Reformation und Revolution in der Wahrnehmung Paul Tillichs: Réformation et révolution dans la perception de Paul Tillich Paul Tillich's Perceptions into Reformation and Revolution 9783110668124, 9783110666526

Die Beiträge des Bandes untersuchen Tillichs Verständnis von 'Reformation' und 'Revolution' vor dem

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German Pages 454 [456] Year 2019

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Einleitung
I. Paul Tillichs Deutung der Reformation
La croix et le «principe protestant» entre Réformation et Révolution
Ecclesia semper reformanda
The Faithful Practice of Reformation: Resistance and Utopia in Tillich’s Thought
II. Paul Tillichs Deutung des Protestantismus
Reformation und Revolution
The Protestant Principle as Ongoing Reformation
Tillichs Deutung Luthers und der Reformation als Durchbruch des Unbedingten und seiner Aufnahme und Verwirklichung
Selbstkritische Affirmation
Tillichs ‚gläubiger Realismus‘ im Spannungsfeld von Reformation und Revolution
III. Paul Tillichs Deutung der Revolution
Antizipative Einheit
Geistesgeschichte und/oder/versus Heilsgeschichte
“Do not be conformed.” Paul Tillich’s revolutionary theology of culture
«Une révolution absolue est impossible» Éléments catholiques dans la pensée de Paul Tillich
IV. Perspektiven der Theologie Paul Tillichs
Säkulare Vernunft und religiöses Empfinden
Beyond Ultimate Concern
Life, Being, and Spirit in Paul Tillich’s Differential Monism: Presuppositions and Consequences
Relire Paul Tillich dans les crises actuelles. Nouveau paradigme face à la crise religieuse
Das Imaginäre
Penser à neuf la pastorale scolaire en Belgique francophone grâce à une relecture de l’oeuvre de Paul Tillich
Le protestantisme au Brésil entre le conservatisme et la transformation sociale
Rapport à la tradition en Afrique et Christianisme : Lieux de Réformation et de Révolution Théologiques
La Théologie systématique de Tillich: une révolution?
Autorenverzeichnis
Personenregister
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Reformation und Revolution in der Wahrnehmung Paul Tillichs: Réformation et révolution dans la perception de Paul Tillich Paul Tillich's Perceptions into Reformation and Revolution
 9783110668124, 9783110666526

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Reformation und Revolution in der Wahrnehmung Paul Tillichs

Tillich Research

Tillich-Forschungen Recherches sur Tillich Edited by Christian Danz, Marc Dumas, Verna Ehret, and Werner Schüßler

Volume 18

Reformation und Revolution in der Wahrnehmung Paul Tillichs Réformation et révolution dans la perception de Paul Tillich Paul Tillich’s Perceptions into Reformation and Revolution Herausgegeben von Raymond Asmar, Christian Danz, Martin Leiner und Matthew Lon Weaver

ISBN 978-3-11-066652-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-066812-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-066704-2 ISSN 2192-1938 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorwort Der vorliegende Band versammelt die Beiträge des Internationalen Kongresses der Association Paul Tillich d’expression française, der Deutschen Paul-Tillich-Gesellschaft e.V. und der North American Paul Tillich Society, der vom 3. bis 6. September 2017 an der Theologischen Fakultät der Universität Jena zum Thema Reformation und Revolution in der Wahrnehmung Paul Tillichs stattfand. Ohne die vielfältigste Unterstützung wäre die Bearbeitung des Bandes nicht möglich gewesen. Bernhard Lasser, Emil Lusser und Patrick Pertl (alle Wien) haben dankenswerterweise die Druckvorlage sowie die Register des Bandes erstellt. Ihnen danken wir ebenso wie dem theologischen Cheflektor des Verlags de Gruyter Dr. Albrecht Döhnert für die wie gewohnt sehr gute Zusammenarbeit. Beirut, Wien, Jena und Dulles im März 2019

https://doi.org/10.1515/9783110668124-001

Raymond Asmar, Christian Danz, Martin Leiner, Matthew Lon Weaver

Inhalt Christian Danz 1 Einleitung

I. Paul Tillichs Deutung der Reformation Raymond Asmar La croix et le « principe protestant » entre Réformation et Révolution Stefan Dienstbeck Ecclesia semper reformanda Tillichs Geistgemeinschaft zwischen kerygmatischem Anspruch und 21 prophetischem Durchbruch Matthew Lon Weaver The Faithful Practice of Reformation: Resistance and Utopia in Tillich’s 39 Thought

II. Paul Tillichs Deutung des Protestantismus Christian Danz Reformation und Revolution Paul Tillichs Deutung des Protestantismus Mary Ann Stenger The Protestant Principle as Ongoing Reformation

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85

Erdmann Sturm Tillichs Deutung Luthers und der Reformation als Durchbruch des 101 Unbedingten und seiner Aufnahme und Verwirklichung Martin Fritz Selbstkritische Affirmation Tillichs ‚protestantisches Prinzip‘ als Kennzeichen pluralismusfähiger 131 Religion

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VIII

Inhalt

Burkhard Nonnenmacher Tillichs ‚gläubiger Realismus‘ im Spannungsfeld von Reformation und Revolution 173

III. Paul Tillichs Deutung der Revolution Katharina Wörn Antizipative Einheit Zum Verhältnis von Zweideutigkeit und Revolution in Paul Tillichs Sozialistischer Entscheidung 191 Peter Haigis Geistesgeschichte und/oder/versus Heilsgeschichte Zur Dynamik der Geschichte und ihrer theologischen Interpretation bei Paul Tillich 205 Russell Re Manning “Do not be conformed.” Paul Tillich’s revolutionary theology of 217 culture Werner Schüßler « Une révolution absolue est impossible » Éléments catholiques dans la pensée de Paul Tillich 235

IV. Perspektiven der Theologie Paul Tillichs Axel Siegemund Säkulare Vernunft und religiöses Empfinden Paul Tillich für die interkulturelle Begegnung? Sorin-Avram Vîrtop Beyond Ultimate Concern

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275

Jari Ristiniemi Life, Being, and Spirit in Paul Tillich’s Differential Monism: Presuppositions 287 and Consequences

Inhalt

Gabriella Iaione Relire Paul Tillich dans les crises actuelles. Nouveau paradigme face à la crise religieuse 301 Marcus Held Das Imaginäre Eine erkundende Re-Lektüre der Möglichkeit von Revolution und Reformation bei Paul Tillich durch die Theorie-Brille von Cornelius 319 Castoriadis Geoffrey Legrand Penser à neuf la pastorale scolaire en Belgique francophone grâce à une relecture de l’œuvre de Paul Tillich 349 Etienne Higuet Le protestantisme au Brésil entre le conservatisme et la transformation sociale En dialogue avec les réflexions de Paul Tillich sur le protestantisme allemand et nord-américain 369 Jean Paul Niyigena Rapport à la tradition en Afrique et Christianisme : Lieux de Réformation et 397 de Révolution Théologiques Marc Dumas La Théologie systématique de Tillich: une révolution? Autorenverzeichnis Personenregister

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Christian Danz

Einleitung

Reformation und Revolution stellen zwei Stichworte dar, auf die Paul Tillich in seinem Werk immer wieder zu sprechen kommt. So erklärt er in seiner im Sommersemester 1919 an der Berliner Universität gehaltenen Vorlesung Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart seinen Hörern: „Es ist auch meine Überzeugung, daß wir vor einer Wende der Zeiten stehen, wie [sie] seit der Reformation oder seit dem Sieg des Christentums über die germanischen Völker nicht mehr dagewesen ist.“ (EW XII, 81)¹ Vor dem Hintergrund von Kriegsende und Revolution versteht der junge Privatdozent seine Vorlesung gleichsam selbst als eine Katheter-Revolution. Seine Hörer ruft er auf, an „dem Tempel dieser neuen Idee mitzuarbeiten“ (ebd.), die er in seiner Vorlesung „für ihre zukünftige Lebensaufgabe“ (ebd.) entwickelt. Tillich positioniert sich mit seiner Vorlesung freilich auch in dem hart umkämpften Feld über die Deutungshoheit der Revolution und die Therapien zur Krise der Moderne.² Verwunderlich ist es daher nicht, wenn das Thema, zugespitzt auf die zeitdiagnostische Kategorie des Kairos und verbunden mit dem religiösen Sozialismus,³ in den Schriften der 1920er Jahren nicht nur aufgenommen, sondern systematisch ausgearbeitet wird. Und es bleibt bis hin zu Tillichs Spätwerk in seinen Texten präsent. Umso mehr erstaunt es, dass beide Begriffe in der Forschung zu seiner Theologie nur wenig thematisiert worden sind.

 Die Werke Paul Tillichs werden in diesem Band nach folgenden Ausgaben und Siglen zitiert: Ergänzungs- und Nachlassbände zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich, hg.v. I. Henel u. a., bisher 20 Bde., Stuttgart, dann Berlin 1971 ff. = EW; Gesammelte Werke, hg.v. R. Albrecht, 14 Bde., Stuttgart 1959 – 1975 = GW; Main Works/Hauptwerke, hg.v. C. H. Ratschow, 6 Bde., Berlin/ New York 1987– 1998 = MW.  Vgl. M. Weber, Wissenschaft als Beruf, in: ders., Schriften zur Wissenschaftslehre, hg.v. M. Sukale, Stuttgart 1991, 237– 273; E. Troeltsch, Die Revolution in der Wissenschaft, in: ders., Aufsätze zur Geistesgeschichte und Religionssoziologie, hg.v. H. Baron (= Gesammelte Schriften, Bd. IV), Tübingen 1925 = ND Aalen 1966, 653 – 677. Zu Tillichs erster Berliner Vorlesung vgl. G. Pfleiderer, Kultursynthesen auf dem Katheder. Zur Revision von Troeltschs Soziallehren in Tillichs Berliner Programmvorlesung von 1919, in: Religion – Kultur – Gesellschaft. Der frühe Tillich im Spiegel neuer Texte (1919 – 1920), hg.v. C. Danz/W. Schüßler, Wien 2008, 119 – 136; M. MurrmannKahl, Theologisches Prinzip und Modernitätserfahrung in Paul Tillichs Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart (1919), in: Religion – Kultur – Gesellschaft. Der frühe Tillich im Spiegel neuer Texte (1919 – 1920), hg.v. C. Danz/W. Schüßler, Wien 2008, 137– 154.  Vgl. hierzu A. Christophersen, Kairos. Protestantische Zeitdeutungskämpfe in der Weimarer Republik, Tübingen 2008. https://doi.org/10.1515/9783110668124-002

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Christian Danz

Der lutherische Theologe Tillich hatte selbst zwei Revolutionen als Zeitzeuge miterlebt: die Novemberrevolution von 1918 und die ‚Deutsche Revolution‘ der Nationalsozialisten 1933. Reformation und Revolution markieren in seinen Schriften wichtige Bezugspunkte. Allein, Verständnis und Verhältnis beider Kategorien ist seit dem 19. Jahrhundert, also im Schatten der Französischen Revolution, hoch umstritten und umkämpft. Ist in der Französischen Revolution nur zutage getreten, was mit der Reformation einsetzte und in ihr bereits angelegt war, wie nicht nur viele Katholiken meinten, oder unterscheiden sich Reformation und Revolution? Die konkurrierenden Deutungen der Zusammenhänge von Reformation und Revolution lassen sich nicht einfach auf Konfessionsgegensätze verteilen. Liberale Protestanten sahen in der Revolution die Erfüllung der Reformation, während konservative Protestanten die Reformation entschieden von der Französischen Revolution absetzten. Seit der Aufklärung verbanden liberale Intellektuelle wie Gotthold Ephraim Lessing die Durchsetzung von Freiheitsrechten, die Freiheit der Wissenschaft von religiöser Bevormundung und das Recht auf Gewissensfreiheit mit der Reformation. Um 1800 verschmelzen die Deutungen der Revolution mit der Idee der deutschen Einheit als Vollendung der Reformation. Ebenso kann genau umgekehrt die Revolution, die Forderungen nach Freiheit, Menschenrechten und Demokratie als Auflösung der gottgegebenen Ordnung verstanden werden, wie im Konservativismus. Die wahre Revolution ist für den lutherischen Staatstheoretiker Friedrich Julius Stahl die Reformation, die von der Zerstörung der Ordnung und des Rechts strikt unterschieden ist. Und Hegel schließlich, der in der Reformation die Hauptrevolution in der Geschichte ausmachte, deutete sie als einen dritten Weg: der Weltgeist erfasst sich in den Hammerschlägen an der Wittenberger Schlosskirche als Subjektivität. Revolution und Reformation, das wird schnell deutlich, werden synonym gebraucht oder radikal unterschieden. Wie im 19., so sind auch im 20. Jahrhundert Reformation und Revolution umkämpfte deutungspolitische Kategorien. Um 1900 wurden allerdings die Folgen des Ausdifferenzierungsprozesses von Kultur und Gesellschaft infolge von Modernisierungsprozessen zunehmend deutlicher, so dass die Einheit der Kultur selbst zu einem Problem wurde. Die ‚Tragödie der Kulturʻ (Georg Simmel) avancierte zu einem Thema der sich etablierenden Kulturwissenschaften und der Theologie. Vor diesem Hintergrund nahm der junge Paul Tillich sein Studium der Theologie auf und arbeitete seine ersten eigenständigen theologischen Konzeptionen aus. Wie ordnet er, der lutherische Theologe und religiöse Sozialist, die beiden Deutungskategorien einander zu? Und was versteht er unter Reformation und Revolution? Auf den ersten Blick sind die Aussagen zu Reformation und Revolution, die sich im gesamten Werk Tillichs finden, von einer erstaunlichen Kontinuität ge-

Einleitung

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prägt. In der religiösen Revolution Luthers löste sich die mittelalterliche Kultur auf. Reformation und Revolution markieren krisenhafte Umbrüche, in denen gesellschaftliche Einheiten sich auflösen. Hinter Tillichs Verständnis von Reformation und Revolution als Kritik stehen die Deutungen der Genese der Moderne von Max Weber und vor allem von Ernst Troeltsch. Die inhaltliche Darstellung der Reformation in der eingangs erwähnten Berliner Vorlesung vom Sommersemester 1919 hat Tillich, wie er selbst anmerkt, aus den Soziallehren seines Berliner Kollegen übernommen.⁴ Noch in späteren Texten wie dem 1950 publizierten Aufsatz Die Wiederentdeckung der prophetischen Tradition in der Reformation schimmert das durch.⁵ Die systematische Grundlage von Tillichs Verständnis von Reformation und Revolution ist die Geschichtsphilosophie, in der sie als Deutungskategorien fungieren. Beide Kategorien stehen für Weisen der Sinndeutung der Geschichte auf dem Weg hin zu ihrer Selbsterfassung im gegenwärtigen Standpunkt und sind Bestandteile des Protestantismusverständnisses Tillichs.⁶ Auch der Protestantismus ist eine geschichtsphilosophische Deutungskategorie und weniger die Bezeichnung für eine Konfession. Ihre abschließende Gestalt, die dann auch in der Systematischen Theologie aufgenommen ist, erhielt die Protestantismustheorie Tillichs erst in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre.Vor ihrem Hintergrund deutet er den religiösen Sozialismus als die wahre Revolution, in der auch die Reformation zu ihrer fragmentarischen Erfüllung in der Geschichte kommt. Seit den 1930er Jahren hat Tillich sein Verständnis des religiösen Sozialismus modifiziert, er verschwindet jedoch ebenso wenig wie die beiden Stichworte Reformation und Revolution aus seinen Schriften zur religiösen Lage der Kultur in der Moderne. Die Beiträge dieses Bandes loten Tillichs Verständnis von Reformation und Revolution auf der Grundlage seines Gesamtwerkes aus. Das erfolgt in vier Sektionen. Den Ausgangspunkt markiert die Reformationsdeutung des lutherischen Theologen. Daran schließen sich Beiträge an, die Tillichs Deutung des Protestantismus untersuchen und sodann dessen Deutung der Revolution. Die den Band abschließende Sektion widmet sich Perspektiven, die mit Tillichs Reformations- und Revolutionsverständnis verbunden sind. Auf diese Weise bietet der vorliegende Band einen facettenreichen Überblick zu dem Thema Reformation und Revolution.

 Vgl. P. Tillich, Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart, EW XII, 30. Vgl. E. Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Tübingen 1912.  Vgl. P. Tillich, Die Wiederentdeckung der prophetischen Tradition in der Reformation, GW VII, 171– 215.  Vgl. hierzu P. Tillich, Kairos, in: ders., Ausgewählte Texte, hg.v. C. Danz/W. Schüßler/E. Sturm, Berlin/New York 2008, 43 – 62.

I. Paul Tillichs Deutung der Reformation

Raymond Asmar

La croix et le « principe protestant » entre Réformation et Révolution Introduction Cinq cents ans déjà, Luther a fait les premiers pas sur le chemin laborieux et interminable de la révolution. Son pas certes géant, vaillant même, faisait de lui le chef de file d’une Réformation dont les retombées continuent jusqu’à nos jours. Et le titre de ce colloque en est l’une des preuves « Révolution et Réformation ». L’emblème qui résume le mieux le parcours existentiel et intellectuel de Luther fut sans aucun doute la croix, comme élément d’auto-négation et par la suite d’auto-critique. Le Christ s’est nié sur la croix ; il s’est situé volontairement au-dessous du jugement prophétique et non au-dessus parce qu’il est Le Prophète. La croix selon Luther est elle-même ce que Tillich appelle « principe protestant », c’est-à-dire cet « […] élément critique à l’intérieur de la profession de foi de la communauté croyante et par conséquent l’élément de doute dans l’acte de foi […] on pourrait dire que l’Église, avec toutes ses doctrines, ses institutions et ses autorités, se situe au-dessous du jugement prophétique, et non au-dessus de lui ».¹ Mon intervention se propose de montrer dans quelle mesure Tillich raisonne toujours en bon luthérien, c’est-à-dire d’une part fidèle à une théologie de la croix prônée par Luther, et d’autre part fidèle à la réflexion critique, élément immanquablement inhérent à toute philosophie digne de son nom. Tillich est théologien fou du côté de la croix et philosophe équilibré du côté du « principe protestant ». Peut-être il est les deux inséparablement² selon ce que dit Luther  P. Tillich, Dynamique de la foi, trad. de l’anglais et présenté par Fernand Chapey, Casterman 1968, 45 – 46. Même la « sola scriptura » pour le protestantisme ne demande pas une foi de façon inconditionnelle. La Bible est toujours au-dessous de l’Inconditionné. Elle ne requiert pas la foi en elle mais en l’Inconditionné, selon ce que dit Tillich: « Le chrétien peut croire les auteurs de la Bible, mais non de façon inconditionnelle. Il n’a pas foi en eux. Il ne devrait pas même avoir foi dans la Bible. Car la foi est plus que la confiance dans l’autorité, même la plus sacrée » (Ibid., 49).  « Contre Pascal, je dis: le Dieu d’Abraham, d’Isaac et de Jacob, et le Dieu des philosophes, est le même Dieu. Il est une personne et sa propre négation comme une personne », écrit Tillich. (P. Tillich, Religion biblique et ontologie, trad. de l’anglais par Jean-Paul Gabus, Paris: Presses Universitaires De France 1970, 78). https://doi.org/10.1515/9783110668124-003

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Raymond Asmar

dans les propositions 29 et 30 de la controverse tenue à Heidelberg (1518): « celui qui veut sans danger philosopher en Aristote, il faut qu’auparavant, il soit rendu bien fou en Christ. De même que l’homme n’use pas bien du mal du désir, à moins qu’il soit marié, de même personne ne philosophe bien, sinon celui qui est fou, c’est-à-dire le chrétien ».³ Sur ce, je n’entends pas par la présente conférence exposer la théologie de la croix⁴ de Luther qui est bien connue, mais j’aimerais d’une part montrer l’enracinement de la pensée de Tillich dans celle de Luther, et d’autre part faire entrevoir le rapport étroit quoique implicite entre le « principe protestant » et la croix. Ma méthode consiste à partir du « principe protestant » et puis j’essayerai de montrer comment la croix sous-tend ce principe et est à la base de toutes les idées afférentes à ce même principe. J’ai divisé mon exposé suivant trois axes: dans le premier je développerai l’enracinement du « principe protestant » dans la théologie de la croix de Luther. Dans le second axe je montrerai tant l’opposition entre le « principe protestant » et la « substance catholique » que leur complémentarité. Dans le troisième axe je ferai remarquer le lien entre le « principe protestant » et le symbole.

1 Premier axe: Le « principe protestant » et la théologie de la croix Tillich appelle le « principe protestant », cet « […] élément critique à l’intérieur de la profession de foi de la communauté croyante et par conséquent l’élément de doute dans l’acte de foi […] ».⁵ Cette définition que Tillich donne du « principe protestant » montre la permanence de la protestation comme élément de critique et de doute à l’intérieur de l’acte de foi. L’acte de foi inclut le doute à son égard comme élément constituant. Tillich écrit: « L’acte d’accepter l’absence de sens est en lui-même un acte pourvu de sens: il est acte de foi ».⁶ Le principe protestant critique à l’intérieur de l’acte de foi fait que la foi est une foi en la croix, et par la croix. Elle est une foi incluant le doute, l’absurde, le non-sens, le nonêtre, l’angoisse, la souffrance, la mort, la damnation ; une foi qui s’enracine

 M. Luther, Œuvres, Controverse tenue à Heidelberg, trad. par Pierre Jundt, Tome 1, Genève: Labor et Fides 1957, 126.  Voir à ce propos l’article de P. Bûhler, Théologie de la croix, in: l’Encyclopédie du protestantisme, Genève, Paris: Labor et Fides et Cerf 1995, 1553.  P. Tillich, Dynamique de la foi, op.cit., 45 – 46.  P. Tillich, Le courage d’être, trad. de l’anglais par Fernand Chapey, Casterman 1967, 169.

La croix et le « principe protestant » entre Réformation et Révolution

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dans la finitude humaine c’est-à-dire dans la croix du Christ. Selon Luther, on ne peut appeler à bon droit théologien que celui qui saisit les choses visibles et inférieures de Dieu en les considérant à partir de la passion et de la croix. Les choses inférieures et visibles de Dieu qui correspondent à la théologie de la croix s’opposent aux choses invisibles qui correspondent à la théologie de la gloire. Les choses inférieures et visibles de Dieu sont l’humanité du Christ et la croix.⁷ Luther dit: « […] il n’est suffisant ni profitable à personne de connaître Dieu dans sa gloire et sa majesté, s’il ne le connaît pas aussi dans l’humilité et l’ignominie de la croix… Donc, c’est en Christ crucifié qu’est la vraie théologie et la connaissance de Dieu… ».⁸ La foi n’est pas un ensemble de certitudes objectives qui résistent aux assauts du doute et de l’absurde. La foi est essentiellement ébranlable. La foi résiste à la menace du doute et de l’absurde mais sa résistance ne s’effectue pas sur la base « solide » de la certitude dogmatique et des symboles ecclésiastiques. Les certitudes dogmatiques ainsi que toute affirmation qui se veut infaillible traduisent la menace du doute, et le désir sous-jacent de sécurité au milieu de l’insécurité et de l’absurde. Aux questions posées par l’existence, la foi ne répond pas en supprimant l’absurde. La réponse de la foi présuppose l’absurde comme condition préalable. Ce n’est que dans l’absurdité de la foi que l’absurde se trouve dépassé. Tillich dit: « Il faut que, dans la réponse, l’absurde soit accepté comme condition préalable. Il n’y a pas de réponse si on exige d’abord la suppression de l’absurde, car c’est précisément ce qui ne peut pas se faire ».⁹ Il faut donc risquer la foi, oser l’ébranler, la sacrifier au pied de la croix. C’est là, sur la croix que le Christ a assumé le doute radical, l’absurdité, le nonsens, l’angoisse et la damnation. La croix a secoué la foi ébranlable du Fils au moment où il a été abandonné par son Père, mais elle a en même temps affermi sa foi inébranlable en son Père, en s’abandonnant à lui dans l’absurdité de la foi et le doute à son égard. La croix est paradoxale en ceci qu’elle ajoute au courage de la foi le doute radical à son égard, le doute de Celui qui a dit: « Abba Abba pourquoi m’as-tu abandonné ? ».¹⁰ Si la foi inclut l’absurde, le doute et le non-

 Voir l’explication des propositions 20, 21, 22, 23, 24 de la controverse tenue à Heidelberg, op.cit., 135 – 38.  M. Luther, Œuvres, Traduit par Pierre Jundt, Tome I, Labor et Fides, Genève 1957, 135 – 136.  P. Tillich, Le courage d’être, op.cit., 168.  Le Christ est allé jusqu’au bout de l’amour parce qu’il a donné sans compter, voire parce qu’il s’est donné et ne s’est rien retenu ou laissé. La croix avoue, selon Tillich, ce qu’il appelle le « saint gaspillage », l’« abandon extatique »; elle est le plus complet et le plus saint des gaspillages. Sur la croix, le Christ est allé jusqu’au bout du gaspillage de son être; il s’est gaspillé luimême sans jamais retenir ni rien compter parce que « la mesure de l’amour c’est d’aimer sans

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Raymond Asmar

sens c’est qu’elle s’enracine dans la foi d’Abraham. Elle est foi de la croix préfigurée par la foi d’Abraham qui a inclus en elle un élément de doute, d’absurdité et de non-sens.¹¹ Abraham a pu intégrer la demande « absurde » de Dieu de sacrifier son fils dans sa foi absolue en un Dieu « Absurde ». Le sacrifice d’Isaac semble n’avoir aucun sens et c’est ce non-sens de la mort d’Isaac qui a donné sens à la foi absolue d’Abraham.¹² L’acceptation de l’absurde¹³ est le courage d’une foi absolue parce qu’aveugle devant l’Inconditionné. C’est dans le doute radical que s’expérimente la foi radicale. L’élément critique inhérent au « principe protestant » n’est pas seulement un élément sensé et raisonnable au sens philosophique classique du terme. L’élément critique est un élément de folie, de doute, de non-sens et d’absurde exactement dans le même sillage de la théologie de la croix de Luther. Tillich nous fait remarquer que la participation à la mort et à la résurrection du Christ est une participation à l’être de celui dont la croix est folie et faiblesse pour le monde, dont la sagesse démonique dit « non » à la folie de la croix et dont les puissances démoniques disent « non » à la faiblesse du crucifié. Le « oui » du monde prononcé à la faveur de sa sagesse et de sa puissance produit l’idolâtrie qui doit être brisée au pied de la croix. En dehors de la folie et de la faiblesse de la croix, il n’y a pas de sagesse ultime. Quand elle n’est pas brisée, la sagesse de la philosophie nous domine mais quand elle est brisée et élaguée de sa tendance à l’idolâtrie, elle est sagesse pour Dieu et folie pour le monde, puissance pour Dieu et faiblesse pour le monde. Tillich brandit la croix et clame fort: « Aucun être fini ne peut atteindre l’infini s’il n’est brisé comme a été brisé sur la croix celui qui représentait le monde, sa sagesse et sa puissance. La folie et la faimesure », dit Saint Augustin. Tillich écrit dans le même sens: « Dans l’amour qui s’abandonne soi-même sur la Croix se trouvent unis la raison et l’extase, l’obéissance morale et le saint gaspillage. Puissions-nous avoir l’abondance de cœur pour nous gaspiller sans compter puisque c’est notre service raisonnable! » (P. Tillich, L’être nouveau, trad. de l’anglais par Jean-Marc Saint, Planète, [coll. L’expérience intérieure] 1969, 79).  Kierkegaard écrit: « […] Abraham fut le plus grand de tous, grand par l’énergie dont la force est faiblesse, grand par la sagesse dont le secret est folie, grand par l’espoir dont la forme est démence, grand par l’amour qui est la haine de soi-même » (S. Kierkegaard, Crainte et tremblement, trad. du danois par P.-H. Tisseau, Paris: Aubier- Montaigne 1946, 18).  Abraham n’a pas seulement expérimenté le non-sens du sacrifice d’Isaac mais le non-sens du sens vers où il est appelé par Dieu à se diriger « Dieu apparut à Abram, et lui dit: Je suis le Dieu tout-puissant. Marche devant ma face, et sois intègre » (Gn 17, 1). Abram ne savait pas exactement où aller parce que « ne pas savoir où aller est savoir où aller », écrit Tillich (P. Tillich, Substance catholique et principe protestant, trad. et introduction sous la direction d’André Gounelle, Les Presses de l’Université Laval, Cerf, Labor et Fides 1995, 302).  « Il (Abraham) crut l’absurde ». Nous ajoutons (S. Kierkegaard, Crainte et tremblement, op.cit., 25).

La croix et le « principe protestant » entre Réformation et Révolution

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blesse de la croix sont ensemble la sagesse ultime ».¹⁴ Le doute et l’angoisse qu’on éprouve dans la recherche de la vérité font appel, et à tort, à une sécurité qui vient de l’Église et de son enseignement doctrinal qu’elle prétend avoir, et non de la sécurité de l’être qu’est Christ dans l’épreuve continuelle du doute de la croix. Tillich dit: « L’attitude critique et le doute montrent que la communauté de foi se tient » sous la croix«, si on entend par croix le jugement divin sur la vie religieuse de l’homme et même sur le christianisme, bien que ce dernier ait accepté le signe de la croix ».¹⁵ À la lumière de cette dernière citation, Tillich montre à merveille l’enracinement du « principe protestant » dans la théologie de la croix de Luther. Tillich considère que le « principe protestant » ne doute et ne critique que parce qu’il est un « jugement prophétique » au-dessous duquel se tiennent la terre tout entière, y compris l’Église et le christianisme lui-même. Sur la croix, le Christ a été accusé, condamné et jugé et sous cette croix toute la terre et tous ses fondements ont été jugés. Le Christ « jugé » est notre Juge. Il est très compréhensible pour un luthérien qu’est Tillich de voir dans le crucifié plus la figure d’un prophète qui juge parce qu’il se juge que la figure d’un prêtre qui sacrifie les autres sans se sacrifier. La croix est aussi bien « principe protestant » que « jugement prophétique ». Le crucifié est au-dessus de la terre tant au sens littéral qu’au sens figuré; il la regarde et la juge d’en-haut. Au moment de la crucifixion, la terre tout entière a été jugée au Golgotha. Tillich montre que sur la croix, le Christ a enduré l’angoisse d’être détaché du sol maternel de la terre, lieu et espace de la sécurité sédentaire de l’être. Tillich a inversé les rôles: ce n’est plus la croix qui s’est plantée dans la terre comme dans son fondement mais c’est plutôt la terre ellemême qui a trouvé dans la croix son propre fondement sur lequel elle repose.¹⁶ Si toute la terre a été ébranlée par la croix c’est que l’Église, les religions, y compris le christianisme, avec leurs dogmes, leurs institutions, et leurs fondements sécurisants ont été également ébranlés et jugés. La religion doit se nier (non-être) pour s’affirmer (être) dans la négation et non en dehors d’elle. Ceci

 P. Tillich, L’être nouveau, op.cit., 151.  P. Tillich, Dynamique de la foi, op.cit., 46.  En tremblant et en frémissant, la terre prouve qu’elle n’est pas le sol maternel sur lequel nous pouvons construire en toute sécurité nos maisons, nos cités, nos cultures et nos systèmes religieux. En tremblant et en frémissant, la terre a montré un autre fondement, le fond sur lequel elle repose […] Depuis l’instant où Jésus a poussé son dernier cri et rendu son dernier soupir, et où les rochers se sont fondus, la terre a cessé d’être le fondement de tout ce que nous bâtissons sur elle. Elle ne subsiste que dans la mesure où elle repose sur un fond plus profond. Elle ne peut durer que dans la mesure où elle s’enracine dans le fondement où la croix est plantée (P. Tillich, L’être nouveau, op.cit., 228).

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s’applique à toutes les religions y compris le christianisme. Dans La dimension oubliée Tillich précise que si la religion a une parole à nous dire, ça ne peut être qu’une parole qu’elle adresse contre elle-même. Et il qualifie cette parole de prophétique: « La première parole que la religion doit à l’homme d’aujourd’hui, c’est d’abord et avant tout une parole contre elle-même. C’est la parole des prophètes juifs contre les prêtres, les rois et les faux prophètes, tous gardiens de leur religion nationale, qui consacraient des institutions et une politique perverties sans les soumettre au jugement de Dieu ».¹⁷ Dans son livre Le christianisme et les religions, Tillich s’attelle à montrer que la négation que le christianisme devrait opérer contre lui-même et surtout contre sa particularité est fondée sur la négation du Christ lui-même qui s’est sacrifié comme Jésus-particulier au profit du Christ-universel. Si le christianisme prétend à l’universalité, il ne peut le faire que s’il nie sa propre particularité. C’est lorsqu’il se juge lui-même en appliquant le « principe protestant » qu’il a le droit de juger les autres religions.¹⁸

2 Deuxième axe: Le « principe protestant » et la « substance catholique » Le « principe protestant » proteste contre la « substance catholique » qui cherche à « substantialiser », à « objectiver » la foi et le sacré dans des objets, des actions, des sacrements, des cultes et des cérémonies sacrés. La substance catholique rend le sacré perçu, visible, touchable et abordable dans une Église visible qui rend effectives et réelles la grâce et la foi. Ce caractère « substantiel » de notre rapport avec le sacré qui caractérise le catholicisme en fait une Eglise de type  P. Tillich, La dimension oubliée, trad. de l’allemand par Henri Rochais, Présentation de Jean Onimus, Desclée de Brouwer 1969, 66.  La signification de l’ « événement chrétien » se tient, au contraire, dans l’événement luimême qui est à l’origine de ces conséquences et qui les juge. C’est la vie d’une personne dont l’image est restée marquée chez les disciples comme celle d’une vie dont l’unité avec Dieu n’a pas été rompue et qui n’a élevé aucune prétention à l’absolu pour sa propre particularité. Ce qui fait la valeur du particulier en lui, c’est qu’il sacrifie le particulier à l’universel. Voilà ce qui libère son image de toute attache avec une religion particulière, tant avec la religion à laquelle il appartenait et qui l’a rejeté qu’avec la sphère religieuse comme telle. Le principe de l’amour en lui embrasse tous les êtres, le domaine religieux comme le domaine séculier. Dans cette image, qui est particulière et également libre de toute particularité, religieuse et également libre à l’égard de la religion, nous sont donnés les critères selon lesquels le christianisme doit se juger lui-même et, en se jugeant lui-même, juger aussi les autres religions et les quasi-religions (P. Tillich, Le christianisme et les religions, trad. de l’anglais par Fernand Chapey, Paris : AubierMontaigne 1968, 156).

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sacramentel et par la suite sacerdotal. Le « principe protestant » proteste contre la prétention sacramentelle de l’Église catholique à manipuler le sacré, à se l’approprier et l’interdire aux autres, en vue d’en être la seule dispensatrice.¹⁹ Si la « substance catholique » est de type sacramentel, le « principe protestant » est de type prophétique parce qu’il juge le sacramentalisme sacerdotal de l’Église catholique exactement comme les prophètes de l’Ancien Testament jugeaient les abus sacramentaux des prêtres. Le protestantisme s’élève contre la prétention du catholicisme à s’approprier le sacré, à le réduire au seul champ de son action sur lui. Tillich s’en prend à la façon dont le catholicisme ne dispense le salut que parce qu’il en dispose. Il précise au contraire que le sacré n’est pas une réalité objective qu’on peut localiser ici et maintenant mais il est une réalité transcendante et inconditionnée. Tillich s’explique ainsi: « Le sacré n’échappe pas à la perception. Mais il n’est pas objectif. Le sacré se perçoit de façon non objectivée; il se perçoit comme signification transcendante. Voilà qui décide de la querelle entre catholiques et protestants au sujet du caractère visible et invisible de l’Église: l’Église se perçoit comme structure de grâce mais elle n’est pas objective ».²⁰ C’est contre tout le système catholique d’objectivation hiérarchique de la grâce que Luther déjà a protesté. À son instar, Tillich dit: « Il ne faut pas objectiver la grâce ».²¹ L’une des fonctions du « principe protestant » est d’extirper l’opposition entre le sacré et le profane d’où son importance inéluctable pour la « théonomie ». Si la « substance catholique » tend à substantialiser le sacré dans des lieux, des objets, des cultes, et des personnes sacrés en mettant de côté tout ce qui est profane ; le « principe protestant » proteste contre cette substantialisation-mécanisation et dés-objective la grâce, en incluant le séculier dans le sacré et le sacré dans le séculier. « Au cœur du principe protestant se situe l’élimination de l’opposition entre le sacré et le profane »,²² écrit Tillich. Tillich fait de l’unité du sacré et du profane l’un des principes du protestantisme. Il écrit: « Le protestantisme affirme la relation directe du divin avec chaque élément de la

 Tillich écrit à ce propos: « Les Réformateurs ont reproché à la doctrine catholique d’enlever à la grâce son inconditionnalité, d’en faire un objet de possession dont on pourrait disposer, que l’on pourrait acquérir en se soumettant à la hiérarchie qui distribue la grâce, que l’on pourrait diviser en plusieurs grâces dont aucune ne serait inconditionnée, d’estimer d’avoir dans l’Église une structure de grâce qui soit une réalité visible et palpable » (P. Tillich, Substance catholique et principe protestant, op.cit., 86).  Ibid., 36.  Ibid., 41.  Ibid., 46.

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réalité, et il proteste aussi bien contre les médiations hiérarchiques que contre toute séparation entre un domaine sacré et un domaine profane ».²³ Dans l’article où il est question de la signification permanente de l’Église catholique pour le protestantisme, l’homme, selon Tillich, fait l’expérience du sacré de deux manières: le « sacré de ce qui est » et le « sacré de ce qui devrait être ». Le « sacré de ce qui est » se rattache au catholicisme de type sacramentel dont le prêtre est le représentant, et le « sacré de ce qui devrait » se rattache au protestantisme de type eschatologique dont le prophète est le représentant. Le sacré est un don mais il est aussi une exigence. Le « sacré de ce qui est » désigne le caractère fixe, figé et substantiel du sacré dont le protestantisme a besoin (d’où le correctif catholique) pour ne pas perdre sa substance religieuse en devenant un mouvement autonomiquement séculier et profane, et le « sacré de ce qui devrait être » désigne le caractère critique, dynamique et eschatologique du sacré dont le catholicisme a besoin (d’où le correctif protestant) pour ne pas perdre sa profanité prophétique en devenant un mouvement hétéronomiquement démonique s’identifiant à l’absolu.²⁴ Le « principe protestant » s’applique au catholicisme pour empêcher la démonisation hétéronome de la religion et au protestantisme pour empêcher la profanation autonome de la culture bien qu’à l’origine ce principe ait été l’arme dont Tillich se servait pour combattre le « Grand Inquisiteur ».²⁵ Il n’est pas surprenant d’entrevoir une correspondance étonnante entre la religion et la culture d’une part et le catholicisme et le protestantisme d’une autre part. Le catholicisme est enclin à sauvegarder à tout prix sa substance religieuse (la religion) et court le risque de rompre avec tout ce qui se rapporte à la culture séculière (la culture) alors que le protestantisme est enclin à tout séculariser (la culture) courant le danger de perdre sa substance religieuse (la religion). D’où leur complémentarité théonomique. Cette complémentarité théonomique est fondée sur les paroles de Tillich: « Pour décrire cette relation » dialectique « entre le monde séculier et la Gestalt de la grâce, j’emploie volontiers le mot » théonomie «; il signifie que ni l’hétéronomie ecclésiastique ni l’autonomie séculière ne peuvent avoir le dernier mot dans la culture humaine ».²⁶ Et Tillich de renchérir: « Le type prophétique de christianisme ne peut

 Ibid., 195.  Ibid., 169 – 177.  Dans ses réflexions autobiographiques Tillich écrit: « Au cours d’une controverse de jeunesse entre Karl Barth et moi, ce dernier m’accusa de » combattre encore contre le Grand Inquisiteur «. Il avait raison en affirmant que c’est là un point capital de ma pensée théologique. Ce que j’ai appelé le » Principe protestant « est, je le crois, l’arme essentielle contre tout système d’hétéronomie » (P. Tillich, Le christianisme et les religions, op.cit., 27).  P. Tillich, Substance catholique et principe protestant, op.cit., 266.

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vivre longtemps sans le type sacerdotal, ni le type eschatologique sans le type sacramentel ».²⁷ Ce qu’on doit à Tillich à ce niveau c’est son courage critique qui l’amène à dire qu’il ne croit pas à un protestantisme isolé, indépendant de la substance catholique: « En fait, je crois qu’il n’existe pas de »vision protestante « isolée ; le protestantisme est un principe à l’intérieur de quelque chose de plus grand, à savoir la substance chrétienne universelle. Il n’y a pas deux réalités, d’un côté le catholicisme et de l’autre le protestantisme ».²⁸ Un peu plus loin Tillich identifie la substance chrétienne universelle à la substance catholique.²⁹ Tillich s’indigne énormément du schisme séparant les protestants des catholiques. Il écrit littéralement: « Qu’est-ce que le principe protestant ? Il consiste en une protestation contre la substance catholique, mais une protestation qui se situe à l’intérieur de la substance catholique. Le protestantisme tombera dans le vide social s’il ne se rend pas compte qu’il proteste à l’intérieur même de la substance catholique, c’est-à-dire de la substance chrétienne universelle, ce qui rend tout à fait tragique la scission entre les deux Eglises ».³⁰ Dans le chapitre d’Aux confins traitant de sa position entre l’hétéronomie et l’autonomie Tillich voit dans la protestation protestante un jugement prophétique théonomique se trouvant au-delà de l’opposition entre l’autonomie et l’hétéronomie. Il écrit: « La protestation protestante n’est pas du rationalisme critique mais un jugement prophétique. Elle n’est pas autonomie mais théonomie […] Dans la parole prophétique, le conflit de l’autonomie et de l’hétéronomie est surmonté ».³¹

3 Troisième axe: Le « principe protestant » et le symbole La caractéristique essentielle du symbole selon Tillich c’est qu’il renvoie au-delà de lui-même et non à lui-même. C’est ce qui enlève au symbole toute prétention à l’absoluité et l’empêche de se démoniser. Si le symbole renvoie à lui-même, il se prend en même temps pour le signifiant comme pour le signifié ; il devient démoniaque, il s’hétéronomise et s’idolâtre. Ce qui fonde l’inéluctabilité du symbole c’est qu’il se nie lui-même (non-être) pour affirmer autre chose que lui-

 Ibid., 177.  Ibid., 287.  Ibid., 292.  Idem.  P. Tillich, Aux confins, trad. de l’anglais par Jean-Marc Saint, Editions Planète (Coll. L’expérience intérieure) 1971, 49 – 50.

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même, l’Inconditionné (être). Le symbole ne peut affirmer l’Inconditionné qu’à la base de sa négation de lui-même devant l’Inconditionné. C’est moyennant sa propre négation (non-être) qu’il affirme l’Inconditionné (être) auquel il renvoie et qu’il exprime. Le symbole n’est symbole qu’au moment où il se nie. S’il ne se nie pas lui-même, il se nie comme symbole et devient matière. Il devient forme sans substance, une culture sans religion, une autonomie autosuffisante ou une hétéronomie démonique. S’il se nie (non-être), il s’affirme (être) comme symbole et affirme par la suite l’Inconditionné ; et s’il ne se nie pas (être), il se nie (non-être) comme symbole et re-nie l’Inconditionné. Il devient renégat. Bref, le symbole ne peut être que théonomique. Il vit de sa propre négation devant l’Inconditionné. Tillich exprime par ces mots l’aspect négatif (non-être) du symbole: « L’aspect négatif de la convenance d’un symbole consiste en ce qu’il se nie lui-même dans ce qu’il a de concret et par là devient transparent pour ce qu’il désigne ».³² La transparence d’un symbole réside dans sa capacité à se laisser pénétrer par l’Inconditionné et dans son aptitude à se nier lui-même, donc à ne pas devenir opaque. L’opacité du symbole fait réfléchir les rayons de l’Inconditionné, il les fait renvoyer à leur origine en renvoyant à lui-même la lumière et non à l’Inconditionné. Tout sacrement doit se nier (non-être), donc se sacrifier, au profit de l’Inconditionnel dont il est le sacrement. Le sacrifice de la croix fonde la légitimité et l’authenticité de tout sacrement. On peut en dire autant du symbole, dans la mesure où le symbole de la croix se tient, selon Tillich, au cœur de toute la symbolique chrétienne, comme il l’affirme: « Le symbole de la croix, qui se tient au cœur de toute la symbolique chrétienne, représente bien la critique la plus radicale de l’élévation à l’absolu d’objets ou de personnes sacrés […] on peut donc dire qu’un symbole religieux est d’autant plus »vrai « qu’il se refuse davantage à être élevé à l’absolu et à être pris à la lettre. Alors, par le fait qu’il se nie lui-même, il renvoie d’autant plus nettement au-delà de lui au » sacré luimême «, à la puissance qui soutient l’être et le sens ».³³ La croix est le symbole de la négation la plus radicale (non-être) et de l’affirmation la plus radicale (être). Tillich préconise que le symbole le plus adéquat pour exprimer l’absolu est celui qui exprime en même temps son manquement de l’absolu, et que le critère dont la foi chrétienne se sert pour juger les autres doit s’appliquer surtout à elle-même. Le seul critère qui juge les autres en les niant est le même critère par lequel le christianisme se juge lui-

 P. Tillich, Aux frontières de la religion et de la science, trad. par F. Chapey, Editions du Centurion, Delachaux et Niestlé 1970, 177.  Ibid., 178.

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même en se niant.³⁴ C’est en cela que réside tout le sens du symbole de la croix comme négation de soi. Ce paragraphe de Tillich en dit long: «Tout type de foi a tendance à ériger en valeur absolue ses symboles concrets. C’est pourquoi le critère décisif de la vérité de la foi réside en ce fait qu’elle porte en elle un élément de négation de soi. Le symbole le plus adéquat est alors celui qui exprime non seulement l’absolu mais également son propre manque de l’absolu. À l’encontre de toutes les autres religions, le christianisme s’exprime dans un symbole de cette sorte: la croix du Christ. Jésus n’aurait pu être le Christ s’il ne s’était sacrifié lui-même- en tant que Jésus- à ce Christ qu’il avait à être. Accepter Jésus comme le Christ sans accepter Jésus le crucifié est une forme d’idolâtrie. La préoccupation ultime du chrétien n’est pas Jésus, mais le Christ en Jésus le crucifié ».³⁵ Et d’ajouter dans La dimension oubliée: « Si le christianisme prétend posséder dans son symbolisme une vérité supérieure à toute autre vérité, cette vérité se trouve dans le symbole de la croix, dans la croix de Jésus-Christ. Lui, qui incarne en lui-même la plénitude de la présence divine, ne s’offre pas en personne pour devenir une idole, un dieu à côté de Dieu, un demi-dieu, comme ses disciples auraient aimé le faire de lui. Et c’est pourquoi l’histoire décisive est celle dans laquelle Jésus n’accepte le nom de » Christ « que lui offre Pierre qu’à condition d’aller à Jérusalem, d’y souffrir et d’y mourir. Cela signifie qu’il refuse de devenir une idole. Tel est le critère de tout symbole et c’est le critère auquel toute Église chrétienne devrait se soumettre ».³⁶

 C’est en se jugeant lui-même que le christianisme peut prétendre à l’universalité. Il n’est universel que parce qu’il critique sa particularité et que parce qu’il ne prétend pas que cette particularité puisse s’élever à l’universalité. Le christianisme n’est universel que dans la mesure où il ne prétend pas que sa forme particulière épuise le caractère universel et inconditionnel de l’absolu. Aucune forme particulière et conditionnée n’a le droit de s’octroyer l’universalité de l’absolu et son inconditionnalité. Tillich dit: « Le christianisme, dans le symbole de la » croix du Christ «, traduit cette conscience qu’il a de son caractère conditionnel- même si les Eglises chrétiennes oublient le sens de ce symbole en conférant l’absolu à leur propre expression particulière de l’absolu. C’est l’autocritique radicale du christianisme qui le rend plus apte à l’universalité- aussi longtemps qu’il maintient cette autocritique comme une force agissante au cœur de sa propre vie » (P. Tillich, Dynamique de la foi, op.cit., 137).  P. Tillich, Dynamique de la foi, op.cit., 110. Dans le même sens Tillich ajoute dans un autre paragraphe: « Néanmoins le chrétien peut avoir le courage d’affirmer sa foi en Jésus qui est le Christ. Il sait que les déviations idolâtriques sont possibles et même inévitables, mais il sait aussi que pour juger les abus idolâtriques un critère lui est donné dans l’image même du Christ: la croix » (Ibid., 117).  P. Tillich, La dimension oubliée, op.cit., 99.

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Toute sa vie durant, le Christ ne renvoyait pas à lui-même mais au Père dont il est l’expression.³⁷ « Il est l’image visible de Dieu invisible », disait Saint Paul. Le Christ ne s’est pas fait centre de lui-même, il s’est décentré pour placer le Père au centre de lui-même comme au centre du monde, de la vie et de l’histoire. Le Christ s’est nié (non-être) pour affirmer le Père (être). Et parce qu’il s’est nié (non-être) pour affirmer le Père (être), le Père l’a affirmé à son retour en le ressuscitant (être) d’entre les morts (non-être). Le Christ désignait du doigt le Père comme Jean-Baptiste désignait du doigt le Christ. Chaque chrétien qui désigne du doigt la croix désigne du doigt le Père tant que le crucifié indique le Père et en est le symbole vivant. Tillich y fait allusion en usant d’image esthétiquement architecturale: « Nous pouvons désigner du doigt avec passion le crucifié, comme le fait Jean-Baptiste dans le retable étonnant de Matthias Grünewald, mais nous ne pouvons pas faire de lui une autorité établie. Dans ce tableau, le doigt de Jean-Baptiste indique la croix. C’est là le plus grand symbole de l’autorité véritable de la Bible et de l’Église ».³⁸ L’autorité véritable n’est pas l’autorité d’un symbole ecclésiastique, d’un dogme, d’une doctrine, d’une Eglise, d’une religion. L’autorité véritable est celle de l’homme Jésus qui s’est vidé de toute autorité sur la croix. La croix a détruit toute autorité humaine s’érigeant au rang d’une autorité ultime et absolue. C’est sur la croix que le Christ a détruit l’autorité du Temple parce qu’il est le véritable Temple de Dieu, « Détruisez ce temple, et en trois jours je le relèverai » (Jn 2, 19), et a détruit l’autorité des scribes et des pharisiens « car il enseignait comme ayant autorité, et non pas comme leurs scribes » (Matthieu 7, 29). Tillich écrit: « Même l’autorité de Jésus le Christ n’est pas l’image consacrée d’un homme qui gouvernerait en dictateur: il a l’autorité de celui qui s’est vidé lui-même de toute autorité, il a l’autorité de l’homme sur la croix. C’est une seule et même chose que de dire: Dieu est Esprit et Dieu est manifeste sur la Croix. Vous qui luttez contre les autorités, et vous qui militez pour les autorités, écoutez l’histoire qui nous relate que Jésus a combattu contre les autorités et qu’il a établi une autorité qui ne peut être établie! Vous y trouvez la réponse qu’aucune réponse ne peut être donnée, sauf celle-ci: au-delà de toute autorité préalable, vous devez vous

 Par son Oui à la croix, le Christ a dit Non à la présomption de la volonté de se poser inconditionnellement en dehors de l’Inconditionné. Dans sa Dogmatique, Tillich le dit clairement: « Finalement, il manque [au Christ] la présomption, qui est le péché originel, c’est-à-dire la volonté de se poser inconditionnellement, en dehors de la clarté de Dieu […] La victoire complète sur la présomption religieuse, c’est le Oui à la croix, c’est la Passion et ses signes avant-coureurs » (P. Tillich, Dogmatique, traduites de Paul Asselin et de Lucien Pelletier, Les Presses de l’Université Laval, Cerf, Labor et Fides 1997, 321).  P. Tillich, L’être nouveau, op.cit., 125.

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maintenir ouverts à la puissance de celui qui est le fond et la négation de tout ce qui a autorité dans les cieux et sur la terre ! ».³⁹

Conclusion Indépendamment du « principe protestant », il est impossible qu’il y ait une réforme de la pensée à tous les niveaux, intellectuel, culturel, religieux, social, politique, éthique, et esthétique. On a toujours besoin de cette culture de protestation contre toute sorte d’endoctrinement religieux et de fanatisme confessionnel mais surtout contre le démonisme politique et despotique de quelques régimes totalitaires qui sont en train de s’effondrer depuis quelques années. Les Églises aussi ont immanquablement besoin de la voix des prophètes qui la secouent tant à l’intérieur qu’à l’extérieur. Des prêtres, on en a assez mais des prophètes, il n’en existe presque pas. Il faut que la voix des prophètes retentisse de plus belle ; une voix ferme qui juge, alerte, avertit, secoue et ébranle. Plus une Église se trouve ébranlée, plus elle s’affirme inébranlable dans la négation d’elle-même et dans l’affirmation de son propre néant devant l’Inconditionné. Le seul destin de toute religion y compris le christianisme est de s’anéantir. Saint Pierre n’est devenu la pierre angulaire de l’Église qu’au moment où il a été anéanti sur la croix à l’instar de l’anéantissement de son maître crucifié. Le destin de la « Pierre » est de s’effriter à jamais pour se poser à jamais. Toute Église est une « Église de Pierre » et de « Pierre »: une pierre angulaire autant qu’une pierre d’achoppement.⁴⁰ Parlant de l’anéantissement de la croix Luther écrit: « […] Mais celui qui a été anéanti par les souffrances n’œuvre plus luimême, mais il a connu que Dieu opère en lui et accomplit toutes choses. C’est pourquoi, soit qu’il œuvre soit qu’il n’œuvre pas, c’est pour lui la même chose: il ne se glorifie pas, si Dieu opère en lui ; il n’est pas confus, si Dieu n’opère pas. Il sait qu’il lui suffit de souffrir et d’être détruit par la croix, afin d’être davantage anéanti […] ».⁴¹ Le monde d’aujourd’hui a besoin d’une voix prophétique semblable à celle de Luther qui a répété souvent que le conflit suscité par la prédication de la parole est la marque que c’est bien la Parole de Dieu qui est prêchée. Mieux vaut

 Ibid., 128.  Parlant de la puissance véritable de l’Église, Tillich écrit: « Sa puissance se trouve ailleurs, et a eu jadis pour symbole la croix; à la croix, en effet, l’humanité n’a jamais, ni avant et ni après, vécu à ce point la situation limite de l’homme » (P. Tillich, Substance catholique et principe protestant, op.cit., 66).  M. Luther, Œuvres, Traduit par Pierre Jundt, op.cit., 138.

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selon lui que le monde entier soit dans le trouble et qu’il y ait un prédicateur, plutôt que le monde entier soit dans la paix, et qu’il n’y en ait pas un seul.⁴² J’aimerais terminer mon intervention par citer ces paroles de Luther qui sont toujours d’actualité: « La » parole de L’Évangile blesse les hommes « et les conduit à la persécution: mais elle doit demeurer la » parole de la croix« (verbum crucis) […] l’Évangile est la parole de la croix qui attaque les hommes, et les hommes l’attaquent […] c’est le sort tout à fait constant de la Parole de Dieu que le monde soit en tumulte à cause d’elle ».⁴³

 J.-L. Chrétien, L’intelligence du feu, Paris: Bayard 2003, 111– 113.  Cité dans Ibid., 112– 117.

Stefan Dienstbeck

Ecclesia semper reformanda Tillichs Geistgemeinschaft zwischen kerygmatischem Anspruch und prophetischem Durchbruch Ecclesia semper reformanda. Die Kirche bedarf stets der Reform, ja sie muss permanent reformiert werden. – Das Stehen der Kirche in der ‚Reformschleife‘ repräsentiert wie kaum ein anderes Anliegen die ekklesiologische Grundeinsicht der Reformation. Demnach könne die Kirche nicht – wie es bei den altgläubigen ‚Römern‘ der Fall sei – ein absolutes Gebilde darstellen, das von Gott ein für alle Mal eingesetzt und in seiner Gestalt sakrosankt gegen jede Form von innerer und äußerer Kritik ist. Kein Geringerer als der protestantische Theologe Paul Tillich scheint das titelgebende lateinische Zitat besser zu verkörpern als alle anderen der reformatorischen Bewegung des 16. Jahrhunderts entsprungenen theologischen Denker. Das Zitat trifft auf Tillich scheinbar perfekt zu, dessen Geistgemeinschaft in Latenz und Manifestation die realexistenten Kirchen stets kritisch beäugt und zur Reform drängt. Noch besser passt ins Bild, dass man die Formel der immer zu reformierenden Kirche bis auf Augustinus zurückführen zu können glaubte. So ließe sich eine bei dem geistigen Inspirator Augustins, Paulus, beginnende und über Augustinus und die Reformatoren führende Linie direkt zum ‚Paulus‘ des 20. Jahrhunderts ziehen, wie Tillich sich von seinen Freunden nennen ließ. Doch der Schein trügt. Theodor Mahlmann hat überzeugend nachgewiesen, dass die Formel der Ecclesia semper reformanda, die gerade im Jahr des Reformationsjubiläums unablässig bemüht wurde, nicht nur nicht von Augustinus stammt, sondern vielmehr moderne Wurzeln hat.¹ Als Erfinder darf der sich das Geburtsjahr mit Tillich teilende, der so genannten Dialektischen Theologie zugehörige Theologe Karl Barth gelten. Barth spricht im Jahr 1947 bei einer Auslegung der Barmer theologischen Erklärung von der Ecclesia semper reformanda² – und kreiert damit eine Formel, die heute wie selbstverständlich ihre Wurzeln im Zeitalter der Reformation zu haben scheint. Die befremdliche Pointe der Zitatgeschichte dürfte darin bestehen, dass Tillichs Kirchenverständnis scheinbar unter ein Barth-Zitat gestellt wird. Ob die

 Vgl. T. Mahlmann, Ecclesia semper reformanda. Eine historische Aufarbeitung. Neue Bearbeitung, in: ders., Hermeneutica Sacra. Studien zur Auslegung der Heiligen Schrift im 16. und 17. Jahrhundert, hg.v. T. Johansson/R. Kolb/J. A. Steiger, Berlin/New York 2010, 382– 441.  Vgl. K. Barth, Die Botschaft von der freien Gnade Gottes, Zollikon/Zürich 1947, 19. https://doi.org/10.1515/9783110668124-004

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Kirche allerdings wirklich ‚semper reformanda‘ sei und was dies im Falle Tillichs tatsächlich zu heißen hat, möchte der Beitrag aufdecken. Dazu werden zunächst (1.) die Grundklärungen zur Kirche bei Tillich in den Blick genommen, um von dort aus (2.) den Zusammenhang von Religion und Kultur zu bestimmen. Darauf aufbauend (3.) wird Tillichs Programm einer Kulturtheologie einer ekklesiologischen Lesart unterzogen, um die Strukturparallelität von Ekklesiologie und Kulturtheologie zu eruieren. Über (4.) die Bestimmung von Grundlage aller Kritik an Kirche und Kultur und ihrem Verhältnis zu ebendieser Kritik selbst wird abschließend (5.) die Frage nach dem internen Movens gestellt, das alle Reform, Revolution, Prophetie, Kritik und auch Gestaltung antreibt. Hierfür wird die Christologie als die Konstante im Tillich’schen Werk schlechthin bemüht, deren prinzipieller Charakter auch über die Eigenbeurteilung des Jesus als des Christus zu entscheiden hat.

1 Grundlinien der Ekklesiologie Tillichs Als eigener Gegenstand theologischer Erörterung taucht die Kirche an verschiedenen Stellen im Werk Tillichs auf. Insbesondere die Institution Kirche wird zum Gegenstand zahlreicher kleinerer Beiträge – wenn auch häufig unter der Prämisse kulturtheologischer oder protestantismusspezifischer Untersuchungen, teils auch unter ethischem Blickwinkel. Ihren eigentlich dogmatischen Ort findet die Lehre von Kirche bei Tillich hingegen im Rahmen der Pneumatologie. Letztere wiederum wird von ihm prominent nur an zwei Stellen im Lebenswerk thematisiert, nämlich in der Systematischen Theologie von 1913 sowie im dritten Band des gleichnamigen opus magnum aus dem Jahr 1963.³ Im Folgenden wird auf die Systematische Theologie des Spätwerks Bezug genommen, wobei auf die Vorprägungen aus dem Jahr 1913 stets zurückzukommen sein wird, weil Tillich die Grundformation seiner Ekklesiologie bereits in diesem Jahr ausgearbeitet hatte. Der entscheidende Begriff, durch den Geist- und Kirchenlehre schon terminologisch verknüpft werden, ist derjenige der Geistgemeinschaft, der 1913 noch

 Vgl. für die Ekklesiologie: P. Tillich, Systematische Theologie von 1913, in: EW IX: Frühe Werke, hg.v. G. Hummel/D. Lax, Berlin/New York 1998, 273 – 434, bes. 366 – 371, sowie P. Tillich, Systematische Theologie, Bd. III, Berlin/New York 1987 (Nachdruck der 4. Aufl., Frankfurt a. M. 1984), bes. 165 – 281. Auf die nur in diesen beiden Werken ausgeführte Pneumatologie – und damit auch auf die dogmatische Lehre von der Kirche – verweist aktuell C. Danz, Die Gegenwart des Geistes und die Zweideutigkeiten des Lebens (III 124– 337), in: Paul Tillichs ‚Systematische Theologie‘. Ein werk- und problemgeschichtlicher Kommentar, hg.v. dems., Berlin/Boston 2017, 227– 256, bes. 227 f.

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nicht auftaucht. Definiert wird die Geistgemeinschaft von Tillich als Gemeinschaft derjenigen, die vom göttlichen Geist ergriffen und dadurch in die transzendente Einheit unzweideutigen Lebens versetzt sind, was unter Realitätsbedingungen allerdings nur im Modus des Fragmentarischen stattfinden kann.⁴ Dies bedeutet, dass der Zustand der Geistergriffenheit zwar nicht als eschatologischer Dauerzustand, wohl aber unzweideutig, also als vollständige Vorwegnahme bzw. „Antizipation“ eschatologischer Vollendung zu denken ist. (ST III, 167) Als solche muss die Geistgemeinschaft noch nicht ausdrücklich christlich spezifiziert sein, bleibt aber bewusst oder unbewusst auf das Ereignis des Jesus als der Christus bezogen. So unterscheidet Tillich drei Aspekte des Wirkens des göttlichen Geistes in der Geschichte: erstens als die Vorbereitung der zentralen Manifestation des göttlichen Geistes in allen Teilen der Menschheit, zweitens als die zentrale Manifestation des göttlichen Geistes in Jesus als dem Christus, und drittens als die Manifestation des göttlichen Geistes in der Geistgemeinschaft. (ST III, 176)

Die Geistgemeinschaft ist daher eindeutig der Pneumatologie zugeordnet, auch wenn Christologie und deren Vorbereitungsgeschichte schon als Geist-imprägniert zu gelten haben. Zentrales Moment der Geistgemeinschaft ist gemäß der Definition das unzweideutige Leben oder anders formuliert: das Neue Sein, das in ihr durch den göttlichen Geist geschaffen wird.⁵ Zwar ist das Neue Sein nach Tillich maßgeblich und zentral in Jesus als dem Christus verwirklicht – weshalb die Geistgemeinschaft auch Thema der Pneumatologie und nicht der Christologie ist⁶ –, doch ist die Geistgemeinschaft nicht notwendig mit einem konkreten Wissen um die Person Jesu Christi verbunden. Tillich unterscheidet hierfür die Geistgemeinschaft in ihrer Latenz von derselben in ihrer Manifestation. Beide Formen der Geistgemeinschaft existieren

 Vgl. ST III, 250: „Die Geistgemeinschaft ist die Gemeinschaft derer, die vom göttlichen Geist ergriffen und durch ihn in unzweideutiger Weise bestimmt sind. In diesem Sinne kann man die Geistgemeinschaft eine ‚Gemeinschaft der Heiligen‘ nennen. Der Stand der Heiligkeit ist ein Zustand, in dem der Mensch transparent ist für den göttlichen Grund.“  Vgl. a.a.O., 177.  Bereits 1913 verknüpft Tillich Christologie und Pneumatologie in ähnlicher Weise, wenn er den Christus als die prinzipielle, den Geist als die faktische Überwindung des Sündenzustandes charakterisiert: „[E]rst nachdem die Welt in Christus prinzipiell zurückgekehrt ist zu Gott, kann sie durch den Geist faktisch zurückkehren. Nicht als ob der Geist ein neues Offenbarungsprinzip wäre, er ist gebunden an die Geschichte der Offenbarung und ihre Vollendung in Christus, er ist der Geist Christi; aber er führt zurück in die Einheit mit Gott, was durch ihn verbunden wird mit dem erhöhten Christus.“ (EW IX, 366)

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parallel nebeneinander, wobei der sie auszeichnende Unterschied in erster Linie darin besteht, dass die Geistgemeinschaft in der Latenz der „zentralen Offenbarung in Jesus dem Christus nicht begegnet ist“, wohingegen die Geistgemeinschaft in der Manifestation dann so genannt wird, „nachdem eine solche Begegnung erfolgt ist.“ (ST III, 180) Geistgemeinschaft sind beide Formen und zwar wohlgemerkt vollgültig – man könnte auch sagen, dass die Geistgemeinschaft in der Latenz kein, diejenige in der Manifestation hingegen ein ausgeprägtes Bewusstsein vom Grund des Geistes hat, der sie zur Gemeinschaft zusammenschließt.Was dem latenten Zustand fehlt ist ein „letztes Prinzip“, so Tillich, das vor Profanisierung und Dämonisierung schützt (ST III, 181). Dezidiert als Kirche lässt sich nun nur die Geistgemeinschaft in ihrer Manifestation bezeichnen: „Die Kirchen repräsentieren die Geistgemeinschaft in manifester […] Form.“ (ST III, 181) Manifest bedeutet aber nichts anderes, als dass eben eine bewusste Kenntnis und Bezugnahme auf das Christusereignis stattfindet, wie Tillich an anderer Stelle präzisiert: „Wenn das religiöse Fundament einer solchen Gruppe das Neue Sein in Jesus als dem Christus ist, dann nennen wir sie eine Kirche.“ (ST III, 191) Kirche und Geistgemeinschaft zeichnen sich bei Tillich somit durch ein Doppelverhältnis aus: Einerseits sind die Kirchen als realexistent, d. h. geschichtlich, immer auch Institutionen und somit Teil von Kultur und Gesellschaft, andererseits sind sie Verwirklichung der Geistgemeinschaft. Bei Letzterer spreche man nach Tillich daher auch von „der Kirche im essentiellen Sinne“ (ST III, 192). Ist die Kirche allen Zweideutigkeiten unterworfen, so zeichnet es gerade die Geistgemeinschaft aus, nicht der Zweideutigkeit zu verfallen. Jedoch bedarf die Geistgemeinschaft notwendig der Kirche als ihrer konkreten Form oder anderer sozialer Formen als ihrer latenten Verwirklichungsgestalt. Denn die Geistgemeinschaft „hat keine Eigenständigkeit neben den Kirchen, sie ist ihre geistige Essenz und wirkt in ihnen als Kraft, als Struktur und als kämpfende Macht gegen die Zweideutigkeiten.“ (Ebd.) Wo also die Geistgemeinschaft am Werk ist, da wirkt sie so, dass sie die Zweideutigkeiten – zu denken ist hier bei Tillich besonders an Dämonisierung und Profanisierung – kritisiert und zu überwinden bemüht ist. Ihren Kern gewinnt sie dabei christologisch, worauf später in Punkt 5. einzugehen sein wird. Bereits an dieser Stelle zeichnet sich in den unterscheidbaren, nicht aber voneinander trennbaren Begriffen der Geistgemeinschaft und Kirche eine Spannung ab, die das ekklesiologische Verständnis Tillichs in all seinen Facetten prägt. Wie alles, was existiert, der Spaltung von Subjekt und Objekt bzw. der Selbst-Welt-Struktur und deren Polaritäten unterliegt, so wird auch die Kirche in dieses Spannungsfeld hineingenommen, ja sie steht schon immer in ihm, sofern sie den Menschen angehen will. Da aber Geistgemeinschaft und Kirche nicht voneinander zu lösen sind, reproduziert sich ekklesiologisch, was bereits in der

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Tillich’schen Grundunterscheidung von Essenz und Existenz angelegt ist.⁷ Wie auch protologisch kann Essenz als reine Potentialität nicht ‚sein‘, so dass sie der existentiellen Aktualisierung bedarf. Nichts anderes machen ekklesiologisch die – essentielle – Geistgemeinschaft und die – in der Existenz stehende – Kirche deutlich. Verlässt die Lehre von der Kirche diese Polarität, so entfremdet sie sich von ihrem eigentlichen Wesen und verfällt den Abwegen der Profanisierung oder Dämonisierung, auf die später noch zurückzukommen sein wird. Dass sich göttlicher Geist in Form der Geistgemeinschaft und nicht exklusiv individuell realisiert, liegt in dem Zusammenhang begründet, in dem der Mensch steht. Als geschichtliches, soziales und in der Existenz befindliches Wesen lässt sich der Mensch nicht abgesehen von seinen Bezügen denken. Bereits der frühe Tillich spricht daher nicht etwa vom ‚Sünder‘ oder dem ‚Existierenden‘ im subjektiven Singular, sondern bemüht für die Beschreibung den Begriff des Standpunktes. Die Bindung an die Kirche vollzieht sich also deswegen, „weil der einzelne nur durch Aufhebung des Zustandes der Sündhaftigkeit erlöst wird“. (EW IX, 367) Insofern bleibt der Einzelne angewiesen auf den Ort, an dem nicht nur die je individuelle Sündhaftigkeit, sondern die Sündhaftigkeit als solche bzw. als Standpunkt aufgehoben ist. Nichts anderes meint jedoch der Kirchenbegriff, der somit zur notwendigen Vermittlungsinstanz des Heils wird.⁸ Dies gilt auch noch für die späte Systematik, auch wenn hier die Begründung christologisch und personal erfolgt: Der Begriff Geistgemeinschaft selbst verweist auf den personhaft-gemeinschaftlichen Charakter, in dem das Neue Sein erscheint. Es kann nicht anders erscheinen als in einer Gemeinschaft von Personen. (ST III, 186)

Auch für den späten Tillich bleibt die Geistgemeinschaft in ihrem Bezug auf das Neue Sein unaufgebbares Vermittlungsmoment desselben. Ohne Geistgemeinschaft und Kirche ist daher auch das Heil des Menschen nicht denkbar, weil sich

 Vgl. zur Selbst-Welt-Struktur sowie zu den ontologischen Bestimmungen Tillichs insbesondere den ersten Abschnitt des zweiten Teils des ersten Bandes der Systematischen Theologie (Berlin/ New York 1987, Nachdruck der 8. Aufl., Frankfurt a. M. 1984, bes. 193 – 245).  Dies ist jedoch nicht so zu verstehen, als würde die Kirche an sich zum Instrument der Geistwirkung, etwa in einem römisch-katholischen Verständnis. Vielmehr geht es Tillich darum, die Verflochtenheit aufzuzeigen, in der je Einzelner und ‚Welt‘ stehen. Erst von hierher lässt sich die Vermittlungsfunktion der Kirche verstehen: „Jeder Versuch, die Wirkung des Geistes unabhängig zu machen von diesen Vermittlungen [sc. Wort und Sarkamente], sie als unmittelbar erlebbar zu fassen, scheitert an dem konkreten Moment des theologischen Prinzips und der grundlegenden Beziehung der Erlösung auf den Zustand der Sündhaftigkeit, nicht auf den einzelnen Sünder.“ (EW IX, 367)

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das Neue Sein allererst sozial und damit bei Tillich: geschichtlich offenbart. So betont auch Christan Danz, dass bei Tillich „Geschichte […] stets die von sozialen Gruppen“ sei, „da sich in der zwischenmenschlichen Begegnung der Mensch als Träger des Geistes und somit als ein Wesen, welches Geschichte hat, konstituiert“.⁹ Dies schließt jedoch nicht aus, sondern gerade ein, dass sich das Neue Sein am Einzelnen vollzieht und zwar in den – ekklesiologisch affizierten – Kategorien von Wiedergeburt, Rechtfertigung und Heiligung.¹⁰

2 Religiöser Gehalt in Form der Kultur Religion, Kultur und Moralität bilden für Tillich die „drei Funktionen des Lebens in der Dimension des Geistes“. (ST III, 185) Mit dieser Trias greift Tillich ein bereits 1913 in der Systematischen Theologie etabliertes Modell auf: Der Mensch als das Wesen auf der Grenze zwischen noch nicht emanzipierter Ursprungsverhaftetheit – Natur – und selbstbestimmter Subjektivität – Geist – ist das schlechthin freie Wesen.¹¹ Als frei kann der Mensch sich aber nun in drei Weisen zu Natur und Geist verhalten, nämlich in der Kultur als naturbestimmend, in der Sittlichkeit als selbstbestimmend und in der Religion als Natur und Geist überwindend.¹² Dass Tillich in seinem Spätwerk eben diese drei Momente wieder aufnimmt, unterstreichen seine Ausführungen in der späten Systematischen Theologie. ¹³ Terminologisch setzt sich an die Stelle der Sittlichkeit zwar die Moralität; doch bezeichnet sie dasselbe, nämlich die Selbstbestimmung der Freiheit oder – in Tillichs Worten aus den 60er Jahren – „die Konstituierung der Person als Person in der Begegnung mit anderen Personen“. (ST III, 186) In jedem Fall fungieren Mo-

 Danz, Die Gegenwart des Geistes, 245. Als Belegstelle bei Tillich führt Danz die zentrale Äußerung Tillichs in ST III, 165 an.  Vgl. ST III, 254– 279. Alle drei Momente beschreibt Tillich dabei als „Erfahrungen“, die er jedoch nicht als aktive subjektsabhängige und -initiierte Wahrnehmungsdimension, sondern als „Zustand, vom göttlichen Geist ergriffen zu sein“ (a.a.O., 255) verstanden wissen möchte, was sie deshalb einerseits der Pneumatologie zuordnet und sie andererseits als Vermittlungselement zwischen Kirchenlehre und individuellem ordo salutis kenntlich macht.  Vgl. EW IX, 286 f.  Vgl. a.a.O., 289: „Die Grundformen der Freiheit ergeben sich aus den verschiedenen Stellungen der Freiheit zur Natur. Insofern die Freiheit sich unmittelbar als naturbestimmend setzt, ist sie Kultur, insofern sie sich selbst als Freiheit bestimmt, ist sie Sittlichkeit, insofern sie sich und die Natur aufhebt zur absoluten Wahrheit, die jenseits des Bestimmenden und Bestimmten liegt, ist sie Religion.“  Vgl. ST III, 185 – 190.

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ralität bzw. Sittlichkeit als Moment der Selbstbestimmung der Person, ohne die Religion überhaupt nicht denkbar ist, weil jene dieser vorangeht. Bereits diese Konstellation macht deutlich, dass Kultur, Religion und Moralität keine voneinander separierbaren Sphären menschlicher Existenz abbilden, sondern reziprok aufeinander bezogen sind. Erst und nur in ihrer Vernetzung und wechselseitigen Begründung wird der Mensch zum Menschen und hat Anteil an allen dreien. Rein systematisch erhellt daher schon hier, dass die Religion „keine spezielle Funktion“ ist. Sie „setzt die Konstituierung der Person im moralischen Akt voraus – die Vorbedingung alles Geistigen, und, wie wir früher gezeigt haben, damit auch die Vorbedingung für das Ergriffenwerden durch den göttlichen Geist.“ (Ebd.) Neben dieser systematisch grundsätzlichen Verschränkung von Kultur und Religion – die Moralität fungiert bei Tillich weniger als ethische denn als Kategorie der Selbstkonstituierung des Selbst – sind beide Sphären jedoch in weiterer Hinsicht gekoppelt: In seinem Beitrag Kirche und Kultur ¹⁴ aus dem Jahr 1924 prägt Tillich den auch sein Spätwerk dominierenden Grundsatz, dass „der tragende Gehalt der Kultur […] die Religion und die notwendige Form der Religion […] die Kultur“ sei (MW II, 110). Demnach bilden Religion und Kultur das grundsätzliche Gegensatzpaar, aus dem die Paare Kirche und Gesellschaft sowie Gott und Welt hervorgehen.¹⁵ Kirche und Gesellschaft sind für Tillich beide Formen von Gesellschaft, die sich auch mit den Begriffen von heilig und profan näher beschreiben lassen. Tillich versucht dies sinntheoretisch zu erschließen, indem er eine Doppelgestalt von Sinn annimmt: Einerseits gibt es Einzelsinn, andererseits den Sinn des Ganzen, wobei beide getragen sind vom „unbedingte[n] Sinn“, der Grund wie Abgrund beider sowie beiden gegenüber transzendent vorzustellen ist (MW II, 103). Beide Sinnformen tragen ihrerseits den absoluten Sinn als Grund in sich, so dass sie – bewusst oder unbewusst – auf ihn bezogen sind. Genau im Modus der Fokussierung unterscheiden sich nun die profane und die heilige Haltung: Es besteht die Möglichkeit, sich auf den einzelnen Sinnakt und die Gesamtheit des Sinnes so zu richten, daß der dabei wesensmäßig mitschwingende Glaubensakt im Bewußtsein ausgeschlossen ist. Das ist dann die profane, ungläubige, weltliche Haltung; ebenso ist es möglich, unter Ausschließung der einzelnen Sinnformen und ihrer Zusammenhänge sich auf den unbedingten Sinngrund zu richten. Das ist dann die heilige, gläubige, religiöse Haltung. (MW II, 104)

 Vgl. P. Tillich, Kirche und Kultur (1924), in: MW II: Writings in the Philosophy of Culture/ Kulturphilosophische Schriften, hg.v. M. Palmer, Berlin/New York 1990, 101– 114.  Vgl. MW II, 101.

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Erstes trägt die Gefahr der „Sinnleere“, Zweites die Gefahr der „Formleere“ in sich (MW II, 105). Entscheidend für Tillich ist, dass beide Momente – Kirche wie Gesellschaft, Heiliges wie Profanes – potentielle Abwege in sich tragen und deshalb der Erlösung gleichermaßen bedürftig sind. Insofern lässt sich kein Vorrang der Religion vor der Kultur oder der Kirche vor der Gesellschaft ausmachen: „Von Gott aus gesehen hat die Kirche nichts voraus vor der Gesellschaft.“ (MW II, 106) Beide stehen, um mit Tillich zu sprechen, „unter dem gleichen Gericht und sind angewiesen auf die gleiche Erlösung“ (MW II, 107), die niemals aus ihnen selbst hervorgehen kann. Die Pointe der Tillich’schen Paarung von Kirche und Gesellschaft besteht daher gerade darin, dass der „Zustand des Gegensatzes“ zwischen Kirche und Gesellschaft „das zu Erlösende“ ist (MW II, 105).¹⁶ Kirche und Gesellschaft stehen somit nicht nur nicht in einem Gegensatz, sondern sie sind gerade dann das zu Überwindende, wenn sie ein Gegensatzpaar bilden. Pointiert gesprochen unterscheiden sich Kirche und Gesellschaft ausschließlich in einem Punkt, nämlich darin, ob und wie sie Bezug auf das Unbedingte nehmen.¹⁷ Genau hierin reproduzieren sie auch die Grundthematik der ihnen zugrundeligenden Polarität von Religion und Kultur: Ähnlich wie Kants Bestimmung von Anschauung und Begriff, wonach Anschauungen ohne Begriffe blind, Begriffe ohne Anschauungen hingegen leer seien, ließe sich in Bezug auf Tillich sagen, dass Religion ohne Kultur formlos, Kultur ohne Religion sinn- bzw. gehaltsleer sei. Gleiches gilt für Kirche und Gesellschaft, nur gewissermaßen auf die konkrete Seite der Polarität angewandt. Daraus erhellt ein Doppeltes: Einerseits sind Religion und Kultur, Kirche und Gesellschaft wechselseitig aufeinander verwiesen, weil sie ohne das jeweils andere Moment – Form bzw. Gehalt – nicht sein könnten. Andererseits und zugleich gilt, dass es kulturlose Religion ebenso wenig gibt wie religionslose Kultur und der Gesellschaft enthobene Kirche ebenso wenig wie eine Kirche ohne Gesellschaftsbezug. Kurz gesagt stellen beide Pole keine eigene Sphäre dar, sondern sind so ineinander verschränkt, dass sie immer auch Anteile des anderen Pols in sich tragen.¹⁸ Sind Religion und Kultur sowie Kirche und Gesellschaft je für sich undenkbar, so teilen sie auch die Grundproblematik von Profanisierung und Dämonisierung als eigentliche Abgründe. Diese lassen sich insbesondere vom kulturtheologischen Entwurf Tillichs her verstehen, wie er ihn in dem bereits vorgestellten  Bei Tillich teilweise kursiv.  Tillich kann sogar bei Kirche und Gesellschaft von einer Wesenseinheit beider sprechen: „Dem Wesen nach sind Kirche und Gesellschaft eins; denn der tragende Gehalt der Kultur ist die Religion und die notwendige Form der Religion ist die Kultur.“ (MW II, 110)  Vgl. hierzu auch Danz, Die Gegenwart des Geistes, 234.

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Beitrag Kirche und Kultur von 1924 sowie im Vortrag Über die Idee einer Theologie der Kultur von 1919 bündig vorgestellt hat.¹⁹

3 Ekklesiologische Revision der Kulturtheologie Religion und Kultur, Kirche und Gesellschaft, Essenz und Existenz – in Tillichs theologischem Konzept zeichnet sich insbesondere in den späten Jahren ein durchgängiges Strukturmerkmal ab. Letzteres spielt mit den Polaritäten von Gehalt und Form bzw. Potentialität und Aktualisierung.²⁰ Anders formuliert benennt Tillich Spannungsfelder, die keine Alternativen vorstellen, sondern als Felder ihre Funktion erfüllen. Die Relate der Polaritäten stellen darin lediglich die kontradiktorischen Aspekte vor, die realiter immer in einer Gemengelage beider im Feld selbst auftreten. Daraus resultierend ergibt sich die Konsequenz, dass Lösungen niemals abstrakt, also von einem Pol her, gewonnen, sondern immer nur im Zusammenspiel beider Relate und in deren Transzendierung ihrer Erfüllung zugeführt werden können. Ekklesiologisch spiegelt sich die kulturtheologisch bearbeitete Konstellation von Religion und Kultur in dem bereits eingangs betrachteten Dual von Geistgemeinschaft und Kirche bzw. Kirchen wieder. Dabei repräsentiert die Geistgemeinschaft das Gehaltsmoment, welches für seinen Durchbruch nicht an den Kirchenbegriff gebunden ist; zugleich stehen die Kirche und die Kirchen – die Möglichkeit des Plurals beim Kirchenbegriff zeigt bereits die Seite der Aktualisierung bzw. Form an – für das konkrete formale Moment, in dem überhaupt erst eine echte Wirkung der Geistgemeinschaft ermöglicht ist. Dabei ist die Unterscheidung von Kirche und Gesellschaft sekundär, weil beide unter der Hauptüberschrift ‚Kultur‘ zu stehen kommen. Sowohl Kirche als auch Gesellschaft oder gesellschaftliche Gruppen bilden nämlich nach Tillich die subjektive Seite „aller

 Vgl. P. Tillich, Über die Idee einer Theologie der Kultur, in: GW IX: Die religiöse Substanz der Kultur. Schriften zur Theologie der Kultur, hg.v. R. Albrecht, Stuttgart 21975, 13 – 31. Auf die Kulturtheologie Tillichs und die mit ihr verbundene Sinntheorie kann an dieser Stelle nicht im Speziellen eingegangen werden. Daher sei auf meine Ausführungen an anderer Stelle verwiesen: S. Dienstbeck, Transzendentale Strukturtheorie. Stadien der Systembildung Paul Tillichs, Göttingen 2011, 235 – 338.  Auch das Frage-Antwort-Schema der Korrelationsmethode ließe sich hier verorten. Vgl. insbesondere zu deren Problematik aktuell Michael Murrmann-Kahls Kommentar zur Einleitung der Systematischen Theologie (Einleitung [I 9 – 83], in: Paul Tillichs ‚Systematische Theologie‘. Ein werk- und problemgeschichtlicher Kommentar, hg.v. C. Danz, Berlin/Boston 2017, 15 – 34).

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möglichen Sinnzusammenhänge“ ²¹ ab, deren objektives Moment ‚Welt‘ zu nennen ist. Ihren besonderen Charakter erhält die Kirche gegenüber anderen kulturellen Phänomenen allein dadurch, dass sie sich ihres eigenen Charakters bewusst ist und diesen zum Ausdruck zu bringen als ihre Aufgabe anerkennt. Freilich bringen auch die anderen Kulturinstitutionen den Geistbezug der Geistgemeinschaft mehr oder weniger stark zur Darstellung; allerdings geschieht dies gewissermaßen unbewusst bzw. nur notwendigerweise durch den immer vorhandenen Bezug auf den Gehalt, den auch die profanste Kultur benötigt, um überhaupt Kultur zu sein. Dies führt allerdings dazu, dass nicht-kirchliche Kultur zwar zweideutig ist, nicht jedoch ein führendes Bewusstsein der eigenen Zweideutigkeit in sich trägt. Im Gegenteil: Das Profane will gar nicht heilig, die Kultur gar nicht Religion sein. Anders ist dies im Falle der Kirche gelagert, die sich zwar in der Kultur befindet, in ihr aber Darstellung des Gehalts sein möchte. Aufgrund dieser Sonderposition, die keine von Gehalt oder Form, sondern gewissermaßen eine des Bewusstseins ist,²² bleibt die Kirche der Doppelbedrohung von Dämonisierung und Profanisierung ausgesetzt, die sie eben nicht allein, sondern ausschließlich im Zusammenhang mit Kultur und deren sowie der eigenen Transzendierung durch den Geist lösen kann. Konkret werden Kirche bzw. Kirchen unablässig von Profanisierung und Dämonisierung bedroht. Letztere beruht auf einer Verwechselung des Grundes der Geistgemeinschaft mit den Aspekten der realen Kirche. Anders formuliert wird Bedingtes in den Status des Unbedingten erhoben, es handelt sich also um eine „Erhebung eines Endlichen zu unendlicher Geltung im Namen des Heiligen.“ (ST III, 280)²³ Dies bedeutet, dass Aspekte – Absolutheit – der Geistgemeinschaft unmittelbar auf Momente der Kirche – etwa ihre Verfassung oder ihre Vertreter – übertragen werden, so dass es zu einer Vertauschung von Legitimierungsinstanz und Legitimiertem kommt. Ähnlich, doch in die andere Richtung wirkt die Profanisierung. Bei der „innerreligiösen Profanisierung“ handelt es sich daher um die „Verwandlung zu einem heiligen Mechanismus mit hierarchischer Struktur, Lehre und Ritual“. (Ebd.) Der Begriff des Mechanischen zeigt an, dass es bei der Profanisierung um einen Vorgang der ‚Entweihung‘ geht. Die wirksamen Momente der Geistgemeinschaft in der Kirche werden nicht mehr als solche erkannt und nur noch auf die kul-

 So Tillichs Definition in Kirche und Kultur; vgl. MW II, 103.  Hier ließe sich auch die Tillich-Interpretation von Christian Danz stark machen, der zufolge mit Religion bei Tillich „das Reflexiv-Werden des Reflexionsaktes der Selbst-Transzendierung“ (Danz, Die Gegenwart des Geistes, 242) gemeint sei. Eben dieses subjektive Moment würde sich dann in der Kirche als Gemeinschaftsphänomen umsetzen.  Vgl. auch P. Tillich, Die Idee der Offenbarung (1921), in: MW VI, 99 – 106, bes. 106.

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turbedingten Strukturen der Institution Kirche angewandt. Beides – Dämonisierung und Profanisierung – sind die durch den Doppelcharakter, unter dem die Kirche sich befindet, bedingten Gefahren, denen stets entgegengewirkt werden muss – und zwar durch Kritik, wie der Folgeabschnitt aufzeigen wird. Der Ausgangsort der Kritik kann aber kein anderer sein als die Geistgemeinschaft, deren Anliegen in Profanisierung und Dämonisierung gleichermaßen zerstört werden. Sowohl in Hinblick auf Struktur wie auch auf Verhältnis zueinander reproduziert sich die Konstellation von Religion und Kultur in derjenigen von Geistgemeinschaft und Kirche: Das jeweils erste Moment bezeichnet den Gehaltspol, von dem die inhaltliche Bestimmung, wie auch die Kritik und die Relativierung des anderen Pols ansetzt. Das jeweils zweite Moment stellt die konkrete Realisierungskomponente vor, ohne die kein Gehalt von der Potentialität in die Aktualisierung überwechseln würde. Wie die Religion Kultur für ihre Umsetzung benötigt, so die Geistgemeinschaft die Kirche. Weder ist dabei die Religion eine der Kultur externe Sphäre noch die Geistgemeinschaft der Kirche äußerlich; vielmehr besteht zwischen je beiden ein Verhältnis, das die beiden Pole nur abstrakt zu bestimmen in der Lage sind. Erst das Miteinander, ja Ineinander beider Pole ermöglicht Spannung und Realität. Kulturtheologie und Ekklesiologie stehen somit in Strukturanalogie zueinander. Zwar finden sich Unterschiede etwa dahingehend, dass die Geistgemeinschaft an sich nicht unmittelbar Kirche ist, die Religion aber immer Anteil hat an der Kultur. Dies mindert jedoch nicht die grundsätzliche Hinordnung, die beide Konstellationen teilen. Dies gilt auch für die Kritik der Religion an der Kultur und der Geistgemeinschaft an der Kirche bzw. der Kirche an der Gesellschaft. Die Art, wie Kritik geübt wird, entspringt je derselben Motivation und hat dieselbe Zielrichtung, wie im Folgenden zu zeigen ist.

4 Kritik aus Prinzip: Die Prophetie Die bei Religion und Geistgemeinschaft notwendige Verquickung mit Kultur und Kirche(n) führt zu den angezeigten Zweideutigkeiten, die in Profanisierung und Dämonisierung umschlagen können und auch allezeit dabei sind, diesen zu verfallen. Gegen die Verfälschung des Gehaltes durch die Form – in welche Richtung auch immer – oder gegen die Verwechslung der Form mit dem Gehalt trägt der Gehalt selbst nach Tillich eine Kritikfunktion in sich, die zwar nicht vor der Zweideutigkeit an sich bewahrt, sie aber ständig bekämpft. Grundsätzlich lassen sich bei Tillich in Bezug auf den Zusammenhang von Religion und Kultur bzw. Geistgemeinschaft und Kirche zwei Grundfunktionen

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unterscheiden:²⁴ Gestaltung und Kritik.²⁵ Man kann im Anschluss an Tillich auch von einem katholischen oder traditionellen und einem prophetischen Moment sprechen.²⁶ Ersteres stellt gewissermaßen das ‚setting‘ bereit, in dem die Gnade Gestalt gewinnen kann²⁷ bzw. – anders formuliert – in dem die Offenbarung „am Gegenstand, am Bedingten“ konkret wird (MW VI, 103). Die ‚katholische Substanz‘ oder die Gestaltung sind dabei nicht mit der „Gestalt der Gnade“ (MW VI, 137) bzw. mit dem zu verwechseln, was im Folgeabschnitt als ‚Kerygma‘ vorgestellt wird. Gestaltung und Kritik sind zwei Facetten, die sich aus der Gestalt der Gnade oder, wie Tillich auch sagen kann, dem „Sein der Gnade“ erst ergeben. Die Gestalt der Gnade ist daher selbst nicht gegenständlich – also keine ‚konkrete Form‘ –, sondern die „Gestalt der Gnade ist Bedeutungsgestalt.“ (MW VI, 138)²⁸ Gemeint ist hiermit also die Gehaltsseite oder die Sinndimension. Man könnte an dieser Stelle auch alternativ von ‚Offenbarung‘ sprechen, wenn Tillich selbst die Gestalt der Gnade so bezeichnen kann, dass sie „mehr als Hinweis auf die Transzendenz“ und vielmehr „Sichtbarwerden der ‚Herrlichkeit‘“, ja „Vorwegnahme“ sei (MW VI, 139).²⁹ Im Gegensatz zur Gestalt der Gnade ist die Gestaltung, die sich aus der Aktualisierung des Gehaltes ergibt, immer ein zweideutiges Phänomen. Durch ihr Eingehen in die Kultur und ihre dortige Ausdrucksgestalt – auch in Form religiöser Kultur – verschafft sie der Kritik überhaupt erst eine Basis, weil ohne Gestaltung schlicht dasjenige fehlen würde, das kritisiert werden könnte.³⁰ Umschrieben wird dieses Phänomen von Tillich auch als katholische Basis, also als dasjenige Element, das vorausgesetzt wird, um überhaupt erst die Kritikfunktion anwenden zu können. Der katholische Kirchentypus basiert daher auf dem priesterlich-sakramentalen Zusammenhang und konzentriert sich auf die im Sein der Kirche vor-

 Der Geist wirkt nach Tillich die transzendente Einheit unzweideutigen Lebens, die sich strukturell in erster Linie in Glaube und Liebe äußert; vgl. ST III, 153– 164 und hierzu: Danz, Die Gegenwart des Geistes, 241– 244.  Vgl. hierzu sowie für das Protestantismusverständnis folgende Beiträge Tillichs: Der Protestantismus als kritisches und gestaltendes Prinzip von 1929 (MW VI, 129 – 149), The Permanent Significance of the Catholic Church for Protestantism von 1941 (MW VI, 235 – 245) sowie Our Protestant Principles von 1942 (MW VI, 247– 254).  Vgl. MW VI, 140 f.  Vgl. a.a.O., 137.  Bei Tillich kursiv.  Dies deckt sich mit dem, was Tillich in Die Idee der Offenbarung mit anderen Worten zum Ausdruck bringt (vgl. MW VI, 103 f.).  Vgl. MW VI, 134: „Denn die Gestalt ist das Prius der Krisis, die raltionale Gestalt die Voraussetzung der rationalen Krisis, die Gestalt der Gnade die Voraussetzung der prophetischen Kritik.“ (Bei Tillich teilweise kursiv)

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findliche Heiligkeit, wohingegen das protestantische Kirchenverständnis eschatologisch-prophetisch ausgerichtet sei und auf einem Heiligkeitsverständnis basiert, das eine Sollensgestalt in den Blick nimmt.³¹ Allein ekklesiologisch lassen sich also bei Tillich wiederum zwei Pole möglichen Kirchenwesens ausmachen, von denen der Katholizismus das Gestaltungs-, der Protestantismus das Kritikmoment vornehmlich versinnbildlicht. Wie bei allen Polaritäten Tillich’scher Provenienz kann auch diese in praxi nicht absolut erfolgen, sondern erweist sich als Mischform. Das heißt, dass der ‚katholische‘ Kirchentypus Elemente der Kritik, der ‚protestantische‘ Kirchentypus Facetten der Gestaltung mitführt – andernfalls würden beide zu abstrakten Verfehlung ihrer selbst bzw. könnten gar nicht als Kirche auftreten.³² Die Kirchentypen spiegeln deswegen nur teilweise realexistenten Katholizismus und Protestantismus wieder. ‚Katholisches‘ und ‚Protestantisches‘ findet sich in beiden Konfessionen; allerdings überwiegen jeweils bestimmte Momente typischerweise. Die Kritik selbst lässt sich nach Tillichs Beitrag Der Protestantismus als kritisches und gestaltendes Prinzip von 1929 in zwei Arten aufteilen, nämlich in eine die von einem Ideal ausgeht, von dem her sie die Gestalt bemisst und kritisiert, und eine andere, die sich jenseits der Gestalt befindet.³³ Den ersten Typus nennt Tillich rational, den zweiten prophetisch. Erster zeichnet sich dadurch aus, dass er gewissermaßen von der Wirklichkeit ausgeht und diese ideal bemisst; zweiter hingegen verfährt – so könnte man im Anschluss an Tillich sagen – existentiell, weil er prinzipielle Kritik übt, die sich nicht von dem Bestehenden her ableiten lässt. Dass dieser zweite Typ prophetisch ist,³⁴ bedeutet, er arbeitet nicht „innerhalb“ eines Areals, etwa der Vernunft, sondern er überschreitet jede Form der

 Vgl. a.a.O., 236: „If the holy is understood mainly in terms of what is given or of the holiness of being, we have the sacramental type of religion. If the holy is understood mainly in terms of demand or of the holiness of what ought to be, we have the eschatological type of religion. The sacramental type is represented by the priest, the eschatological by the prophet.“  Für den Protestantismus sei dieser Mechanismus paradigmatisch bei Tillich belegt, wobei dies natürlich auch umgekehrt für den Katholizismus gilt: „Protestantism needs the permanent corrective of Catholicism and the continuous influx of sacramental elements from it in order to live. Catholicism, by its very existence, reminds Protestantism of the sacramental foundation without which the prophetic-eschatological attitude has no basis, substance and creative power. […] Catholicism in all its forms is the permanent challenge, preventing Protestantism from running down towards a shallow secularism, trimmed by religious phraseology.“ (MW VI, 238)  Vgl. MW VI, 128: „Kritik geistiger und sozialer Gestalten kann von zwei Standorten ausgehen. Der eine ist der Standort des Ideals, an dem eine Gestaltung gemessen wird. Der andere ist der Standort des Jenseits der Gestaltung, von dem aus die Gestaltung als solche in Frage gestellt wird.“  Vgl. a.a.O., 128 – 131, wo Tillich verständliche Beispiele seiner Theorie anführt.

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Begrenzung und lässt sich deshalb auch als „Glaube“ benennen (MW VI, 129). Gemeint ist hiermit nicht Irrationalität, sondern vielmehr Transrationalität, also eine Kritik, die insofern gläubig ist, als sie nicht in rationalen Kriterien aufgeht oder sich gar in sie überführen ließe, sondern sie vielmehr selbst kritisch hinterfragt. Wie die Religion die Substanz für die Kultur und die Geistgemeinschaft für die Kirche darstellt, so kann die prophetische Kritik als die Substanz der rationalen Kritik bezeichnet werden, wobei Letztere wiederum die Form Erster ist.³⁵ Der protestantische Kirchentyp als der prophetisch-eschatologische bedient sich nun nach Tillich genau dieser existentiellen Variante der Kritik. Insofern koinzidieren protestantische und prophetische Kritik, weil nach Tillich der Protestantismus alle Kriterien der prophetischen Kritik in sich vereint, was wiederum an der Zentralstellung von Rechtfertigungs- und Prädestinationslehre sichbar werde.³⁶ Verfolgte man diese Linie der Argumentation weiter, so könnte sich die scheinbare Konsequenz ergeben, dass der Protestantismus als ‚Heimstätte‘ aller prophetischen Kritik gewissermaßen den Idealtypus von Kirche sowie die Religionsart schlechthin darstellt. Genau zu dieser steilen These schwingt sich Tillich aber bewusst nicht auf, weil sie ein Missverstehen seiner Lesart von Kritik und Protestantismus wäre. Ihm geht es im Gegenteil gerade nicht um eine Hypostasierung des Protestantismus, sondern um ein Wechselspiel von Gestaltung und Kritik, das sich nicht aus der Kritik selbst, sondern aus dem ergibt, was ihr zugrunde liegt. Entscheidend für das Verständnis der prophetischen Kritik bei Tillich ist primär ihre spannungsvolle Einheit mit der Gestalt der Gnade. Wie sich die prophetische Kritik mit der rationalen vereinigt, so auch die Gestalt der Gnade mit der rationalen Gestalt: Die Gestalt der Gnade ist wirklich nur in rationalen Gestalten und zwar so, daß sie diesen einerseits eine Bedeutung verleiht, die über sie hinausgeht, andererseits sich mit der Eigenbedeutung der rationalen Gestalten vereinigt. (MW VI, 139 f.)³⁷

Aus dieser doppelten Verfasstheit von Gestalt und Kritik heraus kann sich Gnade – auf den Begriff wird noch zurückzukommen sein – überhaupt erst verwirklichen. Denn die „Verwirklichung der Gnade ist gebunden an die Art ihrer Einigung mit der prophetischen Kritik.“ (MW VI, 141) Anders formuliert hängt der Gna-

 Vgl. a.a.O., 131: „In der rationalen Kritik wird die prophetische konkret. In der prophetischen Kritik erhält die rationale ihre Tiefe und ihre Grenze, ihre Tiefe durch die Unbedingtheit des Anspruchs, ihre Grenze durch die Gnade.“ (Bei Tillich kursiv.)  Vgl. MW VI, 131– 134.  Bei Tillich kursiv.

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dendurchbruch oder religiös gesprochen: die Möglichkeit der authentischen Offenbarungsrezeption an der Kombination von Gnade und Kritik. Die prophetische Kritik erschließt nach Tillichs Verständnis also die Gestalt für die Gnade derart, dass ihre Verwirklichung erfolgt.³⁸ Grund dafür sind die Zweideutigkeiten, denen jede Gestalt unterliegt, und die in der prophetischen Kritik prinzipiell aufgedeckt werden, so dass die Gehalts- oder Gnadenseite trotz der Zweideutigkeiten an der Gestalt zum Erscheinen gebracht werden kann. Dies gilt natürlich auch und besonders hinsichtlich der Kirche und Kirchen. Neben der Hinordung von Gestalt und Kritik aufeinander bedarf es der Frage nach dem Grund beider. Woher speist sich die Legitimierung der prophetischen Kritik, wenn sie sich gerade nicht auf rationale Kriterien festlegen lässt, sondern im Gegenteil jenseits aller Bedingungen, also unbedingt oder prinzipiell verfährt? Tillichs Antwort auf diese Frage wurde schon benannt durch den Begriff des Glaubens, der – ob bewusst oder unbewusst – allen Formen prinzipieller Kritik innewohnt und Anzeichen für die Teilnahme an der Geistgemeinschaft ist. Glaube ist bei Tillich nicht als externe Setzung oder unvernünftiges Verfahren zu verstehen; es geht ihm vielmehr darum die Unverfügbarkeit prophetischer Kritik zu verdeutlichen, was auch und besonders im Terminus der Gnade zum Ausdruck kommt, die völlig ohne Beteiligung oder Bevollmächtigung des Menschen agiert.³⁹ Insofern ist es konsequent, dass Tillich Glauben beschreibt als „nur möglich durch den ‚heiligen Geist‘, also in einer Gestalt der Gnade.“ (MW VI, 143) Bei dem heiligen Geist, den Tillich selbst in Anführungszeichen setzt, dürfte mit der Lesart von Christian Danz „keine äußere substantielle Instanz, die irgendwie zu dem menschlichen Geist hinzukommt oder auf die dieser sich richtet“⁴⁰ zu assoziieren sein. Eine naturalistische oder supranaturalistische Interpretation des Gottesgeistes ist bei Tillich sicher nicht gemeint.⁴¹ Demnach kommt die Kritikfähigkeit der Prophetie zwar aus dem heiligen Geist – wenn damit aber keine extramundane göttliche Instanz verbunden werden kann, trägt der Geist offensichtlich sein kritisches Prinzip selbst in sich. Vom Menschen ist es jedenfalls

 Vgl. MW VI, 141: „In dem Maße und in der Art, mit der die prophetische Kritik den Charakter einer Seinsgestalt bestimmt, kann sich die Gnade in ihr verwirklichen. Das ist natürlich kein zeitliches Nacheinander. Auch hier gilt, dass das Prius der Kritik die Gnade ist.“  Für die Unverfügbarkeit von Gnade und Glaube sind besonders Tillichs ‚Protestantische Prinzipien‘ aufschlussreich, wie er sie in Our Protestant Principles 1942 entwickelt hat. Gerade das erste Prinzip betont – in augustinisch-protestantischer Tradition – die Alleinwirksamkeit Gottes: „Protestantism affirms the absolute majesty of God alone and raises prophetic protest against every human claim, ecclesiastical or secular, to absolute truth and authority.“ (MW VI, 249)  Danz, Die Gegenwart des Geistes, 238.  Vgl. ST III, 137– 144.

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nicht produzier- oder bewusst hervorrufbar, sonst wäre es ihm nicht unverfügbar. Prophetische Kritik ereignet sich daher aus dem Prinzip des Geistes selbst heraus. Was dies zu bedeuten hat, versucht der Abschlussabschnitt zu klären.

5 Neues Sein und das Prinzip der Selbstüberwindung Prophetische Kritik liegt nicht im Vermögen des Menschen, auch wenn sie in ihm zur Artikulation kommt. Als ‚geistgewirkt‘ steht die prophetische Kritik in einer Linie mit dem Begriff der Offenbarung, als welche sie auch fungiert. Vorrangige Funktion des Symbols ‚Heiliger Geist‘ bei Tillich ist die Bewirkung der transzendenten Einheit unzweideutigen Lebens, die als Antizipation eschatologischer Entfremdungsüberwindung dem Namen entsprechend unzweideutig, wenn auch fragmentarisch auftritt. Anders benennen lässt sich die transzendente Einheit unzweideutigen Lebens etwas griffiger, wenn auch verklausulierter mit dem Tillich’schen Begriff des Neuen Seins. Mit ihm wird in erster Linie Jesus als der Christus selbst als Träger desselben verbunden – doch wie sich der Geist nach einer Vorbereitungsperiode zentral im Christus manifestiert hat, so bleibt die Geistwirkung über den Christus hinaus in anderen Formen der Manifestation – bzw. den Kairoi – präsent.⁴² Tillich bindet damit die Christologie an die Pneumatologie, was als Charakteristikum des Spätwerkes gelten darf. Der Geist ist es, der das Eigentliche wirkt, auch und besonders im Christus. Insofern kann die von Tillich 1913 vertretene Version des Bezugs von Christologie und Pneumatologie nicht unmittelbar in das Spätwerk transponiert werden. Im Jahr 1913 hatte Tillich die Pneumatologie noch als reine praktische Umsetzung prinzipiell durch die Christologie erfolgter Überwindung des Sündenzustandes angesetzt.⁴³ Lässt sich Tillichs späte Geistlehre nicht einfach als Prolongation christologischer Themen verstehen, sondern eher umgekehrt als umgreifender theologischer Topos, der auch die Christologie einschließt, so stellt die Christologie dennoch den Gehalt dar, ohne den auch die Geistlehre des späten Tillich nicht das wäre, was sie sein möchte. Im Folgenden sei daher ein christologischer Blick auf die Begründung geistgewirkter prophetischer Kritik geworfen, wobei zudem zu

 Vgl. a.a.O., 176.  Vgl. EW IX, 364– 366. Zur Christologie des Frühwerks vgl. insbesondere G. Neugebauer, Tillichs frühe Christologie. Eine Untersuchung zu Offenbarung und Geschichte bei Tillich vor dem Hintergrund seiner Schellingrezeption, Berlin/New York 2007 und Dienstbeck, Transzendentale Strukturtheorie, passim.

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fragen ist, wie der Christus Jesus im System zu stehen kommt, wenn er als die zentrale Manifestation des Neuen Seins ebenfalls kritisch zu beäugen wäre. In Our Protestant Principles stellt Tillich den Grundsatz auf, dass der Kern aller (prophetischen) Kritik in einer Transzendierung besteht, welche die Religion selbst einschließt: „Therefore religion, in order to deal with God, must always negate itself in the name of God whom it affirms.“ (MW VI, 248) Erst wenn angesichts des unbedingten Gehalts, symbolisiert durch den Gottesbegriff, auch Religion sich selbst negiert, wird dem Gehalt an sich Rechnung getragen. Anders formuliert: In der Selbstnegation erkennt sich Religion wahrhaft als solche, weil sie um ihre Zweideutigkeiten weiß. Dies zur Durchsetzung zu bringen, ist der permanente Kampf der wahren gegen die falsche Religion in der Religionsgeschichte.⁴⁴ Geschieht diese Kritik in prinzipieller Art, so findet sie ihre für den Menschen allein maßgebliche Form im Christus Jesus. Dies meint nicht, dass der Geist dem Christus nachgeordnet wäre – Tillich beschreibt diesen Sachverhalt in seiner Spättheologie ja tendenziell sogar umgekehrt; doch von Seiten des Menschen als des religiösen Wesens kann das Prinzip, das hinter der geistgewirkten Kritik steht, nicht anders manifest werden als im geschichtlich gewordenen Christus. In diesem Punkt knüpft Tillich eindeutig an seine frühen Elaborationen an.⁴⁵ Dies lässt sich damit begründen, dass Selbstnegation, wie sie von der Religion gefordert wird, nicht gewissermaßen ‚autoritär‘ verlangt werden kann. In Christus Jesus kommt aber gerade das Prinzip der Selbstüberwindung zur konkreten – nicht nur theoretisch-idealen – Vorstellung.⁴⁶ Anders formuliert wendet der Christus als die zentrale Manifestation des göttlichen Geistes das Prinzip der Selbstnegation auf sich selbst an und erfüllt daher durch Selbstrelativierung jede Form von Kritik. Anders gesagt wehrt der Christus als solcher Kritik von sich ab, indem er sich selbst nicht verabsolutiert und sich dadurch nicht dämonisiert. Insofern lässt sich der Christus Jesus – von dem die Jesusseite ebensowenig abtrennbar ist wie die Kultur von der Religion – als das Zentralkerygma des Christentums beschreiben. Dies korrespondiert mit der Aussage Tillichs, dass nur diejenige Geistgemeinschaft eine manifeste ist, die sich auf den Christus bezieht. Lässt sich am christlichen Kerygma, also am Prinzip christlicher Religion selbst, in Tillichs Darstellung Kritik üben? Die Antwort hierauf muss doppelsträngig ausfallen: Als Christus steht die Zentralmanifestation des göttlichen  Vgl. MW VI, 248: „The whole history of religion is a continuous struggle between the true, namely ambiguous, claim of religion and its false, namely unambiguous, selfaffirmation.“  Vgl. insbesondere die 128 Thesen Die christliche Gewißheit und der historische Jesus aus dem Jahr 1911, in: MW VI, 21– 37.  Vgl. EW IX, 322, wo Tillich das Prinzip der Selbstüberwindung christologisch expliziert.

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Geistes jenseits aller Kritik, weil sie gerade den Ort des Jenseits bezeichnet, von dem her prophetische Kritik anheben kann. Zugleich lässt sich diese Manifestation nur in Konkretion fassen. Augenfällig ist dies am Christus selbst der als bestimmter Mensch Jesus paradoxerweise Teil des Geschichtslaufs wird. An jeder Konkretion bzw. Gestalt setzt die prophetische Kritik allerdings unmittelbar und zwar zurecht an. Daraus folgt der zweite Teil der Antwort, nämlich dass Kritik in prophetischer Form keine Ausnahme kennt und daher konsequent auch auf das Kerygma christlichen Glaubens anzuwenden ist. Erst dann und insoweit dieses Kerygma sich selbst unter das Prinzip der Selbstüberwindung stellt und sich dadurch Dämonisierung wie Profanisierung enthebt, bleibt es unkritisierbar. So entsteht eine permanente Spannung zwischen Kerygma und Kritik, die aufzulösen nicht Glaube und Religion, sondern ausschließlich Gott selbst in eschatologischer Perspektive vorbehalten bleibt. Die Kirche bedarf allezeit der Reform. Dies lässt sich auch beim Tillich’schen Kirchenbegriff behaupten, der unter der fortdauernden prophetischen Kritik der Geistgemeinschaft in ihrer Manifestation, aber auch in ihrer Latenz steht. Reform kann bei Tillich aber nicht meinen, dass Einzelne oder die Kirche als solche sich aus eigenem Vermögen erheben, um Veränderungen an der Institution Kirche anzustoßen. ‚Reformator‘ im engen Sinne kann nur der göttliche Geist selbst sein, der sich allerdings in einzelnen Vertretern in und außerhalb der Kirchen prophetisch zu Gehör bringt. Als Prinzip Tillich’schen Kirchenverständnisses kann der Karl Barth zugeschriebene Spruch der Ecclesia semper reformanda dennoch dienen. Es macht die Kirche im christlichen Sinne aus, dass sie sich dem Kerygma stets in Selbstnegierung und Selbstüberwindung unterordnet. So und nur so ist sie die wahre Erbin des im Christus manifesten Prinzips – die permanente Reformbedürftigkeit macht dies anschaulich vorstellig.

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The Faithful Practice of Reformation: Resistance and Utopia in Tillich’s Thought Introduction In the middle of the 19th century, the New England Transcendentalist and Unitarian preacher Theodore Parker offered this interpretation of the nature of life and the flow of history: “I do not pretend to understand the moral universe, the arc is a long one … But from what I see I am sure it bends towards justice.”¹ More than a century-and-a-half later, the writer Ta-Nehisi Coates reflected on his experience and his observations of life as an African American male, offering a contrasting perspective to Parker’s: “My understanding of the universe was physical, and its moral arc bent toward chaos then concluded in a box.”² Paul Tillich’s understanding of reality lay somewhere between the optimism of Parker and the pessimism of Coates. He believed that coping with conformity and opening the self to transformation embraced the existential truth of our presence within reality and the fragmentary ways our essential selves enter that reality. This applies to personal life. It applies to social and political life as well. This chapter will focus on the socio-political dimensions of that experience. It will examine three decisive points at which Tillich stood in resistance to forces at work in history: his turn to socialism following World War I; his Voice of America speech project during World War II; and his grappling with the utopian and anti-utopian poles in the opening decades of the Cold War to search out a path beyond spiritual vacuum.

1 Christianity and Socialism Students of Tillich eventually discover the story of his transformation from a political conservative under the pre-World War I German Empire to a socialist by the time of the war’s end. In May 1919, six months after the conclusion of the  Theodore Parker, “Of Justice and the Conscience,” in Ten Sermons of Religion (Boston: Crosby, Nichols and Co./New York: Charles S. Francis and Co., 1853), 84– 85. This quotation is regularly (and variously) misattributed to President Abraham Lincoln, Rev. Dr. Martin Luther King, Jr. or former-President Barack Obama.  Ta-Nehisi Coates, Between the World and Me (New York: Spiegel & Grau, 2015), 28. https://doi.org/10.1515/9783110668124-005

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war, Tillich created a stir with his church overseers by giving a lecture at a meeting of the Independent Socialist Party and published it with his friend, Carl Richard Wegener, that same year. The title of the original lecture was “Christianity and Socialism.” The title for the pamphlet of the speech was “Socialism as a Church Question.” It reveals an early sensitivity to the ambiguous nature of historical action. It is structured around three themes: I – The Relationship of Christianity to the Social Order Generally and the Socialist One in Particular; II – The Position of Socialism and Social Democracy toward Christianity and the Church; and III – The Tasks of the Church Over Against Socialism and Its Parties.

1.1 The Relationship of Christianity to the Social Order Generally and the Socialist One in Particular Tillich asserted that the unconditionedness of religion and the supra-cultural character of Christianity prevents equating them with any societal order. However, religion is expressed concretely through particular forms of cultural life and should not be limited to a particular sphere.³ It is unmistakable that Christianity had forged close alliances with various autonomous forms of cultural life. Christianity has always “seen the love ethic of Jesus as the fundamental norm for social life.” Therefore, it has greater affinity for certain forms and always possesses “a ferment of critique and criticism which is excited to a greater degree, the more a social and economic system is grounded in force, oppression and self-interest.” Thus, Christianity should have stood against the capitalist, military order that ultimately led to the war.⁴ The ethic of Christianity demands an order built on community versus economic and political egoism. Rather than a dog-eat-dog, private, profit-based economy, it supports an economy of solidarity with joy in the labor itself rather than joy in profit. It stands against a class structure protecting privilege and restricting access to enculturation, and it demands a society in which opportunity is based on being qualified versus being privileged. It stands against nationalistic power politics and “the justification of lies and oppression through the national idea,” demanding the submission of all states to a supra-state legal order.”⁵

 Paul Tillich und Carl Richard Wegener, Der Sozialismus als Kirchenfrage. Leitsätze (Berlin: Gracht, 1919; Repr. G.W. II), 13.  Ibid., 14.  Ibid., 14– 15.

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Tillich believed that socialism would be fully in the right to appeal to the core of Christian teaching by envisioning a just structure of society: “Not only in its indictment of the capitalist social order, but also in its defense against the attacks – both by capitalism and the church – socialism can appeal to the Christian love ethic.” Through its renunciation of egoism as the driving force of the economy, socialism is accused of paralyzing production. It can then reply – in the spirit of the Christian ethic – that humanity is not there for the sake of production but that production for the sake of humanity, and the ethical aim of the economy is not to produce as many luxury goods for the individual as possible but to produce the life goods that are necessary for all. Rejecting the accusation that socialism wants to abolish differences among peoples and nations, Tillich wrote, “socialism must affirm that a society built on community and love” is not one of idealistic egalitarianism but one that “acknowledges a hierarchy of skill and also national uniqueness. For it lies in the essence of love to affirm the individual precisely in their uniqueness.”⁶ As with other expressions of ethical idealism, Tillich asserted that socialism must know that there are obstacles in the way of achieving its goals. The work of the church also “lives out of this idealism.” Socialism’s secular ideal doesn’t put it at odds with Christianity’s transcendence. In fact, Christianity’s love ethic leads it to change reality. Socialism can “acknowledge an outlook which places everything conditioned and temporal under an unconditioned and eternal.” Tillich believed that socialism, too, wants change, but rather than changing humanity it wants to change the conditions of human life. In this, it can reply that it is the duty of love to remove the external obstacles, “particularly the dulling impact of capitalistic labor practices which, in countless ways and in all positions, make it difficult – indeed, nearly impossible psychologically – to be open to spiritual life generally and, with that, to religion.”⁷ For Tillich, to speak from Christian love was consistent with socialism. Economic and spiritual unity are bound together. When religion forgets this, it loses its force. “We stand in such a period of disintegration; a new period of unity is arising; socialism will form its economic and social foundations. But Christianity has the task of offering this development its ethical and religious force and, through that, laying the basis for a new, great synthesis of religion and social culture.”⁸

 Ibid., 15.  Ibid., 15 – 16.  Ibid., 16.

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1.2 The Position of Socialism and Social Democracy toward Christianity and the Church In the second part of the talk, Tillich claimed that Christianity – as described in the preceding – must not deny the socialist idea but must unconditionally take a stand toward it. But empirical, scientific socialism and socialist parties were barriers to Christianity’s affirmation of socialism at the time. Marxism maintained a relationship between the economic foundation and the spiritual construction of culture but was not – itself – metaphysical materialism. Further, Tillich argued against seeing socialism monolithically: Marxism and socialism were not identical.⁹ Regarding socialist parties, Tillich observed the importance of making distinctions between their position toward Christianity and their position toward the church, between the words of individual representatives and the formulated views of the parties, between the ideal and its empirical representations: such distinctions which Christianity would rightfully demand of itself must also be applied to socialism. Acts committed in the name of socialism, yet standing in sharpest contrast to the socialist idea, had to be named as such, as well.¹⁰ According to Tillich, there had been a shift in socialism from its hostility to Christianity and religion at the end of the 19th century to the call for acknowledging its ethical-religious inspiration. Socialism was indifferent to the church in general while rejecting a state church. Its resistance was to the state church to which the bourgeois-capitalist and nationalist social order was bound to the uttermost degree and which failed to understand socialism’s relation to the love ethic. He saw socialism’s anti-church (not anti-Christian) position in the same light as communal and sectarian circles with their similar, anti-ecclesiastical critique.¹¹ Considering Christianity’s relation to dramatic social change, Tillich admitted that revolution was un-Christian in Luther’s thought. Reformed Christianity – on the other hand – defended a right to revolution. Aquinas acknowledged a right – and in some cases a duty – to revolt. And even Lutheranism had come to support revolution in special circumstances.¹²

 Ibid., 16 – 17.  Ibid., 17.  Ibid., 17– 18.  Ibid., 18.

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1.3 The Tasks of the Church Over Against Socialism and Its Parties Based on the preceding observations, Tillich concluded that since there was no fundamental antagonism to the church and Christianity within the socialist idea and the socialist parties, the church should have a positive view of socialism. He argued, “A positive position is not merely the will-to-Christian-social-reform” and legislative mitigation of suffering. It is bringing the ideal of Christian love into realization through the higher goals of destroying “the basis of economic misery,” of “preventing the possibility of economic egoism,” and of “destroying the roots of war through supra-national organization.”¹³ A positive attitude toward socialism by the church did not mean gaining socialism for the church, an institution seen as the product of bourgeois, capitalist culture. “Socialism is not only a labor cause but, rather, a new ethical ideal.” If the first two options – a will-to-Christian-social-reform or gaining socialism for the church – would not achieve the goal of the realization of Christian love, representatives of Christianity and the churches who stood on socialist ground could enter into the socialist movement to clear the way for a future union of Christianity and the socialist order. Further, he demanded that church leadership be required to cease setting up barriers to those led – “out of Christian and socialist conviction” – to take this hard path of seeking the unity of the two movements. Further, this should not be a process that is merely tolerated but enthusiastically welcomed, because “The further development of this movement is of decisive significance for the future of the German Protestant Church.” Tillich believed that the greater the strength gained by the Christian-Socialist movement, the more influence it would have “on the formation of the church.” He saw it as important that “no one, because he thinks in socialist terms should be held at a distance from the life and leadership of the church, neither clergy nor laity. Accepting rather than excluding Christians from the movement can help bridge the chasm between socialism and Christianity.” Tillich acknowledged that shortterm conflicts within the church would be unavoidable. But if socialism was rejected, the church would surrender its right to be called church. If it was accepted, enduring the undeniable difficulties, it would secure its mission into the future.¹⁴ With this speech, Tillich firmly planted himself in a position that argued for Christianity – as a concrete expression of the love commandment – providing

 Ibid., 18 – 19.  Ibid., 19 – 20.

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the spiritual and theological foundation, and the active labors, required for structuring society in a manner consistent with its message, a message no longer understood as individualistic pablum and platitude but as life agenda: social reform – even revolution – to broaden justice within society. The very act of giving the lecture may have been naïve regarding its reception by both church and socialists. However, it reveals full awareness that it was work that would be in line with his later formulation of human nature as finite freedom: this would not be a blissful process toward utopia. From this turning point in Tillich’s political theology, the discussion moves to a special project he undertook during a particular period of crisis in German history: his speeches over the Voice of America during the Nazi tyranny.

2 The Voice of America Speeches: Stoking the Furnace of Resistance After the Nazi regime fired Tillich from his position as head of the department of philosophy at the University of Frankfurt, Tillich and his family made their way to the United States where he was enabled to continue his work at Union Theological Seminary in New York. From March 1942 through May 1944, Tillich wrote weekly speeches for broadcast into Germany over the Voice of America (VOA). The Office of War Information (OWI) of the United States government oversaw the work of the VOA. The OWI created the VOA as an arm of psychological warfare during World War II. The mission of the VOA was to use truth as a means of persuasion in the Allied cause. By participating in its work, Tillich gave concrete expression to his vision for resisting Nazism and building a just postwar future for Germany following the terror of the Hitler dictatorship. Among the myriad of themes found within the one hundred fourteen weekly speeches, several are particularly relevant to the theme of reformation, revolution and resistance: (a) freedom, fate, and resistance; (b) extracting the poison of Nazi culture out of Germany; (c) nurturing legitimate community; and (d) embracing political identity.¹⁵  There are three sources for the speeches by Tillich cited here: (1) An meine deutschen Freunde: Die politischen Reden Paul Tillichs während des Zweiten Weltkriegs über die Stimme Amerikas, Ergänzungs- und Nachlassbände zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich Band III (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 1973), hereafter cited as EW III; (2) Against the Third Reich, trans., Matthew Lon Weaver (Louisville, KY: Westminster John Knox Press, 1998), hereafter cited as ATR; and the (3) Paul Tillich Archive at Harvard Divinity School, hereafter cited as PTAH. The citations for the speeches will begin with VOA, the acronym for the Voice of America. Further, the citations will be nested together at the end of each paragraph to conserve space.

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2.1 Freedom, Fate, and Resistance Freedom and fate are foundational for Tillich’s thought as a whole and are, unsurprisingly, present in the speeches. Tillich equated character with decision in the face of fate. He urged the German opposition to take the lead in the decisions to both face and change Germany’s fate. Early on, he exhorted his listeners to draw on the spirit of resistance he was convinced had been growing within them: “Resist! Take the path of freedom, the only saving path!” Tillich observed that without freedom we cannot respect ourselves and therefore, we are incapable of respecting others. As he considered the eventual punishment of the Nazis, Tillich called it “the response of the divine world order attacked by the National Socialists.” Near the end of the project, he turned to Hegel’s observation (one that sounds very Buddhist) that life’s unity means that attacking another is, in fact, attacking oneself. Therefore, Tillich called Germans to accept the fate it had brought upon itself as “the first and decisive step toward reconciliation.”¹⁶ Freedom and fate were inseparable within his message. Building on his general exhortations to resistance, Tillich gave attention to specific acts of resistance as an urgent expression of his listeners’ human freedom. In the spring of 1942, Tillich pointed to the commitment of the Norwegian Church in its reaction to the traitorous collaboration of Quisling with the Nazi invaders. That summer, he reported on the atrocity of the destruction of the Czech village of Lidice and the mass murder of its male citizens, mistakenly accused of assassinating Reinhard Heydrich.¹⁷ In another instance, he called German soldiers and laborers to stop offering blood sacrifices to their tyrants. To the people as a whole he exhorted, “Take up arms to put an end to the internal siege” within Germany. Pointing to the deeper, cultural level, he admonished intellectuals for thinking nationally and provincially rather than universally, declaring, “All great thinkers have thought on a human scale.” At another time he declared, “Terror is not invincible. It lies within your hands to smash it from within.”¹⁸

 VOA #32, 11/1942, ATR, 83 – 85; VOA #6, 5/1942, EW III, 37; VOA #63, 6/1943, EW III, 222; VOA #30, 10/1942, ATR, 80; VOA #105, 4/1944, EW III, 341– 42, 344.  VOA #5, 4/1942, EW III, 30; VOA #12, 6/1942, EW III, 49.  VOA #34, 11/1942, PTAH, bMS 649/112 (4), 3; VOA #81, 10/1943, PTAH, bMS 649/114 (11), 3; VOA #81, 10/1943, PTAH, bMS 649/114 (11), 3; VOA #50, 3/1943, ATR, 134; VOA #68, 7/1943, EW III, 239.

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2.2 Extracting the Nazi Poison from German Culture Tillich called to the nation to separate itself from unjust leadership. One strand of this message comprised the many-layered ways the nation needed to transform its life away from the plague of Nazi culture: in short, to extract the poison of Nazism from its cultural fiber. Part of this transformation required recovering the human. Commenting on the dehumanizing impact of blind obedience, he wrote, “The ancients said that the slave is not a true person, that only the free person, who makes independent decisions, can grow to full humanity.” Without such freedom, “one can only speak of cadaver-obedience.” In another place, using the image of puppet masters, Tillich argued that the Nazis were driven by demonic, sub-human forces, such that they not only sought to treat those they oppressed as puppets but had themselves become the puppets of the diabolical force at work within them. He made a similar point to motivate action in his use of a decisive scene in Goethe’s Faust in which the character of Gretchen reaches a crucial insight: just as she recognized the demon in her midst, so Germany had to recognize the demonic to which it had surrendered. As the alternative to this demonic path, Tillich pointed to democracy. He noted that in contrast to dictatorship, the spirit of democracy respects the dignity of all. Further, economic security combined with democracy preserves human dignity. Tillich communicated the deep, cultural significance of this choice using the images of the God-Man (of a free democracy) and the Man-Beast (of a terror state built on dictatorship): he admonished his listeners to choose the God-Man, i. e., to recover their humanity through commitments to justice, human dignity, truth and freedom.¹⁹ Tillich understood that transformation away from Nazism required courage, but he urged his listeners to end the contradiction between the courageous willingness to serve in the military and the passive unwillingness to resist politically. Further, he knew that education was key to the matter. Though suspicious of externally imposed strategies of education, Tillich knew that a radical change symbolized by it was necessary and spoke of its potential for bringing change: this was an education founded on the existential impact of Nazi rule upon the German people. To illustrate this, he contrasted two types of formal education: the first, a dignifying education that “awakens joy in the richness of human possibilities;” the second, an inhuman education that “awakens contempt for every-

 VOA #62, 6/1943, EW III, 221; VOA #76, 9/1943, ATR, 193 ff ; VOA #77, 9/1943, ATR, 198 – 99, 201 – 202; VOA #13, 6/1942, EW III, 52, 54; VOA #14, 6/1942, EW III, 56, 59; VOA #9, 5 – 6/1942, PTAH, bMS 649/111 (10), 3 – 5.

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thing unfamiliar.” But beyond this, and even more important to him, was the triple force of fate, the work of the German opposition, and the community that other countries offered to Germany. Six months later, he urged listeners to take to heart the possibility that “the hearth of two world wars [had] eliminated the preconditions for a third one.” But Tillich also urged Germans to harvest the transformative power of their creative legacies: from teutonic chivalry, that freedom and depth; out of their Christian tradition, Old Testament justice and New Testament love and truth; and from humanism, the ability to reason, the affirmation of human dignity and the inclusion of all people in the human community.²⁰ Perhaps Tillich’s most vivid metaphor for this difficult transformative task was the purification of Germany from the cultural sepsis that was poisoning it. Tillich was concerned about the insidious impact of power worship that followed Germany’s defeat in World War I. In December of 1942, he saw Advent hope in Germany’s purification from the poison of Nazism. In his one hundredth speech fifteen months later, he described his purpose for the speeches as “a continuous struggle for the liberation of the German people from the [poisoning] enslavement to the Nazis.” Elsewhere, he urged Germans to join in the Allies’ war of liberation, calling Allied victory salvation from Nazism, and advising that welcoming their liberators could show the victims of Nazism that Germany and Nazism were not the same thing.²¹ The role of the intelligentsia in the transformation of Germany was crucial for Tillich as alluded to before. He saw in the lines of books both “an explosion [that] can lay hidden which destroys a world” as well as “a spiritual force which constructs a new world.” He highlighted the specific responsibility of intellectuals to make every thought revolutionary.²² Turning to the transformative potential of the church, Tillich acknowledged the hard truth that religion had consented to oppression in the past, most notably in both the French and Russian revolutions. Yet, he was able to praise those religious leaders in the contemporary crisis who spoke on behalf of the oppressed. In particular, he cited the work of Archbishop of Canterbury William Temple and other leaders who embodied religion as a revolutionary force, and whose message was “gaining acceptance in the rest of the world.” He noted, as well, the call of the Roman Catholic bishops of Great Britain for a living

 VOA #94, 1/1944, PTAH, bMS 649/115 (1), 2; VOA #31, 10/1942, EW III, 122, 123 – 25; VOA #57, 5/ 1943, EW III, 202; VOA #47, 3/1943, ATR, 119 ff.; VOA #48, 3/1943, ATR, 124 ff.; and VOA #49, 3/1943, ATR, 128 ff.  VOA #75, 9/1943, EW III, 262– 63; VOA #36, 12/1942, ATR, 93 – 94; VOA #100, 3/1944, ATR, 264; VOA #28, 10/1942, ATR,69 ; VOA #39,12/1942, ATR, 102 – 104; VOA #67, 7/1943, ATR, 177.  VOA #8, 5/1942, ATR, 33; VOA #24, 9/1942, ATR, 58 – 59.

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wage and the protest of American church leaders about the racist treatment of workers, thus, choosing the direction of justice, construction, and a new beginning rather than revenge, destruction and the end of Germany.²³ From this summary of Tillich’s concern that transformation take place within German culture, the discussion now focuses on his call for Germany to nurture legitimate community.

2.3 Nurturing Legitimate Community Out of his deep suspicion of the idolatrous traits of national identity that manifested themselves in Germany – and that could grow out of nationalism elsewhere – Tillich urged Germans to “overcome the pernicious results of national sovereignty” by joining the community of nations. He summoned his listeners to reject provincialism and to embrace “world.” He invited the German opposition to “think with those of us outside of Germany about the postwar structure of the world.” Further, he pushed the opposition to cultivate a public opinion against national sovereignty and in favor of a community of nations. Sometime later, he wrote, “Nazism has turned Germany into a curse for many nations and millions of individuals,” but he urged his listeners, “you are those who can speak a new word … [a] last word of reconciliation, of the new community of nations beyond crime, curse and punishment.” He would eventually call this a choice for the creative heroism of a world community leading to life and a future over against the destructive “heroism” that sacrifices the nation’s youth and future for the sake of world rule. Ultimately, Tillich called for abandonment of a socalled “community” in the service of power and, in its place, the embrace of unity built on the life-building and life-sustaining forces that rule reality from the cellular to the international levels.²⁴ Tillich argued that there were prophetic and Christian principles for communal life that were both implied and overt within reality. In the autumn of 1942, he asserted that true power required the combination of power and justice.²⁵ At an-

 VOA #42, 1– 2/1943, PTAH, bMS 649/112 (14), 2– 3; VOA #41, 1/1943, EW III, 150 – 52; VOA #15, 7/1942, EW III, 64.  VOA #39b, 1/1943, PTAH, bMS 649/112 (11), 3; VOA #27, 9/1942, EW III, 107– 108; VOA #18, 7/ 1942, EW III, 74; VOA #17, 7/1942, EW III, 72– 73; VOA #44, 2/1943, EW III, 158, 159; VOA #66, 7/ 1943, PTAH, bMS 649/113 (21), 2– 3 (see also VOA #73, 8/1943, PTAH, bMS 649/114 [3], 1– 4) VOA #97, 2/1944, ATR, 229 – 31.  VOA #29, 10/1942, ATR, 72 – 75. In the first year of the speeches, he still saw the Soviet Union as the bearer of a new justice (VOA #3, 4/1942, EW III, 24).

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other place, he warned that whoever loses justice loses themselves, “loses the other person … the other nation … humanity … God.” Thus, he encouraged his listeners to become a sword of justice and to reject faith rooted in fear, embracing instead faith rooted in justice. Despite the difficulty of the struggle, Tillich declared, “No one is as powerful as the one who fights for justice with good conscience.” In November 1943, he urged Germans to transform an old nationalist motto into a slogan for justice: “Fear God and nothing else in the world.” Two months later, he appealed to another ancient proverb, “Justice exalts a nation [inwardly] … through [the nation’s] inner strength, in its prestige among other nations, in creative forces that benefit all people.” He insisted that choosing justice means being “instruments of the moral, constructive world order … not the immoral, destructive world order.” For Tillich, to choose the Christian values of truth and justice was to defy the diabolical and idolatrous faith of Germany in itself. He interpreted the prophetic tradition as anti-nationalist and anti-idolatrous in contrast to Nazism. He saw the prophetic-Christian principle of life as one calling for defense against heathen-nationalist attacks. He described the impact of love in this way: “Love breaks out of the prison of individualism and nationalist stupidity. Love goes to another person, even one with a different language or of a different race, and returns from them richer.” Thus, he exhorted Germans to choose “the new heroism … of sacrificial love,” to opt for a way of being human “that has reverence for all” and a way of embodying national identity that fully participates in “the community of all people.” In his understanding of Jesus as the Christ, Tillich found the birth and resurrection narratives to be instructive, encouraging Germans to see Christ’s birth as a source of hope for renewal, not victory. In December 1943, he urged them to understand that Christ would be born in the British and Russian foxholes, in the working-class tenements of German cities, and “in the loaded stock-cars in which mothers with their infants are driven into the death camps.” During Eastertide 1944, he admonished Germans to embrace the Good Friday of suffering before the Easter of national renewal in which justice could defeat power, truth could overcome deceit, construction could overwhelm destruction, and becoming part of the community of nations could trump nationalism.²⁶

 VOA #7, 5/1942, ATR, 28; VOA #83, 11/1943, ATR, 207; VOA #91, 1/1944, EW III, 296 – 99; VOA #59, 5/1943, ATR, 161; VOA #84, 11/1943, PTAH, bMS 649/114 (14), 3; VOA #93, 1/1944, EW III, 305; VOA #33, 11/1943, PTAH, bMS 649/112 (3), 4; VOA #96, 2/1944, EW III, 312; VOA #1, 3/1942, ATR, 13 ff.; VOA #20, 8/1942, EW III, 83 – 84; VOA #2, 4/1942, ATR, 20; VOA #37, 12/1942, ATR, 98; VOA #89, 12/1943, EW III, 291; VOA #87, 12/1943, PTAH, bMS 649/114 (17), 4; VOA #88, 12/1943, EW III, 286 – 87; VOA #104, 4/1944, ATR, 243 – 44.

