the first or second chapter: in other words, it does not describe the bond that has a foundational value for the consociatio symbiotica and which constitutes the guiding thread pervading the entire Althusian consociative system. The word pactum is always used to describe the symbiotic consociation. Nor does foedus occur in reference to the pact between the people and the magistrate, which establishes the obligatio mutua between political subjects (who today would be described as asymmetric, but who for Althusius were perfectly symmetric) with regard to the question of sovereignty. In such a case, the phrase contractus mandati is used, or far more rarely, pactum.66 This lexical differentiation is likewise present in the first edition of the Politica.67 But what is accomplished in the third edition is the substantial expansion of the scope of foedus precisely in chapter XVII, which, as such, was lacking in the first edition. Thus the material dealt with in the short Chapter XIII of the first edition – De defensione Reipublicae et bonis illius et comitiis – is inordinately expanded in the third edition, giving rise to two more substantial chapters: Chap. XVI – De protectione universalis consociationis – and the above-mentioned Chap. XVII. The part on the foedus, barely mentioned in the first edition, becomes almost the whole of the second half of Chap. XVII, from section 25 to 54. In all the passages of the subsequent chapters up to Chap. XVII the word foedus is utilized in the same acceptation as stated above, namely in reference to the tool that establishes a pact, a treaty operating in the field of relations among different peoples, with the aim of increasing the goods belonging to the originally consociated body, or for reasons of its security and defense. The enrichment of the Althusian treatment concerning the subject of foedus was thus prompted by utilitarian, diplomatic and 66
A passage that clearly expresses this strongly felt need for precision, grouping and distinguishing the meanings of the various terms, is XX, 21, where attention focuses on the reciprocal obligation and on the promise of obedience and homage to the magistrate. The text states: “Utroque casu [i.e. if the pact between the people and the mgistrate is broken due to a revolt by the people or to tyranny exercised by the magistrate, ed.’s note], quia conditio conventioni et foederi apposita non impletur, contractus ipso jure solutus est…”. In this passage one finds a distinction between the use of conventio, which refers to the symbiotic pactum; versus foedus, namely the pact-treaty which, as will be seen, unifies two different peoples under a single supreme magistrate, and also versus contractus, which is the legal contractus mandati from which the magistrate receives legitimate power. As early as in X, 3 one finds, albeit in the different context of a comparison between the moment of promulgation of the law and the entry into force of the contract: “Membra consociata […] ex contractu obligantur” and in XIX, 6: “Pactum hoc, seu contractum mandati cum magistratu summo initum”; in section 23 there is a reiteration: “Porro constitutio seu pactum, quo corporum consociatorum consensu ab ephoris magistratus summus constuitur, duo habet membra”. 67 In the cit. De regno dating from 1602 there is no occurrence of foedus.
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military reasons (it is no coincidence that it also occurs two or three times in the chapter on the treatment of weapons). XVII/24 reads: “Atque haec de conservatione et custodia bonorum corporis consociati; sequitur, ut nunc etiam dicamus de eorundem auctione et amplificatione, quae fit per confoederationem, consociationemve aliorum,68 vel per alios titulos et modos legitimos”. Thus the foedus serves the following purposes: enlarging, enriching the consociatio symbiotica, making it stronger and more secure, whether it be a country or a city or provincial universitas, a respublica, a regnum or a politia. Through this assertion, Althusius – as stated earlier – appears to distance himself from the theological-federal tradition, preferring to use terminology that is consistent with the traditional Romanist acceptation. Significantly, he makes numerous references to the solemn ceremonies that were held on the occasion of the stipulation of foedera between the Romans and other populations. In keeping with this approach, he mentions in sections 49 and 50 the canonical distinction between the foedus par et aequum and the foedus described as impar or iniquum. However, in Chapter XVII he also inserts a new application of the foedus, which can be regarded as a genuine mark of the originality of his political theory. And by reducing the distance that separated him from the federal theologians, he is able to build a bridge between the traditional application of the foedus, restricted to the field of interstate relations, and a broader use of the term, partially overlaid on – and integrated with – the symbiotic pactum. In this manner, Althusius implicitly forges a link with the approach based on the symbiotic pact, the latter genuinely being his political translation of the theological-federal pact. The premise for this innovation is announced in the word that is placed, as a form of apposition, after the formula “per confoederationem”, namely “consociationemve”, which signifies that the confederation can in certain circumstances also be considered as a form of consociation. Let us examine more closely how this comes about. In Section 25 of chapter XVII, entitled Confoederatio quid in the summary, Althusius states that “consociation, known as confederation, is the situation whereby various realms, provinces, cities or townships come together and consociate themselves in the communion of a single body, thus amplifying and rendering more stable and secure the body of the universal consociation”.69 Given this general definition, which, based on the positioning of the statement, should hold for all the forms of confederation, section 27 introduces a clear distinction between the plena and the nonplena confederation, the latter being partial and limited. Althusius states: “Consociatio ejusmodi extranei populi, vel corporis alterius, est duplex: plena scilicet, vel nonplena, ex parte et quadantenus facta”. It should be noted that the expression nonplena is hypthenated in Althusius’ text, implying that this type of confederation is not simply a negation of the plena confederation, but a kind that has different and 68
Underlined by the present writer. In this section Althusius produces citations of the Novelle, of Grégoire, De Republica, of Alessandro di Alessandri, Genialium dierum libri sex, Lugduni, apud Paulum Frellon, 1608 and of T. Zwinger, Theatrum humanae vitae, Basileae per Eusebium Episcopium, 1586. 69
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autonomous characters. Section 27 begins with the presentation of the plena consociatio et confoederatio, which continues up to section 29. Section 30 then gives the deinition of the “non-plena confederatio”, and the subsequent sections specify the general rules and characters of the foedera, or indicate on a case-by-case basis the references to the first or second type of confederation. It can be inferred from these passages that the non-plena confoederatio is the institutional form of the stable alliance between provinces or realms, which, however, does not call into question the right of individuals to the jura majestatis of sovereignty. Rather, it is instituted by an agreement for a period of time which may or may not be pre-established, but always through solemn ceremonies, in order to allow the contracting parties to assist one another through mutual aid against enemies and to maintain relations of loyalty, peace and reciprocal friendship among those party to the agreement.70 In short, it is that which even in subsequent modern political discourse, from Montesquieu to Hamilton, was to become known simply as confederation.71 It contains no innovation in comparison to the Roman tradition (or, for that matter. as compared to the Greek tradition of the amphyctiony). It is interesting to note that Althusius offers no particular historical examples of this broad and weak kind of confederation. The “plena foederatio” is quite a different matter. The Althusian passage states: “Plena consociatio et confederatio est, qua alienum regnum, ejusque regnicolae, vel provincia, ut consociatio universalis quaevis alia, communicatis legibus fundamentalibus regni, et juribus majestatis, in plenum integrumque jus et communionem regni adsumuntur, cooptantur, et quasi in unum idemque corpus conjunguntur et coalescunt, tanquam unius ejusdemque corporis membra”.72 Althusius is well aware that this difference between the special “plena” and the “non-plena” confederation has major implications for the issue of sovereignty. Indeed, he immediately underscores the difference: “Atque hoc jus foederis ineundi ad majestatis capita referri, dubitandum non est […]” It cannot be doubted that this right to set up a pact can only be fully addressed within the framework of sovereignty. But by making this distinction Althusius did not assume he was introducing an unprecedented innovation. As indicated in the continuation of the above passage, “foedus ejusmodi et confoederatio apud Romanos fiebat per fecialem, caeremoniis solitis solemnibus, et jurejurando interveniente, et recitatis legibus conventis pro foedere”, in other words with particularly solemn procedures and pledges of allegiance, which were to be conducted by the col-
70 In the passage the citations include authors such as Dionysius of Halicarnassus, Antiquitates romanae, Grégoire, De Republica and Bodin, De Republica, Francofurti, apud Johannem Wechelum & Petrum Fischerum consortes, 1591. 71 On these distinctions the reader is referred to Malandrino, Introduzione to Id., Federalismo, cit. 72 The definition is reinforced on the basis of citations from the Novelle, from Alberico Gentili, De jure belli libri tres, Hanoviae, Excudebat Gulielmus Antonius, 1598 and Grégoire, De Republica.
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lege of fetials,73 twenty priests entrusted with defense of international law. During the procedures a solemn oath would be sworn, together with the reciting of the laws which were to be observed in common by the parties to the agreement. Examples of such “full confederations” include the ancient confederation between the Romans and the Albans, between the Israelites and the Gibeonites, Idumeans or Edomites, and, among those cited for Althusius’ own time, the union between Scotland and England, which were united in the person of James I of the Stuart dynasty. A point worth dwelling on in this overall context is that the term consociato is never used in the section on the confoederatio non-plena, whereas the section on the confoederatio plena treats the latter as fully equivalent to a form of consociatio. This transition comes about, Althusius argues, because in the case of the confoederatio non-plena no new symbiotic body is formed, whereas this does occur with the confoederatio plena. Why is this? The answer lies in the fact that the confoederatio plena requires the fundamental laws and the rights of sovereignty to be held in common among the parties stipulating the pact; the conjunction and communion in plenum et integrum creates a new political body of which the contracting parties are the members. Thus a new symbiotic consociation is brought about. In this case, although the foedus is not fully identified with the pactum symbioticum – since the foedus is a lexical term and a political concept – and although it retains its character as a legal and conventional treaty in its formally autonomous existence, the foedus does become functionally overlaid on the pactum and is integrated with the latter in order to endow the creation of a new symbiotic body with legitimacy. In short, it fulfils the function of providing a legal framework which effectively endorses the sovereign legitimation of the new symbiotic consociation. Having started out as an utilitarian, diplomatic artifice in support of international and military policy, in this case the foedus is transformed into a tool for symbiotic construction on a higher level than the lower symbiotic consociations, and it is genuinely capable (as stated in section 25) of leading to the amplification and consolidation of the universal symbiotic consociation. In this manner, the universal symbiotic consociation is truly the resultant of a gradual process of aggregation moving from the bottom upwards. At this point, such a consociation can, both in the substance and with good reason, be defined as “protofederal”.74 However, the terminological analysis has demonstrated that the Althusian model of the confoederationes is not, at least as far as the part concerning the confoederationes non-plenae, the reference model for the consociationes. Moreover, it has been made clear that Althusian “federalism” cannot be likened to “modern federalism”. In principle, therefore, and in line with the statements put forward above, from a termi73
This is a cultual and sacral detail which is not mentioned for the other type of confederation. 74 Some authors disagree with this interpretation, on the basis of various different arguments; on this, see Malandrino Introduzione a Althusius, La politica, cit., pp. 77 – 79, and Id., Discussioni su Althusius, lo Stato moderno e il federalismo, in “Il Pensiero Politico”, XXXVII, 2004, n. 3, pp. 425 – 438.
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nological point of view it cannot even be defined using the term “federalism”, which was coined in the late eighteenth century and is thus of a later date than the federalist experiences in America and France (Girondisme). Given these considerations, however, the question as to whether Althusian “protofederalism” can simply be constrained within a sort of late medieval “hierarchical-functional federalism” appears more than ever open to doubt. For if this were to be the case, all that is vibrant and significant in Althusian “proto-federalism” would tend to be effaced, resulting in the loss of its vital force which, as Friedrich pointed out, consisted in its intrinsic and progressive link with political Calvinism and its close-meshed interplay between thought and action, an interplay that must not be obscured. On the contrary, these significant aspects of the Althusian construct must be reconsidered in a multifaceted perspective, contextualized and studied in depth, particularly in the light of the Syndikat experience of Emden; failure to adopt such a perspective will radically undermine the overall Althusian political project and the theoretic vision on which it rests. Certainly, one may concur with the assumption that the late medieval Ständestaat, in its imperial context,75 with all its necessary consequences that place limitations on Althusian constitutionalism, represents the practical political horizon of Althusius’ existence and also of his theoretical conception, at least as far as the development of the federative-consociative structure is concerned. However, one may legitimately wonder whether the propositive force of Althusian poliltical thought can be circumscribed within the limits of the jurisdictional State having a constitution based on ordered social estates. It is therefore necessary to start out from the hypothesis that during the epoch-making struggle by the Calvinist currents that were battling on numerous fronts against Counter-Reformation and Lutheran absolutism, Althusius awarded such extensive scope to the demands of the social orders that he went as far as to theorize the main constitutional elements of the jurisdictional State having a constitution based on ordered social estates. This vision of the jurisdictional State would have been consistent not only with the social vision typical of Calvinist circles, but also and above all with the tactical goal of creating statal city communities, within broader provincial constituencies, all governed and united by federative bonds and working towards the triumph of the “real worship” of God. It is clear that all this, which constitutes the backbone of Althusius’ experience as “syndikus” of Emden, and which on the theoretical plane became incorporated in Althusian protofederalism through the concept of symbiosis, cannot be included within the excessively restricted vision of hierarchical-functional federalism. I would add that considerations on the intrinsically federative construction of Althusian political consociations have never included the implicit reference to the problem of subsidiary power.76 It is worth repeating
75 Cf. in this regard the observations by A. M. Lazzarino Del Grosso, Alle origini di una visione federalistica dello Stato germanico, in AA.VV., Dottrine politiche e istituzioni del federalismo, ed. by, and with an intr. by E. A. Albertoni, Milan, EURED 1993, pp. 203 – 211. 76 Cf. Malandrino, Die Subsidiarität in der “Politica” und in der politischen Praxis des J. Althusius in Emden, in: Subsidiarität als rechtliches und politisches Ordnungsprinzip, cit.,
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that the Althusian protofederalist foundation is particularly visible in the concept of symbiosis, understood as the focal point of the pactum (and, secondarily, of the foedus, through elaboration of the concept of the confoederatio plena) and also in the concept of the relation mediated with the theological-federal tradition. This position, which differs from the substantially negative assessment illustrated above, while still remaining critical towards unconditional acceptance of presumed Althusian “federalism”, began to be embraced as from the work of Friedrich onwards. In the introduction to the Latin re-edition of the third edition of the Politica, the German-American scholar authoritatively asserts, at variance with Gierke, that it is inappropriate to characterize the relation among less inclusive groups or symbiotic consociations as “federalism”: for “federalism is only a particular form of the general type of the symbiotic group developed by Althusius”.77 Friedrich correctly points out the different acceptations and functionalities – as has been illustrated so far – which are expressed in the Politica by the terms pactum, contractus and foedus. In conclusion, when seeking to provide a more complete answer to the query concerning the “federal” character (and the limits of such “protofederalism”) in the entire Althusian political system, a distinction must be made in relation to the three planes of Althusian discourse. At the base, one finds a general federative inspiration that presides over the construction of the entire symbiotic edifice and which translates into the juridical practice consisting in the stipulation of pacts among political subjects for the foundation of the consociationes. Such a practice extends from individuals who join together in matrimony and form a family, to families that join together in villages or collegial bodies, to village communities than join together to form universitates, to communities that then come together to form provinces, the latter then joining together into realms, into polities and right up to the universal public consociation of the empire. The situation thus portrayed embodies the intrinsically federalizing inclination that Anglo-American scholars of federal theology call covenantal (Elazar) or the root metaphor of federalism (McCoy). With regard to the constitution of the individual consociationes, this is incorporated into the procedure that gives rise to the symbiosis and which thus characterizes the whole of symbiotic politics. Therefore the expression ‘symbiotic protofederalism’ should be employed. However, while this set-up may be perceived quite clearly through analysis of the vocabulary of the Politica, it also has to be admitted that the construction process adopted by Althusius differs from the federal-theology approach; furthermore, in addition to making differential use of the term foedus, he admits more than one possible form. For instance, on the second level, the Syndikus of Emden presupposes that a “confederative” activity of a traditional type may continue to exist; such activity would result in the stipulation of treaty-pacts of international law among different subjects endowed with majestas, which they do not relinquish, by virtue of the pp. 237 – 258 (cf. also the Italian version in: “Il Pensiero Politico”, XXXIV, 2001, n. 1, pp. 41 – 58). 77 Cf. Friedrich, Introduction, cit., p. LXXXVII.
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terms of the treaty itself. This is the case of a confoederatio non-plena. In such a circumstance, i. e. the weak form of Althusian federativism, there is absolutely nothing that can be defined as “symbiotic protofederalism”. In contrast, the third and last level, that of the confoederatio plena, allows for the possibility that the jus foederis, operating analogously to the pactum symbioticum, may give rise to broader symbiotic bodies, consociated in such a manner that they become more closely fused by the pooling and sharing (and thereby relinquishing exclusive possession) of majestas and the fundamental laws of the original consociations. It follows that by virtue of the foedus-treaty, such consociations join together almost indissolubly. Here we are once again in a context of “symnbiotic protofederalism”. It should however be borne in mind that apart from the first-level private consociationes, i. e. families and collegial bodies, the subjects acting in the pacta are never single individuals but always collective polities included within an order of things, and that those interacting in the foedera are always geographic-political entities or other entities that symbolize public power. If one reflects on this fundamental fact, then it becomes very clear why reservations have been advanced concerning the impossibility of reducing Althusian “protofederalism” to the modern version deriving from American or European (eg. Swiss, German or spurious) models, and why such reservations are warranted even though Althusian protofederalism does exist insofar as it is “protomodern” and has a marked political strength. Finally, one more element that distinguishes Althusian “protofederalism” from modern federalism should be taken into consideration: the possibility that a part of the State may have the right to secede. The passage concerning the theorization of the right of “parts of a realm” to secede from the realm, contemplated by Althusius in the chapter on tyranny as one of the cases of legitimate resistance, constitutes one of the presuppositions of the protofederal approach that characterizes his thought. In effect, in section 76 of chapter XXXVIII, where he sets out the procedures of the ephoral initiative with regard to the right of resistance to tyranny, Althusius adds an important comment, which reads as follows: Potest etiam ex optimatibus unus, vel pars una regni, peculiarem regem, aut novam Reipublicae formam sibi deligere, derelicto reliquo corpore, cui adhaerebat, quando vel istius partis totius publica manifestaque salus id omnino suadet, vel leges patriae fundamentales a magistratu non observantur, sed obstinate violantur & insanabiliter, vel verus Dei cultus jussusque patefactus, id fieri diserte praecipit & postulat. Et tum haec pars statum suum & formam novam ejusmodi adversus reliquas ejusdem regni partes, a quibus descivit, defendere vi & armis potest. That is to say, according to Althusius, in a case of full-blown and incorrigible tyranny it would be permissible for even just one of the Optimates (Ephori) or even just one part of a realm to abandon the state body with which the individual or the part had previously been united, and recognize a different sovereign or choose another form of state. One can perceive in this formula a legitimation of the right of secession in cases where, as Althusius specifies, a) secession is imperative for the public and manifest
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salvation of that particular part; b) the fundamental laws of the homeland have not been observed by the magistrate, but have instead been obstinately and irremediably violated; c) the command in favor of secession is very clearly commanded by the real cult and God’s commandment. In these special and highly unusual circumstances, Althusius concludes, the part that claims the right to resistance can resort to the force of arms to defend “its State and the new form” against the remaining parts of the same realm from which it has separated. But precisely this right to secession, admittedly only in exceptional circumstances, gives an insight into the pronounced difference between the protofederal vision of Althusius and the federalism that has prevailed in modernity.78
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Translation by Rachel Barrit Costa.
Die Lehre vom Vertrag in der Föderaltheologie der ersten englischen Puritaner Von Merio Scattola, Padua
A. Drei politisch-theologische Muster Ohne Zweifel ist die Religion ein geeigneter Gesichtspunkt für die Betrachtung des politischen Denkens im sechzehnten Jahrhundert. Man kann nämlich nach dem Verhältnis zwischen politischen Lehren und Offenbarung, zwischen natürlicher Ordnung und übernatürlichem Gesetz, zwischen Immanenz und Transzendenz fragen. Wir können diesen Fragezusammenhang auch als politische Theologie bezeichnen, und wenn wir nach ihrer Verfassung oder nach der Verteilung ihrer Themen und Lösungen fragen, lassen sich die Lehren des sechzehnten Jahrhunderts auf drei große Muster zurückführen, die schon in der Spätantike festgelegt worden waren. Wir können diese drei Varianten mit den Namen von drei antiken Theologen identifizieren: Augustin (354 – 430), Eusebius von Cäsarea (256?-337) und Gelasius I (492 – 496). Die Hauptbestandteile einer christlichen politischen Theologie, mit denen diese drei Autoren operierten, waren das sacerdotium und das regnum, die sie auf dreierlei Weise verbanden. Die augustinische Lösung erteilte die Vermittlung der Transzendenz ausschließlich oder vorwiegend der Kirche und stritt dem irdischen Reich jede Funktion in der Heilsgeschichte ab. Die eusebische Lösung kehrte dieses Verhältnis um und erkannte die Bedeutung des irdischen Reiches als Vermittlers zwischen Menschlichem und Göttlichem an. Die gelasische Lösung ging zuletzt davon aus, daß sowohl die Kirche als auch das Reich zur Verwirklichung der göttlichen Ordnung beitragen sollten, freilich in unterschiedlichem Grad.1 Die Reformation erneuerte diese drei Denkmuster und wiederholte sie in radikalisierter Form. Man kann leicht in den Schriften Martin Luthers (1483 – 1546) aus den frühen 1520er Jahren, vor allem in der „Freiheit eines Christenmenschen“ (1520) und in den Schriften „An den deutschen Adel“ (1520) und „Von weltlicher Obrigkeit“ (1523), die Wiederaufnahme der augustinischen Variante erkennen.2 Im sechzehnten Jahrhundert wurde die gelasische Lösung von zwei unterschiedlichen Traditionen wiederaufgenommen: einerseits durch die politica Chri1 2
Merio Scattola, Teologia politica, Bologna 2007, S. 38 – 50. Ebd., S. 77 – 111.
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stiana der lutherischen Theologen und andererseits durch die Lehre von der potestas indirecta der katholischen Spätscholastik. Einige evangelische Autoren wie Philipp Melanchthon (1497 – 1560) oder Justus Menius (1499 – 1558) oder derselbe Martin Luther nach 1529 leiteten nämlich sowohl die väterliche als auch die politische Herrschaft vom vierten Gebot ab und verstanden damit die politische Ordnung als einen positiven Beitrag zur Verwirklichung der göttlichen Ökonomie auf Erden.3 Die zweite Linie der gelasischen Theologie war im sechzehnten Jahrhundert die katholische Lehre von der indirekten Gewalt des Papstes, die auf der thomistischen Theologie ruhte und von der Spätscholastik entwickelt wurde. Vertreter dieser Ausrichtung waren Tommaso De Vio, der Cajetan (1469 – 1534), Francisco de Vitoria (1583 – 1546), Domingo de Soto (1494 – 1560), Diego de Covarrubias (1512 – 1577) und später Roberto Bellarmino (1542 – 1621) und Francisco Suárez (1548 – 1617).4 Die katholischen Theologen verteidigten die Idee, daß sowohl das regnum als auch das sacerdotium derselben göttlichen Quelle entstammen, aber dem Menschen auf zweierlei Weise verkündet werden und zwei unterschiedliche Sphären der menschlichen Existenz umfassen, so daß sie auch zwei in sich vollkommene Gemeinwesen, einerseits die menschlich ethische und andererseits die göttlich religiöse Ordnung, bildeten, obwohl irdisches Leben und ewiges Heil zwei einander untergeordnete Zwecke blieben.
B. Die Puritaner und die Föderaltheologie Die dritte politisch-theologische Lehre des sechzehnten Jahrhunderts, die eusebische Lösung, verstand sich als eine Alternative zur katholischen Lehre der indirekten Gewalt und vertrat das Prinzip, daß die politische Herrschaft keiner natürlichen und autonomen Quelle entstammt, sondern das Zeichen einer göttlichen und unmittelbaren Erwählung ist. Der Empfänger des göttlichen Versprechens kann aber entweder ein König oder ein Volk sein, und demzufolge räumt diese politische Theologie zwei Varianten ein. Wenn sich die göttliche Ordnung in einem Volk offenbart, erscheint die entsprechende Lehre als eine Föderaltheologie; wenn aber die göttliche Ordnung durch die Handlungen eines Königs wirkt, erscheint sie als 3
Horst Dreitzel, Politische Philosophie, in: Helmut Holzhey/Wilhelm Schmidt-Biggemann (Hg.), Grundriß der Geschichte der Philosophie [Überweg]. Die Philosophie des 17. Jahrhunderts, 4. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation, Nord- und Ostmitteleuropa, Basel 2001, S. 607 – 748, hier S. 673 – 693; Luise Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht. Die politica Christiana als Legitimitätsgrundlage, in: dies. (Hg.), Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. Politische Theologie – Res Publica-Verständnis – konsensgestützte Herrschaft, München 2004, S. 195 – 232. 4 Merio Scattola, Eine innerkonfessionelle Debatte. Wie die Spanische Spätscholastik die politische Theorie des Mittelalters mit der Hilfe des Aristotelismus revidierte, in: Alexander Fidora/Johannes Fried/Matthias Lutz-Bachmann/Luise Schorn-Schütte, Politischer Aristotelismus und Religion in Mittelalter und Früher Neuzeit, Berlin 2007, S. 139 – 161.
Die Lehre vom Vertrag in der Föderaltheologie
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eine Monarchie göttlichen Rechtes.5 Beide Positionen waren in England und Schottland zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts verbreitet und lieferten die Prinzipien einerseits der presbyterianischen und puritanischen Föderaltheologie und andererseits des Regierungsprogramms von Jakob VI von Schottland und I von England. Die politischen Theologien der Puritaner und der Jakobiter, der Monarchomachen und der Monarchophilen bekämpften sich heftig in den ersten Jahren des siebzehnten Jahrhunderts, bis die „Constitutions and Canons Ecclesiastical“ im Jahr 1604 erlassen wurden.6 Beide Ausrichtungen waren zwar entgegengesetzt, aber auch komplementär, denn sie versuchten, dieselbe Frage zu beantworten: Wie soll man sich ein Königreich vorstellen, in dem Gott, der König (oder die Königin) und das Volk durch eine direkt herunterlaufende Linie miteinander vereinigt werden? Wie läuft jene Linie: Von Gott zum Volk und endlich zum König, oder von Gott zum König und dann zum Volk? Die Föderaltheologie erklärte sowohl in Großbritannien als auch auf dem Kontinent, Gott habe sein Volk ursprünglich erwählt und ihm Schutz und ewiges Heil durch eine Reihe von Bündnissen versprochen, er verlange aber dafür, daß sein Volk seinen Geboten gehorche.7 Die ursprüngliche Formulierung des Bundes befindet sich im dritten Buch Mose, 26, 9 und 12 und an anderen Stellen der Heiligen Schrift8 und lautet: „Und ich will mich zu euch wenden und will euch fruchtbar machen und euch mehren und will meinen Bund mit euch halten. […] Und ich will unter euch wandeln und will euer Gott sein, und ihr sollt mein Volk sein.“9 In seiner
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Heinrich Bullinger, De testamento seu foedere Dei unico et aeterno […] brevis expositio, Tiguri 1534; Kaspar Olevian, De substantia foederis gratuiti inter Deum et electos, itemque de mediis, quibus ea ipsa substantia nobis communicatur, libri duo, Genevae 1585; ders., Der Gnadenbund Gottes, erklaeret in den Artickeln unsers allgemeynen, ungezweiffelten Christlichen Glaubens, Herborn, 1590. 6 Leo F. Solt, Church and State in Early Modern England, 1509 – 1640, New York/Oxford 1990, S. 139 – 143. 7 Cfr. Gerhard Oestreich, Die Idee des religiösen Bundes und die Lehre vom Staatsvertrag (1958), in: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969, S. 157 – 178; Johann Friedrich Gerhard Goeters, Föderaltheologie, in: Gerhard Müller (Hg.), Theologische Realenzyklopädie, 11, Berlin/New York 1983, S. 246 – 252. 8 Vgl. auch Ps. 144, 15; 33, 12; 2 Kor. 6, 16. 9 Zur puritanischen Föderaltheologie der Puritaner vgl. Stephen Baskerville, Not Peace but a Sword. The Political Theology of the English Revolution, London/New York 1993, S. 96 – 130. Zu den unterschiedlichen Varianten des religiösen Bundes vgl. John von Rohr, Covenant and Assurance in Early English Puritanism, in: Church History 34 (1965), S. 195 – 203; Richard L. Greaves, The Origins and Early Development of English Covenant Thought, in: Historian 31 (1968), S. 21 – 35; Michael McGiffert, Grace and Works. The Rise and Division of Coveant Divinity in Elisabethan Puritanism, in: Harvard Theological Review 75 (1982), S. 463 – 502; Solt, Church and State in Early Modern England (Anm. 6), S. 143 – 144. Der frühe Puritanismus maß diesen Unterschieden offensichtlich keinen besonderen Wert bei. Vgl. John von Rohr, The Covenant of Grace in Puritan Thought, Atlanta, Ga. 1986.
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„Goldenen Kette“ aus dem Jahre 1590 beschrieb William Perkins (1558 – 1602) den Bund zwischen Gott und seinem Volk auf folgende Weise. „Nachdem die Erwählung begründet worden ist, […] müssen wir ihre äußerlichen Mittel berücksichtigen. Ihre Mittel sind der Bund Gottes und dessen Siegel. Der Bund Gottes ist sein Vertrag mit dem Menschen, der die Erzielung des ewigen Lebens unter bestimmten Voraussetzungen bezweckt. Dieser Vertrag besteht aus zwei Teilen: dem Versprechen Gottes gegenüber dem Menschen und dem Versprechen des Menschen gegenüber Gott. Gottes Versprechen gegenüber dem Menschen besteht darin, daß Gott sich mit dem Menschen dazu verpflichtet, sein Gott zu sein, wenn der Mensch bestimmte gemeinsame Bedingungen erfüllt. Das Versprechen des Menschen gegenüber Gott besteht darin, daß der Mensch schwört, daß er seinem Herren gehorchen und die gemeinsamen Bedingungen erfüllen wird. Dieser Bund ist zweierlei: der Bund der Werke und der Bund der Gnade. Jer. 31, 31 – 33. […] Der Bund der Werke ist der Bund Gottes; er wird unter der Voraussetzung eines vollkommenen Gehorsams abgeschlossen und wird im Moralgesetz verkündet. Das Moralgesetz ist jener Teil in Gottes Wort, der dem Menschen einen vollkommenen Gehorsam sowohl in seiner Natur als auch in seinen Werken gebietet und das Gegenteil verbietet. Röm. 10, 5.“10
Der englische Presbyterianer Dudley Fenner (1558 – 1587), ein Anhänger von Thomas Cartwright (1535?-1603) in Cambridge und vom hugenottischen Logiker Pierre de La Ramée (1515 – 1572), vervollständigte diese theologische Lehre durch die Begründung der politischen Obrigkeit und verzeichnete die ganze Reihe der Bündnisse, die sowohl zwischen Gott und seinem Volke als auch unter den Mitgliedern des Gemeinwesens geschlossen werden. Der Ausgangspunkt der „Sacra theologia“ von Fenner aus dem Jahre 1585 – dasselbe läßt sich aber auch bei anderen Puritanern wie Thomas Cartwright, William Perkins oder Robert Rollock (1555?-1599) beobachten – war der göttliche Wille, der allmächtig und ewig schon vor der Schöpfung der Welt galt und daher seit der Ewigkeit entschieden hat, wer gerettet und wer verdammt werden soll. Dementsprechend muß das ursprüngliche 10
William Perkins, A Golden Chaine: or, the Description of Theologie, Containing the Order of the Causes of Salvation and Damnation, According to Gods Word, London 1616, (1. lat. Aufl. 1590), chap. 19, S. 31 – 32: „After the Foundation of Election […] it followeth, that we should entreat of the outward meanes of the same. The meanes are Gods covenant, and the seale thereof. Gods covenant, is his contract with man, concerning the obtaining of life eternall, upon a certen condition. This covenant consists of two parts: Gods promise to man, Mans promise to God. Gods promise to man, is that, whereby he bindeth himself to man to be his God, if he performe the condition. Mans promise to God, is that, whereby he voweth his allegeance unto his Lord, and to performe the condition between them. Againe, there are two kinds of this covenant. The covenant of works, and the covenant of grace. Ieremie 31, 31 – 33. […] The covenant of workes, is Gods covenant, made with condition of perfect obedience, and is expressed in the morall law. The Morall Law, is that part of Gods word, which commandeth perfect obedience unto man, as well in his nature, as in his actions, and forbiddeth the contrarie. Romanes 10, 5.“; Vgl. Robert C. Walton, Bekehrung und Teilhabe am Bund: William Perkins (1550 – 1602), in: Giuseppe Duso/Werner Krawietz/Dieter Wyduckel (Hg.), Konsens und Konsoziation in der politischen Theorie des frühen Föderalismus, Berlin 1997, S. 47 – 62; Patrick Collinson, The Elizabethan Puritan Movement, Oxford 1990, (1. Aufl. 1967), S. 434 – 436.
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Wirken Gottes aus zwei Elementen bestehen: einerseits aus einem Dekret, das eine doppelte Erwählung, sowohl als Rettung als auch als Verdammung, verhängt, und andererseits aus der Vollstreckung dieses Urteils.11 Die Schöpfung, die Welt und die ganze Heilsgeschichte beinhalten die Vollstreckung jenes ursprünglichen Urteilsspruchs. Aber auch die Vollstreckung des göttlichen Ratschlusses ist, ramistisch angesehen, zweifach, weil die Welt zuerst erschaffen und dann regiert werden muß. Die Schöpfung der Welt wiederholt in sich dem Bild Gottes und zeigt sich als die gerechte Verteilung aller Teile des Universums und als die gerechte Ordnung zwischen dem Übergeordneten und dem Untergeordneten,12 was noch mehr für die Verteilung der Ansprüche und der Pflichten unter den Menschen wahr ist. Fenner nennt eqtan_a diese menschliche Ordnung und benutzt ein Wort, das auch Iohannes Althusius (1563?-1638) nach 1610 heranzog, um den besonderen Begriff des ius symbioticum zu bezeichnen.13 Fenner führt den Begriff der eqtan_a an folgender Stelle ein: 11 Perkins, A Golden Chaine (Anm. 10), chap. 4, S. 16; ders., A Christian and Plaine Treatise of the Manner and Order of Predestination and of the Largeness of Gods Grace, London 1617, (1. lat. Aufl. 1598); Dudley Fenner, Sacra theologia, sive veritas quae est secundum pietatem, ad unicae et verae methodi leges descripta, Genevae 1589, (1. Aufl. 1585), S. 2v-4r und 5r-v; Robert Rollock, A Treatise of Gods Effectual Calling, Edinburgh 1849, (1. lat. Aufl. 1597, 1. engl. Aufl. 1603), S. 27; Dudley Fenner, The Sacred Doctrine of Divinitie, Gathered out of the Word of God, London 1613, (1. Aufl. 1599), book 1, chap. 2 – 4, S. 4; Thomas Cartwright, Christian Religion: Substantially, Methodicallie, Plainlie, and Profitablie Treatised, London 1611, Psal. 99, 1 – 4, S. 16 – 17 und Gen. 1, 13, S. 17. Vgl. Collinson, The Elizabethan Puritan Movement (Anm. 10), S. 112 – 113 und 122 – 125; Leonard J. Trinterud, Elisabethan Puritanism, New York 1971. 12 Fenner, Sacra theologia (Anm. 11), lib. 2, cap. 10, S. 18v. 13 Iohannes Althusius, Politica methodice digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata. Editio nova priore auctior, Arnhemii 1610, (1. Aufl. 1603), cap. 2, S. 10 = ders., Politica methodice digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata. Editio tertia, duabus prioribus multo auctior, Herbornae Nassoviorum 1614, (1. Aufl. 1603), Reprint Aalen 1981, cap. 2, par. 5 – 6, S. 14: „Peculiare illud, quod speciali eiusmodi pacto inter quosdam symbioticos communicatur et quo illi ceu vinculo quodam inter se coniunguntur, consistit in iure symbiotico et eius communicandi ratione atque eqtan_a, in ordine, animorum consensione, operis mutuis et commodo communi […]. Ius symbioticum est, quod privatus symbioticus symbiotico privato praestare tenetur in privata consociatione, quod pro natura cuiusque privatae consociationis est varium et diversum“; Politica, 1610, cap. 1, S. 3 = Politica, 1614, cap. 1, par. 10, S. 4: „Iuris communio est, qua symbiotici iustis inter se legibus in communi vita vivunt et reguntur. Vocatur lex consociationis et symbiosis, ius symbioticum, in aqtaqje_ô, eqmol_ô et eqtan_ô potissimum consistens. Lex eiusmodi est duplex: quaedam enim socialis vitae directioni et gubernationi inservit, quaedam vero rationem et modum res et operas communicandi inter symbioticos praescribit“; Politica, 1610, cap. 5, S. 42 = Politica, 1614, cap. 5, par. 5, S. 60: „Politeuma in genere est ius et potestas communicandi et participandi utilia et necessaria, quae ad corporis constituti vitam a membris consociatis conferuntur. Vocari potest ius symbioticum publicum.“ Vgl. auch Politica, 1610, cap. 2, S. 10 – 11 = Politica, 1614, cap. 2, par. 6 – 7, S. 14 – 15; Politica, 1610, cap. 5, S. 43 = Politica, 1614, cap. 5, par. 5, S. 60; Iohannes Althusius, Politica methodice digesta et exemplis sacris et
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„Aber die Hilfsmittel dieser Regierung, die unter jedem Umstand eingesetzt werden können, sind folgende: 1. In der Ordnung der ganzen Natur Gottes Segen: ,Seid fruchtbar und mehret euch‘, Gen. 2, 2 [= 1, 28]. 2. In der Ordnung unter den höheren Geschöpfen die menschliche eqtan_a, Gen. 2, 15 – 20 [= 2, 18 – 25]. Die menschliche eqtan_a ist die Ordnung, die Gott für die Verwaltung aller Dinge gestiftet hat, damit das Heil und das Glück des menschlichen Lebens gefördert werden, Gen. 2, 15; 17 – 20; Deut. 4, 5 – 8; Kol. 2, 5. Ihre beide Teile betreffen: 1. die eqtajtija_ Pflichten, 2. die mit ihnen verbundenen Riten.“14
Nachdem das göttliche Dekret der Schöpfung als ihre innere Verteilung erlassen worden ist, muß es mit den geeigneten Mitteln regiert oder verwaltet werden,15 die letztendlich jenen beiden Verträgen entsprechen, die Gott mit den Menschen abgeschlossen hat: dem Bund der Werke und dem Bund der Gnade.16 Ersterer wird auch als „Bund der Natur oder des Gesetzes“ bezeichnet, weil er der unverdorbenen Natur der ersten Menschen entspricht. Ursprünglich folgte die Natur nämlich dem göttlichen Gesetz, das in den Herzen der Menschen eingeschrieben war und in seiner Reinheit vor Adams Sündenfall erschien. Tatsächlich hatte Gott Adam als sein Ebenbild erschaffen und konnte daher ihm ein Abkommen anbieten, das als ein Vertrag zwischen Gleichen oder Freunden erschien. Gott versprach Adam das ewige Leben und verlangte dafür, daß der Mensch gerecht handelte, indem er die Gottheit verehrte und den Mitmenschen achtete. Adam konnte das Gesetz in seiner unverdorbenen Seele unmittelbar vernehmen und demzufolge allen Geboten einen vollkommenen Gehorsam leisten.17 Da der Bund der Werke aus einer ewigen Regel im menschlichen Herzen entsteht, entspricht er dem ganzen Moralgesetz und ist im Dekalog zusammengefaßt,18 profanis illustrata, Herbornae Nassoviorum 1603, cap. 6, S. 55 – 57 = Politica, 1614, cap. 9, par. 7 – 8, S. 170. 14 Fenner, Sacra theologia (Anm. 11), lib. 2, cap. 10, S. 19r: „In hac autem gubernatione media unicuique tempestati sunt huiusmodi: 1. In ordine universae naturae benedictio Dei crescete et multiplicamini, Gen. 2, 2. 2. In ordine inter praecipuas creaturas (cum ea quae sint propria angelorum reticentur) eqtan_a humana Gen. 2, 15 – 20. Eqtan_a humana est ordo a Deo institutus de rebus administrandis, ad humanae vitae sanctitatis felicitatisque adiumentum. Gen. 2, 15; 17 – 20; Deut. 4, 5 – 8; Col. 2, 5. Eius duae partes 1. de officiis eqtajtijo?r, 2. de ritibus annexis.“ 15 Perkins, A Golden Chaine (Anm. 10), chap. 6, S. 16; Fenner, Sacra theologia (Anm. 11), lib. 3, cap. 1, S. 32v. 16 Perkins, A Golden Chaine (Anm. 10), chap. 19, S. 31 – 32; John Downame, The Christian Warfare against the Devill World and Flesh Wherein is Described Their Nature, the Maner of Their Fight and Meanes to Obtaine Victory, London 1634, (1. Aufl. 1604), part 1, book 2, chap. 4, S. 87; ders., The Summe of Sacred Divinitie First Briefly and Methodically Propounded: and Then More Largly and Cleerely Handled and Explaned, London [1620?], book 1, chap. 14, S. 223 – 227; John Preston, The Breast-Plate of Faith and Love, London 1630, serm. 2, S. 38 – 67. 17 Fenner, Sacra theologia (Anm. 11), lib. 4, cap. 2, S. 40r; ders., The Sacred Doctrine of Divinitie (Anm. 11), book 1, chap. 16, S. 9; Rollock, A Treatise (Anm. 11), chap. 2, S. 34 – 35. 18 Cartwright, Christian Religion (Anm. 11), Rom. 2, 14 – 15, S. 69 – 70; Perkins, A Golden Chaine (Anm. 10), chap. 19, S. 32.
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der die menschlichen Tugenden durch die topisch beste Anordnung beschreibt.19 Aber Gott hatte auch die Sünde als ein unentbehrliches Hilfsmittel zur Durchführung seines Dekrets vorgesehen,20 und dementsprechend konnte Adam seinen vollkommenen Gehorsam nicht ewig leisten, sondern mußte gegen die göttlichen Gebote handeln. Unter dem Gesichtspunkt der gefallenen Menschheit betrachtet, war der Bund der Werke also derart beschaffen, daß seine vollständige Erfüllung unmöglich war.21 Tatsächlich gehört es zur wesentlichen Aufgabe des Gesetzes, zu zeigen, daß die Schuld durch kein menschliches Werk gesühnt werden kann, damit der Sünder zur Bekehrung vorbereitet wird.22 Unter diesen Bedingungen muß der Bund der Werke durch den Bund der Gnade ergänzt werden, mit dem ein Vermittler, Jesus Christus, sein Leben auf dem Kreuz opfert, damit die Menschen vor dem Vater gerechtfertigt werden. Folglich muß dieser Bund als ein Vertrag zwischen Ungleichen verstanden werden, und tatsächlich hätte die eine Partei, der Mensch, keinen derartigen Vertrag mit den eigenen Kräften abschließen können. Daher nennt man ihn auch den „freien Bund“, weil Gott ihn frei, das heißt aus eigener Gnade, abschließt, indem die Menschen keine Bedingung dieses neuen Vertrags erfüllen können.23 Der Vater bietet den Sohn als Vermittler an; dieser vertritt die Menschheit als Vertragspartner und kann an ihrer Stelle alle Bedingungen des Vertrags erfüllen. Während der Bund der Werke das ewige Heil als Gegenleistung für die gerechten Handlungen versprach, verspricht und bietet der Bund der Gnade die Güte oder die Tugend als Gegenleistung für das Opfer Christi, und so versetzt er die sündhafte und verdorbene Menschheit zum ersten Mal nach dem Sündenfall wieder in die Lage, gerecht und tugendhaft zu handeln. Erst der Bund der Gnade öffnet den Sündern die Möglichkeit, gemäß des Bundes der Werke zu leben und auf diesem Weg das ewige Heil zu erreichen. Er erweckt sie zu neuem Leben und als Wiedergeborene, die nur wegen der Verdienste von Christus leben können.24 Demzufolge führt der Bund der Gnade kein neues Gebot ein, sondern liefert nur die Voraussetzung dafür, dass die Menschen den
19 Fenner, The Sacred Doctrine of Divinitie (Anm. 11), book 1, chap. 5 – 16, S. 4 – 10 (Gesetz Gottes = Moralgesetz = Zehn Gebote = Bund der Werke); Cartwright, Christian Religion (Anm. 11), Rom. 2, 14 – 15, S. 69 – 123. 20 Fenner, Sacra theologia (Anm. 11), lib. 3, cap. 1, S. 32v ; lib. 4, cap. 1, S. 39v. 21 Perkins, A Golden Chaine (Anm. 10), chap. 30, S. 69 – 70. Vgl. Fenner, Sacra theologia (Anm. 11), lib. 4, cap. 2, S. 40r; Cartwright, Christian Religion (Anm. 11), Gal. 3. vers. 17 – 25, S. 65 – 68; Rom. 2, 14 – 15, S. 68 – 69; Jer. 31 – 34, S. 124 – 125. 22 Rollock, A Treatise (Anm. 11), chap. 3, S. 42 – 43. 23 Ebd., chap. 3, S. 39; Fenner, Sacra theologia (Anm. 11), lib. 4, cap. 3, S. 39; ders., The Sacred Doctrine of Divinitie (Anm. 11), book 2, chap. 1, S. 13; Cartwright, Christian Religion (Anm. 11), Gal. 3. vers. 17 – 25, S. 65 – 68; Rom. 2, 14 – 15, S. 68 – 69; Jer. 31 – 34, S. 124 – 126; Perkins, A Golden Chaine (Anm. 10), chap. 31, S. 71; Downame, The Christian Warfare (Anm. 16), part 1, book 2, chap. 3 – 4, S. 82 – 91. 24 Rollock, A Treatise (Anm. 11), chap. 3, S. 40 – 41; Perkins, A Golden Chaine (Anm. 10), chap. 37, S. 81 – 82.
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Bund der Werke erfüllen können.25 In der Heilsgeschichte wurde dieser Bund zweimal und in zwei Formen abgeschlossen: im Alten und im Neuen Testament.26
C. Religiöser Bund und politischer Vertrag Ein wesentlicher Punkt im Bund der Gnade, wie er von Fenner und den zeitgenössischen Puritanern und Presbyterianern verstanden wurde, ist, daß dieser Vertrag nicht mit der ganzen Menschheit, sondern nur mit einer kleiner Anzahl von Menschen abgeschlossen wird, die durch das göttliche Dekret auserwählt worden sind und jetzt die Kirche Gottes bilden, indem sie durch den Glauben das Versprechen des Himmelsreichs genießen.27 Diese Idee der Erwählung hat einige wichtige Folgen auch im politischen Bereich. Die katholische und thomistische Lehre setzte voraus, daß die Menschen das Moralgesetz schon in der untergeordneten Sphäre der Natur verwirklichen können, weil der irdische Teil des Gesetzes in der menschlichen Seele trotz der Sünde erhalten wird.28 Die Lehre der Erwählung durch beide Bündnisse setzt dagegen voraus, daß das Moralgesetz im Sündenzustand völlig verlorengegangen ist. Sowohl der himmlische als auch der irdische Teil des Gesetzes wurden durch den Fall Adams gelöscht. Erst der Bund der Gnade hat das Moralgesetzt wieder ins Leben gerufen oder wieder in Kraft gesetzt, und nur die wenigen Auserwählten können jetzt nach seinen Geboten handeln.29 Wegen ihrer Erwählung sind die Mitglieder der Kirche Gottes die einzigen Menschen, welche auf der Erde die Bedingungen vom Bund der Werke, das heißt vom Moralgesetz, richtig erfüllen können. Ohne Gnade ist daher keine wahre Tugend möglich, und nach der Erbsünde kann die Ordnung des Guten und des Gerechten unter den Menschen nur durch den Glauben verwirklicht werden. Wenn die ganze Ordnung der Schöpfung auf das natürliche Gesetz und auf den Bund der Werke gegründet ist, muss dies um so mehr für die menschliche eqtan_a sowohl in der Familie als auch im Gemeinwesen wahr sein.30 Wenn aber nur die Auserwählten dem Moralgesetz wahrlich gehorchen können, und wenn die politische Ordnung eine Folge ihres Gehorsams ist, dann können nur sie, die Auserwählten, eine politische Gesellschaft nach den Geboten der wahren 25
Rollock, A Treatise (Anm. 11), chap. 3, S. 39. Fenner, The Sacred Doctrine of Divinitie, book 1, chap. 5, S. 4; book 2, chap. 1, S. 13; Cartwright, Christian Religion (Anm. 11), Jer. 31 – 34, S. 125 – 126; Perkins, A Golden Chaine (Anm. 10), chap. 31, S. 71. 27 Fenner, The Sacred Doctrine of Divinitie (Anm. 11), book 2, chap. 13, S. 18 – 19. 28 Scattola, Teologia politica (Anm. 1), S. 63 – 66 und 88 – 93; ders., Eine innerkonfessionelle Debatte (Anm. 4), S. 139 – 161. 29 Fenner, The Sacred Doctrine of Divinitie (Anm. 11), book 2, chap. 7, S. 15; Perkins, A Golden Chaine (Anm. 10), chap. 54, S. 108 – 112; chap. 15, S. 25 – 26; Rollock, A Treatise (Anm. 11), chap. 1, S. 31 – 32. 30 Fenner, The Sacred Doctrine of Divinitie (Anm. 11), book 2, chap. 13, S. 18 – 19. 26
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Moral gründen und regieren. Ihre Gemeinschaft wird die Fortsetzung der mosaischen Gesellschaft sein, die durch das Alte Testament, das heißt durch die erste Form vom Bund der Gnade gestiftet wurde. Diese Gemeinschaft wird dann auch das einzig fromme und gerechte Gemeinwesen auf der Erde sein, während alle anderen Gesellschaften sowohl der Heiden als auch der Christen sündhaft und unvollkommen sind. Die erste und fundamentale Voraussetzung für die Erwählung ist, wie wir gesehen haben, der zweifache Bund, der jedes Mitglied der wahren christlichen Gemeinschaft mit Gott verbindet. Was aber für die einzelnen Auserwählten wahr ist, muß auch für ihre Gemeinschaft als ein Ganzes gelten.31 Wie die Auserwählten gegenüber Gott durch einen Vertrag verpflichtet sind, so ist auch ihre Gemeinschaft gegenüber Gott durch denselben Vertrag und zu denselben Bedingungen verpflichtet. Diese Schlußfolgerung läßt sich dann sowohl auf die gesamte Gemeinschaft als auch auf deren einzelne Teile, die Provinzen, Grafschaften, Zünften, Gemeinden und Kollegien anwenden. Fenner erklärt diese zweifache Verbindung auf folgende Weise: „Die Gesetze über die gemeinsamen Teile des Gemeinwesens verordnen, daß sie 1. mit Gott verbündet sind. 2. daß sie mit dem Gemeinwesen verbündet sind. Deut. 17, 15 – 16; 1 Sam. 10, 25; 1 Chr. 11, 3; 2 Kön. 11, 17 und 12; 2 Chr. 23, 3; 2 Kön. 23, 3; Deut. 29, 30 – 31 und 31, 26; Jos. 5 und 24; 1 Sam. 12, 16 – 17; 22 – 25; 27 [?]; 2 Kön. 11; 2 Chr. 23, 16; 2 Kön. 23; 2 Chr. 6, 11; 1 Kön. 2, 4 und 1, 6; 12; 2 Chr. 6, 16 und 7, 17. Deswegen werden alle gemeinsamen und öffentlichen Teile eines Gemeinwesens, das heißt alle, welche die Herrschaft ausüben und das Gemeinwesen oder das Volk vertreten, durch einen zweifachen Vertrag verbunden. 1 Sam. 4, 5; 1. Chr. 27 und 28; 1. Chr. 13 u. s. w. Die Form, die beiden Verträgen gemeinsam ist, besteht darin, daß die Verträge für alle und für jeden verbindlich sind. Für alle, weil alle sich gemeinsam verpflichten sollen. Deut. 7, 6 und 14, 2 und 11, 29; Jos. 24 und 5, 24 [?]; Ri. 19, 19; Jos. 22. Für jeden, weil sich die Einzelnen für die eigene Provinz verpflichten. Jos. 24, 1 – 2; 14 – 15; 1 Chr. 13; 2 Kön. 11, 17 – 19 und 23, 3 und 2. Dieser Form wurden dann feierliche Schwüre und Urkunde als Zeugnis hinzugefügt. Wie in Jos. 24, 27 – 28 und anderswo.“32
31 2. Kön. 11, 17: „Da machte Jojada einen Bund zwischen dem Herrn und dem Könige und dem Volk, daß sie des Herrn Volk sein sollten; also auch zwischen dem Könige und dem Volk.“ 32 Fenner, Sacra theologia (Anm. 11), lib. 5, cap. 13, S. 70v-71r : „De communibus reipublicae partibus leges sunt, ut sint 1. Deo foederatae. 2. Reipublicae foederatae. Deut. 17, 15 – 16; 1 Sam. 10, 25; 1 Chr. 11, 3; 2 Reg. 11, 17 et 12; 2 Chr. 23, 3; 2 Reg. 23, 3; Deut. 29, 30 – 31 et 31, 26; Ios. 5 et 24; 1 Sam. 12, 16 – 17; 22 – 25; 27 [?]; 2 Reg. 11; 2 Chr. 23, 16; 2 Reg. 23; 2 Chr. 6, 11; 1 Reg. 2, 4 et 1, 6; 12; 2 Chr. 6, 16 et 7, 17. Quare duplici foedere tenentur omnes reipublicae partes communes et publicae, idest omnes imperii consortes, qui rempublicam sive populum repraesentant. 1 Sam. 4, 5; 1 Chr. 27 et 28; 1 Chr. 13 et c. Forma communis utriusque foederis est, ut universim et sigillatim rei stipulationes teneantur. Universim, ut omnes coniunctim fidem praestent. Deut. 7, 6 et 14, 2 et 11, 29; Ios. 24 et 5, 24 [?]; Iudic. 19, 19; Ios. 22. Sigillatim, ut singuli pro sua assignata provincia fidem praestent.
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Alle Elemente oder Bestandteile einer Gesellschaft versprechen sowohl als gesamte Körperschaft als auch einzeln für sich, daß sie Gott verehren, sein Volk bilden und nach seinem Willen handeln werden, wie letzterer im Moralgesetz verkündet und im Dekalog zusammengefaßt ist. Aber die Mitglieder dieser Gemeinschaft können als ein Volk erst dann handeln und sich mit Gott verpflichten, wenn sie sich durch einen wechselseitigen Vertrag vereinigt haben, der allen Mitgliedern gemeinsame Gesetze auferlegt. „Dieser Vertrag ist zweifach: 1. Zwischen Gott und den gemeinsamen Teilen des Gemeinwesens. 2. Unter den Teilen miteinander. 1. Sam. 12. 1; 16 – 17; 1 Chr. 27 und 28; 2 Kön. 11, 17 – 19 und 23, 3 und anderswo. Zwischen Gott und dem Gemeinwesen, damit sie das Volk Gottes sind, getreu den Kult erhalten, den seine Gesetze und seine Gebote verordnen, und fleißig den erhaltenen Kult pflegen. ,Wer aber den Herrn, den Gott Israels, nicht suchen würde, sollte sterben, klein und groß, Mann und Frau.‘ Ebda; 2 Chr. 15, 13 – 14. u. s. w. Neh. 10, 1 – 5 und anderswo. Unter den Teilen ist jener Vertrag, der beschließt, daß alle nach der Gerechtigkeit und nach den Gesetzen des Gemeinwesens regieren sollen, und wenn sie diese Gesetze verletzen, sollen sie sterben. Ebda.“33
Die Fundamentalgesetze eines Gemeinwesens bestimmen unter anderem auch die Form der Regierung. Einige unter ihnen sind allgemein und gelten für alle politischen Gesellschaften,34 andere sind besonders und betreffen nur eine bestimmte Regierungsform. Die Demokratie, zum Beispiel, wird ständig durch die Gefahr bedroht, in Unordnung und Chaos zu stürzen, während die Aristokratie vor allem die religiösen Uneinigkeiten vermeiden muß.35 Die größte Gefahr für eine Monarchie ist dagegen die Möglichkeit, daß der König zu einem Tyrannen ausartet, was auf zweierlei Weise geschehen kann: Entweder hat ein Thronprätendent keinen legitimen Rechtsanspruch, oder ein legitimer Fürst mißbraucht seine Autorität. Gegen den Usurpator kann jeder private Bürger die Waffen ergreifen und, wenn es notwendig ist, auch den Feind töten, um dem Volk oder dem unterdrückten Gemeinwesen seine Freiheit wiederzugeben.36 Gegen den legitimen König darf aber nur eine politische Autorität kämpfen, die eine besondere Befugnis zum Wiederstand erhalten hat. In jedem Königreich muß daher eine Gruppe von Magistraten oder „Ephoren“ vorhanden sein, welche die Macht des Königs begrenzen und gegen
Ios. 24, 1 – 2; 14 – 15; 1 Chr. 13; 2 Reg. 11, 17 – 19 et 23, 3 et 2. Huic formae adiuncta sunt in testimonium iuramenta solemnia et monumenta. Ut Ios. 24, 27 – 28 et c.“ 33 Ebd., lib. 5, cap. 13, S. 71r: „Foedus hic duplex est 1. Inter Deum et reipublicae partes communes. 2. Inter se. 1 Sam. 12, 1; 16 – 17; 1 Chr. 27 et 28; 2 Reg. 11, 17 – 19 et 23, 3 et c. Inter Deum et rempublicam, ut sint populus Dei cultumque mandatum in statutis et iudiciis suis fideliter praestent praestatique curent sedulo: qui secus fecerit, sive magnus, sive parvus, sive vir, sive foemina, morte plectatur. Ibid.; 2 Chr. 15, 13 – 14. et c. Neh. 10, 1 – 5 et c. Inter se foedus est, ut omnes iuste et secundum reipublicae leges gubernent, quas si pessundent, e medio tollantur.“ 34 Ebd., lib. 5, cap. 13, S. 71v. 35 Ebd., lib. 5, cap. 13, S. 80v. 36 Ebd., lib. 5, cap. 13, S. 80v.
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ihn auch in einem Zivilkrieg kämpfen darf, wenn er die wahre Religion verleugnet und seine Untertanen verfolgt. „Der Tyrann in der Ausübung ist derjenige, der willentlich alle Verträge des Gemeinwesens oder die wichtigsten unter ihnen verletzt. Er soll mit friedlichen Mitteln oder mit dem Krieg von denen beseitigt werden, welche die entsprechende Macht erhalten haben, wie es mit den Ephoren des Königreichs oder mit dem Parlament aller Stände der Fall ist.“37
Dieses Gleichgewicht zwischen dem König und den mittleren Magistraten, das ein unentbehrliches Element jedes Königreichs ist, bewirkt Verpflichtungen für beide Teile. Einerseits muß der König „getreu und ohne List die Verträge mit Gott und mit seinem Volk und die Gesetze und Konstitutionen des Reiches erhalten, und er darf in seiner Regierung die Ephoren nicht mißachten, weil sie Mitglieder des Reiches und Berater des Königs sind (2 Kön. 11, 17 – 19; 1 Sam. 10, 25; 1 Kön. 12, 6 – 8)“.38 Andererseits müssen die mittleren Magistraten, sowohl als einzelne als auch als Körperschaft, den entarteten König überzeugen, daß er alle seine Pflichten erfüllen soll, und den guten König unterstützen, indem sie ihm ständig ihren Rat und ihre Hilfe gewähren.39
D. Die Puritaner und die reformierte Tradition Alle Elemente dieser presbyterianischen und puritanischen Lehre wurden aus schon bestehenden Traditionen geliehen. Der Unterschied zwischen beiden Typen der Tyrannei war von Bartolus von Sassoferrato (1314 – 1357) in seinem Traktat über den Tyrannen formuliert worden40 und war im sechzehnten Jahrhundert ein selbstverständliches Argument in den Debatten über den legitimen Widerstand gegen einen frevelhaften König.41 Die Idee, daß Gott mit dem Menschengeschlecht ein oder mehrere Bündnisse abgeschlossen hat, wurde von den ersten Reformatoren
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Ebd., lib. 5, cap. 13, S. 80v : „Exercitio tyrannus est qui consulto pacta reipublicae omnia vel praecipua pessundat. Hunc tollant vel pacifice vel cum bello, qui ea potestate donati sunt, ut regni Ephori vel omnium ordinum conventus publicus. 2 Reg. 11, 4 – 7.“ 38 Ebd., lib. 5, cap. 13, S. 80v-81r: „Leges quae officium definiunt sunt: […] ut foedera erga Deum et popolum, leges et iura regni fideliter et sine fuco conservet, neque ephoros, ut regni socios sive regni consiliarios, in administratione negliget. 2 Reg. 11, 17 – 19; 1 Sam. 10, 25; 1 Reg. 12, 6 – 8.“ 39 Ebd., lib. 5, cap. 13, S. 81v-82r. 40 Bartolus a Saxoferrato, Tractatus de tyranno, in: Diego Quaglioni, Politica e diritto nel Trecento italiano. Il De tyranno di Bartolo da Sassoferrato (1314 – 1357), Firenze 1983, cap. 5, S. 184 – 185; vgl. Diego Quaglioni, Introduzione, ebd., S. 7 – 71, hier S. 39 – 55. 41 Merio Scattola, Il concetto di tirannide nel pensiero politico tedesco della prima età moderna, in: Filosofia politica 10 (1996), S. 392 – 401; ders., Widerstand und Naturrecht im Umkreis von Philipp Melanchthon, in: Luise Schorn-Schütte (Hg.), Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt, Gütersloh, 2005, S. 459 – 487.
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eingeführt und wurde nach Heinrich Bullinger (1504 – 1575)42 zu einem Zentralanliegen der kontinentalen Föderaltheologie von Heidelberg, Herborn und Emden43 und fand Anerkennung auch unter den schottischen Presbyterianern. Die Vorstellung, daß die politische Gesellschaft auf eine Reihe von Verträgen gegründet ist, war verbreitet im sechzehnten Jahrhundert und war besonders häufig unter den reformierten Autoren.44 Iohannes Althusius sammelte und vereinigte seit 1602 viele dieser Elemente in seiner Lehre und entwickelte sie systematisch in den drei Auflagen seiner Politica methodice digesta von 1603 bis 1614.45 So konnte er als der Hauptvertreter der Föderallehre im reformierten Lager gelten. Hier können wir aber deutlich sehen, daß dieselben Lehren, die das politische Werk von Althusius prägten, schon in der puritanischen Theologie des späten sechzehnten Jahrhunderts, besonders im Werk von Dudley Fenner, systematisch ausgearbeitet wurden.
E. Puritanische Ekklesiologie In allen ihren Varianten sah die politische Theologie kalvinistischer, presbyterianischer oder puritanischer Prägung keine Form von königlicher Vermittlung der himmlischen Ordnung auf Erden vor, so wie sie jede päpstliche Mitwirkung ausschloß. Diese zweifache Ablehnung war eine unvermeidliche Folge aus dem puri-
42 Hans J. Hillerbrand, Föderaltheologie im radikalen Flügel der früher Reformation, in: Duso/Krawietz/Wyduckel (Hg.), Konsens und Konsoziation (Anm. 10), S. 9 – 17. 43 Charles S. McCoy/Joseph Wayne Baker, Fountainhead of Federalism. Heinrich Bullinger and the Convenantal Tradition. With a Translation of De testamento seu foedere Dei unico et aeterno (1534), Louisville, Ky. 1991; Joseph Wayne Baker, Covenant and Community in the Thought of Heinrich Bullinger, in: Daniel J. Elazar/John Kincaid (Hg.), The Covenant Connection. From Federal Theology to Modern Federalism, Lanham, Md. 2000, S. 15 – 29; Cornel A. Zwierlein, Reformierte Theorien der Vergesellschaftung: Römisches Recht, föderaltheologische joimym_a und die consociatio des Althusius, in: Frederick Smith Carney/Heinz Schilling/Dieter Wyduckel (Hg.), Jurisprudenz, Politische Theorie und Politische Theologie, Berlin 2004, S. 191 – 223. 44 Alfred Voigt (Hg.), Der Herrschaftsvertrag, Neuwied am Rhein 1965, S. 86 – 130; Stephanus Iunius Brutus [= Hubert Languet?], Vindiciae contra tyrannos, sive de principis in populum populique in principem legitima potestate, [o.O.] 1580, (1. Aufl. 1579), quaest. 2, S. 33 – 47 und quaest. 3, S. 146 – 157; [Théodore de Bèze], De iure magistratuum in subditos et officio subditorum erga magistratus, (1. Aufl. 1576), ebd., quaest. 9, S. 315 – 317. 45 Iohannes Althusius, Disputatio politica de regno recte instituendo et administrando (1602), in: Merio Scattola (Hg.), Quaderni fiorentini 25 (1996), S. 23 – 46. Vgl. Michael Stolleis, De regno recte instituendo et administrando. Eine unbekannte Disputation von Johannes Althusius (1987), ebd., S. 13 – 21; Giuseppe Duso, Una prima esposizione del pensiero politico di Althusius. La dottrina del patto e la costituzione del regno, ebd., S. 65 – 126; Merio Scattola, Von der maiestas zur symbiosis. Der Weg des Iohannes Althusius zur eigenen politischen Lehre in den drei Auflagen seiner Politica methodice digesta, in: Emilio Bonfatti/ Giuseppe Duso/Merio Scattola (Hg.), Politische Begriffe und historisches Umfeld in der Politica methodice digesta des Iohannes Althusius, Wiesbaden 2002, S. 211 – 249.