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With this consideration of Tillich’s thoughts on keys to Germany’s recovery from the loss of a functioning, enriching communal identity, the discussion of the Voice of America project concludes with the issue which was fundamental to Germans’ willingness to act to renew their life and culture: the embrace of political identity.

2.4 Embracing Political Identity Tillich’s general message was that true citizens are responsible participants who offer their voices in the political realm. Early in the VOA project, he saw the absence of this in Germany’s apolitical past, during which the repression of political freedom had produced an internalized absence of freedom. Five months into the project, he argued that political struggle was the key to political maturity and implied that German resistance to revolution following World War I epitomized the absence of this.²⁷ Thus, it is not surprising that the political immaturity of the German people became a recurring theme in the speeches.²⁸ While a culturally specific comment on Germany’s political maturity may have been questionable for him to make, Tillich’s description of the temptation toward a double-mindedness of German culture during Nazism seems more tenable: “When the German nation stops swinging to-and-fro between outrageous arrogance and an absurd sense of inferiority,” it can experience saving justice in place of power without spirit. Thus, he expressed his belief that there were fibers within the fabric of German culture that together offered a hope beyond the tragic, a hope for the unity of humanity: Christianity, socialism and democracy. Thus, he exhorted

 VOA #4, 4/1942, ATR, 21 ff.; VOA #23, 8/1942, ATR, 52 – 53; VOA #21, 8/1942, ATR, 43 – 44.  VOA #9, 5 – 6/1942, PTAH, bMS 649/111 (10), 4; VOA #23, 8/1942, ATR,52 – 53 ; VOA#43, 2/1943, ATR, 116; VOA #63, 6/1943, EW III, 224; VOA #72, 8/1943, EW III, 258 – 59; VOA #94, 1/1944, PTAH, bMS 649/115 (1), 3; VOA #99, 2/1944, EW III, 323; and VOA #106 (4/1944), ATR,246 – 48. My mentor in Jewish Studies at the University of Pittsburgh found this to be a way to avoid responsibility for Nazi crimes and a denial of Germany’s experiments with democracy (Conversation with University of Pittsburgh Professor Alexander Orbach, September 1998). As an American under the presidency of Donald J. Trump, I find it unpersuasive to accuse the German culture of the 1930s and 1940s of this in light of the reversal of fortunes of leadership for the United States and Germany in the 21st century: the United States with its president (Donald J. Trump) who publicly displays his gross, emotional immaturity and Germany with its Chancellor (Angela Merkel) who has the critical thinking capacities to have been a research scientist in her previous career.

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the German opposition to fight back against the temptation to flee from the political into “the inwardness of the heart.”²⁹ Along with this general call to active participation in – and responsibility for – the political processes, Tillich insisted that Germans understand that a political identity which has integrity required honesty about nations, particularly nations in crisis. The starting point for this – during the Nazi regime, in particular – was to understand the core problem of nationalism: pure nationalism equals pure will-to-power and its brutal consequences. He said, “Perhaps the national idea – after it has celebrated its last, mad triumph in Germany – will have lost its power and have to yield to another, higher idea.” Thus, Tillich admonished listeners to choose a “seeing love” of fatherland in place of its blind love thereof. He stressed that Germans must recognize the Nazis as the national and international criminals that they were. He contended that a responsibility for Germany “surely means a responsibility against the Nazis … It is your responsibility to get rid of the Nazis for the sake of Germany.” Ultimately, this would mean having the strength to embrace the truth of a nation’s inevitable defeat: the choice of true heroism over empty, vain “heroism.”³⁰ The most difficult, controversial and fraught part of Tillich’s call to embrace political identity related to the guilt of one’s nation. He saw Germans under Nazism experiencing a threefold siege: peace versus war; freedom versus subordination; and courage to resist versus consent to the existing powers. He was disturbed by the destructive use of technology intended for bringing the world more closely together: “the implements of community – in the air, on water, on land” – were being turned into “implements of discord”: bombs dropped from planes, torpedoes launched from U-boats, missiles borne by trucks, and hostile rhetoric carried by short wave. He seemed perplexed by Germans’ simultaneous abhorrence of Nazi crimes and deference to authority.³¹ Generally, he did not legitimize a blanket, collective guilt of a nation, equally shared by all (in the manner of Lord Robert Vansittart³²) but acknowledged a hierarchy of responsibility and people’s varying positions within that hierarchy.³³ To the degree that Till-

 VOA #95, 1/1944, ATR, 228. See also VOA #58, 5/1943, ATR, 156 – 57; VOA #21, 8/1942, ATR, 44 – 45; VOA #23, 8/1942, ATR, 54.  VOA #16, 7/1942, EW III, 67; VOA #68, 7/1943, EW III, 240 – 41; VOA #30, 10/1942, ATR, 76 – 77; VOA #102, 3/1944, ATR, 236; VOA #99, 2/1944, EW III, 322.  VOA #81, 10/1943, PTAH, bMS 649/114 (11), 4; VOA #38, 12/1942, EW III, 136. See also VOA #80, 10/1943, PTAH, bMS 649/114 (10), 1; VOA #84, 11/1943, PTAH, bMS 649/114 (14), 2.  Robert Gilbert Vansittart, Black Record: Germans Past and Present (London: Hamish Hamilton, 1941).  VOA #11, 6/1942, ATR, 37 – 38.

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ich’s indictment took the shape of a broadside against the culture as a whole, he expressed in this way: Germans “lacked the respect for human freedom … [and] the will to devote itself to the struggle against the frightful dictatorship of National Socialism. There was too much worship of power … too much subjugation … too much idolatry of authority.”³⁴ Tillich asserted that guilt was the destroyer of courage. In August 1943, he assured listeners that the embrace of guilt could be restorative: admitting guilt would lead to atonement and, finally, expiation. By the end of more than two years of weekly speeches, he was calling Germans to affirm what their consciences were telling them: Germany’s cause was unjust. In his final address, written four weeks before the D-Day invasion, his message was this: “Wake up from the intoxication of fear,” face guilt, and walk into the future “with clarity and bravery.”³⁵ As one considers Tillich’s broad and far-reaching message in the Voice of American speeches – from freedom and fate to the call for resistance, from facing down the poison of Nazi culture out of Germany to replacing faux community with true community rooted in a mature political identity – it is not an overstatement to call his project political trauma surgery. Reform was inadequate for addressing the murderously terrorizing political juggernaut of Nazism. Even revolution was insufficient for the gaping cultural wound left by the maiming force of Nazi ideology and action. Freedom had to face fate relentlessly to bend a menacing power within history toward the path of healing for the German people. With this, the discussion will shift its focus to the subsequent period: the rise of the Cold War and Tillich’s navigation of the utopian and anti-utopian tension to find a way through spiritual vacuum.

3 Hope Amidst the Vacuum of Cold War At the end of World War II, with most of his overtly political projects completed, Tillich continued to take opportunities to reflect on a philosophy/theology of history. Not long after war’s end, the Cold War began its descent upon the world. The beginning of a nuclear arms race between the United States and the Soviet Union, and the competing interpretations of the situation at the time inspired Tillich to reflect on the way ideas such as kairos, vacuum, utopian, Kingdom

 VOA #52, 4/1943, ATR, 140. The indictment of power worship and subjugation was echoed in other speeches, for example, VOA #106, 4/1944, ATR, 245 ff.  VOA #12, 6/1942, EW III, 51; VOA #71, 8/1943, ATR, 183 ff.; VOA #108, 5/1944, ATR, 254 – 56; VOA #109, 5/1944, ATR, 260.

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of God, and theonomy might help mid-twentieth century people live meaningfully in the context of a new reality.

3.1 The Spiritual Vacuum (1948) In this period, Tillich began a pattern of regular summer travels to Europe. During the summer of 1948, Tillich gave lectures in several cities in the land of his birth. One of these he delivered at the Technischen Universität in Berlin under the title, “The Spiritual Situation in the World,” published in Das sozialistische Jahrhundert as “The Spiritual Vacuum.” In this lecture, Tillich described what he took to be the loss of a spiritual center: in reason’s giving way to technical reason, thus, ceasing “to be radical and critical, to lead the struggle against demonic authorities and heteronomies;” in capitalism’s creation of class antagonism “debasing every individual person and collective society” by turning them into objects; in the danger within democracy whenever a disruptive minority says, “I prefer the risk of shattering the entire system to submitting;” in competitive social life where “hostile forces are generated and community-forming forces are suppressed” that attack individuals psychologically; and in the loss of “a group of symbols which could be” the immediate “expression of their own being and for that reason a spiritual center.”³⁶ Therefore, he urged his audience to “seek the spiritual center in another dimension, not in the dimension of that which exists side-by-side you but, rather, in the dimension of depth, the dimension of the Ground … namely, the center of a holy-being-having-becomeempty … believing that in this being-having-become-empty new possibilities can unfold … [trusting that] the forces of the Ground will begin to stream into this vacuum and out of those forces symbols will arise which have the precise character to bring the mystery of the Ground to expression and with that provide a new spiritual center.”³⁷

3.2 The Political Meaning of Utopia (1951) In the summer of 1951, Tillich presented a series of lectures – The Political Meaning of Utopia – at Deutsche Hochschule für Politik in Berlin. There, he went into significant depth in addressing themes that he would later tailor to an American

 Paul Tillich, Das geistige Vakuum, in Das sozialistische Jahrhundert, Jg. 2 (1948), 303 – 304.  Ibid., 305.

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audience in the Rauschenbush lectures at the end of the decade. In the 1951 talks, speaking to a community with its wounds from the Nazi tyranny still very real and present, Tillich described the possible connections of utopia to human being, explicated the relationship of utopia to history, described the ways utopia was expressed in overtly secular and religious contexts, and weighed its importance for the understanding of reality.³⁸ Using his two-dimensional framework for what it means to be human – variously termed finite freedom, or freedom/fate, or essential self/existential self – Tillich encouraged the audience to embrace the venturing, courageous experience of ambiguous living, of being human. To do this was to have a sound sense of the relationship of human potential (essence) to human actuality (existence).³⁹ Within essentialism, Tillich found unhistorical and historical interpretations of reality. Among unhistorical approaches were mysticisms that submerge everything in the ground of being and cyclical naturalisms where no movement occurs within history, both of them seeing a utopia in the past and historical reality as a process of disintegration: these involved escapes from history into essentialism. However, Tillich saw here, as well, approaches to history in which time rules space. These were often built upon a three-part structure: (a) the assumption of a pure origin in a distant past, (b) the fall from the innocence of that original state, and (c) the restoration of the original condition in a vague future. Mythic notions of a golden age of human innocence (part one) are consistently part of this story: biblical prophecy leaned in this direction. Various revolutionary, evolutionary, and progressive accounts of history pursue the goal of regaining the original state (the restoration) in the midst of an unsatisfactory present (the condition of the fall). For the essentialist who was serious about history, being defeats nonbeing. Whether they were essentialisms of the unhistorical or the historical type, Tillich wrote, “The principle of all utopias is the negation of the negative.” He argued that to choose the wholly essentialist direction would be to assume human beings could fully embody freedom: a complete embrace of utopianism.⁴⁰ The other end of the spectrum – existentialism – involved the rejection of utopianism. Tillich saw it represented in the existentialisms of Sartre and Heidegger, Nietzsche and Marx. However, he did not assume that an atheistic or non-

 Paul Tillich, “The Political Meaning of Utopia (1951),” in Political Expectation (New York: Harper & Row, 1971; Repr., Macon, Ga.: Mercer Univ. Press, 1981), 125 – 180.  Ibid., 126 – 31.  Ibid., 131– 40, 142– 50, 155, 163.

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theistic existentialism was the only possibility. He also found it present in Kierkegaard and the radical, pessimistic Protestantism of Barthian thought. For Barth, meaning was extra-historical. Here, whether in overtly secular or religious forms, nonbeing conquers being. Here, the individual’s experience generally “has no essential relation to history.” To choose existentialism made humanity substantially captive to fate within history.⁴¹ Stepping back from the absoluteness of this, he leaned elsewhere on the thinker often hidden within the fabric of his thought, Schelling: “Behind all existential descriptions of the human situation … [there is] the perception of anxiety and melancholy in all creaturely life, the alienation between man and nature, as well as that of man from himself, and the vision of the unity of the creative and destructive elements in every being.”⁴² In place of these polar opposites, Tillich called his listeners to ferret out what was truthful within utopia, that is, the spirit of utopia. He asserted that humanity had constant access to human potential (our essential selves) within history (our existential selves), while affirming the fragmented quality of that access. On this basis, he suggested that we can look with expectation to the future as filled with possibilities: change and reform and revolution, but without idealizing the future or turning to an idealized past. He found resonance in an understanding of history more consistent with this as one that sees it as a reality composed of significant centers in time and place and persons: Tillich noted Zion, Rome, Greece, and China as notable instances within history. History becomes a matter of ripening circumstances bearing – in each case – the fruit of a new kairos: Tillich understated his emphasis on kairos, still sensing vacuum as the condition of the early 1950s, but he briefly mentioned it and occasionally implied it. He argued that we must acknowledge the temptation of giving into anxiety over losing our sense of security in the past and, with that, losing future opportunities through the failure of courage and the choice of a mechanistic institutionalism (falling into utopianism). Therefore, we must recognize the positive and negative meanings of utopia, choosing to be guided by the spirit of utopia.⁴³ For Tillich, to be guided by the spirit of utopia meant embracing an ambiguous understanding of reality and – with this – of utopia itself. One should affirm the positive meaning of utopia: it is truthful in affirming humanity’s access to human essence (potential); it is fruitful in “opening up possibilities … hidden if not seen by utopian anticipation;” and it is powerful in “transforming the

 Ibid., 135 – 37, 141, 146 – 48.  Paul Tillich, “Schelling and the Beginnings of the Existential Protest,” 1954, PTAH, bMS 649/ 67 (6), 8.  Ibid., 126 – 31, 150 – 51, 177, 179 – 80.

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given.”⁴⁴ But one must be cognizant of the negative meaning of utopia: it is untruthful to the extent that humanity is estranged from its essence within existence, having fragmentary rather than complete experiences of human potential; it is unfruitful in failing to see impossibilities as either impossible or as an “oscillation between possibility and impossibility;” and, in light of its untruthfulness and unfruitfulness, it is impotent, disillusioning humanity by “confusing what is ambiguously provisional with what is unambiguously ultimate.”⁴⁵ Connecting this to the symbol of the Kingdom of God, he wrote that the “Kingdom of God [the vertical order] is actualized in historical events [the horizontal order] … and at the same time is resisted, suppressed, expelled.” It “cannot generate illusion … [by] promising a utopian finality to any ‘place’ in history but makes itself known again and again in ever new realizations.”⁴⁶ Though Tillich admitted to seeing 1951 as “a period in which the Kairos, the right time of realization, [lay] far ahead of us in the invisible future, and a void, an unfulfilled space, a vacuum surrounds us,” he maintained that “whatever way we describe the situation, what is important is the idea that overcomes utopia in its untruth and makes it manifest in its truth … in summation … it is the spirit of utopia that conquers utopia.”⁴⁷

3.3 Kairos and Utopia (1959) In March 1959, Tillich delivered the four Rauschenbusch lectures for the Spring Convocation at Colgate Rochester Divinity School in Rochester, New York under the title of Kairos and Utopia. As the title implies, this series covers the same general topic of the 1951 lectures – the role of utopia in human reality – while given significantly more attention to the symbol of kairos for interpreting this reality. At this time, Tillich sensed the additional weight of a spirit of conformism within American culture, especially among the members of the dominant white community. The country was in the midst of the growing strength of the Civil Rights movement and the cause of extending full access to freedom and justice and the goods of life to African Americans and women, in particular.

 Ibid., 168 – 70.  Ibid., 170 – 72. Tillich experienced the difficulty people have with the complexity of utopia, one occasion being his post-World War I experienced in reference to introducing the idea of kairos in a way criticized by some radical elements for not relenting in seeing the designation of any period as a “fullness of time” moment as necessarily ambiguous (p. 176).  Ibid., 179.  Ibid., 180.

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The budding space exploration program was continuing to develop, with the launch of the Sputnik satellites by the Soviets in the late 1950s adding another element to the globally significant Cold War. Twenty months after the lectures, John F. Kennedy would be elected President. Thus, questions of meaning and visions of future possibilities were dynamically present. Therefore, Tillich’s focus on utopia was apt. Given that most of the lecture corpus has never been published, the presentation here offers more detail than the summary of the published 1948 and 1951 lectures above.

3.3.1 “Between Utopianism and Escape from History” For his audience in the United States, Tillich began by establishing a contrast between the Social Gospel movement born in Rochester, New York (the locale of these lectures) and the Religious Socialist movement growing out of Germany of which he had been a part. The Social Gospel movement had Christian foundations, was reformist in tendencies, possessed a progressive (Ritschlian) optimism, and promoted pacifism. On the other hand, Religious Socialism began from an interreligious, inter-ideological position, using Marxist analysis of humanity, was revolutionary in spirit, and gave little attention to pacifism. However, both movements “tried to show to the secular world that theological problems are those which are relevant to” human existence in history at this time and place.⁴⁸ He further noted the influence of Reinhold Niebuhr’s American version of Religious Socialism, this one rooted in Christianity, anti-pacifistic in substance, and realist in orientation.⁴⁹ With that, Tillich began a description of the impact of utopia and utopianism as he experienced it, beginning in the pre-World War I period. As a good Lutheran imperialist at the beginning of the 20th century, he began with a suspicion and distrust of the labor class. He found Lutheranism useful as a manifestation of the ambiguity of life through its political conservatism that supported existing power structures and its critique of the utopianism of socialism.⁵⁰ For him, this provoked several useful questions: “Toward what does history run? What can we do to influence historical development? Is it worthwhile to fight for historical ends?”⁵¹ A single question sums up these three by means of religious symbolism:  Paul Tillich, “Between Utopianism and Escape from History,” Colgate Rochester Divinity School Bulletin, vol. 31, #2 (1959): 32– 33.  Ibid., 33.  Ibid., 34– 35.  Ibid., 35.

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“Has the Kingdom of God as the end of history any relevance for history itself?”⁵² Tillich suggested, “Perhaps one must be forcefully thrown into history in order to ask earnestly the question of history. Perhaps this must happen again and again in particular generations, after long stretches of time in which the individual asks only the question of his own salvation.”⁵³ For him, the telos or goal or purpose of history was “the question of utopia.” He called this “restlessness of the most sensitive people in” a given period that is innate to human nature “the spirit of utopia.”⁵⁴ He found the spirit of utopia rooted in humanity’s “existential dissatisfaction with everything that is, [its] striving beyond the given and [its] anticipation of a fulfillment which is not yet actual.”⁵⁵ He found it in the utopian visions of Renaissance art, in utopian philosophers from Thomas More to Karl Marx, in Old Testament prophetic visions of inner-historical fulfillment, and in Christian apocalypticism’s in-breaking of fulfillment.⁵⁶ With the failures in the fulfillment of this range of spiritual and political utopias (the latter rooted in the same impulse that ruled the former), Tillich was left with these questions: “Shall we dismiss utopia altogether and, disillusioned, leave history to itself, each man transcending it by himself? … Must we renounce any attempt to relate the eternal fulfillment, in whatever symbols we express it, to historical fulfillment in time and space?”⁵⁷ He implied that the answer was “No!” He did so in the form of two further questions: “Is it possible to save the spirit of utopia while dismissing utopianism?” and, “[A]re there, we now ask, prophetic spirits among us, spirits of utopia who can resist the temptation of the coming utopianism?”⁵⁸ The three lectures that followed provided his answer to these questions.

 Ibid.  Ibid.  Ibid.  Ibid., 36.  Ibid., 36 – 37. The 1951 lectures did not move significantly beyond the utopian element of biblical prophecy.  Ibid., 39 – 40.  Ibid., 40.

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3.3.2 “Kairos and the Awareness of the Historical Moment” Tillich begins the second lecture by presenting his thoughts on two “insufficient answers” to questions which closed the first speech: progressive thought and historical relativism.⁵⁹ Progressive thought is based on the belief in a structure of history in which human existence proceeds toward a universal harmony and that our seemingly small creative actions contribute to that progress: it is a belief in a religious or secular providence fulfilled in history.⁶⁰ Tillich saw the justification of this belief in the same spirit of utopia described in the first lecture: it is “rooted in our essentially human dissatisfaction with what is and the equally essential human aspiration for something better.”⁶¹ The problem is the hidden assumption that an inner-historical harmony is achievable in this way: thus, utopianism has raised its head.⁶² The second inadequate solution Tillich described was historical relativism and its notion that there is no moral progress within history, that “every period is immediate to God,” that history is the story of actualizing human potential in varying ways, but with no time period unique in its level of fulfillment.⁶³ He saw this as an understandable perspective for the beneficiaries of existing structures of society, the “individuals of highest cultural standing” possessing “a relatively satisfying social status.”⁶⁴ However, he rejected this in light of both the message of the prophetic tradition of Judeo-Christianity as well as “the reality of dehumanization in the state of history” and “the plea of mankind as a whole,” making the yearning for a better future understandable and irrepressible.⁶⁵ As in the first lecture, Tillich expanded his treatment of the role of prophets beyond the role he gave them as utopian visionaries in 1951. In place of these two inadequate responses to the question of whether maintaining a spirit of utopia is possible without falling into utopianism, Tillich offered the answer religious socialism had offered decades before in the interwar period and the answer he saw to be operable in all historical periods: kairos. ⁶⁶

 Paul Tillich, “Kairos and the Awareness of the Historical Moment,” in Kairos and Utopia (1959), bMS 649/50 (25), 1.  Ibid., 1– 4.  Ibid., 4.  Ibid., 4– 5.  Ibid., 8.  Ibid., 8, 10.  Ibid.  Ibid., 9 ff.

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Tillich explained kairos as a special time – “fulfilled time” – in which (seen from within history) circumstances are optimal for a specific occurrence (or set of occurrences), or (“seen from above”) circumstances are providentially given: quantitative time (chronos) and qualitative time (kairos), measured time and meaningful time, interact here, as do nature and history.⁶⁷ Tillich saw “the very existence of a species of beings, namely man, who has a history, so to speak, [to be] a kairos of the universe.”⁶⁸ A kairos is “the breakthrough of something new, although it was an eternal potentiality of being which now becomes actual. In the whirlwind of atoms, historical man was potentially present but not yet actually. Historical man is the first and most universal kairos of which man can speak.”⁶⁹ Further, religious traditions will often mark specific periods as a centering kairos: the Mt. Sinai covenant in Judaism; the appearance of Muhammed in Islam; Zoroaster in Persian culture; and, ultimately, the period of the earthly life of Jesus as the Christ in Christianity. Tillich saw Christianity as the “most conspicuous and most successful” kairos, attested by the fact of the world’s consent to the centering and measuring of chronological time around the Christ event. Tillich interpreted its secular expression in the centrality of Rome for the Roman Empire, the importance of the Enlightenment for the unleashing of human reason within the European tradition, and the 19th and 20th centuries for the proletariat.⁷⁰ Tillich’s treatment of kairos here indicates that in contrast to his 1951 talks – where he tentatively touched upon it – kairos has a stronger, perhaps what one could term a time-structural, place in the 1959 lectures. Naming a period the center of history implies questions regarding its beginning and end (the movement from anticipation and expectation to fulfillment, from potential to actualization) at the inorganic, organic, nonhuman, and human levels.⁷¹ Further, more localized (non-universal) kairoi occur (“every historical moment can be called a kairos”). Whether they are universal or local, they are always “for somebody in a concrete situation.”⁷² Designating a period a kairos “is the work of the spirit of utopia working in somebody and giving him

     

Ibid., 11– 12. Ibid., 13. Ibid. Ibid., 12, 14– 16. Ibid., 16 – 17. Ibid., 16 – 19.

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the certainty of a qualified moment of infinite importance in the flux of quantitative time.”⁷³ According to Tillich, Kairos is the sufficient answer to the challenges posed by sustaining the spirit of utopia without falling into utopianism. This is because it takes history seriously in several ways. First, it sees history as potent with the “divine presence which changes reality.”⁷⁴ Second, it is no respecter of class position in giving insight to fullness-of-time moments. Those “on the negative side of life” are often more attentive to a kairos than the privileged as it “is the correlate to their reality of dissatisfaction.”⁷⁵ The risk of utopianism may seem to remain until one understands such dissatisfaction is no guarantee of an historic movement toward the better.⁷⁶ Further, the transcendent source of kairos – the basis of the prophetic spirit – perpetually disrupts historical entities. Tillich did not use his finite freedom language here, but the structure of human reality he described implies it: human freedom tempts humanity to forget human limits; dreams for something better do not ensure an improved state of affairs; resting in eternal peace is not the same as an illusory trust in – or vision of – an everlasting peace; impressive state power will pose a threat to human dignity; creative industrial complexes will tend to dehumanize workers; thus, the necessary critique by the spirit of utopia (the prophetic spirit) reveals the fallacy of the belief in utopianism, requiring defiance against the various demonic manifestations of utopianism.⁷⁷ This is a perpetual struggle against the demonic objectification of the utopian spirit described vividly by Tillich: “That which in its true nature is a symbol of fulfillment has become an objective description of a period of history in which the symbol has become the photographical object of a future New York Times reporter. This is utopianism and far removed from the spirit of utopia, the prophetic spirit.”⁷⁸ Tillich concludes, “it is most important in every historical period to distinguish the prophetic spirit of utopia from its lapse into an objectifying utopianism.” Given the ambiguity of life, discerning what is consistent with the spirit of utopia while avoiding utopianism requires risking error. He ended the lecture by asking his audience the question, “Where is our risk today?”

 Ibid., 19. The connection to prophetic thought implied but stated overtly elsewhere is revealed in the written manuscript of this quotation, where Tillich first wrote, “the prophetic spirit,” crossed it out, and replaced it with “the spirit of utopia.”  Ibid., 20.  Ibid., 21.  Ibid., 22.  Ibid., 21– 30.  Ibid., 25 – 26.

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3.3.3 “Judging and Misjudging an Historical Moment” As he began the third lecture, Tillich rephrased the closing question of the prior lecture: “How it is possible, in a concrete situation, to distinguish between utopianism and the spirit of utopia?”⁷⁹ In other words, what does the risk of naming a kairos entail, what is its relationship to the spirit of utopia and the capacity to live theonomously? The perpetual puzzle of distinguishing true prophecy (spirit of utopia) from false prophecy begins his answer to this question. Tillich defined the truly prophetic as offering perpetual critique to finite human existence and false prophecy as ever prone to misnaming the finite as infinite, thus, fueling idolatry within cultures. False prophecy may be empirically “correct” in describing outcomes in the short-term, but true prophecy – even if in error in details – ultimately confirms the truth that fulfillment within history is never complete, is regularly defied in history, manifests what Wilhelm Wundt called a “heterogony of purposes,” and always requires the supportive reality of the infinite transcending history.⁸⁰ As he moved through the discussions of true prophecy and false prophecy, Tillich used the classic formulations of trend versus chance and necessity versus contingency to describe the unpredictability of the “success” of the discernment process. He asserted that there is a distinction between critical thinking as a tool for autonomy’s successful liberation from heteronomy, on the one hand, and “kairos-conscious awareness” required for true prophecy, on the other hand: kairos-consciousness includes – but delves more deeply than – mere reason.⁸¹ Tillich asserted: Only he who participates in an historical situation in its deepest meaning can speak of a kairos. This participation is an involvement of one’s total being. Therefore, it effects the deciding center of the person as much as his cognitive and emotional functions. It puts ultimate responsibility upon him who experiences the presence of a kairos, and it is understandable that some of the prophets and even of the secular pronouncers of a kairos tried to reject such responsibility. Both the courage to pronounce one’s own insight and the seriousness to take upon oneself the responsibility following from it qualify a bearer of the prophetic spirit … [in whom] the potential kairos-moment actually becomes a kairos. ⁸²

 Paul Tillich, “Judging and Misjudging an Historical Moment,” in Kairos and Utopia (1959), bMS 649/50 (25), 1.  Ibid., 3 – 11.  Ibid., 11– 16.  Ibid., 16 – 17.

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Tillich related this to the horizontal and vertical dimensions of history: these are metaphors for the chronological and qualitative dimensions. The vertical dimension always bears the trans-historical spirit of utopia – the ever-present reminder of human potentiality – that breaks into the horizontal dimension during fragmentary periods of kairos providing the inner-historical experience of the infinite, while challenging and weakening the demonically idolatrous claims of the finite to be infinite (utopianism).⁸³ Further, he addressed the function of the symbol, Kingdom of God, to these dimensions consistent with what has preceded: again, Kingdom of God is experienced fragmentarily (the spirit of utopia present within the vertical dimension), ever a temptation to be used as a false symbol – distorting and, thus, falsifying the understanding of powerful finite realities as infinite – by those interpreting history superficially.⁸⁴ As he came to his conclusion, Tillich turned to his heteronomy, autonomy, theonomy structure for the human situation where history is the story of the strivings of heteronomy and autonomy with one another, and their defiance of – and distraction from – theonomy, the symbol which best captures the state of human being in periods of kairos, in short, in periods in which the spirit of utopia is at work without falling into utopianism.⁸⁵

3.3.4 “The Present Kairos as Problem and Task” Tillich began the final lecture by posing the question of the meaning of the message in the preceding three lectures for the situation of humanity on the brink of a new decade: what did it mean to live theonomously, willing to bear – and be attentive to – critique by the prophetic spirit, the spirit of utopia, yet ever open to a kairos, a special in-breaking of the eternal into history? Even as he enunciated the question, he implied the kind of estrangement faced by the world about to enter the 1960s. He asserted that the anticipated kairos could not be one involving a separated world in a way that echoed the divide following the Treaty of Versailles.⁸⁶ Tillich offered a series of questions in the effort to define the state of affairs at the time: “Which is our situation? … Who are we? … The Western

 Ibid., 18 – 23.  Ibid., 23 – 25.  Ibid., 26 – 32.  Paul Tillich, “The Present Kairos as Problem and Task,” in Kairos and Utopia (1959), bMS 649/50 (25), 1. Unlike the preceding three lectures, the only remaining material related to the fourth and final lecture is a handful (8 pages) of sparse, handwritten notes compared to a published article for lecture 1 and 32 pages of manuscript for each of lectures 2 and 3.

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world? Impossible! It cannot be separated from the earth as a whole as in Europe after 1919.”⁸⁷ Rather, he called for a “tellmic” kairos, an apparent neologism, the etymology of which he left unexplained in his notes. In the context of his thought at this point, one solution of its meaning would be to derive it from the Latin, tellus, meaning “earth.” This follows the line of his assertion opposing the separation of the world as the path to an impending kairos. Thus, the call for a tellmic perspective becomes the call for a global sensitivity in anticipation of the next kairos. Tillich wrote, “All of these lectures have the function of keeping us open for the prophetic spirit for the right utopia. The first question [for this concluding lecture]: Is there anything like kairos-consciousness?”⁸⁸ Following these opening, tone-setting comments, Tillich presented a series of thoughts intended to flesh out the state of consciousness in 1959. He noted his post-World War II characterization of the time as an akairos not fruitful for anything but holy attentiveness, a “sacred void.”⁸⁹ He sensed that trend was dominating chance in the years following the war and saw a “problem of secrecy and exclusion of the many, the hidden dictators in democracy.”⁹⁰ He observed a “general mood of resignation” apparent in the image of “the ‘angry man’ not filled with divine wrath but with ‘anger-at-large,’ without criteria.”⁹¹ He observed a self-centered mystical escapism, exemplified in Zen Buddhism and psychoanalysis in place of the prophetic spirit. He believed that there was a trend toward security, “‘success’ conquered by ‘security,’” offering for this a striking and disturbing characterization of marriage at the time: “the restitution of marriage = exclusiveness as a means of security,” which is “not monogamy but kenogamy,” mere “conformity and utopia.”⁹² He saw the nascent space exploration program as creating an “empty category of space, taken as a reality of its own.”⁹³ In existentialism, he observed the creation of a negative utopia, the “atomic end” denuded of mythology, devoid of hope, and, thus, “the anti-prophetic and anti-utopian character of eschatology.”⁹⁴ This section of the lecture ends with an important set of leading questions regarding the concrete implications of his observations. For some reason, Tillich crossed out these notes: did he

       

Ibid. Ibid., 1– 2. Ibid., 2. Ibid. Ibid. Ibid., 3 Ibid. Ibid., 4.

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question his own timing at this point? Yet, they seem essential to understanding where he could have taken the discussion at this point: Enlarging our point of view: the kairos and the non-white world. Is there a universally human kairos? Is there a demonic power to be conquered in this time? Where does mankind go? Is it Western nationalism, victorious in Asia and Africa, which has to be conquered? Is it the technical element in all activities which leads to a utopia, similar to Marx? But is this prophetic spirit, is it theonomy?⁹⁵

With this, Tillich moved to the next section, which he titled, “Structures.” Here, he analyzed the demonic split separating the world – undermining “tellmic” unity – in both post-war periods. He wrote of the objectification of humanity, even “the slavery of the ruling class in competition,” with societal collapse and the rise of nationalism as prominent divides during the interwar period, displayed at the personal and social levels, but ultimately present (here, showing his Schellingian roots) in the divine.⁹⁶ Tillich made the important distinction between European nationalisms of the 1920s-1940s and the post-colonial nationalism of Asia and Africa following World War II, which he saw as “cultural liberation in political forms.”⁹⁷ For him, propaganda and Cold War strategies failed to see these liberation movements for what they were. Thus, he urged a deeper “understanding of the motives of the split” to discern a possible “place for the rebirth of the spirit of utopia.”⁹⁸ Tillich concluded that theonomy is “the working of a healing power in all history … in spite of empty autonomy and flight to heteronomy.”⁹⁹ He saw the operation of theonomy in mental health, analytical projects, religion, the arts, existential courage, even in “the ‘beat generation’ expressing itself.”¹⁰⁰ He seemed hopeful about “the resurgence of the religious question, beyond the eschatology of self-destruction. But,” he continued, “beyond the end is only above the end, the eternal. We wait for the kairos in which it will grasp again some of us.”¹⁰¹

 Ibid.  Ibid., 5 – 7  Ibid., 6.  Ibid., 7.  Ibid.  Ibid., 8.  Ibid.

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Conclusion In the three periods from which these works arose, Tillich offered a voice of defiance that variously offered thoughts stimulating revolution, reform, and resistance: he defied church authority to embrace collaboration with socialism for the sake of the reconstruction of Germany and the world following World War I; he defied the spirit of despair to push those living and enduring Nazi culture to pursue transformation rooted in hope during World War II; and he defied the complex and dynamic morass of factors that formed the knots and fiber of the early Cold War period to paint a picture of the future where freedom, love, and justice mattered, even if fragmentarily so. In all three, he was declaring that each of us – in all of our ambiguity – have a place in time. The poet, Mary Oliver, wrote that out of the changes and despair of life, in the midst of individual loneliness and communal joy, “the world offers itself to your imagination, calls to you like the wild geese, harsh and exciting – over and over again announcing your place in the family of things.”¹⁰² Tillich’s story of life’s meaning is one that welcomes all to that world “in spite of” the forces that would hatefully and absurdly deny us our places.

 “Wild Geese,” in Dream Work (New York: Atlantic Monthly Press, 1986), p. 14.

II. Paul Tillichs Deutung des Protestantismus

Christian Danz

Reformation und Revolution Paul Tillichs Deutung des Protestantismus [Die] Revolution hat die Autorität des Königtums aufgehoben, um sich selbst – die Autorität des Volkswillens – an die Stelle zu setzen. Die Reformation dagegen hat die Autorität der Hierarchie aufgehoben, ohne sich selbst an die Stelle zu setzen, weil sie überall eine menschliche Autorität hier nicht anerkennt. […] Der Protestantismus ist nicht das Prinzip der Revolution, wohl aber das Prinzip der neuen Weltepoche. Sein Gedanke der Innerlichkeit und Persönlichkeit (Subjektivität), des Hinausführens über die menschliche Autorität zu göttlicher Autorität und von Gott gesetzter Ordnung – sie sind es, auf welchen alles das beruht, was wirklich ein Fortschritt und Gewinn oder wirklich eine Aufgabe in den öffentlichen Einrichtungen der Zeit ist […].¹

Friedrich Julius Stahl, aus dessen 1863 erschienener Schrift Die gegenwärtigen Parteien in Staat und Kirche die eben zitierten Worte entnommen sind, unterscheidet strikt zwischen Reformation und Revolution. Beide haben nichts miteinander gemein. Während jene die wahre, in Gott gegründete Freiheit und Subjektivität hervorbrachte und deshalb das Prinzip einer neuen Weltpoche sei, die mit den Hammerschlägen in Wittenberg eingeläutet wurde, sei diese das Zerbrechen aller Ordnung – auch der des Rechts – durch den Unglauben. Allein, bereits im 19. Jahrhundert ist die Frage umstritten, wie sich Reformation und Revolution zueinander verhalten.² Das Votum des konservativen lutherischen Rechtsphilosophen Stahl, der deren Gegensatz hervorhebt, ist eines unter vielen anderen, die sich auch nicht einfach auf den Unterschied der Konfessionen zurückführen lassen. Dass die Revolution – und das meint im 19. Jahrhundert vor allem die Französische – eine Folge der Reformation sei, davon waren nicht nur konservative Katholiken überzeugt, sondern auch liberale Protestanten. Für sie war die religiöse Revolution des 16. Jahrhunderts, wie es Schelling im Jahre 1807 ausdrückte, der Durchbruch des deutschen Geistes, der jetzt, mit der Etablierung der deutschen Nation sich zu vollenden beginne.³ Konservative Protestanten wie

 F. J. Stahl, Die gegenwärtigen Parteien in Staat und Kirche, Berlin 1863. Zit. n.: Luther und die Deutschen. Texte zur Geschichte und Wirkung, hg.v. J. B. Müller, Stuttgart 1983, 86 f.  Zur Begriffsgeschichte von Reformation und Revolution vgl. T. Mahlmann, Art.: Reformation, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 8, hg.v. J. Ritter/K. Gründer/G. Gabriel, Basel 1992, Sp. 416 – 427; H. Günther, Art.: Revolution, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 8, hg.v. J. Ritter/K. Gründer/G. Gabriel, Basel 1992, Sp. 957– 973.  Vgl. F. W. J. Schelling, Ueber das Wesen deutscher Wissenschaft. Fragment, in: ders., Sämmtliche Werke, Bd. VIII, hg.v. K. F. A. Schelling, Stuttgart/Augsburg 1861, 3 – 18. https://doi.org/10.1515/9783110668124-006

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Stahl sahen hingegen in der Reformation, wie eingangs zitiert, das Prinzip einer Gegenrevolution. Und schließlich kann, wie bei Hegel, die als „Hauptrevolution“ gedeutete Reformation auch als Eröffnung eines „dritten Wegs der Reform“ verstanden werden.⁴ Aller Differenzen in der Beurteilung des Verhältnisses von Reformation und Revolution ungeachtet, verbindet diese Positionen die tiefe Überzeugung, die sich durch den Modernisierungsprozess zunehmend fragmentierende und pluralisierende Gesellschaft könne allein durch die Religion noch integriert werden.⁵ Um 1900 hatte sich die industrielle Revolution in Deutschland durchgesetzt und – mit dem Ende des Weltkriegs und der Novemberrevolution – auch die politische. Die „letzte[n] Zentner fossilen Brennstoffs“ waren verglüht und an deren Stelle die schier unentrinnbare Rationalität der gesellschaftlichen Systeme getreten, die nur noch ihrer Eigengesetzlichkeit folgten.⁶ Die kulturelle Einheit, die man im 19. Jahrhundert in Anspruch genommen hatte, löste sich auf. Das Nebeneinander divergierender gesellschaftlicher Systeme ohne eine diese übergreifende Einheit, von Georg Simmel mit der Metapher einer ‚Tragödie der Kulturʻ beschrieben, führte in den Kulturwissenschaften zu einer vertieften Selbstreflexion der Kultur.⁷ Vor diesem gegenüber dem 19. Jahrhundert veränderten gesellschaftlichen Hintergrund, der sich in den industriellen, sozialen und politischen Revolutionen um 1900 verdichtete, hat Paul Tillich, der selbst zwei politische Revolutionen als Zeitgenosse miterlebte, die Novemberrevolution von 1918 und die deutsche Revolution der Nationalsozialisten 1933, seine Theologie ausgearbeitet. Was versteht er unter Reformation und Revolution und wie interpretiert er das Verhältnis dieser seit dem 19. Jahrhundert hochumstrittenen deutungspolitischen Kategorien? Damit ist das Thema der nachfolgenden Überlegungen benannt. Tillich hat sich mehrfach und durchgängig in seinem Werk zur Reformation und auch zur Revolution geäußert. Die Aussagen, die sich hierzu finden, unterliegen jedoch nicht nur einem Wandel, in ihnen überlagern sich auch religions- und geschichtsphilosophische sowie kulturtheologische und sozialethische Aspekte, die

 T. Nipperdey, Der Kölner Dom als Nationaldenkmal, in: ders., Nachdenken über die deutsche Geschichte. Essays, München 21968, 156 – 171, hier: 168.  Vgl. F. W. Graf, Gelungene Säkularisierung? Theologische Staats- und Kirchendiskurse der ‚Sattelzeitʻ, in: Die Säkularisation im Prozess der Säkularisierung Europas, hg.v. P. Blicke/R. Schlögl, Epfendorf 2005, 431– 452, hier: 443: „Ohne Religion seien Gesellschaft und Staat zum Untergang verurteilt, lautete die opinio communis der deutschen Religionsdiagnostiker des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts.“  M. Weber, Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus, Bodenheim 1993, 153.  Vgl. G. Simmel, Die Tragödie der Kultur, in: ders., Philosophische Kultur, Leipzig 1911, 245 – 277.

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es äußerst schwierig machen, sein Verständnis von Reformation und Revolution zu rekonstruieren. Hinzu kommt – was kennzeichnend für das Werk Tillichs ist –, dass die inhaltlichen Beschreibungen relativ konstant in seinem Gesamtwerk bleiben, diese jedoch in unterschiedliche systematische Kontexte eingebaut werden, wodurch sich deren systematische Funktion ändert. Das gilt auch für die Kategorien Reformation und Revolution. Sinnvoll bearbeiten lässt sich damit unsere Frage nach Tillichs Verständnis von Reformation und Revolution allein in einer werkgeschichtlichen Perspektive. Dabei zeigt sich, dass beide Deutungskategorien Bestandteile des Protestantismusverständnisses darstellen, wie es von Tillich als Resultat seiner theologischen Überlegungen seit seinem Studium am Ende der 1920er Jahre ausgearbeitet und in dieser Form in seinem Spätwerk weitgehend beibehalten wurde. Der rechtfertigungstheologisch gedeutete Protestantismus, der weniger für eine Konfession als für eine Deutungskategorie steht, stellt – so meine These – eine reflexive Religion dar, in der sich nicht nur die Reformation vollendet, sondern in der auch der Gehalt der wahren Revolution zu seiner Geltung kommt. Dadurch ist er, der Protestantismus, das Medium einer neuen Einheitskultur, welches die ausdifferenzierte moderne Kultur zu integrieren in der Lage ist. Die genannte These ist in drei Argumentationsschritten zu erläutern. Einzusetzen ist mit Tillichs frühester Deutung von Reformation und Revolution in seinen Schriften vor dem Ersten Weltkrieg. Das hier unter dem Stichwort ‚theologisches Prinzipʻ ausgearbeitete Protestantismusverständnis bildet den Ausgangspunkt. Die Veränderungen, die diese Konstruktion in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg erfahren hat, wird im zweiten Abschnitt im Hinblick auf die Konsequenzen für die Deutung von Reformation und Revolution in den Blick genommen. Der Überführung dieser Deutung von Reformation und Revolution in seine Protestantismustheorie am Ende der 1920er Jahre gilt der dritte Abschnitt. Hier sind nicht nur die Linien zum Spätwerk auszuziehen, sondern auch ein knappes Resümee anzudeuten.

1 Die Vollendung der Reformation durch deren Universalisierung, oder: Tillichs frühe Deutung von Reformation und Revolution In seinem 1924 veröffentlichten Vortrag Rechtfertigung und Zweifel arbeitet Tillich einen, wie es hier heißt, „protestantische[n] Universalismus“ aus. „Universaler als der römische, weil ungebunden durch Hierarchie und rechtliche Verhärtung. Aber weil universaler und ungebundener in der Weite, ist der Protestantismus

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schlechthin gebunden im Zentrum, in Christus“.⁸ Diese Auffassung von einem protestantischen Universalismus, die eine Kritik an einer soteriologischen Engführung der Religion beinhaltet, begegnet indes bereits im Frühwerk des Theologen, wie es sich vor dem Hintergrund der theologisch-philosophischen Debatten während seiner Hallenser Studienzeit zwischen 1905 und 1907 entscheidend formiert hatte.⁹ Das schlägt sich nicht nur in seiner Examensarbeit Welche Bedeutung hat der Gegensatz von monistischer und dualistischer Weltanschauung für die christliche Religion? von 1908 nieder, sondern ebenso in seinen beiden Dissertationen zu Schelling sowie in dem Entwurf einer Systematischen Theologie von 1913. Die Grundbestimmung der Religion, so lesen wir in dem Systementwurf von 1913, ist die Rechtfertigung, die jedoch, wie der Autor betont, „weiter als die gewöhnliche“ ist, „die sich mit der Gleichung Rechtfertigung = Vergebung der Sünden begnügt“ (EW IX, 320). Gegen die soteriologischen Deutungen Albrecht Ritschls und des Pietismus sei die Rechtfertigung auf den „ganzen Weltzustand“ (ebd.) zu beziehen. Gott, so ist der Gedanke zu verstehen, ist nicht nur in seiner Offenbarung in Christus zu finden, sondern auch in der Welt. Die systematische Grundlage der genannten universal-kosmologischen Deutung der Rechtfertigungslehre bildet die spekulative Systemkonzeption, wie sie in der Systematischen Theologie von 1913 ausgearbeitet ist. Für unsere Frage nach Tillichs Verständnis von Reformation und Revolution brauchen wir die extrem komplexe Systemarchitektur des Entwurfs sowie seine wahrheits- und absolutheitstheoretischen Grundlagen nicht im Einzelnen zu rekonstruieren.¹⁰ Ein

 P. Tillich, Rechtfertigung und Zweifel, in: ders., Ausgewählte Texte, hg.v. C. Danz/W. Schüßler/ E. Sturm, Berlin/New York 2008, 124– 137, hier: 137.  Grundlegend hierfür dürfte – neben der Auseinandersetzung mit der Fichte-Deutung von Fritz Medicus – die Auseinandersetzung mit der Theologie seines Lehrers Wilhelm Lütgert sein, der im Unterschied zu Martin Kähler ebenfalls eine rechtfertigungstheologische Deutung der Religion ausarbeitete, die über deren soteriologische Fassung hinausgeht. Von der Forschung sind diese Zusammenhänge bislang nicht untersucht worden. Vgl. hierzu C. Danz, Freiheit als Autonomie. Anmerkungen zur Fichte-Rezeption Paul Tillichs im Anschluss an Fritz Medicus, in: Die Klassische Deutsche Philosophie und ihre Folgen, hg.v. M. Hackl/C. Danz, Göttingen 2017, 218 – 230. Zu Lütgert vgl. P. Müller, Alle Gotteserkenntnis entsteht aus Vernunft und Offenbarung. Wilhelm Lütgerts Beitrag zur theologischen Erkenntnistheorie, Münster 2011.  Vgl. hierzu C. Danz, Theologie als normative Religionsphilosophie. Voraussetzungen und Implikationen des Theologiebegriffs Paul Tillichs, in: Theologie als Religionsphilosophie. Studien zu den problemgeschichtlichen und systematischen Voraussetzungen der Theologie Paul Tillichs, hg.v. dems., Wien 2004, 73 – 106; S. Dienstbeck, Transzendentale Strukturtheorie. Stadien der Systembildung Paul Tillichs, Göttingen 2011; F. Wittekind, „Allein durch Glauben“. Tillichs sinntheoretische Umformulierung des Rechtfertigungsverständnisses 1919, in: Religion – Kultur – Gesellschaft. Der frühe Tillich im Spiegel neuer Texte (1919 – 1920), hg.v. C. Danz/W. Schüßler, Wien 2008, 39 – 65, bes. 40 – 46.

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knapper Hinweis auf die Gesamtstruktur sowie eine Besonderheit müssen ausreichen. Zunächst unterscheidet Tillich zwischen einem absoluten und einem relativen Standpunkt, zwischen Intuition und Reflexion. Vermittelt werden beide Standpunkte durch das Paradox, welches als Rückkehr der Reflexion zur Intuition bestimmt wird, jedoch weder aus jener noch aus dieser ableitbar ist.¹¹ Die als Paradox bezeichnete Synthese von Absolutem und Relativem stellt den Gehalt des Religionsbegriffs dar. Religion wird als Eintritt des Paradoxes in die Geschichte, also als Rückkehr des Relativen zum Absoluten verstanden. Religion – und das ist der zweite hier nur anzudeutende Aspekt – wird von Tillich schon in den Schriften vor dem Ersten Weltkrieg nicht vermögenstheoretisch konstruiert, sondern auf das Selbstverhältnis des Bewusstseins bezogen. Religion ist also keine besondere Kultursphäre neben anderen, sondern die Grundlage aller Kulturfunktionen.¹² Der dreigliedrige Systemaufbau der Systematischen Theologie von 1913 resultiert aus der eben angedeuteten Grundstruktur. Wichtig für das Verstehen von Tillichs Protestantismusverständnis und Reformationsdeutung ist das Paradox. Es bildet – wie bereits angedeutet als Rückkehr des Relativen zum Absoluten – den Gehalt der Religion und wird als Standpunkt der Theologie bzw. als theologisches Prinzip weiter bestimmt.¹³ In dem zuletzt genannten Stichwort, dem ‚theologischen Prinzipʻ, verdichtet sich Tillichs Protestantismusdeutung, freilich ohne dass der Begriff selbst benutzt wird. Auch das ‚theologische Prinzipʻ – die Synthesis von Relativem und Absolutem – wird in drei Momente strukturiert: ein absolutes, ein relatives und ein drittes Moment, „in dem das theologische Prinzip als aufgehoben gesetzt ist, aber so, daß die Aufhebung nicht als vollendet, sondern als geschehende zu fassen ist“ (EW IX, 317). Das dritte Moment thematisiert somit die Realisierung des theologischen Prinzips in der Geschichte, also die Rückkehr der Welt zu Gott. Entscheidend für die Systemkonzeption von 1913 ist die Zuordnung des absoluten Moments des theologischen Prinzips zur Rechtfertigung und des relativen zur Christologie.¹⁴ Die Rechtfertigung, bestimmt als

 Vgl. EW IX, 315: „Wesentlich in diesem Sinne ist der Begriff [Paradox, Anm. d. Verf.] auch hier gemeint; doch ist es der Zweck dieser ganzen Apologetik, zu zeigen, daß das Paradox in diesem Sinne, wenn auch weder von der Intuition (Vernunft) noch von der Reflexion (Verstand) gesetzt, so doch von beiden gefordert und für beide gesetzt ist. Es stammt nicht aus der Vernunft und nicht aus dem Verstand, aber es bedeutet die Rückkehr des Verstandes zur Vernunft, des Zweifels zur Wahrheit, des Relativen zum Absoluten.“  Vgl. hierzu C. Danz, Vom natura sua Gott setzenden Bewusstsein zum Meinen des Unbedingten. Überlegungen zu Paul Tillichs Religionsphilosophie, in: Evangelische Theologie und urbane Kultur. Tillich-Lectures Frankfurt 2010 – 2013, hg.v. G. Heimbrock, Leipzig 2014, 71– 103.  Vgl. EW IX, 317: „Der Standpunkt der Theologie ist die Einheit von Glauben und Wissen, Konkretem und Abstraktem in der Synthesis des Paradox.“  Vgl. hierzu EW IX, 318 – 325. Vgl. Wittekind, „Allein durch Glauben“, 46.

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Materialprinzip, bildet den übergeordneten Gesichtspunkt gegenüber der Christologie, die als Formalprinzip gedeutet wird. Wie versteht Tillich nun vor dem skizzierten systematischen Rahmen Reformation und Revolution? Was zunächst die Reformation betrifft, so sind die Aussagen hierzu spärlich. Sie treten hinter die Intention der systematischen Begründung der Theologie zurück. Gleichwohl lassen sich Grundzüge von Tillichs Reformationsbild im Text erschließen, die über das weitere Werk hin relativ konstant bleiben. Im Paragraphen 26 der Apologetik – er trägt die Überschrift Die historische Begründung des christologischen Urteils (EW IX, 323) – kommt der Autor auf die Geschichte des Christentums zu sprechen, die einen notwendigen Bestandteil der Systemkonstruktion bildet.¹⁵ In diesem Zusammenhang fallen auch dürre Bemerkungen zur Reformation. Von ihr heißt es: „Aber die Kräfte des theologischen Prinzips, aufbewahrt in der Schrift, reagierten in der Reformation gegen die Gebundenheit an bestimmte Kulturmomente“ (EW IX, 325). Die Reformation wird hier als Erfassung des absoluten Moments des theologischen Prinzips gedeutet, das zwar mit Christus in die Geschichte eingetreten ist, aber durch den Katholizismus verdeckt wurde. „Paulus’ und Luthers Kampf für die Rechtfertigung war ein Kampf gegen die Relativitäten des Reflexionsstandpunkts, der die Religion verderbte und die Erlösung hinderte; beide brachten die absoluten Kategorien im negativen wie positiven Sinne.“ (EW IX, 319) In der Reformation Luthers kommt das theologische Prinzip im Hinblick auf sein absolutes Moment zum Durchbruch, allein es ist bei dem Wittenberger Theologen soteriologisch enggeführt. In der weiteren Geschichte des Protestantismus schlägt sich das, also die einseitige Fassung des theologischen Prinzips, in der Ausarbeitung des Schriftprinzips als neuem „konkret-absolute[n] System“ nieder (EW IX, 325), welches unter der Wucht der historischen Kritik zerbrach. Tillich bezeichnet die eben angedeutete und in seinem Text ebenso knappe Reformations- und Protestantismusdeutung, die auf die Forderung hinausläuft, die Rechtfertigung nicht als soteriologisches, sondern als universal-kosmologisches Prinzip zu fassen, ausdrücklich als „dogmengeschichtliche Rechtfertigung des vorliegenden Unternehmens“ (ebd.), also seiner eigenen Systemkonzeption. Schon in der Systematischen Theologie von 1913 thematisiert Tillich auch den Revolutionsgedanken, und zwar im Kontext der Entfaltung der Staatslehre im dritten, ethischen Teil des Systems. Eine Revolution wird hier als Möglichkeit diskutiert, die Rechtsordnung des Staates durch einen politischen Umsturz zu verbessern, wenn die Träger der Rechtsordnung im Widerspruch zu dieser ste-

 Vgl. EW IX, 323 Leitsatz.

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hen.¹⁶ Die theologische Ethik thematisiert insgesamt die Anwendung des theologischen Prinzips in seinen drei Momenten auf die Kultur und führt damit eine Kulturtheologie aus. Wie die anderen beiden Systemteile Apologetik und Dogmatik ist sie entsprechend des theologischen Prinzips in drei Teile strukturiert. Für die staatstheologischen Überlegungen besagt das: Sie stehen durchweg unter dem Gesichtspunkt der Aufhebung des Besonderen in seiner Besonderheit und dadurch der Rückkehr zum Absoluten. Der Revolutionsgedanke wird damit eingeordnet in das theologische Prinzip. Es repräsentiert in seinen drei Momenten nicht nur die wahre Reformation, sondern auch die wahre Revolution. Tillichs frühe Systematische Theologie stellt nicht nur ein hochambitioniertes theologisches System dar, dessen dreigliedrige Grundstruktur sich ebenso bis hin zur späten Systematischen Theologie durchhält wie die hier begegnende Reformationsdeutung, die auf eine universale Fassung des Rechtfertigungsgedankens zielt. In der frühen Fassung von 1913 erfolgt das unter dem Leitbegriff des theologischen Prinzips. Die systematischen Probleme der frühen spekulativen Konzeption, die aus der Überordnung des absoluten Standpunkts resultieren und dazu führen, dass das Konkrete der Geschichte lediglich als Durchgangsmoment auf dem Weg der Rückkehr des Bedingten zum Unbedingten gefasst werden kann, wird Tillich in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg bearbeiten. Das hat Konsequenzen sowohl für die Reformations- als auch für die Revolutionsdeutung, denen wir uns nun zuwenden müssen.

2 Der religiöse Sozialismus als wahre Revolution, oder: Tillichs Reformations- und Revolutionsdeutung nach dem Ersten Weltkrieg Im Juli 1919 publizierte Paul Tillich, der sich inzwischen nach Berlin umhabilitiert hatte, in der rechtskonservativen Zeitschrift Das neue Deutschland eine Besprechung des im selben Jahr erschienenen und von Friedrich Thimme und Ernst Rolffs herausgegebenen Sammelbandes Revolution und Kirche. Zur Neuordnung des Kirchenwesens im deutschen Volksstaat. In seiner sehr wohlwollenden Rezension des Buches, in dem vorwiegend protestantische Theologen die mit der Revolution vom Jahr zuvor verbundenen und für die evangelischen Kirchen einschneidenden Veränderungen thematisierten, notiert Tillich am Ende eine knappe eigene Einschätzung der religiös-kulturellen Lage. Hier heißt es mit Blick

 Vgl. EW IX, 403 f.

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auf die Entwicklungsgeschichte der Moderne und der Durchsetzung des Autonomieprinzips, das zu einer Mystik drängt, in der Christus nicht mehr Mittelpunkt des religiösen Bewusstseins ist: „Wenn aber dieses die Entwicklung ist, wankt dann nicht all den Verfassungs- und Entwicklungsvorschlägen [die in dem Buch diskutiert werden, Anm. d. Verf.] der Boden unter den Füßen? Wird dann nicht noch in ganz anderem Maß etwas Neues werden müssen, als hier vorgesehen ist; wird nicht eine dritte Periode des Christentums über Katholizismus und Protestantismus hinaus anbrechen? Ist nicht dieses auch der Sinn der ‚Weltenwendeʻ, an die uns Weltkrieg und Revolution gestellt haben?“ (GW XII, 199) Der Aufruf zur wahren Revolution, die zugleich die wahre Reformation ist, mit der Tillich seine Rezension abschließt, liest sich wie eine prägnante Zusammenfassung seiner im Sommersemester desselben Jahres an der Berliner Universität gehaltenen ersten Vorlesung Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart. Der junge Privatdozent verkündet hier seinen Hörern aller Fakultäten vom Katheder herab nicht nur eine neue Kultursynthese, er ruft sie auch auf, angesichts der durch die Revolution herbeigeführten „Wende der Zeiten“, wie sie „seit der Reformation oder seit dem Sieg des Christentums über die germanischen Völker nicht mehr dagewesen ist“, an dem „Tempel dieser neuen Ideen mitzuarbeiten“ (EW XII, 81). Die systematische Grundlage, die im Hintergrund der Vorlesung von 1919 steht, bildet auch jetzt noch das theologische Prinzip. Es hat jedoch, wie die Vorlesung und der zeitgleich entstandene Entwurf Rechtfertigung und Zweifel erkennen lassen, entscheidende Modifikationen gegenüber seiner Vorkriegsfassung erhalten. Diese bestehen im Wesentlichen darin, dass der für die Systemkonzeption von 1913 übergeordnete Rahmen des absoluten Standpunkts gleichsam in die Aktstruktur des religiösen Vollzugs hineingeschoben wird. Dadurch kommt nun das Konkrete und Besondere, das schon im System von 1913 ein notwendiges Moment der Wahrheit war, nicht mehr als bloßes Durchgangsmoment in den Blick. Die Konkretheit der Geschichte wird jetzt zum zugleich notwendigen Ausdruck der Wahrheit und deren Verfehlung. Dafür stehen die neuen Leitbegriffe des Sinnes, des Unbedingten, des Kairos und der Theonomie. Sie beschreiben die reflexive Struktur des Selbstverhältnisses in seiner geschichtlichen Einbindung und zielen auf die reflexive Durchsichtigkeit der gegenwärtigen Situation. Die absolutheitstheoretische Bestimmung der Religion, das Paradox, also die Rückkehr des Bedingten zum Absoluten in der Geschichte, wird ersetzt durch die neue, im Anschluss an Husserls Intentionalitätsbewusstsein konstruierte Fassung, Religion sei Richtung auf das Unbedingte. Das führt auch zu einer Neufassung des theologischen Prinzips und seiner drei Momente, die in die neue Konzeption aufgenommen werden. Es beschreibt nun in seinen drei Momenten insgesamt die Struktur der Rechtfertigung, die also nicht mehr, wie noch 1913,

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lediglich mit dem absoluten Moment identifiziert wird. Zugleich ist die Rechtfertigung eine Strukturbeschreibung des religiösen Bewusstseins in seiner geschichtlichen Einbindung. Auch die neue systematische Grundlegung seiner Theologie, wie sie nach dem Ersten Weltkrieg konzipiert ist, ist verbunden mit einer Kritik an vermögenstheoretischen Religionsbegriffen. Religion gründet nicht auf einer besonderen Kulturfunktion, sondern auf dem Selbstverhältnis des Bewusstseins. Damit verbindet sich, wie schon im Systementwurf der Vorkriegszeit, eine Kritik an soteriologischen Deutungen des Protestantismus. „Die Rechtfertigung in ihrer historischen Beschränkung auf das Problem der Heilsgewißheit ist […] nicht im Stande, theologisches Princip zu werden.“ (EW X, 143) Und wieder sind es Ritschl und der Pietismus, die eine solche ungenügende und falsche Deutung der Reformation repräsentieren. Tillichs universal-kosmologische Fassung der Rechtfertigung, die er in dem Entwurf Rechtfertigung und Zweifel, aber auch in der ersten Berliner Vorlesung und anderen Schriften vom Anfang der 1920er Jahre ausarbeitet, deutet die iustificatio als einen Reflexionsakt im Selbstverhältnis des Bewusstseins. Religion ist – abgekürzt formuliert – das Erschlossensein des Unbedingten als Grundlage des Bewusstseins in allen Kulturfunktionen, oder in Tillichs Worten: ‚Meinen des Unbedingtenʻ. Durch seine konkreten Gehalte hindurch richtet sich das Bewusstsein auf das Unbedingte, wobei dieses als Beschreibung des Bewusstseins fungiert und die konkreten Gehalte als Medien bzw. Symbole. Dem Bewusstsein als solchem liegt das Unbedingte zugrunde. In der Religion werden die vom Bewusstsein gesetzten konkreten Kulturformen negiert, die durch die Formsetzung und Formzerbrechung zu Symbolen werden, durch die hindurch das Unbedingte gemeint wird. Die rechtfertigungstheologisch bestimmte universale Religion besteht also im Übergang vom Kulturbewusstsein zum Meinen des Unbedingten. Wie deutet Tillich nun vor dieser gegenüber der Systemkonzeption von 1913 veränderten systematischen Grundlegung Reformation und Revolution? Die Grundstruktur des Protestantismus als wahrer Religion resultiert auch hier wieder aus dem theologischen Prinzip und seinen drei Momenten, deren inhaltliche Beschreibung in dem neuen Gesamtrahmen beibehalten wird. Die Reformation Luthers wird in der Vorlesung Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart als kritische Auflösung der mittelalterlichen religiösen Einheitskultur verstanden.¹⁷ Für die inhaltliche Beschreibung, die nun einen wesentlich breiteren Raum einnimmt, greift Tillich auf Ernst Troeltschs Luther-Deutung zurück, dessen Soziallehren er insgesamt zur materialen Ausge-

 Vgl. EW XII, 72. 80.

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staltung der Vorlesung heranzieht. Allerdings, und darin liegt der systematische Anspruch, den der junge Privatdozent mit seiner Vorlesung verbindet, geht es in Tillichs Kultursynthese um eine Überbietung von Troeltschs Programm.¹⁸ In Luthers Reformation kommt in der Christentumsgeschichte die „Kritik“ (EW XII, 80) zum Durchbruch. „Die Grundstellung Luthers ist die Ersetzung der anstaltlich-sakramentralen Gnade mit Verdienst-Konsequenz und Askese durch eine persönlich-spirituelle Gnade, die im Inneren des Menschen als Gemeinschaft mit Gott erlebt wird.“ (EW XII, 98) In der Reformation werden die absoluten Kategorien erfasst, also das absolute Moment des theologischen Prinzips, wodurch die mittelalterliche religiöse Einheitskultur aufgelöst wurde. Es fehlen der Lutherischen Reformation somit die relativen Kategorien, die Verbindung mit der Geschichte. Tillich hat in seinen Schriften vom Anfang der 1920er Jahre die genannte Deutung der Reformation immer wieder aufgenommen und in seinen geschichtsphilosophischen Konstruktionen die Revolutionen der Neuzeit als Folgen des „revolutionär-eschatologische[n] Geist[es]“ gedeutet, „der aus der Reformationszeit nachwirkte“ (GW II, 82 f.). „Von der Französischen Revolution und ihren Auswirkungen im 19. Jahrhundert bis zu den extrem kommunistischen Kreisen der Gegenwart“, so die 1922 publizierte Schrift Masse und Geist, „erfüllt dieser eschatologische Enthusiasmus die Massen und treibt sie als das Heilige, das ihnen geblieben ist, zu opferungsvoller Hingabe und heroischem Kampf“ (GW II, 83). Auch die geschichtsphilosophische Konstruktion des Kairos-Aufsatzes vom selben Jahr folgt diesem Schema und ordnet die Reformation den absoluten Geschichtsphilosophien zu. Aufgrund ihrer kritischen Negativität führen die revolutionär-absoluten Formen der Geschichtsdeutung jedoch zu einer Entwertung der Geschichte.¹⁹ Nicht nur das eschatologisch-revolutionäre Bewusstsein, sondern auch der Protestantismus muss also mit der Geschichte verbunden werden, ohne das absolute Moment des theologischen Prinzips preiszugeben.²⁰ Für diese

 Vgl. G. Pfleiderer, Kultursynthesen auf dem Katheder. Zur Revision von Troeltschs Soziallehren in Tillichs Berliner Programmvorlesung von 1919, in: Religion – Kultur – Gesellschaft. Der frühe Tillich im Spiegel neuer Texte (1919 – 1920), hg.v. C. Danz/W. Schüßler, Wien 2008, 119 – 136; M. Murrmann-Kahl, Theologisches Prinzip und Modernitätserfahrung in Paul Tillichs Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart (1919), in: Religion – Kultur – Gesellschaft. Der frühe Tillich im Spiegel neuer Texte (1919 – 1920), hg.v. C. Danz/W. Schüßler, Wien 2008, 137– 154.  Vgl. P. Tillich, Kairos, in: ders., Ausgewählte Texte, hg.v. C. Danz/W. Schüßler/E. Sturm, Berlin/New York 2008, 43 – 62, bes. 45 – 49.  Vgl. Tillich, Kairos, 47: Aufgabe sei es, „den Kairos universalgeschichtlich zu fassen und ihn nicht zu beschränken auf die Vergangenheit und die Zukunft, sondern ihn zu einem allgemeinen und auch gegenwartsbedeutenden Prinzip der Geschichtsphilosophie zu erheben.“

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Verknüpfung von absoluten und relativen Momenten steht der religiöse Sozialismus in den Schriften vom Anfang der 1920er Jahre. In der Vorlesung vom Sommersemester 1919 beruft sich Tillich für die von ihm verkündigte Kultursynthese auch nicht auf die Reformation, die, wie dargelegt, einseitig negativ ist, sondern auf die Romantik und die französischen Sozialisten, und lässt seine Hörer wissen, er bekenne sich „im Allgemeinen zu dieser romantisch-frühsozialistischen Geschichtsphilosophie“ (EW XII, 81). Der systematische Gehalt des religiösen Sozialismus besteht in einem Erschlossensein des Unbedingten im Selbstverhältnis des Bewusstseins durch die kulturellen Formen hindurch, wodurch diese zum Medium des Unbedingten werden. Die Deutungskategorie des religiösen Sozialismus bezeichnet ein reflexives Geschichtsbewusstsein, das sich in der Geschichte als Formsetzung und Formzerstörung verwirklicht. Er repräsentiert gegenüber der fragmentierten modernen Gesellschaft eine neue Einheitskultur, in der die gesamte Kultur zur Darstellung der wahren Religion geworden ist. Der religiöse Sozialismus ist damit sowohl die wahre Reformation als auch die wahre Revolution, da er „radikaler, revolutionärer sein“ will „als der Sozialismus, weil er vom Unbedingten her die Krisis zeigen will“.²¹ Aber wie unterscheidet sich die geschichtliche Religion als Meinen des Unbedingten von der allgemeinen Grundlegungsfunktion des Unbedingten, die sowohl der Religion als auch der Kultur zugrunde liegt? Denn die Religion hängt für Tillich nicht an besonderen Inhalten, sie fußt vielmehr allein im Erschlossensein des Unbedingten im stets schon konkret bestimmten Kulturbewusstsein. Auf dieses Problem des Religionsbegriffs in den Texten vom Anfang der 1920er Jahre zielte die Kritik Karl Barths – das „frostige[] Ungeheuer ‚[des] Unbedingtenʻ“ (GW VII, 231) –, die er in seiner Auseinandersetzung mit Tillich über das Paradox 1923 in den Theologischen Blättern vorbrachte. Tillich reagierte auf die Kritik Barths mit einer Reformulierung seiner bisherigen Position, die in der Ausarbeitung seiner Protestantismustheorie am Ende der 1920er Jahre ihre abschließende Gestalt fand. Dem müssen wir uns abschließend noch zuwenden.

 Tillich, Kairos, 61.

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3 Der Protestantismus als Kritik und Gestaltung, oder: Tillichs Deutung der Reformation als der wahren Revolution Im Jahre 1924 publizierte Tillich seinen Gießener Vortrag Rechtfertigung und Zweifel, der nicht nur ein älteres Thema wieder aufnimmt, sondern vor allem auch eine Antwort auf die Kritik Barths aus dem Jahre 1923 formuliert. Diese besteht, wie Folkart Wittekind gezeigt hat, in der Unterscheidung von Grund- und Heilsoffenbarung, die in diesem Vortrag eingeführt wird.²² Erst dadurch vermochte es Tillich, die geschichtliche Religion von der allgemeinen Grundlegungsfunktion des Unbedingten im Bewusstsein, die auch jetzt noch beibehalten wird, zu unterscheiden und die Frage zu beantworten, wie Religion in der Geschichte entsteht. Das theologische Prinzip mit seinen drei Momenten, in dem Tillich seit 1913 sein Protestantimusverständnis zusammenfasste, wird nun überführt in eine neue Deutung des Protestantismus, die schließlich am Ende des Jahrzehnts in die Formel mündet, der Protestantismus sei Kritik und Gestaltung.²³ Das führt auch zu einer neuen Deutung der Reformation, die jedoch an die inhaltliche Beschreibung der alten Fassung, sie sei Durchbruch der Kritik, anknüpft und diese aufnimmt. Doch schauen wir genauer hin. Auch in seinem Vortrag Rechtfertigung und Zweifel unterzieht Tillich eine soteriologische Deutung des Protestantismus der Kritik und fordert eine universalkosmologische Fassung. Für diese systematische Intention stehen – wie bereits in dem gleichnamigen Entwurf von 1919 – die beiden Stichworte Rechtfertigung und Zweifel. Die Luther- und Reformationsdeutung, die der Vortrag von 1924 bietet, hat nun jedoch ihren Fokus in der theologiegeschichtlichen Einordnung von Barths soteriologischer Deutung des Protestantismus. Bei Luther erging der Widerspruch gegen die sich selbst unbedingt setzende katholische Realisierung, die durch ihre hierarchische Form jede Wirksamkeit des Korrektivs immer

 Vgl. F. Wittekind, Grund- und Heilsoffenbarung. Zur Ausformung der Christologie Tillichs in der Auseinandersetzung mit Karl Barth, in: Jesus of Nazareth and the New Being in History. International Yearbook for Tillich Research 6 (2011), 90 – 119; C. Danz, Erläuterungen zu Paul Tillich „Rechtfertigung und Zweifel“, in: P. Tillich, Rechtfertigung und Neues Sein, hg. u. kommentiert v. C. Danz, Leipzig 2018, 66 – 111.  Schon 1919 hatte Tillich das theologische Prinzip als protestantisches Prinzip bezeichnet, dabei jedoch die alte Fassung des theologischen Prinzips zwar auf die Rechtfertigung übertragen, aber dessen Struktur von 1913 noch beibehalten.

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mehr unmöglich machte. Infolge dessen liegt im Protestantismus ein reflektiertes Verhältnis zur Realisierung überhaupt, zur Religion und zum katholischen Prinzip vor.²⁴

Die Soteriologie, die Luther zum grundlegenden Gesichtspunkt seiner reformatorischen Neudeutung der Religion erhob, nimmt die kritische Philosophie Kants vorweg, die in der Gegenwart von Karl Barth und der Dialektischen Theologie erneuert wurde. Auch hier erscheint die Reformation, wie schon seit 1913 als Durchbruch der absoluten Kategorien und der Kritik, aber diese Deutung wird nun benutzt, um die Dialektische Theologie theologiegeschichtlich einzuordnen. Wie in der soteriologischen Deutung des Protestantismus bei Luther wird bei dessen modernen dialektischen Nachfolgern der Durchbruch bzw. das Korrektiv der Rechtfertigung, also das frühere absolute Moment des theologischen Prinzips, für das Ganze der Religion genommen und deren Realisierung verneint. „Eben darum wurde die Überwindung des Gesetzes hier zum ‚Protestantismusʻ, d. h. aber zur Verneinung der Realisierung und damit zur grundsätzlichen Verneinung der eigenen Voraussetzung.“²⁵ Tillichs eigene Deutung des Protestantismus, die sowohl eine Antwort an Barth darstellt als auch auf ein universales Protestantismusverständnis zielt, knüpft an die alte sinntheoretische und geistphilosophische Fassung des Religionsbegriffs an, der zufolge das Unbedingte die Grundlage allen Bewusstseins darstellt und Religion Richtung auf das Unbedingte sei. Aber das wird nun auf der Grundlage der neuen Unterscheidung von Grund- und Heilsoffenbarung ausgeführt, die in der Moderne auseinandergebrochen sind.²⁶ Erstere steht für die reflexive Erschlossenheit des Bewusstseins, die sowohl göttlich als auch dämonisch ist, oder, wie der spätere terminus technicus der Systematischen Theologie lautet, ambivalent bzw. zweideutig. Die Gotteserkenntnis ist somit nicht ausschließlich wie bei Barth an die Offenbarung in Christus gebunden. Die Heilsoffenbarung bestimmt Tillich jetzt als Überwindung der göttlich-dämonischen Zweideutigkeit des Bewusstseins, und nicht mehr nur als Meinen des Unbedingten.²⁷ Erst dadurch erhält die Religion, deren reflexive Fassung er beibehält und die auch hier

 Tillich, Rechtfertigung und Zweifel, 126.  Ebd.  Vgl. ebd., 135: „Unterschieden werden können beide erst dann, wenn diese selbstverständliche Einheit aufgelöst ist und das Ganze der Offenbarung fraglich geworden.“  Vgl. ebd.: „Um dieser Zweideutigkeit der Grundoffenbarung willen wird die Offenbarung des Göttlichen zur Heilsoffenbarung, zur Überwindung des Dämonischen in der Menschheitsreligion.“ Es ist diese Struktur – Überwindung zweideutiger Selbsterschlossenheit durch die Heilsoffenbarung –, die in der Methode der Korrelation der Systematischen Theologie ihren methodischen Niederschlag findet.

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nicht inhaltlich gefasst wird, eine genauere Bestimmung als in den Schriften zuvor. Die fünf Jahre später publizierte Studie Der Protestantismus als kritisches und gestaltendes Prinzip nimmt die eben skizzierte Bestimmung eines universal-kosmologischen Protestantismusverständnisses auf und fasst sie in dem auch im Spätwerk beibehaltenen protestantisches Prinzip zusammen, das jetzt am Ende der 1920er Jahre seine abschließende Formulierung erhalten hat. Das vormalige theologische Prinzip mit seinen drei Momenten wird vollständig in den Begriff des Protestantismus überführt, indem prophetische Kritik und Gestaltung mit der rationalen Kritik und Gestaltung zusammengeschlossen werden. Gegenüber der Reformation und ihren modernen dialektischen Nachfolgern, die, wie schon 1924, als Wiederentdeckung der prophetischen Tradition gedeutet werden (eine Bestimmung der Reformation, die auch im Spätwerk beibehalten wird), schiebt Tillich Kritik und Gestaltung ineinander. Erst hieraus resultiert ein Verständnis des Protestantismus als reflexiver und universaler Religion, in der kritische Negativität und reflexive Formsetzung verbunden sind. Als Gestalt der Gnade verwirklicht sich der Protestantismus als permanente Selbstkritik von Religion und Kultur. Aber gerade die hiermit verbundene Aufhebung des Gegensatzes von heilig und profan als gegenständliche Sphären fordert selbst eine religiöse Symbolisierung, „wenn die Gestalt der Gnade wirklich Gestalt“,²⁸ also irgendwie anschaubar sein soll. Deshalb muss es in der Kultur Religion als besondere symbolische Formen und soziale Gemeinschaften geben. Diese haben die Funktion, einerseits auf die Aufhebung des Gegensatzes von Religion und Kultur, von heilig und profan im Ewigen, hinzuweisen und andererseits darauf, dass dieser Gegensatz in der Geschichte nicht überwunden werden kann. Der Protestantismus als Kritik und Gestaltung wird von Tillich am Ende der 1920er Jahre als eine selbstreflexive Religion konstruiert. Allein durch die in ihm auf Dauer gestellte Selbstkritik aller seiner kulturellen und religiösen Setzungen ist er nicht nur absolute Religion, in ihm vollendet sich auch erst die Reformation und der wahre Gehalt der eschatologischen revolutionären Bewegungen. Die eigentliche und wahre Revolution ist mit Christus, dem Neuen Sein in die Geschichte eingetreten. Die Reformation hat diese Revolution wiederentdeckt, ihr jedoch eine einseitige kritische Fassung gegeben. Erst in dem Protestantismusverständnis, wie es Tillich selbst ausgearbeitet hat, kommt es zu einem adäquaten, der Moderne entsprechenden Bewusstsein des Protestantismus, der als Kritik zugleich Gestaltung ist.

 P. Tillich, Der Protestantismus als kritisches und gestaltendes Prinzip, in: ders., Ausgewählte Texte, hg.v. C. Danz/W. Schüßler/E. Sturm, Berlin/New York 2008, 200 – 221, hier: 218.

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Blickt man von hier aus noch einmal zurück auf den Gang der vorgetragenen Überlegungen, so zeigt sich ein hohes Maß an Kontinuität im Verständnis von Reformation und Revolution in den Texten Tillichs. Die inhaltlichen Beschreibungen von beiden bleiben sich in den herangezogenen Schriften seit 1913 weitgehend gleich. Das sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die von Tillich gebrauchten Formeln in den drei dargestellten werkgeschichtlichen Kontexten in differente systematische Kontexte eingefügt werden, aber dadurch auch eine veränderte systematische Funktion erhalten.

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The Protestant Principle as Ongoing Reformation Paul Tillich’s early writings assert the importance of paradox in bringing together the concept of the Unconditioned and the symbol of God. As he develops his thought, he connects this theological paradox to the Protestant principle, producing applications that move well beyond its meaning in the Protestant Reformation. Not only does he expand the doctrine of justification to apply to doubt as well as guilt, but also he uses the Protestant principle as a prophetic principle against both idolatry and injustice. Moreover, it becomes a key element in his approach to non-Christian religions. Thus, for Tillich, the Protestant Reformation is not just a convergence of diverse theologies and events in the 16th century but also offers the basis for ongoing reformation through the application of the Protestant principle. In the first part, I explore how Tillich connects the Protestant principle to the Protestant Reformation, showing elements with roots in Luther’s ideas but also developing his own applications. Second, I analyze Tillich’s use of the Protestant principle in developing his understandings of knowledge and truth. Third, I show how Tillich connects the Protestant Principle to justice in his exploration of the destructive and unjust consequences of idolatry. Fourth, I analyze Tillich’s use of the Protestant principle in his proposals for the encounter of Christianity and the world religions.

1 The Protestant Principle in Relation to the Protestant Reformation In Tillich’s discussion of Luther and the Reformation as presented in A History of Christian Thought, he emphasizes the grace of reunion with God through forgiveness of sins – God’s acceptance of a person as good in spite of the person’s sins.¹ Tillich makes it very clear that it is not a person’s actions that cause acceptance but only God’s acceptance and grace. Faith is the acceptance of God’s power and

 P. Tillich, A History of Christian Thought, ed. C. Braaten (New York, NY:Simon and Schuster, 1967), 229 – 236. https://doi.org/10.1515/9783110668124-007

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grace, “the acceptance of being accepted” by God.² Two key elements here are first, the claim of God’s power as independent of human, finite actions and second, the paradoxical form of acceptance in spite of being sinful. Both are critical to the Protestant principle as Tillich develops it. In “Protestantism as a Critical and Creative Principle,” (1929) Tillich connects Protestant criticism to prophetic criticism³ but also to rational criticism taking place outside specifically religious contexts.⁴ He sees grace as the presupposition of criticism and as ultimately overcoming and fulfilling both types of criticism.⁵ Grace connects with God’s independent power and presence. “Grace is something present but not something objective. It is actual in objects, not as an object but as the transcendent meaning of an object.”⁶ Tillich sees this as a central insight of the Protestant principle, that no form of grace can be “fixed.” He then argues that this leaves open the possibility of grace in secular forms as well as in the religious sphere; the sacred and the profane are no longer opposites. He states: The dissolution of the antithesis of the sacred and the profane represents the profoundest aspect of the Protestant principle. It is the first and the decisive consequence of the prophetic protest of Protestantism against the objectification of grace. This is the greatness of the Protestant principle, and … it is also the danger by which it is threatened.”⁷

Both the secular and the religious are subject to the protest of the Protestant principle, the aspect that Tillich calls the greatness of the principle. The danger rests in the possible “dissolution of the church into the structures of society and the dissolution of religious knowledge into secular knowledge.”⁸ To counter that possibility, Tillich calls on the Protestant churches to focus on transcendent meanings without claiming any form as transcendent in itself.⁹ Connecting that idea with the historical moment in 1929, Tillich discusses the idea of Kairos “as fulfilled time or as the realization of the form of grace in a new entity” as related to the Protestant principle. He sees Kairos as involving anticipation of transcendent meaning and suggests that religious socialism may be

  J.      

Ibid., 247. P. Tillich, “Protestantism as a Critical and Creative Principle,” (1929) Political Expectation, ed. Adams (New York et al.: Harper & Row, 1971), 10 – 15. Ibid., 16. Ibid., 18, 29. Ibid., 25. Ibid., 35. Ibid., 36. Ibid., 36 – 37.

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helping “to prepare the way for a Protestant form of grace.”¹⁰ Preparation of the way that will express the spirit of the Kairos is the task both for the churches and for the secular culture. ¹¹ Tillich argues that Luther’s engagement of both prophetic and rational criticism enabled his extensive historical influence. But Tillich also sees Luther as historically conditioned by his own time. Thus, he states that the churches cannot simply take Luther’s word as directly applicable to the present but instead must also engage in both prophetic and rational criticism with direction toward transcendent meaning.¹² The direction toward or anticipation of transcendent meaning allows for experiencing the presence of grace, but the Protestant principle guards against any form being seen as transcendent in itself.

2 The Protestant Principle in Relation to Knowledge and Truth Outside of Tillich studies, we would not expect a connection between the Protestant principle and issues of knowledge and truth. But Tillich posits a guardian principle for knowledge and truth that is a form of his Protestant principle. In “Kairos und Logos” (1926), he speaks of the “guardian standpoint” that protects the Unconditioned from any infringement (Verletzung) by conditioned things, ideas or standpoints.¹³ He connects this directly with the grounding principle of Protestantism, the principle of justification by faith. In relation to the question of truth, this principle means that true knowledge is not absolute knowledge.¹⁴ The larger epistemological context for Tillich’s discussion of this standpoint is his affirmation of knowledge and truth as dynamic, responding to the Kairos in contrast to a more static view of truth. Both in this essay and later, he argues that human knowledge and truth can point toward the Unconditioned but cannot express it directly or unambiguously. Our knowledge and truth is always con-

 Ibid., 38.  Ibid., 39.  Ibid., 16 – 17, 38 – 39.  P. Tillich, “Kairos und Logos,” Philosophical Writings/Philosophische Schriften, ed. G. Wenz, Main Works/Hauptwerke, vol. 1 (Berlin & New York: De Gruyter- Evangelisches Verlagswerk, 1989), 294.  Ibid., 296. “Wahre Erkenntnis ist nicht absolute Erkenntnis.”

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ditioned and relative, even our statements about the absoluteness of the Unconditioned.¹⁵ Given the finite, relative character of our knowledge, doubt becomes not just an existential experience but also a tool in affirming and maintaining the absoluteness of the Unconditioned. Both in early and later writings, Tillich connects the experience of doubt and meaninglessness to the Protestant idea of justification. Already in 1919 in an early version of “Rechtfertigung und Zweifel,”¹⁶ Tillich argues that the Protestant principle can be developed to “become the religious principle of a modern cultural consciousness.”¹⁷ His primary concern is the modern issue of doubt and religious uncertainty, and he proposes an answer developed from the paradox of justification by faith. Tillich’s approach does not eliminate doubt but holds doubt and faith in paradoxical unity: “affirming in faith that doubt does not annul one’s standing in the truth.”¹⁸ He calls this unity “faith in the unconditionedness of the absolute paradox” and argues that this is what faith means in the domain of knowledge.¹⁹ The God of the one who doubts God is the Unconditioned, not as an existing entity that can be doubted but as a meaning.²⁰ Tillich affirms absoluteness beyond all specific content, and he sees specific content, expressed in conditioned forms, as directed toward the Unconditioned. Some elements of this essay, unpublished during Tillich’s life, read as a precursor to The Courage to Be, with discussion of the doubter connected to the Unconditioned, a God above God. In The Courage to Be, Tillich describes Luther’s experiences of despair and meaninglessness in relation to the courage to accept acceptance.²¹ Tillich then  For a more in-depth discussion of Tillich on the relativity of truth, see M. Stenger, “Paul Tillich’s Theory of Theological Norms and the Problems of Relativism and Subjectivism,” The Journal of Religion 62:4 (October, 1982), 359 – 375.  P. Tillich, “Rechtfertigung und Zweifel,” (1919) Religion, Kultur, Gesellschaft; Unferöffentlichte Texte aus der Deutschedn Zeit (1908 – 1933), Part I, ed. E. Sturm (Berlin and New York: De Gruyter Evangelisches Verlagswerk, 1999), 128 – 185. Tillich’s 1924 “Rechtfertigung und Zweifel,” [Theological Writings/Theoogische Schriften (Berlin and New York: De Gruyter – Evangelisches Verlagswerk, 1992), 83 – 97] shares the emphasis on justification of the doubter but focuses more on the breakthrough of the Unconditioned than on the absolute paradox. For an excellent analysis of the 1919 essay, see E. Sturm, “Das Absolute Paradox als Prinzip der Theologie und Kultur in Paul Tillich’s ‘Rechtfertigung und Zweifel’ von 1919,” The Theological Paradox/Das theologische Paradox (Berlin and New York: Walter de Gruyter, 1995), 32– 45.  P. Tillich, “Justification and Doubt,” translated by R. Scharlemann, unpublished typescript, 2.  Ibid., 23.  Ibid.  Ibid., 24.  P. Tillich, The Courage to Be (New Haven & London: Yale University Press, 1952), 170 – 171.

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discusses absolute faith as “a faith which has been deprived by doubt of any concrete content, which nevertheless is faith and the source of the most paradoxical manifestation of the courage to be.”²² Doubt removes even the content of the personal God who forgives in the midst of judgment. Tillich argues: “The Lutheran courage returns but not supported by the faith in a judging and forgiving God. It returns in terms of the absolute faith which says Yes although there is no special power that conquers guilt.”²³ Absolute faith says Yes even in the midst of radical doubt – a Yes to the God above the God of theism. Given Tillich’s critique of idolatry that nothing conditioned should be taken as absolute in itself, no concrete content can be the object of absolute faith. This connects to grace, that faith rests on the Unconditioned itself, not on anything concrete. Although Tillich does not invoke the Protestant Principle directly, we can see the paradoxical form, the critique of idolatry, and the Protestant idea of justification as underlying his approach. Tillich continues this idea in his discussion of doubt and faith in his Dynamics of Faith. He argues: “If faith is understood as being ultimately concerned, doubt is a necessary element in it.”²⁴ Doubt connects to the risk of faith, for Tillich, but also to the “unconditional character” of faith as ultimate concern.²⁵ He describes a “critical principle” active in people’s religious consciousness, assessing “that which is really ultimate over against what claims to be ultimate but is only preliminary, transitory, finite.”²⁶ His proposal for the criterion of the truth of faith has a paradoxical form: “The criterion of the truth of faith, therefore, is that it implies an element of self-negation. That symbol is most adequate which expresses not only the ultimate but also its own lack of ultimacy.”²⁷ Tillich then connects this criterion to the event of the Cross where Jesus sacrifices “himself as Jesus to himself as the Christ.”²⁸ But he takes this further when he argues: “The only infallible truth of faith, the one in which the ultimate itself is unconditionally manifest, is that any truth of faith stands under a yes-or-no judgment.”²⁹

 Ibid., 177.  Ibid., 189 – 190.  P. Tillich, Dynamics of Faith (New York: Harper & Row, 1957), 18.  Ibid., 22.  Ibid., 10.  Ibid., 97.  Ibid., 97– 98.  Ibid., 98. I question the use of “or” here, as it makes more sense and fits better with Tillich’s theology to say “and” – a yes and no judgment. I note that in the next paragraph of the text, he does say “and.”

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Tillich states that this criterion is “identical with the Protestant principle” and asserts that this fact and its connection to “the Cross of the Christ constitutes the superiority of Protestant Christianity.”³⁰ In one sense this affirmation of Protestantism’s superiority may seem strange, but note that it comes immediately after his affirmation of the paradox of Yes and No in the criterion: “The criterion contains a Yes – it does not accept any truth of faith as ultimate except the one that no man [sic] possesses it.”³¹ What is superior for Tillich is not institutional Protestantism but the Protestant principle as a criterion of truth – the principle that guards the Unconditioned from identity with the conditioned, infinity from identity with the finite, ultimacy from identity with the ordinary. Tillich makes this clear in the third volume of the Systematic Theology when he argues that every church, including the Reformation churches, has “betrayed” the Protestant principle, but he goes on to state that “it is also effective in every church as the power which prevents profanization and demonization from destroying the Christian churches completely.”³² Here I note he does not espouse the superiority of Protestant Christianity but instead calls for “’Catholic substance’, the concrete embodiment of the Spiritual Presence” with the Protestant principle. Yet always, the Protestant principle serves as a criterion of every concrete embodiment.³³ The Protestant principle, for Tillich, is both a truth in itself and a criterion of other claims of truth. This understanding of the Protestant principle requires regular doubt of ideas or movements that appropriate absolute truth to themselves. Tillich has suggested such doubt as part of the history of religions. Clearly, he affirms the presence of ultimacy in our world, but the bearer must be transparent to that ultimacy rather than taking on ultimacy to itself. Thus, the principle holds the absolute paradox of affirmation and negation–not a dialectic but a simultaneous yes and no. The Protestant principle as a criterion of religious truth guards and maintains the absoluteness of the Unconditioned and the relativity of other truths. There may be other criteria of truth within the relativity and ambiguity of our finite world, such as the experiential verification that Tillich affirms in volume one of his Systematic Theology and in Dynamics of Faith,³⁴ but those criteria can always be subject to doubt. Thus, the Protestant principle serves as a

 Ibid.  Ibid.  P. Tillich, Systematic Theology 3 (Chicago: The University of Chicago Press, 1963), 245.  Ibid.  P. Tillich, Systematic Theology 1 (Chicago: The University of Chicago Press, 1951), 100 – 105 and Dynamics of Faith, 96 – 97.

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principle of ongoing reformation. We see Tillich applying this not only in theology but also in ethics, with respect to justice.

3 The Protestant Principle in Relation to Justice Tillich connects the Protestant principle to religious socialism in some of his writings between the two world wars. He does not focus directly on justice but sees religious socialism’s expectation of the breaking in of the Unconditioned as enabling a more just society. In his 1923 article, “Basic Principles of Religious Socialism,” Tillich does not name the critical principle prophetic or Protestant, but he invokes critique of demonic distortion of religious elements in the churches and of political demonries.³⁵ In his 1930 article on religious socialism, Tillich makes clear that the critical principle is the same as the prophetic-Protestant principle. He states: “The theological presupposition of religious socialism is the radical application of the prophetic-Protestant principle to religion and Christianity.”³⁶ His explication of this claim challenges absolute claims of any Christian confession (Catholic or Protestant) and emphasizes the profane character of “all religious reality … solely by virtue of the fact that it is a concrete, historical reality.”³⁷ It is very important to Tillich that religious socialism not be tied to any specific Christian community and that freedom from those ties allows for a religious understanding of profane or secular aspects of culture. Tillich applies the Protestant principle to both religious and political groups, arguing that neither can be given absolute claims.³⁸ The goal of religious socialism is a theonomous society that allows ultimate depth of meaning to break through, but, for Tillich, the theonomous society remains a goal and cannot be tied to any specific economic theory or specific political action.³⁹ The eschatological dimension of such a theonomous society continues in his thought in the third volume of his Systematic Theology where he again invokes the Protestant principle to critique

 P. Tillich, “Basic Principles of Religious Socialism,” Political Expectation, 87– 88. (This essay was originally published in 1923 as “Grundlinien des Religiösem Sozialismus,” Blätter für Religiösen Sozialismus, IV, Heft 8/10, 1923).  P. Tillich, “Religious Socialism,” Political Expectation, ed. J. Adams, (New York et. al.: Harper & Row, Publ., 1971), 54. (This essay was originally published in 1930 as “Sozialismus: II. Religiöser Sozialismus” in Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 2nd ed., [Tübingen], Vol. 5, 637– 48.)  Ibid., 54– 55.  Ibid., 56.  Ibid. See also P. Tillich, “The Protestant Principle and the Proletarian Situation,” (1931) The Protestant Era, trans. J. Adams (Chicago: The University of Chicago Press, 1948/1957), 161– 181.

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utopian efforts that claim to be able to establish perfect community here on earth.⁴⁰ In the first volume of his Systematic Theology, Tillich connects the propheticProtestant principle to justice and injustice in his discussion of God and the holy. He addresses idolatry, first in relation to objects and then in relation to the prophetic understanding of injustice. He recognizes that when people represent their ultimate concern in holy objects, the objects easily become idols. He even states: “Holiness provokes idolatry.”⁴¹ Then connecting to the biblical prophets, Tillich argues: “Justice is the criterion which judges idolatrous holiness.”⁴² He sees this not only for the biblical prophets but also for Greek philosophers who criticized a cult as demonic, for the Reformers who critiqued the Roman system of sacred things and actions, and for modern revolutionary challenges to “sacred institutions which protect social injustice.”⁴³ Tillich argues: “The Protestant principle is the restatement of the prophetic principle as an attack against a self-absolutizing and, consequently, demonically distorted church.”⁴⁴ The prophetic form of the principle focuses more on justice where the Protestant principle of the Reformers focused more on the absolutizing of the Roman church. But both forms involve reform of existing institutions and social practices. What the prophetic principle implies is the interconnection of idolatrous holiness and injustice. Tillich does not develop this fully in his discussion of God and the holy, but the connection is suggested particularly by his description of modern movements. “In the name of social justice, modern revolutionary movements challenge sacred institutions which protect social injustice.”⁴⁵ The issue for him is “demonic holiness” where institutions accepted as holy or sacred use that status to hide or even to legitimate their injustices. A clear example today would be the multiple cases of child abuse by priests within the Roman Catholic Church. For far too long, bishops and some Vatican officials ignored the facts of such abuse, as over and over they reassigned abusive priests, often seeing allegiance to the Church as absolute in contrast to the injustices to the children. What this example and others like it reveal is the power structures within the institution that enabled the bishops and Vatican officials to keep the issue under the radar for decades.

     

Tillich, Systematic Theology 3, 359 – 360. Tillich, Systematic Theology 1, 216. Ibid. Ibid. Ibid., 227. Ibid., 216.

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For Tillich, one cannot separate justice, power, and love as all are interrelated ontological realities. I will not repeat his in-depth analysis of their inter-relatedness in Love, Power, and Justice, but I will show how he connects the Protestant principle to his analysis of justice. Tillich posits three forms of justice: 1) intrinsic justice due every being, 2) proportional justice that we associate with human judgments and courts, and 3) creative or transforming justice that transcends or even negates proportional justice. Transforming justice is grounded in divine grace and divine justice, with justification by grace through faith as Tillich’s primary example.⁴⁶ The paradox of forgiving and justifying the person who is unjust reflects the theological form of the Protestant principle. The activity of forgiveness and creative justice must be reuniting love that acknowledges the injustice done but also brings together those who have been separated (from each other, from themselves, and/or from God).⁴⁷ The grace of such creative justice is central to Tillich’s theology and to his understanding of the Protestant principle of justification by faith. Even in his emphasis on forgiveness, he does not ignore the injustice done to victims, especially in relation to unequal structures of power.⁴⁸ Punishment of the violator may be necessary (according to proportional justice). Still, Tillich emphasizes the role of creative justice toward the wrongdoer, grounding it in God’s reuniting love and forgiveness in justification by grace.⁴⁹ In Love, Power, and Justice, Tillich does not emphasize the prophetic, ethical dimension of the Protestant principle, either for individuals or for group relations. When Tillich examines the encounter of nations with each other, we might expect him to address the possibility of demonic power or the need for the prophetic or Protestant principle. Instead he expresses hope for a more unified humankind rather than critique of present or future demonic absoluteness.⁵⁰ But Tillich’s affirmation of the Protestant principle does arise in the last phase of his theological development in his approach to Christianity’s encounter with the world religions.

    

P. Tillich, Love, Power, and Justice (New York: Oxford University Press, 1960), 66. Ibid., 67– 69, 86. Ibid., 88. Ibid., 121. Ibid., 105 – 106

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4 The Protestant Principle in Relation to the World Religions In 1958, Tillich delivered the Matchette Lectures at Wesleyan University in Middletown, Connecticut, using the title “The Protestant Principle and the Encounter of World Religions.” Once again, Tillich reiterates that “the Protestant principle is not identical with any particular religion, not even with Protestantism.”⁵¹ But he sees in every religion the conflict between ultimacy and concrete expressions of ultimacy that the Protestant principle addresses, and he also argues that there is a protest element of the Protestant principle in every religion, whenever there is “the protest of religion against religion within religion in the name of God.”⁵² Tillich ties this protest to the historical event of the Protestant Reformation as well as to the words and actions of the biblical prophets concerned about justice, and to the early teachings of Jesus and the apostles challenging elements of the existing Jewish religion.⁵³ But for him, the application of the Protestant principle has to be ongoing and suggests that it be applied first to the Protestant churches but then argues that all religions stand “under the judgment of the Protestant principle, meaning under the judgment of God.”⁵⁴ In his third and final Matchette lecture, Tillich affirms that view as well as the greatness of the Protestant principle. He argues: “And the Protestant principle has the greatness in itself, that it has on the one hand the most radical criticism, much more radical than any humanist criticism and at the same time the openness for every concrete symbol which is willing to subject itself to this criticism.”⁵⁵ The radical element of the Protestant principle is its denial of absoluteness to any finite thing, person, or movement; yet, at the same time, Tillich sees the principle as open to concrete symbols as long as they will be subjected to that radical critique. He sees this principle stemming from Protestant Christianity but not as affirming Protestantism as the necessary religion for all.⁵⁶ For him, it is the Protestant principle that is superior, not the concrete Protestant churches.

 P. Tillich, “The Protestant Principle and the Encounter of World Religions,” The Encounter of Religions and Quasi-Religions, ed. T. Thomas (Lewiston/Queenston/Lampeter: The Edwin Mellen Press, 1990), 3.  Ibid., 15.  Ibid., 16.  Ibid., 17.  Ibid., 55.  Ibid., 56. Still, he suggests that to the extent that all “genuine” religions, including Protestantism, stand under the judgment of the Protestant principle, this “could become the greatness

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In the Fall of 1961, Tillich gave several more lectures addressing the encounter of the world religions. At a lecture at Lycoming College in Williamsport, Pennsylvania, Tillich describes the Protestant principle as “the principle of putting oneself under the same judgment under which one puts others.”⁵⁷ In relation to world religions, this means judgment for all. With a focus on revelation, he argues that almost everything has been or is able to be a bearer of revelation. So he asks the question of what criterion can help people judge among the various manifestations that have been affirmed as bearing revelation. This leads him to a discussion of idolatry and an affirmation of the Protestant principle as judging idolatry.⁵⁸ Tillich notes that this principle first came to him roughly fifty years before. He argues that the Protestant principle implies that Christianity should be seen as a religion beside other religions and that all religions should be subject to it.⁵⁹ Proposing this principle does not mean bringing people to accept a different religion but asking whether they might accept this criterion as a way to judge themselves and others. He sees this as a possibility because the religions affirm and witness to the divine or the ultimate itself as more important than the particular forms of expression.⁶⁰ Also in the Fall of 1961, Tillich delivered the Bampton lectures, published as Christianity and the Encounter of the World Religions. There he argues that Christianity must find its criteria for self-judgment in the event of Jesus as the Christ.⁶¹ What Tillich pulls from the event of the Christ is an abstract form of the sacrifice of Jesus discussed earlier in relation to truth in Dynamics of Faith. In the Bampton lectures, he states: What is particular in him is that he crucified the particular in himself for the sake of the universal. This liberates his image from bondage both to a particular religion – the religion to which he belonged has thrown him out – and to the religious sphere as such; the principle of love in him embraces the cosmos, including both the religious and the secular spheres. With this image, particular yet free from particularity, religious yet free from religion, the criteria are given under which Christianity must judge itself and, by judging itself, judge also the other religions and the quasi-religions.”⁶²

of Protestantism.” I note that it was also in the same context of discussing the paradoxical Protestant principle in Dynamics of Faith that Tillich asserted the superiority of Protestantism.  P. Tillich, “Christian and Non-Christian Revelation,” The Encounter of Religions and QuasiReligions, 59.  Ibid., 67.  Ibid., 73.  Ibid., 74.  P. Tillich, Christianity and the Encounter of the World Religions (New York & London: Columbia University Press, 1963), 79.  Ibid., 81– 82.

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Note that this criterion shares the paradoxical form of the Protestant principle, and that the criterion places the secular and the religious spheres on the same level, just as he argued in some early writings. The ambiguity present in both spheres prevents either one from claiming superiority in relation to the Ulimate.⁶³ In applying the principle of negation of ultimacy for anything finite, i. e. the Protestant principle, to both spheres, Tillich describes this as a “fight” for God. “In the fight of God against religion the fighter for God is in the paradoxical situation that he has to use religion in order to fight religion.”⁶⁴ The religion that Tillich uses in this fight is Christianity, especially what he calls the religious principle, a principle rooted in the fact that people continue to raise the question of the ultimate meaning of life. But his affirmation of religion is rooted in an affirmation with negation, a form that is very similar to the Protestant principle. At the end of these lectures, he argues: “Religion cannot come to an end, and a particular religion will be lasting to the degree in which it negates itself as a religion. Thus Christianity will be a bearer of the religious answer as long as it breaks through its own particularity.”⁶⁵ I think we can understand this to mean that Christianity should not take an absolutist-exclusive stance in relation to other religions but focus on the ultimate depth that grounds religions rather than on the finite religious forms that humans have created. Tillich’s final statements in these lectures foreshadow the position he takes in his last lecture. In the Bamptom lectures, he argues: In the depth of every living religion there is a point at which the religion itself loses its importance, and that to which it points breaks through its particularity, elevating it to spiritual freedom and with it to a vision of the spiritual presence in other expressions of the ultimate meaning of man’s [sic] existence.⁶⁶

I argue that what Tillich has offered here is an application of the Protestant principle to the encounter of Christianity with the world religions and quasi-religions. He calls on Christians to focus on the depth of meaning, or what elsewhere he calls the Unconditioned or the Ultimate, or the “God who appears when God disappears in the anxiety of doubt”,⁶⁷ or the Spiritual Presence in the third volume of the Systematic Theology. Just as Tillich has offered occasional

 Ibid., 47.  Ibid., 93 – 94. See also P. Tillich, The Irrelevance and Relevance of the Christian Message, edited by D. Foster (Cleveland, OH: The Pilgrim Press, 1996), especially 51– 56.  Ibid., 96 – 97.  Ibid., 97.  P. Tillich, The Courage to Be, 190.

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overviews of the history of prophetic thought and Christian thought as ongoing applications of the prophetic or Protestant principle, so here he is pushing Christian thinking beyond an exclusivist stance through his use of the Protestant principle. Similarly, in his last lecture, “The Significance of the History of Religions for the Systematic Theologian,” Tillich expresses these same ideas with grounding in the paradoxical fight for God and of God “against religion within religion.”⁶⁸ Here he calls that fight “a fight for the Religion of the Concrete Spirit.”⁶⁹ Although he does not explicitly connect the Protestant principle to the Religion of the Concrete Spirit, I argue that the Religion of the Concrete Spirit calls for a concrete manifestation of the Protestant principle. Tillich delineates three elements unified in this Religion of the Concrete Spirit: 1) the sacramental element or the presence of the Holy within the finite, what he also calls the “universal religious basis”; 2) the critical element “against the demonization of the sacramental”; the concrete embodiment of the Holy or the Ultimate is devalued, recognized as simply finite; and 3) the ethical or prophetic element that critiques consequences of demonization of the finite, namely “the denial of justice in the name of holiness.”⁷⁰ In previous statements, he has described the development of religions as connected to a critique of the demonic or critical applications of the prophetic or Protestant principle. Here he states that “the inner aim of the history of religions is to become a Religion of the Concrete Spirit.”⁷¹ He sees that aim “everywhere in the struggle against the demonic resistance of the sacramental basis and the demonic and secularistic distortion of the critics of the sacramental basis.”⁷² That he sees the whole history of religions as engaging in these struggles as “a fight for the Religion of the Concrete Spirit, a fight of God against religion within religion”⁷³ fits with my suggestion that the Religion of the Concrete Spirit would be the concrete realization of the prophetic or Protestant principle. This Religion of the Concrete Spirit is theonomous and also fragmentary, with its

 P. Tillich, “The Significance of the History of Religions for the Systematic Theologian,” The Future of Religions, ed. J. Brauer (New York: Harper & Row, Publishers, 1966), 88.  Ibid.  Ibid., 86 – 87.  Ibid., 88.  Ibid.  Ibid.

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fulfillment eschatological.⁷⁴ In its three elements, it affirms the ultimacy of the Holy and includes the critique of any absolutized or demonic embodiments of ultimacy as well as the criterion of justice that Tillich connected to the prophetic or Protestant principle. Tillich has brought together the theological, epistemological, and ethical dimensions of the Protestant principle in his proposal of the Religion of the Concrete Spirit. Thus, I conclude this survey of Tillich’s use of the prophetic or Protestant principle with the view that Tillich ended much as he began: his affirmation of ultimacy as ultimate and his critique of demonic or absolutized embodiments of ultimacy (or the Unconditioned). In the development of his theology, Tillich not only applied the Protestant principle critically to varying contents but also at the end envisioned a new concrete embodiment of ultimacy that incorporates the Protestant principle, albeit an eschatological embodiment. As Christianity continues to connect with other religions, he calls for affirmation of the Ultimate or Unconditioned, the critique of idolatries, and the prophetic emphasis on justice.

5 Conclusions on the Ongoing Significance of the Protestant Principle The element Tillich most frequently extracts from the Protestant Reformation is the Protestant principle. I have argued that he sees this as central in the development of the history of religions and that it informs elements of his epistemology, theology, and ethics. Although not always stated as explicitly as he does in his final lecture, I emphasize three critical aspects in his expression of and application of the Protestant principle: 1) its grounding in the Unconditioned or ultimacy, 2) its critique of idolatry or absolutization or demonization of the finite, and 3) the ethical connection to justice and the fight against injustice. While some scholars have focused on the secularizing impact of the Reformation, Tillich always affirms the religious substance of the Reformation and of culture itself, including secular culture. The Reformation did aid the process of secularization and the growth of relativism as several scholars have

 Ibid., 90. “Theonomy appears in what I called ‘the Religion of the Concrete Spirit’ in fragments, never fully. Its fulfillment is eschatological, its end is expectation which goes beyond time to eternity.”

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shown,⁷⁵ but Tillich’s approach in his theology of culture and with the Protestant principle provides a way to understand deeper elements in our secular cultures and gives us a criterion against idolatrous and demonic directions in those cultures. Because he grounds his thought in the Unconditioned or the Ultimate, he avoids moral and epistemological relativism. He does allow for relative knowledge and truth and provisional moral positions, but he does not propose subjectivist or morally relativist positions.⁷⁶ His emphasis on the ambiguity of life holds the relative and finite together with the fragmentary breaking in of Spiritual Presence. For Tillich, the lasting contribution of the Protestant Reformation should be the ongoing application of the prophetic, Protestant principle that affirms ultimacy and opposes conditioned claims of ultimacy that do not include self-negation and critique. We must extend that critique to affirm justice and oppose injustice that stems from idolatry and absolutized forms of power. Long live the Protestant principle!

 See, for example: B. Gregory, The Unintended Reformation; How a Religious Revolution Secularized Society (Cambridge, MA and London, England: The Belknap Press of Harvard University Press, 2012); P. Berger, The Sacred Canopy (Garden City, NJ: Doubleday, 1967); M. Taylor, After God (Chicago and London: The University of Chicago Press,2007).  See M. Stenger, “Paul Tillich’s Theory of Theological Norms and the Problems of Relativism and Subjectivism”.

Erdmann Sturm

Tillichs Deutung Luthers und der Reformation als Durchbruch des Unbedingten und seiner Aufnahme und Verwirklichung 1 Tillichs Kritik der Lutherrenaissance Tillich war kein Lutherforscher. Er hat – anders als sein Freund Emanuel Hirsch – nicht einen einzigen Beitrag zur Lutherforschung verfasst. Er hat zwar Holls Lutherbuch¹ in der Vossischen Zeitung ² vorgestellt und als Ereignis in der Lutherforschung gerühmt, sich aber mit keinem der dort publizierten Aufsätze auseinandergesetzt. Nicht nur in seinem Berliner geistesgeschichtlichen Kolleg über die mittelalterliche Philosophie und Theologie³, sondern auch in seiner Dresdner Vorlesung von 1926 über Geistesgeschichte der protestantischen Theologie ⁴ hat er auf Reinhold Seebergs Darstellung der Theologie Luthers⁵ zurückgegriffen. In

Folgende Texte Tillichs wurden besonders berücksichtigt: 1. Rechtfertigung und Zweifel (zwei Versionen, 1919), erstmals veröffentlicht in: EW X, 128 – 230. 2. Rechtfertigung und Zweifel, Gießen 1924, in: GW VIII, 85 – 100. 3. Geistesgeschichte der protestantischen Theologie (Vorlesung an der Technischen Hochschule Dresden, Sommersemester 1926), in: EW XX, 37 – 192. 4. Der Protestantismus als kritisches und gestaltendes Prinzip, in: Protestantismus als Kritik und Gestaltung. Zweites Buch des Kairos-Kreises, hg. v. P. Tillich, Darmstadt 1929, 3 – 37 = GW VII, 29 – 53. 5. The Recovery of the Prophetic Tradition in the Reformation (Vorlesungen an der Washington Cathedral Library, 1950), in: Faith and Thought, Vol. II, No. 1, Spring 1984, 3 – 28, deutsche Übers.: Die Wiederentdeckung der prophetischen Tradition in der Reformation, in: GW VII, 171 – 215. 6. The Theology of the Protestant Reformers, in: A History of Christian Thought, ed. by C. E. Braaten, New York/Evanston 1968, 227 – 275, deutsche Übers.: Vorlesungen über die Geschichte des christlichen Denkens. Teil I: Urchristentum bis Nachreformation (EW I), 238 – 289. Sekundärliteratur: J. L. Adams, Paul Tillich on Luther, in: Interpreters of Luther. Essays in Honor of Wilhelm Pauck, ed. by J. Pelikan, Philadelphia 1968, 304 – 334.  Vgl. K. Holl, Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte. I. Luther, Tübingen 1921.  Vgl. Vossische Zeitung, Nr. 381, Literarische Umschau Nr. 33, 1922, 1.  Vgl. Geistesgeschichte der altchristlichen und mittelalterlichen Philosophie (Wintersemester 1923/24), ed. in: EW XIII, 407– 643.  Jetzt veröffentlicht in: EW XX, 37– 192.  Vgl. R. Seeberg, Lehrbuch der Dogmengeschichte. Band IV, 1. Hälfte, Leipzig 21917, 2. Hälfte, Leipzig 1920. https://doi.org/10.1515/9783110668124-008

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einem Brief Tillichs an den Berliner Kirchenhistoriker Erich Seeberg, den Sohn Reinhold Seebergs, erfahren wir, dass er „die Grundlage“ seiner Dresdner Vorlesung Reinhold Seeberg verdanke, „insonderheit das Lutherverständnis“, in welchem er sich ihm, Reinhold Seeberg, „sehr viel verwandter fühle als Holl auf der einen und Gogarten auf der anderen Seite“.⁶ In Karl Holls Lutherbuch sieht Tillich den stärksten Ausdruck einer Theologie, „die eine bewußte und nachdrückliche Rückwendung zu Luther vollzieht“.⁷ Ihre Wirkung auf die theologische Jugend sei „recht erheblich“. Man spreche geradezu von einer Lutherrenaissance. Wie in der von ihm zuvor genannten Phänomenologie der Religion, der Rudolf Otto mit seinem Buch Das Heilige ihre „feinste Ausführung“ gegeben habe, so stecke auch in der von Karl Holl ausgehenden Bewegung der Wille, über den Gegensatz von liberaler und orthodoxer Theologie hinauszugehen und „die Quellen der prophetischen Religion freizulegen“. (GW X, 92) Auch hier gebe es Verbindungslinien zum Idealismus und zur Romantik. Doch Tillich will dieser Richtung „für die Gesamtbewegung unserer Zeit keine entscheidende Bedeutung“ beimessen, da sie das klare Nein zum Geist der bürgerlichen Gesellschaft nicht kennt und infolgedessen in ihren praktischen Auswirkungen, zum Teil auch in ihren grundsätzlichen Äußerungen geradezu als eine Stärkung jenes Geistes erscheint. (Ebd.)

Eine ähnliche Kritik findet sich in seinem Aufsatz Der Protestantismus als kritisches und gestaltendes Prinzip. ⁸ Die Renaissance in Italien habe sich, so Tillich, keineswegs als „in sich ruhende autonome Kultur“ gefühlt, sondern bewusst als „religiöse Wiedergeburt der christlichen Gesellschaft“. (GW VII, 34) Auch sei die Breite der geschichtlichen Wirkung Luthers nicht möglich gewesen, wenn er nicht in der umfassenden Gemeinschaft mit allen rational-kritischen Bewegungen seiner Zeit gestanden hätte. Es sei die Befürchtung kaum abzuweisen, bemerkt Tillich, dass die „neu-protestantische Theologie“ dadurch, dass sie „immer nachdrücklicher die Gemeinschaft zerbrochen hat“, den „geschichtlichen Augenblick“ verpasst, der ihr und dem Protestantismus der Gegenwart gegeben sei. (Ebd.) Dies sei umso schmerzlicher, als sie ursprünglich dem religiösen Sozialismus angehört habe. Das Lutherbild, das auf diesem Hintergrund der Selbst-

 Vgl. P. Tillich an E. Seeberg vom 21.6.1928, in: „Vielleicht kommen wir nun doch zu einer gemeinsamen Arbeit in Berlin.“ Paul Tillichs Briefe an Reinhold und Erich Seeberg (1924– 1935), hg.v. E. Sturm, in: International Yearbook for Tillich Research 7, Berlin/Boston 2012, 211– 253, hier: 229.  Vgl. P. Tillich, Die religiöse Lage der Gegenwart, Berlin 1926 = GW X, 9 – 93, hier: 92.  Vgl. GW VII, 29 – 53.

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isolierung entstehe, lasse „jede Beziehung zu der rationalen Kritik der geschichtlichen Mächte“ vermissen. (Ebd.) In diesem Zusammenhang nennt er F. Gogartens Urteile über Luther in seinem Nachwort zu seiner Ausgabe von Luthers De servo arbitrio. ⁹ Holl jedoch habe Luthers rationale Kritik vielerorts dargestellt, aber er mache dies für die Gegenwart dadurch unwirksam, dass sie die geschichtlichen Formen der Kritik, die in Luthers prophetischem Wort vorliegen, „unmittelbar an die Gegenwart heranbringt, anstatt sie aus der Tiefe der Gegenwart, aus dem Kairos neu hervorbrechen zu lassen“. (Ebd.) Das führe dazu, dass Luther „in den rein gegenwartsbezogenen Darstellungen mit seltenen Ausnahmen im ganzen negativ gewertet wird“. (Ebd., Anm.) Es sei die Tatsache nicht zu bestreiten, dass im ursprünglichen Protestantismus die prophetische Kritik mit einer umfassenden rationalen Kritik zusammengeschlossen war, allerdings sei diese rationale Kritik zu ihrer Tiefe und eben damit zu ihrer Grenze gekommen.¹⁰ Die Überwindung der Grenze der rationalen und prophetischen Kritik geschieht, so Tillich, durch die Gnade. „Die ‚Gerechtsprechung des Sünders‘, die ‚Gerechtigkeit allein durch den Glauben‘ ist Ausdruck für das, was die kritische Situation in ihrer unbedingten Tiefe überwindet.“ (GW VII, 35) Die katholische Gnadenlehre habe die Gnade „mitbedingt“ sein lassen „durch die Annäherung des widerstrebenden an das wahre Sein“. Tillich sieht in Luthers Kampf um den Glauben ohne Werke nicht den „Kampf eines Heilsweges gegen einen anderen“, sondern den Kampf „um den unbedingten Ernst und die unbedingte Überwindung der Kritik“. (Ebd.) Im ursprünglichen Durchbruch der Reformation sei dies fast ausnahmslos verstanden worden, später aber, „als die umstrittenen Stellungen gewonnen waren“, ging mit der Sicherung und dem Ausbau dieser Stellungen „der Sinn des Durchbruchs verloren“. (Ebd.)¹¹ Das protestantische Durchbruchsprinzip „rein erfasst“ zu haben, erkennt Tillich ausdrücklich als „Verdienst der wissenschaftlichen Lutherrenaissance“ an. (GW VIII, 85) Aber das sei zunächst Wissenschaft. „Religiös erheblich“ aber könne nur eine Verkündigung der Rechtfertigung sein, „die das reformatorische Durchbruchsprinzip auch als Durchbruchsprinzip unserer Geisteslage kundtut“. (Ebd.) Unsere Geisteslage aber sei durch den Verlust der Voraussetzungen bestimmt, die Mittelalter und Reformation gemeinsam hatten: „der Gottesgewißheit und damit der Gewißheit der Wahrheit und des Sinnes“. (GW VIII, 86) Das reformatorische Durchbruchsprinzip muss, so Tillichs Forderung, als Durch Vgl. M. Luther, Vom unfreien Willen, hg. u. mit einem Nachwort versehen v. F. Gogarten, München 1924, 344– 371.  Vgl. GW VII, 35.  An dieser Stelle erinnert Tillichs Durchbruchsmetapher an seine Teilnahme am Ersten Weltkrieg.

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bruchsprinzip unserer durch den Verlust der Voraussetzungen der reformatorischen Rechtfertigung gekennzeichneten Geisteslage verkündet werden. Da die wissenschaftliche Lutherrenaissance sich dieser Aufgabe entzieht, ist sie für uns heute „religiös“ nicht „erheblich“. Anders ausgedrückt: „Eine Lutherrenaissance auf dem Boden der religiösen Lage der Gegenwart, ist aufs Ganze gesehen, eine Unmöglichkeit.“ (GW X, 92) In seinem Gießener Vortrag Rechtfertigung und Zweifel von 1924 und in seiner 1952 veröffentlichten Schrift The Courage to Be hat sich Tillich der Aufgabe gestellt, eine Neuinterpretation der Rechtfertigung zu wagen, anders ausgedrückt: sie „aus der Tiefe der Gegenwart, aus dem Kairos neu hervorbrechen zu lassen“. (GW VII, 34)

2 Tillichs Konzept der Geistesgeschichte In seinem im Sommersemester 1926 an der Dresdner Technischen Hochschule gehaltenen Kolleg Geistesgeschichte der protestantischen Theologie hat sich Tillich erstmals ausführlich mit Luther, den Mitreformatoren, der Theologie der Epigonen und der Orthodoxie beschäftigt. Als Aufgabe seiner Vorlesung bezeichnet er „die historische Gestaltschau im Sinne des Zusammenhanges und der Folge“. (EW XX, 37) Die Gestalt wird durch das Wesen konstituiert. Das Wesentliche ist zwar ein Seiendes (darum ist alle Geschichte auch empirisch), aber es ist mehr als ein Seiendes, es ist „eine höhere, andere Art von Sein, ein Sein für den Geist“, „vermittelt durch Verneinung des Unmittelbaren“. Das unmittelbare Tatsächliche ist damit nicht beseitigt, „aber es geht durch ein Nein hindurch“. (Ebd.) Würde das unmittelbar Tatsächliche fehlen, würden wir es nicht mit dem Wesen der Gestalt zu tun haben, sondern mit Phantasie. Würde die Wesensschau fehlen, käme es nicht zur Gestalt. Die Realität des Wesens ist, so Tillich, „geistige Realität“, „Realität für den Geist“. „Der Geist meint nicht sich selbst und sein eignes Leben, sondern das Andere, Fremde […]“. (EW XX, 38) Bei Plato schaut der Geist das Andere an, es bleibt ihm darum fremd. Der Geschichte gegenüber ist das nicht möglich. Hier wird das Fremde nicht angeschaut, sondern hier „tritt der Geist dem Geist gegenüber“, und darin findet er sich selbst. An die Stelle des Anschauens des Fremden, wie es dies in gewissem Sinne z. B. in der Biologie noch möglich sein mag, tritt in der Geschichte „ein Verstehen des Eigenen“. (Ebd.)

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Das Verstehen in der Geschichte bezeichnet Tillich als „ein Wiederfinden“ des Eigenen.¹² „Der subjektive Geist findet sich wieder im objektiven, und der objektive findet seine Erfüllung, indem er gefunden wird vom subjektiven.“ (EW XX, 38) Wesen ist für Tillich also Geist. In einer Tatsache kann der Geist sich nicht finden, sie bleibt ihm ein Fremdes, wohl aber im Wesen. „In diesem Verhältnis des SichWiederfindens des Subjektiven im Objektiven und der Erfüllung des Objektiven im Subjektiven bewegt sich das historische Verstehen.“ (EW XX, 38 f.) Tillich nennt es „ein Ebenbild des menschlichen Verstehens“. (EW XX, 39) Damit ist noch nicht der Unterschied zur Geistesgeschichte geklärt. Die empirische Geschichte ist „wesentlich gerichtet auf die Tatsachen und ihre Zusammenschau in Gestalten“. Das Prinzip der Sinndeutung bleibt hier verborgen „und muß es bleiben“. Die Geistesgeschichte dagegen ist „gerichtet auf die Einheit der geschichtlichen Gestalt und die Einordnung alles Einzelnen darin“. (Ebd.) Hier wird das Prinzip der Sinndeutung offenbar. Alles Empirische ist hier nur Material. „Sie geht aus von dem eignen Universum, von der eignen schöpferischen Vollendung der Gesamtgestalt, und ordnet alles einzelne darin ein, indem sie sich selbst zugleich in dem Vergangenen wiederfindet“. (EW XX, 39 f.) Geistesgeschichte ist nicht nur schöpferische Sinndeutung, sondern vor allem „normative Sinndeutung“. (EW XX, 40) Im Blick auf Tillichs Vorlesung Geistesgeschichte der protestantischen Theologie ist sein Hinweis wichtig, dass die Geistesgeschichte „die Linien auf[zeigt], die zu dem eignen Standpunkt hinführen“. (Ebd.) Als extremste Form einer solchen Geistesgeschichte nennt Tillich die Dogmatiken. Auch sie sind Geistesgeschichte. Seine Art aber, so Tillich, sei die „zeitliche Form“, sie stehe der Geschichte nahe und habe den Vorzug, „daß sie die Auseinandersetzung nicht nur im Abstrakten vollzieht“ (ebd.), sondern im Realen der Geschichte. Dies hat zur Folge, dass Tillichs Geistesgeschichte kaum von einer Theologie- oder Dogmengeschichte zu unterscheiden ist. So tragen auch die 1953 am Union Theological Seminary New York gehaltenen Vorlesungen den Titel A History of Christian Thought. Geistesgeschichte des Protestantismus, so Tillich, „ist also schöpferische Sinndeutung der vergangenen Gestalten des Protestantismus unter dem normativen Gesichtspunkt ihres Hinführens auf die eigene schöpferische Gestaltschau der Geschichte und des Wirklichen überhaupt“. (EW XX, 40) Wie für die Geschichte, so gilt erst recht für die Geistesgeschichte, dass sie zu etwas „absolut Eigenem“ wird. „Sie wird im schärfsten Sinne Wiederfindung des Eigenen und Erfüllung des Vergangenen.“ (Ebd.) Dem Verstehen entspricht „das Sich-Ver-

 Zu Tillichs Begriff des historischen Verstehens vgl. auch seine Ausführungen über „Geist, Denken und Sein“ in seinem System der Wissenschaften, Göttingen 1923, 90 – 97 = GW I, 210 – 218.

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ständlichmachen“ der geschichtlichen Erscheinungen. Von jeder Erscheinung behauptet Tillich, dass sie „ununterbrochen zu anderem spricht“ und ein Wesen „offenbart“, doch nicht in gleicher Weise und nicht für jeden in gleicher Weise. Es gibt darin Wesentliches und Unwesentliches. „Und es wird etwas wesentlich, was vorher unwesentlich war; es spricht etwas zu uns, was bis dahin stumm war. Weil unser Ohr diese Sprache, diese Wesensoffenbarung versteht.“ Wir selbst finden uns in diesem Wesen wieder, „und wir sind es andererseits, die dem Wesen diese neue Erfüllung geben“. (Ebd.) Als Beispiele für solche Erscheinungen ließen sich aus Tillichs Vorlesung das Bußsakrament, Luthers Deutung der Buße als Lebensbuße, die Rechtfertigungslehre und Luthers Anschauung des deus absconditus nennen. Methodisch geht Tillich so vor, dass er von den einzelnen Erscheinungen und ihren Wesensoffenbarungen zurückgeht auf die Geisteslage, die sie ausdrücken. Er will sie mit Hilfe der Philosophie als der theoretisch umfassendsten Wissenschaft erfassen, vor allem aber will er auf die Theologie zurückgreifen, „die am Tiefsten auf die Quellen selbst geht: das Verhältnis zum Unbedingten“. (EW XX, 42) Auch Reinhold Seeberg versteht seine Dogmengeschichte als Geistesgeschichte. So sieht er z. B. eine „geistesgeschichtliche Entwicklungslinie“ von der „mittelalterlichen Gedankenwelt, sofern sie für die Dogmengeschichte von Bedeutung ist“, zur „Gedankenbildung der Reformation“.¹³ Die „erfreulich aufblühende Lutherforschung“ bedeute „nicht etwa eine Repristination“, sondern sie sei „ein Ausdruck des Willens zum Leben, der sich jetzt auch in der Religion und Theologie geltend macht, und überhaupt durch die neubelebte geistesgeschichtliche Methode in den Vordergrund rückt“. Diese wolle nicht wie einst die Selbstexplikation der Idee erfassen, „sondern strebt bewußt oder unbewußt der Erkenntnis der Willenhaftigkeit des objektiven Geistes in der Geschichte zu“.¹⁴ Auch er sieht in der Lebhaftigkeit des Interesses an Luther die Gefahr, dass man „sich von Einzelheiten, zumal wenn diese neu und paradox sind, einfangen lässt und darüber das einheitliche Gesamtbild verliert“, aber auch die Gefahr, „die eigenen Gedanken und Wünsche in Luther hineinzulesen und so ein ganzes zu schaffen, das […] Luthers Geist nicht entspricht“. (Ebd.) Tillichs Idee der Geistesgeschichte, soweit sie in seinem Dresdner Kolleg von 1926 zur Ausführung kommt, unterscheidet sich von R. Seebergs Idee der Geis-

 R. Seeberg,Vorwort zur 4. Auflage des Lehrbuchs der Dogmengeschichte, 3. Bd., Leipzig 1930, o.S.  R. Seeberg,Vorwort zur 4. Auflage des Lehrbuchs der Dogmengeschichte, 4.1 Bd., Leipzig 1933, o.S.

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tesgeschichte und seiner geistesgeschichtlichen Methode vor allem durch Tillichs Normativität des Durchbruchs des Unbedingten. Tillichs Behauptung, dass er sich in seinem Lutherverständnis Reinhold Seeberg „sehr viel verwandter fühle“¹⁵ als Holl und Gogarten, lässt vermuten, dass Tillich in Seebergs Lutherverständnis mehr sieht als „wissenschaftliche Lutherrenaissance“. Dass aber Reinhold Seeberg in seiner Dogmengeschichte über Holl und Gogarten hinaus ein für die Gegenwart im Sinne Tillichs „religiös erhebliches“ Lutherverständnis vertritt, ist nicht erkennbar.¹⁶

3 Die Prophetie und ihre Ausrichtung auf die geistig-personale Seite Tillichs Deutung der Reformation wie der gesamten Dogmen-, Theologie- und Kirchengeschichte ist wesentlich bestimmt durch seine religionsphilosophische Unterscheidung der Religion in eine prophetisch-theokratische und in eine sakramentale Haltung. Er versteht die Reformation als Wiederentdeckung der unter der sakramentalen Tradition verschütteten prophetischen Tradition, in philosophischer Terminologie ausgedrückt: als Durchbruch des Unbedingten in das Bedingte und durch das Bedingte. So legt er seiner Geistesgeschichte der protestantischen Theologie folgende religionsphilosophische These zu Grunde: Alle unmittelbare religiöse Wirklichkeit ist ein Suchen des Unbedingten im Bedingten, der Offenbarung im Ort der Offenbarung. Prophetie ist immer zugleich negativ Protest gegen die sich selbst unbedingt setzende Bedingtheit, als auch Neuschöpfung religiöser Wirklichkeit vom Unbedingten her. Darum wendet sich Prophetie immer an die geistig-personale Seite und steht kritisch zur sakramentalen. Aber auch die Prophetie muß wieder aufgenommen, verwirklicht werden, sakramentalen Charakter bekommen. Dadurch objektiviert sie sich und wird zu einer soziologischen Substanz, zu einer heiligen Sitte, Recht etc., zu einem einheitlichen, das Endliche formenden pädagogischen System. (EW XX, 53)

Die Prophetie hat also zwei Seiten: den Durchbruch des Unbedingten und die Aufnahme und Verwirklichung des Unbedingten im Bedingten, „Neuschöpfung religiöser Wirklichkeiten vom Unbedingten her“, wie Tillich sagt. (Ebd.) Der Durchbruch hat einen bestimmten Ort. Der Ort ist der „Mensch als Ganzes, in all

 Vgl. Anm. 7.  Man muss die Worte Tillichs im Brief an Erich Seeberg auf dem Hintergrund seines Wunsches verstehen, als Nachfolger Reinhold Seebergs nach Berlin berufen zu werden.

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seinem geistigen Wesen, speziell in der auf Aufnahme gerichteten religiösen Haltung“. (EW XX, 52) Dieser „Ort“ oder „Boden“, so Tillich, „ist immer bedingt, auch im Religiösen und gerade dort. Er meint aber immer das Unbedingte, nicht nur im Religiösen […], sondern auch im Kulturellen“. (Ebd.) Hier klingt die Intentionalitätsthematik an. Über Husserl hinausgehend, bezieht Tillich das Meinen auf das Unbedingte. Es wird dadurch zu einem zentralen Element seiner Religionstheorie. Der Ort der Offenbarung kann für Tillich nur dort sein, wo der Gegensatz von Bedingtem und Unbedingtem offenbar werden kann, nämlich nur „in der Sphäre der geistigen Persönlichkeit“. (Ebd.) Eine das Ich, die Persönlichkeit, aufhebende Askese oder Mystik würde ein religiöses Verhältnis, ein Meinen des Unbedingten (‚die Richtung auf die Offenbarung‘) nicht ermöglichen. Radikale Mystik schließt für Tillich Ort und Aufnahme der Offenbarung aus. Luther gehört für Tillich zusammen mit Jesaja und Paulus eindeutig in die prophetische Reihe der Religion, der die rezeptive pädagogisch-sakramentale (Johannes, Origenes, Augustin) gegenübersteht. (EW XX, 53) Darin, dass Luther kein Johannes und Augustin zur Seite standen, sieht Tillich die Tragik des Protestantismus. „Darum leidet und stirbt er [der Protestantismus] unter dem Problem der Realisierung, das infolgedessen längst von der autonomen Kultur übernommen ist“. (Ebd.) Damit ist für Tillich der religionsgeschichtliche Ort Luthers und das Prinzip des Protestantismus überhaupt bestimmt. Doch im Zentrum von Tillichs Luther-Deutung steht der ‚Durchbruch‘. So lautet auch die Überschrift des großen Kapitels über die Reformation im Dresdner Kolleg von 1926 wie auch der theologiegeschichtlichen New Yorker Vorlesung von 1953: „Der Durchbruch: Luther“. (EW XX, 52; EW I, 238) Gemeint ist das ‚Hervorbrechen‘ des Unbedingten an dem Ort, wo das Geistig-Innerlich-Personale und das Pädagogisch-Sakramental-Hierarchische zusammentrafen: im Bußsakrament und im Ablassstreit. Hier und nicht in seiner Exegese des Römerbriefs hat Luther sein Verständnis der Rechtfertigung gewonnen und entfaltet: „in der Unbedingtheit der an die Persönlichkeit sich richtenden Forderung Gottes“. (EW XX, 56) Die Rechtfertigung ist ein Ereignis zwischen dem heiligen Gott und der sündigen Persönlichkeit. „Alle psychologischen und pädagogischen Stufen fallen weg, ebenso alle unterpersönlichen Gnaden, mit ihnen aber auch die mystische Objektivität der Kirche, die den einzelnen trägt, und die Solidarität der Gemeinde“. (Ebd.) Um der absoluten persönlichen Verantwortung und der absoluten Gnade willen sei bei Luther die ‚transzendente Solidarität‘, also Gebete und Ablässe für die Verstorbenen im Fegefeuer, negiert. Tillich fasst sein Luther-Bild zusammen:

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Um dieser Unbedingtheit willen wird der Einzelne ausschließlich und restlos Gott gegenübergestellt. […] Es ist prophetischer Heroismus, Offenbarung ohne Rezeptivität, höchste Formung einzelner Persönlichkeiten ohne Pädagogik. (Ebd.)

Mit Luthers neuer Auffassung der Buße als Lebensbuße sind „alle Relativitäten“ der Aufnahme des Unbedingten beseitigt: das Unbedingte steht jedem in jedem Augenblick unmittelbar gegenüber. Alle Stufen sind zerbrochen […], auch die oberste Stufe hat aufgehört, Stufe zu sein, und ist die Plattform des ganzen Lebens. Die unterpersönliche Form des Sakramentalen ist verschwunden, zugleich aber auch die Psychologie, die Differenzierung, die mystische Kraft der Teilnahme an einer übergeordneten Objektivität der Gnade. (EW XX, 55)

An die Stelle des Ablasses und der satisfactio treten die guten Werke. Auch damit sei der Einzelne „auf sich selbst und sein Lebenswerk gestellt“. (EW XX, 56)

4 Der Glaubensbegriff Luthers Nach Tillichs Darstellung in der genannten Dresdner Vorlesung ist Glaube für Luther derjenige Akt des Menschen, „in dem er sich auf den zugleich fordernden und liebenden Gott richtet“. (EW XX, 56) Auch hier begegnen wir also wieder der spezifisch Tillich’schen Intentionalitätskonzeption. Sie schließt die Negation eines Glaubens ein, wie ihn die Spätscholastik als fides infusa, fides acquisita und fides historica versteht. Da der Glaube Richtung auf Gott oder, wie Tillich auch formuliert, „unmittelbare Berührung mit Gott“ oder „die Begegnung mit Gott“ ist, kann nur Gott der Geber des Glaubens sein, „und ein selbsterworbener Habitus ist ein Nichts“. (EW XX, 57) Auch die Richtung auf Gott ist als Durchbruch des Unbedingten zu charakterisieren. Als Positives hebt Tillich folgende Elemente von Luthers Glaubensbegriff hervor: 1. Der Glaube ist „Tat Gottes“, „Durchbruch des Unbedingten in das Bedingte“, „Wirkung des Geistes Gottes und darum Wirkung im Persönlichen […], durch die der Glaubende das Ganze, Göttliche hat“. (Ebd.) 2. Der Glaube ist Aufnahme, kein Tun, sondern ein vom Geist Gottes gewirktes „Gerichtetsein auf die göttliche Gnade“. Er ist insofern „Intention“, aber „erfüllte Intention“; er ist „Nehmen und Haben“. (Ebd.) 3. Mit der Intentionalität des Glaubens ist gegeben, dass er sein Objekt ergreift. Er tut dies mittels der notitia, die zum assensus wird. Luther behauptet aber, so Tillich, dass der Glaube eine Sache des Intellekts, nicht der Willkür ist, freilich „eine Sache, die dem natürlichen Intellekt schlechthin widerspricht und

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einen Durchbruch vom Unbedingten in die Sphäre der bedingten Kategorien bedeutet“. Doch in dieser Bestimmung liege die „persönliche geistige Erfassung des Göttlichen“ im Unterschied zur willkürlichen Gewissensunterwerfung. Durch den Durchbruchscharakter werde aber auch jeder Intellektualismus aufgehoben. (EW XX, 58) 4. Der Gegenstand des Glaubens, die Gnade Gottes, hat keinen theoretischen, sondern praktischen Charakter. Der assensus gewinnt dadurch Willenscharakter. „Es ist eine Tat der Persönlichkeit, die schließlich in der Vereinigung und dem Festhalten an der in Christus dargebotenen Gnade gipfelt.“ (Ebd.) 5. Dieser Wille ist nicht Willkür oder Vernunft. „Es muß eine Vergewisserung der ganzen Persönlichkeit da sein.“ (Ebd.) Diese wird als Erfahrung oder Gefühl bezeichnet. Erfahrung „ist das, was sie ist, durch das, was sie erfährt, nicht durch sich selbst.“ (Ebd.) Die Beschäftigung mit ihr kann keine Gewissheit geben. „Der Glaube bleibt immer ein Wagnis, ein Sich-Selbst und seine Unmittelbarkeit Überspringen.“ (Ebd.) Gewissheit kann es nur geben, „wenn es aus dem Tiefsten der Person selbst hervorbricht, wenn das Wagnis, in dem die Person Ja zu Gott sagt, zugleich die Wesenserfüllung derselben ist.“ (EW XX, 59) Tillich sieht hier ein Problem, das für Luther noch nicht bestanden hat, weil für ihn die Gottesgewissheit selbstverständliche Voraussetzung der Selbstgewissheit war. 6. Für Luther ist, so Tillich, der Glaube „das Ganze des Christentums, […] die Richtung der Persönlichkeit auf die unbedingte Persönlichkeit. Das ist die absolut persönliche verantwortliche Religion. […] Nur die wollende, aktive Persönlichkeit nimmt Gott auf.“ (EW XX, 60) Tillich sieht darin eine Nachwirkung des Nominalismus und eine Vorwegnahme Fichtes. Damit falle die gegenseitige Ergänzung und Stellvertretung hin. „Der eigene Glaube lässt das nicht zu.“ (Ebd.) In seiner Vorlesung über The Recovery of the Prophetic Tradition in the Reformation von 1950 sieht Tillich in Luthers Glaubensbegriff den „ganzen modernen Existentialismus“ vorweggenommen, wenn er seine Angst und Verzweiflung schildert, die er „Anfechtungen“ nennt und mit denen er dämonische Angriffe meint, „in denen jeglicher Sinn zunichte wurde“. (GW VII, 198) Luther beschreibe, wie aus diesen Erlebnissen „sich Feindschaft gegen Gott,Wille zur Flucht vor Gott und sogar Hass gegen Gott erhebt“. (Ebd.) Tillich sieht in diesem Glaubensbegriff Luthers „tiefe psychologische Probleme“. (Ebd.) Manche Psychoanalytiker könnten sagen, das Schlimme an Luther und dem Protestantismus sei, „daß er solch absolute Kategorien aufstellt, denen man nicht entrinnen kann, es sei denn dadurch, daß man die Vergebung annimmt“. (GW VII, 199) Wenn er das jüngste Buch der Psychoanalytikerin Karen

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Horney¹⁷ recht verstanden habe, meine sie eben dies: „der Protestantismus besitze ein Ideal, das so hoch ist, daß es das Gewissen zermalmen muss, daß es den Menschen notwendigerweise in Verzweiflung stürzt und in Neurose enden lässt“. (Ebd.) In der Weisheit der katholischen Kirche hingegen, so Tillich, haben wir Differenzierungen, abgestufte Pflichten und Verpflichtungen. Handle jeder gemäß seinen Fähigkeiten und seinen psychologischen und soziologischen Bedingungen, dann gehe darüber die absolute Forderung verloren. Für Tillich liegt hier ein fundamentales Problem vor: Katholizismus und moderne Psychologie bilden eine Art Bündnis gegen die absoluten Kategorien der protestantischen prophetischen Botschaft, und die Frage nach der Lösung dieses Problems ist eine sehr schwere Frage, vielleicht die Grundfrage unserer Zeit. (Ebd.)

Auch in seiner Schrift Der Mut zum Sein von 1952 bezieht sich Tillich auf Luthers Glaubensbegriff. Allerdings spricht er, ausgehend vom Begriff ‚Mut‘, von Luthers ‚Mut des Vertrauens‘, während er den Begriff ‚Glaube‘ für den ‚absoluten Glauben‘ reserviert, in dem letztlich auch Luthers ‚Mut des Vertrauens‘ seinen Grund hat. Tillich erinnert an Dürers berühmten Holzschnitt ‚Ritter, Tod und Teufel‘ und bezeichnet ihn als den klassischen Ausdruck des Geistes der Reformation und von Luthers „Mut des Vertrauens, seine[r] Form des Mutes zum Sein“. (GW XI, 121) Bei Luther habe der Mut des Vertrauens „seine höchste Stufe in der Geschichte des christlichen Denkens“ erreicht. (Ebd.) Der Glaube, so Tillich, umfasse mystische Partizipation und persönliches Vertrauen. Im Gegensatz zur mystischen Form der Selbstbejahung bejahe der protestantische Mut des Vertrauens das individuelle Selbst in der Begegnung mit Gott als Person. Das unterscheide den Personalismus der Reformation von allen späteren Formen des Individualismus und Existentialismus. Der Mut der Reformatoren sei aber weder der Mut, man selbst zu sein, noch der Mut, Teil eines Ganzen zu sein. Er wurzele nicht im Vertrauen auf sich selbst, auch nicht auf die Kirche. „Er gründet sich auf Gott und allein auf Gott, den wir in einer einmaligen und persönlichen Begegnung erfahren.“ (GW XI, 122) Sowohl für die mystische Erhebung des Endlichen zum Unendlichen als auch für die vertrauensvolle Begegnung der Person mit dem persönlichen Gott will Tillich den Begriff ‚Glaube‘ vermeiden. Für ihn ist Glaube „Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht, dem Grund unseres Seins und Sinns“, „Erfahrung der Macht des Seins-Selbst“ (GW XI, 128) „Er ist einfach Glaube – ohne auf etwas Bestimmtes gerichtet zu sein, absoluter Glaube.“ (GW XI, 130) Weil er von der Macht des Seins-Selbst ergriffen ist und als Mut zum Sein an der Macht des Seins Vgl. K. Horney, Neurosis and human growth. The struggle toward self-realization, New York 1950.

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Selbst partizipiert, ist der absolute Glaube keine Willkür oder bloße Emotion. Er enthält ein objektives Fundament.¹⁸ Denn die Vitalität, mit der der Mut zum Sein dem Abgrund der Sinnlosigkeit standhält, „ist sich eines verborgenen Sinnes selbst in der Zerstörung bewusst“. (GW XI, 131) Die Vitalität des Menschen entspricht seiner Intentionalität. Das zweite Element im absoluten Glauben ist die Abhängigkeit der Erfahrung der Sinnlosigkeit von der Erfahrung von Sinn. Das dritte fundierende Element ist die „Erfahrung des Bejahtseins“. „Sie schwingt durch den Zustand der Sinnlosigkeit hindurch, auch wenn sie nicht als solche erkannt wird.“ (Ebd.) Der absolute Glaube wird seiner selbst bewusst, wenn er dieses Element des Bejahtseins ausdrücklich zum Gegenstand macht.

5 Luthers Gotteslehre Gott – oder wie Tillich auch formuliert – das Absolute ist für Luther nicht ruhende Intelligenz oder sich selbst anschauendes Sein. Er ist „der absolute freie Wille, die absolute Freiheit“, heroicus et sine regula. (EW XX, 72) Tillich folgt hier in seiner Dresdner Geistesgeschichte von 1926 der Darstellung von Reinhold Seeberg, der Luthers Gottesanschauung ganz in den Zusammenhang mit der Gottesanschauung des Scotismus und Nominalismus stellt. Es wäre für Luther ein unmöglicher Gedanke, so Tillich, „daß Gott den Menschen, der Willenswesen ist, in ein NichtWillenswesen verwandelte“. (Ebd.) Denn Gott ist „unerkennbar; er ist der Abgrund, der hinter jeder Offenbarungsform steht. Wollte man ihn erkennen, so würde er grauenhafte, dämonische Gestalt annehmen“. (EW XX, 73) Tillich sieht darin die Doppelseitigkeit Gottes als Grund und Abgrund gut erkannt: „die Einheit des Schöpferischen und Dämonischen“. (Ebd.) Die Erfassung des Heiligen als mysterium tremendum „mit seiner abstoßenden vernichtenden Kraft“ (ebd.) versteht Tillich als „Rückkehr zu Luthers Deus absconditus und seinem dunklen Geheimnis, das Gott erst zu Gott macht“. (EW XX, 74) Gott ist für Luther, so Tillich, der Allwirkende, dessen potestas ordinata in Natur und Geschichte erkennbar ist. Natur und Geschichte stehen unter der Vorsehung Gottes. Tillich bezeichnet sie als ‚ein Innenwirken‘ Gottes in den Dingen; sie ist also kein ‚äußerliches Regime‘. Die Geschöpfe wirken mit als cooperatores Gottes. Aber, so Tillich, man kann sie als „Gottes Mummenschanz“ betrachten, als „Masken, in denen er Wesen und Kern ist“. (Ebd.) Zu ihnen zählt auch „der Heros“, der das Recht hat, „die natürlichen Ordnungen zu durchbrechen“, und der seine „Stunde“ hat. (Ebd.) Auch dahinter stehe Gottes Tun.

 Vgl. GW XI, 131.

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Reinhold Seeberg, dem sich Tillich hier anschließt, wird sich im Jahre 1933 an dieses Luther-Zitat erinnert haben. In der Vorlesung The Recovery of the Prophetic Tradition in the Reformation von 1950 wird auch Calvins Prädestinationslehre für die „ultimacy of the Ultimate“, „the unconditional character of the Unconditional“ in Anspruch genommen.¹⁹ Es sei die Absolutheit des Absoluten, die in Calvins Kampf gegen das Götzentum, in der Vorstellung vom allgegenwärtigen Wirken Gottes bei Luther und Calvin, in dem Gedanken des willkürlichen Handelns Gottes und in der Prädestinationslehre ihren Ausdruck finde. (GW VII, 183) Die Gotteslehre der Reformation sei in ihrem Kern Ausdruck des prophetischen Prinzips, und dieser Kern sei die Lehre von einem Gott, „für den es kein Maß gibt, der in allem gegenwärtig ist und der alles, das Gute und das Böse, vorwärts treibt“. (GW VII, 185) Einen solchen Gott aber können wir, so Tillich, „kaum mehr ertragen“. Wir alle versuchen, Gott an den Rand der Wirklichkeit zu drängen, ihn zu einem Seienden neben anderem Seienden zu machen. Am Ende halten wir diesen Gott mit Nietzsche für tot. (Ebd.) Tillich stellt nun die Frage: Kann der Gott der Reformation, der so paradox handelt, wiederentdeckt werden? Manches scheint für seine Wiederentdeckung zu sprechen, jenes Gottes, „der der Grund des Seins selbst ist, die Macht des Seins in allem Seienden“. (Ebd.) Wenn dieser Gott wiederentdeckt werden könnte, so Tillich, „dann hätten wir eine neue Reformation“. Sie sähe allerdings ganz anders aus als die frühere. Die großen und gewaltigen Worte Luthers und Calvins können wir auf unsere Situation nicht unmittelbar anwenden, aber wir können sie interpretieren und sehen, was diese Menschen wirklich getrieben hat. (Ebd.)

Was uns auch heute treiben sollte, sei die „Suche nach dem Gott jenseits dessen, was wir gewöhnlich ‚Gott‘ nennen“, die Suche also nach dem Gott, „der als Grund alles besondere Seiende trägt und damit auch einen Gott tragen würde, der ein besonderes Seiendes wäre“. (Ebd.) Das prophetische Zeugnis der Reformation, so behauptet Tillich, habe weniger einen Kampf gegen die Herrschaft der Kirche gemeint als gegen den „wohlausgewogenen Säkularismus von heute“, der sich selbst „theistisch“ nenne und religiöse Elemente in sich trage, der aber „keine Ahnung hat von dem, was Gott einst zu Zeiten des Neuen Testaments und dann wieder für die Menschen im Zeitalter der Reformation bedeutet hat“. (Ebd.)

 Tillich, The Recovery of the Prophetic Tradition, 11.

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6 Luthers Rechtfertigungslehre In seiner Dresdner Vorlesung über Die Geistesgeschichte der protestantischen Theologie von 1926 stellt Tillich die Rechtfertigungslehre Luthers in einen geschichtlichen Zusammenhang mit der katholischen Gnadenlehre. Die Gnade ist dort, so Tillich, aus einem richterlichen Urteil zu einer Gabe geworden, die den Menschen wohlgefällig (gratiosus) macht. Sie wird ihm aus der Gnadensubstanz der Kirche im Sakrament gegeben (gratia infusa). Im Nominalismus werde die gratia infusa immer mehr zu einem Habitus des Menschen. Damit setzt sich der Verdienstgedanke durch. Die Lehre von der acceptatio führt dazu, dass die gratia infusa überflüssig wurde. Das Urteil Gottes wurde ganz losgelöst von der unbedingten Forderung und dem Verdienst des Menschen. Es war nicht paradox, sondern irrational und willkürlich.²⁰ Die Lehre von der Gnade erhält bei Luther die Form einer Lehre von der Rechtfertigung.Wir stehen damit, so Tillich, „im Zentrum von Luthers Theologie“, dem articulus stantis et cadentis ecclesiae, dem protestantischen Materialprinzip. (EW XX, 62) Tillich nennt die Lehre von der Rechtfertigung den „vollkommenste[n] und tiefsinnigste[n] Ausdruck des Verhältnisses von Gott und Mensch überhaupt“. (Ebd.) Die göttliche Alleinwirksamkeit in der Rechtfertigung gelte nun uneingeschränkt. Jede Form eines Verdienstes falle hin. Die Werke verlieren den Verdienstcharakter. Glaube ist nicht ein durch die Liebe geformter Glaube, sondern er ist das Ganze. „Als Liebe zu Gott hat er alle Liebe in sich; aber diese Liebe und die guten Werke, in denen sie sich entfaltet, sind eine Folge, nicht eine Vermehrung der Gnade.“ (EW XX, 63) Insofern der Glaube die Tat der Annahme Gottes ist, geschieht die Rechtfertigung „durch den Glauben“, aber „nicht um des Glaubens willen“. (Ebd.) Dies ist die Abwehrformel, die Tillich später oft verwenden wird.²¹ In seiner Systematischen Theologie unterscheidet Tillich zwischen einem objektiven Ereignis der Rechtfertigung und einem subjektiven Aufnehmen. Rechtfertigung im objektiven Sinn sei „der aus der Ewigkeit kommende Akt Gottes, in dem er diejenigen, die in Wirklichkeit von ihm entfremdet sind, an Vgl. EW XX, 62 f.  Tillich hat immer wieder auf das Missverständnis hingewiesen, das sich mit der Formel ‚sola gratia‘ bzw. ‚Rechtfertigung durch den Glauben‘ verbinden könnte. In einer solchen Formel könnte der Glaube als Ursache für Gottes rechtfertigendes Handeln verstanden werden – „und das bedeutete nichts anderes, als daß das moralische und rituelle Werk – wie es die katholische Lehre forderte – durch das intellektuelle Werk der Annahme ersetzt ist“. (ST III, 258) „The cause is God alone (by grace), but the faith that one is accepted is the channel through which grace is mediated to man (through faith).“ (ST II, 179)

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nimmt“. (ST II, 191) Rechtfertigung sei ein Akt Gottes, der in keiner Weise vom Menschen abhänge, „ein Akt, in dem Gott den annimmt, der unannehmbar ist“. (Ebd.) In der paradoxen Formel simul peccator simul iustus, die das Kernstück der Reformation darstelle, sei der Trotzdem-Charakter entscheidend. Rechtfertigung im Sinne von Vergebung der Sünden sei der einzige Weg, auf dem die Angst der Schuld vergeben werden könne. Für Luther sei die Erfahrung, dass der Mensch keinen Beitrag zur Versöhnung leisten könne, so wichtig gewesen, dass Melanchthon aus dieser Erfahrung Luthers die forensische Formel für die Rechtfertigung abgeleitet habe. Er habe Gott mit einem Richter verglichen, der einen Schuldigen trotz seiner Schuld freispricht. Diese Formulierung der Rechtfertigungslehre lasse allerdings die subjektive Seite, die Annahme der Rechtfertigung, außer Acht. Es gebe zwar im Menschen nichts, so Tillich, was Gott veranlassen könnte, ihn anzunehmen, „aber gerade das ist es, was der Mensch annehmen muß. Er muß bejahen, daß er von Gott bejaht ist; er muß die Bejahung bejahen.“ (ST II, 192) Wie ist aber eine solche Bejahung möglich, wenn das Schuldgefühl uns zu Feinden Gottes macht? Die traditionelle Antwort lautet: „um Christi willen“. Sie besagt, „daß man hineingezogen wird in die Kraft des Neuen Seins im Christus, die den Glauben möglich macht“. (Ebd.) Entsprechend hatte Tillich in seiner Dresdner Geistesgeschichte auf ein zweifaches Verständnis des „um Christi willen“ aufmerksam gemacht. Einmal kann der Glaube als „Aufnahme Christi in uns“ bezeichnet werden. Die Rechtfertigung gründet sich dann auf den „in uns wirksamen Christusgeist“. Gott ist „in uns als Geist wirksam“. Gott kann uns aber auch objektiv und außer uns entgegentreten, „als Christus oder Werk Christi“. Dann kann Gott uns das Verdienst Christi anrechnen. (EW XX, 64) Rechtfertigung kann also effektive oder imputative Rechtfertigung sein. Luther hat, so Tillich, im Anfang die effektive, später die imputative Rechtfertigung betont. Glaube ist für Luther, so Tillich in seiner Dresdner Geistesgeschichte, die Richtung der Persönlichkeit auf die unbedingte Persönlichkeit. Das ist die absolut persönliche verantwortliche Religion. […] Nur die wollende, aktive Persönlichkeit nimmt Gott auf. (EW XX, 60)

Tillich sieht darin eine Nachwirkung des Nominalismus und eine Vorwegnahme Fichtes. In diesem exklusiv-personalistischen Zentralismus Luthers wird die Liebe aus der mystisch-substantiellen Sphäre, die sie bei Augustin hat, herausgenommen. Die Liebe wird personalisiert, zur persönlichen Handlung einzelner Persönlichkeiten, sie ist keine Solidarität unterhalb oder außerhalb der Beziehung von Person zu Person. Aus Luthers Glaubensbegriff folgt „ausschließlich die Liebe, die Dienst am anderen ist, die ihm etwas tut, aber nicht die Liebe, die

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vorpersönliche Verbundenheit ist“. Der Protestantismus sei darum „stärker im persönlichen Dienst und der Dingbeherrschung, aber schwächer in der Liebesverbundenheit“. (EW XX, 68) Bei Augustin sei die fides caritate formata „der Glaube in der Liebessubstanz der Gemeinde“. (Ebd.) Zur Rechtfertigung, wie Augustin sie verstehe, gehöre dann die Einfügung in diese Substanz. Bei Franz v. Assisi werde sogar die Natur in die mystische Liebe aufgenommen. Damit werde die Renaissance vorbereitet. Luthers personale Auffassung der Liebe als Dienst am Nächsten zerstöre diese Möglichkeiten. Die größte Gefahr dieses exklusiv personalistischen Zentralismus Luthers sieht Tillich darin, dass dieser selbst gefährdet wird, wenn alles andere außerhalb dieses Zentrums im Menschen, zwischen den Menschen und in der Richtung auf das Zentrum nicht mehr von diesem Zentrum getragen, vielmehr von ihm abgetrennt wird und der Autonomie verfällt. Der Zentralismus der Rechtfertigung schließt die Fülle dessen, was nicht im Zentrum liegt, aus dem Gottesverhältnis aus. Wenn alles Relative bedeutungslos wird und alle Stufen wegfallen, verliert auch die Beziehung zum Unbedingten an religiöser Kraft. Der Durchbruch der Rechtfertigung wird zu einem Lehrartikel. Er ist nicht mehr das, was er seinem Wesen nach ist: ein Paradox, ein unvorhergesehenes Ereignis. Die Rechtfertigung kann man darum nicht zum Prinzip einer Kirche erheben, sie kann nur ein Korrektiv, kein Prinzip sein. Die Frage nach der Wahrheit, nach Gott selbst, ist, so Tillich, nicht personalistisch, sondern „nur mystisch zu lösen“. „Mystisch“ heißt hier: durch Partizipation. Es ist für Tillich fraglich, „ob das protestantische Prinzip auch dieser Sachlage gewachsen ist, ob es aus dem tiefsten Ausdruck der Heilsproblematik auch Ausdruck der Wahrheitsproblematik werden kann“. (EW XX, 69) Hier liegt für Tillich der gegenwärtige Wendepunkt der Theologie. Doch für Tillich kann nur die Rechtfertigung die Lösung sein. In ihr allein ist die göttliche Unbedingtheit unbedingt bejaht. In allen anderen Formen besteht die Möglichkeit, sich auf sich selbst zu richten, also die Unbedingtheit auszuschalten. Erst in der persönlichen Sphäre ist die Möglichkeit des unbedingten Nein gegeben und damit die Richtung allein auf Gott; denn – so die Begründung – „das unbedingte Nein ist nicht Vernichtung […], sondern das unbedingte Nein ist Gericht“. (Ebd.) Nur darauf lässt sich die Gemeinschaft des Unbedingten mit dem Bedingten gründen. Eine Vernichtung oder ein bloßes mysterium tremendum würde eine Gemeinschaft nicht zulassen.

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7 Rechtfertigung und Zweifel In seinem Brief an Emanuel Hirsch vom 6.12.1917 formuliert Tillich eine Frage, die er als Zentralproblem seines Denkens bezeichnet: „Wie ist mit dem theoretischen Zweifel diejenige Gewißheit vereinbar, die das Wesen des Glaubens ausmacht?“ (EW VI, 99) Er stellt einige mögliche Antworten auf diese Frage vor, verwirft sie aber und beruft sich dabei auf das Prinzip, dass der Glaube nicht vom Werk, auch nicht vom Werk der Bejahung des Gottesgedankens, abhängig gemacht werden darf. Hier liege wohl der entscheidende Differenzpunkt zwischen ihnen: „Du hältst den Zweifel für letztlich unsittlich, ich halte ihn von der sittlichen Idee der Wahrhaftigkeit aus für sittlich erforderlich unter bestimmten Voraussetzungen.“²² (EW VI, 101) Da es weder möglich sei, so fährt Tillich fort, „das gegenständliche Moment in der Religion theoretisch durch Beweis, noch praktisch durch sittliche Forderung vom Zweifel zu befreien […], so muß die religiöse Gewißheit sich auf ein anderes als das objektive Moment beziehen“. (EW VI, 102) Dieses „subjektive, urständliche Moment der Religion zu beschreiben“, sei die wichtigste Aufgabe der Religionswissenschaft und Theologie. Wir haben hier in nuce Tillichs spätere Argumentation vor uns. In seinem 1919 verfassten, von ihm aber nie veröffentlichten Entwurf zur Begründung eines theologischen Prinzips bearbeitet Tillich die in seinem Brief an Emanuel Hirsch mitgeteilte Problematik.²³ Er bestreitet hier, dass die Rechtfertigung in ihrer unmittelbaren Form geeignet sei, theologisches Prinzip zu werden. Es sei richtig, dass der Kampf Luthers gegen die katholische Lehre der Kampf um ein neues Verständnis der Religion und des Christentums insbesondere war. In dieser Frage gibt Tillich Karl Holl Recht. Doch, so lautet sein Einwand, das Gottesbewusstsein war zur Zeit der Reformation bei Freund und Feind ebenso wie das Offenbarungsbewusstsein gegenüber den Heiden ‚unerschüttert‘. Strittig war damals allein das Problem der Heilsgewissheit. Es setzte aber die beiden anderen Gewissheiten voraus. Wenn Holl aus gewissen Erscheinungen der modernen Literatur den Schluss ziehe, dass mit einem Erwachen des Schuldbewusstseins die Rechtfertigungslehre für den modernen Menschen wieder von Bedeutung sein werde, so sei nicht bedacht, dass ein Negativitätsgefühl sich auf ein Gottesbewusstsein beziehen müsse, wenn es zum Schuldbewusstsein werden soll, welches durch Vergebung überwunden werden kann. Tillich stellt nun die Frage: „Welche Bedeutung gewinnt der Rechtfertigungsgedanke für den Fall des Zweifels an den Voraussetzungen dieses Gedankens?“ (EW X, 143 f.) Der Zweifel ist also religiös zu  Korrektur des Textes durch den Verf.  Vgl. EW X, 128 – 230.

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verarbeiten. „Er ist der religiös-konkrete Ausdruck für die Subjektivität, die in das religiöse Prinzip aufzunehmen ist.“ (EW X, 144) Im Zweifel ist die Subjektivität „rein aktualisiert“, „ganz in sich“, ohne Objekt. „Der Zweifel ist ein uneliminierbares Ferment des Geisteslebens geworden.“ (Ebd.) Die Lage, in der der Zweifler sich befindet, beschreibt Tillich als „tiefe Not“ (EW X, 167): In dem Bewußtsein, mit der Religion den Sinn überhaupt zu verlieren und in einer sinnlosen Wüste zu stehen, lebt der Zweifler am Abgrund der Verzweiflung, und doch muß er alle Verlockungen von Seiten der Verkündiger des Werkes, der kirchlichen und der mönchischen, von sich weisen. Zu aufrecht steht sein Wahrheitsbewußtsein, es lässt sich nicht beugen und brechen. Er lehnt jede Erlösung ab. […] Sein intellektuelles sanctissimum ist so scharf und unbedingt, wie es das ethische des Wittenberger Mönchs war. […] Er macht das Erlebnis des Unbedingten, das die Reformatoren in der […] Bußpraxis gemacht hatten, in der Sphäre des Erkennens. Es gibt für ihn nur zwei Wege: entweder Verzweiflung am Unbedingten, innerlich gebrochene Hinwendung zum Relativen, oder den Glauben, daß eben der Zustand, in dem er sich befindet, dem Wesen des Unbedingten angemessen ist, daß er in diesem Zustande des Zweifels die allein mögliche Stellung dem Unbedingten gegenüber einnimmt, daß gerade, indem der Zweifel groß geworden ist, die Wahrheit, in der er steht, noch viel größer geworden ist.²⁴ (EW X, 167 f.)

Der rettende Ausweg „aus der Not des Zweifels“, nicht: aus dem Zweifel, ist also allein der Glaube, der nun keinen von den Inhalten mehr haben kann, auf die sich der Zweifel richtet, sondern der […] sich zu dem erhebt, in dem der Gegensatz von Zweifelndem und Bezweifeltem aufgehoben ist und das in jedem Zweifel, je unbedingter er ist, desto deutlicher vorausgesetzt ist: Das Unbedingte selbst. (EW X, 168)

Später, im Mut zum Sein von 1952, wird Tillich diesen Glauben ‚absoluten Glauben‘ nennen. Es ist der Glaube, der sich aus der Not des Zweifels zur Voraussetzung des Zweifels, zum Unbedingten selbst, erhebt. Die Grundgedanken des Entwurfs zur Begründung eines theologischen Prinzips von 1919 finden sich wieder in dem 1924 in Gießen gehaltenen und publizierten

 Tillich spielt an auf Röm 5, 20: „Wo aber die Sünde mächtig geworden ist, da ist die Gnade noch viel mächtiger geworden […]“. In seiner Predigt „Dennoch bejaht“ („You are accepted“) bezieht sich Tillich auf den Text Röm 5, 20. „Sünde“ versteht er in dieser Predigt als „Sünde der Verzweiflung“. Sie ist „unter uns übermächtig geworden“. „Wir haben ein Gefühl für die Sinnlosigkeit, die Leere, den Zweifel und den Zynismus: alles Ausdrucksformen der Verzweiflung […].“ (P. Tillich, In der Tiefe ist Wahrheit. Religiöse Reden, 1. Folge, Stuttgart 41952, 150).

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Vortrag Rechtfertigung und Zweifel. ²⁵ Die Rechtfertigung des Zweiflers, so heißt es nun, ist nur möglich als Durchbruch der unbedingten Gewissheit durch die Sphäre der Ungewissheiten und Irrungen; es ist der Durchbruch der Gewißheit, daß die Wahrheit, die der Zweifler sucht, der Lebenssinn, um den der Verzweifelte ringt, nicht das Ziel, sondern die Voraussetzung alles Zweifels bis zur Verzweiflung ist. (GW VIII, 91)

Im Entwurf von 1919 hatte er in ähnlicher Weise das Unbedingte selbst als Voraussetzung des radikalen Zweifels und diese Einsicht als Erlebnis des Unbedingten und als rettenden Ausweg aus der Not des Zweifels definiert.²⁶ Die „Dialektik des Zweifels“, so hatte Tillich 1919 formuliert, „treibt also zu einem Gott über Gott“. Es ist also das Unbedingte, das rechtfertigt, auch in Bezug auf den Zweifel an Gott. Das Unbedingte aber ist kein Seiendes. Wäre es ein Seiendes, so stände es unter dem Zweifel und könnte den Zweifler nicht rechtfertigen. […] Das Unbedingte ist der Sinn schlechthin […]. (EW X, 219)

Statt vom Durchbruch des Unbedingten spricht Tillich im Gießener Vortrag über Rechtfertigung und Zweifel vom Durchbruch der „göttlichen Grundoffenbarung, die vor allem Zweifeln und Suchen steht“. (GW VIII, 91) Das Thema des Vortrags ist die göttliche Grundoffenbarung, ihre Zweideutigkeit, die Überwindung des Dämonischen, der innere Zusammenhang von Grund- und Heilsoffenbarung. „Der Protestantismus muß wieder lernen“, so Tillich, „den deus revelatus auf dem Hintergrund des deus absconditus zu sehen“. (GW VIII, 98) Tillich richtet sich damit gegen Karl Barth und Friedrich Gogarten. Dass er statt vom ‚Durchbruch des Unbedingten‘ nun vom Durchbruch der göttlichen Grundoffenbarung spricht, gibt seinem Vortrag eine dem Entwurf von 1919 gegenüber veränderte Stoßrichtung. Das Unbedingte ist jetzt die Grundoffenbarung. Der Moment des Durchbruchs der Grundoffenbarung ist „völlig indifferent“ in Bezug auf Inhalte. (GW VIII, 92) Das Göttliche ist der Sinnabgrund und -grund, das Ende und der Anfang jedes möglichen Inhaltes. Nichts anderes ist darüber zu sagen. Es steht jenseits von Licht und Finsternis, von Natur und Persönlichkeit, von Göttlichem und Dämonischem. All dieses liegt in ihm zur Scheidung bereit, wie der Kampf gegen das Böse und die Werke der Liebe im Akt der Rechtfertigung. Aber es liegt verborgen in ihm, es ist die Geburtsstunde der Religion in jedem

 Vgl. GW VIII, 85 – 100.  Vgl. EW X, 167 f. 218.

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Menschen, der zur Tiefe der Verzweiflung aus Zweifel und Sinnentleerung gedrungen ist […]. (Ebd.)

In einem großen genealogischen Überblick trägt Tillich seine These vor, dass der unsere Geisteslage bestimmende Zweifel aus der Rechtfertigung als Prinzip des Protestantismus hervorgegangen ist. Tillich setzt dabei voraus, dass die innere Spannung der Religion selbst, die bei Paulus und Luther wie in der Religions- und Kirchengeschichte als die Polarität von Gesetz und Evangelium erscheint, von der dialektischen Theologie verkannt und als strikter Gegensatz von Religion und Offenbarung verstanden wird. Das negative Verhältnis zwischen Religion und Offenbarung, so argumentiert Tillich, wird aber positiv dadurch, „daß das, was sich gegenübersteht, sich zugleich gegenseitig bedingt“. (GW VIII, 86) Rechtfertigung, Gnade, Offenbarung sind Durchbruchsbegriffe, die auf Voraussetzungen angewiesen sind, die erst einen Durchbruch ermöglichen. Das heißt: „Das Gesetz, d. h. die Religion als göttliche Forderung, ist die ständige immanente Voraussetzung für die Offenbarung des Evangeliums“. (Ebd.) Es gilt aber auch das Umgekehrte: „Die Gnade ist die ständige Ursache von Gesetz, das evangelische Prinzip von katholischer Wirklichkeit, die Offenbarung von Religion“. (GW VIII, 87) Dem Durchbruch muss die Realisierung folgen, er darf nicht zum Prinzip werden, das die Realisierung unmöglich macht. Bei Luther aber, so Tillich, wurde der Widerspruch gegen die sich selbst unbedingt setzende katholische Realisierung so mächtig, dass es im Protestantismus zur prinzipiellen Verneinung der Realisierung kam und damit zur grundsätzlichen Verneinung der eigenen Voraussetzung. Aus dem Durchbruch wurde ein Lehrgegenstand, „ein Ding, ein Gegenstand, von dem man weiß. […] Man weiß um das, was absolut Überraschung, Paradoxie und Durchbruch ist“. (GW VIII, 88) Gott und sein Handeln wurden zu einem Regulativ des Weltbewusstseins. „Das autonome Bewußtsein, die Loslösung von der religiösen Unmittelbarkeit, von der gesamten Sphäre der Realisierung war da.“ (Ebd.) Der Zweifel tritt ins Zentrum des religiösen Bewusstseins und des Bewusstseins schlechthin. Der Zweifel an Gott wird zum Zweifel an der Wahrheit und am Lebenssinn überhaupt. Für Tillich bedeutet diese Entwicklung: „Wird der Durchbruch statt zum Korrektiv zum Prinzip erhoben, unter Verneinung der Realisierung, so geht mit der Realisierung zuletzt auch das Prinzip verloren.“ (GW VIII, 89) Der Zweifler hat nicht nur Gott, die Wahrheit und den Lebenssinn verloren, er steht zu diesem Verlust und kann doch nicht in ihm Ruhe finden, er ist „getroffen von der Forderung, Sinn, Wahrheit und Gott zu finden“. (Ebd.) Er verzweifelt an seinem Heil, „nur daß für ihn sein Unheil nicht das Verwerfungsurteil Gottes, sondern der Abgrund der Sinnleere ist“. (Ebd.) Die Rechtfertigung des Zweiflers hatte Tillich als den Durchbruch der göttlichen Grundoffenbarung definiert. „Was hier offenbart wird, ist der Gott der

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Gottlosen, die Wahrheit der Wahrheitslosen, die Sinnfülle der Sinnentleerten“. (GW VIII, 92) Tillich will diesen Durchbruch verstanden wissen als „Stunde der Wiedergeburt, in der die Geburt des Menschen, nämlich des religiösen Wesens des Menschen, sich wiederholt“. (Ebd.) Mit dem Gedanken der Grundoffenbarung lehnt Tillich jede theologische Richtung ab, „in der die Offenbarung ausschließlich als Heilsoffenbarung, ausschließlich christologisch gefasst wird“. (GW VIII, 93) Gegen die dialektische Theologie formuliert er: „Die Offenbarung in Christus, der Durchbruch der göttlichen Unbedingtheit gegenüber allem Werk der Religion, setzt eine breite Basis der menschheitlichen Religion und der göttlichen Grundoffenbarung voraus.“ (Ebd.) Mit der Grundoffenbarung, so Tillich, „bricht der Protestantismus aus seiner Negativität durch zum Universalismus“. (GW VIII, 99) Die Rechtfertigung des Zweiflers ist für ihn dieser Durchbruch. Tillich ist davon überzeugt, dass die Antwort der Grundoffenbarung „dem Zweifler jede Position nimmt, von der aus er zweifeln kann. Sie wird ihm keine Position lassen in Natur und Geschichte, in Politik und Ethik, die er nicht deuten müsste als Name und Gestaltung der Grundoffenbarung, als dämonischen oder göttlichen Namen“. (GW VIII, 100) Wegen der Zweideutigkeit der Grundoffenbarung wird die Offenbarung des Göttlichen zur Heilsgeschichte. Die Überwindung des Dämonischen, die Vollendung der zweideutigen Grundoffenbarung zur eindeutigen göttlichen Heilsoffenbarung ist da erfolgt, wo Gott sich als Geist und Liebe zeigte, unbeschadet seiner Majestät und Verborgenheit. Eben damit aber ist auch die Grundoffenbarung vollendet. (GW VIII, 98)

In seiner Systematischen Theologie drückt Tillich seine Absicht und Hoffnung aus, dass sein theologisches System „in all seinen Teilen deutlich macht, daß der Rechtfertigungs-Gedanke das protestantische Prinzip schlechthin ausdrückt“, wenn dieser Gedanke auch an einigen Stellen zu ganz unorthodoxen Formulierungen geführt habe. (ST III, 257) Die Begrenztheit von Luthers Denken sieht Tillich darin, dass die Rechtfertigung für ihn die persönliche Erfahrung des einzelnen sei, sowohl des göttlichen Zornes als auch der Vergebung. Es fehle der kosmische und kirchliche Rahmen, wie er sich bei Paulus und Augustin finde, also das zur ontologischen Grundstruktur gehörende Element der Partizipation, der Gegenpol zur Individualisierung. Die Frage, wie sich der Rechtfertigungsglaube zum radikalem Zweifel als existentiellem Zweifel am Sinn des Lebens verhalte, sei weder von Paulus noch von Luther gestellt worden. Allerdings habe Augustin gewusst, dass die Wahrheit

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gerade im ernsthaften Zweifel erscheine. Diese Einsicht sei „unserer eigenen Situation näher als die Fragen und Antworten von Paulus und Luther“. (ST III, 262) Tillichs Lösung entspricht seiner Methode der Korrelation: „our answer must be derived from the special situation which we encounter, though on the basis of the message of the New Being“. (ST III, 227) Die Antwort, die er gibt, bewegt sich, wie er selbst bemerkt, „auf der Ebene von Augustins Argument, daß in der Situation des Zweifels die Wahrheit, von der man sich getrennt fühlt, gegenwärtig ist, da in jedem Zweifel die Bejahung des Prinzips der Wahrheit vorausgesetzt ist“. (ST III, 262) Tillich aktualisiert das augustinische Argument so: Since in the predicament of doubt and meaninglessness God as the source of the justifying act has disappeared, the only thing left (in which God reappears without being recognized) is the ultimate honesty of doubt and the unconditional seriousness of the despair about meaning. (ST III, 228)

In dieser Weise, so Tillich, könne man zu den Menschen unserer Zeit sprechen und ihnen sagen, „daß sie angenommen sind in Hinsicht auf einen letzten Sinn ihres Lebens, obwohl sie wegen ihres Zweifels und der Sinnlosigkeit, die sie fest im Griff hat, unannehmbar sind“.²⁷ In der unbedingten Ernsthaftigkeit ihrer Verzweiflung ist Gott ihnen gegenwärtig. Den Mut, diese paradoxe Annahme anzunehmen, nennt Tillich „ihren Glaubensmut“ („courage of their faith“, ST III, 228). Die Formel „courage to be“ erscheint hier nicht. Tillich kann aber auch die Erfahrung des Unbedingten als die Erfahrung Luthers ausgeben. Er tut dies in Mut zum Sein von 1952. Luther habe, so Tillich in dieser Schrift, in dem, was er „Anfechtungen“ nenne, „die Drohungen vollkommener Sinnlosigkeit erlebt“. Alles sei ihm in diesen Augenblicken fragwürdig geworden: sein christlicher Glaube, die Reformation, die Vergebung der Sünden. „Alles brach in diesen Augenblicken der Verzweiflung zusammen, und vom Mut zum Sein war nichts mehr übrig.“ (GW XI, 127) In diesen Erfahrungen habe Luther vorweggenommen, was der Existentialismus später beschrieben habe. Doch dies sei für Luther nicht ‚das letzte Wort‘ gewesen. Das ‚letzte Wort‘ war für ihn das erste Gebot, das Gebot, dass Gott Gott ist. Tillich deutet es hier als Unbedingtheitserfahrung Luthers im Sinne seines Entwurfs von 1919. Die Aussage, dass Gott Gott ist, „gemahnte ihn an das unbedingte Element in der menschlichen Erfah-

 Übersetzung vom Verf. Die deutsche Übersetzung in ST III, 262, in der zusätzlich von einer „Analogie zur klassischen Form des Rechtfertigungsgedankens“ die Rede ist und die weitere Zusätze zum englischen Text enthält, geht wohl auch hier nicht auf Tillich zurück.

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rung, das uns selbst im Abgrund der Sinnlosigkeit bewußt sein kann“. (Ebd.) Dieses Gewahrsein des Unbedingten habe Luther gerettet.

8 Luthers Lehre von der Kirche und den Sakramenten In der Einheit (!) von Gnade und unbedingter Forderung, von Evangelium und Gesetz, von Christus und Gott, so Tillich in seiner Dresdner Geistesgeschichte von 1926, stelle sich die „Größe Luthers“ dar. (EW XX, 85) Doch wegen der Zentralität des Personalen sei es zu Verlusten auf Kosten des Universalismus gekommen. Dies werde aber bei den Problemen, die zur Aufnahmeseite gehören, also in der Lehre von der Kirche, den Gnadenmitteln und der kirchlichen Ämter, geradezu „brennend“. (Ebd.) Die Kirche ist für Luther ihrem Wesen nach unsichtbar und nur dem Glauben zugänglich. Sie entsteht aber durch die Botschaft des Glaubens, die die sichtbare Kirche verkündigt. Die Glaubenden in der sichtbaren Kirche bilden die unsichtbare Kirche. Aufgabe der sichtbaren Kirche ist die Wortverkündigung in Predigt und Sakrament, eine Aufgabe, die jeder für jeden hat. Das kirchliche Amt ist „lediglich Ausdruck des Willens zur ordnungsmäßigen öffentlichen Verkündigung“. (EW XX, 87) Das sakramental-hierarchische System sei damit gefallen. An seine Stelle tritt „der einzelne Glaubende, der in unmittelbarer persönlicher Berührung mit Gott steht und aus seinem Glauben heraus entscheidet, was Wahrheit ist“. (EW XX, 88) An die Stelle der hierarchischen Abhängigkeit tritt die Gemeinde, „d. h. eine Versammlung gleichberechtigter Einzelner […].“ (Ebd.) „Praktisch und theoretisch steht jeder unmittelbar zu Gott.“ (Ebd.) An Stelle der Hierarchie tritt das Amt der Wortverkündigung, das jeder hat, aber in geordneter Weise an den übertragen wird, der zur öffentlichen Verkündigung geeignet ist. Die Gemeinde beruft und beurteilt sie, kann sie auch absetzen. Maßstab ist die Schrift. Für Tillich ist dies alles nicht Subjektivismus, denn es sei bezogen auf die „absolute Objektivität der Gnade“ (ebd.) und habe zunächst in der Orthodoxie objektivierend gewirkt, in der Aufklärung aber zur „Herrschaft des Glaubens im Sinne der subjektiven Individualität“ geführt. (EW XX, 89) Aus der Heilsbotschaft werde Lehre und aus dem Recht jedes Einzelnen, Lehre zu beurteilen, werde Kritik der Lehre durch jeden. Dadurch werde das Amt gleichgültig, an seine Stelle treten die autonome Kultur und einzelne prophetische Durchbrüche. Mit der Beseitigung der Hierarchie und des kanonischen Rechts komme alles auf die Einzelgemeinde an. Sie braucht eine Ordnung, für die dann der Landesfürst als praecipuum membrum zuständig ist. Die Kirche wurde auf diese Weise ihrer rechtlichen Form

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nach auf ein Staatsressort reduziert. An die Stelle der heiligen Hierarchie trat die profane. Die Kirche gerät in die Abhängigkeit vom Staat oder von Parteien. Tillichs Kommentar dazu: „Nun wird die Kirche wieder eins mit rechtsstehenden Parteien, weil sie da ihre Interessen gewahrt weiß. Ihrer eigentlichen Aufgabe wird sie damit untreu […]“. (EW XX, 91 Anm. 1) Ausgesprochen scharf ist Tillichs Kritik an der Sakramentslehre Luthers. Das Sakrament werde bei Luther zum symbolkräftigen Wort. Die Eigenbedeutung ist damit aufgehoben; „es geschieht nichts außer der Wortverkündigung und ihrer unsichtbaren undefinierbaren Wirkung“. (EW XX, 95) Insonderheit werde das Messopfer bekämpft: „Es ist ein menschliches Handeln, durch das Gottes Handeln, das eine Opfer, entwertet wird. Man braucht Gott nicht zu versöhnen, er ist versöhnt: man darf nur davon zeugen.“ (Ebd.) Der persönliche Zentralismus verbiete die heilige Sphäre, die heilige Zeit, Raum, Handlung, Sache. Das mysterium tremendum der Gegenwart Gottes verwandelt sich in den sittlichen Ernst der persönlichen Gemeinschaft des Glaubens. Der Zugang zu Gott in der Anschauung heiliger Unmittelbarkeit mit allen damit verbundenen vorpersönlichen Regungen ist versperrt. (EW XX, 96)

Im mündlichen Vortrag war Tillich an dieser Stelle noch deutlicher. Ich zitiere aus einer Nachschrift: Der Kultus ist im Protestantismus zerbrochen. Er zieht nicht an, nur als Sitte oder wenn er getragen ist von einem bedeutenden Prediger. Das [aber] ist das entscheidende Nein über den Protestantismus, wenn das Tiefste nur an dieser subjektiven Gabe eines Menschen [d. h. eines Predigers] hängt.Wenn wir den Kultus ästhetisierend ausgestalten, so ist dies noch viel schlimmer, denn zu ästhetischen Bedürfnissen haben wir die Kultur, die Oper. (EW XX, 95 Anm. 2)

Die Gemeinde als „anschaubare Gestalt der Gnade“, so lautet eine spätere Kritik Tillichs,²⁸ trete kaum in das Bewusstsein des Protestantismus. Ihr sei damit „die eigentliche Kraft der religiös-kulturellen Gestaltung“ genommen. (GW VII, 49) Die Abnahme der Anziehungskraft des Protestantismus sei von daher verständlich. Es sei der Einzelpersönlichkeit auch ohne die kirchliche Verkündigung jederzeit möglich, die Schrift auf sich zu beziehen. Dann treten an die Stelle der kirchlichen Verkündiger „die Führer der autonomen Kultur, die schöpferischen Träger des Geisteslebens“. (Ebd.) Wo aber das Bedürfnis geblieben sei, sich unter das objektive Wort der Schrift zu stellen, da erwarte man das Entscheidende von der Subjektivität des Predigers. Es sei aber, so Tillich, aussichtslos und verfehlt, wollte  Vgl. Tillich, Der Protestantismus als kritisches und gestaltendes Prinzip.

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man versuchen, durch ästhetische oder gesellschaftliche Mittel die protestantische Kirche neu aufzubauen. „Entweder ist sie eine Gestalt der Gnade, dann hat sie ihren Sinn in sich, oder sie ist es nicht, dann kann sie durch fremde Sinngebung sich nicht stärken“. (Ebd.) In der Einleitung zu der 1950 publizierten Aufsatzsammlung Der Protestantismus nennt Tillich „den Verfall des sakramentalen Denkens und Empfindens“ in den Kirchen der Reformation und in den amerikanischen Konfessionen „erschreckend“. „Die Sakramente haben ihre geistige Macht verloren und verschwinden aus dem Bewußtsein der meisten Protestanten.“²⁹ Der protestantische Protest gegen die magischen Elemente des katholischen Sakramentalismus habe zu Unrecht „die sakramentale Grundlage des Christentums bis an den Rand des Verschwindens gebracht“.³⁰ Den Verlust des Sakramentalen und der Symbole bringt Tillich in einen Zusammenhang mit der ausschließlichen Betonung des Zentrums der Person im Protestantismus. Beide Tatsachen, der Verlust des Sakramentalen und der Zentralismus des Personalen, entsprechen „dem Aufkommen des bürgerlichen Ideals der Persönlichkeit, für das die Reformation und die Renaissance gleicherweise verantwortlich sind“. (GW VII, 25) Beide bilden die Hauptpunkte der Kritik Tillichs an Luther und der Reformation. Man fragt sich, von welcher Voraussetzung aus Tillich eine gegenüber der Reformation so kritische Haltung einnimmt. Im Hintergrund steht seine Idee der Theonomie, die für Tillich ihre ideale Verwirklichung im Früh- und Hochmittelalter gefunden hat. Das Spätmittelalter und die Reformation sind dann Perioden der Abschwächung der Theonomie, wenn nicht gar ihres Verfalls. Diese religiöse Geschichtsphilosophie erinnert an Novalis’ Schrift Die Christenheit oder Europa, aus der Tillich in seinem Berliner Kolleg Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart von 1919 ausführlich zitiert³¹ und die er seiner „romantisch-frühsozialistischen Geschichtsphilosophie“ (EW XII, 81) zugrunde legt. Die „große Kultur des Mittelalters“ konnte wieder verstanden werden, so behauptet er, „nachdem der Gegensatz sich bis in seine letzten Konsequenzen ausgewirkt hatte“. (EW XII, 72) Zu unterscheiden seien „zwei große Perioden der europäischen Kulturentwicklung“: die mittelalterliche Einheitskultur und die „moderne Auflösungskultur“; „die zweite beginnt mit Renaissance und Reformation und dauert bis in die Gegenwart“. (Ebd.) Bei Novalis werde „die Idee einer neuen religiös geleiteten Einheitskultur aus den Auflösungserscheinungen der Gegen-

 P. Tillich, Der Protestantismus. Prinzip und Wirklichkeit, Stuttgart 1950, 24.  Ebd.  Vgl. EW XII, 73 – 77.

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wart geboren“. (EW XII, 77) Die neue Einheitskultur soll aber nicht ein „Abklatsch“ der mittelalterlichen sein, sondern es könne sich nur „um eine Religion handeln, die aus der Freiheit geboren ist und die freudige Zustimmung aller hat, wie auch die Vereinigung der Völker nicht durch eine kirchliche Zwangsgewalt, sondern nur durch freies Einswerden auf rauchenden Trümmern möglich ist“. (Ebd.) Die Idee der Theonomie steht gewiss auch in seiner Dresdner Geistesgeschichte hinter seiner Kritik der Reformation. Theonomie und Reformation bilden also ein Spannungsverhältnis.

9 Das protestantische Persönlichkeitsideal In seinem im Sommer 1926 gehaltenen Vortrag Die Überwindung des Persönlichkeitsideals unterzieht Tillich das Persönlichkeitsideal einer scharfen Kritik. Im Katholizismus der Vorreformation, so führt Tillich aus, „sind alle Seiten des seelischen Seins in die Beziehung zum Heiligen hereingezogen“. (GW III, 97) Die Gnadenlehre mit ihren zahlreichen Abstufungen gebe jedem „eine bestimmte Beziehung zum Unbedingten“. „Der Gedanke der Stellvertretung jedes Gliedes der Gemeinschaft für jedes andere bezieht alle inneren Mächtigkeiten unmittelbar auf das Ganze.“ (Ebd.) Diese Stufen verdunkelten freilich mehr und mehr die zentrale Beziehung des Einzelnen zum Unbedingten, „seine persönliche, unübertragbare Verantwortung“. (Ebd.) Die unabweisbare Frage nach dem persönlichen Heil sei aber nicht beantwortet worden. Demgegenüber wende sich die Reformation an das persönliche Zentrum, an Gewissen und Entscheidung. „Sie schiebt die Stufen, die Psychologie, die Stellvertretung, die Gnaden beiseite. Sie stellt alles auf die zentrale persönliche Hinwendung zum Unbedingten, auf den Glauben.“ (Ebd.) Das Relative, der gesamte Bereich des seelischen und leiblichen Lebens werde bedeutungslos. Weil es vom Unbedingten abgetrennt wird, verfällt es der Profanisierung. Tillich wiederholt hier seine in der Dresdner Geistesgeschichte vorgetragenen Ausführungen über Luther und die Reformation. Sein gleichzeitig gehaltener Vortrag Die Überwindung des Persönlichkeitsideals bewegt sich also ganz im Rahmen seiner geistesgeschichtlichen Betrachtung Luthers und der Reformation, zieht aber die von Luther ausgehenden Linien der Entwicklung des Persönlichkeitsideals bis in die Gegenwart aus und fordert nicht weniger als die Überwindung dieses Ideals. Tillich stellt den Durchbruch des Unbedingten, der sich in Luther vollzogen und die zentrale Beziehung des Einzelnen zum Unbedingten zum Inhalt hatte, in einen jahrhundertelangen geschichtlichen Zusammenhang. Nicht zufällig geschieht in Tillichs Sicht der Durchbruch des Unbedingten im Bußsakrament. „Buße“, so definiert Tillich in seiner Vorlesung, ist „ein rein innerer Vorgang, die

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Negation der Persönlichkeit vor dem Unbedingten“. (EW XX, 54) Der Durchbruch des Unbedingten, so Tillich, sei „hervorgewachsen aus jahrhundertelanger Kultur der seelischen Selbstbeobachtung“ und zwar „aus einer reichen Fülle seinshafter seelischer Mächtigkeiten“. (GW III, 97) Der „Durchbruch“ aber bedeutet das Wegschieben aller Stufen, Abstufungen, Vertretungen und Stellvertretungen, wie sie im Ablass ihren Ausdruck gefunden haben. Hier hatte, wie Tillich bemerkt, die Paradoxie der Gotteserfahrung Luthers „ihre Schärfe, ihren Sinn“. (Ebd.) Nur weil der ursprüngliche Protestantismus noch erfüllt war „von jener Allseitigkeit und Unmmittelbarkeit des religiösen Bewußtseins“, habe er die „heroischen und doch erfüllten Persönlichkeiten des reformatorischen Zeitalters“ schaffen können. (Ebd.) Der heroischen Persönlichkeit des Reformationszeitalters seien die rationale Persönlichkeit der Aufklärung und die humanistisch-romantische der Klassik gefolgt. Die Paradoxie der persönlichen Gnade sei zum Gesetz und immer mehr zum Gesetz der bürgerlichen Konvention geworden. Niemand aber könne, so Tillich, „den zentralen und unbedingten Anspruch des Göttlichen […] ertragen, außer im Durchbruch der Gnade“. (Ebd.) Werde versucht, den „Heroismus des Persönlichen als Dauerhaltung zu fordern“, so komme es zu einer „Verdrängung der seelisch-vitalen Kräfte“ und zur heimlichen Opposition. (GW III, 97 f.) Nach einer Zeit aber breche der persönliche Zentralismus zusammen. „In diesem Zusammenbruch“, behauptet Tillich, „stehen wir in ungeheuerstem Ausmaße“. (GW III, 98) Die Entdeckung der Psychoanalyse habe einen Weg eröffnet, das psychische System der Verdrängungen zu durchschauen. Schon Nietzsche und die realistische Literatur des 19. Jahrhunderts haben „die Lüge des bürgerlichen Personalismus durch Aufweis der Verdrängungen“ durchschaut. (Ebd.) Es sei zu erwarten gewesen, dass die „explosive Reaktion gegen die bürgerliche Konvention zu Auflösungserscheinungen in großem Maßstab führen würde“.³² Dieser Übergang sei unvermeidlich. Er könne nur beklagt werden, „wenn er nicht zu einer neuen Formung des persönlichen Lebens führte“. Sie könne freilich nicht von außen auferlegt werden. „Sie muß wachsen, und die Macht geistigen Wachstums ist ‚Gnade‘.“³³ Gnade in diesem Sinne hat für Tillich eine weiter gehende Bedeutung als ‚Vergebung der Sünden‘ in der protestantischen Theologie. Gnade müsse „alle Seiten des persönlichen Lebens einschließen, seinen vitalen Grund, seine seelische Dynamik, seine individuelle Einmaligkeit und sein bewußtes Zentrum“.³⁴ In der Tiefenpsychologie finde sich heute oft mehr wirkliches Be-

 Tillich, Der Protestantismus. Prinzip und Wirklichkeit, 179.  Ebd.  Ebd.

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wusstsein um den Sinn der Gnade und darum mehr heilkräftige Seelsorge als in der kirchlichen Seelsorge. Rechtfertigung ist also Durchbruch der Gnade, die alle Seiten des persönlichen Lebens umfasst. Es ist kein Zufall, dass Tillich vom Persönlichkeitsideal aus, das er überwinden will, den Begriff der Rechtfertigung durch Gnade zur Geltung bringen will. Er schlägt bekanntlich vor, den Begriff der Rechtfertigung in der Predigt durch das Wort „Annahme“ zu ersetzen. „Annahme“ bedeutet: Wir sind angenommen, obwohl wir nach den Kriterien des Gesetzes unannehmbar sind. Wir sind aufgefordert, anzunehmen, dass wir angenommen sind. Diese Terminologie, so Tillich, sei selbst für die Menschen annehmbar, für die die alttestamentlichen und neutestamentlichen Worte jeden Sinn verloren haben. Aber die Sache selbst sei für sie von größter Bedeutung. (ST III, 258 f.)

10 Tillichs Deutung Luthers und der Reformation und seine Idee eines universalen Protestantismus Das Bild, das Tillich von Luther und der Reformation in seinen geistesgeschichtlichen Vorlesungen und Vorträgen zeichnet, liefert, wie eingangs bemerkt, gewiss keinen Beitrag zur Lutherforschung. Es ist eher ein Bild einer Aneignung Luthers und der Reformation, die ganz der „Tiefe der Gegenwart, dem Kairos“ (GW VII, 34) verpflichtet ist, wie dies auch seinem Konzept der Geistesgeschichte entspricht. Das Bild, das er zeichnet, spiegelt im Grunde sein eigenes Selbstbild und seine eigene theologische Stellung gegen die theologischen Richtungen seiner Zeit, vor allem gegen die dialektische Theologie, wider. Grundlage ist seine Theorie des Geistes. Nach ihr vollzieht sich das Verstehen geschichtlicher Erscheinungen als ein Sich-Wiederfinden des subjektiven Geistes im objektiven Geist und umgekehrt. Mit seiner Unterscheidung von Grund- und Heilsoffenbarung will Tillich gegen die dialektische Theologie seiner Zeit wieder an Luthers Unterscheidung von deus absconditus und deus revelatus anknüpfen. Er hat aber keine Schwierigkeiten, seinen Begriff des „absoluten Glaubens“ und eines „Gottes über dem Gott des Theismus“ auch in Luthers Glaubens- und Gottesanschauung wiederzufinden. Wenn der Gott der Reformation, so kann Tillich behaupten, als „Grund des Seins selbst“, als „die Macht des Seins in allem Seienden“ wiederentdeckt werde, hätten wir „eine neue Reformation“. (GW VII, 185) Man hat den Eindruck, dass Tillich sich in den unterschiedlichen theologischen Auseinandersetzungen seiner

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Gegenwart, nicht zuletzt auch gegenüber dem religiösen Säkularismus, sich als ein Luther redivivus versteht oder als neuer Luther. Tillich will keine Lutherrenaissance, sondern eine Interpretation Luthers, die in der Gegenwart „religiös erheblich“ sein soll. Dies gilt insbesondere für die Rechtfertigungslehre. Sie kann nicht in ihrer ursprünglichen Form verkündigt werden. Er will damit das Durchbruchsprinzip der Reformation auch als Durchbruchsprinzip unserer Geisteslage, die durch den radikalen Zweifel und die Sinnleere bestimmt ist, wieder zur Geltung bringen. Aus der Lehre soll ein Ereignis heute werden, das uns unbedingt angeht. An Tillichs Deutung Luthers und der Reformation fällt auf, wie sehr er sich auf den Durchbruch des Unbedingten im Umkreis des Bußsakraments und damit auch auf das Personzentrum des Einzelnen im Gegenüber zu Gott bezieht. Die Buße ist für Tillich der Ort des Gerichts, des unbedingten Ja und Nein über uns und damit der Paradoxie. Hier ist der Ursprungsort der Reformation, hier kommt es zum Durchbruch des Unbedingten in das Bedingte. Man würde erwarten, dass Tillich sich auch mit Luthers politischer Ethik und ihren Wirkungen bis in die Gegenwart auseinandersetzen würde. Aber er konzentriert sich ganz auf den Durchbruch des Unbedingten in Luther, den er als Überwältigung durch das Unbedingte versteht. In Tillichs Sicht erfolgt der Durchbruch des Unbedingten gegen die Weite und Breite des Religiösen, das System der Stufen und Abstufungen, das System des Relativen, und führt zum Verlust des Sakramentalen und schließlich zur Profanisierung. Tillichs Kritik gilt darum besonders der Realisierung des Durchbruchs durch den Protestantismus, vor allem gegen die Erhebung der Rechtfertigung zum Prinzip statt zum Korrektiv. Demgegenüber besteht Tillich darauf, dass das Katholische als Prinzip „die konstante immanente Voraussetzung“ (GW VIII, 86) des Evangelischen als Prinzip sein muss. Tillich widerspricht damit der dialektischen Theologie, die den inneren Zusammenhang von Grundoffenbarung und Heilsoffenbarung leugnet. Christus muss aus seiner Isolierung in der Heilsoffenbarung befreit werden. Auf dieser Grundlage deutet und kritisiert Tillich den reformatorischen Durchbruch und die ganze auf den Durchbruch und seine Realisierung folgende Geschichte der protestantischen Theologie. Ihn leitet dabei seine Idee eines protestantischen Universalismus. Universalismus heißt für Tillich: „Aufhebung des Einzelnen […] mit seiner besonderen Wahrheitserkenntnis, mit seiner schöpferischen Überzeugung und Sinnerfüllung“. Alles Einzelne ist „unter das Gericht der unbedingten Wahrheit gestellt, und die Rechtfertigung des Zweiflers ist dieses Gericht, das jeden Einzelnen zusammenführt mit jedem Anderen unter Durchbrechung aller trennenden Formen und Überzeugungen“. (GW VIII, 99) Tillich fordert einen Protestantismus, der universaler ist als der Katholizismus. Ein solcher universaler Protestantismus hat ein Prinzip, „und dieses Prinzip ist die

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lebendige innere Dynamik von Wahrheitsglaube und Heilsglaube, von Grundoffenbarung und Gnadenoffenbarung“. (GW VIII, 100)

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Selbstkritische Affirmation Tillichs ‚protestantisches Prinzip‘ als Kennzeichen pluralismusfähiger Religion

1 Auf der Suche nach der religiösen Mittelposition Am 27. Juni 2017 ist Peter L. Berger gestorben. 1929 in Wien geboren und mit den schönen bayerischen Namen ‚Peter‘ und ‚Ludwig‘ bedacht, wurde Peter ‚Ludwig‘ Berger einer der prominentesten amerikanischen Religionssoziologen seiner Generation. Eine Besonderheit dieses Soziologen war es, dass er keinen Hehl aus seiner religiösen und theologischen Gesinnung gemacht hat. Berger, dessen jüdische Familie sich zum Schutz vor den Nazis in Wien hatte taufen lassen, bezeichnete sich als „etwas heterodoxen Lutheraner“¹. Mit „heterodox“ meinte er seine Prägung durch den „klassischen theologischen Liberalismus“² deutscher Provenienz: durch Friedrich Schleiermacher und Ernst Troeltsch, aber auch durch Paul Tillich. (Im Jahre 1980, als sich Berger erstmals auf Deutsch zu dieser Prägung bekannte, klang das in Deutschland für viele wohl tatsächlich noch ziemlich nach ‚Heterodoxie‘.) Bergers religionsbezogene Schriften sind exemplarische Zeugnisse eines Paradigmenwechsels in der Einschätzung der Lage der Religion in der Moderne. Eines ihrer zentralen Themen ist der moderne religiöse Pluralismus und seine transformatorische Wirkung auf die Religion. Ursprünglich hat Berger diese Wirkung im Gleichklang mit dem großen Chor der Säkularisierungstheoretiker beschrieben. Die Pluralisierung, zusammen mit anderen Modernisierungsfaktoren, schwäche die Religion so sehr, dass sie vom völligen „Niedergang“ bedroht sei, „sowohl im öffentlichen Leben im allgemeinen als auch in den Köpfen und

 P. L. Berger, Dialog zwischen religiösen Traditionen in einem Zeitalter der Relativität, Tübingen 2011, 17.  P. L. Berger, Der Zwang zur Häresie. Religion in der pluralistischen Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1980, 10; vgl. z. B. ders., Altäre der Moderne. Religion in pluralistischen Gesellschaften, Frankfurt a. M. 2015, 37: „Meine eigene religiöse Positionierung hat sich seit meiner Jugend nicht wesentlich verändert; am besten könnte man sie mit einem nervösen Christentum in Form eines theologisch sehr liberalen Luthertums umschreiben.“ https://doi.org/10.1515/9783110668124-009

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Herzen der je einzelnen Menschen“.³ Um die Jahrtausendwende wurde Berger dann, vor allem durch die Ausbreitung der Pfingstkirchen und das Erstarken islamischer Bewegungen, zu einer Revision dieser Sicht veranlasst.⁴ Er kam zu dem Schluss, dass ‚Säkularisierung‘ und ‚Säkularismus‘ global als Ausnahmeerscheinungen einzustufen seien, charakteristisch lediglich für „Europa und eine internationale Intelligenzija“.⁵ Demgegenüber rückt bei Berger nun die ‚Pluralisierung‘ zum Generaltrend religiöser Modernisierung auf. Die religiöse Diversifizierung der Gesellschaften ist demnach nicht als ein Teilmoment des Säkularisierungsprozesses einzustufen, sondern als die übergeordnete Tendenz, die keineswegs zwingend mit einem Säkularisierungsdruck verknüpft ist: Die Moderne führt nicht notwendigerweise zu Säkularisierung; sie führt aber notwendigerweise zu Pluralismus. Das wiederum stellt den Glauben tatsächlich vor eine bedeutende Herausforderung, allerdings vor eine andere als die Säkularisierung.⁶

Mit der Pluralisierung wird die Begegnung unterschiedlicher Religionen im global village unausweichlich. Diese Begegnung schwächt die Religionen nicht unbedingt. Sie gereicht aber auch nicht unbedingt nur zu wechselseitiger Bereicherung, sondern provoziert auch teils gewaltsame Zusammenstöße. Die dringliche Herausforderung, die sich nach Berger daraus ergibt – es handelt sich um nichts weniger als um ein „Überlebensproblem“⁷ moderner Gesellschaften –, ist die Kultivierung religiöser Positionen, die in der Lage sind, andere religiöse Positionen neben sich gelten zu lassen. Einem friedlichen Nebeneinander der Religionen steht indessen ein strukturelles Problem entgegen. Religiöse Pluralisierung bedeutet die aufdringliche Präsenz der anderen Position. Diese Präsenz der anderen religiösen Möglichkeit aber impliziert unweigerlich eine Relativierung: den Verlust der Selbstverständlichkeit und absoluten Geltung des eigenen Glaubens. Dieser Verlust treibt zu einer doppelten Reaktion. Er führt zum religiösen Relativismus, der sich außerstande sieht, angesichts der mannigfachen Möglichkeiten überhaupt einen bestimmten religiösen Standpunkt einzunehmen; oder zum religiösen Fundamentalismus: dem Versuch, die verlorene Selbstverständlichkeit und absolute Geltung  P. L. Berger, Sehnsucht nach Sinn. Glauben in einer Zeit der Leichtgläubigkeit, Gütersloh 1999, 31.  Vgl. zum Folgenden bes. P. L. Berger, The Desecularization of the World. A Global Overview, in: The Desecularization of the World. Resurgent Religion and World Politics, hg.v. dems., Washington, D.C./Grand Rapids (MI) 1999, 1– 18; sowie Berger, Altäre der Moderne.  Berger, Altäre der Moderne, 8.  A.a.O., 39.  A.a.O., 33.

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künstlich wiederherzustellen, indem die eigene religiöse Tradition, die eigenen religiösen Quellen und Glaubensgehalte für sakrosankt erklärt werden. Freilich handelt es sich bei diesen Extremen laut Berger um wenig produktive Optionen. Der Relativist muss auf religiöse Heimat, auf existenziellen Halt und ethische Orientierung verzichten. Die Fundamentalistin wiederum kann auf die Dauer das Bewusstsein, selbst eine religiöse Wahl getroffen und die Fraglosigkeit der eigenen Position durch eigene Setzung hergestellt zu haben, nicht restlos verdrängen. Daher muss sie sich durch die anderen religiösen Möglichkeiten in ihrem religiösen Halt bedroht fühlen. Die Folge ist die Tendenz zu Intoleranz und Aggression gegenüber dem Anderen. Angesichts dieser gesellschaftlich und politisch gefährlichen Reaktionen auf den Pluralismus erblickt Berger das Erfordernis der Zeit in der Suche nach der ‚Mittelpositionʻ⁸ innerhalb der verschiedenen Religionen. Diese Position zeichnet sich eben dadurch aus, dass sie sich selbst nicht kontrafaktisch absolut setzt, dass sie dabei aber in sich selbst so stabil ist, dass sie die andere Position nicht als Bedrohung empfindet, sondern neben sich ertragen kann. Nur eine derartige Mittelposition zwischen Relativismus und Fundamentalismus kann sich dauerhaft als tolerant und mithin als ‚pluralismusfähig‘⁹ erweisen. Zieht man diese Skizze von Leitmotiven der Berger’schen Religionsforschung in Betracht, so fallen Analogien zu Schlüsselelementen des Tillich’schen Denkens ins Auge. Schon die Auszeichnung der goldenen ‚Mittelposition‘ erinnert an Tillichs Lokalisierung der wesenhaften Religion zwischen den pathologischen Erscheinungen von ‚Profanisierung‘ und ‚Dämonisierungʻ.¹⁰ Vor allem aber lässt ein  Vgl. P. L. Berger (Hg.), Between Relativism and Fundamentalism. Religious Resources for a Middle Position, Grand Rapids (MI) 2010. Berger spricht auch vom „Mittelfeld“ oder „Mittelweg“ (middle ground) zwischen Relativismus und Fundamentalismus: vgl. ders., Dialog, 44 f.; ders., Altäre der Moderne, 34.  Der Ausdruck ‚Pluralismusfähigkeit‘ – bei Berger der Sache nach thematisch, m.W. aber nicht als Terminus gebraucht – soll die Fähigkeit bezeichnen, sich in einer weltanschaulich-religiös pluralistischen Gesellschaftslage selbst in einer Weise weltanschaulich-religiös zu positionieren, die den abweichenden Positionen neben sich ein Mindestmaß an Akzeptanz zubilligt, woraus wiederum die Fähigkeit zu einer gehaltvollen Toleranz gegenüber dem Anderen resultiert, einer Toleranz also, die über bloß widerwillige Duldung hinausreicht und sonach als Basis eines nachhaltig friedlichen Zusammenlebens mit dem Anderen dienen kann. Der Ausdruck hat an sich nichts mit dem Pluralismusbegriff zu tun, der aus dem Diskurs über eine Theologie der Religionen geläufig ist, insbesondere aus der Dreiertypologie von ‚Exklusivismus‘, ‚Inklusivismus‘ und ‚Pluralismus‘. (Es darf freilich als eine der maßgeblichen ethischen Triebfedern des religionstheologischen ‚Pluralismus‘ gelten, unter den Bedingungen weltanschaulich-religiöser Pluralisierung der Ausbildung von ‚Pluralismusfähigkeit‘ im oben definierten Sinne zuzuarbeiten.)  Vgl. z. B. P. Tillich, Das Dämonische: Ein Beitrag zur Sinndeutung der Geschichte (1926), in: MW V, 99 – 123.

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Aspekt in Bergers näherer Beschreibung der ‚Mittelposition‘ an Tillich denken. Sie muss laut Berger nämlich vornehmlich imstande sein, „die Ungewissheit zu akzeptieren, die die Relativierung mit sich bringt“.¹¹ Gesucht ist eine Gestalt von Religion, die mit dem Zweifel zu leben vermag, den der moderne Pluralismus zwangsläufig heraufführt.¹² Nur ein solch „verwundbarer Glaube“¹³, der auf die Behauptung manifester, absoluter Heilssicherheit verzichtet,¹⁴ kann den friedvollen middle ground zwischen Fundamentalismus und Relativismus besiedeln. Es liegt nahe, hier an Tillichs Versuch zu denken, den Zweifel als notwendiges Moment modernen Glaubens auszuweisen, erstmals ausgeführt in dem Manuskript Rechtfertigung und Zweifel von 1919.¹⁵ Und tatsächlich beruft sich Berger an einschlägiger Stelle – neben Troeltsch¹⁶ – ausdrücklich auf Tillich, genauer: auf Tillichs „protestantisches Prinzip“.¹⁷ Ausgehend von dieser Bezugnahme und von den sachlichen Assoziationen will ich mir Bergers Suche nach der religiösen ‚Mittelposition‘ zu eigen machen und der Frage nachgehen, ob Tillichs Konzept des ‚protestantischen Prinzips‘ etwas für das gegenwärtig so dringliche Problem der Konstitution pluralismusfähiger Religion austrägt. Ich tue dies im Bewusstsein, dass Tillich selbst bei der Konzeption jenes Prinzips noch nicht primär das Pluralismus-, sondern vorwiegend das Säkularisierungsproblem vor Augen hatte.¹⁸ Aber ich kann an dieser

 Berger, Dialog, 51.  Siehe dazu auch P. L. Berger/A. C. Zijderveld, Lob des Zweifels.Was ein überzeugender Glaube braucht, Freiburg i. Br. 2010.  Berger, Dialog, 53; vgl. a.a.O.,52: „vulnerable faith“.  Vgl. P. L. Berger, Introduction: Between Relativism and Fundamentalism, in: Between Relativism and Fundamentalism, hg.v. dems., 1– 13, hier: 13: „the readiness to have faith without laying claim to certainty“.  Vgl. P. Tillich, Rechtfertigung und Zweifel (Manuskript von 1919), in: EW X, 185 – 230; vgl. ders., Rechtfertigung und Zweifel (publizierte Fassung von 1924), in: MW VI, 83 – 97.  Ein der Berger’schen Mittelposition vergleichbares Ideal hat Ernst Troeltsch klassisch in seiner Absolutheitsschrift (1912) entworfen: E. Troeltsch, Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte (1902/1912), hg.v. T. Rendtorff (KGA 5), Berlin/New York 1998. Hier empfiehlt Troeltsch angesichts des unumkehrbaren Niedergangs der „naiven Absolutheit“ (219) des vormodernen Glaubens, sein Heil nicht in „doktrinärer Starrheit“ und „hartem Fanatismus“ zu suchen (204), sondern sich mit der „milden“ und duldsamen „Sicherheit“ (216) einer „rein innerlich“ erlebten Absolutheit (226) zu bescheiden.  Berger, Introduction, 13.  Allerdings wurde in diesem Zusammenhang mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass mit dem Thema der Religionsgeschichte – verhandelt etwa in der philosophischen Dissertation über Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings positiver Philosophie, ihre Voraussetzungen und Prinzipien (1912; in: EW IX, 154– 272) – das Problem der Vielheit von Religionen auch in Tillichs Frühwerk schon präsent ist; vgl. z. B. W. Schüßler/E. Sturm, Paul Tillich. Leben – Werk –

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Stelle schon darauf hinweisen, dass er das besagte Theorem in seinen späten Jahren selbst auf die Begegnung der Religionen bezogen hat.¹⁹ Ich werde darauf in den Teilen 4 und 5 meines Beitrags zurückkommen.

2 Tillichs Formulierung des protestantischen Prinzips Beim Theorem des ‚protestantischen Prinzips‘ haben wir es mit einem der schlechthin fundamentalen Instrumente in Tillichs intellektuellem Haushalt zu tun. Es geht auf seine frühesten akademischen Schriften zurück und bleibt bis zum Schluss so etwas wie die „eiserne Ration Tillichschen Denkens“²⁰. Ich will zuerst den spekulativen Kern dieses Kernelements umreißen und wenige exemplarische Konkretionen in Erinnerung bringen, um dann seiner Anwendung auf eine bestimmte Fragestellung nachzugehen, die bei Tillich in den späten zwanziger Jahren prominent wird: auf die Frage nach der Möglichkeit lebendiger Religion unter dem Diktat des protestantischen Prinzips, traktiert unter dem Titel der ‚protestantischen Gestaltung‘.

Wirkung, Darmstadt 2007, 152; vgl. C. Danz, Erkundung des Eigenen im Lichte des Fremden. Paul Tillichs Beitrag zur religionstheologischen Debatte der Gegenwart, in: Religionstheologie und interreligiöser Dialog, hg.v. dems., Wien 2010, 75 – 92, bes. 76 f. Dabei spielt sicher auch die frühe Troeltsch-Lektüre eine Rolle; vgl. GW V, 72: „Mein eigener Lehrer Ernst Troeltsch wirft in seiner berühmten Abhandlung über die ‚Absolutheit des Christentums‘ betont die Frage nach der Stellung des Christentums innerhalb der Weltreligion auf.“ Von Troeltsch her hatte Tillich im Übrigen natürlich das geschichtliche und insbesondere das religionsgeschichtliche Bewusstsein als eine mächtige Triebkraft der ‚Profanisierung‘ resp. Säkularisierung im Blick; „im Problem des Historismus“ aber ist, „wie man unschwer schon an Troeltschs Absolutheitsschrift erkennen kann, das Problem des religiösen Pluralismus enthalten“ (Danz, Erkundung, 77). Das religionsgeschichtliche Pluralitätsbewusstsein dürfte Tillich also als ein Moment der modernen Säkularisierungstendenzen und als eine Ursache des allgemeinen religiösen Zweifels schon früh mitbedacht haben.  Besonders sprechend ist diesbezüglich der Titel der Matchette Lectures, die Tillich im April 1958 an der Wesleyan University in Middletown gehalten hat: P. Tillich, The Protestant Principle and the Encounter of World Religions (1958), in: ders., The Encounter of Religions and QuasiReligions, Lewiston 1990, 1– 56.  Vgl. U. Barth, Protestantismusverständnis und Kulturtheorie. Kontinuität und Wandel im Werk Tillichs, in: ders., Kritischer Religionsdiskurs, Tübingen 2014, 408 – 430, hier: 414.

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2.1 Das spekulative Grundgerüst Die Ausgangsbasis der Formulierung des protestantischen Prinzips ist der Luther’sche Rechtfertigungsgedanke, den Tillich bereits in seiner Examensarbeit, vermutlich durch Anregung Kierkegaards, der formalen Struktur nach als „Paradoxie“ (EW IX, 151) fasst.²¹ Der Glaubende begreift sich als simul iustus et peccator, d. h. er sieht sich in einem paradoxen ‚Zugleich‘ als Sünder unter dem ‚absoluten Nein‘ und als Begnadeter unter dem ‚absoluten Ja‘ Gottes, wie Tillich im Entwurf einer Systematischen Theologie von 1913 formuliert.²² Hier wird dieses paradoxe Zugleich auch näher auf das Verhältnis seiner beiden Teilmomente hin reflektiert.²³ Das Ergebnis ist das „Modell einer Spannungseinheit“²⁴ von absoluter Negation und absoluter Affirmation, worin das Negationsmoment nicht nur einen Durchgangspunkt darstellt, sondern durchgängig in Kraft bleibt. Trotzdem herrscht in dieser Spannungseinheit kein „Patt“ zwischen den beiden Momenten, sondern es dominiert darin das Affirmationsmoment und somit das positive Verhältnis, die Einheit oder ‚Identität‘ zwischen Gott und Mensch. Am Ende siegt in der Rechtfertigungsbeziehung das Ja über das Nein – welches aber gleichwohl darin nicht untergeht. Im Zuge dieser strukturellen Durchklärung findet nun zugleich, das ist nicht weniger bedeutsam, eine spekulative Verallgemeinerung des Rechtfertigungsgedankens statt. Infolgedessen fungiert das beschriebene Paradox, eben unter der Bezeichnung ‚protestantisches Prinzip‘, als Strukturschema für die Fassung des religiösen Verhältnisses überhaupt, auch unabhängig vom Ausgangsproblem des Rechtfertigungsgedankens, der Frage nach der Sündenvergebung und dem Bestehen im göttlichen Gericht. Sonach herrscht im religiösen Verhältnis zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen generell das paradoxe Zugleich von absolutem Nein und absolutem Ja, worin das Nein festgehalten bleibt, aber zugleich vom Ja überwunden ist.

 Vgl. zum Folgenden neben der summarischen Darstellung bei Schüßler/Sturm, Paul Tillich, 128 – 150, vor allem Barth, Protestantismusverständnis; E. Sturm, Protestantismus und protestantisches Prinzip in der philosophischen Theologie Paul Tillichs, in: ThRv 102 (2006), 443 – 458; G. Wenz, Rechtfertigung und Zweifel. Tillichs Entwurf zur Begründung eines theologischen Prinzips von 1919 im halle-wittenbergischen Kontext, in: Religion – Kultur – Gesellschaft. Der frühe Tillich im Spiegel neuer Texte (1919 – 1920), hg.v. C. Danz/W. Schüßler, Wien 2008, 85 – 116; P. Haigis, Im Horizont der Zeit. Paul Tillichs Projekt einer Theologie der Kultur, Marburg 1998, 138 – 155.  Vgl. P. Tillich, Systematische Theologie von 1913, in: EW IX, 273 – 434, bes. 383; vgl. ders., Rechtfertigung und Zweifel, in: EW X, 185 – 230, bes. 241.  Vgl. EW IX, 314– 320, §§ 22– 24.  Barth, Protestantismusverständnis, 413.

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2.2 Anwendungsfelder Jenes „spekulative Konzentrat des Rechtfertigungsgedankens“²⁵ bestimmt künftig Tillichs Denken in verschiedenen Zusammenhängen. Es begründet zuvörderst seine Problematisierung der kirchlichen Rechtfertigungslehre, vorgetragen in den beiden Fassungen von Rechtfertigung und Zweifel (1919/1924).²⁶ Demnach hat der Rechtfertigungsgedanke infolge der Ausformulierung zur Rechtfertigungslehre seine existenzielle Plausibilität verloren, weil mit der lehrhaften Fixierung des göttlichen Ja über den Sünder das allgemeine Sündenbewusstsein untergraben wurde. Unter Missachtung des protestantischen Prinzips wurde das Negationsmoment in der Gottesbeziehung eben nicht festgehalten, sondern durch das lehrhaft fixierte Ja aufgehoben – und damit die Voraussetzung für die Rechtfertigungserfahrung des Durchbruchs der Gnade durch das Nein des Gesetzes. In der Folge ist der Protestantismus seiner Grunderfahrung verlustig gegangen und hat am Ende selbst wesentlich dazu beigetragen, dass der religiöse Zweifel allgemein geworden ist. Tillichs Schlussfolgerung: Soll das protestantische Christentum wieder lebendig werden, muss ihm wieder ein zeitgemäßer Zugang zur Sündenerfahrung gebahnt werden, bzw. zu einem Äquivalent derselben. An dieser Stelle setzt Tillichs sinntheoretischer Religionsbegriff an. Er identifiziert ein Analogon zum Sündenbewusstsein in der nihilistischen Erfahrung des Zweifels am Sinn des geistig-kulturellen Lebens, die in einen Sinnglauben umschlagen kann. Das ist die Kernidee der Tillich’schen Kulturtheologie. Daneben entwickelt Tillich ab Mitte der zwanziger Jahre eine theologische Anthropologie, die in einer Neufassung des Sündengedankens gipfelt. Der kulturtheologischen tritt eine existenzphilosophische Reformulierung des Gehalts der Rechtfertigungserfahrung zur Seite.²⁷ Worauf es hier jedoch ankommt, ist ein weiterer Anwendungskontext, der nunmehr die Form des religiösen Bewusstseins betrifft. Auch hiermit greift Tillich, erstmals ausführlich im Manuskript Rechtfertigung und Zweifel von 1919, ein Moment der protestantischen Rechtfertigungslehre auf, nämlich ihre Kritik am römischen Heilsobjektivismus. Sola gratia und sola fide weiß sich der Glaubende gerechtfertigt vor Gott, das heißt: ohne Bindung an kirchlich fixierte Heilsvermittlungsleistungen. Dieser Aspekt wird von Tillich nun ebenfalls in generalisierender Wendung aufgenommen, nämlich als Kritik an jeder unmittelbaren Bindung des religiösen Verhältnisses an bestimmte religiöse ‚Formen‘, also be A.a.O., 414.  Vgl. EW X, 185 – 230, sowie MW VI, 83 – 97.  Siehe dazu M. Fritz, Menschsein als Frage. Paul Tillichs Weg zur anthropologischen Fundierung der Theologie, Habil. Neuendettelsau 2017.

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stimmte Vollzüge oder Vorstellungsgehalte. Im Tillich’schen Nein-Ja-Schema ausgedrückt: Die im religiösen Akt erfahrene Einheit mit dem Göttlichen – das ist das Ja zu den konkreten Gehalten des religiösen Bewusstseins – stellt sich nur vermittels eines Nein über diese Gehalte her. Denn gemessen am Unbedingten, auf das sich der religiöse Akt eigentlich richtet, erweist sich jede konkrete Bewusstseinsform in ihrer Bestimmtheit als inadäquat. Seiner internen Logik nach muss der Glaubensakt seine konkrete „Gegenständlichkeit“ (EW X, 205) hinter sich lassen, sobald er seinen letzten, eigentlichen Gehalt, das „letztgemeinte“ (MW IV, 214. 222) Unbedingte erreicht. Kurz: Das Unbedingte wird „gemeint durch bedingte Vorstellungen hindurch“ (EW X, 225; Hervorhebung durch d. Verf.).²⁸ Diese Strukturbeschreibung der Form des religiösen Bewusstseins birgt, sobald man sich noch einmal das Modell der Spannungseinheit von Nein und Ja vergegenwärtigt, weitreichende Konsequenzen. Im Glaubensakt wird das Bewusstsein der Relativität und mithin der Unangemessenheit und Nichtigkeit der Glaubensgehalte, wie etwa der Vorstellung ‚Gott‘, zwar überwunden, sobald sich vermittels dieser Vorstellung die Einheit mit dem Unbedingten einstellt. Dies kann aber gewissermaßen nur punktuell geschehen, nicht generell und endgültig. Das Nein bringt sich als Antithese zum Ja immer wieder zur Geltung; das macht die Lebendigkeit des religiösen Lebens aus. Mag das Wissen um die Relativität der Gehalte im Glaubensakt selbst keine Rolle spielen – in der „nachträglichen Reflektion“ (EW X, 227)²⁹ des Glaubensgehaltes tritt dieses Wissen wieder hervor. In dieser unausbleiblichen Negation der konkreten religiösen Gegenständlichkeit konvergiert die Religion unter dem protestantischen Prinzip – und das ist nach Tillich nicht etwa identisch mit dem empirischen Protestantismus, sondern gleichbedeutend mit der Religion, die ihrem Wesen entspricht – mit dem rationalen Zweifel des modernen Geisteslebens. Die Spannungseinheit von Nein und Ja, welche die Religion unter dem protestantischen Prinzip kennzeichnet, impliziert also, dass sich diese wesenhafte Religion in der „Lebensspannung“ (EW X, 191. 196) von Glaube und Zweifel bewegt. Mag sich anhand bestimmter religiöser Gehalte die aktuelle Glaubenseinheit „in jedem Augenblick mit dem Machtspruch des Absoluten“ (EW X, 191) einstellen, so wird „im Augenblick des Zweifels“ (EW X, 228) das Nein des Un-

 Vgl. die ausdrückliche symboltheoretische Fassung dieser Struktur in: MW IV, 144: „Glaube ist Richtung auf das Unbedingte durch Symbole aus dem Bedingten hindurch.“  Zieht man zu dieser Bemerkung korrespondierende Äußerungen aus Tillichs Systematischer Theologie von 1913 (vgl. EW IX, 273 – 434, §§ 16 f. 22) hinzu, vollzieht sich das religiöse Leben in der unauflöslichen Spannung von Intuition und Reflexion. Siehe zu jenen frühen Ausführungen L. C. Heinemann, Sinn – Geist – Symbol. Eine systematisch-genetische Rekonstruktion der frühen Symboltheorie Paul Tillichs, Berlin/Boston 2017, 126 – 136.

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bedingten über selbige Gehalte wieder vernehmbar. Von der Logik des Glaubensaktes her betrachtet wird das Nein zwar durch das Ja überwunden. Die Realität des religiösen Lebens hingegen ist ein Oszillieren von Ja und Nein, und damit wesentlich ein Harren auf die je und je neuerliche Überwindung des Nein durch das Ja in der okkasionellen, kraft „unbedingter Gnade“³⁰ sich vollziehenden Selbstvergegenwärtigung des Unbedingten. Damit hat sich der Glaube unter dem „religiösen Paradox“ (EW X, 195 f.) tatsächlich als ein recht „verwundbarer Glaube“³¹ erwiesen, um mit Berger zu sprechen, als eine äußerst fragile Haltung. Er steht daher, wie Tillich nicht müde wird zu betonen, unter der dauernden Versuchung, sich künstlich zu stabilisieren. Davon zeugen die mannigfachen Versuche in der Religionsgeschichte, das beschriebene Nichtigkeitsbewusstsein durch Absolutsetzung bestimmter religiöser Formen endgültig zu überwinden, das Schwanken zwischen Glauben und Zweifel durch „autoritative Bindung“ (EW X, 228) des religiösen Verhältnisses an bestimmte Gehalte stillzustellen. Das ist ein Schlüsselmoment dessen, was Tillich ab 1922 ‚Götzendienst‘ bzw. ‚Dämonisierung‘ nennt, und sein Paradebeispiel dafür ist naheliegenderweise der Katholizismus.³² Demgegenüber schärft das protestantische Prinzip ein: „Jede Absolutheitserklärung einer konkreten religiösen Erscheinung […] tastet an die Majestät des Unbedingten.“ (EW X, 226)³³

2.3 Das protestantische Prinzip als Grundformel für die religiöse Mittelposition Man wird aufgrund dieser Skizze resümieren können, dass Berger Tillichs protestantisches Prinzip mit gutem sachlichem Recht auf das Problem der Pluralismusfähigkeit von Religion bezogen hat. Dies gilt jedenfalls, sofern man ein Moment interner Selbstrelativierung für eine gute Voraussetzung dafür hält, mit den pluralisierungstypischen externen Relativierungseffekten umgehen zu können,

 Vgl. EW X, 218: „die Unbedingtheit seiner Gnade“.  Berger, Dialog, 53.  Vgl. z. B. P. Tillich, Das Christentum und die moderne Gesellschaft (1928), in: GW X, 100 – 107, bes. 107; ders., Our Protestant Principles (1942), in: MW VI, 248 – 254, bes. 249.  Der gleichsam archetypische Repräsentant dieser religiösen Grundeinsicht ist unter den Reformatoren für Tillich nicht Luther, sondern Calvin; aber nicht Calvin, sondern Luther hat die daraus resultierende Einsicht in die notwendig paradoxe Struktur des religiösen Verhältnisses auf den Begriff gebracht; vgl. P. Tillich, Geistesgeschichte der protestantischen Theologie (1926), in: EW XX, 37– 192, 115 – 125; ders., The Recovery of the Prophetic Tradition in the Reformation (1950), in: MW VI, 319 – 361, 322– 324.

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ohne in Richtung ‚Fundamentalismus‘ oder ‚Relativismus‘ abzudriften. Insofern es das notwendige Negationsmoment innerhalb des religiösen Verhältnisses festhält, gerade was die konkreten religiösen Formen angeht, kann das protestantische Prinzip regelrecht als Grundformel für eine religiöse ‚Mittelposition‘ gelten, die im Bewusstsein der bleibenden Transzendenz des Göttlichen auf die Fixierung absoluter Gewissheit verzichtet und den Zweifel als unhintergehbares Teilmoment des religiösen Lebens integriert. Der religionsphilosophische Kern besagter Formel ist der intentionalitätstheoretisch angelegte Begriff von Religion als ‚Richtung des Geistes auf das Unbedingteʻ³⁴ und der daran anknüpfende Gedanke der Inkommensurabilität zwischen unbedingtem ‚Gehalt‘ und bedingter ‚Form‘ der Religion. Bereits Hegel hatte diesem Gedanken eine religionsphilosophische und insbesondere eine religionsgeschichtliche Schlüsselrolle zuerkannt. Bei ihm firmiert der alttestamentliche Monotheismus als „Religion der Erhabenheit“³⁵, weil dort zum ersten Mal die prinzipielle Transzendenz des Göttlichen begriffen und die Inadäquatheit aller seiner Darstellungen ausgesprochen wird.³⁶ So ist es denn auch bei Tillich das Judentum, insbesondere die altisraelitische Prophetie, wo das protestantische Prinzip erstmalig realisiert wird, um dann wieder bei Jesus und im Urchristentum sowie, nach der zwischenzeitlichen Katholisierung des Christentums, erneut in der Reformation zu seinem Recht zu kommen.³⁷ Unabhängig von dieser speziellen Realisierungs- und Verfehlungshistorie, also auch unter Absehung vom historischen Protestantismus, handelt es sich beim Ausweis des ‚protestantischen‘ Prinzips für Tillich um eine allgemeine Aussage über das Wesen der Religion schlechthin.³⁸ Dabei muss man anmer Vgl. MW IV, 134: „Religion ist Richtung auf das Unbedingte“; a.a.O.,141: „Religion ist Richtung des Geistes auf den unbedingten Sinn“. Siehe zu den Bezügen von Tillichs früher Religionstheorie zur Husserl’schen Intentionalitätstheorie U. Barth, Religion und Sinn. Betrachtungen zum frühen Tillich, in: ders., Kritischer Religionsdiskurs, Tübingen 2014, 444– 447; U. Barth, Die sinntheoretischen Grundlagen des Religionsbegriffs. Problemgeschichtliche Hintergründe zum frühen Tillich, in: ders., Religion in der Moderne, Tübingen 2003, 89 – 123, bes. 97– 104; vgl. Heinemann, Sinn – Geist – Symbol, 335 – 367. 390 – 409. 470 – 479.  G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1995, Bd. 2, 50.  Vgl. M. Fritz, Vom Erhabenen. Der Traktat ‚Peri Hypsous‘ und seine ästhetisch-religiöse Renaissance im 18. Jahrhundert, Tübingen 2011, 529 – 543 (dort auch Näheres zu den Theoriebezügen zwischen Hegel, Kant und Tillich); ferner F. Barniske, Hegels Theorie des Erhabenen, Diss. Neuendettelsau 2017.  Vgl. MW IV, 152, sowie Tillich, Encounter of World Religions, 16 f.  Um diese allgemeine religionstheoretische, transkonfessionelle Bedeutung von ‚protestantisch‘ anzuzeigen, wird der Terminus in diesem Beitrag mitunter mit einfachen Anführungszeichen angeführt.

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kungsweise hinzufügen, dass das Christentum seiner Ansicht nach aufgrund seines Zentralsymbols des Kreuzes für die Verwirklichung dieses Wesens prädestiniert ist. Wenn irgendwo, dann erblickt Tillich im kreuzestheologischen Abweis falscher Absolutheit die Absolutheit des Christentums.³⁹ Wiederum unabhängig von jener wesenstheoretischen Bedeutung hat das protestantische Prinzip indessen, wie angedeutet, auch eine modernitätstheoretische Pointe. Mit der Wiederentdeckung der absoluten Souveränität Gottes im Protestantismus und der neuzeitlichen Konvergenz von religiöser und autonomer Kritik an falschen Absolutheitsprätentionen ist für Tillich ein objektiver Stand des Bewusstseins erreicht, der das Insistieren auf der absoluten Geltung der je eigenen Religionsgestalt eigentlich unmöglich – oder nur als Pathologie möglich – erscheinen lässt.⁴⁰ Erst recht gilt dieses Urteil angesichts der massiven religiösen Pluralisierung moderner Gesellschaften in der globalisierten Welt.⁴¹ Die aufdringliche Präsenz anderer Religionen und ihrer Geltungsansprüche führt eine unmittelbare Absolutheitsbehauptung unmittelbar ad absurdum.

3 Tillichs Konkretisierung des protestantischen Prinzips 3.1 Die Frage nach Bedingungen protestantischer Gestaltung Tillich hat das Konzept des protestantischen Prinzips Ende der zwanziger Jahre fortgeschrieben. Aber die Weiterentwicklung liegt nicht auf prinzipieller Ebene, denn hinsichtlich seiner paradoxen Strukturidee von Religion ist sich Tillich durchgängig treu geblieben. Für die Spannungseinheit von Nein und Ja im religiösen Verhältnis hat er freilich immer wieder neue griffige Wendungen gefunden, die auch als Leitformeln für die Berger’sche ‚Mittelposition‘ gelesen werden

 Vgl. z. B. EW IX, 322; EW X, 226; sowie MW VI, 251: „The Christian massage is absolute because it implies the prophetic negation of every Christian and religious reality, because it contains the message of the ‚end of religion‘“. Vgl. auch ST I, 159: „Die erste und wichtigste Antwort, die die Theologie auf die Frage nach der Letztgültigkeit der Offenbarung in Jesus als dem Christus geben muß, ist die folgende: Eine Offenbarung ist letztgültig und normgebend, wenn sie die Macht hat, sich selbst zu verneinen, ohne sich selbst zu verlieren.“  Vgl. GW X, 107: Der „Katholizismus repräsentiert eine Gestalt der Gnade, die durch den Protestantismus mit nicht zurücknehmbarer historischer Macht in die Vergangenheit gedrängt ist.“  Vgl. Tillich, Encounter of World Religions, 46: „[…] and one thing is clear, isolation is not possible any longer – not only in political respects but also in religious respects. There is one world and the question is, what to do with it?“

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können: Wahre Religion ist „Einheit von Gestalt und Protest“⁴² gegen die eigene Gestalt. Sie vollzieht sich in ‚gebrochener Selbstaffirmationʻ⁴³, insofern sie ein Moment der ‚Selbstnegationʻ⁴⁴ oder ‚Selbstkritikʻ⁴⁵ in sich trägt. Sie ist folglich durch die „Dialektik“ (MW III, 215)⁴⁶ gekennzeichnet, dass „sie die Macht hat, sich selbst zu verneinen, ohne sich selbst zu verlieren“ (ST I, 159).⁴⁷ Insofern sich die betreffende Selbstkritik auch auf die Gottesvorstellung als seinen zentralen Inhalt richtet, ist dem religiösen Akt ein Moment von ‚Atheismus‘ immanent.⁴⁸ Die verabsolutierungskritische Pointe des protestantischen Prinzips taucht des weiteren als Protest gegen jegliche Prätentionen eines „Besitzes“⁴⁹ oder einer manifesten „Greifbarkeit“⁵⁰ der Gegenwart des Göttlichen auf, über die „man verfügen könne“⁵¹. Im Bewusstsein der dauernden Versuchung zu solcherlei „Ideologisierung“ (MW III, 227)⁵² der eigenen Formen trägt die wesenhafte Religion in sich „den konstanten Ideologieverdacht gegen sich selbst“ (MW III, 228). Soweit nichts prinzipiell Neues. Eine Weiterentwicklung findet gleichwohl statt, nämlich in Form gewisser Konkretisierungen des protestantischen Prinzips, insbesondere Ende der zwanziger Jahre. Im Hintergrund steht dabei eine merkliche Akzentverschiebung in der Problemstellung. Leitend ist jetzt die Frage, wie die Religion unter dem protestantischen Prinzip der Gefahr entgehen kann, die der inkriminierten ‚Dämonisierung‘ entgegenläuft, nämlich der ‚Profanisierung‘.

 Vgl. P. Tillich, Protestantische Gestaltung (1929), in: ders., Religiöse Verwirklichung, Berlin 1930, 43 – 64. 276 – 279, hier: 43.  Vgl. MW VI, 248 f., wo der „broken ‚dialectical‘ character“ (248) ‚protestantischer‘ Religion mit der „unbroken religious self-affirmation“ (249) der katholischen Kirche kontrastiert wird.  Vgl. MW VI, 251: „self-negation of religion“.  Vgl. MW VI, 250: „self-criticism“.  Vgl. P. Tillich, Religiöser Sozialismus (1931), in: MW III, 205 – 218, hier: 215: „Dialektik des religiösen Prinzips“; vgl. auch MW VI, 248: „A religion which is conscious of its broken ‚dialectical‘ character (to use this abused word) […].“  An dieser Stelle spricht Tillich allerdings nicht von einer ‚Dialektik‘, sondern gebraucht den ursprünglicheren Begriff des „Paradox“ (ST I, 159).  Vgl. MW IV, 145. 222.  Tillich, Protestantische Gestaltung, 47; vgl. MW VI, 127– 149: Rechter Glaube ist demzufolge „ein Teilhaben an der Gestalt der Gnade, das nie den Charakter des Besitzes annehmen kann“ (139), und muss sich ständig der Versuchung erwehren, einen „Besitzanspruch auf Wahrheit“ (142) zu erheben; vgl. MW VI, 249: „the absolute claim to possess the Divine“.  Tillich, Protestantische Gestaltung, 50; vgl. MW VI, 137: „Die Gnade wird fixiert, greifbar“; a.a.O.,145: „Die Gestalt der Gnade aus dem Geist des Protestantismus ist keine gegenständlich fixierbare Gestalt.“  Tillich, Protestantische Gestaltung, 47.  Vgl. P. Tillich, Protestantisches Prinzip und proletarische Situation (1931), in: MW III, 219 – 248, hier: 227: „die anti-ideologische Kraft des protestantischen Prinzips“.

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Wie ist es möglich, dass die religionskritische Kraft des protestantischen Prinzips das religiöse Verhältnis selbst nicht erstickt, weil vor lauter Nein gar kein Ja mehr laut werden kann? Dabei handelt es sich wohlgemerkt nicht um eine Frage von bloß spekulativem Interesse, sondern um eine drängende Gegenwartsfrage. Denn nach Tillichs Diagnose droht der Protestantismus aufgrund seiner Tendenz zur Hypertrophie des Nein zwischen Dämonie und Profanie „zerrieben“⁵³ zu werden. Jene Frage nach der Potenz des Ja trotz festgehaltenem Nein firmiert bei Tillich als Frage nach der Möglichkeit ‚protestantischer Gestalt‘ bzw. ‚Gestaltung‘.⁵⁴ Sie wird auf genereller Ebene traktiert in den Texten Protestantische Gestaltung und Der Protestantismus als kritisches und gestaltendes Prinzip von 1929. Sie wird aber zuvor schon in zwei Konkretisierungsgestalten ausbuchstabiert, nämlich als Symbol- und als Sakramentstheorie, in den 1928 entstandenen Aufsätzen Das religiöse Symbol und Natur und Sakrament. ⁵⁵ (Ich werde im Folgenden die Sakramentstheorie beiseitelassen; sie ist ein – reichlich vertracktes – Thema für sich.)

3.2 Anschaulichkeit und Ungegenständlichkeit der Gestalt Die Leitfrage nach der Möglichkeit der ‚gebrochenen‘ Affirmation der religiösen Formen – anders formuliert: nach dem Zustandekommen der religiösen Vermittlung des Unbedingten trotz des vollen Bewusstseins der Bedingtheit ihrer Medien – wird in den genannten Texten überführt in die Frage nach der Charakteristik einer protestantischen ‚Gestalt‘, ein Begriff, der Tillich über die zeitgenössische ‚Gestaltpsychologie‘ vermittelt wurde.⁵⁶ Vor dem Hintergrund der intentionalitätstheoretischen Fassung des religiösen Aktes – er richtet sich durch eine konkrete ‚Form‘, ein konkretes Medium hindurch auf den darin eigentlich gemeinten ‚Gehalt‘, das Unbedingte – versucht Tillich die aus der entsprechenden Struktur resultierenden Kennzeichen des religiösen Mediums anhand des Ge Tillich, Protestantische Gestaltung, 64.  Tillich hat hier keine klare terminologische Scheidung vorgenommen. ‚Gestalt‘ steht tendenziell für das religiöse Medium und seine Charakteristik, ‚Gestaltung‘ für die Schaffung von oder den Umgang mit den religiösen Medien.  Vgl. P. Tillich, Natur und Sakrament (1930), in: MW VI, 151– 188.  Siehe dazu H. Jahr, Theologie als Gestaltmetaphysik. Die Vermittlung von Gott und Welt im Frühwerk Paul Tillichs, Berlin/New York 1989, bes. 11– 16; Haigis, Im Horizont der Zeit, 141– 149; G. Neugebauer, Tillichs frühe Christologie. Eine Untersuchung zu Offenbarung und Geschichte bei Tillich vor dem Hintergrund seiner Schellingrezeption, Berlin 2007, 310 f.; K. Bruns, Anthropologie zwischen Theologie und Naturwissenschaft bei Paul Tillich und Kurt Goldstein. Historische Grundlagen und systematische Perspektiven, Göttingen 2011, 86 – 89.

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staltbegriffs zu beschreiben. Dessen grundlegende Funktion besteht darin, die Synthese von ‚Sein‘ und ‚Denken‘, von seinshafter Konkretheit und sinnhafter Allgemeinheit, von bestimmter ‚Form‘ und allgemeinem ‚Gehalt‘ zu bezeichnen.⁵⁷ Bezogen auf das religiöse Verhältnis zielt er mithin auf die Synthese von konkreter Gegenständlichkeit oder Vorstellungshaftigkeit (endlich-sinnliche Form) des religiösen Mediums und dem sich darin darstellenden Ungegenständlichen (unbedingter Gehalt). Im Horizont des ‚protestantischen‘ Wissens um die unüberbrückbare Diskrepanz zwischen der bedingten Form und dem unbedingten Gehalt des religiösen Bewusstseins stellt sich nun die Frage nach der ‚paradoxen‘, dem besagten Wissen widersprechenden Möglichkeit der Überbrückung, ohne die religiöses Bewusstsein nicht denkbar ist. „Es soll gefragt werden, wie eine Gestaltung beschaffen sein muß, die unlöslich mit einem Protest gegen sich selbst verbunden ist“.⁵⁸ Denn: Gestaltung und Protest gegen Gestaltung: das scheint unvereinbar. Aber dieses Unvereinbare ist in der Wirklichkeit vereint: In der Wirklichkeit des Protestantismus, in dem Leben seiner Kirchen und Gruppen, in dem Leben jedes protestantischen Menschen. Es muß also möglich sein, daß dieses Widersprechende eine Einheit bildet; aber es kann auch nicht verwunderlich sein, wenn diese Einheit gespannt, beunruhigt, ständig in ihrer Existenz bedroht ist.⁵⁹

Die Möglichkeit und Wirklichkeit der „gespannten Einheit“⁶⁰, die das Leben ‚protestantischer‘ Religion ausmacht, soll anhand der Figur der ‚protestantischen Gestalt(ung)‘ näher gefasst werden. Entscheidend ist ein Grundmerkmal, das Tillich der religiösen Form mit der Verwendung des Gestaltbegriffs einschreibt: Ihr muss in irgendeiner Weise „Anschaulichkeit“ (MW IV 213; MW VI, 139)⁶¹ zukommen, will sie ihre religiöse Vermittlungsfunktion erfüllen (wobei neben der unmittelbar sinnlichen auch imaginative Anschaulichkeit infrage kommt)⁶². Die religiösen Formen müssen eine „Veranschaulichung“ des Unbedingten leisten, das selbst „die Sphäre der Anschauung unbedingt übersteigt“ (MW IV, 214). Denn der lebendige religiöse Akt

 Vgl. P. Tillich, Das System der Wissenschaften nach Gegenständen und Methoden (1923), in: MW I, 113 – 263, bes. 135.  Tillich, Protestantische Gestaltung, 43.  Ebd.  Ebd.  Vgl. a.a.O., 51.  Vgl. MW IV, 213; sowie Tillich, Protestantische Gestaltung, 51: „transzendentes Bedeuten einer sinnlichen oder fantasiemäßigen Anschauung“; s. näher zu Tillichs Terminus der ‚Anschaulichkeit‘: Heinemann, Sinn – Geist – Symbol, 461– 466.

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lebt von der „Anschauung des Unbedingt-Transzendenten“ (MW IV, 223). Dieses Postulat beinhaltet eine Kritik am Intellektualismus des auf die Wort-Verkündigung fixierten Protestantismus. Fehlt den Formen einer Religion lebendige Anschaulichkeit, geht ihr auf die Dauer die Erfahrungsdimension, das „Unbedingtheitserlebnis“⁶³ verloren (wie Tillich einst zu sagen pflegte), und sie wird unter dem Nein des kritischen Bewusstseins verkümmern. Infolge dieser Einsicht hat die protestantische Kirche nach Tillichs Dafürhalten von der typischen „Hypertrophie der Predigt“⁶⁴ Abstand zu nehmen, um stattdessen einen neuen Sinn für den Kultus zu entwickeln.⁶⁵ Die Anschaulichkeit der Formen ist also eine wesentliche Bedingung für die Kraft des Ja im religiösen Verhältnis. Dennoch darf natürlich das Nein nicht gänzlich verstummen. Darum muss der religiösen Gestalt zugleich „Ungegenständlichkeit“ (MW VI, 139) eignen. Ist seine „Vergegenständlichung“ (MW IV, 222; MW VI, 139)⁶⁶ Signum eines idolatrischen „Sakramentalismus“⁶⁷, so die „Entgegenständlichung des Heiligen“ (MW VI, 148)⁶⁸ Kennzeichen ‚protestantischer Gestaltung‘. Da aber Unanschaulichkeit über kurz oder lang zu Erfahrungsleere führt, müssen ‚Ungegenständlichkeit‘ und ‚Anschaulichkeit‘ irgendwie zusammenbestehen.⁶⁹ Unverkennbar liegt hier wieder die „urtillichsche“ Paradoxstruktur des Zugleich von Ja und Nein vor, nunmehr hineingespiegelt in die Gestaltcharakteristik. Aber eine Zusatzbestimmung ist nun deutlich formuliert, nämlich das antiintellektualistische Postulat einer notwendigen Anschaulichkeits- resp. Erfahrbarkeitsqualität der religiösen Formen als „Gegenkraft“ (MW VI, 143)⁷⁰ gegen die Macht der Kritik. Wie das Zugleich von anschaulicher Vermittlung und kritischem Bewusstsein näher zu denken ist, lässt sich der Symboltheorie entnehmen, gewissermaßen das bewusstseins- und intentionalitätstheoretische Gegenstück zur quasi ‚ontologisch‘ gefassten Gestalttheorie.⁷¹ Als Symbole sind die religiösen ‚Gestalten‘ „Vertretungen“ (MW IV, 221) des Unbedingten.Was dieses Repräsentanzverhältnis

 Vgl. z. B. EW X, 219; MW II, 79; EW XII, 436. Hervorhebung durch d. Verf.  Tillich, Protestantische Gestaltung, 61.  Vgl. a.a.O., 60.  Hervorhebungen durch d. Verf.  Tillich, Protestantische Gestaltung, 50.  Hervorhebungen durch d. Verf.  Vgl. MW VI, 139.  Vgl. MW VI, 143: Als „Gegenkraft“ gegen das Nein bedarf es „einer heiligen Gestalt anschaulicher, wenn auch nicht gegenständlicher Art“.  Aus der umfangreichen Literatur zu Tillichs Symboltheorie sei hier neben dem Sammelband Das Symbol als Sprache der Religion, hg.v. C. Danz/W. Schüßler/E. Sturm, Wien 2007, vor allem die magistrale Arbeit von Heinemann, Sinn – Geist – Symbol, genannt.

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für das religiöse Bewusstsein bedeutet, beschreibt Tillich am fundamentalen Gottesbewusstsein: Es hat einerseits einen „anschaulichen Inhalt“, die „Vorstellung eines höchsten Wesens“; aber zugleich beinhaltet es das „Bewußtsein, daß diese Vorstellung uneigentlich ist, daß sie überstiegen werden muß“, in Richtung auf das eigentlich, das „letztgemeinte“ unanschauliche Unbedingte (MW IV, 222). Es entsteht somit im religiösen Bewusstsein, sofern es nicht der idolatrischen Vergegenständlichung verfällt, ein „Widerspruch“ (ebd.), eine Spannung zwischen Anschaulichkeit und Ungegenständlichkeit, zwischen „uneigentlich“ und „eigentlich Gemeintem“ (ebd.). Das wahrhafte religiöse Bewusstsein „hat die Eigentümlichkeit, seinen eigenen Vorstellungsinhalt zu transzendieren“, und so vollzieht es sich, wie Tillich in einer großartigen Formel festhält, in einem „Schweben zwischen Setzung und Aufhebung“ seines Vorstellungsinhaltes (ebd.). In diesem „Schweben“ zwischen anschaulichem und unanschaulichem Gehalt baut sich der „numinose Charakter“ (ebd.) des religiösen Symbols, der religiösen Gestalt auf und, so darf man ergänzen, das subjektive religiöse Erleben der ‚numinosenʻ Gegenwart des transzendenten Unbedingten in und an dieser Gestalt. Das nämliche „Schweben“ verleiht dem kritischen religiösen Bewusstsein, das um den „Symbolcharakter“ (MW IV, 225), d. h. um die „Uneigentlichkeit“ (MW IV, 213) seiner anschaulichen Gehalte weiß, nun allerdings auch eine signifikante Instabilität und Flüchtigkeit.⁷² Im Vergleich zum handfesten Sakramentalismus vormoderner Art, der von der Annahme unmittelbarer Gegenwart des Göttlichen im Sakrament lebt, bedeutet das Uneigentlichkeitsbewusstsein des protestantischen Prinzips zwar einen Zugewinn an geistiger Authentizität⁷³; es bedeutet aber eben auch eine „Entmächtigung“ und „Entwirklichung“ der religiösen Vergegenwärtigung (MW IV, 225). Deshalb „wehrt sich“ (ebd.) das religiöse Bewusstsein

 L. C. Heinemann spricht im Blick auf die von Tillich beschriebene ‚protestantische‘ Religion und das ihr eingeschriebene „Perennieren von Gestaltung und Kritik“ von einer „‚Verflüssigung‘ jedweder Positivität und Positionalität“ (Heinemann, Sinn – Geist – Symbol, 563). Er würdigt dieses häufig kritisierte Implikat der Tillich’schen Protestantismuskonzeption zu Recht als hellsichtige Auffassung eines Charakteristikums spezifisch moderner Religiosität. Eine Pointe dieser Auffassung ist indessen auch – das ist von Tillichs Beschreibung des religiösen Lebens unter dem protestantischen Prinzip her vorsichtshalber ebenfalls herauszustreichen –, dass es trotz aller Verflüssigung darin gleichwohl zu wenn auch flüchtigen Momenten der Einheit mit dem Göttlichen kommen kann, wie auch immer das Zustandekommen solcher Momente näher zu denken ist. Anders gesagt: Ihre Verflüssigung bedeutet nicht, wie fortgesetzt insinuiert wird, das Ende der Religiosität.  Vgl. MW IV, 222, wonach das magisch-sakramentalistische Bewusstsein – jedenfalls unter neuzeitlichen Bedingungen – nur vermittels eines sacrificium intellectus und mithin um den Preis der „Selbstzerstörung des Geistes“ möglich ist.

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in hartnäckigem „Konservatismus“ (MW IV, 224) gegen dieses selbstkritische Wissen. So lässt es sich tendenziell aus der ‚Mittelposition‘ wegziehen, zurück zur Behauptung manifester Gegenwart – oder aber in Richtung einer profanen Haltung des Verzichts auf die Annahme möglicher Gottesgegenwart. Wie kann es dann aber zu einer halbwegs stabilen Positionierung auf der in sich instabilen religiösen Mittelposition kommen? So lautet die Schlüsselfrage, die sich aus Tillichs Strukturbeschreibung ergibt. Tillichs auf den ersten Blick etwas dürre Antwort verbirgt sich innerhalb der Symboltheorie im dritten Merkmal des Symbols neben ‚Anschaulichkeit‘ und ‚Uneigentlichkeit‘ (dem symboltheoretischen Äquivalent zur ‚Ungegenständlichkeit‘ innerhalb der Gestalttheorie), dem Merkmal der „Selbstmächtigkeit“ (MW IV, 213). Es steht für die schlichte Anerkennung des Umstandes, dass dem Subjekt anschauliche ‚Gestalten‘ begegnen können, die imstande sind, in religiösen Akten als „Vertretungen des Unbedingten“ (MW IV, 222) aufgefasst zu werden und im Bewusstsein entsprechend „numinose“ (ebd.) Wirkungen zu erzielen – ohne dass diese „Mächtigkeit“ vom Subjekt bzw. einer Gruppe willkürlich hergestellt werden könnte. Dass solcherlei Symbolmächtigkeit nicht bloß individuell, sondern immer „sozial eingebettet und getragen ist“, hält schließlich das vierte Merkmal der „Anerkanntheit“ fest (MW IV, 214). Um das Faktum des okkasionellen, unverfügbaren Auftretens entsprechender Medien zum Ausdruck zu bringen, nennt Tillich sie im gestalttheoretischen Kontext „Gestalten der Gnade“.⁷⁴ Zur „inneren Mächtigkeit“ (MW IV, 213) der religiösen Symbole resp. ‚Gestalten der Gnade‘ – Tillich spricht dezidiert von einer „sakralen Mächtigkeit“ (MW IV, 224) –, gehört es nach Maßgabe des protestantischen Prinzips, dass in der ihnen innewohnenden (oder mit ihnen verbundenen) Spannung von Nein und Ja immerhin zeitweilig das Ja Dominanz über das Nein gewinnt, so dass das unentschiedene ‚Schweben zwischen Setzung und Aufhebung‘ des religiösen Bewusstseinsgehaltes unterbrochen wird zugunsten einer erlebten Einheit mit dem darin eigentlich Gemeinten. Mag in solch „gnadenhaften Augenblicken“ der Einheit womöglich auch das einschlägige Uneigentlichkeitsbewusstsein noch „mitschwingen“,⁷⁵ wird darin doch eine numinose Gegenwart des letztgemeinten Unbedingten erfahren. So kann es immerhin zu einer „zeitweiligen Beruhigung“⁷⁶ im spannungsvollen religiösen Verhältnis, zu einem zeitweiligen Erleben der Einheit kommen. Von einer „grundsätzlichen Beruhigung“⁷⁷ durch eine auf Dauer

   

Vgl. MW VI, 137– 149, sowie Tillich, Protestantische Gestaltung, 46 – 51. MW IV, 222. Tillich, Protestantische Gestaltung, 54. Ebd. Hervorhebung durch d. Verf.

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gestellte, zum Besitz gewordene Gegenwart des Göttlichen kann unter ‚protestantischen‘ Bedingungen hingegen keine Rede sein. Früher oder später wird erneut das Nein, die „Fragwürdigkeit“⁷⁸ der religiösen Vergegenwärtigung und ihrer Formen ins Bewusstsein treten, um es bis zum nächsten Machterweis unbedingter Gnade zum Schwanken zwischen Glauben und Zweifel zu verdammen.

3.3 Der Ausweis protestantischer Grundhaltungen Neben der skizzierten Charakteristik der spezifischen Medialität ‚protestantischer‘ Religion hat Tillich 1928/29 auch eine Beschreibung von religiösen bzw. theologischen Grundhaltungen gegeben, die dem darin herrschenden Zugleich von Nein und Ja entsprechen. Die Theorie der protestantisch-religiösen Gestalten wird ergänzt durch Prinzipien protestantischer Gestaltung im Sinne eines spezifisch ‚protestantischen‘ Umgangs mit den religiösen Medien. Zwei dieser Prinzipien will ich kurz benennen. Das protestantische Prinzip ist ein Prinzip spannungsreichen religiösen Lebens, das die dauerhafte Auflösung der Spannung ausschließt. Es impliziert daher „die grundsätzlich uneingeschränkte Beweglichkeit der protestantischen Gestalt der Gnade“.⁷⁹ Daraus folgt für die protestantische Gestaltung der Grundsatz der ‚Gegenwärtigkeit‘: Sie ist „eine Gestaltung, in der die ausdrücklich religiösen Formen bezogen sind auf eine sie umgestaltende Gegenwart“.⁸⁰ Damit ist jede traditionalistische Fixierung auf die gegebenen religiösen Formen ausgeschlossen. Immer wieder ist neu zu fragen, welchen Formen in der Gegenwart tatsächlich Symbolmacht eignet. Denn Gestalten der Gnade werden geboren, sie können aber auch sterben⁸¹ – religio semper reformanda. Ist aber die Fixierung von Repräsentanzmächtigkeit unmöglich, dann kann es auch keine fixe „Abgrenzung“ (MW VI, 145) eines religiösen Sondergebietes geben. Die Grenzen zwischen ‚heilig‘ und ‚profan‘ werden durchlässig, so dass auch in der Sphäre des scheinbar bloß Weltlichen mit der Wirkung der Gnade, mit der Vergegenwärtigung des Unbedingten zu rechnen ist – „nicht ausdrücklich, nicht in besonderen Formen, sondern verhüllt, aber doch durchscheinend“.⁸² Desungeachtet konstituiert sich faktisch immer wieder eine Sphäre ausdrücklichen

 A.a.O., 55.  A.a.O., 54.  Ebd.  Vgl. z. B. P. Tillich, Mensch und Umwelt (1957), in: GW IX, 333 – 337, hier: 337: „Symbole können nicht absichtlich geschaffen werden, sie werden geboren, sie wachsen und sterben ab.“  Tillich, Protestantische Gestaltung, 52.

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„transzendenten Bedeutens“ (MW VI, 138).⁸³ Aber es gilt: „Protestantische Gestaltung ist eine Gestaltung, in der die ausdrücklichen religiösen Formen bezogen sind auf eine sie in Frage stellende Profanität.“⁸⁴ Das ist das zweite Prinzip protestantischer Gestaltung, der Grundsatz der Profanität. Als moderner Zeitgenosse und Teilhaber an der profanen Geistigkeit, am „säkularen Diskurs“ (Berger)⁸⁵, hört der religiöse wie der theologische Mensch in sich faktisch immer auch die Stimme der Profanität, der rationalen Kritik an bestimmten religiösen Medien oder gar an jeder möglichen Vergegenwärtigung des Unbedingten. Er kommt darum beispielsweise nicht umhin, seine religiösen Urkunden der historischen Kritik auszusetzen. Diese innere kritische Stimme soll auch nicht etwa durch religiöse Machtsprüche zum Schweigen gebracht werden, sondern sie soll als „Korrektiv“⁸⁶ gegen religiöse Selbstverabsolutierungstendenzen zu ihrem Recht kommen – um nur je und je vor einer ‚Gestalt der Gnade‘ zu verstummen. Der „protestantische Mensch“⁸⁷ auf seiner ‚Mittelposition‘ ist und bleibt Bürger zweier Welten, die sich nach keiner Seite hin zu einer schiedlich-friedlichen Einheit bringen lassen. Dies folgt in letzter Konsequenz aus der Majestät und Transzendenz des Göttlichen.

3.4 Unfixierbarer Halt in der Korrelation von Subjektivität und Objektivität Angesichts der beschriebenen Prinzipien stellt sich freilich erneut die Frage: Wie kann eine derartige Haltung, die jeden fixen Halt innerhalb der festen Grenzen der religiösen Tradition verschmäht, eine gewisse Stabilität gewinnen? Wie soll eine Religion, die „auf den Weg angewiesen“ ist, „der zwischen Fixierung und Preisgabe ihrer selbst mitten hindurchführt“ (MW VI, 147), auf diesem unsicheren Mittelweg den Kurs halten? Die Antwort, die Tillich in den herangezogenen Texten gibt, ist im Einzelnen kryptisch, im Allgemeinen aber doch zu erschließen.⁸⁸ Sie entspricht dem, was

 Vgl. auch: a.a.O., 50 f.  A.a.O., 53.  Berger, Altäre der Moderne, 79.  Tillich, Protestantische Gestaltung, 53.  A.a.O., 43.  Das Kryptische und Verhaltene, man hat bisweilen den Eindruck: das bewusst Verklausulierte der Antwort hängt womöglich mit dem unmittelbaren Entstehungszusammenhang der fraglichen Texte zusammen. Der Vortrag Protestantische Gestaltung wurde nämlich Anfang 1929 in Münster gehalten und sollte „als Grundlage eines Gespräches mit Karl Barth“ (Tillich, Protestantische

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sich bereits im Kontext der ‚Anschaulichkeit‘ der Gestalt andeutete. So stellt Tillich als das „eigentliche protestantische Gestaltprinzip“ ganz neuprotestantisch die „Subjektivität der Frömmigkeit“ bzw. des „frommen Erlebens“ heraus (MW VI, 144). Die Realität der anschaulichen ‚Gestalten der Gnade‘, ihre symbolische Repräsentationsmächtigkeit, die temporär auch das Nein des Uneigentlichkeitsbewusstseins überwindet, kommt ja letztlich nur in Form subjektiver Resonanz zur Geltung. Obwohl sie sich, religiös bzw. theologisch betrachtet, der göttlichen Selbstvergegenwärtigungsmacht, oder kurz: göttlicher Offenbarung verdankt,⁸⁹

Gestaltung, 276) dienen. Trotz der darin offen ausgesprochenen „entschlossenen Abgrenzung gegen die positive Wendung“ (ebd.) in Richtung Neoorthodoxie, welche die sog. Dialektische Theologie nach seiner Einschätzung spätestens mit Barths Christlicher Dogmatik im Entwurf (1927) genommen hatte (vgl. a.a.O., 277), mag der Gesprächskontext Tillich dazu bewogen haben, mit dem Gestalt-Konzept die objektive Seite seines Religions- und Offenbarungsverständnisses hervorzukehren, dessen subjektive Seite mitsamt den subjektivitätstheoretischen Implikationen hingegen etwas in den Hintergrund zu schieben. Auch dem an den Vortrag sachlich anschließenden, aber weiter ausgreifenden Aufsatz Der Protestantismus als kritisches und gestaltendes Prinzip von 1929 dürfte sich noch etwas von jener theologischen Kontroverssituation mitgeteilt haben (vgl. MW VI, 135). Im Übrigen spiegeln sich in den betreffenden Texten natürlich auch Tillichs eigene Reserven gegenüber einem einseitig am einzelnen Subjekt orientierten theologischen Liberalismus sowie seine Unsicherheiten hinsichtlich einer theologisch adäquaten Gestalt einer Theorie religiöser Subjektivität.  Offenbarung fasst Tillich wesentlich als die göttliche ‚Einsetzung‘ bzw. das unverfügbare religionsgeschichtliche Auftreten von wirkungsmächtigen religiösen Symbolen bzw. Gestalten der Gnade; vgl. z. B. EW XII, 160 – 162. Womöglich hat es sich Tillich diesbezüglich mit dem (teils expliziten, teils mehr impliziten) Verweis auf ‚Offenbarung‘ tatsächlich etwas zu leicht gemacht, so dass man sagen kann, „daß Tillichs Ausführungen zur konkreten Gestaltwerdung des protestantischen Prinzips begrifflich nicht ins Reine gelangt sind“ (Barth, Protestantismusverständnis, 422). Man sollte aber diesen offenbarungstheologischen Aspekt von Tillichs protestantischem Prinzip bei der Rekonstruktion zunächst einmal stärker berücksichtigen, als Barth dies tut. „Im Endeffekt reduziert sich das protestantische Prinzip auf die Rolle eines kritischen Wächteramts gegenüber allen Formen dämonischer Hybris“ (ebd.) – dieses Urteil teile ich nicht. Spätestens Ende der zwanziger Jahre rückt darin ebenso die Rolle der Warnung vor drohender ‚profaner Leereʻ ins Zentrum; und das Ansinnen, zur Geltung zu bringen, dass der unsichere Mittelweg wahrhafter Religion zwischen dämonischer Fixierung und profaner Verabschiedung religiöser Gewissheit letztlich nur in der Ausrichtung auf die unfixierbare Selbstvergegenwärtigung des Unbedingten beschritten werden kann. Die Kernfunktion des religiösen Paradox bei Tillich besteht, jedenfalls in der Nachkriegszeit, eben darin, ein augenscheinliches Grunddilemma des Religiösen zu formulieren, dessen Lösung, nämlich die vorübergehende Einheit von Ja und Nein, von unbedingtem Gehalt und bedingter Form etc., nach menschlichen Maßstäben unmöglich ist – aber in flüchtigen „Offenbarungsdurchbrüchen“ faktisch trotzdem statthat. Angesichts dieser Zentralintention würde ich auch bezüglich der Paradoxstruktur des protestantischen Prinzips, jedenfalls für die Nachkriegszeit, nicht von einer „spekulativen Letztbegründungsstruktur“ (ebd.) sprechen, sondern eher von einer Formel für den Normbegriff mo-

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so erweist sie sich als solche doch nur in der „Gestaltung des persönlichen Lebens“ (ebd.) resp. Erlebens. Wo sich derlei persönliches, innerliches „Ergriffensein“⁹⁰ vom Ja eingestellt und der Persönlichkeit eingeschrieben hat, da ist ein subjektives Fundament gelegt für eine religiöse Haltung, die auch dem unsicheren ‚Schweben zwischen Setzung und Aufhebung‘ der religiösen Bewusstseinsgehalte und dem Schwanken zwischen Glauben und Zweifel standzuhalten vermag, die das spannungsreiche religiöse Leben unter dem Zeichen des protestantischen Prinzips bestimmen. Allerdings folgt die Relativierung dieses Subjektivitätsprinzips auf den Fuß, um subjektivistischen Missverständnissen vorzubeugen. Eine bloß „in sich schwingende Subjektivität“ wäre doch „in der ständigen Gefahr zu profanisieren“, „von innen her der Auflösung“ in profan-bürgerliche „Persönlichkeitskultur“ zu

derner Religion, die sowohl die wesenhafte Dynamik resp. ‚Flüssigkeitʻ religiösen Lebens als auch die Grundformen von deren wesenswidriger Stillstellung in sich fasst. Die wesentliche Aufgabe des protestantischen Offenbarungstheologen erblickt Tillich nach Maßgabe dieser Formel darin, durch das Markieren der Abwege zur Rechten und zur Linken der „Wegbereitung, d. h. vor allem Nichthinderung“ (MW VI, 148) neuer flüchtig-gnadenhafter Selbsterschließungen des Unbedingten zu dienen. Ob man dieser Intention etwas abgewinnen kann oder nicht, ist eine andere Frage. Eine Zustimmung wird dadurch erleichtert, dass Tillich entgegen anderen Offenbarungstheologen seiner Generation deutlich gemacht hat, dass die göttliche Selbsterschließung „niemals anders zum Zuge gelangt als im Durchgang durch die individuelle Subjektivität des endlichen Geistes“ (Barth, Protestantismusverständnis, 423). Die abschließende Beurteilung von Tillichs Protestantismustheorie hängt m. E. dementsprechend von der Einschätzung ab, ob ihm insgesamt eine überzeugende Theorie religiöser Subjektivität gelungen ist.  Tillich, Protestantische Gestaltung, 48 f.; ‚Ergriffensein‘ ist ab ca. 1927 (vgl. z. B. EW XIV, 334) Tillichs Ersatzbegriff für die ehedem reichlich gebrauchten Ausdrücke ‚Erlebnis‘/‚Erleben‘, der später auch Eingang in die im Kern bereits 1925 geprägte Religionsformel findet: „Religion […] ist das Ergriffensein von etwas, das uns unbedingt angeht.“ (P. Tillich, Über die Grenzen von Religion und Kultur [1954], in: GW IX, 94– 99, hier: 94) Siehe zu Tillichs Abschied vom Erlebnisbegriff, der mit den allgemeinen Tendenzen in Philosophie und Theologie der Zeit konvergiert: Fritz, Menschsein als Frage, 162– 186, bes. 164 f. – Tillich bedient sich in diesem Zusammenhang zur Thematisierung der religiösen Subjektivität auch des klassisch altprotestantischen Topos vom ‚Geistempfang‘. „Geistempfang aber oder reines Ergriffensein bedeutet Hereingezogenwerden in die Gestalt der Gnade“ (Tillich, Protestantische Gestaltung, 49). Der Terminus ‚reines Ergriffensein‘, der bei Tillich ca. 1928 als Begriff für die religiöse Subjektivität bzw. den religiösen Akt auftaucht, wäre einer eigenen Untersuchung wert. Er steht m. E. für das Bestreben, eine Theorie religiöser Subjektivität jenseits der klassischen Religionspsychologie mit ihrer Orientierung an Begriffen wie ‚Gefühl‘ oder ‚Erlebnis‘ zu entwerfen. In Der Protestantismus als kritisches und gestaltendes Prinzip spricht Tillich von der Notwendigkeit einer „religiösen Tiefenpsychologie“ (MW VI, 148).

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„verfallen“ (ebd.).⁹¹ Die Subjektivität braucht gewissermaßen einen ‚objektiven Außenhalt‘ in anschaulichen, aber ‚ungegenständlichenʻ, also nicht autoritativ fixierten Ausdrucks-Gestalten ‚transzendenten Bedeutens‘. Und diese objektiven Gestalten, so darf vielleicht ergänzt werden, verhelfen der Subjektivität auch jenseits je aktueller Repräsentanzmacht zur Beständigkeit einer religiösen Haltung. Als derartige Medien protestantischer Subjektivität werden dann die vertrauten Instanzen protestantischer Glaubenslehre angeführt: Christus, Schrift, Gemeinde, Verkündigung, Kult und Dogma.⁹² Diese Instanzen versehen ihre Vermittlungs- und Stabilisierungsfunktion im Hinblick auf die Subjektivität aber eben nur dann authentisch, wenn ihre „Objektivität“ im „entgegenständlichten“ Sinne verstanden, wenn sie in ihrer Objektivität stets auch kritisch relativiert werden. Alles andere wäre „dämonische Hybris“.⁹³ Unter ‚protestantischen‘ Bedingungen besteht folglich eine Korrelation zwischen religiöser Subjektivität und anschaulicher Objektivität. Diese Momente gelangen je und je zu gnadenhafter Einheit. Ansonsten stützen sie einander wechselseitig, dienen einander aber auch wechselseitig als Korrektiv, ohne dass diese lebendige Bewegtheit des religiösen Lebens je gänzlich stillgestellt werden könnte. Die Spannungseinheit von Nein und Ja im protestantischen Prinzip stellt die Religion in eine Spannungseinheit von Innerlichkeit und anschaulicher Außendarstellung, zwischen subjektivem und gestaltbildendem objektivem Geist – und lässt sie in dieser Spannungseinheit, in diesem Schwingen zwischen Subjektivität und Objektivität eine fragile Stabilität finden, die sich jeder Fixierung entzieht.

4 Das protestantische Prinzip als Kennzeichen pluralismusfähiger Religion Ich bin ausgegangen von Bergers Frage nach den Konstitutionsbedingungen einer religiösen middle position zwischen Fundamentalismus und Relativismus und habe Tillichs Theorem des protestantischen Prinzips als Konzeption einer solchen

 In dem seinerzeit verbreiteten, vorwiegend von Kierkegaard ererbten antiästhetischen Affekt wird der fragliche Subjektivismus, mit Verweis auf Schleiermacher, mit dem „ästhetisch gefärbten Weltgefühl“ (MW VI, 144) der Romantik identifiziert.  Vgl. MW VI, 145; sowie auch Tillich, Protestantische Gestaltung, 50 f.  Tillich, Protestantische Gestaltung, 50.