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tanischen Verständnis der geistigen Körperschaft von den Auserwählten und ihres besonderen Verhältnisses zu Himmel und Erde. „Was ist die Eigenschaft des Hauptes? Es ist das Höchste, und demzufolge kann es nur ein Haupt geben, nämlich Christus. Was ist die Aufgabe des Hauptes? Es soll allen Gliedern seine Kraft verteilen, denn die natürlichen Glieder erhalten Geist und Empfindung vom Haupt und so hat auch die Kirche ihr geistiges Leben und ihre geistige Empfindung von Christus, der allein erquicken und beleben kann. Und der Apostel Paulus erhob ihn mit diesem Titel des Hauptes in der Kirche über alle Engel, Erzengel, Fürstentümer und Gewalten. Dementsprechend, wenn auch der Papst Petri und Pauli Nachfolger wäre, wäre er nichtsdestoweniger kein Haupt der Kirche, was keinem einfachen Geschöpf im Himmel und unter dem Himmel gebührt. Aber könnte der Papst ein stellvertretendes Haupt sein? Wenn die Kirche mehrere Häupter gleichzeitig haben sollte, würde sie als ein Ungeheuer erscheinen, oder sie könnte jederzeit das notwendige Haupt entbehren, wie es notwendig geschieht, wenn ein Papst stirbt. Aber darüber hinaus, wenn Christus wirklich immer in seiner Kirche durch seinen Geist anwesend ist, warum sollte er einen Vikar oder Vertreter haben?“46
Cartwright erklärt, daß die Kirche, die das ganze Menschengeschlecht, eine Nation oder eine einzige Gemeinde umfassen kann,47 eine direkte Verbindung zwischen dem Haupt der Gemeinschaft, Christus, und jedem einzelnen Gläubiger und Mitglied der Kirche voraussetzt. Die Teilnahme der Christen an der Kirche, argumentiert Cartwright weiter, kann auf zweierlei Weise gedacht werden, weil Christus, das Haupt der Kirche, kann sich mit dem Körper der Kirche sowohl in ihrer Gesamtheit als auch in ihren einzelnen Teilen vereinigen. Im ersten Fall ist es eindeutig, daß der Körper der Kirche schon gestiftet werden muß, bevor er zu seinem Haupt verbunden wird. Dementsprechend sollte die Kirche, die am Bund der Gnade als gesamter Körper teilnimmt, eine körperschaftliche Gemeinde sein, die von einem Würdenträger oder einer Hierarchie von Würdenträgern vertreten wird, wie es im Falle des Papstes und der Bischöfe geschieht. In diesem Fall wären die Christen in der Kirche nicht als einzelne Menschen mit Christus verbunden, sondern als ein schon strukturiertes Ganzes, das kraft seiner repräsentativen Institutionen besteht. Dies würde aber bedeuten – schließt Cartwright –, daß die Kirche zwei Häupter, das irdische und untergeordnete Haupt des Papstes und das wahre 46 Cartwright, Christian Religion (Anm. 11), Mat. 18, 15 – 20 und 1 Cor. 16, 22, S. 196 – 197: „What is the property of the head? To be highest; and therefore there can be but one, even Christ, What is the office of the head? To convey the powers of it into all the members: for as the natural members take spirit and sense from the head; so the church hath her spiritual life and feeling of Christ; who is only able to quicken and give life. Whom by this title of the head of the Church Paul lifteth up above all Angels, Archangels, principalities and powers. And therefore if the Pope were the successor of Peter and Paul, yet should he not be therefore the head of the Church; which agreeth to no simple creature in heaven or under heaven. But may not the pope be a ministerial head? It would make the Church a monster, if it should have more heads at once then one: or to bee at any time without a needful head; as it must needs be in the death of the pope. Besides that, when Christ is alwales effectually present in his Church by his spirit, what needs he to have a vicar or deputie?“ 47 Ebd., Mat. 18, 15 – 20 und 1 Cor. 16, 22, S. 200.
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und himmlische Haupt Christi, hat und auf diese Weise einem Ungeheuer gleichen würde. Die richtige Vorstellung der Kirche muß daher die zweite sein, laut der der Körper der Kirche erst durch eine unvermittelte Verbindung jedes einzelnen Christen mit Christus entsteht48. Wie das Haupt unmittelbar alle Empfindungen jedes einzelnen Gliedes im menschlichen Körper wahrnimmt und jedem Mitglied direkt, ohne die Beihilfe eines Vertreters oder Vermittlers, seine Befehle erteilt,49 so wirkt auch Christus unmittelbar in der Seele jedes und jeder seiner heiligen Auserwählten.50 Da das Verhältnis der menschlichen Seele mit Christus direkt ist, kann es durch kein Symbol, Werk oder äußerliches und sichtbares Institut ausgedrückt werden, wie es in der katholischen Kirche der Fall ist, sondern offenbart sich nur als innere Evidenz. Dieses Verhältnis fällt aber mit dem Bund der Gnade zusammen, der also, wenn er auch tatsächlich wirkt, nie äußerlich wahrgenommen werden kann. William Perkins beschreibt mehrere Stufen dieser inneren Wahrnehmung des Glaubens, die mit der pkgqovoq_a, mit der Fülle der Gewißheit, endet, das heißt mit „einer vollständigen Versicherung, die nicht nur eine gewisse und wahre, sondern auch eine vollkommene Überzeugung des Herzens ist, mit der ein Christ sich noch fester an Jesus Christus hält und dadurch die völlige und feste Erkenntnis erzielt, daß Gott ihn liebt und ihm persönlich Christus und seine ganze Gnade zum ewigen Leben geben wird“.51 Dudley Fenner schildert die Wirkungen der Gnade als eine „innere Sicherheit des Geistes […], von der auch die Heiligkeit und die Seligkeit kommen“. In diesem neuen Zustand übt die Sünde keine Macht mehr auf die menschliche Seele aus, weil die neue Kreatur, die aus der Verbindung mit Christus geboren wird, mit vollkommener Gerechtigkeit handelt und des Versprechens der künftigen Belohnung in Gottes Himmel versichert ist.52 Die Vorstellung, daß die Beziehung zu Gott nur direkt und unmittelbar ist, hat zwei wichtige Folgen im Leben und in der Geschichte der christlichen Gemeinde. Zum einen können die Sakramente kein von der individuellen Erfahrung unabhängiger Vermittlungsweg der Gnade sein. Im Gegenteil, sie sind nur ein Zeichen und ein Siegel des Bundes, der eigentlich schon in der Ewigkeit stattfand, als Gott die Mitglieder seines Volkes erwählte und die anderen Menschen verdammte. Dem48
Ebd., Mat. 18, 15 – 20 und 1 Cor. 16, 22, S. 200 – 202. Rollock, A Treatise (Anm. 11), chap. 29, S. 198. 50 Perkins, A Golden Chaine (Anm. 10), chap. 36, S. 78r-v. 51 Ebd., chap. 36, C. 81r : „The highest degree of faith, is pkgqovoq_a, a full assurance, which is not only a certaine and true, but also a full persuasion of the heart, whereby a Christian much more firmely taking hold on Christ Jesus, maketh full and resolute account that God loveth him, and that he will give to him by name, Christ and all his graces pertaining to eternal life. Rom. 4,20.“ Vgl. Downame, The Christian Warfare (Anm. 16), part 1, book 2, chap. 12 – 14, S. 123 – 146. 52 Fenner, The Sacred Doctrine of Divinitie (Anm. 11), book 2, chap. 13, S. 19. 49
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entsprechend können die Sakramente keine wahre Rechtfertigung anbieten.53 Zum anderen sprach Gott zur Menschheit bis zur Zeit der Apostel durch sein lebendiges Wort und durch die Stimme Christi oder durch die Stimme und die Werke von außerordentlichen Menschen wie den Propheten und den Aposteln.54 Mit dem Evangelium und der Sendung der Apostel hat aber die christliche Lehre die höchste Klarheit und Eindeutigkeit erreicht und bedarf keiner weiteren Erklärung oder Ergänzung. Demzufolge hat Gott seitdem aufgehört, die Menschen direkt mit seiner lebendigen Stimme zu belehren, und offenbart sich nur durch die geschriebene Stimme der Bibel. Wunder sind daher unmöglich geworden, und auch die Propheten sind von der Erde verschwunden.55 Aber daraus folgt keineswegs, daß die Kirche oder die Pastoren und Doktoren der Kirche durch den Geist Gottes derart geführt werden, daß sie in der Verkündigung der Wahrheit keinen Fehler machen können. Tatsächlich war dies eine außerordentliche Gabe des Heiligen Geistes, die aber nur auf eine bestimmte Zeit gegeben wurde. Die Gabe des Geistes, die die Kirche Christi seit der Zeit der Apostel erhalten hat, ist dagegen ordentlich und ewig und besteht in der Gabe der Heiligkeit, Erhellung und Wiedergeburt.56 In diesem Sinn darf niemand eine vollkommene und unfehlbare Kenntnis der Heiligen Schrift auf Erden beanspruchen, und niemand darf als Vermittler zwischen Gott und der Gemeinde der Auserwählten handeln. Alle derartigen Anstalten wie das katholische Papsttum oder die Bischöfe der anglikanischen Kirche, die sich einer hierarchischen Vermittlung zwischen Gott und den Gläubigen bemächtigt haben, verletzen die Rechte der göttlichen Allmacht und seinen ewigen Erlaß. In demselben Sinn kann kein König unmittelbar von Gott eingesetzt werden, weil seine Erwählung eine direkte Offenbarung Gottes nach Christi Himmelfahrt implizierte. Auch wenn sich sein Handeln auf sein Königreich beschränkte, würde ein solcher König als ein Vermittler jener göttlichen Ordnung wirken, die Fenner als 53 Perkins, A Golden Chaine (Anm. 10), chap. 32, S. 72r-v; Downame, Christian Warfare (Anm. 16), part 1, book 2, chap. 3, S. 83: „God […] hath given his dearely beloved Son to die a bitter death, to redeeme us out of the hands of our spirituall enemies: and to the end we should be made partakers of Christ and all his benefits, he hath given us his Word, and made his Covenant with us, that in Christ he will be our God, and we his people, hee our Father, and we his children. And lest yet there should be any place left to doubting, he hath added to his Word, his Sacraments, which like Seales may assure us of his love and favour.“ 54 Vgl. Gotthold Ephraim Lessing, Axiomata, in: ders., Werke. 1778 – 1780. Klaus Bohnen und Arno Schilson (Hg.) (Werke und Briefe in zwölf Bänden, 9), Frankfurt am Main 1993, S. 66 – 67. 55 Rollock, A Treatise (Anm. 11), [chap. 39], S. 275 – 279. 56 Ebd., [chap. 39], S. 276: „But hence it followeth not that either the Church, or the pastors and doctors in the Church, are so governed with that spirit, that they cannot at all err in delivering the truth. For this was the extraordinary gift of the Holy Ghost, which was given but for a time; but the gift of the Spirit, which was given to the Church of Christ since the times of the Apostles, is ordinary and perpetual; to wit, the gift of sanctification, illumination, and regeneration.“
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eqtan_a bezeichnet, und seine Handlungen würden nicht vom Bund der Gnade und von der direkten Verbindung mit Christus herrühren, sondern wären in sich gute Werke, die aus einer anderen und unabhängigen Quelle kommen müßten. Daraus würde aber weiter folgen, daß zwei unterschiedliche Vermittlungswege der Gnade auf der Erde nach dem Tod und der Auferstehung Christi vorhanden sind, einerseits die Erwählung durch den Glauben und andererseits der König und seine Hierarchie. Der Bund der Gnade ist aber das einzige Prinzip der Rechtfertigung und der sittlichen (und politischen) Tugendhaftigkeit. Die Bündnisse Gottes mit seinem Volk bleiben daher die einzige Quelle der Autorität auf Erden. Da aber auch die Gebote eines Königs letztendlich auf diesen Bündnissen gründen, muß man ihnen den Gehorsam verweigern, wenn sie gegen den göttlichen Bund verstoßen. Da sowohl die Kirche als auch die politische Gemeinschaft auf den Bund der Gnade als auf ihre eigentliche Quelle zurückgehen, können wir jetzt die politische Theologie der Puritaner wie Cartwright, Fenner, Perkins, Downame und Rollock folgendermaßen zusammenfassen. Gott hat seine Heiligen seit der Ewigkeit seines Willens auserwählt. Während der Schöpfung hat er Adam und dem ganzen Menschengeschlecht sein Gesetz durch den Bund der Werke gegeben, der sowohl die Verehrung Gottes als auch das tugendhafte Leben in der menschlichen Gesellschaft umfaßt. Die Sünde hat aber die Natur des Menschen derart entstellt, daß letztere das ursprüngliche Gesetz nicht mehr anerkennen und befolgen kann. So wirkt das Gesetz nach Adams Fall als Urteil und Strafe. Demzufolge schloß Gott einen neuen Bund, den Bund der Gnade, durch seinen Sohn, aber diesmal nur mit seinen auserwählten Heiligen, die dadurch in die Lage versetzt werden, dem göttlichen Gesetz zu gehorchen und ein tugendhaftes Leben in der Gesellschaft mit anderen Menschen zu führen. Der Bund der Werke, den sie nun erfüllen können, gebietet nämlich im fünften Gebot der kalvinistischen Aufzählung, daß man den Eltern in der Familie und der Obrigkeit in der politischen Gemeinschaft gehorchen soll.57 Bis zu diesem Punkt der Argumentation können wir uns eine direkte Linie vorstellen, die mit dem Erlaß der zweifachen Erwählung beginnt, zu der Schöpfung hinuntersteigt, den Bund der Werke mit Adam berührt und endlich den Bund der Gnade mit dem Volk Israels erreicht. Christus wäre der nächste Punkt in dieser Linie, die sich hier aber offensichtlich in zwei Richtungen spaltet. Bis zur Christi Auferstehung sprach Gott nämlich zu seinem Volk unmittelbar mit seiner Stimme, so daß die politische Ordnung direkt auf das göttliche Wort und auf äußere Umstände wie die ethnische Angehörigkeit gegründet war. Seitdem Christus die Erde verlassen hat, offenbart sich Gott dagegen nur durch die Stimme der Heiligen Schrift und in der Überzeugung des Gewissens. Obwohl die christliche Kirche auf die Verkündigung des Evangeliums zurückgeht, gibt es nichtsdestoweniger kein äußeres Zeichen, mit dem man ein christliches Gemeinwesen stiften kann. Eine politische Gesellschaft dieser Art kann nur durch einen Vertrag unter den Auser57 Cartwright, Christian Religion (Anm. 11), Rom. 2, 14 – 15, S. 104 – 105; Fenner, The Sacred Doctrine of Divinitie (Anm. 11), book 1, chap. 10, S. 7 – 8.
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wählten gegründet werden, die wiederum durch den ewigen Erlaß, den Bund der Werke und den Bund der Gnade bestimmt wurden, und diese Auserwählung offenbart sich nur im Inneren ihres Gewissens. Ein christliches Gemeinwesen basiert daher auf den Individuen, und seine Stiftung ist nur mittelbar göttlich. Kein äußeres Zeichen kann nämlich beweisen, daß eine bestimmte Gesellschaft von Gott gewollt worden ist. Andererseits haben die Mitglieder derselben Gemeinde ein unmittelbares Verhältnis zu Gott, denn ihre Erwählung, der Ausgangspunkt in unserer imaginären Linie, ist die notwendige Bedingung dafür, daß ihr Gemeinwesen im göttlichen Plan vorgesehen ist. Und in diesem inneren Sinn kommt ihre politische Gesellschaft unmittelbar von Gott.
F. Politische Theologie der Reformierten oder politischer Kalvinismus Die letzten Beobachtungen erklären die Ähnlichkeiten und die Unterschiede zwischen der politischen Theologie der Puritaner und der katholischen Lehre von der indirekten Macht des Papstes in den irdischen Angelegenheiten. Sowohl die Puritaner als auch die katholische Spätscholastik des späten sechzehnten und frühen siebzehnten Jahrhunderts setzten nämlich voraus, daß die politischen Gesellschaften durch Verträge oder andere Formen von gegenseitigem Einvernehmen gegründet wurden, daß die Könige ihr Amt von ihrem Königreich oder Volk erhielten und daher der Aufsicht der Gesetze unterstanden. Beide Überlieferungen hoben die Bedeutung des Naturrechts, des Dekalogs und der angeborenen Ideen in der politischen Argumentation hervor.58 Im Fall der katholischen Spätscholastik waren aber die Stiftung der menschlichen Gesellschaft und die Übertragung der politischen Autorität durch eine natürliche Norm geregelt, die Gott dem ganzen Menschengeschlecht während der Schöpfung gab und daher allen Nationen der Welt gemeinsam ist. Im Fall der puritanischen Theologie, der reformierten politischen Theologie oder des politischen Kalvinismus hängt das Gemeinwesen direkt von der ursprünglichen Erwählung der Heiligen ab, und daher ist eine wahre politische Gesellschaft, welche die Gebote des natürlichen Gesetzes erfüllt und dem Bund der Werke entspricht, nur den Auserwählten vorbehalten. Im ersteren Fall ist das Gemeinwesen eine Folge der Natur, im letzteren eine Folge des christlichen Glaubens. Im ersteren Fall, für die katholische Scholastik, sind alle natürlichen Königreiche und Republiken gerecht und legitim, wenn sie die Regeln des Naturrechts befolgen; im letzteren Fall, für die Theologie der Auserwählung, kann nur eine Stadt, die
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Merio Scattola, Models in History of Natural Law, in: Ius commune. Zeitschrift für Europäische Rechtsgeschichte 28 (2001), S. 91 – 159, hier S. 104 – 132; ders., Iohannes Althusius und das Naturrecht des 16. Jahrhunderts, in: Frederick Smith Carney/Heinz Schilling/ Dieter Wyduckel (Hg.), Jurisprudenz, Politische Theorie und Politische Theologie, Berlin 2004, S. 371 – 396.
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Stadt der Heiligen oder die christliche Gemeinde, wahrlich gerecht sein, während alle anderen Königreiche und Städte ungerecht und unvollkommen bleiben. In demselben Zusammenhang kann man auch beobachten, daß die Sphären der Religion und des Gemeinwesens einander sehr nah sind und eigentlich denselben Prinzipien entstammen; sie bleiben nichtsdestoweniger getrennt, so daß sich weder die Kirche zu einer Theokratie entwickelt noch die politische Obrigkeit in den Bereich des Gewissens eingreift. Entscheidend für dieses Ergebnis ist die Idee, daß Gott sich nur im geschriebenen Wort und im Gewissen offenbart. Einerseits hat man eine Kirche der Auserwählten, die auf die innere Gewißheit der Versprechung und der individuellen Rechtfertigung gegründet ist: ihr entspricht eine innere Überzeugung, die durch keine äußere Institution ausgedrückt werden kann, weil sonst die direkte Verbindung zwischen Gott und den Gläubigern verlorenginge. Andererseits soll das Gemeinwesen die Gerechtigkeit, die sittliche Ordnung und die wahre Religion verteidigen, aber darf sich aus keinem Anlaß in das interne Leben der Kirche einmischen.59 Das Gemeinwesen hat zwar eine religiöse Bedeutung und ist selbst eine religiöse Institution, die von den Grundsätzen des göttlichen Gesetzes bestimmt wird; es hat aber keine sakramentale Aufgabe im Hinblick auf den christlichen Glauben. Dieses Schema hat drei wichtige Folgen. Zum ersten ist ein gerechtes Gemeinwesen grundsätzlich erst nach der Verkündigung des Evangeliums möglich und nur in jenen Gemeinden, die mit Gott durch den Bund der Gnade vereinigt worden sind. Nur diese Gesellschaften sind nämlich in der Lage, die guten Handlungen auszuführen, die vom göttlichen Gesetz erfordert werden. Alle anderen politischen Gesellschaften der Gegenwart und der Vergangenheit sind ungerecht und können keine wahre politische Ordnung unter ihren Mitgliedern bewirken.60 Zum zweiten wird das Verhältnis zwischen Gemeinwesen und Kirche zu einem mindesten Maß niedergesetzt. Das Gemeinwesen soll den wahren Glauben verteidigen, aber beschränkt gleichzeitig seinen Eingriff auf das Nötigste. Zum dritten ist eine Gemeinde von dieser Art vor allem oder sogar ausschließlich um die Durchsetzung der internen Ordnung unter ihren Mitgliedern bemüht. Da die externe Welt kaum eine Bedeutung in der Ökonomie der Rechtfertigung hat, pflegt eine wahre christliche Gemeinde auch keine externe oder internationale Beziehung.61
59 Cartwright, Christian Religion (Anm. 11), Rom. 2, 14 – 15, S. 104 – 105; Fenner, The Sacred Doctrine of Divinitie (Anm. 11), book 1, chap. 10, S. 7 – 8. 60 Cartwright, Christian Religion (Anm. 11), Rom. 2, 14 – 15, S. 105. 61 Heinz Schilling, Iohannes Althusius und die Konfessionalisierung der Außenpolitik – oder: Warum gibt es in der ,Politica‘ keine Theorie der internationalen Beziehungen, in: Carney/Schilling/Wyduckel (Hg.), Jurisprudenz, Politische Theorie und Politische Theologie, S. 47 – 69.
Die Rolle der Gesetze in Johannes Althusius’ „Respublica Christiana“1 Von Lucia Bianchin, Trient Für die reformierte Staatslehre in der frühen Neuzeit bildet die Funktion der Gesetze eine zentrale theologische, juristische wie politische Frage. Dieses Problem ist zugleich Schnittpunkt zahlreicher anderer theoretischer Fragestellungen von großer Bedeutung – dazu zählt etwa das Modell der Staatsregierung, die mögliche „solutio a legibus“ des „princeps“ oder die Art und Weise des Widerstandsrechts. Um die Gesetzeskonzeption bei Althusius und deren Funktion für seine politische Theorie insgesamt besser verstehen zu können, scheint es mir hilfreich, eine gedankliche Linie von Calvin zu Althusius zu rekonstruieren, die über Lambertus Danaeus führt, den französischen Theologen und Calvin-Schüler, der später theologische Lehrstühle an den Universitäten von Genf, Leiden und anderen reformierten Zentren innehatte und sich den Ruf eines „Vaters der reformierten Moraltheologie“ erwarb (Christoph Strohm hat ihn in seiner schönen Monographie „Ethik im frühen Calvinismus“ dargestellt).2 Diese Entwicklungslinie zeichnet sich im Übrigen bereits ziemlich deutlich bei anderen theoretischen Fragen ab. Danaeus’ Hauptwerk, die 1596 in Genf erschienenen „Politices Christianae libri septem“,3 scheinen dabei auf theologischer Ebene den wichtigsten Bezugspunkt für Althusius darzustellen; in gewissen Fällen erweisen sie sich geradezu als das Bindeglied zwischen Calvin und Althusius.
1
Aus dem Italienischen von Stefan Monhardt. Zu Lambertus Danaeus (Beaugency-sur-Loire 1530-Castres 1595) liegen die Studien von Paul de Félice, Olivier Fatio, Friedrich Goedeking und Cornelia M. Ridderikhoff vor. Vgl. jetzt Christoph Strohm, Ethik im frühen Calvinismus. Humanistische Einflüsse, philosophische, juristische und theologische Argumentationen sowie mentalitätsgeschichtliche Aspekte am Beispiel des Calvin-Schülers Lambertus Danaeus, Berlin/New York 1996. Strohm verortet Danaeus’ umfangreiches Schaffen in dem reich differenzierten historischen, politischen und religiösen Kontext seiner Zeit. Von entscheidender Bedeutung ist hier die endgültige Ausformung einer calvinistischen Lehre zu Ethik und Politik, die durch die Rückkehr zum Wort Gottes, aber auch durch neustoizistische Einflüsse und weitere bedeutsame kulturelle Faktoren geprägt ist (Danaeus unterhält enge Beziehungen zu Théodore de Bèze und Justus Lipsius). 3 Absicht des Werks ist die Neubegründung der politischen Wissenschaft nach den Prinzipien der „Respublica Christiana“, wie bereits aus dem Titel hervorgeht: Lambertus Danaeus, Politices Christianae libri septem. In quibus ea ex Dei verbo primum, post autem ex alijs quoque scriptis collecta sunt, quae ad optimam Reipubl. administrationem pertinent: quae definitionibus explicata, exemplisque variis confirmata, tandem certis, brevibusque aphorismis in singulis libris sunt comprehensa, Genf 1596. 2
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Lucia Bianchin
Ganz offensichtlich greift Althusius die Politica Christiana des Danaeus auf im Gebrauch der Termini politìa, polìteuma, Respublica – Begriffen, die der französische Theologe auf der Grundlage von Calvins Lehre reformuliert hatte.4 Das gilt auch für die Idee der Respublica Christiana selbst, die bereits Calvin von der universalistischen, die gesamte Christenheit umfassenden mittelalterlichen Konzeption abgekoppelt hatte, um sie im Wesentlichen mit der Idee des Staates zu identifizieren (mag dies auch ein Idealstaat sein, der die christliche Ordnung verkörpert und sich in einen „Bund christlicher Völker“ einfügt).5 Kennzeichen dieser Respublica ist für Danaeus ihre untrennbare Bindung an die Iustitia (ohne Gerechtigkeit keine politìa).6 Exemplarisch formuliert fand der französische Theologe diese Idee in der von Cicero geprägten und von Augustinus aufgegriffenen rhetorischen Frage: „Remota iustitia, quid sunt regna nisi magna latrocinia?“7 Auch bei Althusius findet sich dieses Zitat so häufig, dass ihm Corrado Malandrino eine eigene Studie gewidmet hat.8
4 Gegenstand des gesamten I. Buches von Danaeus’ „Politica Christiana“ ist die Respublica seu Politía, von der sich der Name der politischen Wissenschaft selbst herleitet. Zur Übernahme dieser Begriffe durch Althusius vgl. Cornel Zwierlein, „Respublica – regnum – politeia“, in: Corrado Malandrino/Dieter Wyduckel (Hg.), Politisch-rechtliches Lexikon der „Politica“ des Johannes Althusius. Die Kunst der heilig-unverbrüchlichen, gerechten, angemessenen und glücklichen symbiotischen Gemeinschaft, Berlin 2010, S. 305 – 321, hier S. 307. 5 Zur Idee der Respublica Christiana und zur Staatsvorstellung bei Calvin vgl. Jürgen Baur, Gott, Recht und weltliches Regiment im Werke Calvins, Bonn 1965, S. 234 – 246. 6 Respublica, d. h. Staat, politía oder políteuma sind laut Danaeus ein und dasselbe. Wir könnten sie auch als ordo bzw. civilis administratio bezeichnen, denn gemeint ist in jedem Fall die Gesamtheit der Regeln, die Ordnung und damit Verfassung einer bestimmten polis oder Gemeinschaft, welche nicht in einer Summe von Individuen, sondern in deren gemeinschaftlicher Organisation besteht, also ihrem gesellschaftlichen Zusammenleben unter einem einzigen Recht („Politices Christianae libri septem“ [Anm. 3], I, 3). Diese Ordnung kann in mancherlei Hinsicht von Gemeinschaft zu Gemeinschaft variieren, muß jedoch stets von Gerechtigkeit gekennzeichnet sein. Ist die Ordnung einer Gemeinschaft ungerecht, dann gibt es keine politeia, sondern deren Gegenteil, das Chaos: apoliteia (I, 1). Als einzige politeia (und folglich als einzige politische Wissenschaft) läßt Danaeus jene gelten, die „mit dem geschriebenen Wort Gottes übereinstimmt und von Seinen Gesetzen und Geboten geleitet wird“ (I, 2) – diese Auffassung zeigt sich besonders deutlich ausgeprägt in der „Respublica Christiana“. 7 Augustinus, De civitate Dei, IV, 4, mit einem Verweis auf Ciceros „De republica“ (III, 14, 24) und damit zugleich auf Platons Staat; der Passus wird wiederholt zitiert in Danaeus, Politices Christianae libri septem (Anm. 3), I, 2; I, 3; II, 1; III, 5. Bereits in den Vindiciae contra tyrannos, q. III, erscheint die Maxime häufig. 8 Corrado Malandrino, „Remota justitia, quid sunt regna, nisi magna latrocinia?“ („Politica“ XXXVIII, 9). Il „dispotismo“ nella definizione althusiana di tirannide, in: Artemio Enzo Baldini (Hg.), Tirannide e dispotismo nel dibattito politico tra Cinque e Seicento. Atti della IX Giornata Luigi Firpo, Torino 27 – 28 settembre 2002, im Druck. Zur Gerechtigkeitskonzeption bei Althusius vgl. Lucia Bianchin, „Justitia“, in: Malandrino/Wyduckel (Hg.), Politischrechtliches Lexikon (Anm. 4), S. 233 – 244.
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Althusius’ Abhängigkeit von Danaeus manifestiert sich darüber hinaus in der Verwendung des Terminus consociatio, in der inneren Gliederung des Staates,9 in der Lehre von der Zensur10 und weiteren Fragen. Dazu zählt der intensive und spezifische Gebrauch von exempla: ein methodologisches Problem von derartiger Bedeutung, dass es sowohl bei Danaeus als auch später bei Althusius sogar explizit im Titel der jeweiligen Hauptwerke erscheint.11 Danaeus eröffnet die „Politica Christiana“ mit einer Vorrede „Ad lectorem benevolum“, in der er sein Vorhaben in groben Zügen umreißt. Aus der Tradition schöpfen und den Zeitgenossen vermitteln – tradere – soll dieses Werk die „generalia Reipublicae bene gerendae praecepta“, also die Grundsätze einer guten Staatsführung, als Gegenentwurf zu dem frevelhaften Beispiel der machiavellistischen Autoren.12 Zu diesem Zweck bedarf es einer guten Kenntnis der Historie und der Heiligen Schrift. Aber Danaeus macht sofort auf eine Gefahr aufmerksam: Da sich in der Geschichte alles Mögliche finden lässt und da letztlich auch die besten Historiker meist nur von den Schicksalen und Institutionen eines einzigen Volkes berichten (also vom Besonderen und nicht vom Allgemeinen sprechen), ist das Wissen darüber unabdingbar, wie die Geschichte zu lesen sei. Danaeus’ Ausführungen über das rechte Verständnis der Geschichte (die er mit den Worten Ciceros bezeichnet als „Zeugin der Zeiten, Licht der Wahrheit und Lehrmeisterin des Lebens“)13 gipfeln im Zitat einiger Passagen aus Calvins Genesis- und Römerbriefkommentaren, in denen der Reformator der Geschichte zwar durchaus hohen erzieherischen Wert zuerkennt, zugleich jedoch streng dazu ermahnt, „die Geschichte aller Zeiten in einer der Heiligen Schrift gemäßen Weise
9 Herausgearbeitet hat dies mit genauen Textnachweisen Cornel Zwierlein, „Consociatio“, in: Malandrino/Wyduckel (Hg.), Politisch-rechtliches Lexikon (Anm. 4), S. 175 – 200, hier S. 179. Zur Konstruktion der größeren politischen Gemeinschaft über verschiedene Stufen kleinerer Vereinigungen in der politischen Theorie des Althusius vgl. Thomas O. Hüglin, Sozietaler Föderalismus. Die politische Theorie des Johannes Althusius, Berlin 1991, und ders., Early modern concepts for a late modern world: Althusius on community and federalism, Waterloo, Ont. 1999; hierzu siehe noch die Sammelbände Giuseppe Duso/Werner Krawietz/Dieter Wyduckel (Hg.), Konsens und Konsoziation in der politischen Theorie des frühen Föderalismus, Berlin 1997, und Peter Blickle/Thomas O. Hüglin/Dieter Wyduckel (Hg.), Subsidiarität als rechtliches und politisches Ordnungsprinzip in Kirche, Staat und Gesellschaft. Genese, Geltungsgrundlagen und Perspektiven an der Schwelle des dritten Jahrtausends, Berlin 2002. 10 Vgl. Lucia Bianchin, Dove non arriva la legge. Dottrine della censura nella prima età moderna, Bologna 2005, S. 243 – 292; dies., „Censura“, in: Malandrino/Wyduckel (Hg.), Politisch-rechtliches Lexikon (Anm. 4), S. 123 – 134, sowie dies., Zensur und Reformierte Jurisprudenz in der Frühen Neuzeit, in: Christoph Strohm/Heinrich de Wall (Hg.), Konfessionalität und Jurisprudenz in der frühen Neuzeit, Berlin 2009, S. 263 – 283. 11 Siehe hierzu Anna Maria Lazzarino del Grosso, „Methodus“ („Methodice“), in: Malandrino/Wyduckel (Hg.), Politisch-rechtliches Lexikon (Anm. 4), S. 157 – 280. 12 Lambertus Danaeus, Ad lectorem benevolum, in: ders., Politices Christianae libri septem (Anm. 3), S. II. 13 Ebd., S. XII; das Zitat aus Cicero, „De oratore“, II, findet sich auch bei Johannes Althusius, Politica methodice digesta, Herborn 1614, Reprint Aalen 1961, XXI, 13.
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zu lesen“.14 Das universale Modell der Heiligen Schrift ist also die Linse, durch die jedes besondere Modell betrachtet werden muss, auch im politischen Diskurs. Calvins Mahnung veranlasst Danaeus, jedem der sieben Bücher seiner „Politica Christiana“ zwei Beispielreihen beizugeben – die erste mit biblischen, die zweite mit historischen exempla. Und sehr wahrscheinlich bildet Danaeus wiederum das Vorbild, das Althusius dazu bringen wird, eine „Politica … exemplis sacris et profanis illustrata“, wie der vollständige Titel lautet, zu konzipieren: eine politische Theorie, erläutert und beglaubigt durch eine Vielzahl von Beispielen, teils aus der Heiligen Schrift, teils aus der Geschichte.15 Calvin thematisiert das Problem der Gesetze bekanntlich im Schlusskapitel der „Institutio Christianae Religionis“ (Buch IV, Kap. 20), das sich mit dem „bürgerlichen Regiment“ beschäftigt. Hier zeichnet er die Grundlinien einer Argumentation vor, die dann von Danaeus und Althusius übernommen, aber in interessanter Weise weiterentwickelt wird. Zunächst definiert Calvin die Obrigkeit durch ihre Funktion als „Schützer und Wächter der Gesetze“.16 Unter Berufung auf einige paradigmatische Schriftstellen („Sprüche“ 8,14 – 16; „Römerbrief“ 13,5; „Psalm“ 82) erklärt er dann sofort emphatisch, dass all jene, die ein obrigkeitliches Amt tragen, Auftrag und Autorität von Gott erhalten haben, um ihm in ihrem Amt zu dienen und in seinem Namen Gerechtigkeit auszuüben.17 Regierung und Ausübung der Gerechtigkeit durch den Magistrat erfolgen notwendig vermittels der Gesetze: die Untertanen haben diesen gegenüber deswegen dieselbe Pflicht zum Gehorsam wie gegenüber dem Magistrat.18 Die Gesetze sind „die kräftigsten Sehnen“ oder „die Seele“ des Gemeinwesens, erläutert Calvin unter Berufung auf Platon und Cicero. Ohne die Gesetze kann „die Obrigkeit nicht bestehen […], wie die Gesetze auf der anderen Seite auch selbst ohne die Obrigkeit keine Kraft haben“. Deswegen „konnte nichts mehr der Wahrheit entsprechen, als wenn man gesagt hat, das Gesetz sei eine stumme Obrigkeit und die Obrigkeit ein lebendiges Gesetz“.19 (Danaeus wie Althusius werden diese zentralen Formulierungen aufgreifen.)
14 Danaeus, Ad lectorem benevolum (Anm. 12), S. XIII, mit Verweis auf Calvins „Kommentar zu Genesis“ 18, 18 – 19. 15 Zur Rolle der Bibelzitate bei Althusius vgl. Heinrich Janssen, Die Bibel als Grundlage der politischen Theorie des Johannes Althusius, Frankfurt a.M. 1992, und Lucia Bianchin, Politica e Scrittura in Althusius. Il diritto regale nell’interpretazione di I Sam. 8, 11 – 18 e Deut. 17, 14 – 20, in: Lea Campos Boralevi/Diego Quaglioni (Hg.), Politeia biblica, Florenz 2003 (Il pensiero politico, 35, 2002), S. 411 – 432. 16 Vgl. Jean Calvin, Unterricht in der christlichen Religion – Institutio Christianae religionis. Nach der letzten Ausg. übers. und bearb. von Otto Weber, Neukirchen/Vluyn 1997 (6. Aufl. der einbd. Ausg., Reprint von 1955), IV, 20, § 3, S. 1034 – 1035. 17 Vgl. ebd., IV, 20, § 4, S. 1035 – 1036. 18 Vgl. ebd., IV, 20, § 9, S. 1039 – 1041. 19 Ebd., IV, 20, § 14, S. 1044 – 1045. Diese Metapher wird aufgegriffen von Althusius, Politica (Anm. 13), XXI, 16.
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Die Aussagen zu Wesen und Gegenstand des Gesetzes bleiben noch etwas unbestimmt. Dazu trägt auch der oft undifferenzierte Gebrauch der Termini ius und lex bei, auf den schon Jürgen Baur aufmerksam gemacht hat.20 Ein Großteil der Fragen wird von dem Genfer Reformator „gebündelt“ und eilig gelöst, indem er dem Magistrat die Aufgabe zuweist, jedes Gesetz zu erlassen, das nötig ist, um die Ehre Gottes zu schützen und für das Wohl der Menschen zu sorgen: Dies sind die beiden fundamentalen Lehren des moralischen Gesetzes, der „wahren und ewigen Regel der Gerechtigkeit“, die „dem ewigen und unwandelbaren Willen Gottes“ entspricht und vorschreibt, ihn mit ernsthafter Frömmigkeit (pietas) zu ehren und den Mitmenschen gegenüber christliche Nächstenliebe zu üben. Zum moralischen Gesetz, seinem Gehalt und seinen Funktionen äußert sich Calvin häufig, insbesondere im 7. Kapitel des II. Buchs der „Institutio“, wo er zahlreiche Ideen Melanchthons und Bucers aufgreift.21 Für Calvin liegt hier der Kern des gesamten Problemkomplexes, da letztlich alles um das Gesetz Gottes kreist, das vor allem im Dekalog offenbart ist, der einzigen wahren Regel der Gerechtigkeit, der einzigen Norm, der wirklich der Name „Gesetz“ zukommt.22 Bei der Frage der bürgerlichen Gesetze wählt Calvin dagegen nur wenige Aspekte für eine eingehende Untersuchung aus.23 Im Kapitel über das weltliche Regiment kündigt er als zweites von drei zu behandelnden Themen die Gesetzgebung an, insbesondere die Gesetze, die die Regierung eines christlichen Staates leiten sollen. Tatsächlich behandelt er an der entsprechenden Stelle dann aber vor allem einen Hauptaspekt, die Frage nämlich, wie die irrige und gefährliche These zu widerlegen sei, dass ein Staat sich nur mit den mosaischen Gesetzen gerecht und fromm regieren lasse.24 Calvin konzen20 Baur, Gott, Recht (Anm. 5), S. 25 – 30. Diese unterschiedslose Verwendung der Termini „ius“ und „lex“ findet eine Fortsetzung bei Althusius, wie kritisch herausgearbeitet wird von Demetrio Neri, in: Johannes Althusius, Politica, Demetrio Neri (Hg.), Neapel 1980, S. 7, Anm. 2. 21 Calvin, Unterricht in der christlichen Religion (Anm. 16), II, 7, §§ 6 – 12, S. 209 – 213. Das moralische Gesetz verfolgt im wesentlichen drei Ziele: Es beweist die göttliche Gerechtigkeit und bringt dadurch jedem Menschen seine eigene Ungerechtigkeit zum Bewusstsein; es schreibt Sanktionen vor, um die Bosheit derer zu zügeln, die das Gute allein unter Zwang tun; es legt im Einzelfall fest, welches Verhalten konkret dem „mit Gottes Finger“ ins menschliche Herz eingeschriebenen Gesetz entspricht. 22 Vgl. Baur, Gott, Recht (Anm. 5), S. 34 – 68. 23 Das Problem des positiven Rechts bei Calvin untersucht – unter Einbeziehung auch der anderen Schriften des Reformators (besonders der „Sermons sur l’Harmonie évangélique“) – Josef Bohatec, Calvin und das Recht, Freudingen 1934, Reprint Aalen 1971, S. 97 – 129. Bei den menschlichen Gesetzen unterscheidet Calvin zwischen einem inneren Zweck – das Gesetz soll ein Führer für den Menschen sein und ihm dabei helfen, Fehler zu vermeiden – und einem äußeren Zweck, der in der Bewahrung der bürgerlichen Ordnung besteht. Vorrangiges Kriterium für die Auslegung der Gesetze muss nach Calvin die Achtung vor der Intention des Gesetzgebers sein, allerdings unter der Voraussetzung, dass diese sich am Prinzip der Billigkeit orientiert. 24 Zur mosaischen Gesetzgebung und der „Verfassung“ des alten Israel als Modell für das politische Denken der europäischen Frühmoderne vgl. Lea Campos Boralevi, Per una storia della „Respublica Hebraeorum“ come modello politico, in: Vittor Ivo Comparato/Eluggero Pii
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triert sich hier vor allem auf dieses Problem und folgt dabei weitgehend dem Ansatz von Thomas von Aquins „Traktat über das Gesetz“ („Summa Theologiae“, Ia - IIae, qq. 90 – 108). Die mosaischen Zeremonial- und Judizialgesetze – so lässt sich Calvins Urteil zusammenfassen – waren zwar ursprünglich dem ewigen und unwandelbaren Willen Gottes angemessen, der im immer und überall gültigen moralischen Gesetz seinen Ausdruck findet, aber sie sind von ihm unterschieden und haben nicht teil an seinem universalen Wert. Sie waren Moses nämlich in Hinblick auf die damalige historische und räumliche Situation als Gesetze für das jüdische Volk übergeben worden. Dies ist also kein Einwand gegen, sondern vielmehr eine Unterstützung für die These, dass für andere Völker und unter anderen Umständen (insbesondere nach der Ankunft Christi und der Verkündigung des Evangeliums) andere bürgerliche Gesetze das moralische Gesetz besser verwirklichen können.25 Auch Danaeus und Althusius werden diesem Problem breiten Raum widmen. In ihren Werken erfährt die Frage dennoch eine präzisere Ausformung. Dies zeichnet sich bereits in Danaeus’ „Politica Christiana“ ab (Liber V, Kapitel 2), in der spezifisch die Frage untersucht wird, wieweit für Christen in der Gegenwart noch die mosaischen Gesetze verbindlich sind. Danaeus bekräftigt zunächst die absolute Verbindlichkeit der mosaischen Moralgesetze (insbesondere des Dekalogs), um dann die Unterscheidung zwischen mosaischen Zeremonialgesetzen einerseits und Judizial- oder politischen Gesetzen andererseits zu radikalisieren. Während er auf der einen Seite die Abneigung gegen die jüdischen Zeremonialgesetze betont (gestützt durch ein langes Zitat aus Thomas von Aquin, der in diesem Punkt wesentlich drastischer formuliert als Calvin)26, insistiert er auf der anderen Seite auf der Gültigkeit
(Hg.), Dalle „repubbliche“ elzeviriane alle ideologie del ’900, Florenz 1997, S. 17 – 33; dies., Classical Foundational Myths of Republicanism: The Jewish Commonwealth, in: Martin Van Gelderen/Quentin Skinner (Hg.), Republicanism, Cambridge 2002, I, S. 247 – 261, und dies., Mosè legislatore, in: Magistrature repubblicane: modelli nella storia del pensiero politico. Atti del convegno Perugia-Gubbio, 30 novembre-2 dicembre 2006 (Il pensiero politico, 40, 2007), S. 268 – 282, besonders S. 280 über die Anziehungskraft, die die politeia biblica im 16. und 17. Jahrhundert auf die calvinistische Welt ausübte. 25 Calvin, Unterricht in der christlichen Religion (Anm. 16), IV, 20, §§ 14 – 16, S. 1044 – 1047. Diese Argumentation wird aufgegriffen im „Commentarius in epistolam ad Hebraeos“ und verschiedenen „Predigten“. Vgl. Baur, Gott, Recht (Anm. 5), S. 36 – 39 und S. 66. 26 Thomas von Aquin, SummaTheologiae, Ia-IIae, q. 104, a. 4: „Die Rechtssatzungen verpflichteten nicht für immer, sondern erloschen mit der Ankunft Christi, in anderer Weise freilich als die Kultvorschriften. Denn die Kultvorschriften erloschen so sehr, daß sie nicht nur tot sind, sondern auch todbringend für jene, die sie nach Christus, vor allem nach Ausbreitung des Evangeliums, weiter beobachten. Die Rechtssatzungen dagegen sind zwar tot, weil sie keine verpflichtende Kraft mehr haben, sie sind aber nicht todbringend. Denn wenn ein Herrscher anordnet, in seinem Reiche sollten die Rechtssatzungen befolgt werden, würde er nicht sündigen: es sei denn, sie würden so beobachtet oder als zu beobachtende befohlen, als hätten sie aus der Einsetzung des Alten Gesetzes verpflichtende Gewalt. Eine solche Absicht, sie zu beobachten, brächte den Tod“ (vgl. Thomas von Aquin, Vollständige, ungekürzte deutsch-lateinische Ausgabe der Summa theologica. Übersetzt und kommentiert von Dominikanern und Benediktinern Deutschlands und Österreichs, hg. von der Philosophisch-Theo-
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der mosaischen Judizialgesetze und des Modells der politía Iudaica, wie es im Pentateuch beschrieben ist.27 Doch „seit es das Evangelium gibt“, so führt Danaeus in Anknüpfung an die von ihm frei interpretierten Thesen Calvins aus, „ist kein Staat mehr verpflichtet, streng die politischen Gesetze Moses’ zu befolgen: Dennoch müssen sich die Staaten, soweit es ihre unterschiedliche ratio et conditio erlaubt, an der Billigkeit und Menschlichkeit ausrichten, die in diesen Gesetzen allen Völkern leuchtet, wenn sie sich als billig und verantwortungsvoll und nicht als wild und zügellos erweisen wollen“.28 Althusius greift diese Themen in seiner „Politica methodice digesta“ mehrfach auf, und er orientiert sich auch dabei an der Argumentation von Danaeus’ „Politica Christiana“.29 Dennoch wird das Paradigma der Politia Judaeorum bei ihm mit einer noch stärkeren Bedeutung aufgeladen, denn in der „Praefatio“ seines Werks erscheint sie als das ideale gesellschaftlich-politische Modell schlechthin.30 In dem von Calvin abgesteckten, für neue Lösungen und Fortentwicklungen noch offenen Rahmen fügen sich also Danaeus und nach ihm Althusius ein, indem sie das Augenmerk auf theologische und theoretische Fragen mit bedeutsamen politischen Implikationen richten. Insbesondere Danaeus versucht die Diskussion über die Gesetze genau an der Stelle wieder aufzunehmen, wo sie mit Calvin stehengeblieben war. Das gesamte V. Buch der „Politica Christiana“ beschäftigt sich mit dem Problem der Gesetze in einer „Respublica Christiana et pia“. Danaeus geht die Frage entschlossen an, indem er für den Theologen (und damit auch für sich) die volle Kompetenz für die Behandlung dieses meist der Zuständigkeit der Juristen zugeschlagenen Gegenstandes beansprucht. Er begründet diesen Anspruch mit einem ganz funlogischen Hochschule Walberberg bei Köln, 13: Das Gesetz (I-II, qq. 90 – 105), kommentiert von Otto Hermann Pesch, Heidelberg/Graz/Wien/Köln 1977, S. 411 – 412). 27 Strohm, Ethik (Anm. 2), S. 70 – 75, erklärt diese Haltung des Humanisten Danaeus, die sich auch in den „Ethices libri“ deutlich zeigt, mit der Vorstellung einer „alttestamentliche[n] Weisheit als Vermittlerin zwischen heidnisch-antiker und christlicher Ethik“. Vgl. auch ebd., S. 262 – 272. 28 Danaeus, Politices Christianae libri septem (Anm. 3), V, 2, S. 338 (meine Übersetzung), mit Verweis auf Calvin, Institutio, IV, 20, § 15 (vgl. Calvin, Unterricht in der christlichen Religion [Anm. 16], S. 1045 – 1046). 29 Vgl. Althusius, Politica (Anm. 13), XXI, 29 und 34 – 41, sowie das gesamte Kap. XXII, wo zur Frage der mosaischen politischen Gesetze explizit auf Calvin, Institutio, IV, 20, 15 – 16 (vgl. Calvin, Unterricht in der christlichen Religion [Anm. 16], S. 1045 – 1047), und Danaeus, Politices Christianae libri septem (Anm. 3), V, 2, zudem auf Thomas, Bucer, Melanchthon und andere verwiesen wird. Siehe hierzu Strohm, Calvinismus und Recht. Weltanschaulich-konfessionelle Aspekte im Werk reformierter Juristen in der Frühen Neuzeit, Tübingen 2008, S. 221 – 224. 30 Siehe hierzu Lea Campos Boralevi, „Politía Judaica“, in: Malandrino/Wyduckel (Hg.), Politisch-rechtliches Lexikon (Anm. 4), S. 253 – 263: pp. 281 – 291. Unter umfassenderer Perspektive vgl. ders., La „Respublica Hebraeorum“ nella tradizione olandese, in: Boralevi/ Quaglioni (Hg.), Politeia biblica (Anm. 5), S. 431 – 463, und Diego Quaglioni, Judaism and Religious Toleration in Althusius, in: Strohm/de Wall (Hg.), Konfessionalität (Anm. 10), S. 229 – 238.
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damentalen Argument: Das Gesetz – auch das bürgerliche oder politische Gesetz – ist Teil des göttlichen Worts. Dessen Auslegung aber ist Sache des Theologen. Zwar sind die menschlichen Gesetze von Volk zu Volk verschieden, und oft finden wir Gesetze mit ungerechtem, ja unsinnigem Inhalt. Doch hier muss laut Danaeus unterschieden werden, und seine Unterscheidung erfolgt über die Definition des Gesetzesbegriffs: Was wir „Gesetz“ nennen können und müssen – so präzisiert der calvinistische Theologe unter Berufung auf Laktanz und Thomas von Aquin, aber auch auf Platon und die juristische Tradition –, sind nicht die Gesetze der Fürsten selbst, deren Gehalt häufig nicht von Billigkeit bestimmt ist. Das wahre Gesetz ist vielmehr einzig „der öffentliche Befehl des Volks oder des Fürsten“, der zusammenfällt mit „der Vernunft oder dem von der Natur, also von Gott in unser Gewissen eingepflanzte Licht“ und der uns befiehlt, das Fromme und Gerechte zu tun und das Gegenteil zu meiden. Dieses Gesetz aber ist für jede Zeit und jedes Volk ein und dasselbe, und seine Lehrer oder Ausleger sind nirgendwo anders zu suchen als in Gott und der Heiligen Schrift.31 Interessant ist hier die Einführung eines Elements, das von Althusius weiter entwickelt werden wird. Danaeus übernimmt es ebenfalls von Thomas von Aquin, insbesondere jenem Passus der „Summa Theologiae“, in dem die Frage untersucht wird, ob der Verstand irgendeines gewöhnlichen Menschen ein Gesetz aufzustellen vermag. Thomas antwortet darauf – und Danaeus wird sich seine Antwort zu Eigen machen –, dass das Gesetz das Gemeinwohl berücksichtigen muss: die Gesetze festzulegen ist deswegen Sache der Gesamtheit oder derjenigen öffentlichen Person, die für die Gesamtheit Sorge trägt.32 Die Idee des Gesetzes als „Werkzeugs des Fürsten“ verblasst zu der eines „öffentlichen Befehls“, der nicht notwendigerweise von oben ergeht, sondern ebenso Ausdruck der Gemeinschaft sein kann (nach dem Vorbild der Römischen Republik). Und so präzisiert Danaeus im Folgenden, dass der soeben zitierten Definition, die das Gesetz aus der Perspektive des Gesetzgebers betrachtet, in 31 Danaeus, Politices Christianae libri septem (Anm. 3), V, 1, S. 326 – 327: „Est […] ea demum publica iussio Lex, quae est recta ratio imperandi, atque prohibendi. Porro recta ratio, est illa lux, quae nostris conscientiis a natura, id est, a Deo insita, iubet ea quae facienda sunt, prohibetque contraria. Haec non alia est Romae, alia Athenis, alia nunc, alia post hac: sed omni genti, et omni tempore una lex et sempiterna, cuius non est alius quaerendus explanator, Magister, aut interpres, quam Deus ipse, ex verbo ipsius scripto. […] Denique Lex, est ea publica Populi, vel Principis iussio, quae tum vere pia in Deum, tum etiam vere iusta in proximum praecipit, vetat autem contraria“. Kurz darauf findet sich unter den zahlreichen Bezugnahmen auf die philosophische, theologische und juristische Tradition ein Zitat aus Thomas von Aquin, Summa Theologiae, Ia-IIae, q. 104, a. 4, wo das Gesetz als „eine gewisse Kunst, das menschliche Leben einzurichten oder zu ordnen“, bezeichnet wird (vgl. Thomas von Aquin, Vollständige, ungekürzte deutsch-lateinische Ausgabe der Summa theologica, 13 [Anm. 25], S. 415). 32 Thomas von Aquin, Summa Theologiae, Ia-IIae, q. 90, a. 3: „Das Gesetz betrifft eigentlich in erster Linie und hauptsächlich die Hinordnung auf das Gemeingut. Etwas auf das Gemeingut hinzuordnen ist aber Sache entweder aller oder dessen, der die Stelle aller vertritt. Deswegen steht die Gesetzgebung entweder allen zusammen zu oder der Amtsperson, welcher die Sorge für alle obliegt. Denn auch sonst überall ist auf das Ziel hinordnen Sache dessen, dem das Ziel sein eigenes Ziel ist“. (vgl. Thomas von Aquin, Vollständige, ungekürzte deutschlateinische Ausgabe der Summa theologica, 13 [Anm. 26], S. 12).
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Wirklichkeit eine zweite zur Seite gestellt werden müsste, die es aus der Perspektive der Bürger betrachtet. Seine neue Definition des „Gesetzes“, die sich eng an Papinians Formulierung in den „Digesten“ anlehnt (D. 1, 3, 1),33 lautet: „Das Gesetz ist die wechselseitige Verpflichtung und zugleich der öffentliche Befehl des Staates oder der Stadt, dem alle gehorchen sollen“.34 Ausgehend von dieser Bestimmung, wendet sich Danaeus einem anderen großen Thema zu, das Calvin am Schluss der „Institutio“ behandelt hatte: Dem Gehorsam gegen die Gesetze. Von Calvin über Danaeus bis zu Althusius verschiebt sich bei diesem Problem jedoch Schritt für Schritt die Achse der Fragestellung und kehrt sich schließlich geradezu um. Ging es ursprünglich um das Problem des Gehorsams der Untertanen gegen die Gesetze des Magistrats (Calvin hatte energisch auf einen solchen Gehorsam bestanden, wenn diese Forderung auch gemildert wurde durch mögliche Formen des „Widerstands“), so handelt es sich nun, bei Althusius, um die diametral entgegengesetzte Frage: Nämlich um die Achtung der Gesetze durch den obersten Magistrat. Auch bei dieser Etappe der Diskussion bildet Danaeus ein wichtiges Mittelglied, indem er durch die Klärung einiger Vorfragen auf theologischer Ebene in gewissem Maß den Weg für Althusius vorbereitet. Das gesamte Kapitel II des V. Buchs der „Politica Christiana“ dient der Erkundung der Grenzen, innerhalb derer fromme Christen den politischen Gesetzen gehorchen müssen.35 Danaeus beschäftigt sich dabei natürlich vor allem mit dem Problem, in welcher Weise Widerstand gegen unbillige Gesetze erlaubt ist (alles in allem mit wenigen Neuerungen gegenüber Calvin). Der calvinistische Theologe begründet sein Insistieren auf diesem Gesichtspunkt allerdings in interessanter Weise mit dem Verweis auf eine Passage der „Institutio“ (Buch IV, Kap. 10, § 5). Calvin hatte dort, wie Danaeus stolz hervorhebt, als erster von allen (genannt werden Chrysostomus, Augustinus, Thomas von Aquin und das „Decretum Gratiani“) die einzig richtige Deutung für die in dieser Frage entscheidenden Bibelstelle gefunden: Es handelt sich um jenen Passus im „Römerbrief“, in dem es heißt, dass es notwendig ist, sich der Obrigkeit „unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen“ (Röm. 13, 5).
33 D. 1, 3, 1: „Lex est commune praeceptum, virorum prudentium consultum, delictorum quae sponte vel ignorantia contrahuntur coercitio, communis rei publicae sponsio“. Dies ist Chrysipps Definition des „Gesetzes”, die über Marcianus Eingang in die Digesten fand. 34 Danaeus, Politices Christianae libri septem (Anm. 3), V, 1, S. 328: „Lex est communis sponsio ac publicum decretum Reipublicae seu civitatis, cui omnes parere oportet“. Auf diese Gesetzeskonzeption stützt sich Danaeus auch in den „Ethices libri“: vgl. Strohm, Ethik (Anm. 2), S. 237, Anm. 201, der auf die stoische Prägung dieser Auffassung hinweist. Das „Corpus iuris civilis“ ist, nach der Bibel, die von Danaeus bei weitem am häufigsten zitierte Quelle. 35 Danaeus, Politices Christianae libri septem (Anm. 3), V, 2 („Quatenus Politicis, seu humanis legibus parere pii Christianique homines debeant: Imo etiam ipsis legibus Mosis Politicis“), S. 329 – 339. Vgl. Mario D’Addio, Il tirannicidio, in: Luigi Firpo (Hg.), Storia delle idee politiche, economiche e sociali, III, Turin 1987, S. 587 – 601, hier S. pp. 577 – 578.
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Calvin habe bei seiner Analyse der gesetzgebenden Gewalt der Kirche ausgezeichnet dargelegt – so resümiert Danaeus –, dass die Pflicht zum Gehorsam „um des Gewissens willen“ (propter conscientiam) von Paulus auf das Amt des Magistrats und die Gesetzgebung allgemein bezogen werde, nicht auf die einzelnen Gesetze, die zwar allesamt (gerechte wie ungerechte) den Körper binden, aber niemals das Gewissen. Gehorsam schulden wir nämlich zunächst und vor allem Gott, nicht den Menschen, und einzig die Gebote Gottes binden unsere Gewissen, nicht die Befehle der Menschen.36 Daraus ergibt sich für einen guten Christen die Notwendigkeit, unbilligen Gesetzen den Gehorsam zu verweigern – daraufhin jedoch entweder den betreffenden Staat zu verlassen oder sich gleichmütig den für die Gesetzesübertretung vorgesehenen Strafen zu unterwerfen.37 Im Hintergrund von Althusius’ Argumentation steht dieselbe theologische Konstruktion, was an zahlreichen Stellen deutlich wird.38 Althusius konzentriert sich jedoch vor allem auf die politische Rolle des Gesetzes. Das Gesetz ist letztlich eines, auch wenn es sich in verschiedenen Normenkategorien niederschlägt (Gesetze Gottes, Gesetze der Natur, positive Gesetze), die aber in jedem Fall miteinander verflochten sind: Aus einer umfassenden und einheitlichen Auffassung heraus erweist sich das Gesetz nämlich als die Norm des frommen und gerechten Lebens in der Gemeinschaft.39 Ausgehend von einem Passus aus Senecas „De clementia“40 (einem Werk, 36 Ebd., S. 333. Für Calvin gilt: „Dieu SEUL est législateur capable de lier les consciences“ – so die bündige Zusammenfassung von Patrick Le Gal, Le droit canonique dans la pensée dialectique de Jean Calvin, Fribourg 1984, S. 144. Daß ein offenkundig frevelhaftes und ungerechtes Gesetz für das Gewissen nicht bindend sei, hatte bereits Thomas betont (Summa Theologiae, Ia-IIae, q. 96, a. 4) sowie vor ihm Augustinus, Ad Bonifacium, epist. L – dieser Passus wird aufgegriffen auch in der palea „imperatores“ des „Decretum Gratiani“ (c. 1, D. IX). Bei all diesen Fragen macht Danaeus in Wirklichkeit noch sehr weitgehend vom kanonischen Recht Gebrauch. Hierzu vgl. Strohm, Ethik (Anm. 2), S. 252 – 262. Zur Auswirkung der Reformation auf die juristische Tradition des Abendlandes und das Schicksal des kanonischen Rechts vgl. die grundlegende Studie von Harold J. Berman, Law and Revolution, II. The Impact of the Protestant Reformations on the Western Legal Tradition, Cambridge, Mass./London, 2003; vgl. jetzt auch Diego Quaglioni, Prefazione, in der italienischen Übersetzung: Diritto e rivoluzione, 2. L’impatto delle riforme protestanti sulla tradizione giuridica occidentale, Diego Quaglioni (Hg.), Bologna 2010, pp. 3 – 54. 37 Danaeus, Politices Christianae libri septem (Anm. 3), V, 2, S. 331 – 332. Dies ist eine der Konsequenzen von Danaeus’ Unterscheidung zwischen „gutem Bürger“ und „gutem Christen“: Der gute Bürger gehorcht den Gesetzen zunächst deswegen, weil sie vom Magistrat erlassen worden sind, und dann auch deswegen, weil sie mit dem Wort Gottes übereinstimmen; für den guten Christen besteht dagegen die umgekehrte Priorität (vgl. Strohm, Ethik [Anm. 2], S. 175). Bereits Calvin hatte klargestellt, dass ein Gesetz, das die Billigkeit verletzt, zwar für das Gewissen nicht bindend ist, dieser Umstand jedoch nicht zur Missachtung der betreffenden Rechtsordnung berechtigt. Vgl. Baur, Gott, Recht (Anm. 5), S. 67 – 68. 38 Die Beziehung zwischen Theologie, Recht und Politik bei Althusius untersuchen unter verschiedenen Aspekten mehrere Beiträge in den Sammelbänden Frederick S. Carney/Heinz Schilling/Dieter Wyduckel (Hg.), Jurisprudenz, Politische Theorie und Politische Theologie, Berlin 2004, sowie Strohm/de Wall (Hg.), Konfessionalität (Anm. 10), auf die ich hier nachdrücklich verweise. 39 Althusius, Politica (Anm. 13), XXI, 18.
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das bereits für Calvin große Bedeutung besaß und Gegenstand seiner jugendlichen Studien war),41 fasst Althusius im Kapitel X, § 4 seiner „Politica“ prägnant die Hauptfunktionen des Gesetzes zusammen.42 Das Gesetz ist in erster Linie „das Band, das das Gemeinwesen zusammenhält, der Lebensgeist, den eine Bürgergemeinde atmet“,43 also das jus symbioticum (oder die lex consociationis et symbiosis), das Althusius am Anfang seines Werks beschwört.44 Das Gesetz ist zudem „Leuchte des bürgerschaftlichen Lebens“, weil es den Weg weist zu einem frommen und gerechten Verhalten; es ist „Waage der Gerechtigkeit“, die zwischen Gut und Böse unterscheidet; es ist „Bollwerk der Ordnung und des öffentlichen Friedens“ und als solches notwendig zur Bewahrung des geordneten politischen Lebens und des Staates selbst; es ist schließlich „Hüter der Freiheit“, „Hilfe der Schwachen und Zügel der Mächtigen“ und, vor allem, „Richtschnur und Lenker des Reichs“,45 da es dem Herrschenden die wesentlichen Bedingungen legitimer Machtausübung auferlegt. Schon hier findet sich die Gesamtsicht, die Synthese eines weitgespannten und umfassenden Programms, das Althusius im Fortgang der „Politica“ wesentlich differenzierter und im Kontext zahlreicher wichtiger Themen entwickeln wird, die er in verschiedenen Teilen des Werks behandelt. Muster jeglicher Art von Normen ist auch für Althusius das „moralische Gesetz“ oder „allgemeine Gesetz“, d. h. jener natürliche, von Gott jedem Menschen eingepflanzte Trieb, den wir Gewissen nennen und der dazu antreibt, das Gute zu tun und das Böse zu meiden.46 Es ist dasselbe Gesetz, ergänzt Althusius, das Cicero als „der Natur entstammende Vernunft“ bezeichnet, das „man als Gesetz zu bezeich40 Vgl. Seneca, De clementia, I, 4, 1: „Ille est enim vinculum, per quod res publica cohaeret, ille spiritus vitalis, quem haec tot milia trahunt nihil ipsa per se futura nisi onus et praeda, si mens illa imperii subtrahatur“ – Subjekt des Satzes ist bei Seneca freilich der Fürst, nicht das Gesetz. Althusius vollzieht hier einen kühnen Interpretationsschritt, der sich aber auf Calvins eigenen Kommentar zu diesem Werk Senecas stützen kann: vgl. die folgende Anm. 41 1532 verfasste Calvin einen Kommentar zu Senecas „De clementia“, in dem er sich mit dem Problem der Beziehung zwischen legitimer Macht und Recht auseinandersetzt. Dort heißt es: „Bene ergo quod principes legibus soluti, legibus tamen vivunt. Imo vero lex ipsa sunt“. Calvin fügt hinzu, dass es deswegen für den Fürsten eine größere Würde bedeute, die Gesetze zu achten, als die höchste Macht in Händen zu halten. Die Vorstellung der Herrscher, sie seien von jeglichem Gesetz entbunden, beruhe lediglich auf einer Täuschung. Vgl. Anm. 68 und Baur, Gott, Recht (Anm. 5), S. 118 – 120 und S. 174. 42 Althusius, Politica (Anm. 13), X, 4: „Haec Senec. lib. I de clement. dicitur vinculum, quo Resp. cohaeret, et spiritus vitalis, quem civitas trahit, nihil ipsa per se futura, nisi onus et praeda, si mens illa subtrahatur; lucerna vitae civilis, trutina justitiae, custos libertatis, disciplinae et pacis publicae munimentum, infirmorum auxilium, potentum fraenum, norma et directrix imperii“. 43 Johannes Althusius, Politik. Übersetzt von Heinrich Janssen. In Auswahl herausgegeben, überarbeitet und eingeleitet von Dieter Wyduckel, Berlin 2003, Kap. X, § 4, S. 125. 44 Vgl. Corrado Malandrino, „Symbiosis“ („Symbiotiké“, „Pactum“), in: Malandrino/ Wyduckel (Hg.), Politisch-rechtliches Lexikon (Anm. 4), S. 339 – 351. 45 Althusius, Politik (Anm. 43), Kap. X, § 4, S. 125. 46 Ebd., XXI, 18, 20 und ff.