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‚Mittelposition‘ dargestellt.⁹⁴ Wie zu Anfang erwähnt, hat Tillich das besagte Theorem in seinen späten Jahren in mehreren Vorlesungen selbst auf das Problem des religiösen Pluralismus bezogen.⁹⁵ Diese späten Äußerungen will ich zu den anschließenden resümierenden Erwägungen hinzuziehen.

 Auf die vielfach geäußerte Kritik an Tillichs Protestantismus- und seiner eng damit verwobenen Symbolkonzeption kann ich hier nicht ausführlich eingehen. Siehe dazu den Überblick bei Heinemann, Sinn – Geist – Symbol, 550 – 563. Insgesamt wird man sagen können, dass von den Kritikern die Frage nach dem Theoriestatus der betreffenden Tillich’schen Reflexionen zu wenig berücksichtigt wird. Auch wenn beim frühen Tillich eine Neigung zu metaphysischer Letztbegründungsspekulation gegeben sein mag, so ist doch der spätere Gebrauch der nämlichen Figuren, trotz bleibender absolutheitstheoretischer Anklänge, tendenziell in einem subjektivitätsoder bewusstseinstheoretischen Sinn zu lesen. (Tillich selbst hat hier durch den Mangel an methodischer Selbstexplikation oder auch -reflexion viel Verwirrung gestiftet.) Dass etwa die Kritik an einem unterkomplexen Begriff von Unbedingtheit hinsichtlich leitender Theorieintentionen Tillichs ins Leere geht, lässt sich an einem einfachen Beispiel illustrieren: Das fromme Subjekt spricht ein Gebet und stellt sich dabei Gott als quasi-persönliches Gegenüber, als höchstes Wesen, vor. Die nachträglich einsetzende oder nebenher mitschwingende Reflexion flüstert ihm jedoch kraft ihrer Unbedingtheitsidee ein, dass Gott gar kein ‚Wesen‘, dass diese Vorstellung eine Verendlichung des Unendlichen ist. Die Folge: das religiöse Bewusstsein gerät in ein ‚Schweben zwischen Setzung und Aufhebung‘ seines konkreten Gehaltes. Dieser Charakterzug ‚protestantischer‘ Frömmigkeit ist mit Tillichs Instrumentarium trefflich beschrieben, und jedenfalls diese Beschreibung würde durch eine weniger abstrakte Fassung des Unbedingtheitsgedankens oder durch weiterführende negativitätstheoretische Reflexionen wenig gewinnen. Der Kritik muss also das schwierige Geschäft der Erhebung von Stellung, Anlage, Absicht und Reichweite der Tillich’schen Theoreme vorangehen. Dass dabei Generalannahmen wenig austragen „und stattdessen einzelne Theorieformationen und Figuren je für sich untersucht“ werden müssen, hat Heinemann, Sinn – Geist – Symbol, 559, gebührend deutlich gemacht.  Vgl. Tillich, Encounter of World Religions; P. Tillich, Christian and Non-Christian Revelation (1961), in: ders., Encounter of Religions, 57– 74; ders., Begegnung der Weltreligionen; ders., Die Bedeutung der Religionsgeschichte für den systematischen Theologen (1965), in: EW IV, 144– 156. Dass das protestantische Prinzip das religionstheoretische Fundament von Tillichs späten Beiträgen zur Theologie der Religionen darstellt, wurde trotz des programmatischen Titels der Matchette Lectures, soweit ich sehe, in der Literatur bisher allenfalls implizit oder am Rande thematisiert (nicht zuletzt vermutlich wegen der abgelegenen Publikation jener Vorlesungen).Vgl. dazu die Beiträge des Sammelbandes Religionstheologie und interreligiöser Dialog, hg.v. C. Danz/ W. Schüßler/E.Sturm, Wien 2010: vor allem R. Bernhardt, Der Geist und die Religionen. Tillichs Religionstheologie im Kontext seiner Pneumatologie, 37– 59, bes. 50; J. Lauster, Religion als Substanz der Kultur? Kulturtheologische Aspekte zu Tillichs Theologie der Religionen, 61– 74, bes. 70 – 74; C. Danz, Erkundung des Eigenen im Lichte des Fremden. Paul Tillichs Beitrag zur religionstheologischen Debatte der Gegenwart, 75 – 92, bes. 87; R. B. James, Can We Be Committed to One Faith,Yet Open to Others? Tillich’s Solution to a Current Problem, 93 – 107; D.-M. Grube, Die christologische Relativierung absoluter Geltungsansprüche. Zu Paul Tillichs Auseinandersetzung mit den nicht-christlichen Religionen und der Unterscheidung zwischen Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus, 109 – 128, bes. 116; H. Bürkle, Spurensuche nach dem Logos in den

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4.1 ‚Protestantische‘ Selbstkritik als Bedingung religiöser Pluralismusfähigkeit Zuerst ist zu bekräftigen, dass der Bezug des protestantischen Prinzips auf das Pluralismusproblem bei Berger und Tillich einleuchtet. Eine Religion, die sich in ihren konkreten Gestalten selbst zu relativieren weiß, ohne sich dabei zu verlieren, scheint tatsächlich prädestiniert zu sein für ein friedliches Zusammenleben mit anderen Religionen. Denn sie wird die Relativierung durch die andere Position kaum existenziell bedrohlich finden. Über diese „Relativierungstoleranz“ hinaus werden aufgrund der „Gebrochenheit“⁹⁶ ihrer Selbstaffirmation auch die Geltungsansprüche der eigenen konkreten Glaubensgehalte ‚gebrochen‘ sein. Eine derartige „gnoseologische Demut“ hinsichtlich der eigenen Position dürfte indes den mit religiöser Positionalität tendenziell verknüpften Exklusionsimpuls gegenüber Andersglaubenden signifikant dämpfen. Überhaupt wird es einer in diesem Sinne ‚protestantischen‘ Religion aufgrund der ihr eigenen Verinnerlichung und Entgegenständlichung schwerlich möglich sein, andere Religionen ohne weiteres nach der Differenz von wahr und falsch, von ‚Glaube‘ und ‚Unglaube‘ abzuqualifizieren. Denn ‚wahrer Glaube‘ bemisst sich ja nach ihren Maßstäben letztlich an der subjektiven Begegnung mit dem Unbedingten, nicht nach den objektiven ‚Formen‘, den konkreten Inhalten und Vollzügen der Religion. Tillich hat diesen Zusammenhang schon 1931 unmissverständlich ausgesprochen: Die radikale Anwendung des prophetisch-protestantischen Prinzips auf Religion und Christentum bedeutet die dialektische Stellung zu der eigenen konfessionellen Form des religiösen Lebens. Der konfessionelle Charakter jeder konkreten Religion wird bejaht und nicht zugunsten einer rationalen Überkonfessionalität aufgegeben. Der radikale Charakter des religiösen Prinzips verbietet jedoch einen sich selbst absolut nehmenden Konfessiona-

Religionen. Vorgaben im Werk Paul Tillichs, 129 – 150; D. C. Siedler, „Mission“ oder „Kuscheldialog“? Perspektiven des christlich-islamischen Dialogs im Anschluss an Paul Tillich, 173 – 187, bes. 187; vgl. ferner D. C. Sieler, „Schöpferischer Dialog“ und „universale Offenbarung“. Interreligiöser Dialog im Anschluss an Paul Tillich, in: Dialog und Begegnung. Impulse für das Gespräch zwischen Christentum und Islam, hg.v. dems., Göttingen 2017, 112– 142; W. Schüßler, Das Kopernikanische Prinzip und die Theologie der Religionen. Zu Paul Tillichs religionsphilosophischem Beitrag zum interreligiösen Dialog, in: ders., „Was uns unbedingt angeht“. Studien zur Theologie und Philosophie Paul Tillichs, Berlin/Münster 22004, 87– 105; Schüßler/Sturm, Paul Tillich, 150 – 162; R. B. James, Tillich and World Religions. Encountering Other Faiths Today, Macon (GA) 2003; T. Thomas, Paul Tillich and World Religions, Fairwater 1999; D. C. Siedler, Paul Tillichs Beiträge zu einer Theologie der Religionen. Eine Untersuchung seines religionsphilosophischen, religionswissenschaftlichen und theologischen Beitrages, Münster 1999.  Tillich, Protestantische Gestaltung, 277.

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lismus und schafft einen Punkt im System jeder Konfession, auf dem sie über sich hinaus ist und offen für den Sinn der anderen. (MW III, 215)

Gerade aufgrund dieser prinzipiellen „Offenheit“⁹⁷ für die Möglichkeit der Selbstvergegenwärtigung des Unbedingten innerhalb anderer religiöser Gestalten scheint ein ‚protestantisch‘-selbstkritisches Moment im Tillich’schen Sinne einer religiösen Position Pluralismusfähigkeit zu verleihen, und insofern kann das von Tillich beschriebene protestantische Prinzip als ein „Kennzeichen pluralismusfähiger Religion“ angesehen werden. – Dieses Generalresümee ist nun noch nach verschiedenen Seiten hin näher zu konturieren.

4.2 Protestantisches Prinzip und Theologie der Religionen Ist die von Tillich geltend gemachte Offenheit für andere Religionen ein Moment selbstkritischer Religion, dann rückt das Konzept des protestantischen Prinzips augenscheinlich in die Nähe bestimmter Standpunkte einer ‚Theologie der Religionen‘. Die späten Ausführungen zur Begegnung des Christentums mit den Weltreligionen, denen das Konzept zugrundeliegt, sind denn auch in den einschlägigen Debatten der Gegenwart entsprechend rezipiert worden, teils im Sinne einer ‚pluralistischen‘, meist aber – und sicher mit besseren Gründen – im Sinne einer ‚inklusivistischen‘ Religionstheologie.⁹⁸ Heißt das für die Frage nach den Möglichkeitsbedingungen von religiöser Pluralismusfähigkeit und Toleranz, dass selbige von einem Denken auf der Linie dieser oder jener Religionstheologie abhängen? Ich meine, dass Tillichs protestantisches Prinzip die besagte Frage auf einer fundamentaleren Ebene beantwortet. Wie das obige Zitat aus dem Jahre 1931 zeigt, hat konkrete Religion Tillichs Überzeugung nach notwendig „konfessionellen Charakter“; mit der Haltung „rationaler Überkonfessionalität“ würde der Boden lebendiger Religion hingegen  Vgl. Tillich, Encounter of World Religions, 17: „So the present day Protestant churches are the first ones to which the Protestant principle to be applied as a judgement in the encounter of the world religions. And with this in mind we must keep ourselves, and can keep ourselves, open for the world religions, not as curious phenomena, not as interesting problems, but as realities which stand as we ourselves do under the judgement of the Protestant principle, meaning under the judgement of God.“  Vgl. zum religionstheologischen Dreierschema von Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus z. B. P. Schmidt-Leukel, Gott ohne Grenzen. Eine christliche und pluralistische Theologie der Religionen, Gütersloh 2005, 62– 95; zu Tillichs Stellung innerhalb dieses Schemas W. Schüßler, Das Kopernikanische Prinzip; R. Bernhardt, Geist; D.-M. Grube, Christologische Relativierung; Schüßler/Sturm, Paul Tillich, 150 f.

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verlassen (MW III, 215). Mit anderen Worten: Konkrete Religion ist wesenhaft positionell, und dies gilt prinzipiell auch unter der Herrschaft des protestantischen Prinzips. Mit dieser „natürlichen“ Positionalität der Religion ist aber tendenziell auch eine „natürliche Selbstbehauptung“ (GW V, 64) verbunden, wie Tillich 1963 konstatiert. „Wenn eine Gruppe – oder ein Individuum – sich im Besitz der Wahrheit glaubt, dann verwirft sie prinzipiell jede Wahrheit, die mit ihrer Wahrheit in Widerspruch steht.“ (Ebd.)⁹⁹ Konkrete Religion trägt in sich also ein Moment „natürlicher Exklusivität“ gegenüber anderen religiösen Positionen. Es ist demnach zum Beispiel „natürlich und selbstverständlich, daß Christen die Grundthese des Christentums, daß Jesus der Christus ist, verteidigen und alles ablehnen, was dieser Lehre widerspricht“ (GW V, 65). Eine derartige „Ablehnung“ abweichender Positionen „kann weder dem Christen noch dem Anhänger irgendeiner anderen Religion verboten sein“ (Ebd.). Und eine entsprechende Positionalität teilt sich in der Konsequenz auch jeder Theologie mit, insofern sie – anders als die Religionsphilosophie – immer vom Standpunkt einer bestimmten Religion aus deren konkrete Gehalte reflektiert.¹⁰⁰ Mit der Feststellung einer ‚natürlichen‘ Positionalität und Exklusivität konkreter Religion ist nun freilich, aus der Perspektive des protestantischen Prinzips, noch nicht alles gesagt. Bliebe es dabei, käme dies dem religions- und weltpolitisch hochgradig ernüchternden Urteil einer unhintergehbaren, weil wesenhaften Pluralismusunfähigkeit der Religionen gleich. Im Interesse des allgemeinen Friedens müsste man infolgedessen die Hoffnung entweder doch auf eine weltweite Schwächung der Religionen setzen oder allein auf ihre ethisch-politische Einhegung, mit dem Maximalziel möglichst langer und möglichst konfliktarmer Phasen wechselseitiger Duldung. Als prinzipiell illusionär erwiese sich hingegen die Vorstellung, dem ‚natürlichen‘ und potenziell gewalttätigen Exklusivismus der Religionen durch Transformationsbemühungen wie den interreligiösen Dialog oder die Verbreitung religionstheologischer Ideen wirksam zu Leibe rücken zu können. Der Aspekt der Selbstkritik oder Selbstnegation, den Tillich unter dem Titel des ‚protestantischen Prinzips‘ ins Auge gefasst hat, führt, ohne den unmittelbaren Exklusivismus lebendiger Religion zu leugnen, zugleich über ihn hinaus. Denn die Positionalität wahrhafter, ‚protestantischer‘ Religion, ihre „Stellung zu der eigenen konfessionellen Form des religiösen Lebens“, ist „gebrochen“, „dialektisch“ (MW III, 215). Der „dialektischen Stellung“ zur eigenen Position aber

 Die Wendung ‚sich im Besitz der Wahrheit glauben‘ ist hier nicht in dämonisierungskritischer Absicht gebraucht.  Vgl. MW IV, 155; ST I, 17 f.

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korrespondiert, in Überschreitung einer unmittelbar exklusivistischen Ablehnung, eine „dialektische Einheit von Annahme und Ablehnung“ (GW V, 65) der abweichenden Position. Nur vom protestantischen Prinzip her erschließt sich diese Behauptung.¹⁰¹ Auszugehen ist wiederum von Tillichs Beschreibung des religiösen Bewusstseins als einem dialektischen „Schweben zwischen Setzung und Aufhebung“ (MW IV, 222) seines konkreten Gehaltes. Sofern bei der symbolischen Repräsentation des Unbedingten im religiösen Akt die konkrete religiöse Vorstellung aufgrund ihrer Inkommensurabilität mit dem von ihr Letztgemeinten gleichsam eingeklammert wird, löst sich die Begegnung mit dem Unbedingten für einen Augenblick ‚mystisch‘-ungegenständlicher Einheit¹⁰² von ihrem gegenständlichen Medium, das fürderhin nicht mehr ohne weiteres „absolut zu nehmen“ (MW III, 215) ist. In diesem Augenblick der Distanz zwischen dem anschaulichen Symbol und dem symbolisierten Unanschaulichen tut sich gewissermaßen eine „Lücke“ auf für den Gedanken möglicher anderer Veranschaulichungs- und Vermeinungsweisen des religiös Letztvermeinten. Mit dieser Lücke entsteht überhaupt erst ein Freiraum für den Gedanken von ‚Religion‘ als einem menschlichen Phänomen der Vermeinung des Unbedingten, das auch andere Modi des ‚Letztvermeinens‘ umfasst als den eigenen. Und durch dieselbe Lücke kann sich auch der natürlichen ‚Ablehnung‘ des Anderen ein Moment der ‚Annahme‘ oder ‚Offenheit‘ für solch abweichende Weisen der Unbedingtheitsvermeinung und -begegnung beigesellen.¹⁰³ In der dem religiösen Akt selbst eigenen Dialektik von Setzung und Aufhebung liegt also, kraft der darin wirksamen Relativierung der eigenen Gegenständlichkeit, der Keim zur Anerkennung anderer Religionen:

 Ohne diesen Schlüssel erschließt sie sich nicht. Vgl. z. B. Danz, Erkundung des Eigenen, 85.  ‚Mystisch‘ im Tillich’schen Sinne kann das Moment der Aufhebung oder Transzendierung der Gegenständlichkeit des religiösen Aktes insofern heißen, als eine entsprechende Überschreitung des gegenständlichen Bodens des Religiösen von Tillich gerade als Charakteristikum ‚mystischer‘ Kritik an ungebrochen ‚sakramentaler‘ Religion ausgewiesen wird.Vgl. Tillich, Encounter of World Religions, 23 f.; ders., Religionsphilosophie (1920), EW XII, 453 f.  Tillich stellt im religionstheologischen Zusammenhang heraus, dass der Gebrauch des Religionsbegriffs für den eigenen Umgang mit dem Göttlichen eine entsprechend relativierende Einklammerung dieses Umgangs voraussetzt. Vgl. GW V, 71: Der „Gebrauch des Religionsbegriffs sieht theologisch harmlos aus, ist es aber nicht“; er ist vielmehr „für die einzigartige Geltung des Christentums gefährlich“, weil damit „die christliche Religion als eine Religion unter anderen betrachtet wird“; indem sich diese Sichtweise durchsetzte, „stieg das Christentum […] von dem Thron der Exklusivität herab“. Der Widerstand der Dialektischen Theologie gegen den Religionsbegriff war nach Tillich daher verständlich, wenn auch verfehlt (vgl. GW V, 73); vgl. EW IV, 144 f.

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In der Tiefe jeder lebendigen Religion gibt es einen Punkt, an dem die Religion als solche ihre Wichtigkeit verliert und das, worauf sie hinweist, durch ihre Partikularität hindurchbricht, um sie zu geistiger Freiheit zu erheben und zu einer Vision der geistigen Gegenwart in anderen Ausdrucksformen des letzten Sinnes menschlicher Existenz. (GW V, 98)¹⁰⁴

Damit ist die wesentliche Leistung von Tillichs Theorie ‚protestantischer‘ Religion für die Frage der Begegnung der Religionen, gerade im Unterschied zu den Ansätzen einer Theologie der Religionen, ersichtlich. Sie ist eben darin zu erblicken, dass sich die Möglichkeit der Annahme oder Anerkennung anderer Religionen anhand des protestantischen Prinzips in der internen Struktur des religiösen Vollzuges selbst verankern lässt, anstatt sie anhand verschiedener religiöser Vorstellungen oder theologischer Lehren (wie z. B. Christologie oder Trinitätslehre)¹⁰⁵ zu begründen. Tillichs protestantisches Prinzip lässt sich insofern als subjektivitätstheoretischer Nukleus einer umfassenden Charakteristik pluralismusfähiger Religiosität lesen. Die geläufigen Religionstheologien hingegen suchen Potenziale zur Relativierung der ‚natürlichen‘ Positionalität resp. Exklusivität der Religionen vorwiegend auf der Ebene der religiösen Leitideen und der theologischen oder religionsphilosophischen Begriffsbildung und mithin, gemessen an den Strukturen und Vollzügen des religiösen Lebens selbst, auf einer nachgeordneten Metaebene.¹⁰⁶

 Das obige Zitat weicht geringfügig von der Übersetzung in GW V ab ab.Vgl. MW V, 325: „In the depth of every living religion there is a point at which the religion itself loses its importance, and that to which it points breaks through its particularity, elevating it to spiritual freedom and with it to a vision of the spiritual presence in other expressions of the ultimate meaning of man’s existence.“ Vgl. EW IV, 156.  Vgl. z. B. R. Bernhardt, Protestantische Religionstheologie auf trinitätstheologischem Grund, in: Theologie der Religionen. Positionen und Perspektiven evangelischer Theologie, hg.v. C. Danz/U. H. J. Körtner, Neukirchen-Vluyn 2005, 107– 120; R. Bernhardt, Christus – Repräsentant göttlicher Selbstmitteilung. Zur Unterscheidung zwischen konstitutiver und repräsentantiver Christologie, in: Wahrheitsansprüche der Weltreligionen. Konturen gegenwärtiger Religionstheologie, hg.v. C. Danz/F. Hermanni, Neukirchen-Vluyn 2006, 171– 189.  Der besagte Unterschied betrifft wohlgemerkt nicht den Grad an Reflektiertheit oder Abstraktheit der Theorie selbst – diesbezüglich ist Tillichs protestantisches Prinzip kaum zu überbieten –, sondern die Ebene des in der Theorie Beschriebenen: Dem religiösen Vollzug selbst stehen auf der anderen Seite dessen Medien (religiöse Vorstellungen) und Reflexionsprodukte (religionsphilosophische und theologische Begriffe) gegenüber. Während die Tillich’sche Charakteristik des religiösen Vollzuges indes Aussichten auf eine grundlegende und umfassende Theorie der Bedingungen, Modalitäten und Konstellationen pluralismusfähiger Religion eröffnet, die etwa auch das Verhältnis von Religion und Kultur (z. B. als Hort der religiös zu integrierenden Religionskritik) mit einbezieht, droht den religionstheologischen Versuchen das Schicksal jeder ‚Theologentheologie‘ (Falk Wagner): Sie können nur sekundäre Schichten des Religiösen er-

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Aber es ist noch ein zweites Spezifikum von Tillichs Zugang zum Problem des religiösen Pluralismus namhaft zu machen, das ebenfalls in der dialektischen (oder paradoxen) Strukturverfasstheit des religiösen Vollzuges beschlossen liegt. Denn dass sich das religiöse Bewusstsein in einem ‚Schweben zwischen Setzung und Aufhebung‘ seiner konkreten Gehalte aufbaut, beinhaltet auch, dass es unbeschadet des Aufhebungsmoments an diese Gehalte unlösbar gebunden bleibt. Der aktuelle religiöse Vollzug hat sein Ziel in der ‚mystischen‘ Einheit mit dem Unbedingten, in der er seine konkreten Medien gleichsam hinter sich lässt. Aber diese Einheit kommt eben nur vermittels solcher Medien, durch ihre Setzung und Aufhebung, zustande, und sie lässt sich nicht durch einen Akt endgültiger Aufhebung dauerhaft festhalten. Vielmehr wird das religiöse Bewusstsein immer wieder auf seine konkreten religiösen Gegenstände zurückgeworfen. Ihre Geltung stellt sich wieder her, so dass sie als gültige Vertretungen des Letztgemeinten fungieren, nobilitiert durch die numinosen Erfahrungen, die sich an ihnen vollzogen haben. Anhand selbiger Gegenstände kann sich das religiöse Bewusstsein auch überhaupt als solches identifizieren und jenseits der Momente ‚reinen Ergriffenseins‘ vom Unbedingten eine Art von Dauer gewinnen. Das bedeutet für das Verhältnis zu anderen Religionen: Mag sich im religiösen Bewusstsein kraft des Moments mystischer Ungegenständlichkeit auch ein „Fenster“ zur Anerkennung des Anderen öffnen, wodurch seine ‚natürliche‘ Positionalität überschritten wird – kraft der bleibenden Bindung an seine Gegenständlichkeit und kraft notwendig konkreter Selbstidentifikation fällt es auch immer wieder in diese ursprüngliche Positionalität mitsamt ihrem ‚natürlichen‘ Exklusivismus zurück. Mag im ‚mystischen‘ Einheitspunkt der Religion der Beweggrund für die Ablehnung anderer Möglichkeiten der Unbedingtheitsbegegnung entkräftet sein – im Modus der Reidentifizierung der eigenen Teilhabe am Unbedingten restituiert sich dieser Grund in Gestalt der eigenen religiösen Identität mit ihren ‚natürlichen‘ Geltungsansprüchen. Folglich gilt: Dem unaufhebbaren Oszillieren des religiösen Aktes zwischen Affirmation und Negation seiner ‚konfessionellen‘ Gehalte entspricht ein Oszillieren zwischen Ablehnung und Annahme anderer ‚Konfessionen‘. Liegt in der eigentlichen Wesensdimension der Religion, in der ‚mystischen‘ Tiefenschicht der Einheit mit dem gestaltlosen Unbedingten, zugleich der Wurzelgrund für die Anerkennung anderer Religionsgestalten, so ist ihre unumgehbare ‚konfessionelle‘ Oberfläche der Boden für deren stetige Missbilligung.

schließen, die das Leben wenigstens der nicht-professionellen religiösen Akteure nur mittelbar, teils nur sehr entfernt angehen.

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Mit diesem scheinbar widersprüchlichen Bild des religiösen Vollzuges und seiner Implikationen für das interreligiöse Außenverhältnis hat Tillich einen essenziellen wie differenzierten Beitrag zum Problem der Interreligiosität geliefert, der grundlegenden Optimismus mit illusionsloser Nüchternheit verbindet. Ihrem letzten Wesen nach trägt die Religion in sich einen maßgeblichen Ansatzpunkt zur Pluralismusfähigkeit, aber in ihrem konkreten Aufbau bietet sie ebenso Anhalt für konfliktträchtige Ab- und Ausgrenzungsbestrebungen (um vom möglichen Abgleiten in die tendenziell aggressive Dämonisierungsform zu schweigen). Im Unterschied zu der intendierten Entschiedenheit religionstheologischer Standpunkte zeichnet das besagte Bild dem interreligiösen Verhältnis eine fundamentale Dynamik ein. Auch im Vergleich mit der inklusivistischen Position, wonach bestimmte Religionen der eigenen in gewisser Hinsicht gleich zu achten, in anderer Hinsicht aber als unterlegen anzusehen sind, besteht diese Differenz. Denn hier verteilen sich die sich überlagernden Momente von Annahme und Ablehnung eben auf bestimmte Hinsichten, so dass das Zugleich von Ja und Nein statisch gedacht ist.¹⁰⁷ Demgegenüber resultiert aus Tillichs Strukturmodell eine Spannung von Ja und Nein, die sich auf das grundsätzliche Verhältnis zu abweichender Religion bezieht und die sich durch keine positionelle Festlegung ein für alle Mal sistieren lässt. Solches verhindert die religionsinterne Spannung von natürlicher Positionalität und wesenhafter Überpositionalität, deren Pole nach Tillichs Modell jeweils immer wieder wirksam werden. Dies hat zur Folge, dass die Schätzung des religiös Abweichenden nach der Logik des innersten Vollzugs religiöser Subjektivität anhaltend zwischen Ja und Nein schwankt. Allerdings folgt aus diesem Schwanken wiederum nicht zwingend, dass der religiöse Mensch zwischen Ablehnung und Annahme des anders Religiösen haltlos hin- und hergeworfen werden müsste. Wie Tillichs eigenes Beispiel zeigt, der in seinen späten Jahren das Gespräch zwischen den Weltreligionen als eine theologische Aufgabe ersten Ranges entdeckte, lässt sich die im religiösen Erlebnis und seiner letzten „Gestalttranszendenz“ grundgelegte Gleichschätzung anderer religiöser Gestalten durchaus verstetigen. Trotz seiner Flüchtigkeit kann der ‚mystische‘ Moment gestaltloser Einheit mit dem Göttlichen durchaus einen nachhaltigen Sinn für Religion überhaupt und für andere Religion im Besonderen begründen. So evoziert die skizzierte Doppeldialektik des protestantischen Prinzips – Setzung und Aufhebung religiöser Gegenständlichkeit, Annahme und Ablehnung anderer Religionen – eine analoge Spannungsbeziehung subjektiver Haltungen, die für das interreligiöse Zusammenleben und nicht zuletzt für die professionelle interreligiöse Begegnung ausschlaggebend ist: die Dialektik zwi-

 Vgl. GW V, 65.

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schen den Standpunkten ‚innerhalb‘ und ‚oberhalb‘ der eigenen Religion, die sich auf der Ebene methodengeleiteter Reflexion als Wechselspiel zwischen theologischer und religionsphilosophischer Perspektive darstellt. Das fromme Subjekt als solches nimmt eine bestimmte ‚konfessionelle‘ Position ein, welche sie in der Begegnung mit dem Unbedingten zugleich transzendiert. Seine religiöse Position hat damit, wie beschrieben, selbst ein Moment der Selbsttranszendenz in Richtung auf den Gedanken ‚Religion überhaupt, sich manifestierend in verschiedenen Gestaltenʻ. Der Standpunkt ‚innerhalb‘ der eigenen Religion transzendiert sich selbst in Richtung auf den Standpunkt ‚über‘ ihr – um diese Überpositionalität im religiösen Akt selbst und im Akt religiöser Selbstidentifikation wieder zurückzunehmen. Diese im religiösen Bewusstsein angelegte Transzendierungsbewegung und die aus ihr resultierende interne Spannung aber kann sich, wie aus den Ausführungen der Systematischen Theologie zum ‚theologischen Zirkel‘ hervorgeht,¹⁰⁸ in Gestalt gegenläufiger Haltungen oder Perspektiven habitualisieren. Das religiöse Subjekt vermag demnach zwischen religiöser Positionalität und (proto‐)religionsphilosophischer Überpositionalität mit ihren je unterschiedlichen interreligiösen Implikationen zu wechseln. Beim Theologensubjekt wiederum prägt sich die nämliche Perspektivenvarianz in Form des Changierens zwischen theologisch-positioneller und religionsphilosophisch-überpositioneller Sicht auf das Religiöse aus. Und eben diese Sicht ist es denn auch, die nach Tillich dem christlichen Theologen die Möglichkeit vorbehaltloser und produktiver Begegnung mit den Weltreligionen eröffnet, weil er sie als Religionsphilosoph mit vorbehaltloser Offenheit wahrnehmen kann.¹⁰⁹ Dies schließt freilich nicht aus, sondern ein, dass derselbe Theologe, sofern er den religionsphilosophischen „Standpunkt über dem Christentum“ verlässt und den genuin theologischen, religiös fundierten „Standpunkt im Christentum“ (Schlei-

 Vgl. ST I, 15 – 18.  Vgl. Schüßler, Das Kopernikanische Prinzip. Zu welchen Ergebnissen diese Begegnung bei Tillich im Einzelnen geführt hat und wie seine interreligiöse Haltung im Wechselspiel von Theologie und Religionsphilosophie insgesamt zu bestimmen wäre, ist eine komplexe Frage für sich, die hier nicht weiter verfolgt werden kann. Siehe dazu die angeführte – in den Antworten recht uneinheitliche – Literatur, die allerdings den betreffenden Perspektivendualismus kaum systematisch in Rechnung stellt. Der von Tillich bevorzugte Modus religionsphilosophischer Reflexion ist in diesem Zusammenhang der (auf alte Theoriebestände aus der deutschen Zeit zurückgreifende) Entwurf einer Religionstypologie, der es erlaubt, die unterschiedlichen Religionen nach Maßgabe des Grades der Realisierung bestimmter Grundelemente des Religiösen zu beurteilen.Vgl. Tillich, Encounter of World Religions, 21– 27; GW V, 76 – 79; EW VI, 149 f. Siehe dazu auch Danz, Erkundung des Eigenen, 88 – 90.

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ermacher) einnimmt,¹¹⁰ auch seiner positionell bedingten Ablehnungsimpulse der anderen Religion gegenüber innewird. Auch beim versiertesten und engagiertesten Streiter für interreligiöse Verständigung kehrt in Form dieser Spannung zwischen widerstrebenden Haltungen die Paradoxie ‚protestantischer‘ Religion, das Zugleich von Positionalität und Überpositionalität, wieder – so ist aus dem durch den „roten Faden“¹¹¹ des protestantischem Prinzips verknüpften Zusammenhang von Religionstheorie und Religionstheologie bei Tillich zu schließen. Und folglich ist es sicher nicht die geringste Herausforderung der interreligiösen Begegnung, die daher stammende innere Ambiguität gegenüber dem Anderen fortgesetzt in sich auszutragen.

4.3 Das protestantische Prinzip und die Suche nach der religiösen Mittelposition Nachdem der Status des protestantischen Prinzips als Tillich’sches Kerntheorem für die subjektive Bedingung der Möglichkeit von religiöser Pluralismusfähigkeit und gedeihlicher interreligiöser Begegnung (einschließlich des professionellen interreligiösen Dialogs) aufgewiesen wurde, sollen nun noch einige fundamentale Einsichten hinsichtlich der Ausgangsfrage meines Beitrags festgehalten werden: Was trägt Tillichs Konzeption für das Problem der Konstitution von religiösen ‚Mittelpositionen‘ und mithin von pluralismusfähigen Religionen aus? Zunächst ist dazu grundsätzlich zu vermerken: Tillich war, wie die Bezüge bei Berger belegen, einer der prominenten Begründer des Ideals der religiösen Mitte zwischen Fundamentalismus und Relativismus. Und er war ein begnadeter „Strukturformelfinder“, dem auch bei der Definition und Näherbestimmung des gesuchten Standpunktes glänzende Formeln mit hohem deskriptivem wie normativem Wert gelungen sind. Ohne Zweifel zählt Tillich daher zu den hervorragenden theologischen Autoren, von denen man sich auf jene goldene Mitte  Vgl. F. D. E. Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen (1811/1830), in: ders., Universitätsschriften. Herakleitos. Kurze Darstellung des theologischen Studiums, hg.v. D. Schmid, Berlin/New York 1998, 243 – 315 (1. Auflage 1811) und 321– 446 (2. Auflage 1830), 256. 338; ders., Der christliche Glaube, nach den Grundsäzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, 2 Bde., hg.v. H. Peiter, Berlin/New York 1984, Bd. 1, 22. Siehe zur Idee eines entsprechenden Standpunktwechsels bei Schleiermacher M. Fritz, Schleiermachers Idee theologischer Bildung. Zur Aktualität der ‚Kurzen Darstellung des theologischen Studiums‘, in: Fremde unter einem Dach? Die theologischen Fächerkulturen in enzyklopädischer Perspektive, hg.v. dems./M. Buntfuß, Berlin/Boston 2014, 167– 218, bes. 196 f.  Barth, Protestantismusverständnis, 430: Man kann „das protestantische Prinzip auch als den roten Faden in Tillichs Denken bezeichnen“.

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„einschwören“ und gegen mögliche Abirrungen in diese oder jene Richtung immunisieren lassen kann. Überdies können alle, die sich auf dem religiösen middle ground ansiedeln, von seinen Formeln nach wie vor viel über das Profil und die Probleme dieser Region lernen und können sich von ihnen zu der kritischen Selbstreflexion anregen lassen, ob sie etwa im Begriff sind, sich aus ihr zu entfernen. Tillichs eminente Fähigkeit zur faustformelhaften Verdichtung prinzipieller Zusammenhänge mag auf diese Weise womöglich zur Realisierung und Stabilisierung jener Idealposition beitragen. Für die Frage nach den Konstitutionsbedingungen einer mittleren Positionierung im Feld der religiösen Möglichkeiten ist die Wechselbeziehung von Glaubenssubjektivität und objektiver Darstellung von fundamentaler Bedeutung. Nicht nur entzündet sich der subjektive Glaube an übersubjektiven Repräsentanzgestalten des Unbedingten. Vielmehr bedarf die Subjektivität auch in den weniger unbedingtheitsinnigen Phasen des religiösen Lebens, in denen das Nein gegenüber den religiösen Medien und ihrer Vermittlungsleistung dem Ja mindestens die Waage hält, solch objektiver Gestalten, nämlich als Gestalten der Erinnerung an und der Erwartung von subjektiver religiöser Einheit. Ohne derlei Gestalten religiöser Selbstidentifikation würde das Subjekt keine dauernde religiöse Haltung aufbauen können, die den Versuchungen von links und rechts standzuhalten vermag. Aber zugleich darf die religiöse Selbstidentifikation nicht vorbehaltlos sein, sondern muss auch Momente der Distanzierung beinhalten, soll die Subjektivität nicht im Objektiven untergehen: Man spricht im Gottesdienst das Apostolikum mit, aber man denkt sich das Seine dazu. Die religiöse Positionierung auf dem middle ground vollzieht sich unter einem charakteristischen Subjektivitätsvorbehalt, d. h. in der Spannung von Identifizierung und Distanzierung. Bedingung für „Mittelpositionierungsfähigkeit“ ist sonach zweifellos ein Mindestmaß an religiösem ‚Subjektivismus‘. Aber selbiger bleibt unaufhebbar auf übersubjektive Glaubensgestalten bezogen. Es handelt sich, wie sich mit Tillichs Lehrer Troeltsch sagen lässt,¹¹² um „anschlußbedürftigen Subjektivismus“.¹¹³ Gibt es Bedingungen der Ausbildung und Stabilisierung einer solchen religiösen Subjektivität mit derart selbstbewusst-kritischer ‚Anschlussbedürftigkeit‘ und -fähigkeit? Vorzüglich zwei konstitutive Elemente lassen sich aus Tillichs Theorie ‚protestantischer‘ Religion ableiten. Erstens setzt eine so beschaffene religiöse Subjektivität die Orientierung an individueller religiöser Erfahrung vor-

 Vgl. GW V, 72.  Vgl. E. Troeltsch, Was heißt „Wesen des Christentums“? (1903), in: ders., Gesammelte Werke, Bd. 2: Zur religiösen Lage, Religionsphilosophie und Ethik, Tübingen 21922, 386 – 451, hier: 439.

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aus. Denn die Freiheit zur subjektiven Distanzierung gegenüber den objektiven Glaubensgestalten erwächst wesentlich aus erinnerten und erwarteten Augenblicken aktueller Glaubensinnigkeit, in denen sich auch ein Moment der Diskrepanz zwischen Vermeinungsform und letztvermeintem Glaubensgehalt und damit ein Moment der Überpositionalität des Glaubens erschließt. Im Falle einer bloß äußerlichen, traditionalistisch-autoritativen Bindung an die überlieferten Glaubenswahrheiten oder -gesetze besteht kein derartiger „Spielraum“ zur Distanz. In der Folge der benannten Erfüllungs- und Diskrepanzerfahrung hingegen wird auch das Bewusstsein geboren, dass religiöse Gestalten daran zu messen sind, ob sie trotz ihres Abstandes zum Unbedingten eine erlebbare ‚Symbolmächtigkeit‘ aufweisen oder nicht. Und damit wird, wie Tillich mit dem ‚protestantischen‘ Grundsatz der ‚Gegenwärtigkeit‘ herausgestellt hat, eine lediglich traditionalistisch-kollektivistisch begründete Akzeptanz von ‚Glaubensgegenständen‘ prinzipiell unmöglich: Sie haben ihre Gültigkeit erst an der individuellen Innerlichkeit zu erweisen.¹¹⁴ Das zweite Element, das nach Tillich die Konstitution ‚protestantischer‘ Religion wesentlich ausmacht, ist in der obigen Rekonstruktion des protestantischen Prinzips mehr implizit verhandelt worden. Es gehört auch nicht zu den „Urbeständen“ von Tillichs Idee, sondern wurde erst in den frühen zwanziger Jahren fester Bestandteil der Tillich’schen Religionstheorie, nämlich im Zusammenhang der Entwicklung seiner Theologie der Kultur. Gemeint ist das Theorem der ‚unbedingten Form‘ bzw. der ‚formalen Unbedingtheit‘, das Tillich als Gegenmoment zum ‚unbedingten Gehalt‘ einführt.¹¹⁵ Demnach ist das Subjekt ‚protestantischer‘ Religion dadurch charakterisiert, dass es neben dem mystischsakramentalen Erlebnis der Gegenwärtigkeit des Göttlichen, dem religiösen „Gehaltserlebnis“ (EW XII, 462 f.), das Unbedingte auch im Modus ‚unbedingter Forderung‘ erfährt, nämlich der Forderung der Realisierung bestimmter ethischkultureller Werte bzw. ‚Sinnformen‘ wie Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe. Für deren (in Gänze prinzipiell unrealisierbaren) Inbegriff steht eben der eigenartige Terminus der ‚unbedingten Form‘. Jene Forderung wird konkret im „formalen Gültigkeitserlebnis“, in der Erfahrung, unter dem „Zwang“ der unbedingten Gültigkeit dieser Werte zu stehen. (EW XII, 463) Vermöge ihrer ‚formalen Unbedingtheit‘, die als „Unausweichlichkeit“ (MW VI, 131) erfahren wird, besitzt die

 Dementsprechend hat Peter L. Berger die Etablierung des Erfahrungsprinzips in der (neu‐) protestantischen Theologie unter dem Leitwort ‚von der Tradition zur Erfahrung‘ traktiert und als einschneidende und zukunftsweisende Wegmarke in der christlichen Frömmigkeits- und Theologiegeschichte gewertet. Vgl. Berger, Zwang zur Häresie, bes. 139 – 170; vgl. ders., Dialog, 52 f.  Vgl. zu dieser religionstheoretischen Doppelkonstruktion: Fritz, Menschsein als Frage, 66 – 113; Heinemann, Sinn – Geist – Symbol, bes. 278 – 284. 297– 310.

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fragliche Forderung selbst ein religiöses Gepräge, das freilich auch bis zur Unkenntlichkeit in den Hintergrund rücken kann. Das Ergebnis dieses Profanisierungsprozesses ist laut Tillich die ‚autonome Form‘, wie sie sich beispielsweise im Aufklärungsideal der autonomen theoretischen oder praktischen Vernunft verkörpert. Ein Wesenszug ‚protestantischer‘ Religion ist es folglich, das kommt im oben angesprochenen ‚Grundsatz der Profanität‘ zum Ausdruck, dass sie in sich dem beschriebenen „Gültigkeitsbewußtsein“ (EW XII, 463) Raum gibt, ungeachtet dessen, dass damit ein kritischer Gegensatz zum sakramentalen ‚Gehaltserleben‘ auftreten kann. Sie tut dies dergestalt, dass sie besagten Leitkriterien wie Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe, die sie mit der autonomen, profanen Kultur im Prinzip teilt, innerhalb des Religiösen Geltung zu verschaffen sucht. Und sie tut dies, weil sie selbige Kriterien trotz ihrer in gewissem Sinne religionskritischen Implikationen nicht als „religionsfremd“ empfindet, sondern ihnen selbst religiöse Würde zuerkennt. So kommt es im Einklang mit der Vernunftidee des Unbedingten zum religiösen Zweifel an der Gegenwart des Göttlichen oder in Anwendung historischer Vernunft zur historisch-kritischen Auslegung der heiligen Schriften und zur religionsgeschichtlichen Verortung des eigenen Glaubens. Geleitet von der Gerechtigkeitsidee lassen sich Glaubensgemeinschaften zur Zulassung von Frauen in religiöse Ämter bewegen oder in Aufnahme der Idee der Liebe resp. der Achtung der Person zur Anerkennung des Prinzips religiöser Gewissensfreiheit – auch wenn der Gehorsam gegenüber den genannten Werten das sakramentale Leben der Religion in seiner ungebrochenen Vitalität teils beträchtlich beeinträchtigen mag. Die Berücksichtigung besagter ethisch-kultureller Leitwerte, die man als den humanistischen Zug ‚protestantischer‘ Religion bezeichnen könnte, verleiht dieser eine besondere Affinität zur profanen Kultur, in der jene Werte gleichsam ein autonomes Eigenleben führen. Und sie verleiht ihr, wie angedeutet, eine besondere innere Spannung, weil sie das Feuer der Kritik, das in der autonomen Kultur im Modus der Säkularität gehegt wird, selbst in die religiöse Sphäre hineinträgt.¹¹⁶ Aber das humanistische Element bleibt doch zugleich zurückgebunden an das Element mystisch-sakramentaler Innerlichkeit, aus dessen Quelle sich die Freiheit zur Kritik im Namen von Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe überhaupt speist.

 Vgl. zum Verhältnis von genuin religiöser, ‚prophetischer Kritik‘ und genuin profaner, ‚rationaler Kritik‘: MW VI, 128 – 131.

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Wir haben es also mit einer Art Synthese aus mystisch-sakramentaler Kultreligion und ethischer Gewissensreligion zu tun.¹¹⁷ Eben die damit beschriebene spannungsvolle Konkordanz von ‚anschlussbedürftiger‘ religiöser Innerlichkeit und religiösem Humanismus, so lässt sich von jenem Tillich’schen Ideal einer „Religion des Paradox“ (MW IV, 153)¹¹⁸ her resümieren, begründet eine Religiosität, die gegen die Absolutsetzung der eigenen Glaubensgestalten radikal gefeit ist, an denen sich dennoch je und je die numinose Präsenz des Unbedingten einstellt. Die beiden bezeichneten Grundelemente des Religiösen können sonach als Schlüsselmerkmale der gesuchten religiösen ‚Mittelposition‘ begriffen werden. Sie bringen innerhalb der ‚anschlussbedürftigen Subjektivität‘ hinsichtlich der objektiven Glaubensgehalte und -vollzüge einen Prozess innerlicher Aneignung und Fremdsetzung in Gang, der im Blick auf die Glaubenstradition zur Unterscheidung zwischen ‚Zentrum‘ und ‚Peripherie‘, zwischen ‚Wesen‘ und ‚Erscheinung‘ der eigenen Religion führt, die forthin als Leitschema zu deren Umformung fungiert. Absolutistische Starrheit und schroffe Intoleranz gegenüber Anderem, die religiöser Positionalität anhaften können, sind damit im Prinzip überwunden.¹¹⁹

5 Reichweite und Chancen der ‚protestantischen Mittelposition‘ Tillich hat mit seiner Theorie ‚protestantischer‘ Religion ein hohes und hoch differenziertes Ideal einer Religiosität entworfen, die auf dem middle ground zwischen Fundamentalismus und Relativismus wohnt und die sich vermöge dieser Mittelstellung prinzipiell durch Pluralismusfähigkeit auszeichnet, ohne dass dabei die natürliche Positionalität und Exklusivität des Religiösen und das

 Nach Barth, Protestantismusverständnis, 421, hat Tillich seinen Normbegriff von Religion „zeitweise“ in die besagte „Form einer dialektischen Synthese von mystisch-sakramentaler und kritisch-prophetischer Haltung“ gebracht. M. E. hält sich diese Konzeption im Prinzip bis ins Spätwerk hinein durch. Vgl. z. B. P. Tillich, The Permanent Significance of the Catholic Church for Protestantism (1941), in: MW VI, 235 – 245; ders., Our Protestant Principles, in: MW IV, 248 – 254; ders., Encounter of World Religions, 21– 23.  Vgl. dazu C. Danz, ‚Alle Linien gipfeln in der Religion des Paradox‘. Tillichs religionsgeschichtliche Konstruktion der Religionsphilosophie, in: Religion – Kultur – Gesellschaft. Der frühe Tillich im Spiegel neuer Texte (1919 – 1920), hg.v. dems./W. Schüßler, Wien 2008, 215 – 231.  Mit den benannten Merkmalen konvergiert denn auch die von P. L. Berger aufgestellte Liste von Grundbedingungen gedeihlicher Interreligiosität in wesentlichen Punkten. Vgl. Berger, Dialog, 50 – 79; ders./A. C. Zijderveld, Lob des Zweifels, 128 – 133.

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damit gegebene Konfliktpotenzial ausgeblendet würden. Aber wie steht es um die näheren Realisierungsbedingungen und um die aktuellen Realisierungschancen dieser komplexen, in sich spannungsvollen Position innerhalb der verschiedenen Religionen?

5.1 Die Partikularität des protestantischen Prinzips Spätestens sobald das Tillich’sche Ideal samt seinen Kategorien und Kriterien in dieser Weise auf die konkrete religiöse Lage bezogen werden soll, muss sich ein gewichtiger Einwand erheben. So wird spätestens in Anbetracht der pluralistischen Situation der Gegenwart die partikulare Herkunft des allgemeinen Normbegriffs einer ‚protestantischen Mittelposition‘ augenfällig. Offenkundig entstammt Tillichs Ideal selbst einem bestimmten religions- und geistesgeschichtlichen Ort, und diese historische Partikularität stellt unbestreitbar seine allgemeine Gültigkeit infrage. Abgesehen von der Relativität seines normativen Anspruchs wird damit auch fraglich, ob die Kategorien und Kriterien des betreffenden Normbegriffs überhaupt sinnvoll auf historische Situationen und religiöskulturelle Kontexte angewendet werden können, die sich von dessen Ursprungskontext signifikant unterscheiden. Mit einem Wort: Es stellt sich die Frage nach der transreligiösen und transkulturellen Reichweite von Tillichs Religionsbegriff. Denn es ist unübersehbar: Das ‚protestantische Prinzip‘ ist ein protestantisches Prinzip, nun durchaus im empirisch-historischen Sinne verstanden. Es bezeichnet ein Religionsideal, das fest im (Neu‐)Protestantismus verwurzelt ist, das heißt: in einer Religionskultur und Denktradition, in der ältere europäische Christentumsgeschichte, Reformation, Aufklärung und deutscher Idealismus in eigentümlicher Weise zusammengeflossen sind. Tillich hat diese historische Situiertheit seines Leitprinzips auch keinesfalls verleugnet, sondern selbst herausgestrichen.¹²⁰ Dies hat ihn aber nicht daran gehindert, dafür nichtsdestoweniger allgemeine religionstheoretische Relevanz zu behaupten. Tillich hat es indessen nicht bei der bloßen Behauptung bewenden belassen. Schon früh hat er sich in weit ausgreifenden typologischen Reflexionen bemüht, jene Behauptung auch religionsgeschichtlich zu untermauern.¹²¹ Das typologische Verfahren (und wohl auch begrenzte religionsgeschichtliche Kenntnisse)

 Vgl. z. B. Tillich, Encounter of World Religions, 55 f. Vgl. die analogen Bemerkungen bei Berger, Dialog, 70 – 75.  Vgl. z. B. Tillich, Religionsphilosophie (1920), EW XII, 333 – 584.

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mögen ihn dabei häufig zu schematischen Urteilen verleitet haben. Dennoch wird man auch nicht sämtliche Beobachtungen, die Tillich anhand seiner Kategorien am historischen Material gemacht hat, einfachhin von der Hand weisen wollen.¹²² Eine gewisse Erschließungskraft für eine Charakteristik von Religionsformen kann dem protestantischen Prinzip und dem Spannungsverhältnis von Gehaltsund Formelement innerhalb der Religion mithin durchaus zugesprochen werden. Die Tillich’schen Begriffe mögen also zumindest als heuristische Kategorien bei der von Berger ausgerufenen Suche nach „religiösen Ressourcen für eine Mittelposition“¹²³ in den verschiedensten Religionstraditionen dienen. Dies gilt jedenfalls solange, wie keine adäquateren Konzepte für die fragliche Suche zur Verfügung stehen. Denn davon ist auszugehen: Irgendwelche mehr oder weniger deutlichen Begriffe von Religion und ihren wesenhaften und wesenswidrigen Möglichkeiten werden sich mehr oder weniger bewusst in jeder wertungsimprägnierten Reflexion über die Bedingungen und Chancen religiöser Pluralismusfähigkeit und Toleranz geltend machen. Aufgrund ihrer fundamentalen subjektivitätstheoretischen Anlage und ihrer differenzierten Weite sowie aufgrund der ausgeführten Bezüge zum Problem der Interreligiosität dürften die Tillich’schen Kategorien dafür bis auf weiteres nicht die schlechteste Wahl sein.

5.2 Ausblick: Mut zum ‚Protestantisch‘-Sein Unter dem benannten methodischen Vorbehalt lässt sich die Frage nach den Realisierungschancen der pluralismusfähigen ‚protestantischen Mittelposition‘ in den sich pluralisierenden Gesellschaften nun noch einmal aufwerfen. Wenigstens einige allgemeine Gedanken will ich dazu abschließend notieren. Angesichts der Hochkonjunktur von Fundamentalismen in nahezu sämtlichen Weltreligionen wird man hinsichtlich jener Frage derzeit nicht zu einer besonders wohlgemuten Einschätzung neigen. Ausrichtung an subjektiver In Dass z. B. beim Auftreten der israelitischen Prophetie eine primär kultische und eine primär von der göttlichen Gerechtigkeitsforderung geleitete Auffassung von Religion aufeinandergestoßen sind, dürfte allgemeine Zustimmung finden. Dass derartige Konflikte wichtige religionsgeschichtliche Triebkräfte darstellen, auch außerhalb des ‚abrahamitischen‘ Religionsraumes, und dass sich wiederum die Transformation des europäischen Christentums durch Reformation und Aufklärung gut in eine entsprechende Konfliktgeschichte einfügt, dies sind ebenfalls keine abwegigen Gedanken. Eine eingehendere Evaluation von Tillichs religionstypologischen Überlegungen steht, so weit ich sehe, bislang aus. Das Grundsätzliche hat Danz, Religion des Paradox, herausgearbeitet.  Vgl. Berger (Hg.), Between Relativism and Fundamentalism. Religious Resources for a Middle Position.

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nerlichkeit und ethischen Leitnormen, Entgegenständlichung des Heiligen, antitraditionalistische Orientierung an der Gegenwart, Konvergenz von religiöser und profaner Kritik – all das findet sich durchaus innerhalb der Weltreligionen. Aber der beharrliche Widerstand gegen die historisch-kritische Auslegung heiliger Schriften oder die weithin selbstverständliche Unterscheidung zwischen ‚wahrer‘ und ‚falscher‘ Religion, um nur zwei Beispiele zu nennen, scheinen doch anzuzeigen, dass Konservatismus und natürlicher Exklusivismus, die der Religion nach Tillich strukturell eignen, in den Religionen immer noch recht ungebrochen herrschen – von den radikalen Abarten des Religiösen ganz abgesehen. Im Reformationsjubiläumsjahr ist vielleicht auch wieder deutlicher ins Bewusstsein getreten, was für tiefgreifende, nachgerade revolutionäre Umbrüche nötig sind, um gegenüber solch ungebrochener Positionalität einen religiösen Standpunkt selbstkritischer Affirmation (einigermaßen) zu etablieren, wie ihn Tillich in seiner Komplexität und Fragilität beschrieben hat. Der Ruf nach einer „Reformation“ und/oder „Aufklärung“ etwa des Islam ist von daher so verständlich wie problematisch. Jedenfalls provoziert er die Frage, unter welchen Bedingungen und auf welche Weise sich eine Religion bestimmte ethisch-kulturelle Leitideen zu eigen machen kann, ohne sich in der Gefahr zu wähnen, „sich selbst zu verlieren“. Im genannten Fall spitzt sich dies zu der Frage zu, wie sich Musliminnen und Muslime ethisch-kulturelle Leitideen zu eigen machen sollen, die, trotz vorhandener Wurzeln in der vorchristlichen europäischen Antike, durch den vorwiegend jüdisch-christlich geprägten ‚Westen‘ propagiert und weltweit verbreitet wurden – ohne sich in der Gefahr zu wähnen, die eigene religiöse Herkunft zu verraten. Fragen religiöser Vitalität und Authentizität vermischen sich bis zur Ununterscheidbarkeit mit Fragen kultureller Identität und interkultureller Konkurrenz – was die geforderten Transformationsprozesse noch wesentlich erschwert. Schon Tillich hat in den letzten Jahren seines Lebens, in denen er sich der Herausforderung durch die Begegnung der Weltreligionen gewidmet hat, im Blick auf die weltweiten Verwirklichungschancen des protestantischen Prinzips wenig Anlass zu Optimismus gesehen. Maßgebend für diese Skepsis war sicher die in der eigenen Theorie formulierte Einsicht in die fragilen und voraussetzungsreichen Konstitutionsbedingungen ‚protestantischer‘ Religion und in die strukturellen Widerstände einer jeden Religion gegen ihre „Protestantisierung“¹²⁴. Eine Rolle hat dabei aber auch eine zeitdiagnostische Wahrnehmung gespielt, in Verbindung mit einer anthropologisch-geschichtlichen Generalannahme. Die Totalitarismen in Europa und die Entwicklung der kapitalistischen Massengesellschaft in Ame-

 Vgl. zum Begriff: Berger, Dialog, 70 – 75.

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rika vor Augen erkannte Tillich seine Gegenwart tiefgreifend durch „autoritäre Bewegungen“ und „neokollektivistische Trends“ bestimmt¹²⁵ – Tendenzen, die er als Varianten des geschichtlichen Normalfalls einzustufen geneigt war. Vielleicht werden wir feststellen, dass Freiheit immer eine esoterische Angelegenheit ist, etwas für die wenigen Mitglieder eines inner circle, während die Massen Autorität brauchen, in religiösen Dingen: absolute Autorität.¹²⁶

Hinsichtlich der Frage, „ob die geschichtliche Menschheit die Freiheit einer geistigen Religion […] auf die Dauer ertragen kann“, hat Tillich dementsprechend klar geurteilt: „Die eindeutige Antwort der Geschichte ist, daß sie es nicht kann.“ (GW V, 56) Die Verwirklichung der ‚protestantischen Mittelposition‘ ist für Tillich historisch der Ausnahmefall erhabener religionsgeschichtlicher Augenblicke. Viele Entwicklungen unserer Gegenwart scheinen Tillichs Urteil zu bestätigen. Gerade unter den Bedingungen einer stetigen Pluralisierung der westlichen Gesellschaften wächst allem Anschein nach das Bedürfnis nach festen kollektiven Identitäten und starken, autoritätsgestützten Gewissheiten. Der desintegrierende Pluralisierungsdruck erzeugt die Neigung zu einem wenigstens partikularen „Konformismus“¹²⁷, zwecks Stützung des vom Verlust allgemeiner Lebensgültigkeiten verunsicherten Individuums. Kirchen und Religionsgemeinschaften reagieren regelmäßig mit dem teils mehr marketingstrategisch, teils mehr identitätspsychologisch begründeten Ruf nach stärkerer „Erkennbarkeit“ der eigenen Position, nicht selten auch mit weitergehenden Bestrebungen zur autoritativen Zementierung der religiösen Fundamente. Im Extrem führt die fundamentalistische Selbststabilisierung zum Fanatismus, der oftmals mit einer nachgerade rauschhaften Intensivierung des religiösen Lebens einhergeht – und in den wahrhaft dämonischen Formen mit der ekstatischen Bereitschaft zum religiös motivierten Selbstopfer. Obgleich der Protestantismus den fanatischen Extremen im Allgemeinen relativ fern steht, ist er doch von den besagten Tendenzen nicht ausgenommen. Auch die protestantischen Kirchen, geboren aus dem Protest gegen die hierarchisch-sakramentalistische Verhärtung des Christentums, geraten in die bereits von Tillich diagnostizierte „Gefahr“, in Reaktion auf die pluralistische Verunsi-

 Vgl. Tillich, Encounter of World Religions, 54.  A.a.O., 55: „We may find that freedom is always a matter of esoterism, something for the few who are in an inner circle, while the masses need authority, absolute authority in religious matters.“  Tillich, Encounter of World Religions, 54.

Selbstkritische Affirmation

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cherung „selbst quasi-fundamentalistisch zu werden“¹²⁸ (oder auch schlicht ‚fundamentalistisch‘). Den Protestantismus kennzeichnet, wie Tillich einräumt, aufgrund der internen Selbstkritik gerade in der pluralistischen Konkurrenzsituation eine charakteristische „Schwäche“¹²⁹. Aber die Bedrohung, die daraus resultiert, erblickt Tillich nicht etwa in seiner „Verdrängung“ durch „weniger labile Religionen“ oder Religionsformen. (Ebd.) Angesichts von deren ungebrochenen Absolutheitsansprüchen sieht er die protestantische Religion vielmehr insofern bedroht, als „die Selbstverteidigung sie dazu zwingt, ihr eigenes Wesen zu vergewaltigen und sich der Natur ihrer Angreifer anzugleichen. In dieser Gefahr leben wir heute.“ (Ebd.)¹³⁰ Der ‚protestantische‘ middle ground zwischen Fundamentalismus und Relativismus ist ein gefährdeter Standort. Er ist voraussetzungsreich, in sich spannungsvoll, vielfach versuchlich, labil. Welche Zukunft ihm innerhalb der verschiedenen Religionen und in deren Begegnung beschieden ist, wissen wir nicht. Auch ob der Protestantismus und zumal der liberale Protestantismus, der sich innerhalb des Christentums um die Realisierung und Reflexion jenes Mittelfelds in besonderer Weise bemüht hat, in den religiösen Wandlungsprozessen der Zukunft lebendig bleiben wird, ist nicht vorhersehbar. Aber seine Bestimmung innerhalb der gegenwärtigen Begegnung der Religionen zeichnet sich, in der Besinnung auf Vordenker wie Tillich und Berger, doch ab. Es ist das Werben und die gemeinsame Suche nach Ressourcen für die religiöse, pluralismusfähige ‚Mittelposition‘ – und das stete Bestreben, selbst auf dieser Position einigermaßen den Stand zu halten. Und im besten Falle wird sich, um mit einem pathetischen Wort Tillichs zu schließen, in solchem Streben „die Schwäche des Protestantismus, unter der Kritik seines eigenen Prinzips zu stehen“, zugleich als „die Größe des Protestantismus“ erweisen.¹³¹

 Ebd.  Vgl. a.a.O., 56.  Tillich hat angesichts dieser Gefahr von einem möglichen „Ende der protestantischen Ära“ gesprochen: vgl. GW VII, 159 – 170.  Tillich, Encounter of World Religions, 56: „And from this I draw the last conclusion, that in this moment of world encounters of the great genuine religions and the great quasi-religions, the weakness of Protestantism, that it stands under the criticism of its own principle, could become the greatness of Protestantism.“ – Diese Publikation erscheint im Kontext des vom LOEWE-Programm des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst geförderten Forschungsschwerpunkts ‚Religiöse Positionierung: Modalitäten und Konstellationen in jüdischen, christlichen und islamischen Kontextenʻ an der Goethe-Universität Frankfurt und der Justus-LiebigUniversität Gießen.

Burkhard Nonnenmacher

Tillichs ‚gläubiger Realismus‘ im Spannungsfeld von Reformation und Revolution Tillichs Begriff ‚gläubiger Realismus‘ wird in der zweiten Hälfte der 20er Jahre geprägt. Besonders ins Auge stechen zwei Schriften: Erstens ein am 9.7.1927 gehaltener Vortrag „auf der Älterentagung des Bundes deutscher Jugendvereine in Hannoversch-Münden“ (GW IV, 199), in der GW unter Gläubiger Realismus I veröffentlicht.¹ Zweitens ein ebenfalls 1927 „vor der Theologenschaft der Universitäten Marburg, Tübingen und Halle“ (GW IV, 200) gehaltener Vortrag mit dem ursprünglichen Titel Über gläubigen Realismus, in der GW unter Gläubiger Realismus II veröffentlicht.² Erstveröffentlicht wurden der erstgenannte Vortrag im Theologenrundbrief für den Bund deutscher Jugendvereine im November 1927.³ Der zweitgenannte Vortrag erschien zunächst in den Theologischen Blättern von 1928,⁴ gefolgt von mehreren weiteren Veröffentlichungen,⁵ deren zweite eine 1948 unter dem Titel Realism and Faith erschienene, „vom Verfasser neu bearbeitet[e]“ (ebd.) Übersetzung ins Amerikanische ist.⁶ Bereits letzteres zeigt, dass Tillich der Begriff ‚gläubiger Realismus‘ auch nach der Emigration wichtig geblieben ist.⁷ Und das verwundert freilich wenig, vergegenwärtigt man sich, wie nahe die genannten Schriften Gläubiger Realismus I und Gläubiger Realismus II von 1927 zu Schriften wie Kairos und Logos von 1926⁸ oder Das religiöse Symbol von 1928⁹ stehen. Denn nicht nur greift Tillich erstens unter der Überschrift ‚gläubiger Realismus‘ wesentliche Elemente aus der bereits in Kairos und Logos von 1926

 Vgl. GW IV, 77– 87.  Vgl. GW IV, 88 – 106.  Vgl. Theologenrundbrief für den Bund deutscher Jugendvereine e.V., Jg. 2, hg.v. H. Kloppenburg, Göttingen/Münster 1927, 3 – 13.  Vgl. Theologische Blätter 7 (1928), 109 – 118.  Vgl. GW IV, 200.  Vgl. P. Tillich, The Protestant Era, Chicago 1948, 66 – 82.  Vgl. hierzu auch Tillichs Äußerungen zum Begriff ‚Gläubiger Realismusʻ in Auf der Grenze, in: GW XII, 21 f.  Vgl. GW IV, 43 – 76. Erstveröffentlicht unter der Überschrift Kairos und Logos. Eine Untersuchung zur Metaphysik des Erkennens, in: Kairos. Zur Geisteslage und Geisteswendung, hg.v. P. Tillich, Darmstadt 1926, 23 – 75.  Vgl. GW V, 196 – 212. Erstveröffentlicht in: Blätter für Deutsche Philosophie. Zeitschrift der Deutschen Philosophischen Gesellschaft 4 (1928), 1. Bd., 277– 291. https://doi.org/10.1515/9783110668124-010

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geübten Kritik am Idealismus wieder auf, sondern zudem gilt zweitens, dass seine unter der Überschrift ‚gläubiger Realismus‘ angestellten Überlegungen ein Problemfeld markieren, dem sich, so meine These, ab spätestens 1928 Tillichs Symboltheorie zuwenden wird, die Tillich bekanntlich bis zum Ende seines Schaffens durch die gesamte Systematische Theologie hindurch verfolgen wird. Hinzu kommt drittens, dass Tillich unter der Überschrift ‚gläubiger Realismus‘ in Grundzügen bereits ebenfalls jene Kritik an der Wort-Gottes-Theologie Barths entwickelt, die er dann ausführlicher im bereits in den USA verfassten Text What is wrong with the Dialectic Theology von 1935¹⁰ zum Ausdruck bringen wird. Bereits die genannten Punkte rechtfertigen eine eingehende Auseinandersetzung mit den Texten Gläubiger Realismus I und Gläubiger Realismus II. Zusätzlich gilt es aber zu beachten, dass Tillich in Gläubiger Realismus I und Gläubiger Realismus II über die genannten Themen hinaus auch noch Probleme entwickelt, die als Auseinandersetzung mit dem reformatorischen Erbe zu verstehen sind. Tillich geht es dabei um die Frage nach den epistemologischen Implikationen einer ernsthaften Rede von der Alleinwirksamkeit Gottes, die er in interessanter Weise zur Idealismuskritik und zur Kritik an der Wort-Gottes-Theologie in Beziehung setzt. Im Folgenden versuche ich diese Bezüge am Argument orientiert nachzuzeichnen. Im Vordergrund steht dabei die Frage nach den von Tillich investierten Prämissen. Der erste Teil meiner Überlegungen ist dem Gedankengang von Gläubiger Realismus I gewidmet. Der zweite Teil dem Gedankengang von Gläubiger Realismus II. Der dritte und letzte Teil fragt nach der systematisch theologischen Aufgabe, die Tillich unter dem Begriff ‚gläubiger Realismus‘ benennt und setzt diese vorsichtig zum Symbolbegriff Tillichs in Beziehung.

1 Gläubiger Realismus I In Gläubiger Realismus I spricht Tillich über die Suche des Menschen nach dem „Wahrhaft-Wirklichen“, das er mit dem „Seinsmächtigen“ identifiziert, d.i. mit demjenigen, das „Macht hat, zu sein“. (GW IV, 78) Freilich gibt es unterschiedliche Antworten auf die Frage, was das wahrhaft Seinsmächtige ist. Ihnen allen ist etwas anderes das wahrhaft Wirkliche und Reale oder das, was unwandelbare, unbedingte und nicht nur relative Seinsmächtigkeit hat. Ein klassisches Thema.

 Veröffentlicht unter dem Titel Was ist falsch in der ‚dialektischen‘ Theologie?, in: GW VII, 247– 262. Erstveröffentlicht unter dem Titel What is wrong with the Dialectic Theology?, in: Journal of Religion 15 (1935), no. 2, 127– 145.

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Es gibt unterschiedliche Begriffe des Unbedingten und Letztwirklichen. Sie alle sind mit einander konfligierende Realismen, weil ihnen allen etwas anderes das eigentlich Wirkliche und Reale ist. Als den entscheidenden Realitätsbegriff „unserer Zeit“ bestimmt Tillich in Gläubiger Realismus I zunächst den „ökonomischen Realitätsbegriff“. (GW IV, 81) Dieser betrachtet „den ökonomischen Machtwillen als die eigentliche Realität des Seienden“. (Ebd.) In einer „Mischung von Überheblichkeit und Resignation“ bezeichnet dieser ökonomische Realismus deshalb „jeden anderen Realismus als Schwärmerei“. (GW IV, 82) Mammon ist Gott, könnte man ergänzen, mit Verweis auf Luthers auf Mt 6,24 bezugnehmende Auslegung des ersten Gebots im Großen Katechismus. ¹¹ Freilich ist für Tillich dieser ökonomische Realismus nicht der Weisheit letzter Schluss. Und auch diese Haltung ist natürlich wiederum selbst ein Realismus. Tillich bezeichnet ihn als „historischen Realismus“. (Ebd.) Gekennzeichnet sieht er ihn in folgender Überzeugung: „Das Hier und Jetzt ist nicht das Zufällige, nicht der Augenblick, sondern das, was in diesem Augenblick getragen ist vom Vergangenen, gespannt zum Zukünftigen.“ (Ebd.) Diese Überzeugung bezeichnet Tillich als die „christlich protestantische Haltung, die im Jetzt, im historisch gefüllten und gespannten Hier die Macht des Seins sucht.“ (Ebd.) Die Verortung der Gegenwart in der Geschichte und die Auffassung der Geschichte als Heilsgeschichte verbannt den ökonomischen Realismus damit in die „Oberflächenschichten der Wirklichkeit“. (GW IV, 83) ‚Gläubig‘ ist der Realismus der christlich-protestantischen Haltung hierdurch jedoch noch nicht, sondern das wird er Tillich zufolge erst dadurch, dass er das „Unbedingt-Mächtige“ (GW IV, 84) als „das schlechthin Unerreichbare“ (ebd.) in dem Sinne anerkennt, dass das Unbedingt-Mächtige, weil es das unbedingt Mächtige ist, nicht durch den menschlichen Geist ergriffen werden kann, sondern nur umgekehrt dieser von ihm. Diese Haltung bezeichnet Tillich als „Glaube“. (Ebd.) Nicht wir bemächtigen uns dessen, was uns das Unbedingt-Wirkliche ist, sondern das Unbedingt-Wirkliche ergreift uns. Aufs engste verknüpft ist hiermit Tillichs Idealismuskritik, die er bereits 1926 in Kairos und Logos entwickelt hat. Tillich ist der Auffassung, dass die Vermittlung des eigenen Standpunkts durch das Unbedingte nicht bereits darin anerkannt ist, dass jede Auslegung des Absoluten als „eigene Auslegung des Absoluten“ verstanden wird, wie freilich auch

 Vgl. WA 30 I, 133.

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Hegel sagt,¹² sondern nur dann, wenn anerkannt ist, dass sich das Transzendieren der Endlichkeit gerade nicht von dem aus herstellen lässt, was transzendiert wird. Tillichs Gläubiger Realismus zeigt sich damit auch und gerade als ein Begriff, der Luthers sola gratia in nicht zuletzt epistemologischer Perspektive zu entfalten versucht. Dem Idealismus Hegels wirft Tillich dagegen vor, die Selbsterhebung zur göttlichen Offenbarung zu lehren, auch wenn er jene Erhebung als Selbstauslegung des Absoluten denkt. Gleichwohl teilt Tillich mit Hegel die Auffassung, dass das Unbedingt-Mächtige nur im Konkreten zu haben ist. Bereits in Kairos und Logos von 1926 schreibt Tillich deshalb: „Die Idee wird konkret, sie individualisiert sich, sie geht in die Geschichte ein, sie erfährt ein Schicksal. Hier und nirgends so wie hier zeigt sich die Größe des Hegelschen Denkens.“ (GW V, 71) In Gläubiger Realismus I sagt Tillich dann zudem: „Das Unbedingt-Mächtige, die letzte Macht des Seienden, ist nicht zu erreichen durch Weggehen von dem Hier und Jetzt, sondern durch Standhalten in ihm, durch eingehen in seine Spannungen, durch Ergriffenwerden vom historischen Schicksal.“ (GW IV, 85) In einer ersten Form klingt hier schon an, was Tillich sieben Jahre später Barth dann noch deutlicher vorwerfen wird in seinem Aufsatz What is wrong with the Dialectic Theology von 1935, mit dem Tillich nicht nur auf Barths „Nein!“¹³ gegen Brunner¹⁴ reagiert, sondern vor allem deutlich macht, dass seine Idee einer Verwendung der Geschichte als Fragematerial ¹⁵ für die Erschließung der in der Schrift bezeugten Offenbarung keineswegs das solus christus oder das sola gratia in Frage stellen will. Denn weder denkt Tillich das Aufgreifen jenes Fragematerials aus der Geschichte als nicht durch Gottes Offenbarung vermittelt, noch dient es ihm zu einer Relativierung der Christozentrik des christlichen Glaubens, sondern ganz im Gegenteil gerade zu deren Vergegenwärtigung, ohne dass der Gedanke des Ergriffenseins damit in Frage gestellt sein soll. Bereits in diesem Geist einer Korrelation von Situation und Botschaft, mit der Tillich dann auch den ersten Band seiner Systematischen Theologie beginnen

 Vgl. G. W. F. Hegel, Gesammelte Werke, hg.v. der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Hamburg 1968 ff. (im Folgenden = Hegel, GW), hier: Hegel, GW 11, 370.Vgl. hierzu zudem: B. Nonnenmacher, Hegels Philosophie des Absoluten. Eine Untersuchung zu Hegels „Wissenschaft der Logik“ und reifem System, Tübingen 2013, 2 f.  Vgl. K. Barth, „Nein! Antwort an Emil Brunner“, in: TEH 14 (1934), 4– 63.  Vgl. hierzu E. Brunner, Natur und Gnade. Zum Gespräch mit Karl Barth, Tübingen 1934.  Vgl. hierzu GW VII, 257: „Liberal ist es, Religionsgeschichte und Offenbarung zu verwechseln, supranatural ist es sie von einander auszuschließen, dialektisch ist es, in der Religionsgeschichte Antworten, Irrtümer und Fragen zu finden, die auf die endgültige Antwort hinführen und ohne die die endgültige Antwort ein Ungefragtes, Unverstandenes und Fremdes bleiben müßte.“ Vgl. zudem GW VII, 256: „Barth hat in seinem radikalen Kampf gegen die liberale Auffassung sich für die supranaturale entschieden, nicht für die dialektische, das ist seine Grenze.“

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wird, sagt er auch schon in Gläubiger Realismus I: „Glaube und Realismus gehören zusammen“. (Ebd.) Denn Tillich zufolge muss eben nicht nur betont werden, dass jedwede Rede von Gott durch Gott vermittelt sein muss, sondern zudem, dass alle gelingende Rede von Gott nicht in „abstrakter Dialektik“ (ebd.) stattfindet, sondern im „Hier und Jetzt“ (GW IV, 87), in der jeweiligen Gegenwart, im jeweilig einzelnen Schicksal. Letzteres zu unterschätzen bezeichnet Tillich als „Verrat am Hier und Jetzt“ (ebd.). Es ist bemerkenswert, wie eng idealistisches Gedankengut und der existentialistische Protest gegenüber dem Idealismus hier miteinander verknüpft werden. In paulinisch-lutherischer Tradition teilt Tillich mit Hegel erstens den Gedanken, dass jedwede Auslegung des Absoluten als durch das Absolute vermittelt gedacht werden muss. Nicht der Mensch macht den Anfang in der Rede von Gott, sondern Gott selbst, wenn Gott mit 1 Kor 12,6 alles in allem wirkt. Zweitens teilt Tillich mit Hegel den Gedanken, dass das Absolute als Allgemeines von seinem Erscheinen in besonderer Bestimmtheit nicht getrennt werden kann. Das Allgemeine ist nur in seinem Sichzeigen und Sichbestimmen in besonderer Bestimmtheit. Der Differenzpunkt zu Hegel ist jedoch, dass Tillich diesen zweiten Punkt anders realisiert sehen will als Hegel. Tillich geht es um das existentielle Ergriffensein des einzelnen Menschen, d. h. um das, was später als Unbedingtangegangensein, als ultimate concern, bezeichnet werden wird. Tillich wird dieses Moment später dazu dienen, echte von unechten Symbolen Gottes zu unterscheiden. Hier in Gläubiger Realismus I geht es aber zunächst einmal nur darum, den gläubigen Realismus darüber vom Idealismus zu unterscheiden, dass behauptet wird, dass der Idealismus „das Wirkliche vergewaltigt, um das Unbedingt-Wirkliche aufzuweisen“ (GW IV, 86), während dem gläubigen Realismus „das Durchschauen-lassen“ des Absoluten im Endlichen gelingt, nämlich das, wie Tillich sagt als „die Berührung der tiefsten Schichten als Hinweis auf das Unbedingt-Wirkliche“ (ebd.). Ich kann Tillichs Position hier nicht ausführlicher als Rezeption, Kritik und Transformation idealistischen Gedankenguts reflektieren. Aber folgende Anmerkung möchte ich machen: Will man sich ernsthaft mit der skizzierten Abgrenzung von Idealismus und gläubigem Realismus auseinandersetzen, muss man natürlich auch fragen, inwieweit im skizzierten Programm noch Nachklänge der Kritik des späten Schelling an Hegel zu sehen sind, die auf Schellings Unterscheidung von negativer und positiver Philosophie gründen. Hierzu passt gut, dass Tillich in seiner ebenfalls 1927 in den Theologischen Blättern unter dem Titel Christentum

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und Idealismus ¹⁶ erschienenen Rezension von Friedrich Brunstäds Die Idee der Religion. Prinzipien der Religionsphilosophie von 1922 selbst an entscheidender Stelle auf Schellings Begriff „negativer Philosophie“ verweist (GW XII, 223) und diese als Kennzeichnung der Tatsache deutet, dass „die Philosophie der absoluten Synthesis“ (ebd.) des Idealismus „nicht an die Realität der göttlichen Offenbarung herankommt“. (Ebd.) Zudem muss man sich fragen, inwieweit sich Tillich aber auch von Schellings Spätphilosophie noch einmal zu emanzipieren versucht. Denn nicht erst in seinem 1954, anlässlich des 100. Todestages Schellings gehaltenen Vortrag Schelling und die Anfänge des existentialistischen Protests ¹⁷ sagt Tillich dies ausdrücklich,¹⁸ sondern auch schon 1927 am Ende der Brunstäd-Rezension hält Tillich fest: „Der Versuch, den Idealismus zum Range einer christlichen Glaubensphilosophie zu erheben, scheitert an der Unbedingtheit der göttlichen Transzendenz.“ (GW XII, 224) Freilich ist dieser Satz in erster Linie gegen Brunstäd und Hegel gerichtet. Nicht zu vergessen ist aber, dass ihn Tillich an das Ende eines Textes setzt, der eine Seite zuvor Schelling selbst als einen „Hauptführer des Idealismus“ (GW VII, 223) bezeichnet und Schelling lediglich zubilligt, einen „transzendentalen Realismus“ (ebd.) gesucht zu haben, der der „Weltüberlegenheit des Göttlichen weit mehr gerecht wird als der Hegelsche Idealismus“ (ebd.). In der Tat lässt es Tillich mit dieser Bemerkung damit auch bereits in der Brunstäd-Rezension völlig offen, ob Schellings Entwürfe bereits als hinreichend „Theonome Philosophie“ (ebd.) gelten können, die Tillich darin gekennzeichnet sieht, dass sie „jede Philosophie [bekämpft], die sich grundsätzlich dieser Erschütterung entziehen will, in der das Sein und die Begriffe vom Sein für den Glauben stehen.“ (Ebd.) Ich kann hier auf Tillichs Auseinandersetzung mit Hegel und Schelling im Rahmen seiner Brunstäd-Rezension nicht ausführlicher eingehen.Vielmehr ist mir am Ende des ersten Teils meiner Überlegungen nur folgender systematische Punkt wichtig: In Gläubiger Realismus I liefert Tillich zunächst einmal nur eine Nominaldefinition des Gläubigen Realismus, die ihn vom Idealismus abgrenzt. Diese Nominaldefinition besteht darin, dass Tillich behauptet, dass der Idealismus „das Wirkliche vergewaltigt, um das Unbedingt-Wirkliche aufzuweisen“ (GW IV, 86), während dem gläubigen Realismus „das Durchschauen-lassen“ des Absolutem im Endlichen gelingt, nämlich das, wie Tillich sagt als „die Berührung der tiefsten Schichten als Hinweis auf das Unbedingt-Wirkliche“ (ebd.). – Noch völlig offen ist damit, was genau jenes „Durchschauen-lassen“ des Absoluten im Endlichen sein soll, das  Vgl. P. Tillich, Christentum und Idealismus. Zum Verständnis der Diskussionslage (F. Brunstäd, E. Brunner, W. Lütgert, E. Hirsch), in: GW XII, 219 – 238.  Vgl. GW IV, 133 – 144.  Vgl. a.a.O., 144.

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dem Idealismus angeblich nicht gelingt, wohl aber dem gläubigen Realismus gelingen soll. – Um genau diese Frage geht es jetzt im zweiten Teil meiner Überlegungen.

2 Gläubiger Realismus II Bereits am Ende von Gläubiger Realismus I parallelisiert Tillich den Idealismus mit dem Expressionismus in der Kunst.¹⁹ Erst zu Beginn von Gläubiger Realismus II parallelisiert er dann aber die „Neue Sachlichkeit“ (GW IV, 88) mit dem gläubigen Realismus als „neuem Realismus“. (GW IV, 89) Tillich sagt hier: Der Realismus des neunzehnten Jahrhunderts hatte die Wirklichkeit ihrer symbolischen Mächtigkeit beraubt, der Expressionismus hatte versucht, diese Mächtigkeit durch die Zerstörung der Oberfläche der Wirklichkeit wiederherzustellen. Der neue Realismus versucht durch die Verwendung der gegebenen Formen, auf den Sinngehalt des Wirklichen hinzudeuten. In all diesen Bewegungen treibt die Kunst auf einen gläubigen Realismus zu. Es gibt keine Gewähr dafür, daß dies Ziel erreicht wird […]. Aber es ist eine Tendenz, die vom Protestantismus verstanden und unterstützt werden sollte, da sie echt protestantisches Gepräge trägt. (Ebd.)

Diese Stelle ist sehr bemerkenswert, wenn man sie mit jener Stelle zusammenliest, die am Ende von Gläubiger Realismus I die Vergewaltigung des Wirklichen mit dem Expressionismus in der Kunst und dem Idealismus in der Philosophie engführt.²⁰ – Tillich erläutert hier seinen eigenen philosophisch-theologischen Entwurf, indem er ihn kunstgeschichtlich reflektiert und d. h. Analogien zwischen bestimmten Epochen der Kunst- und Philosophie-Geschichte behauptet. Ja, mehr noch: Der Verweis auf die Neue Sachlichkeit will genau jene Frage in einem ersten Sinne zu beantworten versuchen, die sich oben stellte, nämlich die Frage, was eigentlich die Realdefinition jenes proklamierten gelingenden Durchscheinenlassens des Unbedingten im Endlichen sein soll. Maler der Brücke stehen dabei für Tillich für das, was Hegel und Schelling in der Philosophie versuchen: Das Unbedingte soll (wieder) im Bedingten gefunden werden, indem das Bedingte als Ausdruck des Unbedingten, Unendlichen reflektiert wird. Ihnen voraus ging die Vernunftkritik Kants, die die Rede von Gott in die Moraltheologie verlegte, in der theoretisch Unentscheidbares nur noch in praktischer Absicht für wahr gehalten werden soll.²¹ Genau sie scheint Tillich implizit mit dem Realismus der Kunst des

 Vgl. a.a.O., 86.  Vgl. ebd.  Vgl. hierzu ausführlich: B. Nonnenmacher, Vernunft und Glaube bei Kant, Tübingen 2018.

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19. Jahrhunderts zu parallelisieren, der, wie Tillich sagt, „die Wirklichkeit ihrer symbolischen Mächtigkeit beraubt“. (Ebd.) – Ein Schelm, wer hier an Menzels Flötenkonzert Friedrichs des Zweiten denkt. – Ob sich diese Stilrichtung der Kunst wirklich mit Kants Vernunftkritik parallelisieren lässt, ist freilich eine ganz andere Frage. Ich kann hier nicht auf sie eingehen. In jedem Fall aber passt zum von Tillich entworfenen Szenario, dass es das Anliegen der Idealisten nach der Vernunftkritik Kants ist, wieder den Anfang mit dem Absoluten zu machen, im Endlichen das Unendliche aufzusuchen und nicht beim Credo einer absoluten Entgegensetzung von Endlichem und Unendlichem halt zu machen, wie Hegel nicht müde wird Kant vorzuwerfen.²² – Es fehlt damit nur noch der dritte Schritt, der ‚neue Realismusʻ, der das Unbedingte in gelingender Form im Bedingten findet, ohne es zu vergewaltigen, ohne Selbstüberschätzung der menschlichen Vernunft. Diesen dritten Weg sieht Tillich in der Neuen Sachlichkeit verwirklicht. In der Malerei ist dieser Begriff eng verknüpft mit den Arbeiten von Otto Dix, George Grosz oder auch Christian Schad. Das, was Schad, Dix und Grosz in der Malerei machen, das ist es, was Tillich für die Theologie proklamieren will, nämlich nicht in der Zerbrechung der Formen, sondern „durch die Verwendung der gegebenen Formen, auf den Sinngehalt des Wirklichen hinzudeuten“. (Ebd.) Und in der Tat: Die Subtilität eines Schad oder Dix besteht ja gerade darin, dass es im scheinbar nur Diesseitigen eben gerade nicht nur um Diesseitiges geht, sondern im Gegenteil, das scheinbar rein Diesseitige bringt Unbedingtes zum Durchscheinen. – Das ist Tillichs Programm. – Dem Expressionismus spricht er die Umsetzung dieses Programms ebenso ab wie dem Idealismus. Am Ende von Gläubiger Realismus I werden Idealismus und Expressionismus in genau diesem Sinne parallelisiert. Es heißt dort: Der Idealismus ist nicht ungläubig, aber eben darum auch nicht gläubig, während der Realismus gläubig oder ungläubig sein kann. Es gibt also vier Haltungen: 1. die Oberflächengebundenheit, 2. der ungläubige Realismus, 3. der Idealismus, 4. der gläubige Realismus. So in der Kunst: 1. das Abbilden, das noch nicht Kunst ist, oft aber Lüge der Verzierung und Verschönerung, 2. das Umbilden, das die tiefsten Seinsschichten ergreift und skeptischtragisch ist, 3. das Ausdrücken, die Expression, die das Wirkliche vergewaltigt, um das Unbedingt-Wirkliche aufzuweisen, 4. das Durchschauen-lassen: die Berührung der tiefsten Schichten als Hinweis auf das Unbedingt Wirkliche. (GW IV, 86)

Ob Tillich dem Idealismus und Expressionismus hier Unrecht tut, ist freilich eine andere Frage. Ich kann sie hier ebensowenig erörtern wie die Frage, was davon zu halten ist, dass von Tillich hiermit zumindest implizit das Denken Hegels oder  Vgl. G.W. F. Hegel, Glauben und Wissen, GW 4, 346; ders., Phänomenologie des Geistes, GW 9, 54.

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Schellings mit der Malerei Heckels, Kirchners, Noldes oder Schmidt-Rottluffs gleichgesetzt wird. Hinzufügen möchte ich nur noch eines: Der Begriff der Neuen Sachlichkeit verdiente freilich in diesem Kontext nicht nur in der Malerei verfolgt zu werden, sondern ebenso in der Literatur, in der Architektur, in der Photographie und im Film. Ich komme damit zur entscheidenden Frage, was Tillichs Begriff ‚gläubiger Realismus‘ durch die von ihm proklamierten Parallelen systematisch gewinnt. Tillich unterstreicht das „protestantische Gepräge“ (GW IV, 80) des gläubigen Realismus zu Beginn von Gläubiger Realismus II. Worin besteht es? Der ‚neue Realismus‘ maßt sich Tillich zufolge nicht wie der Idealismus an, selbst etwas herzustellen. Er „versucht“ nur „durch die Verwendung der gegebenen Formen, auf den Sinngehalt des Wirklichen hinzudeuten“ (ebd.). Auch und gerade hier geht es Tillich um das reformatorische Bekenntnis zur Alleinwirksamkeit Gottes. Der gläubige Realismus versucht nur hinzudeuten. Er ist offen für die Offenbarung des Unbedingten, aber er glaubt sie nicht selbst herstellen zu können. Ganz anders, so Tillich, der Idealismus, der Tillich zufolge das Transzendieren der unmittelbaren Wirklichkeit selbst übernehmen zu können glaubt. Deshalb wirft Tillich dem Idealismus folgendes vor: Der Idealismus übersieht die Kluft zwischen dem Unbedingten und dem Bedingten, die durch keine ontologische oder ethische Selbsterhebung überbrückt werden kann. Daher muß er vom prophetischen und vom protestantischen Standpunkt aus als religiöse Überheblichkeit und vom Standpunkt eines sich selbst begrenzenden Realismus aus als metaphysische Überheblichkeit gerichtet werden. (GW IV, 90)

Dies ist Tillichs epistemologische Ausdeutung von Röm 3 und ihre Anwendung auf die Systeme des Idealismus. Nicht durch Werke wird der Mensch gerecht, sondern allein durch Glauben. Auch der Glaube an die Alleinwirksamkeit Gottes ist als Gabe zu begreifen und nicht als Werk. Zu Fragen ist deshalb, ob das Vorhaben Hegels, das Absolute fürs Bewusstsein zu konstruieren, nicht von vornherein fehlgehen muss. Selbstverständlich denkt sich Hegels System als Selbstvermittlung der absoluten Idee und damit selbst als Selbstauslegung des Absoluten. Dennoch behauptet Hegel jedoch, jenen Gang im Denken für das Denken genetisieren zu können. Genau das ist Tillich zu viel. Ihm setzt Tillich entgegen, dass wir „dem historischen Schicksal“ nicht „entfliehen“ können. (GW IV, 85) Denn der Tillich nach dem ersten Weltkrieg ist überzeugt: Das Absolute bricht durch im jeweils besonderen Kairos. Nur so ist für Tillich die Alleinwirksamkeit Gottes geachtet. Wir sind damit an einer zentralen Weichenstellung Tillichs angelangt. Tillich stellt ohne Zweifel berechtigte Rückfragen an den Idealismus aus protestantischer Tradition. Verfolgt wird dabei die These, dass die Selbstbegrenzung des Idealis-

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mus mit dem Begriff des Unbedingten untrennbar zusammen gehört, denn unbedingt und alles in allem wirkend ist das Unbedingte für Tillich nur dann, wenn der Mensch im Schicksal steht und nicht über ihm in der Konstruktion der Geschichte des Absoluten. Das ist es, was er bereits in Kairos und Logos von 1926 vertritt.²³ Das Denken im Kairos wird hier dem Denken im zeitlosen Logos als Methodenphilosophie gegenübergestellt. Tillich zufolge hat das Subjekt keine Möglichkeit zu einer zeitlosen, absoluten Position. Es steht im Schicksal und in der Entscheidung. Der „absolute Standpunkt“ ist deshalb „nie ein Standpunkt, auf dem man stehen kann, er ist vielmehr der Wächter, der das Unbedingte schützt, der eine Verletzung der Unbedingtheit durch einen bedingten Standpunkt abwehrt“. (GW IV, 74) Tillich geht es deshalb auch immer um das „Bewußtsein, dem Unbedingten gegenüber in der Sphäre des Zwiespalts und der Entscheidung zu stehen und auch im Erkennen ihr nicht ausweichen zu können“. (GW IV, 51) In Gläubiger Realismus II knüpft Tillich an diese Gedanken an. Als „die Größe des Idealismus“ würdigt Tillich in Gläubiger Realismus II, „daß er das Stehen in der Wirklichkeit und das Übersteigen der Wirklichkeit vereinen will“. (GW IV, 90) Als „die Grenze und Tragik des Idealismus“ diagnostiziert Tillich jedoch, „daß er die Wirklichkeit übersteigert, aber nicht übersteigt“ (ebd.). Hierin ist ein weiterer wichtiger systematischer Gedanke Tillichs als These artikuliert: Der Idealismus bleibt in der Diesseitigkeit. Er ‚übersteigert‘ die Wirklichkeit, aber ‚übersteigt‘ sie nicht. Wahre Transzendierung des Endlichen gelingt nicht in der Selbsterhebung zum System, sondern nur im Vertrauen auf den Kairos. Das ist es, was Tillich an den Bildern der Neuen Sachlichkeit inspiriert, das ist es, was er an ihnen studieren zu können glaubt. Nicht wird die unmittelbare Oberfläche vom Menschen überstiegen. Nicht wird das, was die Welt im Innersten zusammenhält vom Menschen gezeigt. Vielmehr wird ganz im Gegenteil im Vertrauen darauf, dass sich das Unendliche im Endlichen zeigt, beim Endlichen verweilt, allerdings das freilich nicht in der Erwartung, dass es um das Endliche selbst geht, sondern in der Erwartung, dass es als Nichtgemeintes, durch das etwas hindurchscheint, geschaut werden kann, indem es einen ergreift. – Soweit zu Tillichs Parallelisierung von Gläubigem Realismus und Neuer Sachlichkeit. – Eine ganz andere Frage ist es freilich, welche Konsequenzen systematisch-theologisches Denken hieraus zu ziehen hat. Denn was es heißt es denn, vor dem Hintergrund des bislang Entwickelten Systematische Theologie zu treiben? Dieser Frage ist der dritte Teil meiner Überlegungen gewidmet, der sich allerdings lediglich als Ausblick versteht.

 Vgl. GW IV, 71.

Tillichs ‚gläubiger Realismus‘ im Spannungsfeld von Reformation und Revolution

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3 Der Bezug zur Symboltheorie Das bislang Entwickelte lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Tillichs in der zweiten Hälfte der 20er Jahre entwickelter Begriff ‚gläubiger Realismus‘ weist auf den Sinn in aller Profanität hin und protestiert gegen einen sich vorschnell aufs Diesseitige, Materiale beschränkenden Realismus, aber auch gegen eine Verabsolutierung bestimmter Kategorien im „jede denkbare und erfahrbare Wirklichkeit“ (GW IV, 89) übersteigenden Glauben. Als ungläubigen Realismus bezeichnet Tillich deshalb erstens einen ungerechtfertigten Reduktionismus aufs (diesseitige, materiale) Endliche. Zweitens lehnt Tillich aber ebenso ein „nichtrealistisches Transzendieren“ (ebd.) ab, das er dem Idealismus vorwirft. Zwar attestiert Tillich dem Idealismus, dass er „immer unterwegs zur ‚Theonomie‘“ (GW IV, 90) ist. Aber er unterschätzt und unterschlägt Tillich zufolge dabei die Endlichkeit der menschlichen Vernunft. Im Raum steht damit die Frage, ob eine und wenn ja, welche Mitte zwischen verabsolutierter und unterschätzter Endlichkeit als gangbarer Weg artikuliert werden könnte? Gerade keine Antwort hierauf ist für Tillich eine Begrenzung des Wort-Gottes auf die Schrift, weil für Tillich bereits früh diejenige Relation, die er später als ‚Korrelation von Situation und Botschaft‘ bezeichnen wird, systematisch-theologisch von unbedingter Wichtigkeit ist. Wie lässt sich die im bislang Entwickelten anvisierte Mitte zwischen verabsolutierter und unterschätzter Endlichkeit nun aber als systematisch theologisch gangbarer Weg ausbuchstabieren? Auch ich glaube, dass Tillichs Symboltheorie auch und gerade von hier aus zu verstehen ist und folge hierin Erdmann Sturm.²⁴ Denn Tillichs Symboltheorie ist eben auch und gerade Antwort auf die Frage, wie sich die qua gläubigem Realismus anvisierte Mitte zwischen verabsolutierter und unterschätzter Endlichkeit als systematisch theologisch gangbarer Weg ausbuchstabieren lässt. Ich möchte das im Folgenden noch etwas auszuführen versuchen. Dabei geht es mir freilich nicht um eine Skizze von Tillichs Symboltheorie selbst, die an dieser Stelle gar nicht zu leisten ist, sondern nur darum, dasjenige Wegstück zu skizzieren, das Tillichs Begriff des gläubigen Realismus zu Tillichs Symbolbegriff bahnt. Freilich soll darüber nicht vergessen gemacht werden, dass darüber hinaus noch viele andere Aspekte in dieser Wegbahnung zu berücksichtigen sind, wie Christian Danz z. B. zu Recht im Blick auf den Begriff des Paradoxes beim frühen Tillich anmahnt²⁵ oder Werner Schüßler ebenso zu Recht

 Vgl. W. Schüßler/E. Sturm, Paul Tillich. Leben, Werk, Wirkung, Darmstadt 2015, 13.  Vgl. C. Danz, Symbolische Form und die Erfassung des Geistes im Gottesverhältnis. Anmerkungen zur Genese des Symbolbegriffs von Paul Tillich, in: Das Symbol als Sprache der Religion, hg.v. dems./W. Schüßler/E. Sturm, Wien 2007, 59 – 75, bes. 61.

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unter Verweis auf Heidegger und Jaspers im Blick auf Tillichs Frage nach dem Sein.²⁶ Von zentraler Bedeutung für die Verhältnisbestimmung von ‚gläubigem Realismus‘ und Symbolbegriff scheint mir folgender Umstand zu sein: Tillich geht es bereits in Gläubiger Realismus II darum, die „konkrete Existenz“ (GW IV, 94) so zu übersteigen, dass sie nicht abstrakt negiert wird, sondern dass gerade „innerhalb der konkreten Existenz“ (ebd.) nach dem Unbedingten gesucht wird. Noch im ersten Band der Systematischen Theologie ²⁷ wird Tillich in genau diesem Sinne über das Wesen der symbolischen Rede von Gott sagen: Der Ausschnitt der endlichen Wirklichkeit, der zum Träger einer konkreten Aussage über Gott wird, wird zugleich bejaht und verneint. Er wird zum Symbol, denn ein symbolischer Ausdruck ist ein solcher, dessen gewöhnlicher Sinn durch das, auf das er hindeutet, verneint wird. Aber er wird nicht nur verneint, sondern auch bejaht – als symbolisches Material für das Unendliche. (ST I, 277)

Falls es erlaubt ist, dieses Zitat bereits für die behandelten Texte der 20er Jahre hinzuzuziehen, lässt sich mit ihm folgendes deutlicher machen: Es geht Tillich weder nur um eine Abstraktion vom Endlichen noch um eine Rückführung des Endlichen aufs Absolute. Vielmehr geht es Tillich darum, die Erscheinung des Unbedingten im Endlichen ernst zu nehmen. Das ist es, was Tillich will und was er in der Neuen Sachlichkeit verwirklicht findet. Fast könnte man sagen, das, was er in ihr findet, wird im zuletzt aus der Systematischen Theologie Zitierten auf den Begriff gebracht. Dem Idealismus und Expressionismus dagegen wirft Tillich vor, das, was am Endlichen Ausdruck des Unendlichen ist, nicht selbst hinreichend als Präsentat ernst zu nehmen, sondern nur als Zeichen, das vom Bezeichneten als nur äußere Hülle wohl unterschieden werden kann. Auch die Analyse religiöser Symbole in Das religiöse Symbol von 1928 vertieft sich bereits in diesen Gedanken. Tillich benennt hier zunächst vier Merkmale, die allen Symbolen zukommen. Erstens als „grundlegendes Merkmal“ die „Uneigentlichkeit“ des Symbols (GW V, 196), die darin besteht, dass qua Symbol etwas nicht als es selbst gemeint wird, sondern das in ihm Symbolisierte. Zweitens die „Anschaulichkeit“ (ebd.), die besagt, dass qua Symbol etwas „wesensmäßig Unanschauliches, Ideelles, Transzendentes“ (ebd.) im Symbol gegenständlich wird. Drittens die „Selbstmächtigkeit“ (GW V, 196 f.), die darin besteht, dass das Symbol anders als das Zeichen nicht einfach ausgetauscht werden kann. Viertens die „Anerkanntheit“ (GW V, 197), die besagt, dass Symbole ‚sozial eingebettet‘

 Vgl. Schüßler/Sturm, Paul Tillich, 36.  Vgl. P. Tillich, Systematische Theologie (im Folgenden = ST), III Bde., Berlin/New York 1984.

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sind. Es ist das dritte Merkmal und der Gedanke der ‚Selbstmächtigkeit‘ worauf es mir hier besonders ankommt. Symbole sind für Tillich nicht einfach nur Zeichen, die keine Bedeutung mehr haben, wenn sie verstanden sind.Vielmehr ist ohne sie das durch sie Hindurchscheinende für uns nicht gegenwärtig. Das durch sie Hindurchscheinende ist nur für uns in diesem bestimmten Scheinen. Deshalb wäre es falsch, das Endliche als bloße Schale zu verwerfen, um in ihm den wahren Kern zu finden. Ganz im Gegenteil gilt für Tillich, dass hier Kern und Schale überhaupt nicht zu trennen sind. In Gläubiger Realismus II bezeichnet Tillich diese erkenntnistheoretische Haltung als „historischen Realismus“ und grenzt ihn vom „technischen Realismus“ und „mystischen Realismus“ ab. (GW IV, 94) Der technische Realismus ist abstrakte Negation des Unbedingten als Positivismus. Der mystische Realismus ist abstrakte Negation alles Endlichen im vermeintlichen Sprung ins Absolute. Allein der historische Realismus „sucht das wahrhaft Wirkliche in Zeit und Raum, in unserer historischen Existenz“. (Ebd.) Als seinen „Hintergrund“ bezeichnet Tillich die „prophetisch-christliche Deutung der Geschichte“ (GW IV, 95) und fügt hinzu, dass „insbesondere das protestantische Verständnis der Geschichte als Heilsgeschichte“ unsere „Indifferenz gegenüber unserer geschichtlichen Existenz überwunden“ (ebd.) habe. Tillich geht es hier um die „Macht des Gegenwärtigen“ (ebd.), um die „Einmaligkeit, das Unwiederholbare und zugleich Entscheidungsschwere des Augenblicks“ (ebd.). „[A]lle Stufen der Annäherung an das Letzte“ werden hier in der Überzeugung negiert, dass das Letzte „immer zugleich unbedingt nah und unbedingt fern ist“ (GW IV, 100). Genau das ist Tillich zufolge der protestantischreformatorische Gedanke, den er als „gläubigen historischen Realismus“ (ebd.) bezeichnet. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass er auf die Gegenwart Gottes im Hier und Jetzt vertraut ohne jedweden Versuch, in irgendeiner Form zu dieser Gegenwart Gottes etwas beitragen zu können. Bereits 1926 in Die religiöse Lage der Gegenwart sagt Tillich in genau diesem Sinne: „Wir kommen aus einer Zeit, die keine Symbole mehr hatte, in denen die Zeit über sich selbst hinauswies. […] Dieser Zustand ist zerbrochen. […] Krieg und Revolution haben diese Entwicklung beschleunigt.“ (GW X, 19 f.)²⁸ Tillich spricht hier von Aufbruch. In Erschütterungen wird der „Kreis der in sich geschlossenen Endlichkeit“ durchbrochen und „die Gegenwärtigkeit des Ewigen in der Zeit und Geschichte erschaut“ (GW X, 32). Die ‚Krisis‘ wird dabei als Offenbarungsmoment verstanden. In der Krisis zerbricht nicht nur die Verabsolutierung der Endlichkeit und das verendlichte Ab-

 In Auf der Grenze bezeichnet Tillich den Begriff „gläubiger Realismus“ als „Zentralbegriff“ der Schrift Die religiöse Lage der Gegenwart (GW XII, 21).

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solute. Vielmehr vollzieht sich in ihr eine von Tillich als Offenbarung verstandene Neuschöpfung der Stellung zum Unbedingten. Auch in Gläubiger Realismus II greift Tillich diesen Gedanken der Krisis noch einmal auf und betont ihre Unverfügbarkeit für den endlichen Geist, wenn er sagt: Es ist eine schlechte Theologie, Krisis zu beschreiben als etwas Immanentes, jedermann zu jeder Zeit Offenes, und Gnade als etwas Transzendentes, jedem Verschlossenes und nur durch persönliche Entscheidung Faßbares. Weder Gnade noch Krisis können von uns ergriffen werden, weder Gnade noch Krisis aber stehen jenseits einer möglichen Erfahrung. (GW IV, 102)

Von Symbolen ist in diesem Kontext freilich noch überhaupt nicht die Rede. Wohl aber davon, dass „die Mächtigkeit eines Dinges zugleich bejaht und verneint wird, wenn es für den Grund seiner Mächtigkeit, das letztlich Wirkliche, transparent wird“ (GW IV, 101). Ferner bezeichnet Tillich in Gläubiger Realismus II dieses Verhältnis als „Spannung zwischen dem Bedingten und Unbedingten“ (GW IV, 102) und als den „Prüfstein der Theologie“ die „Fähigkeit, die[se] absolute Spannung zwischen dem Bedingten und dem Unbedingten zu erhalten“. (Ebd.) Zwei Aufgaben sind hiermit verknüpft: Gelingende Systematische Theologie muss erstens in der über sich selbst hinaus deutenden Endlichkeit die Verunendlichung des Endlichen verhindern und zweitens die Gegenwärtigkeit des Unbedingten im Konkreten zu achten versuchen und deshalb für „die Notwendigkeit der Teilhabe an allen Seiten des Lebens“ (GW IV, 97) einstehen. Die erste Aufgabe richtet sich gegen den Idealismus, die zweite Aufgabe richtet sich gegen jedwede Form des Supranaturalismus,²⁹ unter die Tillich in Gläubiger Realismus II bereits auch die Wort-Gottes-Theologie Barths zu subsumieren scheint.³⁰ Folgende zwei Prämissen sind von Tillich damit investiert: Die Alleinwirksamkeit Gottes ist erstens nicht bereits damit geachtet, dass jede Rede von Gott als durch von Gott vermittelte gedacht wird, sondern erst dann, wenn die Tatsache, dass wir das Absolute nicht ergreifen können, so verstanden wird, dass es von uns überhaupt nicht begriffen werden kann und ein „unerreichbares Geheimnis“ (GW IV, 99) für uns bleiben muss. Diese Prämisse richtet Tillich gegen den Idealismus. Zweitens ist Gott nur dann als die alles bestimmende Wirklichkeit geachtet, wenn „die Wirklichkeit unserer geschichtlichen Situation“ (GW IV, 105) dem „Wort Gottes“ (ebd.) gerade nicht abstrakt gegenübergesetzt wird. Denn Tillich zufolge ist „Nichts […] Offenbarung, was sich nicht mir, meiner Gegenwärtigkeit in ihrer ganzen Konkretheit, offenbart“ (ebd.). Vielmehr ist für Tillich gerade umgekehrt

 Vgl. GW IV, 105 f.  Vgl. ebd., Anm. 17.

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„,Wort Gottes‘ […] jede Wirklichkeit, durch die hindurch das Unbedingte in unsere Gegenwärtigkeit mit unbedingter Mächtigkeit hereinbricht“ (GW IV, 104). Diese Prämisse richtet Tillich gegen die Wort-Gottes-Theologie. Wahrhaft protestantische Theologie muss Tillich zufolge deshalb sowohl in der über sich selbst hinaus deutenden Endlichkeit die Verunendlichung des Endlichen in falscher Ekstase verhindern als auch die Gegenwärtigkeit des Unbedingten im Konkreten zu achten versuchen und deshalb für „die Notwendigkeit der Teilhabe an allen Seiten des Lebens“ (GW IV, 97) einstehen. Tillichs Symboltheorie versucht m. E., unter Voraussetzung der Wahrheit der genannten Prämissen, dieses Programm systematisch umzusetzen, nämlich das in der Unterscheidung von echten und unechten sowie wahren und unwahren Symbolen des als Sein-Selbst verstandenen Gottes. Auf die mit Tillichs Symboltheorie verknüpften Probleme kann ich hier freilich nicht eingehen. Deutlich werden sollte im Entwickelten nur, dass Tillichs ‚gläubiger Realismus‘ nicht nur erstens seine kritische Auseinandersetzung mit dem idealistischen Erbe und der Wort-GottesTheologie vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen im ersten Weltkrieg markiert, sondern dass Tillichs ‚gläubiger Realismus‘ zweitens auch Tillichs Auseinandersetzung mit dem reformatorischen Erbe betrifft. Fast scheint es dabei so als hielte Tillich eine neue ‚Revolution der Denkart‘ für notwendig, um unter epistemologischen Aspekten mit der lutherisch-paulinischen Lehre von der Alleinwirksamkeit Gottes ernst zu machen.³¹ Über folgende berühmten Sätze aus dem ersten Band der Systematischen Theologie könnte man sich deshalb fragen, ob in ihnen eine solche Revolution der Denkart zu sehen ist, sie lauten: Der Satz, daß Gott das Sein-Selbst ist, ist ein nicht-symbolischer Satz. Er weist nicht über sich selbst hinaus. Was er sagt, meint er direkt und eigentlich. Wenn wir von der Wirklichkeit Gottes sprechen, behaupten wir in erster Linie, daß er nicht Gott wäre, wenn er nicht das Sein-Selbst wäre. Andere Aussagen können, wenn sie theologisch sein sollen, nur auf dieser Basis gemacht werden. […] Über diese Aussage hinaus kann allerdings nichts über Gott als Gott gesagt werden, was nicht symbolisch wäre. (ST I, 277)

Ich schließe mit einer letzten Anmerkung: Jener Text, dem ich die Wendung ‚Revolution der Denkart‘ entleihe, die B-Vorrede zur ersten Kritik Kants,³² spricht nicht zuletzt davon, dass die dort verhandelte Revolution einen „Tractat von der

 Auf die Frage nach der Beziehung dieses Unternehmens zu der zeitnah ebenfalls zu dieser Thematik zwischen Barth und Brunner öffentlich geführten Debatte kann hier nicht eingegangen werden.  Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, zit. n.: I. Kant, Gesammelte Schriften, hg.v. der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1902 ff. Zitiert wird, wie üblich, nach der Paginierung der A- und B-Ausgabe.

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Methode“ (B, XXII) nach sich zieht, der bei Kant dem „Geschäft“ der Vernunftkritik nicht nur „den Umriß derselben in Ansehung ihrer Grenzen“ (ebd.), sondern ebenso in Ansehung ihres „ganzen inneren Gliederbau[s]“ (ebd.) liefern soll. Freilich lässt sich dieses Programm Kants auf Tillichs Systematische Theologie als dogmatischen Entwurf nicht einfach übertragen. Aber an einen Punkt erinnert es dennoch: Nämlich an die Frage, wie der bereits in Kairos und Logos von 1926 angemahnte „Wächterstandpunkt“ (GW IV, 74), der um eine fehlgehende Verabsolutierung des Endlichen ebenso besorgt ist wie um eine fehlgehende Verendlichung des Unendlichen, im gläubigen Realismus nun eigentlich methodologisch umgesetzt werden soll. Denn ob die symboltheoretische Umsetzung des unter der Überschrift ‚gläubiger Realismus‘ gefassten Programms in eine Kairologie münden darf oder sogar muss, ist freilich nur eine von vielen weiteren Fragen, die Tillich noch bis in den dritten Band seiner Systematischen Theologie verfolgen.

III. Paul Tillichs Deutung der Revolution

Katharina Wörn

Antizipative Einheit Zum Verhältnis von Zweideutigkeit und Revolution in Paul Tillichs Sozialistischer Entscheidung

„Wir standen also vor dem Problem, wie wir den Gegensatz zwischen dem lutherischen Transzendentalismus und dem säkularen Utopismus der sozialistischen Gruppen überwinden könnten“¹, so erinnert Paul Tillich im späten Rückblick 1963 den Anspruch seiner frühen religiös-politischen Ambitionen der zwanziger Jahre. Zwischen lutherischer Ordnungstheologie und sozialistischen Revolutionsphantasien versuchte der Kreis der religiösen Sozialisten um den protestantischen Theologen und Religionsphilosophen „mit Hilfe gewisser Grundbegriffe“² eine Lösung für die gesellschaftspolitische Krise der Weimarer Republik zu finden. Der programmatische Aufsatz Die sozialistische Entscheidung,³ veröffentlicht im Januar 1933 kurz vor dem schicksalsträchtigen Ende der jungen Demokratie, kann dabei gewissermaßen als Kulminationspunkt von Tillichs eigener sozialistischer Entwicklung verstanden werden: Nicht nur finden sich hier zahlreiche frühere Argumentationslinien eingebettet in einen visionären Gesamtentwurf, sondern auch wird mit dieser Schrift der literarische Versuch gewagt, die Dichotomie zwischen konservativem Bewahrungsstreben und revolutionärer Utopie grundsätzlich zu überwinden. Eine maßgebliche Rolle spielt dabei der Begriff der ‚Zweideutigkeit‘, der im Laufe des Aufsatzes in unterschiedlichen Zusammenhängen auftaucht: Während er zunächst im Rahmen einer ontologischen Analyse alles politischen Handelns als Zweideutigkeit des Ursprungs eingeführt wird, dominiert dann auf den übrigen 150 Seiten der Programmschrift die Schilderung der realgeschichtlichen Auswirkungen dieser Ursprungszweideutigkeit. Schließlich beschäftigt sich Die sozialistische Entscheidung als Zukunftsentwurf nicht zuletzt mit der Frage, inwieweit eine Auflösung dieser Auswirkungen innerweltlich möglich ist, und welche Rolle damit einer politischen Revolution bei dem Versuch der Überwindung der Ursprungszweideutigkeit und ihrer Auswirkungen zukommt.

 P. Tillich, Vorlesungen über die Geschichte des christlichen Denkens, in: EW II, 197.  Ebd. Als drei Grundbegriffe nennt Tillich das Dämonische, den Kairos und die Theonomie. Für eine ausführlichere Analyse dieser Begriffe im Kontext der Vorlesung vgl. A. Christophersen, Kairos. Protestantische Zeitdeutungskämpfe in der Weimarer Republik, Tübingen 2008, 9 – 12.  Vgl. P. Tillich, Die sozialistische Entscheidung, in: GW II, 219 – 381. https://doi.org/10.1515/9783110668124-011

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Im Folgenden soll mittels einer werkimmanenten Rekonstruktion des Verhältnisses von ‚Zweideutigkeit‘ und ‚Revolution‘ dieser Frage nachgegangen werden. Dabei soll in einem ersten Schritt nachvollzogen werden, wie Tillich die Zweideutigkeit des Ursprungs zwischen ontologisch struktureller Verfasstheit und subjektiver Deutungsebene konstituiert (1). Daran anschließend wird beleuchtet, wie Tillich die Entfaltung der Ursprungszweideutigkeit in den sogenannten Antinomien der proletarischen Existenz verwirklicht sieht (2). In einem dritten Punkt soll schließlich das Verhältnis von Zweideutigkeit und Revolution expliziert werden, mit besonderem Fokus auf der Frage, inwieweit subjektive Erkenntnis die Ursprungszweideutigkeit trotz ihrer ontologischen Verfasstheit dazu befähigt, zu überwinden (3). Die dem Aufbau zugrundeliegende These lautet dabei, dass Die sozialistische Entscheidung für den Frankfurter Ordinarius den Versuch einer literarischen Enthüllung der Ursprungszweideutigkeit darstellt und damit keinen geringeren Anspruch hat, als den oben genannten Gegensatz zwischen konservativen Mächten und revolutionärer Utopie schreibend zu überwinden.

1 Der Ursprung der Zweideutigkeit oder die Zweideutigkeit des Ursprungs Tillich beginnt seine sozialistische Zukunftsvision mit einer ontologischen Analyse, die alles politische Denken auf die zwei Wurzeln des menschlichen Seins zurückführt:⁴ Der Mensch, so Tillich, ist im Unterschied zur Natur ein „in sich gedoppeltes Wesen“. (GW II, 226) Zum einen existiert er als Sein, das in sich ist, das sich und seine Umwelt schlichtweg vorfindet. Darin gleicht er der Natur. Zum anderen aber begegnet der Mensch als ein Wesen, das nach sich und der Welt fragt, das Forderungen stellt, also gerade nicht in Einheit mit sich und seiner Umwelt existiert, sondern die Möglichkeit hat, sich diesen beiden gegenüber zu stellen, sich zu denken, von sich zu wissen. Der Mensch ist immer Sein und Bewusstsein zugleich, jedoch nicht im Sinne eines Dualismus aus Leib und Seele oder Natur und Geist, sondern als ein Sein, das in seiner Einheit gedoppelt auftritt. In dieser nicht hintergehbaren Verflochtenheit von Sein und Bewusstsein gründet Tillich die beiden Wurzeln alles politischen Denkens und Handelns − die

 Für den Zusammenhang von Ontologie und Anthropologie in Tillichs politischen Schriften vgl. E. Sturm, Tillichs religiöser Sozialismus im Rahmen seines theologischen und politischen Denkens, in: Religion und Politik, Internationales Jahrbuch für die Tillich-Forschung, hg.v. C. Danz/ W. Schüssler/E. Sturm, Bd. 4, Münster/Wien 2008, 15 – 34.

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eine, die nach dem ‚Woher‘ des Menschen fragt; die andere, die das ‚Wozu‘ des Menschen daneben stellt. Dabei interpretiert Tillich die Frage nach dem ‚Woher‘ als Reaktion auf die Vorfindlichkeit alles menschlichen Seins; er rekurriert hier auf Heidegger mit dem Terminus „Geworfenheit“ (GW II, 227)⁵: Der Mensch findet sich vor als nicht von sich selbst stammend, als einen Ursprung habend, der nicht er selbst ist, der ihn „entspringen“ (ebd.)⁶ lässt. Der Mensch entsteht als ein Neues, gegenüber dem Ursprung anderes, als etwas, das vorher nicht da war. Tillich spricht in diesem Zusammenhang von einem „Sprung“ (ebd.)⁷ und führt damit jenen Terminus ein, den er im späteren Verlauf der Schrift auch für die Erwartung des radikal Neuen im Zusammenhang mit politscher Veränderung verwendet.⁸ Damit deutet sich bereits an, was im Folgenden veranschaulicht werden soll, nämlich die Konstruktion eines zweideutigen Ur-sprungs, der den Sprung als Teil seiner selbst mit umfasst. Zunächst jedoch betont Tillich den Ursprung als Grundlage dessen, was uns zwar als Neue, Eigene setzt, jedoch genauso uns trägt, festhält zurücknimmt. Im Ursprung entspringt der ewige Kreislauf von Geburt, Entfaltung, und Tod, hier gründet das unendliche Wechselspiel von Wachsen und Vergehen, hier entstehen jegliche Ursprungsmythen religiöser und politischer Natur, und hier wurzeln die – von Tillich in einer sehr zeitgemäßen Terminologie gefassten – gesellschaftspolitischen Mächte „Boden“, „Blut“, „Rasse“ und „Nation“. (GW II, 227 f.) Diese Frage nach dem ‚Woher‘ bestimmt Tillich nun als Ausgangspunkt aller konservativen und romantischen Bewegungen in der Politik, die, so Tillich, unter an Die terminologische Nähe zu Heidegger wird auch an der Formulierung der beiden Fragen deutlich. So schreibt Heidegger: „Diesen in seinem Woher und Wohin verhüllten, aber an ihm selbst um so unverhüllter erschlossenen Seinscharakter des Daseins, dieses ‚Daß es ist‘ nennen wir die Geworfenheit dieses Seienden in sein Da, so zwar, daß es als In-der-Welt-sein das Da ist.“ (M. Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 1986, 135)  Die im Wort „Ursprung“ etymologisch enthaltene Zweideutigkeit von zeitlichem Anfang im Sinne des Entspringens als erstem Moment der Entstehung eines Seienden und von Wirkungsmacht im Sinne eines ersten Entstehungsgrundes wird hier aufgenommen. Zu Begriff und Etymologie vgl. H. Holzey/D. Schoeller Reisch, Art.: „Ursprung“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg v. J. Ritter u. a., Bd. 11, Darmstadt 2001, 417– 424.  GW II, 227: „Durch Sprung entsteht ein Neues, das vorher nicht war und nun ein anderes, Eigenes gegenüber dem Ursprung ist. Wir finden uns zwar als Gesetzte, aber zugleich auch als Eigene.“  Vgl. GW II, 227. 283. 335. In der Bewegung des religiösen Sozialismus verbindet sich die Bedeutung des Sprungs als existenzielle Glaubensentscheidung, als unvermitteltes Wagnis im kierkegaardschen Sinne mit der marxistischen Theorie der Revolution, vgl. G. Scholz, Art.: „Sprung“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg.v. J. Ritter u. a., Bd. 9, Darmstadt 1995, Sp. 1541– 1550, bes. Sp. 1546.

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derem in Form einer ‚revolutionären Romantik‘ in der erstarkenden nationalsozialistischen Partei ihren zeitgenössischen Ausdruck findet. Es lässt sich also festhalten, dass Tillich mit dem Begriff des Ursprungs jene gleichsam ‚natürlichen Bindungen‘ beschreibt, die man in heutiger Terminologie wohl mit Begriffen wie Familie, Heimat, (religiöse) Erzählungen und Traditionen, oder schlicht ‚Herkunft‘, fassen würde. Jedoch bleibt er nicht bei einer beschreibenden Analyse dieser Grundkonstanten menschlichen Lebens stehen; vielmehr identifiziert er diese anthropologischen Grundbedingungen mit einer politischen Gesinnung, nämlich der des Konservatismus – ein durchaus nicht unproblematischer Griff. Rein textimmanent gesehen jedoch schlägt Tillich hier bereits den ersten Bogen zu den realgeschichtlichen Auswirkungen der beiden Wurzeln politischen Handelns, die im zweiten Abschnitt näher zu betrachten sein werden. Im Fortgang der Argumentation wird der reinen Vorfindlichkeit menschlicher Existenz die Forderung gegenübergestellt, die den Menschen über das Vorgefundene hinaustreibt. Diese Forderung trägt nach Tillich den Charakter der Unbedingtheit; sie ist nicht durch die Grenzen der reinen Vorfindlichkeit, durch das „Woher“, beschränkt. Die Antwort auf das „Wozu“ liegt also jenseits des Kreislaufs von Geburt und Tod, des Alten und Neuen der reinen Entfaltung – die Antwort auf das „Wozu“ wird als radikal Neues gedacht. (GW II, 228) In ihr erfolgt eine grundsätzliche Loslösung vom Ursprung, eine Brechung der religiösen und politischen Ursprungsmythen, und schließlich eine Realisierung der Forderung nach Gerechtigkeit. Damit bestimmt Tillich die zweite Wurzel menschlichen Seins als Ausgangspunkt alles liberalen, demokratischen und sozialistischen Denkens in der Politik.⁹ Analog zur Identifikation von Herkunftsbindungen und politischem Konservatismus wird hier also zum einen die Realisierung gesellschaftlicher Gerechtigkeit als etwas immer neu zu Denkendes vorgestellt, zum anderen aber wird sie mit den politisch eher linken Gruppierungen identifiziert. Damit verschränkt Tillich erneut deutlich seine ontologische Anthropologie mit der zeitgenössischen realpolitischen Lage und gerät damit durchaus unter essentialisierenden Verdacht. Betrachtet man die Herkunft der beiden Wurzeln politischer Gestaltung, so fällt auf, dass Tillich diese nicht als einfachen Gegensatz konstruiert – als wäre der Ursprung Teil des Seins, die Forderung aber würde von außen an den Menschen herangetragen. Beide, Ursprung und Forderung, gehören konstitutiv zum Wesen des Menschen dazu und liegen bereits in seinem Ursprung begründet. Der Ursprung selbst ist damit zweideutig; in ihm ist schon das Sein und das Soll, die

 Vgl. GW II, 228.

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Wirklichkeit des Gegebenen und die Möglichkeit des radikal Neuen, angelegt.¹⁰ Tillich beschreibt diese Zweideutigkeit des Ursprungs wie folgt: Der Ursprung ist zweideutig. In ihm ist eine Spaltung zwischen wahrem und wirklichem Ursprung. Das wirklich Ursprüngliche ist nicht das in Wahrheit Ursprüngliche. Es ist nicht die Erfüllung dessen, was mit dem Menschen vom Ursprung her gemeint ist. Die Erfüllung des Ursprungs ist vielmehr das, was dem Menschen als Forderung, als Soll gegenübersteht. Das Wozu des Menschen ist das, worin sich sein Woher erfüllt. Der wirkliche Ursprung wird von dem wahren Ursprung verneint; nicht schlechthin und in jeder Beziehung; denn der wirkliche Ursprung hat, damit er Wirklichkeit sein kann, teil an dem wahren Ursprung; er ist sein Ausdruck, aber er ist auch seine Verhüllung und Entstellung. (GW II, 229)

Tillich konzeptualisiert die Zweideutigkeit des Ursprungs also als eine Spaltung zwischen einem wahren und einem wirklichen Ursprung, die einander nicht entsprechen. Die Zweideutigkeit kommt damit zustande durch das gleichzeitige Vorhandensein zweier unterschiedlicher Elemente, die doch zusammen eine Einheit bilden.¹¹ Analog zum Menschen selbst denkt Tillich den Ursprung also als in sich gedoppelte Einheit. Dabei stellt sich diese Einheit dar als eine, die von einer gewissen Gegensätzlichkeit geprägt zu sein scheint. Bei näherer Betrachtung stellt sich diese Gegensätzlichkeit jedoch keineswegs eindimensional dar: Zum einen betont Tillich deutlich die Asymmetrie der beiden Elemente – so wird das Soll dem Sein kategorial übergeordnet, in ihm liegt die Erfüllung des ganzen Menschen, auch die seines Seins, begründet, und der wirkliche Ursprung braucht den wahren, um überhaupt existieren zu können. Zum anderen wird deutlich, dass das Verhältnis der beiden Elemente zueinander Symbolcharakter hat, ist doch der wirkliche Ursprung Ausdruck für den wahren, und zugleich seine Verhüllung und Entstellung. ¹²  Hier wird der Einfluss des späten Schelling auf Tillich deutlich, der nicht nur von einer Zweiheit zwischen Realem und Idealem, zwischen Dunkel und Licht im Ungrund selbst ausgeht, sondern auch von einer realgeschichtlichen Entfaltung dieser Zweiheit im Sinne einer explicatio Dei, die unter Kämpfen, Schmerzen und Leiden stattfindet, schließlich aber zum göttlichen Ursprung zurückkehrt. Vgl. F. W. J. Schelling, Über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809), Stuttgart 1964, 127, sowie die Einleitung Horst Fuhrmans, a.a.O., 32.  Zu Begriff und Analyse von Zweideutigkeit/Ambiguität vgl. u. a. M. Bauer, Art.: „Ambiguität“, in: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, hg.v. A. Nünning, Weimar 2013, 20; R. Bernecker/T. Steinfeld, Art.: „Amphibolie, Ambiguität“, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hg.v. G. Ueding, Tübingen 1992, Sp. 436 – 444; F. Berndt/S. Kammer, Amphibolie – Ambiguität – Ambivalenz. Die Struktur antagonistisch-gleichzeitiger Zweiwertigkeit, in: Amphibolie – Ambiguität – Ambivalenz, hg.v. dens., Würzburg 2009, 7– 32.  Zum Symbolbegriff bei Paul Tillich vgl. Das Symbol als Sprache der Religion. Internationales Jahrbuch für die Tillich-Forschung, hg.v. C. Danz/W. Schüssler/E. Sturm, Bd. 2, Münster/Wien 2006.

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Es findet sich also innerhalb der Figur der Zweideutigkeit ein wiederum zweideutiges Verhältnis: Der wirkliche Ursprung ist zugleich rechtmäßiger Ausdruck des wahren Ursprungs und dessen Verbergung und Zerrbild. Der wahre Ursprung wird dabei von Tillich durchweg positiv gezeichnet; er ist derjenige, die Wirklichkeit der ‚natürlichen Bindungen‘ überhaupt erst ermöglicht und in dem zugleich die Erfüllung des menschlichen Wesens liegt. Dagegen bleibt dem wirklichen Ursprung eine ambivalente Wertung anhaften – entsprechend der beiden simultan vorhandenen Funktionsweisen gegenüber dem wahren Ursprung. Er ist im positiven Sinne dessen Ausdruck, im negativen aber dessen Verzerrung und Verhüllung.¹³ Es lässt sich also zusammenfassend festhalten, dass die von Tillich in seiner ontologischen Analyse entworfene Zweideutigkeit des Ursprungs drei Aspekte beinhaltet: erstens das Vorhandensein einer zwiefältigen Einheit von ‚Herkunftsbindungen‘ und dem Ruf zum Aufbruch im Ursprung des Menschen selbst; zweitens, das zweideutige Verhältnis des wirklichen Ursprungs gegenüber dem wahren; drittens die doppelte, sich diametral gegenüberstehende Bewertung, die mit diesem Verhältnis einhergeht. Bis zu diesem Punkt legt die Analyse der Ursprungszweideutigkeit bezüglich der Frage nach ihrer Verortung durchaus nahe, diese als ontologisch-strukturell verfasste Größe zu verstehen − heißt es doch nicht zuletzt: „In ihm [nämlich dem Ursprung] ist eine Spaltung […].“ (Ebd.)¹⁴ Jedoch nimmt Tillich gleichzeitig explizit Bezug auf die Ebene der subjektiven Wahrnehmung, indem er das ursprungsmythische Bewusstsein, das aus der Frage nach dem ‚Woher‘ resultiert, als ein unwissendes charakterisiert, das den wirklichen Ursprung für den wahren verkennt, und daher an ihm festhält.¹⁵ Nur wenn die Erfahrung einer unbedingten Forderung an den Menschen ergeht, ihm also die Frage nach dem „Wozu“ gestellt wird, enthüllt sich ihm die Zweideutigkeit des eigenen Ursprungs − so die Tillichsche Formulierung (ebd.). An dieser Stelle setzt Tillich der Verhüllung durch den wirklichen Ursprung also die Enthüllung der Zweideutigkeit durch die Forderung entgegen. Für Tillich geht die Enthüllung der Zweideutigkeit des Ursprungs zugleich mit der Loslösung vom Ursprung und der Brechung der Ursprungsmythen einher. Der wirkliche Ursprung wird gebrochen durch die Verneinung des wahren, und findet paradoxerweise gerade darin seine Erfüllung.

 Diese innere Zweideutigkeit des wirklichen Ursprungs findet sich ebenfalls bei Schelling, der das Reale als zweideutige Macht entfaltet, die bei allem grundsätzlichen Gutsein damit wesensmäßig auch des Bösen fähig ist, vgl. Schelling, Über das Wesen, 89, sowie in der Einleitung, 37.  Hervorhebungen durch die Autorin eingefügt.  Vgl. GW II, 229.

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Damit ließe sich also behaupten, dass Tillich zwar einerseits durchaus auf einer ontologisch-strukturellen Verortung der Zweideutigkeit im Ursprung beharrt, diese jedoch andererseits in ihrer Wirkmächtigkeit in Abhängigkeit von der Wahrnehmung des Subjekts setzt. Ja mehr noch, es scheint gar die Enthüllung der Ursprungszweideutigkeit, also ihre Bewusstwerdung im Subjekt, maßgeblich zu ihrer Entmachtung beizutragen. Dieser Feststellung gilt es weiter nachzugehen, wenn nun die Realisierung der ursprünglichen Zweideutigkeit in den Antinomien der proletarischen Lage betrachtet wird.

2 Die realgeschichtlichen Auswirkungen der Ursprungszweideutigkeit Im weiteren Verlauf der Sozialistischen Entscheidung werden die ontologisch-anthropologischen Überlegungen des ersten Teils für die konkrete politische Situation fruchtbar gemacht – liegt doch der Anspruch Tillichs gerade darin, angesichts einer sich zuspitzenden politischen Gemengelage den Sozialismus neu zu begründen und sowohl die Träger der sozialistischen Bewegung, wie auch ihre Gegner zu einer Neuentscheidung für den Sozialismus aufzurufen.¹⁶ Grundlegend für die realgeschichtlichen Widersprüche, in denen sich die ontologische Ursprungszweideutigkeit konkretisiert, ist dabei die Dichotomie zwischen Proleta So schreibt Tillich in seinem Vorwort zur Sozialistischen Entscheidung: „Von zwei Gruppen wird die sozialistische Entscheidung gefordert, von denen, die heute den Sozialismus tragen, und von denen, die heute sein Gegner sind, ihn aber in Zukunft mittragen müssen. An beide wendet sich die Forderung einer sozialistischen Entscheidung: an die erste Gruppe im Sinne einer Neuentscheidung für den Sozialismus, einer neuen Sicht seines Wesens, seiner Probleme, seiner Schwierigkeiten und seiner kommenden Gestalt. […] Aber auch von den Gegnern des Sozialismus wird eine sozialistische Entscheidung verlangt. Diejenigen Gruppen vor allem, die heute schon das Wort Sozialismus in ihrem Namen führen, sollen zu einer wirklichen sozialistischen Entscheidung gebracht werden“ (GW II, 219). Nicht zuletzt liegt in dieser ambivalenten Bündnisforderung Tillichs die problematische Rezeptionsgeschichte der Sozialistischen Entscheidung begründet. So wurde sie in linken Kreisen als prophetische Programmschrift gefeiert, während etwa Tillichs Freund Emmanuel Hirsch in ihr „Tillichs spürbare Hinüberentwicklung zum Nationalsozialismus“ eindeutig gegeben sah; hier zit. n. F. W. Graf, „Old harmony“? Über einige Kontinuitätselemente in ‚Paulus‘ Tillichs Theologie der ‚Allversöhnung‘, in: ders., Der heilige Zeitgeist. Studien zur Ideengeschichte der protestantischen Theologie in der Weimarer Republik, Tübingen 2011, 343 – 380, hier: 362. Wieder andere sahen in der Schrift den Erweis, dass Tillich eindeutig Jude sein müsse, vgl. der Brief von Fritz Otto Hermann Schulz an Tillichs Vater bei E. Sturm, „Die Zugehörigkeit Paul Tillichs zum Judentum als feststehende Tatsache …“, in: Grenzgänge. Menschen und Schicksale zwischen jüdischer, christlicher und deutscher Identität. Festschrift für Diethard Aschoff, hg.v. F. Siegert, Münster 2002, 255 – 269.

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riat und Bürgertum, die Tillich an dieser Stelle idealtypisch in Stellung bringt. Beide gesellschaftlichen Gruppierungen werden dabei eindimensional und durchaus polemisierend gezeichnet: Auf der einen Seite steht das Proletariat, von Tillich charakterisiert als Produkt der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Prinzips der Rationalisierung und der Verdinglichung. Es lebt in einer Situation, in der alle ursprungsmythischen Bindungen wie ‚Boden‘, ‚Gruppe‘, ‚Tradition‘, aufgelöst sind – in ihm verkörpert sich das Opfer der radikalen Durchführung des bürgerlichen Prinzips.¹⁷ Tillich führt hier eine Charakterisierung weiter, die sich bereits in seinem Artikel Sozialismus aus dem Jahr 1930 findet: das Proletariat als der Ort, an dem angesichts kapitalistisch-ausbeuterischer Strukturen die Sinnfrage radikal aufbricht.¹⁸ An dieser Stelle lässt sich Tillich exemplarisch einordnen in einen literarischen Diskurs, in dem der Begriff des Proletariats seit den 1830er Jahren zum einen Einzug in die Publizistik erhält und allmählich zum Inbegriff der Losgelösten und Ausgestoßenen wird, zum anderen aber zum Kampfbegriff innerhalb linker Gesellschaftskritik avanciert.¹⁹ Ähnlich aufgeladen mutet die Tillichsche Schilderung des Bürgertums auf der anderen Seite an: Die bürgerliche Klasse wird gezeichnet als diejenige, die ihr Prinzip bei sich selbst gerade nicht radikal durchgesetzt hat, sondern die Kräfte des Ursprungs – also ‚Blut‘, ‚Boden‘, etc. – zur Stützung ihrer religiösen, patriarchalen und klassenbasierten Herrschaft nutzt.²⁰ Entsprechend dieser Dichotomie sieht Tillich das Proletariat zum Kampf gegen das Bürgertum aufgerufen. An diesem Punkt aber offenbart sich nun die Realisierung der ursprünglichen Zweideutigkeit: denn das Proletariat sieht sich vor das Problem gestellt, einen Kampf gegen dasjenige Prinzip zu führen, aus und auf dem es lebt. Um einen solchen Kampf erfolgreich führen zu können, braucht das Proletariat Kräfte, die jenseits seiner Situation liegen, nämlich die Kräfte der ersten Wurzel des Ursprungs. Diese Kräfte dürfen also nicht schlechthin verneint werden, sondern lediglich in der Verbindung, die das bürgerliche Prinzip mit ihnen eingegangen ist. Damit aber liegt der Widerstreit auf der Hand: Das Proletariat muß das verneinen, in dessen Kraft es das bürgerliche Prinzip bekämpft, den Ursprung; und es muß das bejahen, das es zerbrechen will, eben das bürgerliche Prinzip. Das

 Vgl. insbesondere GW II, 281– 283.  Vgl. P. Tillich, Art.: „Sozialismus“, in: GW II, 139 – 150, bes. 144 f.  Zum Begriff des ‚Proletariatsʻ und seiner Entwicklung vgl. W. Conze, Art.: „Proletariat, Proletarier“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg.v. J. Ritter u. a., Bd. 7, Darmstadt 1989, Sp. 1462– 1464.  Die Entwicklung vom Bürgertum als besitzende Klasse, als ‚Bourgeoisieʻ, ist ebenfalls eine Entwicklung des 19. Jahrhunderts; vgl. M. Riedel, Art.: „Bürger, bourgeois, citoyen“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg.v. J. Ritter u. a., Bd. 1, Darmstadt 1971, Sp. 962– 966.

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ist der innere Widerstreit seiner Lage. Es ist der Grund der tiefen Problematik, in der jede sozialistische Lebensäußerung steht, es ist der Grund der Schwächen und Verkümmerungen vor allem auch des deutschen Sozialismus. (GW II, 282)

Eindeutig wäre die Lage des Proletariats dann, wenn es entweder die vollkommene Durchsetzung des bürgerlichen Prinzips anstrebte, oder aber seinen Kampf ungebrochen aus den Ursprungskräften führen könnte. In der Realität aber ist seine Lage zweideutig; sie fordert ein Ja zum Ursprung und seiner Kraft, jedoch ein Nein zu den Ursprungskräften, wie sie sich in der bestehenden Gesellschaft konstituieren. Gemünzt auf das Verhältnis zum Bürgertum verlangt die Lage des Proletariats ein Nein zum bürgerlichen Prinzip, auf dessen Boden es steht und das es gleichzeitig bejahen muss, da es aus ihm kommt und von ihm lebt.²¹ Damit stellt sich die Zweideutigkeit der proletarischen Existenz als eine doppelte dar: Auf der abstrakt-ontologischen Ebene bedeutet sie ein gleichzeitiges ‚Ja und Nein‘ gegenüber dem Ursprung, auf der konkret-gesellschaftspolitischen Ebene ein gleichzeitiges ‚Ja und Nein‘ gegenüber dem Bürgertum. Erneut findet an dieser Stelle also eine Verschränkung von ontologischer und gesellschaftspolitischer Analyse statt. Eine nähere Erläuterung erfährt dieses zweifache ‚Ja und Nein‘ etwa am Beispiel des ‚Sozialistischen Glaubens‘.²² Für Tillich teilt der Sozialismus als politische Bewegung auf der einen Seite den bürgerlichen Glauben an die Rationalisierbarkeit der Welt und an die Möglichkeit, durch Erkenntnis eine Gesellschaftsordnung zu gestalten. Hier liegt sein selbstverständliches Ja zum bürgerlichen Prinzip begründet. Gleichzeitig muss er den Kern des bürgerlichen Prinzips, den Fortschrittsglauben, verneinen, da er dessen Auswirkungen radikal am eigenen Leibe erfährt. Der Sozialismus ist also gezwungen, seinen Glauben auf etwas radikal Neues zu richten, das in völligem Widerspruch zu seiner gegenwärtigen Lage steht. Er muss an einen Sprung glauben, der in keiner Weise aus der gegebenen Wirklichkeit erklärt werden kann – einen Sprung, der existenzieller Glaube, nicht lückenlose Rationalität ist. Der Sozialismus, so schreibt Tillich, „enthält ein Moment der prophetischen Verkündigung, die Erwartung eines neuen Seins.“ (GW II, 283) In diesem prophetischen Potential des Sozialismus liegt das Ja zum Ursprung und seiner Kraft. Nun ist das Proletariat jedoch gezwungen, dieses neue Sein rein immanent zu fassen, um damit ein Nein zum Jenseitsglauben des Bürgertums auszudrücken, der dem Proletariat die revolutionäre Energie raubt. Durch diese zweideutige Lage manövriert sich der Sozialismus aber in die Nähe eines Wunderglaubens, den er mit seinen rationalen  Vgl. GW II, 281 f.  Vgl. a.a.O., 283 – 285.

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Voraussetzungen kaum zu begründen vermag. Dieser innere Widerstreit führt nun realpolitisch dazu, dass der gegenwärtige Sozialismus zwischen Hoffnung und Enttäuschung, zwischen Utopie und Kompromiss hin- und hergerissen wird.²³ An dieser Stelle klingt erneut Tillichs durchaus kritisches Verhältnis zur Utopie an, das bereits zu Anfang dieses Beitrags angedeutet wurde. Gerade den revolutionären Sozialismus oder Bolschewismus sieht Tillich in der Gefahr ins Utopische abzudriften und damit zu verkennen, dass „innerhalb der Geschichte nichts Vollkommenes erreicht werden kann, das frei vom Dämonischen wäre.“ (EW II, 198)²⁴ In seinem kleinen Beitrag Die geistige Welt im Jahre 1926, in dem sich die Desillusionierung der eigenen kairologischen Erwartungen der unmittelbaren Nachkriegszeit mit dem Übergang zum ‚Gläubigen Realismusʻ deutlich abzeichnet, finden sich bereits ähnliche Passagen, in denen Tillich vor der „Spannung“ zwischen Utopie und „resignierter Beruhigung“²⁵ warnt. Diese gilt es, so seine Aufforderung, durch einen ‚Gläubigen Realismus‘, durch ein Offensein für das Ewige bei gleichzeitiger Hinwendung zur konkret-realen Lage, zu überwinden statt in utopischen Fantasien oder aber einer reinen Diesseitsfixierung zu verharren. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Tillich mit der Schilderung der Antinomien der proletarischen Situation versucht, die gesellschaftspolitischen Auswirkungen der Ursprungszweideutigkeit auf den Punkt zu bringen. In der Gleichsetzung von Begrifflichkeiten wie ‚Antinomie‘, ‚innerer Widerstreit‘, sowie ‚Zweideutigkeit‘ wird erneut betont, dass die Zweideutigkeit ontologisch-strukturell im Verhältnis der proletarischen Situation zu den Wurzeln des Seins begründet ist. Doch wiederum spielt die subjektive Deutungsebene die entscheidende Rolle: Solange das Proletariat sich seiner Lage nicht bewusst wird, solange die Zweideutigkeit des Ursprungs nicht enthüllt ist, droht es der Widerstreit zu zerreißen. Somit wird an dieser Stelle klar: Das Wissen um die ontologisch zweideutige Struktur des Ursprungs bildet für Tillich den Schlüssel zu ihrer realgeschichtlichen Bewältigung. Damit stellt Die sozialistische Entscheidung als literarische Enthüllung der Ursprungszweideutigkeit Tillichs konstruktiven Beitrag zur politischen Situation seiner Zeit dar, in dem Versuch die sozialistische

 Tillich spielt hier unter anderem auf die gescheiterten Versuche des sozialistischen Reformismus in Form der Gewerkschaftsbewegung des Jahres 1932 und die sich immer weiter vertiefende Spaltung zwischen einer reformistisch orientierten Sozialdemokratie und einem revolutionären Sozialismus bzw. Bolschewismus an. Vgl. GW II, 284.  Für Tillichs Utopieverständnis der Frankfurter Jahre vgl. C. Danz, Geschichte und Utopie. Geschichtsphilosophie bei Paul Tillich und Max Horkheimer, in: Kritische Theologie. Paul Tillich in Frankfurt (1929 – 1933), hg.v. G. Schreiber/H. Schulz, Berlin/Boston 2015, 307– 322.  Vgl. P. Tillich, Die geistige Welt im Jahre 1926, in: GW II, 115 – 125, hier: 117. Vgl. auch Christophersen, Kairos, 114 f.

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Bewegung vor dem Zerschellen an ihrem inneren Widerstreit zu bewahren und ihr eine realpolitisch wirksame Funktion in der Zukunft zu ermöglichen. Wie Tillich dabei eine Revolution denkt, die eben gerade nicht der Utopie verfällt, sondern die Bewältigung der Antinomien umsetzt, dies soll im nächsten Abschnitt beleuchtet werden.

3 Antizipative Einheit – Die Entmachtung der Zweideutigkeit und die politische Revolution Die sozialistische ‚Entscheidung‘, die der Schrift ihren Namen gibt, bedeutet also, wie im zweiten Abschnitt ausgeführt, dass sich das Proletariat erstens seines eigenen Widerstreits bewusst wird; und zweitens sich für die Kräfte des Ursprungs ‚entscheidet‘, jedoch gegen die Verbindung von bürgerlichem Prinzip und Mächten des Ursprungs.²⁶ Der erste Punkt, die Bewusstwerdung der eigenen Lage, ist, so die hier vorgestellte These, letztlich synonym mit der Enthüllung des zweideutigen Ursprungs: Durch den Aufweis der beiden Ursprungskräfte im menschlichen Sein löst das von Tillich neu definierte ‚Sozialistische Prinzip‘ die Antinomien der proletarischen Situation. Es bewirkt diese Auflösung durch dreierlei: ein Ja zur Macht des Ursprungs, ein Ja zur Brechung ebendieses Ursprungs, und ein Nein zum Kern des bürgerlichen Prinzips, dem Fortschrittsglauben. Tillich fasst diese drei Momente im Symbol der Erwartung zusammen.²⁷ Was aber heißt das konkret? Bezogen auf das oben ausgeführte Beispiel des ‚Sozialistischen Glaubens‘ bedeutet der Aufweis der Zweideutigkeit des Ursprungs, dass die Erwartung, die bislang als Wunderglaube erschien, als dem Ursprung gerade nicht äußerlich erkannt wird.²⁸ Vielmehr wird deutlich, dass gerade hier der wahre Ursprung zum Vorschein kommt. Der Sprung ist also Teil des Ursprungs! Die Verneinung der gesellschaftlich auftretenden Ursprungsmächte erweist sich damit als nichts anderes als die Verneinung des wirklichen Ursprungs durch den wahren, und damit dessen Erfüllung. Wenn also klar ist, so Tillichs Auflösung des Dilemmas zwischen fantastischer Utopie und stagnierendem Konservatismus, dass der Sprung ins schlechthin Neue gerade nicht fremd ist, sondern im Ursprung selbst begründet, dann fallen ‚Woher‘ und ‚Wozu‘ nicht mehr auseinander. Die klassenlose Gesellschaft etwa als Antwort auf das ‚Wozu‘ erweist sich damit gerade nicht als

 Vgl. GW II, 283.  Vgl. a.a.O., 309 f.  Vgl. a.a.O., 335.

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weltimmanenter Wunderglaube. Vielmehr wird hier eine Gesellschaft als real verwirklicht gedacht, in der die Kräfte des Ursprungs wirken, aber in ihrer reinen Macht durch die Forderung der Gerechtigkeit gebrochen sind.²⁹ Die Erwartung, die Tillich hier beschreibt, stellt die Vorwegnahme der Erfüllung des Solls im Sein dar; als Neuformulierung der Kairos-Idee der zwanziger Jahre antizipiert sie die Einheit von Ursprung und Forderung oder Ursprung und Ziel. Tillich beschreibt diese antizipative Einheit³⁰ als die entscheidende Voraussetzung für das Gelingen einer Revolution: Denn zum Gelingen der Revolution gehört die fortreißende Kraft einer Erwartung, in der alle Seiten des menschlichen Seins eine neue Erfüllung finden; und zum Gelingen der Revolution gehören Menschen, deren Sein und Bewusstsein geformt ist durch die Vorwegnahme der kommenden Erfüllung. (GW II, 293)

Die Enthüllung der Ursprungszweideutigkeit und ihre Überwindung in der Erfahrung vorweggenommener Einheit wird von Tillich also als Voraussetzung für politische Neuschöpfung konstituiert.³¹ An dieser Stelle wird die subjektive Deutungsperspektive gegenüber der ontologisch-strukturellen Verfasstheit, die Tillich für die Zweideutigkeit des Ursprungs geltend machte, in ihrer Bedeutung noch einmal hervorgehoben: Denn so mag zwar die Zweideutigkeit des Ursprungs als Spaltung ontologisch nicht auflösbar sein. Doch die Enthüllung ihres Daseins durch Bewusstwerdung vermag die Einheit des Ursprungs jenseits der Spaltung aufzuzeigen und diese Einheit als Ziel politischer Gestaltung vorwegzunehmen. Auf diese Weise ist der Zweideutigkeit durch Gewahrwerdung zwar nicht ihre Existenz, so doch aber ihr destruktives Potential genommen. Welche Rolle aber spielt nun die Revolution bei der realgeschichtlichen Umsetzung der antizipativen Einheit? Festzuhalten ist zunächst, dass Tillich im Laufe der zwanziger Jahre durchaus Abstand nimmt von seinen stark revolutionären Motiven der direkten Nachkriegszeit.³² In der Sozialistischen Entscheidung kommt die Revolution vielmehr als ein prozesshaftes Geschehen in den Blick, bei dem die machttragende Gruppe – in diesem Fall das Proletariat – den Rest der

 Vgl. a.a.O., 335 – 337.  In Band III der Systematischen Theologie verwendet Tillich selbst die Wendung ‚antizipatorische Einheit‘, für die Synthese, die mit dem Neuen Sein im Geist vorweggenommen ist, vgl. etwa ST III, 164. 188.  Der Gedanke, dass mit einer ‚Re-volution‘ etwas radikal Neues geschaffen wird, findet sich erst seit der Französischen Revolution. Zur Entwicklung des Revolutionsbegriffs und seiner Implikationen, vgl. K. Griewank, Der neuzeitliche Revolutionsbegriff. Entstehung und Geschichte, Frankfurt a. M. 1969.  Vgl. Christophersen, Kairos, 114. 157.

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Gesellschaft schrittweise davon überzeugt, selbst „Träger[…] der Gerechtigkeit“ (GW II, 344) zu sein. Diesen Vorgang visioniert Tillich gewissermaßen als einen Kompromiss zwischen Reform und Revolution: Zum einen geht es bei der Erlangung gesellschaftlicher Macht um „den Besitz von Qualitäten […], um derentwillen sich die übrigen Gruppen der machttragenden Gruppe unterwerfen“. (GW II, 348) Den Besitz dieser Qualitäten denkt Tillich jedoch als prozesshaftes „Entstehen“ eher denn als ein plötzliches Innehaben. Zum anderen aber geht es konkret auch um die „Eroberung der Machtapparatur“. Beides aber „vollzieht sich unsichtbar, langsam, in ständigem Ringen in der Gruppe selbst und in ihrer Begegnung mit den anderen.“ (Ebd.) In diesem Sinne verstanden bedeutet ‚Revolution‘ also ein dialogisches, prozesshaftes Geschehen, das auf Grundlage der Enthüllung der Ursprungszweideutigkeit die Antinomien in realgeschichtlichen Phänomenen auflösen und den Ursprung zu einer realgeschichtlichen, damit aber immer auch fragmentarischen Erfüllung seiner selbst führen soll.

4 Fazit Die hier vorgelegte werkimmanente Detailansicht des Verhältnisses von ‚Zweideutigkeit‘ und ‚Revolution‘ ging in drei Schritten vor: In einem ersten Teil erfolgte eine Analyse der Zweideutigkeit des Ursprungs, die sich als Vorhandensein einer asymmetrischen Einheit von Sein und Soll oder Ursprung und Sprung im Ursprung selbst herausstellte. Der zweite Teil widmete sich den realgeschichtlichen Auswirkungen dieser Ursprungszweideutigkeit. Dabei erwies sich die Zweideutigkeit als eine Größe, die zwar zunächst ontologisch-strukturell gedacht wird, jedoch in ihrer Realisierung maßgeblich von der subjektiven Kenntnis um sie bestimmt ist. Die sozialistische Entscheidung fungiert in diesem Sinne als literarische Enthüllung der Ursprungszweideutigkeit und stellt damit Tillichs Versuch eines konstruktiven Beitrags zur konfliktreichen politischen Lage seiner Zeit dar, indem sie den Sozialismus zur Überwindung seiner eigenen Zerwürfnisse befähigen will. Im dritten Teil schließlich wurde beleuchtet, wie die subjektive Kenntnis der Zweideutigkeit zur Voraussetzung für eine gelingende Revolution der Gesellschaft wird. Dabei spielt die antizipative Einheit als Vorwegnahme der Einheit von Ursprung und Sprung die entscheidende Rolle für die Ermöglichung von Veränderung, die von Tillich hier als prozesshafte Revolution beschrieben wird. Den Anspruch der religiösen Sozialisten, sich zwischen lutherischem Konservatismus und utopischen Revolutionsfantasien zu bewegen, hat Tillich in seinem Werk eindrucksvoll in der zweideutigen Einheit des Ursprungs eingefangen – stellt doch diese Figur nicht zuletzt den Versuch dar, die anthropologische

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Gegensätzlichkeit von Herkunft und Aufbruch, wie auch die politische Dichotomie von Konservatismus und Utopie in einem differenzierten Einheitsmodell zu integrieren und damit letztlich der fruchtlosen Alternative von resigniertem Reformismus oder destruktiver Revolution zu entkommen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts boomen erneut die Krisendiagnosen zum Kapitalismus und eröffnen damit nicht zuletzt Begriffen wie Transformation, Revolution oder Utopie eine Wiederkehr.³³ Der amerikanische Soziologe Erik Olin Wright etwa geht in seinem Werk Reale Utopien dem Versuch nach, den Kapitalismus dadurch zu erodieren, dass innerhalb des bestehenden Systems Alternativen aufgebaut werden, die die Welt, wie sie sein könnte, vorwegnehmen. Aufbauend auf der Diagnose, dass sowohl der Reformismus wie auch das Konzept der Revolution durch ihr mannigfaches und tragisches Scheitern im letzten Jahrhundert keine gangbaren Wege mehr seien, sind es seiner Ansicht nach solche „Realutopien“, die den Kapitalismus schrittweise in einen humanen und egalitären Sozialismus überführen können.³⁴ Tillich mag zwar dem Begriff der Utopie selbst kritisch gegenüber gestanden haben, doch zeigt sich hier – jenseits aller Problematik von Methode und Rezeption seines Entwurfs – dass sein Grundgedanke, nämlich die Überwindung des Grabens zwischen Konservatismus und Anarchie, und zwischen Reformismus und Revolution, nach wie vor hochaktuell und für ein Denken der Möglichkeit in der Wirklichkeit unerlässlich ist.

 So etwa H. Rosa, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Frankfurt a. M. 2016; A. Honneth, Die Idee des Sozialismus. Versuch einer Aktualisierung, Frankfurt a. M. 2015; E. O. Wright, Reale Utopien.Wege aus dem Kapitalismus, Frankfurt a. M. 2017. Einen Überblick über die gegenwärtige Transformationsforschung bietet M. Brie, Beiträge zur kritischen Transformationsforschung – ein erster Überblick über den Diskussionsstand, in: ders., Mit Realutopien den Kapitalismus transformieren?, Hamburg 2015, 7– 30.  Vgl. Wright, Reale Utopien, 9 – 13. 45 – 49.

Peter Haigis

Geistesgeschichte und/oder/versus Heilsgeschichte Zur Dynamik der Geschichte und ihrer theologischen Interpretation bei Paul Tillich

1 Grundfragen zum Verständnis von Geschichte¹ Das deutsche Wort ‚Geschichte‘ ist mehrdeutig: So meint ‚Geschichte‘ einerseits die sprachliche Form einer Erzählung (‚Erzähle mir eine Geschichte‘). ‚Geschichte‘ in diesem Sinne ist eine ‚story‘, ein Geflecht aus Handlungen und Ereignissen, die von den Protagonisten der Geschichte und ihrer Beziehungsstruktur initiiert werden bzw. ihnen und ihren Beziehungskonstellationen widerfahren. In dieser Bedeutung des Wortes ‚Geschichte‘ spielt die Wahrheitsfrage eine untergeordnete Rolle, d. h. es kann – je nach Erzähltyp – für eine solche Geschichte von Belang sein, ob sie sich tatsächlich zugetragen hat, muss es aber nicht.² In einem ganz anderen Sinn ist von ‚Geschichte‘ die Rede, wenn damit auf die Entwicklung eines Referenzobjekts im Wandel der Zeiten Bezug genommen wird.³ So kann von (nahezu) allem, was es in unserer raumzeitlich strukturierten Wirklichkeit gibt, seine ‚Entwicklungsgeschichte‘ recherchiert und rekonstruiert werden.⁴ Auf dieser Basis der Verwendung des Terminus ‚Geschichte‘ kann von der

 Vgl. zum Folgenden etwa Art.: Geschichte, Historie, in: Handwörterbuch der Philosophie, Bd. 3 (1974), Sp. 344– 398, sowie Art.: Geschichte/Geschichtsschreibung/Geschichtsphilosophie, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 12 (1984), 565 – 698, bes. 630 – 674. 681– 698.  In diesem Zusammenhang ist auf die umgangssprachliche Verwendung des Wortes ‚Geschichte‘ hinzuweisen, die eine ‚Geschichte‘ von vorneherein als unwahr abtut und ins Reich der Fabeln und Legenden verweist (‚Erzähle mir doch keine Geschichte!‘). In anderer umgangssprachlicher Verwendung erscheint das Wort ‚Geschichte‘, wenn damit die zwar nicht grundsätzlich wahrheitswidrige, aber zumindest doch nicht ganz wahrheitskonforme Darstellung von Sachverhalten gemeint ist (‚Mach keine Geschichten!‘).  Im Unterschied zu K. F. Grimmer (vgl. K. F. Grimmer, Geschichte im Fragment. Grundelemente einer Theologie der Geschichte, Stuttgart/Berlin/Köln 2000) möchte ich den Gegenstand oder das Thema solcher geschichtlichen Betrachtung als ‚Referenzobjekt‘ bezeichnen und den Terminus ‚Referenzsubjekt‘ für denjenigen reservieren, der diese Geschichte recherchiert und rekonstruiert, also für den ‚Autor‘. (Vgl. a.a.O., 92– 95)  Hier liegt denn auch der Bezug zum griechischen Wort ‚historia‘ = ‚Erkundung‘. https://doi.org/10.1515/9783110668124-012

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Geschichte der Religion wie der Kultur, der Technik wie der Politik etc. gesprochen werden. Wenn dabei die ‚Entwicklungsgeschichte‘ im Fokus der Aufmerksamkeit liegt, so bedeutet das freilich nicht schon, dass in dieser Geschichte so etwas wie Fortschritt oder Degeneration erkennbar sein müsste, sondern hebt zunächst lediglich auf eine dem Wandel unterworfene Existenzweise ab. Dementsprechend kann natürlich auch eine ‚langwelliger‘ frequentierte Geschichte wie die Geschichte der Erdzeitalter oder die Geschichte der Klimaentwicklung zum Thema gemacht werden.⁵ In jedem Fall besteht bei ‚Geschichte‘ dieser Art zumindest der explizite Anspruch, Wahres zu berichten. Diesen Anspruch auf Wahrheit erhebt auch der Gebrauch von ‚Geschichte‘, der damit einen Bericht von Begebenheiten meint, die sich faktisch zugetragen haben und deren detaillierte Beschreibung mit allen zu erforschenden Ursachen und Wirkungen auf diese Weise vorgenommen werden soll. In dieser Form der ‚Geschichts‘-schreibung begegnet deshalb einerseits die betonte Abkehr von den mythologischen Erzählungen als mehr oder weniger stark ausgeprägte Phantasiegeschichten, andererseits die Tendenz zu einer monistischen Geschichtsauffassung, da sich faktische Begebenheiten eben, wenn sie korrekt wiedergegeben sind, vermeintlich nur auf eine Weise berichten lassen. Zugleich erhebt die Geschichtsschreibung mit zunehmender Weitung des Gesichtsfeldes universalen Anspruch, da die Wirklichkeit als universal kohärent vorausgesetzt wird. Die Geschichtsforschung und Geschichtswissenschaft erlebte ihren Höhepunkt autonomer Entwicklung im 19. Jahrhundert. Dies freilich auch um den Preis mancher Selbsttäuschung – vor allem im Blick auf die Möglichkeit objektiver Erkenntnis.⁶ Seither wurde das Unterfangen einer universalen Geschichtsschrei-

 Eine in der Moderne zunehmend entdeckte Mikrohistorie ist die Lebensbeschreibung im Sinne einer Biografie, wobei gerade die neuere Biografieforschung die Fragmentarizität, Perspektivität und Multiversalität von ‚Geschichtsschreibungen‘ dieser Art aufgedeckt hat. (Vgl. dazu u. a. H. Luther, Religion und Alltag. Bausteine zu einer Praktischen Theologie des Subjekts, Stuttgart 1992, bes. 111– 122. 160 – 182)  Auf den Zusammenhang zwischen der ‚Geschichte‘ im Sinne einer als Wissenschaft zu verstehenden ‚History‘ einerseits und der episch – auch mit den Mitteln moderner Erzähltechniken wie etwa des Films – erzählten ‚Story‘ andererseits hingewiesen und damit die Möglichkeit objektiver Geschichtserkenntnis problematisiert zu haben, ist das Verdienst S. Kracauers. (Vgl. S. Kracauer, Geschichte – Vor den letzten Dingen, Frankfurt a. M. 1973) Kracauer versteht das Unternehmen der Geschichtsforschung und -deutung dabei als eine etwas andere Wissenschaft: Im Unterschied zum Naturwissenschaftler muss der Historiker „eine Geschichte [story] erzählen“, „[w]eil er immer wieder auf irreduzible Wesenheiten stößt – Einheiten, die, außer daß sie der Verbindung sonst unverbundener Ereignisfolgen entspringen, das Auftauchen von etwas Neuem kennzeichnen, von etwas, das jenseits der Gesetzgebung der Natur liegt.“ (A.a.O., 46) „[M]enschliche Geschichte ist unwiderrufbar von Naturgeschichte dadurch unterschieden, daß sie sich

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bung kräftig ausgehöhlt – und zwar einerseits durch die Einsicht in die unterschiedlichen Interessenlagen derer, die Geschichte schreiben, zum anderen durch die Einsicht in die Möglichkeiten, Geschichte zu korrumpieren, drittens durch die Einsicht in die Unmöglichkeit, Prozesse des Vergessens und Verdrängens auszuhebeln, wenn sie erst einmal historisch kodifiziert sind, sowie viertens durch die Erfahrung zunehmender Vielfalt in der so zu beschreibenden Geschichte.⁷ Nochmals anders begegnet die Rede von ‚Geschichte‘, wenn damit philosophisch das Projekt einer (Selbst‐)Auslegung menschlichen Daseins gemeint ist. Unter dem Eindruck der Entdeckung von Freiheit und Selbstbewusstsein hat dieses Projekt in der Neuzeit zu anspruchsvollen und komplexen Sinnentwürfen geführt, die menschliches Dasein, seine Konstitution und seine Gestaltungskraft interpretieren und orientieren sollten. Beispiele hierfür gibt es genug von Lessing bis Herder und von Hegel bis Marx. Allerdings müssen zu dieser Form philosophischer Geschichtsbetrachtung im weiten Sinn auch theologische Entwürfe gerechnet werden, die entweder offenbarungsgeschichtlich, eschatologisch-utopisch oder heilsgeschichtlich argumentieren. Im Unterschied zu neuzeitlichphilosophischen Entwürfen definieren sie lediglich den Freiheitsspielraum des Menschen anders, gehen aber dennoch von der Voraussetzung aus, in einem spezifischen Grundmuster die Sinnbestimmung menschlicher Existenz erfassen

gegenüber geschichtlichen Längsschnitt-Gesetzen – Gesetzen, die stillschweigend Geschichtsprozeß mit Naturprozeß verwechseln – als unzugänglich erweist. Im Gegensatz zur Naturgeschichte, deren erzählerische Bestandteile mittels solcher Gesetze prinzipiell zu überwinden sind, muß die Geschichte menschlicher Verhältnisse eine epische Qualität bewahren. Ihr irreduzibler Anteil an Freiheit spricht letztendlich jeglicher Behandlung auf naturwissenschaftliche Weise, die Freiheit aussperrt, Hohn.“ (A.a.O., 58) Andererseits vergleicht Kracauer die Arbeit des Historikers mit derjenigen des Photographen bzw. Filmregisseurs, wobei einem naiven Realismus im Blick auf beides der Abschied zu geben ist, wenngleich Kracauer zugesteht, dass sich die Photographie „im Gegensatz zu den herkömmlichen Künsten“ rühmen darf, „ihr Rohmaterial nicht gänzlich zu verzehren“ (a.a.O., 72), sondern sich um die „‚richtigeʻ Balance von realistischer und formgebender Tendenz“ (a.a.O., 73) zu bemühen hat.  Auf diese Problematik geht Kracauer im dritten, ‚Gegenwarts-Interesse‘ überschriebenen Kapitel seiner wissenschaftstheoretischen Überlegungen zur Geschichtsforschung ein, wobei er in gewohnt ausgewogener Weise zu der Einsicht gelangt, dass es – abgesehen von der banalen Behauptung einer allgemeinen Gegenwarts- und Milieuabhängigkeit des Historikers – nicht nur problematisch wäre, den Historiker als reines Kind seiner Zeit zu entlarven, weil das „‚historische und soziale Milieuʻ des Historikers nicht ein in sich geschlossenes Ganzes, sondern ein zerbrechliches Kompositum häufig inkonsistenter Strebungen im Fluß ist“. (A.a.O., 84) Den Zeitgeist gibt es nicht. Er ist seinerseits eine geschichtsphilosophische Fiktion. Vielmehr aber ist „[d]er Geist des Historikers […] in gewissem Maß fähig, sich nach Belieben zu bewegen. Und nach Maßgabe des Gebrauchs, den er von dieser Freiheit macht, mag er tatsächlich des Vergangenen ansichtig werden.“ (A.a.O., 97)

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zu können und seine allmähliche (zunehmende oder alternierende) Herausbildung als Folie auf die zeitlich ausgedehnte Gesamtgeschichte menschlichen Daseins im Universum legen zu können. Insbesondere gegen solche geschichtsphilosophischen oder -theologischen Universalkonzeptionen sind immer wieder kritische Anmerkungen vorgebracht worden. Wenn ich im Folgenden über das Konzept von Geistesgeschichte bzw. Heilsgeschichte bei Paul Tillich spreche, so liegen hier geschichtsphilosophische Entwürfe der Sinnbestimmung menschlicher Existenz vor, wobei hinsichtlich ihrer Unterscheidung an einem nicht unwesentlichen Detail festzuhalten ist. Dazu gleich noch etwas mehr. Zunächst jedoch wende ich mich dem Verständnis von ‚Geschichte‘ bei Paul Tillich zu.

2 Die Geschichtswissenschaft im Sinne Paul Tillichs Tillich unterscheidet in seinem System der Wissenschaften drei Wissenschaftsgruppen mit je eigenem Charakter: Die Denkwissenschaften richten sich auf das von jedem Inhalt gelöste Denken und reflektieren in der Sphäre reiner Formalität. Die Seinswissenschaften richten sich auf die das Denken begrenzenden Inhalte, die Geisteswissenschaften auf das Denken im Sein. Mit dieser Relation (Denken im Sein) ist der Begriff des Geistes berührt, denn „Geist“ meint „Selbstbestimmung des Denkens im Sein“. (MW I, 194 f.) Der Geist geht über die Spannung von Denken und Sein hinaus, er „ist Form des seienden Denkens.“ (Ebd.) Aus der hergeleiteten Dreiheit von Denk-, Seins- und Geisteswissenschaften baut Tillich ein ‚Wissenschaftsdreieck‘ auf: In einem ersten Teil werden die Denkoder Idealwissenschaften behandelt. Tillich nennt hier zwei Wissenschaften: die Logik und die Mathematik. Ein zweiter Teil bespricht die Seins- oder Realwissenschaften. Hier ist das Denken nicht mehr allein bei sich selbst, sondern es kommt ein dem Denken widerstrebendes Element hinzu – das Besondere, das Einzelne, das Individuelle, das das Denken in die Allgemeinheit seines einheitlichen Zusammenhangs aufzunehmen versucht. Dabei lassen sich wiederum drei Möglichkeiten unterscheiden, wie das Denken das Sein in sich aufnehmen kann: Entweder versucht das Denken das Sein restlos zu bestimmen und löst dessen Mannigfaltigkeit im Begriff des ‚Gesetzes‘ auf oder das Denken bringt das Einzelne des Seins in einen größeren Zusammenhang, ohne dessen Einzelhaftigkeit aufzuheben (im Begriff der ‚Folge‘), oder aber das Denken nimmt eine Mittelposition zwischen beiden genannten Standpunkten zum Sein ein und lässt das Einzelne in

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seiner Individualität gelten bei gleichzeitiger Verallgemeinerung einiger seiner Komponenten (im Begriff der ‚Gestalt‘). Tillich benutzt die drei Grundbegriffe ‚Gesetz‘, ‚Gestalt‘ und ‚Folge‘, um die Hauptgruppen des Systems der Seinswissenschaften zu differenzieren. Er bezeichnet sie als ‚Gesetzes-‘, ‚Gestalt-‘ und ‚Folgewissenschaften‘. Diese drei Hauptgruppen sollen zugleich den drei großen Wirklichkeitsfeldern, der physikalischen, der organisch-technischen und der historischen Wirklichkeit, gerecht werden. Im Blick auf die geschichtliche Wirklichkeit und die historischen Wissenschaften sagt Tillich: „Eine Wissenschaft, die sich im autogenen Sinne mit dem Individuellen beschäftigt, kann nur die Wissenschaft von den geistigen Individualitäten sein. Diese Wissenschaft ist die Geschichte.“ (MW I, 180) Man kann im Sinne Tillichs auch sagen: Gegenstände historischer Betrachtung sind die geistigen Akte geisttragender Wesen, die in Folgezusammenhänge eingeordnet werden.⁸ Nimmt man diese Fokussierung ernst, so macht es wenig Sinn, den Begriff der Geschichte auf Betrachtungsgegenstände anzuwenden, die nicht unter die Rubrik ‚geisttragende Gestaltʻ fallen, m.a.W.: Subjekt der Geschichte ist jene geisttragende Gestalt, die wir üblicherweise als ‚Mensch‘ bezeichnen; Geschichte ist mithin ein anthropologisch gebundenes Sujet. Es dient daher nicht einer präzisen Begrifflichkeit, z. B. von einer ‚Geschichte der Natur‘ oder von einer ‚Evolutionsgeschichte‘ zu sprechen. Der Terminus ‚Geschichte‘ wird hier in einem übertragenen, unpräzisen Sinn verwendet und es wäre hilfreich, ihn von anderen Termini zu unterscheiden, z. B. dem des ‚Prozesses‘ – eine Unterscheidung freilich, die Tillich nicht ganz so konsequent durchhält.⁹ Für unsere weitere Betrachtung folgt daraus zweierlei: Erstens ist der Begriff der ‚Heilsgeschichte‘ ebenfalls ein übertragener unpräziser; zum einen, weil ‚Heil‘ in dieser Zusammensetzung kein Sinngegenstand ist wie ‚Frieden‘, ‚Gerechtigkeit‘ oder ‚Gemeinwohl‘ (auch wenn er so ähnlich klingt!), und zum anderen – eng damit zusammenhängend –, weil Gott das Subjekt solcher ‚Geschichte‘ ist. Wer von ‚Heilsgeschichte‘ spricht, bedient sich also der üblichen symbolischen Redeweise. Es gibt wohl eine Geschichte der Religionen im eigentlichen und ursprünglichen Sinn, aber keine Geschichte(n) der Offenbarung oder des Heils. Letztere sind symbolische Narrative der Theologie, nicht aber Untersuchungsgegenstand der Historie. Und zweitens tangiert der Begriff der ‚Geistesgeschichte‘ auch im uneigentlichen Sinne die ‚Geschichte‘. Das gilt es nun etwas näher zu begründen.

 Vgl. MW I, 181 f.  Vgl. MW I, 185.

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3 Das Konzept der Geistesgeschichte bei Paul Tillich Auf den ersten Blick könnte es so sein, dass die ‚Geistesgeschichte‘ schlicht und einfach der universale, nicht mehr überschreitbare Rahmen geschichtswissenschaftlicher Rekonstruktion ist. Sie wäre dann so etwas wie die geschichtliche Darstellung der Hervorbringungen des menschlichen Geistes (also Kultur) unter größtmöglicher Berücksichtigung des verfügbaren Materials. Allerdings entspricht dies nicht der Redeweise von Geistesgeschichte im Tillichschen Sinn. Der dritte Teil seines wissenschaftssystematischen Aufbaus (neben Denk- und Seins- bzw. Realwissenschaften) handelt nämlich von den Geistes- oder Normwissenschaften. In ihnen hat sich der Geist selbst zum Gegenstand: Geist ist Selbstbestimmung des Denkens im Sein […] Das Wesen des Geistes, seine innere Spannung, sein dynamischer Charakter beruht auf dem unendlichen Widerspruch von Denken und Sein. […] Aber Geist ist keine Denkform und Geist ist keine Sinnform, sondern er ist trotz der Abhängigkeit von beiden eine eigene Form; Geist ist Form des seienden Denkens. (MW I, 194 f.)

In Tillichs Konstruktion sind die Geisteswissenschaften im Wesentlichen auf zwei Grundkategorien hin ausgerichtet: die des Schöpferischen und die des Sinns. Der Geist ist, insofern er sich in geisttragenden Gestalten und deren Hervorbringungen als Kultur aktualisiert, stets an Geschichte im eigentlichen Sinn gebunden, zugleich aber um seiner schöpferischen Dimension willen von ihr frei. Der Sinnbegriff hingegen ist das Erkenntnisziel der Geisteswissenschaften. Diese sind auf Sinnzusammenhänge hin ausgerichtet. Hinsichtlich dieser sagt Tillich: Die existierenden Sinnzusammenhänge können betrachtet werden unter dem Gesichtspunkt ihrer Existenz und unter dem Gesichtspunkt ihres Sinnes. Die erste Betrachtung ist Kulturgeschichte, die zweite ist Geistesgeschichte. (MW I, 190)

Kulturgeschichte ist eine ‚Disziplin‘ der Geschichtswissenschaft, Geistesgeschichte hingegen eine ‚Disziplin‘ der Geisteswissenschaft. Unter letzteren differenziert Tillich die sog. ‚Sinnprinzipienlehre‘, die sog. ‚Sinnmateriallehre‘ und die sog. ‚Sinnsystemlehre‘. Während die Sinnprinzipienlehre die „Lehre von den geistigen Funktionen und Kategorien“ (MW I, 212) ist und die Sinnsystemlehre mit den Normen geistigen Schaffens befasst ist (z. B. in Metaphysik und Ethos), hat die ‚Sinnmateriallehre‘ oder ‚Geistesgeschichte‘ die Aufgabe, die Sinnverwirklichungen der Kultur in einer ‚gruppierenden Konstruktion‘ zu erfassen. Sie ist ‚Geschichtsdeutung‘ von einer bestimmten Norm (oder einem bestimmten Nor-

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mengefüge) her. Dabei bedient sie sich einer typologischen Methode, die es versucht, Grundlinien oder -signaturen einer Geisteslage zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten zu erfassen. Ein Paradebeispiel geistesgeschichtlicher Arbeit Tillichs ist seine Schrift Die religiöse Lage der Gegenwart aus dem Jahr 1926. Insofern die Geistesgeschichte nach Tillich zwar mit dem in der Geschichte dargebotenen Material arbeitet, dieses aber nicht hinsichtlich seiner Folgestruktur analysiert und rekonstruiert, sondern typologisch neu gruppiert, ist sie etwas definitiv anderes als Kulturgeschichte. Dies ist bereits deutlich geworden. Damit erhält der Begriff ‚Geistesgeschichte‘ aber auch einen anderen als den möglicherweisen landläufigen Sinn: Es geht hier nicht um die Geschichte des Geistes, sondern um eine nach bestimmten Kriterien zu organisierende Sortierung der Sinnverwirklichungen des Geistes in der Geschichte.

4 Aspekte der Heilsgeschichte in Tillichs Rede von Christus als ‚Mitte der Geschichte‘ Man wird wohl kaum zu weit gehen, wenn man sagt, dass der Begriff der ‚Heilsgeschichte‘ nicht zu den konstitutiven Theologumena in Tillichs Werk gehört. Die Belegstellen insgesamt sind überschaubar. An einigen Stellen bedient sich Tillich einer konventionellen Terminologie, so z. B., wenn er von „Werkzeugen der Heilsgeschichte (Gottes)“ (GW VI, 100. 102) spricht. In einem konstitutiven Sinn taucht der Begriff der ‚Heilsgeschichte‘ an vereinzelten Stellen zwar auch auf, erhält dort aber einen anderen Sinn. So etwa, wenn es heißt: „Geschichte ist wesensmäßig Heilsgeschichte.“ (GW VI, 120) Oder: „Nur als Heilsgeschichte angeschaut hat die Geschichte unbedingten Sinn.“ (MW V, 110) Derart steile Sätze sind unter der Perspektive zu hören und zu verstehen, die Tillich selbst dem Ausdruck ‚Heilsgeschichte‘ gibt. Im Rahmen seiner geschichtsphilosophischen bzw. geschichtstheologischen Überlegungen ist ‚Heilsgeschichte‘ nicht als eine Art ‚Prozessgeschichte‘ göttlichen Heilswirkens, geschweige denn: göttlicher ‚Heilsveranstaltungen‘ zu interpretieren. Vielmehr meint es die Sinnverwirklichung unbedingten, nämlich göttlichen Sinnes im Kontext einer geschichtlichen Entscheidungssituation, wie sie mit der menschlichen Existenz unter deren spezifischen Bedingungen gegeben ist. Insofern die menschliche Grundsituation die der Entscheidung ist, ist sie ‚geschichtlich‘ zu nennen. Und insofern sich in dieser Entscheidung nicht die Verwirklichung von Sinnwidrigem, sondern die Verwirklichung von Sinn (in einer letzten und tiefsten unbedingten Dimension) vollzieht, ist sie ‚heils-geschichtlich‘. Deutlich wird dies

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beispielsweise in dem Abschnitt ‚Geschichte und Heilsgeschichte‘ aus dem Vortrag Eschatologie und Geschichte (1927).¹⁰ Dort entfaltet Tillich den Geschichtsbegriff im Horizont des Sinnbegriffs bzw. eines Begriffs von Sinnverwirklichung. Wäre das Geschehen als Prozeß gedacht, in dem sich Seinssinn seinsnotwendig verwirklicht, so wäre dieser gesamte Prozeß wieder als einfache Seinsentfaltung zu deuten, nicht als echtes Geschehen. Der Sinn ist aber das, was den Kreis des in sich gespannten Seins durchbricht, also das, was in Freiheit besteht und nur durch Freiheit zum Sein kommen kann. (MW VI, 114)

Und zwei Seiten weiter: Die Erfüllung des Sinnes ist nicht Prozeß, sondern Geschichte. Sie ist kein berechenbarer Fortschritt, der ja nichts anderes wäre als wieder Seinsentfaltung, sondern sie ist konkrete Entscheidung, die immer die Möglichkeit, sinnwidrig zu sein, in sich trägt. Geschichte ist Hervorbrechen niemals eindeutiger, niemals berechenbarer Sinnverwirklichungen. (MW VI, 116)

Die präzise theologische Deutung dessen, was ‚Heilsgeschichte‘ bedeutet, findet sich dann später (1955) dementsprechend in Sätzen wie: „Damit ergibt sich […], daß die Heilsgeschichte die Entstehung des Neuen Seins ist und daß diese Heilsgeschichte der Kern und das Innerste der Geschichte selbst ist.“ (GW VIII, 230) Doch dies greift für diesen Beitrag zu weit aus. Ich muss den Tillich der Systematischen Theologie der 1950er und 1960er Jahre hier leider ausklammern. Im Jahr 1930 publizierte Tillich im Rahmen seines Bandes Religiöse Verwirklichung gleich zwei bemerkenswerte Texte, die sich mit geschichtsphilosophischen bzw. -theologischen Überlegungen befassen: zum einen den schon erwähnten Vortrag Eschatologie und Geschichte vom 1927, zum andern den Aufsatz Christologie und Geschichtsdeutung aus dem Jahr 1930 – einen Originalbeitrag für jenen Band.¹¹ Tillich gewinnt hier seinen Begriff von Geschichte über einen ontologischen Zugang: die Geschichtsbetrachtung thematisiert das Seiende hinsichtlich seines geschichtlichen Charakters, oder anders formuliert: das Seiende, sofern es im Geschehen steht. ‚Geschehen‘ meint nach Tillich jedoch weder bloße Zeitlichkeit noch reine Ereignishaftigkeit. Es zeichnet sich vielmehr durch das Erscheinen eines Neuen aus, wobei dieses Neue sich nicht durch Entfaltung aus ihm heraus entwickelt, sondern in ihm und an ihm gesetzt wird als „Durchbrechung des  Wieder abgedruckt in: MW VI, 108 – 117. (Textgeschichtliche Hinweise: 107; Kritischer Apparat: 117– 125)  Wieder abgedruckt in: MW VI, 190 – 205. (Textgeschichtliche Hinweise: 189; Kritischer Apparat: 205 – 212)

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geschlossenen Seins-Kreises“. (MW VI, 111) Der Akzent liegt somit auf der Durchbrechung einer geschlossenen, in sich kreisenden Seinsstruktur hin zur Erfahrung eines Neuen, welches bei Tillich zugleich mit der Erfahrung von Sinn verknüpft ist. Ein Geschehen ist damit zeitlich gerichtet, offen und sinnhaft. Mit Bemerkungen darüber, auf welche Formen von Seiendem dieser Aspekt geschichtlichen Seins Anwendung finden kann, hält sich Tillich in beiden Texten auffallend zurück. Klar ist, dass das Moment der Freiheit gegeben sein muss. Sinnverwirklichung muss getragen sein von Freiheit und sich darstellen in Entscheidungen, heißt es sinngemäß in Eschatologie und Geschichte. ¹² Dennoch hält Tillich menschlich konstituierte Subjekthaftigkeit allein noch für kein zureichendes Kriterium. Nur die handelnde Teilnahme an Geschichte ist ein gewissheitsstiftendes Moment, selbst Träger der Geschichte zu sein.¹³ In Christologie und Geschichtsdeutung führt Tillich den 1927 bereits angerissenen Bezug auf den Aspekt der Freiheit weiter. Das ermöglicht es ihm dann, ein Kriterium zu benennen, um zumindest den Menschen mit seiner Fähigkeit, sinnhaft zu reden und sinnorientiert zu handeln, als möglichen Träger der Geschichte auszuweisen.¹⁴ Das Erscheinen von Neuem und die Erfahrung von Sinnerfüllung sind Momente der Freiheit – daher können nur Wesen, zu deren Bestimmungsmerkmalen Freiheit gehört, geschichtliche Wesen sein. Mit dem Aspekt der Freiheit ist ein zweiter wesentlicher Aspekt von Geschichte benannt, der für Tillich zugleich eminent theologische Relevanz erhält: die Frage nach der Gewissheit von Sinnerfüllung bzw. die Frage nach der Gewissheit von Heil. Der Begriff der Freiheit wird von Tillich jedenfalls so konsequent gedacht, dass er die Möglichkeit von Sinnverwirklichung gleichermaßen einschließt wie die Möglichkeit, sich gegen den Sinn zu stellen.¹⁵ Jede Entscheidung für Geschichte, d. h. „für die eindeutige sinnhafte und sinnerfüllende Richtung der Zeit“ (MW VI, 199) trägt das Ringen mit der Willkür, die Drohung durch Sinnlosigkeit und das Risiko des Scheiterns in sich. Eine Sinngarantie gibt es in der Geschichte nicht und damit auch keine objektiv feststellbare Geschichte

 Vgl. MW VI, 114.  „Wo Geschehen ist, wissen wir nicht. Wir wissen es nicht einmal in den Vorgängen, deren Subjekte Menschen sind. Wir wissen es noch weniger in den Vorgängen, die sich an den übrigen Wesen abspielen.Wir wissen von Geschichte immer nur soweit, als wir handelnd in ihr stehen, als wir das, was als Geschichte an uns kommt, zu eigener Geschichte machen können, als es uns zu Entscheidungen treibt.“ (MW VI, 115)  Vgl. a.a.O., 197 f.  „Geschichte ist Sinnverwirklichung durch Freiheit, aber so, daß der Sinn in jedem Augenblick verflochten ist mit Sinnwidrigem.“ (MW VI, 199)

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im Sinne dieser Sinnverwirklichung.¹⁶ Die Entscheidung bleibt Wagnis. Das geschichtlich Seiende hat hier auf spezifische Weise, nämlich im Modus seiner Freiheit, Anteil an der – wie Tillich es nennt – „Ernsthaftigkeit“ und „Ungesichertheit des Seins der Dinge“. (MW VI, 110) Dieser Wagnischarakter öffnet die Geschichte aber auch gegenüber dem Transzendenten, gegenüber dem Eschaton. Die geschichtliche Sinnverwirklichung geht durch Entscheidung zur Erfüllung. Die religiösen Symbole hierfür sind das „Gericht“ und das „Reich Gottes“. (MW VI, 115) Die Entscheidung für die geschichtliche Sinnverwirklichung tendiert auf Sinnerfüllung und damit auf Heil, kann im Augenblick der Entscheidung aber nicht auf eine Garantie zurückgreifen. Daher legt sich die Frage nahe „nach einer konkreten Wirklichkeit, in der das Sinnwidrige als überwunden angeschaut, die Möglichkeit letzter Sinnlosigkeit aufgehoben ist.“ (MW VI, 194) Diese Frage ist die christologische Frage. Auf diese Weise führt die Frage nach der Geschichte zur Christologie. Jede Entscheidung für oder gegen Geschichte bzw. für oder gegen die Verwirklichung von Sinn steht aber selbst in der Geschichte. Deshalb kann die christologische Antwort auch nur aus der Geschichte heraus erteilt werden. Diese Korrelation von Geschichtsdeutung und Christologie nötigt Tillich dazu, Geschichtsdeutung nicht in einem quasi-objektiven Horizont vorzunehmen, sondern vom Boden geschichtlichen Ergriffenseins aus. Üblicherweise prägen falsche, weil von einem räumlichen Bewusstsein aus generierte Vorstellungen die Rede von der Geschichte. An verschiedenen Stellen seiner Argumentation wendet sich Tillich klar gegen die Rede von einem Anfang bzw. einem Ende der Geschichte¹⁷ in diesem objektivierenden, räumlich veräußerlichenden Sinne. Linearität im Sinne einer gerichteten Zeitstruktur ist zwar ein naheliegendes und auch verführerisches Modell für Geschichte (und findet auf den Geschichtsbegriff der Seinswissenschaft ‚Geschichte‘ ja auch bei Tillich selbst Anwendung, wenn er etwa von dem grundlegenden Topos der ‚Folge‘ spricht). Hier jedoch befinden wir uns – wissenschaftssystematisch gesprochen – im dritten Bereich der Geistes- oder Normwissenschaften, näher in der Disziplin der ‚Sinnsystem-‘ bzw. ‚Sinnnormenlehre‘ und deshalb benötigen wir ein anderes Verständnis von Geschichte. Statt von einem Anfang oder Ende der Geschichte möchte Tillich von der ‚Mitte der Geschichte‘ sprechen. Zwar gesteht Tillich zu, dass auch die Kategorie der Mitte räumliche Anschauung konnotiert.

 Vgl. a.a.O., 193.  Vgl. a.a.O., 115. 195.

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Aber in bezug auf die Mitte zeigt sich in der Undurchführbarkeit des räumlichen Bildes, daß etwas anderes gemeint ist als eine meßbare Mitte einer gemessenen oder auch unermeßlichen Zeitlinie. Mitte der Geschichte als Resultat einer Messung ist jedes Sinnes bar und könnte ja auch nur vorgenommen werden, wenn Anfang und Ende als gegenständlich fixierte Punkte gegeben wären. (MW VI, 195)

Die ‚Mitte der Geschichte‘ meint stattdessen das organisierende Zentrum, das sinngebende Prinzip der Geschichte. Es setzt zugleich ‚Anfang‘ und ‚Ende‘ als Initialerfahrung und Zielorientierung dieser sinnstiftenden Mitte. Damit erhebt sich natürlich sofort die Frage, von welcher Geschichte und von welcher Mitte hier die Rede ist. Mit dem Abschied von einem objektiven Geschichtsverständnis gibt Tillich zugleich auch der Konzeption einer Universalgeschichte den Abschied, was freilich für ihn nicht bedeutet, dass Konzeptionen von Geschichte nicht universalen Anspruch im Namen der sie konstituierenden Mitte behaupten können. Die Reichweite von Geschichte hängt für Tillich von der ‚Mächtigkeit ihrer Mitte‘ ab. Dies schließt die theoretisch-abstrakte Möglichkeit mehrerer Geschichtsverläufe ein, denen mehrere ‚Mitten‘ entsprechen. Tillich hält eine solche Überlegung selbst jedoch für ‚außergeschichtlich‘ und damit im Blick auf die Erhellung der Realität geschichtlichen Seins für ‚unwahr‘. Im Endeffekt kann es für ihn nur eine Mitte geben – die Christologie bzw. besser das Christusgeschehen! Umso erstaunlicher muss es wirken, dass Tillich nur wenige Seiten später in seinem Aufsatz Christologie und Geschichtsdeutung genau diese Pluralität differenten Geschichtsbewusstseins auffächert und sogar die Universalität dessen, was traditionell ‚Christologie‘ heißt, relativiert, indem er sie funktionalisiert: So ist Mitte der Geschichte für den Juden der Auszug aus Ägypten und sein zentrales Ereignis, die Bundesstiftung auf dem Sinai, so für den Parsismus die Erscheinung Zarathustras und für den Mohammedaner die Flucht von Mekka nach Medina, so für den Aufklärer, der das dritte Zeitalter erwartet, der Einbruch der autonomen Geisteshaltung, […] so für den Marxisten die Entstehung des Proletariats als Ort der Aufhebung der Klassen, die er in Zukunft erwartet, so für den Imperialisten ein symbolisches Ereignis in der Vergangenheit seines Volkes, dessen Erhebung oder Weltherrschaft für ihn den Sinn der Geschichte ausmacht. Anfang und Ende, sowie der Rhythmus des Gesamtverlaufs bis in jede einzelne Periodisierung sind von diesem Prinzip bestimmt. Es ist konstitutiv für das Geschichtsbewußtsein jeder der genannten Gruppen und hat zugleich für jede heilsgeschichtlichen und d. h. christologischen Charakter. (MW VI, 200)

Eigentlich müsste hier sinngemäß ergänzt werden: ‚und für den Christen ist die Mitte der Geschichte eben das christologische Geschehen von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi.‘ Zugleich müsste damit die formale Gleichsetzung von

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‚heilsgeschichtlich‘ und ‚christologisch‘ aufgehoben werden.¹⁸ Tillich unterscheidet aber nicht hinreichend zwischen einem ontologisch hergeleiteten Begriff von Geschichte, der dem Phänomen erwirkten bzw. erlebten Handelns und Widerfahrens in der Geschichte entspricht, einerseits und einem bewusstseinstheoretischen Begriff von Geschichte, der mit ihr zugleich ihre Deutung und Rekonstruktion meint, andererseits. Demgegenüber muss betont werden, dass ‚geschehene Geschichte‘ zur ‚begriffenen Geschichte‘ erst durch eine spezifische Deutungs- und Rekonstruktionsleistung wird. Dabei stellt sich aber die weitergehende Frage, welche spezifischen Deutungs- und Rekonstruktionsvoraussetzungen durch die christliche Perspektive in die Deutungs- und Rekonstruktionsleistung, die sich ‚Christologie‘ nennt, eingebracht werden. Dass Tillich an dieser Stelle den Begriff des ‚Christologischen‘ formalisiert und funktionalisiert, trägt jedenfalls nicht gerade zur differenzierenden Klärung unterschiedlicher Sinndeutungsansprüche und ebenso wenig zur spezifischen Profilierung des christlichen Deutungspotentials unter ihnen bei.¹⁹

 In diesem Zusammenhang ist es interessant zu beobachten, dass die Hinzufügung „und d. h. christologischen“ in der späteren englischen Edition des Textes aus dem Jahr 1936 fehlt. (Vgl. die textkritische Anmerkung hierzu in: MW VI, 210.)  Tillich widmet sich diesem Einwand zwar im Schlussteil seines Aufsatzes (vgl. MW VI, 201– 205), wendet dabei die Argumentation jedoch in die m. E. genau falsche Richtung: Die abstraktgeschichtsphilosophische Fassung des christologischen Gedankens soll bei Tillich den Sinn haben, den universalen Anspruch auf die Mitte der Geschichte zu festigen und andere Ansprüche abzuwehren: Weil die Suche nach der Mitte eine genuin menschliche ist, vermag die christliche Fassung dieser Mitte als universale Antwort zu fungieren. Stattdessen müsste umgekehrt gezeigt werden, wie Geschichtsdeutungen konstituiert sind und dass in der Pluralität dieser Deutungsmuster die christlich-christologische prägnante Unterschiede besitzt, deren spezifische Plausibilität zu prüfen und aufzuweisen ist.

Russell Re Manning

“Do not be conformed.” Paul Tillich’s revolutionary theology of culture Do not be conformed to this aeon, but be transformed by the renewal of your mind. Rom.12.2a

Paul Tillich (1886 – 1965) is perhaps best known today as a liberal theologian of mediation, whose famous method of correlation aims to respond to humanity’s existential questions with answers drawn from the Christian message. Key concepts such as ultimate concern, the new being, and the sacred depths of culture have been influential and have powerfully informed the liberal theological agenda of mainstream developments in the second half of the Twentieth Century. Indeed, as Jonathan Z. Smith has noted, Tillich’s influence (albeit often unacknowledged) lies behind the very enterprise of the American Academy of Religion – the world’s largest forum for scholarly work in theology and religious studies. Now, over fifty years after his death in 1965, Tillich has become an establishment thinker, a safe (albeit never entirely uncontroversial!) exemplar of a midtwentieth-century theological liberalism, untroubled by the social and intellectual developments that have provoked the most recent generation of philosophical theologians to take up increasingly extreme and polarised stances. From the reactionary theo-politics of post-liberalism and Radical Orthodoxy to the radical secular theologies of John D. Caputo and Mark C. Taylor (not forgetting the equally radical anti-theologies of the various “neo-atheisms”), the current theological landscape is dominated by the notion of radicality. Given his reputation, it comes then as no surprise that Paul Tillich is rarely thought of as a revolutionary fellow traveller. In this chapter, I aim to indicate some of the ways in which a more revolutionary, radical Tillich might be retrieved. The Tillich whose explosive mix of prophetic critical Protestantism, revolutionary religious socialism, ecstatic rational mysticism, and avant-garde cultural progressivism mark him out as a truly radical thinker for today’s radical situation.

This chapter is a slightly modified version of the text included as ‘Introduction’ in R. Re Manning (ed.), Retrieving the Radical Tillich. His Legacy and Contemporary Importance (New York: Palgrave Macmillan, 2015). Reproduced with permission of Palgrave Macmillan. https://doi.org/10.1515/9783110668124-013

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I shall return to the central concerns of Tillich’s own thought and re-revisit some of his key works as those of a adventurous thinker engaged in a series of ambitious and unprecedented revisions and reformulations of the nature and task of Christian theology in the Twentieth Century. I note four central moments of Tillich’s radical theology: his revolutionary manifesto for the reformulation of theology as theology of culture; his dialectical critical religious socialism (in particular as he formulated it to confront the quasi-religion of Nazism in the early 1930s); his thoroughgoing overhaul of the idea of faith (in particular as developed in his important works from the 1950s, The Courage to Be and Dynamics of Faith); and his increasingly pressing engagements with non-Christian religions. In so doing – ranging from some of Tillich’s earliest to his final writings – I hope to show forth Tillich as a revolutionary theologian, strongly marked, but never fully determined by, the urgent critical demands of his time(s). From the crises of German cultural and religious life in ruins after the horrific defeat of the First World War, to the new realities of religious pluralism in the melting pot of mid-twentieth-century USA, Tillich’s theological responses are always profoundly ambivalent, impure and disruptive, and never “merely safely correlative.” Far from the dominant image of Tillich as the lovable avuncular émigré with tremendous charisma and a terrible accent, whose thought collapses everything into a comfortable liberal accommodation, in its place re-emerges the troubled and troubling figure of the radical Tillich the revolutionary.

1 Theology Of Culture Is The Real Radical Theology In 1919 Paul Tillich delivered a lecture to the Kant-Gesellschaft of Berlin, in which he made a revolutionary proposal for a revision of the nature and task of theology (MW II, 69 – 86).¹ Fresh from the horrors of the First World War, Tillich was struck by the increasingly polarised situation of religion and culture and by what he felt to be the mutually destructive consequences for both parties. In response to the “intolerable gap” between religion and culture, Tillich proposed the reformulation of theology as “theology of culture.” In this time of a widespread sense

 This text has been translated into English by W. B. Green in Paul Tillich, What is Religion? ed. by James Luther Adams (New York: Harper & Row, 1969), 155 – 181. An alternative, improved, translation Victor Nuovo is published as Visionary Science. A Translation of Tillich’s ‘On the Idea of a Theology of Culture’ with an Interpretive Essay, Detroit: Wayne State Univ. Press, 1987).

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of crisis, Tillich’s proposal was a surprising one – and one that differed markedly from that of the self-proclaimed “theologies of crisis” that have now come to dominate our historiography of the development of twentieth-century theology.² What marks Tillich’s desire for a “solution” to the fractured state of religious-cultural life as unique – and what makes it of such importance to our contemporary situation – was his radical assessment of the true challenge facing the future of theology: not, as we have come to accept, the loss of faith confronted by the challenge of assertive, autonomous, secular philosophy and science, but rather the rise of an excess of faith (in both its religious and cultural guises). Tillich’s early, radical project is designed precisely to combat these surging pietistic positivisms in defence of a synthetic philosophical theology –one that blurs the boundaries between disciplines and disrupts the certainties of the tribalism characteristic of the modern world.³ Tillich’s project of theology of culture, first explicitly stated in its manifesto form in the Kulturvortrag and enacted throughout his theological career both before and after 1919, entails the displacement of theology, which no longer has an object of its own. Theology, for Tillich, cannot be the study of “God” as this would imply that God were an object in the world amenable to investigation. Here the importance of Kant’s rejection of the possibility of speculative knowledge of God is clear: God cannot be an object of knowledge and as a result, theology does not have God as its subject. At this point in most narratives of the progress of theology after Kant, reference is made to Schleiermacher and what has come to be designated the “liberal” tradition of Protestant theology in the nineteenth century. Schleiermacher, it is suggested, offers the only viable alternative for a genuinely critical post-Kantian theology (that is to say, one that wishes to remain faithful to the philosophical developments of Kant’s thought whilst continuing to develop substantive theology) by accepting the rejection of speculative theology and embracing instead the so-called “subjective turn” of modern thought. No longer God, but faith (piety) is the subject of theology; no longer the science of God “in Himself”, but God “for us”, theology thus becomes equivalent to Glaubenslehre, or the teachings of the Christian religion. It is, it is assumed, a short step from Schleiermacher’s engagement with the “cultured despisers” of religion in the name of the “feeling of absolute dependence” to Tillich’s correlating theology of culture  See the representative texts by a range of authors, including (among others) Barth, Brunner, Bultmann, Gogarten and Tillich collected in James M. Robinson (ed.), The Beginnings of Dialectical Theology, Vol. I, (Richmond: John Knox Press, 1968).  See also Paul Tillich, The Religious Situation, 1926, trans. H. Richard Niebuhr (New York: Meridian Books, 1932).

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informed by his guiding notion of “ultimate concern”. The line from Schleiermacher (via Troeltsch and late nineteenth-century Kulturprotestantismus) to Tillich is, it seems, intuitive and unavoidable – and clearly distinguishable from the allegedly more radical assertive alternative of theological resistance to its Kantian restrictions, associated with the counter-cultural blasts of those such as Hamman, Kierkegaard, Ritschl, and most notably, of course, Karl Barth. Here is not the place to develop this argument in full, but my suggestion is that this “liberal vs radical” dichotomy that dominates the historiography of the development of twentieth-century theology is profoundly unhelpful.⁴ Yes, of course, there are lines of continuity from Schleiermacher through Troeltsch to Tillich and yes, of course, the assertions of theological independence that characterise the Kierkegaard-Ritschl-Barth line differ markedly from the desire for synthesis typical of the so-called liberals. And yet, the real picture is far more complex than this either-or portrayal allows for and central to this complexity is the vexed question of where the truly radical alternative lies. Part of the answer, I submit, can be found in Tillich’s proposal that theology become theology of culture. Tillichian theology of culture is not the heir to Schleiermacher’s Glaubenslehre, which in fact finds a more obvious successor in Barth’s project of Church Dogmatics. For both Barth and Schleiermacher (both interestingly Reformed Protestant theologians), the key to the possibility of theology is faith and the fundamental task of the theologian is one of fidelity to the confessed piety of her church.⁵ By sharp contrast, for Tillich, theology of culture has no determinate subject – and certainly not “religion”. Instead of accepting the Kantian restriction on theological aspiration by turning inward towards the church and its confession, Tillich’s is the bold, assertive – radical – move to affirm the universal reach of theology in its relocation from religion to culture. As he put it in his 1936 autobiographical sketch, On the Boundary, “die Theologie macht ausdrücklich zum Gegenstand, was unausdrücklich Voraussetzung alles Erkenntnis ist” (GW XII, 36) (somewhat oddly translated as “Theology makes its subject expressly that which is the assumption of all knowledge, even though the assumption be unexpressed.” (39)) If theology as theology of culture has no particular subject of its own, then everything becomes its subject. By moving it beyond God and beyond piety, Tillich takes theology into new and unchartered waters. Theology of culture is the real revolutionary theological alternative for the twentieth century – and this is Tillich’s real theology.  For more on this topic, see Russell Re Manning, Theology at the End of Culture. Paul Tillich’s Theology of Culture and Art (Leuven: Peeters) 2005.  For a persuasive defence of this contested claim, see Douglas Hedley, “Was Schleiermacher a Christian Platonist?” Dionysius 17 (1999) 149 – 168.

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2 Radical Religious Socialism In 1929 Tillich was appointed as Professor for Philosophy and Sociology at the Goethe University in Frankfurt very much against the wishes of some, including Hans Cornelius, whom he replaced. Cornelius was highly critical of Tillich’s major publication to that point, his 1923 book The System of the Sciences, in which he had tried (with admittedly limited success) to give a defence of his revolutionary account of the nature of theology within a comprehensive survey of the full range of scientific endeavour.⁶ Cornelius found the book “banal” and “unclear” and it has certainly not been one of Tillich’s most widely read works. The same fate, unfortunately, but for very different reasons, befell Tillich’s next major publication, written and published during his exceptionally fruitful time at Frankfurt. The Socialist Decision was published in 1933 and whilst its initial impact was significant (most notably in effectively bringing Tillich’s career in Germany to an end), it has not had the enduring significance it deserves.⁷ Perhaps, however, its time is now at hand. Certainly, The Socialist Decision is Tillich’s most developed work explicitly in political theology and is a clear testament to the radicality of his theological vision. What makes Tillich’s political theology of interest is above all his insistence, stemming directly from his conception of theology as theology of culture, that there can be no clear demarcation between the political and the theological. This is not to say that the two collapse into each other, but rather to affirm that there are, for Tillich, direct and unavoidable commitments entailed by his otherwise somewhat abstract sounding claims about unexpressed assumptions of knowledge. Tillich’s is a theology that provokes, indeed requires, decision. Unlike so many theological ventures into politics, Tillich’s is far from an attempt to “baptize” a particular political stance or party with the aura and authority of religion. He does use the term religious socialism and yet here again the description is meant in the broadest possible sense (as indeed is his use of the term socialism). What makes Tillich’s religious socialism radical is not that he took a left wing stance that synthesised political and theological analysis, nor indeed that he was courageous enough to do so in 1933, although both these are significant. Rather, Tillich’s political theology of the socialist decision is radical – and re-

 See Paul Tillich, The System of the Sciences According to Objects and Methods, tr. by Paul Wiebe (Lewisburg: Bucknell Univ. Press, 1981). For Cornelius’ opposition to Tillich, see Werner Schüßler, “Tillich’s Life and Works,” in Russell Re Manning (ed.), The Cambridge Companion to Paul Tillich (Cambridge: Cambridge Univ. Press, 2009), 10.  Paul Tillich, The Socialist Decision, tr. by Franklin Sherman (New York: Harper & Row, 1977).

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mains radical for us today in very different circumstances – because it promises to transcend the pieties of both churches and political parties. Tillich’s political theology subverts the certainties of both the political and the theological; showing, for instance, that the roots of the political protest of socialism lie in the prophetic tradition of theology and at the same time that the future of theological protest (what he calls the “Protestant principle” of commitment to the First Commandment that “there is no synthesis possible between God and the idols”) is to be found in the decision for socialism (ST I, 131– 2).

3 The Crisis Of Faith There is hardly a word in the religious language, both theological and popular, which is subject to more misunderstandings, distortions, and questionable definitions that the word “faith.” It belongs to those terms which need healing before they can be used for the healing of men. Today the term “faith” is more productive of disease than of health. … Indeed, one is tempted to suggest that the word “faith” should be dropped completely…⁸

Thus Paul Tillich begins his ‘Introductory Remarks’ to his 1957 book Dynamics of Faith. Tillich goes on to aver that it is “hardly possible” to drop the word “desirable as that may be” and that he has no alternative “for the time being” but “to try to reinterpret the word and remove the confusing and distorting connotations”.⁹ Nonetheless, Tillich was willing to “transcend theism” (and in so doing to prick up the ears of the 1960’s generation of radical Death of God theologians) and to talk of “absolute faith” as a way of getting beyond to the “genuine meaning” of faith; it is but a short further step to drop the language of faith altogether in pursuit of a more radical (and thus arguably more traditional) alternative.¹⁰ Interestingly, this is a clear and telling example of an assumption that runs through Tillich’s work as a revolutionary theologian, namely his insistence on historical contemporaneity. For Tillich, theology must always be of the now. There is no privileged historical moment of or for Christian theology; instead  Paul Tillich, Dynamics of Faith (New York: Harper & Collins, 1957), ix.  Ibid. One might say that a glance at the current swelling body of literature on faith in the philosophy of religion would show that Tillich has not been entirely successful in this attempt. See, for instance, John Bishop’s article ‘Faith’ in E. Zalta (ed.), Stanford Encyclopedia of Philosophy, Fall 2010 ed. (URL: http://plato.stanford.edu/archives/fall2010/entries/faith/.), in which Bishop sets out 7 broad categories of views of faith.  For “theism transcended” and “absolute faith” see in particular, Paul Tillich, The Courage to Be, 3rd ed. (New Haven: Yale University, 2014).

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it is (or should be) always teetering on the edge of the present. This iconoclasm towards the tyranny of tradition applies even to the language used by theologians themselves. Reflecting in his 1930 lecture ‘Natur und Sakrament’ on the banalization of language “in a world of mass communication and of continuous lowering of the spiritual level” (MW VI, 180 – 1) and on the efforts of figures such as Nietzsche, Stefan George and Rilke to “save language from this sort of degeneration”, Tillich is clear that the nostalgic temptation to return or revive previously potent words must be resisted: “it is not enough to rediscover and use the language of periods that possessed greater power of spiritual expression than ours does. It is necessary to find expressions adequate to our own situation, words in which the transcendent meaning of reality shines through a completely realistic and concrete language, the language of self-transcending realism.” (MW VI, 181)

Crucial here is the central Tillichian characterisation of theology as critique – and never as mere analysis or description. By recommending and adopting the critical stance as normative for theology, Tillich stands, to use one of his favourite and recurring images, “on the boundary”, which he identifies as “the best place for acquiring knowledge”.¹¹ The boundary lies between two alternative possibilities without being committed to either; thereby provoking anxieties about “sitting on the fence” or more positively of enabling the possibility of a genuine freedom for thought and action. A boundary stance, such as Tillich’s, enables the liberal paradigm of dialogue and encounter (and no modern theologian better embodies the conversational model of theology than Tillich); yet it also, and more radically, is the predicament of a lonely thinker, beset by radical doubt and unable to settle for the enforced pieties of convention. It is in this sense that Tillich’s position as a boundary thinker is consistent with his passion for the Lutheran paradigm of justification – not by faith, of course, but by doubt. Indeed for Tillich, there is no difference – and certainly no contradiction – between the Kantian affirmation of autonomy and the Lutheran affirmation of justification, a point he makes in his early work in the formula that “autonomy is justification in the realm of thought”.¹² It is this that lies behind his famous

 Paul Tillich, On the Boundary: An Autobiographical Sketch (New York: Charles Scribner’s Sons, 1966), 13.  The first of these is Thesis 115 from a presentation given by Tillich in 1911 at Kassel, in which he delivered 128 theses and a paper with the title “Die christliche Gewissheit und der historische Jesus,” Paul Tillich, Main Works/Hauptwerke (hereafter denoted as MW) VI, hg. von C. H. Ratschow (Berlin: de Gruyter, 1992), 33.

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final sentence of The Courage To Be: “The courage to be is rooted in the God who appears when God has disappeared in the anxiety of doubt”.¹³ Tillich thus stands as the polar opposite to his fellow so-called “religious existentialist” Søren Kierkegaard: whereas Kierkegaard sought the absoluteness of faith in the leap for certainty and unflinching commitment premised on the strict separation of true religion from culture, Tillich’s quest rests on a decision for and out of doubt and a refusal ever fully to separate faith and reason. Tillich’s deliberate blurring of the boundaries between religion and culture, theology and philosophy, faith and reason is all apiece with his occupation of the peculiar noman’s land of the boundary. Neither one nor the other, Tillich’s thought is constantly, unavoidably always both/and; a synthesis that is as far from a liberal modern accommodationism as it is from the reactionary-revolutionary positivisms that have come to dominate twentieth-century thought and culture. Unlike his neo-orthodox theological contemporaries (and his phenomenological-existentialist philosophical contemporaries), Tillich’s theology is temperamentally resistant to ideas of purity, both in disciplinary and conceptual terms. Tillich’s instincts rather are fundamentally those of post-Kantian German Idealism, and especially the complex, restless thought-world of Schelling. With Schelling, Tillich resists all forms of positivism (theological and philosophical), with their characteristic mode of “positing” or naming the object of their inquiry at the outset (“God”, “Being” or “faith”, for instance). For Tillich, this is simply to get things back-to-front for a “spiritual science”, such as theology or philosophy, in which the subjectivity of the enquirer is inseparably linked to the object of her enquiry (unless, as it may well be, the intention is to reduce theological or philosophical discourse to the level of an objective science, in which the positum attains an almost empirical status). Whilst Barth and Heidegger seem to want to bracket the doubting human subject out of their understandings of the theological enterprise in their search for disciplinary purity (of das Wort Gottes or die Gläubigkeit selbst respectively), Tillich instead aims always to include the questing interdisciplinary – and historically situated – human subject – with all her uncertainties, confusions and transitoriness. This, of course, introduces a deliberate instability to Tillich’s thought that renders it (surprisingly perhaps) thoroughly unsystematic at exactly the same time as it leads him (like Schelling) to create (and recreate) elaborate systems and taxonomic categorizations. In many ways, Tillich’s is a radically “multisystematic” theology. Indeed, it is precisely the multiplicity of systems within Tillich’s thought – its endless shaping and re-shaping architectonic – that con-

 Tillich, The Courage, 175.

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firms his indeterminacy. Amongst the confident assertive hedgehogs of early twentieth-century thought, Tillich stands out as an exception: not so much a fox as a spider – continually spinning and re-spinning his web of concepts and symbols into (to coin a phrase) strong, yet unstable (and short-lived) constructions.¹⁴ In this sense, then, Tillich’s is a “pop-up” theology; one that accepts the most radical revolutionary idea: that it can not and should not persist.

4 Theology Against Religions Tillich’s theology is fundamentally apologetic, in as much as he consistently aims to re-enchant the impoverished theological imagination of his contemporaries. This, surprisingly, is Tillich’s radical theological agenda. Tillichian apologetics aims not to convert the secular by translating biblical religion into ontological categories acceptable to “modern man”; but rather by exposing the excess of faith in modern society – in both its religious and its cultural (quasi-religious) forms – and by offering in its place a faithless theology of doubt. To understand this paradoxical formulation (which is not Tillich’s) better, it is instructive to turn to his seminal and, for his time, path-breaking encounter with non-Christian religions. For instance, late in life Tillich delivered the Bampton Lectures at Colombia University, taking as his theme ‘Christianity and the Encounter of the World Religions’.¹⁵ Striking as it may have been for a leading Christian theologian to attempt to continue his “process of deprovincialization” by addressing the “encounters among the living religions of today” what really stands out in Tillich’s text is in fact quite how little interested he is in what he calls the “religions proper”.¹⁶ After a cursory acknowledgement of the question of defining “religion” in comparative terms, Tillich rehearses his own extended use of the term:

 The reference is to Isaiah Berlin’s 1953 characterisation of those, the hedgehogs, who know the world through the lens of one single defining “big idea” (including Plato, Dante, Hegel and Nietzsche) as opposed to those, the foxes, whose perspective cannot be pinned down to a single notion (examples given include Aristotle, Shakespeare and Goethe). Isaiah Berlin, The Hedgehog and the Fox. An Essay on Tolstoy’s View of History (London: Weidenfeld and Nicolson, 1953). This analysis of Tillich’s multisystematicity coheres well with his mastery of the essay and lecture format of theology. Indeed, there is something remarkably homiletic about Tillich’s style of theology, even when far from any biblical language.  Paul Tillich, Christianity and the Encounter of the World Religions, (New York: Columbia University Press, 1963). The lectures were delivered in autumn 1961.  Ibid., 1– 2, 2, 5.

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Religion is the state of being grasped by an ultimate concern, a concern which qualifies all other concerns as preliminary and which itself contains the answer to the question of the meaning of our life. Therefore this concern is unconditionally serious and shows a willingness to sacrifice any finite concern which is in conflict with it.¹⁷

A clear, if “seemingly paradoxical,” consequence follows for Tillich from such a definition of religion in the context of inter-religious encounters: …the main characteristic of the present encounter of the world religions is their encounter with the quasi-religions of our time. Even the mutual relations of the religions proper are decisively influenced by the encounter of each them with secularism, and one or more of the quasi-religions which are based upon secularism.¹⁸

In other words, for Tillich, inter-religious encounter gains its “dramatic character” not from the dynamics of the inter-relations of the beliefs and practices of the finite forms of the explicit religious traditions (a kind of harmless exercise in comparative mythologies), but rather from the indirect presence within secular autonomous culture of what Tillich calls a “reines Ergriffensein, a pure beinggrasped”.¹⁹ Thus it is that in his final lecture, Tillich turns to the question (an inevitable one given his own logic of “theology as theology of culture”) of “Christianity judging itself in the light of its encounter with the world religions”, both religions proper and quasi-religions. Here, Tillich is unflinching: Christianity must learn from its encounter with the world religions (as well as from its own self-examination) to “struggle against itself as a religion”.²⁰ Tillich laments Christianity’s “failure” in becoming a religion at all in the first place “instead of remaining a center of crytalization for all positive religious elements” but nonetheless takes some comfort from “the rhythm of criticism, countercriticism and self-criticism throughout the history of Christianity … show[ing] that Christianity is not imprisioned in itself and that in all its radical judgments about other religions some degree of acceptance of counter-judgments took place.”²¹

 Ibid., 4– 5.  Ibid., 5.  Robert Scharlemann, “Tillich’s Religious Writings,” in MW V (1988), 1– 12; 5.  Tillich, Christianity and the Encounter, 84.  Ibid, 84; 89. For a very different theological critique of religion and religions, see Tom Greggs, Theology Against Religion. Constructive Dialogues with Bonhoeffer and Barth (London: T & T Clark, 2011).

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5 What Is Radical About Radical Theology? Thus far I have made the case that Tillich’s theology might be thought of as “radical” or “revolutionary” by highlighting four features of his thought that, if taken seriously, give us pause for thought and unsettle our comfortable categorisations. Yet what is it, particularly, that means that these features (and others I have not addressed) make Tillich’s thought radical, as opposed to simply unique and/or distinctive? The answer, I suggest lies in a consideration of Tillich’s legacy and of his importance for contemporary theology that identifies itself as radical. Here I make six brief observations. Firstly, and perhaps most obviously, radical theology in its recent formulations is decisively indebted to the iconoclastic work of those theologians of the 1960s now known collectively as Death of God theology. Thomas J. J. Altizer, Gabriel Vahanian, Paul van Buren, William Hamilton, Harvey Cox, J. A. T. Robinson and others should not be thought of as constituting a singular movement, of course, and yet between them they made a decisive contribution to the shape and destiny of radical theology in the latter half of the twentieth century. Two features stand out prominently: the first, of course, is their insistence that the question of the existence or otherwise of God is the least of the concerns for theology, which ought above all else to free itself from outmoded falsely literalistic models of God. From this perspective, theology is far from the kind of descriptive enterprise that looms large in mainstream theological circles dominated by Barthian dogmatics and post-liberal interests in narrative. That theology is not (primarily) about God is, it seems, a key lesson that recent radical theology has inherited from the Death of God movement; and one that it could (and should) have equally learned from Paul Tillich.²² Second, by invoking Nietzsche and the passionate atheist challenge to theology and all that it stands for, Death of God theology invited radical theologians into dialogue with those “continental” philosophical atheists, for whom the very task of philosophical thinking is equivalent to atheism. Recent radical theology takes as its dialogue partners those philosophers who are equally situated in the shadow of the Nietzschean death of God and who are determined, each in their own way, to find new and radical alternatives to what we might call “theological modernity”. From Heidegger and Sartre to Derrida and, more recently, Deleuze, Badiou and Meillassoux, recent

 For an alternative strand of radical theology – as hermeneutic theology – indebted more directly to Bultmann and Heidegger, see Ingolf Dalferth, Radikale Theologie (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2010).

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radical theology correlates to continental philosophical atheism in ways that are clearly in the spirit of Paul Tillich. A second observation follows from this directly. One of the most important voices informing contemporary radical thought, and radical theology in particular, is that of F. W. J. von Schelling. Almost uniquely amongst the major theological thinkers of the early twentieth century, Tillich engaged profoundly with Schelling and sought to rescue him from being sidelined as a brief footnote to Hegel (a fate that nonetheless befell him for much of the twentieth century). For those contemporary radical theologians who find in Schelling an alternative non-Hegelian critical post-Kantian thinker, whose philosophies of time, nature, and revelation are key resources, Tillich could (and should) be an indispensible mediating figure. Tillich can serve as an important case study of the tensions and difficulties inherent in adopting a neo-Schellingian philosophical theology, as well as the opportunities that such an approach offers in contrast, for example, with the predominantly Heideggerian frame of much continental thought. Furthermore, Tillich offers an intriguing option for contemporary radical theology: a radical Idealism – however, we need to change our standard frame of reference if Tillich is to be recognised as such. Indeed, surely one of the reasons for the relative neglect of Tillich in mainstream theology and philosophy over recent years stems from the widespread misapprehension that Tillich is a “liberal existentialist” and thus beyond the pale of any self-respecting radical.²³ For recent radical thinkers, of any stripe, “liberal” and “existentialist” just do not cut the mustard. In a climate dominated by postmodernisms of all sorts, nothing has been considered as more embarrassing than mid-twentieth century existentialism. Along with Sartre’s Existentialism is a Humanism and Beckett’s Waiting for Godot, Tillich’s The Courage To Be just no longer casts a spell over the formative teenage years of tomorrow’s radicals-to-be (who are more likely to be reading Slavoj Žižek or John Milbank). Tillich’s use of the question and answer formulation of his method of correlation, as well as his frequent references to  For a comprehensive dismissal of the alleged “existentialist turn” in the development of Tillich’s theology, see Marc Boss, Au commencement la liberté. La religion du Kant réinventée par Fichte, Schelling et Tillich (Geneva: Labor et Fides, 2014), 513– 524, especially p. 521: “il nous paraît inutile de chercher un tourant existentialiste dans la trajectoire intellectuelle de Tillich” and repeated in Marc Boss, “Paul Tillich and the Twentieth-Century Fichte Renaissance: Neo-Idealist Features in his Early Accounts of Freedom and Existence,” Bulletin of the North American Paul Tillich Society 36.3 (2010) 8 – 21, especially p. 15: “the very notion of an ‘existential turn’ in Tillich’s intellectual trajectory seems highly doubtful to me.” Boss reaches this conclusion through close analysis of Tillich’s writings before and after the First World War notwithstanding Tillich’s own subsequent critiques of German Idealism and mythologizing of an embrace of existentialism as a result of the horrors of the War.

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existentialism itself, clearly does not help his case here and, indeed, it is probably unfortunate for the portrayal of Tillich as a radical theologian that many students encounter Tillich primarily (only?) through the lens of his Systematic Theology, in which he is arguably at his least radical as he addresses himself explicitly to the religious symbols of his own religious tradition. That said, even here it is possible to see how little Tillich really belongs to the school of existentialism, unless its definition is stretched beyond recognition, as Tillich himself does repeatedly, to become equivalent to the mood of critical protest within thinking itself. One of the hallmarks of recent radical theology is the fluidity in its language and its willingness to use neologisms to reanimate the staid terminology of establishment theology. In this, Tillich is very much a fellow traveller. True, Tillich’s language has little of the lightness and playfulness of, say, John D. Caputo or Mark C. Taylor, but as Harvey Cox puts it: There is a quality of daring in Tillich’s thinking. He took risks, something a novice scholar in almost any field is rarely encouraged to do. One of the risks he took was to abandon any fetishism of particular words. He knew, both from his keen observation of modern culture and through his own spiritual struggles, that the words “grace” and “faith” and even “God” had not only lost much of their original power, but had also been so distorted that they had often been evacuated of meaning. So he boldly experimented with a new vocabulary. If the word “God” no longer speaks to you, he once wrote, say “depth.” Instead of “sin”, say “separation.” Instead of “forgiveness,” say “acceptance.”²⁴

Tillich is a true radical in his willingness to venture against tradition and to betray inherited orthodoxies for the sake of a retrieval of what has been buried under the accretions of conditioned pieties. If radicalism in theology is about returning to the roots, then Tillich’s is exemplary in his commitment to the repeated exercise of “shaking the foundations” to return each individual again and again to the originary piety of the shock of (non‐)being. To be, for Tillich, is to be ultimately concerned, and as much as religion can reveal this it can also conceal it, and it is the task of the (radically Tillichian) theologian to unsettle the certainties that distract from our orientation to the unconditioned. Finally, this brings me to another aspect of recent radical theology that resonates with Tillich’s: embodiment. Tillich is sometimes characterised as “the theologian’s theologian” or as the “apostle to the intellectuals,” and it is undeniable that his tendency to categorisation and abstraction can seem arid and impersonal at times. Indeed, it is a commonplace to critique Tillich for the non-personal character of his descriptions of God as “being-itself” or “the ground of meaning  Harvey Cox, “Introduction”, Tillich, The Courage, xxiv.

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and being” and Jesus Christ as “Jesus as the Christ as bearer of new being”. Unlike the rich individualism of the names “God” or “Jesus Christ”, the thought seems to be, Tillich’s formulae are “frosty monsters” (to invoke Barth’s description of Tillich’s earlier favoured term das Unbedingt), unable to do justice to the personal and material descriptions so prominent in the Christian tradition. On the one hand, Tillich will concur: any supranaturalism that imagines God as some kind of “super-being” or Jesus as some kind of semi-divine magician simply has no place in post-mythological theology. Here Tillich is uncompromising; such supranaturalism not only diminishes God by reducing Him to a “supra-finite” object amongst others, it also contains the roots of what Tillich perceived as one of the most pernicious threats to the theological imagination of his time, namely the temptation towards religious literalism. This is the basis for Tillich’s call to “deliteralisation” (in contrast to what he saw as the mistaken result of Bultmann’s call to “demythologisation”) and for his lifelong insistence that theology is symbolic. Both are radical moves and both emphasise the embodied and situated nature of religion and religious life. Thus, for Tillich, counter-intuitive though it may seem, it is the name “God”, that is impersonal and that impoverishes the religious imagination. By contrast, to talk of – and pray to – God as the ground of meaning and being is to engage with the divine life with the whole of a person’s being.

6 The Revolutionary Tillich Tillich’s is not a theology easily pigeon-holed. Just as he can – and ought – to be recognised and celebrated as a more revolutionary thinker than is commonly assumed, so too we should be cautious about attempting to co-opt Tillich and his unique theological perspective for any particular moment of radical theology. It is often remarked that it is Tillich’s particular genius to have been able to speak to his contemporaries and that this same strength is precisely the cause for the decline of his influence after his death. As John Clayton puts it, in a telling phrase, in what remains one of the best analyses of Tillich’s theological project: By incorporating the present cultural situation into his methodology, Tillich gave to his theology a planned obsolescence which precludes his system’s having direct relevance for any but the cultural context in which and for which it was constructed.²⁵

 John Clayton, The Concept of Correlation. Paul Tillich and the Possibility of a Mediating Theology (Berlin: de Gruyter, 1980), 5.

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This contemporaneity equally places limits upon the extent to which it is possible – and even desirable – to recruit Tillich in toto as a radical theologian. Yes, the real Tillich may be the radical Tillich; but the really real Tillich is quite simply just Tillich. To close, I draw attention to an important sense in which Tillich’s radicality is constrained. In his 1996 “Introduction” to Tillich’s 1963 Earl Lectures, delivered at the Pacific School of Religion and published under the typically Tillichian title The Irrelevance and Relevance of the Christian Message, Durwood Foster echoes Clayton’s concern that Tillich’s theology speaks to a cultural (and theological) moment that is now past – indeed that may have already been past even as Tillich was still writing. Citing the two “theological storm fronts that graphically marked the situation of the 1960s – ”death of God” and “theology of hope””, Foster concedes that Tillich “did not in fact anticipate either their idiom or their vitality” but nonetheless suggests that “far from being obliviously distant from the erupting trends of the sixties, Tillich was … profoundly interconnected and critically interactive with their rootage and their import”.²⁶ The same judicious, dialectical, judgement is applied to that which Foster identifies as the major upheaval in theology that Tillich did not foresee, namely “the erupting indictments of economic oppression, sexism, and racism.”²⁷ The challenge is a serious one. Forster goes some way to addressing the concerns, but there is clearly more to be said with respect to each of the three loci of liberation. Foster writes: “…few if any Christian thinkers had done more than he to prepare for the erupting indictments of economic oppression, sexism, and racism. Had he been able to keep his appointment with the New School for Social Research to return to New York in the fall of 1965 – instead of dying that October – doubtless his critique and encouragement would have thickened the plot of all the new movements. Much of his early initiative had flowed into religious socialism – one of the things that earned him the enmity of the Nazis – and a sense for Realpolitik registers steadily in his subsequent utterances… . When the gender consciousness of Simone de Beauvoir began to stir Union Seminary in the early 1950s, it was Tillich again that alert women students first turned to, and his struggle against masculine onesidedness in the basic Christian symbols (of the Trinity, for instance) clearly influenced feminist/womanist thought. Moreover, while there is no way to excuse the theo-

 See Durwood Foster, “Introduction,” Paul Tillich, The Irrelevance and Relevance of the Christian Message, (Eugene, OR: Wipf Y Stock, 1996, 2007), xiii-xiv. Clayton raises a similar concern that “it might be reasonably asserted that the period for which Tillich was writing was already past or at least nearly so by the time he completed his Systematic Theology.” He continues, “There was perhaps a certain inevitability in this. Philosophical reflection of the sort in which Tillich engaged tends to come, as Hegel was keenly aware, at the end rather than the beginning or the zenith of an age.” Clayton, The Concept of Correlation, 6.  Foster, xii.

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logical establishment as a whole for compliance with institutional racism, Tillich not only consistently aroused “questioning from below,” but linked power with justice and love over against the dehumanizing management of persons.”²⁸

Foster is surely right to draw attention to some of those aspects of Tillich’s thought that can be of use in developing theological engagements with the realities of those marginalised by poverty, sexism, and racism and there are those in contemporary radical theology who have a distinct political and liberationist focus and who engage constructively with Tillich in that task. However, it must also be admitted that awareness of the realities of economic, sexual, and racial oppression was not absent from Tillich’s own cultural context and – with the important exception of his pre-emigration engagement with religious socialism – his theological project of a theology of culture is remarkably unaffected by these issues. It is, in the end, hard to escape the thought that Tillich’s lauded “deprovincialisation” had its limits and that there were certain boundary situations in which he himself did not (could not?) place himself.²⁹ This, of course, does not mean that those who follow in the wake of the radical Tillich cannot and should not. To conclude: to retrieve the radical Tillich is to be reminded of the risk of theology and to be challenged by the demands of both the message and the situation. Perhaps, the real Tillich is the radical Tillich and the radical Tillich is the  Ibid., xii-xiii.  The feminist critique of Tillich’s theology (and ethos) is the most developed. See Judith Plaskow, Sex, Sin and Grace. Women’s Experience and the Theologies of Reinhold Niebuhr and Paul Tillich (New York: University Press of America, 1980), Susan Lichtman, “The Concept of Sin in the Theology of Paul Tillich: A Break from Patriarchy?” The Journal of Women and Religion 8 (1989) 49 – 55, and the judicious assessment by Rachel Sophia Baard as, “Tillich and Feminism,” in Russell Re Manning (ed.), The Cambridge Companion to Paul Tillich (Cambridge: Cambridge Univ. Press, 2009), 273 – 287. For a critical engagement with Tillich’s failure to engage race, see Elaine A. Robinson, “Paul Tillich,” in Miguel De la Torre and Stacey M. Floyd-Thomas (eds.), Beyond the Pale. Reading Theology from the Margins, Louisville, KY 2011, 151– 160. After an overview survey of Tillich’s central theological themes, Robinson defends the claim that “Tillich was a German-born American theologian who became White in the context and culture of the United States”, specifically that “little evidence exists to suggest that Tillich attempted to understand the social and legal construction of race in the United States, despite the immense cultural implications present in the long history of racial injustice and genocide within the American borders. There is little evidence within his theological corpus that the question of racial injustice was taken seriously, despite the fact that elements of his system could provide openings for just such analysis (e. g. experience as a medium or culture as a source).” (156.) For a nuanced discussion of Tillich’s potential and his limitations within contemporary political theology, see Gregory Walter, “Critique and Promise in Paul Tillich’s Political Theology: Engaging Giogio Agamben on Sovereignty and Possibility,” Journal of Religion 90.3 (2010) 453 – 474.

“Do not be conformed.” Paul Tillich’s revolutionary theology of culture

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real Tillich; the Tillich for whom theological apologetics is never safely correlational but in the terms of his early lectures on Dogmatik, an attack (Angriff) (EW XIV, 1). Or, and to give him the final word, as he puts it in Systematic Theology volume 1, sounding every bit the revolutionary preacher: “The answering theologian must discover the false gods in the individual soul and in society… . He must challenge them through the power of the Divine Logos, which makes him a theologian. Theological polemic is not merely a theoretical discussion, but rather a spiritual judgment against the gods which are not God, against those structures of evil, those distortions of God in thought and action. No compromise or adaptation or theological self-surrender is permitted on this level. For the first Commandment is the rock upon which theology stands. There is no synthesis possible between God and the idols. In spite of the dangers inherent in so judging, the theologian must become an instrument of the Divine Judgement against a distorted world.” (ST I, 131– 2)

Werner Schüßler

« Une révolution absolue est impossible » Éléments catholiques dans la pensée de Paul Tillich Dans un des sermons de Paul Tillich, qui porte le titre « De quelle autorité ? », on peut lire: « Le langage du révolutionnaire est formé par ceux contre qui il se rebelle. La protestation d’un réformateur s’appuie sur la tradition, contre laquelle il proteste. Voilà pourquoi une révolution absolue est impossible. Qu’on la mette pourtant en branle, elle échoue immédiatement. Et lorsqu’une révolution doit être réussie, ses meneurs doivent rapidement utiliser des formes et des idées, qui ont été produites par des autorités du passé ».¹ Ce point de vue de Tillich s’applique non seulement aux révolutions sociales, mais aussi aux « révolutions intellectuelles »² comme la Réforme. Ceci peut aussi bien être démontré à l’aide de la pensée de Paul Tillich en ce qui touche divers éléments catholiques. Et c’est ce que je voudrais essayer de montrer dans les pages qui vont suivre, en me basant sur trois champs thématiques typiques³ : Primo en partant du rattachement de Tillich au concept de l’analogia entis ; secundo en prenant appui sur ses considérations philosophiques du concept d’Eros – à côté du concept néotestamentaire d’Agapè – et tertio en utilisant son concept de « Substance catholique » en lien avec celui du « Principe protestant », un aspect clef de toute sa pensée.

 RR II 87. – Les Oeuvres de Paul Tillich sont citées dans ce travail comme suit: EW = Ergänzungs- und Nachlassbände zu den Gesammelten Werken von Paul Tillich, éd. I. Henel et al., XX tomes jusqu’à présent, Stuttgart, puis Berlin 1971 et suiv.; GW = Gesammelte Werke, éd. R. Albrecht, 14 tomes, Stuttgart 1959 et suiv.; MW = Main Works / Hauptwerke, éd. C. H. Ratschow, 6 tomes, Berlin 1987 et suiv.; RR = Religiöse Reden, 3 tomes, Stuttgart 1952 et suiv.; ST = Systematische Theologie, 3 tomes, Stuttgart 1955 et suiv. – La traduction de cette contribution de l’allemand au français ainsi que la traduction de citations en anglais sont de Richard Atchadé.  ST III 442.  Cf. aussi pour ce qui suit W. Schüßler, Meine katholischen Freunde verstehen mich besser als meine protestantischen. Wie katholisch ist Paul Tillich?, in Aufgeklärte Religion und ihre Probleme. Schleiermacher – Troeltsch – Tillich, éd. U. Barth / C. Danz / W. Gräb / F. W. Graf (= Theologische Bibliothek Töpelmann, vol. 165), Berlin/Boston 2013, 311– 329; W. Schüßler, Wandler zwischen den Welten. Katholische Elemente im Denken Paul Tillichs, in Herder Korrespondenz. Monatsheft für Gesellschaft und Religion 71/11 (2017) 41– 44. https://doi.org/10.1515/9783110668124-014

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Qu’il me soit encore permis de relever ici un aspect important mais que je ne souhaite pas davantage approfondir, à savoir la signification des beaux arts dans la pensée de Tillich,⁴ un aspect qui est sans nul doute aussi l’indice de sa proximité avec la pensée catholique. Tillich en est conscient, quand il dit clairement dans sa réponse à un étudiant: « Aux beaux-arts manque la ‘parole’ ; et les religions sont liées à la ‘parole’, ce qui vaut pour le Christianisme, et encore plus pour le Protestantisme. La religion a eu un rapport douteux avec les beauxarts. À vrai dire, comme vous l’avez déjà remarqué, j’ai personnellement de la prédilection pour les beaux-arts. Mais c’est là un des points où l’on me traite non comme un vrai Protestant mais comme un Catholique ».⁵

1 Analogia entis Comme chacun le sait, Karl Barth a considéré la doctrine dite de l’analogia entis « pour la découverte de l’Antéchrist » et a pensé « que l’on ne peut pour cela devenir catholique » ; « toutes les autres raisons que l’on peut avoir de ne pas devenir catholique [sont pour lui] peu perspicaces et non sérieuses ».⁶ Quand on pense que la pensée analogique peut être à juste titre décrite comme la pièce maîtresse de la métaphysique classique, il devient très clair, que ce coup porté l’est globalement contre la Métaphysique. Je peux seulement évoquer dans le cadre de cette contribution sans devoir l’expliciter davantage, que Barth a méconnu l’essence de l’analogie, car celle-ci ne rapporte pas Dieu au concept d’être mais l’identifie avec l’Être-même. Tillich a clairement perçu cela. Le concept de l’analogia entis connut en effet son point culminant chez Tillich au cours de sa période américaine. Cela a été suscité par la critique de sa théorie du symbole par le Philosophe américain Wilbur M. Urban.⁷ Dans la critique de Urban envers Tillich, on peut lire entre autres : « Ce que je crois c’est qu’à moins qu’il y ait ‘analogie de l’être’ entre le ‘Créateur’ et le ‘créé’, entre l’être  Cf. P. Tillich, On Art and Architecture, éd. John Dillenberger / Jane Dillenberger, New York 1987; P. Tillich, Kunst und Gesellschaft. Drei Vorlesungen (1952), éd. et trad. et avec une postface sur la signification de l’art dans la pensée de Paul Tillich de W. Schüßler (= Tillich-Studien. Abt. Beihefte, éd. W. Schüßler / E. Sturm, tome 1), Münster 2004.  D. M. Brown (éd.), Ultimate concern. Tillich in dialogue, San Francisco 1965, 39 s.  K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik, I/1, Zürich 51947, VIII–IX.  C’est en 1940 qu’est traduit en anglais l’article de Tillich «Das religiöse Symbol» de 1928 (cf. GW V 196 – 212) in Journal of Liberal Religion 2/1 (1940) 13 – 33; publié maintenant aussi in MW IV 253 – 269. W. M. Urban a réagi de son côté en publiant : A critique of Professor Tillich’s Theory of the Religious Symbol, in The Journal of Liberal Religion 2/1 (1940) 34– 36; publié maintenant aussi in MW IV 269 – 271.

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en soi et l’être pour nous, il est tout à fait inutile de parler soit de symbolisme religieux ou de connaissance religieuse ».⁸ Tillich réagit à Urban dans une contribution spécifique,⁹ où il est d’accord en principe avec sa critique, en y faisant toutefois quelques restrictions sur lesquelles je vais revenir plus loin. Pour éviter tout malentendu sur la pensée de Tillich concernant cette question sensible, il est à remarquer en effet qu’il fait usage du concept d’analogia entis aussi bien dans un sens large que dans un sens strict. La citation suivante, extraite de la Théologie Systématique porte au langage ce que Tillich entend par analogia entis au sens large : « Seule l’analogia entis justifie qu’on parle de Dieu. La nécessité de concevoir Dieu comme l’être-même constitue son fondement ».¹⁰ Dans ce contexte, Tillich établit le lien entre l’analogia entis et l’idée de participation – à juste titre d’ailleurs, car l’idée de participation est au fond idée de ressemblance et la pensée analogique est essentiellement pensée de ressemblance. Outre cette utilisation au sens large de la doctrine de l’analogia entis, Tillich l’emploie aussi dans un sens plus strict. Il se réfère alors à la doctrine de l’analogie d’après Thomas d’Aquin comme une certaine empreinte du jugement prédicatif sur Dieu. Il est ici précisément question de l’analogie de proportion ou d’attribution qui remonte au principe aristotélicien du « Pros-Hen », analogie que les deux penseurs cherchent à expliquer à l’aune de l’exemple classique de la santé.¹¹ Très tôt, on le sait, Thomas d’Aquin prend ses distances vis-à-vis de l’analogie de proportionnalité qu’il juge assez peu utile pour l’intelligence philosophique de la quête de Dieu, car elle suppose un double rapport analogique et relève du domaine des mathématiques. Face à la doctrine thomiste de l’analogie, Tillich souligne avec raison deux différences capitales en lien avec sa théorie du symbole, à savoir d’une part ce qui concerne la genèse et la disparition des symboles religieux et d’autre part ce qui touche leur caractère changeant.¹² Ces deux points ont à faire au fait que la doctrine thomiste de l’analogie est du domaine de la métaphysique, plus précisément de la théologie naturelle, qui à côté de la question de l’existence de Dieu a toujours eu peu à dire sur l’action de Dieu. Ce qui importe est qu’il soit « un », « immuable » et « éternel », pour ne citer que les expressions les plus

 MW IV 270.  Cf. P. Tillich, Symbol and Knowledge. A Response, in The Journal of Liberal Religion 2/4 (1941) 202– 206; publié maintenant aussi in MW IV 273 – 276.  ST I 278 (en français, TS II 115); cf. GW XII 303; 351; ST I 157; ST II 126.  Cf. Aristoteles, Met. XI, 3; 1060 b 37– 1061 a 7; Thomas von Aquin, Summa Theologiae, I 13, 6 c.  Cf. MW IV 273 – 274; GW XII 317.

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importantes que l’on retrouve déjà de façon similaire chez Platon, Aristote ou Plotin. La théorie du symbole chez Tillich appartient au sens strict au domaine de la philosophie de la religion. S’il s’agit chez Thomas de dires métaphysiques essentiels sur Dieu, chez Tillich il s’agit du problème du langage religieux. Cette différenciation peut paraître à première vue négligeable, mais elle ne l’est point quand on regarde de plus près les arguments ci-dessus de Tillich contre la doctrine thomiste de l’analogie. Car pour Tillich il s’agit d’une relation existentielle entre Dieu et l’homme, ce qui conduit à l’idée d’expressions variables quant à la rencontre humano-divine. Cela signifie qu’il ne s’agit plus pour lui d’une « information objective » sur Dieu.¹³ Les symboles religieux n’ont en effet pour Tillich aucun sens hors de la situation existentielle d’un « ultimate concern » (« ce qui nous concerne inconditionnellement »). Sur ce point sa théorie du symbole fait montre d’une très grande proximité avec la théorie religieuse du jeu de langage du dernier Wittgenstein. Toutefois on ne doit pas perdre de vue que Tillich, dans la question du jugement prédicatif, peut à peine se refugier derrière quelques assertions minimales métaphysiques sur Dieu, assertions brièvement mentionnées ci-dessus. Car autrement on devrait se poser la question sur ce qui différencie Dieu d’une idole. Ici se trouve une certaine inconséquence dans son approche ; elle prend forme lorsqu’il identifie Dieu avec l’« Être-même », un concept qui ne tombe pas simplement « du ciel », mais qui représente un élément de la « théologie naturelle » reposant sur une analyse ontologique. Au concept de participation, étroitement lié à celui de l’analogia entis et jouant un rôle essentiel dans différents domaines de la pensée de Tillich, s’ajoute un autre concept inhabituel à la pensée protestante, ce dont Tillich est bien conscient.¹⁴ Dans l’ensemble, nous pouvons évidemment constater que l’ontologie existentielle¹⁵ développée par Tillich dans sa période américaine a quelque chose d’inouï pour un théologien protestant au 20e siècle. Lors d’un échange avec son collègue Richard Kroner à l’occasion d’un hommage à Reinhold Niebuhr, Tillich avoue très franchement que dans la question de l’ontologie, il est

 P. Tillich, An Afterword: Appreciation and Reply, in O’Meara / Weisser (éd.), Paul Tillich in Catholic Thought. Foreword by J. H. Thomas. An Afterword by P. Tillich, Chicago 1969 (1ère éd., New York 1964), 369 – 380, 374; cf. GW XII 317.  Cf. P. Tillich, An Afterword, 371.  Cf. particulièrement ST I 193 – 245 (en français TS II 11– 73); EW XVI 1– 168.

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« bien plus près de ses amis catholiques et des critiques de sa théologie que des protestants qui viennent de l’école de Ritschl ».¹⁶

2 Eros und Agape Dans son ouvrage Dynamics of Faith paru en 1957 on peut lire sous le grand titre «Faith, Love and Action» : « On a distingué différents types d’amour et on a opposé la conception grecque de l’eros à la notion chrétienne d’agapè. Eros désignerait le désir de s’accomplir soi-même par le moyen de l’autre et l’agapè la volonté de renoncer à soi pour le bien de l’autre. Cette alternative n’a aucune réalité. On parle de ‘types d’amour’; il s’agit, en fait, de ‘qualités de l’amour’, qui s’interpénètrent et qui n’entrent en conflit que lorsqu’elles sont déformées. Il n’y a pas d’amour véritable sans une union de l’éros et de l’agape. […] La foi implique l’amour en tant qu’union de l’éros et de l’agape ».¹⁷ Et dans son livre Love, Power, and Justice de 1954 il est écrit : « L’amour en tant qu’Eros est d’une part rejeté par ces théologiens qui en même temps rejettent la culture et d’autre part par ceux-là qui nient, dans le rapport de l’homme avec Dieu, tout élément mystique. […] Sans cette aspiration de l’homme à la réunification avec son origine, l’amour de Dieu devient un mot dépourvu de signification ».¹⁸ Si dans ce contexte, Tillich ne mentionne aucun nom, il pense ici sans aucun doute au théologien luthérien et plus tard évêque de Lund, Anders Nygren, qui a produit dans les années 30 un monumental ouvrage en deux tomes, Eros et Agapè. ¹⁹ Nygren y voit la soi-disant hellénisation du Christianisme moins en rapport avec la formation des dogmes que dans la pensée d’amour quand il écrit : « On peut parler d’une hellénisation du christianisme dans la mesure où l’érôs pénètre à l’intérieur de celui-ci ».²⁰ Il n’est nullement question qu’éros et agapè appartiennent, originairement, à deux mondes intellectuels parfaitement distincts. Mais il m’apparaît problématique de se demander si ce fait est l’indice « d’un abîme » entre éros et agapè,

 P. Tillich, Discussion, in H. R. Landon (éd.), Reinhold Niebuhr: A Prophetic Voice in Our Time, Greenwich (Connecticut) 1962, 45.  GW VIII 188; cf. GW V 164 s. et 176 s.  GW XI 162.  A. Nygren, Eros und Agape. Gestaltwerdung christlicher Liebe, 2 Bde., Gütersloh 1930/37 (suédois: 1930/36). Erôs et agapè. La notion chrétienne de l’amour et ses transformations, 3 tomes, Paris, Aubier, 1944/52.  Ibid., II 15.

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abîme « qui n’autorise aucun passage immédiat », comme le pense Nygren.²¹ Comparer l’éros sensuel à l’agapè ne vaudrait point la peine ; pourtant, comme on le sait, Platon parle aussi d’un éros céleste – et c’est essentiellement de lui que discute Nygren, car cet éros céleste est « le concurrent-né de l’idée d’agapè ».²² La différence entre les deux est selon Nygren non seulement une différence de degré mais aussi une de nature, autrement dit pour lui aucun chemin ne conduit d’éros à l’agapè chrétienne. Nygren interprète l’histoire du christianisme jusqu’à Luther comme la relation entre éros et agapè, histoire au cours de laquelle il y eut toutefois toujours des tentatives pour libérer l’Agapè de cette relation avec l’Eros. Aussi voit-il dans les concepts de « Synthèse » et de « Réforme » « le rythme propre de l’histoire des idées chrétiennes »,²³ et il comprend dans ce sens le combat entre l’idée grecque d’éros et la notion chrétienne d’agapè simplement comme une « clef de compréhension » de l’histoire du christianisme.²⁴ Comme on le sait, pour Platon, éros est la force qui conduit l’homme du monde sensible au monde des Idées.²⁵ Éros est donc le chemin de l’homme vers le divin, il conduit de l’imparfait vers le Parfait. Le dieu platonicien, l’Idée du Bien et de la Beauté, est certes l’objet de l’amour, mais il n’aime pas lui-même. Pour cette raison, Nygren décrit l’éros comme un amour désirant, et par conséquent comme un amour égocentrique.²⁶ L’amour au sens néotestamentaire d’agapè est au contraire le chemin de Dieu vers l’homme. L’amour de Dieu et du prochain n’est toujours rien d’autre que la réponse à l’amour prévenant de Dieu pour nous. On comprend alors pourquoi Nygren décrit le lien entre ces deux thèmes comme un compromis contradictoire et considère toute synthèse entre éros et agapè essentiellement comme une trahison envers l’agapè. Pour lui, éros signifie en définitive une exécution et un salut par soi-même tandis qu’avec l’agapè il devient clair que nous devons tout à l’amour bienveillant de Dieu.²⁷ Ainsi l’alternative chez Nygren entre éros ou agapè semble n’avoir de pertinence que pour la controverse théologique.²⁸

       

Ibid., I 15. Ibid., I 34. Ibid., II 19. Ibid., II 21. Cf. Platon, Symposion, 201d ss. Cf. A. Nygren, Eros und Agape, I 153 ss. Cf. ibid., I 185. Cf. ibid., I 195.

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Tillich résume les conséquences d’une pareille compréhension soutenue par Nygren en ces termes : « Si agapè et éros s’excluent, on cherchera en vain une synthèse entre la religion biblique et l’ontologie ».²⁹ Il juge pourtant une pareille synthèse indispensable : « Les Églises protestantes doivent trouver une méthode qui fait le juste rapprochement entre théologie et philosophie. Autrement elles n’auront plus rien à dire au monde d’aujourd’hui », peut-on lire déjà en ce sens dans l’un de ses articles qui date de 1941.³⁰ – Cette estime pour le thème de l’éros platonicien relie la pensée de Tillich à la tradition mystique néo-platonicienne, en passant par Augustin et Thomas d’Aquin, jusqu’à l’Encyclique Deus Caritas est de Benoît XVI.

3 « Principe protestant » et « substance catholique » Finalement, la typologie dynamique tillichienne du principe protestant et de la substance catholique repose sur sa reformulation philosophico-religieuse du rapport classique transcendance-immanence en lien avec l’idée philosophique de Dieu, reformulation qui constitue dans la Théologie systématique le point de départ de ses réflexions. Dans l’expérience religieuse s’exprime ce rapport selon Tillich en tant qu’élément concret et élément inconditionné de Dieu. Sous le titre de « Dieu en tant qu’idée », on peut lire à ce propos : « Le conflit entre la concrétude et l’ultimité de la préoccupation religieuse surgit chaque fois qu’on fait l’expérience de Dieu et qu’on l’exprime, depuis la prière primitive jusqu’au système théologique le plus élaboré. Il fournit la clef qui permet de comprendre la dynamique de l’histoire de la religion, et il constitue le problème fondamental de toute doctrine de Dieu, […] ».³¹ Dans ce contexte, Tillich parle d’une « tension inévitable dans l’idée de Dieu »,³² tension qu’il exprime aussi avec ses deux concepts connus de « Dieu comme profondeur »³³ d’un côté et de « Dieu au-dessus de Dieu »³⁴ d’un

 GW V 164.  GW VII 132.  ST I 247.  Ibid. (en français, TS II, 76.)  Cf. à ce propos la prédication de 1944 de Tillich intitulée « La profondeur de l’existence »; Le titre anglais se dit « Profondeur » (cf. RR I 51– 61); à ce propos W. Schüßler, Gott als «Tiefe des Seins». Zum Verhältnis von Immanenz und Transzendenz im Denken Paul Tillichs, in Trierer Theologische Zeitschrift 120/2 (2011) 201– 221.  Cf. à ce propos la dernière section du Courage d’être, qui porte le titre : « Dieu au-delà de Dieu et le courage d’être » (GW XI 137– 139), ainsi que l’article de Tillich « Dieu au-delà de Dieu »

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autre côté. En lien avec l’histoire des religions et sur la base de cette position, il développe une typologie dynamique dans laquelle se développe en fin de compte celle du principe protestant et de la substance catholique. L’inévitable tension entre la concrétude et l’inconditionnalité dans l’expérience religieuse conduit à une typologie dynamique de l’histoire des religions dans laquelle Tillich distingue la base sacramentelle et la critique prophétique comme les deux éléments fondamentaux de la religion concrète. Si l’élément sacramentel se manifeste dans la concrétude et avec lui la présence de l’Inconditionné dans le conditionné, dans la critique prophétique il est question de l’inconditionnalité de Dieu qui signifie un non permanent sur tout conditionné. Et Tillich ne se lasse pas d’insister sur le fait que l’expérience du divin forme « dans sa présence ici et maintenant […] l’élément de base pour toutes les autres formes de la vie religieuse »³⁵, puisque « aucune religion […] ne [peut] à la longue rester vivante lorsque la présence du divin est totalement niée ».³⁶ Car sans expérience sacramentelle, une foi deviendrait « vide et abstraite » et elle perdrait « son sens pour la vie de tout un chacun et du groupe ».³⁷ Dans la Foi philosophique de Karl Jaspers ce danger devient tout simplement tangible. Cela veut dire que la critique prophétique a besoin de l’élément sacramentel, puisque la disparition totale de celui-ci conduirait à une disparition de la religion. Dans ce contexte, Tillich fait aussi le lien entre la mystique au sens d’une « catégorie religieuse générale » et l’expérience de la présence divine.³⁸ Il s’en suit que les deux dangers auxquels toute religion concrète est confrontée deviennent plus clairs : la démonisation et la profanation. Si le danger de l’élément sacramentel est d’élever une réalité sacramentellement sacrée au rang du divin lui-même et donc d’effacer la différence entre l’élément porteur et le contenu de la révélation, le danger de l’élément prophétique est, selon Tillich, la possibilité de conduire dans un « vide total ».³⁹ Pour échapper à ce danger, la critique prophétique doit rester toujours consciente de sa substance sacerdotale. Si le prêtre disparaît, le prophète perd la substance dans laquelle il prend racine. Par conséquent, la religion concrète, comme la foi personnelle, se meut constamment entre ces deux points de danger que sont la démonisation et la pro-

(MW VI 417– 421); à ce propos W. Schüßler; « Gott über Gott ». Ein Zentralbegriff Paul Tillichs, in W. Schüßler, «Was uns unbedingt angeht ». Studien zur Philosophie und Theologie Paul Tillichs (Tillich-Studien, éd. W. Schüßler / E. Sturm, tome 1), Berlin 42015, 133 – 141.  GW IX 360.  GW VII 131.  GW VIII 151.  GW VII 130 s.; cf. ST II 92; EW II 93; ST III 278.  GW VII 136.

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fanation. Et justement la critique de la démonisation peut pousser à la profanation ou à la sécularisation, même si en fait elle ne l’envisage point. Il devient alors évident que, dans une compréhension plus approfondie, la sécularisation est toujours aussi un phénomène religieux. Tillich fait aussi de cette typologie de l’histoire des religions un instrument fructueux pour comprendre l’opposition entre catholique et protestant. Dans un article datant de 1941,⁴⁰ il fait remarquer que dans le catholicisme prévaudrait l’élément sacramentel alors que dans le protestantisme on accorderait l’avantage à l’élément prophétique. Tillich voit « la signification permanente de l’Église catholique pour le protestantisme »⁴¹ en substance dans sa fonction corrective qui préserve le protestantisme « de l’enlisement dans un sécularisme superficiel ».⁴² Le protestantisme assure aussi, bien entendu, pareille fonction corrective vis-à-vis du catholicisme, quand celui-là préserve celui-ci d’un glissement vers la magie (Magisch-Werden) de ses symboles.⁴³ Cela veut dire qu’à la longue, selon Tillich, ni le Protestantisme qui représente le type prophétique du christianisme ne peut vivre sans l’élément sacramentel, ni le Catholicisme qui en représente le type sacramentel ne peut vivre sans l’élément prophétique.⁴⁴ Lorsque dans un petit article de 1930 sur les « Nouvelles formes de prédication chrétienne », Tillich introduit le concept de « catholicité protestante »⁴⁵ et qu’il revendique « un catholicisme protestant »,⁴⁶ dans une étude de 1937 ayant pour titre « Fin de l’ère protestante ? », il ne s’agit pas pour Tillich d’une fusion ou d’une confusion des deux grandes confessions religieuses. L’enjeu est plutôt ici de proposer une « synthèse idéale » des deux éléments susmentionnés ; mais une synthèse idéale n’existe pas dans la réalité et la tension reste enfin de compte insurmontable. *

*

*

C’est à l’aide des trois champs thématiques traités que nous avons mis en évidence la proximité de Tillich avec la pensée catholique. De là, il devient aussi compréhensible que Tillich dans sa période américaine ait souvent souligné lors

 Cf. P. Tillich, The Permanent Significance of the Catholic Church for Protestantism, in MW VI 235 – 246.  C’est le titre allemand de la contribution de 1941 : GW VIII 124– 132.  GW VII 126.  Cf. GW VII 129.  Cf. GW VII 132.  GW XIII 92– 95.  GW VII 157.

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de conversations que « [m]es amis catholiques me comprennent mieux que mes amis protestants ».⁴⁷

 Information orale reçue de Renate Albrecht, éditrice des «Gesammelte Werke» de Paul Tillich.

IV. Perspektiven der Theologie Paul Tillichs

Axel Siegemund

Säkulare Vernunft und religiöses Empfinden Paul Tillich für die interkulturelle Begegnung? Religionen und säkulare Gesellschaft begegnen sich heute nicht mehr als die Fremdlinge, die sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewesen sind. Das heißt aber nicht, dass sie ein entspanntes Verhältnis zueinander hätten. Werden religiöse Überzeugungen in den öffentlichen Diskurs eingebracht, dann gelten sie entweder als Instrumentalisierung der Religion oder als fundamentalistische Äußerungen. Der Artikel macht deutlich, dass eine globale Welt, die mit dem Zusammentreffen von säkularer Vernunft und Religion rechnet, besser für die Zukunft gerüstet ist als eine, die beide strikt auseinander zu halten versucht. Zunächst stelle ich die Trennung von religiösem und säkularem Denken als einen Aspekt des reformatorischen Erbes im modernen Indien und damit als Voraussetzung des interkulturellen Dialogs dar. Paul Tillichs Auseinandersetzung mit dem Fundamentalismus und seine Kritik der technischen Vernunft bilden im zweiten Teil die Basis für das Zusammendenken von beidem vor einem globalen Horizont. Konkret wird anhand der Biotechnologie als einem weltweit verbreiteten Produkt der säkularen Vernunft deren Reichweite hinterfragt. Aus der Tatsache, dass auch die technische Vernunft wiederum in religiöse Fragen hinein führt, schließe ich, dass das Zusammendenken von Religion und säkularem Leben nicht nur eine realistische Basis hat, sondern dem Eigenrecht des Säkularen selbst dienlich ist.

1 Säkularismus und die Binnenlogik der säkularen Vernunft Wir Europäer verbinden die Topoi Reformation und Revolution mit einem Dreischritt. Zuerst hat die Reformation die mittelalterliche Synthese von religiösem Erleben und politischem Handeln durchbrochen. Später haben Revolutionen wie die Französische von 1789 oder die Sowjetische von 1918 das Primat des Politischen gegenüber dem religiösen Empfinden herbeigeführt. Schließlich haben die nachreformatorischen und nachaufklärerischen Folgewirkungen die Religion soweit von der Politik getrennt, dass selbst die Friedliche Revolution der Kerzen

https://doi.org/10.1515/9783110668124-015

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und Gebete von 1989¹ die Kirchen mehr zur gern genutzten Kulisse als zur Quelle ihres Inhaltes hatte. Diese Tendenz lässt sich aufgrund des globalen Charakters der Reformation und der Verbreitung des Christentums nach 1517 weltweit nachzeichnen. Insbesondere hat die Reformation als Gründungsereignis der protestantischen Kirchen und als Initialzündung der sich von der Religion emanzipierenden Staatenbildungsprozesse in Europa und Übersee eine weltweite Dimension, die bis heute ebenso global nachwirkt. Zwischen dem Dreißigjährigen Staatenbildungskrieg (1618 – 1648)² und den Neugründungen der unabhängigen Staaten Asiens nach 1945 liegen drei Jahrhunderte. Ihre Gemeinsamkeit besteht darin, dass die neuzeitlichen Staaten Europas ebenso wie die jungen Nationen Asiens darauf aufbauen konnten, dass politische Entscheidungen immer mehr auf der Grundlage politischer Normen und immer weniger nach Religions- oder Konfessionszugehörigkeit getroffen worden sind. Ohne die Wiederentdeckung der funktionalen Separierung von Gott und Kaiser (Mt 22,21), die im europäischen Mittelalter verschüttet worden war, lassen sich die heute stattfindenden Auseinandersetzungen um die Bedeutung des Säkularismus in China und Indien, auf den Philippinen und in Lateinamerika kaum nachvollziehen. Dabei scheint es zunächst keine Rolle zu spielen, ob es sich um konfuzianistisch, buddhistisch, hinduistisch, atheistisch oder christlich geprägte Staaten handelt. Entscheidend ist die gemeinsame Verankerung in einer Geschichte der Globalisierung, die auf der Trennung von Staat und Religion fußt und auf die Paul Tillich selbst hingewiesen hat: Die kirchengeschichtliche Situation, aus der mein System hervorgegangen ist, ist durch Ereignisse charakterisiert, die die religiöse Bedeutung alles nur traditionell Theologischen weit überschreiten. Am wichtigsten ist die Begegnung der geschichtlichen Religionen mit dem Säkularismus und den „quasi-Religionen“, die dem Säkularismus entstammen. Eine Theologie, die sich nicht ernsthaft mit der Kritik an der Religion durch das säkulare Denken […] beschäftigt, würde, a-kairos sein. Sie würde die Forderung des geschichtlichen Augenblicks nicht erfüllen. (ST III, 483)³

Selbst dezidiert antireligiöse Systeme wie das maoistische China oder die stalinistische Sowjetunion müssen in diesem Sinne als Übertreibungen des reformatorischen Erbes mit theologischer Relevanz betrachtet werden. Dass es unab Vgl. K. Blaschke, Die „sächsische“ Revolution von 1989 – ein städtisches Ereignis, in: Staat und Revolution, hg.v. B. Kirchgässner/H.-P. Becht, Stuttgart 2001, 109 – 132.  Vgl. J. Burkhardt, Der mehr als Dreißigjährige Krieg. Theorie des Staatsbildungskrieges, in: Handbuch Kriegstheorien, hg.v. R. Beckmann/T. Jäger, Wiesbaden 2011, 335 – 349.  Vgl. auch P. Tillich, Das Christentum und die Begegnung der Weltreligionen, Stuttgart 1963.

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hängig von diesem faktischen Befund unterschiedliche Interpretationen hinsichtlich des Staats-Kirchen-Verhältnisses innerhalb der Evangelischen Theologie gibt, tut dem Befund keinen Abbruch. Mir geht es darum, dass der Säkularismus – die Trennung von säkularer Vernunft und religiösem Empfinden – und die Religion in ihrer Eigenständigkeit zum Grundbestand globaler Prozesse gehören. Dies wird gerade dann deutlich, wenn Religionen politisch funktionalisiert werden und dies als Instrumentalisierung auffällt. Dem steht die weit verbreitete Annahme einer grundsätzlichen Differenz zwischen den Beiträgen der Religion und der säkularen Vernunft zur Globalisierung entgegen. „Mission und Bibelverbreitung sind heut zu Tage auf dem religiösen Gebiet, was Dampfkraft und Eisenbahnen auf dem öconomischen und commerziellen sind“, zitiert einer der Herausgeber der Protestantischen Missionsgeschichte, Bernd Holtwick, einleitend einen „Freund Gottes und der Wahrheit“⁴ von 1845 und fragt dann, ob die Mission vielleicht einen noch „wichtigeren Beitrag zur Globalisierung im Sinne der Herausbildung eines weltweiten Kommunikationssystems leistete“ als etwa die „weltbewegende“ Dampfkraft.⁵ Mit der oben verwendeten Überschrift, in der ich das Religiöse und das Säkulare durch ein ‚und‘ verbinde, gehe ich davon aus, dass der Überbietungskampf zwischen Religion bzw. Mission und säkularer Moderne nicht weiter führt. Vielmehr geht es darum, in beidem einen möglichen Zugang zur religiös und säkular imprägnierten Gegenwart zu finden.

1.1 ,Religionʻ und nationale Einheit in Indien Auch in Indien waren die von den westlichen Erfahrungen geprägten Weichenstellungen nach dem zweiten Weltkrieg entscheidend für das langfristige Zusammenspiel von Religion und Politik. Der Säkularismus erwuchs hier aus der Verbreitung von Ideen, die in der Reformation wurzeln und ab 1706 den Subkontinent ergriffen hatten.⁶ Politisch entwickelte sich Indien nach 1945 in Rich-

 Die Schattenseiten der Mission und der Bibelverbreitung. Von einem Freunde Gottes und der Wahrheit, Belle-Vue b. Konstanz 1845, S. III; zit. n. B. Holtwick, Licht und Schatten. Begründungen und Zielsetzungen des protestantischen missionarischen Aufbruchs im frühen 19. Jahrhundert, in: Weltmission und religiöse Organisationen. Protestantische Missionsgesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, hg.v. A. Bogner/B. Holtwick/H. Tyrell, Würzburg 2004, 225 – 247, hier 225.  A.a.O., 247.  Vgl. D. Jeyaraj, Inkulturation in Tranquebar. Der Beitrag der frühen dänisch-halleschen Mission zum Werden einer indisch-einheimischen Kirche (1706 – 1730), Erlangen 1996.

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tung einer Demokratie nach angloamerikanischem Muster, wirtschaftlich in Richtung einer Staatswirtschaft nach russischem Vorbild. Die Einführung des demokratischen Systems und die kritische Haltung gegenüber einer freien Wirtschaft entsprachen den Erfahrungen der Kolonialzeit. Das neue Indien wollte den unfreien politischen Bedingungen und den als martialisch empfundenen Kräften des Kapitalismus entfliehen. Während die Unabhängigkeitsbewegung wesentlich von der westlich geprägten Mittelschicht getragen wurde, war der Gedanke einer nationalen Bewegung durchaus verschiedenen sozialen Schichten zugänglich, die sich dadurch eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation erhofft haben. Dass im Norden Indiens die Muslime nach Ost- und West-Pakistan flüchteten und im Gegenzug die Hindus und Sikhs aus den neuen islamisch geprägten Nationalstaaten vertrieben wurden, macht die Unabhängigkeit von Anfang an zu einem religionspolitisch bis heute nicht verarbeiteten Ereignis, dem bis zu 14 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Doch auch wenn sich große Teile der muslimischen Bevölkerung an diesem Exodus beteiligten, blieb noch ein signifikanter muslimischer Bevölkerungsteil im Lande. Das Zusammenfallen von Unabhängigkeit und religiös motivierter Gewalt hat das Säkularismus-Konzept Südund Südostasiens wesentlich beeinflusst. Die nationale Teilung zwischen islamisch und hinduistisch geprägten Staaten bekam den Charakter eines zweifelhaften Vorbilds für das Leben in den rasant wachsenden Städten, die sich ihrerseits ghettoisierten. Aber auch auf dem Land prägt die Separierung nach Religionszugehörigkeiten bis heute den Alltag. Die Grenzen verlaufen im Unterschied zum frühneuzeitlichen Europa entlang der Ethnizität. Doch da diese wiederum die Basis für die traditionelle Aufteilung des Wohnraumes und der Ländereien bietet, gilt genau das, was wir aus Europa kennen: cuius regio, eius religio.⁷ Andererseits hat sich der Streit darum, was der Säkularismus für Indien politisch und sozial bedeuten soll, besonders durch das Aufkommen neuer hindunationalistischer Strömungen seit dem Ende des 20. Jahrhundert verschärft.⁸ Doch muss man auch diese Strömungen deutlich von den vormodernen Formen indischer Religiosität unterscheiden. Der moderne Hinduismus kann seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts als Antwort auf die christliche und muslimische Mission verstanden werden. Er existiert als Religion erst, seitdem das (europäi Vgl. C. Amjad-Ali, Some Critical Issues for Muslim-Christian Relations and Challenges for Christian Vocation and Witness, in: The Muslim World 99 (4) (2009), 566 – 580.  Vgl. C. Jürgenmeyer, „Ein Land, ein Volk, eine Kultur“ – Ideologie und Politik hindunationaler Identität in Indien, in: Kulturen und Konflikte im Vergleich. Comparing Cultures and Conflicts, hg.v. P. Molt, Baden-Baden 2007, 632– 647.

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sche) Konzept von ‚Religion‘ weltweite Verbreitung gefunden hat⁹ und dieses wiederum ist ohne die Trennung von Staat und Religion nicht denkbar. Insofern gilt hier sogar, dass ‚Religion‘ als Grundvoraussetzung des Säkularismus erst im Zuge der Mission als ein der Politik gegenüberstehendes System erkennbar geworden ist. Anders gesagt: Ohne die gemeinsame Globalisierungsgeschichte gäbe es in Indien heute weder eine hinduistische Religion noch eine säkulare Verfassung. Denn was hätte man in einer Gesellschaft, die sich gar nicht nach den Kategorien ‚religiös‘ und ‚säkular‘ ordnet, voneinander trennen sollen? Die Idee nationaler Einheit wurde nach 1947 vor allem von den Angehörigen höherer Kasten verbreitet, die oft eine der kolonialen, meist christlichen Schulen besucht oder sogar im Ausland studiert hatten. Nahezu ausschließlich diese Schicht hatte eine klare Vorstellung von der Einheit eines indischen Nationalstaats, während die anderen Träger des politischen Umbaus höchst unterschiedliche Ideale verfolgten. Diese zusammen zu führen, war die eigentliche Leistung angesichts einer doch schwachen sozialen Basis, auf der die politische Elite aufbauen konnte.¹⁰ Wesentliche Grundlage für die Umsetzung einer Vision nationaler Einheit war das Modernisierungskonzept, das Jawaharlal Nehru als Nationalphilosophie ausgab und das mehrere aufeinander abgestimmte Ziele verfolgte.¹¹ Hierzu zählten die Einheit und das demokratische System als politische Ziele, Industrialisierung und Sozialismus als wirtschaftliche Ziele sowie die Förderung von Wissenschaft und Säkularismus als Entwicklungsziele. Dieser Ansatz fand Widerhall in der indischen Verfassung, die unter der Leitung von Dr. B. R. Ambedkar ausgearbeitet worden war. Mit der Verfassung verpflichtete sich Indien zur Modernisierung auf der Grundlage einer demokratischen Politik. Die Verfassung gibt soziale, ökonomische und politische Gerechtigkeit als Ziel der souveränen, sozialistischen, säkularen und demokratischen Republik Indien aus. Hierzu gehören auch die Meinungsfreiheit und die Freiheit des Glaubens und des Bekenntnisses. Für die Diskussionen um diese Punkte war entscheidend, dass die Frage der Glaubensfreiheit zwischen Hindus und anderen vor allem aufgrund unter-

 Vgl. M. Bergunder, Was ist Religion? Kulturwissenschaftliche Überlegungen zum Gegenstand der Religionswissenschaft, in: Zeitschrift für Religionswissenschaft 19.1/2 (2012), 3 – 55; A. Nehring, Aneignung von ‚Religionʻ – postkoloniale Konstruktionen des Hinduismus, in: Religionswissenschaft, hg.v. M. Strausberg, Berlin/Boston 2012, 109 – 122.  Vgl. S. Khilnani, The Idea of India, London 2003.  Vgl. B. Parekh, Nehru and the national philosophy of India, in: Economic and Political Weekly 26 (1– 2) (1991), 35 – 48.

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schiedlicher Auffassungen über die Konversion diskutiert wurde.¹² Dies ging auf ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber der christlichen Mission zurück, die mit westlichem Einfluss und Kolonialismus gleichgesetzt oder mindestens nicht davon unterschieden wurde.¹³ So wurde eine Einschränkung der Glaubens- und Gewissensfreiheit für viele als Schutz vor weltanschaulicher Überfremdung verstanden. Ein erster Entwurf für die Artikel zur Religionsfreiheit, der von einer Kommission für die Versammlung erarbeitet worden war, sah deshalb zwar ‚Gewissensfreiheitʻ, ‚Freiheit zu religiösem Gottesdienstʻ und ‚Freiheit, Religion zu bekennenʻ vor, erlaubte aber keine Konversion von einer Religion zur anderen von Personen unter 18 Jahren, verbot Konversionen, die durch ‚Zwangʻ oder ‚ungebührlichen Einflussʻ herbeigeführt werden und drohte Strafe für die Ausübung solches ‚Zwangesʻ und ‚ungebührlichenʻ Einflusses an.¹⁴

Im Ergebnis spricht der Artikel 25 der indischen Verfassung aus dem Jahre 1950 zwar niemandem ausdrücklich das unbedingte Recht zu, die Religion zu wechseln, er war und ist so aber auch von Nicht-Hindus akzeptiert: Subject to public order, morality and health and to the other provisions of this Part, all persons are equally entitled to freedom of conscience and the right to feely to profess, practice and propagate religion.¹⁵

Damit ist das Problem der Konversion eingebettet in die Aufgabe, die der Verfassung insgesamt zukommt. Jawaharlal Nehru sah sie darin, Indien zu befreien und die Einzelnen zur Selbständigkeit zu bevollmächtigen: „The first task of this Assembly is to free India through a new Constitution, […] and to give every Indian the fullest opportunity to develop himself according to his capacity.“¹⁶ Diese Ansicht war zur Grundlage des Verfassungsdenkens im neuen Indien geworden. Hiervon ausgehend wurde die Gesetzgebung in Angriff genommen und eine unabhängige Justiz etabliert. Die Wirtschaft und das neue Land wurden durch planvolles staatliches Agieren geführt, so dass der Staat nicht nur den

 Vgl. S. C. H. Kim, In Search of Identity. Debates on Religious Conversion in India, Delhi 2003, 37– 59.  Vgl.V. P. Bharatiya, Religion-State Relationship and Constitutional Rights in India, New Delhi 1987, 52– 91.  K. Schäfer, „Antikonversionsgesetze“ und Freiheit des Glaubens. Zur Debatte um Konversionen im indischen Kontext, Hamburg 2003, unveröff. Manuskript.  The Constitution of India, Part One, Art. 25. https://www.india.gov.in/sites/upload_files/npi/ files/coi_part_full.pdf; 5. 2. 2019.  Vgl. J. Harriss, Development studies and development of India: an awkward case?, in: Oxford Development Studies 26 (3) (1989), 287– 310, hier: 289.