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nen begann, noch bevor es niedergeschrieben wurde“ („De legibus“, II, 4).47 „Moralisches Gesetz“, „göttliches Gesetz“ und „natürliches Gesetz“ bilden also eine ununterschiedene Einheit, auch wenn Althusius in bestimmten Zusammenhängen den (in seinen Augen genaueren) Begriff „moralisches Gesetz des Dekalogs“ zu bevorzugen scheint.48 Die Substanz dieser Norm ist nämlich auch für Althusius der Dekalog, der von ihm in vielfältiger Weise abgewandelt und mit zahlreichen Zusätzen angereichert wird. Jedes Gebot umfasst zahlreiche Anwendungen und schließt verschiedene sich daraus ergebende Vorschriften ein, positive (die etwas zu tun gebieten) oder negative (die etwas verbieten).49 Indem er auf einem Weg weitergeht, den bereits Calvin eröffnet und Danaeus fortgesetzt hatte,50 kontextualisiert und entfaltet Althusius die verschiedenen Gebote,51 bis beinahe jeder Bereich des gemeinschaftlichen Lebens abgedeckt ist, selbst die vom ursprünglichen Zusammenhang entferntesten Gebiete. Voraussetzung dieser „Ausweitung“ des Dekalogs ist die Überzeugung, dass die Botschaft der Bibel eine vollständige Regulierung des Lebens verlangt. In diesem Sinn kann der gesamte Komplex der bürgerlichen und strafrechtlichen Normen dem Schema der zweiten Tafel des Dekalogs subsumiert und einverleibt werden, in der die bei den intersozialen Beziehungen zu beachtenden Grundsätze formuliert sind (auch wenn natürlich an diesem Punkt die Demarkationslinie zwischen Ethik und Recht verschwindet).52 So schließt beispielsweise das sechste Gebot zum Schutz des Lebens die Unterstützung des Nächsten durch die Freundschaft ein, ferner die Nächstenliebe, die Absicherung von Ernährung, Wohnung, Kleidung und allem 47 Althusius, Politik (Anm. 43), Kap. XXI, § 19, S. 226, und § 29, S. 228. Zu der bereits bei Calvin präsenten Vorstellung vom Gesetz als „recta ratio” vgl. Christoph Strohm, Konfessionelle Einflüsse auf das Werk reformierter Juristen – Fragestellungen, methodische Probleme, Hypothesen, in: Strohm/de Wall (Hg.), Konfessionalität (Anm. 10), S. 1 – 32, hier S. 24 und ff. Zur Naturrechtskonzeption bei Althusius nach wie vor grundlegend Ernst Reibstein, Johannes Althusius als Fortsetzer der Schule von Salamanca. Untersuchungen zur Ideengeschichte des Rechtsstaates und zur altprotestantischen Naturrechtslehre, Karlsruhe 1955. Unter neueren Arbeiten vgl. Hendrik J van Eikema Hommes, Naturrecht und positives Recht bei Johannes Althusius, in: Karl Wilhelm Dahm/Werner Krawietz/Dieter Wyduckel (Hg.), Politische Theorie des Johannes Althusius, Berlin 1988, S. 371 – 390; Merio Scattola, Johannes Althusius und das Naturrecht des 16. Jahrhunderts, in: Carney/Schilling/Wyduckel (Hg.), Jurisprudenz (Anm. 38), S. 371 – 396; Robert von Friedeburg, Bausteine der widerstandsrechtlicher Argumente in der frühen Neuzeit (1523 – 1668): Konfessionen, klassische Verfassungsvorbilder, Naturrecht, direkter Befehl Gottes, historische Rechte der Gemeinwesens, in: Strohm/de Wall (Hg.), Konfessionalität (Anm. 10), S. 115 – 166. 48 Althusius, Politica (Anm. 13), X, 8. Vgl. Althusius, Politik (Anm. 43), S. 126 – 127. Es gilt hier für Althusius, was Bohatec, Calvin und das Recht (Anm. 23), S. 7, zur Gesetzeskonzeption bei Calvin festgestellt hat: „Im Gewissen richtet also Gott sein Tribunal auf; im Gewissen begegnen sich Gott und die Natur. Darum bekommt der Satz, dass Gott das Gesetz in die Natur des Menschen hingelegt hat, eine bestimmte psychologische Klarheit, wenn das Gewissen als der Sinn bezeichnet wird, in dem sich die sittliche Erkenntnis entfaltet“. 49 Althusius, Politica (Anm. 13), XXI, 24. 50 Besonders eingehend in den „Ethices libri“: Vgl. Strohm, Ethik (Anm. 2), S. 281 – 292. 51 Althusius, Politica (Anm. 13), XXI, 26 und ff. 52 Strohm, Ethik (Anm. 2), S. 260, 266, 274 und 291.
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zum Unterhalt des anderen Nötigen.53 Und auf das achte Gebot (nicht den Besitz des anderen zu begehren) wird ein Großteil der Rechtsgrundsätze zum Eigentum und zum Handel zurückgeführt, angefangen beim Prinzip von Treu und Glauben, das – für Althusius – nicht nur Veruntreuung, Betrug und Vertragsverletzungen verurteilt, sondern „jedes Unrecht, das bei Verträgen begangen werden kann, durch aktives wie durch passives Handeln“54 (etwa auch durch den Müßiggang).55 Was die menschlichen Gesetze betrifft, so entwickelt Althusius im Kapitel X der „Politica“ sofort die Auffassung, dass das Erlassen eines Gesetzes alle Mitglieder einer Gemeinschaft ebenso bindet wie ein Vertrag.56 Das ist eine deutliche Reaktion auf jene neue, entgegengesetzte Gesetzeskonzeption, wie sie sich in der „République“ und der „Iuris universi distributio“ Bodins zeigt, der die Ansicht vertritt: „lex nihil aliud est quam summae potestatis iussum sive sanctio“57 – das Gesetz ist nichts anderes als der Befehl des Inhabers der souveränen Gewalt, verbunden mit einer Strafandrohung. Dieser Gesetzesbegriff findet sich auch an einer anderen sehr berühmten Stelle der „République“, wo Bodin behauptet: „Es zeigt sich also, dass das Wesen der souveränen Macht und absoluter Gewalt vor allem darin besteht, den Untertanen in ihrer Gesamtheit ohne ihre Zustimmung das Gesetz vorzuschrei-
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Althusius, Politica (Anm. 13), XXI, 27. Ebd. (meine Übersetzung); vgl. außerdem ebd., X, 6 und 7. 55 Gegen den Müßiggang, diesen Urheber zahlreicher weiterer Laster, schleudert Althusius in der „Politica“ wiederholt seinen Bannstrahl. Müßiggang ist mit allen Mitteln zu bekämpfen, einschließlich der Zwangsarbeit in „Zuchthäusern” nach dem Vorbild der damals in Amsterdam eingerichteten Anstalt. Vgl. Bianchin, Dove non arriva la legge (Anm. 10), S. 248 – 254. 56 Althusius, Politica (Anm. 13), X, 3: „Promulgatio juris hujus est, qua illud pro regula et norma omnium justarum actionum in symbiosi universali publice agnoscitur et recipitur. Ex hac promulgatione membra consociata non secus quam ex contractu obligantur, arg. l. I. de leg. ubi sponsio communis lex dicitur, quae sponsio alibi vocatur promissio. § Inst. de verb. obl. sicuti et conventio lex dicitur, l. contr. 23. de reg. jur.“. 57 Jean Bodin, Iuris universi distributio, Köln 1580, S. 11. Dieser Definition folgt die Präzisierung: Das Gesetz „est enim sancire et sciscere, iubere“. Umfassender entwickelt wird der Begriff in ders., Les six livres de la République. Avec l’Apologie de René Herpin, Paris 1583 (Reprint Aalen, Scientia, 19772), I, 8, S. 131: „Or il faut que ceux-là qui sont souverains, ne soyent aucunement subiects aux commandements d’autruy, et qu’ils puissent donner loy aux subiects, et casser ou aneantir les loix inutiles, pour en faire d’autres: ce que ne peut faire celuy qui est subiect aux loix, ou à ceux qui ont commandement sur luy. C’est pourquoy la loy dit, que le Prince est absous de la puissance des loix: et ce mot de loy emporte aussi en Latin le commandement de celuy qui a la souveraineté“; und ebd., I, X, S. 216: „le mot de loy sans dire autre chose, signifie le droit commandement de celuy ou ceux qui ont toute puissance par dessus les autres sans exception de personne: soit que le commandement touche tous les subiects en general, ou en particulier, hormis celuy ou ceux qui donnent la loy“. Allerdings muß einschränkend bemerkt werden, daß all dies nur für die Zivilgesetze volle Gültigkeit besitzt, nicht jedoch für die Sphäre der Strafgesetze, und daß bekanntermaßen auch für Bodin die Grenze der Gesetze Gottes und der Natur unverrückbar bestehen bleibt. Vgl. zu all diesen Fragen Diego Quaglioni, I limiti della sovranità. Il pensiero di Jean Bodin nella cultura politica e giuridica dell’età moderna, Padua 1992. 54
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ben“.58 Bodins Vorstellung vom Fürsten als „souveränem Gesetzgeber“ wird Althusius ein anderes politisches Modell gegenüberstellen, das im Summus Magistratus nur den Vollstrecker oder Verwalter der im Einverständnis der Gemeinschaft beschlossenen Gesetze sieht.59 Die neuen Gesetze müssen sich den Sitten und Gebräuchen, der Natur und dem hergebrachten Recht jedes Volkes anpassen, mit – soweit dies möglich ist – Rücksicht auf die alten Gesetze und Gewohnheiten.60 Aus diesem Grund ist es beim Gesetzgeben notwendig, bescheiden, vorsichtig und maßvoll zu sein, denn dadurch wird es möglich, ein Gleichgewicht zwischen gegensätzlichen Bedürfnissen herzustellen, häufige Wechsel in den Gesetzen zu vermeiden und auch den Willen derjenigen zu hören, die von jenen Gesetzen geleitet werden sollen. Das Hinzuziehen der Ordnungen und Stände des Reichs ist ein fundamentaler Abschnitt im Gang der Gesetzesbildung.61 Das Gesetz ist in der Tat nicht so sehr ein Befehl an das Volk, sondern vielmehr eine feierliche Verpflichtung aller, eine Vorschrift im Interesse der Gemeinschaft zu beachten.62 Die spezifische Aufgabe des obersten Magistrats ist also nicht das Aufstellen der Gesetze, die Ausfluss des gemeinschaftlichen Konsensus sind, sondern nur ihre Verkündung und gerechte Ausführung im Einzelfall. Es reicht nämlich nicht hin, dass in einer Stadt das Recht existiert, wenn es in ihr niemanden gibt, der die Gerechtigkeit ausüben kann.63 Das Gesetz, das nicht ausgeführt wird, ist wie eine Glocke ohne Klöppel, ist wie ein stummer oder toter Magistrat: Aus diesem Grund ist der Magistrat eingesetzt worden, um das lebendige Gesetz zu sein, Diener und Wächter des stummen Gesetzes. Wenn die Gesetze nicht freiwillig befolgt werden, ist es seine Aufgabe, wie das Ebenbild Gottes auf Erden zu intervenieren, um die Ordnung wieder herzustellen und jedem das zukommen zu lassen, was er verdient – nämlich die Guten zu belohnen und die Verbrecher zu bestrafen, um Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und allen ein Beispiel zu geben.64
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Jean Bodin, Sechs Bücher über den Staat. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Bernd Wimmer. Eingeleitet und hg. von Peter Cornelius Mayer-Tasch, München 1986, S. 222. 59 Zu diesem Disput zwischen Althusius und Bodin vgl. Thomas Maissen, Souveräner Gesetzgeber und absolute Macht. Calvin, Bodin und die mittelalterliche Tradition, in: Strohm/ de Wall (Hg.), Konfessionalität (Anm. 10), S. 91 – 113; zum Umfeld der Auseinandersetzung vgl. Michael Stolleis, „Condere leges et interpretari“. Gesetzgebungsmacht und Staatsbildung im 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung, 101 (1984), S. 89 – 116, jetzt auch in: ders., Staat und Staatsräson in der Frühen Neuzeit. Studien zur Geschichte des öffentlichen Rechts, Frankfurt a. M. 1990, S. 167 – 196. 60 Eine wichtige Quelle zu diesem Problemkreis ist Pierre Grégoire, De Republica libri sex et viginti, besonders Buch I, Kap. 1, §§ 14 ff.; Buch VII, Kap. 15 und Kap. 19. 61 Vgl. Althusius, Politica (Anm. 13), XXIX, 2 und 4 und ff., zur Aufstellung der Gesetze. 62 Ebd., X, 4. 63 Ebd., XXIX, 14, mit Verweis auf Dig., 1, 2, 2, [13] und Nov. 161. 64 Ebd., X, 10 und ff.
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Das Gesetz verfügt im Allgemeinen das, was man tun soll oder nicht tun darf, aber es führt dies nicht selbst durch, so wie ein Medikament, das nur der Magistrat, der Arzt des Staates, in geeigneter Weise verschreiben kann, wenn er den Organismus und die Ursachen der Krankheit beurteilt hat. Das Urteilen nach dem Gesetz erfolgt niemals automatisch. Das Gesetz durchläuft einen Interpretationsakt, der das allgemeine Prinzip der Norm an den Einzelfall anpasst, wobei der Grund des Gesetzes (ratio legis) und die Natur der Sache (natura negotii), der Personen und Umstände, der Zeiten und der Orte zur Deckung gebracht werden und das Gesetz für die Verständnisfähigkeit des Menschen zugänglich gemacht wird.65 Das ist das Herz der Tätigkeit des obersten Magistrats, und die Verweigerung der Gerechtigkeit ist das größte Verbrechen, das er begehen kann – so wie ein Arzt, der sich weigert zu heilen.66 Besonders gegen Bodins Auffassung vom bürgerlichen Gesetz als „Befehl der souveränen Macht“ beruft sich Althusius auf die von Papinian in den Digesten gegebene Definition, die schon Danaeus herangezogen hatte, um erneut energisch den Charakter einer feierlichen „gemeinschaftlichen Verpflichtung“ (communis rei publicae sponsio) zu unterstreichen. Das bürgerliche Gesetz wird so für Althusius zum „öffentlichen Befehl des Volkes“ (jussio publica populi) und zugleich zum „Versprechen aller Mitglieder der Gemeinschaft“ (sponsio seu promissio regnicolarum), die für ein gerechtes Zusammenleben im Staat notwendigen Regeln zu beachten.67 Das Gesetz gründet sich also auf die Zustimmung der Mitglieder des Reichs und besitzt Vertragscharakter. Aus diesem Grund ist es bindend auch für den obersten Magistrat, der sich, als Vertragspartner, nicht aus der Verpflichtung zur Beachtung des Gesetzes lösen kann ohne die Zustimmung der anderen Partei, also der von ihm regierten Gemeinschaft.68 An dieser Stelle könnte die Untersuchung lange fortgesetzt werden. Ich beschränke mich darauf, auf den vielleicht unmittelbarsten Anknüpfungspunkt hinzuweisen, nämlich auf Althusius’ (wiederum weitgehend von Danaeus übernommenen) Gedanken einer lex fundamentalis regni, die festlegt, unter welchen Bedingungen dem obersten Magistrat die Regierung anvertraut ist, und eine mutua obligatio zwischen dem obersten Magistrat und der universalen Gemeinschaft herstellt. Im „Grundgesetz des Reichs“ manifestiert sich in authentischster Weise jene weitere Funktion des Gesetzes, die uns bereits im Eingangszitat begegnete: das Gesetz als „Richtschnur und Lenker des Reichs“ – wir könnten also sagen: gleichsam „als fundamentale Verfassungsnorm“, die zwischen rechtmäßiger und unrechtmäßiger Regierung unterscheidet, indem sie die Grenzen der Macht festlegt.69 Eingehender behandeln wird Althusius diese Frage im Zusammenhang mit der Wahl des obersten 65
Ebd., X, 9. Ebd., XXIX, 28. 67 Ebd., X, 4. 68 Ebd., IX, 23. Vgl. auch ebd., X, 5 – 10, und XIX, 1, 26 – 31. Ausführlicher dazu Bianchin, „Justitia“ (Anm. 8), S. 203 – 214. 69 Vgl. Bianchin, Politica e Scrittura in Althusius (Anm. 15), S. 424. 66
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Magistrats im Kapitel XIX, wo er häufiger auch auf andere Werke calvinistischer Autoren (Hotman, Théodore de Bèze, „Vindiciae contra tyrannos“) und auf die lex digna vox (C. 1, 14, 4) des „Codex Iustiniani“ verweist, nach der es eines Fürsten würdig ist, sich für den Gesetzen unterworfen zu erklären.70 Zu demselben Ergebnis gelangt Althusius auch auf einem anderen Weg, der sich ebenfalls aus seiner Gesetzeskonzeption ergibt. Er beharrt wiederholt darauf, dass die bürgerlichen oder politischen Gesetze eine explicatio des moralischen Gesetzes des Dekalogs darstellen.71 Der Zusammenhang zwischen moralischem und bürgerlichem Gesetz ist für ihn der entscheidende Punkt. Althusius folgt dem Ansatz Calvins, glaubt aber, ihn an die Schemata der juristischen Tradition zurückbinden zu müssen, um dadurch einigen bedeutsamen theoretischen Weiterentwicklungen eine solidere Grundlage zu geben. Althusius erinnert an zwei berühmte Stellen der juristischen Tradition (Dig. 1, 1, 6 und Inst. 1, 2, 11), um die Beziehung zwischen moralischen Gesetzen und bürgerlichen Gesetzen an die zwischen Naturrecht und bürgerlichem Recht im „Corpus iuris civilis“ anzuknüpfen.72 Diese Operation erlaubt es ihm, zwischen beiden Normebenen einen präzisen, unauflöslichen Zusammenhang zu statuieren: Die bürgerlichen Gesetze sind diejenigen Gesetze, die nicht zur Gänze mit dem moralischen Gesetz zusammenfallen (sonst wären sie nicht nötig), sondern eine Spezifikation des moralischen Gesetzes darstellen. Wo beispielsweise ein sittliches Gebot allgemein ein Verhalten verurteilt, muss ein eigenes Gesetz den Straftatbestand definieren und dafür eine besondere Strafe vorschreiben, die nicht ein für allemal und überall identisch sein wird, sondern je nach Zeit und Ort variieren kann.73 Indem die bürgerlichen Gesetze einem Gebot des moralischen Gesetzes mit Rücksicht auf die eigentümlichen Umstände einer Gemeinschaft manche Elemente hinzufügen oder wegnehmen, machen sie dieses göttliche Gebot für die jeweilige Gemeinschaft wirksam und lebendig. Die bürgerlichen Gesetze und das moralische Gesetz haben also ein gemeinsames Ziel: die Errichtung eines frommen 70 Die Stelle wird nicht zufällig in all diesen Werken häufig zitiert und erscheint bei den „Vindiciae contra tyrannos“ sogar als Motto – vgl. dazu Diego Quaglioni, Dal costituzionalismo medievale al costituzionalismo moderno, in: Annali del Seminario Giuridico della Università di Palermo, 52 (2008), S. 55 – 67. Auch Danaeus verwendet mehrfach die l. digna vox in der Funktion eines „Grundgesetzes“, welches das Recht des frommen und christlichen obersten Magistrats begründet und begrenzt (vgl. Danaeus, Politices Christianae libri septem [Anm. 3], I, 3, und VI, 3). Zur Souveränitätslehre des Althusius vgl. zudem die Artikel von Diego Quaglioni, „Majestas“ und „Tyrannis“, in: Malandrino/Wyduckel (Hg.), Politischrechtliches Lexikon (Anm. 4), S. 215 – 229 und S. 325 – 337. Unter umfassenderer Perspektive vgl. ders., La sovranità, Rom/Bari, 2003. 71 Althusius, Politica (Anm. 13), X, 8. 72 Dig. 1, 1, 6: „Ius civile est, quod neque in totum a naturali vel gentium recedit nec per omnia ei servit: itaque cum aliquid addimus vel detrahimus iuri communi, ius proprium, id est civile efficimus“. Inst. 1, 2, 11: „Sed naturalia quidem iura, quae apud omnes gentes peraeque servantur, divina quadam providentia constituta semper firma atque immutabilia permanent: ea vero, quae ipsa sibi quaeque civitas constituit, saepe mutari solent vel tacito consensu populi vel alia postea lege lata“. 73 Althusius, Politica (Anm. 13), XXI, 32 – 33.
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und gerechten Lebens. Vor allem aber haben die bürgerlichen Gesetze auf diese Weise teil an der Essenz des moralischen Gesetzes: der natürlichen Billigkeit. Denn es ist gerade die natürliche Billigkeit, die „ein wirksames, heiliges und unverletzliches Gesetz schafft“.74 Diese Überlegungen bilden die theoretische Basis für Althusius’ Attacke gegen die Idee einer absoluten Souveränität – die summa potestas legibus soluta.75 Das Kapitel IX dient über weite Strecken der Widerlegung der Idee, Souveränität sei aufzufassen als „oberste immerwährende und von den Gesetzen entbundene Macht“.76 Die Stellung des Fürsten gegenüber den Gesetzen wird von Althusius klar als der einzige Punkt identifiziert, an dem sein Dissens mit Bodin unaufhebbar ist. Unser Problem – schreibt Althusius – „betrifft gerade das bürgerliche Gesetz und Recht“.77 Bodin glaubt, dass der Inhaber der höchsten Gewalt seine Herrschaft nicht den bürgerlichen Gesetzen unterwerfen darf, während für Althusius „die Herrschaftsgewalt vom bürgerlichen Gesetz lösen bedeutet, sie in einem gewissen Grade auch von den Bindungen des natürlichen und göttlichen Gesetzes freizustellen“ .78 Indem er sich erneut auf die beiden Stellen des „Codex Iustiniani“ beruft, schließt Althusius den Kreis und lässt seine Argumentation in der Formulierung gipfeln: „Es gibt nämlich kein bürgerliches Gesetz, noch kann es eines geben, das nicht etwas von der natürlichen und unveränderlichen göttlichen Billigkeit enthält“. Wenn aber alle bürgerlichen Ge-
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Ebd.; vgl. Althusius, Politik (Anm. 43), Kap. XXIX, § 5, S. 298. Es geht in diesem Passus um die Bestimmung der wesentlichen Eigenschaften des Gesetzes. Vgl. außerdem Althusius, Politica (Anm. 13), XIX, 32 und 48, wo die Beachtung der aequitas in einer Norm als entscheidendes Kriterium für deren bindende Kraft postuliert wird. Darauf hatte bereits Danaeus insistiert, als er mit einem Zitat aus Platons „Minos“ feststellte: „Lex est decretum civitatis, sed illud imprimis quod ratione, aequitateque naturali nititur“ (Danaeus, Politices Christianae libri septem [Anm. 3], V, S. 352). Und noch vor ihm hatte Calvin immer wieder darauf hingewiesen, dass „die Billigkeit etwas Natürliches (naturalis) [ist] und deshalb bei allen nur eine (und dieselbe) sein“ kann. 75 Aus der zahlreichen Literatur zum Thema vgl. Dieter Wyduckel, Princeps legibus solutus. Eine Untersuchung zur frühmodernen Staats- und Rechtslehre, Berlin 1979, und ders., Absolutismus, in: Werner Heun/Martin Honecker/Martin Morlok/Joachim Wieland (Hg.), Evangelisches Staatslexikon. Neuausgabe Stuttgart 2006, S. 21 – 27; Christoph Strohm, Das Verhältnis von theologischen, politisch-philosophischen und juristischen Argumentationen in calvinistischen Abhandlungen zum Widerstandsrecht, in: Angela De Benedictis/Karl-Heinz Lingens (Hg.), Wissen, Gewissen und Wissenschaft im Widerstandsrecht (16.–18. Jh.) / Sapere, coscienza e scienza nel diritto di resistenza (XVI-XVIII sec.), Frankfurt a.M. 2003, S. 141 – 174, und ders., Recht und Jurisprudenz im Reformierten Protestantismus (1550 – 1650), in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung, 92 (2006), S. 453 – 493; Robert von Friedeburg, Widerstandsrecht in der frühen Neuzeit. Erträge und Perspektiven der Forschung im deutsch-britischen Vergleich, Berlin 2001 (Zeitschrift für historische Forschung, 26), und Bausteine der widerstandsrechtlicher Argumente (Anm. 47). 76 Althusius, Politica (Anm. 13), IX, 21; vgl. Althusius, Politik (Anm. 43), S. 117. 77 Althusius, Politik (Anm. 43), S. 117 – 118. 78 Ebd.
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setze in gewissem Sinn am göttlichen Gesetz teilhaben, „wer könnte dann den Fürsten selbst von der Pflicht ausnehmen, sie zu befolgen?“79
79 Ebd. Die Frage des Einflusses der calvinistischen Theologie auf die „Politica“ des Althusius wurde in jüngster Zeit sorgfältig untersucht von Dieter Wyduckel, Konfession und Jurisprudenz bei Althusius, in: Strohm/de Wall (Hg.), Konfessionalität (Anm. 10), S. 167 – 197, und Strohm, Calvinismus und Recht (Anm. 29), S. 189 – 227.
Ratio naturalis und sacra auctoritas. Naturrecht und Bibelstellenverweise in Hugo Grotius’ „De iure praedae commentarius“1 Von Michael Becker, Heidelberg „Now remembring the first ground, whereby the Author would make Mare liberum, to be a position fortified by the opinions and sayings of some old Poets, Orators, Philosophers, and (wrested) Iurisconsults, that Land and Sea, by the first condition of nature, hath beene and should be common to all, and proper to none: against this I minde to use no other reason, but a simple and orderly reciting of the words of the holy Spirit, concerning that first condition naturall of Land and Sea from the very beginning.“2
Im Jahre 1613 veröffentlichte der schottische Rechtsgelehrte William Welwod (1579 – 1622) seine Schrift „An Abridgement of All Sea-Lawes“ als Antwort auf Hugo Grotius’ (1583 – 1645) berühmt gewordene Abhandlung „Mare liberum“ (1609) (ML),3 in welcher er die maritimen Interessen der englischen Krone verteidigt. Wie aus dem einleitenden Zitat hervorgeht, stoßen nicht nur Grotius’ Vorstellungen zum Seerecht auf Ablehnung, sondern v. a. seine Rechtsquellenlehre: Im Mittelpunkt stünden weniger Zeugnisse der Heiligen Schrift als vielmehr die Lehrmeinungen von antiken Philosophen, Rednern und Rechtsgelehrten. Demgegenüber betont Welwod, seine Ausführungen vornehmlich auf die Grundlage der Bibel zu stellen.4 Bereits im Vorwort von ML wird diese Einschätzung bestätigt, da Grotius be1 Für nützliche Hinweise danke ich den Teilnehmern des Symposiums der Althusius Gesellschaft, Prof. Dr. Christoph Strohm und Prof. Dr. Christoph Link. 2 William Welwod, An Abridgement of All Sea-Lawes. Gathered forth of all Writings and Monuments, which are to be found among any people or Nation, upon the coasts of the great Ocean and Mediterranean Sea […], London 1636 (erste Auflage 1613), S. 203 f. Bereits zitiert bei: Mark Somos, Secularization in De Iure Praedae: from Bible Criticism to International Law, in: Grotiana 26 – 28 (2005 – 2007), S. 147 – 191, hier: 148. Vgl. auch Benjamin Straumann, Hugo Grotius und die Antike. Römisches Recht und römische Ethik im frühneuzeitlichen Naturrecht (Studien zur Geschichte des Völkerrechts, 14), Baden-Baden 2007, S. 1 f. 3 Hugo Grotius, Mare liberum sive de iure quod Batavis competit ad Indicana commercia, dissertatio (1608). The Freedom of the Seas or The Right which Belongs to the Dutch to Take Part in the East Indian Trade, hg. nach der Ausgabe von 1633 und übers. von Ralph van Deman Magoffin, mit einer Einleitung von James Brown Scott (Carnegie Endowement for International Peace. Division of International Law), New York/London/Toronto u. a. 1916. 4 Welwod, An Abridgement (Anm. 2), S. 204 – 208. Ohne expliziten Bezug auf ML betont auch der im Jahr 1615 entstandene Traktat „De dominio maris“ auf der Grundlage biblischer Texte, insbesondere der Genesis, den Umstand, dass auch die Meere der Herrschaft unterliegen können: „Conclusionem correctiorem plenioremque repeto: Mare, naturâ, Arte, Iure, ipso
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züglich des Gebrauchs der Bibel explizit zur Zurückhaltung rät.5 Eine eingehende Untersuchung der Schrift zeigt überdies, dass biblische Belege in den Ausführungen Grotius’ zwar begegnen, gegenüber anderen Rechtsquellen aber nur wenig Gewicht haben.6 Wenngleich ML 1609 als eigenständige Schrift publiziert wurde,7 konnte mit der Entdeckung des nur handschriftlich erhaltenen „De iure praedae commentarius“ (DIP) nachgewiesen werden, dass der Traktat ursprünglich ein eigenes Kapitel in dem Werk über das Beuterecht darstellte.8 Lange Zeit stand das erst 1864 entdeckte und im Zeitraum von 1604 – 1608 entstandene und überarbeitete9 Rechtsgutachten im Schatten von Grotius’ chef d’oeuvre „De iure belli ac pacis libri tres“ (IBP) aus dem Jahre 1625 und wurde von der rechtshistorischen Forschung quasi als Vorarbeit zu dem Hauptwerk gelesen.10 Diese Sicht hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt: Das Werk wird nunmehr Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten und zunehmend in seiner Originalität gewürdigt.11 Weniger Beachtung fand facto, reque verâ, non phantasticâ, ad possessionem usumque nostrum, in dominia distincta dividuum esse.“ (William Welwod, De dominio maris, juribusque ad dominium praecipuè spectantibus, assertio brevis ac methodica, Den Haag 1653 [erste Auflage 1615], S. 1 – 15, hier: 12). 5 „Sed quoque hic proponimus nihil cum istis commune habet, nullius indiget anxiae disquisitionis, non ex divini codicis pendet explicatione, cuius multa multi non capiunt, non ex unius populi scitis quae ceteri merito ignorant.“ (Grotius, Mare liberum [Anm. 3], S. 5). 6 Gerade einmal zehn Bibelstellenverweise lassen sich in ML nachweisen, die allesamt weniger argumentativer als illustrativer Natur sind (Gen 9,6; 20,4.9; Num 35,33 f.; Dtn 20,10 – 14; Jos 6,21; Ri 15,3.11; 1 Sam 15; 30,20; 2 Sam 20,19; Röm 12,19). 7 Zu ML vgl. Erik Thomson, The Dutch Miracle, Modified. Hugo Grotius’s Mare Liberum, Commercial Governance and Imperial War in the Early-Seventeenth Century, in: Grotiana 30 (2009), S. 107 – 130; Andrea Weindl, Grotius’s Mare Liberum in the Political Practice of Early-Modern Europe, in: Grotiana 30 (2009), S. 131 – 151; Gustaaf van Nifterik/Janne Nijman, Introduction: Mare Liberum Revisited (1609 – 2009), in: Grotiana 30 (2009), S. 3 – 19; Johannes Thumfart, On Grotius’s Mare Liberum and Vitoria’s De Indis, Following Agamben and Schmitt, in: Grotiana 30 (2009), S. 65 – 87; Martine Julia van Ittersum, Preparing Mare liberum for the Press: Hugo Grotius’ Rewriting of Chapter 12 of De iure praedae in November-December 1608, in: Grotiana 26 – 28 (2005 – 2007), S. 246 – 280. 8 In der vorliegenden Untersuchung wurde folgende Edition verwendet: Hugo Grotius, De jure praedae commentarius, hg. von H. G. Hamaker, Den Haag 1868. Zu den Entstehungshintergründen des von der Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC) veranlassten Rechtsgutachten vgl. Erik Wolf, Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, Tübingen 4 1963, S. 266 – 268. 9 Zur Datierung des Manuskripts vgl. Martine Julia van Ittersum, Dating the manuscript of De Jure Praedae (1604 – 1608): What watermarks, foliation and quire divisions can tell us about Hugo Grotius’ development as a natural rights and natural law theorist, in: History of European Ideas 35 (2009), S. 125 – 193. 10 Hugo Grotius, De iure belli ac pacis libri tres in quibus ius naturae & gentium: item iuris publici praecipua explicantur, hg. von B. J. A. de Kanter/van Hettinga Tromp, Leiden 1939. 11 Vgl. Peter Haggenmacher, Grotius et la doctrine de la guerre juste (Publications de l’Institut Universitaire de Hautes Études Internationale Genève), Paris 1983, S. 51 – 444; Pauline C. Westerman, The Disintegration of Natural Law Theory. Aquinas to Finnis (Brill’s
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indes die bereits von Welwod aufgeworfene Frage, welche Bedeutung dem Gebrauch der Bibel in DIP zukommt bzw. in welchem Verhältnis die sacra auctoritas zum ius naturale steht.12 Eine Ausnahme bildet hier Mark Somos, der die Bibelexegese in DIP im Kontext der Säkularisierungsbestrebungen Grotius’ deutet.13 Für die Grotius-Forschung erweist sich diese Frage als überaus relevant, da sie einerseits tieferen Einblick in Grotius’ Rechtquellenlehre gewährt, andererseits das Verständnis für den Naturrechtsbegriff in Grotius’ juristischem Frühwerk schärft. Da DIP überdies als Vorlage von IBP angesehen wird, legt die Fragestellung zugleich das Fundament Studies in Intellectual History, 84), Leiden/New York/Köln 1998, S. 129 – 155; Straumann, Grotius und die Antike (Anm. 2); ders., Natural Rights and Roman Law in Hugo Grotius’s Theses LVI, De iure praedae and Defensio capitis quinti maris liberi, in: Grotiana 26 – 28 (2005 – 2007), S. 341 – 365; van Ittersum, Dating (Anm. 9); Dies., Preparing Mare liberum (Anm. 7); Dies., Hugo Grotius in Context. Van Heemskerck’s Capture of the Santa Catarina and Its Justification in De Jure Praedae (1604 – 1606), in: Asian Journal of Social Science 31 (2003), S. 511 – 548; Dies., Profit and Principle. Hugo Grotius, Natural Rights Theories and the Rise of Dutch Power in the East Indies, 1595 – 1616 (Brill’s Studies in Intellectual History, 139), Leiden 2006; Merio Scattola, Law, War and Method in the Commentary on the Law of Prize by Hugo Grotius, in: Grotiana 26 – 28 (2005 – 2007), S. 79 – 103; Peter Borschberg, Grotius, Maritime Intra-Asian Trade and the Portuguese Estado da Índia: Problems, Perspectives and Insights from De iure praedae, in: Grotiana 26 – 28 (2005 – 2007), S. 31 – 60; Somos, Secularization (Anm. 2); Laurens Winkel, Problems of legal systematization from De iure praedae to De iure belli ac pacis. De iure praedae Chapter II and the Prolegomena of De iure belli ac pacis compared, in: Grotiana 26 – 28 (2005 – 2007), S. 61 – 78; Franco Todescan, „Sequuntur Dogmatica De Iure Praedae“ Law and Theology in Grotius’s use of Sources in De Iure Praedae, in: Grotiana 26 – 28 (2005 – 2007), S. 281 – 309; George Wright, Tuck’s Grotius: De Iure Praedae in Context, in: Grotiana 26 – 28 (2005 – 2007), S. 366 – 378. 12 Peter Haggenmacher gesteht den auctoritates, d. h. der Bibel und dem römischen Positivrecht, lediglich eine affirmative Bedeutung zu, ohne jedoch im Verlauf seiner Argumentation die Bibelstellenverweise eingehend zu betrachten. („Quant aux auctoritates, leur rôle paraît à première vue singulièrement réduit: de manière significative, Grotius ne leur consacre que la demiphrase qui clôt ce passage sur la Methodus. Qu’il s’agisse de témoignage de l’Écriture ou d’autorités humaines, il ne veut leur reconnaître qu’un rôle purement confirmatoire des résultats obtenus par la raison.“ [Haggenmacher, Guerre juste (Anm. 11), S. 58]). Größere Bedeutung erhält die theologischen Komponente von Grotius’ Umgang mit dem Völkerrecht in Paul Ottenwälders Studie zu IBP, indem er nicht nur auf die Bibelstellenverweise zu sprechen kommt, sondern auch andernorts den zeitgenössischen theologischen Diskurs berücksichtigt. Dennoch bleiben die Ausführungen unvollständig und beschränken sich zumindest auf Aspekte des Naturrechts (Paul Ottenwälder, Zur Naturrechtrechtslehre des Hugo Grotius, Tübingen 1950, S. 3 – 5, 11 – 15, 21 – 27, 32 – 38, 88 – 122). In eine ähnliche Richtung gehen auch die Arbeiten Matijas Berljak, der sich sich noch stärker mit der Unterscheidung zwischen ius divinum und Naturrecht auseinandersetzt (Matija Berljak, Il diritto naturale e il suo rapporto con la divinità in Ugo Grozio [Analecta Gregoriana, 213], Rom 1978, S. 103 – 107, 119 – 121). Besonders hervorzuheben in diesem Kontext ist die umfangreiche Analyse Christoph A. Stumpfs, der einen engen Zusammenhang zwischen den theologisch-moralischen Grundlagen des Rechts und den völkerrechtlichen Entwürfen Grotius’ herstellt (Christoph A. Stumpf, The Grotian Theology of International Law. Hugo Grotius and Moral Foundations of International Relations [Religion and Society, 44], Berlin/New York 2006). 13 Somos, Secularization (Anm. 2).
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für eine Untersuchung des Stellenwertes biblisch-exegetischer Argumentation in letzterem Werk, die von den Gelehrten bislang allenfalls am Rande erwähnt wurde. Dies erstaunt umso mehr, als gerade die jüngere Forschung mit wachsendem Interesse das theologische Profil des niederländischen Juristen zur Kenntnis nimmt: Zahlreiche Arbeiten beschäftigen sich mit der wegweisenden historisch-philologischen Bibelexegese des Niederländers oder den irenischen Bemühungen seiner letzten Lebensjahre, aber auch mit den theologischen und kirchenrechtlichen Schriften aus der niederländischen Schaffenszeit.14 Dennoch fehlt es bislang an Arbeiten, welche die für das Wirken Grotius’ charakteristischen theologischen und juristischen Facetten zusammenführen. Folglich wird in der nachfolgenden Darstellung die Bedeutung der Bibelstellenverweise in DIP eingehend beleuchtet. Hierfür ist es nötig, einleitend einige allgemeine Fragen zur Relevanz der Bibel als Rechtsquelle in Grotius’ Werk zu stellen, bevor in einem zweiten Schritt ihre Rolle als historischer Exempelfundus und Quelle der lex Dei und lex Christi herausgestellt wird. Auf dieser Grundlage ist es möglich, 14
Das theologische Profil von Grotius fand zum ersten Mal mit der mittlerweile sehr veralteten Studie Joachim Schlüters Eingang in den wissenschaftlichen Diskurs (Joachim Schlüter, Die Theologie des Hugo Grotius, Göttingen 1919), die noch für Jahrzehnte das Referenzwerk für Grotius’ theologische Ansichten blieb. Erst in jüngerer Zeit wandte sich die historische Forschung stärker theologischen Fragen zu, wobei der Sammelband „Hugo Grotius Theologian“ als entscheidender Meilenstein zu werten ist (Henk J.M. Nellen/Edwin Rabbie [Hg.], Hugo Grotius Theologian. Essays in Honour of G. H. M. Posthumus Meyjes, Leiden/ New York/Köln 1994). Daneben entstanden auch zahlreiche Einzelstudien, deren wichtigste genannt seien: Mit den exegetisch-theologischen Facetten des Wirkens Grotius’ beschäftigen sich die Arbeiten Reventlows, van Unniks und de Jonges (Henning Graf Reventlow, Epochen der Bibelauslegung, Band III: Renaissance, Reformation, Humanismus, München 1997, S. 211 – 225; ders., Humanistic Exegesis: The Famous Hugo Grotius, in: Benjamin Uffenheimer/Henning Graf Reventlow [Hg.], Creative Biblical Exegesis. Christian and Jewish Hermeneutics through the Centuries [Journal for the Study of the Old Testament. Supplement Series, 59], Sheffield 1988, S. 175 – 191; W. C. van Unnik, Hugo Grotius als uitlegger van het Nieuwe Testament, in: Nederlandsch Archief voor Kerkgeschiedenis 25 [1932], S. 1 – 48; Henk Jan de Jonge, Hugo Grotius: exégète du Nouveau Testament, in: The World of Hugo Grotius [1583 – 1645]. Proceedings of the International Colloquium organized by the Grotius Committee of the Royal Netherlands Academy of Arts and Sciences Rotterdam 6 – 9 April 1983, Amsterdam/Maarssen 1984, S. 97 – 115). Die Irenik Grotius’ untersuchen die Arbeiten Bots’, Leroys, Wolfs und Repgens (Hans Bots/Pierre Leroy, Hugo Grotius et la réunion des chrétiens: entre le savoir et l’inquiétude, in: XVIIe siècle 138 [1983], S. 451 – 469; Dieter Wolf, Die Irenik des Hugo Grotius nach ihren Prinzipien und biographisch-geistesgeschichtlichen Perspektiven, Hildesheim 21972; Konrad Repgen, Grotius „Papizans“, in: Erwin Iserloh/Konrad Repgen [Hg.], Reformata Reformanda. Festgabe für Hubert Jedin zum 17. Juni 1965, 2 Bde., Münster 1965, Bd. 2, S. 370 – 400) und die Theologie Grotius’ steht im Zentrum der Beiträge von Le Brun, Voeltzel und Mühlegger (René Voeltzel, La Méthode théologique de Hugo Grotius, in: Revue d’Histoire et de Philosophie Religieuses 32 [1952], S. 126 – 133; Jacques Le Brun, La réception de la théologie de Grotius chez les catholiques de la seconde moitié du XVIIe siècle, in: ders., La jouissance et le trouble. Recherches sur la littérature chrétienne de l’âge classique, Genf 2004, S. 217 – 246; Florian Mühlegger, Hugo Grotius. Ein christlicher Humanist in politischer Verantwortung [Arbeiten zur Kirchengeschichte, 103] Berlin/New York 2007).
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sich dem Naturrechtsbegriff in DIP zuzuwenden und eine Verhältnisbestimmung der sacra auctoritas und des ius naturale vorzunehmen. Abschließend werden die Ergebnisse unter Berücksichtigung der späteren Entwicklungen in IBP resümiert.
A. Methodische Prolegomena Im Rahmen des einführenden Vorworts diskutiert Grotius die Relevanz von drei verschiedenen Rechtsquellen, deren wichtigste das Naturrecht ist, in dem auch die Bezugsnorm des sich anschließenden Rechtsgutachtens gesehen wird.15 Daneben bespricht Grotius das römische Positivrecht, dessen Autorität er zwar grundsätzlich anerkennt,16 dem er jedoch die biblische Argumentation vorzieht. Hierbei sei jedoch darauf zu achten, dass weder die historischen Erzählungen der Bibel (nudae historiae) noch das jüdische Zivilrecht (ius civile Hebraeorum) mit dem göttlichen Recht (ius divinum) vermischt werden. Demgegenüber verficht Grotius die Auffassung, dass die Bibel als Rechtsquelle zwar große Autorität innehabe, dass jedoch bei der juristischen Interpretation ein differenzierter Umgang unerlässlich sei. Der unreflektierte Umgang mit der Bibel entspreche eher der Methode zeitgenössischer Juristen, die aus den Geschichten fremder Völker, die sich doch weniger zur Beweisführung als vielmehr zur Illustration eigneten, Rechtsnormen aufstellten.17 Deutlicher formuliert Grotius diesen differenzierten Umgang mit der Bibel in dem zeitnah entstandenen „Commentarius in Theses XI“.18 In dem kurzen, elf Thesen und deren Kommentar umfassenden Traktat setzt sich Grotius mit der Rechtmäßigkeit des Aufstands der niederländischen Stände gegen den Herzog von Alba und Philipp II. von Spanien auseinander. Er gelangt zu der Schlussfolgerung, dass der Widerstand legitim gewesen sei, da die niederländischen Stände in gerechtem und öffentlichem Krieg traditionelle Souveränitätsrechte, vornehmlich die Erhebung von Steuern, gegen Übergriffe der habsburgischen Obrigkeit verteidigt hätten.19 Um diese Rechtsposition zu begründen, bedient sich Grotius einer Vielzahl juristischer Schriften, wobei die intensive Rezeption von Autoren der spanischen Spätscholastik besonders
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Haggenmacher, Guerre juste (Anm. 11), S. 58. DIP I (S. 6). 17 „Melius aliquanto illi et certius, qui ex sacris litteris ista malunt disceptari, nisi quod nudas plerumque historias aut jus civile Hebraeorum pro jure divino obtendunt. Nam quae passim ex omnium gentium annalibus alii collegerunt, ut ad rem illustrandam plurimum, ita ad dijudicandum aut nihil aut parum valent, cum fere idem saepius fiat, quod male fit.“ (DIP I [S. 6]). Vgl. auch Somos, Secularization (Anm. 2), S. 153 f. 18 Zur Datierung vgl. die Ausführungen Peter Borschbergs in der Einleitung zur Edition des „Commentarius in Theses XI“ (Peter Borschberg, Hugo Grotius „Commentarius in Theses XI“. An Early Treatise on Souvereignty, the Just War, and the Legitimacy of the Dutch Revolt, Bern/Berlin/Frankfurt a. M. u. a. 1994, S. 193 – 199). 19 Ebd., S. 282. 16
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ins Auge fällt.20 Nach Bibelverweisen sucht man in der Schrift indes vergebens: Es finden sich weder direkte Stellenangaben oder Zitate noch indirekte Allusionen. Lediglich im Vorwort tangiert Grotius auf einer theoretischen Ebene den Stellenwert der Bibel als Rechtsquelle, indem er drei Gruppen von Vorläufern kritisiert. Während die einen Juristen falschen Gebrauch von philosophischen Schriften (adiumenta philosophiae), besonders der aristotelischen gemacht hätten,21 hätten sich die anderen in dem Irrtum verstrickt, dass das römische Zivilrecht (ius Civile Romanorum) mit dem Recht aller Völker (ius inter omnes commune) gleichzusetzen sei.22 Die dritte Gruppe schließlich wird getadelt wegen ihres undifferenzierten Gebrauchs der sacra oracula, wobei Grotius einige besondere Charakteristika anführt: Wenngleich der Auffassung, dass das Urteil der natürlichen Vernunft trügerisch und die Wahrheit daher in der Heiligen Schrift zu suchen sei, grundsätzlich beizupflichten sei, so begingen doch nicht wenige Autoren den Fehler, zwischen dem Gesetz Gottes (lex Dei), dem Zivilrecht der Juden (lex Judaeorum civilis), und dem allgemeinen Recht der Menschen (lex humano generi communis) nicht hinreichend zu differenzieren. Ferner werde kein Unterschied gemacht zwischen Handlungen, die vom göttlichen Recht geboten (imperare) und solchen, die lediglich erlaubt (permittere) seien, noch solchen, die aus bestimmten Situationen heraus (ex certis circumstantiis) ausgesprochen wurden und somit nicht grundsätzlich für alle Zeit bindend seien. Aus diesem Grund würden Gebote der Bibel generalisiert, wo doch eigentlich nur besondere Anweisungen Gottes (ex Dei mandato speciali) gemeint seien.23 Aus dem Vorherigen lässt sich festhalten, dass Grotius zwar die sacra auctoritas im juristischen Diskurs anerkennt, allerdings nur unter dem Vorbehalt eines reflektierten Umgangs mit der Heiligen Schrift. Im Gegensatz zu anderen zeitgenössischen, v. a. protestantischen Juristen wie etwa Alberico Gentili (1552 – 1608) oder Johannes Althusius (1563 – 1638),24 unterscheidet Grotius sorgfältig zwischen ius divinum, ius civile Hebraeorum und lex Dei, und warnt davor, die aus der Bibel abgeleiteten Rechtsnormen unterschiedslos und unüberlegt in seine Entwürfe zum Völkerrecht einfließen zu lassen. Wie Grotius sich den Gebrauch der Bibel konkret vorstellt, verrät er weder in DIP noch im „Commentarius in Theses XI“. Mark Somos 20 „Perhaps the most striking observation we are able to make concerns the dominant role given by Grotius to Roman Catholic authors in general, and specifically to the ,School of Salamanca‘.“ (ebd., S. 92 f.). 21 Ebd., S. 208. Vgl. auch ebd., S. 105 f. 22 Ebd., S. 210. 23 „Primi cum illud recte intellegerent, naturalis nostrae rationis iudicium esse admodum imbecille atque incertum, ideoque veras regulas ex sacris oraculis petendas, tamen in eo errarunt, quod legem Dei quae Judaeorum erat civilis et propria ab ea quae humano generi communis esse debet non satis distinguerent. Neque item ea quae sunt iuris divini permittentis ab iis quae sunt eiusdem iuris imperantis quaeque ex certis circumstantiis dicuntur ab his quae perpetuo sunt necessaria. Saepe etiam narrata pro iussis aut exemplis sequendis acciperent, cum tamen possent ea ipsa aut non recte facta esse, aut si recte, ex Dei mandato speciali.“ (ebd., S. 208). 24 s. u. Abschnitt C. III. und D., besonders Anm. 128, 133, 134.
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vertritt in seiner Studie zum Gebrauch der Bibel in DIP die Auffassung, Grotius deute im Vorwort auf die Unzulänglichkeit der Schrift als Rechtsquelle hin, worin bereits das Säkularisierungsstreben Grotius’ greifbar werde.25 Wenngleich Somos insofern zuzustimmen ist, dass Grotius in der Tat einen bedachten Gebrauch der Schrift anmahnt, so greift der Ansatz Somos’ jedoch zu kurz: Der Gedankengang Grotius’ impliziert keineswegs eine grundsätzliche Degradierung der Heiligen Schrift, sondern vielmehr einen reflektierten Umgang mit ihr, wie sich auch anhand der eigentlichen Bibelstellenverweisen zeigen lässt. Ein weiterer Einwand wurde von Peter Haggenmacher formuliert: Demnach dienten die Bibelstellenverweise ausschließlich der Affirmation der aus der ratio naturalis abgeleiteten Rechtsnormen, ohne selbst als Rechtsquelle zu fungieren.26 Diese These findet einige Anhaltspunkte im Vorwort von DIP, da Grotius explizit die naturrechtliche Argumentation von der affirmativen Funktion der sacra auctoritas abgrenzt.27 Dennoch legt es erst die Analyse der Bibelbelege an den Tag, wie genau sich Bibelbelege und Naturrecht zueinander verhalten. Es ist daher unumgänglich, die Bibelstellenverweise in DIP zu untersuchen, um Grotius’ spezifischen Umgang mit biblischen Zeugnissen näher zu verstehen.
B. Sacra auctoritas – Bibelstellenverweise in „De iure praedae“ Nach Grotius manifestiert sich die voluntas Dei nicht nur im Naturrecht, wie unten ausgeführt wird,28 sondern auch in der Heiligen Schrift: „Ut enim per naturam, ita per scripturam Dei voluntas nobis significatur, quae est, ut diximus, justitiae norma.“29 Damit wird die Bibel als Zeugnis des göttlichen Willens zu einer Rechtsquelle ersten Ranges neben dem Naturrecht. In den nachfolgenden Abschnitten wird herausgearbeitet, auf welche biblischen Texte Grotius rekurriert und welche Rolle sie in der völkerrechtlichen Argumentation spielen. Dabei zeichnet sich das Ergebnis ab, dass die überwiegende Mehrzahl der Bibelverweise exemplarisch-affirmativen Charakter besitzt, da juristische Sachverhalte durch sie illustriert und die zugrunde liegenden Rechtsnormen bestätigt werden. In anderen Fällen dienen die Verweise ferner als Quelle des ius divinum, das jedoch nur selten losgelöst vom Naturrecht diskutiert wird. Eine besondere Bedeutung kommt den Bibelverweisen aus dem Neuen Testament zu, die Grotius im Rahmen einer christlichen Ethik vom Alten Testament abgrenzt und teilweise auch unabhängig vom Naturrecht erörtert.
25
Somos, Secularization (Anm. 2), S. 153 f. Haggenmacher, Guerre juste (Anm. 11), S. 58. S.o. Anm. 12. 27 „In hoc igitur prima esse debet cura: nec parum tamen ad confirmandam fidem valet, si quod jam nobis naturali ratione persuasum est, sacra auctoritate comprobetur, aut idem videamus sapientibus quondam viris et laudatissimis nationibus placuisse.“ (DIP I [S. 7]). 28 s. u. Abschn. C. 29 DIP III (S. 35). 26
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I. Historia sacra Trotz der methodischen Bedenken Grotius’ gegenüber den nudae historiae liegt die größte Bedeutung der Bibelstellenverweise zweifelsohne in ihrer historischen Exemplarität. Grotius, wie im Übrigen auch die Rechtsgelehrten vor und noch lange nach ihm, bediente sich der historia sacra, d. h. der biblischen Geschichten und Erzählungen, für juristische Fallstudien und um Rechtsnormen mithilfe der biblischen Autorität zu bekräftigen oder die Kongruenz des Naturrechts und der Bibel aufzuzeigen.30 Betrachtet man die einzelnen Bibelstellenverweise der historia sacra genauer, lassen sich einige Besonderheiten feststellen. Die überwiegende Mehrzahl der Verweise auf Texte des Alten Testaments außerhalb des mosaischen Gesetzes dient der Illustration und Bekräftigung von Rechtsnormen, die zuvor anhand der von Grotius formulierten leges und regulae des Naturrechts31 oder der antiken Philosophie aufgestellt wurden.32 Auffallend häufig trifft man Bezüge auf den Abraham-Zyklus in Gen 12 – 25 an, der in Grotius’ Werk allgegenwärtig ist: Im dritten Kapitel bezieht sich Grotius auf Abraham, um die Rechtmäßigkeit des Krieges anhand von auctoritates humanae zu veranschaulichen. Der Krieger Abraham wird neben Moses, David und neutestamentlichen Personen als Beispiel für die Legitimität des Kriegs genannt33 und im folgenden Kapitel, wo Grotius von der Beutenahme handelt, rekurriert er ausführlich auf die sanctorum virorum exempla, unter denen Abraham den ersten Rang einnimmt. Aus der Geschichte von Abrahams Krieg zur Befreiung Lots gegen Kedor-Laomer und die Verbündeten (Gen 14) leitet Grotius die Erlaubnis ab, sich Güter der Feinde anzueignen und Beute zu machen.34 Der häufig als Gegenargument ausgelegte Umstand, dass Abraham einen Teil der Beute zurückweist (Gen 14,21 – 24), wird einerseits theologisch erklärt, da Abraham ein Gelübde abgelegt habe,35 andererseits juristisch, da die Güter vormals den Königen von Sodom und Gomorra gehört hätten.36 Über diese ausführliche Beschäftigung mit der Abrahamsgeschichte hinaus bezieht sich Grotius noch an weiteren Stellen auf den Patriarchen, etwa wenn es um die Rolle von Verbündeten,37 die Kollektivbestrafung eines Volks für die Vergehen des Herrschers38 oder Vertragsabschlüsse mit Andersgläubigen geht.39 Ferner dient der Krieg Abra30
s. u. Abschn. C. III. s. u. Abschn. C. I.–II. 32 Vgl. hierzu Straumann, Grotius und die Antike (Anm. 2), S. 25 – 84, insbes. 25 – 46, wo er die Abhängigkeit Grotius’ von der antiken Philosophie der Stoa und des Aristotelismus sowie vom römischen Recht darstellt. 33 DIP III (S. 40 f.). 34 DIP IV (S. 54). 35 DIP IV (S. 54 f.). 36 DIP IV (S. 55). 37 DIP VII (S. 70). 38 DIP VIII (S. 104). In den Marginalien wird insbesondere auf Gen 20,4.9 verwiesen. 39 DIP XIII (S. 298). 31
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hams mit Kedor-Laomer und dessen Verbündeten als Präzedenzfall für die Rechtmäßigkeit eines Privatkriegs.40 Die Abrahamsgeschichte erweist sich daher als ein Kardinalzeuge in den Ausführungen Grotius’. Erklären lässt sich dies wohl mit der Auffassung Grotius’, dass Abraham in einer Zeit gelebt habe, die in besonderer Weise vom Naturrecht geprägt gewesen sei (quo naturae ductu vivebatur).41 Aufgrund ihres hohen Alters, an dem Grotius, dem Konsens der zeitgenössischen Exegese folgend, nicht zweifelt, gewährten insbesondere die Abrahamserzählungen Einblick in eine naturrechtliche Praxis, der spätere Generationen verlustig gegangen seien. Neben dem Abraham-Zyklus finden sich in DIP noch zahlreiche weitere Bibelstellenverweise. Im achten Kapitel, das die materia belli zum Gegenstand hat, kommt die Diskussion auf die Frage der Bedeutung der Rache für den Krieg. In diesem Kontext erwähnt Grotius den alttestamentlichen Richter Simson, der sich an den Philistern wegen vorheriger Vergehen rächt (Ri 15). Diese Verhaltensweise Simsons sei nicht nur nach dem ius divinum gerecht, weil Simson als vocatus Dei handle, sondern auch weil sie dem ius gentium, dem von allen Völkern akzeptierten Recht, entspreche.42 Einen weiteren Beleg dafür, dass Rache in der Menschheit nach der Sintflut üblich gewesen sei, findet Grotius im Bundesschluss Gottes mit Noah (Gen 9,6).43 Es sei jedoch bemerkt, dass diese Bibelstellenverweise innerhalb der Argumentation, die vornehmlich auf der Grundlage des Naturrechts, des römischen Rechts und der antiken Philosophie geführt wird,44 nur einen kleinen Teil ausmachen. Es überrascht daher keineswegs, dass sich in den verbleibenden Partien des Kapitels nur wenige biblische Bezüge finden: In einer Marginalie verweist Grotius auf 2 Sam 20, um die Aussage Ciceros, Konflikte könnten stets entweder durch Verhandlung oder mit Gewalt gelöst werden,45 zu illustrieren.46 Dieses Prinzip ist auch die Voraussetzung dafür, dass jemandem, der sich weigert, Satisfaktion zu leisten und Verhandlungen zu akzeptieren, mit Gewalt geantwortet werden dürfe. Als Beispiel wird der Stamm Benjamin genannt, der die Männer von Gibea bestrafen sollte, nachdem keine Genugtuung geleistet worden war (Ri 20).47 Derlei Gewaltanwendung könne sich auch gegen die gesamte Bevölkerung richten, wie Grotius an drei verschiedenen Stel40
DIP X (S. 134). „Sequuntur auctoritates humanae minus certae quidem illae, admodum tamen probabiles: sunt autem duplices, a factis dictisque. Nam si justae merito existimantur justorum virorum actiones, si, inquam, ad res omnes discernendas plurimum valent exempla, tempus mihi illud, quo naturae ductu vivebatur, bellatorem Abrahamum suppeditat, lex ipsa Mosem et Davidem, evangelica historia centurionem non unum Paulumque ipsum contra inimicorum insidias militare praesidium postulantem.“ (DIP III [S. 40 f.]). 42 „Vocatus quidem Dei hoc illi praestitit, ut publica potestate opus non haberet: sed interim recte se adversus gentes gentium jure defendit.“ (DIP VIII [S. 90]). 43 DIP VIII (S. 90). 44 Vgl. hierzu Straumann, Grotius und die Antike (Anm. 2), S. 25 – 84. 45 Cic. de off. 1,11,34. 46 DIP VIII (S. 97). 47 Ebd. 41
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len des Alten Testaments verdeutlicht: In Marginalien verweist er auf Num 35,33 f., wo davon die Rede ist, dass durch das Vergehen eines Einzelnen das ganze Land geschändet werde,48 ebenso wie auf Jos 6,21 und 1 Sam 15.49 Um die Legitimität der Beutenahme weiter zu untermauern, bezieht sich Grotius am Ende des Kapitels auf die Davidsgeschichte, da David von den Amalekitern nach den Kampfhandlungen Beute genommen habe.50 Im zehnten Kapitel, das sich mit der Verteilung der Beute beschäftigt, rekurriert Grotius auf einige alttestamentlichen Passagen, um zu zeigen, dass bei den Israeliten die Sitte existiert habe, Beute nicht einfach einzubehalten, sondern zunächst den Herrschern zu übergeben (Num 31,27.31.47; Jos 6,27; 22,7 f.; 1 Sam 30,22 f.).51 In die gleiche Richtung zielt auch ein Verweis auf 2 Sam 12,30, wo davon die Rede ist, dass die Krone des besiegten Königs dem siegreichen zustehe.52 Die letzten Bibelstellenverweise, die an dieser Stelle zu erörtern sind, finden sich im 13. Kapitel, das die Rechtmäßigkeit des vorliegenden Streitfalls zum Gegenstand hat. Grotius beruft sich auf 2 Sam 10, wo Gesandte Israels von Ammonitern misshandelt werden, um ein Beispiel dafür zu liefern, dass die Verletzung des Gesandtenrechts nicht nur in der Schrift, sondern überhaupt bei allen Völkern ein Kriegsgrund darstelle.53 Anhand weiterer Stellen wird die Legitimität eines begründeten Aufstandes veranschaulicht: So wie der Kampf der Niederländer zur Zeit Grotius’ war auch Davids Kampf gegen Saul (1 Sam 23), Abrahams Kampf gegen Kedor-Laomer (Gen 14) und der Aufstand der Stadt Libna gerecht (2 Chr 21,10).54 Während die Bedeutung der bisher untersuchten Bibelstellenverweise in erster Linie darin liegt, biblische Geschichten als historische exempla und juristische Fallstudien anzuführen, gehen die nun zu besprechenden Passagen in eine andere Richtung, da sie in besonderer Weise normativen Charakter haben. Im dritten Kapitel führt Grotius eine Reihe Bibelstellen an, um die Kongruenz von Naturrecht und divina auctoritas nachzuweisen. Dass Gott selbst auch Kriege befohlen habe und gutheiße, ergebe sich aus der Heiligen Schrift, indem Grotius in den Marginalien auf Ri 20,18, wo Gott dem Stamm Juda einen Krieg befiehlt, und 1 Sam 23,2 und 2 Sam 5,19, wo die Israeliten ebenfalls von Gott zum Krieg aufgefordert werden, verweist.55 Grotius spricht hier explizit davon, dass Gott Kriege als seinem Willen gemäß befehle („bella autem ut voluntati suae congruentia Deus imperavit“), zumal er auch als auctor und adiutor von Kriegen bezeichnet wird.56 Ähnlich verhält es sich auch 48
DIP VIII (S. 105). DIP VIII (S. 108). 50 DIP VIII (S. 120). 51 DIP X (S. 142). 52 DIP X (S. 158). 53 DIP XIII (S. 275 f.). 54 DIP XIII (S. 283). 55 DIP III (S. 35). 56 Ebd. 49
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mit der Beutenahme, da Grotius am Rand auf Num 31 verweist, wo die Israeliten ermahnt werden, Beute zu nehmen, ebenso wie auf Jos 8,2 und 22,2 sowie 1 Sam 30,26.57 Zuvor hat Grotius auch hier den Gebotscharakter durch einen Verweis auf das mosaische Recht unterstrichen. Wenngleich diese Bibelstellenverweise nicht weniger historische exempla sind als die genannten Stellen, da sie auf die historischen Erzählungen der Bibel Bezug nehmen, so besteht die Nuance jedoch darin, dass sie durch die direkten Befehle Gottes, die in ihnen berichtet werden, nahezu den Charakter von Gesetzen erhalten. Diese Verweise auf die historia sacra bewegen sich in der Nähe zu den eigentlichen Gesetzestexten des Alten Testaments. II. Lex divina Neben der historia sacra kommt den Verweisen auf das ius civile Hebraeorum, dem mosaischen Gesetz, eine hervorgehobene Stellung zu. Zwar wehrt sich Grotius gegen die Ansicht, dass das ius divinum mit dem Zivilrecht der Israeliten gleichzusetzen sei. Dennoch spielt das mosaische Recht eine bedeutende Rolle in den Ausführungen. Die Mehrzahl der Belege bezieht sich auf das mosaische ius belli in Dtn 20. Im dritten Kapitel rechtfertigt Grotius das Führen von Kriegen mit einem Verweis auf Dtn 20,10, wo Gott Moses Richtlinien über die rechte Kriegsführung gebe, wodurch indirekt auch der Krieg selbst legitimiert werde.58 Dieselbe Stelle wird in anderem Kontext als Beleg dafür herangezogen, dass einem Krieg stets ein Friedensangebot vorausgehen müsse.59 Dtn 20,14, wo von der Verteilung der Beute die Rede ist, wird im vierten Kapitel als Beleg für die grundsätzliche Legitimität der Beute herangezogen – ebenso wie der Sieg von Gott stamme, sei auch die Beute gerecht.60 Während Grotius im achten Kapitel von der Kriegsführung handelt, bezieht er sich auf dieselbe Stelle, um zu zeigen, dass Frauen und Kinder im Krieg zu schonen seien. Dies fordere nicht nur die aequitas, sondern besonders die lex divina, welche als certissima aequitatis magistra bezeichnet wird.61 Trotzdem bezieht sich Grotius im gleichen Kontext auf eine Stelle, die aus demselben Kapitel stammt (Dtn 20,17), um die Legitimität der Tötung von Teilen der Bevölkerung zu erweisen.62 Kurz zuvor nennt Grotius in den Marginalien Dtn 20,11, um die Rechtmäßigkeit von Tributleistungen herauszustellen.63 Am Ende des Buches kommt Grotius auf die Frage des Eigentums zu sprechen, 57
DIP IV (S. 53). DIP III (S. 35). 59 DIP IV (S. 52 f.). 60 Ebd. 61 „Sicut autem in dedita urbe omnibus, ita in ea quae expugnatur quantum fieri potest illis parci, quorum corpora exsecutioni nostrae non obstant, aequitas praecipit et lex divina certissima aequitatis magistra.“ (DIP VIII [S. 108]). 62 Ebd. 63 DIP VIII (S. 106). 58
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die er anhand von Dtn 23,18 erhellt, da Gott dort die Bedeutsamkeit des Eigentums begründe.64 Die übrigen Verweise auf das mosaische Recht stammen aus dem Buch Exodus. Im siebten Kapitel bezieht sich Grotius in den Marginalien auf Ex 22,2, wo von Besitzrechten die Rede ist,65 ebenso wie kurz später in dem Kapitel, wo Grotius Ex 22,28 in den Marginalien als Beleg für den Gehorsam gegenüber Amtsträgern anführt.66 Der im Großen und Ganzen zurückhaltende Gebrauch des mosaischen Gesetzes in DIP spiegelt in gewisser Weise Grotius’ im Vorwort formulierte methodische Bedenken wider. Das ius civile Hebraeorum spielt ebenso wie die historia sacra nur eine untergeordnete Rolle und dient zumeist der Bekräftigung oder Illustration bereits auf der Grundlage des Naturrechts aufgestellter Rechtsnormen. Dennoch betont Grotius die auctoritas des mosaischen Gesetzes, das er als lex divina und certissima aequitatis magistra bezeichnet und dem er gegenüber anderen Rechtstraditionen eine Sonderstellung einräumt. Dieser Befund weist auf eine grundlegende Problematik in DIP hin, die eine Folge des rechtshermeneutischen Ansatzes Grotius’ ist: Indem Grotius sich in seiner Rechtsquellenlehre sowohl auf die sacra auctoritas als auch auf die ratio naturalis beruft, erzeugt er eine aus der Konkurrenz zweier Rechtsquellen notwendigerweise resultierende Spannung. Grotius ist sich dieser Spannung wohl bewusst, da er unentwegt bestrebt ist, den Gleichklang beider Rechtsquellen herauszustellen.67 Diese Tendenz zeigt sich auch bei der Legitimation des Naturrechts und insbesondere im Gebrauch der Schriften des Neuen Testaments.