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Markt überwachte, wie das in den westlichen Demokratien zur Regel geworden war, sondern selbst auch als Wirtschaftsmacht auftrat, wie es das sowjetische Vorbild vorgab. Der zweite Fünfjahrplan beschrieb dies als sozialistisches Gesellschaftsmuster und gab vor, dass die ökonomische Entwicklung Schritt für Schritt den großen, unterprivilegierten Massen zugute kommen müsse.¹⁷ Dies setzte freilich voraus, die neue demokratische Struktur durch eine bessere Versorgung der Bevölkerung zu unterfüttern und die soziale Sicherheit sowie Beteiligungsmöglichkeiten der verschiedenen Schichten auszubauen. Durch die großen regionalen Streuungen und sprachlichen Differenzen, durch separatistische Bewegungen und die das ganze Land spaltende, aber auch stabilisierende Kastenordnung war diese Aufgabe jedoch zu einer Herkulesaufgabe geworden, die letztlich bis heute höchst unvollkommen erfüllt ist. Die Tatsache, dass die Zughörigkeit zu den Kasten ebenso wie zu den Kastenlosen oder den Ureinwohnern, die als ‚Scheduled Tribes‘ oder auch ‚ST-membersʻ geführt werden, wesentlich die Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten Einzelner determiniert, machte sich nun auch auf nationaler Ebene bemerkbar. Waren Kasten zuvor vor allem lokal und regional bedeutsam und begründeten sie dort eine bestimmte soziale Ordnung und Hierarchie, so mussten nun Wege gefunden werden, auf denen diese Ordnung in das demokratische, landesweite System eingeführt werden konnte. Die regionalen Kastengruppen begannen sich so zu organisieren und eine bedeutende Rolle im politischen System zu spielen.

1.2 Religion und Säkularismus als politische Faktoren Durch diese Reorganisation des Kastenwesens wurde immer deutlicher, dass die Religion selbst ein bedeutender Faktor war, der zur Diversifizierung Indiens beitrug. Der Begriff ‚Hinduismus‘ hatte sich als Sammelbezeichnung in der Auseinandersetzung mit christlichen und muslimischen Einflüssen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts heraus gebildet. Überhaupt ist die Tatsache, dass nun die verschiedenen Sekten, lokalen und regionalen Gruppen als Teil einer spezifischen Religion angesehen worden sind, vor allem eine Reaktion auf die bleibende Definitionshoheit, die der westliche Religionsbegriff mit sich brachte.¹⁸ Die Differenzierungen innerhalb dieser ‚neuen‘ Religion geschahen jedoch wiederum traditionell über das Kastensystem und damit sozial. Insbesondere in der Aus Zweiter Fünfjahrplan, nach: C. D. Wadhwa, Some Problems of India’s Economic Policy: Selected Reading on Planning, Agriculture and Foreign Trade, New Delhi 1977, 10 f.  Vgl. B. Bäumer, Art.: Hinduismus, in: J. Figl, Handbuch Religionswissenschaft, Innsbruck 2003, 315 – 336; vgl. A. Michaels, Der Hinduismus. Geschichte und Gegenwart, München 2006.

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einandersetzung mit der muslimischen¹⁹ und der christlichen Missionstätigkeit hatte der Hinduismus seit Anfang des 19. Jahrhunderts zu einem neuen Selbstbewusstsein gefunden, das sich auch in den sozialen Reformen des Kolonialreiches niederschlug.²⁰ Zu den neuen innerhinduistischen Diversifizierungen kamen die äußeren hinzu, eine ca. zehn Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachende muslimische Gemeinschaft, jeweils ca. zwei Prozent, die sich zum Sikhismus und zum Christentum bekannten und andere Minderheiten wie Buddhisten, Jains und Juden standen dafür, dass das unabhängige Indien von Anfang an ein multireligiöses Land war. Die sozialen und religiösen Schichtungen wurden durch bleibende Unterschiede in Bildungsstand und sozioökonomischer Ausstattung der verschiedenen Volksgruppen ergänzt. Das neue Indien blieb indes ein Entwicklungsland mit im Wesentlichen stagnierender Wirtschaftsleistung. Nur ca. ein Zehntel bis ein Fünftel der Bevölkerung lebte in den städtischen Zentren, die große Mehrheit lebte als Selbstversorger auf dem Land. Dort gründete das Leben auf traditionellen und traditionalisierenden Institutionen, die von einigen Wirtschaftswissenschaftlern vor 1985 direkt für die ‚Rückständigkeit‘ Indiens verantwortlich gemacht wurden.²¹ Vor allem die Schuldknechtschaft und direkte Abhängigkeit ganzer Familien von Großgrundbesitzern führte dazu, dass größeres Engagement als die Sorge um das eigene Überleben kaum möglich wurde. Autoritäre Machtstrukturen eigneten sich weder zur umfassenden Ertragssteigerung in der Landwirtschaft noch zum Ausbruch großer Massen aus derselben. Demokratische Institutionen konnten in diesen feudalähnlichen Strukturen nur schwer Fuß fassen. Der Versuch einer säkularen Entwicklung wurde in Indien also zu einem Zeitpunkt unternommen, als die Wirtschaft stagnierte, die politische Einheit alles andere als Realität war und sich die religiösen Kräfte durch die Unabhängigkeit neue Freiheit erhofften.²² In dieser Situation wurde die Modernisierungskonzeption auf politischer Ebene mit dem Säkularismus verbunden. Die ausufernde kommunale Gewalt und die Erfahrungen der Teilung haben dazu geführt, dass die Religion insgesamt jedenfalls nicht als Hilfe in der Bekämpfung sozialer Miss-

 Vgl. P. van der Veer, Religious Nationalism. Hindus and Muslims in India, Berkley 1994.  Vgl. D. E. Ludden (Hg.), Making India Hindu: Religion, Community and the Politics of Democracy, Delhi 2004.  So etwa D. Thorner, The Agrarian Prospect of India, Delhi 1956; vgl. A. Bhaduri, The Economic Structure of Backward Agriculture, Delhi 1984.  Vgl. S. S. Jodhka, Religion and development in India: an introduction, in: India: Some Reviews of Literature related to Religions and Development, Working Paper No. 10, hg.v. Religions and Development Research Programme, University of Birmingham, Birmingham 2008, 3 – 18.

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stände angesehen werden konnte.²³ Nehru war mit der postkolonialen Elite von der Unausweichlichkeit der Säkularisierung überzeugt. Unterstützt wurde dieser Weg durch Anlehnung an und Aufnahme von Methoden des sowjetischen Weges, so die Fünfjahrpläne und ein gewisses Misstrauen gegenüber überkommenen religiösen Institutionen, das allerdings aufgrund der nie infrage gestellten Verbreitung von Religion niemals ein so ausgeprägter Aspekt der Politik geworden ist wie in den Ländern des Ostblocks. Indien blieb hochreligiös, dennoch kann rückblickend davon gesprochen werden, dass die Religion in der Mitte des 20. Jahrhunderts als eine wesentliche zivilgesellschaftliche Größe auch in Indien eine zurückgehende Bedeutung hatte. In den vier Jahrzehnten nach 1945 breitete sich der Säkularismus ungehindert aus und wurde kaum systematisch infrage gestellt. Säkularismus hat hier jedoch niemals bedeutet, dass sich die Religion insgesamt aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen hätte: Die indische Verfassung garantiert die Freiheit des Gewissens und der Religionsausübung sowie die Gleichberechtigung aller Bürger. Jedoch ist der Staat in religiösen Fragen keineswegs ohne Kompetenzen, sondern durchaus eingriffsberechtigt. Basierend auf einer grundsatzorientierten Distanz werden Religionen in Indien nicht gleich, aber gleichwertig behandelt. Seine Verpflichtung gegenüber mehrwertigen Doktrinen und sein Bemühen, scheinbar unvereinbare Werte miteinander in Einklang zu bringen, verleihen dem indischen Säkularismus seinen besonderen Wert und machen ihn zu einer eigenständigen, kulturabhängigen Idee.²⁴

Die Ansicht, dass der indische Säkularismus eigenständig und damit nicht gleichläufig mit den Säkularisierungstendenzen und -hypothesen der westlichen Welt ist, belässt allerdings im Unklaren, dass bereits das Aufwerfen der Frage nach dem Verhältnis von Staat und Religion eine Differenzierung voraussetzt, die es im präkolonialen Indien so nicht gab. Doch stimmen die unterschiedlichen Wortführer des Streits zumindest darin überein, dass das Verhältnis von Religion und Staat in Indien anders zu denken ist als in anderen Teilen der Erde. Von dem früheren Hochkommissar in London, Kuldip Nayar, stammt folgende Erklärung des indischen Säkularismus: Während meiner kurzen Amtszeit als indischer Hochkommissar in London fragte ich die damalige Premierministerin Margaret Thatcher nach ihrem Eindruck von Michail Gorbatschow, den sie gerade besucht hatte. Gorbatschow habe ihr gesagt, erzählte sie, er verliere

 Vgl. V. Das (Hg.), Mirrors of violence: Communities, Riots and Survivors in South Asia, Delhi 1990.  Vgl. R. Bhargava, Die Unverwechselbarkeit des Säkularismus in Indien, in: KAS-Auslandsinformationen 3 (2005), 86 – 130, hier: 86.

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langsam die Kontrolle und könne das Land nicht mehr zusammenhalten. Sie habe ihm daraufhin geraten, nach Indien zu gehen und davon zu lernen, wie dort die Menschen seit Jahrhunderten trotz unterschiedlicher Religionen, Kasten, Sprachen und Lebensstandards zusammenlebten. Thatcher fragte mich dann, womit ich mir diese indische Entwicklung erklärte. Meine Antwort lautete, wir in Indien glaubten nicht, dass die Dinge entweder schwarz oder weiß seien.Vielmehr glaubten wir, dass es eine verschwommene Zone gebe, in der sich alle Dinge überlappen, und dass wir diese Zone immer weiter auszudehnen versuchten. Das ist unser Säkularismus. Und das Gefühl der Toleranz, der Geist des einander Entgegenkommens, die sich daraus entwickelten – das war der Leim, der uns zusammenhielt.²⁵

Diejenigen Vertreter der Säkularismus-These, die im Säkularen wie Nayar eine ‚verschwommene Zone‘, also das Ineinanderfließen verschiedener Religionen und Weltanschauungen sehen, vertreten einen politischen Säkularismus, der die Gleichwertigkeit der Religionen und damit die Gleichberechtigung ihrer Anhänger als Staatsbürger betont. Zentral ist für diese Sichtweise das Zusammenleben, also die politische Implikation des Säkularismus-Konzeptes. Dies ist völlig unabhängig davon, wie groß der Anteil religiöser Menschen im Land ist und welche anderen Formen von Rationalität es außerdem noch gibt. Säkularismus ist so verstanden das Konzept einer sich als religiös verstehenden Gesellschaft inmitten des Modernisierungsprozesses. Der indische Säkularismus verträgt sich nicht nur mit der weiten Verbreitung von Religionen, er ist als eine ordnungspolitische Angelegenheit auch die Grundlage ihrer parallelen Existenz. Dem gegenüber vertreten die Kritiker des säkularen Staatswesens die Auffassung, Säkularismus sei ein westlich-europäisches Konzept, das den indischen Traditionen entgegen steht: Der Begriff des Säkularismus entstand in einem Europa, das von religiösen Kämpfen, Kriegen und Pogromen zerrissen war. Es war in diesem Kontext unmöglich, in der Tradition noch eine Quelle der Toleranz zu erblicken. Dieser Fall ist in Indien und weiten Teilen Südasiens nie eingetreten. In Indien haben die meisten Unruhen in Städten stattgefunden, und selbst diejenigen, die die Dörfer erreichen, beginnen häufig in den Städten. […] Es ist darum eine Form obszöner Arroganz, wenn man durch die indischen Dörfer ziehen will, um Toleranz durch Säkularismus zu predigen – ich jedenfalls mache dabei nicht mit. […] Diese Ideen der Toleranz sind bei den einfachen Leuten und im Alltagsleben mit volkstümlichen religiösen Vorstellungen verbunden, wie abergläubisch, irrational und primitiv diese auch immer dem fortschrittlichen und säkularen Indien erscheinen mögen. Das moderne Indien hat bis auf den heutigen Tag keinen einzigen Helden des Säkularismus hervorgebracht, abgesehen von Nehru, dessen Ausstrahlung auch langsam dahinschwindet. Wenn aber

 Vgl. K. Nayar/A. Nandy/S. Subrahmanyam, Säkularisierung oder Säkularismus?, in: Internationale Politik 4 (April 2005), 64– 69, hier: 64 f.

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Ashoka, Akbar, Kabir und Gandhi, die Helden der Säkularisten, ohne das Konzept des Säkularismus auskamen, dann kommen auch die Menschen Südasiens ohne es zurecht.²⁶

Die Frage, ob ‚Säkularismus‘ etwas Europäisches ist oder nicht, spielt in den politischen Debatten des postkolonialen Indien eine große Rolle, weil es gerade Nehrus Anliegen war, mittels des Säkularismus-Konzeptes einen neuen indischen Staat zu schaffen. Die Kritik an obiger Sichtweise ist denn auch weit verbreitet und betont vor allem die Einzigartigkeit des indischen Säkularismus, den es so weltweit kein zweites Mal gibt: In Wahrheit spielt der Begriff Säkularismus kaum eine Rolle für das politische Vokabular in den meisten europäischen, überhaupt in den meisten westlichen Gesellschaften. Selbst heutzutage spricht niemand in der politischen Sphäre Großbritanniens, Deutschlands, Italiens, Frankreichs, Spaniens oder Portugals von Säkularismus, und genauso ist es in den Vereinigten Staaten, in Argentinien oder Brasilien. Weder Tony Blair noch Margaret Thatcher haben jemals, soweit ich mich erinnere, das Wort in einer Rede benutzt. Die einzigen Europäer, die einen ähnlichen Begriff gebrauchen, sind die Franzosen mit ihrer Idee der ‚laïcitéʻ. Aber bei den Franzosen soll dieser Begriff nicht zwischen den verschiedenen Religionen vermitteln. Vielmehr hat er damit zu tun, dass sich der Staat während der Französischen Revolution von einer bestimmten Religion trennte, nämlich vom Katholizismus, was schließlich im Jahr 1905 gesetzlich verankert wurde. Doch das ist nicht gleichbedeutend mit Säkularismus. Die Europäer sprechen eher von Säkularisierung, doch damit bezeichnen sie einfach die Abwendung von der Religion, wofür etwa die Tatsache steht, dass die Kirchen immer weniger besucht werden. Und die Idee des Säkularismus, wie sie im 19. Jahrhundert in Großbritannien von George Holyoake und Charles Bradlaugh vertreten wurde, konzentrierte sich vor allem darauf, eine rationalistische Erziehung statt einer Erziehung auf religiösen Schulen zu propagieren. […] Es ist daher ein gründlicher Irrtum zu glauben, Säkularismus sei ein üblicher politischer Begriff im Westen, der einfach als eine „importierte Idee“ auf Indien übertragen wurde. In Wirklichkeit hat dieser Begriff in Indien ein politisches Gewicht gewonnen, das er im Westen niemals besaß, und er hat in Indien eine zentrale Bedeutung erhalten, die die meisten Europäer gar nicht verstehen würden. Säkularismus ist längst ein indischer Begriff geworden.²⁷

Die Bewertung des Säkularismus-Konzepts ist demnach wesentlich davon abhängig, ob Säkularismus als ein indisches Konzept anerkannt wird und wie dieses im Zusammenhang zur Religion erscheint. Ferner spielt eine Rolle, ob ‚Religion‘ bereits als ein westlich-soziologisches Konzept erkannt wird. Bedeutsam für die Debatte wurde später die Tatsache, dass sich die Kritik des Säkularismus auf die indische Tradition und die Religionen bezieht und dabei insbesondere der aus den Religionen kommende Toleranz-Gedanke gegen den Säkularismus gewendet  A.a.O., 66.  A.a.O., 68.

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wird. Dies wirft ein Schlaglicht darauf, wie sich seit den Anfängen der Republik die Situation gewandelt hat. Auch deshalb ist die Auseinandersetzung mit den Begriffen ‚Säkularismus‘, ‚säkular‘ und ‚Säkularisierung‘ um die letzte Jahrtausendwende deutlich angewachsen.²⁸ Es bleibt festzuhalten, dass diese Begriffe, anders als in Europa und Nordamerika, in Indien stets vor dem Hintergrund einer multireligiösen Situation und niemals als Werkzeuge gegen die Verbreitung von Religion an sich diskutiert worden sind. Im Kern der Debatte stehen also das Miteinander der Religionen und die Toleranz zwischen ihnen, nicht ihr Rückzug aus dem öffentlichen Leben. Das bedeutet, dass die säkulare Vernunft immer voll in ihrer Binnenlogik akzeptiert, jedoch niemals zu einer Weltanschauung geworden ist. Wenn mit ‚Säkularisierung‘ Entwicklungen beschrieben werden, die sich auf das wechselseitige Verhältnis von Religion, Staat und Gesellschaft beziehen, dann ist die Überlappung von säkularer Vernunft und religiösem Empfinden voraus gesetzt. Wenn diese spezifisch indische Erfahrung mit der europäischen Herkunft der Begriffswelt ‚Religion‘, ‚Staat‘ und ‚Nation‘ verbunden wird, dann sollte plausibel sein, dass es gerade vor einem interkulturellen Horizont sinnvoll ist, Religion und säkulare Welt zusammen zu denken, ohne die von Reformation und Aufklärung angeregte Trennung von Staat und Kirche zu unterminieren. Ebenso setzen sozialanthropologische Phänomene wie die Entsakralisierung von Objekten, die Entmystifizierung der Natur oder Rationalisierungsstrategien als solche ja gerade die Unterscheidung des Ungetrennten voraus. Säkular ist die Vernunft gemäß ihrer Binnenlogik in Abgrenzung zum religiösen Empfinden, nicht in Abgrenzung zu ihrer Fähigkeit, religiöse Phänomene zu erfassen. Umgekehrt gehört die Vernunft ebenso zur Religion wie die Verankerung politischer Visionen jenseits des tagespolitisch Handhabbaren oft (quasi‐)religiöse Züge annimmt.

2 Säkularisierung und Weltzuwendung 2.1 Theologie als selbstkritischer Dialog um den ‚geistig-kulturellen Gesamtausdruckʻ Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass sich das Verhältnis von Politik und Religion seit dem Ende des 2. Weltkrieges nicht auf eine Dimension reduzieren lässt. Die bewusste Entscheidung für die Errichtung demokratisch-liberaler

 Vgl. C. Taylor, A Secular Age, Cambridge (MA) 2007.

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oder sozialistisch-säkularer Staatswesen war auch außerhalb Indiens immer auch eine Entscheidung für ein bestimmtes Verhältnis zu den Religionen. Diese kamen aber meist nur als Betroffene, nicht als Handelnde in den Blick. Modernisierung wurde zwischen 1945 und 1990 im Wesentlichen losgelöst von religiösen Dynamiken gedacht. Insbesondere bis in die 1960er Jahre hinein wurde die Säkularisierungsthese aus der westlichen Welt adaptiert. Auch in China, in der Sowjetunion, im Ostblock, in Lateinamerika und in ganz Südostasien ging man davon aus, dass Religion in modernen Gesellschaften keine bedeutende, d. h. progressive Rolle mehr spielen wird. Ab den 1970er Jahren hat ein Umschwung in der Wahrnehmung stattgefunden. Die Ölkrise und die Militärdiktaturen in Lateinamerika und in Korea haben ein neues Krisenbewusstsein geschaffen. Durch die wirtschaftliche Öffnung vieler Länder ist aus planmäßiger Modernisierung eine sich zwischen politischer Planung und wirtschaftlicher Dynamik abspielende kapital- und technologiebasierte Modernisierung geworden. Modernisierungskonzepte der westlichen Welt traten deutlicher hervor, wurden aber auch stärker kritisiert. Zugleich haben die religiösen Flügel der politischen Landschaft durch neue Herausforderungen, die besonders die ökonomisch marginalisierten Schichten getroffen haben, Aufwind erhalten. Religion und Entwicklung haben seit Mitte der 1980er Jahre eine neue, sich gegenseitig verstärkende, aber nur bedingt positiv stützende Dynamik erfahren. Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts werden religiöses und säkulares Leben wieder verstärkt in Ihrer gegenseitigen Abhängigkeit wahrgenommen. So wenden sich institutionalisierte Religionen in aller Welt deutlicher den von bestimmten Entwicklungspfaden abgekoppelten Schichten zu. Hierzu gehören christliche Kirchen, buddhistische und hinduistische Gruppen genau so wie muslimische Verbände und Unterstützerkreise anderer Religionen. Entwicklung erscheint neu als sozialpolitische aber auch als ethisch-religiöse Herausforderung. Umgekehrt zeichnet sich eine verstärkte Abhängigkeit der eingeschlagenen Entwicklungsrichtungen von den Religionen ab. Die Tatsache, dass der Säkularismus immer deutlicher infrage gestellt wird, ist auch ein Maß für das Erstarken von Religionen in politischer Hinsicht und dies wiederum für den Einfluss derselben auf Entwicklung. Soziale und technische Neuerungen werden (wieder) in religiösen Referenzrahmen diskutiert. Während religiöse Strömungen seit den 1980er Jahren immer weiter anwachsen (neben dem erstarkenden Hinduismus in Indien auch der Islam in vielen Erdteilen oder die Megakirchen in Korea und auf den Philippinen), entwickelt sich in den Mega-Cities aber auch ein neuer, am westlichen

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Rationalismus orientierter Atheismus.²⁹ Entscheidend ist, dass Religionen nach einer historisch gesehen kurzen Zeitspanne nun wieder deutlicher als sozial-politischer Einbettungsfaktor wahrgenommen werden, dass sie das gesellschaftliche Leben mitbestimmen und, dass sie bestimmte Entwicklungspfade fördern und bremsen können. Die Aspekte Säkularisierung und Rückkehr der Religion, die ich als sich überlagernde, aber nicht gegenseitig ausschließende Prozesse ansehe, sind heute aufgrund des Erstarkens politischer bzw. politisierter Religionen weltweit hoch aktuell. Andererseits setzen sich die Religionen selbst immer kritischer mit den Erscheinungsformen der säkularen Welt auseinander oder distanzieren sich gar von ihnen. So stehen wir vor einer paradoxen Entwicklung. Während die säkulare Vernunft für viele Religionen, die sich immer auch als Erben der Vormoderne verstehen, immer weniger anschlussfähig wird, wächst die Bedeutung des Religiösen als Gestaltungsfaktor der globalisierten Welt. Fragt man nach der Bedeutung dieses Auseinanderdriftens von säkularer Moderne und Religion, dann kommt schnell das Phänomen des religiösen Fundamentalismus in den Blick. Paul Tillich kommt der Verdienst zu, den Fundamentalismus nicht von einer säkular-humanistischen Perspektive her, sondern aus der Religion selbst zu kritisieren. Er nimmt ihn damit zugleich als Teil der Religion ernst und eben dies scheint mir ein großer Vorzug für globale Diskurse zu sein. Immer häufiger wird es nämlich nötig, zwischen der Religion als selbstverständlichem Faktor politischen Handelns und religiösem Fundamentalismus zu unterscheiden. In seiner Auseinandersetzung mit dem (christlichen) Fundamentalismus unterscheidet sich Tillich von anderen deutschen Theologen insbesondere durch die Tatsache, dass er in den USA wesentlich in die Auseinandersetzungen um die Serie The Fundamentals (1910 – 1915)³⁰ einbezogen gewesen ist. Tillichs Fundamentalismus-Kritik, die sich deutlich einer oberflächlichen Religionskritik entgegen stellt, ist geeignet, einen Weg der Auseinandersetzung mit dem Phänomen politischer Religionen aufzuzeigen, der nicht entlang des tiefen Grabens zwischen dem Fundamentalismus einerseits und der säkularen Vernunft andererseits ver-

 Vgl. H.-J. Klimkeit, Anti-religiöse Bewegungen im modernen Südindien. Eine religionssoziologische Untersuchung zur Säkularisierungsfrage, Bonn 1971. Kritisiert wird dieser Klassiker der interkulturellen Religionswissenschaften von J. Quack, Arten des Unglaubens als „Mentalität“: Religionskritische Traditionen in Indien, in: Religion und Kritik in der Moderne, hg.v. dems./U. Berner, Berlin 2012, 115 – 140. Quack entwickelt im Gegensatz zu Klimkeit einen mentalitätsgeschichtlichen Ansatz, der die lebensweltlichen Gemeinsamkeiten von Glauben und Unglauben betont.  Vgl. R. A. Torrey/A. C. Dixon, The fundamentals: a testimony to the truth, 4 vols., Grand Rapids (MI) 1994.

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läuft. Fundamentalismus ist für ihn weder rückständig noch antimodernistisch. Für die Beschäftigung mit dem Phänomen des religiösen Fundamentalismus erscheint es auch heute immer wichtiger, die Modernität desselben anzuerkennen. Das Vorurteil, dass es sich bei ‚Fundamentalisten‘ um Menschen handelt, deren Denken ein paar Jahrhunderte zurück geblieben wäre, ist eine gefährliche Fehldeutung, die selbst gewisse Anleihen an dem kritisierten Denken nimmt. Gerade die fehlende zeitliche Differenzierung zwischen Einzelphänomenen ist nach Paul Tillich ein Merkmal des Fundamentalismus. Auf diesen Zusammenhang hat auch Wolfgang Huber hingewiesen: „Von daher kann von Antimodernismus gar nicht die Rede sein, sondern eher von einem Herrschaftsanspruch, mit den Mitteln der Moderne die Moderne selbst durch einfache Wahrheiten zu überbieten.“³¹ Tillich kann durch die reformatorische Unterscheidung zwischen zeitloser und zeitbedingter Wahrheit in der Religion³² und dem damit verbundenen Festhalten an zeitlosen Wahrheiten sowohl das ‚Dämonischeʻ³³ des Fundamentalismus konkret ansprechen als auch dem bleibenden Gehalt der Religion jenseits ihrer Verengung Gestalt geben. Dies wird direkt am Anfang des ersten Bandes seiner Systematischen Theologie deutlich: Die Situation, um die es in der Theologie geht, ist vielmehr das schöpferische Selbstverständnis der Existenz, wie es sich in jeder Periode unter den psychologischen und soziologischen Umständen vollzieht. Gewiß ist die so verstandene Situation von [den Elementen Wahrheit und Zeitsituation] nicht unabhängig. Aber die Theologie hat es mit dem geistigkulturellen Gesamtausdruck zu tun, den diese Elemente theoretisch und praktisch gefunden haben, nicht mit ihnen als Faktoren und Bedingungen dieses Gesamtausdrucks. […] Die Situation, zu der die Theologie sprechen muß, ist die schöpferische Selbstbesinnung des Menschen in einer besonderen Geschichtsperiode. (ST I, 10 f.)

Wie können wir in einer interkulturellen Perspektive mit der Bezeichnung ‚Gesamtausdruck‘ umgehen? Es wäre vermessen, anzunehmen, dass sich ein ‚geistigkultureller Gesamtausdruck‘ unserer globalisierten Postmoderne auch nur annähernd beschreiben ließe. Dennoch kann es die Theologie nicht dabei belassen, nur die jeweiligen Partikularitäten eines Ortes oder einer Zeit oder eines Ortes zu einer bestimmten Zeit zu beschreiben. Zum Selbstverständnis der menschlichen  „Es sind die Gläubigen, die die Vernunft verteidigen“, Bischof Wolfgang Huber und der Philosoph Robert Spaemann über die Renaissance des Glaubens, religiöse Hatz und besoffene Forscher, Der Tagesspiegel vom 8.7. 2007; http://www.tagesspiegel.de/meinung/religion-es-sinddie-glaeubigen-die-die-vernunft-verteidigen/981176.html vom 12.12. 2017.  Vgl. G. Raatz, Unbedingtsetzung von Bedingtem. Paul Tillichs Begriff religiösen Fundamentalismus’, in: International Yearbook for Tillich Research 10 (2015), 241– 272.  Vgl. P. Tillich, Das Dämonische: Ein Beitrag zur Sinndeutung der Geschichte (1926), in: MW V, 99 – 123.

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Existenz gehört es nun einmal, die eigene Zeit und den eigenen Raum grenzüberschreitend wahrzunehmen. Um dem oben genannten Beispiel zu folgen und die interkulturellen Erfahrungen Indiens und Europas aufeinander zu beziehen, könnte man hier den Säkularismus als das Erbe einer gemeinsamen Globalisierungsgeschichte bezeichnen. Zu diesem Erbe gehören das Wesen und der Begriff dessen, was wir als ‚Religion‘ bezeichnen ebenso wie ihre Trennung vom Nichtreligiösen. Es gehören aber auch die Überlappungen dazu, die Idee gesellschaftlich garantierter Toleranz oder das konstruktive Verhältnis zwischen Staat und Religion. Insofern stellt sich heute wieder neu die Frage, wo die Theologie das Religiöse in der globalen Moderne verortet. Dieser Frage kann nur dann adäquat nachgegangen werden, wenn es gelingt, den Dialog zwischen den Religionen und den politischen, ökonomischen und wissenschaftlichen Institutionen der Gesellschaft interkulturell zu führen. Dazu erscheint mir eine fundierte Kritik der säkularen Rationalität, wie sie Paul Tillich vorgetragen hat, hilfreich zu sein. Wenn Tillich dabei als Akteur einer Selbstkritik des Westens verstanden wird, dann kann dies dazu beitragen, in einen Dialog mit anderen Kulturen eintreten zu können. Dazu müsste gezeigt werden, dass die in der oben skizzierten Weise geteilte Vernunft zwar die Systeme Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Religion voneinander trennt, diese aber jenseits ihrer Binnenlogik aufeinander bezogen bleiben. Das kulturtheologische Anliegen wäre so zum Ausgangspunkt einer interkulturellen Betrachtung zu machen.

2.2 Die Parallelität von Welt- und Gotteserfahrung Das Christentum hat in seiner protestantischen Variante die Trennung von säkularer Vernunft und religiösem Empfinden hervorgebracht und gleichzeitig erlitten. Im Ergebnis hat es bislang vor allem die Plätze eingenommen, die die Rationalität unbesetzt belassen hat. Es ist dabei weder mit sich selbst noch mit dem eigenen Erbe irrational umgegangen, es hat vielmehr die Orte in den unterschiedlichen Gesellschaften besetzt, die nicht oder noch nicht dem Primat der Vernunft unterworfen worden sind. Damit hat es auch – etwa durch Bildung, Diakonie und Gesundheitsdienst – zur weiteren Rationalisierung beigetragen und sich damit selbst infrage gestellt. Gleichzeitig wurden viele Innovationen aus dem christlichen Welt- und Menschenbild ausgegliedert und in eine separate, technisch-wissenschaftliche Sphäre verbannt. Die Religion stand auch deshalb quer zur säkularen Vernunft, weil sie die neue Welt der globalisierten Moderne kaum in ihre Konzepte integriert hat. Wird die christliche Mission jedoch nicht als Gegenbewegung zur Program-

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matik der Moderne, sondern als ihre selbstverständliche Begleiterscheinung verstanden, dann wäre die Aufgabe keine Separation, sondern eine Integration von Welt- und Gotteserfahrungen. Egal ob der Auftrag des Christentums als Sendungsauftrag in die säkulare Welt hinein oder als Mitleben in dieser Welt verstanden wird, er kann nur innerhalb der rationalisierten Welt wahrgenommen werden. Demzufolge muss er sich auch auf die säkularen Insignien dieser Welt beziehen. Dies bedeutet auch, dass die Kirche den Rationalisierungsprogrammen selbst nicht ausweichen kann. Das empirisch Vorfindliche ist der Ort, an dem der Glauben und das Handeln ihre Explikation finden. Es stellt jedoch nicht ihre normgebende Basis dar. Die säkularen Programme der Gegenwart wollen die Wirklichkeit technisch, politisch und ökonomisch umstrukturieren, ihre Normen liegen aber jenseits des Vorfindlichen, etwa in Rechtssätzen, Verheißungen, kollektiven Erinnerungen oder Zukunftsvisionen. Die Religionen beziehen sich auf dieselbe Wirklichkeit und ihre Normen liegen ebenfalls im Jenseits der Gesellschaft.³⁴ Damit haben beide – die säkulare und die religiöse Programmatik – zwei Gemeinsamkeiten. Sie nehmen eine bestimmte Perspektive gegenüber der Wirklichkeit ein und leiten generelle Ziele ab, die vom Vorfindlichen abstrahieren. Aus der Perspektive des Christentums folgt der gemeinsame Horizont von religiösem und säkularem Denken der Ansage des Reiches Gottes. Gesteht man eine Parallelität von Welt- und Gotteserfahrung zu, dann kann die Aufgabe der Kirche nicht darin bestehen, die Verkündigung des Gottesreiches davon abhängig zu machen, dass die Adressaten von diesem weit entfernt sind. Sie darf vielmehr davon ausgehen, dass das Reich Gottes nahe herbei gekommen ist (Mk 1,15), dass also diejenigen, denen die Verkündigung gilt, nicht fern von ihm sind (Mk 12,34). In diesem Sinne sind die Kirchen und die moderne Welt gemeinsame Zielgruppe der Missio Dei. Das Spezifikum christlicher Verkündigung liegt also im Gegensatz zu den säkularen und säkularisierenden Programmen nicht darin, von einem Defizit der jeweils anderen auszugehen, sondern von einer Verheißung, die (auch) ihnen gilt. Der christliche Glauben lebt demnach nicht davon, die Welt schon am Ziel zu wähnen und die jeweils anderen damit im christlichen Referenzrahmen zu vereinnahmen. Er lebt ebensowenig davon, ihnen Gottesferne zu unterstellen. Er kann vielmehr als eine Perspektive verstanden werden, die Welt in einer Bewegung auf Gott hin zu verstehen. Diese Bewegung, die Interpretation des geistigkulturellen Gesamtausdrucks der globalen Welt, geschieht weder unabhängig von

 Vgl. C. Schwarke, Das politische Mandat der Kirche – wie politisch kann / soll / muss die Kirche heute (noch) sein?, Referat auf dem zentralen sächsischen Pfarrertag am 21.10. 2017 in Leipzig.

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noch neben den säkularen Entwicklungspfaden, sondern ist mit ihnen verwoben. Die Theologie hat zu klären, was dies hinsichtlich der Eigenschaften des Säkularen bedeutet. Dass sich die Welt in einer Bewegung auf Gott hin befindet, kann als der religiöse Ausdruck existentieller Erfahrungen angesehen werden. Zwar wird die säkulare Vernunft zu einem Großteil von technischer Rationalität bestimmt, die mit dem Versprechen antritt, die Unverfügbarkeit des Lebensvollzugs massiv zu minimieren. Doch macht der praktische Umgang mit den Produkten dieser Rationalität deutlich, dass jede Form der Verfügbarmachung neue Unverfügbarkeiten produziert. Dies wird besonders augenscheinlich, wenn Handlungsweisen betrachtet werden, durch die Gedanken, Gefühle und Einstellungen zum Ausdruck kommen. Diese Handlungen stehen uns dann als Praxis sowohl zur Vergegenständlichung von Mentalitäten als auch zur Speicherung und Weiterentwicklung von Ideen zur Verfügung. Insofern bilden sie ein Scharnier zwischen den existentiellen Alltagserfahrungen der Menschen und den leitenden Normen der Kultur. Ein Beispiel möge die Biotechnologie als eine konkrete und kontroverse Form der weltweiten Verbreitung säkularer Vernunft bieten. Sie hat in den vergangenen vier Jahrzehnten umfangreichen Widerhall auf politischer und religiöser Ebene gefunden; sie wurde und wird in unterschiedlichen Kontexten ganz unterschiedlich bewertet. Die grundsätzlich andersartige Rechtssituation, die wir heute in verschiedenen Ländern finden, spiegelt vor allem die Mehrdeutigkeit der Grünen Gentechnik (GGT) wider. In ihrer Mehrdeutigkeit ist sie als spezifische Ausformung der säkularen Vernunft gerade nicht neutral. Der Agrobiotechnologie muss vielmehr zugestanden werden, dass sie in der Lage ist, zu einer Bezugnahme zwischen säkularer Vernunft und religiösem Empfinden beizutragen. Sie kann daher in ihrer Propagierung (Patrick Moore) wie in ihrer Ablehnung (Vandana Shiva) interkulturell mit religiösem Vokabular belegt werden.³⁵ Der inzwischen seit Jahrzehnten geführte Streit um die Gentechnik macht deutlich, dass es in den Debatten um unsere Lebensmittel, unsere Kleidung oder auch um Pharmazeutika nicht nur um Prozesse und Artefakte geht die uns äußerlich gegeben wären, sondern um Dinge, die über unser Sein und Nichtsein entscheiden, uns also unbedingt angehen. Was uns nach Tillich unbedingt angeht, das ist heilig, wobei dieses Heilige sowohl auf das Göttliche verweisen als auch Heiligkeit für sich selbst beanspruchen kann. Den zweiten Fall bezeichnet Tillich als „dämonische Heiligkeit“ (ST I, 19 f. 252). Demnach kann sich erst im Akt des Vertrauens er-

 Vgl. P. Moore, Battle for biotech progress, in: Review – Institute of Public Affairs 56 (1) (2004), 10; vgl. K. Gerasimova, Debates on genetically modified crops in the context of sustainable development, in: Science and engineering ethics 22 (2) (2016), 525 – 547.

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weisen, wodurch die Mehrdeutigkeiten säkularer Prozesse, hier der Gentechnik, für den Einzelnen in eine tragende Antwort hinein führen. Es muss sich also im Prozess selbst zeigen, ob er sich als Weg auf Gott hin oder als Götzendienst erweist. Götzendienst wäre die Erhebung von etwas Vorletztem zu etwas Unbedingtem, das dann unser ‚unendliches Interesse‘ gefangen nimmt. In diesem Sinne verweisen die den Diskussionen zugrunde liegenden Vorstellungen von Natur und Kultur, von Forschung und Entwicklung, von Politik und Wirtschaft auf das Selbstverständnis des Menschen. Damit stellt sich die Frage ‚Was ist der Mensch?‘ angesichts des biotechnologischen Zugriffs auf den Organismus ganz neu – und zwar als eine religiöse Frage, die den Globus umspannt. Die Gentechnik hat das Potential, Lebewesen technisch, wirtschaftlich und politisch zu verändern, zu erneuern und zu zerstören; zum Teil ist sie ja direkt darauf ausgelegt. Ihre Mehrdeutigkeit tritt umso deutlicher hervor, je mehr der Werkzeugcharakter des Zugriffs betont wird. Die Zweideutigkeit von Werkzeugen ist uns wiederum sehr geläufig, sie wurde von Paul Tillich als Macht zur Befreiung und als Macht zur Perversion beschrieben: Die befreiende Macht der Werkzeuge besteht darin, daß es durch sie möglich wird, Zwecke zu verwirklichen, die nicht im organischen Prozeß selbst enthalten sind […] Der unbegrenzte Charakter der technischen Möglichkeiten kann eine Perversion schaffen, eine Umkehrung von Mitteln und Zwecken. Die Mittel werden zu Zwecken nur, weil sie Möglichkeiten sind […] Die Produktion der Mittel wird zu einem Ziel in sich selbst. (ST III, 77)

Die Zweideutigkeit des Säkularen zeigt sich in der Dialektik zwischen Selbst- und Fremdbestimmung, biblisch ausgedrückt, im Tanz um das goldene Kalb. Das goldene Kalb entspricht unserer passiven Bestimmtheit, die wir handelnd zu überwinden suchen. Hier ist es der Wunsch, unter einem Symbol vereint zu werden, das die Einsamkeit überwindet und Gemeinsinn stiftet (Ex 32,1– 4). Diesen Wunsch nahm der erste König des Nordreichs Israel, Jerobeam I., auf. Er ließ in Beth-El und Dan Heiligtümer JHWHs mit dem Goldenen Kalb als dessen Abbild schaffen: Und der König hielt einen Rat und machte zwei goldene Kälber und sprach zum Volk: Es ist zu viel für euch, dass ihr hinauf nach Jerusalem geht; siehe, da sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägyptenland geführt haben. Und er stellte eins in Bethel auf, und das andere gab er nach Dan. Und das geriet zur Sünde, denn das Volk ging vor dem einen her bis nach Dan. (1 Kön 12,28 – 30, Luther 2017)

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Das Goldene Kalb ist zuletzt bei der Occupy-Bewegung³⁶ wieder aufgetaucht. Es symbolisiert dort die Wechselbeziehung zwischen ‚Selbst‘ und ‚Ding‘. Der säkulare Mensch stellt im technischen Prozess Objekte her, Dinge, die keinen Subjektcharakter mehr haben. Bei Tillich liest sich das so: Je mehr Wirklichkeit der Mensch durch den technischen Prozeß in ein Stück Dingwelt umwandelt, um so stärker wird auch er selbst verändert. Er wird selbst Teil eines technischen Produktes und verliert den Charakter eines unabhängigen Selbst. Die Befreiung, die dem Menschen durch die technischen Möglichkeiten gegeben wird, kehrt sich in ihr Gegenteil um – der Mensch wird zum Sklaven seiner technischen Welt. (ST III, 93)

Unter dieser Perspektive werden die vehementen Proteste gegen die Gentechnik als eine Art versuchte Rettung des Abendlandes, als Sicherung der bekannten Identitätskonstruktionen und als Zurückweisung neuer Konstruktionsversuche, verständlich. Es ist eine Abwehr gegen die drohende Abhängigkeit von einer Vernunft, die sich auf reine Kausalität beschränkt. Mit der Agrobiotechnologie werden Artefakte zu Lebensmitteln und später zu Teilen unseres Körpers. Wir selbst werden damit abhängig von einem unter die Haut gehenden, technischen Lebensvollzug und das eben soll verhindert werden. Es stellt sich allerdings die Frage: Was ist wirklich neu daran? Ist die Abhängigkeit von mendelschem Saatgut und vom Wissen um traditionellen Ackerbau tatsächlich so fundamental andersartig als die von gv-Saaten und vom patentierten Wissen biotechnologischer Innovationen? Oder ist es einfach nur so, dass die Eingriffstiefe der säkularen Vernunft eine ganz neue Herausforderung für diese selbst darstellt? Sicher hat sich die Expertenkultur geändert, die Dimensionen sind andere, aber die Möglichkeit, dass sich Menschen über Gebühr von Lebensmitteln abhängig machen, kennt die Geschichte sehr gut. Traditionelle Fastenzeiten wurden mit einer ähnlichen Zielvorgabe ausgerufen wie der gentechnikfreie Joghurt: Die Menschen wollten der Abhängigkeit von sekundären Dingen entgehen und sich auf das konzentrieren, was sie für das wirklich Wichtige hielten. Insofern könnte der Protest gegen die GGT in Europa auch ein Zeichen dafür sein, was in diesem Teil der Welt für existentiell gehalten wird. Und die vergleichsweise große Offenheit, die indische Wissenschaftler in den deutschen Diskurs eingebracht haben, wäre ein Zeichen dafür, dass sie eben andere Prioritäten setzen.³⁷

 Vgl. A. Müller, Der falsche Präsident: Was Pfarrer Gauck noch lernen muss, damit wir glücklich mit ihm werden, Frankfurt a. M. 2012.  Vgl. A. Subramanian/M. Qaim, The Impact of Bt Cotton on Poor Households in Rural India, in: Journal of Development Studies 46 (2) (2010), 295 – 311.

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Die Zweideutigkeit, ja die Widersprüchlichkeit säkularer Lebensäußerungen steht damit in einem direkten Zusammenhang zur Widersprüchlichkeit des Menschen, der sich selbst dem Verdacht der Hybris ausgesetzt sieht. Die Hybris besteht nicht darin, in einem einzelnen Artefakt, einem politischen Mandat oder einem sozioökonomischen Prozess ein Machtmittel zu sehen, sondern darin, gleichzeitig zu übersehen, dass dieses Mittel in der Hand fehlbarer Menschen liegt. Paul Tillich meinte, dass sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine technische Vernunft ausgebreitet hätte, die einzig eine Zweck-Mittel-Relation im Blick hatte. Zudem unterschied er zwischen formalen und emotionalen Elementen der Vernunft. Formale Elemente herrschen in den kognitiven und ordnenden Funktionen der Vernunft, emotionale Elemente in den ästhetischen und gemeinschaftsbildenden Funktionen. Diese Trennung zwischen Emotion und Rationalität mag sich im Zuge der globalen Technoculture weltweit ausgebreitet haben.

2.3 Technische und ontologische Vernunft Paul Tillich behandelt im Rahmen seiner Wissenschaftstheorie und in der Kulturtheologie der 1920er Jahre sowie später dann in der Systematischen Theologie der 1950er und 1960er Jahre den Verlust der Sinndimension in der technischen Rationalität. Er stellt diesem Verlust die Vision eines ‚Gläubigen Realismus‘ im technischen Zeitalter entgegen. Sein Anliegen ist letztlich nicht die Überwindung, sondern die Integration der technischen in die ontologische Vernunft.³⁸ Den Ausgangspunkt beschreibt Tillich jedoch zunächst so: Emotion ohne rationale Strukturen führt zum Irrationalismus […] Der Irrationalismus hat alle Eigenschaften des Dämonischen, sei es im religiösen, sei es im weltlichen Bereich. […] Wenn die Vernunft ihre formalen Strukturen und damit zugleich ihre kritische Kraft preisgibt, so ist das Resultat nicht leere Sentimentalität, sondern das dämonische Hervorbrechen widervernünftiger Mächte, denen häufig alle Mittel der technischen Vernunft dienstbar gemacht werden. (ST I, 113)

In unseren Auseinandersetzungen um die Zukunft der globalen Moderne geht es um die Reichweite der säkularen Vernunft. Wie viele Staudämme werden noch gebaut? Wie viele Flüsse noch begradigt? Wie lange reichen die Erdölvorkommen?

 Vgl. P. Tillich, Logos und Mythos der Technik, in: GW IX, 297– 306; ders., Systematische Theologie, 3 Bde., Stuttgart 1967; ders., Das System der Wissenschaften nach Gegenständen und Methoden, in: MW I, 113 – 263; ders., Über die Idee einer Theologie der Kultur, in: MW II, 69 – 85; ders., Über gläubigen Realismus, in: MW IV, 193 – 211.

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Welche Energieformen sollen zur Versorgung der Weltbevölkerung genutzt werden? Wie weit darf sich die Atmosphäre erwärmen? Wir können heute keine Kleidung mehr kaufen, ohne in die globale Verwertungskette eingebunden zu sein, an deren Anfang unter Umständen gentechnisch veränderte Baumwolle steht. Die gesamte Konsumpalette von Plaste-Murmeln bis zu Grabsteinen steht unter dem Verdacht, aus fragwürdiger Produktion zu stammen. Und wir wissen beim Kauf eines Hemdes heute in der Regel nicht, ob durch den Anbau des Rohstoffes Kleinbauernfamilien Lebensmöglichkeiten erhalten haben oder ob sie ihnen genommen worden sind. Natürlich gibt es Hinweise wie Labels und Zertifikate, die uns hier helfen können, bewusster zu handeln. Aber grundsätzlich bleibt es dabei, dass wir verstrickt sind in globale Zusammenhänge, die in der arbeitsteiligen Rationalität des Welthandels kein Einzelner durchschaut und deren moralische Bewertung für uns schlichtweg nicht möglich ist. Die säkulare Vernunft hinterlässt damit ein Vakuum, das durch diffuse Annahmen und durch gesetzte Werturteile geschlossen wird. Dies bedeutet aber nicht das Ende des Rationalisierungsprozesses. Vielmehr ist es ja gerade das Anliegen der technischen Vernunft, jede Form von Setzung und Urteil auf kausale Zusammenhänge zurück zu führen. Das Verstricktsein in größere Zusammenhänge zeigt sich nirgends deutlicher als dort, wo Menschen über große Macht verfügen. Vielleicht ist es der technischindustrielle Komplex, der in der Hand weniger gigantischer Konzerne weltweit Macht über die Menschen ausübt und der viele andere dazu anleitet, auch irrationale Auswege in Kauf zu nehmen. Hier führt die Rationalisierung in den politischen Protest. In Nehrus Indien führte die säkulare Vernunft, die die Stahlwerke hervor gebracht hatte, zu Massendemonstrationen und in Stalins Sowjetunion endete die säkulare Verfügbarmachung im Namen des neuen Menschen in den Gulags. Diese Entwicklungen sind nicht zufällig, sondern, mit Tillich zu reden, in der einseitigen Herrschaft der ‚technischen‘ über die ‚ontologische‘ Vernunft begründet. Es geht um eine Verabsolutierung der Zweck-Mittel-Rationalität durch die säkulare Vernunft. Zudem haben die technischen Mittel durch die Anwendung physikalisch-mathematischer Gesetze eine enorme Präzision und Durchschlagskraft erreicht. Allerdings deutet die o.g. Verstrickung darauf hin, dass die Zunahme an Macht und Machbarkeit nur eine Seite der Medaille ist. Es kommt eine zweite hinzu, denn gerade die Verfügbarmachung von zuvor schicksalhaften Prozessen führt in eine neue Form von Unverfügbarkeit hinein. Die Einlösung des säkularen Machbarkeitsversprechens hat nicht nur Machbarkeit zur Folge. Die Verabsolutierung der Zweck-Mittel-Rationalität führt auch in die Missachtung ihrer Grundlagen. Ebenso wie die modernistischen Programme sämtliche traditionellen Transzendenzbezüge ausgeblendet haben, wird hier das Nicht-konstruierte

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unbewusst vorausgesetzt. Zugleich entstehen neue Transzendenzen, die im ursprünglichen Forschungsprogramm nicht vorgesehen waren. Im Fall der GGT wird genau jener Teil des Produktionsprozesses, der im Unverfügbaren verbleibt, zum Einfallstor ihrer Kritiker. Unbeabsichtigte Nebenfolgen wie der horizontale Gentransfer, plötzliche Resistenzen, sozioökonomische Veränderungen in den Dorfgemeinschaften, die Verringerung der Artenvielfalt oder neue Sozialstrukturen auf der ökonomischen Ebene werden zum Ansatzpunkt für das Urteil. Kurz gesagt, es sind neue Unverfügbarkeiten entstanden, deren Ursache in der Überwindung der vorherigen gesucht werden muss. Wenn die Herrschaft der ‚technischen‘ über die ‚ontologische‘ Vernunft dazu führt, dass die säkulare Vernunft neue Unverfügbarkeiten schafft, also Transzendenzen konstruiert, dann muss weiter danach gefragt werden, was diese Transzendenzkonstruktionen über die Situation des Menschen in der technischen Kultur aussagen? Bedeutet dies nicht, dass der Lebensvollzug bleibend unverfügbar ist? Bedeutet es nicht auch, dass die mit der säkularen Vernunft immer mitgedachte Zunahme an Machbarkeit ergänzt werden muss durch die Produktion immer neuer, zusätzlicher Kontingenz? Und heißt das dann nicht auch, dass selbst die technische Vernunft wiederum eine kritische Kraft freisetzt? Die MittelZiel-Struktur, deren Ursprung Paul Tillich in der Industrialisierung vermutet, hat ja keineswegs dazu geführt, dass säkulare Programme in unterschiedlichen Gesellschaften gleichförmig abgelaufen wären. Politische Programme wurden und werden ebenso heterogen bewertet wie ökonomische und technologische. Tillichs Diagnose, dass die technische Kultur der einseitigen Zweck-MittelRelation verpflichtet ist, führt insofern zwar auf einen erhellenden Pfad, muss jedoch ergänzt werden. Die Einseitigkeit der technischen Vernunft führt nicht einfach nur dazu, dass der Mensch auf einen Prozess reduziert wird. Sie führt auch zu einer neuen Weltzuwendung, nämlich dazu, dass das Menschliche an der Technik, ihre Fehlbarkeit bzw. Heterogenität, im Prozess selbst wieder zutage tritt. Die Fehlbarkeit ist nicht das Dämonische, sie ist ebenso wenig das Irrationale. Sie ist das Mehrdeutige im Säkularen, das Menschliche, das in der technischen Vernunft nicht aufgehoben ist. Wenn Tillich aus der Trennung von technischer und ontologischer Vernunft schließt, dass die befreiende Macht des Wortes und die befreiende Macht der Technik zusammengehören³⁹ und gleichzeitig meint, dass der technische Akt „alle Funktionen der praxis“ durchzieht und „zu ihren Zweideutigkeiten“ (ST III, 93) beiträgt, dann ist dieser Akt eben ein zweideutiger und damit auch ein auf das Unbedingte hinweisender. So führt im Falle der GGT im Vergleich zur klassischen

 Vgl. ST III, 91.

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Züchtung die Überwindung des Zufälligen zwar dazu, dass nun unter Laborbedingungen ganz gezielt Mutationen hervorgerufen werden können. Unter Realbedingungen aber entstehen neue Zufälle, die sich ihrerseits nicht auf Kausallinien zurück führen lassen. Das heißt, unter Realbedingungen kann die säkulare Vernunft ihrem exklusiven Anspruch überhaupt nicht gerecht werden. Sie kann zwar die Randbedingungen der Laborsituation aufnehmen, nicht aber die der alltäglichen Wirklichkeit. Existentielle Erfahrungen werden damit nicht aus unserer Techno-Kultur ausgegliedert, sie treten nur an anderer Stelle auf als vorher, z. B. als nicht intendierte Nebenfolgen eines Programmablaufs oder einfach, weil die Demokratie, die Marktwirtschaft oder auch ein Produktionsprozess in Indien anders funktionieren als in Deutschland. Damit steht nun aber auch infrage, ob der Mensch durch die technische Vernunft den Charakter eines unabhängigen Selbst verliert, wie Tillich annimmt. Wenn im Zuge eines technischen Prozesses existentielle Situationen entstehen – und dies ist ja selbst im alltäglichen Umgang mit mathematischen Algorithmen der Fall – dann bedeutet das ja nichts anderes als dass die säkulare Vernunft Zustände zur Folge hat, die sie nicht selbst erfassen kann. Es bedeutet schließlich, dass diese Vernunft in Situationen hinein führt, die die Frage nach ihrem Seinsgrund neu aufwerfen. Das Selbst wird sich also seiner selbst, seiner Abhängigkeit aber auch seiner Unabhängigkeit, in anderer Weise bewusst.

3 Die religiös-säkulare ‚Weltkultur‘ Gemäß den obigen Ausführungen sind Menschen auch innerhalb einer Welt, die Religion und säkulares Leben voneinander trennt, nicht darauf angewiesen, sich allein von technischer Rationalität leiten zu lassen. Auch und gerade in säkularen Prozessen können sie ihr Vertrauen in Kräfte setzen, die das eigene Leben auch dann erhalten, wenn die Vernunft an ein Ende kommt. Kann unter diesen Bedingungen „alles, was die Wissenschaft beschreiben kann, zu einer Spur Gottes werden“⁴⁰? Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildete die faktische Überlappung von Religion und säkularem Leben, mit der in der heutigen globalisierten Welt als gesellschaftliche Realität zu rechnen ist. Der indische Säkularismus wird dieser Überlappung seinem Kontext gemäß gerecht. Die säkulare Vernunft wurde mit Tillich als eine zwischen Technologie und Ontologie aufgespaltene beschrieben. Die Betrachtung biotechnologischer Zusammenhänge hat gezeigt, dass diese

 F. Vogelsang in einer E-Mail an den Autor vom 6.12. 2017.

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Aufspaltung unter Realbedingungen ergänzt werden muss. Die säkulare Vernunft führt auch in der globalen, technischen Moderne in Situationen hinein, die eine religiöse Bedeutung erlangen können. Der Ertrag der Beschäftigung mit Tillichs Vernunftkritik ist ein zweifacher. Erstens machen seine Aussagen zum Fundamentalismus deutlich, dass religiöse Faktoren im säkularen Handeln kein Relikt der Vormoderne darstellen, sondern mit ihnen und mit ihrer Ambivalenz bleibend zu rechnen ist. Zweitens verweist die von Tillich herausgearbeitete technische Vernunft als die für unsere Zeit maßgebliche Größe, die weite Bereiche der säkularen Vernunft und der globalen Zukunftsvisionen determiniert, nicht nur auf das Fehlen der ontologischen Vernunft. Die technische Rationalität verweist vielmehr unter Realbedingungen auch auf unsere existentielle Verbundenheit mit der Wirklichkeit. Die säkulare Vernunft erlöst uns nicht von Erfahrungen, die sich nicht vernunftgemäß wiedergeben lassen. Für die ethische Bewertung vernunftgemäßer Handlungen ist entscheidend, dass Tillich dem Dämonischen im Säkularen einen Ort zuweisen kann, ohne einen ihrer Teilbereiche selbst zu dämonisieren. Die Binnenlogiken von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik bleiben unangetastet, hier gibt es ein Eigenrecht des Säkularen, das sich ohne religiöse Bezüge verwirklichen kann. Wer aber beständig im Rahmen der Binnenlogiken verbleibt, der begibt sich selbst auf das Glatteis des Fundamentalismus. Dieser hat zwei Seiten. Die eine Seite kommt ans Licht, wenn die Binnenlogik weltbildlichen Charakter annimmt und außerhalb des ihr zugewiesenen Bereiches nicht mehr suspendiert wird. Die andere Seite scheint auf, wenn Menschen glauben, die vielfältig ausdifferenzierte globale Moderne aushebeln zu müssen, um – zum Beispiel im Namen einer Religion – das Ganze in den Blick zu nehmen. Dem hohen Grad der Ausdifferenzierung unserer Zeit würde nur eine Strategie gerecht werden, die Weltzuwendung heute ermöglicht. Dies wäre die Fähigkeit, zwischen den Welten wandern zu können und dabei immer wieder die gerade nötige Binnenperspektive einzunehmen. Wird die aus einer dieser Perspektiven entspringende Logik jedoch in eine alle Bereiche des Seins umfassende Weltanschauung transformiert, dann wäre damit die Weltzuwendung beendet, weil hierdurch die anderen Bereiche indifferent gesetzt würden. Säkulare Vernunft und religiöses Empfinden müssen damit in ihrer je eigenen Berechtigung beständig aufeinander bezogen sein. Somit erweist sich die faktische Überlappung von Religion und säkularem Leben als realistische Explikation unserer Existenz, die sich unter interkulturellen Bedingungen bewährt. Die Hoffnung, dass sich der Lebensvollzug gemäß den Vorgaben der säkularen Vernunft technisch rekonstruieren lässt, wie das u. a. die Modernisierungskonzeption Nehrus beinhaltete, wäre zugleich präzise von jenen

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Annahmen getragen, die Paul Tillich dem Fundamentalismus zuordnet. Er schreibt: Der Fundamentalismus […] macht etwas Zeitbedingtes und Vorübergehendes zu etwas Zeitlosem und ewig Gültigem. Er hat in dieser Hinsicht dämonische Züge. Denn er verletzt die Ehrlichkeit des Suchens nach der Wahrheit, ruft bei seinen denkenden Bekennern eine Bewusstseins- und Gewissensspaltung hervor und macht sie zu Fanatikern, weil sie dauernd Elemente der Wahrheit unterdrücken müssen, deren sie sich dunkel bewusst sind. (ST I, 9 f.)

Diese Aussage trifft ursprünglich den Biblizismus. Auf die heutige Situation gewendet, trifft sie in ihrer Klarheit aber auch eine Einstellung, die von der raumund zeitübergreifenden Geltung der Vernunft, wie sie die Welt seit der Mitte des 20. Jahrhunderts bestimmt hat, ausgeht. Mit Tillich wäre zu fragen: Muss die Ehrlichkeit des Suchens nach der Wahrheit nicht im Gegensatz dazu auch kontingente Erfahrungen einbeziehen, die durch die Säkularisierung des Denkens paradoxerweise neu entstehen? Wäre demnach die ‚technische Vernunft‘ nicht darauf hin zu befragen, ob sie einer Wirklichkeit, die auch in religiöse Empfindungen hinein führt, gerecht wird? Und müssten dann nicht religiöse Erfahrungen wiederum innerhalb unserer technischen Kultur, aber in Ergänzung der säkularen Vernunft, erfassbar sein? Diesen Fragen nachgehend, wäre die globale Moderne einem Säkularismuskonzept gemäß zu gestalten, das sich selbst nicht von der Religion abhängig macht, aber in der Lage ist, ihre „Sondersphäre“ (GW IX, 233) zu sprengen und so die Grenze zwischen Kultur und Religion zu übersteigen. Ausgehend von indischen Erfahrungen bezeichnet John Meyer⁴¹ Säkularisierung als ‚sich der Welt zuwenden‘. Die Grundlage für diese Definition findet er in dem inneren Zusammenhang zwischen der heiligen, jenseitigen Welt und der sinnlich erfassbaren, materiellen Welt, also in der Kommunikation zwischen Transzendenz und Immanenz. Aus der Bhagavadgita extrahiert Meyer den Gedanken, dass die Ausrichtung auf eine jenseitige Welt die soziale Verpflichtung für die materielle Welt nach sich zieht. Die Zuwendung zur Welt hat für ihn – als westlichen Interpreten der Gita – also nicht die Implikation der gleichzeitigen Abwendung vom Heiligen. Vielmehr ist Säkularisierung sowohl für die Gesellschaft als auch für die Religionen ein heilsamer Prozess, der es ermöglicht, ihre Traditionen, Empfindungen und Erfahrungen in das säkulare Leben zu integrieren. Im Rahmen eines politisch-institutionellen Ansatzes stellt Meyer dieser ‚Säkularisierung‘ den Begriff ‚Säkularismus‘

 Vgl. J. W. Meyer, Weltkultur. Wie die westlichen Prinzipien die Welt durchdringen, Frankfurt a. M. 2005; ders., Säkularisierung und kulturelle Vielfalt, Frankfurt a. M. 2003.

Säkulare Vernunft und religiöses Empfinden

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entgegen. Dieser erfasst Prozesse und Entwicklungen, die um substantielle Abgrenzung gegenüber der Religion bemüht sind, also auch bewusst darauf verzichten, aus ihren Quellen zu schöpfen. Unter der Prämisse, dass die säkulare Vernunft existentielle Erfahrungen nicht ausschließt, könnte man somit zwischen ‚Säkularisierung‘ als Prozess der Zuwendung zur Welt und ‚Säkularismus‘ als Konzept des gleichwertigen Nebeneinanders von Religionen in dieser Welt unterscheiden. Damit würden dann zwar die dezidiert antireligiösen Direktive mancher westlicher Säkularismus-Konzeptionen nicht erfasst. Es würde aber möglich werden, zwischen dem ordnungspolitischen Ansatz der Toleranz inklusive der damit verbundenen Binnenlogik des Säkularismus und dem religiösen Anspruch positiv konnotierter Weltzuwendung zu unterscheiden. Beides ist für eine ‚Weltkultur‘, also unsere globale Technikkultur, wesentlich, wenn deren Vernunft nicht auf ungeschichtliche Reflexe reduziert werden soll. Die Aufgabe der Theologie würde dann darin bestehen, die Produkte der säkularen Vernunft als Symbole des Transzendenten in ihrer religiösen Qualität ernst zu nehmen. Genau dies würde dann auch garantieren, dass die säkulare Vernunft zur religiösen Realität der internationalen Beziehungen, in denen wir heute de facto leben, kompatibel bleibt.

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Beyond Ultimate Concern 1 Preliminaries Bringing a holistic perspective to the work of Paul Tillich and to his own perspective as a man on the boundary between theology and philosophy, we encounter a large list of concepts that are determinants for studying and discussing his work, ranging from a broad context to that which is specific to universal culture. In spite of the need for economy in terms of the paper, it would be useful to enumerate some of the key concepts that reflect both his intellectual and professional development, his formative and cultural background, including the challenges that are especially specific to historical and social facts, and to the contexts and predicaments which he encountered and had to deal with during his life and his professional career. These include the methods of correlation, Protestant principles, religious socialism, kairos, demonic, theology of culture, ultimate concerns, dynamics of faith, courage to be, and the God above God. These key concepts not only furnish the necessary theological language and blend it with the fundamentals of philosophy, but also stand at the very core of a theological system which did not have the chance to be reconsidered after the encounters with the History of Religions seminars in collaboration with Mircea Eliade. The other aspect is that although the elements of the system match and constitute the limits of the system, they do not act as if they are isolated from real life. “Ultimate concern” has been identified with one of the greatest commands according to Mark 12:29, “The Lord, our God, the Lord is one; and you shall not love the Lord your God with all your heart, and with all your soul and with all your mind and with all your strength.”¹ As part of the same explanation we read that “The religious concern is ultimate; it excludes all other concerns from ultimate significance; it makes them preliminary. The ultimate concern is unconditional, independent of any character, desire, or circumstance. The ultimate concern is total: no part of ourselves or of our world is excluded from it; there is no place to flee from it.”² In addition to this, “The total concern is infinite: no moment of relaxation and rest is possible in the face of a religious con-

 Paul Tillich, Systematic Theology, Vol. 1 (Chicago: University of Chicago Press, 1951), 11.  Ibid. 1, 11. https://doi.org/10.1515/9783110668124-016

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cern which is ultimate, unconditional, total and infinite.”³ The place of theology is clearly determined in the following assertion: “Theology should never leave the situation of ultimate concern and try to play a role within the area of preliminary concerns.”⁴ Based on this assumption, the theologian is no expert in areas outside his concern. This seems to determine very precisely the work of the theologian, very much like in an enterprise in industrial society, where a worker has a fixed description of his duties, and all the tasks and operations that lead to the realization of a product are described and timely counted in the product’s specification. In spite of the separation given here, Tillich affirms that there are relationships and implications between the two sides, namely the preliminary concerns and the ultimate concern. These may be as follows: the first is mutual indifference, the second is the elevation of a preliminary concern to the level of ultimate concern, and the third is the situation in which preliminary concerns are made bearers and vehicles of the former.⁵ When looking at the problems associated with relationships, we are also reminded of some of the important points of view expressed in Morality and Beyond. The world as such is not a fixed social and natural construction within the universe of divinity. Where are we? Tillich gives us the answer: “We are in the midst of a world revolution affecting every section of human existence, forcing upon us a new interpretation of life and the world.”⁶ Are these types of relationship compatible with those expressed later in the Systematic Theology? To what extent can we accept the separation of theology from the realm of real life, and to what extent does the relationship between the various spheres of life serve the theology we think we are in today and were in before? What kind of interpretation of history from the perspectives of both an individual’s life and universal history could we adopt or seek today? The reality expressed in Morality and Beyond does not seem to be different from what even Tillich experienced in the First World War and in the aftermath, from that of the Second World War, and certainly it is not different when referring to the Cold War and other contemporary wars, and to the chain of revolutions that followed close on one another at the end of the 20thCentury. When considering the assertion from Morality and Beyond, this reality seems eternally present with the human predicament still struggling with it. “Between

 Ibid. 1, 11– 12.  Ibid. 12.  Ibid. 1, 13.  Tillich, Morality and Beyond (New York: Harper & Row, 1963), 82. This book is a compilation of articles over more than twenty years. This quotation is from the fifth chapter, originally published in 1941.

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2 Reformation for Today For many readers, the term “Reformation” elicits a variety of meanings and, compounded by the post-modern or global hubris, would need plenty of guidance to take the line as far back as Martin Luther. The thing is that the term has been enriched with so many meanings throughout history that we can hardly directly connect it these days with the type of “Reformation” with which the present Congress is concerned. Indeed, it is a marking point for Protestant Christianity, for the history of Christianity, for Church history, and for other aspects in the extensive fields of history, culture and civilization. Nevertheless, the Reformation has to be seen as a climax of the pre-reformation movements and struggles at the end of the Renaissance, and as a turning point in the history of Christianity towards more ways as compared to the previous two ways (Roman Catholicism and Eastern Orthodox). No doubt the key to it is the person and work of Martin Luther. The attempts of the reformers and of the Reformation to make their ideals common to others and apply them to other realms is a matter of debate to this day. In more or less academic discussions and circles that are less familiar with the problematic aspects of the Reformation and its diversity of situations, the most debated issue would be the work of Max Weber. However, a superficial reading of his work and the false hope derived from this would suggest that had the world been Protestant, its economic situation and welfare would have been less grim. The success of the Reformation was possible not only due to Martin Luther’s firm faith, theological beliefs and the character of his personality, but also to the whole context involving the German princes, his collaborators (Philipp Melanchton, Georg Spalatin), the opposition of the Catholic Church and the Pope. These acted not only as combative elements, but also as a prompter of their own interests in that those of the Catholic Church and of the Pope were directed to other aims as well apart from those of Martin Luther. Today, the term has exceeded by far the limits strictly associated with the religious reform debate as it was generated by Martin Luther. At present, the term has become a concept that designates a phenomenon, a common and necessary process in science, technology, culture, art, and society. Regarding the theme of reform and Martin Luther’s personality, Mircea Eliade, from the earliest papers dealing with the issue of religion, stated, “Reformation was an unforgettable experience, having its roots in the essence of primitive Christianity (sec. I), in religious necessities of the Germanic spirit, in the excesses of scholasticism and of the Papacy.”⁷ In this short article,  Mircea Eliade, “Between Luther and Ignatio de Loyola,” in Romanian Prophetism 1. Spiritual

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Mircea Eliade also discussed the aspect of counter-reform, as there can be no discussion of reform in the absence of a discussion of counterreforming and the exercises of spirituality of Ignatius of Loyola. Another personality with strong ties to German philosophy, and not only to the philosophy mentioned by Mircea Eliade, is Rudolf Steiner, whose pedagogical work cannot be understood without a profound knowledge of a whole series of theological, philosophical and scientific foundations. Seen as the cause that broke the power of control, and the unity of Catholicism, it opened the way to autonomous culture, based not on a transcendent sanction, but on intrinsic values and their influence. “After Luther, the state does not legislate for the souls. The secular power cannot inspire the faith nor stop the unbelief,”⁸ affirms Oţetea. Returning to Mircea Eliade’s point of view, he emphasized the role that the invention of the printing press had on the development of what we designate Martin Luther’s reform: “Lutheranism was, from the beginning, the baby of the printed book: with this vehicle, Luther was able to convey, with force and accuracy, the message from one end to the other to Europa.”⁹ We can affirm this by making a slightly forced analogy that Gutenberg’s invention was the Internet of that time which was used by the reformers in an extremely efficient way. Current projects for the digitization of local and regional archives, and not just documents from the time of reform, but ones related to the phenomenon, highlight the way of organizing Luther’s entire approach, not only religiously, but also from the administrative point of view. One of the successes of the reform was the concern to promote Martin Luther’s personality, not only as a theologian, but also as an educator. This image was carefully elaborated and promoted in the pamphlets and publications of the time, as well as in the paintings and representations by those artists who also worked for the reform. Whether the contact between the populations that adopted the Reformation and the others that remained Catholic, or those who adopted other levels of thought, formed a dynamic in the Reformation which led to a better set of relationships, is a matter of research, not only for theologians but also for anthropologists, sociologists, ethnographers and cultural researchers, to name only a few. The case of Transylvania would be a good starting point. The German population adopted the reform due to the work of Johannes Honterus (1498 – 1548).¹⁰

itinerary, Letters to a Provincial, The Destiny of Romanian Culture (Editura “Roza Vînturilor”, Bucureşti,1990), 56.  Acad. A. Oţetea, Renaissance and Reformation (Editura Ştiinţifică, Bucureşti, 1968), 282.  Mircea Eliade, The History of Religious Ideas, Vol. 3 (Editura Ştiinţifică, Bucureşti, 1991), 232– 233.  G. Nussbächer, Johannes Hinterus Monography (Editura Kriterion, Bucureşti, 1974.

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The interest in approaching the Romanians on the way to reform also led to preparations in this sense, and Moldavia and Walachia were added to the movement the Reformation generated. The whole idea collapsed, and the further competition for supremacy on the part of Calvinism and Catholicism and other concerns in the region was not beneficial for any of the people in the short and long run.¹¹ The contact of the Romanian culture and civilization with the ideas specific to the reform has a long history, which begins with the reformist ideas of the Hussites¹² and continues throughout history by the long contact with German communities in Transylvania who accepted the reform of Martin Luther, leading to the opening of the first Lutheran church in Bucharest during the Phanariot Era ¹³ and with the contact with other communities that have adopted different types of confessions of faith generated by the reform. How the history of the 20th Century affected these communities has led to effects and situations whose healing and solving transcends time and individual ability. Notwithstanding the challenges of history and those of the 20th Century, this is an example we have which adequately emphasizes the cultural contribution of these types of communities, as well as the reconciliation that prevailed over all the difficulties the 20th Century has brought with it. But the question of Reformation should also be applied to other religions. Many scholars today claim that the course of events in other religions, the unrest and uncertainty that existed, is due mainly to the fact that these religions lacked levels of Reformation movements which would have been relevant to changes in society and would have meant that they were relevant today. When thinking of the Reformation and the impossibility of isolating it from real life and society, it would be interesting to associate it with another theory that caused a lot of excitement during the second half of the 19th Century, namely Darwinism and social Darwinism. To what extent we can go with isolation and unification is difficult to quantify. Nevertheless, the Reformation has entered our daily lives in various ways and degrees. These have become symbolic and retain this symbolic capacity although its meanings have changed depending on the type of new emerging context. It is these rapid changes and their nature that

 Oţetea, 282.  F. Păcurariu, The Romanians and Hungarians Along the Centuries (Editura Minerva, Bucureşti, 1988).  T. Dinu, The Phanariot Bucharest, Vols. 1 (Editura Humanitas, Bucureşti, 2015), 269 – 271.Permission to build the church was given based on a hrisov(charter) today lost from 29th April 1751 probably in addition to earlier documents and others of a later date. More details about the Phanariotes are available at: https://en.wikipedia.org/wiki/Phanariotes.

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are increasingly difficult to make relevant from a Reformation perspective to the present-day individual, due to the high speed with which they emerge, and to the low capacity of the individual to process such a high-speed influx of data and cope with situations, some which involve more than a mechanical or quantitative approach. These involve the existential and psychological dimensions and capacities of being, beyond their capacity for adaptation and resistance, either psychologically or biologically. Lux in Arcana is the catalog for the exhibition held at the Museum Capitolini in Rome organized in the period between February 29 – September 9, 2012, celebrating the 4th centenary of the Vatican Secret Foundations. It presents a series of documents prepared by the Vatican on historical, religious and social events among others. Included is the decree, Decet Romanum Pontifx, issued by Pope Leo Xth regarding Martin Luther’s excommunication from the Catholic Church.¹⁴ In the Preface to the catalog, his Excellency Mr. Giovanni Alemanno, Mayor of Rome, affirms that the exhibition is “A historical narrative rigorous which equips the visitor [addressing visitors as the volume is the catalog of] in order to enjoy some famous events of the past and ‘relive’ the glories and mysteries of history that began in Rome and became universal.”¹⁵ These statements are also valid with reference to the event that is the subject of the present Congress. Indeed, even if the 500 years history of reform has consecrated its universality, it lets us answer the question, “What reforms will there be for the future?” as the past 500 years have shown us that reform is actually central to the dynamics of faith and life.

3 The Present-Day Quest and the Meaning of Revolution The 20th Century has ended on a high note in terms of revolution, especially with regard to Central Europe. Revolution claimed a two hundred years’ anniversary in 1989, but to what extent the concerns of the various revolutions have materialized and matured is another face of the quest as well as the extent to which the respective concerns have already merged into other priorities. Since prehistoric times, changes in peoples’ consciences were marked by the erection of a carved stone, a monument, an inscription, sacrifices of various kinds or other

 Capitoline Museums, IVth Centennial of the Foundation of the Vatican Secret Archives, Under the High Patronage of the President of the Italian Republic: Lux in Arcana. Capitoline Museums, Rome, 2012, 120.  Ibid, 9.

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means, acting as an external sign in order to mark the inner transformation of conscience. The Old Testament bears witness to many events of such a nature, either the giving of the Law to Moses, the discovery of the Law, and many others such events that have marked peoples’ covenant to change their lives for the better and in service to God, although these events are not labeled as revolutions in the way that we think of them today. Since 1789, the panorama has opened, and whatever the ideative material – whether it is a categorical imperative such as “Liberté, fraternité, égalité, ou la mort,” reenacted during the year 1848 on a different scale, or during 1917, based on a proletarian emphasis, or labeled using operatic props such as the “Velvet Revolution” or the painter’s palette in terms of the “Orange Revolution” for the recent ones – the events move on. It is said that some revolutions have opened the way to a peaceful transition from one type of consciousness to a new one. In other cases, the transition has followed an interminable track and has been paved with ups and downs. It never seems to get to an end, despite being built on good intentions. In the face of existential or catastrophic situations, governments have always claimed to have other concerns, and Central Europe is no exception! In a similar way – in terms of both situations – either we speak of reformation or of revolution having opened and introduced a gallery of terms, concepts and typologies into daily life: reformation, reformer, reforms, revolution, revolt, revolutionary, revolutionist – the list can continue – not forgetting civil war staged in various scenarios and costumes. These are accompanied by, and determine, specific types of action or actions, specific types of individual and group psychology, involving causes and effects, ideals, hopes, strategies and practices in order to attain these, disappointments, lost hopes, drama and hopes for the future. Reform and revolution do not touch only upon social life which makes these usually a favorite subject for debate and talk. Rather, reform and revolution have made their mark upon the hard sciences, encompassing the Industrial Revolution, the Scientific Revolution, and the Internet, the impact of which has been difficult to observe and predict. Its impact was shown by the loud discussions about the historical events surrounding the end of the 20th Century, among them a string of revolutions. The role of mass media was not ignored in the thinking of Paul Tillich and one of his most distinguished students, Theodor W. Adorno (1903 – 1969). The present interpretation of history will have a lot to consider in terms of the contribution mass media, Internet communication, and the new trend of “fake news,” or whatever global technology may issue and generate. There is another challenge for the classical concept of liberty which was one of the main concepts associated with both revolution and the Reformation, for the latter in terms of interpretation of scripture. The Internet revolution is closely associated with the concept of liberty in the virtual space. Most of the important concepts related to the theme of

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the Congress have made their entrance into virtual space in accordance with the dynamics of cyberspace. If classical history gives us precise dates and periods in terms of the traditional events we learned about from history books, these had a beginning and an end in virtual space. The events are ongoing while we are still asleep. The syntagma, “Cultural Evolution,” is so rarely used that, according to the Hofstedes and Minkov, a search engine test generated the alternative of “cultural revolution.”¹⁶ According to the same authors, the future of our culture is determined by the fact that although moral circles could be extended, cultures are reluctant and quite opposed to change.¹⁷ Recent events can offer us enough proof as to how the demonic, to use a concept much discussed by Paul Tillich, has wrapped its tail around and entangled the whole world through the virtual space. Indeed, one may dare to ask, can we use the remarkable events of 1789 or the philosophy of Schelling, or the metaphysics of morals as built by Kant to interpret the meaning of liberty in the 21st Century? Can we take them along with Tillich’s concept of liberty and his concept of ultimate concern into the virtual space beyond the 20thCentury in a practical, efficient and satisfactory way?

4 Reformation, Revolution and Ultimate Concern In many of these situations, the theologian has played a central role, either as a victim or as a guiding leader. To return to the particular context of Transylvania during the 18th Century, it was marked by the policy of the Austrian-Hungarian Empire and the social context of the time. This offers some examples as to the way in which the ultimate concern was to look for it to be encompassed in faith and deeds. Having failed to accomplish the promises that led to the split of the Orthodox Church and the new Uniate Church¹⁸ with Rome, one of its leaders – Samuel Micu-Klein (1745 – 1806)¹⁹ – ended his mission in exile in Rome, while the prominent personality of the Orthodox Church in Transylvania -Bishop Andrei Şaguna (1809 – 1873)²⁰ put forward a theological work promoting the re-

 G. Hofstede, G.J. Hofstede, M. Minkov, Cultures and Organizations. Software of the mind. Intercultural Cooperation and Its importance for Survival (Traducere din limba engelză de Mihaela Zografi. Cuvînt înainte la ediţia în limba română de Cosmin Alexandru. Editura Humanitas, Bucureşti, 2012), 452.  Ibid., 455.  https://en.wikipedia.org/wiki/Eastern_Catholic_Churches  https://en.wikipedia.org/wiki/Samuil_Micu-Klein also Pall. 1997.  https://en.wikipedia.org/wiki/Andrei_%C8 %98aguna

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turn to the sinodality of the early church. The systematic structure of his synodal thought is to be found for the most part in the work genericaly wellknown under the title “Anthorismos”. It was a response to various points of view and to critics of his work at the time.²¹ In front of the first state dignitary and in front of minister Thun, two fervent Christians, Andrei Şaguna has defined, as such, the church as being the keeper of unaltered aposotlic and patrisitc faith, but he has not reduced the ecclesial borders to the limits of Orthodoxy, which, although he has defined it as rightousness, has not considered the only true church of Christ, avoiding, as such, to fall in the same exclusivist ecclesial thought sustained by the Church of Rome, which was continuing to see itself as the only one possessor of apostolic faith.²²

At the same time, the contemporaries of Şaguna from the Lutheran church in Transylvania were “drawing with clarity their cultural identity, national and confessional, circumscribeing to it a clear german definition, from ethnical point of view, and protestant of lutheran nuance, from the confessional point of view.”²³ Documents such as “Ecclesia Theutonicorum Ultrasilvanorum” and “Ecclesia Dei nationsis Saxonicae” which adopted “Confessio augustana” in Mediaş on 22nd of June 1572 have acted as their initial and firm foundations for this purpose. In fact, all these stand in line with the tradition of theological systematic thought. This shows throughout church history the intention to materialize in a textual form and in a normative form the will of God for the people in a particular context at a particular moment of time. However, they have the eternal purpose as a reference. This particular situation of both Orthodox and Lutheran confessions and their concerns are related to the particular context of the 19th Century marked by the 1848 Revolution. It is organically explicitated in the analytical work of Mircea-Gheorghe Abrudan.²⁴ The reference and the foundations of social life in the examples of various ecclesial constitutions bring to the foreground the example of Dietrich Bonhoeffer and the type of church life he emphasized and tried to practice, by living and offering a sacrificial example in troubled times and times of sorrow.²⁵ In Bonhoeffer’s situation, we have the example of the

 M-Ghe. Abrudan, Orthodoxy and Lutheranism in Transylvania between the 1948 Revolution and the Great Union: Historical Evolution and confessional Relationships (Editura Andreiană/ Presa Universitară Clujeană, Sibiu/Cluj-Napoca, 2015), 660.  Ibid.,, 523.  Ibid. 21, 579.  Ibid. 21.  E. Metaxas, Bonhoeffer. Preot, martir, profet, spion. Un neprihănit printre neamuri împotriva celui de-al treilea reich. Cuvânt înainte de Timothy Keller (Editura Scriptum, Oradea, 2016).

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role of the Confessing Church. To close a series of examples, I shall refer to the systematic work of another remarkable theologian from the Romanian Orthodox church, namely Dumitru Stăniloae (1903 – 1993).²⁶ We do not need to look too closely to realize that all the religious thinkers referred to faced a great many challenges and trials during their lives. These include Tillich and Bonhoeffer. And Dumitru Stăniloae is no exception. His concern is the restoration of man through Jesus Christ, and one key concept in this sense is the deification of man. For Stăniloae:”Christianity grants an overwhelming importance to the person of Jesus Christ within its dogmatics as no other religion grants to its founder.”²⁷ On the other hand there is a “Link between the Jesus raised (to heaven) and the historical mankind”²⁸ and this is evident in the fact that: “Tradition is the permanent presence of the unchanged God, in time and history.” Also, Tradition is the link with the people before me and with heaven, in the same time. […] Tradition is eternity over time, the only form of eternity which does not cancel the time, but it values it. Tradition is the same living voice of God echoing in every time and shedding in the souls the infinity of meanings and of faith […] But in the community of the Church does not speak only God, but community too. Its voice is prayer.²⁹

The starting point of Stăniloae’s theology is the concept of revelation of which he makes disjunction between natural and supernatural revelation: […] the content of natural revelation is the cosmos and the man endowed with reason, consciousness and liberty, the last one being not only any object to be known of this revelation, but also the subject of its knowledge. Both man and cosmos are the product of an act of creation beyond the nature by God and are maintained in existence by God by an action of preservation, which also has a supranatural character. But this action of preservation and leadership of the world towards its purpose, faces a power and a tendency of self-preservation and right development of cosmos and of man. From this point of view cosmos and man can be considered in themselves a natural revelation.³⁰

The situation of man is extensive and ongoing as “Man is open to new superior meanings and, by him, the world.”³¹ The relationship between natural revelation and supranatural revelation, between man and God, is defined as follows.  https://en.wikipedia.org/wiki/Dumitru_St%C4 %83niloae  D. Stăniloae, Jesus Christ or The Restoration of Man (Editura Omniscop, Craiova. 1993), 197.  Ibid., 374.  Ibid. 27, 390.  D. Stăniloae, The Orthodox Dogmatic Theology, Vol. (Editura Institutului Biblic şi de Misiune al Bisericii Ortodoxe Române, Bucureşti, 1996), 11.  Ibid. 29, 15.

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Through supernatural revelation, “The infinite and eternal person enters from his own initiative in communication with man, giving a background to our communion with the others … Because of supernatural Revelation, the supreme being, the finalaim of the rational creature, and the way towards it are known by this in a clear way, how it would have been known by its standing in natural revelation,” supernatural revelation’s light projected over nature. Supernatural revelation acts and intervenes in human life: “In fact supernatural Revelation has accompanied since the beginning – first in the life of the people, then in a special way in the life of the people of Israel – natural revelation.”³² The cause of all evil may be explained by the matter of revelation. “There where supernatural revelation did not accompany natural revelation and where this was left alone, severe darkness of the natural faith in God occurred, giving way to pagan religions, with very unclear ideas about God, which in many situations made confusion between Him and nature and made uncertain the persistence of human person in eternity.”³³ This systematic approach is a marvel of thought, and although it stays in line with the work of such predecessors as Chrestos Androutos (1869 – 1935)³⁴ which was highly esteemed and also was translated by Stăniloae, it offers a more blended and harmonious synthesis from a purely theological point of view, rather than the dogmatics of one kind or another.

5 Future thoughts Although solutions are what mankind longs for, and are desirable, we still have to consider the quest and questions for many of today’s concerns. The background and the results in many situations of the terms reformation, revolution and war are catastrophic. Despite speculations, as well as illusory and derelict global solutions, we still have to deal with our present day ultimate concerns and anxieties, while hoping for the practical and satisfactory solutions that societies need. In his evaluation and discussion of the politics and theology of the four representative thinkers – Paul Tillich, Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer and Emil Brunner – René de Visme Williamson concludes with regard to Tillich by drawing a parallel with Rousseau, followed by an example from Voltaire: “The problem is to find a form of association which will defend and protect with  Ibid. 29, 22.  Ibid., 23.  Hristu Andrutsos, The Dogmatics of Eastern Orthodox Church, trans. Dr. Dumitru Stăniloae (Editura şi Tiparul Tipografiei Arhidicezane, Sibiu, 1930); and Hr. Andruţos, The Symbolic, trans. Iustin Moisesu (Editura Centrului Mitropolitan al Olteniei, 1955).

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the whole common force the person and goods of each associate, and in which each, while uniting himself with all, may still obey himself alone, and remain as free as before.”³⁵ Consequently, Paul Tillich has left us with a lot to cope with. His systematic construction comes as part of a long tradition of thought, and it has emerged as a natural way to stand in this tradition. We only have to think about some of his models and examples in the philosophical tradition of thinkers such as Schelling and Kant. I mentioned Schelling first as his stellar model, and Kant as the great founder of German philosophical idealism. On the other hand, the scientific approach is not neglected as is evident from his early writing. His systematic construction reflects his scientific approach to theology. It is left to us to think as to how his whole pantheon of thought would have been influenced had he lived longer after his encounters during the History of Religions’ seminars. However, even if his systematic theology serves as a normative example, scientifically and theologically, and there is still usually a long distance between the constructions and realities (between word and act) of everyday life, it still proves its relevance to today’s society and to the human predicament, despite the fact that most of the solutions belonging or proposed by the science of theology do not lay always in the hands of the policy makers of postmodern societies. Has the nature and essence of “ultimate concern” changed since Tillich and the arrival of globalization? It might also be possible that this change had already taken place. Would it be necessarily another challenge, determined through and by a new revelation? Tillich, thus far, was firm: “The description of the meaning of revelation was supposed to cover all possible and actual revelations, but the criterion for revelation has not yet been developed,” and “From the point of view of the theological circle, actual revelation is necessarily final revelation, for the person who is grasped by a revelatory experience believes it to be the truth concerning the mystery of being and his relation to it.”³⁶ Even if, between the theological ultimate concern and the other mundane concerns, there are still many incongruities and human uncertainties, we can be encouraged in our daily predicaments and concerns to apply to Tillich thoughts an analogy to Luther’s famous call: “Here we stand!”

 R.W. de Visme, Politics and Protestant Theology: An interpretation of Tillich, Barth, Bonhoeffer and Brunner (Louisiana State University Press, Baton Rouge, 1976), 34– 36.  Paul Tillich, Systematic Theology, Vol. 1 (Chicago: Univ. of Chicago Press, 1951), 132.

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Life, Being, and Spirit in Paul Tillich’s Differential Monism: Presuppositions and Consequences During the 1950’s Tillich moved in the direction of a monistic, multidimensional and differential view of reality. He said: “There IS no super-world – or as Nietzsche has called it Hinterwelt, “world behind the world” – but there is ONE world and different qualities and different dimensions, and the difference of the ground and that which is grounded in it, and so on”.¹ This monism is characterized by interaction, co-operation and interdependence, and most of all by qualitative differences. “For life”, Tillich said, “can mean interaction of all actual things”.² He also said that “it’s all a unity” and God “works always everything in everything”.³ God works, so it seems, with and through potentials. Tillich’s position became what could be called differential monism. In that move there seems to be no decisive change of categories of understanding for Tillich’s part but the change of emphasis: the experience of life is brought in the center of understanding; being and the power of being in individuals is understood as an expression of life; the human spirit and the Divine Spirit interaction explicates life. He saw the possibility of “a full philosophy of life,” and the living God could be seen in the light of that philosophy as well.⁴ I think there was a revolution and reformation going on in Tillich’s thinking, revolution in the sense of returning and turning back to the beginning; he saw the possibility of a new start. In a philosophy of life, the expressive and holistic categories come forward, so could Tillich say that concepts are “constellational concepts”.⁵ Such concepts express powers and forms of life; life is formed in certain ways and conceptions are internal to those formations. After Tillich had finished Systematic Theology III, he wanted to write a new book, which would start from the experience of life; a new field and a new possibility of philosophical thinking and political thinking opened itself up in him. To explicate Tillich’s new, holistic understanding of life, the unity of life could be

 Paul Tillich, “Three Lectures/Discussions,” bMS 649/39 (1) 1957, 19. Paul Tillich Archives at Andover-Harvard Theological Library, Harvard Divinity School (hereafter referred to as PTAH).  Paul Tillich, “Lecture III: The Problem of Evil,” bMS 649/41 (14) n.d., 4. PTAH.  “Three Lectures/Discussions,” 12, 19.  Paul Tillich, “Philosophical background of my Theology,” bMS 649/68 (17) 1960, 10. PTAH.  “The Problem of Evil,” 2. https://doi.org/10.1515/9783110668124-017

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characterized as a ‘holarchy’ which is Arthur Koestler’s constellational concept. It does not matter so much where we start while using ‘holarchy’, as all is a unity. While ending his systematic theology with the doctrine of spirit, Tillich wrote that it could have been started, perhaps should have started, with the doctrine of spirit.⁶ This also speaks for the weight Tillich gave to the doctrine of spirit in understanding life. Life in Tillich’s view is paradoxical, dialectical and ambiguous; there is yes and no, there is showing and hiding. “Life”, Tillich said, “expresses itself in finite manifestations, it hides itself by expressing itself”.⁷ Tillich seemed to have thought that growing spiritual awareness and maturity opens up life or rather, life opens itself in us. Life-experience is an event. What we have of the living God is a gift. “God can only by known through God. God cannot be known by the work of the intellect which argues for God,” Tillich argued.⁸ In a philosophy of life, God is a living God. What we have of God is not from us. The view implies that different dimensions like the material, psychological, social and spiritual dimensions are kept apart from each other, but they also have crossing-points. There is, Tillich said, “the monistic within each otherness of dimensions.”⁹ This does not mean that there is no possibility to keep the dimensions – for example, the psychological and the spiritual – apart from each other. A new holistic view came through in which a certain understanding of life played a crucial role. Here I try to lift up Tillich’s understanding of life in this “late” monistic view, trying to say something of its presuppositions. In addition, I also discuss the view in relation to recent philosophical and political thinking. It is to be stressed that the view is a non-reductionist and openended view, giving acknowledgement to the materiality of life without reducing all life to matter as ontological category. In recent philosophy and theology, the discussions considering materiality are at the center of interest: there is the new materiality. Tillich has important things to say about materiality or the material conditions of individual, social, cultural, religious and universal life. His thinking is to be brought in dialogue with recent philosophy. At the end of his life, Michel Foucault (to give an example of possible dialogue) became more and more interested in the interactional perspective and in the possibility of spiritual

 Paul  Paul  Paul PTAH.  Paul

Tillich, Systematic Theology, Vol. III (Chicago: Univ. of Chicago Press, 1963). Tillich, “Lecture IV: The Self-Manifestation of Life,” bMS 649/45 (7) 1958, 2. PTAH. Tillich, “The Idea of God as Affected by Modern Knowledge,” bMS 649/82 (15) 1957, 4. Tillich, “Lecture I: Ambiguities of Life,” bMS 649/45 (7) 1958, 5. PTAH.

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existence.¹⁰ Foucault’s analysis has had a decisive influence for Judith Butler, who also fights against repressive systems of morality and speaks for the materiality of living bodies.¹¹ For Tillich, the monistic non-hierarchical view helps to fight repressive systems of morality.

1 Presuppositions In his, Civilization and Its Discontents, Freud asked if death-instinct had an upper hand in Western civilization, if it were stronger than life-instinct.¹² There is a struggle between eros and thanatos, but which one of them is stronger, Freud asked. Freud saw two powers in the human soul: the positive, life-promoting eros and the negative, life-inhibiting thanatos. In Tillich’s differential monism, the positive and the negative in the soul and in being, even in the being itself, are expressions of the dynamic powers of life: they link the individual to something pre-individual. Vitality does not come from the person only but from being: the powers of being are dynamic vital powers. Being is now understood from the position of life-experience, from the below. There is, Tillich said, “a form in which vitality fulfils itself. ’Vitality’ is from ’life’.”¹³ Given recent philosophy, we should observe that Tillich talked about a form in which vitality from life fulfills itself. In the “late” Tillich, form or forms are congruent with life. In 1932 Freud gave a lecture called “A Philosophy of Life,” asking whether psychoanalysis could reach the status of Weltanschauung, a comprehensive explanation of life.¹⁴ His answer was “No”, this is not possible as psychoanalysis cannot meet the demands of the scientific view, which, for Freud, were those of natural or empirical sciences. It is not that lecture that I discuss here, but I want to point out the title, “A Philosophy of Life.” What we find in recent philosophy is not some total and complete explanations of life, the philosophies of life or the world-views. What we find instead is a claim on the practice of

 “Perhaps I’ve insisted too much on the technology of domination and power. I am more and more interested in the interaction between oneself and others.” Michel Foucault, Ethics: Subjectivity and Truth (New York: New Press, 1997), 225.  Judith Butler, Bodies That Matter. On the Discursive Limits of “Sex” (London: Routledge, 2011).  Sigmund Freud, Civilization and Its Discontents (New York: Dover 1994).  Paul Tillich, “Questions and Answers,” bMS 649/39 (2) 1960, 8. PTAH  S. Freud, “Lecture XXXV: A Philosophy of Life (1932),” in New Introductory Lectures on Psychoanalysis (London: Hogarth Press 1933). https://www.marxists.org/reference/subject/philoso phy/works/at/freud.htm. Accessed 2017– 12– 27.

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life: “The truth, if it is there, is a being, is a life. (…) Only then do I in truth know the truth, when it becomes a life in me. Therefore, Christ compares truth to food and appropriating it to eating, (…), so also, spiritually, truth is both the giver of life and the sustenance of life, is life.”¹⁵ This was written by Kierkegaard in one of his last books. In Tillich’s view, there is no duality between matter and spirit, between food and the spiritual dimension; the Spirit with capital S is present in matter, in food. “In the atom”, Tillich wrote, “the spiritual power which produced Shakespeare’s Hamlet is potentially real, just as in the spiritual act which produced Hamlet, there participated the movement of the atoms”.¹⁶ Matter has its potentiality. Creation means the creation of potentials. Commenting on the new view, in which there is an integral relation between matter and spirit, he claimed: “If this is materialism, theology has the duty to be materialistic”.¹⁷ Deleuze wrote, “Fichte, in his last philosophy presents the transcendental field as a life (…) it is an absolute immediate consciousness whose very activity no longer refers to a being but is ceaselessly posed in a life”.¹⁸ Deleuze’s is vitalism, materiality and expressive philosophy. I think Tillich would not have any difficulties with the new materiality as we find it in the latest philosophy. Agamben, in his seminal work, Homo Sacer, points to bare life. Politics, as we know it in the Western civilization, is built on “an inclusive exclusion”. Western metaphysics since Aristotle, Agamben writes, has differentiated between two conceptions of life: zoe and bios. Zoe, the bare natural life of individuals, is separated from bios, from the politically qualified life or way of living in the city. In modern world, zoe has become the “other” of biopolitics in the relation of inclusive exclusion: the powers of biopolitics attack the bearers of bare life.¹⁹ In Agamben’s view, zoe and bios are “the fundamental categorical pair of Western politics (…) of bare life / political existence.”²⁰ In biopolitics, as we know it today (Agamben builds on Foucault here), the powers of bios (scientifically and politically construed views of life, for example, in life-science) have power over zoe. Since the differentiation, the political categories have been double: in jurisdiction we have the sovereignty of the law or of the ruler and the state of exception. Agamben writes, “At once excluding bare life from and capturing it within the political order, the state of exception actually constituted, in its very separate-

 Soren Kierkegaard, Practice in Christianity (Princeton: Princeton Univ. Press, 1991), 206.  Paul Tillich, “Dimensions, Levels and the Unity of Life,” bMS 649/82 (17) 1958, 7. PTAH.  Paul Tillich, “Lecture II: Ambiguities of Life,” bMS 649/45 (7) 1958, 11. PTAH.  Gilles Deleuze, Pure Immanence. Essays on A Life (New York: Zone Books, 2002), 27.  Giorgio Agamben, Homo Sacer: Sovereign Power and Bare Life (Stanford: Stanford Univ. Press, 1998), 8.  Ibid.

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ness, the hidden foundation on which the entire political system rested.”²¹ Bare life is now in the state of exception, outside the protection of the law: the inclusive exclusion is there. In political life, those in charge of biopolitics and biopower and its jurisdiction are able to exterminate bearers of bare life or people who they have placed in the state of exception. “Nazism and fascism”, Agamben writes, “transformed the decision on bare life into the supreme political principle.”²² The Homo Sacer, the bearer of bare life, is the one who is allowed to be killed, for example through excommunication, through proclamation of belonging to inferior race or of possessing defect mental capacities. In Europe, given the migration, the state of exception seems to have become a permanent state. Biopolitics in the modern world has turned into thanatopolitics, Agamben writes.²³ One could say thanatos rules over eros. Only when zoe and bios become one again, when the separation between them is overcome, are we able to have, he wrote, “a completely new politics‒that is, a politics no longer founded on the exceptio of bare life”.²⁴ In Tillich’s monistic view, the separation is overcome and a new politics becomes possible: biopolitics with its abstractions no longer rules over life any more. Prior to politics is ontology. Agamben is searching for an ontology in which the binary excluding categories are no basic categories any longer and in which bios and zoe are brought together, when bios is only its own zoe. ²⁵ He thinks that the new politics and with it new ways of living will not start before we think the relation between actuality and potentiality through, giving potentiality/impotentiality its full weight. Considering the coming philosophy, Agamben wrote, “The concept of life, as the legacy of the thought of both Foucault and Deleuze, must constitute the subject of the coming philosophy.”²⁶ He coined the conception of “form-of-life” as a possible way forward. Life forms itself or is formed in a certain way in the event of life, in life-experience. Agamben writes: If we give the name form-of-life to this being that is only its own bare existence and to this life that, being its own form, remains inseparable from it, we will witness the emergence of a field of research beyond the terrain defined by the intersection of politics and philosophy, medico-biological sciences and jurisprudence.²⁷

 Ibid., 9  Ibid., 10.  Ibid., 142.  Ibid., 11.  Ibid., 188.  Giorgio Agamben, Potentialities: Collected Essays in Philosophy (Stanford: Stanford Univ. Press, 1999), 238.  Agamben, Homo Sacer, 188.

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Life as experienced life might give an initial starting-point for new thinking. The named philosophers see the new possibility in lived life, when life shows itself from itself. Tillich was driven into a similar position. And not only that, Tillich more and more started to understand form as a form of life, as life is formed out of itself. This, I think, is the bottom-line in our understanding of form as a constellational conception: forms are forms-of-life. Form as a constellational concept starts to appear in Tillich’s writing in the end of 1950’s and in the beginning of 1960’s, for example in his interpretation of justice as creative, transforming and reuniting power of life. If we start to understand life in terms of “the universal dynamics of life”, he wrote, “driving towards the reunion of the separated, justice can be understood as the form in which the reunion occurs”.²⁸ Here life-experience lies at the root of understanding justice. Form, if we now try to locate Tillich’s use of this constellational conception, is to be taken in the most comprehensive sense. Justice is not only understood as personal or social justice, as reconciliation and healing of broken trust on the individual level, but justice considers all life. Justice is realized in the universal life: in the ecological, universal, bodily life in all things, in all individuals, not only in humans. There is, Tillich writes, “the movement of reality as a whole (that) enables some potentialities to become actual. (…) The actualization of the spiritual dimension presupposes the actualization of the inorganic.”²⁹ Justice, which we find in the spiritual dimension, presupposes the movement of reality as a whole. Ecologists speak about the more-than-human world, meaning that there are even other living beings than human beings who put a claim on justice for their own part. Justice in Tillich is in the human and in the more-than-human world. All things, as they belong to life-reality, have an intrinsic claim on justice. As a consequence, justice is placed beyond jurisprudence. It is not jurisprudence that defines justice here, but lived life-experience gives the understanding of justice; there is a form-of-life in which justice happens. As far as I can see, this opens up a completely new and revolutionary field for understanding justice. Tillich points out the basic elements of biopolitics and he even moves beyond it. Biopolitics is to let an abstract image of a thing to rule over that thing.³⁰ In biopolitics a thing is understood from the position of its abstract image or mental figure; abstract essentialism makes biopolitics possible. When things are understood from the position of mental image or abstraction, injustice is done to them. In differential monism, a thing is to be understood from itself:

 Paul Tillich, “Is A Science of Human Values Possible?” bMS 649/82 (13) 1957, 8. PTAH.  Tillich, “Dimensions,” 7.  Tillich, “Is a Science,” 6 f.

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difference makes the differential monism possible. A true understanding of things and their value come from themselves. A thing should be understood, Tillich wrote, “from the point of view of its potentialities, as a tree [a thing] for itself”, there is “an objective value” for everything as such, “the value of a thing for itself”.³¹ The principle of difference in built in the differential monism, that is, each thing is there on its own right, possessing its own value and potentiality. A consequence of this position is that things cannot be used as means, for example in food production and in economics, as they have value in themselves. Another is that our actions should be those of empowerment. This position, to give a plain consequence, would change the world. Things and people should be admitted as they are in themselves; we know that only love can do that.

2 Life Is Interaction There is in Tillich’s view the “patternization” of the self by social and cultural processes.³² This is the formal side of life-experience. Life as the process of self-transcendence is the material side: “Going out from one’s self and returning to one’s self characterizes life under all dimensions.”³³ In any holistic approach, the formal and the material side are brought together. Tillich thought that life as we experience it is interaction. There is, he wrote, an “interaction of everything with everything within the universe of being”.³⁴ There is no body without the spiritual dimension and there is no spiritual, transformed body without the traces of that what the body has gone through in history. “If we speak”, he wrote, “of the dimension of the inorganic, we see it always present in the dimension of the spiritual and vice versa: they do not interfere with each other.”³⁵ The material dimension is not deduced from the spiritual, not the spiritual from the material dimension: they are there on their own, still interacting with each other, making the universe into a living whole. The dimension of the inorganic is the material body; through the unconscious we have a share in this dimension. In Tillich’s view, it is the whole material universe that is the material body. “The earth”, Tillich said, “participates AS SUCH – as the productive GROUND for everything – IN

 Ibid., 6.  Paul Tillich, “Conformity,” bMS 649/82 (5) 1957, 2. PTAH.  Paul Tillich, “The Meaning of Health,” bMS 649/83 (13) 1960, 13. PTAH.  Tillich, “Lecture I: Ambiguities of Life,” 3.  Paul Tillich, “The Idea of God as Affected by Modern Knowledge,” bMS 649/82 (15), Nov 1957, pp. 6 f. PTAH.

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the human situation”.³⁶ Even if it is only poets that give “FEELING for this participation”, he continues, “it has great consequences, theologically,” he said.³⁷ In his last sermons, he draws out the consequences. The earth as the productive ground for everything has not played a central role in theological thinking; we see what is happening in the Western Christian world to the earth and with it to the human body, through pollution and climate change. It is through the body we have being and history (natural and cultural), i. e., the world. The human body and the human spirit have evolutionary background: there are the natural and the cultural evolutions, perhaps running parallel to each other, forming us in our body and soul. In that sense we are products of history, structured and formed by history and actual psychological, social, and cultural processes in time and space. Archetypal structures, for example, have their place in those processes. Jung thought that archetypes are equivalent to the DNA-structure in our body and he even thought that there might be some connections between the two, between matter and spirit.³⁸ Jung also thought that archetypes are potentials of experience, the myths, sages, stories, religions and ideologies, all containing different kinds of symbols, are their actualizations in and through the psyche. Tillich argues that archetypes “are potentialities while the symbols are actualizations.”³⁹ He writes that Jung’s discoveries reach deep down into the ontological dimension, into being. “In taking the biological and by necessary implication the physical realm into the genesis of archetypes,” Tillich wrote, “he (Jung) has actually reached the ontological dimension ‘imprinted upon biological continuum.’”⁴⁰ It might be asked if Jung had explicated the roots of what Kant called the active imagination, Jung was a kind of a neo-Kantian. Tillich on his side thought that the “Urgrund,” which is prior to that what it is in humans, “expresses itself first in archetypes which are potential, then in symbols which are actual.”⁴¹ Tillich seemed to have thought that some way or another we have access to those dimensions in which the potentials of being and even of being itself touch the human potentials. The really revolutionary question is if Tillich thought that the human potentials and the potentials of the being itself touch each other. I think we might an-

 Tillich, “Three Lectures/Discussions,” 11.  Ibid.  C. G. Jung, Aion: Researches into the Phenomenology of the Self (Princeton: Princeton University Press, 1968), 179.  Paul Tillich, “The Significance of Jung’s Concept of Archetypes for the Problem of Religious Symbols,” bMS 649/84 (3) 1961, 2. PTAH.  Ibid.  Ibid.

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swer that question affirmatively, as it is the interaction between the human potentials and the potentials of the being itself that make essentialization understandable. In differential monism, it is possible to differentiate between the ground (with its potentials) and that what is grounded in it (the human potentials, for example, the potentials of the body and of the spirit). The relation between human potentials and the potentials of the ground is interactional. There is the qualitative difference between the ground and that what is in us humans, including the earth. The material body, we might say, is congruent with the earth or the inorganic dimension, which in its turn is grounded in the ground of being or God. The organic dimension is infiltrated by the potential dimension; creation is the creation of all of the potentials. If we are to search the key to Tillich’s new view, we have to seek that in and behind the coming into being of the universe and its potential dimension. It is the process of life – the self-transcending, outgoing and returning process of life – that is the driving force behind the becoming; life pushes itself forward.

3 Dynamics of Life In April 1964 Tillich gave the sermon That they may have life, he said: Life, that is our life, my life and your life – the life of all living things and all not-yet living things, which drives towards producing life, the atoms and molecules, the earth, the water, and the air. In our life, life universal becomes aware of itself and we are driven, like all other creatures, to say “yes” to our life.⁴²

In this process, “life (is) affirming itself”, he continued.⁴³ But life affirms itself only in relation to that which limits, distorts and destroys life: finitude, negativity, distortion, death. “The negation of life”, Tillich wrote, “is a condition of life – and the more so, the richer life is”.⁴⁴ Awareness, then, is the awareness of the negation of life, of the fact that all finite existence is unfulfilled existence which comes to an end, creating the deep ambiguity of life. It could be Heideggerian being-for-death if it were not in Tillich’s view for humankind as whole and even for other living things. “Here the riddle of life comes to its height, and every answer given to it determines all other answers to the question of life,” he said.⁴⁵

   

Paul Tillich, “That They May Have Life,” bMS 649/84 (13) 1964, 1. PTAH. Ibid. Ibid., 2. Ibid., 4.

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The negation of life as a condition of life is the riddle. That is “the way of taking the threatening death into life itself.”⁴⁶ With this, the perspective widens: the individual life and death is taken into the perspective of life itself. In all life and in all individuals, life affirms itself in relation to that what threatens and negates life, so through all the dimensions of being and so even in God who is the living God. The more differentiated something is in the scheme of things, the more it has to meet and to overcome those things that threaten to destroy life. The richer the life, the more aware it is of the negativities of life and the deeper its sense of ambiguity. But life is a mix of the positive and the negative. The experience of unfulfilled existence is the negative side; the positive has to be searched in the direction of the presuppositions of awareness: there must be something positive that gives the awareness of the negative. Ultimately, the ambiguity of life is created by the mix between the existential elements (separation; alienation; individual self-realization) and the essential structures of the universe (participation in the common humanity with its potentialities; participation in the universal life). That the opposites belong together Tillich had found in Schelling, Kierkegaard and Nietzsche: in the existential line of thought. Spiritual existence is in terms of the differential relation. Spiritual existence is in the power of the differential relation. In his last sermon, “The Right to Hope,” Tillich deals with this issue: “Where there is genuine hope”, he wrote, “that for which we hope has already some presence. In some way, the hoped for is at the same time here and not here. (…) It is here in the situation and in ourselves as a power which drives those who hope into the future.”⁴⁷ That what we hope for is the eternal. We have earlier seen that what we have of God is from God: it is a gift. In another connection, Tillich writes, “The spirit (human spirit) must be grasped by something which transcends it, which is not strange to it, but within which is the fulfillment of its potentialities. It is called ’Spirit’ [with a capital S].”⁴⁸ For the human part, Tillich says in the last sermon, “hoping often implies waiting”, but this is not “the passive waiting in laziness” but “the receiving waiting in openness,” it is a question of waiting “with poised tension and openness toward what we can only receive. Such openness is highest activity; it is the driving power in us”.⁴⁹ In another connection, Tillich talks about listening love. Now we know that the driving powers are from life. What about the spiritual existence? Spiritual existence is the interac-

   

Ibid., 3. Paul Tillich, “The Right to Hope,” bMS 649/85 (8) 1965, 6. PTAH. Tillich, “The Meaning of Health,” 5. Tillich, “The Right to Hope,” 7 f.

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tion between the human spirit and God’s Spirit. There is the heightened intensity of the differential relation: “It (the eternal) shows me that my finitude, my transitoriness, my being, surrendered to the flux of things, is only one side of my being (…) there is awareness of the eternal” as well, Tillich said.⁵⁰ On the one side there is the awareness of finitude, despair, and on the other side there is the awareness of that which gives the awareness of the finitude. The opposites, so to say, belong together; it is the positive, even if faintly, that shows the negative. “We have”, he said, “a right to hope for the eternal, because we experience the eternal here and now.”⁵¹ I would like to add that we experience the eternal in the differential relation. The one side of the relation is experienced through the opposite side. Considering the differential relation, Kierkegaard wrote, “If the abased one had not lived, we would indeed not have known anything about the uplifted one”.⁵² The positive and the negative do not have the same status: it is the negative that presupposes the positive, not the other way round. “The absolutely negative has no existence,” Tillich said.⁵³ “The sustenance of the demonic (…) in producing or suffering pain or death (…) is completely negative, but actually it is a form in which the positive, the affirmation of life, is still aware of itself”.⁵⁴ Tillich could claim that it is the negative that is the driving and moving principle in life. He speaks about “the negative as the revelation of the positive by producing outgoing and negating mere identity”.⁵⁵ In the event of life, the positive and the negative are understood as vital driving expressive powers: life is the constant overcoming of the negative, so for an individual, and so also in the ground of being. When the threatening death is taken into life itself, we might realize that there is more to life than the “No” and the end. It is not thanatos that triumphs in Tillich’s understanding of life. We might start to understand what life abundant is. It is not the dead-end that is the point in the sermon, but the abundant life despite the fact of finiteness. Tillich continued in the sermon: For humankind is one and not composed of parts, he or she is the bearer of spirit but in every act of his or her spirit his or her whole being is present. What happens in his or her soul also happens in his or her body. And the movements of his or her mind are not separated from those of his or her nerves and his/her blood. Therefore one should not ex-

 Ibid., 15.  Ibid., 13.  Kierkegaard, Practice in Christianity, 160.  Tillich, “Lecture III: The Problem of Evil,” 10.  Ibid.  Paul Tillich, “Ambiguity as a Universal Character of Life,” bMS 649/45 (5), Feb 1961, p. 5. PTAH.

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Jari Ristiniemi

clude from an abundant life the body with all what belongs to it – food and clothing, sexual love and bodily beauty, health and the creative joy going with it.⁵⁶

Through the body, the world opens, as another great German philosopher said. In the traditional interpretation of monism, all is one and individuals disappear in the All; in this there is only one form for the All. Tillich’s differential monism takes another route as there seems to be a form for all individual things: material, animal and human. Form, Tillich wrote, “can be understood only as that which makes a thing what it is. It gives a thing its uniqueness and universality, its special place within the whole of being, its expressive power.”⁵⁷ Expressive powers, given our argument, are from life, and so also with the forms: they are forms-of-life. Potentials are realized in the interaction. The interactional perspective is one of the basic presuppositions of differential monism. When God’s Spirit works in the human spirit, it shows our finitude and it works against all that is negative in us. It is love as the deepest driving power of life that works against the negative in us. Tillich wrote, “Life is being in actuality and love is the moving power of life. (…) In humankind’s experience of love the nature of life becomes manifest.”⁵⁸ “Love”, he also wrote, “is the ultimate criterion because it is the movement of life itself.”⁵⁹ “Love characterizes life on all its levels (…) it is (…) essential to life.”⁶⁰ “Love is”, he wrote, “the foundation of life and is rooted in the nature of being itself.”⁶¹ Love “is the power of life and life loses its power if it is without love.”⁶² “The power of being in the individual person is (…) the power of love”, Tillich continued.⁶³ Love’s strange work, he added, “is necessary. For it destroys what tries to destroy love.”⁶⁴ Justice loses its power and relevance without love, as justice “is the form of love. The inherent claim of a thing is that it is reunited with that to which it belongs.”⁶⁵

 Tillich, “That They May Have Life”, second part, p. 2.  Paul Tillich, “Protestantism and the Contemporary Style in the Visual Arts,” bMS 649/82 (6), Winter 1957, p. 2. PTAH.  Paul Tillich, Love, Power, and Justice. Sprunt Lectures, Lecture II: “Being and Love,” bMS 649/69 (9) 1954, 7. PTAH  Paul Tillich, Love, Power, and Justice”. Sprunt Lectures. Lecture I: “Problems, Confusions, and Method,” bMS 649/69 (8), 1954, 7. PTAH.  Ibid., 1.  Ibid., 2.  Ibid.  Ibid., 3.  Ibid., 4.  Ibid., 6a. There are two pages with the same page number in the manuscript.

Life, Being, and Spirit in Paul Tillich’s Differential Monism

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Tillich thought that all dimensions of being are present, as a matter of fact all creation is present in the event of life and justice. He wrote, “Participation in the eternal is not given to the separated individual. It is given to him or her or it in unity with all others, with humankind, with everything living, with everything that has being and is rooted in the divine ground of being. All these powers of creation are in us and we are in them”.⁶⁶ At the end of Systematic Theology III Tillich wrote: It is appropriate to ask about the relation of the Divine Life to the life of the creature in the state of essentialization or in Eternal Life. Such a question is (…) unavoidable (…) and impossible to answer except in terms of the highest religious-poetic symbolism. (…) There is no blessedness where there is no conquest of the opposite possibility, and there is no life where there is no “otherness”. (…) The Trinitarian symbol of the Logos as the principle of divine self-manifestation in creation and salvation introduces the element of otherness into the Divine Life without which it would not be Life. With the Logos, the universe of essence is given, the “immanence of creative potentiality” in the divine ground of being. (…) In this view the world process means something to God. (…) God, so to speak, drives toward the actualization and the essentialization of everything that has being.⁶⁷

The world process means something to God, that is, while enriching life with, in and through love, we enrich the Life in God.

 Tillich, “The Right to Hope,” 14 f.  Tillich, ST III, 421 f.

Gabriella Iaione

Relire Paul Tillich dans les crises actuelles. Nouveau paradigme face à la crise religieuse 1 Théologie de la crise Le monde actuel subit de nombreux bouleversements. On parle de crises, une crise planétaire qui touche tous les secteurs : économie, politique, social, environnement, agriculture, religion, humanitaire, existentiel. Au sein de ces multiples crises, l’homme est malmené de toutes parts, ses repères s’effondrent, il se sent menacé dans son identité, son destin semble lui échapper et il entrevoit l’avenir avec angoisse. De plus en plus d’Etats voient leur économie se fragiliser avec pour conséquence une paupérisation de la société qui ne cesse d’augmenter. Les diverses mesures budgétaires mises en place en Europe pour éponger les dettes publiques créent des crispations au sein de l’Union Européenne, les peuples se révoltent, manifestent leurs colères et surtout leurs craintes pour demain. « Les citoyens réagissent contre des exigences qui leur paraissent extrêmement injustes, ils ont l’impression qu’on leur prescrit un remède qui entraînera leur mort ».¹ Ces dernières années, la crise a pris une tournure dramatique. Entre l’afflux des migrants qui débarquent presque quotidiennement sur les côtes méditerranéennes, les attaques et menaces terroristes qui pèsent sur la plupart des grandes villes européennes et les effets destructeurs de plus en plus obvies du réchauffement climatique, le monde assiste à une situation inédite qui génère autant de phobies que d’ostracismes. Par peur de l’autre et du lendemain, la tendance est aux réflexes nationalistes et xénophobes, ainsi qu’aux discours apocalyptiques, fondamentalistes et idolâtres. Dans un climat déjà très anxiogène, certains en profitent pour ajouter davantage de psychose et encourager à une forme de repli sur soi. Pour rester dans l’esprit de Paul Tillich, nous pouvons qualifier la situation actuelle de démonique, tant ses conséquences sont néfastes et destructrices pour l’homme à divers niveaux. Le démonique est ce qui s’oppose à l’essence créatrice de l’individu, sorte de perversion de la personnalité, irruption d’un élément qui  U. Beck, Non à l’Europe allemande. Vers un printemps européen ?, Éditions Autrement, Collection Haut et Fort, Paris 2013, 31. https://doi.org/10.1515/9783110668124-018

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menace l’être dans la consistance même de son existence, qui le vide de sa substance. « Le démonique est le surgissement destructeur de la profondeur abyssale du sens… La destruction devient démonique là seulement où elle s’oppose au sens, où elle remet en question l’unité de l’être et l’unité de la personne comme telle ».² Mais le démonique revêt aussi une force dialectique, qui tout en générant perversion et destruction, peut susciter un acte créateur en guise de résistance à une situation menaçante. Si la crise génère de nombreuses perturbations et incertitudes, si elle épingle les failles et impasses du système, elle invite aussi à la réflexion et au changement. Les temps de crise sont souvent propices aux remises en question des fondements de base et aux changements de mentalité. Avant de suggérer des révolutions, la crise invite à certaines réformes. Dans leur aspect démonique, les crises permettent le jaillissement de nouvelles forces créatrices. Si dans un premier temps, la crise fragilise, elle peut par la suite susciter un renouveau par de nouvelles conditions d’actions. Comme l’indique le sociologue et philosophe français Edgar Morin, « Il y a donc, en même temps qu’une destructivité en action dans une crise qui s’approfondit (entrée en virulence des forces de désordre, de dislocation, de désintégration), une créativité en action. La crise libère simultanément des forces de mort et des forces de régénération ».³ Étymologiquement, le terme grec krisis (crise) suggère l’idée de jugement, de faculté de distinguer, de contestation et de décision ; décision en vue d’un dénouement, d’un résultat probant.⁴ Il est à cet effet intéressant de noter qu’un des ouvrages politiques majeurs de Paul Tillich, s’intitule « La Décision socialiste » (1933). Le climat de tension actuelle constitue un véritable défi théologique. Pour Paul Tillich, la théologie doit tenir compte de la situation historique et politique de son temps, afin de s’inscrire dans la concrétude et la contemporanéité. « Le théologien doit tenir autant à l’existence historique qu’au Dieu éternel. Car Dieu ne me parle pas au cœur aujourd’hui comme si rien ne s’était passé ; il me parle à travers ce qui s’est passé. Cet événement, c’est un don qu’il me fait aujourd’hui, c’est une réalité historique qui me met en question devant lui en m’invitant à

 P. Tillich, Le concept du démonique et sa signification pour la théologie systématique (1926), in: La Dimension religieuse de la culture : Écrits du premier enseignement (1919 – 1926), Cerf, Labor et Fides, Presses de l’Université Laval, Paris, Genève, Québec 1990, 158.  E. Morin, Pour une crisologie, in: Edgar Morin, l’aventure d’une pensée, Sciences Humaines, Hors-série spécial n°18, Éditions Sciences Humaines, Auxerre, France, mai-juin 2013, 95.  A. Bailly, Abrégé du dictionnaire Grec – Français, Hachette, Paris 1985 (1901), 512.

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répondre ».⁵ Dès lors, toute théologie se veut théologie du présent et théologie politique. Il importe pour Tillich de souscrire à une analyse rigoureuse des forces historiques contemporaines dans un esprit de corrélation. Le théologien est appelé à faire le lien entre le message chrétien et les réalités sociales, entre le prophétique et la situation historique. Avant de répondre, il faut comprendre, afin d’aboutir à une théologie qui soit en totale adéquation avec les préoccupations et attentes du moment. Il faut pour Tillich une corrélation, à savoir une constante interdépendance dialectique entre le questionnement existentiel et la réponse théologique.⁶ Pour Tillich, le rôle de la théologie politique est de démasquer les idéologies, d’opérer une critique rigoureuse des systèmes en place et d’insister sur la « dureté du destin prolétarien ».⁷ Il s’agit d’envisager la théologie sous le regard de la notion prophétique du Royaume de Dieu, afin de toujours se ranger du côté des victimes et précarisés du système.⁸ Une décision s’impose pour sortir de l’impasse et libérer le peuple des forces démoniques et destructrices du système. Tillich en appelle à une décision qui « infléchisse le destin de mort »⁹ auquel les peuples sont exposés, en particulier les masses populaires, premières cibles de la crise. Ainsi toute théologie politique se veut théologie de la crise. La crise oblige à revoir les rapports entre les riches et les pauvres, les dominants et les dominés, entre ceux qui détiennent le pouvoir et ceux qui le subissent. La crise force à une action éthique et responsable au nom des valeurs de justice et de solidarité ; elle invite à un changement de paradigme en vue d’une issue favorable pour le plus grand nombre. La crise, dans le sens de jugement et de décision, invite à une démarche prophétique, à la « visitation de Dieu » dans la situation actuelle en vue d’un « jugement qui a pour fin le salut ».¹⁰

 J. Richard, Introduction à Paul Tillich, Écrits contre les nazis (1932– 1935), Cerf, Labor et Fides, Presses de l’Université Laval, Paris, Genève, Québec 1994, LXXXVIII.  P. Tillich, Théologie systématique I : Raison et Révélation, Cerf, Labor et Fides, Presses de l’Université Laval, Paris, Genève, Québec 2000 (1951), 91.  P. Tillich, La Décision socialiste (1933), in: Écrits contre les nazis (1932– 1935), Cerf, Labor et Fides, Presses de l’Université Laval, Paris, Genève, Québec 1994, 24.  J. Richard, Introduction à Paul Tillich, Écrits contre les nazis (1932– 1935), op.cit., XIV.  P. Tillich, La Décision socialiste (1933), art.cit., 19.  G. Siegwalt, La crise des fondements de la civilisation moderne et la théologie, in: Laval théologique et philosophique, Volume 66, numéro 2, Québec, Canada, juin 2010, 262.

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1.1 Démonique et kairos La situation de crise actuelle qualifiée de démonique, invite à l’irruption d’un kairos. Le kairos représente le moment décisif où Dieu agit et se manifeste à travers l’action humaine ; c’est le moment opportun qui vient en vue du changement attendu. L’attente du kairos, c’est l’attente d’une espérance, d’un nouveau cycle qui doit arriver au sein d’une situation démonique. C’est la mobilisation de l’action humaine en vue de transformer des conditions historiques aliénantes pour tendre vers l’idéal du Royaume de Dieu. « Pour celui et celle qui croit au kairos, le Royaume se présente alors à la fois comme une exigence et comme une grâce, comme une réalité qui invite à l’action et qui en même temps se donne à qui sait l’attendre ».¹¹ Il y a dans le kairos, une tension permanente entre l’attente et l’action, entre ce qui est et ce qui doit advenir. Le kairos implique que les attentes ne peuvent surgir que par l’agir humain. L’homme est responsable, tant dans son action que dans son inaction, de ce qui est et de ce qui advient. Le kairos s’oppose à toute forme de fatalisme ; par son action, l’homme doit incarner le futur espéré. Dans La Décision socialiste, Paul Tillich insiste sur cette nécessaire interaction entre l’attente et l’action : « L’attente inclut l’action. Seule l’attente agissante est réelle. Coupée de l’action, l’attente serait théorie futile »¹² ; « Il ne peut être question de promesse et donc d’attente que si l’être se meut de luimême vers son accomplissement ».¹³ L’action qu’implique le kairos, qu’il soit politique ou autre, suggère de la part de l’homme un double réalisme, celui que l’accomplissement final de toutes choses revient à Dieu et que rien ne se fait sans obstacles. Cependant, malgré le cadre hostile et les désillusions possibles, cela ne doit pas freiner la mobilisation de l’homme en vue d’un monde meilleur. Il n’est pas exagéré de dire que l’action du kairos ressort d’une exigence morale, une exigence qui à son tour requiert du courage. Saisir un nouveau kairos exige en effet du courage, celui d’agir en conséquence et parfois d’oser aller à contre-courant, mais il invite aussi à un courage collectif pour combattre les diverses forces démoniques inhérentes à la crise.

 J. Richard, Introduction à Paul Tillich, op.cit., CI.  P. Tillich, La Décision socialiste (1933), op.cit., 118.  Ibid., 121.

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1.2 Kairos et courage Face à la situation de crise, un réel courage s’impose, le courage de trouver sens à l’existence, de s’accrocher au présent pour continuer à croire en l’avenir. Un courage pour se convaincre que rien n’est définitif, un courage pour ne pas sombrer dans le fatalisme et le désespoir. Le courage d’aller de l’avant envers et contre tout, de se donner les moyens pour s’accomplir pleinement. Au travers du courage, l’être se dote d’une force pour surmonter les menaces qui entravent sa liberté d’être : « Le courage est affirmation de soi ‘en dépit de’, en dépit de ce qui tend à empêcher le soi de s’affirmer lui-même ».¹⁴ De nos jours, l’homme a plus que jamais besoin de courage, un courage en guise de défi face aux divers enjeux de la crise ; un courage qui met en action sans évacuer la réalité de l’absurde et du désespoir. Il s’agit de trouver un courage qui réponde aux multiples tensions auxquelles l’homme est confronté ; un courage qui aboutisse à « une réponse qui soit valable à l’intérieur de sa situation de désespoir et non hors d’elle ».¹⁵ Tillich évoque un « courage ontologique » qui permet à l’homme d’affirmer le présent malgré son caractère transitoire ; un courage ontologique pour faire le deuil d’un passé révolu et transcender l’angoisse d’un futur incertain.¹⁶ Le courage est ce qui permet d’assumer et surmonter des conditions menaçantes en suscitant un sursaut de vitalité qui agit à la fois comme acte de résilience et de régénération. Le courage donne la force de prendre les décisions qui s’imposent, de prendre ses responsabilités pour promouvoir un monde meilleur. Le courageux refuse l’inertie et le fatalisme, il se refuse à la victimisation, mais il choisit de se mobiliser en vue de changer ce qui peut l’être. Pour Tillich, le vrai courage ne peut venir que de Christ en tant qu’Être Nouveau qui réconcilie l’être avec lui-même et surmonte l’aliénation existentielle en prenant sur lui le tragique de l’existence.¹⁷ En Christ comme Être Nouveau, les négativités de l’existence ne sont pas supprimées, mais transcendées.¹⁸

 P. Tillich, Le courage d’être, Labor et Fides, Genève 2014, 63.  Ibid., 200.  P. Tillich, Théologie systématique II : L’être et Dieu, Cerf, Labor et Fides, Presses de l’Université Laval, Paris, Genève, Québec 2003 (1951), 52.  P. Tillich, Théologie systématique III : L’existence et le Christ, Cerf, Labor et Fides, Presses de l’Université Laval, Paris, Genève, Québec 2006 (1951), 200 – 213.  Ibid., 213.

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2 Nouveau paradigme face à la crise religieuse 2.1 La foi comme fondement de l’être La crise religieuse n’a jamais été aussi manifeste qu’en ces temps de terrorisme, d’offensives islamistes, d’actes antisémites, d’attaques contre les chrétiens, mais aussi de montées des radicalismes, intégrismes et fondamentalismes. Le contexte religieux actuel dans ses dérives et extrêmes, impose de revenir au sens fondamental de la foi et de la religion. Pour Tillich, foi et religion ne se distinguent pas et constituent toutes deux dans le fait d’être saisi de façon ultime et inconditionnelle. Le concept de foi compris dans une approche ontologique s’apparente à ce que Tillich nomme la préoccupation ultime. La préoccupation ultime détermine autant l’être que le non-être¹⁹ et elle affirme Dieu.²⁰ Dieu symbolise ce qui concerne l’homme de façon ultime, ce qui fait dire à Tillich que l’athéisme est une impossibilité, car tout être est concerné d’une manière ou d’une autre de façon ultime. Dans cette approche ontologique, la foi n’est ni une croyance, ni un savoir, ni une volonté de croire ; elle n’est ni externe à l’identité humaine, ni un élément isolé ou secondaire de la dimension humaine. La foi ne se cantonne pas non plus au seul registre de la spiritualité, mais elle engage et intègre la totalité de la personnalité humaine dans toutes ses fonctions.²¹ La foi conditionne l’être tout entier, dans toutes ses composantes spirituelles, morales et psychologiques ; la foi n’est ni plus ni moins que « l’acte central et total de la personnalité humaine ».²² La foi signifie l’être en tant qu’être et fait de l’être une personne à part entière. La foi « est l’état d’être saisi par la puissance de l’être qui transcende tout ce qui est et à laquelle participe tout ce qui est ».²³ Ainsi tout homme est par essence religieux et porteur de foi qu’il soit croyant ou athée, car tout être s’interroge sur ce qui le fonde de façon ultime et cet acte ressort de la foi comprise comme fondement ontologique englobant l’être dans toutes ses dimensions. Se questionner sur son propre destin suppose d’emblée la présence de la transcendance en soi, car s’interroger sur l’homme revient à s’interroger sur Dieu et vice versa. Même chez les plus récalcitrants à la notion

 P. Tillich, Théologie systématique I : Raison et Révélation, op.cit., 31.  P. Tillich, Dynamique de la foi, Labor et Fides, Presses de l’Université Laval, Genève, Québec 2012 (1957), 51.  Ibid., 45.  Ibid., 24.  P. Tillich, Le courage d’être, op.cit., 197.

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de religion, la foi est présente en tant que saisissement de l’ultime : « Si méprisable que soit le contenu concret de la préoccupation ultime, personne ne peut écarter complètement une telle préoccupation. Le concept formel de foi est fondamental et universel ».²⁴ Dans son approche ontologique de la foi et de la religion, Tillich rejoint la théologie transcendantale de Karl Rahner dans son concept des « chrétiens anonymes ». Pour Rahner, l’homme affirme implicitement l’existence de Dieu par le fait d’être saisi de façon surnaturelle et inconditionnelle par la présence divine. Il s’agit pour l’homme de « redevenir chrétien »²⁵ dans le sens de se réapproprier le salut déjà acquis. Pour Tillich, l’homme doit assumer avec courage le fait d’être accepté malgré son inacceptabilité. Ainsi comprises, foi et religion constituent non seulement le statut ontologique de l’homme, mais au travers d’elles se manifeste la transcendance divine au-delà de toutes confessions spécifiques. De ce fait, foi et religion ne peuvent en aucun cas représenter une menace pour l’individu et encore moins servir de prétexte pour exclure ou anéantir une population à cause de son idéologie religieuse. – Foi rationnelle et irrationnelle (ou idolâtre) La foi comme fondement ontologique et existentiel de l’être dans toutes ses composantes invoque une foi rationnelle même si l’objet de sa croyance peut être d’ordre irrationnel. Une foi rationnelle permet de prévenir toutes dérives religieuses. Une foi irrationnelle est une foi qui se fonde sur une autorité et des éléments irrationnels qui peuvent devenir idolâtres. Une telle foi peut s’avérer dangereuse et destructrice. On le constate de nos jours avec les auteurs d’actes terroristes qui au nom d’une idéologie religieuse idolâtrée font abstraction de la raison, sèment la terreur, s’en prennent aux valeurs de liberté et de tolérance et vont jusqu’à tuer. L’acte de foi ne doit jamais se départir de la raison au risque de sombrer dans un fanatisme extrême et dangereux. Supprimer la raison, c’est porter atteinte à l’humanité et à la capacité de s’interroger sur ce qui concerne de façon ultime : « Une foi qui détruit la raison se détruit elle-même et détruit l’humanité de l’homme. En effet, seul un être doté d’une structure rationnelle a la capacité d’être ultimement concerné ».²⁶

 P. Tillich, Théologie systématique IV : La vie et l’Esprit, Labor et Fides, Genève 1991, 144.  K. Rahner, Le courage du théologien, Cerf, Paris 1985, 190.  P. Tillich, Dynamique de la foi, op.cit., 78.

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En tant que rationnelle et existentielle, la foi exige une remise en question constante, elle impose de se réformer en permanence tel que le préconise le principe protestant. Il s’agit d’invoquer l’esprit critique et de faire régulièrement l’autocritique de ses propres certitudes afin de ne pas s’enfermer dans une foi figée au risque de se conforter dans des convictions religieuses et morales qui à la longue peuvent tendre vers de l’intégrisme. Il n’y a pas de foi sans raison, foi et raison sont complémentaires et nécessaires l’une à l’autre : « La raison est le présupposé de la foi, la foi est l’accomplissement de la raison. La foi, au sens d’être ultimement concerné, est la raison en extase. Il n’y a pas de conflit entre la nature de la foi et celle de la raison : elles s’interpénètrent ».²⁷ – Le doute nécessaire à la foi De même il n’y a pas de foi sans doute, le doute n’est pas seulement un élément de la foi, il est inhérent à la foi. « La foi ne serait pas la foi mais l’union mystique, s’il lui manquait l’élément du doute ».²⁸ La foi rationnelle inclut le doute, un doute courageux qui à son tour invoque une foi courageuse qui n’hésite pas à se remettre en question pour s’accorder en permanence avec les prérogatives actuelles. La foi sans le doute est une foi inerte, sans dynamisme. Le doute est nécessaire à la foi, il permet à la foi de rester en alerte et de ne pas se scléroser. Il faut douter pour croire. Douter ne nous éloigne pas de la vérité, mais au contraire, le doute redynamise la foi en permanence. « Il y a présence de la foi dans tout doute sérieux, à savoir la foi dans la vérité en tant que telle, même si la seule vérité que nous puissions exprimer est que la vérité nous manque ».²⁹ Paul Tillich parle de foi idolâtre pour évoquer une foi qui renie sa dimension rationnelle et fait abstraction du doute. La foi idolâtre est source de souffrance, elle devient une foi mécanique qui peut devenir dangereuse tant pour le détenteur que pour l’entourage. Cette foi décentre l’homme de son fondement et de ses préoccupations ultimes. La foi idolâtre se réduit à des préceptes moraux et à des injonctions rigoureuses, elle fanatise celui qui y adhère et le dépouille de tout sens critique. La foi idolâtre annihile l’individu, le détache de lui-même et de son centre humain. Au même titre qu’une secte, la foi idolâtre aliène peu à peu l’individu pour le réduire à l’état de névrosé prêt à n’importe quoi pour servir la cause invoquée.  Ibid., 80.  P. Tillich, Théologie systématique IV, op.cit., 260.  P. Tillich, Introduction de l’auteur (1948), in: Substance catholique et principe protestant, Cerf, Labor et Fides, Presses de l’Université Laval, Paris, Genève, Québec 1995, 227.

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2.2 La restauration du message de grâce Le défi qui s’impose à l’Église est d’offrir un message chrétien adapté à la culture et aux contingences sociohistoriques contemporaines. Cela suppose de dépasser les formulations doctrinales classiques pour annoncer un Évangile qui s’inscrit dans la concrétude de la situation actuelle. Plus que jamais les hommes ont besoin d’une Bonne Nouvelle, d’une parole de réconfort, d’un message de grâce qui les rencontre dans leurs préoccupations, qui les aide à surmonter les difficultés liées à la crise, qui leur redonne confiance et espoir. Dans son essence, « le message chrétien est avant tout un message de grâce ».³⁰ La grâce est inhérente au projet messianique et sotériologique de Dieu, elle est le fondement même du christianisme. La grâce libère l’homme de la culpabilité du péché et le réconcilie avec lui-même : « La grâce unit deux éléments : la victoire sur la culpabilité et la victoire sur l’aliénation ».³¹ La grâce comble les ruptures de l’existence et réduit le fossé entre l’être essentiel et existentiel. Comme le souligne Paul Tillich, « le message de la grâce s’est perdu »³² au profit d’un discours dogmatique et moralisateur. Au lieu de prêcher la liberté et la réconciliation acquises de façon définitive et absolue en Christ, l’Église n’a eu de cesse de rappeler l’état de pécheur des hommes en insistant sur la culpabilité originelle. Ce faisant, l’Église a exacerbé le surmoi religieux des chrétiens soumis à des injonctions morales présentées comme autant de moyens de s’affranchir du péché et de légitimer leur salut. Sous la pression d’exigences morales et doctrinales, le croyant a développé un surmoi religieux hypertrophié qui a eu pour résultat de le tyranniser en lui rappelant sans cesse sa finitude et son aliénation. Mais le croyant n’a pas à mériter son salut ou à se rendre acceptable devant Dieu par un moralisme aigu ou un renoncement à lui-même, qui au lieu de l’affranchir ne ferait que l’aliéner. La grâce est la manifestation absolue et inconditionnelle de l’amour de Dieu qui ne dépend d’aucun mérite humain ; l’homme a juste à se rendre disponible pour se laisser cueillir par cette grâce.³³ Le chrétien doit retrouver un christianisme qui le délivre d’un surmoi qui paralyse, qui l’empêche d’avancer, de s’affirmer, de s’épanouir, d’être réellement libre. Chaque être humain doit pouvoir expérimenter le renouvellement de son  P. Tillich, Le Fondement religieux de la morale, Le Centurion, Delachaux & Niestlé, Paris 1971, 85.  P. Tillich, Théologie de la culture, Éditions Planète, Paris 1968 (1959), 221.  P. Tillich, Le Fondement religieux de la morale, op.cit., 32.  Ibid., 84.

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être acquis une fois pour toutes en Christ, l’Être Nouveau qui rétablit tout être et tout l’être en le réconciliant avec lui-même, avec ses semblables et avec Dieu. Cela n’est possible que si la personne se sait acceptée de façon inconditionnelle par un Dieu de grâce. Pour Lytta Basset, restaurer le message de grâce de l’Évangile implique de s’affranchir de la doctrine du péché originel qui intoxique l’individu et l’emprisonne dans un sentiment de culpabilité. Il faut en finir avec cette « culpabilité paralysante »³⁴ et s’affranchir des discours aliénants pour se tourner vers l’avenir de son propre devenir, vers la réhabilitation de son être et faire « l’expérience de sa propre résurrection ».³⁵ Il s’agit de rompre avec l’idée d’un Dieu qui juge et condamne ainsi qu’avec une vision fataliste et doloriste de l’existence. Il est question non seulement de réhabiliter l’être humain, mais aussi de rétablir l’image du Dieu d’amour et de compassion. L’Évangile en tant que Bonne Nouvelle est avant tout une parole de guérison et de libération. Retrouver la puissance libératrice de l’Évangile implique de mettre fin aux discours moralisateurs, culpabilisants, doloristes et fatalistes. « Ce n’est pas d’une nouvelle loi dont l’homme a besoin, mais d’une source d’énergie qui le transporte en un point où non seulement la loi est accomplie, mais où encore elle ne se présente plus comme une loi ».³⁶

2.3 Un Évangile qui tient compte de la singularité de chacun La prédication chrétienne doit s’inscrire dans les prérogatives du monde actuel. L’Église ne peut plus se limiter à un message figé et décalé de la réalité. Il faut un message qui puisse être entendu et compris aujourd’hui. L’Évangile ne peut être reçu que s’il s’inscrit dans les réalités quotidiennes. « Le culte doit être la forme qui interprète religieusement le quotidien. Il ne s’agit pas de produire de nouvelles liturgies, mais de pénétrer dans ce qui en fin de compte constitue le quotidien… ».³⁷ La vérité de l’Évangile doit s’inscrire dans les réalités contemporaines pour rejoindre les hommes dans leurs vérités. La proclamation chrétienne doit offrir un Évangile qui s’adresse à tous sans distinction, un Évangile qui inclut chaque personne dans sa singularité, un Évangile qui l’accueille avec son vécu, ses combats et contradictions. La prédi L. Basset, Oser la Bienveillance, Albin Michel, Paris 2014, 336 et sq.  L. Basset, Culpabilité, paralysie du cœur, Labor et Fides, Genève 2003, 30.  P. Tillich, Le Fondement religieux de la morale, op.cit., 17.  P. Tillich, Structuration protestante (1929), in: Substance catholique et principe protestant, op.cit., 100.

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cation chrétienne passe par l’annonce du Christ Sauveur, l’Être Nouveau qui par sa grâce et sa miséricorde sauve l’humanité tout entière. De même qu’il n’y a pas une façon unique de vivre sa foi, il n’y a pas non plus une seule manière d’annoncer l’Évangile et de recevoir le salut : «Tout le monde ne passe pas par le même itinéraire. Nous devons tenir compte des multiples aspects de l’expérience humaine et chercher à diversifier notre présentation de l’Évangile plutôt qu’à l’uniformiser ».³⁸ L’annonce d’un Évangile percutant implique une réforme herméneutique constante. La parole de l’Évangile résonne chez chacun de manière unique. On ne peut logiquement réduire son annonce à un message uniforme et s’en tenir à une interprétation classique. L’Évangile doit rester une parole vivante et vivifiante où la dynamique de l’Esprit de Dieu jaillit en permanence pour permettre à chacun d’être atteint par la puissance transformatrice de la parole divine. « L’Esprit empêche qu’on enferme la vérité dans des concepts, des définitions et des formules ; il contredit et interdit le dogmatisme… L’Esprit, au contraire, est un sens qui nous dynamise et nous mobilise. Quand il s’empare de nous, il nous rend convaincu et convaincant ».³⁹ Cela implique pour l’Église d’accorder son système de valeurs aux nouveaux enjeux actuels afin de toujours opter pour un Évangile ouvert et universel. L’Église ne peut pas ignorer les changements de mentalités de la société et persister dans un discours qui va à contre-courant du monde moderne. Le principe du courage d’accepter d’être accepté⁴⁰ implique le courage d’accepter l’autre de la même manière, car il bénéficie de la même grâce. L’Église d’aujourd’hui est confrontée à de nouveaux paramètres qui l’obligent à revoir ses positions. L’Église ne peut pas continuer à se réfugier dans ses anciens dogmes et condamner tout ce qui n’entre pas dans ses critères. Elle n’a pas d’autre choix que d’intégrer les changements, s’interroger et quand c’est nécessaire, revoir certaines de ses positions. De nos jours, l’Église peut difficilement ignorer les nouvelles options en matière d’éthique et bioéthique comme les lois sur l’euthanasie et l’accompagnement des malades en phase terminale, les questions liées à la sexualité, à la contraception, aux procréations médicalement assistées, aux droits octroyés aux personnes homosexuelles, etc. Face à tous ces nouveaux enjeux qui bousculent l’ordre moral classique, l’Église doit continuer à prêcher un Évangile qui inclut et accepte tout le monde  A. Gounelle, Penser la foi. Pour un libéralisme évangélique, Van Dieren éditeur, collection « Débats », Paris 2006, 110.  Ibid., 92– 93.  P. Tillich, Le courage d’être, op.cit., 189.

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sans distinction. L’Église ne peut pas, au nom de ses convictions, condamner l’autre et l’exclure du projet de la grâce divine. Elle ne peut pas, au nom de sa vérité et de sa morale, stigmatiser une personne par rapport à son mode de vie, la juger et la rejeter. Certes, chacun a la liberté de ses opinions et convictions, mais celles-ci ne peuvent pas servir de prétextes pour exclure et condamner l’autre parce que jugé différent. Bien que convaincu de la légitimité de sa morale, on ne peut en aucune manière l’imposer à l’autre. Dans le monde démocratique et moderne qui est le nôtre et qui valorise les libertés individuelles, on ne peut plus imposer ses propres critères moraux à l’ensemble de la société⁴¹ comme cela se fait dans certains pays où des personnes se retrouvent emprisonnées, parfois tuées, à cause de leur mode de vie. Ce n’est ni plus ni moins qu’une atteinte à la liberté et au libre arbitre de chacun. Notre baromètre éthique ne peut pas servir de motif d’exclusion et de condamnation. Il faut pouvoir dépasser le simple droit à la différence et appréhender tout le monde de manière équitable dans le respect premier de la dignité humaine. L’Église doit avoir le courage de s’interroger sur la légitimité et les réelles motivations de ses prises de positions éthiques. Elle doit avoir le courage de se demander si ses critères sont toujours fondés sur une lecture neutre et objective de l’Évangile ou s’ils sont plutôt le reflet de préjugés. L’attitude d’intolérance à l’égard de telle personne, telle pensée ou telle pratique est-elle objective et justifiée ou est-elle le reflet d’un rejet personnel dicté par la peur, par une forme d’ostracisme ou par un manque de charité ? Certes, le changement fait peur et il est toujours plus rassurant de se réfugier dans ses certitudes plutôt que de prendre le risque de s’ouvrir à la nouveauté. Mais le chrétien ne peut pas faire autrement que d’assumer les enjeux du monde moderne et d’intégrer les nouveaux paramètres. Il s’agit de trouver un équilibre entre ses convictions religieuses et la proclamation d’un Évangile centré sur le Christ sauveur et réconciliateur. Le défi est de taille pour l’Église qui, tout en restant fidèle à ses convictions, elle doit trouver un juste milieu entre les nouvelles permissivités du monde moderne et l’éthique chrétienne, en évitant d’un côté le piège des replis identitaires et de l’autre celui de se fourvoyer dans une adoption irréfléchie et irresponsable de la modernité.

 F. Lenoir, La guérison du monde, Fayard, Paris 2012, 105.

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2.4 Le droit d’expérimenter une « Église au-delà de l’Église » Si les mouvements fondamentalistes et charismatiques explosent, nous ne pouvons pas ignorer les désertions des Églises traditionnelles. De nombreux chrétiens ne se retrouvent pas dans les nouvelles mouvances évangéliques caractérisées par un enthousiasme excessif et un radicalisme prononcé, et ils ne trouvent plus leur place dans les Églises classiques. Ce phénomène s’explique, non pas par une démission de la foi ou un rejet des valeurs chrétiennes, mais par une certaine lassitude face à un discours répétitif qui peine à se renouveler et à intégrer les nouvelles réalités, et par une sensation d’étouffement face à un enseignement uniformisé et moralisateur. Pour de nombreux chrétiens, l’Église a perdu de sa saveur et de son acuité ; ils ne s’y sentent plus reconnus ni rencontrés dans leur préoccupation ultime et dans ce qui fait leur quotidien. Dans le monde actuel en crise, l’Église doit se remettre en question pour être le lieu par excellence où le chrétien puise le courage nécessaire pour poursuivre sa tâche ici-bas. Au travers de l’Église, le chrétien doit pouvoir retrouver le véritable sens communautaire, une communauté d’amour où il se sent accueilli et accepté dans sa singularité en toute bienveillance, une communauté qui entend ses souffrances, qui lui redonne espoir et confiance dans les moments de doutes. L’Église doit être un lieu privilégié qui permette à chacun de renouer avec sa propre humanité, un lieu de vérité qui n’étouffe pas, un lieu qui redonne sens à la vie et qui donne la force de combler les failles de son existence. « L’assemblée du service divin devrait s’ouvrir et se terminer par la concrétisation d’une authentique fraternité en Christ qui manifesterait par là que le peuple de Dieu vit de la parole de Dieu et qu’il en tire journellement ce qui sert à le renouveler dans son édification ».⁴² L’Église doit être un lieu de Vie et de Renouveau, celui de la Présence du Christ Ressuscité. Une Église qui s’érige en institution, qui se replie sur elle-même comme une tour de Babel et qui s’enferme dans un système doctrinal et dogmatique, échoue dans sa mission de manifester le message de grâce et de résurrection. L’Église ne peut pas s’extraire du monde actuel, elle doit au contraire retrouver sa place en plein cœur de la cité, afin d’être le témoin vivant du Royaume de Dieu, un monde de Paix et de Justice. « Le rôle de l’Église est de promouvoir la paix entre les hommes, tout en sachant que cette paix est fragile si elle ne repose pas sur le

 E. Brunner, La Doctrine chrétienne de l’Église, de la foi et de l’achèvement, Dogmatique, Tome III, Labor et Fides, Genève 1967, 126 – 127.

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culte rassembleur du Dieu unique. Elle n’est que le prélude à la paix perpétuelle de l’éternité. Le rôle de l’Église est de contribuer à la faire vivre dans les affaires terrestres, tout en témoignant de l’espérance dans la foi qu’elle sera pleinement réalisée dans la Cité céleste où la charité règnera sans ombre ».⁴³ Pour briller dans ce monde bousculé par la crise, l’Église doit revisiter en permanence son annonce de l’Évangile afin qu’il demeure une parole de vie et d’espoir. Mais elle doit aussi être capable de se remettre en question, revoir son fonctionnement et oser sortir de ses structures organisées pour laisser libre cours à l’action et manifestation de l’Esprit de Dieu. En effet, la présence du Christ dépasse les murs de l’Église chrétienne institutionnalisée. L’Esprit de Dieu agit où et quand il veut ; l’action de l’Esprit ne peut être ni régentée ni règlementée par l’Église, mais c’est l’Église qui est dirigée et gouvernée par l’Esprit. Ce qui implique que l’Église comme manifestation de la Présence Spirituelle ne se limite à aucun cadre ou lieu défini. Tillich évoque un « Dieu au-dessus de Dieu »,⁴⁴ un Dieu présent « dans toute rencontre divino-humaine »⁴⁵ et ce, indépendamment de toutes structures ecclésiastiques. L’Église comme présence de l’Esprit du Christ/de Dieu ne se loge-telle pas en effet dans les moments de rencontres, de chaleur humaine, d’amitié réelle, de partages de joies et de peines, de soutien dans les épreuves, de temps dans la prière ? – Une Église en dialogue avec les autres religions Le monde actuel se caractérise par un pluralisme religieux et par autant de tensions religieuses. Dans ce contexte, l’Église n’a pas d’autre choix que de se réinventer afin de rester ouverte sur le monde tout en étant réceptive à l’Esprit de Dieu. Cela implique de dépasser le cadre classique de l’Église chrétienne pour s’ouvrir aux autres religions et tenter des rencontres œcuméniques et interreligieuses. On le sait, Paul Tillich était favorable au dialogue interreligieux. Cela tient à son approche ontologique de la religion qui lui fait dire que toute religion revêt en elle l’automanifestation révélatrice du divin. C’est à la fin de sa vie, lors d’un séjour au Japon, que Tillich prend toute la mesure de la nécessité du dialogue interreligieux, quand il découvre et approfondit le Bouddhisme. Pour Tillich, c’est dès lors une évidence, toute religion constitue un chemin vers Dieu, un lieu

 F. Huguenin, Résister au libéralisme. Les penseurs de la communauté, CNRS éditions, Paris 2009, 155.  P. Tillich, Le courage d’être, op.cit., 210.  Ibid.

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de révélation du divin, car en toute religion se loge ce qu’il nomme la préoccupation ultime. Par la préoccupation ultime ou « ce qui concerne de façon ultime », Tillich entend la manifestation de ce qui constitue la profondeur de l’être lorsqu’il s’interroge sur lui-même et sa destinée. Dans ce cheminement, l’inconditionné se révèle à l’homme, à savoir sa dimension ontologique, qui fait de lui un être rattaché à une dimension transcendantale. Cet inconditionné se rapporte à Dieu, non pas comme séparé de l’homme, mais comme faisant partie intégrante de son être. « Effectivement, ce qui nous concerne inconditionnellement comporte les deux termes : aussi bien Dieu dans son rapport à nous que nous-mêmes dans notre rapport (de foi, d’amour) à Dieu ».⁴⁶ De même, la dimension du sacré est inhérente à toute religion, sacré qui revêt cette part de révélation et de rencontre entre l’homme et Dieu, peu importe la culture. Il y a du religieux en toute culture, du spirituel et du sacré en toute religion. Dans l’approche du dialogue interreligieux de Paul Tillich s’articulent la préoccupation ultime et le principe protestant. Le principe protestant « consiste fondamentalement dans la protestation contre toute revendication absolue faite en faveur d’une réalité finie, conditionnée, relative. C’est l’expression théologique du vrai rapport entre l’inconditionnel et le conditionné, entre Dieu et l’homme. C’est par là même la condamnation de tout orgueil religieux, de toute arrogance ecclésiastique et de toute autosuffisance séculière ».⁴⁷ Le principe protestant s’applique autant au christianisme qu’aux autres religions. Ce principe implique de dépasser sa propre conception de vérité pour entrevoir la vérité des autres religions comme autant de vecteurs de la révélation divine. « La révélation n’est pas exclusivement chrétienne. Si tel était le cas, l’homme n’aurait même pas pu la recevoir. Il y a partout une expérience de caractère révélationnel, et chaque révélation devient religion si elle est reçue et actualisée dans la vie et la pensée ».⁴⁸

 G. Deschamps, La méthode de corrélation dans la Dogmatique de 1925, in: J. Richard, A. Gounelle, R.P. Scharlemann, éd., Études sur la Dogmatique (1925) de Paul Tillich, Cerf, Presses de l’Université Laval, Paris, Québec 1999, 53.  J. Richard, Symbolisme et analogie chez Paul Tillich (I), in: Laval théologique philosophique, volume 32, 1, Université Laval, Canada (Québec), février 1976, 72.  P. Tillich, Révélation chrétienne et révélation non chrétienne (1961), Le christianisme et la rencontre des religions, Labor et Fides, Genève 2015, 353.

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Ainsi le principe protestant impose de mettre fin à toute forme d’absolutisme ou exclusivisme religieux qui revendique la prétention d’être l’unique vérité⁴⁹ et qui réduit la notion de salut à la seule chrétienté. Pour Tillich, la révélation du salut de Dieu est universelle et présente dans toutes les religions qui, toutes comportent en elles une puissance de salut.⁵⁰ Le salut comme puissance divine de transformation se manifeste de manière universelle dans l’humanité, en toute culture, religion et époque de l’histoire.⁵¹ Le salut est de l’ordre de la grâce, d’une grâce universelle qui transcende tout, dépasse tous les clivages religieux, un salut qui se situe au-delà de tous critères et particularismes religieux. Cependant, s’ouvrir au dialogue interconfessionnel et interreligieux, n’implique pas d’opter pour un syncrétisme religieux ni de renoncer à ses fondements pour se convertir à l’autre religion. Le vrai dialogue religieux consiste à accepter la confrontation de ses convictions et principes religieux, à entendre ceux de l’autre en acceptant qu’ils représentent pour lui des repères salutaires et indispensables à sa vie spirituelle, même si cela s’oppose à notre culture et peut parfois heurter notre entendement. Le dialogue interreligieux oblige à estimer et relativiser ses propres critères et, si nécessaire à se réformer, tout en restant fidèle à sa révélation fondatrice.⁵² Il s’agit pour Tillich de sortir d’une mentalité « provinciale » pour tendre vers une vision plus universelle du concept de foi et de religion.⁵³ Affirmer que la grâce de Dieu touche tous les hommes sans exception, c’est affirmer que la grâce touche aussi ceux qui se situent en dehors du christianisme. Toute l’humanité et, ce comprises toutes les religions du monde entrent dans le programme providentiel et salvateur de Dieu. Par conséquent, aucune institution ne peut prétendre être la seule et unique bénéficiaire de la grâce divine : « Le protestantisme a pour principe central la doctrine de la justification par la grâce seule, qui signifie qu’aucun individu ni aucun groupe humain ne peut revendiquer une dignité divine pour ses réalisa-

 Voir P. Tillich, La prétention du christianisme à l’absoluité et les religions mondiales (1963), Le christianisme et la rencontre des religions, Labor et Fides, Genève 2015, 426 et sq.  A. Gounelle, Paul Tillich et les religions non chrétiennes, in: Laval Théologique et Philosophique, 54, 2 (juin 1998), Québec, 354.  J.-P. Gabus, Salut en Jésus-Christ et salut universel, in: Études théologiques et religieuses, Tome 56/4, Montpellier 1981, 541.  A. Gounelle, Paul Tillich et les religions non chrétiennes, art.cit., 359.  P. Tillich, Révélation chrétienne et révélation non chrétienne (1961), op.cit., 342 et sq.

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tions morales, pour son pouvoir sacramentel, pour sa sainteté ou pour sa doctrine ».⁵⁴ Au-delà du christianisme et des religions comme vecteurs de salut, l’œuvre sotériologique du Christ englobe non seulement l’humanité tout entière, mais elle la dépasse pour inclure l’univers dans sa totalité. « L’événement de Jésus le Christ (comme sauveur) a une signification universelle pour chaque être humain et, indirectement, pour l’univers aussi ».⁵⁵

 P. Tillich, La fin de l’ère protestante ?, in: Substance catholique et principe protestant, op.cit., 275.  P. Tillich, Théologie systématique III : L’existence et le Christ, op.cit., 236.

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Das Imaginäre Eine erkundende Re-Lektüre der Möglichkeit von Revolution und Reformation bei Paul Tillich durch die Theorie-Brille von Cornelius Castoriadis Das Imaginäre wurde schon immer ein wenig beäugt und stellenweise desavouiert, da es letztlich ‚nur‘ ein individuelles dynamisches Vermögen darstelle. Zugleich erfuhr es aber auch eine gewisse Hochschätzung, da es offenbar auch das Vermögen hatte Innovation und Veränderung aus sich selbst heraus zu generieren, sowie eine Produktivität aus sich heraus zu setzen, deren Leistung in einem schöpferischen ‚Über-sich Hinausgehen‘ bzw. einer „fortwährenden Selbstveränderung“¹ liegt.² So bemerkte schon Albert Einstein in seiner Abhandlung Cosmic Religion: Imagination is more important than knowledge. For knowledge is limited, whereas imagination embraces the entire world, stimulation progress, giving birth to evolution. It is, strictly speaking, a real factor in scientific research.³

Transformieren wir diese grundlegende Stoßrichtung in das theologische Konzept eines transzendentalen Sinns, so wirkt sich dieser unmittelbar als konstitutives Moment auf Individuum und Gesellschaft aus. Imagination – so müssten wir sagen – ist für jede Religion Voraussetzung und Triebkraft. Sie wirkt sich sowohl nach innen auf das jeweilige religiöse Sinnsystem aus und konstituiert dieses, als auch nach außen – kulturformativ und kultursteuernd durch Gründungsmythen und Identifikationsmuster, wie wir es im Zusammenspiel von Staat und Gesellschaft immer wieder erleben konnten und können.⁴ Jede Gesellschaft enthält nicht nur ein System der Weltinterpretation, sondern ist ein System der Weltinterpretation, die sich aus dem gesellschaftlich Imaginären speist. Aus diesem gesellschaftlich Imaginären speist sich wiederum die Institution der Gesellschaft

 C. Castoriadis, Gesellschaft als imaginäre Institution. Entwurf einer politischen Philosophie, Frankfurt a. M. 1984, 605.  Vgl. M. Richir, Phantasia, imagination, affectivité – Phénoménologie et anthropologie phénoménologique, Grenoble 2004; A. Schnell, Hinaus. Entwürfe zu einer phänomenologischen Metaphysik und Anthropologie, Würzburg 2011; ders., Wirklichkeitsbilder, Tübingen 2015.  A. Einstein, Cosmic Religion. With other Opinions and Aphorisms, New York 1931, 97.  Vgl. z. B. die Studie A. Koschorke et al., Der fiktive Staat. Konstruktion des politischen Körpers in der Geschichte Europas, Frankfurt a. M. 2007. https://doi.org/10.1515/9783110668124-019

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und die sich in ihr verkörpernden gesellschaftlichen imaginären Bedeutungen.⁵ Jene gesellschaftlich-imaginären Bedeutungen, die im Gesellschaftlich-Geschichtlichen zu einem Magma (s.u.) gerinnen, zu analysieren und ihr imaginärrevolutionäres Potential freizulegen, ist das Anliegen der Beschreibungen des Philosophen und Psychoanalytikers Cornelius Castoriadis. Die Gesellschaft als imaginäre Institution arbeitet mit organisatorischen, informationellen und kognitiven Geschlossenheiten – so der Befund von Castoriadis. Jene Geschlossenheiten bzw. Bestimmtheiten speisen sich aus mengenlogischen Kategorien und Operationen.⁶ Die Gesellschaft als imaginäre Institution operiert mit der schließenden Funktion mengen- und identitätslogischen Dynamiken, die auf Differenzbestimmungen und kalkulierten Unterschieden beruht: „Der Anspruch ist, alles Vorstellbare der Bestimmtheit und den aus ihr resultierenden Implikationen und Konsequenzen zu unterwerfen. […] Sein ist Bestimmtsein“.⁷ In geschichtsanalytischer Hinsicht, könnte demnach jenes gesellschaftlichgeschichtliche Moment, welches die Reformation als Revolution in Anschlag bringt, die Kritik an dieser geistesgeschichtlichen Haltung der Schließung sein, welches sich unmittelbar auch auf die soziale Ordnungsbildung der Revolution durch die Reformation u. a. in der neuen Ontologie niederschlägt, wie sie Paul Tillich in seinen Studien nachzeichnet und mit dem ‚Prophetischen‘ verbindet (s.u.).⁸

 Vgl. C. Castoriadis, Das Imaginäre: die Schöpfung im gesellschaftlich-geschichtlichen Bereich, in: Das Imaginäre im Sozialen. Zur Sozialtheorie von Cornelius Castoriadis, hg.v. H. Wolf, Göttingen 2012, 15 – 38, bes. 29. Zum Grundbestand der gesellschaftlich imaginären Bedeutungen gehören u. a. auch Gott, Tabu, Tugend und Sünde. Auch Tillich beschäftigte sich schon recht früh mit dem Thema der Gesellschaft wie seine Berliner Vorlesung von 1919 „Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart“, in: GW XII, Berlin u. a. 2001, 27– 258, zeigt.  Vgl. Castoriadis, Das Imaginäre, 24.  A.a.O., 28. Die von Castoriadis kritisierte Mengen- und Identitätslogik operiert mit der diskreten Einteilung alles Seienden in definite Größen, welche mittels der Unterscheidung von Identität und Differenz in Mengen einteilbar und so definierbar sind. Castoriadis setzt sich hier von Georg Cantors Verständnis einer ‚Menge‘ ab. (Vgl. G. Cantor, Beiträge zur Begründung der transfiniten Mengenlehre, in: Mathematische Annalen 46 [1895], 481– 512; dazu: Castoriadis, Gesellschaft, 373) Eine andere Lesart von Cantor hat Alain Badiou in Das Sein und das Ereignis (Wien 2003) entwickelt, welche sich u. a. in Aufnahme von Castoriadis verstehen lässt.  Vgl. P. Tillich, Geistesgeschichte der protestantischen Theologie, in: ders., Dresdner Vorlesungen, EW XX, Berlin u. a. 2017, 37– 192; ders., Vorlesungen über die Geschichte des christlichen Denkens. Teil 1, EW I, Stuttgart 1971, bes. 238 – 306; ders., Der Protestantismus als kritisches und gestaltendes Prinzip, in: ders., Der Protestantismus als Kritik und Gestaltung. Schriften zur Theologie I, GW VII, Stuttgart 1962, 29 – 53; ders., Die Wiederentdeckung der Prophetischen

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Dem klassisch-rationalistischen Anspruch der Bestimmtheit des Ontologischen steht das Magma⁹, welches sich auch als das imaginär-revolutionäre Moment eines neuen ontologischen Typus von Ordnung verstehen lässt, welches sich – und dies ist der theoretisch-deskriptive Beitrag der Auseinandersetzung mit Castoriadis – in der Reformation niederschlägt. Der Theorieanspruch von Castoriadis kann in einer Praxisphilosophie¹⁰ gesehen werden, die sensibel ist für die Bedeutung kultureller bzw. symbolischer Phänomene als Dynamik der Integration, Differenzierung und Reproduktion moderner Gesellschaften. Nach Jürgen Habermas ist der Ansatz von Castoriadis einer der „originellsten, ehrgeizigsten und reflektiertesten Versuch[e], die befreiende Vermittlung von Geschichte, Gesellschaft, äußerer und innerer Natur noch einmal als Praxis zu denken“.¹¹ Im Zentrum der Analysen Castoriadis steht u. a. der Begriff des Imaginären, der die radikale Offenheit der Gesellschaft als eines „kreativen Prozess[es] der Schaffung, Verknüpfung und Umdeutung von Symbolen und Vorstellungen“ markiert.¹² Mit Castoriadis soll nach dem sozialen Wandel, wie er in der Reformation als revolutionäres Unternehmen angebrochen ist, als das Einbrechen von historisch

Tradition in der Reformation, in: ders., Der Protestantismus als Kritik und Gestaltung. Schriften zur Theologie I, GW VII, Stuttgart 1962, 171– 215.  „Unter Magma verstehen wir eine Vielheit, die nicht im üblichen Sinne des Wortes eine ist, die wir aber als eine kennzeichnen. Sie ist auch keine Vielheit in dem Sinne, daß wir tatsächlich oder potentiell abzählen könnten, was sie ‚enthältʻ. Dennoch lassen sich in ihr Terme kennzeichnen, die nicht vollends, ineinander verschwimmen“, so Castoriadis, Gesellschaft, 565.  Vgl. A. Gramsci, Philosophie der Praxis. Bd. 6 der Gefängnishefte, Berlin 1999; K. Kosík, Dialektik des Konkreten. Eine Studie zur Problematik des Menschen und der Welt, Frankfurt a. M. 1970; H. Lefebvre, Metaphilosophie. Prolegomena, Frankfurt a. M. 1975; H. Marcuse, Philosophie und kritische Theorie. Aufsätze in: Kultur und Gesellschaft I., Frankfurt a. M. 1980; G. H. Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1975. Es ergeben sich durch die Weiterführung dieses Theorieansatzes als soziologische Kulturtheorie (vgl. A. Reckwitz, Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozialtheoretische Perspektive, in: ZfS 32 [2003], 282– 301; F. Hillebrandt, Soziologische Praxistheorien. Eine Einführung,Wiesbaden 2014) weitere Anschlüsse an das Theoriebestreben von Tillich. Es wäre sicherlich ein lohnendes Unternehmen Tillich unter dem Aspekt einer praxeologischen Theoriebildung einmal einer Re-Vision zu unterziehen.  J. Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt a. M. 1988, 380.  Vgl. L. Gertenbach, Cornelius Castoriadis. Gesellschaftliche Praxis und radikale Imagination, in: Kultur. Theorien der Gegenwart, hg.v. S. Moebius/D. Quadflieg,Wiesbaden 2011, 277– 289, hier: 282.

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Neuem beschrieben werden und so implizit Anschlüsse an die grundlegenden Thesen Tillichs ermöglicht werden.¹³ Jenes ‚Neue‘ bedarf aber als Denkmöglichkeit einer Überschreitung des Vorhandenen die Überwindung der gesellschaftlich instituierten Identitätslogik, die der bisherigen Deutung von Gesellschaft und Geschichte zugrunde lag und im Anschluss an Tillich als das ‚Prophetische‘ in Anschlag zu bringen ist, da es eine Grundstruktur eines utopisch-imaginären Entwurfscharakters aufweist. So weisen die Denkansätze sowohl von Castoriadis als auch von Tillich auf die Notwendigkeit eines neuen ontologischen Typus von Ordnung¹⁴ hin, den es zu denken gilt. Durch die Theoriebrille Castoriadis’ soll auf die Strukturanalysen von Reformation und Revolution im Denken Tillichs geblickt werden und mögliche Deutungsanschlüsse für die Gegenwart angeboten werden.¹⁵

1 Cornelius Castoriadis Konzept des Imaginären – eine Sondierung Imagination und Imaginäres sind sowohl als bildgebenes, als auch als strukturierendes Medium einer veränderlichen Wirklichkeit zu verstehen. Imagination ist dabei aber weit mehr als nur Phantasmen. Vielmehr bezeichnet das Imaginäre  Vgl. auch P. Tillich, Das Geschehen und das Neue, in: ders., Vorlesungen über Geschichtsphilosophie und Sozialpädagogik, EW XV, Berlin u. a. 2007, 71– 98.  Vgl. P. Tillich, Ontologie, in: ders., Berliner Vorlesungen III, EW XVI, Berlin u. a. 2009, 1– 168.  Es muss allerdings darauf verzichtet werden die Schöpfungskonzeptionen von Castoriadis und Tillich miteinander im Hinblick auf den neuen Typus von Ontologie in Beziehung zu setzen und im Hinblick auf die geschichtsphilosophischen Konsequenzen (vgl. Tillich, Ontologie; zur Auswertung der Geschichte in der Systematischen Theologie vgl. auch J. Lauster, Die Geschichte und die Frage nach dem Reich Gottes, in: Paul Tillichs ‚Systematische Theologie‘. Ein werk- und problemgeschichtlicher Kommentar, hg.v. C. Danz, Berlin u. a. 2017, 257– 276), insbesondere der Konzeptionalisierung „Autonomie“ zu befragen. „Dabei ist Schöpfung, als Werk des gesellschaftlichen Imaginären, der instituierenden Gesellschaft (societas instituans, nicht societas instituta), die Seinsweise des gesellschaftlich-geschichtlichen Feldes, mittels derer dieses Feld existiert. […] Das Alte geht in der Bedeutung in das Neue ein, die das Neue ihm gibt und könnte es auf keinem anderen Weg“ (Castoriadis, Gesellschaft, 31 f.). Castoriadis bindet den Schöpfungsprozess an das „nicht bestimmt[e], aber bestimmend[e]“ Imaginäre und weist somit diesem verändernde sowie weltbestimmende und Wirklichkeit konstituierende Kräfte zu (vgl. C. Castoriadis, Das griechische und das moderne politische Imaginäre, in: ders., Philosophie, Demokratie, Poiesis, Lich 2011, 93 – 121, hier: 93). Castoriadis deutet Autonomie als Öffnung, nicht als Schließung, da Autonomie es den Gesellschaften möglich macht ihre Weltvorstellungen, ihre gesellschaftlichen imaginären Bedeutungen in Zweifel zu ziehen, somit aus dem imaginär-revolutionären Potential der eigenen Institution zu schöpfen.

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jene Muster, in dem wir die Alltagswelt erfahren, mental organisieren, mit dem wir zu beeinflussen suchen. Der Raum des Imaginären bewegt sich in der bipolaren Relation zwischen Bestimmtheit und Unbestimmtheit, die zu einer Synthese geführt werden. Revolution und Reformation sind Ausdruck jener bipolaren Relation des ‚Zwischen‘ von Bestimmtheit und Unbestimmtheit des sozialen Raumes des Imaginären und kommt somit eine Ontologie des Sozialen zu.¹⁶ Revolution und Reformation sind – so die zu entfaltende These – in ihrer Struktur eine begriffliche Artikulation des Imaginären in einer Synthese zwischen Bestimmtheit und Unbestimmtheit, die eine Matrix einer Ontologie des Sozialen kennzeichnet. Revolution und Reformation sind imaginäre Momente der Artikulationsverhältnisse ‚Bestimmbarkeit zu‘, ohne jedoch den Anspruch auf ein ‚bleibendes‘ Moment der unbestimmten Bestimmtheit zu verlieren.¹⁷ Das Imaginäre kann zudem zum Ziel unserer Erwartungen und Wünsche gemacht werden. Das Imaginäre und die Imagination können Steuerungselemente des Verlaufs, der Struktur und der Erwartungen von Ereignissen und Geschehnissen sein. Sie können Deutungshoheit erzeugen und Deutungsmacht¹⁸ hervorbringen. Allerdings sind sie keine Normen und haben keine Gesetzeskraft¹⁹, sind aber faktisch wirksam. Mit den Überlegungen der Analysen von Cornelius Castoriadis wird zum einen eine an das Subjekt gebundene Seinskonstitution beschrieben, die die Imagination zur konstitutiven Komponente von Wirklichkeit einerseits und zur subjektiven Erschließung dieser Wirklichkeit andererseits erhebt.²⁰ Castoriadis sieht sich in Übereinstimmung mit Immanuel

 Vgl. L. Jansen, Zur Ontologie sozialer Prozesse, in: R. Schützeichel/S. Jordan, Prozesse. Formen, Dynamiken, Erklärungen, Wiesbaden 2015, 17– 43.  Vgl. dazu auch instruktiv E. Kleinschmidt, Die Imagination des Imaginären, in: Lektüren des Imaginären. Bildfunktion in Literatur und Kultur, hg.v. dems./N. Pethes, Köln u. a. 1999, 15 – 31, bes. 25.  Vgl. P. Stoellger, Deutungsmacht. Religion und belief systems in Deutungsmachtkonflikten, Tübingen 2014.  Vgl. J. Derrida, Gesetzeskraft. Der „mystische Grund der Autorität“, Frankfurt a. M. 1991.  Castoriadis Ansatz reiht sich damit in den Zusammenhang gesellschaftlicher Formierungsprozesse durch Imagination in eine soziologische Traditionslinie ein wie wir sie bei P. Berger/T. Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt a. M. 1969, oder bei B. Anderson, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Frankfurt a. M. 1988 finden. Castoriadis erklärt die Realität zum Produkt des Imaginären und setzt sich darin von Ansätzen, wie z. B. von M. Foucault ab, die das Imaginäre schlicht als Erfundenes synonymisieren oder zum Gegenbegriff des Realen erklären: „Das Imaginäre konstitutiert sich nicht mehr im Gegensatz zum Realen, um es abzuleugnen oder zu kompensieren; es dehnt sich von Buch zu Buch zwischen den Schriftzeichen aus, im Spielraum des Noch-einmal-Gesagten und der Kommentare; es entsteht und bildet sich heraus im Zwi-

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Kants Verwendung der produktiven Einbildungskraft in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft von 1781, aber es können auch Parallelen zu Vicos Neuer Wissenschaft gesehen werden.²¹ Das Imaginäre ist im Denken von Castoriadis die Bezeichnung jenes Ortes des schöpferischen Momentes, welches für eine Ordnung relevant und virulent werden kann, weil es in dieser Ordnung als Möglichkeit eines Anderen/Neuem und „als beständiger Ursprung von Anderswerden“²² immer schon angelegt ist.

2 Exkurs über das imaginäre Potential der Einbildungskraft Schon im Sophistes des Platon findet eine Auseinandersetzung mit dem imaginären Potential der Einbildungskraft statt. Theaitetos und der eleatische Fremde begeben sich auf die Erkundung der Praxis des Sophisten. Es wird festgestellt, dass der Sophist Jünglinge und solche, die noch in weiter Ferne stehen, von dem wahren Wesen der Dinge durch die Ohren mit Worten bezaubern, man gesprochenen Schattenbilder von allem vorzeigt, so dass man sie glauben macht, es sei etwas Wahres gesagt und der welcher es sagt, der Weiseste in allen Dingen [sei].²³

Der Fremde aber konzentriert sich auf die Klärung der Praxis der Nachbildung. Er unterscheidet dabei zwischen der Nachbildung als Herstellung von Ebenbildern als εἰκών und jenen Nachbildungen, die wie das Original zu sein scheinen

schenraum der Texte“. (M. Foucault, Un ‚fantastiqueʻ de bibliothèque, in: ders., Schriften zur Literatur, Frankfurt a. M. 1980, 157– 177, hier: 160)  Vgl. A. Hetzel, Zwischen Poiesis und Praxis. Elemente einer kritischen Theorie der Kultur, Würzburg 2001, 25. Zur Kritik an Kants Konzeptionierung der Einbildungskraft s. auch Anm. 26.  Castoriadis, Gesellschaft, 603.  Platon, Sophistes 234c. Übersetzung n. F. D. E. Schleiermacher, Platons Werke. Zweiten Teiles zweiter Band, Berlin 31857. Vgl. auch M. J. Brach, Heidegger – Platon. Vom Neukantianismus zur existentiellen Interpretation des „Sophistes“, Würzburg 1996; S. Rosen, Plato’s Sophist. The Drama of Original and Image, New Haven 1983; D. Ambuel, Image and Paradigm in Plato’s Sophist, Las Vegas 2007. Für die weitergehende Problematik in der Beschäftigung Heideggers siehe „Platon: Sophistes“ (GA 19, Frankfurt a. M. 1992), sowie den Niederschlag in der Ablehnung der erkenntnistheoretischen Interpretation der Einbildungskraft in der Kritik der reinen Vernunft in: „Kant und das Problem der Metaphysik“ (GA 3, Frankfurt a. M. 1991). Zum Gesamtkomplex vgl. J. Sallis, The Gathering of Reason, Athens (OH) 1980, sowie M. Wunsch, Einbildungskraft und Erfahrung bei Kant, Berlin u. a. 2007.

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(φαίνεταί). Jener Text führt die beiden Wortstämme ein, die später das Bedeutungsfeld der Einbildungskraft, der Imagination und des Imaginären umschließen und Teil einer Übersetzungsgeschichte sind, die aber zugleich eine Geschichte von Mutationen, Unterdrückung, Umkehrung und Austausch ist.²⁴ Jene schon bei Platon zu beobachtende doppelte Kraft dessen, was wir als Einbildungskraft bezeichnen können, prägt ihre Geschichte und die Einschätzung ihres Potentials. In dieser Spannung steht auch die Bemerkung Rousseaus, wenn er anmerkt: „Die Einbildungskraft ist es, die das Maß des uns Erreichbaren […] erhöht und infolgedessen auch unserer Wünsche erregt und nährt durch die Hoffnung und Befriedigung“.²⁵ Neben einer verführerisch-illusionären Seite der Einbildungskraft betont Rousseau jene, die das Seiende übertreffende Kraft. Letztlich bleibt aber auch hier eine seltsam anmutende Ambivalenz bestehen, die die Einbildungskraft kennzeichnet: Das Dasein der endlichen Wesen ist arm und beschränkt. Sehen wir nur auf die Dinge, wie sie erscheinen, so werden wir niemals im Inneren bewegt. Das Spiel unserer Phantasie schmückt die nüchtern-sachlichen Dinge aus, und wenn diese Kraft ihnen nicht einen Reiz verliehe, dann beschränkte sich das armselige Vergnügen an den Dingen auf die Sinneswahrnehmung, das Herz aber bliebe kalt.²⁶

Das hier sich schon ausdrückende Spannungsverhältnis von Intelligiblem und Sinnlichem prägt die hellen und dunklen Seiten der Einbildungskraft. Allerdings, so muss angemerkt werden, zeichnet sich die Einbildungskraft im Denken von Rousseau darin aus, dass sie das Anwesende überschreitet und über das unmittelbar Sichtbare jenen Raum zu eröffnen vermag, der kommen wird und sich gerade in und durch die Überfülle des ankommenden Sinnes der Zukunft auszeichnet. Kant wiederum geht über das dichotomische Moment, wie wir es bei Rousseau noch erkennen konnten, hinaus, indem er behauptet die Einbildungskraft stelle eine Synthese der vernunfthaften und sinnlichen Elemente im Gegenstande her. Sie sei eine reine Synthese, in der die Elemente, welche verbunden werden, nichts Empirisches, nichts, was von den Sinnen herrührt, beinhaltet werden. Die Einbildungskraft gehe der Sinnlichkeit voraus, da sie als reine Synthesis die Kategorien der reinen Begriffe des Verstandes mit den reinen Formen der Anschauung, unter die Formen der Einheit, die in den Kategorien gedacht

 Vgl. J. Sallis, Einbildungskraft, Tübingen 2010, 55 – 88.  J.-J. Rousseau, Emile ou de l’éducation, Paris 1959, 304.  A.a.O., 305.

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werden, zu bringen sei. Kant will zeigen, dass jene reine Synthesis Gegenstände der Erfahrung möglich werden lässt. Oder um es anders zu sagen: Die Einbildungskraft erweist sich bei Kant als die Bedingung der Möglichkeit von Gegenständen der Erfahrung: Gegenstände werden erst durch die reine Synthesis, die ihrerseits durch die Einbildungskraft erwirkt wird, als solche konstituiert.²⁷ Johann Gottlieb Fichte wiederum radikalisiert den Ansatz Kants und führt zu einem Umsturz der kantischen Grundintuition, insofern als er zeigt, dass es in der Erfahrung nichts gibt, das nicht von der Seite des Ichs hervorgebracht wird. Der Gegenstand wird vom Erkenntnisvermögen gesetzt und bestimmt und nicht das Erkenntnisvermögen vom Gegenstand. In der erkenntnistheoretischen Rückführung auf das grundlegende Prinzip der Erkenntnis, nämlich dem ‚Ich‘ heißt dies: „Auf jene Handlung der Einbildungskraft [gründet sich], die Möglichkeit unseres Bewusstseyns, unseres Lebens, unseres Seyns für uns, d. h. unseres Seyns, als Ich“.²⁸ Für Fichte kommt darin der menschliche Triebcharakter zum Vorschein: Der höchste Triebe im Menschen ist […] der Trieb nach Identität, nach vollkommener Uebereinstimmung mit sich selbst; und damit er stets mit sich Uebereinstimmen könne, nach Uebereinstimmung alles dessen, was ausser ihm ist, mit seinen nothwendigen Begriffen davon.²⁹

In Folge dieser Einsicht Fichtes wird die Einbildungskraft unter der Hand zum Grund der Möglichkeit des Subjekts.³⁰ Die Subjektivität wird damit aber eine Zu I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 78/B 103. Castoriadis wirft Kant vor, dass Kant die Einbildungskraft strikt als menschliches Vermögen konzipiert und nicht zu einer ontologischen Kategorie umformt: „So entdeckt und verdeckt auch Kant in drei Anläufen die Rolle dessen, was er transzendentale Einbildungskraft nennt“ (Castoriadis, Gesellschaft, 298). Kant habe zwar den schöpferischen Charakter der Einbildungskraft erkannt, habe ihm aber kein ontologisches Gewicht beigemessen (vgl. a.a.O., 336). So könnte bei Kant noch das Festhalten an absoluten Konzepten und Begriffen beobachtet werden (vgl. a.a.O., 397). In Absetzung zur kantischen Tradition mit der Betonung der ‚produktiven‘ Einbildungskraft setzt sich Castoriadis mit dem Verweis auf die ‚schöpferische‘ Einbildungskraft in Opposition zu dieser. (Vgl. C. Castoriadis, Imagination, Imaginäres, Reflexion, in: ders., Das imaginäre Element und die menschliche Schöpfung, Lich 2010, 293 – 351, bes. 305 f.)  J. G. Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, in: ders., Sämmtliche Werke, Bd. 1, hrsg. v. I. H. Fichte, Berlin 1845, 83 – 328, hier: 227.  J. G. Fichte, Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, in: ders., Sämmtliche Werke, Bd. 6, hg.v. I. H. Fichte, Berlin 1845, 304.  Es muss hier ungeklärt bleiben, wie Tillich sich an die Deutung der Einbildungskraft durch Fichte anschließt. Grundlegend weist aber C. Danz auf denkerische Anschlüsse Tillichs an Fichte hin. Vgl. C. Danz., Freiheit als Autonomie. Anmerkungen zur Fichte-Rezeption Paul Tillichs im Anschluss an Fritz Medicus, in: Die Klassische Deutsche Philosophie und ihre Folgen, hg.v. C. Danz/M. Hackl, Gö ttingen 2017, 217– 230.

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gehörigkeit zur Einbildungskraft zugesprochen und nicht mehr als Vermögen des Subjektes gedacht. Einbildungskraft wird in ihrer imaginären Potentialität zu Grundprinzip des Zur-Anwesenheit-kommens und bringt Realität aus sich hervor. Versucht die abendländisch ontologische Tradition das Sein als Bestimmtsein und Seiendheit als Bestimmtheit zu setzten und wird so zu einem „identitätslogischen Automaten“³¹, der sich selbst bewegt³² und somit eine entfremdende Eigendynamik entwickelt, die zu einem Realitätsfetischismus³³ bzw. Vereinheitlichungswahn³⁴ führt. Im Zusammenhang mit dem Imaginären steht auch sein Revolutionskonzept, welches mit dem Denken der Institution zusammenhängt, da die Revolution ihren Ausgangspunkt darin nehmen kann und muss, dass erkannt wird, „dass jede Institution der Gesellschaft Selbstinstitution ist – dass sie vom nomos, dem Gesetz, herrührt, nicht von der physis, der Natur“.³⁵ Eine Revolution entsteht dort, wo die Gesamtheit der bestehenden Institution der Gesellschaft in Frage gestellt wird. Das Ziel der Revolution stellt die Herstellung der Autonomie³⁶ dar. Castoriadis bricht mit dem Argument von Edmund Burke³⁷, dass die Freiheit auf die Vernunft gründet, weil die Vernunft selbst die Freiheit, nämlich die Autonomie voraussetzt. Dabei stellt sich Vernunft als Bewegung eines Denkens dar, welches keine andere Autorität anerkennt als seine eigene Tätigkeit. Um zur Vernunft zu gelangen, muss man zunächst frei denken wollen. Aus dieser Gedankenbewegung wird ersichtlich, dass der Revolutionsgedanke bei Castoriadis zunächst ganz ähnlich wie in der kritischen Theorie³⁸ ein Theorieinstrumentarium zur Verfügung stellt, dass sich mit der Vernunft der Aufklärung beschäftigt, die zugleich offener Prozess der Kritik und der Erforschung ist: Kritik und revolutionäre Praxis zerstören das bloß Faktische – die bestehenden Institutionen –, indem sie zeigen,

 Castoriadis, Gesellschaft, 393.  Vgl. a.a.O., 389.  Vgl. a.a.O., 547.  Vgl. a.a.O., 496.  Vgl. C. Castoriadis, Die Idee der Revolution, in: ders., Autonomie oder Barbarei, Lich 2006, 183 – 203, hier: 183.  Zur Bedeutung von Autonomie s.u.  Vgl. E. Burke, Philosophische Untersuchungen über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen, Hamburg 1989; sowie ders., Über die Französische Revolution. Betrachtungen und Abhandlungen, Berlin 1991.  Vgl. z. B. W. Schmied-Kowarzik, Kritische Theorie und revolutionäre Praxis. Konzepte und Perspektiven marxistischer Erziehungs- und Bildungstheorie, Bochum 1988; M. Horkheimer, Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, Frankfurt a. M. 1974; M. Horkheimer/T. W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt a. M. 1971; T. W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt a. M. 1975.

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dass sie keine andere Daseinsberechtigung haben als jene, die bereits vorhanden ist.³⁹ Das Denken von Castoriadis bricht aber mit der Vorstellung eines Mythos der Geschichte und der Gesetze der Geschichte wie es im Fluchtpunkt der hegel’schen Denkfiguren oder auch bei Schelling noch vorlag. Den Mythos der Revolution als Geburtshelferin der Geschichte – also getragen und gerechtfertigt durch einen organischen Prozess –, der uns bis heute in den vielen Darstellungen der Reformation noch anspringt und ein gängiges Deutungsschema ist, sieht Castoriadis als zu kritisierend an. Vielmehr argumentiert er dafür diese als einen Mythos über den Mythos zu verstehen, den es zu revidieren gilt, und argumentiert dafür diesen Mythos in seiner Ontologie des Sozialen zu entmythologisieren, weil er meint, dass in diesem Gedankenkomplex die alten Transzendenzen ersetzt werden durch die Geschichte und in diesem chiliastischen Denken als Religionsersatz institutiert werden, die eigentlich einen Fetisch darstellen.⁴⁰ Die von Castoriadis eingeführte Revolutionsidee versucht nicht nur den Versuch einer expliziten Neuinstitution der Gesellschaft zu denken, sondern die Revolution auch als Neuinstitution durch das kollektive und autonome Handeln der Gesellschaft zu beschreiben. Eine freie und autonome Gesellschaft ist nach Castoriadis jene, „die sich selbst in realer und reflektierter Form, d. h. in dem Wissen, dass sie es tut, ihre eigenen Gesetze gibt“.⁴¹ Jene autonome Gesellschaft in der Gesetz und Macht vorherrschen bringt freie und autonome Individuen hervor: Ein Individuum, das diese Gesetze und diese Macht als seine eigenen Gesetze und seine eigene Macht anerkennt – was ohne Selbsttäuschung nur geschehen kann, wenn es in vollem Umfang die reale Möglichkeit hat, an der Aufstellung der Gesetze und der Ausübung der Macht teilzunehmen.⁴²

Das Revolutionsprojekt ist also die stetige Aufklärung des Imaginären und der Institutionen, sodass sich das Subjekt schrittweise von der Herrschaft eines verselbstständigten Imaginären befreien kann. Castoriadis denkt somit in der Marx’schen Entfremdungssemantik.⁴³ Allerdings betont er zugleich, dass das

 Vgl. Castoriadis, Gesellschaft, 187.  Vgl. a.a.O., 190.  A.a.O., 194.  Ebd.  Vgl. A. Gehlen, Über die Geburt der Freiheit aus der Entfremdung, Frankfurt a. M. 1983; C. Henning, Theorien der Entfremdung zur Einführung, Hamburg 2015; R. Jaeggi, Entfremdung. Zur Aktualität eines sozialphilosophischen Problems, Berlin 2016; H. Rosa, Beschleunigung und Entfremdung, Frankfurt a. M. 2013.

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Denken der sich selbst schöpfenden Gesellschaft sich dem Prozess einer marxistisch, zum Totalitarismus neigenden Homogenisierung entzieht. „Vielmehr geht es um die Abschaffung der politischen Hierarchie, d. h. jener Teilung der Gesellschaft, die sie in ‚Macht‘ und ‚Nicht-Macht‘ spaltet“⁴⁴. Castoriadis hatte bevor er sich ganz dem schon eingeführten Begriff der Autonomie zuwandte von dem anzustrebenden Sozialismus gesprochen: Der Sozialismus ist nicht eine richtige Theorie, die sich falschen Theorien entgegenstellt; er ist die Möglichkeit einer neuen Welt, die sich aus den Tiefen der Gesellschaft erhebt und sogar den Begriff der ‚Theorie‘ in Frage stellt. […] Sein Inhalt besteht darin, daß diejenigen, die die meiste Zeit über die Objekte der Geschichte sind, ganz zu ihren Subjekten werden – was unbegreiflich wäre, wenn der Sinn dieser Umwandlung nur eine besondere Kategorie von Menschen zugeschrieben wäre.⁴⁵

Im Revolutionsgedanken bei Castoriadis lagert sich die Vermittlung von Theorie und Praxis ab, die als Dialog zwischen der praktischen Philosophie des Aristoteles und der revolutionären Praxis von Marx zu verstehen ist. Mit Aristoteles denkt er die ‚poiesis‘⁴⁶ (grundgelegt durch die techne als zweckgebundenes, mechanisches Handeln bzw. Herstellen) und ‚praxis‘ (grundgelegt durch die ‚phronesis‘ als Handeln aus tugendhaftem Selbstzweck und sittlicher Klugheit). Oder wie es Hans Joas mit Bezug auf Castoriadis formuliert, dass das nicht-technische Handeln seinen Zwecke in sich [trägt], das ihm entsprechende Wissen ist immer fragmentarisch und auf kontinuierliche Erweiterung innerhalb des konkreten Handelns angewiesen, ohne aber jemals zur Theorie über einen Gegenstand zu werden.⁴⁷

Demnach kann die Theorie aber nur ein lückenhaftes und bruchstückhaftes Moment der Aufklärung sein. Theorie, so betont Castoriadis, kann keine Gewissheit aus sich selbst haben.⁴⁸ Daher geht es darum die Theorie in die revolu-

 Vgl. C. Castoriadis, Das Gebot der Revolution, in: Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie, hg.v. U. Rödel, Frankfurt a. M. 1990, 54– 88, hier: 88.  Vgl. C. Castoriadis, Proletariat und Organisation I., in: ders., Sozialismus oder Barbarei. Analysen und Aufrufe zur kulturrevolutionären Veränderung, Berlin 1980, 107– 144, hier: 133; vgl. auch ders., Gesellschaft, 145.  Vgl. D. Cürsgen, Phänomenologie der Poiesis, Würzburg 2012.  Vgl. H. Joas, Institutionalisierung als kreativer Prozeß. Zur politischen Philosophie von Cornelius Castoriadis, in: ders., Pragmatismus und Gesellschaftstheorie, Frankfurt a. M. 1992, 146 – 170, hier: 151.  Vgl. C. Castoriadis, Die Psychoanalyse als Projekt der Aufklärung, in: ders., Durchs Labyrinth. Seele, Vernunft, Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1981, 59 – 104, bes. 88 f.

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tionäre Praxis einzuschreiben, wie es der Marxismus und seine Dialektik als denkerische Weise als ein Handeln schon getan hat: Es ging ihm [dem Marxismus, Anm. d. Verf.] darum, das Theoretische wieder in die geschichtliche Praxis einzugliedern, deren Teil es in Wahrheit ja immer war, wenn auch meist in mystifizierter Gestalt.⁴⁹

Die revolutionäre Praxis sieht Castoriadis aber nicht als ein umfassendes und detailliertes Schema der zu errichtenden Gesellschaft, vielmehr müsse sie sich darauf beschränken zu zeigen, dass ihre Vorschläge keine Widersprüche enthalten und dass deren Verwirklichung die Problemlösungskapazität der Gesellschaft anwachsen lassen müsse.⁵⁰ Das Zuordnungsparadigma von Theorie und Praxis sieht Castoriadis darin verwirklicht, wenn der Theorie ihr rechter Ort zugewiesen wird, der es ihr ermöglicht ihre eigentliche Aufgabe zu erfüllen und sie dadurch imstande ist ihre Würde zurückzuerlangen. „Aber mit dieser Ortsbestimmung des Theoretischen ist die des Praktischen untrennbar verbunden; nur in der rechten Beziehung zueinander können beide wahr werden“.⁵¹ Damit verändert sich aber auch der Praxisbegriff und seine Bestimmung: „Praxis nennen wir dasjenige Handeln, worin der oder die anderen als autonome Wesen angesehen und als wesentlicher Faktor bei der Entfaltung ihrer eigenen Autonomie betrachtet werden“.⁵² Jene Ausrichtung auf die Autonomie⁵³ impliziert eine prozessuale Seinsart von Praxis, die bei Castoriadis mit dem Begriff des ‚Entwurfes‘ belegt wird. Die sozialistische Revolution erstrebt die Veränderung der Gesellschaft durch die autonome Tätigkeit der Menschen und zielt auf die Einrichtung einer Gesellschaft, die in ihrer Organisation der Autonomie aller entgegenkommt. Dies ist ein Entwurf. ⁵⁴

3 Das Imaginäre und die Mengen-Identitätslogik Das Imaginäre als Entwurf wird bei Castoriadis auf dem Hintergrund seiner Absetzbewegung von der ‚Mengen- und Identitätslogik‘ des abendländischen Den-

 Castoriadis, Gesellschaft, 110.  Vgl. a.a.O., 154.  A.a.O., 120.  A.a.O., 128.  Vgl. zur Aktualität auch M. Pauen/H. Welzer, Autonomie. Eine Verteidigung, Frankfurt a. M. 2015.  Castoriadis, Gesellschaft, 162.

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kens konturiert. Jene Mengen- und Identitätslogik operiert mit der Grunddimension der Bestimmtheit, die von ihm verstanden wird als die innere Möglichkeit, definiert und unterschieden zu werden. Jene Logik macht eine ontologische Entscheidung über die Organisation, was ist. Die Mengen- und Identitätslogik ist jene Möglichkeit der Einteilung und Überführung alles Seienden in definite Größen, welche mittels der operativen Unterscheidung von Identität und Differenz eindeutig in Mengen und Hierarchien von Mengen einteilbar und so definierbar sind. Durch das Imaginäre wird diese Logik durchbrochen und hin zum Unbestimmten geöffnet. Zugleich wird es aber möglich die dahinter vorgängigen rationalistischen Verdrängungsstrategien aufzuzeigen und aufzuklären. Somit wird aber auch deutlich, dass Castoriadis ein ontologisches Paradigma verfolgt, welches er mit der Idee und Begriffsbelegung der Fundamentalmetapher des ‚Magmas‘ kennzeichnet. Mit ihr kennzeichnet er das Sein anhand eines subjektiven semantischen Feldes, das sich um das Zähflüssige und Gestaltlose einerseits, aber auch um das mögliche Erstarren zu Gestein andererseits organisiert: Wir haben es [das Gesellschaftliche, Anm. d. Verf.] vielmehr als Magma zu denken, als Magma von Magmen sogar – worunter ich nicht das Chaos verstehe, sondern eine nichtmengenförmige Organisationsweise einer Mannigfaltigkeit, für die das Gesellschaftliche, das Imaginäre und das Unbewusste als Beispiel dienen können.⁵⁵

Jene nicht-mengenförmige Organisationsweise, die aber nicht Chaos ist, verweist auf eine innere Hierarchie, die sich an alle weiteren Bedeutungs- und Seinsschichten an eine primäre natürliche Schicht anlehnt⁵⁶: Daß sich die Institution der Gesellschaft an die Organisation der primären natürlichen Schichten anlehnt, soll nun nicht etwas besagen, daß sie diese nachbildete, widerspiegelte oder sich von ihr irgendwie bestimmen ließe. Sie findet darin vielmehr eine Reihe von Bedingungen, Stützen, Anregungen, Grundpfeilern und Hindernissen.⁵⁷

Dieser primären natürlichen Schicht werden zwei Praxen der Differenzierung der Instititutionen zugeordnet: Das legein ist die identitätslogische Dimension des gesellschaftlichen Vorstellens/Sagens; legein, die etymologische Wurzel von logos und Logik, bedeutet: unterscheiden/auswählen/ aufstellen/

 A.a.O., 310.  Zum von Castoriadis aufgenommenen Anlehnungsbegriff Freuds vgl. Wörterbuch der Psychoanalyse, hg.v. E. Roudinesco/M. Plon, Wien/New York 2004, 37– 39.  Castoriadis, Gesellschaft, 392.

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zusammenstellen/zählen/sagen. […] Das teukein ist die identitätslogische (funktionale, instrumentelle) Dimension des gesellschaftlichen Tuns; teukein, die etymologische Wurzel von techne und Technik, bedeutet: zusammenstellen/zurichten/herstellen/ausbauen.⁵⁸

Mit diesen beiden identitätslogischen Operationen/Praxen wird der Institution der Gesellschaft das Instrumentarium zur Verfügung gestellt bzw. stellt sich selbst zur Verfügung, mit dem sie das Magma von Bedeutungen, das sie jeweils sein lässt, gestaltet und anwesend sein lässt, zur Verfügung.⁵⁹ So wird es Castoriadis in seiner Ontologie möglich Kontingenz und Kohärenz als ein Zugleich zu denken. Wolfgang Iser hat die sich abzeichnende prozessuale Unbestimmtheit so ausgedrückt: Ist im Magma das Imaginäre als das Andere des Bestimmten gegenwärtig, um durch legein und teukein in Bedeutungen überführt zu werden, dann vermag das Imaginäre diese ihm abgewonnene Bestimmung wiederum in das ‚Strömen‘ eines Anderswerden hineinzureißen.⁶⁰

Die Re-Formulierung Isers macht auf das Schillernde des Imaginären bei Castoriadis aufmerksam, dass nicht bestimmt, aber bestimmend ist. Das Imaginäre ist demnach auch dazu geeignet um gesellschaftliche Formierungsprozesse zu beschreiben, indem es deutlich macht, dass die Realität ein Produkt des Imaginären ist.

4 Modi des Imaginären Castoriadis unterscheidet zwischen dem individuellen Imaginären als einer im Subjekt ontologisch angelegten Fähigkeit zu bewussten wie unbewussten Phantasien und Einbildungen⁶¹ und dem gesellschaftlichen Imaginären als kollektive Schöpfung von Bedeutungen und Schöpfungen von Bildern oder Figuren, die sie tragen.⁶²

 A.a.O., 299; ausführlicher auch: a.a.O., 373 – 454.  Vgl. a.a.O., 604.  W. Iser, Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie, Frankfurt a. M. 1991, 361; vgl. auch B.Waldenfels, Sozialität und Alterität. Modi sozialer Erfahrung, Frankfurt a. M. 2015.  Vgl. z. B. den Text von C. Castoriadis, Der Zustand des Subjekts heute, in: Die Institution des Imaginären. Zur Philosophie von Cornelius Castoriadis, hg.v. A. Pechriggl/K. Reitter, Wien 1991, 11– 53.  Vgl. Castoriadis, Gesellschaft, 399.

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Das gesellschaftliche Imaginäre besteht in der und durch die Setzung bzw. Schöpfung gesellschaftlicher imaginärer Bedeutungen und der Institution. Institution ist jene Vergegenwärtigung der Bedeutungen und der Bedeutungen als instituierter.⁶³ Die radikale Imagination besteht in der und durch die Setzung/Schöpfung von Gestalten als Vergegenwärtigung von Sinn und von Sinn als stets gestaltetem und vorgestelltem Sinn. Die Institution der Gesellschaft durch die instituierende Gesellschaft lehnt sich an die primäre natürliche Schicht des Gegebenen an und steht mit dem bereits Instituierten immer […] in einer Beziehung des Aufnehmens/Anderswerdenlassens.⁶⁴

Oder anders gesagt: Institutionen finden ihren Ursprung im gesellschaftlichen Imaginären.⁶⁵ Das gesellschaftlich Imaginäre ist zugleich das Medium für kollektive Schöpfungs- und damit Grundlage für Veränderungsprozesse.⁶⁶ Um diese Formen des Imaginären lagern sich zwei andere Formen an. Zum einen gibt es das radikale Imaginäre: Es „lässt sein, was nirgendwo sonst ist, was nicht ist und was für uns die Bedingungen dafür ist, dass irgendetwas ist“.⁶⁷ Es ist sowohl in dem Gesellschaftlichen als auch im Psyche-Somatischen zu finden. „Als Gesellschaftlich-Geschichtliches ist es offenes Strömen des anonymen Kollektivs; als Psyche-Soma ist es Strom von Vorstellungen/Affekten/Strebungen.“⁶⁸ Das radikale Imaginäre ist die Rohheit des Imaginären in der und durch die Setzung/Schöpfung von Gestalten als Vergegenwärtigung von Sinn und von Sinn als gestaltetem und vorgestelltem Sinn, während das aktual Imaginäre die konkrete Gestalt des gesellschaftlich Imaginären darstellt, wie es in die Institution einer Gesellschaft eingeschrieben ist. Castoriadis spricht vom aktual Imaginären als dem „unsichtbaren Zement, der den ungeheuren Plunder des Realen, Rationalen und Symbolischen zusammenhält, aus dem sich jede Gesellschaft zusammensetzt“.⁶⁹ Das radikale Imaginäre an der einen Seite und das aktuale Imaginäre auf der anderen Seite beschreiben damit einen wechselnden Prozess der Realisierung und Rationalisierung, ohne dass er in einer bestimmten Realität und Rationalität aufgeht, und ohne dass umgekehrt Realität und Rationalisierung ihre

 Vgl. a.a.O., 603. Vgl. auch die Überlegungen von J. Dierken, Instutionalisierte Nicht-Institutionalität, in: ders., Selbstbewusstsein individueller Freiheit, Tübingen 2005, 347– 378.  A.a.O., 603 f.  Vgl. Hetzel, Zwischen Poiesis und Praxis, 221.  Vgl. Castoriadis, Gesellschaft, 11 f.  A.a.O., 484.  A.a.O., 603.  A.a.O., 246.

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Eigenart einbüßen.⁷⁰ Damit setzt sich Castoriadis zugleich von einem von Jacques Lacan herkommenden Verständnis des Imaginären ab: Was ich […] als das Imaginäre bezeichne, […] hat nichts mit dem gemein, was gewisse psychoanalytische Strömungen als ‚imaginär‘ vorstellen: das Spekulare, ‚Spiegelhafte‘, das offensichtlich nur ein Bild von, ein reflektiertes Bild ist, anders gesagt: das Wiederspiegelung und damit ein Abfallprodukt der platonischen Ontologie ist […]. Das Imaginäre geht nicht vom Bild im Spiegel oder im Blick des anderen aus. Vielmehr ist der ‚Spiegel‘ selbst, seine Möglichkeit, der andere als Spiegel, erst Wirkung des Imaginären, das eine Schöpfung ex nihilo ist. […] Das Imaginäre, von dem ich spreche, ist kein Bild von. Es ist unaufhörliche (und gesellschaftlich-geschichtlich und psychisch) wesentlich indeterminierte Schöpfung von Gestalten/Formen/Bildern, die jeder Rede von ‚etwas‘ zugrunde liegen.Was wir ‚Realität‘ und ‚Rationalität‘ nennen, verdankt sich überhaupt erst ihnen.⁷¹

5 Das Imaginäre und die Gesellschaft Die Gesellschaft ist damit sowohl ein selbst instituierter und geschöpfter Zustand als auch ein beständig schöpfender, instituierender und somit dynamischer Akt: Die Gesellschaft ist Selbstschöpfung. Die Schaffung der Gesellschaft und Geschichte ist die Leistung der instituierenden Gesellschaft im Gegensatz zur instituierten; instituierende Gesellschaft heißt: das gesellschaftlich Imaginäre im radikalen Sinne.⁷²

Castoriadis Analysen legen nahe Institution als ein symbolisches, gesellschaftlich sanktioniertes Netz anzusehen, in dem sich ein funktionaler und ein imaginärer Anteil in wechselnden Konstellationen verbinden. „Die Gesellschaft kann konkret nur existieren durch die fragmentarische und komplementäre Verkörperung und Verinnerlichung ihrer Institution und ihrer imaginären Bedeutungen“.⁷³ Jene Verkörperung und Verinnerlichung kann aber nur durch lebendige, sprechende und handelnde Individuen geleistet werden, wie Castoriadis immer wieder insistiert.⁷⁴

 Vgl. B. Waldenfels, Der Primat der Einbildungskraft. Zur Rolle des gesellschaftlichen Imaginären bei Cornelius Castoriadis, in: Revue européenne des sciences sociales 27 (1989), 141– 160, bes. 141 f.  Castoriadis, Gesellschaft, 12.  A.a.O., 300.  Vgl. C. Castoriadis, Macht, Politik und Autonomie, in: ders., Autonomie und Barbarei, Lich 2006, 135 – 168, hier: 136.  Vgl. ebd.

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Gesellschaftlich imaginäre Bedeutungen sind also jene komplexen Gewebe von Bedeutungen, die das gesamte Leben der betreffenden Gesellschaft durchdringen, lenken und führen.⁷⁵ Zugleich sind die gesellschaftlich imaginären Bedeutungen auch Indices der sozialen Verkörperung von Wert- und Normenvorstellungen in und durch die Praxis der in ihnen begründeten und sich orientierenden Individuen. Die Gesellschaft als imaginäre Institution hält nach Castoriadis der Zusammenhalt ihrer Bedeutungswelt zusammen.⁷⁶ Die so erzeugten imaginären Bedeutungen schlagen sich auch in der inneren Gliederung der Gesellschaft nieder. […] Diese nähere Bestimmung geschieht mittels zahlreicher Institutionen und imaginärer Bedeutung einer zweiten Art – nicht in dem Sinne, daß sie unbedeutender oder schlicht abgeleitet wären, sondern weil sie durch die Institution der zentralen Bedeutungen der betreffenden Gesellschaft werden. […] Vermittels der Gesamtheit dieser sekundären Institutionen wird das Funktionieren der institutierenden Gesellschaft gewährleistet und perpetuiert. Dazu gehören auch das Wuchern der wirklich sekundären und abgeleiteten Institutionen und Bedeutungen – an die man gewöhnlich denkt, wenn von Institutionen die Rede ist.⁷⁷

Die Verinnerlichung und Verleiblichung des Imaginären wird durch das Symbolische geleistet, so der Befund von Castoriadis. Der Rückgriff auf das Symbolische sollte nicht nur erfolgen um sich „auszudrücken, […] sondern um überhaupt zu ‚existieren‘, um etwas zu werden, das nicht mehr bloß virtuell ist“.⁷⁸ In Institutionen werden die Bedeutungen in, durch und mit Symbolen vergegenwärtigt.⁷⁹ Zwischen Symbolischem und Imaginären besteht eine Beziehung, Ersteres verhilft Letzterem zu expliziter Geltung. Die Meta-Funktion von Institutionen bestimmt Castoriadis folgendermaßen: Symbole (Signifikanten) mit Signifikaten (Vorstellungen, Ordnungen, Geboten oder Anreizen, etwas zu tun oder zu lassen, Konsequenzen – also Bedeutungen im weitesten Sinne) zu verknüpfen und ihnen als solchen Geltung zu verschaffen, das heißt, diese Verknüpfungen innerhalb der jeweiligen Gesellschaft oder Gruppe mehr oder weniger obligatorisch zu machen.⁸⁰

 Vgl. C. Castoriadis, Das Imaginäre: die Schöpfung im gesellschaftlich-geschichtlichen Bereich, in: ders., Das imaginäre Element und die menschliche Schöpfung, Lich 2010, 25 – 46, bes. 29 f.  Vgl. Castoriadis, Gesellschaft, 588.  Castoriadis, Gesellschaft, 606.  A.a.O., 218; virtuell nimmt Castoriadis hier die Position von Bergson auf, vgl. H. Delitz, Der Bergson-Effekt, Weilerswist 2015.  Vgl. Castoriadis, Gesellschaft, 603.  A.a.O., 200. Ein näherer Vergleich des Symbol-Begriffes von Castoriadis mit jenem von Tillich (auch im Hinblick auf die anthropologische und erkenntnistheoretisch-geschichtsphilosophische

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6 Die Rückkehr zur Revolution Die ‚Nötigungʻ zur Revolution wäre demnach gegeben, wenn Autonomie als imaginäre Bedeutung in einer Gesellschaft keimt „sobald die Bewegung expliziten und unaufhörlichen Fragens losbricht, die sich nicht auf die ‚Fakten‘, sondern auf die imaginären gesellschaftlichen Bedeutungen und ihre mögliche Begründung bezieht“.⁸¹ Die Revolution als Durchsetzung bzw. die Herstellung von Autonomie ist als eine prozessuale Dynamik zu sehen, die die Verwindung bzw. Überwindung der Entfremdung darstellt. Entfremdung⁸² als Ausdruck der heteronomen institutionellen Dynamik der Gesellschaft wäre die Verselbstständigung und Vorherrschaft des imaginären Momentes der Institution, deren Folge die Verselbstständigung und Vormachtstellung der Institution gegenüber der Gesellschaft ist.⁸³ Durch die Entfremdung, die Castoriadis zugleich mit dem Gedanken der Heteronomie als Gegenentwurf zur Autonomie belegt, verhüllt die Gesellschaft ihr eigenes Sein als Selbst-Institution und ihre wesenhafte Zeitlichkeit.⁸⁴ Diese Entfremdung wirkt sich auch auf die individuelle Ebene bzw. das Subjekt aus, da sich das verselbständigte Imaginäre als heteronome Dynamik sich anmaßt für das Subjekt die Realität und sein Begehren zu definieren.⁸⁵ Das Gelingen einer Revolution steht und fällt nach Castoriadis danach mit der Beantwortung der Frage, inwieweit die Gesellschaft ihre eigene imaginäre Institution als ihre eigene Schöpfung erkennen kann, und

Relevanz) kann hier nicht geleistet werden, könnte aber in einer weiterführenden Diskussion für den Deutungsrahmen der Theorie Tillichs im Hinblick auf seine Kulturtheorie und ihre gegenwärtige Relevanz durchaus gewinnbringend sein. Es sei hier nur auf die neueste Untersuchung zu Tillichs frühem Symbolbegriff verwiesen: L. C. Heinemann, Sinn – Geist – Symbol. Eine systematisch-genetische Rekonstruktion der frü hen Symboltheorie Paul Tillichs, Berlin 2017.  Castoriadis, Gesellschaft, 153 f.  Vgl. a.a.O., 194.  Vgl. a.a.O., 226.  Vgl. a.a.O., 608. Zur Bedeutung der Zeitlichkeit in der Geschichtsphilosophie bei Paul Tillich kann seine Frankfurter Vorlesung zur Geschichtsphilosophie und Sozialpädagogik von 1929/30 (EW XV, Berlin u. a. 2007) herangezogen werden (insbesondere der Abschnitt Das Geschehen und das Neue, bes. 71– 98. Schon in seinen Schriften zur Geschichtsphilosophie (GW VI, Stuttgart 1963) finden sich neben dem Aufsatz Eschatologie und Geschichte (72– 82) auch grundlegende Gedanken in Prophetische und marxistische Geschichtsdeutung (97– 108), sowie Kairos und Utopie (149 – 156). Wie auffällt ist in den bisherigen Forschung die Kategorie des ‚Prophetischenʻ noch unzureichend behandelt worden. So wäre es durchaus überlegenswert, ob nicht Revolution und Reformation als prophetisches Handeln, welches imaginäre Handlungsräume eröffnet, zu deuten ist.).  Vgl. Castoriadis, Gesellschaft, 175.

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sich als instituierende anerkennen, sich explizit selbst instituieren und die Selbstverewigung des Instituierten überwinden will und sich als Quelle ihrer eigenen Andersheit anerkennen kann.⁸⁶ Revolution wurzelt also im kollektiven und autonomen Handeln der Menschen. Sie ist von Castoriadis als eine Transformationsmatrix in den Prozessen der Neuinstitution der Gesellschaft gedacht. Eine soziale Revolution wäre demnach eine in dem Autonomieprojekt wurzelnde radikale Transformation der Gesellschaft über die sozialen imaginären Bedeutungen die einen Teil der Kultur ausmachen. Castoriadis betont⁸⁷, dass die Kultur in enger Verbindung stehe zu den in einer Gesellschaft vertretenen Normen, Werten und Bedeutungen. Sie eröffnet einen Zugang zum poetischen Imaginären, aus dem kreative Schöpfungen hervorgehen: Wenn der Mensch die Dinge rational ordnet oder organisiert, tut er nichts anderes, als bereits existierende Formen zu reproduzieren, zu wiederholen oder umzubilden. Wenn er aber poetisch organisiert, gibt er dem Chaos (dem des Seins und seinem eigenen) eine Form, und dieses Dem-Chaos-eine-Form-Geben, das vielleicht die beste Definition der Kultur ist.⁸⁸

Neue kulturelle Schöpfungen können über einen poetischen Bezug zum Imaginären neue gesellschaftlich gültige Formen erschaffen und auf diesem Weg neuen Sinn und neue Bedeutungen für eine Gesellschaft etablieren. Das Imaginäre ist damit auch ein heuristischer Begriff, dessen Untersuchung Aufschluss über die Strukturen, Ausdrucksformen und Horizonte der gesellschaftlichen Institutionen gibt. Es stellt den Rahmen zu Verfügung, innerhalb dessen Sinn und Bedeutungen in einer Epoche systematisch arrangiert werden; es wirkt wie ein kategoriales Ordnungsschema, das den Rahmen möglicher Vorstellungen absteckt; es bestimmt, wie eine Gesellschaft ihre eigene Existenz, ihre Welt und ihre Beziehungen zu diesen erlebt, sieht und gestaltet.⁸⁹

Die von Castoriadis eröffneten Denkräume ermöglichen es ein ‚kollektives‘ Imaginäres zu denken, welches über die Bestimmung des Imaginären als Raum der individuellen Deutungskategorie hinausreicht. Durch diese Denkungsart wird eine Kritik an jenen Symboltheorien (insbesondere von E. Cassirer, C. Levi-Strauss

 Vgl. a.a.O., 362 f.  Vgl. C. Castoriadis, Kultur und Demokratie, in: Lettre International IV (1994), 14– 17.  A.a.O., 15.  Vgl. A. Honneth, Eine ontologische Rettung der Revolution. Zur Gesellschaftstheorie von Cornelius Castoriadis, in: ders., Die zerrissene Welt des Sozialen, Frankfurt a. M. 1990, 123 – 143, hier: 134.

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und C. Geertz) möglich, die jedes kulturelle Geschehen auf Symbolgebrauch und Kommunikation reduzieren.Wie durch die Hinweise von Castoriadis eröffnet, geht es ja gerade darum, dass Symbole im Zusammenklang von Praxis und Interpretation geschaffen und mit Bedeutung versehen werden bzw. versehen werden müssen.⁹⁰ Castoriadis stellt damit die Behauptung auf, dass durch die Auseinandersetzung mit dem poetischen Imaginären eine Dynamik der Autonomie freigesetzt wird, in der es gelingen kann zu neuen kulturellen Schöpfungen zu gelangen, welche der Gesellschaft über die Kultur neue soziale imaginäre Bedeutungen vermitteln. Kultur ist damit auch eine ontologische Öffnung als ein Ausbrechen aus einer Mengen-Identitätslogik, die aus einem bereits Gegebenen alles ableitet und insofern als geschlossenes System funktioniert. Autonomie im Sinne von Castoriadis beruht dann auf der Erfindung von Neuem,⁹¹ welches nicht bereits im Existierenden enthalten ist, also einen Schöpfungsakt darstellt, der nicht innerhalb der Mengen-Identitätslogik erfolgen kann, sondern die Schließung durchbricht und eine neue Ontologie herbeiführt,⁹² die die Signatur des Entwurfs trägt. Der Entwurf ist das Element der Praxis und überhaupt aller Aktivität: er ist eine nähere Bestimmung der Praxis hinsichtlich ihrer Verknüpfung mit dem Wirklichen sowie hinsichtlich einer konkreteren Definition ihrer Ziele und deren spezifischer Vermittlungen. Der Entwurf ist die Absicht einer Veränderung des Realen, geleitet von einer Vorstellung von Sinn dieser Veränderung, orientiert an den tatsächlichen Bedingungen und bestrebt, eine Aktivität in Gang zu setzen.⁹³

Revolution ist die Veränderung der gegenwärtigen Gesellschaft in eine andere, die ihrer Organisation nach auf die Autonomie aller ausgerichtet ist – als Öffnung der ontologischen Setzung, die jeden Abschluss überschreitet. „Der revolutionäre Entwurf wurzelt in der tatsächlichen gesellschaftlichen Wirklichkeit und stützt

 Vgl. R. Seyfert, Cornelius Castoriadis: Institution, Macht, Politik, in: Das Politische denken. Zeitgenössische Positionen, hg.v. U. Bröckling/R. Feustel, Bielefeld 1990, 253 – 272, bes. 269.  Vgl. auch Tillich, Das Geschehen und das Neue, 71– 98.  Vgl. Castoriadis, Gesellschaft, 514 f.; Honneth merkt an, dass das ganze Denken von Castoriadis um die Rettung des Revolutionsgedankens kreist und gerade die Aufbietung der Ontologie als Begründungsstrategie ein Alleinstellungsmerkmal des castoriadischen Denkens sei: „In dreieinhalb Jahrzehnten philosophisch-wissenschaftlicher Arbeit hat Castoriadis sich aus dem theoretischen Rahmen des Marxismus gelöst, nur um dessen praktischen Kern, die Idee einer revolutionären Umwälzung des Kapitalismus, für die Gegenwart retten zu können; seine ganze Lehre kreist daher […] um das Problem der Revolution. […] Seine Theorie wurzelt in der Überzeugung, dass es der Prozess einer ständigen Hervorbringung neuer Seinsgestalten ist, der die eigentliche Seinsweise der Wirklichkeit ausmacht“ (Honneth, Eine ontologische Rettung, 145).  Castoriadis, Gesellschaft, 132.

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sich auf sie, auf die Krise der bestehenden Gesellschaft und die Ablehnung dieser Gesellschaft“.⁹⁴ Die Revolution wird somit als ein Handeln der schöpferischen Hervorbringung einer neuen Sozialordnung gesehen, die den anthropologischen Deutungsversuchen des historischen Determinismus entgegensteht und demgegenüber auf die besondere Fähigkeit des Menschen hinweist, stets neue Antworten auf sich gleichbleibende Situationen geben zu können. Es ist genau dieses Moment des projektiv-kreativen Potentials, das er in den menschlichen Kulturleistungen sieht, die sein Denken so attraktiv machen. Die revolutionäre Praxis wird zur Bewegungsform der gesellschaftlichen Wirklichkeit erklärt. Mit Castoriadis lässt sich denken, dass der Maßstab für das gesellschaftliche Fortkommen von denjenigen Interpretationen und Weltbildern abhängig ist, durch welche ein sozialer Lebenszusammenhang sich selbst überhaupt erst Sinn und Ordnung verleiht. Institutionen sind demnach einzigartige Verkörperungen von historischen Sinnentwürfen, die der symbolischen Verfasstheit der sozialen Ordnung Rechnung tragen müssen. Gesellschaft wäre demnach ein symbolisch vermittelter Bedeutungszusammenhang, in dem die Institutionen mittels starrer Verknüpfungen von Signifikanten und Signifikaten den herrschenden Sinnentwürfen soziale Geltung verleihen. Im Imaginären haben die symbolischen Ordnungen der Gesellschaften ihr eigentliches Bedeutungszentrum. Von diesem Imaginären her baut sich ein sozialer Lebenszusammenhang sinnvoll auf, aus ihm schöpft – so Castoriadis – eine Gesellschaft die Interpretationen und Deutungen, die ihr einen einheitlichen Sinn verleihen. Damit steht inhaltlich die These deutlich vor Augen, die den ‚cantus firmus‘ der Überlegungen von Castoriadis darstellt: Jede Gesellschaft stellt einen symbolisch vermittelten Sinnzusammenhang dar, der stets von dem Bezug auf einen imaginären Bedeutungshorizont lebt. Dieses Imaginäre erscheint wie ein kategoriales Organisationsschema, das den Rahmen möglicher Vorstellungen absteckt (man denke an eine ähnliche Funktion der ‚Bricolageʻ im Strukturalismus ausgehend von den Untersuchungen C. Levi-Strauss’ als Modus der Vernunftkritik im Wilden Denken); es bestimmt, wie eine Gesellschaft ihre eigene Existenz, ihre Welt und ihre Beziehungen zu diesen erlebt, gesehen und gestaltet wird. Die revolutionäre Theorie zielt auf eine, in der zu konkretisierenden und immer wieder neu zu reflektierenden Perspektive eines emanzipatorischen Entwurfs des radikalen gesellschaftlichen Wandels, auf die Umwälzung der bestehenden Institutionen.

 A.a.O., 162.

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Der Entwurf ist die Absicht einer Veränderung des Realen, geleitet von einer Vorstellung vom Sinn dieser Veränderung, orientiert an den tatsächlichen Bedingungen und bestrebt, eine Aktivität in Gang zu setzen.⁹⁵

7 Konvergenzen des Denkens – mit Castoriadis Tillich lesen Wie schon deutlich geworden sein sollte, möchte ich nahelegen, dass die Lesart Tillichs die Reformation als Revolution zu lesen zugleich durch seine Auseinandersetzung mit dem Sozialismus und der Aufnahme der Gedankenfiguren Schellings geprägt ist. Ich möchte hier nur darauf verweisen, dass die Auseinandersetzung mit der Philosophie der Mythologie, die sich bekanntlich gegen Hegels und seine Gefolgsleute Vorstellung der Vollendung der Autonomie eines absoluten Subjekts richtet. Mit Schelling denkt Tillich, dass mit der Besinnung auf die antike Ontonomie sich die Theonomie aus dem mythologischen Bewusstseins herleitet.⁹⁶ Ich sehe durch die Theoriebrille von Castoriadis ganz deutlich, dass Tillich sich zwar vom Marxismus verabschiedet hat, aber nicht den Begriff des jungen Marx aufgegeben hat, nämlich der Entfremdung. Dieser Begriff wird in die Dynamik von Individuum und Gesellschaft eingezeichnet und bewirkt eine starke Auseinandersetzung zwischen individueller und gesellschaftlich-institutioneller Konfiguration wie wir sie in der Proklamation des Prophetischen sehen, die der Entfremdung als Verselbständigung und Vorherrschaft des imaginären Moments der Institution wehrt. Das Prophetische wehrt durch seine theonome Gestalt die Verabsolutierung des Imaginären der Institution der Gesellschaft – ganz im Sinne des Schelling’schen Aufklärungsprojektes.⁹⁷ Von daher erschließt sich das Bild Tillichs auf die Reformation nochmals neu, denn nicht die Beschaffenheit der Institution als solcher, sondern das Verhältnis der Gesellschaft zu ihren Institutionen wird zur Folie der Auseinandersetzung bei Tillich, die die eigentlich Frage der Entfremdung des Subjektes von seinem Sein ausmacht.⁹⁸ Allerdings wird ganz

 A.a.O., 132.  Zur weiteren Lektüre und möglichen Verknüpfung des Hintergrundes von Tillich mit dem Denken Schellings sei hier auf M. Gabriel, Der Mensch im Mythos. Untersuchungen über Ontotheologie, Anthropologie und Selbstbewußtseinsgeschichte in Schellings „Philosophie der Mythologie“, Berlin/New York 2006 verwiesen.  Vgl. ebd.  Auf die Bedeutung der Entfremdungsthematik hat schon G. Wenz, Subjekt und Sein. Die Entwicklung der Theologie Paul Tillichs, München 1979 hingewiesen. In der neueren Tillich-

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im Sinne Schellings der Autonomiebegriff bei Tillich nicht als positiv aufgeladener Gegenbegriff etabliert, da er in der Marx’schen Lesart die Selbstgesetzgebung einer Gesellschaft und eines Individuums bedeuten würde die sich selbst einen Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit suchen könnte. Vielmehr werden jene revolutionären Akte und Praktiken abgelehnt die die Veränderung der Gesellschaft durch die autonome Tätigkeit der Menschen erwirken wollen und die auf eine Einrichtung einer Gesellschaft zielen, die in ihrer Organisation der Autonomie aller entgegen kommt. Ist bei Castoriadis das Bedingungsverhältnis, dass die individuelle Autonomie nur im Rahmen der gesellschaftlichen Autonomie möglich ist, so scheint es bei Tillich genau umgekehrt zu sein, nämlich dass die gesellschaftliche Autonomie erst durch die individuelle Autonomie möglich wird. Es ist die Erschließung des Imaginären, des Unbedingten in seiner individuellen und gesellschaftlichen Bedingtheit, welches möglich macht den Horizont des zu Erschließenden zu öffnen. Es wäre notwendig noch mehr über den Gesellschaftsbegriff in seinem Wechselspiel mit dem ‚Subjektiven‘ und ‚Individuellen‘, wie wir es bei Tillich beobachten, nachzudenken. Es scheint mir, dass gerade hier in der Dynamik vom Symbolischen eine Strukturparallele zum Imaginären bei Castoriadis vorliegt, in der das Verhältnis von Sozialität und Kreativität bestimmt wird. Aus der Sicht einer praxistheoretischen Fundierung wäre anzunehmen, dass Tillich seinen Kulturbegriff ⁹⁹ eben aus Praktiken gewinnt die das vermittelnde Element von Individuum und Gesellschaft bestimmen will. So liefert Tillich eigentlich eine erste praxeologische Analyse (freilich müsste hier noch näher zum Praxis-Begriff und seiner Konzeption bei Tillich geforscht werden) der Reformation als revolutionäre Praxis, welche die Kreativität des theonomen Handelns thematisiert. Sie ist Praxis und Interpretation¹⁰⁰ zugleich, indem sie die Reformation als Institutionalisierung eines kreativ-theonomen Prozesses begreift. Mit Castoriadis Analysen kann das transzendentale Strukturmoment der Reformationsdeutung von Tillich als Überführung eines revolutionären in einen schöpferischen Entwurf gelesen werden, in dem sich die gesellschaftlich imaginäre Bedeutung einer sich instituierend/geschehenden Strukturdynamik des Revolutionären in eine instituierten/geschehenden Strukturdynamik des Schöpferischen überführt. Reformation ist die Schöpfung eines neuen sozialen Systems

Forschung, aber in Anlehnung an die Untersuchung von Wenz sei auf S. Dienstbeck, Transzendentale Strukturtheorie. Stadien der Systembildung, Göttingen 2011 verwiesen.  Zur Frage und sozialen Dynamik des Kulturbegriffes immer noch einschlägig die Untersuchung von M. Moxter, Kultur als Lebenswelt. Studien zum Problem einer Kulturtheologie, Tübingen 2000.  Vgl. J. P. Arnason, Praxis und Interpretation. Sozialphilosophische Studien, Frankfurt a. M. 1988.

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und kulturellen Interpretationshorizontes, da sie es durch die Öffnung von Sinnhorizonten das Subjekt in seinem Sein hin auf das Öffnen der Weltinterpretation vorbereitet und somit das Subjekt zu einer Praxis der Weltinterpretation wird.¹⁰¹ Reformation als revolutionäre Praxis ist kreatives Handeln, die eine Entstehung einer interpretativen (Theo)Norm ermöglicht. Sie ist Formgebung und Gesetzgebung, sie ist ein Prozess des Bestimmens im Spannungsfeld von Praxis und Interpretation. Was aus ihr hervorgeht, tritt in ein Sein, das es aber nicht einfachhin hat, sondern zu sein hat. Reformation als revolutionäre Praxis ist nach dem Denken von Castoriadis somit als ‚radikales Imaginäres‘ zu betrachten. Tillichs Ontologie – so wäre die konstruktive These – speist seine transzendentale Strukturtheorie durch eine Interpretation der Einbildungskraft/des Imaginären als Durchbruch hin zum Unbedingten, welches zwischen Subjekt und Welt durch die Praxis der Verkörperung der schöpferischen Einbildungskraft (also der Eröffnung ihrer interpretativen Funktion innerhalb einer Ontologie des Sozialen) in der jeweiligen Gesellschaft vermittelt. Reformation wäre dann die Freilegung des symbolischen Anteils im Akt eines kreativen Handelns des Imaginären (als Praxis und Interpretation) als Deutungsraum einer sich instituierenden Gesellschaft, die sich gegen eine instituierte Gesellschaft auflehnt. Es ist der revolutionäre Entwurf der den ‚gewaltsamen Bruch‘ der monadischen Selbstbespiegelung des Individuums in der Gesellschaft in seiner imaginären Verfasstheit durch das Symbolische zu öffnen vermag. Die Reformation als Revolution ist in ihrer Strukturdynamik die Freisetzung des Imaginären in einer instituiert-entfremdenden Gesellschaft, um sich symbolisch vermittelnd von Entdeckung der Autonomie wieder in eine instituierend theonome Gesellschaft zu transformieren. Theonomie ist die Richtung auf das Sein als reinen Gehalt, als Abgrund jeder Denkform. Autonomie ist Richtung auf das Denken als Träger der Formen und ihrer Gültigkeit. Autonomie für sich treibt zur leeren gehaltlosen Form, Theonomie für sich zum formlosen Gehalt. Die Theonomie, die Richtung aller Formen auf das Unbedingte, kann sich nur in Formen verwirklichen, die unter dem Gesetz der Form stehen, also die Tendenz zur Autonomie haben und die Autonomie kann sich nicht auf Formen richten, ohne den Gehalt zu erfassen, den sie ausdrückt, also nicht ohne theonomes Element sein: Die Reformation wurde von den Massen aufgefasst als eine revolutionär-eschatologische Bewegung; nur in dieser Form konnte sie lebendig an ihr Anteil nehmen. Aber diese Form wurde von den Führern abgestossen zugunsten eines kultischen Konservatismus, der sich

 Vgl. Tillich, Ontologie.

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auf die weltlichen Mächte stützte. Nur so war ein Zurückfluten der Bewegung in den Katholizismus zu verhindern; so aber musste die Sehnsucht der Massen ohne wirkliche Erfüllung bleiben. Diese Lage verschärfte sich, als auch die Reste des kultischen Bewusstseins von der aufklärerischen Kritik erschüttert wurden, die ästhetische Weltbejahung aber nur den obersten Schichten auf Kosten der Massen möglich war, die unter dem hemmungslos, weil unmystisch gewordenen Macht- und Autoritätsprinzip leiblich und seelisch verdarben. Und doch war auch in ihnen der Geist der Immanenz mächtig; aber er konnte nicht, wie bei den Oberen, ein Geist der Weltbejahung sein, sondern er musste ein Wille zur Weltgestaltung werden.¹⁰²

Mit Tillich und Castoriadis kann betont werden, dass beide den Menschen, der gesellschaftlich-geschichtlich produzierend ist, als Materie aller Geschichte sehen.¹⁰³ Die Reformation als eine prophetische Brechung der instituierten Gesellschaft befreit das Bewusstsein von den priesterlich getragenen und bewahrten Ursprungsbindungen und ist der weltgeschichtliche Angriff auf die instituierten Ursprungsmythen und ‐bindungen in der Auflösung aller ursprünglichen Gegebenheiten, Bindungen und Gestalten. Jene Auflösung versucht die Entfremdung¹⁰⁴ zu überwinden, ohne jedoch zu vergessen, dass es immer wieder einen Rückfall geben kann. Die Auflösung stellt rational zu bewältigende Elemente und rationale Zusammenfassungen dieser Elemente zu Zweckgebilden für das Denken und Handeln zur Verfügung.¹⁰⁵ Tillich spricht in diesem Zuge immer wieder von der prophetischen Substanz, die sich rational sowohl im Erkennen als auch im Handeln ausdrückt.¹⁰⁶ Das Prophetische, wie die sozialistische Erwartung seien ein Zeugnis des Lebens über seine grundsätzliche Offenheit, ein Protest des Lebens gegen falsche Jenseitsbegriffe, die notwendig falsche Diesseitsbegriffe gegen sich hervorrufen. Das Prophetische wird von Tillich offenbar als die Verneinung jedes Anspruches eines Endlichen begriffen bzw. wie wir mit Castoriadis sagen können, des radikal

 Vgl. P. Tillich, Masse und Geist, in: ders., Christentum und soziale Gestaltung, GW II, Stuttgart 1961, 35 – 90, hier: 82.  Vgl. P. Tillich, Die sozialistische Entscheidung, in: ders., Christentum und soziale Gestaltung, GW II, Stuttgart 1961, 219 – 365, bes. 322.  Siehe zur Gesamtthematik die Arbeiten von Rahel Jaeggi (insbesondere Entfremdung. Zur Aktualität eines sozialphilosophischen Problems, Berlin 2016). Zur Entfremdungskategorie und ihrer Bedeutung bei Castoriadis sei verweisen auf P. Sörensen, Entfremdung als Schlüsselkategorie einer kritischen Theorie der Politik, Wiesbaden 2015. Auf die allgemeine soziologische Bedeutung in gesellschaftskonstitutierenden Kontexten hat H. Rosa in Beschleunigung und Entfremdung (Berlin 2013) hingewiesen.  Vgl. Tillich, Die sozialistische Entscheidung, 256.  Vgl. a.a.O., 317.

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Imaginären.¹⁰⁷ Auch hier wird deutlich, dass Tillich offensichtlich von dem Entfremdungsparadigma, welches ihm die marxistische Theoriebildung vermittelt, her denkt und inspirieren lässt, aber dann durch seine geschichtsphilosophischen Überlegungen, die in die Ontologie des Sozialen hineinspielen, zu einer anderen Konfiguration durchstösst,¹⁰⁸ die sich nun im Hinblick auf die psychoanalytische Deutung des Prophetentums als väterliche Dynamik deuten lässt, die im mütterlichen Prinzip der Kirche ihren Gegensatz hat¹⁰⁹: „Der prophetische Typ ist im Gegensatz zum sakramentalen Muttertyp Vatertyp“. Mit Castoriadis kann betont werden, dass es gerade das Imaginäre, welches das Gesetz ist, es ermöglicht, dass der Mensch gesellschaftlich instituierend bzw. produzierend ist, da es die Wendung zum Unbedingten um des Unbedingten willen ist.¹¹⁰ Diesen Punkt aufnehmend könnte hier mit der Theorie von Jacques Lacan weitergedacht und in Beziehung zu Tillichs Bemerkung zum Vatertyp des Prophetischen als Inbegriff der Theonomie gesetzt werden. So schreibt Lacan in seinem Rom-Vortrag: Selbst wenn die Vaterfunktion faktisch von einer einzigen Person repräsentiert wird, vereinigt sie in sich imaginäre und reale Beziehungen, die der symbolischen Beziehung gegenüber, durch die die Vaterfunktion wesentlich konstituiert wird, stets mehr oder weniger unangemessen sind. Im Namen des Vaters[¹¹¹] müssen wir die Stütze der symbolischen Funktion erkennen, die seit Anbeginn der historischen Zeit seine Person mit der Figur des Gesetzes identifiziert.¹¹²

Gerade die Beziehung zwischen dem Gesetz und der identifikatorisch-symbolischen Funktion der theonomen Form des Vaters könnte uns noch tiefer in die Diskussion um die Funktion des Gesetzes und der Rechtfertigung in dem Denken Tillichs weiterführen. Lacan betont in den Überlegungen im Seminar 2,¹¹³ dass der

 Es sei hier nochmals auf die Bedeutung des ‚Prophetischen‘ als geschichtsphilosophischem Erschließungszusammenhang verwiesen, wie ihn Tillich u. a. in seinen Betrachtungen in Der Widerstreit von Raum und Zeit (GW VI) zugrunde gelegt hat.  Vgl. Tillich, Die sozialistische Entscheidung, 319.  Vgl. P. Tillich, Religiöser Sozialismus I, in: ders., Christentum und soziale Gestaltung, GW II, Stuttgart 1962, 151– 158, hier: 152.  Vgl. Tillich, Masse und Geist, 271.  Vgl. J. Lacan, Namen-des-Vaters, Wien 2006.  Vgl. J. Lacan, Das Spiegelstadium als Gestalter der Funktion des Ich, in: ders., Schriften I, Wien 2016, 109 – 117, hier: 109.  Vgl. J. Lacan, Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse,Weinheim 1991.

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symbolische Vater nicht das Gesetz selbst ist, sondern der Garant des Gesetzes.¹¹⁴ Die symbolische Beziehung zum Vater sorgt dafür, dass das Gesetz bindende Kraft hat, dass es befolgt wird, oder um es in der Form von Castoriadis zu sagen, wir es mit dem Übergang von der instituierenden zur instituierten Strukturdynamik zu tun haben. Der „symbolische Vater“ ist, so Lacan – eine Notwendigkeit der Welt der Sprache.¹¹⁵ Er ist notwendig, um die Bindung des Kindes an die Allmacht der Mutter aufzulösen.¹¹⁶ Er ist aber zugleich eine Unmöglichkeit. Er ist undenkbar, da er in der Transzendenz, sich also der Objektivität entzieht, zu verorten ist. Aus dieser Dynamik heraus ist die Reformation in ihrem revolutionären Entwurf als Korrelation von Autonomie (ganz im Sinne von Castoriadis) und Theonomie zu verstehen. So bemerkt Tillich:

 Lacan entwickelt seine Theorie des symbolischen Vaters insbesondere im Seminar 4 (vgl. J. Lacan, Die Objektbeziehung,Wien 2003) weiter, indem er den symbolische Vater als eine logische Unmöglichkeit auffasst (vgl. a.a.O., 248). Der symbolische Vater ist derjenige, der von sich sagen könnte „Ich bin was ich bin“. Dieser Satz kann jedoch von niemandem ausgesprochen werden. Der symbolische Vater ist letztlich nirgendwo repräsentiert (vgl. a.a.O., 261), er greift nirgendwo ein (vgl. a.a.O., 248). Der symbolische Vater kann nur in einem Jenseits, fast könnte man sagen, in einer Transzendenz verortet werden (vgl. a.a.O., 261). Da demnach aber der symbolische Vater der Signifikant ist, der die Wirksamkeit des Gesetzes sichert, muss er außerhalb der symbolischen Ordnung stehen. Nun steht aber kein Signifikant außerhalb der symbolischen Ordnung. Also ist der symbolische Vater unmöglich. Da der symbolische Vater als eine Unmöglichkeit zu denken ist, kann er nur durch einen Mythos repräsentiert werden. Durch das imaginäre Potential des Mythos zeigt sich: Die Bedingung dafür, dass es Väter gibt, besteht darin, dass es vor dem Eintritt in die Geschichte einen wahren Vater gibt. Dieser wahre Vater ist der symbolische Vater, nämlich der tote Vater [der Vater-Signifikant] (vgl. a.a.O., 442). Der wahre Vater wird getötet, um [als Symbol] bewahrt zu werden (vgl. a.a.O., 249). Das imaginär-revolutionäre Potential des EntwurfCharakters des Symbols tritt damit aber offen zutage. In seinem Aufsatz Über eine Frage, die jeder möglichen Behandlung der Psychose vorausgeht (vgl. J. Lacan, Schriften II, Wien 2017, 9 – 71) entwickelt Lacan dann das sog. „Schema R“ (a.a.O., 35), um die Beziehung von Symbolischen und Imaginären näher bestimmen zu können. Im Zuge seiner Überlegungen kommt Lacan dazu, dass der Signifikant ‚Name-des-Vatersʻ die Funktion hat, die Vatermetapher zu bilden. Diese besteht darin, dass der Signifikant ‚Name-des-Vatersʻ an den Platz kommt, der zunächst durch die Abwesenheit der Mutter symbolisiert wird. Wenn die Vaterschaft durch einen reinen Signifikanten zugesprochen wird, wird damit das anerkannt, was die Religion als den Namen-des-Vaters anzurufen lehrt (vgl. a.a.O., 39). Die Anrufung des Namens-des-Vaters weist folgende Struktur auf: Das Subjekt ist in eine imaginäre, erotisch-aggressive Beziehung verstrickt, und dieser Beziehung gegenüber nimmt jemand die Position desjenigen ein, der ein Verbot durchzusetzen versucht. Die Reformation als Revolution wäre demnach der Versuch das imaginär-prophetische Potential des Namens des Vaters aus der Genealogie der Vaterschaft in eine der Sohnschaft (Theonomie durch den Sohn) zu überführen, um der imaginären Genealogie des Wahns zu entkommen.  Lacan, Die Objektbeziehung, 261; sowie 428.  Vgl. a.a.O., 261; s.a. 461.

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Die Autonomie ist das dynamische Prinzip der Geschichte. Theonomie andererseits ist die Substanz und der Sinn der Geschichte. […] Der Unterschied zwischen Autonomie und Theonomie besteht darin, dass in einer autonomen Kultur die kulturellen Formen nur in ihren endlichen Beziehungen, in einer theonomen Kultur dagegen in ihrer Beziehung zum Unbedingten erscheinen.¹¹⁷

Autonomie steht immer wieder in der Gefahr der Entfremdung. So kann es nicht überraschen, dass Tillich meint, dass die Theonomie letztlich die Antwort auf die Frage der Autonomie ist, nach der religiösen Substanz und dem letzten Sinn des Lebens und der Kultur.¹¹⁸ Oder um Tillich abschließend selbst noch zu Worte kommen zu lassen und das verbindende Element der Analysen von Tillich und Castoriadis nochmals zu verdeutlichen, da es unmöglich ist ein System politischen Denkens zu verstehen, ohne das menschlich-gesellschaftliche Sein aufzudecken, in dem es wurzelt […]. Menschliches und gesellschaftliches Sein ist in jedem seiner Elemente bis hinunter zu der primitivsten Triebregung geformt durch Bewusstsein.¹¹⁹

8 Abschließende Bemerkungen Es wäre ein durchaus lohnendes Projekt Tillich mit Castoriadis weiter zu lesen, denn die von Castoriadis entwickelte Ontologie der Unbestimmtheit hat in einer Meta-Perspektive sehr viele Ähnlichkeiten mit der Paul Tillichs und könnte dazu dienen Unklarheiten und unbestimmte Stellen des Konzeptes von Tillich besser und vertiefter zu verstehen. Ich sehe gerade das Konzept des Imaginären als Anschlussstelle für eine Möglichkeit des Nachdenkens über politische Theologie, da Castoriadis wie auch Tillich nicht von einer differenztheoretischen Grundoperation ausgehen, sondern vielmehr aus einer praxistheoretischen Perspektive argumentierten, in der Reformation und Revolution eine soziale Praxis des Imaginären sind in der die geschichtliche Welt die Welt des menschlichen Tuns ist.¹²⁰ Freilich ergeben sich aber bei Tillich und Castoriadis unterschiedliche Einschätzungen bezüglich der Bedeutung und Notwendigkeit von Geschichte. So merkt Castoriadis in Abgrenzung zur marxistischen Geschichtsdeutung an:

 Vgl. P. Tillich, Kairos I, in: ders., Der Widerstreit von Raum und Zeit. Schriften zur Geschichtsphilosophie, GW IV, Stuttgart 1963, 9 – 28, hier: 22.  Vgl. a.a.O., 23.  Tillich, Masse und Geist, 226.  Vgl. Castoriadis, Gesellschaft, 123.

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Sicherlich können wir Geschichte nicht ohne die Kategorie der Kausalität denken. […] Kausalität gibt es im gesellschaftlichen und geschichtlichen Leben, weil es ‚subjektive Rationalitätʻ enthält […]. Zum anderen enthält Geschichte auch ‚objektive Rationalitätʻ, insofern in ihr ständig auch natürliche Kausalbeziehungen im Spiel sind. […] Und schließlich gibt es noch ‚rohe Kausalitätʻ, die wir konstatieren, aber nicht auf subjektive oder objektive Beziehungen zurückführen können: Korrelationen, deren Grundlage wir nicht kennen, Regelmäßigkeiten im individuellen oder gesellschaftlichen Verhalten, die bloße Tatsachen bleiben. […] Die Unmöglichkeit, aus den begrenzten Entwicklungstendenzen einen einheitlichen Determinismus des Gesamtsystems Geschichte zu konstruieren, ist nicht aus der Komplexität der sozialen Materie zu erklären, sondern aus dem Wesen des Gegenstandes Gesellschaft: das heißt aus dem Umstand, daß das Gesellschaftliche (oder Geschichtliche) als wesentlichen Bestandteil Nicht-Kausales enthält. […] [Das Nicht-Kausale, Anm. d. Verf.] erscheint nicht nur als unvorhersehbares, sondern als schöpferisches Verhalten (der Individuen, Gruppen, Klassen, ganzer Gesellschaften); nicht bloß als Abweichung von einem bestehenden, sondern als Setzung eines neuen Verhaltenstypus; als Institution einer neuen gesellschaftlichen Regel, Erfindung eines neuen Gegenstandes oder einer neuen Form. Kurz, das Nicht-Kausale erscheint als etwas aus der bisherigen Situation nicht Ableitbares, als ein Schluß, der seine Prämissen übersteigt beziehungsweise neue aufstellt.¹²¹

Castoriadis zeigt also auf, dass eben die Geschichte immer eine sich reformierende Praxis und Interpretation des sozialen Seins ist, während Tillich hingegen von der Sinndynamik der die Geschichte erschließt. Es scheint mir, dass die von Tillich in Anschlag gebrachte sinntheoretisch aufgeladene Kategorie des Unbedingten bzw. der Unbedingtheit durch die Ergänzung bzw. Betonung des Imaginären als Dimension der Unbestimmtheit im Sinne von Castoriadis im Spannungsverhältnis von Religion und Kultur im Zusammenhang von Reformation als Revolution weiterführend zu sein, um näher die wechselseitige Bestimmung von Kultur und Revolution in ihrer institutionellen Logik des sozialen Wandelns zu verstehen: Reformation als Revolution stellt sich demnach als der Durchbruch zum Aufbruch des Unbedingten dar, welcher es möglich macht die Instituierung der gesellschaftlichen imaginären (prophetischeschatologischen – so müsste man mit Tillich wohl korrekter sagen), als Institution einer Welt zu verstehen, die wir als eine Welt von Bedeutungen bezeichnen können und müssen. Dadurch wird für sie [die Gesellschaft, Anm. d.Verf.] überhaupt erst eine Welt existent und die Existenz einer Welt möglich. […] Die Gesellschaft läßt eine Welt von Bedeutungen sein und ist selbst erst in der Bezugnahme auf eine solche Welt.¹²²

 A.a.O., 75 – 77.  A.a.O., 587 f.

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Das Imaginäre von Castoriadis wäre in den Begründungsfiguren Tillichs mit jenen Anteilen der Sinntheorie, die von den Polaritäten der Potentialität und Aktualität, bzw. von Gehalt und Realisierung des Prophetischen sprechen, zu verbinden. Reformation als Revolution wäre in der Optik von Castoriadis auch ein politischer Schritt als der Ent-Gründung und Be-/Neu-Gründung von Institutionen,¹²³ indem die Welteinrichtung durch Befragung von einer instituierenden zu einer instituierten Sozialform getrieben wird.¹²⁴ Politik ist nach Castoriadis die Aneignung der vormals anonymen, ungerichteten und unmotiviert sich entfaltenden instituierenden Kräfte. Sie steht für den Anspruch auf reflektierte und gründebasierte Gestaltung der geteilten Lebenswelt, die eben nicht – so die Ergänzung durch Tillich sakramental-mystisch organisiert ist, sondern auf der prophetischen Kritik als Eröffnungshorizont des radikal Imaginären als die Befragung der Institution basiert. Das gesellschaftlich Imaginäre, welches die Reformation als Revolution kennzeichnet ist eng verbunden mit den symbolischen Materialisierungen als einem wechselseitigen Konstitutionszusammenhang: Das Imaginäre existiert nicht, ohne sich durch wahrnehmbare Symbole zur Erscheinung zu bringen. Das Imaginäre ist demnach eine Praktik des Herstellens und des ZurErscheinung-Bringens eines vorweggenommenen Neuen – eben jener prophetische Anspruch, in dem sich das Imaginäre als einen theonome Selbstschöpfung der Gesellschaft zur Erscheinung bringt. Das Projekt der Heteronomie würde sich im Anschluss an Tillich und Castoriadis als die Selbstverschleierung des autonomen Schöpfungsprozesses konzeptionalisieren und denken lassen, indem die bestehende Gesellschaftsordnung die Möglichkeit einer sie relativierenden Selbstreflexion nicht realisiert hat bzw. konnte, somit also nicht institutionalisieren konnte.

 Vgl. Sörensen, Entfremdung als Schlüsselbegriff, 377– 395. Das bei Castoriadis bestehende Entfremdungsparadigma findet sich u. a. auch bei Tillich als Signatur des modernen Denkens z. B. in P. Tillich, Entfremdung und Versöhnung im modernen Denken, in: ders., Philosophie und Schicksal. Schriften zur Erkenntnislehre und Existenzphilosophie, GW IV, Stuttgart 1961, 183 – 198.  Vgl. Castoriadis, Gesellschaft, 105.

Geoffrey Legrand

Penser à neuf la pastorale scolaire en Belgique francophone grâce à une relecture de l’œuvre de Paul Tillich Introduction Deux petites remarques introductives, peut-être un peu paradoxales, pour ce colloque sur la réformation et la révolution dans la pensée de Paul Tillich : d’une part, c’est du monde de la théologie pratique – et non de celui de la théologie systématique – que je vous présente ce sujet qui concerne la pastorale scolaire et d’autre part, j’aimerais revisiter cet objet d’étude « catholique » au travers d’un théologien « protestant » que vous connaissez bien, à savoir Paul Tillich. « Réformation et révolution », voilà deux termes qui, étymologiquement par leur préfixe « ré », invitent à donner « une nouvelle forme à un contenu » et qui permettent, au sens figuré, de « tourner, de changer ce qui arrive dans les choses du monde, dans la vie, dans les pensées, dans les mœurs d’une personne ou d’un groupe » si on s’inspire du verbe latin vertere, « tourner, faire tourner, changer ». L’objet d’étude que je voudrais « faire tourner » et voir évoluer, c’est la pastorale scolaire belge francophone. Quant à mon hypothèse de travail, elle consiste à faire appel à un systématicien de renom, à savoir Paul Tillich, pour penser de manière nouvelle cet objet d’étude. Avant d’entrer dans le cœur de la question, permettez-moi dans un premier temps de montrer l’enjeu essentiel de la recherche, la problématique et mes hypothèses de travail. Ensuite, je présenterai brièvement mon objet d’étude, à savoir la pastorale scolaire catholique, les concepts que je sélectionne dans l’œuvre de Tillich pour non seulement penser la pastorale et évaluer les pratiques mais aussi pour proposer de nouvelles perspectives pour le futur.

1 État de ma recherche 1.1 Objet de recherche En Belgique francophone, d’après les chiffres repris par Caroline Sägesser (CRISP), 42,3 % des enfants fréquentent un établissement fondamental du réseau https://doi.org/10.1515/9783110668124-020

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catholique et cette proportion grimpe même à 61 % pour le secondaire.¹ C’est dire l’importance que revêt l’enseignement catholique en Belgique francophone, fréquenté par une population scolaire très riche en diversité et aux appartenances culturelles et religieuses variées.² D’après le texte de référence du SeGEC, Mission de l’école chrétienne, en organisant des écoles catholiques, la Communauté chrétienne entend ainsi rendre un service à la société par la tâche d’éducation³ afin de construire un monde meilleur. Cela représente donc un enjeu sociétal majeur de découvrir le phénomène de l’école catholique belge mais surtout, de mieux comprendre et de rendre efficace ce qui en fait à la fois son essence et son moteur, à savoir la pastorale scolaire qui constitue et met en œuvre le projet éducatif décrit dans les textes de référence.

1.2 Problématique Ainsi, d’après les deux textes de référence majeurs de la CIPS⁴ et du SeGEC⁵ sur le sujet qui nous intéresse, la pastorale scolaire belge touche à la fois aux valeurs du projet chrétien de l’établissement⁶ ainsi qu’aux activités solidaires et spirituelles⁷ des écoles catholiques.

 C. Sägesser, Les cours de religion et de morale dans l’enseignement obligatoire, Courrier hebdomadaire du CRISP, 2140 – 2141, 2012, 28.  « L’école chrétienne accueille volontiers celles et ceux qui se présentent à elle ; elle leur fait connaître son projet, pour qu’ils la choisissent en connaissance de cause : chrétiens et fidèles d’autres religions, croyants et non croyants, chrétiens différents dans leur sentiment d’appartenance à la foi et à l’Église. Sans être nécessairement de la même communauté de foi, ils seront invités au moins à partager les valeurs qui inspirent l’action de l’école. » (SeGEC, Mission de l’école chrétienne. Projet éducatif de l’enseignement catholique, 3e éd., Bruxelles, s.n., 2014, 23). En ligne : http://enseignement.catholique.be/segec/fileadmin/DocsFede/SeGEC/mission_ EC_web_01.pdf, page consultée le 15 novembre 2017. Le SeGEC est le Secrétariat Général de l’Enseignement Catholique pour les Communautés francophone et germanophone de Belgique.  « En créant et en soutenant des écoles, la communauté chrétienne assume sa part du service à la société », (SeGEC, Mission de l’école chrétienne, 3e éd., 16).  CIPS, Bonne nouvelle à l’école. Penser à neuf la pastorale scolaire, s.l., s.n., 2005. La CIPS est la Commission Interdiocésaine de Pastorale Scolaire.  SeGEC, Mission de l’école chrétienne, 3e éd.  « Écrire une appréciation dans un bulletin… Évaluer un travail… Discuter avec un(e) collègue… Quelques occasions – parmi bien d’autres – de mettre en actes la »culture de vie« qui est celle de l’Évangile. On peut toujours choisir d’encourager plutôt que de railler; d’être attentif aux plus faibles plutôt que de ne travailler qu’avec les meilleurs; de souligner les progrès plutôt que

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Or, compte tenu de la détraditionalisation, de la pluralisation, et de l’individualisation⁸ toujours grandissantes, une double problématique émerge dans ce contexte ambigu : d’une part, quelle vision du jeune et de l’homme la pastorale scolaire tente-t-elle de faire émerger ? D’autre part, comment conjuguer la « multi-convictionalité » des acteurs de l’école et la dimension « confessante » dans les écoles catholiques qui entendent « proposer la foi chrétienne »⁹ ? Si, en théorie, les instances officielles de l’école catholique belge avancent quelques réponses dans les deux documents de référence cités plus haut pour définir le cadre pastoral, sur le terrain, on pourrait s’interroger sur la diversité des pratiques pour proposer les valeurs de l’Évangile à tous (chrétiens, autrement croyants ou athées), comme cela est demandé dans les textes de référence. De plus, une véritable recherche de grande ampleur pour « penser la pastorale scolaire » manque encore en Belgique francophone.

1.3 Hypothèses de travail Mon hypothèse de travail fait donc appel au systématicien Paul Tillich pour penser à neuf la pastorale scolaire. Articulant la philosophie et la théologie, ce pasteur « à la frontière » n’a jamais négligé la dimension existentielle dans sa réflexion sur l’éducation chrétienne. Par la « préoccupation ultime » notamment,

de se lamenter des faiblesses… » (SeGEC, Mission de l’école chrétienne, 3e éd., 20) et « La pastorale scolaire […] prend donc corps dans ce qui fait l’école, ici et maintenant. Elle veille à ce que chacun soit accueilli, accompagné, respecté et reconnu » (CIPS, Bonne nouvelle à l’école, 7).  « Selon l’endroit du chemin où se trouve chacun, l’école chrétienne s’oblige en outre à offrir des temps et des lieux de ressourcement, de prière véritable, d’expérience spirituelle, de célébration et de partage où peut s’apprendre avec les mots et les gestes, le sens de la foi. » (SeGEC, Mission de l’école chrétienne, 3e éd., 22).  Ces trois phénomènes de société sont liés pour la plupart des experts à la modernisation en Europe Occidentale (cf. les travaux de V. Drehsen, K. Gabriel & H. Hobelsberger, et F. Schweitzer et H.-G. Ziebertz, de B. Roebben, de L. Boeve).  Le concept de « proposition de la foi » se trouve au cœur de la pastorale scolaire de l’école catholique belge : « La proposition de la foi a du sens dans la mesure où elle rejoint les personnes là où elles sont. Dès lors, au cœur d’une pastorale ouverte, basée sur le respect et l’échange des convictions de chacun, proposer la foi revient à proposer des moments et des lieux qui offrent à tous les membres de la communauté scolaire (enfants, jeunes et adultes) l’opportunité d’être touchés, dans leur cheminement, par des expériences vivifiantes de l’amour premier, inconditionnel et désintéressé du Dieu de Jésus-Christ. » (CIPS, Bonne nouvelle à l’école, 9). Ce concept provient notamment de Mgr Dagens et de l’épiscopat français dans des textes publiés entre 1994 et 1996 (cf. l’article de H.-J. Gagey, Proposer la foi, partager l’Évangile, Précis de théologie pratique, (Théologies pratiques), 2e éd., 2007, 307– 320).

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on remarque son souci de s’ouvrir à tous, aux croyants et non-croyants, tout en maintenant un principe de rationalité. Ainsi, avec lui, la notion de religion au sens large est revisitée et revalorisée alors que la référence à l’Évangile persiste dans son modèle de pensée. L’apport intellectuel de cet homme qui a également abordé le dialogue interreligieux à la fin de sa vie constitue dès lors une grille de lecture tout à fait pertinente pour le chercheur afin de réfléchir à la référence à l’Évangile dans le contexte de la pastorale scolaire belge. Aussi, à la manière de Pedro Rubens,¹⁰ il sera nécessaire de sélectionner et d’étudier différents concepts du corpus « tillichien », non seulement pour « discerner la foi » dans le contexte religieux ambigu de la pastorale scolaire en école catholique mais aussi, afin d’apporter des critères de discernement et d’établir des principes pour mieux positionner les finalités actuelles de la pastorale scolaire dans la société belge de 2018. Au niveau de ma méthode de travail, je suivrai les phases de la contextualisation, de la décontextualisation et de la recontextualisation. Arrivé pour l’instant au milieu de mon travail, je présenterai intégralement la phase de contextualisation tandis que je donnerai simplement un avant-goût des deux autres phases.

2 Contextualisation : la pastorale scolaire Qui pose la question de la pastorale scolaire pose en même temps la question de l’identité de l’école catholique. En effet, que ce soit en Belgique ou à travers le monde, il s’agit de comprendre comment l’Église catholique parvient à trouver l’équilibre entre son succès de fréquentation toujours aussi important¹¹ et son identité qui se remodèle sans cesse en fonction du public actuel plus diversifié. Il existe des réalités complexes et variées dans les écoles catholiques. Ainsi, ne fût-ce qu’en Europe, les situations oscillent : d’un côté, il y a des zones où les catholiques sont absolument majoritaires et les établissements catholiques sont peu nombreux dans le pays ;¹² de l’autre, on trouve des territoires où le taux

 Un travail similaire pour comprendre la foi à partir de l’œuvre de P. Tillich a été effectué au Brésil par P. Rubens, Discerner la foi dans des contextes religieux ambigus (Cogito Fidei, 235), Paris, Cerf 2004.  L’Office International de l’Enseignement Catholique (OIEC) recense ainsi 44 millions d’élèves à travers le monde ainsi que 210 000 écoles catholiques dans les cinq régions suivantes : Afrique, Amérique, Asie, Europe et Moyen-Orient.  Ainsi, en Pologne où 1 % des jeunes fréquentent des établissements catholiques, la « catéchèse » y est encore organisée pour les élèves et la totalité des professeurs suit une « formation

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d’écoles catholiques avoisine les 70 % comme en Flandre¹³ avec une hétérogénéité de cultures et de religions.¹⁴ Ces réalités amènent logiquement différents types de pastorale, avec, par exemple, une opposition flagrante entre les pays du Nord-Ouest et ceux du Sud-Est de l’Europe, les seconds étant généralement plus attentifs aux valeurs morales dites « traditionnelles ».¹⁵ En raison de facteurs sociétaux et politiques, d’après mon analyse, les écoles catholiques présentent ainsi des identités ad intra et ad extra. Pour le monde extérieur, afin d’obtenir des financements ou simplement pour justifier sa place au sein de telle ou telle société, l’école catholique peut jouer la carte du service rendu au monde, justifiant par là sa raison d’être. De l’intérieur par contre, l’école catholique redéfinit plus facilement son identité, laquelle se situe en fonction des régions et des époques entre quatre modèles majeurs : l’« atmosphère propre » ayant pour but l’annonce du salut et du royaume de Dieu,¹⁶ le « règne des valeurs »,¹⁷ l’« école catholique du dialogue »¹⁸ et le « modèle con-

continue sur l’Enseignement du Pape ». CEEC, Information sur l’École Catholique en Europe, 2008. En ligne http://enseignement.catholique.be/ceec_wp/wp-content/themes/ceec/images/In formation-sur-les-Ecoles-Catholiques-en-Europe-2008.pdf, 82– 83, page consultée le 15 novembre 2017.  Ce pourcentage de 2009 – 2010 est consultable sur le site de l’OIEC.  Dans certaines écoles catholiques des grandes villes de France, de Belgique, d’Irlande, de Grande-Bretagne et des Pays-Bas, on compte jusqu’à 90 % d’élèves musulmans. Voir le rapport la conférence d’E. Verhack, Les écoles catholiques européennes : une mission dans une diversité de cultures et de réalités, Séminaire européen sur ‘Le leadership spirituel du chef d’établissement’, 2006, 7– 16. En ligne : http://enseignement.catholique.be/ceec_wp/wp-content/uploads/2014/ 01/S%C3 %A9 m-BRATISLAVA-2006-Rapport-FR.pdf, page consultée le 15 novembre 2017.  E. Verhack, Les écoles catholiques européennes, 14.  Cette atmosphère propre « animée par l’esprit de l’évangile » a pour but « l’annonce du salut » et du « Royaume de Dieu » : Tout autant que les autres écoles, celle-ci poursuit des fins culturelles et la formation humaine des jeunes. Ce qui lui appartient en propre, c’est de créer pour la communauté scolaire une atmosphère animée d’un esprit évangélique de liberté et de charité, d’aider les adolescents à développer leur personnalité en faisant en même temps croître cette créature nouvelle qu’ils sont devenus par le baptême, et finalement d’ordonner toute la culture humaine à l’annonce du salut de telle sorte que la connaissance graduelle que les élèves acquièrent du monde, de la vie et de l’homme, soit illuminée par la foi. C’est ainsi que l’école catholique, en s’ouvrant comme il convient au progrès du monde moderne, forme les élèves à travailler efficacement au bien de la cité terrestre. En même temps, elle les prépare à travailler à l’extension du Royaume de Dieu de sorte qu’en s’exerçant à une vie exemplaire et apostolique, ils deviennent comme un ferment de salut pour l’humanité (Concile Vatican II, Déclaration sur l’Éducation Chrétienne, n°8).  La conférence de Bangkok en 1982 définit quatre valeurs fondamentales fleurissant dans les projets éducatifs des écoles catholiques et permettant de spécifier la notion d’atmosphère propre : le respect de l’autre, la créativité, la solidarité responsable et l’intériorité (J. Bouvy,

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jonctif » où « tout est pastorale ».¹⁹ L’application de ces quatre modélisations majeures donne un panorama général des établissements catholiques à travers le monde et permet déjà de clarifier certains aspects quant aux visées et priorités à vivre en fonction des réalités du terrain. De plus, cette réflexion sur l’identité de l’école catholique amène également un travail sur les justifications théologiques de l’engagement de l’Église en faveur de l’enseignement : certes, depuis Gravissimum Educationis,²⁰ l’Église s’engage au service de l’élève, de ses parents et de sa famille par le principe de diaconie.²¹ Par ailleurs, dans certaines régions à travers le monde, l’école catholique remplit toujours un rôle de subsidiarité,²² fournissant une éducation là où l’État n’assume pas ce rôle. Mais aujourd’hui et dans notre contexte, jusqu’à quel point faut-il réaffirmer clairement le caractère catholique de l’école ? Faut-il que l’Église se réoriente vers des établissements réservés aux catholiques pour

Compte rendu de la conférence de Bangkok, citée par le CRJC, Christ à l’école. Outil pour l’animation pastorale, 1985, 61).  De peur que les valeurs ne finissent plus à laïciser qu’à convertir, ce troisième modèle est défendu en Flandre par L. Boeve. Ce modèle est justifié théologiquement par les récits évangéliques de l’incarnation de Jésus-Christ, par la référence au prologue de l’évangile de saint Jean dans la référence au «Verbe » et par un Dieu qui s’est fait dialogue allant à la rencontre de l’autre. Cette « école du dialogue » encourage la construction des « identités réflexives » car la construction de l’identité ne peut se faire que par le dialogue, l’école ayant désormais pour mission de former des identités religieuses (B. Lieven, L’école catholique du dialogue dans une Flandre post-chrétienne et post-laïque (d’après le texte d’une conférence non prononcée et fourni par le Professeur Derroitte à l’occasion du Séminaire doctoral en théologie pratique à l’UCL), année académique 2015 – 2016.  Ce modèle défendu, entre autres par François MOOG (F. Moog, À quoi sert l’école catholique ?, Bayard, Montrouge 2012) et Pierre Robitaille (P. Robitaille, La pastorale scolaire dans l’École catholique dans le contexte français, Lumen Vitae, 70,3, 2015, 327– 347) entend « pastoraliser » l’entièreté de la vie de l’école catholique afin de répondre à sa mission évangélisatrice. Pour ce faire, il insiste sur la sensibilisation et la formation tant des chefs d’établissement que de toute la communauté éducative qui aura participé et adhéré au projet de l’école, le but étant de s’écarter des valeurs séparées de la source évangélique pour revenir à des expériences de foi vivifiantes en lien direct avec l’Église (F. Moog, Enjeux et défis de la formation des enseignants : former des acteurs de la mission éducative au nom de l’Évangile, Actes du Congrès sur l’École, 15 – 18 mai 2014, 25 – 32. En ligne : http://enseignement.catholique.be/ceec_wp/wpcontent/uploads/2014/01/CCEE-CEEC-Sarajevo-2014-Tous-textes-All-Texts.pdf, page consultée le 15 novembre 2017).  Aussi appelé Déclaration sur l’Éducation Chrétienne, Gravissimum Educationis est le texte de référence de Vatican II sur l’éducation chrétienne et date du 28 octobre 1965. Ce texte est toujours un point de repère pour l’enseignement catholique actuel.  Concile Vatican II, Déclaration sur l’Éducation Chrétienne, n°8.  Ibid., n°6.

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annoncer explicitement le message chrétien ou bien faut-il plutôt s’orienter vers le modèle d’une école pour tous sans aucune arrière-pensée prosélyte, avec, comme argument majeur, la « simple » vocation de l’Église catholique de servir les plus petits et les plus défavorisés socialement, sans que cet engagement pousse forcément les jeunes à la conversion ? Ainsi, ma réflexion sur ces questions identitaires de l’école catholique établit d’une part une modélisation face à la diversité des réalités mais montre aussi d’autre part l’ampleur des enjeux face auxquels l’Église universelle est confrontée : quelle est la vocation de l’école catholique aujourd’hui ? Quelles sont les justifications théologiques de l’engagement de l’Église en faveur de l’école catholique ? En d’autres mots, nous pourrions dire que plus les catholiques sont majoritaires dans une école, plus les valeurs morales dites « traditionnelles » sont véhiculées, quitte à ce que le nombre d’écoles catholiques soit alors plus faible dans le pays. Et inversement. Dès lors, au travers de mon étude sur la pastorale scolaire se posent les questions suivantes : quel équilibre l’Église catholique parvient-elle à trouver entre son succès de fréquentation et son identité qui se remodèle sans cesse en fonction d’un public qui se diversifie de plus en plus ? Qu’est-ce qui fait alors qu’une école est catholique ? Par le principe de diaconie, parce qu’elle remplit un rôle de subsidiarité ou simplement pour servir les plus pauvres et les plus défavorisés ? Toutes ces questions et les réponses à ces interrogations varient en fonction de contextes très divers. Toujours pour préciser davantage l’objet d’étude, voici à présent le contexte à la fois diachronique et synchronique de la pastorale scolaire dans l’école catholique de Belgique francophone. Les soixante dernières années de l’école catholique belge permettent de comprendre l’émergence du concept de « pastorale scolaire » à la fin des années 80. Précédemment, dans leur Lettre collective en 1964, les évêques de Belgique avaient encore l’ambition de « former de parfaits chrétiens »²³ via la pédagogie de la transmission. L’école catholique fonctionnait alors comme une sorte de vase clos où de jeunes catholiques se formaient dans un milieu homogène et devenaient des baptisés engagés, voire de jeunes séminaristes. Plus tard, le 2 septembre 1975, le document Spécificité de l’enseignement catholique ²⁴ réoriente fortement la mission de l’école catholique en s’ouvrant

 Évêques de Belgique, Lettre collective au corps enseignant des établissements d’enseignement catholique, Revue diocésaine de Tournai, 19, 1964, 183.  SeGEC, Spécificité de l’enseignement catholique, Bruxelles, s.n., 1975.