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DIP XV (S. 340). DIP VII (S. 68). 66 DIP VII (S. 79). 67 Vgl. hierzu besonders u. Abschn. C. III. Mark Somos interpretiert den Bibelgebrauch Grotius’ in eine andere Richtung: Die Schriftbelege zeigten nicht nur, dass Grotius die Bibel als eine Rechtsquelle unter vielen ansehe, sondern dass er auch explizit die Absicht habe, die Unzulänglichkeit der Bibel als Rechtsquelle herauszustellen, indem er gewohnte Auslegungen verkehre, wichtige Bibelstellen auslasse oder widersprüchliche Interpretationen präsentiere (Somos, Secularization [Anm. 2], S. 158 – 190). Somos illustriert seine Vermutung u. a. anhand von normativen Texten wie Dtn 20: So sieht er etwa einen Widerspruch darin, dass Grotius einerseits das Töten aller Gegner toleriere (Dtn 20,13), andererseits die Verschonung von Kindern und Frauen fordere (Dtn 20,14), und folgert hieraus, dass Grotius den Gebrauch der Bibel ad absurdum führen wolle (ebd., S. 164 – 171). Somos ist darin zuzustimmen, dass Grotius einen Zugang zu den biblischen Texten wählt, der sich von dem seiner Zeitgenossen wesentlich unterscheidet, und seine naturrechtliche Argumentation der biblischen vorzieht. Dies ist jedoch nicht verwunderlich, nachdem er das Vorgehen anderer Juristen im Vorwort nachdrücklich kritisiert hat. Jedoch scheint die These, Grotius wolle die Autorität der Bibel gewissermaßen ,bloßstellen‘ und mittels Ironie als absurd erweisen, um einer säkularisierten Rechtslehre Nachdruck zu verleihen, zu weit zu führen (ebd., S. 170). Hiervon kann keine Rede sein, da Grotius gerade bei der Darstellung der lex Dei bestrebt ist, den Gleichklang von sacra auctoritas und ratio naturalis zu betonen und die naturrechtlichen Normen mithilfe der Bibel zusätzlich zu legitimieren (s. u. Abschn. C. III). Gegen die Vermutung Somos’, Grotius interpretiere die Bibel bewusst in einer abwegigen Weise, spricht auch, dass Grotius an seinen Interpretationen noch in IBP festhält. Dort greift er etwa die Frage der Verschonung von 65
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III. Lex Christi Die Evangelien und Briefe des Neuen Testaments erweisen sich als bedeutsam für die Bibelstellenverweise in DIP. Insbesondere im dritten Kapitel spielen sie eine besondere Rolle, da Grotius die Kongruenz von ratio naturalis und sacra auctoritas aufzuzeigen versucht.68 Darüber hinaus bezieht sich Grotius im Verlauf der Argumentation auf weitere neutestamentliche Passagen. Im siebten Kapitel beschäftigt sich Grotius mit der Frage des Gehorsams gegenüber Amtsträgern. Nicht nur die ratio gebiete Gehorsam, sondern auch die divinae literae, auf die er in den Marginalien verweist. Neben Koh 10,17 und Ex 22,28 wird auch 1 Petr 2,17 genannt.69 Der neutestamentliche Beleg steht ohne Differenzierung neben alttestamentlichen und zeigt die Konformität biblischer Lehre mit vernünftiger Argumentation. Im folgenden Kapitel erörtert Grotius die Genese eines Krieges und schließt die Selbstjustiz von Privatleuten weitgehend aus. Ein Beleg neben zahlreichen antiken Autoren und Gesetzestexten ist der Apostel Paulus, der in Röm 12,19 vor der Vergeltung warnt.70 Im neunten Kapitel verteidigt Grotius Beute als legitimes Kriegsziel, solange sie nicht das einzige Ziel des Krieges sei. Als Gewährsmann wird abermals Paulus angeführt (1 Kor 9,7), der den Soldaten Sold gestatte, worunter auch Beute zu verstehen sei.71 Im zehnten Kapitel, das die Frage aufwirft, wer Beute machen dürfe, verweist Grotius in einer Marginalie auf Mt 10,10, um zu zeigen, dass gutes Verhalten belohnt werden müsse. Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass die neutestamentliche Passage nicht etwa den biblischen Standpunkt erhellen soll, sondern das Naturrecht, auf das sich die Marginalie bezieht.72 Dieselbe Stelle und 1 Kor 9,7 werden zum Ende des Kapitels herangezogen, um darzulegen, dass es unrecht sei, wenn Soldaten auf eigene Kosten Krieg führen, weshalb auch die Beute als gerecht erachtet wird.73 Im 13. Kapitel wird Jesus als exemplum für die Rechtsmeinung herangezogen, dass eine bestehende Obrigkeit nicht abgesetzt werden dürfe, ebenso wie Jesus den damaligen Juden nicht zum Aufstand gegen Rom geraten habe (Mt 22,21; Mk 12,17; Lk 20,25).74 Der letzte Beleg stammt aus dem gleichen Kapitel und befindet sich im Kontext der Frage, ob mit Andersgläubigen Verträge geschlossen werden dürfen. Grotius zieht das Gleichnis vom barm-
Schwachen und Frauen erneut auf und beruft sich abermals auf dieselbe Stelle Dtn 20,14 (IBP III 11,9,1 [S. 510]). 68 s. u. Abschn. C. III. 69 „Cum autem de singulis bene opinari caritatis regula praecipiat, tum maxime nos ratio et divinae literae vetant magistratuum esse detractores.“ (DIP VII [S. 79]). 70 DIP VIII (S. 85). 71 DIP IX (S. 126). 72 DIP X (S. 152). 73 DIP X (S. 161). 74 DIP XIII (S. 281).
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herzigen Samariter (Lk 10,29) heran, um herauszuarbeiten, dass menschliche Verpflichtungen nicht aus religiösen Motiven aufgehoben werden dürften.75 Nach diesem Überblick stellt sich zunächst die Frage, ob Grotius zwischen neutestamentlichen und alttestamentlichen Stellenbelegen differenziert. Während die genannten Verweise hier keine ausreichenden Belege liefern, ist es möglich, die Frage anhand des dritten Kapitels zu klären. Dort befasst sich Grotius mit der Frage, ob Christen das Führen von Kriegen erlaubt sei, und referiert die Einwände von Gegnern, dass Krieg früher einmal erlaubt gewesen sei, dass dies jedoch nicht für Christen gelte, die vom Krieg Abstand nehmen sollten.76 Grotius weist dies zunächst mit dem Hinweis zurück, dass das Naturrecht universell und auch für Christen gültig sei.77 Aus diesem Grund könne es keinen Zweifel daran geben, dass Krieg auch für Christen gerecht sei. Darüber hinaus führt Grotius aber auch ein exegetisch-hermeneutisches Prinzip an, das diese Auffassung auch theologisch zu belegen sucht: Alles, was vor der Zeit des Neuen Testaments zulässig gewesen und von Christus nicht explizit aufgehoben worden sei, bleibe auch weiterhin bestehen.78 Da es nun im Neuen Testament keine Belege gegen den Krieg gebe – zumal Christus nichts vom mosaischen Kriegsgesetz geändert habe, sondern hingegen viele Passagen die Legitimität des Krieges unterstützten – seien Kriege, die von Christen ausgehen und sich gegen Christen richten können, weiterhin gerechtfertigt. Von diesem Prinzip macht Grotius keine Abstriche, betont jedoch auch, dass Christen trotz allem zu besonderer moralischer Integrität und Liebe verpflichtet seien (peculiari amoris et concordiae sacramento), welche die herkömmlichen ethischen Standards überschritten, so dass Kriege unter Christen nicht die Regel sein sollten.79 Für das Verhältnis von Altem und Neuem Testament lassen sich aus diesen Ausführungen Grotius’ drei Aus75 „Quod ab Augustini pietate longissime recedit, qui Domini praeceptum exponens quo proximum diligere jubemur, manifestum esse ait omnem hominem proximum dici: neque vero ob religionem distrahi humanitatis officia, docet illustre in evangelio Samaritani exemplum.“ (DIP XIII [S. 298]). 76 „Quod autem nonnulli somniant olim quidem licuisse bellum gerere, at post Christi institutionem idem non licere, aut certe inter Christianos non licere, hoc si ita intelligerent, in bello alterius semper partis aliquam esse culpam indignam Christiano nomine, fuerat tolerandum: nunc cum partem utramque necessario peccare statuunt, nihil est absurdius.“ (DIP III [S. 32 f.]). 77 „Jus enim naturae, hoc est illud quod initio rebus creatis ad earumdem conservationem Deus inseruit, cum divina voluntas immutabilis et aeterna sit, semper et ubique jus est […]. Si ergo jus est semper, etiam post Christum: si ubique, etiam inter Christianos.“ (DIP III [S. 33]). 78 „Licet enim Christianis quidquid ante Christi legem licuit, nec Christus prohibuit. Bella ante Christum justa fuisse probavimus et fatentur omnes. Christus autem nihil prohibuit eorum, quae justa erant jure naturae, qualia esse bella diximus. Imo nihil Christus antiqui foederis mutavit, quod quidem ad vitae humanae justitiam moresque pertineret: sub quo et rem bellicam comprehendimus, quam insuper diserte probatam et Baptistae et Pauli sententiae supra citatae satis convincunt. Justum igitur bellum aliquod Christianis.“ (DIP III [S. 38]). 79 „Illud interim fatendum minime ex officio Christianorum hominum eos facere, qui injuriis suis armorum praestant occasionem, cum praeter communem totius humanitatis necessitudinem peculiari amoris et concordiae sacramento obligentur.“ (DIP III [S. 39]).
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sagen festhalten: Zum einen lassen sich keine grundsätzlichen Differenzen zwischen Altem und Neuem Testament ausmachen in Fragen, für die das Naturrecht als Rechtsquelle herangezogen wird. Da das Naturrecht als universell betrachtet wird, widersprächen ihm weder die alttestamentlichen noch die neutestamentlichen Schriften. Zum anderen räumt Grotius aber auch ein, dass es zwischen Altem und Neuem Testament Unterschiede geben könne. Obgleich dies in der Frage des Krieges wegen der Übereinstimmung beider Testamente irrelevant ist, vertritt Grotius dennoch die Auffassung, dass dort Unterschiede zwischen den Testamenten möglich seien, wo Christus Inhalte des Alten Testaments aufhebe. Als letzter Punkt ist darauf hinzuweisen, dass Grotius von den Christen besondere moralische Standards verlangt. Die Christen besitzen demnach idealiter eine besondere Ethik, welche die Standards der übrigen Menschheit und der ratio naturalis überschreitet.
C. Ius naturale und sacra auctoritas Wenngleich in den vorangegangenen Ausführungen die Bedeutung der Bibelstellenverweise für die juristische Beweisführung aufgezeigt wurde, so ist es schließlich das Naturrecht, dessen sich Grotius als Grundlage seiner Darstellungen bedient. Bereits im Vorwort betont Grotius diesen Umstand, indem er das Naturrecht gegenüber einer biblisch-exegetischen und positivrechtlichen Vorgehensweise profiliert: Um zwischen einzelnen Völkern gültige Rechtsnormen zu begründen, bedürfe es nicht des römischen Rechts oder des Vergleichs der Sitten und Bräuche verschiedener Völker im Sinne des traditionellen ius gentium, sondern der ratio naturalis als iudex und arbitra bonorum atque malorum.80 Das Naturrecht wird daher zu Grotius’ wichtigster Rechtsquelle. I. Voluntas Dei als Ursprung des Naturrechts Grotius entfaltet seine Theorie des Naturrechts in den Prolegomena, wo er neun regulae, die den Ursprung des Naturrechts beschreiben, und 13 leges, welche die hieraus abgeleiteten Rechtsnormen entwickeln, aufstellt.81 Die Grundlage und zugleich der Ursprung des Naturrechts wird in der ersten Regel formuliert: Recht ist, was Gott als seinen Willen bezeichnet hat („Quod Deus se velle significarit, id
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„Quos auctores si illi non legunt, at Baldum suum audire debuerant, qui sapienter docuit inter eos, qui supremam imperii potestatem sibi vindicant, si quid inciderit contentionis, non alium dari judicem, quam naturalem rationem, bonorum atque malorum arbitram: quod et alii eruditiores consciscunt. Nec longe abit vulgatum illud, intellectus penuria eum laborare, qui legem quaerat ubi naturalis suppetat ratio. Aliunde igitur quam ex legum Romanarum corpore petenda est praestabilis illa scientia, quam Cicero dicit consistere in foederibus, pactionibus, conditionibus populorum regum exterarumque nationum, in omni denique belli jure ac pacis.“ (DIP I [S. 6]). 81 Westerman, Disintegration (Anm. 11), S. 132 – 134.
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jus est.“).82 Die voluntas Dei wird jedoch nicht nur aus Orakelsprüchen erkannt, sondern insbesondere aus der Intention des Schöpfers (intentio creantis), welche letztlich das ius naturae sei.83 Gott als Schöpfer der Welt ist somit auch Begründer des Naturrechts, da er der Natur, den Lebewesen und schließlich den Menschen bestimmte Gesetze eingegeben hat, welche sie zu bonum suum unumquodque führen sollen.84 Ursprung und Ziel der Natur und des Naturrechts liegen daher in Gott begründet. Um dies näher zu erläutern und zu belegen, zieht Grotius etymologische Argumentationen heran, anhand deren er nachzuweisen versucht, dass ius von Iovis abgeleitet werde und bereits in der Antike als eng mit Gott in Verbindung stehend betrachtet wurde.85 Darüber hinaus bezieht sich Grotius vornehmlich auf antike philosophische Traditionen, welche seine naturrechtliche Argumentation unterstützen.86 Trotz der zentralen Stellung des Schöpfergottes ist es auffällig, dass Grotius in dem Kapitel keine Bibelstellen bespricht, sondern sich mit der Präsentation römischer und griechischer Quellen begnügt. Obwohl das Naturrecht schöpfungstheologisch begründet wird, gibt Pauline C. Westerman zu bedenken, dass das Naturrecht eigentlich nur mittelbar von Gott seinen Ursprung nehme, da das Naturrecht letztlich aus der Natur des Menschen abgeleitet werde.87 Diesen Umstand zeigt auch die Übersicht über die regulae und leges, da im Grunde nur die erste Regel einen theologischen Bezug erkennen lässt, während die übrigen in der Tat auf die Natur des Menschen oder die menschliche Gemeinschaft zurückgeführt werden.88 Damit wird letztlich die für die Interpretation der Naturrechtskonzeption Grotius’ entscheidende Frage des Säkularisierungspotentials aufgeworfen. Westerman führt aus, dass, indem das ius naturale in DIP von Gott gelöst werde, sich langsam eine Säkularisierung89 des Naturrechts anbahne, die im be82
DIP II (S. 7 f.). Todescan, Law and theology (Anm. 11), S. 289 – 294. „Dei voluntas non oraculis tantum et extraordinariis significationibus, sed vel maxime ex creantis intentione apparet. Inde enim jus naturae est.“ (DIP I [S. 7]). 84 DIP II (S. 9). 85 DIP II (S. 8). Todescan, Law and theology (Anm. 11), S. 291 f. 86 Zur Bedeutung der antiken philosophischen Tradition für die Argumentation Grotius’ vgl. Straumann, Grotius und die Antike (Anm. 2), S. 25 – 84. 87 Westerman, Disintegration (Anm. 11), S. 139 – 142. Ebenso Andreas H. Aure, Der säkularisierte und subjektivierte Naturrechtsbegriff bei Hugo Grotius, in: Forum Historiae Iuris (2008), Abschn. 3 (www.forhistiur.de/zitat/0802aure.htm [zuletzt eingesehen am 27.11.10]) und Straumann, Grotius und die Antike (Anm. 2), S. 26 f. 88 s. u. Abschn. C. II. 89 Der Terminus „Säkularisierung“ erweist sich als nicht unproblematisch, da er zu der Auffassung verleiten könnte, das Naturrecht sei absolut von Gott, eine These, die zwar vertreten wurde, die sich aber weder auf der Grundlage von DIP noch IBP halten lässt (s.u. Anm. 140). Christoph Link bringt den Begriff der „Entkonfessionalisierung“ des Naturrechts in die Diskussion ein, der zwar dem Umstand Rechnung trägt, dass Grotius bestrebt war, ein Rechtssystem zu schaffen, das sowohl für Protestanten als auch für Katholiken Gültigkeit besitzen konnte (vgl. auch Aure, Naturrechtsbegriff [Anm. 87], Abschn. 35). Aber Link weist selbst darauf hin, dass Grotius in einer Zeit wirtschaftlicher und kommerzieller Expansion bis hin nach Asien auch Völker im Blick hatte, die mit den europäischen Staaten keine christliche 83
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rühmten Satz „[e]t haec quidem quae iam diximus, locum aliquem haberent etiamsi daremus, quod sine summo scelere dari nequit, non esse Deum, aut non curari ab eo negotia humana“90 in IBP noch weiter vorangetrieben werde.91 Dennoch betont auch Westerman, dass diese Säkularisierung des Naturrechts weder in DIP noch in IBP von Grotius vollständig zu Ende geführt werde: Die Natur des Menschen werde jedoch zum entscheidenden Verbindungsstück zwischen Gott als Schöpfer der Welt und dem Naturrecht.92 Christoph A. Stumpf hingegen spricht sich für eine stärkere Betonung der theologischen Fundierung der Naturrechtskonzeption Grotius’ aus, indem er neben DIP und IBP auch auf Grotius’ Schrift „Meletius“ verweist.93 Dieser Hinweis auf die erst 1984 gefundene Schrift ist besonders wertvoll, da Grotius in ihr ebenfalls die Schöpfung der Natur und den göttlichen Gesetzgeber als fundamentale Prinzipien benennt.94 Für DIP ist es daher wohl angemessener, eher von Rationalisierung als von Säkularisierung zu sprechen, da Grotius einerseits seine schöpfungstheologischen Grundlagen offenlegt und andererseits keine Frontstellung zur Theologie wahr-
Weltanschauung teilten. Insofern greift „Entkonfessionalisierung“ ebenso zu kurz, wie „Säkularisierung“ zu weit reicht. (Christoph Link, Herrschaftsbegründung und Kirchenhoheit bei Hugo Grotius, in: Christoph Strohm/Heinrich de Wall [Hg.], Konfessionalität und Jurisprudenz in der Frühen Neuzeit [Historische Forschungen, 89], Berlin 2009, S. 347 – 364, hier: 349 f.). 90 IBP Prol. 11 (S. 10). 91 Die rechtshistorische Forschung hat sich intensiv mit diesem Satz von Grotius auseinander gesetzt. Es sei verwiesen auf: James St. Leger, The „etiamsi daremus“ of Hugo Grotius, Rom 1962; Stumpf, Grotian theology (Anm. 12), S. 51 – 58; Leonard Besselink, The Impious Hypothesis Revisited, in: Grotiana 9 (1988), S. 3 – 63; Paola Negro, A Topos in Hugo Grotius: „Etiamsi daremus non esse Deum“, in: Grotiana 19 (1998), S. 3 – 23; Javier Hervada, The Old and the New in the Hypothesis „Etiamsi daremus“ of Grotius, in: Grotiana 4 (1983), S. 3 – 20; Christoph Link, Hugo Grotius als Staatsdenker (Recht und Staat, 512), Tübingen 1983, S. 14 f.; ders., Herrschaftsbegründung (Anm. 89), S. 348 f., dort auch eine Übersicht über die neusten Veröffentlichungen zur Thematik. 92 Westerman, Disintegration (Anm. 11), S. 139 – 142. Vgl. auch Aure, Naturrechtsbegriff (Anm. 87), Abschn. 26 – 39. 93 „Grotius’s secularisation of natural law does not remove God from the scene; it merely provides for an extra link in the chain that connects God with His law: This extra link is human nature.“ (Stumpf, Grotian theology [Anm. 12], S. 28 – 36, 51 – 58, hier: 52). 94 Grotius kommt im „Meletius“ zwar nicht auf die konkrete Frage des Naturrechts zu sprechen, hebt jedoch die Schöpfung der Natur hervor und sieht in Gott den höchsten Gesetzgeber („Statuendum praeterea Deum curare res a se factas nec tantum coelestes, ut quidam voluere, verum etiam humanas […].“ [Hugo Grotius, Meletius sive de iis quae inter Christianos conveniunt epistola, hg., übers., komm. und eingeleitet von Guillaume H.M. Posthumus Meyjes (Studies in the History of Christian Thought, 40), Leiden/New York/Köln/Kopenhagen 1988, S. 77]; „Sequitur porro ut Deum esse legislatorem fateamur.“ [ebd., S. 78]). Zu den Entstehungsumständen und Inhalt vgl. die Einleitung zur kritischen Edition von Guillaume H.M. Posthumus Meyjes (ebd., S. 1 – 71) und Mühlegger, Hugo Grotius (Anm. 14), S. 83 – 137.
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nimmt, im Gegenteil. Stattdessen betont er die Universalität und Vernunftgemäßheit des Naturrechts, das über Weltanschauungen hinaus Gültigkeit besitze.95 II. Entwicklung des ius naturale aus der menschlichen Natur Das schöpfungstheologische Prinzip bildet die Grundlage, von der aus die übrigen Regeln und Gesetze formuliert werden. Weil Gott der Natur eine inhärente Gesetzmäßigkeit und ein Ziel eingepflanzt habe, identifiziert Grotius als grundlegendes Prinzip der Natur den amor sui bzw. die cupido,96 aus welcher sich die beiden ersten Gesetze ableiten: die Legitimität, das eigene Leben zu schützen und Schaden abzuwehren („Vitam tueri et declinare nocitura liceat.“) sowie das Recht, für den Lebensunterhalt Notwendiges zu erwerben („Adjungere sibi quae ad vivendum sunt utilia eaque retinere liceat.“).97 Dieser amor sui wird in der Folge von Grotius erweitert und nicht nur als Selbstliebe auf das einzelne Lebewesen bezogen, sondern als amor alterius bzw. amicitia auch auf andere Lebewesen übertragen.98 Am deutlichsten zeige sich diese Eigenschaft im Mensch, dem Gott ein Abbild seiner selbst aufgeprägt habe.99 Die von Gott angelegte Natur des Menschen tritt nach Grotius am deutlichsten im über die Volksgrenzen hinweg bestehenden Konsens der Menschen zutage:100 Wenngleich das Wesen des Menschen korrumpiert sei, so zeige doch dieser consensus omnium, dass die voluntas Dei auch aus den der Menschheit gemeinsamen Normen abgeleitet werden könne. Ferner diene dieser Konsens auch als „Indiz für die Richtigkeit einer Norm“, wie Christoph Link bemerkt, da rechtliche Normen so auf eine „breite empirische Basis“ gestellt werden könnten.101 Logische Folge des consensus omnium ist deshalb die zweite Regel, dass als Gesetz das zu betrachten sei, was der allgemeine Konsens der Menschen als seinen Willen erkannt habe.102 Indem Grotius aufzeigt, dass auch die Gemeinschaft der Menschen eine Quelle des Naturrechts sein kann, ist es nur folgerichtig, dass sich die nun anschließenden Gesetze der mensch95 Diese Einschätzung findet sich auch in IBP bestätigt. Vgl. Aure, Naturrechtsbegriff (Anm. 87), Abschn. 18. 96 DIP II (S. 9). 97 DIP II (S. 10). 98 DIP II (S. 11). 99 DIP II (S. 11 f.). Die Ableitung des Gemeinschaftsstrebens des Menschen von der Gottesbildlichkeit des Menschen findet sich auch in der theologischen Schrift „Meletius“: „Adde quod Deus secundum semetipsum nullam rem esse homini commendatiorem voluerit atque hominem alterum, quippe ut cognatum hominis et imaginem suam.“ (Grotius, Meletius [Anm. 94], S. 84). 100 DIP II (S. 12). Straumann, Grotius und die Antike (Anm. 2), S. 27; Todescan, Law and theology (Anm. 11), S. 299 – 301. 101 Link, Herrschaftsbegründung (Anm. 89), S. 349. 102 DIP II (S. 12).
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lichen Gemeinschaft zuwenden: das Verbot, anderen Schaden zuzufügen („Ne quis alterum laedat.“) oder sich eines anderen Besitz anzueignen („Ne quis occupat alteri occupata.“),103 Sanktion von Verfehlungen („Malefacta corrigenda.“) und Belohnung guter Taten („Benefacta repensanda.“).104 Neben der Gemeinschaft der Menschen greift Grotius jedoch auch den einzelnen Menschen aus der Menge heraus, da Gott den Mensch frei und unabhängig erschaffen habe. Es entspreche nicht nur dem Willen Gottes, sondern auch dem Konsens der Völker, dass Menschen die Freiheit besitzen, in Übereinstimmung mit ihrem Willen zu handeln.105 Die Autonomie des Menschen bildet somit den Gegenstand der dritten Regel: Was ein Mensch als seinen Willen erklärt hat, ist für ihn verbindliches Gesetz („Quod se quisque velle significaverit, id in eum jus est.“).106 Das vornehmliche Mittel zur Willensäußerung ist die Sprache, welche den Menschen zur Kommunikation und Interaktion mit seinen Mitmenschen befähigt. Aufgrund der großen Bedeutung der Sprache erachtet Grotius daher auch die Lüge als eines der schlimmsten Vergehen.107 Hier liegt der Ursprung der Verträge, welche auf sprachlicher Ausdrucksfähigkeit gründen und Lügen ausschließen.108 Trotz der genannten Prinzipien kam es nach Grotius dazu, dass die genannten Gesetze entweder übertreten oder nicht beachtet wurden.109 Dies führte zur Entstehung von Gemeinwesen, in denen sich die Menschen organisierten und die auch als göttlich legitimiert betrachtet wurden.110 Innerhalb dieser Gemeinwesen wurden die bisherigen Gesetze weitergeführt und modifiziert, sodass zwei weitere leges hinzugefügt wurden: Das Gebot, dem Mitbürger nicht nur nicht zu schaden, sondern ihn auch aktiv zu unterstützen („Ut singuli cives caeteros tum universos, tum singulos non modo non laedererent, verum etiam tuerentur.“) sowie das Gebot, sich nicht nur fremden Eigentums zu enthalten, sondern die Mitbürger zu unterstützen („Ut cives non modo alter alteri privatim aut in commune possessa non eriperent, verum etiam singuli tum quae singulis, tum quae universis necessaria conferrent.“).111 Der Einrichtung des Gemeinwesen wendet sich Grotius in den nächsten beiden Regeln zu: Wenngleich die Menschen frei seien, so hätten sich dennoch alle Völker auf die Einrichtung von Gemeinwesen verständigt, sodass, was das Gemeinwesen als seinen Willen erachtet, Recht ist sowohl für alle Bürger als Gesamtheit („Quidquid respublica se velle significavit, id in cives universos jus est.“)112 als 103
DIP II (S. 13 f.). DIP II (S. 15). 105 DIP II (S. 18). 106 Ebd. 107 DIP II (S. 19). 108 Ebd. 109 Ebd. 110 DIP II (S. 20). 111 DIP II (S. 21). 112 DIP II (S. 23).
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auch für die einzelnen Bürger untereinander („Quidquid respublica se velle significavit, id inter cives singulos jus est.“).113 Nachdem Grotius die Bedeutsamkeit des Gemeinwesens hervorgehoben hat, kommt er auf die Gesetze zu sprechen, die sich aus diesen Prinzipien ergeben: Eines ist, dass Bürger eines Gemeinwesen ihre Rechte gegenüber anderen Bürgern in gerichtlichen Prozessen einfordern („Ne civis adversus civem jus suum nisi judicio exsequatur.“).114 Weitere Gesetze beziehen sich auf die Kompetenzen der Amtsträger, deren Handlungen zum Guten des Gemeinwesens dienen sollen („Ut magistratus omnia gerat e bono reipublicae.“) und deren Amtshandlungen vom Gemeinwesen als verbindlich betrachtet werden („Ut quidquid magistratus gessit respublica ratum habeat.“).115 Die Ausführungen deuten bereits an, dass Grotius Handlungen der Amtsträger und des Gemeinwesens als eng verwoben wahrnimmt. In zwei weiteren Regeln wird dieses Prinzip explizit formuliert, nämlich dass der Wille der Amtsträger sowohl verbindlich für die Bürger in ihrer Gesamtheit („Quod se magistratus velle significavit id in cives universos jus est.“) als auch für die einzelnen Bürger („Quod se magistratus velle significavit id in cives singulos jus est.“) ist.116 Die letzte Regel, welche Grotius einführt, bezieht sich schließlich auf das Verhalten der Staaten zueinander, da als Recht anzusehen ist, was die Staaten untereinander vereinbart haben („Quidquid omnes respublicae significaverunt se velle, id in omnes jus est.“).117 Hieraus folgt, dass kein Staat oder Privatmann bei einem anderen Staat oder Privatmann ohne gerichtlichen Prozess sein Recht einfordern darf („Ne respublica neu civis in alteram rempublicam alteriusve civem jus suum nisi judicio exsequatur.“).118 Wie dieser Vorgang abzulaufen hat, deutet Grotius in der neunten Regel an, da sich das beklagte Gemeinwesen zunächst um eine Klärung bemühen soll, und der Kläger erst dann einschreiten darf, wenn dies unterlassen wird („In judicando priores sint partes ejus reipublicae, unde cujusve a cive petitur. Quod si hujus officium cesset, tum respublica, quae ipsa cujusve civis petit, eam rem judicet.“).119 Als letztes Gesetz formuliert Grotius ein hermeneutisches Prinzip, das der rechten Auslegung und Interpretation der genannten Regeln und Gesetze dienen soll, nämlich in Fällen, wo mehrere Normen gleichzeitig eingehalten werden können, soll dies geschehen, in Fällen, wo Normen zueinander in Widerspruch stehen, ist der ranghöheren der Vorzug zu geben („Ut ubi simul observari possunt observentur: ubi id fieri non potest, tum potior sit quae est dignior.“).120
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DIP II (S. 24). Ebd. 115 DIP II (S. 26). 116 Ebd. 117 Ebd. Vgl. auch Todescan, Law and theology (Anm. 11), S. 301 – 305. 118 DIP II (S. 27). 119 DIP II (S. 28). 120 DIP II (S. 29). 114
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III. Gleichklang von Naturrecht und göttlichem Recht Während Grotius sich zur Darstellung seiner naturrechtlichen Theorien vornehmlich römischer und griechischer Quellen oder des römischen Rechts bedient, wie Benjamin Straumann in seiner Untersuchung herausgearbeitet hat,121 so betrachtet er im dritten Kapitel, in dem es eigentlich um die Legitimität des Krieges geht, das Verhältnis von Naturrecht und Bibel. Grotius betont die Universalität des Naturrechts, das auch nach der Ankunft Christi unverändert bestehen bleibe. Da Gott, dessen Wille unveränderlich sei, dem Menschen das Naturrecht in der Schöpfung für alle Zeiten und Orte eingepflanzt habe, werde es auch durch das Neue Testament nicht aufgehoben.122 Das Naturrecht sei universal und stehe in keinem Konflikt zur Heiligen Schrift. Dies führt Grotius darauf zurück, dass sowohl das Naturrecht als auch die Bibel Zeugnisse der einen voluntas Dei seien: Ebenso wie Gott seinen Willen in seinen Geschöpfen durch das Naturrecht kundgetan habe, so werde sein Wille auch durch die Bibel offenbart.123 Dies verdeutlicht Grotius einerseits, indem er die Legitimität des Krieges, die er bereits naturrechtlich nachgewiesen hat, auch anhand der Bibel zeigt. Andererseits kommt er explizit auf Bibelstellen zu sprechen, welche die Rechtmäßigkeit der in den Prolegomena skizzierten Regeln und Gesetze aufzeigen. Der amor sui findet sich in Lev 19,18 und Mt 19,19 wieder, wo vor der Nächstenliebe auch die Selbstliebe geboten wird.124 Kombiniert man dieses Prinzip mit Gen 1,28 f. gelangt man zu den Schlussfolgerungen der ersten vier Gesetze: Indem man aufgefordert ist, Bedrängten zu helfen (Spr 24,11), sei man auch geheißen, sich selbst zu retten, und wenn man sich um Bedürftige kümmern solle, gelte das umso mehr auch für die eigene Person (2 Kor 8; Eph 4,28).125 Das fünfte und sechste Gesetz findet sich in Spr 20,10, Mt 7,2, Lk 6,31, Mt 7,12 und weiteren Stellen formuliert.126 Auch andere Gesetze finden Exempel in der Heiligen Schrift: Die Notwendigkeit staatlicher Organisation wird in Koh 4,9 gelobt und Paulus mahnt die Unversehrbarkeit von Beamten an (Röm 13,1). Die Unantastbarkeit der Amtsträger wird auch anhand weiterer Stellen wie Joh 19,11, Spr 8,11 – 16 oder einem ausführlichen Zitat von Röm 13,1 ff. unterstrichen.127 Es bleibt jedoch die Frage, weshalb Grotius über die naturrechtliche Argumentation hinaus noch Bedarf für eine biblisch-exegetische Bestätigung sieht. Hierauf lässt sich zunächst antworten, dass die Integration von Bibelverweisen in die juristische Argumentation dem Usus der zeitgenössischen Jurisprudenz, besonders der protestantischen, entsprach. Juristen wie Alberico Gentili, Johannes Althusius und Hugo Donellus erörtern in ihren Schriften eine Vielzahl von Bibelbelegen, denen sie abhän121
Straumann, Grotius und die Antike (Anm. 2), S. 25 – 84. Oben zitiert Anm. 77. 123 DIP III (S. 35). 124 DIP III (S. 36). 125 Ebd. 126 Ebd. 127 DIP III (S. 36 f.). 122
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gig von ihrer Rechtsquellenlehre mehr oder minder Stellenwert einräumen.128 Daneben gilt es zu bedenken, dass Grotius als theologisch versierter Humanist von einer christlichen Weltanschauung geprägt ist, die auch sein juristisches Wirken beeinflusste. Während christlich-konfessionelles Gedankengut bei einer Vielzahl der zeitgenössischen Juristen präsent ist,129 gilt dies in besonderer Weise für Grotius, der sich nicht erst in seiner Pariser Zeit intensiv mit theologischen Themen befasste und seine wirkmächtigen „Annotationes“ verfasste.130 Das theologische Profil des jungen Grotius hat Florian Mühlegger in einer Studie der Frühschriften Grotius’ erhellt.131 Von daher ist es für Grotius eine Selbstverständlichkeit, seine Thesen auch theologisch zu bekräftigen. Noch wichtiger scheint jedoch ein dritter Gesichtspunkt. Der einleitend zitierte Auszug aus Welwods Schrift zeigt die Brisanz der naturrechtlichen Argumentation Grotius’: Schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts erkannte man das Säkularisierungspotential, das sich aus Grotius’ Thesen unweigerlich ergab. Es lässt sich daher vermuten, dass Grotius sich der Bibel bedient, um die Kongruenz biblischen Denkens mit der ratio naturalis vor Augen zu führen. Auch dieser Gebrauch der Bibelverweise ist der damaligen Jurisprudenz nicht fremd, wie jüngst Christoph Strohm in seiner Studie zu reformierten Juristen formuliert hat.132
D. Resümee und Ausblick auf „De iure belli ac pacis“ Nach der Darstellung des Gedankengangs Grotius’ ist es nun an der Zeit, die Ergebnisse zu bündeln. Ein erster Aspekt ist das Bestreben Grotius’, sich um einen differenzierten Umgang mit der Bibel zu bemühen. Er unterscheidet, zumindest formal, zwischen der bloßen Autorität der historia sacra und dem normativen Charakter des mosaischen Gesetzes, wobei er zurückhaltend darin ist, die biblischen Zeugnisse mit dem ius divinum zu identifizieren. Des Weiteren lassen sich feine Unterschiede zwischen dem Gebrauch des Alten und des Neuen Testaments beobachten. Wenngleich 128
Heinrich Janssen, Die Bibel als Grundlage der politischen Theorie des Johannes Althusius (Europäische Hochschulschriften, 445), Frankfurt/M./New York/Paris 1992; Christoph Strohm, Calvinismus und Recht. Weltanschaulich-konfessionelle Aspekte im Werk reformierter Juristen in der Frühen Neuzeit (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, 42), Tübingen 2008, S. 93 – 124, 454 – 458. Vgl. auch Strohms Beitrag zu Gentili in diesem Band. Zur religiösen Prägung der Rechtslehre Althusius’ s. auch Otto von Gierke, Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Rechtssystematik (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, 7), Aalen 1968 (Reprint der 6. Auflage), S. 56 – 75. 129 Vgl. hierzu die Studie Christoph Strohms, die sich mit den weltanschaulich-konfessionellen Einflüssen bei reformierten Juristen innerhalb des Reichs befasst (Strohm, Calvinismus [Anm. 128]). 130 Zum theologischen Profil von Hugo Grotius vgl. Anm. 14. 131 Mühlegger, Hugo Grotius (Anm. 14). 132 Strohm, Calvinismus und Recht (Anm. 128).
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es für die Argumentation in DIP unwesentlich ist, betont Grotius, dass Aussagen des Alten Testaments durch solche des Neuen revidiert werden können. Überdies gesteht er dem Neuen Testament einen höheren moralischen Anspruch zu, als er vom Naturrecht verlangt werde. Dies ist insofern bemerkenswert, als einige Vertreter der zeitgenössischen Jurisprudenz dazu neigten, sich der Heiligen Schrift ohne hinreichende Differenzierung zu bedienen. Dies ist etwa der Fall in den „De iure belli libri tres“ (1598)133 des ursprünglich aus Italien stammenden, in Oxford lehrenden Alberico Gentili,134 aber auch bei anderen reformierten Juristen des 16. und 17. Jahrhunderts, deren Werk gerade von der jüngeren Forschung intensiv studiert wurde.135 Das juristische Wirken Grotius’ ging demgegenüber andere Wege. In IBP führt Grotius die Tendenzen seiner Jugendschrift fort. Auch dort findet sich neben der Unterscheidung zwischen Naturrecht und ius divinum eine innere Differenzierung der Bibel: In der Bibel, von der Teile als willkürliches göttliches Recht (ius voluntarium divinum136) bezeichnet werden, fänden sich Aussagen, die für die gesamte Menschheit bindend seien wie etwa das noachitische Gesetz.137 Die Normen des mosaischen Rechts hingegen eigneten sich zwar als juristische Beispiele, seien jedoch als bürgerliches Recht der Juden nicht verbindlich für andere Völker.138 Von den Christen schließlich 133 Den folgenden Darstellung liegt ein Faksimile-Nachdruck der Ausgabe von 1612 zugrunde: Alberico Gentili, De iure belli libri tres, 2 Bde (Bd. 1: The Photographic Reproduction of the Edition of 1612; Bd 2: The Translation of the Edition of 1612, übers. von John C. Rolfe, mit einer Einleitung von Coleman Phillipson) (Classics of International Law), Oxford/London 1933. 134 In seiner methodologischen Einleitung (Gentili, De iure belli [Anm. 133], I,1) äußert sich Gentili zunächst nur sehr spärlich zur Relevanz von Bibelbelegen in seinem Werk. Nach einem Überblick über die für seine Arbeiten wesentliche Konzeption des Naturrechts kommt Gentili gegen Ende des Kapitels noch prägnant auf die libri sacri Dei zu sprechen: Diesen werde höchste Autorität (summa auctoritas) in den folgenden Darstellungen eingeräumt, da sie nicht nur für die Juden, sondern für alle Menschen aller Zeiten geschrieben seien (Strohm, Calvinismus und Recht [Anm. 128], S. 457 f.). Mit Rückgriff auf Tert. de test. anim. 5 wird die Universalität, Einfachheit und Natürlichkeit der Schrift gelobt („Quae scripta sunt in libris sacris Dei, summam merito auctoritatem obtinebunt: postqua[m] apparuerit, non Hebraeis tantum scripta esse, sed omnibus hominibus, vbique gentium, & temporib[us] omnibus. haec enim esse verae naturae, id est, innoce[n]tis, ac iustae, certissimum est. Haec testimonia ilico diuina sunt. non egent, vt reliquia, gradib[us] illis. a Haec testimonia quanto vera, tanto Simplicia: quanto Simplicia, tanto vulgaria: quanto vulgaria, tanto communia: quanto co[m] munia tanto naturalia: quanto naturalia, tanto diuina.“) (Gentili, De iure belli [Anm. 133], I,1 [S. 16 f.]). Gentili macht keinen Unterschied zwischen Altem und Neuem Testament, die für ihn gleichwertig nebeneinander stehen. Dieser Befund lässt sich auch anhand der eigentlichen Verwendung der Bibelstellen in dem Werk zeigen, da sich Gentili ohne ersichtliche Differenzierung auf Stellen beider Testamente beruft. Zu Alberico Gentili vgl. auch Christoph Strohms Beitrag in diesem Band. 135 Strohm, Calvinismus und Recht (Anm. 128), S. 454 – 458. 136 IBP I 1,15,1 – 2 (S. 41). 137 Ottenwälder, Naturrechtslehre (Anm. 12), S. 26 f.; Stumpf, Grotian theology (Anm. 12), S. 73 – 75. 138 Ottenwälder, Naturrechtslehre (Anm. 12), S. 26 f.; Stumpf, Grotian theology (Anm. 12), S. 75 – 78.
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werde im Evangelium ein höherer ethisch-moralischer Standard als im mosaischen Gesetz oder Naturrecht abverlangt.139 Aus diesem Grund unterscheidet Grotius die Lehren des Neuen Testaments explizit vom Naturrecht. Aus diesen Überlegungen geht hervor, dass die juristischen Grundlagen von IBP bereits in DIP angelegt und vorbereitet werden. Während der Anspruch Grotius’, sich mit der Bibel in differenzierter Weise auseinanderzusetzen, in DIP nicht immer durchgehalten wird, ist er im Hauptwerk von 1625 voll entfaltet. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Verhältnis von Naturrecht und Bibelstellenverweisen. In DIP ist Grotius daran gelegen, den göttlichen Ursprung des Naturrechts zu betonen und den Gleichklang von Heiliger Schrift und Naturrecht herauszustellen. Von einer konsequenten Säkularisierung des Naturrechts, die sich in IBP zwar andeutet, aber noch nicht völlig ausgeprägt ist,140 ist in DIP nichts zu spüren. Stattdessen scheint Grotius noch stärker das Bedürfnis zu empfinden, seine Naturrechtskonzeptionen mithilfe der Bibelstellenverweise zu legitimieren.141 Zurückgeführt wird diese Vorgehensweise auf den gemeinsamen Ursprung des Naturrechts und des göttlichen Rechts. Natur und Schöpfergott scheinen inhaltlich noch enger verbunden als in IBP, wo Grotius explizit auf die Autonomie des ius naturale hinweist: „Est autem ius naturale adeo immutabile, ut ne a Deo quidem mutari queat.“142 Er fügt sich damit in Strömungen der protestantischen, v. a. reformierten Jurisprudenz ein. So zeugen etwa die Schriften des Herborner Juristen Johannes Althusius von dem empfundenen „Gleichklang rationaler Weltgestaltung und biblischer Religion“, wie Christoph Strohm unlängst formuliert hat.143 Dies zeige sich bereits an seiner Hauptschrift „Po-
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Vgl. Aure, Naturrechtsbegriff (Anm. 87), Abschn. 31. Einen höheren moralischen Anspruch gegenüber dem Naturrecht verlange bereits das mosaische Recht, wie Pauline C. Westerman hervorhebt (Westerman, Disintegration [Anm. 11], S. 144). Trotzdem ist zu betonen, dass Grotius auch zwischen den aus dem Alten Testament ableitbaren Rechtnormen und denen des Neuen Testaments unterscheidet. 140 Entgegen der im 19. Jahrhundert vertretenen Vorstellung, Grotius sei der Wegbereiter einer konsequenten Säkularisierung des Naturrechts, zeichnet sich in jüngerer Zeit ein Konsens der Forschung ab, der zwar das innovative Potential der Naturrechtskonzeption Grotius’ betont, aber die theologische Grundhaltung im Wirken Grotius’ grundsätzlich anerkennt. Hervorgehoben wird eher das Anliegen Grotius’, eine Rechtsgrundlage zu schaffen, die für alle Menschen, auch außerhalb des christlichen Abendlandes, verbindlich und vertretbar ist. Vgl. Link, Herrschaftsbegründung (Anm. 89), S. 348 f.; ders., Ius divinum, in: Martin Avenarius/Rudolf Meyer-Pritzl/Cosima Möller (Hg.), Ars iuris. Festschrift für Okko Behrends zum 70. Geburtstag, Göttingen 2009, S. 319 – 334, hier: 330 f. Sehr entschieden weist Christoph A. Stumpf, der sich bei seiner Analyse des Naturrechtsgedankens bei Grotius nicht nur auf DIP und IBP, sondern auch auf die Schrift „Meletius“ bezieht, den Gedanken eines säkularisierten Naturrechts bei Grotius zurück (Stumpf, Grotian theology [Anm. 12], S. 28 – 36, 51 – 58). Zum „Meletius“ s. o. Anm. 94. 141 Den Zusammenhang zwischen natürlicher Vernunft und Theologie betont Wolf, Große Rechtsdenker (Anm. 8), S. 259 f. 142 IBP I 1,10,5 (S. 35). 143 Strohm, Calvinismus und Recht (Anm. 128), S. 454.
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litica methodice digesta“ (1603),144 in der sich neben den nach ramistischer Methode gegliederten juristischen Argumentationen eine Vielzahl an Bibelstellenbelegen finde.145 Noch deutlicher wird dieser Umstand jedoch an der Schrift „Dicaeologica“ (1617), in deren ersten Auflage sich noch kaum Bibelstellenverweise finden, während spätere Auflagen eine nahezu unüberschaubare Menge davon enthalten, was nach Strohm in der Intention begründet ist, „das Unternehmen einer rationalen Rechtslehre angesichts des Vordringens der tridentinischen Konfessionalisierung biblisch-theologisch zu begründen“.146 Aber auch bei Gentili ist dieses Bestreben, eine „Emanzipation der Rechtswissenschaften von der Dominanz der Theologie zu begründen“, präsent.147 Wie schon das methodologische erste Kapitel von „De iure belli libri tres“ die Bibel als natürlich bezeichnet,148 so zieht sich diese Tendenz, die Übereinstimmung von biblischem Recht und weltlichen Rechtsnormen herauszustellen, durch die gesamte Schrift. Diese Legitimationsfunktion der Bibelstellenverweise in DIP führt letztlich dazu, dass die Bibel weniger in ihrer theologischen Besonderheit und Eigenständigkeit gewürdigt wird, sondern eher als Exempelfundus erscheint. Bibelstellen des Alten und des Neuen Testaments werden häufig nebeneinander gestellt, ohne auf die theologischen Unterschiede hinzuweisen. Dieses Verhältnis wird in IBP umgekehrt. Zwar wird auch dort die Argumentation durch Bibelstellenverweis gestützt, jedoch lässt sich eine stärkere Dissoziierung des Naturrechts von der Bibel feststellen, was Grotius im Vorwort deutlich formuliert. Dort kritisiert er nicht nur die Identifikation des Alten Testaments mit dem Naturrecht, die er bei einigen seiner Vorgänger wahrnimmt.149 Er betont auch den höheren moralisch-ethischen Charakter des Neuen Testaments hinsichtlich des Naturrechts.150 Demgegenüber wird das Naturrecht als Rechtsquelle aufgewertet und nahezu vom Alten und Neuen Testament gelöst. Diese Rationalisierung des Naturrechts hat jedoch auch zur Folge, dass die Bibelstellenverweise weniger affirmativ zur Bestätigung des Naturrechts verwendet werden. Zwar werden sie nicht mehr als universell angesehen, jedoch werden nun die Besonderheiten des mosaischen bzw. neutestamentlichen Rechts gewürdigt und treten profilierter zutage. Beispiel hierfür ist das Widerstandsrecht, das nach dem Naturrecht in einigen wenigen konkret umrissenen Bereichen als legitim erachtet wird, Christen jedoch explizit nicht zusteht.151 Während diese Besonderheiten in DIP nur zögerlich 144
Johannes Althusius, Politica methodice digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata […], Aalen 21981 (Reprint der 3., erw. Aufl. Herbon 1614). 145 Vgl. Die Analyse der Bibelstellenverweise von Heinrich Janssen (Janssen, Bibel als Grundlage [Anm. 128]). 146 Strohm, Calvinismus und Recht (Anm. 128), S. 454. 147 Ebd., S. 457. 148 Ebd., S. 457 f. 149 IBP Prol. 48 (S. 24). 150 IBP Prol. 50 (S. 24 f.). Vgl. Aure, Naturrechtsbegriff (Anm. 87), Abschn. 31. 151 Zum Widerstandsrecht allgemein s. IBP I 4,1 – 20 (S. 113 – 129) und zum Verbot des Widerstandsrechts für Christen s. IBP I 4,7,8 – 15 (S. 122 – 125). Vgl. auch Manfred Walther,
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begegnen, nehmen sie zwei Jahrzehnte später immer deutlicher Gestalt an. Das juristische Gutachten DIP aus der Anfangszeit von Grotius’ beruflichem Werdegang erweist sich als besonders wertvoll, um auch in der Frage der Bibelstellenverweise die Genese des epochalen Hauptwerks zu verstehen und die Entwicklung von Grotius’ Denken nachzuzeichnen.
Das Widerstandsrecht bei Grotius, in: Norbert Konegen/Peter Nitschke (Hg.), Staat bei Hugo Grotius (Staatsverständnisse, 9), Baden-Baden 2005, S. 49 – 65.
„Silete theologi in munere alieno“. Konfessionelle Aspekte im Werk Alberico Gentilis Von Christoph Strohm, Heidelberg „Silete Theologi in munere alieno! ruft Gentilis aus, um die Theologen aus der Erörterung des Kriegsbegriffs herauszuhalten und einen nicht-diskriminierenden Kriegsbegriff zu retten (I,12). Es ist der Staat als die neue, rationale Ordnung, der sich hier als der geschichtliche Träger der Ent-Theologisierung und Rationalisierung erweist. In zwei Juristen, bei Bodinus und Gentilis, erreicht er die erste Stufe seines rechtswissenschaftlichen Selbstbewußtseins.“1 Mit diesen Sätzen hat Carl Schmitt in seiner 1950 zum ersten Mal erschienenen Schrift „Der Nomos der Erde“ die historische Bedeutung des italienischen Juristen Alberico Gentili gewürdigt. Zugleich hat er Gentilis Bewertung der Theologen bzw. der Theologie eine Schlüsselrolle für dessen Erörterungen zum Völkerrecht zugesprochen.2 Gentili hat den bemerkenswerten Satz „Silete theologi in munere alieno“ in den 1598 veröffentlichten drei Büchern „De iure belli“ niedergeschrieben.3 Er 1
Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, Berlin (1950) 41997, S. 131. Im Vorwort zur 1963 erschienenen Neuausgabe der Schrift „Der Begriff des Politischen“ formulierte Schmitt: „Das Wort Silete theologi!, das ein Jurist des Völkerrechts am Beginn der staatlichen Epoche den Theologen beider Konfession zugerufen hat, wirkt immer noch weiter. Die arbeitsteilige Aufsplitterung unseres geisteswissenschaftlichen Lehr- und Forschungswesens hat die gemeinsame Sprache verwirrt, und gerade bei Begriffen wie Freund und Feind wird eine itio in partes fast unvermeidlich. Das stolze Selbstbewußtsein, das aus jenem Silete! am Anfang der staatlichen Epoche sprach, ist den Juristen ihres Endes in weitem Maße abhanden gekommen“ (ders., Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien. 5. Reprint d. Ausg. v. 1963, Berlin 2002, S. 15 f.). Schmitts Rückgriff auf Gentilis Wort „Silete theologi in munere alieno“ erfolgt im Kontext seiner Theorie, dass alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre säkularisierte theologische Begriffe seien. Ansätze dafür finden sich bereits in der frühen Schrift „Politische Romantik“ (München/Leipzig [1919] 21925; Berlin 61991). 2 Vor der zitierten Passage heißt es in der Schrift Schmitts: „Das ganze 9. Kapitel des ersten Buches de jure belli des Albericus Gentilis (An bellum justum sit pro religione?) ist eine einzige schwungvolle Polemik gegen die Religionskriege und die von Theologen getragene Lehre vom gerechten Krieg. Das 10. Kapitel begründet den Satz cujus regio ejus religio, verbunden mit einem Vorbehalt der Toleranz nach dem Vorbild des Bodinus. Vitoria wird oft zitiert, aber als Argument gegen die theologische Behandlung der völkerrechtlichen Frage des Krieges. Die Absetzung der Juristen von einem theologisch behandelten Völkerrecht hat hier ihre erste, deutliche Form gefunden“ (ebd.). 3 Alberico Gentili, De iure belli libri tres, Bd. 1: Faksimile-Reprint der Ausg. Hanau 1612; Bd. 2: Engl. Übersetzung v. John C. Rolfe, Oxford 1933; Reprint Buffalo, N.Y. 1995 [weitere Ausg.: Hanau 1598; 1604], Bd. 1, Buch I, Kapitel 12, S. 92.
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steht am Ende mehrerer Kapitel, in denen Gentili verschiedene Konstellationen unterschiedlicher Religion als Kriegsgründe oder „natürliche“ Gründe kritisch behandelt, bevor dann die notwendige oder nützliche Verteidigung erläutert wird.4 Es stellt sich die Frage, wie Gentili zu dem für das 16. Jahrhundert durchaus ungewöhnlichen Satz „Silete theologi in munere alieno“ gelangt ist. Die Frage ist in besonderem Maße relevant, weil inzwischen sowohl die Bedeutung Gentilis für die Geschichte des Völkerrechts vor Hugo Grotius als auch der Einfluss Gentilis auf Grotius herausgearbeitet worden ist.5 In seinen Schriften „De legationibus“ (zuerst London 1585)6 und „De iure belli libri III“ (zuerst Hanau 1598)7 hat er wesentliche Grundentscheidungen des Völkerrechts entwickelt. Dies geschieht zwar nur skizzenhaft, aber Grotius konnte Gentilis Erörterungen aufnehmen und sie in wirkungsvoller Weise systematisieren.8 Die Frage nach den weltanschaulichen bzw. religiös-konfessionellen Hintergründen des Satzes „Silete theologi in munere alieno“ drängt sich auch auf, weil bei Gentili als einem Glaubensflüchtling eine bewusste und konsequente konfessionelle Orientierung angenommen werden muss. 1579 floh er zusammen mit seinem Vater, dem Arzt Matteo Gentili, und seinem Bruder Scipio, der bekanntlich ebenfalls Jurist war, um seines evangelischen Glaubens willen vor der Inquisition aus Italien. Seine Flucht führte ihn über Illyrien, Tübingen, Heidelberg und Antwerpen nach Oxford, wo er seit 1581 als Lektor und seit 1587 als Regius Professor of Civil Law tätig war. Auch wenn man von Veränderungen der Glaubensüberzeugungen in den mehr als 4 Der unmittelbare Kontext des Satzes ist die Ablehnung der Auffassung von der Notwendigkeit des Krieges gegen die Türken, wenn diese sich ruhig verhalten und den Frieden wahren. 5 Nach der Oxforder Antrittsvorlesung Thomas Erskine Hollands im Jahre 1874 (vgl. Thomas Erskine Holland, Studies in International law, Oxford 1898; Reprint Aalen 1979, S. 1 – 39) hat insbesondere Peter Haggenmacher den Einfluss auf Grotius herausgearbeitet (vgl. Peter Haggenmacher, Grotius and Gentili. A Reassessment of Thomas E. Holland’s Inaugural Lecture, in: Hedley Bull/Benedict Kingsbury/Adam Roberts (Hg.), Hugo Grotius and International Relations, London 1990, S. 133 – 176.). Vgl. bereits Carl von Kaltenborn, Die Vorläufer des Hugo Grotius auf dem Gebiet des Ius naturae et gentium, Abt. I. Literaturhistorische Forschungen; Abt. II. Kritische Ausgaben der Autoren (Zur Geschichte des Natur- und Völkerrechts sowie der Politik, 1. Bd.), Leipzig 1848, S. 229: „Hugo Grotius ist nicht der erste Gründer der modernen Völkerrechtsdisciplin, denn Albericus Gentilis darf hier mit ihm um den Sieg in die Schranken treten; […]“. 6 Vgl. Alberico Gentili, De legationibus libri tres, vol. 1: A Photographic Reproduction of the Edition of 1594, with an Introduction by Ernest Nys; vol. 2: A Translation of the Text, by Gordon J. Laing […] (The Classics of International Law, 16), New York 1924 [weitere Ausg.: London 1585; Hanau 1596; 1607; New York et al. 1924]. 7 Siehe oben Anm. 3; vgl. bereits Alberico Gentili, De iure belli commentationes duo, London 1589. 8 Grotius hat am Beginn seines Werkes „De iure belli ac pacis“ von 1625 ausdrücklich auf Gentili Bezug genommen (vgl. Hugo Grotius, De jure belli ac pacis libri tres, in quibus jus naturae & gentium, item juris publici praecipua explicantur […], Amsterdam 1689, Prolegomena, § 38, S. XXI). Vgl. auch die oben Anm. 5 genannte Literatur.
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dreißig Jahren von der Flucht bis zu seinem Tod im Jahre 1608 ausgehen kann, gibt es keine Anzeichen für einen Bruch in dieser Hinsicht. In den letzten dreißig Jahren hat die Erforschung des juristischen Werkes Alberico Gentilis große Fortschritte gemacht. Nach der grundlegenden Dissertation Gesina H. J. van der Molens „Alberico Gentili and the development of international law“ aus dem Jahre 19379 hat Diego Panizza im Jahre 1981 eine weitere Gesamtdarstellung vorgelegt.10 Insbesondere das Centro Internazionale di Studi Gentiliani in San Ginesio hat inzwischen dreizehn, zum großen Teil aus Tagungen hervorgegangene, Gentili gewidmete Bände zum Druck gebracht.11
9 Gesina Hermina Johanna van der Molen, Alberico Gentili and the development of international law. His life, work and times, Amsterdam 1937; 2., durchges. Aufl., Leiden 1968; zur Biographie und Übersicht über Gentilis Werke vgl. bereits Johann Friedrich Jugler, Beytraege zur juristischen Biographie: Oder genauere litterarische und critische Nachrichten von dem Leben und den Schriften verstorbener Rechtsgelehrten auch Staatsmaenner, welche sich in Europa beruehmt gemacht haben, 6 Bde., Leipzig 1773 – 1780, Bd. 6, S. 126 – 146; vgl. ferner Angela De Benedictis, Gentili, Alberico, in: Dizionario Biografico degli Italiani, hg. v. Alberto M. Ghisalberti u. a., Bd. 53, Rom 1999, S. 245 – 251. 10 Diego Panizza, Alberico Gentili, giurista ideologo nell’ Inghilterra Elisabettiana, Padua 1981. 11 Vgl. Diego Panizza (Hg.), Alberico Gentili, giurista e intellettuale globale. Atti del Convegno, Prima Giornata Gentiliana, 25 settembre 1983, Mailand 1988; Alberico Gentili e la dottrina della guerra giusta nella prospettiva di oggi. Atti del Convegno, III Giornata Gentiliana, 17 Settembre 1988, Mailand 1991; Il diritto della guerra e della pace di Alberico Gentili. Atti del convegno, quarta Giornata gentiliana, 21 settembre 1991, Mailand 1995; Alain Wijffels (Hg.), Alberico Gentili consiliatore. Atti del Convegno, Quinta Giornata Gentiliana, 19 Settembre 1992, Mailand 1999; Alberico Gentili nel quarto centenario del De jure belli. Atti del Convegno, Ottava Giornata Gentiliana, San Ginesio-Macerata, 26 – 28 novembre 1998, Mailand 2000; Benedict Kingsbury (Hg.), Alberico Gentili e il mondo extraeuropeo. Atti del Convegno, VII Giornata Gentiliana, 20 Settembre 1997, Mailand 2001; Diego Panizza (Hg.), Alberico Gentili. Politica e religione nell’età delle guerre di religione. Atti del Convegno, II Giornata Gentiliana, 17 Maggio 1987, Mailand 2002; Alberico Gentili. La soluzione pacifica delle controversie internazionali. Atti del convegno, Nona Giornata Gentiliana, San Ginesio, 29 – 30 settembre 2000, Mailand 2003; Alberico Gentili. L’ordine internazionale in un mondo a più civiltà. Atti del Convegno, X Giornata Gentiliana, 20 – 21 Settembre 2002, Mailand 2004; Alberico Gentili. L’uso della forza nel diritto internazionale. Atti del Convegno, Undicesima Giornata Gentiliana, San Ginesio, 17 – 18 settembre 2004, Mailand 2006; Alberico Gentili. La salvaguardia dei beni culturali nel diritto internazionale. Atti del Convegno Dodicesima Giornata Gentiliana, San Ginesio, 22 – 23 settembre 2006, Mailand 2008; Luigi Lacchè (Hg.), Ius gentium, ius communicationis, ius belli. Alberico Gentili e gli orizzonti della modernità. Atti del convegno di Macerata in occasione delle celebrazioni del quarto centenario della morte di Alberico Gentili (1552 – 1608), Macerata, 6 – 7 Dicembre 2007, Mailand 2009. Vgl. ferner Alberico Gentili, Il diritto di guerra (de iure belli libri III, 1598). Introduzione di Diego Quaglioni, traduzione di Pietro Nencini, apparato critico a cura di Giuliano Marchetto e Christian Zendri (Centro Internazionale di Studi Gentiliani), Mailand 2008; zur Edition eines bisher ungedruckten Kommentars Gentilis vgl. Giovanni Minnucci, Alberico Gentili tra mos italicus e mos gallicus. L’inedito commentario ad legem Juliam de adulteriis (Archivio per la storia del diritto medioevale e moderno, 6), Bologna 2002.
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In jüngster Zeit ist zugleich das bislang bestimmende Bild Gentilis als eines konsequenten Vertreters des traditionellen mos italicus korrigiert bzw. modifiziert worden.12 In der frühen Schrift „De iuris interpretibus dialogi“13 hatte Gentili die traditionelle Auslegungsmethode der Legisten und Kommentatoren gegen die französischen Vertreter der humanistischen Jurisprudenz verteidigt. Diese kritisierten nicht nur die an der Titelarchitektur des Corpus Iuris Civilis entlanggehende Auslegung der Kommentatoren, sondern sie relativierten im Zuge ihrer historischen Kontextualisierung des römischen Rechts auch die Geltung des justinianischen Rechts. Denn die justinianische Kodifikation des 6. Jahrhunderts n. Chr. bot, wie insbesondere Guillaume Budé gezeigt hatte, den Text der römischen Juristen der klassischen Zeit nicht immer zuverlässig. Gentili hat in seinen späteren Arbeiten zwar an der Wertschätzung der justinianischen Textgestalt und auch den Kommentierungen eines Bartolus und anderer Exponenten der mittelalterlichen Rechtswissenschaft festgehalten, zugleich aber vielfach auf Vertreter der historisch-kontextualisierenden und der systematischen Richtung der humanistischen Jurisprudenz Frankreichs Bezug genommen.14 Gentilis Konfession und vor allem die möglichen Auswirkungen auf seine juristischen Arbeiten sind nur in Ansätzen erforscht.15 Die folgenden Ausführungen versuchen, hier zu weiteren Klärungen zu gelangen und insbesondere das Verhältnis der konfessionellen Orientierung zu dem charakteristischen Satz „Silete theologi in munere alieno!“ zu erläutern. Zu beachten ist, dass der Satz an sich schon davor warnt, konfessionelle Aspekte überzubewerten, weil er programmatisch das Eigenrecht juristischer Argumentation einfordert. Zugleich soll aber deutlich werden, dass hinter einer solchen profilierten Aussage eine bestimmte theologische Grundentscheidung steht. Oder anders ausgedrückt: Ein römisch-katholischer Jurist hätte diesen Satz so eben nicht formuliert. 12
Vgl. Minnucci, Alberico Gentili tra mos italicus e mos gallicus (Anm. 11); Panizza, Gentili (Anm. 10), S. 40 – 47; Alain A. Wijffels, From Perugia to Oxford. Past and Present of Political Paradigms, in: Ferdinando Treggiari (Hg.), Alberico Gentili. La tradizione giuridica perugina e la fondazione del diritto internazionale (Atti dell’Incontro di studio [Perugia, 10 ottobre 2008]), Perugia 2010, S. 57 – 78. 13 Vgl. Alberico Gentili, De iuris interpretibus dialogi sex, London 1582; vgl. Helmut Coing, Philologie und Jurisprudenz. Eine Analyse der Dialogi des Gentilis, in: Konrad Gaiser (Hg.), Das Altertum und jedes neue Gute. Für Wolfgang Schadewaldt zum 15. März 1970, Stuttgart u. a. 1970, S. 343 – 456. 14 Siehe dazu genauer unten S. 213 mit Anm. 94. 15 Vgl. lediglich die summarischen Ausführungen bei: van der Molen, Gentili (Anm. 9), S. 245 – 267; Panizza, Gentili (Anm. 10), S. 15 – 40 u. 138 – 145. In seiner Studie zu den „Civilian writers of Doctors’ Commons, London“ hat Daniel R. Coquillette einen Zusammenhang der Bemühungen um eine Säkularisierung des Völkerrechts mit seiner scharf antirömischen religiösen Grundhaltung vermutet: „Perhaps this same Protestantism was the driving force behind Gentili’s desire to secularize the ius gentium“ (Daniel R. Coquillette, The civilian writers of Doctors’ Commons, London. Three centuries of juristic innovation in comparative, commercial and international law [Comparative studies in continental and Anglo-American legal history, 3], Berlin 1988, S. 70).
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A. Indizien und Inhalte konfessioneller Orientierung Van der Molen hat in ihrer grundlegenden Arbeit folgendes, bis heute gültiges Urteil gefällt: „In summing up, we come to the conclusion, that Gentili was a Calvinist, who afterwards joined the Anglican Church and conformed to her confession.“16 Auch wenn bei dieser Formulierung die Gefahr besteht, die Differenz zwischen Calvinismus und anglikanischer Kirche überzubewerten, lassen sich mehrere Indizien für die Bestätigung des Urteils anführen. Zuerst einmal hat Gentili selbst in einer Notiz festgehalten, dass seine ersten drei Kinder in der französischen Flüchtlingsgemeinde in London getauft worden waren: 1590 sein erstgeborener Sohn Robert sowie 1595 die Tochter Anna (verstorben bereits 1597) und am 25. September 1598 die zweite Tochter wiederum mit dem Namen Anna.17 Die französische Flüchtlingsgemeinde war hervorgegangen aus der 1549 von Johannes a Lasco gegründeten Flüchtlingsgemeinde. Unter ihrem ersten Pfarrer Nicolas de Gallars (1560 – 1563), einem engen Vertrauten Calvins, setzte sich in der französischen Flüchtlingsgemeinde eine stark von Calvin und der französischen „Discipline ecclésiastique“ von 1559 beeinflusste Kirchenordnung durch.18 Von 1574 bis 1611 war Robert le Maçon, Sieur de la Fontaine, neben Anderen Pfarrer dieser calvinisch-reformierten Gemeinde.19 Die von Robert le Maçon 1578 verfasste „Police et discipline ecclesiastique“ wurde im August 1579 durch Pfarrer und Älteste bestätigt und von nun an von allen Amtsträgern, auch den Diakonen, unterschrieben. Die Kirchenordnung schließt unmittelbar an de Gallars’ Ordnung an und ist aufs stärkste von Genfer Vorgaben bestimmt.20 Beim ältesten Sohn nennt Gentili Le Maçon auch ausdrücklich als taufenden Pfarrer. Im Zeitraum zwischen September 1598 und Februar 1601 ist Gentili in die anglikanische Kirche gewechselt, denn die am 2. Februar 1601 geborene Tochter Esther 16
Van der Molen, Gentili (Anm. 9), S. 256. „In one of the D’Orville MSS. (612) Alberico makes the following entries: – D.O.M. Gratiae finis libri 7 et ult., cons. Alexandri. – Die ult. sept 1590. – Hoc anno, die sept. 11, hora prope 11, Londini, primogenitus mihi natus. Baptizatus in peregrina illa Gallica ecclesia die 28 die dominica, in edicone pomeridiana, a ministro Fontana, susceptoribus Roberto Essexio Comite, per Thom. Sherlie Eq. Et Hen. Killigrew, Anglis, et Iaele de Peigne, Galla, filii nom. Roberti, D. B. – Die ultima martii hora pom. quarta 1595 nata Anna, bapt. in Gallica ecclesia a ministro Capello die aprilis dominco secundo in edicione pomerid. Me suscipiente pro fratre Scipione et illustri Anna Palavicina, quae nomen contulit. D. B. Obiit Iulii mense, anno 97. – Die 25 sept. 1598 Anna secunda nata, bapt. in eccl. Gallica peregrina Londini, Castollo ministro, me patre susceptore. D. B.“ (Holland, Studies [Anm. 5], S. 26). 18 Vgl. Judith Becker, Gemeindeordnung und Kirchenzucht. Johannes a Lascos Kirchenordnung für London (1555) und die reformierte Konfessionsbildung (Studies in Medieval and Reformation Thought, 122) Leiden/Boston 2007, S. 413 f. 19 Zu Le Maçon vgl. Christoph Strohm, Petrus Martyr Vermiglis Loci communes und Calvins Institutio christianae religionis, in: Emidio Campi, unter Mitarb. v. Frank A. James III/ Peter Opitz (Hg.), Peter Martyr Vermigli. Humanism, Republicanism, Reformation / Petrus Martyr Vermigli. Humanismus, Republikanismus, Reformation (Travaux d’Humanisme et Renaissance, 365), Genf 2002, S. 77 – 104, hier: S. 80 – 83 u. 103 f. 20 Vgl. Becker, Gemeindeordnung (Anm. 18), S. 421 – 427; zu einem von Le Maçon verfassten „Catechisme et instruction familiere“ vgl. ebd., S. 427 – 430. 17
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wurde ebenso wie der am 27. November 1603 geborene Sohn Mathaeus in der anglikanischen Church of St. Helen’s, Bishopgate, getauft.21 Der „Wechsel“ von der Flüchtlingsgemeinde in die anglikanische Kirche erfolgte in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Höhepunkt des Streits mit dem puritanischen Theologen John Reynolds über die Legitimität des akademischen Theaterspiels 1599. Hier ging es, wie noch genauer zu erläutern sein wird, maßgeblich um die Befähigung nicht nur der Theologen, sondern auch der übrigen Gemeindeglieder zur Bibelauslegung. Gentili hat mit großer Entschiedenheit die Kompetenz der Juristen im Blick auf die Auslegung der zweiten Tafel des Dekaloges verteidigt. In der französischen Flüchtlingsgemeinde hatte sich am Ende des 16. Jahrhunderts jedoch entgegen der ursprünglichen Gemeindekonzeption eine Dominanz der Pfarrer unter Führung Le Maçons in Fragen der Lehre, der Gemeindeleitung und der Kirchenzucht herausgebildet.22 Möglicherweise ist hier eine Ursache für den Wechsel Gentilis und seiner Familie in die anglikanische Kirche zu suchen. In den nach 1600 entstandenen Schriften finden sich vermehrte Abgrenzungen gegen einzelne Auffassungen der ansonsten als „nostri theologi“ bezeichneten und geschätzten calvinisch-reformierten Autoren.23 In einem kurz nach der Flucht aus Italien, wohl um das Jahr 1580 verfassten, handschriftlichen Text „De Papatu Romano Antichristo assertiones ex verbo Dei et S. S. patribus“24 sind die Erfahrungen der Verfolgung durch die Inquisition präsent. Daraus erklärt sich auch die thematische Ausrichtung auf die Erläuterung der gemeinprotestantischen Bewertung des Papstes als Antichrist. Charakteristisch ist die durchgängige Christozentrik des Traktats. Christus wird nicht nur dem Papst als Haupt der 21
„Die 2 febr. 1601 Esther nata, bapt. in eccl. paroch. stae. Helenae in via episcopi. D. B. die 27 nov. 1603 illico post mediam noctem natus Mathaeus, bapt. Londini, in eccl. paroch. stae. Helenae. D. B.“ (Holland, Studies [Anm. 5], S. 26). 22 Vgl. Becker, Gemeindeordnung (Anm. 18), S. 435 – 537. 23 Vgl. z. B. die zuvor nicht formulierte Kritik an dem sonst hochgeschätzten Reformator Calvin, in: Alberico Gentili, Disputationum de nuptiis libri VII, Hanau 1601 [weitere Ausg.: Hanau 1614], Buch I, Kapitel 12, S. 62. Am Ende der „Regales disputationes tres, id est, de potestate regis absoluta. De vnione regnorum Britanniæ. De vi ciuium in regem semper iniusta“ (London 1605) wendet er sich ganz grundsätzlich der Widerlegung der Theologen zu und grenzt sich auch von den sonst außerordentlich geschätzten Theologen Theodor Beza und Petrus Martyr Vermigli ab: „Nunc veniamus ad Theologos. Quorum iudicium reiicio ego primum veluti latum non a peritis istius iuris, non a iudicibus propriis secundae tabulae. Et fremant isti, quantum possunt, stat mea disputatio, quae abiudicat Theologis eam iudicationem. At reiicio eorundem hic iudicium, veluti latum (quod negari nequit) ab ipsis partibus, certe a partium studiosissimis“ (ebd., S. 121). Zwar werden Martyr Vermigli und Beza mit vergleichsweise wohlwollend bewerteten Aussagen zitiert, aber der Text endet mit einer Verurteilung des Aufstands der französischen Hugenotten um ihrer religiösen Überzeugung willen („coniuratio“), an der Beza maßgeblich beteiligt war (ebd., S. 132). Zu Gentilis vielfachem Rückgriff auf Calvin, Beza und Martyr Vermigli siehe auch unten S. 205 f. 24 De Papatu Romano Antichristo assertiones ex verbo Dei et S. S. patribus. Alberico Gentili Italo auctore, 190 S., D. Orville M. S. S. 607, Bodleian Library, Oxford; zur Datierung vgl. van der Molen, Gentili (Anm. 9), S. 246 f. und 331. Mit spekulativen, wenig überzeugenden Begründungen hat G. Speranza den Text auf die späten Jahre 1604 – 1606 datiert (vgl. Giuseppe Speranza, Alberico Gentili, 2 Bde., Rom 1876/1910, Bd. I, S. 231).
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Kirche gegenübergestellt, sondern auch als alleiniger Mittler und Erlöser skizziert.25 Eine klare innerprotestantische Differenzierung in der Zuordnung Gentilis lässt der Traktat nicht zu. Gemeinprotestantisch ist die Auffassung von der mangelnden biblischen Begründung der Reliquienverehrung, der Anbetung der Heiligen, des Zölibats von Priestern, Mönchen und Nonnen, der Messen für Verstorbene, der Fastengebote, der Siebenzahl der Sakramente oder auch der Lehre vom Unterschied von praecepta und consilia für Laien und Kleriker.26 Das Schriftprinzip wird stark betont.27 Die Kirche beruht im protestantischen Sinne ausschließlich auf Wort und Sakrament, dem Amt kommt daneben keine eigenständige Bedeutung zu.28 Eine Präferenz für die lutherische Form des Protestantismus könnte eine betonte Erläuterung der Rechtfertigung sola fide29 und die Abwehr des Vorwurfs, daraus würde moralische Indifferenz folgen, nahe legen. Entsprechend findet sich in Gentilis Traktat auch die Kritik einer pelagianischen Ausrichtung der römisch-katholischen Kirche.30 Eher für die calvinisch-reformierte Richtung des Protestantismus 25 „[…] scripta satis sunt, o Papa, ut credamus, quod Jesus est Christus ille filius Dei, et ut credentes vitam habeamus per nomen eius“ (Gentili, De papatu [Anm. 24], f. 19r). Vgl. ebd., f. 27r. 26 Vgl. Gentili, De papatu (Anm. 24), f. 50r. 27 „Sacrarum litterarum auctoritas non constat, sed evanescit penitus, et in vanissimos fumos resolvitur, futilisque et frivola est, nisi eam Traditio in fundamentum stabiliat“ (Gentili, De papatu [Anm. 24], f. 19r). 28 „Christiana igitur religio verbo nititur et sacramentis. Verbum ut conentur de suo gradu deijcere Papistae, iam dictum est, et notabitur alias. Sacramenta, ut perturbarent tot superadditis, quis non videt?“ (Gentili, De papatu [Anm. 24], f. 20v). 29 In der Kritik an den römischen Fastengeboten nimmt Gentili ausdrücklich auf Luther Bezug, der in der Schrift „Von den guten Werken“ von 1521 die paulinische Auffassung, dass alles, was nicht aus Glauben geschieht, Sünde sei, entfaltet hatte (vgl. Martin Luther, Von den guten Werken, in: ders., Werke, Bd. 6, Weimar 1888, S. 202 – 276, bes. S. 206, Zl. 13 f.), Bezug: „Actum est, tunc mihimet ego, qui audivi, de Lutheranis: nescibam n. illud: quod non est ex fide, peccatum est. Videor satis dixisse de clarissimis rebus“ (Gentili, De papatu [Anm. 24], f. 36v). Vgl. ebd., f. 47v : „Nos omnino dicimus, bona opera partem nullam tenere in iustificatione, ut qui asseramus Christo totum, et fidei in ipsum […].“ Die Auffassung, dass unsere Rechtfertigung aus der Gnade und den Werken kommt, bezeichnet Gentili als „blasphemia“ (ebd., f. 48r). Vgl. ferner ebd., f. 52r-v. 30 Vgl. Gentili, De papatu (Anm. 24), f. 43r-v u. 47v. Für Sympathie gegenüber dem Luthertum sprechen auch seine ausgesprochen positiven Erinnerungen an die beiden lutherischen Herrscher Württembergs und der Kurpfalz, die ihm Heimstatt gewährten: Herzog Ludwig von Württemberg und Kurfürst Ludwig VI. von der Pfalz. Die positiven Worte in einer 1583 gedruckten Widmungsrede sind deshalb so bemerkenswert, da es sich bei dem gelobten Kurfürsten Ludwig VI. um den pfälzischen Herrscher handelte, der in seiner kurzen Herrschaftszeit (1576 – 1583) den durch seinen Vater Kurfürst Friedrich III. vollzogenen Übergang der Kurpfalz zum Reformiertentum wieder rückgängig zu machen suchte und die lutherische Konkordienformel einführte. „Multis equidem nominibus Lvdovico Illvstris. Dvci Wirtemberg. multis etiam Lvdovico Electori Palatino Illvstriss. deuinctus sum: per quos minime aliquando stetit (quae est Principum Germaniae, et horum singularis humanitatis laus) quominus vel in Tubingensi, vel in Heydelbergensi nobilibus, florentissimisque eorum Academjs et ab exilio meo conquiescere, et honestissimis etiam condicionibus Ius hoc ciuile, in quo me
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charakteristisch sind drei Motive. Zum einen berichtet Gentili in betonter Weise, dass ihn auf der Flucht aus Italien in Illyrien, Deutschland, Belgien und in England das gemeinsame, Geist-bestimmte Singen der Psalmen und Hymnen Christi durch die unterschiedlichsten Menschen getröstet habe.31 Zum zweiten plädiert er für das biblische Bilderverbot. Bilder seien auch als Bücher für die Laien unnötig, da der Heilige Geist auch in Kindern wirke und nach Paulus das Wort Gottes allen Menschen gepredigt werden solle.32 Zum dritten hat Gentili die Leugnung der göttlichen Prädestination durch das Papsttum, die eine Ablehnung von Gottes Allmacht und Providenz bedeute, zurückgewiesen.33 Hier findet das Interesse an der Providenz, das für die von Calvin geprägte Reformation als einer Flüchtlingsreligion charakteristisch gewesen ist,34 ihren Niederschlag in der konfessionellen Orientierung des Flüchtlings Gentili. Jedoch sollte man bei der Interpretation dieser Passage nicht von einer „specific Calvinistic doctrine of predestination“ sprechen, wie das van der Molen getan hat.35 Eine solche spezifisch calvinistische Prädestinationslehre gibt es genau genommen erst nach der knapp dreißig Jahre später abgehaltenen Dordrechter Synode exerceo, profiteri potuissem. Excepit Wirtembergensis me benignissime; discendentem honorifico Academiae suae testimonio ad Palatinvm est presecutus, munere etiam donatum amplissimo. Palatinvs quid non dedit? vniuersum senatum Academicum praestare nobis conuiuia, praestare alia munificentiae et beneuolentiae officia Princeps maximus voluit. Quoties tantam Germanorum benignitatem, liberalitatemque recordor (recordor autem saepissime) ardeo quasi desiderio totus alicuius edendae significationis animi mei, qui erga nationem illam et illos Principes incredibili beneuolentia, studio, et amore maximo inflammatur. Ita mirum in modum Germanis debeo“ (Alberico Gentili, Lectionum et epistolarum, quae ad ius ciuile pertinent, liber I-IV, London 1583/84, S. 63). 31 „Ego, statim atque Italia exij, in Illyrio, in Germania, in Belgio, in Anglia etiam agricolas, pastores, nautas, pueros, puellas audivi canentes Deo Psalmos, Christo Hymnos ex Sanctis Biblijs, quemlibet lingua sua materna. O qualem spiritum, quales consolationes. Et unaquaeque lingua laudet Dominum“ (Gentili, De papatu [Anm. 24], f. 18v). 32 Vgl. Gentili, De papatu (Anm. 24), f. 10v-12v. 33 „Quattuor prae caeteris Deo tribuuntur: Omnipotentia, Providentia, Iustitia, Misericordia; tribuuntur autem in summo gradu; at in articulo Praedestinationis aut Omnipotentiam in Deo non agnoscit Papatus, aut Providentiam. Si enim Permissionem suam sic accipit, ut nolit Deus culpabiles perdi; et invito Deo fieri illud credat, an non tollit omnipotentiam? Si vero dixerit, Deum non curare, an providentiam fatetur! Explicent nodum Mateologi Papae, qui sapere volunt supra Paulum, sophisticantes de altitudine consilij Dei“ (Gentili, De papatu [Anm. 24], f. 72r-v). 34 Vgl. Heiko A. Oberman, Europa Afflicta. The Reformation of the Refugees, in: Archiv für Reformationsgeschichte 83 (1992), S. 91 – 111; ders., Zwei Reformationen. Luther und Calvin – Alte und Neue Welt, Berlin 2003; Heinz Schilling, Die niederländischen Exulanten des 16. Jahrhunderts. Ein Beitrag zum Typus der frühneuzeitlichen Konfessionsmigration, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 43 (1992), S. 67 – 78; ders., Peregrini und Schiffchen Gottes. Flüchtlingserfahrung und Exulantentheologie des frühneuzeitlichen Calvinismus, in: Ansgar Reiss/Sabine Witt (Hg.), Calvinismus. Die Reformierten in Deutschland und Europa. Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums Berlin und der Johannes a Lasco Bibliothek Emden, Dresden 2009, S. 160 – 168; Christoph Strohm, Johannes Calvin. Leben und Werk des Reformators (bsr 2469), München 2009, S. 45 – 51, 66 – 69, 76, 91 f., 95 f. 35 Vgl. van der Molen, Gentili (Anm. 9), S. 249.
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von 1618/19. Zuvor gab es in der von Calvin geprägten Reformation eine sehr viel größere Pluralität in dieser Sache und Gentilis Aussagen gehen kaum über eine allgemeine Vorsehungsfrömmigkeit hinaus. Schließlich könnte man auch die Schärfe, mit der Gentili seine Kritik nicht nur am Papsttum, sondern ebenso an den Theologen der Sorbonne, dem Konzil von Trient und den Jesuiten vorträgt, als Indiz für eine Nähe zum westeuropäischen, durch Calvin geprägten Protestantismus bewerten. Aber für die heftigen Angriffe auf die moralisch korrumpierte römisch-katholische Hierarchie lassen sich – beginnend mit Luther – auch Parallelen in der lutherischen Reformation finden. In der späten, 1601 gedruckten Schrift „Disputationum de nuptiis libri VII“ hat Gentili in einem Kapitel „De theologia et religione“ einen komprimierten Überblick über den Inhalt von Theologie und Religion gegeben.36 Charakteristisch ist hier die Konzentration auf die wahre geistliche Gottesverehrung im Sinne des Evangeliums nach Johannes. Der Evangelist bekommt bescheinigt, dass er aufs göttlichste über die Göttlichkeit Christi geschrieben habe.37 Die Darstellung zeigt gewisse Parallelen zu einem Kapitel „De iure divino“ in Hugo Donellus’ Zivilrechtskommentar, der von Albericos Bruder Scipio Gentili herausgegeben wurde.38 Wie Donellus lässt Gentili Cicero und die Stoiker zu Wort kommen.39 Er selbst definiert als Inhalt der religio, dass man Gott cultus, reverentia und honor erweist.40 Zentral für Gentilis Frömmig36 Vgl. Gentili, De nuptiis (Anm. 23) I/9, S. 41 – 49; zu der Schrift und dem Argumentationszusammenhang des Kapitels „De theologia et religione“ siehe unten Abschn. D. 37 „Sic apostolus Ioannes dictus theologus fertur: qui de Christi diuinitate scripsit diuinissime“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/9, S. 42). 38 Vgl. Hugo Donellus, Commentariorum iuris civilis libri vigintiocto. In quibvs ius civile universum singulari artificio atque doctrina explicatur. Scipio Gentilis IC. recensuit, edidit, posteriores etiam libros supplevit, Hanau 1612; in der Ausgabe der „Opera omnia“ (Rom/ Macerata 1828 – 1833): Buch II, Kapitel 4, Bd. I, S. 199 – 206; dazu genauer Christoph Strohm, Calvinismus und Recht. Weltanschaulich-konfessionelle Aspekte im Werk reformierter Juristen in der Frühen Neuzeit, Tübingen 2008 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, 42), S. 112 – 124. 39 Vgl. Gentili, De nuptiis (Anm. 23) I/9, S. 42 u. 46 f. 40 „Religio proprie pro fide. est inter Deum, et hominem. est iustitiae species, per quam ordinamur ad reddendum Deo cultum, reuerentiam, honorem, scilicet orare, adorare, vouere, sacrificare, laudare, iurare, vt, iurando per eum, ei reuerentiam exhibeamus“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/9, S. 43). Gentili zitiert hier seine eigene Schrift „De abusu mendacii“ (vgl. Alberico Gentili, Disputationes duae: I. De actoribus & spectatoribus fabularum non notandis. II. De abusu mendacii, Hanau 1599) und beruft sich ausdrücklich auch auf Melanchthon: „Vnus item Melanthon quam suggerit multa in Ethicis? Religio duo comprehendit: timorem Dei, et fiduciam misericordiae propter Christum. Religio, hoc est, reuerentia erga Deum. Prima tabula constituit religionem. etc.“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/9, S. 44). Im weiteren geht er auf die Frage der Häresie und Blasphemie ein und verweist auf Augustins Schrift „De haeresibus“, die er durch Lambertus Danaeus’ Ausgabe kennt (vgl. ebd., S. 48 f., mit Verweis auf: D. Aurelii Augustini Hipponensis episcopi liber De haeresibus ad quodvultdeum. Lamberti Danaei opera emendatus et commentariis illustratus, a quo eodem additae sunt haereses ab orbe condito ad constitutum Papismum et Mahumetismum, etiam eae quae hic erant ab Augustino praetermissae, Genf 1576 (weitere Ausgaben: Genf 1578 [=Opuscula omnia theologica, Genf 1583, Sp. 897 – 1048]; Genf 1595).
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keit und Konfession war die scharfe Abgrenzung gegen Aberglauben und die Ausrichtung auf eine geistliche Gottesverehrung.41 Eindeutiger lässt sich Gentili einer Richtung innerhalb des Protestantismus zuordnen, wenn man die zitierten Autoritäten auswertet. Er hat sich in dem Manuskript „De papatu Romano Antichristo“ wie auch in seinen gedruckten Schriften zustimmend auf Luther bezogen.42 Melanchthon spielt als Autorität in der Naturrechtslehre43 und bei der Dekalogauslegung eine wichtige Rolle.44 Die wichtigsten Autoritäten sind jedoch in dem handschriftlichen Traktat wie in den gedruckten Schriften Vertreter der von Calvin geprägten Reformation. In dem Traktat „De papatu Romano Antichristo“ bezieht sich Gentili auf eine dem gleichen Thema gewidmete, kurz zuvor gedruckte Schrift des Calvin-Schülers und zeitweiligen Genfer Theologieprofessors Lambertus Danaeus.45 Vielfach wird dieser ausdrücklich zu den „nostri theo41 Für Alberico Gentili dürfte – wie für seinen Bruder und die meisten reformierten Juristen – zutreffen, was Michael Piccart in der Begräbnisrede über den Vater Matthäus Gentili formuliert hat: „Huic cum Romanenses isti Hierophantae partim ineptas, partim ridiculas suas superstitiones et theatricas nugas persuadere nulla ratione possent, isque gustum aliquem caelestis veritatis subinde tum ex lectione divinorum oraculorum, tum ex colloquiis virorum piorum, quibus ea ipsa, quae modo dixi, a gravitate Religionis Christianae recedere videbantur, perciperet, rebus diligentius expensis, et veritate plenius haustâ inque animo eius confirmata, de patria deserenda, in qua ne profiteri quidem, quae crederet, multo minus DEO servire, ut oportebat, tuto posset, serio cogitare cepit; cumque filios haberet complures, et numero quidem septem, e quibus primus Albericus ille fuit, quem non Britannia modo, sed et tota Europa Praeceptorem in iure suum colit et agnoscit, noster Scipio sextus, de filiis secum abducendis, adeoque tota familia transferenda cum uxore lectissima femina secreto egit: Quae cum ita animatum, et ex ea causa, maritum carissimum videret, subductis hinc inde rationibus varieque animo distracta tandem in haec verba multis cum lacrimis maritum affata est: […]“ (Michael Piccart, Laudatio Funebris Scipionis Gentilis, IC. Consiliarii Norici et Acad. Altorfinae Antecessoris Primarii Celeberrimi, Qui pie in Christo obdormivit 7. Eid. Augusti, Anni M DC CXVI., in: Henning Witte, Memoriae jurisconsultorum nostri seculi clarissimorum renovatae decas prima [–quarta], Frankfurt a. M. 1676, S. 29). 42 Siehe oben Anm. 29 u. unten Anm. 81. 43 „Et si naturalis homo naturalia manifestissima non intelligit: idem intelliget spiritualia? Et si terrena non intelligit: caelestia intelliget? Miser homo, quis te illuminabit in tenebris rationis tuae, distortae etiamnum renato tibi, ac vitiatae? Si vnum non tenes verbum Dei, vides continuas ab orbe condito ruinas eorum omnium, qui extra Dei verbum quaesiere, quid Deo dignum, aut placitum esset. Decipi ratio naturalis valet: vtcunque solida saepiuscule videatur. Et conscientia non trepidauerit saltem, dum intelligit, quem sequatur ducem caecuturientem?“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/9, S. 51). Vgl. auch die Melanchthon-Zitate in: Gentili, De abusu mendacii (Anm. 40), S. 179 f. 44 „Quamquam et nostri idem, quod Cuiacius, aut quod nos antea dicebamus de his, quae continentur in prima tabula. Virtutes primae tabulae, verus timor Dei, vera fiducia misericordiae, obedientia, explicatio doctrinae, gratiarum actio, inuocatio, confessio, conseruatio ceremoniarum: sic Melanchthon“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/9, S. 52). Siehe auch oben Anm. 40. 45 Lambertus Danaeus, Tractatus de antichristo recens editvs. In quo Antichristiani regni locus, tempus, forma, ministri, fulcimenta, progreßio, et tandem exitium, et interitus ex Dei verbo demonstratur, vbi etiam aliquot difficiles antea et obscuri tum Danielis, tum Apocalypseos loci perspicue iam explicantur. Addidimus in calce operis quaedam vetustissimorum
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logi“ gezählt.46 Wohl am häufigsten verweist Gentili auf die Annotationen zum Neuen Testament, die Theodor Beza, der bis zu seinem Tod im Jahre 1605 unbestrittene Führer der von Calvin geprägten Reformation, in mehrfachen Ausgaben zum Druck gebracht hat.47 Auch auf die Bibelauslegungen Calvins nimmt Gentili in seinen juristischen Werken vielfach Bezug.48 Eine besondere Rolle spielen schließlich Verweise auf die alttestamentlichen Bibelkommentare Petrus Martyr Vermiglis. Zusammen mit Beza und Calvin ist er nicht nur die wichtigste Autorität unter den als „nostri theologi“ qualifizierten Autoren. Er wird sogar als „der gelehrteste Theologe unseres Zeitalters“ bezeichnet.49 Die starke Rezeption Martyr Vermiglis lässt sich auch bei anderen Juristen und Moralschriftstellern des frühen Calvinismus feststellen.50 Bei Gentili kommt wohl hinzu, dass Martyr Vermigli wie er ein italienischer Glaubensflüchtling war. Zudem wirkte jener nach der Flucht aus Straßburg in Folge des Augsburger Interims 1549 bis zum Herrschaftsantritt der katholischen Maria Tudor im Jahre 1553 ebenfalls an der Universität Oxford. Vor allem aber hat der erwähnte Pfarrer der französischen Flüchtlingsgemeinde, Robert le Maçon, auf Veranlassung Bezas aus den Kommentaren Martyr Vermiglis umfassende „Loci Communes“ zusammengestellt.51 Gentili Episcoporum, Monachorum, et aliorum scripta iampridem aduersus Antichristi Romani tyrannidem edita, Genf 1576 [weitere Ausg.: Genf 1582; französ. Übers.: Genf 1577; engl. Übers.: London 1589]; zu der Schrift vgl. Olivier Fatio, Méthode et Théologie. Lambert Daneau et les débuts de la scolastique réformée (Travaux d’Humanisme et Renaissance, 147), Genf 1976, 33*-37*; zu Danaeus’ Bedeutung als führender Moral-Schriftsteller des frühen Calvinismus vgl. Christoph Strohm, Ethik im frühen Calvinismus. Humanistische Einflüsse, philosophische, juristische und theologische Argumentationen sowie mentalitätsgeschichtliche Aspekte am Beispiel des Calvin-Schülers Lambertus Danaeus (Arbeiten zur Kirchengeschichte, 65), Berlin/New York 1996. 46 Vgl. z. B. Gentili, De nuptiis (Anm. 23) I/12, S. 60 (zit. unten Anm. 118); ebd., VI/7, S. 500 – 503. Ebenso wird Philipp Marnix van Saint-Aldegonde unter den „nostri theologi“ genannt. Siehe auch unten Anm. 120. 47 Vgl. z. B. Gentili, De nuptiis (Anm. 23) I/6, S. 28; vgl. auch Theodor Beza, NOVUM D.N. Jesu Christi Testamentum. Latineiam a Veteri interprete, nunc denuo a Theodoro Beza versum: cum eiusdem annotationibus, in quibus ratio interpretationis redditur, s.l. 1556 u. ö. Trotz des Dissenses in der Frage des Widerstandsrechts der inferiores magistratus macht Gentili seine große Hochschätzung deutlich (vgl. Gentili, Regales disputationes tres [Anm. 23], S. 123 f.). 48 Vgl. z. B. Gentili, De nuptiis (Anm. 23) I/4, S. 20; ebd. I/5, S. 22 f. u. 26 („Caluinus magnus“). 49 Vgl. Gentili, De iure belli (Anm. 3) III/19, S. 659 [„doctissimo nostri seculi theologo“]; vgl. auch ebd. III/15, S. 615 („aut doctissimi, aut politissimi nostri theologi“). 50 Zu Danaeus vgl. Strohm, Ethik (Anm. 45), S. 529 f.; zu verschiedenen Juristen vgl. ders., Calvinismus und Recht (Anm. 38), S. 133 Anm. 346 (Johann Kahl), S. 218 u. 222 (J. Althusius), S. 259 Anm. 839 (Ph. H. Hoenonius), S. 282 f. mit Anm. 927 (H. Vultejus). 51 Die erste Ausgabe erfolgte 1576, vierzehn Jahre nach Vermiglis Tod. In den Jahren 1580, 1580 – 82, 1583 (2x), 1587, 1603, 1613, 1622, 1623, 1624, 1626, 1627 und 1656 erfuhr der umfangreiche Foliant weitere dreizehn Neuausgaben und eine Übersetzung ins Englische (vgl. Strohm, Vermigli [Anm. 19], S. 79 – 83).
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dürfte durch seinen langjährigen Gemeindepfarrer mit dieser nach Calvins „Institutio Christianae Religionis“ und Heinrich Bullingers „Dekaden“ wichtigsten Darstellung der Lehre im reformierten Protestantismus bekannt oder gar vertraut gewesen sein. Fragt man nach dem Verhältnis Gentilis zu anderen profiliert reformierten Juristen, so sind François Hotman und vor allem Hugo Donellus als Autoritäten zu nennen.52 Von Hotmans kritischer Bewertung der Qualität des Textes des justinianischen Rechts hat sich Gentili jedoch auch abgegrenzt.53 Donellus wird vielfach zustimmend aufgenommen.54 Die Rezeption der Arbeiten Gentilis durch reformierte Juristen zeigt neben der breiten Wirkung in der Geschichte des Völkerrechts55 einen interessanten Befund. Im Unterschied zum calvinistisch-monarchomachischen Mainstream-Denken hat Gentili in seinen „Regales disputationes tres“ aus dem Jahr 1605 die Souveränitäts- und Majestätsrechte der Obrigkeit betont und entsprechend ein Widerstandsrecht praktisch ausgeschlossen.56 An dieser Stelle setzt sich Althusius in der „Politica methodice digesta“ eingehend und kritisch mit Gentili auseinander.57 Zu Unrecht würde dieser das Widerstandsrecht bzw. die Widerstandspflicht der Ephoren gegen einen tyrannischen obersten Magistrat ablehnen. Mit seiner Aufforderung, Unrecht und Gewalt der Obrigkeit zu ertragen oder sich der Tyrannis durch Flucht zu entziehen, habe Gentili zwar im Blick auf Privatleute Recht. „Die Stände aber oder Optimaten des Reichs als öffentliche Personen können und dürfen dies aber keineswegs. Sie haben nämlich das Schwertrecht erhalten, um gottlosen Unterfangen des Tyrannen zu widerstehen, […].“58 Ähnlich klar hat sich auch Althusius’ Nachfolger in Herborn, Philipp Heinrich Hoenonius, in seinem „Disputationum
52 Vielfach verweist Gentili auch auf Jacques Cujas. Selten greift er auf zeitgenössische römisch-katholische Juristen zurück. Eine besonders positive Bewertung erfährt der spanische Spätscholastiker Diego Covarruvias y Leyva (vgl. Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/6, S. 29 [„doctissimus vir, et Hispano, catholicus“]). 53 Vgl. vor allem Gentili, De iuris interpretibus dialogi (Anm. 13); siehe dazu oben S. 198 mit Anm. 13. 54 Siehe oben S. 203 mit Anm. 38 f. und unten S. 216 f. mit Anm. 109 f. 55 Zur Rezeption durch Grotius siehe oben S. 196 mit Anm. 5 und 8. 56 Alberico Gentili, Regales disputationes tres: Id est, De potestate Regis absoluta. De unione Regnorum Britanniae. De vi civium in Regem semper iniusta, London 1605 [weitere Ausg.: Hanau 1605; Helmstedt 1619]; vgl. dazu van der Molen, Gentili (Anm. 9), S. 226 – 240; Alain A. Wijffels, Une disputation d’Alberico Gentili sur le droit du souverain de disposer de son royaume et des biens de ses sujets (1587), in: Jacques Krynen, Michael Stolleis (Hg.), Science politique et droit public dans les facultés de droit européennes (XIIIe-XVIIIe siècle) (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, 229), Frankfurt a. M. 2008, S. 469 – 484. 57 Vgl. Johannes Althusius, Politica methodice digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata. Cui in fine adiuncta est Oratio panegyrica de utilitate, necessitate et antiquitate scholarum, 3., erweit. Aufl., Herborn 1614; Faksimile-Reprint Aalen 1961 = 1981, Kapitel XXXVIII, § 77 – 85, S. 916 – 919. 58 Althusius, Politica 31614 (Anm. 57) XXXVIII/80, S. 917 (Übersetzung nach: Politik, übersetzt von Heinrich Janssen, in Auswahl hg. v. Dieter Wyduckel, Berlin 2003, S. 405).
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politicarum liber unus“ von Gentilis Interpretation der Parömie „princeps legibus solutus“ abgegrenzt.59 Scheint Gentili sich an dieser Stelle deutlich vom calvinistisch-reformierten Mainstream-Denken entfernt zu haben, so ist er durch die hauptsächlichen Druckorte seiner Schriften ganz ins reformierte Milieu eingebunden. Die meisten Drucke bzw. Nachdrucke seiner Werke seit dem Jahr 1593 erfolgten bei dem Hanauer Drucker Wilhelm Antonius (1593 – 1611/15),60 dem Sohn eines entweder aus Frankreich geflohenen oder aus den Niederlanden eingewanderten Reformierten.61 Wilhelm Antonius selbst studierte an der calvinistischen Hochschule in Neustadt an der Haardt.62 Ende des Jahres 1592 war er vom calvinistischen Grafen zu Hanau, Philipp Ludwig II., oder dessen Vormund Johann d. Ä. von Nassau gerufen worden, sich als Buchdrucker in Hanau niederzulassen.63 Auch Werke anderer reformierter Autoren wurden hier in großem Maße zum Druck gebracht.64 59 Vgl. Philipp Heinrich Hoenonius, Disputationum politicarum liber unus […], Herborn 1615, S. 482. Auch Gentilis im Wesentlichen positive Bewertung der republikanischen Anliegen Niccolo Machiavellis war im frühen Calvinismus nicht konsensfähig. Vgl. Gentili, De legationibus (Anm. 6) III/9, S. 172: „Machiauellus Democratiae laudator, et assertor acerrimus: natus, educatus, honoratus in eo reip. statu: tyrannidis summe inimicus. Itaque tyranno non fauet: sui propositi non est tyrannum instruere, sed arcanis eius palam factis ipsum miseris populis nudum et conspicuum exhibere. An enim tales, quales ipse describit principes, fuisse plurimos ignoramus?“. 60 Folgende Werke Gentilis wurden bei Antonius in Hanau gedruckt oder nachgedruckt: De legationibus libri III (Anm. 6), 1594; 1607; De iure belli libri tres (Anm. 3), 1598; 1604; 1612; Disputationes duae: I. De actoribus & spectatoribus fabularum non notandis. II. De abusu mendacii (Anm. 40), 1599; De armis Romanis et iniustitia bellica Romanorum libri II, 1599; 1612; Disputationum de nuptiis libri VII (Anm. 23), 1601; 1614; Lectiones Virgilianae, 1603; 1604; Ad titulum Codicis De maleficis et mathematicis et ceteris similibus, commentarius, 1604; De diversis temporum appellationibus, 1604; 1607; Ad primum Macbaeorum disputatio, 1604; In titulos codicis: si quis Imperatori maledixerit, ad legem Juliam maiestatis. Disputationes decem, 1604; 1607; De Latinitate veteris bibliorum versionis male accusata, 1604; Laudes Academiae Perusinae et Oxoniensis, 1605; Disputationes tres: 1. De libris iuris canonici, 2. de libris iuris civilis, 3. de Latinitate veteris bibliorum versionis male accusata, 1605; Regales disputationes tres, id est, de potestate regis absoluta. De unione regnorum Britanniæ. De vi civium in regem semper iniusta (s.l., printed by W. Antonius, sold Londini apud Thomam Vautrollerium), 1605; Hispanicae advocationis libri duo (Anm. 129), 1613; In titulos de verborum significatione, 1614. 61 Vgl. Josef Benzing, Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen, 12), Wiesbaden 21982, S. 186 u. 189; ders., Die Hanauer Erstdrucker Wilhelm und Peter Antonius (1593 – 1625), in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 21 (1980), Sp. 1006 – 1126; Christoph Reske, Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Auf der Grundlage des gleichnamigen Werkes von Josef Benzing (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen, 52), Wiesbaden 2007, S. 346 f. 62 Der Sohn Peter, der seit 1610 das Herborner Pädagogium besucht hatte, übernahm die Druckerei 1615 und betrieb sie bis 1624 weiter. 63 Er tat dies wohl mit Teilen der Druckerei der hugenottischen Druckerfamilie Wechel, die in Frankfurt a. M. zunehmend lutherischen Angriffen ausgesetzt war (vgl. Robert J. W. Evans, 3
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B. Die Auseinandersetzungen um die Legitimität des akademischen Theaters Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Gentilis Wechsel von der französischen Flüchtlingsgemeinde zur anglikanischen Kirche mit einem Streit zusammenhängt, der Anfang der neunziger Jahre ausbrach und 1599 seinen Höhepunkt und vorläufigen Abschluss fand.65 Im Jahre 1592 verteidigte sich William Gager, Doktor des Zivilrechts und Autor mehrerer Schauspiele, gegen die Kritik am Theaterspiel, die der Theologe und Bibelgelehrte am Oxforder Corpus Christi College, John Reynolds (1547 – 1607),66 formuliert hatte.67 Gentili unterstützte den ihm bekannten Juristen Gager schon in einer Rede über diesbezügliche Vorgaben im römischen Recht, die er bei einer Graduiertenfeier Anfang der neunziger Jahre äußerte.68 Wohl aus dieser Rede ging ein Traktat über Dichtung und Literatur hervor, den Gentili in Gestalt eines Kommentars zu einem Codex-Titel konzipierte und im Jahr 1593 zum Druck brachte.69 Nachdem Gentili die Schrift Reynolds übersandt hatte, kam es zu dem Streit, der
The Wechel Presses. Humanism and Calvinism in Central Europe, 1572 – 1627 [Past and Present, suppl. 2], Oxford 1975, S. 3 – 6). 64 Zur Bedeutung französischer Glaubensflüchtlinge als Drucker und ihrer Rolle beim Wissenstransfer von Westeuropa ins Reich vgl. Strohm, Calvinismus und Recht (Anm. 38), S. 422 – 429. 65 Siehe oben S. 200. 66 Reynolds war von 1568 bis 1586 fellow, von 1598 bis 1607 Präsident des Corpus Christi College. 1604 wurde er einer der führenden Repräsentanten der Hampton Court Conference. Er war einer derjenigen, die König Jakob I. zu einer neuen Bibelübersetzung aufforderten, und selbst an der Übersetzung der Propheten beteiligt. 67 Abdruck des Briefes, in: Tanya Pollard (Hg.), Shakespeare’s Theater. A Sourcebook, Oxford 2004, S. 179 – 187; zu der Kontroverse und Gentilis Beteiligung daran vgl. Th’overthrow of stage-playes, by the way of controversie betwixt D. Gager and D. Rainoldes, wherein all the reasons that can be made for them are notably refuted; th’objections aunswered, and the case so cleared and resolved, as that the iudgement of any man, that is not froward and perverse, may easelie be satisfied. Wherein is manifestly proved, that it is not onely vnlawfull to bee an actor, but a beholder of those vanities. Wherevnto are added also and annexed in th’end certeine latine letters betwixt the sayed Maister Rainoldes, and D. Gentiles, reader of the civill law in Oxford, concerning the same matter, s.l. [Middelburgh] 1599; Middelburgh 1600; Oxford 21629; vgl. ferner: Latin correspondence by Alberico Gentili and John Rainolds on academic drama, transl. with an introd. by Leon Markowicz (Salzburg studies in English literature: Elizabethan and Renaissance studies), Salzburg 1977; van der Molen, Gentili (Anm. 9), S. 210 – 214; James W. Binns, Alberico Gentili in Defense of Poetry and Acting, in: Studies in the Renaissance 19 (1972), S. 224 – 272; eingehend Panizza, Gentili (Anm. 10), S. 55 – 87. 68 Vgl. James W. Binns, Women or Transvestites on the Elizabethan Stage? An Oxford Controversy, in: Sixteenth Century Journal 5 (1974), S. 95 – 120, hier: S. 103 – 105. 69 Alberico Gentili, Ad tit[ulum] C[odicis] de maleficis et math[ematicis] et ceter[is] similibus commentarius; item Commentatio ad L[egem] III C[odicis] de prof[essoribus] et med [icis], Oxford 1593 [weitere Ausg.: Hanau 1604].
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bis ins Jahr 1599 andauerte. Reynolds vertrat die Auffassung, dass Dtn 22,570 das Schauspiel grundsätzlich verbiete und das römische Recht entsprechende Vorgaben mache. Gentili wandte sich gegen eine wörtliche Auslegung der Bibelstelle71 und ebenso gegen die Auffassung, dass das römische Recht die Schauspielerei grundsätzlich verbiete.72 Zu beachten ist, dass auch nach Gentilis Auffassung die gegebenen Normen der Schauspielerei enge Grenzen setzen. Er verteidigte lediglich die Tradition des akademischen Theaters. Schon die professionelle Schauspielerei bewertete er kritisch, erst recht jede Art von Moral-gefährdender Darstellung.73 Abgesehen von der zu vermutenden Distanzierung Gentilis von bestimmten puritanischen Strömungen in England – wohl auch in seiner eigenen Flüchtlingsgemeinde – hat diese Auseinandersetzung auch unmittelbare Folgen für das juristische Werk Gentilis gezeitigt.74 In Briefen an Reynolds entwickelte Gentili seine Auffassung, dass die Auslegung der zweiten Tafel des Dekalogs nicht in die Kompetenz der
70 „Eine Frau soll nicht Männersachen tragen, und ein Mann soll nicht Frauenkleider anziehen; denn wer das tut, der ist dem Herrn, deinem Gott, ein Greuel.“ 71 „Nec fidenter (ut tu ais) adfirmo, quod nescio: sed tu reprehendis confidentissime, quae non capis. Audi, audi. Quae in histrionia vitari peccata negotion nullo saepe solent, et possunt semper; ea nihil contra histrioniam faciunt. Sed peccatum illud, si quod est, promiscui vestimentorum usus vitari saepe solet, et semper potest. Ergo. Qui sensus bonarum aliarum legum est prohibentium hunc usum vestium, idem verisimiliter est et bonae legis Dei. Sed aliarum legum sensus nihil facit contra histrioniam. Abominatio ubi dicitur in Scripturis, ibi peccatum significatur, quod facile superet flagitia pleraque omnia. Sed hoc vestimentorum non est tale. Ergo ubi dicitur abominatio, ibi hoc peccatum non significatur. Et ubi propria significatio non accipitur, ibi figurata fuerit, vel aliter impropria. at in lege illa Dei propria significatio non accipitur. Quae autem figurata locutio sic exponitur, ea bene exposita est. Sed sic exponitur a me figurata illa locutio“ (Gentili an Reynolds, 15.7. 1593, in: Overthrow [Anm. 67], S. 169 f.). Vgl. auch Binns, Women (Anm. 68), S. 107. 72 Vgl. Alberico Gentili, Ad tit[ulum] C[odicis] de maleficis et math[ematicis] (Anm. 69). 73 In einem Brief vom 8. Februar 1594 fasst Gentili seine Argumentation noch einmal zusammen. Das deuteronomische Gesetz sei nicht auf das akademische Theater anwendbar. Bei diesem Schauspiel gehe es auch nicht um Idolatrie. Die Kritik der Kirchenväter an dem unmoralischen Charakter der Schauspieler treffe nicht diejenigen, die beim akademischen Theater auftreten. Diese übten nicht eine künstlerische Tätigkeit aus, wie sie vom römischen Recht untersagt sei. Sie würden keinen finanziellen Gewinn anstreben und nicht an öffentlichen Orten auftreten. Auch seien von den Römern gegen das Schauspiel angeführte Gründe wie die Minderung militärischer Tüchtigkeit hier irrelevant (vgl. Binns, Women [Anm. 68], S. 114). 74 In einer Besprechung der Einzeichnung Gentilis in die Auseinandersetzungen um den Puritanismus in D. Panizzas Darstellung von dessen Leben und Werk im elisabethanischen England hat Geoffrey R. Elton dessen zu pauschale Einteilungen kritisiert. Gentilis Gegner seien nicht die puritanischen Theologen an sich gewesen, „but more precisely the puritan faction in the University of Oxford“ (The English Historical Review 99 [1984], S. 423). Zur Situation der Puritaner in England um die Wende zum 17. Jahrhundert vgl. zusammenfassend Diarmaid MacCulloch, Die zweite Phase der englischen Reformation (1547 – 1603) und die Geburt der anglikanischen via media, hg. v. Heribert Smolinsky (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, 58), Münster 1998, S. 65 – 70.
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Theologen, sondern die der Juristen falle.75 Bevor ich diesen Sachverhalt genauer erläutere, ist kurz auf die religiös motivierte Ablehnung des kanonischen Rechts und ihre Bedeutung für Gentilis juristisches Werk einzugehen.
C. Römisches versus kanonisches Recht Gentilis Bewertung des kanonischen Rechts entspricht dem kritischen Urteil der Reformation insgesamt.76 Nachdem Luther in scharfen Worten das „päpstliche Recht“ zurückgewiesen hatte, setzte sich in der Wittenberger Reformation bald die Auffassung durch, dass es in bestimmten Bereichen wie dem Eherecht gleichwohl unverzichtbar sei.77 In der von Calvin geprägten Reformation erfolgte die Abgrenzung gegen das Papsttum im Allgemeinen heftiger, so dass auch das päpstliche Recht entschieden zurückgewiesen wird. Zugleich hat man hier wie in der lutheri-
75 „Non vides, te cum eo sic agere imperiose, qui Papae imperium contempsit, et exulare patria potuit, et universo regno Papali? Verissima ferunt, qui haec ferunt: et in his tu vinceris a me, qui pro pietate me obiurgas tamen. Communes sunt sacri libri; et in his, quae spectant ad secundam tabulam, nostri magis, quam vestri. Sic ut, autoritati theologorum valde nos tribuere hic, minime necesse sit. Doce contrarium tu, si potes. Noli calumniari, me pueros docere, ut de rebus morum non magnopere curent, quid sentiant theologi. nam de me, de iurisconsulto scripsi, et re politica. De re religionis quod scripsi, id sentio: et in ea serio theologorum valde tribuo autoritati. Sed res religionis quid est? Scripturarum interpretatio omnis, aut omnium, non est res religionis. Theologia fidei, et vitae magistra est. sed non omnis vitae. nec omnis pars sermonum Dei in solidum vestra est. Ostende diversum, audiam. De rationibus theologorum in quaestione ista de histrionibus sic census, ut quas contra histriones illos publice mercenarios, et indignarum fabularum actores habent, eae nihili non sint. Sed quae sunt adversus omnem histrioniam, eas minus nihilo esse, asserui, et vero etiamnum assero“ (Gentili an Reynolds, 15.7. 1593, in: Overthrow [Anm. 67], S. 169). 76 Zu Gentilis Bewertung des kanonischen Rechts vgl. van der Molen, Gentili (Anm. 9), S. 216 – 219; Panizza, Gentili (Anm. 10), S. 138 – 145; Giovanni Minnucci, Diritto canonico, diritto civile e teologia nel I libro De nuptiis di Alberico Gentili, in: Uta-Renate Blumenthal, Kenneth Pennington, Atria A. Larson (Hg.), Proceedings of the Twelfth International Congress of Medieval Canon Law, Washington, D.C. 1 – 7 August 2004 (Monumenta Iuris Canonici, C/13), Mailand 2008, S. 423 – 445; Giovanni Minnucci, Alberico Gentili. Un protestante alle prese con il Corpus Iuris Canonici, in: Centro Internazionale di Studi Gentiliani (Hg.), Alberico Gentili. La salvaguardia (Anm. 11), S. 185 – 211. 77 Vgl. Christoph Strohm, Ius divinum und ius humanum. Reformatorische Begründung des Kirchenrechts, in: Gerhard Rau/Hans-Richard Reuter/Klaus Schlaich (Hg.), Das Recht der Kirche [3 Bde.], Bd. 2: Zur Geschichte des Kirchenrechts (Forschungen und Berichte der Evangelischen Studiengemeinschaft, 50), Gütersloh 1995, S. 115 – 173, hier: S. 115 f. u. 130 – 151; zu Luthers Beitrag zur Herausbildung eines evangelischen Kirchenrechts Christoph Link, Luther und die Juristen – Die Herausbildung eines evangelischen Kirchenrechts im Gefolge der Wittenberger Reformation, in: Heiner Lück/Heinrich de Wall (Hg.), Wittenberg. Ein Zentrum europäischer Rechtsgeschichte und Rechtskultur, Köln/Weimar/Wien 2006, S. 63 – 82; Heinrich de Wall/Stefan Muckel, Kirchenrecht. Ein Studienbuch, München (2009) 22010, S. 23 – 27 u. 216 – 224.
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schen Reformation die aus der Alten Kirche übernommenen Rechtsnormen, wie sie Gratian im Decretum gesammelt hatte, auch positiv bewerten können.78 Im Jahre 1601, drei Jahre nach der Veröffentlichung seines grundlegenden völkerrechtlichen Werkes „De iure belli“ hat Gentili dem Eherecht eine ausführliche Schrift gewidmet. Ziel der „Disputationum de nuptiis libri VII“79 ist es, das kanonische Recht auch auf diesem Gebiet so weit wie möglich zu ersetzen. Die Auffassung, dass das kanonische Recht im Heiligen Geist seinen Ursprung habe und sich der Widerspruch gegen das kanonische Recht darum gegen den Heiligen Geist richte, sei schlicht Blasphemie. Solch’ eine Lehre könne nur in finstersten Zeiten entstanden sein.80 Gentili erinnert an Luthers Verbrennung der päpstlichen Rechtsbücher angesichts des gegen ihn erlassenen Banns am 10. Dezember 1520 und lässt sich selbst zur Aufforderung der Vernichtung dieser Bücher hinreißen: „Flammis, flammis libros spurcissimos barbarorum non solum impiissimos Antichristi. Flammis omnis, flammis […].“81 In einer vier Jahre später, im Jahr 1605 gedruckten Disputation über das kanonische Recht „De libris iuris canonici“ fehlt dieser scharfe Ton.82 Hier ist das Hauptaugenmerk auf die Entstehungsgeschichte des kanonischen Rechts gerichtet. Gentili bezieht sich in der Schrift durchgehend auf die kritischen Forschungen zur Entstehung des kanonischen Rechts, die der humanistische Jurist Jacques Cujas vorgelegt hatte.83 Mit diesem ist der Wert der im Decretum Gratiani gesammelten Gesetze deutlich über den der verschiedenen Dekretalien-Sammlungen zu stellen.84 Auch in der Disputation über das kanonische Recht kritisiert Gentili – mit Verweis auf seine aus78
Vgl. Patrick Le Gal, Le droit canonique dans la pensée dialectique de Jean Calvin (Studia Friburgensia, Nouvelle série, 63; sectio canonica, 3), Freiburg, CH 1984. 79 Vgl. Gentili, De nuptiis (Anm. 23). 80 Vgl. Gentili, De nuptiis (Anm. 23) I/19, S. 109 f. 81 „Flammis, flammis libros spurcissimos barbarorum, non solum impiissimos Antichristi. Flammis omnes, flammis: vt Lutherus magnus facere docuit bonos omnes, ipse in medio foro flammis delens eos omnes libros; non (quod in Gallia cum Sexto solum fuit) partem abolens solam“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/19, S. 112 f.). Ausdrücklich betont Gentili, dass es nicht ausreiche, wie in Frankreich lediglich den „Liber sextus decretalium“ für ungültig zu erklären. 82 Vgl. Alberico Gentili, Disputationes tres: 1. De libris iuris canonici, 2. de libris iuris civilis, 3. de Latinitate veteris bibliorum versionis male accusata, Hanau 1605. 83 Vgl. Jacques Cujas, Observationum et emendationum libri XXVIII, 1556 – 1585 [ab Buch XXV hg. v. François Pithou, 1595]; René Metz, La contribution de la France à l’étude de Décret de Gratien depuis le XVIe siècle jusqu’à nos jours, in: Studia Gratiana 2 (1954), S. 493 – 518; Hans Erich Troje, Die Literatur des gemeinen Rechts unter dem Einfluß des Humanismus, in: Helmut Coing (Hg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. II: Neuere Zeit (1500 – 1800). Das Zeitalter des gemeinen Rechts, 1. Tlbd.: Wissenschaft, München 1977, S. 615 – 795, bes. S. 664 – 667 u. 786 f. 84 „Praecessit vero hoc Gratiani opus omnem collectionem Decretalium. Vt de eadem quoque histoira audiuisti“ (Gentili, Disputationes tres [Anm. 23], S. 5).
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führlichen Erörterungen in „De nuptiis“ – die mangelnde Autorität der päpstlichen Rechtssammlungen.85 Ziel der großen Schrift zum Eherecht war es gewesen, die Überlegenheit des römischen Rechts auch in diesem traditionell vom kanonischen Recht dominierten Bereich zu erweisen.86 Insbesondere das jüngste Recht, das in den Novellen aufbewahrte Recht der christlichen Kaiser Roms, sei heranzuziehen.87 Denn es entspreche der Vernunft und dem Naturrecht.88 In der Auseinandersetzung mit dem Jesuiten Robert Bellarmin und unter Berufung auf „nostri theologi“ Danaeus und Philipp Marnix van Sainte-Aldegonde wird die Behandlung der Ehe als Sakrament zurückgewiesen.89 Mit dem Digestentitel „De ritu nuptiarum“ ist die Ehe vielmehr zu den menschlichen Verträgen zu rechnen.90 Auch der Sachverhalt, dass Christus sich zur Frage der Ehescheidung geäußert habe, sei kein Argument dafür, dass die Ehe eine Angelegenheit der Priester sei. Denn er habe zugleich betont, dass dem Kaiser zu geben sei, was des Kaisers ist.91 85 „De omnib. Autem iuris canonici libris quid hic dicemus, et alibi, vnde papae exulat omnis autoritas, et religio? Proculdubio nihili est, cum papae auctoritatem vllam, aut in aliquo religionem inducit papae. Et ista plura sunt. Ego aut [sc. autem] obseruaui de non paucis, in disputationib. De nuptiis“ (Gentili, Disputationes tres [Anm. 23], S. 48). 86 Die Schrift umfasst immerhin ungefähr 880 Seiten im Oktav-Format. Im ersten Kapitel des ersten Buches der Schrift setzt sich Gentili unter der Überschrift „Ius aliud extra ciuile proponitur“ (Gentili, De nuptiis [wie Anm. 23], S. 1 – 5) mit dem Argument auseinander, dass die Definitionen der Ehe aus dem kanonischen Recht zu nehmen seien. 87 Vgl. Gentili, De nuptiis (Anm. 23) I/2, S. 7; vgl. auch ebd. I/6, S. 27 – 31. 88 „Dicam autem, et quidem audenter, ius Iustinianeum esse huiusmodi, vt non rectius, non honestius, non sanctius vniuersa theologorum omnium schola rogare, atque sancire valuerit. Fuerunt maximi illi iurisconsulti (vt de his notem solis, quos iuris nostri licet nunc primos nominare auctores) ethnici quidem fere omnes: sed qui naturae vocem secuti, et legis eius, quam insculpsit Deus animis nostris, sua sic conscripserunt, vt nec vnguiculum a recto tramite iustae omnis legislationis aberrarint. Sunt, qui contulerunt libris integris Mosaicam, et Iustinianicam sanctionem: et qui adfirmant vere, quod si Christianum nomen iurisconsultis illis non Christianis deferas, Christiana omnia in eis facile deprehendes“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/6, S. 31). 89 Vgl. Gentili, De nuptiis (Anm. 23) VI/7, S. 500 – 503 (gegen R. Bellarmin). 90 „Et sic titulus noster Digestorum de ritu nuptiarum solennia instituta nuptiarum habet, et probatas leges: de pontificibus ne verbum. Quemadmodum est de pontificibus in titulo de religiosis: et in tractatu de sacris. Et non nego tamen, quin adhiberentur pontifices etiam nuptiis ad sacra quaedam, et solennia: de quibus alii explicarunt late. De sacris, et religiosis condere etiam leges pontifices poterant. Et hoc scio. Sed tu apud Romanos non dices matrimonium in sacris, aut religiosis: in quibus nec numeratur, nec vllibi nominatur. Imo apud hos hodie, qui matrimonim defendunt sacramentum, est receptum, accedere matrimonium contractibus humanis plurimum“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/7, S. 34). 91 „Scimus et illud, quemadmodum ante annos mille constituerint et de his matrimonialibus Christiani pontifices, et responderit (quod dixi) Christus, et docuerint apostoli, et scripserint theologi semper postea. At de Christi persona, summi pontificis, regis, legislatoris, nihil inferre ad personas licet aliorum episcoporum. Christus nec eos sibi posuit cancellos, vt de humano iure iudicando non attingeret. Nam definit, dari Caesari tributum, oportere“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/7, S. 34 f.). Im weiteren Verlauf der Argumentation belegt Gentili
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Die eingehende Entfaltung des Eherechts unter Rückgriff auf das römische Recht92 ist durch eine Grundentscheidung geprägt: Gentili sieht im römischen Recht gleichsam die Vernunft im Sinn einer ratio scripta verkörpert. Hier liegt auch der Grund für seine anfänglich scharfe Zurückweisung des mos gallicus.93 Durch die historisch-kritische Erforschung der justinianischen Textcorpora und die daraus resultierende Erkenntnis, dass diese vielfach nicht zuverlässig den Text der klassischen Juristen boten, sah er die Autorität des römischen Rechts infragegestellt. In den späteren Schriften kann Gentili jedoch vielfach positiv auf humanistische Juristen zurückgreifen, da gerade Autoren wie Hugo Donellus und François Hotman die Grundbegriffe und die Systematik des römischen Rechts herausgearbeitet haben.94 Wohl nicht zuletzt durch den Streit mit dem Theologen Reynolds über die Legitimität des akademischen Theaterspiels war neben die Auseinandersetzung mit der angemaßten päpstlichen Autorität als zweite Front der Deutungs- und Gestaltungsanspruch der Theologen in Fragen des weltlichen Rechts getreten. Die eingehende Auseinandersetzung damit erfolgt in der Schrift „Disputationum de nuptiis libri VII“.95 Hier entfaltet Gentili seine Theorie der Kompetenz der Juristen bei der Auslegung der zweiten Tafel des Dekalogs und des Eigenrechts des weltlichen Regiments. seine Auffassung von der Gesetzesbefugnis der weltlichen Obrigkeiten auch in Ehesachen mit historischen Erörterungen und dem Verweis auf die Autoritäten Andrea Alciato und Cujas. „Leges tulere, qui secuti sunt Christiani principes, saepe, diuque et de spiritualibus quibusdam. Et inter noua id erat Ambrosii tempore, quod episcopi curarent haec matrimoniorum, ne contraherentur in vetitis per diuinam, aut humanam legem. At noua haec eualuerunt tamen, et iam sunt vetera. Nam quid episcopi principibus, et dominis suis postea non extorserunt? Grauis sub Philippo Valesio rege Galliarum querela fuit, quod plures multae caussae profanae, et inter profanos (sic bestiae istae nos appellant redentos Christi sanguine) iudicarentur ab episcopis, quam a regiis senatoribus. At absoluam cum caussis nostris nuptiarum ex Cuiacio: Quum de nuptiis quaeritur, licitae sint, necne eius rei cognitionem, quae olim erat principum, vel populi, pontifices suam fecerunt, conuiuentibus principibus. Sic pontificum maxima euasit iurisdictio, quae nulla fuit. Sic vero piissimi hodie, et sapientissimi principes recte recipiunt haec rapta sibi. Et sic ab ingenuis iurisconsultis haec iurisdictio omnis asseritur principibus aduersum ecclesiasticos. Age, et iurisconsultis interpretationem huius iuris vindicemus nos a theologis“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/7, S. 36 f.). 92 Neben dem römischen Recht erörtert Gentili auch die entsprechenden Texte im mosaischen Recht und den Evangelien. Wiederum sind die Hauptgewährsleute neben Melanchthon die reformierten Theologen Calvin, Martyr Vermigli und Beza. 93 Siehe oben S. 198 mit Anm. 13. 94 Neben den vielfachen Verweisen auf Cujas und Donellus kann Gentili in der späten Schrift von dem neben Guillaume Budé wichtigsten frühen Vertreter der humanistischen Jurisprudenz in Frankreich, Andrea Alciato, als „Alciatus noster“ sprechen (vgl. Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/21, S. 63). Vgl. zum Ganzen die oben Anm. 12 genannte Literatur. 95 Ein Indiz für die bewusste Ausrichtung der Schrift „De nuptiis“ gegen diese zweite Frontstellung ist die angefügte „epistola apologetica“, in der Gentili die Übereinstimmung seiner Schriften mit dem evangelischen Glauben zu erweisen sucht (vgl. Gentili, De nuptiis [Anm. 23], nach S. 853 [f. Hbb 3v-8v]).
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D. Die Profilierung der Kompetenz der Juristen in der Dekalog-Auslegung Ein erster Schritt der Argumentation Gentilis ist die Widerlegung der von Theologen vertretenen Auffassung, dass das Ius civile nicht klar genug gegen Konkubinat und andere entsprechende Verfehlungen („alias libidines“) vorginge. Vielmehr sei richtig, dass das Ius civile das Gleiche lehre wie die zweite Tafel des Dekalogs.96 Gentili verneint die Auffassung, dass Ehebruch („scortatio“) im Gesetz Gottes härter als im Recht Justinians bestraft werde.97 Vielmehr seien in Moses’ Gesetzen für das Gemeinwesen den Menschen um ihrer Schwächen willen ja durchaus Zugeständnisse gemacht worden.98 Nur insofern könne man das menschliche Gesetz unvollkommener als das göttliche nennen, als es lediglich auf den äußeren Frieden zwischen den Menschen ausgerichtet sei, nicht aber wie jenes auf die „purificatio ad Deum“.99 Gleichwohl betont Gentili, dass das Ius civile ebenfalls vieles für unehrenhaft erklärt, jedoch nicht all das auch unter Strafe stellt.100 96 „Theologvs aliquando nec apte disputabat contra me hic, quod professor iuris ciuilis non possit recte isthaec exponere, quae sunt secundae tabulae legum Mosaycarum: quia ciuile ius concubinatum permittat, et libidines alias. Sic et contendebat ille mecum, secundam illam tabulam ad studiosos iuris non spectare. contra quam ego opinabar, et opinor etiamnum, pertinere tabulam ad nos Magis, quam ad theologos. Atque hic illius argumentum peccat dupliciter. Nam adsumit, quod erat in controuersia: dum libros Iustiniani nobis dat solos: et ego etiam sacros dico nostros, et nobis communes cum theologis. Deinde adsumit, quod est falsum, male nos aut ex Iustinianicis docere ea, quae sunt secundae tabulae. Etenim, si quid male de his scriptum in Iustinianicis est, iam audiuimus a nostris documentum, sequi male scriptum non oportere. De libris sacris dicendum quoque nobis est: qui ignorandi nec cuiquam sint, cui ingenii aliquid concessum est. Quod itidem nostri monent. Et sic libri sacri sunt nostris semper ante oculos, si quid inde ad ius est, de quo respondere nos debeamus. Cedo enim quam quaestionem, quum opus fuit, illi non ad scripturas examinarunt, et definierunt?“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/5, S. 21). 97 Vgl. Gentili, De nuptiis (Anm. 23) I/5, S. 22. 98 „Ipse Moyses de diuortiis, de matrimonio captiuae tulit leges: et permisit, quae penitus improbabat. Scilicet politicas, et forenses leges Deus non ad solidam perfectionem exegit. Multa haec sunt, quae concessa populo indomabili. polygamia, caedes aliqua priuatae manus, relictio liberorum apud herum, interesse tantum praestatio verberato, luctus mortuorum solennis, occisio omnium hostium puberum, matrimonium repudiatae, leuior poena coeuntis cum ancilla alteri desponsata, etc.“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/5, S. 23). 99 „Omnem scortationem hoc iure vetitam, verius vincit contra antiquiores interpretes Hotomanus. Et vero licet nec puniantur, nec prohibeantur quaedam, non propterea probantur tamen: vt dixit. Etiam et relinquit lex hominum sua Deo: ipsaque intra finem consistit suum, qui est pax humani generis inuicem. Quae contra hunc finem sunt, omnia punit lex humana: reliqua Dei relinquit impunita, punienda Deo, quae sunt contra legis diuinae finem. hic autem est purificatio hominum ad Deum. Sic lex humana cogitationem non punit, quam punit diuina, &c. Quae optime Albericus, etiam et de Augustino: Lex illa, quae regendis ciuitatibus fertur, multa concedit, atque impunita relinquit, quae per diuinam prouidentiam iudicantur. Sic (inquit Albericus) lex humana imperfectior dici potest, non contraria diuinae“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/5, S. 22). 100 „Multa declarat inhonesta ius ciuile: et non vetat tamen: id est, neque accusari, neque puniri iubet. Sed omnia tamen inhonesta vetat: dum et primum, et generale ponit praeceptum,
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Erläutert wird das mit dem Verweis auf die drei sog. praecepta iuris am Beginn der Digesten. In ihnen sei ja neben dem „suum cuique tribuere“ und „alterum non laedere“ auch das „honeste vivere“ geboten.101 So fordere das erste und allgemeinste Gebot des Ius civile ein ehrenhaftes Leben.102 An Beispielen ließe sich zeigen, dass man hier dem Konkupiszenzverbot der purissima lex Dei nahe komme. Im Anschluss an diesen Gedankengang formuliert Gentili dann eine bezeichnende Aufforderung: „Sileant theologi: nec alienam temnant temere disciplinam.“103 Die Theologen sollen also im Blick auf das Ius civile schweigen und nicht blindlings („im Finstern“) eine fremde Disziplin verschmähen. Hier kommt es sogar zu einer Abgrenzung von dem „großen Calvin“ („Caluinus magnus“).104 Die Emanzipation des Zivilrechts von der Deutungshoheit der Theologen ergänzt Gentili durch eine pointierte Begründung der Kompetenz der Juristen im Blick auf die Auslegung der zweiten Tafel des Dekaloges. Zuerst werden mit dem Logiker Jacopo Zabarella (1533 – 1589) Theologie und Jurisprudenz als Wissenschaften definiert, die nach subiectum und finis zu unterscheiden sind.105 Gegenstand der Theoquod dixi, viuendi honeste. Et dum componit omnia ad virtutes omnes, non ad iustitiam solam: siue hoc faciat de omnibus virtutibus pariter, […]“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/5, S. 24). 101 „Iuris enim ciuilis praecepta sunt, Honeste viuere, alterum non laedere, suum cuique tribuere, in quibus praeceptis ratio vertitur omnis peccati. Et a quibus ratio vertitur omnis peccati. Et a quibus sane non discedit ius nostrum, dum post descendit ad omnes species definitionum: aut discederet nimis turpiter a fundamentis suis. Atque quod permittat, vsuras ad certum modum exerceri, et diuortium ob certas caussas, ista Alciatus defendit: simul et consuetudo plerarumque hodie puriorum ecclesiarum, et puriorum theologorum doctrina“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/2, S. 6). Vgl. auch Digesten I,1,10,1, in: Corpus iuris civilis, Bd. 1: Institutiones, recognovit Paulus Krueger; Digesta, recognovit Theodorus Mommsen, retractavit Paulus Krueger, Dublin/Zürich 221973, S. 1; zur Bedeutung der praecepta iuris bei der Herleitung des Rechts aus dem Wesen der Gerechtigkeit in Donellus’ Zivilrechtskommentaren vgl. Volker Heise, Der calvinistische Einfluss auf das humanistische Rechtsdenken. Exemplarisch dargestellt an den „Commentarii de iure civili“ von Hugo Donellus (Osnabrücker Schriften zur Rechtsgeschichte, 8), Göttingen 2004, S. 295. 102 „Multa declarat inhonesta ius ciuile: et non vetat tamen: id est, neque accusari, neque puniri iubet. Sed omnia tamen inhonesta vetat: dum et primum, et generale ponit praeceptum, quod dixi, viuendi honeste. Et dum componit omnia ad virtutes omnes, non ad iustitiam solam: siue hoc faciat de omnibus virtutibus pariter, […]“(Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/5, S. 24). 103 „Quod et Seneca in Declamationibus: Incesta est, et sine stupro, quae stuprum cupit. Ecce tibi quam non longe a lege Dei purissima de non concupiscendo lex ciuilis: quae concessarum libidinum accusatur. Etiam punitur admissum cum vidua, virgine, serua. Sileant theologi: nec alienam temnant temere disciplinam. Aliae sunt leges Caesaris, aliae Christi. Aliud Papinianus, aliud Paulus noster praecipit apud illos impudicitiae frena laxantur. Et solo stupro, atque adulterio condemnato, passim per lupanaria, et ancillulas libido permittitur. Non permittitur, Hieronyme: vt audire de ipsoque potuisti Papiniano“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/5, S. 24 f.). 104 Vgl. Gentili, De nuptiis (Anm. 23) I/5, S. 26), 26. Im Blick auf Martyr Vermiglis Auslegung von II Sam 11 heißt es: „Quid accusatis theologi? Etiam punitur faemina lenius viro in vestram gratiam, quod sane sine ratione“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/5, S. 27). 105 „Qvod si distinguuntur scientiae per subiectum, et artes per finem: vt ita distingui docent viri doctissimi: duae vtique istae, theologia, et iurisprudentia, siue scientiae, siue artes,
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logie ist Gott, und ihr Ziel ist es, das ius divinum, wie es die erste Tafel des Dekaloges beschreibt, zu klären. Gegenstand der Jurisprudenz ist der Mensch und ihr Ziel ist es, das in der zweiten Tafel des Dekaloges enthaltene ius humanum zu entfalten.106 Der Unterschied zwischen ius divinum und ius humanum liegt darin, dass ersteres sich auf das Verhältnis des Menschen zu Gott bezieht, das zweite auf das Verhältnis der Menschen untereinander.107 Gentili fasst unter das ius humanum ausdrücklich nicht nur das ius civile, sondern auch das ius gentium, das Recht zwischen den Völkern oder nach moderner Terminologie, das Völkerrecht.108 Unter anderem führt Gentili zur Erläuterung ein längeres Zitat aus einer Schrift des Genfer Theologieprofessors Cornelius Bertramus „De politia Iudaica“ an.109 Bei der kritischen Auseinandersetzung mit der problematischen Vermischung des ius divinum und des ius humanum, wie sie für das kanonische Recht charakteristisch
per subiectum, aut per finem distinguuntur. atque quod erit subiectum, aut finis vnius, id non erit subiectum, aut finis alterius. Sed theologiae subiectum Deus est: finis ius diuinum“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/8, S. 37). 106 „iurisprudentiae subiectum homo, siue actiones humanae: finis ius humanum. Et ius hoc humanum in secunda tabula continetur. Ergo est iurisprudentis secunda tabula. Eius scilicet est secunda tabula, cuius est subiectum, et finis secundae tabulae. Subiectum autem, et finis eius tabulae spectare dicetur ad iurisconsultum. Quoniam ius aliquod iurisconsulto dare oportet: et itaque vel diuinum, vel humanum“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/8, S. 37). 107 „Et erit igitur ius humanum, quod inter homines est. Ius autem diuinum, quod est, non dico inter Deos“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/8, S. 38). Vgl. auch ebd., S. 41: „Sic itaque in coniunctionem hominis cum homine incumbit iurisconsultus, in coniunctionem hominis cum Deo theologus.“ 108 „Atque si ius diuinum spectat ad theologum humanum ad iurisconsultum: habemus etiam, ius esse diuinum in prima tabula humanum in secunda. Vt ius a iure distinguitur respectu eorum, inter quos est. Sic ius dicitur ciuile, quod ciuitas constituit sibi. Quod constitutum iis est, qui sunt eiusdem ciuitatis. Ius gentium dicitur, quod naturalis ratio inter omnes gentes constituit: quod hominibus inter se commune est. Hoc appellant ius hominum, aiuntque situm in generis humani societate“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/8, S. 38). 109 „Adeat autem ad nos nunc vir doctus Cornel. Bertramus: qui de politia Iudaica sic scribere incipit, Legum omnium bonarum, siue sint scriptae, siue non scriptae, duplex est scopus. aut enim hominis erga Deum pietatem respiciunt: aut hominum inter se officia describunt. Hinc duplex nascitur politiae genus: quarum vnam quae ad pietatem refertur, diuinam: alterum, quae hominum inter se officia continet, humanam merito vocamus. Nos tamen ex communi loquendi more illam quidem ecclesiasticam, istam vero ciuilem appellabimus. Ius canonicum sic appellant diuinum: quia subiectum eius iuris sit homo dirigendus in Deum. Et tendat ad eiundem finem cum diuino. Etsi, qua est ab hominibus, et qua inter homines latum, dicatur humanum. Quomodo diuinum dicimus vulgo, quod est latum a Deo. Sed toto genere distant diuinum, et humanum. Illud de rebus diuinis, id est, ad Deum pertinentibus praecipit: hoc de humanis. Sic audis, alias res diuini, alias humani iuris. Et diuini iuris nihil recte dici, nisi quod religioni datum, habetur in iure, et potestate solius Dei. Quod Donellus ait“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/8, S. 38 f.). Vgl. auch Bonaventura Cornelius Bertramus, De politia Iudaica, tam civili quam ecclesiastica, iam inde a suis primordiis, hoc est, ab orbe condito, repetita. Secunda editio, Genf 1580 [zuerst: 1574]; zur Bedeutung und Wirkungsgeschichte der Schrift vgl. jetzt auch Eric Nelson, The Hebrew Republic. Jewish Sources and the Transformation of European Political Thought, Cambridge, MA/London 2010, S. 16 – 21.
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ist, orientiert er sich an Donellus’ großen Zivilrechtskommentaren.110 Neben Philo wird auch Melanchthon zitiert, um die Unterscheidung von erster und zweiter Tafel des Dekalogs im Sinne einer Unterscheidung von ius divinum und humanum zu erläutern.111 Gentili entfaltet die Überzeugung, dass die zweite Tafel des Dekaloges „unser“ ist und „wir sie besser auslegen können als die Theologen“,112 in mehreren Kapiteln der Schrift „De nuptiis“ gegen verschiedene Einwände. Dem Argument, dass die natürliche Vernunft verdunkelt ist,113 begegnet er unter anderem mit dem Verweis auf Luther und Melanchthon. So habe sich Luther – wie bei Johannes Sleidanus zu lesen ist – in der Frage des Widerstands gegen den obersten Magistrat [1530/31] durch die Juristen korrigieren lassen und ihren Argumenten angeschlossen.114 Gentili wendet sich ferner gegen das Argument, dass die Juristen zwar in den Detailfragen des Rechts kompetenter seien als die Theologen, nicht aber bei den grund110 Siehe vorangehende Anm. und oben S. 203 mit Anm. 38. Gentili bezieht sich auf Donellus auch bei der Darlegung des Sachverhalts, dass wir als Studenten des ius humanum in den justinianischen Rechtscorpora auch Recht finden, das nach Gegenstand und Zielsetzung ius divinum darstellt. „Et neque consistit illud, quod itidem respondetur mihi, neque theologorum esse ius diuinum solum, neque iurisconsultorum esse ius humanum totum. Aut enim et in iure humano partem theologus habere dicitur tamquam in communi, atque indiuiso nobiscum, aut tamquam in alieno. Prius autem esse nequit absque subiectorum, et finium, adeoque scientiarum, et artium confusione. Posterius vero et verum dicitur: et nihil officit rationi nostrae. Nos quoque studiosi iuris humani in libris legum Iustiniani non modo habemus, quae subiecti, et finis sunt iuris humani, sed et quae diuini, et aliarum, et scientiarum sunt omnium. Parce de iure diuino. Quod de sacris libris fuerit hauriendum. Et parce de rebus aliis, nec vumquam ex instituto, at pro occasione eius, quod ad ius pertinebat“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/8, S. 40 f.). 111 „Atque audi, ecce hic Philonem, qui non recusat dicere capita in decalogo contineri iuris diuini: in subtili tamen examen sic, legibus, quod proprie ius est, diuisis in pares quinarios. prior ius diuinum, posterior humanum continet. Sic Melanchthon, Primae tabulae obiectum, et finis Deus. secunda tabula continet virtutes, quae versantur circa societatem hominum“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/8, S. 40). 112 „Nostra est secunda tabula: quam nos theologis melius tractare possumus“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/10, S. 49). 113 Vgl. Gentili, De nuptiis (Anm. 23) I/10, S. 49 – 54; vgl. bes. ebd., S. 51: „Et si naturalis homo naturalia manifestissima non intelligit: idem intelliget spiritualia? Et si terrena non intelligit: caelestia intelliget? Miser homo, quis te illuminabit in tenebris rationis tuae, distortae etiamnum renato tibi, ac vitiatae? Si vnum non tenes verbum Dei, vides continuas ab orbe condito ruinas eorum omnium, qui extra Dei verbum quaesiere, quid Deo dignum, aut placitum esset. Decipi ratio naturalis valet: vtcunque solida saepiuscule videatur. Et conscientia non trepidauerit saltem, dum intelligit, quem sequatur ducem caecuturientem?“ Gentili verweist zur Begründung auf Melanchthons Ethik. 114 „Virtutes primae tabulae, verus timor Dei, vera fiducia misericordiae, obedientia, explicatio doctrinae, gratiarum actio, inuocatio, confessio, conseruatio ceremoniarum: sic Melanchthon. Et Lutherus ad officium pertinere negabat suum de aliis disputare rebus extra sacras, in quibus hominum mentes instruerentur a se. Nobis ille relinquebat cetera alius generis. Nos ille audit, etiam vt retractet sententiam suam, de iusta quadam defensione contra magistratum summum“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/10, S. 52).
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legenden Definitionen von Recht und Gerechtigkeit.115 Jurisprudenz bedeute nicht einfach Kenntnis des Justinianischen Rechts, sondern sei die Kunst, das Gute und Gerechte zu finden („ars boni et aequi“).116 Schließlich ist noch eine weitere Argumentation Gentilis zu skizzieren.117 Man versuche – so Gentili – „uns Juristen“ die zweite Tafel mit dem Argument abzusprechen, dass das letzte Gebot der zweiten Tafel eindeutig an die Theologen und nicht die Juristen gerichtet sei. Denn im Verbot zu begehren gehe es um den inneren Menschen bzw. die innere Vervollkommnung und die sei nicht justiziabel.118 Das sei vielmehr Teil des ius divinum und den Theologen anvertraut.119 Gentilis Antwort besteht darin, dass er das Begehrverbot als Zusammenfassung des gesamten Dekalogs und insofern nicht als ein einzelnes Gebot der zweiten Tafel des Dekalogs ansieht.120 Es sei zuzugestehen, dass das letzte Gebot, 115
Vgl. Gentili, De nuptiis (Anm. 23) I/11, S. 55 – 59. „Quemadmodum philosophia (vt inquit Clemens Alexandrinus) non est Aristotelismus, aut Platonismus, sed studium sapientiae, et veritatis: ita nostra philosophia Iustinianismus non est, sed ars boni, et aequi. cuius merito quis nos sacerdotes appellet. iustitiam namque colimus: et boni, et aequi notitiam profitemur: aequum ab iniquo separantes: licitum ab illicito discernentes: bonos non solum metu poenarum, verum etiam praemiorum quoque exhortatione efficere cupientes: veram, nisi fallor, philosophiam, non simulatam affectantes. Corruptus ille est vsus disciplinae nostrae: qui non istam artem aequi, et boni, sed legum Iustinianicarum notitiam solam profitetur“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/11, S. 57). Vgl. ebd., S. 59. 117 Gentili setzt sich mit weiteren Argumenten auseinander. So erörtert er die alttestamentliche Darstellung, nach der beide Tafeln des Dekalogs den Leviten anvertraut seien (vgl. Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/13, S. 64 – 70). Im nächsten Kapitel geht er auf die schon in den Novellen beschriebene Jurisdiktions- und Verwaltungskompetenz des Bischofs ein (vgl. Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/14, S. 70 – 80). Vgl. ferner ebd., I/15, S. 80 – 88 („De theologicis quaestionibus“); ebd. I/16, S. 88 – 95 („De auctoritate theologorum“). 118 Er sieht sich hier in Übereinstimmung mit Calvin und Lambertus Danaeus, auf die er als „nostri theologi“ ausdrücklich verweist. „Etiam prioris lumen tabulae, notatio perfectionis, et summa est. Et nostri sic quoque censent theologi. Poscit ea lex hominem interiorem. reposcit ius diuinum: hoc est, innocentem, et integram hominis naturam: qualem fecit Deus, mundam a labe omni, et omni isthac concupiscentia. Sic vt Adam (quod ait Clemens Alexandrinus) perfectus etsi factus non esset, aptus esset perfici tamen. Haec sua sibi reposcit Deus per legem vltimam. Et itaque illa ius diuinum continet. Reliquae habent ius humanum merum“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/12, S. 60, mit Verweis auf J. Calvin und L. Danaeus in der Marginalie). Zugleich grenzt er sich in seiner eingehenden Dekalogauslegung auch von Calvins Interpretation des Satzes „Ich bin der Herr dein Gott“ als eines Vorspruchs und keines Gebotes ab (vgl. Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/12, S. 62). 119 „Desinant abiudicare nobis secundam tabulam eo nihili argumento, quod vltima lex secundae tabulae non ad nos pertineat. Sed ad theologos. Nam id de illa lege sic est, quia ea continet magis diuinum ius, exigens interiorem perfectionem omnium mandatorum“ (vgl. Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/12, S. 59 f.). 120 „Inanius vero est, quod replicatur, facere me hic mandata nouem, tollendo de numero mandatorum istud de non concupiscendo. Et praeterea verum non esse, mandato isto constare comprehensionem omnium legum, etiam primae tabulae. Nam dictum esse, Leges omnes secundae tabulae comprehendi verbo hoc, Diliges proximum. Sane enim haec leuicula sunt. Etenim non ego tollo mandatum: etsi dico cum theologis, eo signari illam comprehensionem. Nec enim quicquam vetat, quominus id efficere lex illa possit generaliter, et vna simul esse ex numero decem. sint scilicet praecedentes nouem speciales, vltima haec decima generalis“ (vgl. Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/12, S. 60 f.). Unter Zurückweisung anderer Aufteilungen 116
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das Begehrverbot, im Unterschied zu den anderen zum ius divinum gehöre. Denn das den Juristen zur Auslegung anvertraute ius humanum richtet sich auf die äußeren Handlungen, während das göttliche Gesetz auf die inneren abziele. Die Jurisprudenz sanktioniere das Manifeste, die Theologie hingegen das Verborgene. Das Gesetz der Juristen erforsche nicht das Gewissen. „Das innerliche Gewissen gehört nicht zum Bereich des menschlichen, zeitlichen Gesetzes, auch nicht zum kirchlichen. Darüber richtet niemand außer allein Gott.“121
E. Resümee Es lassen sich keine klar calvinistischen Lehren aufweisen, die unmittelbar und notwendig Gentilis pointierte Rede „Silete theologi in munere alieno“ hervorgerufen haben. Vielmehr ist eine gewisse Distanzierung von calvinistisch-reformierten Lehren anzunehmen, die seinen Wechsel von der calvinistischen Flüchtlingsgemeinde in die anglikanische Kirche begleitet, bestärkt oder bewirkt haben. Zugleich ist die gemeinprotestantische Aufwertung des weltlichen Regiments und damit auch der Tätigkeit der Juristen, für die sich Gentili auch ausdrücklich auf Luther beruft, impulsgebend für die Emanzipation der Juristen von den Theologen. Eine katalytische Funktion in dieser Richtung hatte bei Gentili der Streit mit dem Theologen Reynolds über die Legitimität des akademischen Theaterspiels. In eben diesem Zusammenhang hat er seine eigenständige Auffassung von der besonderen Kompetenz der Juristen bei der Auslegung der zweiten Tafel des Dekaloges entfaltet. Hinzu kommt eine Aufwertung der Rolle von Nichttheologen im kirchlichen Leben und bei der Bibelauslegung, wie sie besonders in reformierten Milieus zu beobachten ist. So ist der calvinistisch-reformierte Jurist Althusius ebenfalls in eine Auseinandersetzung mit Theologen über die Kompetenz in der Auslegung des Dekaloges geraten. Nach Althusius’ Auffassung enthält die Bibel nicht nur Aussagen zu Heilsfragen und Fragen individueller Lebensgestaltung, sondern ebenso beispielhafte Aussagen zu Recht und Staat. Und aus diesem Wissen kann der Jurist bzw. Politiker schöpfen, ohne der Deutungshoheit der Theologen unterworfen zu sein. Diese bezieht sich abgesehen von den Heilsfragen lediglich auf das moralische Gesetz, nicht aber auf das Judizialgesetz bzw. die politischen Gestaltungsmaximen. Hierin bestand der Sachgehalt einer Auseinandersetzung, zu der es im Jahre 1601 zwischen Althusius und den in Herborn lehrenden Theologen Johannes Piscator, Mathias Mardes Dekalogs unterscheidet Gentili fünf Gebote der ersten Tafel bis einschließlich des Sabbatgebots und fünf Gebote der zweiten Tafel. Die „papistae“ werden (unter Berufung auf Philipp Marnix van Sainte-Aldegonde) kritisiert, weil sie das Bilderverbot getilgt haben (vgl. Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/12, S. 63). 121 „Respondi, in vltimo mandato inesse ius diuinum: in reliquis humanum. Vt humana dirigit lex scilicet ad actus externos, ad internos diuina. Vt iurisprudentia est manifesti vindex, theologia etiam occulti. Quae Alciatus noster. Lex nostra non scrutatur conscientiam. Conscientia interior non pertinet ad legem humanam temporalem, nec ad ecclesiasticam. nemo enim de ea iudicat, nisi solus Deus“ (Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/12, S. 63).
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tinius und Wilhelm Zepper über die Gegenwartsbedeutung des mosaischen Rechts gekommen war.122 Vordergründig ging es um die grundsätzliche Frage, welche Teile des mosaischen Gesetzes in der Gegenwart noch gültig seien und inwieweit sich die weltliche Gesetzgebung am biblischen Gesetz zu orientieren habe. Konkret wurde das an dem Problem, mit welcher Strafe Diebstahl zu ahnden sei. Die Theologen sahen die Todesstrafe nur in den Fällen als angemessen an, in denen sie nach dem im mosaischen Gesetz offenbarten Willen Gottes vorgesehen war. Althusius hingegen orientierte sich in dieser Sache primär am römischen Recht mit deutlich strengeren Strafen.123 Im Grundsatz war die Position des Althusius, dass das Judizialgesetz des Alten Testaments nur insoweit Gültigkeit behalte, als es mit dem Moralgesetz übereinstimme, auch bei den Theologen konsensfähig.124 Das in der Auseinandersetzung sichtbare Selbstbewusstsein des „Laien“ gegenüber dem Theologen hat bei Althusius wie bei Gentili in pointierter Weise Ausdruck gefunden. Im Vorwort zur ersten Ausgabe der „Politica“ von 1603 hatte er ausgehend von der schwierigen Verhältnisbestimmung von Politik und Jurisprudenz eine Ab-
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Vgl. dazu eingehend und die älteren Fehldeutungen Carl Joachim Friedrichs und Erik Wolfs korrigierend: Paul Münch, Göttliches oder weltliches Recht? Zur Kontroverse des J. Althusius mit den Herborner Theologen (1601), in: Franz Quarthal/Wilfried Setzler (Hg.), Stadtverfassung, Verfassungsstaat, Pressepolitik. Festschrift für Eberhard Naujoks zum 65. Geburtstag, Sigmaringen 1980, S. 16 – 32. 123 Vgl. Münch, ebd., S. 27 f. 124 „[…] der einhalt aber meiner lectionum ist etwan dießer geweßen, daß ich zuuorderst den studiosis legem Dej, quam moralem vocant, expliciret, darnach leges ceremoniales vndt forenses, quas vocant. In forensibus legibus ist die summ desen so ich weijttleufftig ex Theologis et Jurisconsultis dociret, quod in hisce illud quod est morale atque dilectionem Dej et proximi concernit, sit immutabile et hodie in Christianis Rebuspublicis retinendum. quod vero ratione et intuitu circumstantiarum, locj, temporis, personarum, rerum et in politia Mosaica constitutum, id sua natura inconstans et mutabile, imo pro circumstantiarum varietate saepe mutandum esse, ut lex moralis observari possit, wie ich daselb multis rationibus vndt exemplis ihn meinen lectionibus dociret vndt außgefhuret. Conclusio ist gewesen in hac re Christianam libertatem nobis retinendam et servitutis jugum abijciendum secundum Apostolum ad Galat. c. 5. et 6. vndt daß man ahn dieße forenses leges Mosaicas, quatenus concernunt circumstantias necessario oder per conscientiam nicht gebunden seij, sondern muste man allezeit vff moralem legem sehen, daß demselben quocunque modo possit, gnung geschehe, et pia pura omnia puris, so konntten wier Dona Dei quae ipse nobis per Ethnicos homines praestat, zue vnserm nutz vndt besten (wie auch in philosophia beschicht) gebrauchen, habe auch meine auditores fleisig vermanet zu lesen waß hiuon sehr trefflich vndt gotsfurchtig geschriben Doctor Franciscus Junius de politiae Mosis observatione. Zacharias Ursinus in tractatione Theologica Cap. de lege divina. Johannes Calvinus lib. 4. Inst. c. 20. sect. 15. et 16. ubj contrariam sententiam vocat turbulentam, periculosam et stolidam et falsam. Martinus Bucerus in Matth. c. 5. v. 19. et cap. 10. v. 10. Danaeus in politica. Petrus Martyr in locis communibus et alij plures qui omnes mecum sentirent“ (Althusius an die Räte Bartholdus Schorey u. Gerhard Mehn, 17.5. 1601, abgedr. in: Münch, Göttliches oder weltliches Recht [Anm. 122], S. 31 f., hier: S. 32). Vgl. auch Althusius, Politica 31614 (Anm. 57) XXII/1 – 14, S. 424 – 445.
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grenzung der einzelnen Wissenschaftsbereiche vorgenommen.125 Dabei beklagt er den Sachverhalt, dass die Theologen wie die Philosophen und Rechtsgelehrten in die politische Wissenschaft Sachfremdes eintrügen und das zudem in methodisch unbefriedigender Weise täten.126 Die Theologen werden aber auch im Blick auf ihre Funktion als Bibelausleger in die Schranken gewiesen. Denn der Jurist Althusius beansprucht eine Kompetenz in der Bibelauslegung, die nicht in jedem Falle von dem Urteil der Theologen abhängig ist.127 Es ist davon auszugehen, dass Gentili sich im Zuge der kontroversen Diskussionen mit Reynolds und anderen puritanischen Theologen seit Anfang der neunziger Jahre der calvinistisch-reformierten Konfessionalisierung verstärkt zu entziehen gesucht hat. Indizien dafür sind erstens vermehrte Abgrenzungen gegen einzelne Auffassungen „unserer Theologen“, zweitens die bleibende Wertschätzung auch lutherischer Theologen128, drittens der Übergang von der calvinistisch-reformierten 125 Vgl. Johannes Althusius, Politica methodice digesta, Herborn 1603, f. (:)ijv-(:)iiijr ; vgl. auch ders., Politica 31614 (Anm. 57) XXI/41, S. 423 f. 126 „Lectioni horum etiam quosdam alios adjunxi, qui tamen hoc argumentum ex professo minime tractarunt. Deprehendi, prout quisque horum politicorum doctorum, huic vel illi disciplinae et profeßioni fuit addictus, ita quoque eundem ex sua quam professus est arte, multa impertinentia aliena ad hanc doctrinam politicam attulisse. Tractarunt vero politicas quaestiones et aphorismos tum Philosophi, tum Jurisconsulti, tum Theologi. Philosophos animadverti, ex Ethicis virtutes plurimas ethicas tradere, quibus illi politicum et principem ornandum et informandum esse voluerunt. Jurisconsulti ex Jurisprudentia, politicae valde cognata et adfini, plurimas quaestiones juridicas invexerunt, de quibus illi egregie ex scientia juris disseruerunt. Theologi, qui ex hoc genere fuerunt, pietatis et caritatis Christianae praecepta paßim illi insperserunt, imo dixerim praxin quandam Decalogi ad politicum instruendum, praescripserunt. Ejusmodi, ut supervacua in hac arte et aliena rejicienda, et ad sedes proprias, quas dictante justitia in aliis scientiis habent, releganda esse putavi“ (Althusius, Politica 1603 [Anm. 125], f. (:)ijv). 127 Auch in der vor 1601 entstandenen Schrift „Civilis conversatio“ äußert sich Althusius ausführlich zur unterschiedlichen Aufgabe der verschiedenen Disziplinen. „Quid aliud pleraeque Ethicae virtutes quam rivuli ex aliis artibus deducti et derivati? quid aliud quam consectaria ex aliarum artium regulis et praeceptis formata, vel per consequentiam deducta axiomata? Quid aliud quam flores in amplissimis altarum artium campis decerpti et collecti? Excipio hic paucas quasdam virtutes, quas ut Ethicae proprium patrimonium et possessionem adsigno et reservo, et suis in locis trado. Respiciunt enim illae ad summum Ethicae scopum et finem, nimirum conversationem in sermone et gestu seu habitu consistentem. Ideoque in aliis artibus heterogenae et peregrinae. Reliquae virtutes, quaecunque ex his ad pie vivendum ab hoc fine dependent, ad Theologiam referuntur: quae ad commode degendum et humanam societatem colendam, ad Politicam: quae ad jus in humana societate colendum, ad Jurisprudentiam: quae ad naturales rei proprietates et affectiones cognoscendas spectant, ad Physicam: quae ad rationem bene disserendi, ad Logicam. Quodcunque enim praeceptum ad summum artis alicujus bonum et finem directo tendit, et reciproce cum forma et fine artis congruit, hoc eidem etiam homogeneum et eßentiale constituendum est, vt Logici docent“ (Johannes Althusius, Civilis conversationis libri duo, methodice digesti et exemplis sacris et profanis paßim illustrati, Hanau 1601, Buch I, Kapitel 2, S. 18). 128 Siehe oben S. 201 mit Anm. 29; S. u. S. 217 mit Anm. 114; vgl. auch die Nennung des „frühorthodoxen“ lutherischen Theologen Martin Chemnitz unter den „nostri theologi magni“, in: Gentili, De nuptiis [Anm. 23] I/6, S. 30.
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Flüchtlingsgemeinde in die Anglikanische Kirche um 1600 herum sowie viertens die Tätigkeit als Anwalt spanischer Positionen gegen die protestantischen Niederlande am English Court of Admiralty.129 Zugleich ist festzuhalten, dass Gentili seinen im 16. Jahrhundert umstürzenden, für die Entfaltung des völkerrechtlichen Werks zentralen Satz „Silete theologi in munere alieno“ als nicht im Widerspruch zur reformierten Konfession angesehen hat. Denn die für die Begründung des Satzes zentrale These, dass die Juristen die zweite Tafel des Dekaloges kompetenter als die Theologen auslegen können, begründet er durch vielfache Bezüge auf Werke calvinisch-reformierter Theologen. Bereits in den Auseinandersetzungen mit dem puritanischen Theologen Reynolds über die Zulässigkeit des akademischen Theaterspiels beruft er sich für seine Auffassung, dass die Juristen eine bessere Kompetenz zur Aulegung der zweiten Tafel des Dekalogs besäßen, ausdrücklich auf eine Dekalog-Predigt des Pfarrers der italienischen Flüchtlingsgemeinde in Genf, Niccolo Balbani, sowie Calvins Katechismus.130 Die Entsakralisierung der politischen und rechtlichen Ordnungen, die den Ausgangspunkt und die entscheidende Bedingung allen Völkerrechts darstellt, konvergiert mit zwei Grundentscheidungen der Reformation. Zum einen entspricht sie der in der Reformation Calvins besonders betonten Ablehnung jeden Aberglaubens, das heißt jeder Vermischung von Gott und Welt, wie sie zum Beispiel für das kanonische Recht charakteristisch ist.131 Zum anderen ist der entschiedene Kampf gegen die päpstliche Unterminierung der weltlichen Gewalt eine wesentliche Voraussetzung der angestrebten Entsakralisierung der politischen und rechtlichen Ordnungen. Beide Grundentscheidungen prägen Gentilis betonte Unterscheidung der Aufgabe und Kompetenz von Juristen und Theologen. Wie bei Althusius haben Gentilis Verweise auf Bibelstellen132 nicht zuletzt das Ziel, die Emanzipation der Rechtswissenschaften von der Dominanz der Theologen zu begründen. So bezeichnet Gentili die Frage, ob man Verträge mit Angehörigen 129 Vgl. Alberico Gentili, Hispanicae advocationis libri dvo, Bd. 1: Faksimile-Reprint der Ausg. 1661; Bd. 2: Engl. Übersetzung v. Frank Frost Abbott, Oxford 1921; Reprint Buffalo, N.Y. 1995 [zuerst: Hanau 1613]. Gentili hat diese Aufgabe angesichts der Notwendigkeit Englands, sich in den Konflikten rechtsförmig zu verhalten, mit Billigung des Königs übernommen. Er sah darin eine praktische Anwendung seiner völkerrechtlichen Grundsätze. Im Sinne seines Bestrebens einer Emanzipation der Jurisprudenz von der Herrschaft der Theologen geht es primär um konkrete Fragen und insbesondere den Schutz der Interessen spanischer Bürger, so dass man hier keine seinen protestantischen Überzeugungen widersprechenden Ausführungen findet. 130 Vgl. van der Molen, Gentili (Anm. 9), S. 211. 131 Siehe oben S. 204 mit Anm. 41. 132 Das zweite der drei Bücher „De iure belli“ endet mit einem bezeichnenden, Jes 11,7 aufnehmenden Gebet: „Tu, summe Deus, barbariem, feritatem, inexaturabilem hostilitatem procul amoue bonus. Bos, et leo comedant paleas, nequaquam feritatem bos discat, sed leo mansuetudinem doceatur. Nequaquam discant a barbaris Christiani tui barbaras bellandi rationes, sed istas humaniores a tuis barbari doceantur“ (Gentili, De iure belli [Anm. 3] II/24, S. 469 f.).
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unterschiedlicher Religion schließen dürfe, als eine teils theologische, von Theologen zu traktierende und eine teils juristische, von Juristen zu behandelnde Frage und erläutert das dann mit zahlreichen Verweisen auf alttestamentliche Bibelstellen.133 Wie Althusius und andere reformierte Juristen ist Gentili von der Übereinstimmung der biblischen Texte mit der recta ratio überzeugt.134 Im Anfangskapitel seines Werkes „De iure belli“ breitet er mit Hilfe zahlreicher Zitate die stoisch geprägte Naturrechtstradition der allen vernünftigen Wesen zugänglichen, ungeschriebenen Gesetze aus.135 Abgeschlossen werden die Ausführungen mit dem knappen Hinweis darauf, dass die Gesetze, die in den Heiligen Schriften Gottes niedergeschrieben sind, besondere Beachtung verdienen. Denn sie seien nicht nur den Juden, sondern allen Menschen gegeben und – wie ein Zitat Tertullians veranschaulicht – ebenso natürlich wie göttlich.136
133 „Sed an licet foedus contrahere cum hominibus diuersae religionis? Atque est quaestio partim theologalis, tractataque theologis; partim et nostris tractata ciuilis“ (Gentili, De iure belli [Anm. 3] III/19, S. 649). 134 Eben darum bedeutet sein Bestreben, die Angelegenheiten des Rechts und des Staates von der Dominanz der Theologen zu befreien, nicht die Loslösung von biblischen Normen. Zu vergleichbaren Tendenzen bei Grotius vgl. Mark Somos, Secularization in De Iure Praedae. From Bible Criticism to International Law, in: Grotiana 26 – 28 (2005 – 2007), S. 147 – 191; siehe auch Michael Becker, Ratio naturalis und sacra auctoritas. Naturrecht und Bibelstellenverweise in Hugo Grotius’ „De iure praedae commentarius“ (in diesem Band). 135 Vgl. Gentili, De iure belli (Anm. 3) I/1, S. 14 – 17. 136 „Quae scripta sunt in libris sacris Dei, summam merito auctoritatem obtinebunt: postquam apparuerit, non Hebrais tantum scripta esse, sed omnibus hominibus, vbique gentium, et temporib.[us] omnibus, haec enim esse verae naturae, id est, innocentis, ac iustae, certissimum est. Haec testimonia ilico diuina sunt. non egent, vt reliqua, gradib.[us] illis. a Haec testimonia quanto vera tanto simplicia: quanto simplicia, tanto vulgaria: quanto vulgaria, tanto communia: quanto communia tanto naturalia: quanto naturalia, tanto diuina“ (Gentili, De iure belli [Anm. 3] I/1, S. 16 f.; mit Verweis auf: Tertullian, De testimonio animae V, in: Jacques Paul Migne, Patrologiae cursus completus, Bd. 1, Paris 1844, Sp. 615).
Theologie und politischer Calvinismus im XXVIII. Kapitel der Politica methodice digesta des Johannes Althusius. Beobachtungen. Von Francesco Ingravalle, Alessandria
A. Der Ort der Kirchlichen Verwaltung in der Staatlichen Verwaltung Das XXVIII. Kapitel der „Politica methodice digesta“1 beginnt mit einer Darstellung der Verwaltung nach der Methode des Petrus Ramus2. Die ramistische Methode untergliedert die Institutionen des Gemeinschaftslebens, meist in dichotomischer Form. Entsprechend heißt es in der „Politica“ (als „Rechts-Handbuch“) z. B.: administratio unterteilt sich in die administratio universalis und die administratio particularis; administratio universalis wiederum unterteilt sich in publica negotia und res publicae. Die res publicae ihrerseits unterteilen sich in kirchliche und weltliche (säkulare) Angelegenheiten.
1 Vgl. J. Althusii, Politica methodice digesta et exemplis sacris et profanis illustrata, Cui in fine adjuncta est Oratio panegyrica De utilitate, necessitate et antquitate scholarum, Herbornae Nassoviorum, Excudebat Christophorus Corvinus, 1614. Daraus die lateinischen Zitate im Text, soweit nicht anders angegeben. Die Deutschen Übersetzungen der Abschnitte aus der Politica folgen der von D. Wyduckel herausgegebenen Übersetzung von Heinrich Janssen unter dem Titel Johannes Althusius, Politik, Berlin 2003. Bibliographie: Althusius-Bibliographie. Bibliographie zur politischen Ideensgeschichte und Staatslehre, zum Staatsrecht und zur Verfassungsgeschichte des 16. bis 18. Jahrhunderts, herausgegeben von Hans Ulrich Scupin und Ulrich Scheuner, bearbeitet von Dieter Wyduckel, Berlin, 1973; Karl-Wilhelm Dahm/Werner Krawietz/Dieter Wyduckel (Hg.), Politische Theorie des Johannes Althusius, Berlin, 1988; Dieter Wyduckel (Hg.), J. Althusius, Politik, Berlin, 2003, S. LXXIII-LXXXII; Corrado Malandrino, La politica. Elaborata organicamente con metodo e illustrata con esempi sacri e profani, a cura e con un saggio introduttivo di C. Malandrino, Torino, 2009, S. 9 – 121. 2 Vgl. Pierre de la Ramée, Dialecticae libri duo, Francofurti 1577; Merio Scattola, Johannes Althusius e la storia dei saperi politici, in: Quaderni Fiorentini. Per la storia del pensiero giuridico moderno, 39 (2010), S. 648 – 668, besonders S. 654.
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Administratio ist die Aufgabe der Minister. Nach Althusius ist Verwalten Dienen; der Minister ist eigentlich der „Diener“ des öffentlichen Wohls. Auch der Minister als gubernator ist lediglich Diener3. Erste Beobachtung: ecclesia res publica est; das heißt: die kirchliche Verwaltung ist für die Öffentlichkeit erheblich (die Öffentlichkeit ist noch nicht getrennt vom Privaten). In Kap. XXVIII § 54 der „Politica“ Althusius’ werden die negotia ecclesiastica näher bestimmt: „Die Aufgaben des summus magistratus in der kirchlichen Verwaltung sind: Aufsicht, Verteidigung, Sorge und Leitung der kirchlichen Dinge (…). Der summus magistratus lenkt und leitet die kirchlichen Amtsträger und Diener, wie wir in II. Chron. 24 ff.; 27, 2 lesen.“ Ihm obliegt die administratio der öffentlichen Geschäfte vollständig, d. h. er verwaltet die kirchlichen und die weltlichen Geschäfte5. Nur auf Grund des göttlichen Wortes verwaltet und führt der summus magistratus die kirchlichen und säkularen Angelegenheiten. Er ist der Diener Gottes und seiner Geschöpfe.6
B. Summus Magistratus und kirchliche Organisation Im Hinblick auf den Träger sind zwei Arten der kirchlichen Verwaltung zu unterscheiden: die Eine obliegt dem summus magistratus, die Zweite obliegt den kirchlichen Dienern (§ 5). Beide müssen die Pflichten ihres Amtes gemäß dem Wort Gottes auf sich nehmen und führen. Es existiert keine hierarchische Unterordnung zwischen der ersten und der zweiten Art der Trägerschaft; die Differenzierung bezieht sich nur auf die Aufgaben: bald befiehlt der summus magistratus den ministri ecclesiastici, bald befehlen die ministri ecclesiastici dem summus magistratus. Der summus magistratus7 befiehlt den ministri ecclesiastici:
3 Vgl. Francesco Ingravalle, Administratio, in: Corrado Malandrino/Dieter Wyduckel (Hg.), Politisch-rechtliches Lexikon der Politica des Johannes Althusius, Berlin, 2010, S. 107 ff. 4 Im Folgenden ohne weitere Angaben zitierte Paragraphen stammen aus Kap. XXVIII der Politica des Johannes Althusius. 5 Vgl. I Chron., 23; 24 ff; I Reg. 4 ff. 6 Zum Problem des politischen Calvinismus’ vgl. z. B. Meinrad Schaab (Hg.), Territorial Staat und Calvinismus (Veröffentichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B, Forschungen, 127), Stuttgart 1993; Corrado Malandrino/ Francesco Ingravalle, Calvinismus, „Machiavellismus“ und die Politica von Althusius in: Cornel Zwierlein/Annette Meyer (Hg), Machiavellismus in Deutschland. Chiffre von Kontingenz, Herrschaft und Empirismus in der Neuzeit. Unter redaktioneller Mitarbeit von S. M. Speek, München 2010. 7 Vgl. Maria Antonietta Falchi Pellegrini, Summus Magistratus (Monarchicus, Polyarchicus), in: Corrado Malandrino/Dieter Wyduckel (Hg.) Politisch-rechtliches Lexikon der Politica des Johannes Althusius, Berlin, 2010, S. 323 – 337; Diego Quaglioni, Majestas, in Politisch-rechtliches Lexikon der Politica des Johannes Althusius, S. 245 – 259.
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- wenn er ihnen Amtspflichten zuweist, die sie dem Worte Gottes gemäß auf sich nehmen müssen - wenn er ihnen anderes zur Ausführung auferlegt, das zur Einrichtung, Erhaltung und Weitergabe des Gottesdienstes an die kommenden Generationen erforderlich ist. In folgenden Fällen ist der summus magistratus der kirchlichen Verwaltung und Herrschaft untergeordnet: - im Bereich der Zensur8 und der Ermahnungen - im Bereich des ewigen Seelenheils. Jeder summus magistratus soll seine Untertanen auffordern Gott zu verehren (§ 7)9. Nur durch den richtigen Glauben wird das Handeln der Untertanen richtig und gut. Die wahre Religion gibt tatsächlich eine absolute Norm für das Handeln vor: Sie ist eine göttliche Offenbarung und Gott der Besitzer der absoluten Wahrheit. Um zu verstehen, was nach Ansicht der Zeitgenossen des Althusius geschehen würde, falls Gott sich von dieser Welt abwendete, kann man das Wort des Moise ben Maymoun (Moses Maimonides) heranziehen (der möglicherweise Althusius unbekannt war, dessen Werk aber im lateinischen Westen vom 13. bis zum 16. Jahrhundert sehr verbreitet war10). In seinem Dalalat al-ha’irin (oder in jüdischer Sprache Sefer moreh nevukim, dt. Führer der Verirrten oder Führer der Unschlüssigen11) schreibt er: Wenn die göttliche Vorsehung aufhöre, sei Alles dem Zufall preisgegeben. Ohne Gott besteht keine Gemeinschaft, dann bleiben nur die Einzelnen (singuli) zurück und es herrscht absolute sittliche Beliebigkeit: denn das alleinige Kriterium, das der offenbarten Wahrheit, fehlt. Nach Althusius dagegen begründet sich ohne den Glauben an Gott die politische communicatio wie von Arnold Clapmar beschrieben: „Machiavellum omnes execrantur voce et stylo, plurimi sequuntur factis“12 ; „Ma-
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Mit „Zensur“ ist dabei gem. Kapitel XXX § 1 der Politica gemeint „die Untersuchung derjenigen Sitten und Ausschweifungen, die durch die Gesetze zwar nicht gehindert und bestraft werden, jedoch die Herzen der Untertanen verderben oder ihre Güter unnütz verbrauchen“. 9 Vgl. Lucia Bianchin, Politica e Scrittura in Althusius. Il diritto regale nell’interpretazione di i sam. 8, 11 – 18 e Deut. 17, 14 – 20, in: Politeia biblica, a cura di Lea Campos Boralevi/ Diego Quaglioni, Firenze 2003, S. 409 – 430. 10 Vgl. die lateinische Übersetzung von Agostino Giustiniani, Paris, 1520. 11 Führer der Verirrten, 1190, kap. XXIII, 36, 4 – 5, über Deuteronomium 31, 17: „…und ich werde sie verlassen und mein Antlitz vor ihnen verbergen, so daß sie völlig verzehrt werden“. Vgl. Salomon Munk (Hg.), Le Guide des égarés. Traité de théologie et de philosophie par Moïse ben Maimoun dit Maïmonide, Paris 1856 – 1866, italienische Übersetzung von Mauro Zonta, La guida dei perplessi, Torino 2005, S. 124. 12 Vgl. Arnold Clapmar, De arcanis rerumpublicarum, impensis Matthai Birckneri, MDCLXV, lib. V, c. I, observata §. 2, S. 253.
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chiavellum“: das heißt: „politicum magni acuminis et judicii, sed minus sanae ac piae mentis“13. Deswegen sorgt der summus magistratus für die christliche Religion als das Fundament seiner Herrschaft („religionem christianam, et verum Dei cultum tanquam fundamentum imperii sui curabit et plantabit“) (§ 10): Man beachte: Die christliche Religion ist fundamentum imperii, nicht instrumentum regni wie bei den Tacitisten und Machiavellisten im 16. Jahrhundert. Die rechte Religion bringt den guten Untertan hervor; die rechte Religion, nicht ihre papsttreue Nachahmung. Die administratio ecclesiastica „besteht in der Sorge für die öffentliche Weitergabe der Lehre der wahren Religion und in der Einführung und Erhaltung des freien Bekenntnisses bei Ihrer Ausübung und Praxis“ („cura doctrinae, religionisque orthodoxae publice tradendae et docendae atque in illius professione libera per ejusdem usum et exercitium publicum instituenda et conservanda“) (§ 12). Dieses Verwaltungshandeln betrifft - die Lehre Gottes und seine Verehrung - das fromme und gottesfürchtige Leben der Untertanen. Die Aufgabe des summus magistratus ist es, die wahre Gotteserkenntnis und die rechte Gottesverehrung zu verbreiten: die wahre Gotteserkenntnis soll im ganzen Reich gelten. Nur auf Grund des göttlichen Gesetzes kann jeder das erlangen, was ihm zukommt; nur auf Grund des göttlichen Gesetzes bringt es jeder zustande, seine Aufgabe in der überlieferten Ordnung zu erfüllen. Es ist die Hauptaufgabe des Monarchen, die überlieferten Ordnungen zu verteidigen. In der althusischen „Politica“ wird folgendes Konzept der res publica als heilige Ordnung zugrundegelegt: „Der Magistrat und die Glieder des Reiches sollen eifrig bemüht bleiben, dass Gott in Ewigkeit von den einzelnen Gliedern wie auch allen zusammen im gesamten Reich wahrhaftig erkannt und verehrt wird. Weiter sollen sie unter dieser Bedingung ihr Reich als von Gott gegeben anerkennen und ihm, gleichsam als seine Untertanen und Vasallen, Treue und Gehorsam geloben.“ (§ 15). In der Tat hat sich der summus magistratus in den Reichsabschieden von 1555 verpflichtet, für den Bestand der anerkannten Religion zu sorgen, und die nicht anerkannte Religion auszutreiben (§ 15). Das Volk und der summus magistratus beeiden, 13 Vgl. Arnold Clapmar, De arcanis rerumpublicarum (Anm. 12), lib. V, c. IV, S. 259. Aber vgl. auch Werner Kaegi, Vom Glauben Machiavellis in: ders., Historische Meditationen, Zürich, 1942, S. 89 – 117. Nach Ansicht Machiavellis gründet der deutsche Calvinismus auf dem französischen, auf Gentillet und Daneau, Francesco Ingravalle/Corrado Malandrino, Calvinismus, „Machiavellismus“ und die Politica von Althusius, in: Cornel Zwierlein/Annette Meyer (Hrsg.), Machiavellismus in Deutschland. Chiffre von Kontingenz, Herrschaft und Empirismus in der Neuzeit. Unter redaktioneller Mitarbeit von Sven Martin Speek, München 2010, S. 61 – 78. Erwin Faul, Der moderne Machiavellismus, München 1961, S. 89, schreibt: „Machiavelli ist für die folgende Zeit nicht nur eine intellektuelle Macht, sondern mit Werk und Gestalt geradezu ein politischer Mythos geworden, ein Kampfwort, mit dem sich die verschiedenen Fronten streitend begegneten.“
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sich zu bemühen, all das zu tun, was zur Erhaltung der Kirche und des Reiches Gottes nötig ist. (§ 16) Wir beobachten vor allem, dass der Vertrag zwischen Gott, dem Volk, dem summus magistratus und den Ständen als feudale Vereinbarung begriffen wird, die von Gott sanktioniert und gesichert wird (§ 19). Zieht man die königlichen und fürstlichen Bezeichnungen, die Formeln „von Gottes Gnaden“ und „im Namen Gottes“ heran, ist klar: non est potestas nisi a Deo, wie Paulus in Röm. 13, 1 schreibt. Gott teilt die Herrschaftsgewalt durch einen Vertrag zu. Dieser Vertrag bindet den summus magistratus und das Volk an Gott: das ist ein principium firmissimum, das für jede Herrschaftsgestalt (Demokratie oder Monarchie) gilt (§ 23). Zu Unrecht beschränkt, so Althusius, William Barclay14 die Notwendigkeit eines Vertrages auf die Demokratie (u. a. unter Berufung auf Richter 17; 18; 21); jede Herrschaft kommt von Gott; das heißt: Zu Beginn der Herrschaft steht der Vertrag zwischen Gott, dem summus magistratus und dem Volk15. Die erste Aufgabe der kirchlichen Verwaltung ist die Stiftung des Geistlichen Amts und der Scholae (§ 25). Das Geistliche Amt ist publicum munus – „öffentliche Aufgabe“. Es wird ausgewählten Dienern anvertraut. Ihre Aufgabe ist es, die wahre Erkenntnis Gottes und die Ausübung seiner lauteren Verehrung zu lehren (§ 26). Aufgabe des summus magistratus ist es, über die Anerkennung und Verehrung des wahren Gottes gemäß der Heiligen Schrift Strafedikte zu erlassen und (…) bekannt zu machen und für diejenigen, die sie verletzen, Sanktionen zu verhängen“(§ 27). Außerdem ist es seine Aufgabe „Normen des rechten Glaubens oder die feierliche Formel der wahren Religion, die man Bekenntnis nennt, über die kirchliche Lehre und Verwaltung, d.i. die ordnungsgemäße und angemessene Verrichtung der kirchlichen Riten und Aufgaben, der Norm der Heiligen Schrift entsprechend gesetzlich festzulegen“. (§ 28) Weiter soll der summus magistratus „eine ordentliche kirchliche Gerichtsbarkeit, Presbyterien, Synedrien und Konsistorien der Kirchenpersonen (einrichten) und durch diese Gesetze (…) erlassen, wie Bischöfe und Pastoren zu berufen, zu prüfen und zu ordinieren, bei ihrer Aufgabe zu leiten, zu richten oder auch abzusetzen sind“ (§ 29). Ferner soll er die Ephoren des Reiches und die einzelnen Präsiden (Vorsteher der Provinzen) überwachen: die Ephoren und Präsiden sollen ihrerseits in den Parochien ihres Bereichs Presbyterien aus „frommen, ehrwürdigen, unbescholtenen und klugen, vom Volk gewählten Männern“ einsetzen (§ 30). Zuletzt soll der Magistrat dafür sorgen, dass „die Diener jeder Kirchengemeinde den Gesetzen entsprechend innerlich und äußerlich berufen, gewählt und bestätigt werden (…) und dass die so Berufenen die Lehre von Gesetz und Evangelium dem Worte Gottes gemäß rein, wahr vollständig, ordnungsgemäß, gemeinverständlich und zwar sowohl öffentlich als auch privat …. vortragen, predigen und auslegen“ (§ 31).
14
Vgl. William Barclay, De Regno, Parisii 1600, lib. IV, c. 6 (S. 245 – 248). Vgl. Stephanus Junius Brutus, Vindiciae contra Tyrannos, Edimburgi 1579, und die kritische Meinungen Barclays über die Vindiciae. 15
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Der summus magistratus „hat das Urteil über die nähere Bestimmung hinsichtlich der Glaubenslehre (…), und zwar gemäß der Heiligen Schrift, der entsprechend er über die Bischöfe herrscht.“ (§ 32) Althusius führt als Beispiel Kaiser Constantin an; nach Eusebius von Caesarea16 versprach Constantin, sich nach der arianischen Irrlehre zu richten. Aber in den Bereichen des Ministeriums, bei der Verkündung des Verbum Christi und bei der Spendung der Sakramente, ordnen sich die Kirchenmänner Gott und der Kirche unter und nicht dem summus magistratus. Als cives sind die Kirchenmänner der potestas civilis untergeordnet – wie aus Röm 13 hervorgeht. Die Schulen sollen „in allen Provinzen öffentliche Schulen sein, die zu Gottesfurcht und Redlichkeit erziehen, entsprechend der Ordnung und der Befugnis des summus magistratus des Reiches (§ 25)“. Die Schule ist „kirchliches und staatliches Arsenal“ gegen die Häretiker und hat den Staat in seiner Unversehrtheit zu schützen; die Schule ist das einzige Heilmittel, das den rechten Gottesdienst und die rechte Gotteslehre an die Nachfahren weitergibt. Die Schulen sollen den Verstand wecken, die Urteilskraft mehren und gestalten. Nach rechter Urteilskraft besteht eine coincidentia von Glauben und Wissen: der rechte Verstand und der rechte Glaube sind Gottesschöpfungen; der rechte Verstand argumentiert in Übereinstimmung mit der Offenbarung. Pierre Grégoire, Lambert Daneau, Wilhelm Zepper und Otto Casmann17 betonen die Liebe für das Studium erheben wie bereits Quintilianus, Institutio oratoria (§ 34). Schulen bereichern ferner die ganze Region: Studenten strömen herbei, die Städte werden bereichert. Die Masse der Menschen soll, so Althusius, durch private Bildungsanstalten unterrichtet werden. Die hochwertigsten, besten Schulen sollen aber die öffentlichen Schulen sein. An diesen werden die kirchlichen und staatlichen Führungskräfte ausgebildet. Auch wenn die Ephoren18 in denen ihnen zugewiesenen oder in verwaisten Provinzen private Bildungsanstalten gründen, sollen die Schulen für die höhere Bildung vom summus magistratus gestiftet sein – wie dies von René Choppin in De domanio Franciae und von Mathias Stephani in De jurisdictione19 präzisiert werde (§ 35). Der summus magistratus soll in diesen Schulen für die umfassende Bildung der Schüler in der wahren Religion sorgen.
16
Vgl. Eusebius von Caesarea, Vita Constantini III, 10 ff. Vgl. Pierre Grégoire, De republica libri sex et viginti, Lugduni 1596, liber 18 und liber 20; Lambert Daneau, Politices Christianae libri VII, Genf 1596, Wilhelm Zepper, De politica ecclesiastica, Herborn 1595, liber 1; Otto Casmann, Doctrinae et vitae politicae methodicum ac breve systema, Francofurti 1603. 18 Vgl. Saffo Testoni Binetti, Ephori, in: Corrado Malandrino/Dieter Wyduckel (Hg.), Politisch-rechtliches Lexikon, S. 201 – 216. 19 Vgl. René Choppin, De domanio Franciae libri III, Parisii 1588; Matthias Stephani, De iurisdictione, qualemque habeant omnes iudices, tam seculares, quam ecclesiastici in Imperio Romano; in tres libros divisus […], Francofurti 1611, lib. 3, pars 2, cap. 2. 17
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C. Orthodoxie und Heterodoxie: was ist zu tun? In der kirchlichen Verwaltung soll der summus magistratus die Kirche und die Praxis des göttlichen Kultus, den Gottesdienst, schützen20. Ein Mittel dazu sind kirchliche Versammlungen (conventus) und Visitationen (§ 39). Melanchton schreibt im Unterricht der Visitatoren (1527) zum summus magistratus, er trage die Verantwortung für die Visitationen; in seiner praefatio zum Unterricht der Visitatoren sagt Luther: „der Herr ist ein Diener Gottes“; vom Reichstag zu Speyer (1526) erhielten die Stände des Reiches die Verantwortlichkeit für die religiöse Politik. In allen protestantischen Ländern waren die Visitationen das Mittel für die Festigung des lutherischen Bekenntnisses. Sie dienten den Landesherren und Ständen zur Ordnung des kirchlichen Handelns und der kirchlichen Finanzen, der Schulen und der Armenpflege21. Das Instrument der Visitationen (vergleiche Althusius §§ 44 – 45) war im Luthertum, im Calvinismus und im Katholizismus gebräuchlich. Nach Althusius soll der Magistrat dafür sorgen, dass die Kirchenmänner allgemeine öffentliche Versammlungen abhalten, in denen Lehren und Lebenswandel der Untertanen des Reiches untersucht und geprüft werden, um zu gewährleisten, dass sie unversehrt und rein sind und dem Worte Gottes entsprechen (§ 40). Der summus magistratus beruft diese Versammlungen ein und leitet sie (§ 41) – wie es auch Karl der Grobe und Iustinian getan hatten. Die wahre Religion wird geschützt durch die Reinigung der Kirche und durch die Zerstörung aller Hindernisse für die wahre Religion. Die Reinigung der Kirche von allen Irrungen, von Häresie, Schisma und Verderbnis ist Aufgabe des summus magistratus, sagt Althusius (§ 50). Folglich „soll er alle Atheisten, Nichtfromme und weltlich Gesinnte, Unverbesserliche und Renitente vertreiben“ (§ 52: Althusius zitiert Psalm 101 und Exod. 22, 20). Es darf erlaubt werden, dass Juden im Herrschaftsbereich wohnen, aber „den Juden ihre Synagogen zuzugestehen, (…) ist den Magistraten nicht gestattet (§ 53). Die Untertanen sollen sich nicht mit Juden oder Papisten verheiraten. Die Papisten und die Juden sollen keine Tempel haben „um ihre idolatrischen Kulte anwenden zu können“ (§§ 53 – 57: Althusius zitiert unter anderem Deut. 13). Aber wer eine irrtümliche Lehre aufrechterhält, soll geduldet und erzogen werden (sofern noch Hoffnung auf Besserung besteht). Vielleicht dachte Althusius an Daneau, der in Politices christianae libri VII, liber III, Aphorismen äußerte: „Die Religionsveränderung zerstört den Staat.“ Die besonderen oder allgemeinen Ephoren des Reichs können die Verleugner der wahren Religion mit Waffengewalt bestrafen (§ 60 Althusius zitiert Deut. 13, 12 – 13; Jos. 22; Ap 17, 11). „Der Magistrat, in dessen Reich die wahre Religion nicht in Blüte steht“, soll keine Herrschaft über den Glauben und die Religion der Untertanen beanspruchen 20
Vgl. II Chron. 8, 15 und Davids Bitten an Gott um Vormundschaft des Gotteskultus im Psal. 61, 5; 65, 5; 48; 122; 132; 42, 1 – 5. 21 Vgl. Luise Schorn-Schütte, Die Reformation. Vorgeschichte, Verlauf, Wirkung, München 1996, Kap. IV.
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(§ 63). Der Glaube und die Religion wohnen nur in der Seele und im Gewissen jedes Einzelnen, die nur Gott beherrscht (Mt. 10). Der Glaube ist ein Gottesgeschenk, er ist kein Geschenk des Kaisers: niemals soll er erzwungen werden. Cassiodorus (Variae II, 27) sagt: „(Der Glauben) muss gelehrt, darf nicht befohlen werden.“ Aber der Glaubende soll gegen die Irrenden geschützt werden. Obwohl der Glaube eine Gewissensangelegenheit ist, in die der Kaiser nicht einzugreifen vermag, ist es richtig, dass die Sicherheit des Staats nicht von den Veränderungen der Innerlichkeit abhängen kann: nötig ist eine objektive Ordnung des Glaubens und der summus magistratus soll sie garantieren. Der Versuch der Herrschaft über das Gewissen ist ein Frevel (§ 65); die Irrenden sollen nicht verfolgt werden, aber eine missbilligte Religion auch nicht erlaubt werden „damit das Geschick des summus magistratus nicht mit dem Schicksal von Salomon gleich sei“ wie es in I Reg. 11, 4 ff. geschildert wird; darum (§ 68) soll der summus magistratus „die Einfuhr und den Verkauf häretischer Bücher verbieten“. Darum soll nach Atheisten, Epikureern, den Häretikern, Verführern, Sonntagsentweihern, den Verächtern der wahren Religion, Zauberer, nach den Hexenmeistern, den Weissagern, Meineidigen, Prahlern, Abtrünnigen, Götzendienern, Abergläubischen, den Gotteslästerern, Gottesspöttern, Wüstlingen und all denen, die die erste Tafeln des Dekalogs entweihen, geforscht werden; der Summus Magistratus soll diese Männer durch öffentliche Strafen, als Abschreckungsmittel für alle Menschen, bestrafen. (Althusius verweist auf Deut. 19, 13: „Dein Augen sollen ihn nicht schonen, und du sollst das unschuldig vergossene Blut aus Israel wegtun, daß dir’s wohlgehe“). Im Falle eines öffentlichen Unglücks soll der summus magistratus die Untertanen zu ernster Reue ermahnen und soll öffentliche Gebete und Fasten anordnen. Wenn der summus magistratus und das Volk sich ernsthaft an Gott wenden, wird das Unglück von ihnen genommen werden (§ 73).
D. Die Religionsverwaltung Für Althusius ist klar: die Religion ist Grundlage des Staates. Folglich soll der Staat die Religion schützen. Der Staat kontrolliert die Religionspraxis durch Mittel, die im Calvinismus, Luthertum und Katholizismus die Gleichen sind, nämlich Visitationen22, Zensur23 und Kirchengerichte. Die rechte Vernunft stimmt mit dem rechten Glauben überein24. Religiöse Abweichung mag toleriert werden, wenn sie nicht den Irrtum der Rechtgläubigen befördert. Atheisten und Ungläubige werden nicht toleriert. Auch der aristotelische Vertreter des ursprünglichen Monotheismus erklärte seine Furcht, vom Göttlichen Gesetz Abschied zu nehmen? Die Furcht vor Abwei22 Vgl. z. B. Georg Schmidt, Die Zweite Reformation in: Meinrad Schaab (Hg.) Territorialstaat und Calvinismus, 1993, S. 104 – 135. 23 Vgl. Lucia Bianchin, Dove non arriva la legge. Dottrine della censura nella prima età moderna, Bologna 2005, S. 243 – 292 (über Althusius). 24 Nach Thomas von Aquin ist der Glaube eine Regel der rechten Vernunft, vgl. Summa contra Gentiles, I, 7.
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chungen vom göttlichen Gesetz war im 16. Jahrhundert im Denken der Anhänger der christlichen Konfessionen verbreitet, und zwar sowohl während der Religionskriege als auch lange danach. Jede Konfession versuchte, sich gegen die andere zu schützen: Der Augsburger Religonsfrieden hat mit dem Prinzip des cuius regio eius religio nur einen zeitweiligen Damm gegen religiöse Konflikte gestiftet. Im Jahre 1614, in der die 3. Auflage der Politica methodice digesta veröffentlicht wurde, beginnen Kaiser und Stände wiederum die konfessionelle Zugehörigkeit zu betonen, ohne für die Einheit des Reiches einzutreten. Im Jahre 1618 begann der dreißigjährige Krieg.
Die Rolle der Obrigkeit in reformierten Kirchenordnungen der Frühen Neuzeit Von Judith Becker, IEG Mainz Die bürgerliche Ordnung dient dazu, „daß unter den Christen die öffentliche Gestalt der Religion zutage tritt und unter den Menschen die Menschlichkeit bestehenbleibt.“1 In Bezug auf die Obrigkeiten ist festzuhalten, „daß diese Menschen einen Auftrag von Gott haben, mit göttlicher Autorität ausgestattet sind und überhaupt für Gottes Person eintreten, dessen Statthalterschaft sie gewissermaßen ausüben“.2 Johannes Calvin betont in seiner „Institutio Christianae Religionis“ die Bedeutung von bürgerlicher Ordnung und Obrigkeit für das Zusammenleben der Menschen und das christliche Gemeinwesen. Wie Martin Luther vertritt er die Lehre vom zweifachen Regiment, dem bürgerlichen und dem geistlichen, denen die bürgerliche Ordnung und Christi Reich entsprechen. Die Aufgabe des bürgerlichen Regiments sei es, die Gottesverehrung zu fördern und zu sichern, die Gemeinschaft der Menschen zu gestalten, Gerechtigkeit und Frieden zu bewahren.3 Dass die Obrigkeit bei der Gestaltung des weltlichen Lebens im Auftrag, nach der Vorsehung und Anordnung Gottes handelt und somit als seine Stellvertreterin, beweist Calvin mit Zitaten aus dem Alten wie Neuen Testament.4 Ganz eindeutig sei die Obrigkeit für die Einhaltung beider Tafeln des Gesetzes zuständig, an erster Stelle aber müsse die „Sorge für die Frömmigkeit“ stehen, denn erst dann könne sich die bürgerliche Ordnung fruchtbar entfalten.5 Das geistliche Wohl, die reine Gottesverehrung, sei nämlich viel wichtiger als das irdische Wohlergehen. Aufgabe der Obrigkeit sei es, Unschuldige zu schützen und Übeltäter zu
1 Johannes Calvin, Institutio Christianae Religionis, 1559, in: Peter Barth/Wilhelm Niesel/ Dora Scheuner (Hg.), Joannis Calvini opera selecta, III-V, München 1967 – 74, IV, 20,3. Übersetzung nach: Johannes Calvin, Unterricht in der christlichen Religion. Institutio christianae religionis, nach der letzten Ausgabe übers. u. bearb. v. Otto Weber, Neukirchen-Vluyn 5. Aufl. 1988 (so auch im Folgenden). 2 Calvin, Institutio, IV (wie Anm. 1) 20, S. 4. 3 Vgl. ebd., 20, S. 1 – 2. 4 Vgl. ebd., 20, S. 4. 5 Vgl. ebd., 20, S. 9.
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bestrafen. Die Gesetze seien „die kräftigsten Sehnen der Gemeinwesen“, ja ihre „Seelen“.6 Diese Hochschätzung der Ordnung und der sie garantierenden Obrigkeit findet sich bei den meisten Theologen des reformierten Protestantismus. In den Kirchenordnungen hat sie indes nicht immer Niederschlag gefunden. Reformierte Kirchenordnungen entstanden in ganz unterschiedlichen Prozessen, als Gemeinschaftswerke oder als Produkte einzelner oder weniger Personen, relativ spontan oder in jahrelanger Entwicklung und Überarbeitung. Auch hätte die Situation der Kirchen, für welche sie verfasst wurden, unterschiedlicher nicht sein können. Zwischen im Auftrag von Obrigkeiten verfassten und obrigkeitlich erlassenen Kirchenordnungen und den Ordnungen autonomer Kirchen, die sich möglicherweise sogar gegen die sie regierende Obrigkeit abgrenzten, war alles möglich. Man kann die Kirchenordnungen daher in drei Gruppen aufteilen: Obrigkeitlich erlassene Ordnungen, in Absprache mit den Obrigkeiten entstandene Ordnungen und die Ordnungen autonomer Kirchen. Zu den Ordnungen autonomer Kirchen gehören die „Discipline ecclésiastique“ der französischen Kirchen von 1559 und die Akten der Emder Synode von 1571, in der sich die niederländischen und wallonischen Fremdengemeinden eine gemeinsame Ordnung gaben. Eine in Absprache mit den Obrigkeiten entstandene Kirchenordnung ist zum Beispiel die von Johannes a Lasco verfasste „Forma ac ratio“, die die Ordnung der Londoner Fremdengemeinde zur Zeit Edwards VI. wiedergibt. Obrigkeitlich erlassene Kirchenordnungen finden wir unter anderem in Genf und in der Kurpfalz.7 6 Vgl. ebd., 20, S. 14. Wie weit der Einfluss der Obrigkeit auf die und in der Kirche gehen sollte, war durchaus umstritten, unter Reformierten ebenso wie unter Anhängern der Wittenberger Reformation. Die generelle Aufgabe der Obrigkeit, die Ordnung zu bewahren, wurde hingegen nicht angezweifelt. Zu Calvins Kirchen- und Staatsverständnis vgl. Josef Bohatec, Calvins Lehre von Staat und Kirche mit besonderer Berücksichtigung des Organismusgedankens (Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 147), Aalen 1961 (ND d. Ausg. Breslau 1937). Die Theologie, die Betonung der Lehre, die hinter den Ordnungsvorschriften steht, arbeitet Jan Remmers Weerda heraus: Jan Remmers Weerda, Ordnung zur Lehre. Zur Theologie der Kirchenordnung bei Calvin [1959], in: Anneliese Sprengler-Ruppenthal (Hg.), Nach Gottes Wort reformierte Kirche. Beiträge zu ihrer Geschichte und ihrem Recht, (TB, 23) München 1964, S. 132 – 161. Vgl. auch Brandt B. Boeke, Calvin’s Doctrine of Civil Government, in: Studia Biblica et Theologica 11 1981, S. 57 – 79, sowie die von Richard C. Gamble gesammelten Beiträge: Richard C. Gamble (Hg.), Calvin’s Thought on Economic and Social Issues and the Relationship of Church and State, New York / London 1992. Zur Frage nach der Königsherrschaft Gottes bei Calvin, bei der auch das Verhältnis von Obrigkeit und Kirche angesprochen wird, vgl. Judith Becker, Die Königsherrschaft Gottes bei Calvin und im frühen reformierten Protestantismus, in: Irene Dingel/Christiane Tietz (Hg.), Die politische Aufgabe von Religion. Perspektiven der drei monotheistischen Religionen (VIEG Beiheft), Göttingen 2011, S. 277 – 279. 7 Eine Ordnungstradition, in der weltliche Obrigkeit und Kirchenleitung auf manchen Gebieten sehr eng zusammenarbeiteten, findet sich in Zürich. Diese gehört ebenfalls zu der dritten hier besprochenen Gruppe. Die Mandate aus Ulrich Zwinglis Zeit und den Anfangsjahren Heinrich Bullingers in Zürich finden sich bei Emil Egli (Hg.), Aktensammlung zur Geschichte der Zürcher Reformation in den Jahren von 1519 – 33, Nieuwkoop 1973 (ND d. Ausg. Zürich 1879). Vgl. auch Bruce Gordon, Die Entwicklung der Kirchenzucht in Zürich
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Ich werde im Folgenden Aufgaben und Funktionen der Obrigkeit sowie ihre Beziehung zur Kirche und deren Leitung darstellen, soweit sie sich aus den Kirchenordnungen eruieren lassen. Dazu wird insbesondere nach der Rolle der Obrigkeit bei der Bestellung der Amtsträger gefragt sowie nach der Zusammenarbeit von Kirche und Obrigkeit in Zuchtfragen.8 Dies waren die beiden wichtigsten Berührungspunkte zwischen Kirche und Obrigkeit in den Ordnungen. Weitere Themen werden je nach Ordnung angefügt. Dabei gehe ich in drei Schritten von den Ordnungen autonomer Kirchen über die in Absprache mit der Obrigkeit entstandenen Ordnungen zu den obrigkeitlich erlassenen Ordnungen. Es wird sich zeigen, dass mit den Ordnungen ein dreifaches Anliegen verfolgt wurde: Das Bemühen um Eindämmung des Einflusses der Obrigkeit im kirchlichen Bereich, das Bemühen um Einbeziehung der Obrigkeit, vor allem um Ordnungsvorstellungen durchsetzen zu können – diese beiden Anliegen wurden naturgemäß unterschiedlich gewichtet – und, insbesondere bei den nicht obrigkeitlich erlassenen Kirchenordnungen, das Bemühen um „Befriedung“ der Obrigkeit: Man wollte die eigene Rechtgläubigkeit demonstrieren und sich damit als ungefährlich erweisen.
am Beginn der Reformation, in: Heinz Schilling (Hg.), Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung im frühneuzeitlichen Europa (Zeitschrift für Historische Forschung, 16), Berlin 1994, S. 65 – 90. Zu den Unterschieden zwischen Calvins und Bullingers Auffassung vgl. J. Wayne Baker, Christian Discipline, Church and State, and Toleration: Bullinger, Calvin, and Basel 1530 – 1555, in: Heiko A. Oberman (Hg.), Reformiertes Erbe. Festschrift für Gottfried W. Locher zu seinem 80. Geburtstag (Zwingliana, 19), Zürich 1992, S. 35 – 48 sowie grundlegend Walther Köhler, Züricher Ehegericht und Genfer Konsistorium, 1: Das Zürcher Ehegericht und seine Auswirkung in der deutschen Schweiz zur Zeit Zwinglis (Quellen und Abhandlungen zur Schweizerischen Reformationsgeschichte, 7), Leipzig 1932. 8 Einen Überblick über die Beziehungen zwischen weltlicher Obrigkeit und Kirche in Fragen der Kirchenzucht gibt, insbesondere für das Luthertum, Martin Brecht, Protestantische Kirchenzucht zwischen Kirche und Staat. Bemerkungen zur Forschungssituation, in: Heinz Schilling (Hg.), Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung im frühneuzeitlichen Europa (Zeitschrift für Historische Forschung 16), Berlin 1994, S. 41 – 48. Er geht hier auch auf die Forschungen zur Sozialdisziplinierung ein. Vgl. dazu grundlegend Heinz Schilling, Reformierte Kirchenzucht als Sozialdisziplinierung? Die Tätigkeit des Emder Presbyteriums in den Jahren 1557 – 1562 (Mit vergleichenden Betrachtungen über die Kirchenräte in Groningen und Leiden sowie mit einem Ausblick ins 17. Jahrhundert), in: Wilfried Ehbrecht/ders. (Hg.), Niederlande und Nordwestdeutschland. Studien zur Regional- und Stadtgeschichte Nordwestkontinentaleuropas im Mittelalter und in der Neuzeit. Franz Petri zum 80. Geburtstag (Städteforschung, Reihe A: Darstellungen, 15), Köln/Wien 1983, S. 261 – 327; ders., Sündenzucht und frühneuzeitliche Sozialdisziplinierung: Die calvinistische presbyteriale Kirchenzucht in Emden vom 16. bis 19. Jahrhundert, in: Georg Schmidt (Hg.), Stände und Gesellschaft im alten Reich (VIEG Beiheft, 29), Stuttgart 1989, S. 265 – 302. Etwas anders als Brecht betont Robert M. Kingdon, Calvin and the Establishment of Consistory Discipline in Geneva: The Institution and the Men Who Directed It, in: NAKG/DRCH 70, 1990, S. 158 – 172.
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A. Die Rolle der Obrigkeit in den Kirchenordnungen autonomer Kirchen Zwei der größten reformierten Kirchen bzw. Gemeindeverbünde formierten sich als „Kirchen unter dem Kreuz“ in Auseinandersetzung mit der Obrigkeit. Sowohl in Frankreich als auch in den Niederlanden wurden die protestantischen Gemeinden verboten und unterdrückt. In Wellen und je nach Gebiet in unterschiedlichem Ausmaß kam es zu Protestantenverfolgungen, Kriegen und Ausweisungen.9 Die Kirchen konnten nicht in Zusammenarbeit mit der Obrigkeit reformiert werden,10 sondern wurden bestenfalls unabhängig von ihr, im schlechteren Fall gegen sie neu gegründet. Sie schlossen sich auf Synoden zusammen, und 1559 tagte in Paris die erste Nationalsynode. Hier wurde eine einheitliche Kirchenordnung verabschiedet.11 Ein Original dieser Ordnung ist nicht überliefert, schon nach wenigen Monaten kursierten unterschiedliche Fassungen.12 Doch nur in einem der bekannten Manuskripte wird die Obrigkeit ausdrücklich erwähnt: 1562 ließ der Bischof von Le Mans eine Abschrift der „Discipline ecclésiastique“ erstellen. Sie wurde somit nach der zweiten Nationalsynode in Poitiers verfasst und umfasst etwa zehn Artikel mehr als die Version, von der man heute glaubt, dass sie der Urfassung wahrscheinlich am nächsten kommt.13 In dem Manuskript von Le Mans werden die Delegierten 9 Vgl. Philip Benedict (Hg.), Reformation, revolt and civil war in France and the Netherlands, 1555 – 1585. Proceedings of the Colloquium, Amsterdam, 29 – 31 October 1997 (Verhandelingen der Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen, Afd. Letterkunde N.R., d. 176), Amsterdam 1999. Zu Frankreich vgl. Barbara B. Diefendorf, The Religious Wars in France, in: R. Po-chia Hsia (Hg.), A Companion to the Reformation World, Oxford 2004, S. 150 – 168. Zur Entstehung der Gemeinden: Bernard Roussel, ,Colonies‘ de Genève? Les premières années de vie commune des églises réformées du royaume de France (ca 1559 – ca 1571), in: Bulletin de la Société d’Histoire et d’Archéologie de Genève 26 – 27, 1996, S. 1 – 13; Glenn S. Sunshine, Reforming French Protestantism. The Development of Huguenot Ecclesiastical Institutions, S. 1557 – 1572 (SCES, 66), Kirksville 2003; Raymond A. Mentzer, La construction de l’identité réformée aux 16e et 17e siècles. Le rôle des consistoires, Paris 2006; Vgl. auch Jean-Marc Berthoud, Calvin et la France. Genève et le déploiement de la Réforme au XVIe siècle, Lausanne 1999; Raymond A. Mentzer, Calvin und Frankreich, in: Herman J. Selderhuis (Hg.), Calvin Handbuch, Tübingen 2008, S. 78 – 87. Zu den Niederlanden vgl. Alastair C. Duke, Reformation and Revolt in the Low Countries, London 1990; sowie zu den niederländischen Glaubensflüchtlingen im Überblick Heinz Schilling, Niederländische Exulanten im 16. Jahrhundert. Ihre Stellung im Sozialgefüge und im religiösen Leben deutscher und englischer Städte (SVRG, 187), Gütersloh 1972. 10 In Frankreich erlangten die Reformierten an manchen Orten, insbesondere im Süden, Unterstützung der lokalen Obrigkeit. Nie jedoch hatte die Kirche im 16. Jahrhundert die offizielle Unterstützung regionaler Herrscher oder gar des Königs. 11 Vgl. Die Discipline ecclésiastique von 1559, bearb. v. Peter Opitz u. Nicolas Fornerod, in: Andreas Mühling/Peter Opitz (Hg.), Reformierte Bekenntnisschriften 2/1: S. 1559 – 1563, Neukirchen-Vluyn 2009, S. 57 – 83. 12 Vgl. Opitz/Fornerod, Einleitung (wie Anm. 11), S. 57 – 71; sowie Bernard Roussel/Solange Deyon, Pour un nouvel „Aymon“. Les premiers Synodes nationaux des Églises réformées en France (1559 – 1567), in: BSHPF 139, 1993, S. 545 – 595. 13 Vgl. Opitz/Fornerod, Einleitung (wie Anm. 12).
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aus Paris, Orléans und Rouen beauftragt, öffentlich gegen die Anerkennung des Konzils von Trient zu streiten „tant par libvres imprimez que par remonstrances qui se feront au Roy et par tous aultres moyens qu’ilz congnoistront estre nécessaires“.14 Dieser Aufforderung ist zweierlei zu entnehmen: Zum einen hatte die Kirche eine Verpflichtung gegenüber der Obrigkeit, sie sollte den König ermahnen und auf den rechten Weg zurückführen. Zum anderen scheint durch die Aufforderung hindurch, dass der König für die rechte Ordnung, auch die rechte religiöse Ordnung, eintreten sollte. Weitergehende Bezüge auf den König oder andere weltliche Obrigkeiten gibt es in der Ordnung nicht. In der vermutlich ursprünglichen Ordnung wird nur an zwei Stellen auf die weltliche Ordnung Bezug genommen, und dies eher implizit. Bei beiden Punkten treffen sich kirchliche und weltliche Interessen: Die kirchliche Trauung wird vollzogen, nachdem dem Kirchenrat der vor einem Notar geschlossene Ehevertrag vorgelegt wurde.15 Und im Rahmen der Kirchenzucht werden diejenigen mit dem Bann belegt, „qui sont attaints et convaincus de crimes dignes de punition corporelle“.16 Direkte Interaktionen von kirchlicher und weltlicher Leitung gibt es also nicht. Die Synodalen sind jedoch durchaus willens, sich an die weltlichen Gesetze zu halten und diese zu bewahren und zu verteidigen. Daher werden alle Übeltäter, die nach weltlichem Recht bestraft werden, auch unter die Kirchenzucht gestellt. Zugleich ist dies die einzige Möglichkeit, Skandale von der Kirche fernzuhalten. Eine Zusammenarbeit von weltlicher Obrigkeit und Kirche gibt es im strengen Sinne nicht – was angesichts der Situation einer Untergrundkirche nicht weiter überrascht. Es wird aber deutlich, dass die Kirche sich willentlich den weltlichen Gesetzen unterwirft. Dies ist auch eine Möglichkeit, ihre Ungefährlichkeit gegenüber der anderskonfessionellen Obrigkeit (z. B. dem Bischof von Le Mans) zu demonstrieren. Zugleich scheinen bereits Möglichkeiten auf, die bei einer Änderung der Verhältnisse zur Kooperation führen könnten. Vom 4. bis 13. Oktober 1571 trafen sich Delegierte der niederländischen Kirchen zu einer Gesamtsynode, in der sie sich eine erste Kirchenordnung gaben.17 Diese sollte für die Gemeinden in den Niederlanden – französisch- wie flämischsprachig – und 14
Opitz/Fornerod, Discipline ecclésiastique (wie Anm. 11), S. 83. Vgl. Opitz/Fornerod, Discipline ecclésiastique (wie Anm. 11), S. 81. Das Manuskript von Le Mans erlaubt kirchliche Eheschließungen auch, wenn versichert wird, dass kein Notar greifbar ist. 16 Opitz/Fornerod, Discipline ecclésiastique (wie Anm. 11), S. 80. Interessant ist, dass in der Discipline ecclésiastique die unter weltlichen Strafen Stehenden mit Häretikern, Gottesverächtern und solchen, die sich gegen den Kirchenrat auflehnen, in einem Atemzug genannt werden: „Les hérétiques, les contempteurs de Dieu, les rebelles contre le Consistoire, les traistres contre l’Église, ceux qui sont attaints et convaincus de crimes dignes de punition corporelle, et ceux qui apporteroyent un grand scandale à toute l’Église“. Dies zeigt die Gleichrangigkeit der Vergehen weltlicher und geistlicher Art in den Augen der Delegierten. 17 Vgl. J. F. Gerhard Goeters (Hg.), Die Akten der Synode der Niederländischen Kirchen zu Emden vom 4.–13. Oktober 1571. Im lateinischen Grundtext mitsamt den alten niederländischen, französischen und deutschen Übersetzungen, Neukirchen-Vluyn 1971. 15
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für die Fremdengemeinden in Deutschland und England gleichermaßen verbindlich sein sowie die enge Beziehung zu der reformierten Kirche Frankreichs stärken. Vorbereitet wurde die Synode maßgeblich von Petrus Dathenus, dem Pastor der niederländischen Fremdengemeinde in Frankenthal, durchgeführt unter Vorsitz Gaspar van der Heydens, des zweiten Frankenthaler Pfarrers. Über diese beiden Protagonisten sind Einflüsse sowohl der Londoner Kirchenordnung als auch der Kurpfälzischen Ordnung, auf die wir noch zu sprechen kommen werden, in die Bestimmungen der Emder Synode eingegangen.18 Die Emder Synode erwähnt die Obrigkeit ausschließlich im Zuge der Kirchenzuchtbestimmungen: „Die aber schwere, der kirchen lasterhafte und der gewalt der obrigkeit strafbare sunden begangen, ob dieselbige schon mit den worten die buß bezeugen, sollen gleichwol von gemeinschaft des nachtmals gehalten werden, aber wie mannigmal, stehet in erkantnuß deß constistorii.“19 Hier werden demnach von der Obrigkeit bestrafte Übeltäter nur mit dem Abendmahlsausschluss belegt, nicht mit dem Bann wie in der französischen „Discipline ecclésiastique“. Daraus lassen sich jedoch keine Schlüsse auf eine geringere Wertschätzung der weltlichen Strafen ziehen. Vielmehr zeugt diese Bestimmung von einem anderen Verständnis von Abendmahlsausschluss und Bann. In der „Discipline ecclésiastique“ gilt der Bann als Strafmaßnahme und wird relativ leicht verhängt, in den Bestimmungen der Emder Synode geht es – ganz im Sinne der Londoner Ansätze – eher um Maßnahmen zur Korrektur und Umkehr. Der Bann als Ausschluss aus der Gemeinde wird erst nach langer und sorgfältiger Prüfung und bei hartnäckiger Renitenz verhängt. In einem Punkt geht die Emder Synode auf das Verhältnis von Amtsträgern und Obrigkeit ein: Älteste und Diakone, die unter obrigkeitlicher Strafe stehen, werden ihres Amtes enthoben. Pfarrer werden suspendiert; über ihre Amtsenthebungen entscheidet die Versammlung der Klasse oder, sollte es hier zu keiner Einigung kommen, die Provinzialsynode.20 Diese Bestimmung spiegelt indes mehr die besonderen Anforderungen, die in allen Kirchen an die Amtsträger gestellt wurden, wider, als dass sie Auskünfte über das Verhältnis der Kirche zur Obrigkeit gibt. Amtsträger sollten untadelig und würdig sein.21 Auf der Emder Synode wurden jedoch nicht nur die kirchenordnenden Bestimmungen festgelegt, sondern im Anschluss an deren Verabschiedung konnten auch 18
Vgl. dazu auch Judith Becker, Kirchenordnung und reformierte Identitätsbildung am Beispiel Frankenthals, in: Irene Dingel/Wolf-Friedrich Schäufele (Hg.), Kommunikation und Transfer im Christentum der Frühen Neuzeit (VIEG, Beiheft, 74), Mainz 2007, S. 275 – 296. Zu Dathenus vgl. Aart Arnout van Schelven, Petrus Dathenus, ’s-Gravenhage 1913; sowie Theodor Ruys, Petrus Dathenus, 2. Aufl. mit einem Vorwort von Willem van ’t Spijker, Houten 1988 (Dissertation Vrije Universiteit Amsterdam, 1919); zu van der Heyden vgl. Maximilian Frederik van Lennep, Gaspar Van Der Heyden 1530 – 1586, Amsterdam 1884. 19 Goeters, Emder Synode (wie Anm. 17), S. 34 – 37. 20 Vgl., ebd., S. 36 f. 21 Die Gemeinden orientierten sich bei dem Anforderungsprofil der Amtsträger in der Regel an 1 Tim. 3,2.
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Fragen der verschiedenen Gemeinden geklärt werden. Dabei kam die Beziehung der Kirche zur Obrigkeit in mehreren Fällen zur Sprache. So wurde festgehalten, dass der Kirchenrat, wenn er für einen Fall keine Zeugen beibringen kann, Gemeindeglieder zum Eid auffordern, aber sie nicht zwingen könne. Denn ihm fehle die Zwangsgewalt. Auch halten die Mitglieder der Synode den Eid in kirchlichen Angelegenheiten für das schlechtere Mittel als die Androhung von Gottes Strafen.22 Deutlich wird hier der Unterschied zwischen kirchlicher und weltlicher Obrigkeit benannt. Die weltliche Obrigkeit setzt Recht und Gesetz mit dem Schwert durch, der kirchlichen Obrigkeit, den Gemeindeleitern, stehen diese Möglichkeiten nicht zur Verfügung. In weiteren Anfragen wird die Beziehung zur Obrigkeit näher geklärt: Eine Anfrage machte deutlich, dass die Gesetze der Obrigkeit befolgt werden müssen.23 Auch dürfe fremden Obrigkeiten kein (finanzieller) Schaden zugefügt werden.24 Über die Frage, ob eine heimliche Leugnung des evangelischen Glaubens vor der Obrigkeit als heimliche oder als öffentliche Sünde gelten solle, sind die Synodalen zu keiner Einigung gekommen.25 Wenn eine Frau angibt, ihr Mann sei vor einigen Jahren gestorben, dies aber nicht beweisen kann, soll sie die Obrigkeit um Hilfe anrufen, entweder um Ausrufung oder, falls die Obrigkeit dies verweigert, um Festsetzung einer Frist, wie lange sie warten solle.26 Bei der Festlegung der Grade der Blutsverwandtschaft, bei denen eine Ehe verboten wird, soll die Gemeinde sich an die Gesetze der Obrigkeit halten, insbesondere an Orten einer andersgläubigen Obrigkeit, damit nicht ihre kirchlichen Eheschließungen von der Obrigkeit aberkannt werden.27 Gerade diese Antworten auf Fragen aus den verschiedenen Gemeinden zeigen die Rolle der Obrigkeit für die Synodalen: Selbst wenn die Obrigkeit in der Kirchenordnung nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt, da sich die Ordnung weder auf sie berufen noch sich auf sie stützen kann, so wird doch alles getan, damit die Kirche erstens der weltlichen Ordnung nicht entgegensteht und so die Obrigkeit gegen sich aufbringt, und damit zweitens die Obrigkeit die Kirche und ihre Mitglieder soweit irgend möglich unterstützt. Dies lässt vermuten, dass die Vertreter der autonomen Kirchen die weltliche Obrigkeit im Prinzip genauso hoch schätzten wie Johannes Calvin. Dass die gegenwärtigen Obrigkeiten in ihren Heimatländern und teilweise auch in den Exilsländern dieser Aufgabe nicht gerecht wurden, steht auf einem anderen Blatt. Darauf konnte die
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Goeters, Emder Synode (wie Anm. 17), S. 58 f. Vgl., ebd., Hierin sind die Synodalen völlig mit Johannes Calvin einig, vgl. z. B. Calvin, Institutio (wie Anm. 1), IV, 7 f. Die einzige Ausnahme bildet eine Obrigkeit, die ihre Untertanen zu gotteswidrigem Verhalten zwingen will, vgl. ebd., IV, 20,32. 24 Goeters, Emder Synode (wie Anm. 17), S. 64 f. 25 Vgl. ebd., S. 64 – 69. 26 Vgl. ebd., S. 68 f. 27 Vgl. ebd., S. 68 – 71. 23
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Kirche nur mit Ermahnungen antworten, wie es die Fassung der „Discipline ecclésiastique“ von Le Mans vorschreibt.28
B. In Absprache mit der Obrigkeit entstandene Kirchenordnungen Johannes a Lascos „Forma ac ratio“ nimmt unter den Kirchenordnungen nicht nur deshalb eine Sonderstellung ein, weil sie die längste Ordnung ist und in ihr kirchenordnende Vorschriften, liturgische Anleitungen und theologische Erörterungen verwoben sind, sondern auch, weil sie für eine autonome Gemeinde entworfen wurde, die dennoch unter dem Schutz des Königs stand und an gewissen Stellen auf diesen Bezug nahm.29
28 Den reformierten Kirchen dieser Tradition werden oft Demokratisierungstendenzen nachgesagt. Sie waren jedoch dem jeweiligen politischen System, in dem sie lebten, ebenso verpflichtet wie andere Konfessionen. Einzig bei der Frage des Widerstandsrechts ab dem Ende des 16. Jh. konnte es zu Auseinandersetzungen kommen. Dennoch lässt sich feststellen, dass sich die Kirchen teilweise sehr anders organisierten als die politischen Gemeinwesen, in denen sie lebten. Dies lässt aber eher auf ein unterschiedliches Verständnis von Kirche und Staat und auf schiere kirchenorganisatorische Notwendigkeit schließen als auf politische „Demokratisierungstendenzen“. Raymond A. Mentzer hat herausgearbeitet, dass sich gerade im Süden Frankreichs die kirchliche Ordnung kaum von der politischen unterschied. Dort hatten auch im politischen Gemeinwesen die Räte die Autorität inne, vgl. Raymond A. Mentzer, The Appeal of Calvinism in France, in: Irene Dingel/Herman J. Selderhuis (Hg.), Calvin und Calvinismus. Europäische Perspektiven (VIEG, Beiheft, 84), Göttingen 2011, S. 103 – 114, sowie ders. The Genevan Model and Gallican Originality in the French Reformed Tradition, in: Mack P. Holt (Hg.), Adaptations of Calvinism in Reformation Europe. Essays in Honour of Brian G. Armstrong, Aldershot 2007, S. 147 – 164. 29 Zur theologischen Konzeption von a Lascos Kirchenordnung vgl. Anneliese SprenglerRuppenthal, Mysterium und Riten nach der Londoner Kirchenordnung der Niederländer (ca. 1550 – 1566), Köln 1967; Ulrich Falkenroth, Gestalt und Wesen der Kirche bei Johannes a Lasco, Diss. Georg-August-Universität, Göttingen 1957; Harold O. J. Brown, John Laski: a Theological Biography. A Polish Contribution to the Protestant Reformation, PhD diss. Harvard University, Cambridge 1967. Sowie zur Theologie und ihrer Verwirklichung in den Gemeinden Judith Becker, Gemeindeordnung und Kirchenzucht. Johannes a Lascos Kirchenordnung für London (1555) und die reformierte Konfessionsbildung (SMRT, 122), Leiden u. a. 2007. Zu a Lascos Biographie vgl. Henning P. Jürgens, Johannes a Lasco in Ostfriesland. Der Werdegang eines europäischen Reformators (SuRNR, 18), Tübingen 2002; Oskar Bartel, Jan Laski, Berlin 1981; Herman Dalton, Johannes a Lasco. Beiträge zur Reformationsgeschichte Polens, Deutschlands und Englands, Nieuwkoop 1970 (ND d. Ausg. Gotha 1881); u. Petrus Bartels, Johannes a Lasco (LASRK, 9), Elberfeld 1860, sowie die Beiträge in dem Sammelband Christoph Strohm (Hg.), Johannes a Lasco (1499 – 1560). Polnischer Baron, Humanist und europäischer Reformator. Beiträge zum internationalen Symposium vom 14.–17. Oktober 1999 in der Johannes a Lasco Bibliothek Emden (SuRNR, 14), Tübingen 2000.
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Am 24. Juli 1550 verlieh der englische König Edward VI. der Fremdengemeinde in London eine Charta,30 mit der er ihr weitgehende Autonomie zugestand. Die Gemeinde konnte ihre Kirchen- und Gottesdienstordnung frei gestalten und war rechtlich unabhängig vom Bischof von London; sie hatte einen eigenen Superintendenten, den polnischen Baron und Reformator Johannes a Lasco. Ihre Riten sollten sich an den apostolischen Gebräuchen orientieren. Man hoffte also, hier eine besonders reine, an den Ursprüngen der Kirche ausgerichtete Gemeinde zu gründen. a Lasco betont die hohen Erwartungen an diese Versuchsgemeinde.31 Zudem galt die Londoner Fremdengemeinde nicht nur als Vorbildgemeinde für die englische Reformation und stellte auch keinen Akt reinen königlichen Gnadenerweises gegenüber den Glaubensmigranten dar. Vielmehr sollte sie zugleich die Rechtgläubigkeit der in ihr versammelten Fremden garantieren. England und insbesondere London galten zu dieser Zeit nicht nur als Zufluchtsort von evangelisch Gesinnten, sondern auch Täufer und andere Anhänger des linken Flügels der Reformation kamen dorthin. Mithilfe der Fremdengemeinde konnte geklärt werden: Wer ihr angehörte, war rechtgläubig und ungefährlich. Wer sich hingegen ihren Regeln nicht unterwarf, musste mit Ausweisung rechnen.32 Trotz ihrer großen Selbstständigkeit berücksichtigte die Gemeinde die Obrigkeit an gewissen Stellen ihrer Ordnung und ihres Lebens. Dies zeigt sich auf drei Ebenen: Zum einen bezieht sie sich an einigen Stellen ausdrücklich auf den englischen König und die Obrigkeit im Gastland, zum zweiten widmet a Lasco die veröffentlichte Kirchenordnung dem polnischen König und den Ständen, von denen er sich die Reformation Polens erhofft. Drittens finden sich in der „Forma ac ratio“ auch allgemeine Überlegungen zur Rolle der Obrigkeit.
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Ein Abdruck und eine Transkription finden sich bei Henning P. Jürgens, Johannes a Lasco. Ein Leben in Büchern und Briefen. Eine Ausstellung der Johannes a Lasco Bibliothek vom 15.10. bis 28.11. 1999 (Veröffentlichungen der Johannes a Lasco Bibliothek Große Kirche Emden, 1), Wuppertal 1999, S. 62 – 66. 31 Vgl. Johannes a Lasco, Forma ac ratio tota ecclesiastici Ministerii, in peregrinorum, potissimum vero Germanorum Ecclesia: instituta Londini in Anglia, per Pientissimum Principem Angliae etc. Regem EDVARDVM, eius nominis Sextu: Anno post Christum natum 1550. Addito ad calcem libelli Priuilegio suae Maiestatis, Frankfurt 1555, in: Abraham Kuyper (Hg.), Joannis a Lasco Opera tam edita quam inedita duobus voluminibus comprehensa, Amsterdam u. a. 1866, II, S. 1 – 283, S. 11. 32 Vgl. zur Geschichte der Gemeinde Andrew Pettegree, Foreign Protestant Communities in Sixteenth-Century London, Oxford 1986; Fernand de Schickler, Les églises du refuge en Angleterre, 3 Bde., Paris 1892; Aart Arnout van Schelven, De Nederduitsche Vluchtelingenkerken der XVIe eeuw in Engeland en Duitschland in hunne beteekenis voor de reformatie in de Nederlanden, ’s-Gravenhage 1909; Charles G. Littleton, Geneva on Threadneedle Street: The French Church of London and its Congregation, 1560 – 1625, PhD diss. University of Michigan, Ann Arbor 1996; J. Lindeboom, Austin Friars. History of the Dutch Reformed Church in London 1550 – 1590, Den Haag 1950; sowie Becker, Gemeindeordnung (wie Anm. 29) u. Michael Springer, Restoring Christ’s Church. John a Lasco and the Forma ac ratio (St. Andrews Studies in Reformation History), Aldershot 2007.
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Die in London lebenden Ausländer hatten sich schon länger um die Zulassung einer Fremdengemeinde bemüht. Auch a Lasco hatte sich bei seinem vorherigen Aufenthalt in London 1548 dafür eingesetzt.33 Erste gottesdienstliche Feiern gab es bereits, aber genehmigt werden musste die Gemeinde vom König. Dieser stattete sie mit großen Freiheiten aus, überließ ihr ein Kirchgebäude und erhoffte sich von dieser Gemeinde wohl auch eine Vorbildfunktion für die Reformation der englischen Kirche. Dieser Vorgang macht schon deutlich, dass der König, wiewohl außerhalb der eigentlichen Kirchenorganisation stehend, für die Gemeinde von großer Bedeutung war. Direkte Berührungspunkte gab es lediglich bei der Übergabe der Charta, mit der auch die Pfarrer und der Superintendent eingesetzt wurden. Die ersten Pfarrer und der erste Superintendent wurden mithin vom König bestimmt. Hierbei handelte es sich jedoch einzig um den Vorgang der Gemeindegründung. Später sollten sowohl die Pfarrer als auch der Superintendent durch die Gemeindeglieder gewählt werden. Zwar mussten sie auch dann (als einzige Mitglieder der Gemeindeleitung) dem König vorgestellt und von ihm bestätigt werden. In ihre Auswahl konnte er jedoch nicht eingreifen. Im Gegensatz zu anderen Kirchenordnungen und -gebräuchen, wo die Obrigkeit Prediger auswählte und die Gemeinde sie nur noch durch Schweigen bestätigen oder ablehnen konnte, war in London das umgekehrte Vorgehen vorgesehen: Die Gemeinde wählte die Amtsträger, und die Obrigkeit konnte sie lediglich bestätigen oder ablehnen.34 Der Einfluss der Obrigkeit auf die Wahl der Kirchenleitung ist demnach in dieser Kirchenordnung sehr weit zurückgedrängt. Älteste und Diakone wurden völlig unabhängig vom König und der Londoner Obrigkeit gewählt. Die Wahlhoheit lag bei der Gemeinde, und dem König blieb einzig die Möglichkeit, ihm völlig missliebige Personen abzulehnen. Er besaß weniger Einfluss auf die Fremdengemeinde als ihn eine Obrigkeit über ihre eigenen Untertanen hatte. Diese Konzeption hatte nicht nur kirchenpolitische und organisatorische Ursachen. a Lasco begründet die Wahl durch die gesamte Gemeinde vornehmlich theologisch, indem er auf den Gebrauch der Apostolischen Kirche und die Erfahrung der Geschichte verweist. Im Gegensatz zu Calvin ist a Lasco sicher, dass in der Urkirche die gesamte Gemeinde das Wahlrecht nicht nur besessen, sondern auch ausgeübt habe.35 Erst im Laufe der Zeit sei die Macht an die Obrigkeit gegangen, das aber habe zur Tyrannei geführt. Deshalb solle jetzt die alte Ordnung wiederhergestellt werden, in der das ganze Kirchenvolk die Amtsträger wählt.36 33 Vgl. Diarmaid MacCulloch, The importance of Jan Laski in the English Reformation, in: Christoph Strohm (Hg.), Johannes a Lasco (1499 – 1560). Polnischer Baron, Humanist und europäischer Reformator. Beiträge zum internationalen Symposium vom 14.–17. Oktober 1999 in der Johannes a Lasco Bibliothek Emden (SuRNR, 14), Tübingen 2000, S. 315 – 345, S. 323. 34 a Lasco, Forma ac ratio (wie Anm. 31), S. 52. 35 Calvin, Institutio, IV (wie Anm. 1), 3, S. 13 – 15. 36 a Lasco, Forma ac ratio (wie Anm. 31), S. 64 f.
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Eine Ausnahme lässt a Lasco jedoch zu: Wenn die Gemeinden – Niederländer, Franzosen und Italiener, die zusammen die Londoner Fremdengemeinde bildeten, aber gleichzeitig eigenständige Gottesdienste und Versammlungen sowie eigene Kirchenräte besaßen – sich nicht auf einen Superintendent einigen konnten, sollte der König einen der von der Gemeinde vorgeschlagenen Kandidaten auswählen, und zwar denjenigen, der ihm am treusten und am besten geeignet schien.37 Hier fungierte der König als Schiedsrichter und Schlichter zwischen den Gemeinden, doch auch in diesem Fall konnte er keinen eigenen Kandidaten vorschlagen. Die Obrigkeit hatte keine direkten Eingriffsrechte in die Gemeinde. Diese war in ihrer internen Organisation wirklich autonom. Aufgrund dieser Autonomie fühlte sich a Lasco aber auch verpflichtet, eine Kirchenordnung zu entwerfen, die rechtmäßig war, dem biblischen Recht entsprach und die Organisationsformen der frühen Kirche möglichst getreu wieder aufnahm. Besonders ausführlich betont er dies in der Einleitung zum Gebrauch der Kirchenzucht der Amtsträger untereinander, der sogenannten „Censura morum“.38 Aber auch an anderen Stellen wird immer wieder auf die Bedeutung der apostolischen Ordnung hingewiesen. Dies war der Auftrag durch den König und in gewisser Weise die Bedingung, unter der die Gemeinde ihre großen Freiheiten bekommen hatte: die apostolische Ordnung wieder aufzurichten.39 Die einzige andere Stelle, an der der englische König in der Kirchenordnung außerhalb der genannten Bestimmungen zur Ämterlehre erwähnt wird, ist die Liturgie: In den sonntäglichen Fürbitten wird zunächst für die ganze Kirche gebetet, dann für König und Königreich, für die Stadt London, die Fremdengemeinden, alle Obrigkeiten und die christlichen Brüder aus anderen Gemeinden.40 Bemerkenswert ist, dass die weltliche Obrigkeit im Zusammenhang der Kirchenzucht nicht erwähnt wird. Somit bleibt der einzige Punkt, an dem die Ordnungen der autonomen Kirchen auf obrigkeitliche Maßnahmen verwiesen, in der „Forma ac ratio“ unerwähnt. Selbst schwere Sünder, bei denen „Discipline ecclésiastique“ und die Emder Synode auf die Obrigkeit zu sprechen kamen, werden hier nur allgemein genannt. Öffentliche schwere Sünden müssen öffentlich, coram publico – also im Kirchenrat, nicht unter vier Augen –, verhandelt und gebüßt werden, um größere Gefahren abzuwenden.41 Dies hat keine allgemein-organisatorischen oder (kirchen-) politischen Gründe. Die späteren Fremdengemeinden in den 1560er und 1570er Jahren belegen selbstverständlich auch diejenigen mit der Kirchenzucht, die durch die Obrigkeit öffentlich bestraft worden sind. Für a Lasco spielen einzig theologische Überlegungen eine Rolle: Wie können Sünder zur Umkehr bewegt und wie kann 37
Ebd., S. 68. Ebd., S. 226. 39 Vgl. dazu auch a Lascos Bericht in ebd., S. 10. 40 Ebd., S. 87 – 90. 41 Ebd., S. 178 f.
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so die Abendmahlsgemeinschaft bewahrt werden? Für dieses Ziel sind die Handlungen der weltlichen Obrigkeit irrelevant. Die gedruckte Londoner Kirchenordnung, die „Forma ac ratio“, widmet a Lasco, wie bereits erwähnt, dem polnischen König Zygmunt II. August und den Ständen. Aus ihr sollen sie ersehen können, wie eine christliche Kirche organisiert ist. Das biblische Vorbild für einen guten und gerechten König ist Salomo.42 Am englischen König kann Zygmunt II. August erkennen, dass und wie eine Reformation der Kirche und Wiedereinführung der alten, reinen Riten und Organisation vonstatten gehen können.43 Die Obrigkeit ist für die Ermöglichung der rechten Religion und für deren Bewahrung zuständig. Sie führt das Schwert. Dies wird von a Lasco nicht nur in den allgemeinen Überlegungen in der „Forma ac ratio“ ausgeführt, sondern er lehrt es auch die Kinder im Katechismus; und diejenigen, die in der Fremdengemeinde zum Abendmahl zugelassen werden möchten, müssen dieser Auffassung zustimmen.44 In diesem Zusammenhang wird die weltliche Obrigkeit der kirchlichen gleichgestellt. a Lasco befindet sich damit in Einklang mit der Lehre aller Reformatoren. Innerhalb der Abendmahlsunterweisung lehrt a Lasco, dass die weltliche Obrigkeit diejenigen mit dem Schwert strafen muss, die durch die „verbi Divini Ministri“ aus der Kirche ausgeschlossen wurden.45 Sie hat ihre Aufgabe also nicht im Rahmen der Kirchenzucht, wohl aber im Anschluss an sie. Weltliche Obrigkeit und Kirchenleitung, politische und weltliche Ordnung ergänzen einander. Und auch wenn die Pastoren keinen unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung der politischen Ordnung haben, so ist es doch ihre Aufgabe, die weltliche Obrigkeit zu ermahnen, so wie es die Aufgabe der Obrigkeit ist, die göttlichen Gesetze zu beachten und zu schützen.46 Es bleibt aber festzuhalten, dass die Obrigkeit zwar für die Ermöglichung und den Schutz der rechten Gestalt der Kirche verantwortlich ist, dass aber Bewahrung und Erhaltung der Kirche letztlich von Gottes Willen und Vorsehung abhängen.47
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Ebd., S. 36. Vgl. auch die Ausführungen in ebd., S. 34 f. 44 Ebd., S. 134. 45 Dies betont er auch in der Einleitung zur „Forma ac ratio“: Die weltliche Obrigkeit ist für die Garantie der rechten Disziplin verantwortlich und muss ihre Missachtung strafen. Die beiden Tafeln des Gesetzes müssen eingehalten werden. Vgl. a Lasco, Forma ac ratio (wie Anm. 31), S. 49 f. Dass er die Bedeutung der weltlichen Obrigkeit in der Abendmahlsuntersuchung innerhalb der „Forma ac ratio“ in dieser Weise hervorhebt, ist insofern bemerkenswert, als in der niederländischen Fassung der Abendmahlsuntersuchung, die wahrscheinlich wesentlich häufiger genutzt wurde als die lateinische Version, diese Frage und Antwort fehlen. Vgl. Johannes a Lasco, Een korte ondersoeckinge des gheloofs, ouer de ghene die haer tot de Duydtsche Ghemeinte: die te Londen was, begheven wonden. Wtghestelt door de Dienaers der seluer, Emden 1558, in: Kuyper, Joannis a Lasco Opera (wie Anm. 31), S. 476 – 492. 46 Ebd., S. 225 f. 47 Ebd., S. 49 f. 43
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In a Lascos „Forma ac ratio“ werden die beiden Tendenzen der Eindämmung des Einflusses der Obrigkeit auf die Kirche und der Einbeziehung der Obrigkeit und deren Inanspruchnahme für das Wohlergehen von Kirche und Menschen besonders deutlich. Dies mag der spezifischen kirchlichen und politischen Situation der Londoner Fremdengemeinde geschuldet sein: Sie hatte vom König völlige Autonomie zugesprochen bekommen und konnte sich gleichzeitig der vollständigen Unterstützung durch die politische wie kirchliche Obrigkeit Englands gewiss sein. Bemerkenswert bleibt aber, dass hier die Aktivität der Obrigkeit den Handlungen und Entscheidungen der Kirche folgt, nicht ihnen vorausgeht. Die Gewichtung von Kirche und Obrigkeit ist eindeutig und spiegelt die Hierarchie von geistlichem und weltlichem Regiment.
C. Obrigkeitlich erlassene Kirchenordnungen In diesem letzten Abschnitt sollen zwei Kirchenordnungen besprochen werden, die in sehr unterschiedlichen historisch-politischen Kontexten entstanden sind: Johannes Calvins „Ordonnances ecclésiastiques“ und die Kurpfälzische Kirchenordnung von 1563. Beide sind aber von weltlichen Obrigkeiten erlassen worden und sollten das kirchliche Leben in den jeweiligen Herrschaftsgebieten regeln. Johannes Calvin entwarf unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Genf im Jahr 1541 eine Kirchenordnung für die Stadt. Diese musste vom Kleinen und Großen Rat sowie von der Allgemeinen Bürgerversammlung angenommen werden. Der erste Entwurf Calvins zeigt deutlich sein Bestreben, den kirchlichen vom weltlichen Bereich zu trennen und den Einfluss der weltlichen Obrigkeit in der Kirche zurückzudrängen, auch wenn er selbstverständlich den Rat in alle auf das öffentliche Leben zielenden Aktivitäten der Kirche einbezog. Dieser Entwurf wurde jedoch vom Rat nicht gebilligt, sondern musste überarbeitet werden, sodass der Rat von Anfang an stärker beteiligt war, als Calvin es vorgesehen hatte.48 So hatte Calvin beispielsweise vorgeschlagen, dass bei Pfarrwahlen die Kollegen einen Kandidaten auswählen und diesen dann dem Rat vorstellen sollten. Wenn dieser den Kandidaten akzeptierte, sollte er der Gemeinde präsentiert werden. Nach der Überarbeitung der Kirchenordnung durch den Rat musste dieser schon zu einem früheren Zeitpunkt in die Auswahl einbezogen werden.49 48 Der Entwurf findet sich in CO 10: Johannes Calvin, Projet d’ordonnances ecclésiastiques. Septembre et Octobre 1541, in: Wilhelm Baum/Eduard Cunitz/Eduard Reuss (Hg.), Ioannis Calvini opera quae supersunt omnia, vol. 10/1 (CR 38/1), Braunschweig 1871, S. 17 – 30. 49 Vgl. ebd., S. 17. Einen komprimierten Überblick über die Geschichte Calvins und Genfs gibt Robert M. Kingdon, Calvin and Geneva, in: R. Po-chio Hsia (Hg.), A Companion to the Reformation World, Oxford 2004, S. 105 – 117 sowie ders., Kirche und Obrigkeit, in: Herman J. Selderhuis (Hg.), Calvin Handbuch, Tübingen 2008, S. 349 – 355. Zur Zusammenarbeit Calvins mit dem Genfer Kirchenrat vgl. ders., Calvin and Consistory Discipline (wie Anm. 8). Vgl. auch William G. Naphy, Calvin and the consolidation of the Genevan Reformation,
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Größer noch waren die Veränderungen durch den Rat bei der Beschreibung von Wahl und Aufgabenfeldern der Ältesten. Calvin hatte als dritte Gruppe von Amtsträgern neben Pastoren und Lehrern Älteste vorgesehen. Eine andere Hand fügte hinzu, und so wurde es auch verabschiedet: „que ce dyront estre comys ou deputes par la seygneurie au consistoire“.50 Auf diese Weise nahm der Rat unmittelbar Einfluss nicht nur auf die Ältestenwahl, sondern mittels des Kirchenrats auch auf das tägliche Gemeindeleben und insbesondere die Kirchenorganisation und Kirchenzucht. Wie viele Älteste aus welchem Rat delegiert werden sollten, war genau festgelegt: zwei aus dem Kleinen Rat, vier aus dem Rat der Sechzig und sechs aus dem Großen Rat.51 Die Pastoren sollten zu den vom Rat ausgewählten Ältesten angehört werden, die Gemeinde nicht. Die Gemeinde war also in die Wahl der ihre Geschicke leitenden Ältesten in keiner Weise einbezogen. Dies entsprach nicht den Vorstellungen Calvins, die er in der „Institutio Christianae Religionis“ niedergelegt hat, sondern war eindeutig vom Rat als der Obrigkeit oktroyiert.52 Hauptaufgabe der Ältesten – der überarbeitete Entwurf spricht von „Beauftragten“53 – war die Kirchenzucht. Die Ältesten konnten Übeltäter vorladen, wer nicht erschien, sollte dem Rat gemeldet und von diesem bestraft werden. Auch bei Ermahnungen durch die Pastoren wurde ausdrücklich festgehalten, dass diese nicht das Recht zur weltlichen Rechtsprechung hatten, „Mais que la puissance civile demeure en son entier.“54 Schwerere Vergehen mussten dem Rat gemeldet werden, auch dies ist ein Zusatz des Rats. Weitere Vorschriften banden den Rat noch stärker in die Ausübung der Kirchenzucht ein: Wenn die als Älteste vom Rat Deputierten Gemeindeglieder vor den Kirchenrat laden wollten, sollten sie sich von städtischen Beamten begleiten lassen, um ihre Autorität zu stärken.55 Selbstverständlich musste dem Rat gemeldet werden, wenn eine Person aus der Gemeinde ausgeschlossen, also mit dem Bann belegt wurde.56 Später wurde die Macht des Rates noch weiter verstärkt. So legte das Mandat über Abendmahlsverächter von 1557 fest, dass renitente Abendmahlsverächter durch den Rat aus der Stadt ausgewiesen werden sollten.57 Wer nach dem Ausweisungsbefehl Louisville, KY [u.a.] 2003 sowie, thesenstark, Volker Reinhardt, Die Tyrannei der Tugend. Calvin und die Reformation in Genf, München 2009. 50 Vgl. ebd., 21 Anm. 4 u. h. 51 Vgl. ebd., 22. 52 Vgl. Calvin, Institutio, IV (wie Anm. 1) 3.4, S. 10 – 13. 53 Vgl. Ordonnances ecclésiastiques 1541 (wie Anm. 48), S. 27, (Anm. 9): „commys“. 54 Calvin, Institutio, IV (wie Anm. 1) S. 30. 55 Calvin, Institutio, IV (wie Anm. 1) S. 29. 56 Vgl. Calvin, Institutio, IV (wie Anm. 1) S. 29. Teilweise mussten auch Abendmahlsausschlüsse dem Rat gemeldet werden. 57 In allen Gemeinden gab es Personen, die nicht am Abendmahl teilnehmen wollten. Dies führte zu einer starken Belastung der Gemeinden. Wenn die Personen sich auch nach mehreren
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Reue empfand, konnte trotzdem nicht einfach mit einer Bußzeremonie wieder zum Abendmahl zugelassen und in die Gemeinschaft aufgenommen werden. Zuvor hatte der Rat eine Strafe festzusetzen. Der Kirchenrat schien hier keine Kompetenzen zu haben. Im Gegenteil, der Stadtrat sah es als seine Aufgabe an, den Widerstand gegenüber dem Kirchenrat zu bestrafen.58 Stets mussten hartnäckige Sünder nicht nur vor dem Kirchenrat ihre Schuld bekennen, sondern auch die Ratsherren um Verzeihung bitten.59 Hierbei ist natürlich festzuhalten, dass die Mitglieder des Kirchenrats gleichzeitig Ratsherren waren, dass insofern tatsächlich nicht nur der Kirchenrat, sondern in gewisser Weise auch der Stadtrat angegriffen worden war. Die personelle Identität führt zu doppelter Bestrafung und doppelten Bußvorschriften. Wenngleich die Kirchenzucht die Hauptaufgabe der Ältesten war, so waren die Ältesten doch auch in die meisten anderen Gebiete der Kirchenorganisation einbezogen. Da sie aber alle dem Rat angehörten, ja von ihm gewählt und in den Kirchenrat entsandt wurden, erlangte der Rat auf diese Weise weitgehenden Einfluss auf das Kirchenleben.60 Auf manchen Gebieten war er auch direkt beteiligt. 1561 sollte der Rat bei allen schwereren Vergehen von Predigern das Urteil sprechen und die Strafe festsetzen – selbst bei solchen Vergehen, die eigentlich und zunächst durch den Kirchenrat untersucht wurden.61 Visitationen wurden durch zwei Pfarrer und zwei Deputierte des Rats durchgeführt. In diesem Zusammenhang – in der Visitationsordnung von 1546, die 1561 in die nun erstmals gedruckten „Ordonnances ecclésiastiques“ aufgenommen wurde62 – betonte der Rat noch einmal, dass die Pfarrer wie alle anderen Bürger dem bürgerlichen Recht unterworfen sind und sich seiner Justiz verantworten müssen.63 Die kirchliche Gerichtsbarkeit sowohl über die Gemeindeglieder in Form der Kirchenzucht als auch über die Prediger, ebenfalls in Fragen der allgemeinen Kirchenzucht wie hinsichtlich der „censura morum“,
Ermahnungen und Gesprächen weigerten, zum Abendmahl zu erscheinen, wurden sie schließlich ausgeschlossen. 58 Vgl. Johannes Calvin, Les ordonnances ecclesiastiques, in: Peter Barth/Wilhelm Niesel/ Dora Scheuner (Hg.), Ioannis Calvini opera selecta, II, München 1952, S. 325 – 385, S. 359 f. 59 Ebd., S. 360. 60 Zur Unterstützung Calvins durch den Kirchenrat vgl. aber Kingdon, Calvin and Consistory Discipline (Anm. 8). 61 Vgl. ebd., S. 334. Die Fassung von 1541 sah ebenfalls vor, dass der Rat in die Maßregelung von Pastoren einbezogen wurde, aber das erste Urteil wurde dem Kirchenrat überlassen: „Quant est des crimes quon ne doibt nullement porter sil sen dresse quelque accusation en murmure, que lassemblee des ministres et anciens en enquerrent, affin de y proceder par raison et selon quon en trouvera quilz en jugent, et puys rapportent le jugement au magistrat affin que si mestier est le delinquent soit depose.“ Ordonnances ecclésiastiques (wie Anm. 48), S. 20. 62 Vgl. Johannes Calvin, Die Ordonnances ecclésiastiques (1541) 1561, bearb. v. Peter Opitz, in: Eberhard Busch/Alasdair Heron/Christian Link/Peter Opitz/Ernst Saxer/Hans Scholl (Hg.), Calvin-Studienausgabe, 2: Gestalt und Ordnung der Kirche, Neukirchen-Vluyn 1997, S. 227 – 279, 249 FN. 63 Vgl. Calvin, Ordonnance ecclésiastiques (1561) (wie Anm. 62), S. 336.
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wurde hier stark beschränkt, da stets die weltliche Rechtsprechung das letzte Wort behalten sollte. Noch weiter in das kirchliche Leben griffen Bestimmungen zu Ehestreitigkeiten ein. Denn hier wurde ein klassischer Fall der Kirchenzucht, bei dem sich der Kirchenrat in der Regel intensiv um Versöhnungen bemühte,64 der kirchlichen Moderation entzogen: Ehestreitigkeiten sollten ausschließlich vom Rat gelöst werden. Allerdings war es dem Kirchenrat möglich, die Parteien anzuhören und dem Rat seine Ansicht zu dem Fall kundzutun.65 Todesfälle mussten vor der Beerdigung dem Rat mitgeteilt werden.66 Wer dem Katechismusunterricht fernblieb bzw. sein Kind nicht dorthin schickte, hatte sich ebenfalls vor der Obrigkeit zu verantworten.67 Die Stellung des Rats wurde auch dadurch noch einmal unterstrichen, dass die Kirchenordnung in Abständen von drei Jahren verlesen und von allen Bürgern Genfs vor den Bürgermeistern angenommen werden musste.68 Die Pfarrer mussten bei ihrer Einsetzung vor den Bürgermeistern den Eid ablegen, ihren Dienst Gottes Gebot gemäß auszuüben, die Kirchenordnung einzuhalten, „die Ehre und den Nutzen des Rats und der Stadt zu wahren und zu erhalten“ und die städtische Rechtsverfassung anzunehmen. „Und so verspreche ich, in der Weise im Dienst von Rat und Volk zu stehen, daß ich dadurch in keiner Weise behindert werde, Gott den Dienst zu leisten, den ich ihm aufgrund meiner Berufung schuldig bin.“69 Zwar fügten sie die Begrenzung ein, „soweit dies mein Amt zuläßt; das heißt, solange die Freiheit nicht beeinträchtigt wird, die wir haben müssen, um nach Gottes Auftrag lehren, und alles, was zu unserem Amt gehört, erfüllen zu können“. Aber die grundsätzliche Unterordnung unter den Rat war klar, und ohne dies wäre die Kirchenordnung wohl auch kaum vom Rat verabschiedet worden. 64
Dies erweisen die Kirchenratsprotokolle der reformierten Gemeinden. Vgl. z. B. Heinz Schilling/Klaus-Dieter Schreiber (Hg.), Die Kirchenratsprotokolle der reformierten Gemeinde Emden 1557 – 1574, 2 Bde., Teil 1: 1557 – 1574, Teil 2: 1575 – 1620 (Städteforschung Reihe C: Quellen 3, Teil 1 + 2), Köln u. a. 1989/1992; Aart Arnout van Schelven (Hg.), KerkeraadsProtokollen der Nederduitsche Vluchtelingen-Kerk te Londen 1560 – 1563 (Werken uitgegeven door het Historisch Genootschap, Derde Serie, 43), Amsterdam 1921; A. J. Jelsma/ O. Boersma (Hg.), Acta van het consistorie van de Nederlandse gemeente te Londen 1569 – 1585 (RGP Kleine Serie, 76), ’s-Gravenhage 1993; Elsie Johnston (Hg.), Actes du consistoire de l’Église française de Threadneedle Street, Londres, vol. 1, 1560 – 1565 (PHSL, Quarto Series, 2), Frome 1937; Anne M. Oakley (Hg.), Actes du consistoire de l’Église francaise de Threadneedle Street, Londres, vol. 2, 1571 – 1577 (PHSL, Quarto Series, 48), London 1969; Eglise française de Londres, Actes de l’an 1578 [=1579] à 1588, Archives of the French Church London, MS 3, London, 1578 [=1579]-1588; Eglise française de Londres, Actes de l’an 1589 à 1615, Archives of the French Church London, MS 4, London, 1589 – 1615. 65 Vgl. Calvin, Ordonnance ecclésiastiques (wie Anm. 62), S. 354. 66 Ebd., S. 335. 67 Ebd., S. 357. So auch schon in der überarbeiteten Fassung von 1541, vgl. Ordonnances ecclésiastiques 1541 (wie Anm. 48), S. 28 mit Anm. 7.8.k.l. 68 Vgl. Calvin, Ordonnance ecclésiastique (wie Anm. 62), S. 364. 69 Ebd., S. 331 f. Übersetzung: Calvin, Ordonnance ecclésiastiques, in: Studienausgabe (wie Anm. 62), S. 245.
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Die Kirchenordnung wurde offiziell erlassen, nicht aber gedruckt. Erst ihre überarbeitete Version von 1561 liegt auch im Druck vor. Deutlich sind in den Handschriften von 1541 die Eingriffe des Rats in Calvins Entwurf zu erkennen.70 Der Reformator war dem Rat vermutlich schon in seinem eigenen Entwurf entgegengekommen, jedenfalls bezog er ihn ausdrücklich in die Kirchenorganisation ein. Der Rat sprach sich freilich noch weitergehende Kompetenzen zu. Calvin hatte dem wenig entgegenzusetzen, dazu war seine Autorität in Genf noch nicht ausreichend gefestigt. Die Macht des Rats in kirchlichen Angelegenheiten, die laut Kirchenordnung schon sehr groß war, vergrößerte sich in den Jahren nach 1541 weiter. Erst 1560, nachdem Calvins innerstädtische Gegner ausgeschaltet waren, wurden einige Bestimmungen erlassen, welche die Macht des Rats etwas begrenzten.71 So wurde 1560 in einem Zusatzbeschluss des Rats ausdrücklich festgehalten, dass die Gemeinde bei den Pfarrwahlen ein Einspruchsrecht besitze und ihr nicht einfach die schon vorab bestimmten (und eingestellten) Pfarrer präsentiert werden durften.72 Auch die Ältesten mussten nun der Gemeinde vorgestellt werden. Vorher hatte die Gemeinde nicht unbedingt gewusst, welche Ratsmitglieder als Kirchenälteste amtierten. Mit der Neufassung und Veröffentlichung der „Ordonnances ecclésiastiques“ 1561 wurden einige Änderungen, die der Rat 1541 an Calvins Entwurf unternommen hatte, wieder rückgängig gemacht. Der Rat wurde zwar nicht aus der Kirchenorganisation ausgeschlossen, aber es wurde doch eine Korrektur zugunsten der Autonomie der Gemeinde unternommen. Bei schwereren Vergehen gehen die „Ordonnances ecclésiastiques“ nun nicht mehr davon aus, dass der Kirchenrat zuerst von ihnen erfährt und sie dann dem Rat meldet, sondern sie erwähnen nun wie die „Discipline ecclésiastique“ und andere zeitgenössische Ordnungen lediglich die von der Obrigkeit gestraften Vergehen und bestimmen ferner, dass diese mit einem zeitweiligen Abendmahlsausschluss zu belegen sind.73 Auch die Macht des Rats im Kirchenrat und bei den Ältestenwahlen wurde eingedämmt. So betonte ein Nachtrag zur Ältestenwahl vom 9. November 1560, dass in 70 Die Entwicklung lässt sich in der Edition der Ordnungen in den „Calvini Opera“ nachvollziehen. 71 Calvin hatte sich als zugewanderter Glaubensflüchtling lange einer starken Opposition Genfer Bürger gegenüber gesehen. Federführend war dabei Ami Perrin. Vgl. Robert M. Kingdon, Calvin and the Government of Geneva, in: Wilhelm H. Neuser (Hg.), Calvinus Ecclesiae Genevensis Custos. Die Referate des Congrès International des Recherches Calviniennes. International Congress on Calvin Research. Internationalen Kongresses für Calvinforschung. Vom 6. bis 9. September 1982 in Genf, Frankfurt u. a. 1984, S. 49 – 67; Christian Grosse, L’excommunication de Philibert Berthelier. Histoire d’un conflit d’identité aux premiers temps de la Réforme genevoise (1547 – 1555), Genf 1995. 72 Vgl. Calvin, Ordonnance (wie Anm. 62), S. 330. Vgl. zu den Auseinandersetzungen auch Kingdon, Calvin and the Government of Geneva (wie Anm. 71). 73 Vgl. Johannes Calvin, Les ordonnances ecclésiastiques de 1561, in: Wilhelm Baum/ Eduard Cunitz/Eduard Reuss (Hg.), Ioannis Calvini opera quae supersunt omnia, vol. 10/1 (CR 38/1), Braunschweig 1871, S. 93 – 146, S. 118.
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Genf die Trennung von geistlicher und weltlicher Gewalt herrschte: „Zwar sind Regierungsgewalt und Obrigkeit, die Gott uns gegeben hat, und die geistliche Herrschaft, die er in seiner Kirche auszuüben befohlen hat, untrennbar miteinander verbunden. Dennoch sind sie nicht miteinander vermischt […].“74 Deshalb sollte dem Kirchenrat nicht weiterhin, wie es sich eingebürgert hatte, ein Bürgermeister mit seinem Amtsstab vorstehen. Die Pfarrer sollten zu den vom Rat gewählten Ältesten ihre Meinung abgeben können. Und es sollten, entgegen der Tradition, auch Neubürger in den Kirchenrat delegiert werden können. Dies ist insofern eine wichtige Bestimmung, als Calvin gerade mit den Genfer Altbürgern Probleme gehabt hatte und von den Neubürgern, Zugezogenen wie ihm selbst, eher unterstützt wurde. Sie zeigt, wie stark Calvins Partei nun auch im Rat war. Die Genfer „Ordonnances ecclésiastiques“ weisen eine intensive Vermischung von Rat und Kirchenorganisation, von städtischem und kirchlichem Leben auf. Dadurch hatte der Rat eine fast vollständige Kontrolle über das Kirchenleben. Andererseits hatte das kirchliche Leben auch einen großen Einfluss auf das städtische Leben. In Genf herrschte keine Theokratie, aber die Lektüre der Kirchenordnung macht den Theokratievorwurf verständlich.75 Trotz aller Beteuerungen der Gewaltenteilung kam es durch die personellen Verquickungen zu einer untrennbaren Gemengelage. Die Nachträge und Überarbeitungen von 1561 demonstrieren das Bestreben der Kirchenleitung, die Einflüsse der Obrigkeit einzudämmen. Dass die Obrigkeit dennoch eine, auch theologisch gerechtfertigte, wichtige Rolle für Ermöglichung und Gewährleistung des kirchlichen Lebens spielte, zeigt Calvins Entwurf der „Ordonnances ecclésiastiques“ ebenso wie seine Ausführungen in der „Institutio Christianae Religionis“. In der letzten hier zu behandelnden Kirchenordnung, der Ordnung Friedrichs III. für die Kurpfalz von 1563, verfasst vornehmlich von Zacharias Ursinus und Caspar Olevian, flossen Einflüsse der meisten hier vorgestellten – und anderer – Ordnungen zusammen. Besonders prominent sind Calvins Genfer „Ordonnances ecclésiastiques“ und a Lascos „Forma ac ratio“, auch wenn letztere wahrscheinlich weniger in ihrer lateinischen Version gelesen wurde als vielmehr in der von Martin Micron 1554 veröffentlichten niederländischen Kurzfassung, „De christlicke ordinancien der Nederlantscher ghemeinten te Londen“. Diese wurde sogar ins Deutsche übersetzt und 1565 in Heidelberg gedruckt.76 Der Pastor der über Umwege von London 74
Vgl. Calvin, Ordonnance ecclésiastiques (wie Anm. 62), S. 362. Übersetzung: Calvin, Ordonnance ecclésiastiques, in: Studienausgabe (wie Anm. 62), S. 275. 75 Vgl. z. B. G. Joseph Gatis, The Political Theory of John Calvin, in: Bibliotheca Sacra 153 (1996), S. 449 – 467; sowie, in großen Teilen wörtlich identisch, und unter Gatis’ anderem Namen veröffentlicht: George J. Gatgounis II, The Political Theory of John Calvin, in: Churchman 110 (1996), S. 60 – 75. 76 Vgl. Willem Frederik Dankbaar (Hg.), Marten Micron: De christlicke ordinancien der Nederlantscher ghemeinten te Londen (1554) (KHSt, 7), ’s-Gravenhage 1956, Martin Micron, Kirchenordnung, wie die unter dem christlichen könig auß Engelland Edward dem VI. in der statt Londen in der niderlendischen gemeine Christi durch kön. majest. mandat geordnet und
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nach Frankenthal emigrierten niederländischen Fremdengemeinde, Petrus Dathenus, wirkte als Hofprediger in Heidelberg. Da Microns „Ordinancien“ in Frankenthal bis zur Durchsetzung der neuen kurpfälzischen Kirchenordnung Gültigkeit besaßen – und möglicherweise darüber hinaus –,77 brachte Dathenus seine Kenntnisse der Ordnung in die Neufassung der Kirchenordnung der Kurpfalz ein.78 Nachdem schon unter Friedrich II. (reg. 1544 – 1556) eine erste obrigkeitliche Reformation in der Kurpfalz stattgefunden hatte, erließ Ottheinrich (1556 – 1559), der sich nicht dem Interim gebeugt hatte, eine Kirchenordnung, die in vielem vorbildlich für die spätere reformierte Kirchenordnung wurde. Diese Ordnung orientierte sich allerdings an der württembergischen Kirchenordnung. Erst Friedrich III. setzte das reformierte Bekenntnis in der Kurpfalz durch. Daher wurden jetzt auch Polizei-, Kirchen- und weitere Ordnungen erneut und nun auf den reformierten Protestantismus zugeschnitten erlassen.79 Bei der Analyse der Kirchenordnung fällt zunächst auf, dass sie, obgleich ebenso wie die Genfer „Ordonnances ecclésiastiques“ von der Obrigkeit erlassen, doch von völlig anderem Charakter ist als diese. Die kurpfälzische Ordnung stellt eher eine Agende als eine Kirchenordnung im engeren Sinne dar, auch wenn die wichtigsten Anliegen einer Kirchenordnung zumindest angesprochen werden. In der Ordnung werden ausführliche Formulierungen und Gebete vorgegeben. Hierin ähnelt sie a Lascos „Forma ac ratio“.
gehalten worden, mit der kirchendiener und eltesten bewilligung, durch herrn Johannes von Lasco, freiherren in Polen, superintendenten derselbigen kirchen in Engelland, in lateinischer sprach weitleuftiger beschrieben, aber durch Martinum Micronium in eine kurze summ verfasset und jetzund verdeutschet. (Heidelberg: Johannes Mayer, 1565), in: Emil Sehling (Hg.), Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, VII, 2,1 (bearb. v. Anneliese Sprengler-Ruppenthal), Tübingen 1963, S. 552 – 667. 77 Vgl. Becker, Kirchenordnung (wie Anm. 18). 78 Zu Frankenthal vgl. Philippe Denis, Les églises d’étrangers en Pays Rhénans (1538 – 1564), Paris 1984; Meredith Hassall, Dialect Focusing and Language Transfer in Sixteenth Century Germany, PhD. diss. University of Wisconsin-Madison, Madison, Wisconsin 2001; zur Beziehung zu der Kurpfalz vgl. auch Deborah Rahn Clemens, Foundations of the German Reformed Worship in the Sixteenth Century Palatinate, PhD. diss. Drew University, Madison, New Jersey 1995. 79 Vgl. für einen Überblick über die Geschichte der Kirchenordnungen in der Kurpfalz J. F. Gerhard Goeters, Einführung, in: Emil Sehling (Hg.), Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Bd. XIV, Tübingen 1969 (bearb. v. J. F. Gerhard Goeters), S. 1 – 89; Regina Baar-Cantoni, Struktur und Wandel der zentralen Institutionen des landesherrlichen Kirchenregiments im Verlauf der Konfessionswechsel in der Kurpfalz, in: Johannes Wischmeyer (Hg.), Zwischen Ekklesiologie und Administration. Modelle territorialer Kirchenleitung und Religionsverwaltung im Jahrhundert der europäischen Reformation (VIEG, Beiheft, 100), Göttingen 2013, S. 193 – 209. Einen Überblick über die Geschichte der Kurpfalz bietet Armin Kohnle, Kleine Geschichte der Kurpfalz, Karlsruhe 2005. Vgl. ausführlich Volker Press, Calvinismus und Territorialstaat. Regierung und Zentralbehörden der Kurpfalz 1559 – 1619 (Kieler historische Studien, 7).
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Der Kurfürst befiehlt die Befolgung der Kirchenordnung und will auf diese Weise die Ausbreitung des Wortes Gottes wie die Erbauung seiner Untertanen befördern.80 Auf die einleitenden Formeln und das Inhaltsverzeichnis folgt eine Formulierung für das obligatorische Gebet vor der Predigt. Die Kirchenordnung beginnt also nicht mit den ordnenden oder richtenden Aspekten, sondern mit der Theologie. Am Anfang stehen das Sündenbekenntnis und die Aufforderung, sein Leben Gott zu übergeben, dann wird das Unservater gebetet.81 Es folgen Ausführungen zum Inhalt der Predigt. Diese soll Sündener- und -bekenntnis, Vergebung und Dankbarkeit zum Inhalt und zur Folge haben. Der Kern der Theologie der Kurpfälzischen Kirchenordnung ist deutlich: die Sündhaftigkeit des Menschen, die Vergebung durch Gott und die anschließende Dankbarkeit des Menschen mit dem daraus folgenden Lebenswandel. Diese drei Stücke machen für die Kirchenordnung der Kurpfalz den christlichen Glauben aus. In der Abendmahlsliturgie werden sie ausführlich dargestellt, die Gemeinde antwortet auf das Sündenbekenntnis, die Annahme der Vergebung und die Aufforderung zur Dankbarkeit jeweils mit Ja, in der folgenden Abendmahlsvermahnung werden die drei Punkte noch einmal angesprochen.82 Der theologische Einstieg lässt es schon erahnen: Im Mittelpunkt der Kirchenordnung Friedrichs III. stehen nicht die Interessen des Kurfürsten oder seiner Beamten, sondern die Theologie und ihre Umsetzung in Liturgie und Ordnung der Kirche. Der Kurfürst und die Beamten werden nur selten genannt. Explizite Referenzen finden sich lediglich in den Fürbitten. Doch auch hier bietet die Kirchenordnung unterschiedliche Formulierungen an, und nicht in allen wird die Obrigkeit erwähnt.83 Da jedoch an Sonntagen vormittags und nachmittags Gottesdienste gehalten werden sollten, ist zu vermuten, dass die unterschiedlichen Formulierungen der Abwechslung bei den beiden Gottesdiensten dienen sollten und in einem von ihnen auf jeden Fall für den Kurfürsten gebetet wurde. Auch am Bettag wurden der Kurfürst und die gesamte Obrigkeit in die Fürbitten eingeschlossen.84 Die Kinder sollten, so die Kirchenordnung, früh den Katechismus lernen, um die „angeborne boßheyt“ in den Griff zu bekommen. Sonst bestehe Gefahr für das kirch-
80 Vgl. [Friedrich III.], Kirchenordnung, wie es mit der christlichen lehre, heiligen sacramenten und ceremonien in des durchleuchtigsten, hochgebornen fürsten und herren, herrn Friderichs, pfaltzgraven bey Rhein, des heiligen römischen reichs ertzdruchsessen und churfürsten, hertzogen in Bayrn etc., churfürstenthumb bey Rhein gehalten wirdt. [vom 15. November 1563], in: Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Bd. XIV (wie Anm. 79), S. 333 – 408, S. 335. Vgl. auch Fritz Hauss/Hans Georg Zier (Hg.), Die Kirchenordnungen von 1556 in der Kurpfalz und in der Markgrafschaft Baden-Durlach (Veröffentlichungen des Vereins für Kirchengeschichte in der evang. Landeskirche Badens, 16), Karlsruhe 1956. 81 Vgl. ebd., S. 336. 82 Vgl. ebd., S. 382, 384. 83 Vgl. ebd., S. 390 – 392. 84 Vgl. ebd., S. 395.
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liche und das politische Regiment.85 Dies ist die einzige Stelle, an der in der Kirchenordnung außerhalb von liturgischen Stücken wie den Fürbitten und den einleitenden und schließenden Sätzen die weltliche Ordnung und Obrigkeit erwähnt werden. Die Kirchenzucht, bei der man einen Verweis auf die weltliche Ordnung erwarten würde, wird in der Kirchenordnung nur sehr knapp behandelt. Sie sei Aufgabe der ganzen Gemeinde und dürfe nicht in die Hände einzelner gelangen. Daher seien Kirchenräte zu bilden. Die Beziehung zwischen der Gesamtgemeinde und den Kirchenräten klärt die Ordnung nicht. Auch wird die Organisation der Kirchenräte nicht ausgeführt. Dazu verweist die Kirchenordnung auf eine noch zu erlassende Kirchenratsordnung. Diese Kirchenratsordnung erließ Friedrich III. am 21. Juli 1564.86 Der Kirchenrat hatte allerdings schon unter Ottheinrich existiert und ist in seiner Struktur noch durch Tileman Heshusius geprägt.87 In der Kirchenratsordnung werden in der Tat Aufgabenbereiche und Kompetenzen der Obrigkeit deutlich. Zunächst betont Friedrich III. ganz im Sinne der Reformatoren die Zuständigkeit der Obrigkeit für das geistliche Wohlergehen ihres Volkes: Dass sie Seelsorger, Pastoren und Lehrer einstellen müsse und neben der äußeren Zucht auch für die Ermöglichung der rechten Gottesdienstgestaltung verantwortlich sei.88 Zu diesem Zweck setze er nun den Kirchenrat ein. Dieser soll aus jeweils drei Pastoren und drei „Politikern“ bestehen, hinzu kommen ein Sekretär und ein Pedell. Die weltlichen Räte haben also im Kirchenrat zahlenmäßig die Mehrheit, wenn auch Sekretär und Pedell kein Stimmrecht besitzen. Insofern kann der Kirchenrat, obgleich einer der Amtsleute den Vorsitz hat, als paritätisches Gremium verstanden werden. Er darf keinen öffentlichkeitswirksamen Beschluss fassen oder Ordnungen erlassen ohne Wissen des Kurfürsten. Seine Aufgabenbereiche sind die Aufsicht über die Amtsträger in Kirche und Schule sowie die Kirchenzucht.89 Neue Kirchenratsmitglieder werden per Kooptation gewählt und dem Kurfürsten dann zur Anerkennung vorgestellt, ansonsten wird der Kurfürst das Mitglied bestimmen. In schwierigen Fällen sollen die Räte als Hilfe hinzugezogen werden.90 Die Obrigkeit bestimmt also mittels der paritätischen Besetzung der Kirchenräte die Wahl neuer Kirchenratsmitglieder mit, und auch der Kurfürst ist in die Bestellung involviert. Dennoch hatte, zwar nicht die gesamte Gemeinde, wohl aber die Kirche durch ihre Delegierten ein direktes Mitspracherecht. 85
Ebd., S. 341. Vgl. [Friedrich III.], Kirchenratsordnung vom 21. Juli 1564, in: Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Bd. XIV (wie Anm. 79), S. 409 – 424. 87 Vgl. Goeters, Einleitung (wie Anm. 79), S. 48. 88 Ebd., S. 409 f. 89 Vgl. ebd., S. 410 f. 90 Vgl. ebd., S. 410. 86
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Da eine der Aufgaben des Kirchenrats die Aufsicht über die Pastoren ist, ist er auch für deren Bestellung zuständig, selbstverständlich mit Kenntnis des Kurfürsten.91 Aufgabe der Pfarrer ist neben Gemeindeleitung und Schriftauslegung auch das Verlesen der kurfürstlichen Mandate von der Kanzel. In diesem Zusammenhang werden insbesondere Mandate zum Kirchenbesuch, gegen Aberglauben und unchristlichen Lebenswandel wie Trunkenheit und Unzucht erwähnt. Der Kurfürst erhofft sich hiervon, dass die Gemeindeglieder einen christlichen Lebenswandel nicht aus Furcht, sondern aus Gottesliebe führen.92 Dabei sollten sich die Pastoren bewusst sein, dass sie keine weltliche Gewalt besitzen und auch nicht auf juristische Gerichtsentscheidungen Einfluss nehmen dürfen.93 Die Unterscheidung zwischen weltlicher und kirchlicher Gewalt, die bei den Zusätzen zu den „Ordonnances ecclésiastiques“ in Bezug auf die weltliche Obrigkeit von großer Bedeutung war, wird hier den kirchlichen Amtsträgern ans Herz gelegt. Während in Genf die Ratsmitglieder ermahnt wurden, dass sie nicht die Herrschaft in der Kirche innehaben, schärft die Kirchenratsordnung der Kurpfalz den Gemeindeleitern ein, dass sie keine weltliche Macht und Einfluss besitzen. Vergehen von Pastoren, die durch die Obrigkeit gestraft werden müssen, sollen dieser gemeldet werden. In schwereren Fällen müssen die Pastoren ihres Amtes enthoben werden, leichtere Fehler wie Nachlässigkeit oder „selzame fragen im predigen auf die ban zu bringen“ sollen mit Ermahnungen durch den Kirchenrat beseitigt werden. Bei groben Lastern droht die zeitweilige Suspension.94 Visitationen, die Bestellung von Superintendenten und Synoden, bei denen z. B. auch die Einhaltung der Polizeiordnung abgefragt wird, sollen das rechte Leben der Amtsträger wie der Gemeinden gewährleisten. Die Zusammenarbeit von kirchlichen Amtsträgern und weltlicher Obrigkeit wird im letzten Teil der Kirchenratsordnung ausführlich thematisiert, wenn es um die Kirchenzucht geht. Die Kirchenratsordnung betont noch einmal die Trennung von geistlicher und weltlicher Gewalt und hebt hervor, dass die Kirchenzucht kein obrigkeitliches Amt ist. Dennoch könne und müsse die weltliche Obrigkeit die Kirchenleitung bei der Durchsetzung des rechten christlichen Lebens und der Kirchenzucht unterstützen. Deshalb werde sie sich um die Durchsetzung der Polizeiordnung und der anderen Ordnungen und Erlässe bemühen. Die Pastoren ihrerseits sollten der Obrigkeit strafwürdige Personen anzeigen bzw. durch die Superintendenten und Kirchenräte anzeigen lassen, insbesondere, wenn die weltlichen Amtsleute nachlässig wären. Sie sollten diese bescheiden ermahnen, sich aber nicht in deren Bereich hineindrängen. Die Kirchenratsordnung betont: Die Bestrafung schwererer Vergehen, die von der weltlichen Obrigkeit gerichtet werden müssen, müsse zunächst gewährleistet 91 Bei der Übergabe der Pfarrei und der Pfarrbücher sollen Juristen anwesend sein. Vgl. ebd., S. 416. 92 Ebd., S. 414. 93 Vgl. ebd., S. 415. 94 Vgl. ebd., S. 417.
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sein, dann könne auch die Kirchenzucht richtig durchgeführt werden – und gleichzeitig ließe sich so die Zahl der Exkommunikationen verringern. Renitente Sünder müssen zur Bestrafung an die Obrigkeit gemeldet werden, ebenso wie Exkommunikationen. Die Wiederaufnahme in die Gemeinde scheint hingegen im Gegensatz zu den „Ordonnances ecclésiastiques“ ein rein innerkirchlicher Vorgang.95 In der Kirchenordnung der Kurpfalz wird die Zusammenarbeit zwischen Kirche und Obrigkeit in der Weise beschrieben, dass sie sich gegenseitig unterstützen, einander wo nötig ermahnen (die Pastoren die weltlichen Amtsleute) bzw. züchtigen (die Obrigkeit die Pastoren) und gemeinsam am guten christlichen Leben des Volkes arbeiten. Dass dabei die Obrigkeit die Regeln vorgibt und das letzte Wort behält, ist bei einer obrigkeitlich erlassenen Kirchenordnung nicht weiter verwunderlich. Vielmehr ist zu betonen, wie viel Macht sie bereit war abzugeben. Ein letzter Punkt ist zu erwähnen: die Kurpfälzische Kirchenordnung kann nicht ohne die Polizeiverordnung gelesen werden, auf die sie ja selbst an den entsprechenden Stellen verweist.96 Hier werden Gottesdienste und Gottesdienstbesuche befohlen, der rechte christliche Lebenswandel vorgeschrieben und für Zuwiderhandlungen Strafen festgesetzt. Auf diese Weise suchte der Kurfürst der ihm zugeteilten Aufgabe der weltlichen Durchsetzung christlichen Lebens gerecht zu werden. Zugleich konnte er so die Kirchenordnung von solchen Stücken freihalten, die die Kirche nicht unmittelbar betreffen. Die Polizeiordnung beschreibt das weltliche Leben der Christen, die Kirchenordnung ihr kirchliches Leben. Insofern ist sie ganz zu Recht in erster Linie eine Agende. In der Kurpfalz ist im Zusammenwirken des Fürsten und seiner Berater mit den Theologen ein Ordnungssystem entstanden, in dem weltliche und geistliche Gewalt, weltliches und geistliches Anliegen tatsächlich soweit wie möglich getrennt sind. Jedes Regiment hat seine eigene Ordnung empfangen:97 Kirchenordnung, Kirchenratsordnung und Polizeiordnung. Auf diese Weise wird versucht, den Widerspruch 95
Vgl. ebd., S. 421 – 424. Vgl. [Friedrich III.], Pfaltzgrave Friderichs, churfürstens etc., aufgerichte christliche policeyordnung [vom 30. Juli 1562], in: Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Bd. XIV (wie Anm. 79), S. 264 – 274. 97 Dass auch dies reibungslose Abläufe und eine konfliktfreie Zusammenarbeit nicht gewährleistete, zeigt der Streit um die Kirchenzucht, vgl. Robert C. Walton, Der Streit zwischen Thomas Erastus und Caspar Olevian über die Kirchenzucht in der Kurpfalz in seiner Bedeutung für die internationale reformierte Bewegung, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 37/38 (1988), S. 205 – 246; Press, Calvinismus und Territorialstaat (wie Anm. 79), S. 251 – 266; Andreas Mühling, Heinrich Bullingers europäische Kirchenpolitik (Zürcher Beiträge zur Reformationsgeschichte, 19), Zürich 2001, S. 116 – 124. Einen Überblick anhand eines der Protagonisten bietet auch Ruth Wesel-Roth, Thomas Erastus: Ein Beitrag zur Geschichte der reformierten Kirche und zur Lehre von der Staatssouveränität (Veröffentlichungen des Vereins für Kirchengeschichte in der evang. Landeskirche Badens, 15), Lahr/Baden 1954. 96
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zwischen den Aufgaben der Obrigkeit in der und für die Kirche einerseits und der zu wahrenden Selbstständigkeit und Selbstverwaltung der Kirche andererseits, d. h. den Widerspruch zwischen weltlichem Regiment und geistlichem Regiment in weltlicher Gestalt, möglichst gering zu halten.
D. Résumé Die Rolle der Obrigkeit wurde in den untersuchten Kirchenordnungen sehr unterschiedlich definiert. Dies hing zum einen von der Art der Kirchenordnung und der gegenwärtigen Beziehung zwischen der Kirche und ihrer Obrigkeit ab. Naturgemäß schrieben die Kirchen, die ihre Ordnung unter einer anderskonfessionellen Obrigkeit verfassten, der Obrigkeit weniger Kompetenzen und Aufgaben zu als diejenigen Kirchen, deren Ordnungen von ihrer Obrigkeit entweder, wie im Fall Genfs, erstellt, oder wie in der Kurpfalz zumindest erlassen wurden. Die politische Situation, in der sich die Kirchen befanden, hatte große Auswirkungen auf Entstehung wie Gestaltung ihrer Kirchenordnung. Und doch war die politische Lage der Kirche und des Landes nicht der einzige Faktor bei der Entstehung der Kirchenordnungen. Die Verfasser der Kirchenordnungen, insbesondere ihre theologischen Erstautoren, hatten genaue theologische Vorstellungen von der Rolle der Obrigkeit, die sie in den Kirchenordnungen zu verwirklichen suchten. Alle waren sich einig in der Unterscheidung zwischen weltlichem und geistlichem Regiment, und alle versuchten, die Obrigkeit für die Errichtung und Bewahrung des rechten Kirchenlebens in Anspruch zu nehmen. Gleichzeitig schwebte ihnen als Ideal eine selbstständig verfasste Kirche vor. In reinster Form ist dies in der „Forma ac ratio“ Johannes a Lascos zu sehen: Die Gemeinde sollte ihr Leben selbst gestalten, ihre Riten nach apostolischem Vorbild üben und in Kirchenleitung und Kirchenzucht weitgehend autonom organisiert sein. Aufgabe der Obrigkeit war es, dies zu ermöglichen und zu bewahren. Dazu musste sie gegebenenfalls auch im Anschluss an die geistliche Zucht der Kirche ihr weltliches Schwert walten lassen. Sie hatte aber keine Rechte zu direktem Eingriff in kirchliche Angelegenheiten. Selbstverständlich waren die theologischen Zugänge und Auffassungen der Verfasser der Kirchenordnungen unterschiedlich akzentuiert. Johannes Calvin gestand der weltlichen Obrigkeit in allen seinen Genfer Schriften mehr Kompetenzen zu als z. B. Johannes a Lasco. Andere Reformatoren wollten die Obrigkeit noch weitgehender aus der Kirchenorganisation ausschließen oder noch stärker in sie integrieren. Aber die Grundkonstanten, Inanspruchnahme der Obrigkeit als Garant des christlichen Lebens bei gleichzeitiger Eindämmung weltlichen Einflusses auf innerkirchliche Angelegenheiten, blieben dieselben. Wie sie verwirklicht wurden, hing freilich nur zum Teil von den theologischen Idealen der Autoren der Kirchenordnungen ab. Ihre Anliegen mussten immer mit der historischen Realität in Einklang gebracht werden. So sind die Kirchenordnungen auch ein Beispiel für die Bedingtheit
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geschichtlicher Entscheidungen und Entwicklungen durch theologische Ansprüche einerseits und historische Realität andererseits.
Zur Neu-Edition und Übersetzung der Politica des Johannes Althusius Von Dieter Wyduckel, Dresden
A. Zur Editionsgeschichte der Politica I. Lateinische Ausgaben der Politica Es geht im Folgenden um die lateinisch-deutsche Ausgabe der althusischen „Politica“. Zunächst einige Worte zur Editions- und Übersetzungsgeschichte. Die „Politica“ ist bekanntlich zuerst 1603 in Herborn im Verlag Corvinus erschienen.1 1610 hat Althusius eine zweite Auflage vorgelegt, die zugleich in Arnheim – Verlag Janssonius – und in Groningen – Verlag Radaeus – publiziert wurde.2 Diese zweite Auflage ist gegenüber der ersten erheblich erweitert und bezieht die Erfahrungen ein, die Althusius in Emden, dem ,Genf des Nordens‘3 gemacht hat. 1617 ist die JanssoniusAusgabe erneut gedruckt worden, die sich fälschlicherweise als die dritte ausgibt4 (und die in den Exemplaren, die ich eingesehen habe, zudem eine Reihe von drucktechnischen Mängeln aufweist). Die endgültige, d. h. die dritte Auflage letzter Hand, die erneut und grundlegend überarbeitet wurde, erschien 1614 wiederum bei Corvinus in Herborn. Die Ausgaben von 1625 und 1654 sind keine Neuauflagen (obwohl es auf den Titelblättern editio quarta bzw. editio quinta heißt), sondern Nachdrucke der dritten Auflage von 1614. Diese dritte Auflage ist wiederum in den sechziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Scientia Verlag Aalen nachgedruckt worden.5
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Althusius, Politica Methodice digesta et exemplis sacris et profanis illustrata, Herbornae Nassoviorum: Ex officina Christophori Corvini 1603. 2 Althusius, Politica Methodice digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata, ed. nova, Arnhemii: Ex officina Johanni Janssonii 1610; ders., Politica Methodice digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata, Groningae: Excudebat Johannes Radaeus 1610. 3 Heinz Antholz, Die politische Wirksamkeit des Johannes Althusius in Emden, Aurich 1955 (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands, H. 32), S. 27. 4 Althusius, Politica Methodice digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata, Arnhemii: Ex officina Johannis Janssonii 1617. 5 Althusius, Politica Methodice digesta et exemplis sacris et profanis illustrata, Faks.-Dr, der 3. Aufl. Herborn 1614, Aalen: Scientia Verlag 1961, 2. Neudr. der 3. Aufl. Herborn 1614, Aalen: Scientia 1981.
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Eine lateinische Teilausgabe hat Carl Joachim Friedrich zusammen mit dem Vorwort zur ersten Auflage von 1603 und einigen unveröffentlichten Briefen des Althusius im Jahre 1932 vorgelegt.6 Dabei ist Althusius bereits zu den Klassikern des politischen Denkens aufgestiegen, denn die Ausgabe ist Teil der Harvard Political Classics. Eine umfassende Gesamtausgabe der „Politica“ mit italienischer Übersetzung (dazu gleich), liegt seit einem Jahr vor.7 II. (Teil-)Ausgaben der Politica in modernen Sprachen Über lange Zeit lagen nur Kurz- oder Teilausgaben der „Politica“ in Übersetzung vor. Die erste ist die von Frederick S. Carney mit einem Vorwort von Carl Joachim Friedrich 1964 vorgelegte englische Ausgabe, die 1995 im Liberty Fund, Indiananapolis, mit einem Vorwort von Dan Elazar erneut herausgekommen ist.8 Eine von Demetrio Neri besorgte italienische Kurzausgabe ist 1980 erschienen.9 Von den Teilausgaben ist die wohl umfassendste die von Primitivo Mariño mit einem Vorwort von Antonio Truyol y Serra übersetzte spanische Ausgabe, die 1990 in der Reihe Clasicos Políticos erschienen ist, also Althusius und seine „Politica“ ebenfalls in den Status des Klassischen erhebt.10 Schließlich ist 2003 angesichts des 400jährigen Jubiläums der ersten Auflage in Herborn eine deutsche Kurzausgabe der „Politica“ vorgestellt worden,11 der nunmehr eine lateinisch-deutsche Gesamtausgabe folgen soll. Ein ganz neues Kapitel ist durch die bereits genannte lateinisch-italienische Gesamtedition der „Politica“ aufgeschlagen worden, die im vergangenen Jahr in der
6 Politica Methodice digesta of Johannes Althusius (Althaus). Reprinted from the Third Edition of 1614. Augmented by the Preface of the First Edition of 1603 and by 21 hitherto Unpublished Letters of the Author. With an Introduction by Carl Joachim Friedrich. Cambridge: Harvard University Press 1932. CXXXIX, 435 S. (Harvard Political Classics, Vol. 2), Nachdr. New York 1979. 7 Althusius, La Politica. Elaborata organicamente con metodo, e illustrata con esempi sacri e profani. A cura e con un saggio introduttivo di Corrado Malandrino. Traduzione di C. Malandrino, Francesco Ingravalle e Mauro Povero. Ha collaborato Cornel Zwierlein. Trascrizione del testo latino di M. Povero, Turin 2009, 2. 8 The Politics of Johannes Althusius. An abridged translation of the Third Edition of Politica Methodice digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata And including the Prefaces to the First and Third Editions. Translated, with an Introduction by Frederick S. Carney. Preface by Carl J. Friedrich, Boston 1964, Neudruck London 1965; Politica. An abridged translation of Politics Methodically Set Forth and Illustrated with Sacred and Profane Examples. Edited and translated, with an Introduction by Frederick S. Carney. Foreword by Daniel J. Elazar. Indianapolis: Liberty Fund 1995. 9 Althusius, Politica. A cura di Demetrio Neri, Neapel 1980. 10 Althusius, La Politica. Metodicamente concebida e ilustrada con ejemplos sagrados y profanos. Traducción del latín, introducción y notas críticas Primitivo Mariño. Presentación Antonio Truyol y Serra, Madrid 199 (Clasicos Politicos). 11 Althusius, Politik. Übers. von Heinrich Janssen. In Auswahl hg., überarb. u. eingel. von D. Wyduckel, Berlin 2003.
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Casa editrice Claudiana in Turin erschienen ist.12 Die beiden Bände, die nahezu 2000 Seiten umfassen, sind von Corrado Malandrino herausgegeben worden, den sowohl bei der Übersetzung als auch bei der Edition ein Kreis von Kollegen unterstützt hat, zu denen mit Cornel Zwierlein auch ein deutscher Kollege zählt. Die stattlichen Bände wurden in Turin in der Chiesa Valdesa, also der WaldenserKirche vorgestellt und einer wissenschaftlich interessierten Öffentlichkeit präsentiert. Eine begleitende Tagung fand sowohl dort als auch im nahegelegenen Torre Pellice statt, wo die Leitung der Waldensischen Kirche ihren Sitz hat. Die lateinisch-italienische Gesamtausgabe der „Politica“ mit umfangreichem kritischem Apparat und einer umfassenden wissenschaftlichen Einleitung ist in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzen. Herrn Malandrino und seinen Kollegen gebührt hierfür unser Dank. Sie stellt einen Meilenstein der Althusius-Forschung dar, die mit der vorliegenden Edition wesentlich vorangebracht wird. Nun ist es möglich, den nicht einfachen Text zugleich in der lateinischen Originalsprache als auch in einer modernen Übersetzung zu erschließen, was umso wichtiger ist, als Lateinkenntnisse heute in der einschlägigen Wissenschaft, auch und gerade bei Juristen, nicht mehr ohne weiteres vorausgesetzt werden können. Die Edition ist in ihrer Gesamtheit außerordentlich beeindruckend, sowohl was die lateinische als auch was die italienische Fassung angeht. Die beigegebenen Verzeichnisse (Literaturverzeichnis, Namensverzeichnis, Abkürzungsverzeichnis, ein ins Italienische übertragenes Sachverzeichnis) sind außerordentlich hilfreich und erleichtern die Lektüre und Benutzung. Der Leser hat so die Möglichkeit, den komplexen Text ohne weiteres zu erschließen. Ganz besonders hervorzuheben ist aber die wissenschaftliche Einleitung von Corrado Malandrino, die die wohl umfassendste und eingehendste Darlegung der neueren Probleme der internationalen AlthusiusForschung darstellt und fast den Charakter eines Buchs im Buche hat.13 Jeder, der daran geht, ein Werk herauszugeben und zu übersetzen, das vor vier Jahrhunderten zuerst erschienen ist, sieht sich mit Fragen konfrontiert, die sowohl inhaltlicher als auch formaler Art sind. Zunächst zur Vorstellung des lateinischen Textes. Das Latein, das in der Gelehrtenwelt um 1600 üblich war, ist ein Gebrauchslatein. Schwierigkeiten bereiten dabei auch und vor allem die zahlreichen Abkürzungen, die seinerzeit jedem Fachkenner geläufig waren, heute aber mitunter Schwierigkeiten bereiten und der Auflösung bedürfen. Die daraus sich ergebenden Probleme sind in der vorliegenden Edition glänzend gelöst, so dass der lateinische Text, so wie von Althusius konzipiert, klar und lesefreundlich vor Augen steht und – soweit bei kursorischer Durchsicht und der eigenen Arbeit an der „Politica“ festgestellt werden konnte – einen Nachvollzug ohne weiteres ermöglicht. Die Nachweise des Althusius sind im Allgemeinen verlässlich,
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Althusius, La Politica (Anm. 7), S. 7 – 121. Althusius, La Politica (Anm. 7), S. 7 – 121.
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auch wenn mitunter leise Zweifel bleiben, welche Ausgabe eines Werks er dabei tatsächlich zu Rate gezogen oder vielleicht einfach aus dem Kopf zitiert hat. Zur italienischen Übersetzung nur soviel und nur soweit mir hier ein sprachliches Urteil zusteht: Sie erscheint mir ebenso flüssig wie lesbar, ist gut nachvollziehbar, was umso mehr ins Gewicht fällt, als der sprachliche Duktus des Althusius im Lateinischen mitunter einige Schwierigkeiten bereitet. Zur Erleichterung für den interessierten Leser und Benutzer der italienischen Übersetzung ist der ohnehin komplexe Text von den überreichen Zitaten entlastet worden, die in die Fußnoten verwiesen wurden. Als sehr hilfreich erweist es sich, dass die römischrechtlichen Zitatstellen in die moderne Zitierweise übertragen sind, so dass eine Verifizierung ohne weiteres möglich ist. Die internationale Althusius-Forschung ist, wie man ohne Zweifel sagen darf, durch die vorliegende lateinisch-italienische Ausgabe außerordentlich bereichert und gefördert worden.
B. Die lateinisch-deutsche Ausgabe: Stand der Arbeiten und Perspektiven Nun zu einigen Fragen und Problemen, die sich im Zusammenhang der lateinischdeutschen Edition und Übersetzung der althusischen „Politica“ ergeben. Es geht einmal um die editorische Vorbereitung des lateinischen Textes (I.), zum anderen um die Übersetzung ins Deutsche (II.). I. Der lateinische Text Es ist schon nicht ganz einfach, den lateinischen Text für den Druck angemessen vorzubereiten. Zu überprüfen und ggfs. zu vereinheitlichen ist zunächst die Orthographie. In diesem Arbeitsschritt sind offensichtliche Fehler zu bezeichnen und zu korrigieren, wobei all dies stets im mutmaßlichen Sinne des Autors und der Eigenart seiner Schreibweise zu geschehen hat. Heranzuziehen sind zur Vergewisserung in Betracht kommende Parallelstellen, um zu ermitteln, welche Ansetzung eines Worts oder Begriffs jeweils den Vorzug verdient. In Zweifelsfällen ist in richtigstellenden Fußnoten auf eventuelle Fehler hinzuweisen oder je nach Art der festgestellten Unstimmigkeit in eckigen Klammern die zutreffende Schreibweise wiederzugeben. Aber auch Systematik und Gliederung des Textes sind einer Prüfung zu unterziehen. Dies betrifft zunächst die Paragrafen- und Absatzfolge, vor allem dann, wenn ein Paragraf in der Zählung versehentlich ausgelassen ist oder die dem Kapitel vorangestellte Paragrafenüberschrift zum nachfolgenden Text nicht recht passen will oder gar im Widerspruch dazu steht. Entsprechendes gilt für die Anordnung und Ab-
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folge der Absätze. Schließlich sind die Kapitelüberschriften mit dem Inhaltsverzeichnis abzugleichen und Unstimmigkeiten zu markieren und, soweit erforderlich, zu korrigieren. All dies ist editorisch gleichsam business as usual. Wir haben es aber nicht dabei belassen, den lateinischen Text in der bezeichneten Weise kritisch zu überprüfen, sondern uns darüber hinaus auf den Weg zu einer historisch-kritischen Edition begeben, die seit langem ein Desiderat der Althusius-Forschung darstellt. Dabei wird die Genese des althusischen Gedankengangs rekonstruiert, indem in Fußnoten, die dem lateinischen Text der dritten Auflage von 1614 beigefügt sind, jeweils Änderungen gegenüber der ersten und der zweiten Auflage von 1603 bzw. 1610 nachgewiesen werden. Dies ist in der Tat eine Sysiphusarbeit, vor allem was den Vergleich mit der ersten Auflage angeht, die sich von der zweiten und der dritten letzter Hand schon vom Umfang ganz erheblich unterscheidet, denn die 32 Kapitel der ersten Auflage sind in der zweiten und dritten auf 39 Kapitel angewachsen. Dass diese Arbeit hohe Genauigkeit und Präzision voraussetzt, steht außer Frage, einmal abgesehen von dem zeitlichen Aufwand, der angesichts des erwarteten Erkenntnisgewinns aber gerechtfertigt sein dürfte. Hinzu kommen Tausende von Zitaten, in erster Linie und vor allem aus der Bibel, dazu aber auch aus dem römischen, dem kanonischen und dem Feudalrecht, weiter aus der antiken und neueren Geschichte und Politik, die identifiziert sowie auf orthographische und inhaltliche Korrektheit, Konsistenz und Richtigkeit überprüft werden wollen. Schwierigkeiten bereiten vor allem die lateinischen Namensansetzungen und Werktitel, vor allem aber die Bibelzitate sowie die rechtlichen Nachweise. Dabei überwiegt der Rekurs auf die römischrechtlichen Stellen die kirchenrechtlichen bei weitem. Althusius kennt sich ebenso in der Legistik wie in der Kanonistik aus und hat keine Berührungsängste gegenüber dem tradierten kanonischen Recht – freilich unter der Voraussetzung, dass und sofern sein eigener Gedankengang hierdurch gefördert wird. Es bedarf nach allem, um die althusische Argumentationsstruktur und seine Diktion schon im Lateinischen nachvollziehbar zu machen, einer vorsichtigen Vereinheitlichung des Textes, vor allem der Zitierweise, aber auch der zahlreichen Abkürzungen und nicht zuletzt der Namensansetzungen. Ein Beispiel: Um den von Althusius meist zitierten Autor zu nennen: Soll es Petrus Gregorius, Gregorius, Petrus Gregorius Tholosanus oder einfach Tholosanus heißen? Althusius verfährt hier sehr unterschiedlich. Doch hat in diesem Fall wie auch anderwärts, soweit identifizierbar, stets wie auch sonst der mutmaßliche Wille des Autors Vorrang. Dabei blickt man mitunter in Abgründe, wandelt auf schmalem Grat, stets auf der Hut nicht abzustürzen. Doch kann man Althusius den Respekt nicht versagen, wenn man bedenkt, wie geschickt er mit den Unmengen von Zitaten verfährt, zumal die Nachweise und Belege nach unseren Überprüfungen ersichtlich ganz überwiegend zureffend sind.
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II. Die Übersetzung ins Deutsche All dies ist freilich nur ein Teil der zu leistenden Arbeit, weil es darüber hinaus darum geht, den lateinischen Text in ein angemessenes Deutsch zu übertragen. Es sei hier dankbar der Arbeit des 2002 verstorbenen Dr. Heinrich Janssen gedacht, der den gesamten Text der „Politica“ – übrigens mit finanzieller Hilfe der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau – in eine deutsche Rohübersetzung gebracht hat, ohne die unsere Edition kaum hätte auf den Weg gebracht werden können. Es ist nicht eben leicht, ein vierhundert Jahre altes Werk einem heutigen Publikum in nachvollziehbarer Weise vor Augen zu führen. Geht es doch nicht um das klassische, sondern ein seinerzeit, also um 1600, übliches, politisch-rechtliches Gelehrtenlatein, das mit ciceronischen oder taciteischen Maßstäben kaum zu messen ist. Hier eröffnen sich, was die Übersetzung angeht, zwei Möglichkeiten: Man kann entweder ursprungssprachlich oder zielsprachlich vorgehen. D.h. m.a.W.: Wem soll der Text wie nahegebracht werden, einem hypothetischen Zeitgenossen des Althusius oder einem heutigen Leser. Angestrebt ist in unserer Ausgabe, den Text zielsprachenorientiert gegenwärtig verständlich zu machen, jedoch ohne dabei den Grundsatz der Treue zum originalen Wortlaut zu missachten. Der Satzbau ist hierbei, soweit möglich, beibehalten worden, wenngleich sehr lange Satzpassagen der Verständlichkeit wegen mitunter geteilt werden mussten, der Satzbau also aufzubrechen war, um einen nachvollziehbaren Text zu erhalten. So ist übrigens auch Fred Carney in seiner englischen Übersetzung verfahren.14 Welche Schwierigkeiten eine ursprungssprachliche Übersetzung der „Politica“ mit sich bringt, wird deutlich, wenn man sich die Differenz der damaligen und der heutigen deutschen Schriftsprache vergegenwärtigt. Von Althusius selbst haben wir so gut wie nichts in deutscher Sprache, das als Hilfe herangezogen werden könnte. Eine Ausnahme bildet die kleine, wenige Blätter umfassende Schrift zur Hexenfrage,15 die zudem nicht von ihm selbst übersetzt ist.16 Das, was wir aus seiner Epoche an deutschen Übersetzungen anderer Werke haben, zeigt, dass es hier für uns eigentlich einer doppelten Übertragung bedürfte, nämlich einmal der vom Lateinischen in das zeitgenössische, d. h. damalige Deutsch, zum anderen einer weiteren Übertragung von der damaligen in die heutige deutsche Sprech- und Schreibweise.
14 So auch, was die Übersetzung ins Englische angeht, Frederick S. Carney, Translator’s Introduction, in: Johannes Althusius, Politica, 1995 (Anm. 8), S. IX ff. (XXX f.). 15 Althusius. Ad Judicem Admonitio, in: Johann Georg Godelmann, De Magis, Veneficis et Lamiis, Frankfurt a.M. 1591. 16 Vermahnung an die Richter … verteutschet durch Georgium Nigrinum, Hessischen Superintendenten zu Echzell in der Wetterau, in: [Johann] Georg Godelmann, Von Zäuberern, Hexen und Unholden Warhafftiger und Wolgegründter Bericht, Frankfurt a. M. 1592, S. 142 – 155.
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Um sich die damit verbundenen Probleme zu vergegenwärtigen, sei ein Blick in die kürzlich erschienene Grimmelshausen-Ausgabe17 empfohlen, die – auch wenn sie nicht ganz zeitgenössisch ist – doch deutlich macht, welche Spannweite und Differenz zwischen dem damaligen und dem heutigen Deutsch liegt, ja welche Fremdheit, welche Verständnisschwierigkeiten sich beim Lesen des je alten deutschen Textes einstellen. Für unsere Übersetzung war es nach allem Ziel, einen kohärenten deutschen Text zu präsentieren, der heute lesbar ist, ohne Althusius zu verbiegen oder gar zu verfälschen. Wir haben uns dabei im Wesentlichen an der vorliegenden, 2003 erschienenen deutschen Kurzausgabe orientiert.18 Angemerkt sei, dass sich das Übersetzungsproblem, mit dem wir es im Deutschen zu tun haben, aus naheliegenden Gründen in den romanischen Sprachen in weitaus geringerem Maße stellt, in die die „Politica“ des Althusius übersetzt ist, also im Italienischen19 und im Spanischen.20 Die sich bei der Übertragung aus dem Lateinischen stellenden Übersetzungsprobleme seien am Beispiel der Wiedergabe einiger zentraler Leitbegriffe der althusischen Politik verdeutlicht. So kann in der italienischen Fassung der für die „Politica“ wohl zentralste Begriff der consociatio als consociazione ohne weiteres erhalten bleiben, ebenso im Spanischen, wo es consociación heißt. Aber wie ist im Deutschen zu verfahren? Consociatio als Konsoziation empfiehlt sich nicht, da das Wort im Deutschen zum einen ungebräuchlich ist, zum anderen sprachliche Missverständnisse hervorrufen kann. Wir haben uns auch nicht für die Begrifflichkeit des Wiederentdeckers des Althusius, Otto von Gierke, entscheiden können, der die consociatio in den übergreifenden Kontext seines Genossenschaftsrechts einordnete,21 was – wenn man konsequent bleibt – im Übrigen weiter zur Folge hätte, dass die Mitglieder der Genossenschaft als socii oder consocii, d. h. als Genossen oder Mitgenossen erscheinen oder erscheinen müssten. Unsere Entscheidung ist Carl Joachim Friedrich folgend für die Übersetzung von consociatio als Gemeinschaft gefallen.22 Diese Lösung erhielt den Vorzug vor der Ge-
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Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, Der abenteuerliche Simplizissimus Deutsch, aus dem Deutschen des 17. Jahrhunderts und mit einem Nachwort von Reinhard Kaiser, Frankfurt a.M. 2009 (Die andere Bibliothek, 296/97). 18 Althusius, Politik. Übers. von Heinrich Janssen. (Anm. 11). 19 Althusius, La Politica (Anm 10). 20 Althusius, La Politica (Anm. 12). 21 Otto von Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Berlin 1868 – 1913, 4, Nachdr. Frankfurt a. M. 2006; sowie ders., Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Rechtssystematik, 5. unveränd. Ausg. mit Vorw. von Julius von Gierke, Aalen 1958 u. ö. (zuerst 1880). Kritisch zu Gierkes Begrifflichkeit auch Cornel Zwierlein, Consociatio, in: Politisch-rechtliches Lexikon der Politica (Fn. 40), S. 175 ff. (197) m.w.N. 22 Vgl. Carl Joachim Friedrich, Johannes Althusius und sein Werk im Rahmen der Entwicklung der Theorie von der Politik, Berlin 1975, S. 90 ff., der auch den Terminus der Genossenschaft in seine Überlegungen mit einbezieht, dies aber wohl eher im Sinne einer genossenschaftlichen Gemeinschaft verstehen will.
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nossenschaftsterminologie Gierkes, zumal dieser mitunter selbst den Begriff der Gemeinschaft verwendet.23 Ein weiterer zentraler Begriff ist der der Respublica. Diesen von Althusius vielfach gebrauchten Begriff geben wir mit Gemeinwesen wieder, dem im Englischen Commonwealth entspricht.24 Man hätte auch ,Staat‘ sagen können, so wie im Italienischen ,Stato‘, doch nicht Republik, schon deshalb nicht, weil dieser Terminus, übrigens nicht nur im Deutschen, staats- und politiktheoretisch sowie staatsrechtlich ganz anders besetzt ist. Zudem ist der Staatsbegriff im Deutschen – jedenfalls für Juristen – seit Georg Jellinek mit einer schematisch-dogmatischen Drei-ElementeLehre verbunden,25 die in ihren Ausläufern noch immer nachwirkt, dem politiktheoretischen Denken des Althusius aber fremd ist. Ein zentraler Begriff in der althusischen „Politica“ ist schließlich der des summus magistratus. In der italienischen Übersetzung heißt es sommo magistrato, in der spanischen supremo magistrado. Auch dies erscheint ebenso zutreffend wie glücklich. In der deutschen Übersetzung können wir entsprechend mit der Wendung des obersten Magistrats gut leben, während die Wiedergabe mit Begriffen wie höchster Obrigkeit oder Oberkeit wiederum fehlgehende Assoziationen hervorrufen kann, die hier nicht gemeint sind und auf den sehr viel späteren Obrigkeitsstaat deuten, der der Althusius-Zeit noch fernliegt. Als nicht einfach erweist sich auch die Übersetzung des Begriffes majestas, der im Anschluss an den großen Gegner des Althusius, Jean Bodin, mit Souveränität wiedergegeben wird. Hier stimmen wir mit der italienischen wie mit der spanischen Übersetzung überein, aber auch mit der US-amerikanischen, die majestas als sovereignty wiedergibt. Was Bodin betrifft, der ja den Anspruch erhoben hat, den Begriff als erster gefunden, wenn nicht erfunden zu haben, ist noch hinzuzufügen, dass es sich, was den Souveränitätsbegriff angeht, genau genommen um eine Rückübersetzung aus dem Französischen handelt. Die französische Ausgabe seines Werks ist nämlich vor der lateinischen erschienen.26 Schließlich ist noch die angemessene Übersetzung des Wortes sanctus und seiner verschiedenen Formen in die Überlegungen einzubeziehen. Im Italienischen oder Spanischen wird man sprachlich schon von der Wortverwandtschaft her an eine Wiedergabe mit santo oder santa denken.27 Im Deutschen liegen die Dinge schwieriger.
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Gierke, Althusius.(Anm. 21), S. 21 f. So Carney in Althusius, Politica (Anm. 8), Kap. I § 5. 25 Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., 7. Neudr., unveränd. Nachdr. des 5. Neudr. der 3. Aufl., Darmstadt 1960, S. 394 ff. 26 Jean Bodin, Les Six Livres de la République, Paris 1576, lat. u. d. T.: De Republica Libri Sex, Paris 1586. 27 Althusius, La Politica (Anm. 7), Kap. I § 3, S. 221 (italienisch); ders., La Politica, Kap. I § 3 (Fn. 10), S. 5 (spanisch). 24
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Gewiss kann man eine Übersetzung mit heilig in Betracht ziehen,28 wird aber je nach Kontext auch andere Lösungen zu bedenken haben, die von fromm (so die uns vorliegende Rohübersetzung) bis hin zu unverletzlich, unverbrüchlich, unverfügbar und unantastbar reichen können, um nur einige Möglichkeiten zu nennen. So eröffnet sich schon lexikalisch ein interpretativer Spielraum für eine angemessene Wiedergabe im Deutschen, wobei sich Übersetzungs- und Bedeutungsfragen überschneiden können. Auch hier kann eine Lösung nur vom Wort- und Begriffsverständnis des Althusius her erfolgen, in der zugleich seine Grundhaltung zum Gemeinwesen und das Maß christlich-reformierter Fundierung mitzubedenken ist. Ohne Letztere ist die althusische „Politica“ kaum vorzustellen, auch wenn nach wie vor nicht hinreichend geklärt ist, wie stark und wie weit die christlich-religiöse Prägung für Althusius in hoc saeculo wirksam ist oder sein soll. Wenn Althusius die Symbiose als sancta bezeichnet,29 dann ist damit gewiss keine Gemeinschaft von Heiligen gemeint, so etwa wie im angelsächsisch-puritanischen Sprachgebrauch von der Community of Saints die Rede ist, wobei saints und citizens im Rahmen eines holy commonwealth eine Verbindung eingehen, wie Michael Walzer, allerdings ohne Rekurs auf Althusius, meint.30 Doch stellt Althusius sich die personalen Glieder des Gemeinwesens gleichwohl als fromme und gläubige Menschen vor. Dabei sind Gemeinwesen und Kirche institutionell getrennt, auch wendet Althusius sich entschieden gegen eine Priesterherrschaft und verbittet sich wissenschaftlich eine Einmischung von Theologen in den Bereich der Politik. Wäre es anders, würde sein bereits im Vorwort der „Politica“ angemeldeter Anspruch,31 ein genuin politiktheoretisches Werk vorzulegen, konterkariert. Dieser Anspruch schließt freilich nicht aus, dass Althusius sich selbst vorbehält, ihm genehme reformierte Theologen, z. B. Girolamo Zanchi und Petrus Martyr Vermigli, ausgiebig anzuführen, während Calvin demgegenüber eher randständig bleibt. Aus der Sicht des Althusius kommt es demnach darauf an, dass er selbst es ist, der die Theologen in den politiktheoretischen Diskurs einbezieht und sie damit für seine wissenschaftlichen Zwecke nutzt und so, wie er zu meinen scheint, legitimer Weise in Anspruch nimmt oder nehmen kann.32 Das Gemeinwesenbild des Althusius trägt insoweit ungeachtet der biblischen und theologischen Inbezugnahmen durchaus säkulare Züge, ohne dass dabei der religiös-christliche Gehalt hintangestellt oder diese Welt gar verloren gegeben werden würde oder müsste. Dieses und das kommende Reich stehen für ihn demnach nicht unverbunden nebeneinander. Hier liegt wohl einer der Gründe dafür, warum Althusius gegenüber Luther sprachlos bleibt, ja 28
So in der englischen Übersetzung Carney siehe Althusius, Politica (Anm. 2), Kap. I § 3, S. 17, der die symbiosis sancta als holy symbiosis wiedergibt. 29 Althusius, Politica (Anm. 5), Kap. I § 3. 30 So Michael Walzer, Revolution of Saints. A Study in the Origins of Radical Politics, Cambridge, Mass 1965, S. 2 ff., S. 54. 31 Althusius, Politica (Anm. 5), Bl. 3 r f. 32 Althusius, Politica (Amn 5), Vorwort, ebd.
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sprachlos bleiben muss und ihn nicht einmal beim Namen nennen kann.33 Stellt Althusius doch einen dogmatisch-normativen Anspruch an das Gemeinwesen, der christlich-reformiert unterlegt und zudem in hohem Maße naturrechtlich geprägt ist, was die Gemeinschaftsbildung sowie Grund und Grenzen34 herrschaftlicher Gewalt angeht und, wie hinzuzufügen ist, was bei etwaigen Verstößen gegen diese Grundannahmen zu geschehen hat. III. Nachweise, Verzeichnisse und Ausblick Auch im Rahmen der Übersetzung stellt sich die Frage, wie mit den überreichen Nachweisen und Belegen des althusischen Textes umzugehen ist. Wir haben sie in der deutschen Fassung möglichst in eben der Form erhalten, wie sie in den Text inseriert sind, also nicht, was ebenso möglich gewesen wäre, in die Fußnoten gebracht. Dies empfiehlt sich auch deshalb, weil die Zitate bei Althusius nicht nur Nachweischarakter haben, sondern zum großen Teil in die Satzstruktur argumentativ laufend eingefügt und somit Teil des jeweils entfalteten gedanklichen Zusammenhangs sind. Es bedarf freilich einer Übertragung der älteren Zitierweisen in einen heute verständlichen Modus. Dies betrifft vor allem die römischrechtlichen und die kirchenrechtlichen Nachweise. Die Juristen der Althusius-Zeit und Althusius selbst hatten das Corpus Iuris offenbar so im Kopf, dass die Anfänge der jeweiligen Stellen, also die ersten Worte oder gar das erste Wort ausreichten, um ein Zitat zu verifizieren. Also: Lex princeps, Lex digna, Lex omnes usw. Da diese Kenntnisse heute i. d. R. nur mehr einem Fachpublikum vertraut sein dürften, haben wir in der deutschen Übersetzung, soweit möglich und geboten, die je aktuelle Zitierweise zu Grunde gelegt, wie sie die als verbindlich geltenden Ausgaben des Corpus Iuris Civilis von Mommsen/Krüger35 und für die Kanonistik von Friedberg36 vorsehen. Zur Hilfe bei der Übertragung in eine heute verständliche Zitierweise konnten wir für die römischrechtlichen Zitate Indices und Konkordanzen zu Rate ziehen, die sehr hilfreich sind und eine Identifizierung der betreffenden Stellen ermöglichen und erleichtern.37 33
Vgl. Wyduckel, in: Althusius, Politik, Einleitung (Anm. 11), S. VII ff. (XXXVII). Siehe hierzu Stephen John Grabill, Rediscovering the natural law in Reformed theological ethics, Grand Rapids, Mich. 2006, S. 122 ff. 35 Jeweils für die Institutionen, die Digesten, den Codex und die Novellen. Siehe Corpus Iuris Civilis. Volumen Primum. Institutiones, ed. Paulus Krueger, Digesta, nach Th. Mommsen ed. P. Krueger, 25. Aufl., Nachdr. der 17. Aufl., Berlin 1963, Hildesheim 1993: Volumen Secundum: Codex Justinianus, ed. P. Krueger, Nachdr. der 11. Aufl., Berlin 1954, Hildesheim 1989; Volumen Tertium: Novellae, ed. R. Schoell, G. Kroll, 13. Aufl., Nachdr. der 8. Aufl., Berlin 1963, Hildesheim 1993. 36 Corpus Iuris Canonici, ed. Aem. Friedberg, unveränd. Nachdr. der Ausgabe Leipzig 1879, Graz 1955; Pars Secunda, ebd. (enth. Decretum Gratiani, Clementinae und Extravagantes). 37 Vgl. insbesondere die Indices titulorum et legum Corpus Iuris Civilis, ed. X. Ochoa u. A. Diez, Rom 1965 34
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Der deutsche Text enthält, soweit zum Verständnis erforderlich, in Fußnoten aber auch erläuternde Hinweise, vor allem hinsichtlich der zahlreichen Namen, Begriffe und Ereignisse aus der biblischen, der politischen und der Geistesgeschichte, die Althusius anführt und deren Erschließung und Kontext heute nicht mehr ohne weiteres als gegeben angenommen werden kann. Schließlich enthält unsere Edition verschiedene begleitende Verzeichnisse: Zunächst für das von Althusius zitierte Schrifttum ein Quellenverzeichnis, das alle zitierten Quellen in alphabetischer Reihenfolge aufführt, also nicht unter zeitlichem Aspekt zwischen antiken, mittelalterlichen und neueren Schriften trennt. Dies dient der Benutzerfreundlichkeit, da sich so ein doppeltes Nachsehen erübrigt. Hinzutritt ein Verzeichnis der neueren, auf Althusius und sein Werk bezogenen internationalen Literatur. Es stellt eine Fortschreibung der Zusammenstellung dar, wie wir sie begleitend zur deutschen Kurzausgabe von 2003 vorgelegt haben und wie sie für das ältere Schrifttum in der Althusius-Bibliographie enthalten ist.38 Das Quellenverzeichnis umfasst zur Zeit über 600, das Literaturverzeichnis knapp 300 Titeleinträge. Dazu kommt ein Abkürzungsverzeichnis, eine Zusammenstellung der zitierten biblischen Bücher sowohl in lateinischer als auch in deutscher Form, jeweils mit Auflösung im Klartext. Aber auch ein Fundstellenverzeichnis der von Althusius zitierten Bibelstellen sowie ein entsprechender Nachweis der römischrechtlichen und kirchenrechtlichen Stellen ist in Registern beigefügt. Abschließend folgt noch ein allgemeines Namens- und Sachregister. Wir sind, wenn ich das abschließend so sagen darf, bei der Arbeit auf einem guten Weg und haben das Werk, wie es im Englischen heißt, almost finished. Aber auch die internationale Althusius-Forschung ist im Fortschreiten begriffen. Hierzu hat nicht zuletzt das von den Herren Kollegen Ingravalle und Malandrino herausgegebene „Lessico della ,Politica‘ di Johannes Althusius“ beigetragen,39 das zu Beginn dieses Jahres auch in deutscher Fassung als „Politisch-rechtliches Lexikon der ,Politica‘ des Johannes Althusius“ im Verlag Duncker & Humblot erschienen ist.40 Wir wollen und werden diesen Spuren mit unserer Arbeit folgen.
38 Althusius-Bibliographie. Bibliographie zur politischen Ideengeschichte und Staatslehre, zum Staatsrecht und zur Verfassungsgeschichte des 16. bis 18. Jahrhunderts, Hans Ulrich Scupin und Ulrich Scheuner (Hg.), bearb. von Dieter Wyduckel, Berlin 1973, 2 Halbbde, 1. Halbbd. Nr. 218 ff. 39 Il Lessico della Politica di Johannes Althusius, a cura di F. Ingravalle/C. Malandrino. Prefazione di D. Wyduckel, Introduzione di C. Malandrino, Florenz 2005. 40 Politisch-rechtliches Lexikon der Politica des Johannes Althusius, Corrado Malandrino/ Dieter Wyduckel (Hg.), Berlin 2010.
Personenverzeichnis (Lediglich in den Fußnoten zitierte Autoren von Sekundärliteratur wurden nicht aufgenommen.) a Lasco, Johannes s. Lasco, Johannes a Alciato, Andrea 213, 59 Alessandro di Alessandri 125 Alexandrinus, Clemens 218 Althusius, Johannes 9, 13 ff., 49, 53, 79, 82, 88, 92, 93, 96 f., 105, 111 ff., 137, 144, 149, 151 ff., 174, 189, 192, 193, 206 f., 219 f., 225 ff., 261 ff. Amand, George 66 Amyrart, Moïse 112 Antonius, Wilhelm 207 Aquin, Thomas von 85, 156, 158, 232 Aretin, Johann Christoph Freiherr von 22 Aristoteles 57, 84, 88 Arnisaeus, Henning 93, 94 Augustin, Johannes Christian Wilhelm 61 Augustinus von Hippo 15 f., 92, 133, 159, 203
Bloch, Ernst 55 Bluntschli, Johann Casper 54, 62, 71 Bodin, Jean 17, 79, 91 ff., 163, 154, 165, 167, 268 Bodinus, Henricus 195 Bohatec, Josef 65 Boxhorn, Marcus Zuericus 79, 82, 93, 94 Bradford, Andrew 61 Brisson, Mathurin Jacques 59 Brugger, Winfried 56 Brutus, Stephanus Junius 100, 112 Budé, Guillaume 198 Bugenhagen, Johannes 87 Bullinger, Heinrich 99, 101, 122 f., 135, 144, 206 Busch, Eberhard 69 Butzer, Martin 100, 155
Bainton, Richard 76 Barclay, William 93, 99, 229 Baron, Hans 80 Barrow, Henry 60 Bartels, Petrus 242 Barth, Karl 55 Bartolus a Saxoferrato 143, 198 Baum, Wilhelm 247 Baur, Jürgen 155 Bellarmin, Robert 134, 212 Benert, Richard 86 Berman, Harold 74 Bertramus, Corndius 216 Besold, Christoph 79, 82, 93 ff. Beza, Theodor von 50, 64, 74, 82, 88 ff., 93, 96, 151, 166, 205, 213 Bilson, Thomas 80 Blackwood, Christopher 60 Blicklas, Peter 80
Calvin, Johannes 1, 9, 11 ff., 21 ff., 51 ff., 151 ff., 164, 166, 199 ff., 213 ff., 235, 241 ff., 269, 510 Cameron, John 122 Cartwright, Thomas 196, 145, 147, 150 Casmann, Otto 230 Castel, Elie J. 62 Charles I. (England) 119 Choppin, René 230 Chrysippos von Soloi 159 Chrysostomus, Johannes 159 Cicero, Marcus Tulius 57, 152 ff., 161, 177, 183, 203 Clapmar, Arnold 227 f. Cloppenburg, Johannes 14 Cocceius, Johannes 108, 112 Coke, Lord Edward 60, 98 Conring, Hermann 98 Coquille, Guy 98
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Personenverzeichnis
Cotton, John 60 Covarrubias, Diego de 134, 206 Cranz, David 61 Cujas, Jacques 206, 211, 213 Cunitz, Eduard 247 Danaeus, Lambertus 16, 93, 151 ff., 203, 204, 212, 218, 230, 231 Dathenus, Petrus 240, 253 Diény, Eugéne 62 Dionysius von Halicarnassus 136 Donellus, Hugo 189, 203, 206, 213, 217 Downame, John 139, 147 Edward VI. (England) 73, 243 Elazar, Daniel Judah 103 ff., 113, 129 Ellis, John 60 Engels, Friedrich 54 Erasmus von Rotterdam 72, 119 Ernstberger, Anton 80 Ernstus, Thomas 257 Eusebius von Caesarea 133, 230 Farel, Guillaume 63 Fenner, Dudley 15, 112, 136 ff. Fontaine, Sieur de la 199 Franz I. (Frankreich) 73 Friedberg, Emil (Aemilius) von 270 Friedrich II. (Pfalzgraf) 253 Friedrich III. (Pfalzgraf) 252 ff. Friedrich, Carl-Joachim 55 Gager, William 208 Gallars, Nicolas de 199 Gelasius I. (Papst) 133 Gentili, Alberico 17 f., 195 ff. Gentili, Anna 199 Gentili, Esther 199 Gentili, Mathaeus 196, 200 Gentili, Robert 199 Gentili, Scipio 196, 203 Gentillet, Innocent 59 Gierke, Otto von 9, 53, 267 f. Giustiniani, Agostino 227 Goldast, Melchior 98 Gooch, George Peabody 80 Gratian 211 Grotius, Hugo 17, 80, 98, 119, 169 ff.
Haggenmacher, Peter 175 Hale, Matthew 60 f. Hamilton, Alexander 126 Hastings, Henry 60 Henry VIII. (England) 73 Herzog von Alba (Spanien) 173 Heshusius, Tilemann 255 Heydens, Gaspar van der 240 Hieronymus, Sophronius Eusebius 215 Hobbes, Thomas 54, 99, 119 Hoenonius, Philipp Heinrich 206 Hofmann, Hasso 93 Hooker, Richard 80 Hortleder, Friedrich 98, 87 Hotman, Francois 92 f., 166, 206 Howell, Lloyd 81, 84 Hüllmann, Karl Dietrich 62 Jacob, Henry 60 Jakob VI. v. Schottland / I. v. England s. James I. James I. (England) 127, 195 Jellinek, Georg 53, 56, 71, 75, 268 Johannes VI. (Graf von Naussau-Dillenburg, der Ältere) 115, 207 Jordan, Camille 62 Justinian 231 Justus Menius 131 Kant, Immanuel 21 f., 48 Karl der Große 231 Kellermann, Ludwig 62 Kelsen, Hans 71 Knox, John 74 Lasco, Johannes a 74, 199, 236, 242 ff., 253, 258 Laski, Harold Joseph 80 Lawson, George 60 le Maçon, Robert 199, 200, 205 Lennep, Maximilian Frederik van 240 Lindenborg, Friedrich 98 Link, Christoph 186 Lipsius, Justus 151 Locke, John 80, 115, 119 Loewenstein, Karl 71 Lorimer, Jones 62
Personenverzeichnis Luther, Martin 23, 24, 46, 71 f., 123, 133 f., 201, 203 f., 210 f., 217, 219, 231, 235, 269 Maimonides, Moses 227 Malandrino, Corrado 152, 161 Marcianus, Aelius 159 Mariana, Juan de 93 Marnix van Sainte-Aldegonde, Philipp 212 Marshall, Steven 96 Martini, Ludwig Günther 112 Martinius, Matthias 220 Martyr Vermiglis, Petrus 205, 213, 215 Maxwell, James 60 Mazarin, Jules (Kardinal) 80, 91 Melanchthon, Philipp 13, 23 f., 26, 72, 82, 84 ff., 87 f., 90, 134, 155, 204, 213, 217, 231 Menger, Anton 54 Micron, Marten 253 Milton, John 80 Montaigne, Michel de 49 Montesquieu, Charles de 66, 98, 126 Mühlegger, Florian 190 Müntzer, Thomas 109 Neumann, Franz 53 Neumann, Karl-Heinz 61 Nippel, Wilfried 82 Noyes, James 60 Oestreich, Gerhard 80 Oldendorp, Johann 22, 59 Olevianus, Caspar 100, 112, 114, 135, 252, 257 Ottheinrich (von der Pfalz) 253, 255 Owen, David 80 Panizza, Diego 197 Papinian, Aemilianus 159, 165, 215 Pareau, Louis G. 93 Päter, Johann Stefan 61 Paulus 229 Paurmeister, Tobias 93 Perlstein, William 112, 135 ff., 146 ff. Philipp II. (Spanien) 173 Philipp Ludwig II. (Graf zu Hanau) 207
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Philo von Alexandria 215 Piccart, Michael 204 Pierre Grégoire/Petrus Gregorius Tholosanus 60, 125 f., 164, 230, 265 Piscator, Johannes 219 Placitius, Johannes Wilhelm 21 Platon 152, 154, 167 Ptolemaeus von Lucca 85 Ramus, Petrus/Ramée, Pierre de la 196, 225 Reuss, Eduard 247 Reynolds, John 200, 208 f., 213, 219 Rieker, Karl 64 Rollock Robert 112, 136 f., 139 f., 146 ff. Roos, Magnus Friedrich 61 Rosenthal, Heinrich 93 Roset, Claude 69 Roth, Johannes 61 Rousseau, Jean-Jacques 119 Ruffini, Francesco 76 Scheidemantel, Hans-Georg 61 Scheidler Karl Hermann 62 Scheuner, Ulrich 55 Schickler, Fernand de 243 Schmitt, Carl 18, 53, 195 Schmoeckel, Mathias 81, 90 Schubert, Ernst 87 Schuderoff Johnathan G. J. 61 Seneca, der Jüngere 160 f., 215 Serret, Miguel 76 Sinold von Schütz, Philipp Bathasar 61 Skinner, Quentin 81 Sleidanus, Johannes 217 Smend, Rudolf 55 f. Snecanus, Gellius 112, 122 Somos, Mark 171 ff., 180 Soto, Domingo de 134 Stahl, Friedrich Julius 62 Stephani, Mathias 230 Straumann, Benjamin 189 Strohm, Christoph 81 f. Struve, Johann Julius 61 Stumpf, Christoph A. 185 Suarez, Francisco 134 Swift, Jonathan 60
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Personenverzeichnis
Tholosanus, Petrus Georgius s. Pierre Grégoire Troeltsch, Ernst 8, 54 Tudor, Mary 205 Ullmann, Walter 84 Ursinus, Zachary 109
Weber, Max 9, 49 f.,54 Welcker, Michael 22 Welwood, Wiliam 163, 170, 190 Wenthrop, John 112 Westermann, Pauline C. 184, 185 Wiggertz, Cornelius 112 Witherspoon, John 112
van der Molens, Gesina H. J. 197, 199, 203 Velthusen, Johann Caspar 61 Veluanus, Johannes Anastasius 112 Vio, Tomasso de 134 Vitoria, Francisco de 134
Zabarella, Jacopo 215 Zepper, Wilhelm 220, 230 Zweig, Stefan 76 Zwinger, Theodor 125 Zwingli, Huldreich 99, 101, 110, 122
Autorenverzeichnis Becker, Judith, Dr., Leibniz-Institut für Europäische Geschichte Mainz Becker, Michael, M.A., Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Theologische Fakultät Bianchin, Lucia, Dr., Università degli Studi di Trento, Dipartimento di Scienze Giuridiche Friedeburg, Robert von, Prof. Dr., Erasmus Universiteit Rotterdam, Erasmus School of History, Culture and Communication Ingravalle, Francesco, Prof. Dr., Università degli Studi del Piemonte Orientale „Amedeo Avogadro“ Alessandria, Istituto di Politica, Amministrazione, Storia, Territorio Luther, Jörg, Prof. Dr., Università degli Studi del Piemonte Orientale „Amedeo Avogadro“ Alessandria, Istituto di Scienze Giuridiche ed Economiche Malandrino, Corrado, Prof. Dr., Università degli Studi del Piemonte Orientale „Amedeo Avogadro“ Alessandria, Istituto di Politica, Amministrazione, Storia, Territorio Scattola, Merio, Prof. Dr., Università di Padova, Dipartimento di Lingue e Letterature AngloGermaniche e Slave Schmoeckel, Mathias, Prof. Dr., Universität Bonn, Institut für Deutsche und Rheinische Rechtsgeschichte Strohm, Christoph, Prof. Dr., Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Theologische Fakultät de Wall, Heinrich, Prof. Dr., Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Hans-Liermann-Institut für Kirchenrecht Wyduckel, Dieter, Prof. Dr., Technische Universität Dresden, Forschungsstelle für Verfassungsgeschichte der frühen Neuzeit