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davantage aux non-catholiques et en passant de la pédagogie de la transmission à la « pédagogie de la recherche, de la confrontation et du dialogue ».²⁵ Comme indiqué plus haut, la décennie suivante voit parallèlement la déchristianisation grandissante, béante, et en même temps, l’avènement de « la pastorale scolaire » et du « projet éducatif » des écoles chrétiennes. Ce projet éducatif s’articule désormais autour des valeurs communes dégagées lors du Congrès de Bangkok de 1982 : le respect de l’autre, la créativité, la solidarité responsable et l’intériorité. En effet, le Christ ayant pleinement vécu ces valeurs, celles-ci deviendront les clefs de voûte de l’école catholique, comme l’indique en avril 1992 le document de la CIPS, Pour un projet éducatif chrétien dans un milieu pluriel. Quelques années plus tard, le SeGEC réaffirme le service à la société rendu par l’école catholique en publiant la première édition de Mission de l’école chrétienne avec son slogan toujours d’actualité : « l’école chrétienne évangélise en éduquant ».²⁶ En 2005, la publication officielle du SeGEC, Bonne nouvelle à l’école, devient l’outil de référence pour repenser la pastorale scolaire avec « la proposition de la foi » comme concept-clef. C’est de ce texte que nous pouvons retrouver les définitions officielles les plus pertinentes pour décrire l’objet « pastorale scolaire » : « La pastorale scolaire prend corps dans ce qui fait l’école, ici et maintenant. Elle veille à ce que chacun soit accueilli, accompagné, respecté et reconnu. S’il ne faut pas nécessairement être chrétien pour nourrir l’esprit pastoral, les chrétien(ne)s ne peuvent en tout cas s’en dispenser! [Ainsi], l’équipe pastorale a un rôle irremplaçable de vigilance active ».²⁷

Et que signifie la « proposition de la foi » dans ce contexte ? « La proposition de la foi a du sens dans la mesure où elle rejoint les personnes là où elles sont. Dès lors, au cœur d’une pastorale ouverte, basée sur le respect et l’échange des convictions de chacun, proposer la foi revient à proposer des moments et des lieux qui offrent à tous les membres de la communauté scolaire (enfants, jeunes et adultes) l’opportunité d’être touchés, dans leur cheminement, par des expériences vivifiantes de l’amour premier, inconditionnel et désintéressé du Dieu de Jésus-Christ ».²⁸

En d’autres mots, Anne-Catherine Marichal, responsable pédagogique au service diocésain pour le diocèse de Liège, propose la définition suivante :

   

Ibid., A 2.3. SeGEC, Mission de l’école chrétienne, 1e éd., Licap, Bruxelles 1995, 5. CIPS, Bonne nouvelle à l’école, 7. Ibid., 9.

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« La pastorale scolaire, c’est témoigner des convictions chrétiennes dans le respect des convictions d’autrui. C’est adopter une attitude porteuse de la Bonne Nouvelle, du message du Christ à travers nos gestes et actes quotidiens, faire vivre l’Evangile en dehors du seul cours de religion ».²⁹

Or, aujourd’hui, la société civile attend peut-être autre chose de l’école catholique qu’un enseignement strict et hors contexte du catholicisme, comme le montrent les différentes initiatives des politiques qui tentent de transformer progressivement les cours de religion en cours de citoyenneté. De plus, une enquête menée par le CRER à l’Université catholique de Louvain et réalisée auprès de 1640 jeunes de 5e et 6e secondaires (environ 17– 18 ans) a tenté d’étudier le rapport des jeunes aux religions.³⁰ Les constatations majeures de cette enquête sont les suivantes : 1) la diminution du taux de croyants, de pratiquants et de jeunes obligés à pratiquer ;³¹ 2) l’étonnante pluralité des appartenances religieuses des jeunes même au sein du cours de religion catholique avec une percée du bouddhisme ;³² 3) la difficulté pour les jeunes d’envisager le dialogue interreligieux ;³³ 4) le déficit d’expérience religieuse et de désirabilité de Dieu pour les jeunes³⁴ ne voyant plus trop comment les religions peuvent trouver leur place dans le monde moderne ;³⁵

 En ligne : http://www.cathobel.be/2017/08/29/pastorale-scolaire-prepare-rentree/, page consultée le 15 novembre 2017.  H. Derroitte et D. du Val D’épremesnil (éd.), Un cours de religion pour quoi ? Vécu et attentes des élèves du secondaire en Belgique francophone. Louvain-la-Neuve, Presses Universitaires de Louvain 2017. Voir en particulier la partie 4 du livre, Comprendre et aborder la diversité.  D’après l’enquête, 34 % des jeunes se disent croyants, 14 % se disent pratiquants et 7 % se disent obligés de pratiquer.  Parmi les personnes interrogées, 42 % se reconnaissent dans le catholicisme, 21 % dans l’athéisme, 13 % dans le bouddhisme et 8 % dans l’islam. Selon certains spécialistes, cette montée en puissance du bouddhisme irait de pair avec l’individualisation et la recherche de guérison d’un monde marqué par les limites de la modernité.  40,6 % des jeunes rejettent l’idée que le chemin vers la vérité ne puisse se trouver que dans le dialogue entre les convictions et religions. 27,7 % sont mitigés et 31,7 % approuvent cette idée.  À la question « De nombreuses personnes affirment que leur foi les a souvent aidées à ne pas perdre courage dans des situations précises » (proposition qui recueille le plus d’adhésion), 55,2 % des jeunes pensent que cela est vrai dans l’absolu, 30,2 % pensent que cela est vrai pour eux et 24,7 % affirment avoir fait l’expérience d’un tel soutien dans la foi.  45,5 % des participants à l’enquête estiment que « le besoin de religion disparait dans la société moderne ».

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5) la préférence des jeunes envers la multi-culturalité face à la multi-religiosité ;³⁶ 6) le choix en faveur d’un modèle de religiosité « pragmatique » face aux modèles des religions instituées³⁷ avec la difficulté pour bien discerner le plan biblique du plan scientifique ;³⁸ 7) et, enfin, une « saturation » du vocabulaire religieux.³⁹ Tel est le constat actuel. Pourtant, au lieu de s’alarmer face à ces constatations, peut-être est-ce justement l’occasion d’une remise en question des pratiques pastorales actuelles en rebondissant et en osant proposer quelque chose de neuf en pastorale, qui tienne davantage compte du contexte, du positionnement actuel des jeunes face à la religiosité dans le monde moderne et qui véhicule une image davantage positive de la religion ? Je suis tout à fait convaincu que Paul Tillich peut nous aider à entrer dans cette démarche à l’aide de cinq concepts : la notion ontologique de « frontières » comprenant également la corrélation entre Dieu et l’homme, la bipolarité « substance catholique » et « principe protestant », la théonomie, la rencontre interreligieuse, et enfin la « préoccupation ultime ».

3 Perspectives de décontextualisation et de recontextualisation Cinq concepts émergent pour repenser la pastorale scolaire belge francophone avec Paul Tillich. En raison de l’état actuel du travail, seulement deux de ces cinq concepts sont ici présentés de manière plus complète. Les trois autres

 Si les jeunes approuvent à 39 % le fait que la pratique des différentes religions en Belgique constitue un enrichissement pour notre société (contre 35 % qui pensent l’inverse), ils sont 52 % à considérer que les différentes visions du monde et les cultures apportent quelque chose de positif à notre société.  Ainsi, la proposition « chacun décide lui-même du sens qu’il donne à sa vie » recueille 71 % d’avis positifs tandis que les propositions plus clairement en lien avec le monothéisme ne recueillent environ que 15 % d’adhésion (ex. : « il y a un Dieu et on peut le connaître par les textes sacrés »).  D’où l’importance du développement auprès des jeunes de l’herméneutique des textes sacrés.  Cette expression de Christian Bobin peut notamment être explicitée par cet exemple : la nouvelle génération en Belgique francophone croit davantage en l’existence du Mal (49,2 %) qu’en celle de Satan (23,6 %), et en l’existence des esprits (35,2 %) qu’en celle des anges (20,9 %).

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concepts seront plus succinctement évoqués en attendant la poursuite de mon travail.

3.1 La notion de « frontières » et la corrélation Comprise de manière ontologique, la notion de frontières chez Tillich s’applique d’abord à la « situation-limite » ambiguë de l’être humain. En effet, l’être est composé de l’être essentiel (l’être idéal) et de l’être existentiel (l’être concret)⁴⁰ : ce décalage entre l’essence et l’existence provoque notre état d’aliénation.⁴¹ Grâce à sa liberté, l’homme est en mesure de dire « oui » ou « non » à l’être idéal. Sa liberté porte en elle la marque de son aliénation et, en même temps, de son insécurité car l’humain ne peut saisir et accomplir pleinement son être vrai et juste. Mais la frontière, c’est aussi une forme qui permet de dé-limiter le réel et de mieux le comprendre⁴² à condition qu’on ne s’y enferme pas : le bon usage de la frontière requiert un certain dynamisme et un certain va-et-vient.⁴³ Ces allées et venues permettent aussi de surmonter la tension de la relation entre l’identité et l’altérité : au lieu de « faire disparaître les frontières [qu’on ne peut] franchir »,⁴⁴ il s’agit de s’ouvrir à autrui car « seul celui qui a trouvé son identité et donc la frontière de sa nature n’éprouve plus le besoin de s’y verrouiller ou d’en sortir avec violence ».⁴⁵ Enfin, la mort constitue l’ultime frontière et la seule solution est l’acceptation de celle-ci. Toutefois, l’être humain « vit de ce que les autres lui apportent »⁴⁶ et reçoit tout ce qu’il lui faut pour vivre grâce au « Radicalement Autre ». Ce concept complexe de frontière s’accompagne nécessai P. Tillich, Religion biblique et ontologie, Paris, PUF 1970, 21 : « Nous sommes un mélange d’être et de non-être ».  P. Tillich, Aux frontières de la religion et de la science, Paris/Neuchâtel, Le Centurion/ Delachaux & Niestlé 1970, 48 : « Car la limite essentielle et la limite de fait ne coïncident pas. La limite essentielle est celle qui exige, porte des jugements et fournit des buts au-delà de la limite de fait ».  P. Tillich, Documents biographiques, Paris/Genève/Québec, Cerf/Labor et Fides/PUL 2002, 13 : « La frontière est l’endroit idéal où acquérir des connaissances ».  Ibid., 42 : « Exister sur la frontière, dans une situation limite, comporte quantité de tensions et de mouvements. Cela ne consiste pas du tout à se tenir immobile, mais c’est en fait un passage suivi d’un retour, une succession d’allées et venues, un va-et-vient dont le but est de créer une troisième zone au-delà des territoires délimités, une zone où l’on puisse se tenir un moment sans être enfermé dans des limites bien circonscrites ».  Ibid., 44.  Ibid., 49.  A. Gounelle, La notion de frontière à partir de Paul Tillich, in: Autres temps. Les cahiers du christianisme social, 33 – 34 (1992), 60.

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rement de la corrélation tillichienne.⁴⁷ S’opposant fondamentalement au naturalisme et au supranaturalisme, la corrélation postule que l’humain et le divin ne sont séparés l’un de l’autre que par une frontière poreuse.⁴⁸ L’homme étant l’instance de la question et le divin celle de la réponse, il existe une circulation permanente et une interdépendance mutuelle entre l’un et l’autre. Dans la phase de recontextualisation, l’évolution de la corrélation sera abordée : du concept ontologique de Tillich à la reprise pédagogique de la « méthode de corrélation », en passant par « l’homologie structurale » de Pierre Gisel pour aboutir aux développements de Schillebeeckx sur l’expérience humaine et la foi en Jésus-Christ, nous ferons prendre conscience à l’école catholique belge francophone que la Parole de Dieu s’est incarnée et qu’elle est bien présente dans ses établissements : tous les acteurs de l’école peuvent y faire une « expérience d’expériences » pour reprendre l’expression de Gilles Routhier. Par ailleurs, l’étude des frontières de Tillich invite aussi les élèves, les éducateurs et les professeurs à un double défi : d’une part, la nécessité de franchir les frontières à l’intérieur de son être pour s’ouvrir à l’autre et ne pas s’opposer à lui ; d’autre part, l’impérieuse obligation pour toute personne de déterminer sa limite essentielle afin de trouver son identité propre et d’avoir conscience de ce à quoi il est appelé. Dans cette attitude, l’école catholique pourra elle aussi aller aux périphéries chères au pape François, par un élan gratuit et généreux ad extra de l’Église envers tous, y compris les plus défavorisés.

3.2 La bipolarité entre « substance catholique » et « principe protestant » La bipolarité entre « substance catholique » et « principe protestant » constitue le deuxième concept. En lien avec la « situation-limite » de l’être humain, la proclamation protestante se doit de démasquer toute sécurité ultime et de dénoncer

 L’expression « corrélation » sera préférée à la « méthode de corrélation » car « avant de désigner une méthode, [la corrélation] renvoie à un principe ou à une structure ontologique ». De plus, la « méthode de corrélation » n’est que très tardive chez notre théologien puisqu’elle renvoie principalement à des textes « peu nombreux et brefs » composés entre 1947 et 1957. (A. Gounelle, La corrélation : ontologie et méthodologie, in: International Yearbook for Tillich Research, Berlin/Boston, Walter de Gruyter 12 (2017), 1– 2).  A. Gounelle, La condition transfrontalière de la théologie selon Tillich, http://andregounelle. fr/tillich/la-condition-transfrontaliere-de-la-theologie-selon-tillich.php, page consultée le 20 juin 2018.

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« le jugement qui nous déclare en sécurité en tout enlevant toute sécurité ».⁴⁹ Cette critique vise donc dans un premier temps l’hétéronomie de l’Église catholique. D’un autre côté, parce qu’il risque de manquer son être véritable, l’homme dans la culture autonome découvre aussi son insécurité. Seules, la grâce et l’espérance de l’être nouveau peuvent relever la nature et l’esprit corrompus de l’homme. La critique protestante vise donc dans un second temps l’autonomie séculière de l’humanisme. Toutefois, Tillich montre que la substance catholique ne correspond pas entièrement au catholicisme et que, inversement, le principe protestant ne se retrouve pas pleinement dans la réalité du protestantisme. Il s’agit plutôt d’attitudes spirituelles complémentaires⁵⁰ : si le catholicisme insiste sur la présence de la substance religieuse en certains lieux, le protestantisme accordera davantage d’importance à l’altérité du Dieu transcendant. La substance catholique se caractérise donc par : – Premièrement, la présence sacramentelle, c’est-à-dire « l’intuition du sacré en tant qu’il est présent, l’intuition de quelque chose qui se trouve ici et là, et qui en même temps indique, au-delà de lui-même, la profondeur d’où vient l’être »⁵¹ : le « sacré de ce qui est ».⁵² – Deuxièmement, l’idée de communauté, de communion et de réconciliation dans l’être nouveau par l’agapè. Tillich l’exprime en ces termes : « la sub-

 P. Tillich, La proclamation protestante et l’homme d’aujourd’hui, in: P. Tillich, Substance catholique et principe protestant, Cerf/Labor et Fides/PUL 1995, 74– 75.  « [Tillich] voit dans le catholicisme et le protestantisme non pas deux systèmes doctrinaux qu’il faudrait concilier, mais deux attitudes spirituelles légitimes, nécessaires et complémentaires. L’attitude catholique (présente chez de nombreux protestants) insiste sur la » substance « religieuse, c’est-à-dire sur la présence de Dieu en certains lieux (l’Église, les sacrements). L’attitude protestante (présente chez beaucoup de catholiques) souligne le ‘principe’ religieux de l’altérité de Dieu que rien ne peut lier ni enfermer, pas même ce qui le manifeste. Si le Dieu chrétien est à la fois transcendant et incarné, ces deux attitudes, au lieu de provoquer un conflit destructeur, doivent conduire à une tension vivante, en empêchant de tomber, d’un côté, dans la superstition idolâtre (qui oublie la différence de Dieu) et, de l’autre, dans un spiritualisme vide (qui oublie la proximité divine). Substance catholique et principe protestant ont besoin l’un de l’autre pour ne pas dérailler, et le dialogue œcuménique a pour visée d’entretenir une interpellation réciproque et fraternelle ». (P. Tillich, Substance catholique et principe protestant, extrait de la quatrième de couverture de ce volume.)  P. Tillich, La vision protestante. Substance catholique, principe protestant et décision socialiste, in: P. Tillich, Substance catholique et principe protestant, 350.  P. Tillich, La signification permanente de l’Église catholique pour le protestantisme, in: P. Tillich, Substance catholique et principe protestant, 169.

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stance catholique désigne […] la communion dans une substance que nous appelons l’amour ».⁵³ Il y a donc une idée de communion, et de communauté⁵⁴ et une idée de l’amour qui réunit, car on remarque, depuis les origines du christianisme, une réalité réconciliatrice, un être nouveau, une réalité nouvelle susceptible de triompher du désespoir.⁵⁵ Troisièmement, la notion « d’autorité réelle » (et non « de principe »)⁵⁶ qui est celle de la tradition et des symboles.⁵⁷

Ces trois traits caractéristiques de la substance catholique (le sacramentel, la réconciliation et l’autorité) sont donc très importants et doivent être préservés. Toutefois, la critique protestante a dû s’élever à l’époque contre le catholicisme qui s’est absolutisé : en insistant tellement sur l’incarnation du sacré, il en a éliminé la transcendance. C’est la raison pour laquelle la critique protestante qui insiste sur « le sacré de ce qui devrait être » face au « sacré de ce qui est »⁵⁸ est marqué par un élan plus prophétique. La critique protestante est en effet de type prophétique car « elle provient de ce qui dépasse l’être et l’esprit […], elle s’associe à la critique

 P. Tillich, La vision protestante. Substance catholique, principe protestant et décision socialiste, art.cit., 351.  « Là où se trouve une réalité sacramentelle de ce type, une communauté qui supprime l’aliénation des individus devient possible, parce que, dans la présence de l’être nouveau sous sa forme sacramentelle, elle possède une unité supérieure. Selon la doctrine augustinienne, l’Église est la communauté dans laquelle l’amour est décisif. […] En fin de compte, l’amour a pour objet l’amour lui-même, c’est-à-dire cette réalité au fondement de tout être qui réunit et qui surmonte l’aliénation dans la communauté ». (Ibidem)  «Voilà, par exemple, ce que signifie la présence de la substance sacramentelle dans le catholicisme ; cette substance, qui se trouve sur l’autel, représente le pouvoir de réconciliation, le pouvoir d’une nouvelle réalité vers laquelle vous pouvez aller, qui est la vôtre ici et maintenant, et que reconstitue en permanence le sacrement de l’autel. Là s’opère la consécration de l’homme et de la nature au travers des sacrements. Chaque élément est en principe délivré de l’angoisse, de l’aliénation ou des conflits. Telle est la réponse de la première Église. Le protestantisme ainsi que l’humanisme profane ont perdu cette intuition sacramentelle ». (P. Tillich, La vision protestante, in: P. Tillich, Substance catholique et principe protestant, 288 – 289)  P. Tillich, La vision protestante. Substance catholique, principe protestant et décision socialiste, art.cit., 352.  Ibidem.  P. Tillich, La signification permanente de l’Église catholique pour le protestantisme, art.cit., 169.

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rationnelle et lui donne son sérieux inconditionné [mais elle] limite la critique rationnelle par la proclamation de la grâce ».⁵⁹ Lorsque Tillich définit le principe protestant, il en dit qu’ « il consiste en une protestation contre la substance catholique, mais une protestation qui se situe à l’intérieur de la substance catholique ».⁶⁰ Il répond à trois caractéristiques majeures : – Premièrement, « la protestation contre l’utilisation mécanique de la substance sacrée »⁶¹; – Deuxièmement, « la lutte contre l’identification de la communauté d’amour avec les lois de l’Église et la transformation de l’amour en prétendues bonnes œuvres ».⁶² Cette caractéristique nous plonge dans la lutte pour la justification. Les thèmes de la grâce, de la foi, de la structure de grâce, de la prédestination et du salut justifient cette critique ; – Troisièmement, « la lutte contre le principe de l’autorité irrationnelle et contre la fausse sécurité que donne tout système autoritaire ».⁶³ Il s’oppose donc à l’autorité de principe⁶⁴ et à tout durcissement des structures ecclésiales, y compris à l’intérieur du protestantisme.⁶⁵ Néanmoins, l’intérêt de ce binôme « substance catholique » / « principe protestant » consiste à nouveau à mettre en tension et à faire bon usage de ses deux postures chrétiennes. Ainsi, si le protestantisme devait dénoncer et détruire les éléments magiques du catholicisme, il a été trop loin au point qu’il y a un déficit de l’élément sacramentel dans les Églises protestantes. Par ailleurs, le protestantisme manque de la substance de l’amour encore présente dans la substance

 P. Tillich, Principe critique et structurant, in: P. Tillich, Substance catholique et principe protestant, 27.  P. Tillich, La vision protestante, art.cit., 292.  Ibid., 293.  Ibid., 293.  Ibidem.  « Le principe protestant affirme la majesté absolue de Dieu seul, et élève la protestation prophétique contre toute prétention humaine, ecclésiastique ou laïque à la vérité et à l’autorité absolues » (P. Tillich, Nos principes protestants, in: P. Tillich, Substance catholique et principe protestant, 213).  « La compréhension évangélique de la proclamation chrétienne comporte une protestation radicale contre tout durcissement de ses propres structures ecclésiales et confessionnelles » (P. Tillich, Le problème des cours de religion protestante, in: P. Tillich, Substance catholique et principe protestant, 151).

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catholique.⁶⁶ Quant au catholicisme, il doit profiter de la critique protestante pour éliminer toute conception mécanique du sacrement. Selon Tillich, substance catholique et principe protestant doivent surtout se conjuguer et se corriger pour favoriser une « éthique sociale de l’amour », que ce soit en faveur de l’engagement socialiste, ou, en tout cas, en faveur de l’humanité de l’homme contre la société technique et contre la « chosification » de l’humain. Dans la phase de recontextualisation, j’étudierai non seulement la notion d’humanisme chrétien présent dans les textes sur la pastorale scolaire mais aussi la manière de repenser les rapports entre pastorale des jeunes et pastorale scolaire en établissant le parallélisme entre la substance catholique et le principe protestant : ces deux services devraient pouvoir collaborer d’une manière plus efficace, plus complémentaire, la pastorale scolaire venant corriger la tentation « sacralisante » de la pastorale des jeunes et lutter contre toute autorité irrationnelle. La pastorale des jeunes pourrait, de son côté, transmettre son expertise dans les domaines plus sacramentels et plus communautaires.

3.3 La théonomie et ses harmoniques Étant donné qu’elle s’oppose à toute autorité de principe, la structure protestante, dans une certaine mesure, est à l’origine de la profanité, et lui est intimement liée : Tillich parle du « sécularisme protestant »⁶⁷ car, pour lui, il n’y a pas d’opposition entre le sacré et le profane. De fait, il est possible que la grâce opère à l’intérieur du monde séculier⁶⁸ et, pour que la structuration protestante (qui est structure de grâce) existe, elle doit être en lien avec la profanité et le moment présent.⁶⁹ Ainsi, « dans chaque forme protestante, l’élément religieux doit être relié à un élément séculier et mis en question par lui. [En effet,] les formes séculières sont celles qui expriment la

 « L’amour dans le protestantisme est souvent moralisme, droiture, gentillesse, bienveillance, voire hospitalité réprimée. Mais il manque la substance de l’amour ». (P. Tillich, La vision protestante, art.cit., 291).  P. Tillich, Le pouvoir formateur du protestantisme, in: P. Tillich, Substance catholique et principe protestant, 257.  Ibidem.  P. Tillich, Structuration protestante, in: P. Tillich, Substance catholique et principe protestant, 93.

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structure finie de la réalité (de façon poétique, scientifique, éthique, politique), et qui expriment seulement de façon indirecte la relation de chaque chose finie à l’infini ».⁷⁰

Et, « dans chaque forme protestante on doit exprimer la réalité donnée par la grâce avec audace et risque ».⁷¹

Ce rapport étroit que le principe protestant entretient avec la profanité mène directement au concept de théonomie car il s’agit de la « relation avec son ambiguïté, faite de proximité et d’éloignement entre la profanité et la structure de grâce ».⁷² Cette notion s’applique effectivement à « une culture dans laquelle la signification ultime de l’existence brille à travers toutes les formes finies de pensée et d’action ».⁷³ La théonomie (et ses harmoniques, c’est-à-dire, « le kairos » et « le démonique ») sera donc le troisième concept étudié pour repenser la pastorale scolaire, notamment grâce à quelques articles sur la question écrits par Jean Richard. On analysera alors, comme Tillich l’a fait, la « justification du douteur » et la possibilité d’une « foi sans Dieu ». Cette démarche a pour but de donner des clefs pour repenser la spiritualité de notre temps en lien avec des penseurs défendant la thèse d’une spiritualité athée. Cela fait particulièrement sens dans l’école catholique où de nombreux protagonistes présents ne sont plus croyants. Avec eux, il sera possible en particulier de travailler la question de l’engagement citoyen tel que le demande la société civile. Et puis, au travers de cette réflexion, nous nous reposerons la question de savoir si toutes ces personnes non croyantes qui font montre de spiritualité, de générosité ou encore de justice ne font pas écho en quelque sorte à la dernière phrase du Courage d’être : « Le courage d’être s’enracine dans le Dieu qui apparait quand Dieu a disparu dans l’angoisse du doute ».⁷⁴

 P. Tillich, Le pouvoir formateur du protestantisme, art.cit., 258.  Ibid., 260.  P. Tillich, Structuration protestante, art.cit., 101.  P. Tillich, Introduction de l’auteur, in: P. Tillich, Substance catholique et principe protestant, 229.  P. Tillich, Le courage d’être, Genève, Labor et Fides 2014, 213.

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3.4 La rencontre interreligieuse La rencontre interreligieuse sera quant à elle étudiée à partir du volume Le christianisme à la rencontre des religions. ⁷⁵ Nous étudierons alors effectivement la typologie des religions établie par Tillich (religion sacramentelle, religion prophétique, religion mystique).⁷⁶ À l’heure de la rencontre des religions dans un monde globalisé, cette typologie nous aidera à mieux mettre en place la rencontre interreligieuse dans les activités pastorales des écoles marquées aussi par la multi-religiosité des personnes en présence. Dans la phase de recontextualisation, pour compléter cette typologie tillichienne, nous ferons appel à la pensée de Jean-Marc Aveline sur l’éducation au dialogue interreligieux et sur la formation des éducateurs. Nous mettrons aussi en lien la conception de Tillich avec le texte de référence en matière de dialogue interreligieux pour le catholicisme, à savoir la Déclaration conciliaire Nostra Aetate. Ce sera aussi le moment de mettre en écho la pensée de Tillich avec celle de Lieven Boeve qui a mis en place « l’école catholique du dialogue » en Flandre sur base de la méthode de recontextualisation via la catégorie de l’« interruption »⁷⁷.

3.5 La « préoccupation ultime » Enfin, après l’axe ontologique, après l’analyse du binôme « substance catholique » et « principe protestant », après l’intérêt porté à la spiritualité athée via le concept de théonomie, après l’étude portant sur la rencontre interreligieuse, il reste à réfléchir plus « largement » et « généralement » sur la religion dans ses rapports avec la spiritualité. En suivant la définition au sens large de Tillich sur la religion, c’est-à-dire la « préoccupation ultime »⁷⁸, nous nous poserons la question de savoir la manière

 P. Tillich, Le christianisme et la rencontre des religions, Genève, Labor et Fides 2015.  Ibid., 32.  Voir Katholieke dialoogschool. Eigentijds tegendraads, Antwerpen, Halewijn, 2016; D. Pollefeyt, J. Bouwens, P. Vereecke met een bijdrage van L. Boeve, Katholieke dialoogschool. Wissel op de toekomst, Antwerpen, Halewijn, 2016 et L. Boeve, J. Mettepenningen & D. Pollefeyt (éd.), Liefde in tijden van katholieke dialoogschool, Antwerpen, Halewijn, 2017.  « La foi consiste à être saisi par une préoccupation ultime au sujet de la Réalité ultime à laquelle je donne le nom symbolique de Dieu. Quiconque est saisi d’une telle préoccupation, quiconque s’interroge sérieusement sur le sens de la vie est au bord de l’acte de foi ». (P. Tillich, Aux confins. Esquisse autobiographique (L’expérience intérieure), Paris, Planète 1971, 137).

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de discerner les traces de l’Inconditionné dans nos vies dans une époque où certains voient la « saturation du vocabulaire religieux ».⁷⁹ Les jeunes seront-ils capables de discerner leur(s) préoccupation(s) ultime(s) ? Comment le leur permettre ?

Conclusion Nous espérons donc pouvoir prochainement repenser la pastorale scolaire belge francophone à l’aide de ces cinq concepts identifiés et (prochainement tous) étudiés chez Paul Tillich : « les frontières », « la substance catholique et le principe protestant », « la théonomie », « la rencontre interreligieuse » et la « préoccupation ultime ». Néanmoins, pour mettre ce programme en place, nous aurons besoin de convaincre les autorités du SeGEC et les Pouvoirs Organisateurs des écoles. De bons signaux consisteraient dans un temps à remettre les acteurs autour de la table pour proposer un nouveau document de référence, repensant Bonne nouvelle à l’école et Mission de l’école chrétienne avec les pistes dégagées par cette relecture de Paul Tillich. Par ailleurs, il faudrait aussi une reconnaissance de la place essentielle de la pastorale scolaire dans l’école catholique belge francophone. Pour ce faire, il serait opportun d’installer plus d’agents internes et externes aux écoles, qui seraient en lien étroit avec le service de pastorale des jeunes, et qui seraient formés et rémunérés dans chaque établissement. Tout le monde a à y gagner : la société par le service citoyen de dialogue interreligieux et interconvictionnel que la pastorale peut proposer, l’école catholique qui retrouverait ainsi une identité plus claire et enfin, les acteurs de l’école, les adultes comme les jeunes, qui pourraient ainsi préparer et construire concrètement la société de demain, en maintenant l’ancrage chrétien tout en s’ouvrant à la diversité culturelle et religieuse.

 G. Hayois (propos recueillis par), « Bobin, l’écrivain nourricier » in: L’Appel. Le magazine chrétien de l’événement, 387, mai 2016, 14– 15 : « Le nom de Dieu étant aujourd’hui accaparé par des bandits, ne parlons que de la Vie. Ce qui s’est effondré dans la religion était peut-être dérisoire. Aujourd’hui, on est dans le risque. On ne sait plus trop que croire, mais la grâce peut renaître. Je suis plutôt dans la théologie négative. Je ne sais pas. Je cherche. On ne peut rien dire de Dieu, mais d’abondance ce qu’il n’est pas. Je n’utilise pas ou peu le mot Dieu dans mes écrits. Ce mot est saturé. Il faut taire le plus profond ou le longer… »

Etienne Higuet

Le protestantisme au Brésil entre le conservatisme et la transformation sociale En dialogue avec les réflexions de Paul Tillich sur le protestantisme allemand et nord-américain

Introduction Dans une première partie, je me propose d’examiner, à partir des écrits tillichiens sur le socialisme, le possible passage de la réformation à la révolution, plus précisément du protestantisme au socialisme. Tillich notait la relative facilité d’aller du calvinisme au socialisme et la quasi-impossibilité d’aller au socialisme à partir du luthéranisme. C’est que, selon lui, au sortir de la Grande Guerre, il y avait un fossé entre les Églises luthériennes et le prolétariat, entre le message transcendant du christianisme traditionnel et les espoirs immanents des mouvements révolutionnaires.¹ Les socialistes religieux tentèrent toutefois de faire ce passage. C’est dans cette perspective que Tillich développa les concepts d’utopie, de Kairos, de démonique, de principe protestant ou prophétique et de structuration (Gestaltung) protestante.² Déjà à l’époque de Luther, l’aile gauche de la Réforme, « anabaptistes », antitrinitaires, « Schwärmer » ou enthousiastes voulaint transformer la société, de mode violent pour les uns, de mode pacifique pour les autres.³ Tillich retrouve leur héritage chez « les protestants d’Amérique, dont la forme de christianisme ne provient pas directement de la Réforme, mais constitue un effet indirect de

D. théol., Professeur invité, Programme d’Études post-graduées en Sciences de la religion, Université de l’État du Pará, Belém, Brésil.  Voir P. Tillich, Author’s Introduction, in: The Protestant Era, Chicago, The University of Chicago Press 1957, xiii.  Ibid., v–xxv.  L’historiographie discute de la terminologie parce qu’elle est souvent imposée par les opposants de ces groupes. L’aile gauche de la Réforme et Réformation radicale sont des termes qui incluent tradictionellement des groupes et des individus anabaptistes, enthousiastes et antitrinitaires. Pour une discussion actuelle des phénomènes derrière ces notions cf. B.Heal & A.Kremers (eds.), Radicalism and Dissent in the World of Protestant Reform, Göttingen, Vandenhoeck&Ruprecht 2017. https://doi.org/10.1515/9783110668124-021

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celle-ci à travers le radicalisme évangélique ». ⁴ Le protestantisme brésilien est issu, dans son immense majorité, des missions organisées par le radicalisme évangélique nord-américain (méthodisme, presbytérianisme, baptisme, adventisme, pentecôtisme) et a reçu de lui la tension entre l’abstentionnisme politique et le souci de transformation sociale. Ce sera l’objet de la deuxième partie. Il s’agira surtout de montrer comment la description du calvinisme par Tillich aide à la compréhension du protestantisme brésilien, introduit par les missionnaires nord-américains, qui apportèrent une forme de calvinisme transformée par sa présence dans les pays anglo-saxons. Si, dans le Brésil d’aujourd’hui, une grande partie du protestantisme apparaît comme le fer de lance des forces les plus conservatrices, certains courants protestants ont été, dès les années soixante du siècle dernier, à l’avant-poste de la théologie de la libération. Ce fut le cas du mouvement « Église et Société en Amérique latine » (ISAL) et de la « Confédération évangélique du Brésil », qui organisa la « Conférence du Nordeste ». Parmi les théologiens, brésiliens ou étrangers vivant ou ayant vécu au Brésil, il faut citer Rubem Alves, Júlio de Santa Ana, Walter Altmann et surtout Richard Shaull, dont je décrirai plus particulièrement la pensée et l’action.

1 Protestantisme et transformation sociale selon Paul Tillich Pour Tillich, l’histoire du protestantisme est intimement liée à l’histoire de l’esprit bourgeois et de la société qui l’incarne. Bien qu’à l’origine, le protestantisme ait rejeté de toutes ses forces l’esprit bourgeois ou l’esprit de la finitude autosuffisante, aussi bien sous sa forme ecclésiale hiérarchique que sous sa forme humaniste traditionnelle, il a perdu une grande partie de sa force de protestation en devenant une Église. Le vide laissé par la fin de l’autorité sacerdotale a été remplacé par l’État dans le luthéranisme (l’Église devint un département de l’administration publique) et par la société dans le calvinisme.⁵

 P. Tillich, Histoire de la pensée chrétienne, Paris, Payot 1970, 268.  P. Tillich, La situation religieuse du temps présent, in: La dimension religieuse du temps présent, Paris/Genève/Québec, Cerf/Labor et Fides/Laval 1990, 235.

Le protestantisme au Brésil entre le conservatisme et la transformation sociale

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1.1 Le protestantisme allemand Dans l’introduction à « l’Ère Protestante », Tillich affirma : « Mon entrée dans le mouvement socialiste religieux signifiait pour moi une rupture définitive avec l’idéalisme philosophique et le transcendantisme théologique. Elle m’ouvrait les yeux au sens religieux du calvinisme politique et du sectarisme social, en opposition au caractère sacramental prédominant dans ma propre tradition luthérienne ».⁶ Pouvait-on aller du luthéranisme, foncièrement opposé à toute utopie sociale, y compris la métaphysique du progrès, au socialisme, qui apporte l’exigence d’un ordre social plus juste ? Tillich le reconnaît, il était quasi impossible à un peuple formé par le luthéranisme d’aller au socialisme à partir de la religion. Dans l’article « Protestantisme et romantisme politique » de 1932, contemporain de « La décision socialiste », Tillich montre l’affinité du luthéranisme avec le romantisme politique conservateur et révolutionnaire, par opposition à la conception calviniste du Royaume de Dieu. Pour Tillich, la division entre le type luthérien et le type réformé du protestantisme « creuse aujourd’hui (1932) un abîme politique infranchissable : ici la sacralisation sacramentelle de ce qui existe, là l’exigence prophétique de soumettre ce qui existe à la loi divine ».⁷ Dans le protestantisme luthérien, toute la sphère de la loi naturelle divine est absente. Elle y est remplacée par l’idée d’une providence divine irrationnelle, qui agit directement à travers les pouvoirs historiques. Le combat engagé par Luther contre la loi rationnelle se dirige spécialement contre l’État démocratique. De même que Dieu est radicalement personnalisé, l’État doit être incarné dans une personne, par exemple celle du Führer. La forme de vie démocratique est perçue comme une mécanisation insupportable des forces irrationnelles, comme un système dépersonnalisant. Dans la ligne de cette idéologie luthérienne, les pouvoirs mythiques originels (le sol, la race, le peuple, le chef) en viennent à prétendre représenter la volonté divine.⁸ Puisqu’un être fini ne peut appréhender l’infini, le calvinisme – contrairement au luthéranisme – « s’oppose à toute espèce de pouvoir sacré, depuis les pouvoirs du sol jusqu’à l’institution sacerdotale sacramentelle. Il conçoit le royaume de Dieu comme une tâche à la réalisation de laquelle la communauté doit collaborer par sa lutte. Cette réalisation, en effet, s’accomplit non seulement

 P. Tillich, The Protestant Era, xiv.  P. Tillich, Protestantisme et romantisme politique, in: Écrits contre les nazis (1932– 1935), Paris/Genève/Laval, Cerf/Labor et Fides/Laval 1994, 11.  Ibid., 12– 14.

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dans l’au-delà, mais aussi dans l’ici-bas ».⁹ L’élection de chaque individu se manifeste dans sa lutte en vue de réaliser la volonté divine. « Cette volonté s’exprime dans la loi, qui est à la fois divine et naturelle, chrétienne et humaniste ».¹⁰ Elle ne touche pas seulement la vie intérieure de l’individu, mais aussi la vie de la société. En conséquence, la réalisation progressive du Royaume de Dieu résultera de la christianisation de la société provoquée par la proclamation et l’enseignement de l’Église.¹¹ Dieu doit donc régner non seulement au ciel mais aussi sur terre, spécialement dans l’État et la politique. L’Église doit critiquer les pouvoirs terrestres du point de vue de la volonté divine rencontrée dans la Bible. C’est que la conception biblique du Royaume de Dieu fournit la mesure des royaumes terrestres. La théologie calviniste se trouve ainsi à l’origine de notre démocratie révolutionnaire occidentale.¹² Si en sol calviniste, tous les liens originels sacrés sont rompus, les fonctions ecclésiastiques et politiques ne sont plus déterminées par l’être sacré, mais par la nature des choses et ses lois, comprises de façon objective, rationnelle. Le mouvement historique va dans le sens d’une suppression progressive des démonismes sacrés et de l’instauration d’un monde soumis à la volonté de Dieu et aux normes d’une humanité active. L’Église elle-même n’est qu’un groupe d’action, non une réalité sacramentelle.¹³ Pour ce motif, « les communautés durent créer et porter leur constitution par elles-mêmes. Le caractère facultatif de l’adhésion et l’organisation démocratique rapprochent cette espèce de protestantisme du type sectaire, et ils rendent possible la fusion des deux. C’est l’individualisme de la société bourgeoise, l’érosion de l’État, la signification fondamentale de l’individu, qui se trouvent préparés ici ».¹⁴ Aussi bien la communauté que l’individu sont imprégnés de l’esprit de la société bourgeoise. De là naît la conviction que l’humanité bourgeoise est la réalisation de l’idée chrétienne. Aussi, la domination du principe communautaire dans le calvinisme n’implique-t-elle aucune opposition de

 Ibid., 11.  Ibid.  Voir P. Tillich, L’État total et la prétention des églises, in: Écrits contre les nazis (1932– 1935), op.cit., 201– 202.  Voir P. Tillich, La situation actuelle en Allemagne, in: Écrits contre les nazis (1932– 1935), op.cit., 174– 175.  Voir P. Tillich, La situation religieuse de notre temps, in: Écrits contre les nazis (1932– 1935), op.cit., 11– 12.  Ibid., 238.

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principe au système capitaliste.¹⁵ « Un optimisme actif, immense et puissamment efficace, identifie instinctivement le royaume de Dieu avec l’humanité bourgeoise complètement humanisée, pacifiée, conçue chrétiennement ».¹⁶ C’est de là que naît l’idéologie politique du calvinisme. L’identification du mode de vie bourgeois avec le royaume de Dieu constitue une adhésion à la domination de la classe bourgeoise dans le régime capitaliste. La réussite sociale et professionnelle devient abusivement un signe religieux de prédestination et d’élection, au mépris de la situation de classe opprimée de millions de personnes qui n’ont pas eu cette chance. L’idéologie ne se contente pas de glorifier la classe bourgeoise, mais justifie aussi la domination du monde par les peuples anglo-saxons et leur impérialisme économique, en leur attribuant le rôle de représentants de l’humanité chrétienne. Cela a été l’objet de la critique de la théologie barthienne : « l’abîme que Barth ouvre entre le monde et Dieu […] porte un coup décisif à l’identification idéologique naïve entre le royaume de Dieu et la société bourgeoise.¹⁷

1.2 Protestantisme en Amérique du Nord Tout ce qui a été dit plus haut sur le calvinisme en Allemagne s’applique particulièrement au calvinisme nord-américain. Tillich observe que les protestants d’Amérique sont, pour la plupart, de tradition calviniste et, par conséquent, sont portés à juger les royaumes de ce monde selon les critères du royaume de Dieu.  Dans le monde anglo-américain, le principe calviniste de la communauté suscitera l’exigence de mettre une partie élevée des gains au service de la communauté et des pauvres (Ibid., 239).  Ibid., 239. Tillich note aussi l’adhésion conservatrice aux conventions de la société bourgeoise en matière de sexualité et mariage, dès lors que le caractère sacramentel de ce dernier a été détruit.  Ibid., 14. Tillich reconnaît les effets positifs du jugement formulé par Karl Barth, même si ailleurs il critique les raisons du théologien bâlois: «L’orthodoxie protestante, en la personne du célèbre théologien Karl Barth qui est lui-même un ancien socialiste religieux, a récusé tout lien entre l’interprétation religieuse de l’idée de royaume de Dieu et son interprétation humaniste. Barth insistait et insiste encore sur la pure transcendance de l’espérance religieuse et sur la pure immanence des programmes politiques. Il n’admet ni l’arrière-plan chrétien du sécularisme moderne, ni l’interprétation chrétienne du mouvement prolétarien. Il coupe tous les liens entre le royaume de Dieu et l’histoire humaine ; s’il a pu répandre facilement cette doctrine, c’est parce qu’elle concorde aussi bien avec la tradition luthérienne allemande qu’avec les tendances de la pensée bourgeoise. Ce faisant, il a contribué à annuler l’action du socialisme religieux (La situation religieuse actuelle en Allemagne (1934), 180 – 181). Nous verrons plus loin l’affinité de la » théologie pentecôtiste de la prospérité « avec l’idéologie politique et sociale calviniste.

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En s’opposant aux pouvoirs sacrés de l’origine et en visant la réalisation du royaume de Dieu par la transformation de ce monde conformément à la justice et à la volonté de Dieu, il s’inscrit dans la lignée des prophètes. Mais en passant de la protestation prophétique au nom de la loi naturelle et divine à l’autonomie rationnelle caractéristique de la modernité et à l’identification de la société bourgeoise avec le royaume de Dieu, il devient idéologique au sens péjoratif de « masque du réel ».¹⁸ Selon un article publié aux États-Unis en 1936, consacré aux fonctions sociales exercées par les églises, les églises protestantes américaines, héritières du calvinisme, se définissent plutôt empiriquement et sociologiquement que de mode religieux ou mystique.¹⁹ Pour elles, l’idée mystique de l’ «Église invisible » unique n’a pas de sens. Une église, c’est-à-dire une communauté particulière est le résultat de l’association libre d’un groupe de chrétiens. Le recrutement est fait sur la base du degré de perfection morale et religieuse. Le sacré n’est pas donné, mais dépend de la décision et réalisation de l’être humain. Les églises se caractérisent avant tout par l’idée fédérative et associative et sont donc des groupes sociaux qui ont certains intérêts et objectifs en commun, mais se font aussi concurrence. Elles peuvent coopérer autour de certains projets sociaux, mais cela ne les empêchera pas de faire de la publicité sur la supériorité concrète de leurs installations ou de leurs dirigeants. En conséquence, la maison communautaire sert en même temps pour le culte, les discussions politiques et les rencontres sociales. Cela tient au type religieux théocratique, auquel elles appartiennent. La théocratie, qui tente de réaliser la volonté de Dieu, utilise le pouvoir politique pour mettre les institutions sociales et la personnalité morale en accord avec les commandements du royaume de Dieu. Au sein du christianisme, c’est le puritanisme – la forme calviniste anglo-saxonne – qui est la tentative la plus significative d’instituer la théocratie. D’où la signification extraordinaire conférée à l’Ancien Testament par le calvinisme puritain. Cela s’exprime par des prescriptions au sujet de la sanctification du dimanche, par l’interdiction de boissons alcooliques, par des lois contre le jeu et l’oisiveté et par une régulation précise de la vie familiale et sexuelle. La Bible devient le principe directeur de la vie sociale et politique, car elle fournit des instructions complètes et obligatoires pour toutes les affaires humaines. Cela se reflète jusque dans la prédication, qui interprète l’Écriture de mode autoritaire.  Voir J. Richard, Introduction, in: P. Tillich, La dimension religieuse de la culture, Cerf, Labor et Fides, Presses de l’Université Laval 1990, xx–xxiii.  The social functions of the Churches in Europe and America, in: Social Research, 1936 – Die Bedeutung der Kirche für die Gesellschaftsordnung in Europa und Amerika, GW III, 106 – 119.

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C’est le « principe de l’autorité démocratique » qui règne chez elle, en opposition à toute conception égalitaire de la démocratie. Ce principe s’incarne dans le presbytère, groupe de clercs et d’anciens choisis par cooptation, qui administre la communauté ecclésiale et, ce faisant, domine aussi dans une large mesure la vie sociale et même l’État. Ne possédant pas d’autorité sacramentelle il peut être objet de critique. Bien que la démocratie ne puisse pas être déduite du calvinisme authentique, le principe de l’autorité démocratique a toutefois pu représenter une étape dans le passage à la démocratie. La démocratie américaine a surgi alors comme mouvement contraire à ce principe presbytérien. Sa force spirituelle repose plutôt sur l’individualisme religieux qui, à son tour, a deux sources : la doctrine du droit naturel et le « spiritualisme » religieux. En dernière instance, ces deux sources remontent à une source commune : le principe d’identité entre l’esprit divin et l’esprit humain, comme dans la mystique. En opposition au calvinisme originaire et au presbytérianisme, le protestantisme sectaire a donc assumé la mystique dans laquelle l’individu doit se réaliser, exerçant à partir d’elle son influence sur la vie sociale. En vertu du droit naturel, dans lequel s’exprime la volonté du créateur divin, dans la communauté chrétienne comme dans l’État, c’est le peuple qui détient le pouvoir, en tant qu’association d’individus nés libres. Les groupes sectaires défendaient l’idée de tolérance contre la dictature religieuse du puritanisme. L’autonomie et la liberté dans l’option pour le baptême d’adultes et le choix de l’appartenance religieuse en est une expression. L’individualisme a trouvé son expression la plus radicale chez les Quakers et leur doctrine de la « lumière intérieure » qui dirige celui qui est ouvert à l’esprit divin. L’individualisme religieux a aussi reçu un puissant renfort par l’expansion du méthodisme, surtout dans les territoires récemment conquis de l’Ouest nordaméricain. Sa tendance à la conversion individuelle, sa critique de la doctrine de la prédestination, sa doctrine de la liberté de la volonté et sa foi en la capacité générale de l’être humain de se laisser guider par la raison, ont donné à la sensibilité démocratique de nouvelles et décisives impulsions. En Europe, aussi bien les protestants que les catholiques voyaient dans le spiritualisme et l’individualisme religieux un grand danger. Pour ce motif, les communautés baptistes et les autres groupes du mouvement spiritualiste ont été persécutés avec une telle violence, qu’il ne s’en est sauvé qu’un petit reste en Angleterre et que ce n’est qu’en Amérique qu’ils ont pu fonder de grandes communautés. En Amérique, contrairement à l’Europe, la déclaration des droits de l’homme et la démocratie ont donc trouvé un fondement religieux. Par ailleurs, pour Tillich, ce n’est pas le puritanisme, mais le libéralisme radical, comme nous le trouvons dans la proclamation des droits de l’homme, qui a renforcé l’attitude capitaliste. Le capitalisme a fait son entrée dans les

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églises au XIXème siècle, par l’introduction des méthodes financières modernes dans leur administration des églises. L’influence des laïcs est devenue de plus en plus forte et les administrations des communautés sont devenues de plus en plus, des forces économiques. Des constructions coûteuses ont fait croître la dépendance des communautés par rapport à leurs membres riches. On croyait voir dans ce développement une « promotion du bien-être ». Cela s’est vu d’abord dans les églises originairement libérales, chez les baptistes et les méthodistes. On peut dire que le capitalisme et la technique ont été soutenus par la religion, car on voyait en eux les moyens par lesquels l’Amérique pourrait accomplir sa mission dans l’État et dans l’Église. Une des formes de réaliser cet idéal s’est trouvée dans le mouvement de l’Évangile Social ou Social Gospel, qui arriva aussi au Brésil par l’intermédiaire des missionnaires protestants. Pour Tillich, la théologie de l’Évangile social, qui résulte d’une refonte de toute la théologie dans la perspective de la morale sociale, est quelque chose de propre aux États-Unis.²⁰ Je n’ai trouvé chez Tillich que quelques allusions à l’Évangile social, ce qui ne signifie pas qu’il ne lui ait pas reconnu une importance certaine. En voici deux : Les idées de Kant exposées dans la religion dans les limites de la simple raison et dans son petit livre classique sur la paix éternelle ont été reprises et développées par Ritschl et son école et sont passées dans la théologie américaine grâce à Walter Rauschenbausch (1861– 1918) et au mouvement de l’Évangile social. Ce mouvement était encore très puissant dans les années qui ont précédé la seconde guerre mondiale, quand Reinhold Niebuhr l’attaqua.²¹ La théologie de Ritschl était capable de fortifier le développement de la personnalité bourgeoise. Elle donnait un fondement théologique à ce développement d’une personnalité individuelle forte, active, disciplinée au point de vue moral. Elle s’alliait à un certain libéralisme dans le domaine social et politique, à une pensée autonome dans le domaine scientifique, et au refus de toute autorité.²²

Selon le Dictionary of American History, le mouvement du Social Gospel a été créé par un groupe de protestants libéraux progressistes, en réponse aux problèmes sociaux provoqués par l’industrialisation et l’urbanisation rapides et par l’immigration croissante. Il donnait la priorité au salut social par rapport au salut individuel et soulignait l’immanence de Dieu et la doctrine de l’Incarnation. En conséquence, les bonnes œuvres avaient plus de valeur que les croyances.

 Voir P. Tillich, La naissance de l’esprit moderne et la théologie protestante, Paris, Cerf 1972, 14– 15.  Ibid., 84.  Ibid., 276.

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L’Évangile social appuyait le mouvement ouvrier et réclamait un État interventionniste de bien-être social, car il condamnait comme non chrétiennes les pratiques capitalistes en termes de formation de prix et de salaires. Il visait une société christianisée, dans laquelle la coopération, le respect mutuel et la compréhension substitueraient la compétition et le conflit entre les classes sociales et économiques. Néammoins, en raison de l’échec de leurs efforts en vue d’atteindre les classes laborieuses, les partisans du mouvement s’en tinrent au milieu protestant libéral de classe moyenne, contribuant à rendre celle-ci plus progressiste. Leader intellectuel du mouvement au début du xxè siècle, Walter Rauschenbausch, ministre d’une église baptiste d’immigration allemande, parvint à unir l’évangélicalisme piétiste allemand, le libéralisme théologique et le christianisme social, en incarnant le royaume de Dieu dans la réalité sociale. Le royaume de Dieu réside dans un avenir inconnu, mais est latent dans le présent et actif dans les moments de crise et de changement. Le rôle de l’Église et des chrétiens est d’annoncer le royaume, de le rencontrer dans le présent et de l’incorporer au futur comme l’accomplissement et la fin de chacun de nous.²³ L’Évangile social a été accusé par le fondamentalisme de donner la priorité au salut social par rapport à la régénération des âmes individuelles en Christ. La foi chrétienne se réduirait à une inspiration pour l’action sociale. La théologie libérale exagérerait l’immanence de Dieu dans la société humaine et ferait de Dieu une composante sans relevance d’un projet essentiellement humain de réforme sociale. À l’opposé, Reinhold Niebuhr a critiqué l’idéalisme naïf de l’Évangile social et préconisé «une révolte graduelle contre toute la culture libérale de l’époque», refuge confortable de la bourgeoisie triomphante. Il s’approchait ainsi du Tillich du socialisme religieux, utilisant comme lui les outils marxistes d’analyse de la société en termes de classes, de rapport de forces et de pouvoir. Il se fondait aussi sur une théologie du péché originel comme limite absolue de toute l’expérience humaine, ce qui le conduisit au rejet de toutes les utopies terrestres et à l’acceptation du New Deal de Roosevelt comme la moins mauvaise approximation de la justice sociale dans un monde imparfait.²⁴

 Voir M. Oshatz, Social Gospel, in: S.-I. Kutler, éd., Dictionary of American History, The Gale Group Inc., Charles Scribner’ Sons, 3. Éd., 2003.  Voir I. Richet, De l’utopie socialiste au réalisme chrétien – Reinhold Niebuhr et le New Deal, in: Transatlantica 1, 2006, 2.

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2 Protestantisme : conservatisme et transformation sociale au Brésil Comme je le disais dans l’introduction, le protestantisme brésilien est issu, dans son immense majorité, des missions organisées par le radicalisme évangélique nord-américain (méthodisme, presbytérianisme, baptisme, adventisme, pentecôtisme) et a reçu de lui la tension entre l’abstentionnisme politique et le souci de transformation sociale.

2.1 Panorama du protestantisme brésilien actuel²⁵ L’extension de la Réforme au continent américain est marquée par une très grande complexité, une multiplication presque infinie de contradictions et nuances religieuses. Déjà en Angleterre, on notait la coexistence de l’Église d’Angleterre, du mouvement puritain et des « églises libres ». Le puritanisme est la base large sur laquelle se construit tout le protestantisme du continent américain, avec ses principes de liberté religieuse par rapport à l’État, liberté liturgique et ascétisme moral. À partir de là, on assista à une multiplication continue d’Églises et mouvements. Le protestantisme brésilien – du moins les églises d’origine missionnaire – est encore aujourd’hui une projection du protestantisme nord-américain, nourri des idées de la religion civile nord-américaine et accompagnant les vagues successives de conservatisme des églises des États-Unis, leurs débats et contradictions. Mais, du fait de leur situation minoritaire, les églises protestantes brésiliennes ont assimilé les idées messianiques de la religion civile nord-américaine « pour leur usage interne », contrairement à ce qui se passait aux États-Unis. Les missionnaires de la seconde moitié du 19è siècle et du début du 20è siècle, sous l’influence du mouvement évangéliste né en Europe mais surtout répandu aux États-Unis, avaient la préoccupation d’offrir une espèce de front unique, basé sur quelques principes doctrinaux communs. De sorte que l’identité « évangélique », essentiellement individuelle et qui signifiait l’engagement de la personne dans le sens de ces principes doctrinaux, finit par caractériser la  Voir A.-G. Mendonça, « Um panorama do protestantismo brasileiro atual », in: Leilah Landim (org.), Sinais dos Tempos. Tradições religiosas no Brasil, Rio de Janeiro, Instituto de Estudos da religião 1989, 37– 86. Les protestants brésiliens préfèrent en général être appelés «évangéliques». Le terme «protestant» est utilisé surtout par les sociologues, alors que «croyant» (crente) est devenu péjoratif, de par son emploi par les catholiques.

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plupart des dénominations protestantes. Venu des États-Unis, en partie à travers d’organisations missionnaires interconfessionnelles, le protestantisme missionnaire brésilien avait des intentions fortement pragmatiques : il voulait être un élément de changement de la société par la transformation des individus. L’idée de la conférence missionnaire d’Edimbourg (1910), de « christianiser » comme symbole pour « coloniser » fut adoptée par les missions dans le sens de la théologie calviniste du « royaume de Dieu » et du « peuple élu ». Le concept de «Royaume de Dieu » recevait son sens du « rêve américain », de même que le concept de « peuple élu » chargé d’étendre le règne de Dieu. La théologie dominante dans les missions nord-américaines était celle de John Wesley, fondateur du méthodisme, développée par les mouvements de réveil. Le mécanisme du salut passait par la conscience de la faute suivie par l’acte volontaire de l’acceptation de l’offre de salut, puis de la justification et de la sanctification progressive. Pour la théologie conversionniste missionnaire, la foi dépendait de l’expérience émotionnelle personnelle, la conversion était individuelle et consistait en la rupture abrupte de l’individu avec son milieu culturel, à travers l’adoption de nouveaux modes de conduite, opposés à ceux dans lesquels il avait été éduqué. Le protestantisme actuel d’origine missionnaire est toujours conversionniste et individualiste. Cela peut causer des conflits avec l’appartenance dénominationnelle, dont on change facilement. Un autre aspect important est l’usage de la Bible, dont la lecture conduit au développement personnel et social. Les organisations para-ecclésiastiques voient dans la Bible un instrument de rénovation éthique. On distingue généralement les églises d’immigration (venues avec des groupes d’immigrants) : anglicans (anglais, nord-américains, japonais) ; luthériens (allemands rattachés à l’Europe ou aux États-Unis) et les églises d’origine missionnaire : presbytériennes et congrégationalistes (d’origine calviniste ou réformée), méthodistes (d’origine anglicane), baptistes et mennonites (non directement issues de la Réforme). Toutes ces églises – qui constituent ce qu’on appelle le protestantisme « historique » au Brésil – connurent à leur tour de nombreuses divisions et dissidences. Sauf exceptions (comme les églises baptistes), elles présentent une croissance à peine végétative et elles constituent une petite minorité des chrétiens évangéliques au Brésil. Bien que constituées en églises indépendantes de leur église nord-américaine d’origine, elles continuent tributaires d’organisations para-ecclésiastiques missionnaires, qui inondent les églises de leurs ressources financières et de leur idéologie conservatrice, principalement par leur offre d’éducation théologique dans des séminaires interdénominationnels. Les pentecôtistes, issus des églises missionnaires déjà aux États-Unis ou au Brésil même, représentent aujourd’ hui l’immense majorité des évangéliques qui,

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dans leur ensemble, atteignent plus de 22 % de la population, selon le dernier recensement. Certains historiens distinguent le pentecôtisme classique, arrivé au Brésil dès 1910, avec les Assemblées de Dieu et la Congrégation chrétienne du Brésil, du pentecôtisme récent – depuis 1950 – avec l’Évangile quadrangulaire et Le Brésil pour Christ, entre autres. Depuis les années cinquante, on connaît une prolifération extraordinaire de communautés pentecôtistes. Une troisième vague serait formée, depuis les années quatre-vingt, par des mouvements dits néopentecôtistes, centrés sur la personne du leader, les miracles de guérison divine et exorcismes, et la théologie de la prospérité, sans insister autant sur la nécessité de restrictions d’ordre moral et culturel pour atteindre la bénédiction divine. Certains mouvements se transformèrent en églises très importantes, comme « Dieu est amour », l’Église universelle du règne de Dieu, l’Église internationale de la grâce de Dieu, l’Église mondiale du pouvoir de Dieu et l’Église Renaître en Christ. Indépendamment des particularités des divers groupes que l’on peut recenser, les évangéliques brésiliens se caractérisent – selon les études de science religieuse – par : (1) une lecture essentiellement fondamentaliste (littéraliste, à partir des idées des fondements de la foi) du texte sacré, la Bible ; (2) l’accent mis sur la piété individuelle dans la recherche du salut de l’âme (influence du puritanisme et du piétisme des missionnaires venus du sud des États-Unis au XIXe siècle) ; (3) fréquentes attitudes de rejet des manifestations culturelles du pays, spécialement celles qui sont liées au catholicisme et à la culture afrobrésilienne ; (4) isolement et abstentionnisme par rapport aux questions sociales et politiques (résultat de la spiritualisation des questions de l’existence individuelle et sociale).²⁶ Il s’agit d’un milieu chrétien où prédomine une théologie conservatrice, marquée par la conjonction millénariste et fondamentaliste, et puritaine-arminienne-piétiste, dépourvue de tradition liturgique, avec une pratique centrée sur la parole et peu ou même aucun accent sur la communication visuelle et/ou symbolique ; rigide par rapport aux plaisirs du corps et à la moralité quotidienne, au moyen d’une rupture avec les expressions culturelles brésiliennes ; anticatholique et dénominationaliste (divisionniste et sectaire).²⁷ Le monde évangélique brésilien se fonde sur la dualité des « deux chemins » (représentés par l’image célèbre de Charlotte Reihlen (1869), venue des ÉtatsUnis et présente dans tous les foyers évangéliques : « les deux chemins ou la voie large et la voie étroite »), qui s’impose comme choix entre le salut et la perdition,

 Voir M. do Nascimento Cunha, Do púlpito às mídias sociais. Evangélicos na política e ativismo digital. Curitiba (Brésil), Prismas 2017, 14.  Ibid., 15.

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la lumière et les ténèbres, le ciel et l’enfer et, au sens commun évangélique, catholicisme ou évangélisme. Depuis les années quatre-vingt, dans le contexte du nouvel ordre mondial résultant des progrès du capitalisme globalisé, le monde évangélique brésilien se caractérise par l’hégémonie pentecôtiste absolue, la recherche d’inculturation dans le monde urbain (notamment les changements importants survenus dans les conditions du travail) et le surgissement de la culture gospel, caractérisée par le développement d’une religiosité médiatique (acquisition d’espaces importants dans les médias, spécialement radio et TV, et l’occupation d’espaces dans l’univers cybernétique, de même que la construction d’un mode d’être évangélique à partir de l’interaction avec ces médias), l’identification des évangéliques comme un secteur du marché et l’amplification du marché de la musique et de ses dérivés dans le secteur des loisirs. La réaction du catholicisme et du protestantisme historique à l’avance du pentecôtisme se concrétise par le succès de groupes « de réveil » ou de « rénovation charismatique » au sein de ces églises. Dans le contexte d’exclusion sociale du capitalisme globalisé, les tendances religieuses de la « théologie de la prospérité » et de la « guerre spirituelle » prêchent l’inclusion sociale par des promesses de prospérité matérielle conditionnée par la fidélité matérielle et spirituelle à Dieu. Il faut aussi « détruire le mal » qui empêche que la société atteigne les bénédictions de la prospérité. En conséquence, les « fils du roi » doivent invoquer tout le pouvoir auquel ils ont droit pour établir une guerre contre les « puissances du mal ».²⁸

2.2 Les évangéliques et la politique Les évangéliques sont présents dans la politique des partis depuis le 19è siècle, mais jusqu’aux années quatre-vingt du vingtième siècle, leur présence au parlement était plutôt symbolique. Cela correspondait à l’attitude d’absentéisme politique due à la compréhension de la séparation radicale entre l’église (lieu du bien) et le monde (lieu du mal), à la morale individualiste et à l’absence de préoccupation pour les choses de ce monde. Les objectifs de l’église étaient surtout la prédication spiritualisée du message chrétien, en vue de la conversion, l’adhésion de nouveaux fidèles et le salut de l’âme. Cela se reflétait dans les activités des églises, consacrées, pour la plus grande part, à la vie interne des congrégations et à la maxime : « le croyant ne se mêle pas de politique ». La participation politique des croyants devait se restreindre à l’obligation du vote et

 Ibid., 19 – 27.

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au respect et à l’obéissance aux autorités établies par Dieu (selon saint Paul et la doctrine luthérienne des deux règnes). Cela commença à changer lors de la constituante de 1933, quand la Confédération Évangélique du Brésil invita les évangéliques à lancer des candidats, afin de barrer l’influence catholique et de défendre la laïcité de l’État et de l’enseignement public, ainsi comme la gratuité de celui-ci, le divorce, le pacifisme et la liberté de pensée et de croyance, entre autres choses. Depuis lors, les protestants historiques, d’abord, puis les pentecôtistes, entrèrent en grand nombre en politique, afin d’y occuper leur espace et de ne pas permettre l’élargissement des privilèges des catholiques. Leur participation a connu une croissance spectaculaire depuis les élections pour le Congrès National constituant en 1986, au sein duquel fut formé le premier « bloc politique évangélique ». D’autre part, il s’agissait de contrer les mouvements sociaux qui réclamaient l’extension des droits des « minorités » : femmes, homosexuels, indigènes, noirs (et avec eux, leurs religions). « La défense de la morale chrétienne, de la famille et des bonnes mœurs est vue désormais comme la mission des églises évangéliques au sein de la politique des partis, selon la nouvelle devise :’le frère vote pour le frère’ ». Les églises, surtout pentecôtistes, commencent à indiquer officiellement leurs propres candidats. En outre, on ne peut pas oublier l’anticommunisme profond et presqu’obsessif, qui poussa les églises évangéliques à appuyer le coup d’État militaire de 1964. Grâce à leur participation politique, les églises évangéliques n’ont cessé d’augmenter leur influence dans les médias, surtout l’Église universelle du règne de Dieu, propriétaire de la troisième chaîne nationale de télévision, et l’Assemblée de Dieu.²⁹ Cependant, certains groupes évangéliques réagirent contre l’attitude complaisante et corrompue du bloc parlementaire évangélique, ce qui provoqua la création du Mouvement évangélique progressiste (MEP), qui se présentait comme informel – mouvement de personnes et non d’organisations – et audessus des partis, évangéliste, c’est-à-dire conservateur en théologie, dans la ligne du « Pacte de Lausanne », et progressiste socialement, c’est-à-dire engagé en faveur de changements structurels. Il faut mentionner aussi la fondation en 1988 de l’Association Évangélique brésilienne, qui devint une association de leaders évangéliques, dont l’objectif était d’améliorer l’image publique du secteur religieux évangélique, flétrie par la participation du bloc parlementaire évangélique et par les scandales financiers qui compromettaient les églises pentecôtistes en expansion. « Les fondateurs de l’AEVB représentaient le centre

 Ibid., 33 – 39.

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et la gauche politiques du monde évangélique théologiquement conservateur ».³⁰ Une série d’autres groupements surgirent au cours des années suivantes, en vue de représenter les secteurs conservateurs, d’un côté, et les secteurs progressistes, de l’autre. Il n’y a pas, jusqu’ici, de parti propre aux évangéliques, mais ceux-ci ont conquis une influence prépondérante dans certains partis d’importance moyenne, surtout en vue d’élire des candidats à la chambre et au sénat qui soient prêts à défendre les intérêts des églises évangéliques. Dans ce but, selon la conjoncture, ils ont pu s’allier à la gauche du Parti des travailleurs de Lula et à la droite du gouvernement actuel du Mouvement démocratique brésilien.³¹ Actuellement, on rencontre tout aussi bien des évangéliques mêlés aux scandales de corruption que d’autres qui sont protagonistes – comme juges et procureurs – dans le fameux procès du « lava a jato » (lavage à grands jets d’eaux, comme le lavage de voitures), qui met en cause la compagnie étatique du pétrole, la Petrobras. Il faut noter enfin que la plateforme politique des groupes conservateurs contient en priorité la lutte contre la légalisation de l’avortement, la décriminalisation des drogues et la discussion des questions de genre dans les écoles publiques. Ils sont vus par les progressistes comme une menace contre l’État laïc, contre les droits des femmes, noirs et LGBTIs (Lesbiennes, gays, bisexuels, transsexuels et intersexuels), à cause de leurs positions conservatrices quant aux droits de genre et à la liberté religieuse. Dans le parlement actuel, on compte 89 députés évangéliques (sur un total de 513) et trois sénateurs (sur un total de 81). Le front parlementaire évangélique – association libre qui contient aussi des députés d’autres appartenances religieuses, ou même sans religion – compte 199 députés et quatre sénateurs, mais seulement 73 députés et un sénateur évangéliques. Il y a aussi d’autres fronts religieux, parfois dirigés par des évangéliques, qui privilégient les thèmes chers au groupe, en relation avec le contrôle du corps et de la sexualité, le combat contre la drogue, le soutien et la récupération de drogués etc., comme le front parlementaire pour la défense de la vie et de la famille, qui compte 236 participants. En dehors de la politique des partis, l’engagement d’évangéliques dans des causes sociales, en cours dès l’arrivée des missionnaires des États-Unis au 19è siècle, est à mettre en relation avec une minorité de leaders évangéliques qui s’identifient avec le courant théologique de l′Évangile social (voir plus haut), avec le mouvement œcuménique et les projets soutenus par la Confédération Évangélique du Brésil (CEB) et par le mouvement évangéliste. Un des principaux

 P. Freston, Evangélicos na política brasileira: história ambígua e desafios éticos, Curitiba, Encontrarão 1994, 99.  M. do Nascimento Cunha, Do púlpito às mídias sociais, op.cit., 39 – 44.

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effets est la participation d’évangéliques à de nombreux programmes et organismes sociaux de soulagement de la pauvreté, assistance à la santé, à l’habitation populaire, l’alphabétisation et l’éducation populaire, l’aide aux migrants, la lutte contre les inégalités régionales, entre autres. C’est la CEB qui organisa l’historique Conférence du Nordeste, sur le thème : « Christ et le processus révolutionnaire brésilien » (1962).³² L’explicitation de la dimension politique de l’action sociale de la CEB est l’un des facteurs qui peuvent expliquer la persécution interne et externe subie par cette organisation durant la dictature civile-militaire, ce qui provoqua sa dissolution en 1965. La répression politique et ecclésiastique pendant les années 60 et 70 a fini par renforcer la perspective « assistentialiste » de l’activité sociale évangélique. Les églises tendent à ne pas vouloir prendre position sur des questions comme la sexualité, l’éthique, la politique, la justice socio-politique, économique et de genre, la citoyenneté. Au contraire, elles spiritualisent ces questions et individualisent la réponse : chaque chrétien doit savoir prendre ses décisions sous l’orientation de Dieu. Par ailleurs, les églises utilisent souvent leur action sociale pour faire du prosélytisme ou pour construire une image positive auprès du grand public. Dans ce contexte, des leaders évangéliques s’associent au pouvoir, en vue de maintenir ou gagner des positions dans la vie politique ou d’obtenir quelque bénéfice pour leur église : financement de constructions, visibilité sociale, acquisition d’espaces de TV et radio. On note cependant aussi le maintien de groupes évangéliques articulés autour de l’héritage de la CEB, qui unissait l’assistance sociale et la réflexion politique. Ils sont présents dans des organisations non gouvernementales évangéliques, œcuméniques ou séculières et dans des mouvements de jeunesse ou de lutte contre le racisme. Dans ces organisations, les évangéliques travaillent à la promotion d’actions sociales de soulagement des maux sociaux, articulées avec des actions liées à des thèmes importants, comme l’éthique en politique, la lutte contre le racisme et le machisme, la justice économique et de genre, la victoire sur toutes les formes d’intolérance, entre autres. Le néo-conservatisme évangélique est encore plus actif actuellement, profitant du climat de domination des positions conservatrices dans la sphère publique brésilienne en général et surtout de la visibilité croissante qui lui est donnée par les médias religieux et séculiers et par les réseaux sociaux (facebook, twitter, instagram, blogs de toute sorte etc.). Il faut citer spécialement les pasteurs de l’Assemblée de Dieu Silas Malafaia, Marco Feliciano (celui-ci étant aussi

 Ibid., 82.

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député) et Everaldo (qui a été candidat à la présidence de la république), l’avocate du Front parlementaire évangélique Damares Alves et la chanteuse gospel baptiste Sarah Sheeva. Leur théologie se fonde sur la vision d’un Dieu guerrier et belliqueux et s’appuient sur la Bible pour défendre leur position raciste et contraire au féminisme et à l’homosexualité. Ils accusent simplement leurs adversaires d’être des agents du diable. Le slogan « il faut sauver la famille » est présent dans les médias et dans des partis politiques comme le Parti social chrétien et le Parti de la république. Ils défendent aussi les principes du libéralisme en politique et en économie, ayant comme cibles préférées les politiques sociales et les politiques de protection des minorités. En alliance avec des secteurs conservateurs du catholicisme, les conservateurs évangéliques créèrent la notion d’« idéologie de genre », pour traiter de mode péjoratif la notion et les droits de genre, et lancèrent une véritable croisade dans les médias et les réseaux sociaux, faisant l’amalgame entre l’idéologie de genre, le marxisme et le Parti des travailleurs. Ils sont ainsi parvenus à éliminer le terme « genre » du plan national d’éducation et de plusieurs plans d’éducation liés aux États de la fédération. Sur le terrain d’action de l’école publique, il faut mentionner aussi le mouvement de « l’école sans parti », qui lutte contre ce qu’il appelle « l’abus de l’endoctrinement politique et idéologique d’élèves de la part de professeurs » désignés comme marxistes et athées. Un projet a été déposé en ce sens à la chambre. Enfin, les discours alarmistes et fortement émotifs de ces leaders dans les médias visent à produire une véritable panique morale. Voyons, par exemple, le pasteur Silas Malafaia, sur le twitter : « l’idéologie de genre appuie le sexe libre, ils ne disent que ce qui ne peut pas faire peur à la société, ils appuient l’inceste, la pédophilie, la zoophilie, l’homosexualisme etc. » « le parti de Marina (évangélique progressiste qui a disputé le second tour de l’élection présidentielle en 2010) ne considère plus le masculin et le féminin, maintenant c’est la fameuse génération X, vous êtes ce que vous voulez au moment où vous le voulez ». « Attention Évangéliques ! le parti de Marina défend l’immoralité de l’idéologie de genre qui, au fond, veut érotiser les enfants. Une honte ! ».³³ Du côté des évangéliques progressistes, de loin inférieurs en nombre et influence, il faut mentionner la « théologie de la mission intégrale », dans la ligne du mouvement évangéliste issu du « Pacte de Lausanne ». Ce mouvement centre ses principes sur la radicalité de l’orientation de la Bible, la figure du Christ comme foyer du salut humain et sur l’évangélisation du monde (conversion au christianisme évangélique), qui doit inclure l’action sociale et la défense

 Ibid., 142.

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de la démocratie. Dans cette ligne, citons l’ONG Vision mondiale, le réseau national d’action sociale et le réseau Fale (Parle). Le mouvement évangélique progressiste (MEP) et l’Association Évangélique brésilienne, déjà cités antérieurement, se consacrent plutôt à la présence évangélique dans la politique, par le bloc évangélique à la chambre fédérale. Citons aussi Diaconia, la coordination œcuménique de services, Koinonia présence œcuménique et service, le réseau œcuménique de la jeunesse. Ces organisations héritières du mouvement œcuménique sont encore en activité en actions de solidarité avec des personnes vivant en-dessous de la ligne de pauvreté, de formation œcuménique de femmes et jeunes, mettant l’accent sur des thèmes contemporains comme les droits de la jeunesse, les droits de genre (femmes et population LGBTI), lutte contre le racisme et contre l’intolérance religieuse. La question-clé de la confrontation entre évangéliques conservateurs et progressistes est la nécessité – ou non – de l’intervention de l’État pour exercer une régulation sur le corps, en particulier la sexualité : avortement, homosexualité et manipulation génétique. Un autre sujet est la relation entre foi évangélique et socialisme, qui oppose ceux qui défendent la justice et l’égalité socio-économique et la laïcité de l’État à ceux qui veulent défendre la foi contre le socialisme (la résurgence imaginaire de la menace communiste) et le sécularisme (mais non contre l’expansion de la logique du marché dans les sphères de la politique et de la culture).³⁴

2.3 Quelques exemples significatifs d’engagement évangélique en vue de la transformation sociale 2.3.1 Polémique au sujet de l’Évangile social Le mouvement de l’Évangile social existe toujours au Brésil, comme l’une des composantes de l’évangélisme progressiste. Il est encore l’objet de la critique acerbe de secteurs conservateurs et fondamentalistes présents sur la toile. Un blog évangélique conservateur dénonce le mouvement comme « La honte de l’Évangile social ». C’est qu’ils « ont honte de l’Évangile du Christ ». Malgré des réalisations sociales positives, ils compromettent la foi biblique et déshonorent Dieu, car celui-ci n’a pas confié à l’Église la mission de résoudre les problèmes du monde. L’Évangile social est une maladie mortelle pour le « peuple de la foi » : il renforce l’idée que le salut peut être obtenu par la pratique des bonnes œuvres, laissant de côté les différences en faveur du bien commun, traitant les

 Pour tout ceci, voir Ibid., 45 – 159.

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autres comme ils aimeraient être traités, agissant de forme morale, éthique et sacrificielle et que, ce faisant, les personnes vont se rendre agréables à Dieu. Non ! Ces efforts sont de la tromperie, car ils méprisent le salut de Dieu et rejettent sa justice parfaite. L’Évangile social prêche donc un « autre Évangile » et contribue à préparer un royaume complètement contraire aux Écritures, car notre cité est aux cieux, d’où nous attendons le sauveur, le Seigneur Jésus Christ. Celui-ci reviendra du ciel pour y emporter ceux qui croient en lui, tandis que le royaume terrestre sera celui de l’Antéchrist. Il ne vaut pas la peine de s’associer à des fidèles d’autres croyances en vue de la recherche de la paix, de la sauvegarde de l’environnement ou de la justice pour tous. Ce qui importe réellement au cœur de Dieu est que tous se repentent et croient à l’Évangile. En fin de compte, l’Évangile social est un mouvement gauchiste né aux États-Unis, qui a influencé la théologie de la libération et la théologie de la mission intégrale, et qui appuie la « honteuse théologie gay » (ou queer).³⁵ Dans un autre blog, le mouvement de l’Évangile social organise sa défense : « Notre mouvement ne considère pas la mission de l’Église comme réalisation d’actions sociales, mais comme la recherche, en premier lieu, du royaume de Dieu et de sa justice. Il s’agit de l’instauration progressive, active et continue du royaume de Dieu sur terre. Cette action inclut la lutte contre la discrimination raciale et la violence faite aux femmes, la promotion de l’égalité entre hommes et femmes et dans la société en général, la suppression de la guerre, de la faim et de la pauvreté. Il s’agit de combattre par la subversion le » système des choses « (le monde), qui alimente toutes les réalités contraires au royaume de Dieu. Le mouvement veut être une voix prophétique et active de l’Église dans la société, qui dénonce les structures injustes et invite toute l’humanité à la réconciliation des êtres humains avec Dieu et avec leurs frères en humanité. Un exemple est la campagne contre les lois anti-LGTBTI, en défense de droits égaux pour tous, indépendamment de la race, de la couleur, du genre, de la religion ou de l’orientation sexuelle, car tous sont fils de Dieu, justifiés gratuitement par sa grâce.³⁶

 Voir T.A. McMahon, O vergonhoso Evangelho Social, in: Chamada da Meia-Noite, janvier 2009. http://www.chamada.com.br/mensagens/evangelho_social.html, accès le 27/12/2017.  Voir https://oevangelhosocial.wordpress.com, accès le 20/08/2017. Non signé.

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2.3.2 La conférence du Nordeste et le mouvement Église et société en Amérique latine (ISAL)³⁷ Avec cette conférence, nous faisons un retour dans l’histoire. À l’origine, il faut signaler la naissance de l’ «Union des étudiants chrétiens du Brésil » (UCEB), à l’initiative de pasteurs, étudiants, séminaristes et universitaires lassés du manque de participation des églises dans les luttes sociales. Lors de la première conférence latino-américaine des étudiants chrétiens en 1952, les étudiants invitent un missionnaire nord-américain, expulsé de Colombie, pour discuter la vocation chrétienne : Richard Shaull. En vue de discuter les questions posées par le marxisme à la théologie chrétienne, il avait publié un petit livre intitulé : « Le christianisme et la révolution sociale ». Sous l’impulsion de Richard Shaull et Valdo César, voit le jour le « Secteur de responsabilité sociale de l’Église (SRSI) » au sein de la « Confédération évangélique du Brésil (CEB) », organisme interdénominationnel constitué des six églises protestantes principales du pays. Un des objectifs est l’organisation de rencontres nationales pour discuter les thèmes d’actualité de la société brésilienne. Quatre conférences furent réalisées entre 1955 et 1962.³⁸ En 1955, le thème traité est « la responsabilité sociale de l’Église », pour étudier les fondements bibliques et théologiques de la responsabilité chrétienne dans la sphère socio-politique. En 1957, la conférence réfléchit sur « l’Église et les rapides transformations sociales au Brésil », afin de mieux comprendre les processus sociaux au Brésil et dans le monde. La conférence de 1960 : « La présence de l’Église dans l’évolution de la nationalité » est une convocation à participer de manière solidaire aux divers domaines marqués par de profondes transformations au Brésil : sociales, économiques, politiques et culturelles. Il y a déjà quelques fausses notes entre l’enthousiasme du développement et la frustration qui résulte des processus d’urbanisation et d’industrialisation. Enfin, en 1962, la Conférence du Nordeste : « Christ et le processus révolutionnaire au Brésil » sera, en même temps, le sommet et la fin de ces rencontres. L’optimisme qui régnait au sujet des possibilités de développement économique et social rapide est déjà profondément ébranlé. Plusieurs groupes d’ «opprimés » commencent à s’organiser, comme les ligues paysannes au Nordeste (le « quadrilatère de la faim »). Il manquait la présence de l’Église évangélique. Le choix  Voir R.-C. Barreto Jr., A conferência do Nordeste e o movimento Igreja e Sociedade, in: Revista Ultimato online, nº 310, janvier-février 2008. Accès le 20/08/2017: http://www.ultimato. com.br/revista/artigos/310/a-conferencia-do-nordeste-e-o-movimento-igreja-e-sociedade.  Les ressemblances sont frappantes avec les thèmes des premières rencontres du mouvement du socialisme religieux en Suisse et en Allemagne.

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de la ville de Recife pour la réalisation de la conférence est significatif : c’est le centre de la région la plus appauvrie du pays, là où le scandale de l’injustice sociale était le plus patent. En vue de mieux connaître cette réalité, on invite des chercheurs brésiliens connus, des économistes et des sociologues, qui n’appartiennent pas nécessairement aux milieux évangéliques, comme Celso Furtado. D’autre part, on sent déjà très fort les pressions de l’État et des secteurs les plus conservateurs de l’Église. Le SRSI est surveillé par la police et par l’armée : le coup d’État de 1964 n’est pas loin. Après le coup d’État, plusieurs participants seront emprisonnés. D’autres devront fuir le pays. Richard Shaull avait déjà dû quitter le séminaire presbytérien de Campinas, où il enseignait, et retourner aux États-Unis en 1962, avant même la réalisation de la conférence. Il avait encore contribué, en dialogue avec le SRSI, à la création de ISAL (Église et société en Amérique latine), organisme réunissant des sociologues et théologiens de diverses églises et visant le dialogue avec la pensée révolutionnaire. Son principal organe était la revue Cristianismo y Sociedad, publiée en Uruguay.³⁹ Établi au Brésil de 1953 a 1962, Richard Shaull a agi comme animateur et médiateur de tout le mouvement de la gauche évangélique.

2.3.3 La pensée de Richard Shaull (1919 – 2002) et l’option socialiste⁴⁰ Après une période d’études de plus de dix ans, de sociologie d’abord, à l’Elizabethtown College – faculté liée à l’Église des Frères, d’origine piétiste-anabaptiste – et de théologie au séminaire théologique de Princeton, Shaull et son épouse Mildred s’inscrivent au service de missions étrangères de l’Église presbytérienne, en vue d’une mission en Amérique latine. Shaull était déjà convaincu de ce que la foi chrétienne devait conduire inévitablement à l’action. Il passe dix ans en Colombie, où il connaît la situation sociale des pauvres et perçoit le décalage contextuel entre la théologie protestante traditionnelle et cette situation. Il entre en contact avec le marxisme et les mouvements sociaux et étudiants de gauche. Mais il s’occupe surtout des conflits entre catholiques et protestants, souffrant beaucoup des attaques dont ces derniers étaient victimes. En 1951, il participe, à l’Union Theological Seminary de New York, à un groupe d’études sur le « défi du communisme », dirigé par des professeurs de l’institu Un des principaux animateurs du mouvement a été le théologien méthodiste uruguayen Júlio de Santa Ana, qui a été, bien plus tard, mon collègue à São Paulo pendant dix ans. Exilé de son pays, il a travaillé de nombreuses années au Conseil Œcuménique des Églises à Genève.  Voir A.-É.-H. Júnior, Teologia e revolução : a radicalização teológico-política de Richard Shaull, in: Estudos de Religião, vol, 26, nº 43, 56 – 76.

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tion : Reinhold Niebuhr, John Bennett et Searle Bates. Il ne se satisfait pas des critiques faites au totalitarisme communiste et prend conscience du rôle joué par les États-Unis dans l’exploitation des pays dits du Tiers-Monde. Là il rencontre aussi Paul Lehmann, qui avait étudié avec Karl Barth et avait été l’ami intime de Dietrich Bonhoeffer. Grâce à lui, Shaull s’ouvre aux mouvements révolutionnaires et marxistes, mais critique le totalitarisme communiste et l’esclavage de la technique. Après la fin des activités du groupe d’études, il retourne à Princeton pour y poursuivre son doctorat sous la direction de Lehmann, dont la théologie contextuelle marquerait profondément la production de la théologie de la révolution ou mieux, selon Shaull, de la « théologie dans le contexte de la révolution ». Nous avons déjà vu qu’au Brésil, il travaille avec le mouvement étudiant. Il participe aussi, en 1956, à une expérience communautaire d’engagement parmi les travailleurs de l’industrie à São Paulo, inspirée par les prêtres ouvriers français. Dans « Le christianisme et la révolution sociale » – publié au Brésil en 1953⁴¹ – il développe une théologie qui vise une praxis chrétienne socialement responsable : les chrétiens devraient, pour être fidèles à leurs origines et traditions, s’approcher du prolétariat et des mouvements syndicaux. Son discours est marqué par la vieille ascèse calviniste intramondaine : « Si Jésus-Christ est Seigneur au-dessus de toutes les principautés et de tous les pouvoirs, si Dieu agit dans le monde et dans la société pour réaliser Sa volonté et établir Sa Seigneurie, alors moi, en ma qualité de chrétien, j’ai une énorme responsabilité dans la société, je suis appelé à témoigner, dans tous les domaines de la vie, au sujet de cette seigneurie de Jésus ». Sa critique du communisme russe soulignait la notion calviniste de que, excepté le pouvoir de Dieu, tout est provisoire, imparfait et relatif. Shaull montrait par là une orientation clairement eschatologique, différente du sécularisme communiste. Au Brésil, il perçoit que la recherche de sens pour la vie aboutissait plus facilement par la relation entre la « passion prophétique pour la justice » et le marxisme qu’entre celle-là et le christianisme présent dans les églises. Pendant ces années, il incorpore à sa théologie la perception des problèmes sociaux mondiaux comme questions d’ordre structurel,⁴² et l’acceptation de l’idée que, si

 R. Shaull, O Cristianismo e a revolução social, São Paulo, União cristã de estudantes do Brasil, 1953.  Notons que, pour le protestantisme de mission latino-américain, la transformation sociale ne peut être qu’une conséquence de la transformation préalable des individus qui composent la société. Une conception structurelle de la société fait cruellement défaut.

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le contexte est révolutionnaire, la théologie doit produire du sens pour la révolution et l’insertion révolutionnaire des chrétiens. Après son départ du Brésil, Shaull participe en 1966 à l’enquête œcuménique préparatoire de la Conférence mondiale Église et Société à Genève, comme l’un des principaux auteurs et conférenciers. Sa contribution s’intitule « Le défi révolutionnaire à l’Église et à la théologie ».⁴³ Il y développait une pensée sociale œcuménique, qui proclamait l’œuvre rédemptrice de Dieu dans l’histoire et appelait les chrétiens à l’action et à la construction du règne de Dieu par la transformation de la société, en vertu de la perspective eschatologique de que la seigneurie du Christ rompt l’ordre établi injuste et appelle à la rénovation de l’histoire. D’où la nécessité d’assumer la responsabilité de la révolution et d’examiner quelle serait la meilleure forme concrète de la lutte révolutionnaire. Dans ce sens, il est urgent d’élaborer une éthique théologique à partir du vécu, une éthique contextuelle d’action. Shaull préconise l’utilisation de « techniques de guérilla », y compris théologiques, dans l’action politique, afin d’exercer de constantes pressions sur les points névralgiques du système. Ces techniques seront de préférence non violentes, sauf dans les quelques situations où le changement serait impossible sans l’usage de la violence. Reprenant la tradition calviniste et dialectique, selon laquelle, face au Dieu absolument souverain, toute construction humaine était subalterne et sous le jugement, Shaull considérait que les régimes constitutionnels, de même que la révolution, étaient sous le jugement de Dieu et devaient être appréciés dans cette perspective. En conséquence, ils ne devaient pas être maintenus à tout prix : «Tous les ordres sociaux sont en train de perdre leur caractère sacré et s’ouvrent à l’avenir, qui devra être configuré par la volonté humaine ».⁴⁴ Ou encore : « La nature et la société sont des réalités temporelles qui existent pour servir les projets de Dieu à l’égard des hommes. En conséquence, elles peuvent être utilisées et modifiées pour se mettre à la hauteur de ces projets ».⁴⁵ Dans toute la Bible, il y a un très fort accent eschatologique, qui souligne la nature dynamique de Dieu et le fait que son action vise un objectif dans l’his-

 Elle a été publiée dans Église et Société. Une enquête œcuménique, Genève, Labor et Fides, 4 vols, 1966. La contribution de Richard Shaull se trouve dans le premier volume : Ethique sociale chrétienne dans un monde en transformation. Voir aussi R. Shaull, The revolutionary challenge to church and theology, in: The Princeton Seminary Bulletin, vol. 60, nº 1, 1966, 25 – 32. Disponible en http://sede.library.ptsem.edu/mets/mets.aspx?src=PSB1966601&div=7. Ce texte m’avait vivement impressionné lors de mes études de théologie à Louvain, où je me préparais aussi à un départ pour le Brésil.  R. Shaull, O cristianismo e a revolução social, op.cit., 82.  Ibid.

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toire. Dans ce sens, Shaull affirme le caractère révolutionnaire du messianisme biblique et le potentiel révolutionnaire intrinsèque de l’eschatologie chrétienne. Bien que l’inspiration de Shaull paraisse plutôt barthienne, on a montré qu’il faisait usage d’une méthode théologique de médiation proche de la méthode tillichienne de la corrélation, avec la dialectique de la situation et du message.⁴⁶ Dans son cas, il s’agit d’une rencontre dialogique et créative entre la foi chrétienne et l’esprit révolutionnaire présent dans le contexte latino-américain. Cette méthode conduit à la resignification d’aspects spécifiques de la tradition théologique. Shaull comprend en effet la théologie comme herméneutique symbolique, conséquence du caractère symbolique des narratives bibliques. Il faudra donc interpréter dialectiquement les symboles chrétiens, ainsi que les narratives et langages paraboliques issus des textes bibliques, à la lumière de l’expérience existentielle contemporaine.

Conclusion Dans ce texte, la question était de savoir si la description par Tillich des principales tendances du protestantisme allemand et nord-américain par rapport à l’engagement social et politique des chrétiens pouvait éclairer notre compréhension du protestantisme brésilien. La réponse est globalement positive, sachant que, comme Tillich, nous travaillons avec des « types idéaux », qui permettent de détecter des éléments structurels communs, sans que l’on puisse parler d’identité parfaite. Comme nous l’avons vu, le protestantisme brésilien est issu, avant tout, des missions organisées par le radicalisme évangélique nord-américain, qui ont transporté au Brésil, l’idée calviniste de désacralisation des pouvoirs et de la construction humaine du royaume de Dieu, par l’établissement de la seigneurie de Dieu sur les individus et la société, d’une part, et l’individualisme religieux radical provenant des mouvements sectaires, d’autre part. Selon la manière de

 Voyons, par exemple, dans l’introduction à l’Ère Protestante: «La tâche de la théologie est médiation, médiation entre le critère éternel de la vérité, comme il est manifeste dans la figure de Jésus en tant que Christ, et les expériences changeantes des individus et des groupes, leurs diverses questions et leurs catégories de perception de la réalité. Quand la tâche médiatrice de la théologie est rejetée, c’est la théologie elle-même qu’on rejette, car le terme »théo-logie« implique, en lui-même, une médiation entre le mystère qui est Theos et la compréhension qui est Logos.» (The Protestant Era, xiii). Voir F.-H de Abreu, Teologia como Hermenêutica Simbólica: breves considerações sobre o Método Teológico de Richard Shaull, in: Numen: revista de estudos e pesquisa da religião, vol. 13, nº 1 e 2, 151– 177.

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comprendre les tâches qui en découlent, cela a pu mener les communautés qui constituent le « protestantisme de mission » à un mélange explosif d’attitudes socio-politiques contradictoires. Surtout depuis que cette forme de protestantisme a été amenée à identifier le royaume de Dieu avec l’humanité bourgeoise, caractérisée par l’individualisme exacerbé et l’adhésion au système capitaliste. Les différences sont dues au changement, dans le temps et dans l’espace, des conditions sociales, culturelles, économiques et politiques. Il a pu en résulter aussi bien un abstentionnisme politique qu’une participation en vue de conquérir un espace social et économique pour les communautés évangéliques, et qu’une critique radicale du système économique et social et un engagement en vue d’une transformation profonde et même révolutionnaire. On retrouve donc dans le protestantisme brésilien les mêmes contrastes que dans le calvinisme en général et anglo-saxon en particulier. En premier lieu, on retrouve partout une orientation objective et rationnelle et la foi en la capacité de l’être humain de se laisser guider par la raison, de même que la valorisation de la technique moderne, spécialement en termes de communication sociale (canaux de radio et télévision, sites et blogs sur la toile). Il s’agit surtout de changer la société par la transformation des individus. Dans ce but, l’accent est mis sur la formation de la personnalité individuelle. La conversion individuelle à un nouveau mode d’existence exige souvent la rupture avec le milieu culturel et religieux d’origine. La spiritualisation de l’existence peut mener à l’isolement et l’abstentionnisme par rapport aux questions sociales et politiques. Au contraire, la vision manichéenne de la séparation de l’Église et du monde conduit à la guerre spirituelle, lutte implacable contre les démons ou puissances du mal et intolérance radicale face à toutes les différences. On retrouve spécialement une éthique critique et prophétique face à une éthique de prescriptions morales, en ce qui concerne le refus du jeu, du tabac, de l’alcool, de la drogue et de la prostitution. Le plus important est la régulation de la vie familiale et sexuelle : défense de la famille traditionnelle et de la morale chrétienne et restriction des droits de la femme et des « minorités sexuelles », lutte contre la légalisation de l’avortement, la décriminalisation des drogues et la discussion des questions de genre dans les écoles publiques. À l’opposé, des groupes défendent la liberté individuelle dans le choix de formes d’union ou d’orientation sexuelle et appuient les mouvements féministes et LGBTI. La question-clé de la confrontation entre évangéliques conservateurs et progressistes est la nécessité – ou non – de l’intervention de l’État pour exercer une régulation sur le corps, en particulier la sexualité : avortement, homosexualité et manipulation génétique.

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Du point de vue de l’action sociale, un courant fondamentaliste rejette en bloc toute action sociale et politique. Un autre courant insiste sur la responsabilité sociale des individus et des communautés. On note la participation d’évangéliques à de nombreux programmes et organisations sociaux de soulagement de la pauvreté, assistance à la santé, l’habitation populaire, alphabétisation et éducation populaire, aide aux migrants, lutte contre les inégalités régionales, la lutte contre le racisme et le machisme et toutes les formes d’intolérance, surtout religieuse, promotion de l’éthique en politique, de la justice économique et de genre, formation œcuménique de femmes et jeunes. Si l’engagement a pu être révolutionnaire dans le passé, grâce à une conjoncture plus favorable, aujourd’hui il oscille entre la critique structurelle et les œuvres de charité. Comme dans la société en général, la critique socialiste résiste difficilement au mouvement global d’adhésion au capitalisme et à la société de consommation. L’esprit bourgeois a été adopté tant par les individus que par les communautés. Celles-ci dépendent toujours plus des grandes forces économiques et les églises deviennent elles-mêmes des puissances financières et médiatiques. Leurs constructions sont coûteuses et ostentatoires. Les évangéliques s’identifient comme un secteur du marché, spécialement par la production musicale et ce qui l’accompagne. Cela correspond, chez les individus, à l’adoption de la théologie de la prospérité. C’est que la réussite sociale et professionnelle et la richesse sont comprises comme signes d’élection religieuse. La Bible, principe directeur de la vie sociale et politique, est le plus souvent interprétée de mode littéraliste, fondamentaliste et autoritaire avec le refus de l’herméneutique historique, exégétique et philosophique. Quelques groupes font une lecture politique libératrice. L’appartenance au type religieux théocratique inclut la préférence pour l’Ancien Testament. Il peut être conservateur ou progressiste, réformiste, réactionnaire ou révolutionnaire. Si on a pu assister à la lutte pour la transformation sociale structurelle, y compris socialiste et révolutionnaire, d’autre part, l’obsession du péril communiste totalitaire est sans cesse présente et réanimée. On rencontre ainsi deux formes opposées de messianisme politique. La volonté de christianiser la société par les œuvres humaines s’appuie sur l’idée associative et fédérative, comme nous avons pu le vérifier par l’existence de nombreuses associations interdénominationnelles, de gauche ou de droite, libérales ou fondamentalistes. Cela correspond à un usage ambigu et parfois machiavélique des moyens économiques et médiatiques et de la politique (cooptation de partis, blocs parlementaires) en vue de mettre les institutions et les individus en accord avec les commandements divins. Mais ceux-ci sont l’objet d’interprétations contradictoires : la volonté divine peut être confondue avec la

Le protestantisme au Brésil entre le conservatisme et la transformation sociale

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croissance numérique de la communauté ou avec la conquête d’espaces politiques, économiques ou médiatiques, favorisant l’influence et la visibilité des dénominations. Ainsi, bien souvent, le culte, spécialement la prédication, se confond avec la politique dénominationnelle. Bref, entre le protestantisme de souche calviniste décrit par Tillich et le protestantisme brésilien, les affinités et analogies sont nombreuses, pour le meilleur et pour le pire. Les protestants brésiliens ne sont pas toujours conscients des influences historiques qu’ils subissent encore. Un retour en arrière, ne fût-ce qu’en pensée, peut être salutaire pour éviter désormais les erreurs du passé et du présent et réassumer des initiatives quelque peu oubliées, en syntonie avec la plus authentique tradition, qui pourraient réanimer l’espérance en ces temps sombres que nous vivons.

Jean Paul Niyigena

Rapport à la tradition en Afrique et Christianisme : Lieux de Réformation et de Révolution Théologiques Introduction Le christianisme en Afrique, en tant que religion issue de l’œuvre missionnaire, est précurseur du phénomène de la mondialisation tel qu’il est vécu aujourd’hui. Le christianisme a pour condition de possibilité la rencontre, car il s’annonce sur un terrain toujours occupé jusqu’à ce que lui aussi puisse prétendre occuper foncièrement ce terrain¹. Dès les premières années de la religion chrétienne, les Apôtres se sont engagés dans l’annonce de l’Évangile. Selon Paul Tillich, le christianisme, comme toute religion particulière, n’est pas nécessaire dans l’absolu pour l’homme. Par contre, la religion, au sens général, est nécessaire chez l’être humain. Toutefois, la religion, en général, est abstraite et ne peut se réaliser concrètement que sous les modalités de religions particulières. Dans cette perspective, le christianisme est une religion historique et donc particulière. Ainsi, elle s’annonce aux personnes qui sont déjà dans la religion, du point de vue de la religion générale. Ces hommes et femmes auprès de qui l’Église accomplit sa mission évangélisatrice sont déjà préoccupés ultimement, pour reprendre le vocabulaire de Tillich. Quand saint Paul annonce l’Évangile aux Grecs, ils se butte à cette résistance qui n’est autre qu’une tradition déjà ancrée chez ce peuple et qui semble leur donner satisfaction à propos des questions de sens. Je postule que le christianisme s’est toujours annoncé dans les traditions autres que lui. En cela, la Tradition est comprise comme un ensemble de croyances et de pratiques qui donnent fondamentalement sens à la vie d’un peuple donné, d’une personne concrète. Selon cette logique, l’Afrique compte

 Quand je dis que le christianisme s’annonce toujours sur un terrain occupé, je pense ici aux différents processus historiques de l’évangélisation des différents peuples. Ceux-ci avaient leurs religions traditionnelles et le christianisme se proposait ou s’imposait comme une religion venue d’ailleurs, comme une religion autre. Cela est la christianisation d’un peuple. Je ne fais pas allusion à l’autre mouvement qu’on observe en Occident qui est celui de la déchristianisation d’un peuple. https://doi.org/10.1515/9783110668124-022

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beaucoup de traditions au sens de pratiques. Cependant, il y a une manière quasi commune de se rapporter à la tradition en Afrique. C’est cette manière que j’appelle, dans ce texte, Tradition. La manière dont les Africains se rapportent à leurs croyances et à leurs pratiques constitue une clé de compréhension et d’interprétation de leur être chrétien, peu importe leur confession respective tels que le catholicisme, le protestantisme, et tout autre mouvement religieux qui se réclamerait chrétien. En effet, si le rapport que l’Africain entretient avec le christianisme était calqué sur son ancien ou actuel rapport à sa Tradition, cela ne serait-il pas un handicap à sa foi chrétienne ? Ainsi, en quoi le rapport à la tradition en Afrique et ses enjeux théologiques sont-ils les lieux de réformation et de révolution ? Telles sont les questions auxquelles j’essaie de répondre à la lumière de l’œuvre théologique de Paul Tillich. Pour mener à bien cette réflexion, celle-ci se répartit en deux moments : quelques interrogations théologiques sur le rapport au christianisme comme tradition et une relecture critique du rapport à la tradition à la lumière de Paul Tillich. Je terminerai mon analyse par quelques pistes de solutions pour un christianisme africain générateur de l’être nouveau.

1 Interrogations théologiques sur le rapport au christianisme comme tradition Il nous paraît essentiel de montrer que le christianisme ne peut ni s’intégrer ni se laisser embrigader par les catégories d’une culture quelconque. «Vous avez appris qu’il a été dit … Mais moi, je vous dis… »². Le christianisme est, à mon avis, fondamentalement critique, dès son origine. A ce titre, il a quelque chose d’original et d’essentiel à apporter aux cultures en général et à la tradition africaine en particulier. Ainsi, l’ADN du christianisme ne se réduirait ni à la mémorisation ni à la récitation des versets bibliques, encore moins au respect scrupuleux des rites ou à faire seulement autorité dans son ensemble. Le christianisme est essentiellement transgressif, et cela, pour toutes les traditions³. Le rapport à la tradition selon les Africains noirs, une fois appliqué au christianisme, suscite les interrogations à conséquences multiples sur le plan théologique. D’un côté, je relève un certain nombre de points chrétiens qui se

 Matthieu 5, 43 – 44.  B. Bourgine, J. Famerée et P. Scolas, La transgression chrétienne des identités, Paris, Cerf, 2012.

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retrouvent rejetés par les chrétiens africains parce que seulement incompatibles aux modalités théoriques et pratiques du rapport à la tradition selon les Africains. Le christianisme serait-il une tradition ? Est-il un ensemble d’idées figées, comme l’est une tradition d’après les africains ? Le statut de l’individu et de la communauté selon le christianisme, voire la question de la femme, sont des données à interroger, dans la tradition africaine, à la lumière du christianisme. Les interrogations sont a priori nombreuses sur le plan théologique. Ainsi, John Mbiti dira que «The church in Africa is a church without a theology, without theologians and without theological concern »⁴. Les questions du rapport au christianisme comme tradition, en Afrique, ne sont pas de l’ordre de l’accident. Elles trouvent leur origine dans l’état intellectuel et les choix stratégiques des missionnaires qui étaient envoyés en Afrique. Le manque de formation intellectuelle poussée chez les missionnaires continue, à mon à vis, à influer sur l’état du christianisme en Afrique. Cela se vérifie par le manque d’intérêt pour une pensée théologique dans les églises africaines malgré le nombre élevé de pasteurs porteurs de grades académiques de haut niveau en théologie.

1.1 Interrogations méthodologiques 1.1.1 Rapport de vénération absolue des affirmations de la foi chrétienne L’une des questions épineuses dans les églises africaines concerne la transmission et surtout l’inculturation du message évangélique de telle sorte que celui-ci puisse féconder la vie des Africains. Le constat que les théologiens font consiste à montrer que le christianisme est loin de pénétrer les cœurs des Africains car ces derniers se livrent aux actes contraires aux valeurs de l’Évangile. Dans les pays où l’athéisme est une injure et où la socialisation civique est entre les mains des écoles chrétiennes, les riches s’enrichissent davantage et les pauvres s’appauvrissent de plus en plus, la solidarité n’est plus qu’une nostalgie du passé et la vie a été supplantée par la mort tragique des innocents, à travers les conflits ethniques, religieux, etc. En effet, la vénération des affirmations chrétiennes inculquées aux Africains noirs, comme elle a toujours été vécue à l’égard de leur tradition, est un obstacle au passage essentiel de l’étape de la connaissance et du respect des dogmes à

 J. Mbiti, Some African concepts of Christology, in: Georg. F. Vicedom éd., Christ and the younger churches, London, S.P.C.K., 1972, 51.

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celle de l’appropriation, de l’intériorisation et de la contextualisation de ces principes⁵. Il va sans dire que cette méthode de se rapporter au christianisme comme un objet figé n’est pas digne des croyants d’une religion fondée non pas sur les idées mais sur la personne de Jésus. Elle est issue d’une théologie sourde et non discursive ; sourde parce que la vie concrète des personnes, dans ses variations et ses nouveautés existentielles, n’exige aucune nouveauté de la part du sens de l’Évangile. Les personnes se contentent de se conformer aux formules inculquées. Paul Tillich s’insurgera contre cette manière de faire la théologie. « Christian theology is the theology in son far as it is based on the tension between the absolutely concrete and the absolutely universal » ⁶. La méthode de vénération des affirmations de la foi fait fi de la particularité et du contexte. Elle ne laisse aucune place à l’inventivité pour faire face aux réalités nouvelles qui surgissent grâce au pouvoir générateur de nouveauté dont sont dotés la vie en général et les domaines de la la culture en particulier. C’est pourquoi, on trouvera, en Afrique, les réalités socio-culturelles interpellantes auxquelles les églises s’opposeront sans fournir aucun effort pour les comprendre. La figure emblématique de ces réalités reste les questions d’ordre éthique, tel que l’usage du préservatif, etc.

1.1.2 Instrumentalisation des affirmations de la foi en faveur de la force vitale D’après Placide Tempels et à sa suite Alexis Kagame⁷ ainsi que d’autres penseurs africains⁸, le socle de la tradition africaine est une forme d’anthropocentrisme qui situe la force vitale au centre de toute préoccupation de l’Africain noir. « Au centre du système, l’animant comme le soleil notre monde, il y a l’existence, c’està-dire la vie. C’est le bien par excellence, et toute l’activité de l’homme ne tend qu’à l’accroissement et à l’expression de la puissance vitale » ⁹. L’Africain noir, qu’il soit

 http://cur.ac.rw/publications/interviews.php J’ai déploré cette méthode encore actuelle dans l’entretien que j’ai eu avec le journaliste de la Conférence Episcopale du Rwanda sur l’état actuel de l’enseignement du cours de religion dans les écoles catholiques du Rwanda. En effet, il suffit de se rendre à la messe au Rwanda pour constater avec consternation que les prières universelles qui y sont lues sont encodées dans un livre qui date des années d’avant le génocide perpétré contre les Tutsi en 1994. Je qualifie cette « méthode de vénération » de scandale théologique.  Paul Tillich, Systematic theology, Vol 1, Chicago, University of Chicago Press, 1951, 16.  A. Kagame, La philosophie bantoue rwandaise de l’être, Bruxelles, 1956.  Dismond Tutu repris par J. van der Neut, Devenir chrétien et rester africain, Butare, Cel et Piass, 2015, 21.  L. Sédar Senghor, L’esprit de la civilisation ou les lois de la culture négro-africaine, dans Le Ier congrès international des écrivains et artistes noirs, Paris, Présence africaine, 1956, 53.

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chrétien ou non, catholique ou protestant, reste encore porté par ces schèmes qui le contraignent à être à la recherche de l’accroissement de la force vitale et à pouvoir l’exprimer au vu et au su de tout le monde. L’attachement au christianisme est considéré alors comme un geste fort qui doit remplir la fonction de l’accroissement de la force vitale. En ce sens, l’observance des rites et règles religieux n’est, en aucun cas, au service de Dieu en tant que tel. Ce qui est recherché avant tout c’est le renforcement de sa force vitale. Il ne faut pas s’étonner quand on constate que les formes d’expression de la foi chrétienne qui fonctionnent mieux sont celles de la demande. Cela a toujours été le cas avec les religions traditionnelles africaines. « L’ancêtre a reçu de Dieu une force vitale, et sa vocation éternelle est de l’accroître. On le voit, le but de la famille est de perpétuer un patrimoine de force vitale, qui grandit et s’intensifie dans la mesure où elle se manifeste en des corps vivants, des existants de plus en plus nombreux et prospères » ¹⁰. La qualité de vie familiale et les biens matériels sont les signes d’une réussite de l’Africain noir au sens de la force vitale. Pour ce faire, l’Africain noir a besoin d’une tradition qui montre clairement les règles à respecter pour accéder à l’accroissement et à l’expression de la force vitale. Dans cette perspective, le christianisme est une tradition comme tant d’autres pour les Africains. On attend de lui beaucoup de choses ; encore faut-il savoir si l’on attend de lui ce qu’il est capable de donner. Aussi bien chez les catholiques que chez les protestants, on mettra en valeur les versets bibliques qui vont dans ce sens. C’est pourquoi, l’Ancien Testament est plus lu que le Nouveau Testament. Celui-ci n’intéressera les Africains noirs chrétiens que lorsqu’il s’agit des versets de miracles qui vont dans la logique de l’accroissement et de l’expression de la force vitale. L’instrumentalisation des affirmations de la foi chrétienne commence lorsqu’on tombe dans le même piège que les missionnaires. Ce piège est celui de confondre le christianisme avec une civilisation ou une culture donnée. « Le christianisme doit pénétrer jusqu’au fond de l’âme nègre, épouser les contours de l’âme africaine, se tenir à l’écoute des aspirations de l’Afrique pour leur apporter sa splendide réponse, explorer les valeurs africaines et les exalter par sa Grâce »¹¹. Cette phrase d’un prêtre trahit l’esprit d’instrumentalisation du christianisme. Pourquoi, en effet, le christianisme doit-il épouser les contours des valeurs africaines ? C’est, à mon sens, une méthode d’assimilation qui trouve ses fon-

 Ibid., p. 54.  G. Bissainthe, Le christianisme face aux aspirations culturelles des peuples noirs, dans Le Ier congrès international des écrivains et artistes noirs, Paris, Présence africaine, 1956, 327.

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dements dans un réflexe de complexe d’infériorité qui a marqué les débuts de la réflexion des Africains sur soit ce qui a été appelé « Philosophie africaine » soit ce qu’on appelle aujourd’hui «Théologie de l’inculturation ». Pour illustrer mon propos, je m’appuie sur la critique de Paulin J. Hountondji par rapport à la philosophie africaine. Tout est conçu pour se comparer à la civilisation occidentale¹². On s’aperçoit, en effet, que la comparaison qui, en tant que telle, est une méthodologie épistémologique intéressante, nous éloigne de la rencontre authentique entre le christianisme et l’Afrique noire. Je pense que le jugement porté sur le manque d’une action suffisante d’explorer les valeurs africaines de la part du missionnaire est, à mon avis, précoce. De nouveau, si le missionnaire devait s’intéresser aux valeurs africaines, cela ne pouvait se faire qu’en termes de moyens pour mieux évangéliser. Seuls les théologiens africains, eux qui connaissent leur culture et le christianisme, doivent s’acquitter de leur travail de théologiens, comme le font leurs collègues dans d’autres coins du monde, sans tomber dans le comparatisme complexé. Zvomunondita Kurewa nous aide à sortir des sentiments instrumentalistes et culpabilisants du travail des autres, en tentant de définir le travail du théologien. « Le théologien doit observer et décrire précisément ce qui se passe dans la communauté dont il fait partie. Il doit tout comprendre aussi bien par expérience que par compréhension rationnelle. Finalement, concernant le dialogue, celui-ci doit être lié avec le reste de la chrétienté » ¹³. Cette approche constitue une voie de sortie du comparatisme, elle décharge le missionnaire des manquements qu’on lui attribue, à tort. En effet, le missionnaire n’était pas théologien et ne pouvait pas l’être pour la simple raison qu’il ne vivait pas la même expérience que les Africains, aussi bien sur le plan socioculturel que politique. Force est de constater que le christianisme a épousé les contours de l’âme africaine sur plusieurs plans et, par conséquent, il n’a pas eu assez d’occasions pour délivrer ses secrets, car il a été pris dans les mêmes catégories de rapport que celles réservées à la tradition africaine. Ainsi, après avoir épousé les con-

 P.-J. Hountondji, Sur la « Philosophie africaine », Paris, François Maspero, 1977. Il est intéressant de relever les comparaisons purement spéculatives qui traversent l’œuvre de Tempels et Kagame, entre ce qu’est l’Africain et celui à qui il se mesure, à savoir l’Européen. Souleymane Bachir Diagne, Revisiter « La philosophie bantou ». L’idée d’une grammaire philosophique, in: Politique africaine, 2000, 1, 77, 50. « Le projet de la Philosophie bantu-rwandaise de l’être s’est voulu l’explicitation, pour la langue kinyarwanda, des catégories dont elle est porteuse, en une entreprise qui reproduise consciemment celle qu’Aristote n’aura réalisée qu’en prenant les particularités du grec pour l’univesalité du discours onto-logique en général ».  Kurewa repris par J. van der Neut, Devenir chrétien et rester africain, op.cit., 21.

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tours de l’âme africaine, le christianisme a été réduit au moyen, parmi tant d’autres, pour atteindre la fin, à savoir la force vitale. Le christianisme est devenu, pour les Africains, une tradition, c’est-à-dire les idées selon lesquelles ils vivent.

1.2 Interrogations théologiques 1.2.1 Les questions de l’autonomie et de l’intolérance : violence d’une religion-tradition Les personnes habituées à la réalité culturelle et sociale de l’Afrique savent bien que la religion et Dieu sont partout. L’intérêt et les oppositions qu’a suscités l’ouvrage intitulé « Dieu peut-il mourir en Afrique ? » d’Eloi Messi Metogo¹⁴ témoignent de la difficulté à imaginer l’absence de Dieu dans la mentalité africaine. On convoque la religion dans toutes les circonstances de la vie. La religion est le substrat de la vie de tous les jours dans la tradition africaine. Cela est de mise et pour les religions traditionnelles et pour les religions issues de l’œuvre missionnaire. Dans cette logique, il va de soi que chaque domaine de la vie est imprégné de la religion. En Afrique, « la société se saisit de l’individu dès sa naissance, le marque de diverses manières et ne le lâche plus jusqu’à sa mort »¹⁵. L’individu n’a pas d’autres choix que celui de se soumettre à la communauté. Une telle disposition culturelle ne peut être qu’un obstacle quasi infranchissable au développement de l’autonomie de la personne. Une conception d’un être humain, dans son individualité, reste difficilement imaginable dans le contexte africain. Dans la perspective de la pensée de Paul Tillich sur la question de l’autonomie, il me paraît important d’établir une certaine comparaison entre son contexte et la situation africaine. En effet, d’après Tillich, « l’autonomie de la vie de l’esprit est en danger, sa suppression est même possible, aussi longtemps que d’une façon quelconque un dogme revendique à côté de la science, une communauté à côté de la société, une Église à côté de l’État, la jouissance exclusive d’une sphère déterminée »¹⁶. Ceci revient à dire que le propos de Paul Tillich suppose

 E. Messi Metogo, Dieu peut-il mourir en Afrique ? Essai sur l’indifférence religieuse et l’incroyance en Afrique noire, Paris, Karthala, 1997.  I.-P. Laleye, La conception de la personne dans la pensée traditionnelle Yoruba. Approche phénoménologique, Genève, H. Lang. Berne, 1970, 149.  P. Tillich, Sur une idée de la théologie de la culture, in: La dimension religieuse de la culture, Paris-Genève-Québec, Cerf-Labor et fides-Presses de l’université Laval, 1990, 35.

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l’existence de différentes sphères de sens et leur pertinence respective. Ceci n’est pas le cas, dans le contexte africain ; car aucune autre sphère que celle dite tradition ne peut prétendre à l’autonomie ni à la pertinence. La tradition africaine constitue, dans son fondement essentiel, la clé de compréhension de l’intolérance et de l’absence de créativité. L’harmonie toujours recherchée et garantie par le respect des traditions ne laisse pas de place à la créativité, ni à l’innovation intellectuelle. « Quel que soit l’aspect que l’on considère, qu’il s’agisse des techniques ou des moyens de production des biens tant matériels que des biens d’ordre spirituel, qu’il s’agisse des croyances ou même de l’univers des symboles, ces sociétés placent toujours l’humain et les rapports que l’homme entretient avec d’autres hommes et avec le cosmos au centre de leurs préoccupations » ¹⁷. Il y a une relation triangulaire qui doit être respectée. Elle comprend les pôles homme, hommes et cosmos. Il s’agit d’une unité indissoluble qui assure l’équilibre et renforce la force vitale. Toute tentative susceptible de bouleverser cet équilibre est vite étouffée avec beaucoup de forces. Cependant, il convient de resituer clairement l’individu par rapport à la communauté. « L’homme africain s’est toujours rendu compte que sa vie est pétrie d’harmonie et d’intégration. Le primat du ‘nous’ sur le ‘je’ est donc une exigence de nature, en Afrique noire » ¹⁸. La communauté est au-dessus de l’individu et celui-ci s’y soumet volontiers pour son accomplissement. A la lumière de Paul Tillich, je dirais que la tradition africaine est foncièrement hétéronome et, par conséquent, absolutiste. « L’hétéronomie procède toujours de la religion qui a perdu Dieu, qui est devenue simple religion » ¹⁹. En devenant une tradition parmi tant d’autres, le christianisme en Afrique, est réduit à une simple religion selon laquelle tout est déjà fait. Dans la simple religion, l’homme doit juste obéir et respecter les règles qui sont en place. Cette religion est hétéronome et intolérante. Son seul but est de s’appliquer partout et sur tout (toute la communauté, dans le contexte africain). Au sein de cette communauté, la différence ne peut être tolérée, encore moins acceptée. Une telle religion-tradition jouit d’une notoriété intouchable et inquestionnable. Elle est à la fois incapable de remettre en question quoi que ce soit, ni n’accepte d’être remise en question par qui que ce soit. Les sphères sacrée et profane n’existent pas séparément puisque tout est sacré. « Le Négro-Africain vit

 W. Mbilizi, L’individu et la communauté dans l’Afrique traditionnelle, Louvain-la-Neuve, Institut supérieur de philosophie, 1989, 2– 3.  A. Ntabona, Jésus Christ à la rescousse de la dimension communautaire de la vie en Afrique, in: Théologiques, 19, 1, 2011, 182.  P. Tillich, Le dépassement du concept de religion, in: La dimension religieuse de la culture, Paris-Genève-Québec, Cerf-Labor et fides-Presses de l’université Laval, 1990, 83.

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et se meut au sein d’un univers dont il se conçoit comme étant de la même étoffe et dont il participe dans une quête de sens intense, de sorte que, à la fois grain et seigneur du cosmos, il ne peut et ne doit se comprendre qu’en rapport intime et existentiel avec le système cosmologique global » ²⁰. La religion totalise tout ce qui existe, et tous les éléments de la vie trouvent leur sens ultime dans les explications religieuses. Dans cette perspective totalisatrice, il n’y a pas d’espace pour le dialogue entre les différences de sens, ni d’espace pour la critique. « L’existence exclusive de l’Église ferait de tous nos actes de sens des symboles »²¹. Cela est le cas du christianisme-tradition en Afrique. Paul Tillich, dans ses écrits théologiques, a abordé la question dite des primitifs à partir de leur art et du sens religieux de celui-ci. Pour lui, l’art des primitifs a beaucoup de choses à apprendre aux Européens qui tendent à réduire les œuvres d’art à leurs formes matérielles. Pourtant, d’après lui, chez les primitifs, l’art perd quelque chose d’important lorsqu’il ne réserve quasi exclusivement son sens au contenu. L’art est le lieu où s’expérimente la tension entre la forme et le contenu. Néanmoins, cette tension n’est pas toujours assurée car « les mêmes forces vitales qui sous-tendent la forme vivante deviennent des principes destructeurs lorsqu’elles se font trop puissantes et se soustraient à l’ordre que la forme organique devrait leur imposer »²². Cette approche est, aux yeux de Tillich, démonique. Les forces démoniques ont toujours été présentes dans l’histoire des peuples. Une religion devenue tradition, au sens où j’aborde la tradition, procède des forces démoniques. Ces dernières, « opèrent dans le sacrifice sanglant au dieu de la terre qui engloutit la vie pour créer la vie : c’est là l’archétype de la force démonique qui, dans l’économie, détruit l’homme »²³. Mutatis mutandis, le christianisme considéré comme tradition, en Afrique, détruit l’homme en l’aliénant de sa créativité et de son épanouissement individuel²⁴, en même temps qu’il tue la communauté²⁵ en dressant les barrières et les condamnations violentes entre les confessions chrétiennes.

 B. Bayili, Perceptions négro-africaines et vision chrétienne de l’homme. Herméneutique d’une anthropologie théologique, Paris, Harmattan, 2011, 9.  P. Tillich, Eglise et culture, in: La dimension religieuse de la culture, op.cit., 106.  P. Tillich, Le démonique, in: La dimension religieuse de la culture, op.cit., 126.  Idem.  L’individu est soumis absolument à la communauté.  Les confessions, les unes que les autres, se reprochent mutuellement de ne pas être vraies et que la seule religion vraie est toujours la sienne.

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1.2.2 Créativité contextuelle : impasse du légalisme du christianisme africain Les trois parties du temps séquencées selon ce qui est en cours, ce qui est passé et ce qui se passera n’ont pas la même importance dans la religion-tradition. Selon la tradition africaine, le passé jouit d’une importance capitale. Il est le lieu de la perfection car il a été marqué par les ancêtres dont le génie, la force et l’influence sont essentiels dans le déroulement aussi bien du présent que du futur. « La cosmogonie africaine décrit globalement le comportement humain comme dépendant des forces supra-naturelles qui nous gouvernent. Ce symbolisme africain permanent est renforcé par l’intrusion du sacré dans l’existence grâce aux nombreux génies, qu’ils soient bons ou mauvais » ²⁶. Les forces supra-naturelles proviennent des ancêtres qui ont existé dans le passé. Le présent est un résultat de la volonté des ancêtres qui ont soit un bon soit un mauvais sentiment pour les gens du présent. Le futur dépend également de ces génies supra-naturels. La nuance nécessaire et importante qu’il convient d’apporter à la force quasi absolue du passé consiste dans la responsabilité des vivants dans ce qui leur arrive. En effet, les vivants ont un rôle déterminant dans la qualité de la vie qu’ils mènent aujourd’hui. Selon qu’ils respectent ou désobéissent aux règlements laissés pas leurs ancêtres, ils connaissent la croissance ou l’affaiblissement de leurs forces vitales. « C’est en tant que génie de ta race que je me présente à toi comme au plus digne… car je t’apporte le succès » ²⁷. La réussite n’est jamais un fruit du hasard. D’une part, elle provient des forces surnaturelles par la médiation des ancêtres et, d’autre part, elle dépend du respect des idées laissées par les mêmes ancêtres. La tradition africaine a tellement façonné les contours du christianisme en Afrique que la loi est devenue son cadre ultime de manifestation. On respecte la loi pour la loi sans se poser des questions ni sur son pourquoi ni sur son importance. La tendance majeure du christianisme vécu comme tradition est celle qui consiste à réduire le message de Dieu à une morale de lois. Ainsi, les lois vont de pair avec les punitions qui vont parfois jusqu’à l’exclusion temporelle ou définitive de la communauté²⁸. Je tiens à souligner que, chaque fois, on

 G. Virginie Kacou, Camara Laye et la tradition africaine, Mémoire présenté au Département de la littérature française à l’Université Mac Gill de Montréal, Novembre 1986, 38  Camara Laye, L’enfant noir, Paris, Présence Africaine, 1953, 19.  Pour une simple coupe de cheveux, dans certaines églises évangéliques et protestantes, on va jusqu’à exclure un membre, sous prétexte que cette manière de se coiffer attire les hommes et peut donc conduire ces derniers à la convoiter. D’autres cas qu’on observe fréquemment relèvent

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se réfère à un corpus conçu dans le passé, et donc qui précède l’individu. Celuici, pour garantir la croissance de sa force vitale de son présent et pour son avenir, doit s’y soumettre. La morale qui se pratique dans le christianisme devenu tradition en Afrique est radicale. Par elle, le christianisme finit par tomber dans le légalisme par le fait même de proposer les lois comme le garant irréversible du salut. « La croyance en un bonheur tranquille n’est pas simplement une illusion puérile : en nous détournant d’une grande partie de ce que nous sommes, elle conduit aussi à une amputation de la nature humaine »²⁹. Cette amputation concerne la capacité humaine à innover, à coopérer au projet de l’achèvement de la création. Le bonheur n’est pas exclusivement le fruit des pratiques religieuses. L’épanouissement, l’exercice de la sensualité et de l’intelligence humaines sont une manière importante de répondre positivement à la vocation de l’homme dans le dessein du Dieu-créateur. Le légalisme est un lieu privilégié où la tragédie de la religion s’exprime et s’expérimente. La religion tente de formuler des normes et des lois pour garantir le salut et offrir des réponses aux questions aussi bien ontologiques qu’existentielles de l’être humain. Cela semble être le cas dans beaucoup de religions. Cependant, dans une religion considérée comme tradition, les lois sont appliquées de façon coercitive. « Elle le fait sous forme de commandements, précisément parce que l’homme est aliéné de ce qu’il devrait être, ce qui rend possible le légalisme qui est une tentation presque irrésistible »³⁰. D’une part, les commandements, ainsi formulés, s’accompagnent d’un cortège de récompenses pour ceux qui les observent ; cela se résume dans l’accomplissement de la force vitale, si on est africain. D’autre part, les commandements, une fois non respectés, occasionnent l’anéantissement. Celui-ci ne signifie pas une disparition mais l’affaiblissement de la force vitale. « D’après Kagame, celui qui transgresse une interdiction s’attire automatiquement la sanction correspondante qui est conçue comme pouvant se produire d’une distance plus ou moins rapprochée de l’instant où a lieu la transgression » ³¹. Cette conception reste le ciment de la vie chrétienne en Afrique noire.

des pratiques de suspension des sacrements aux chrétiens catholiques qui participent par exemple au mariage d’un membre de famille dans une autre église que catholique, etc.  Ch. Taylor, L’âge séculier, Paris, Seuil, 2011, 1078.  P. Tillich, Théologie systématique III, Troisième partie: Existence et le Christ, Paris-GenèveQuébec, Cerf-Labor et fides-Presses de l’université Laval, 2006, 134.  Maniragaba Baributsa, Les perspectives de la pensée philosophique Bantu-Rwandaise après Alexis Kagame, Butare, Université nationale du Rwanda, 1985, 152.

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La question de la transgression se pose, cependant, à de nouveaux frais dans le sillage de la pluralité des confessions chrétiennes en Afrique. Celle-ci, comme d’autres continents, connaît la forme fulgurante de la mondialisation telle qu’elle se vit dans le monde d’aujourd’hui. Dès les premières années de la colonisation, comme partout ailleurs, le christianisme s’est amené sous ses confessions principales, à savoir le catholicisme, l’anglicanisme et le protestantisme. Cela fut un premier élément déstabilisateur de la communauté unique et exclusive qui marquait les peuples africains sur le plan religieux. Cependant, l’équilibre familial sur le plan religieux fut gardé, dans cette période. Ainsi, on trouvait les catholiques dans une région et, dans l’autre coin du pays, s’implantaient les protestants, etc. Deux confessions, à l’époque des premières missions, s’installaient l’une à côté de l’autre. Suite aux événements tragiques que traversent les Africains noirs, surtout les guerres ethniques, le génocide, la pauvreté, l’exclusion, les maladies, etc., je remarque qu’un nombre de plus en plus croissant de mouvements religieux chrétiens naissent en Afrique. « En contraste avec la panne missionnaire du protestantisme européen a surgi en Afrique un style nouveau de mission inspiré de l’évangélisme américain » ³². Cette panne est constatable également chez les catholiques. Ces personnes qui intègrent ces nouvelles formes de christianisme viennent des confessions chrétiennes classiques. Ces personnes ont osé, cette fois-ci librement, briser l’interdit en changeant de confession. Ainsi, nombreux de catholiques, dans beaucoup de pays africains, sont en train d’intégrer les nouveaux mouvements religieux qui se réclament également du Christ. Les anciennes confessions chrétiennes, catholicisme, protestantisme, anglicanisme, semblent épuisées et usées par les épreuves du temps. D’une part, certains de leurs responsables sont impliqués dans les actes de violence, de corruptions, etc. D’autre part, on remarque qu’elles n’ont pas radicalement apporté le changement sur le bien-être des gens ni contribué manifestement à améliorer l’harmonie sociale³³. Pour ces deux principales raisons, ces confessions chrétiennes dites classiques sont jugées inefficaces par ceux qui en sortent pour entrer dans les mouvements chrétiens religieux qui leur promettent richesse et bonheur. Par manque d’esprit critique qui caractérise beaucoup d’Africains noirs chrétiens, aussi bien chez les pasteurs (responsables) que chez les fidèles, il y a de plus en plus une ambiance d’intolérance entre religions. Les unes reprochant ouvertement aux autres d’être dans l’erreur, d’interpréter faussement la Bible,  Kä Mana, La nouvelle évangélisation en Afrique, Paris, Karthala, 2000, 44.  Ibid., « Le génocide au Rwanda ne nous renvoie pas seulement à un lieu géographique repérable, mais à une structure mentale, à une dynamique psychique, sociale et spirituelle globale à partir desquelles les chrétiens et les Eglises d’Afrique doivent penser l’avenir du Continent ». 80.

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etc. Les uns comme les autres partageant les modalités de se rapporter à la religion-tradition. Ils ne sont ni intellectuellement ni culturellement préparés à s’approprier, par la voie de l’interprétation contextuelle, les affirmations de la foi chrétienne. « Formés dans ce moule du délire, programmés pour la soumission et la répétition de formules presque magiques, précipités dans le tourbillon d’une spiritualité coupée des exigences de la pensée et des racines de la réflexion, beaucoup d’hommes et de femmes perdent le sens du doute, de la remise en question et de la réflexion fondamentale sur les causes sociales et politiques du mal de leur société. Ils deviennent des chrétiens d’enthousiasme béatement céleste, ivres de toutes les chaleurs mystiques ; des perroquets amusants qui répètent des formules creuses, sans capacité de créativité, avec pour seul mode d’action l’aboiement mystifiant et les vociférations délirantes sur les places publiques, dans les marchés de grandes villes et les salles de prières surpeuplées » ³⁴. La formulation de Kä Mana est assez explicite pour interpeler tout le monde sur la réalité religieuse africaine. L’absence du sens de créativité chez les chrétiens noirs africains est une réalité. De ma part, je situe l’origine de ce problème dans les schèmes du rapport à la tradition qui caractérise les Africains depuis la période de leurs propres religions jusqu’à la période du christianisme. La faiblesse du sens de créativité en matière religieuse, sur le plan du christianisme en Afrique, et le légalisme qui en est la conséquence logique s’enracinent dans la considération des forces vitales. Celles-ci dépendent uniquement de l’obéissance à la tradition. Pour eux, « le passé prend la figure de l’être même qui nous donne force et vie, puissance et gloire, monts et merveilles de la béatitude de vivre. (…) Ce rapport onirique du passé n’a rien à voir avec un vrai rapport de type poétique qui ferait du passé une dynamique de la créativité en nous-mêmes » ³⁵. Ainsi comprises, les doctrines bibliques telles qu’elles sont enseignées aux uns et aux autres sont vraies au sens que Paul Tillich qualifie de scientifique, c’est-à-dire que le vrai est unique et qu’il ne peut y avoir plusieurs vérités sur le même sujet. Le légalisme religieux qui règne chez les Africains noirs chrétiens, comme je l’ai abordé, est nourri par les schèmes du rapport à la tradition, mais également, entretenu par le manque de formation théologique rigoureuse et engagée³⁶ chez

 Ibid., 45.  Kä Mana, L’Afrique va-t-elle mourir ? Essai d’éthique politique, Paris, Karthala, 1993, 50.  Kä Mana, Christ d’Afrique. Enjeux éthiques de la foi africaine en Jésus-Christ, Paris, Karthala, 1994, 34. Pour cet auteur, « Le fossé entre les souffrances profondes qui déterminent les rêves de leurs peuples et les préoccupations académiques de théologiens de métier qui prétendent toujours en savoir plus que le peuple lui-même sur ses propres défis ; l’ambiguïté d’un discours qui exalte les valeurs auxquelles il ne croit concrètement. Ce discours de réappropriation du passé par

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les autorités religieuses. Ils ont, la plupart d’entre eux, une vision binaire. D’un côté, « nous », les bons et vrais, et de l’autre côté, « eux », les mauvais et les damnés. La religion-tradition est renforcée par la place de la communauté chez les Africains. D’une part, la communauté, en Afrique, est généralement limitée au clan, à l’ethnie, à la famille. Elle est toujours exclusive et, sur le plan des religions traditionnelles, fermée. Il n’y a pas de prosélytisme possible dans le contexte des religions traditionnelles, car chaque peuple a sa religion qu’il a héritée de ses ancêtres. Dans cette perspective africaine, il est inenvisageable de chercher à convertir qui que ce soit. Cette dimension de fermeture de la communauté semble d’actualité lorsque les confessions chrétiennes africaines optent pour le repli sur elles-mêmes. D’autre part, la communauté est le lieu de l’épanouissement de ses membres. La crise d’autres formes de communauté, nationale, ecclésiale au sens des églises issues de l’œuvre missionnaire, donne de la force aux nouvelles communautés chrétiennes. «Une autre stratégie de propagande est d’offrir aux adeptes pentecôtistes la joie de vivre dans leur communauté ecclésiale. Ainsi, ils amènent ceux-ci à trouver dans leurs églises un lieu de détente, de convivialité, de fraternité, où retrouver le réconfort qui leur fait défaut partout ailleurs » ³⁷. Le sens de la communauté qui est ancré dans la mentalité des Africains peut être exploité positivement par les confessions chrétiennes à condition de l’ouvrir à l’autre, c’est-à-dire le différent. Alors que les chrétiens célèbrent l’anniversaire de cinq cents ans de la Réforme, il est nécessaire, à mon avis, de profiter de cette occasion à sens chrétien important pour réfléchir en quoi le christianisme africain, tel que je l’ai analysé comme religion-tradition, doit être réformé et révolutionné. Telle est la tâche que je vais réaliser à partir de l’œuvre théologique de Paul Tillich.

des hommes qui ne vivent que pour leur ambition de réussite dans le présent. Cette double raison est d’ordre moral. Elle a fait progressivement perdre à la théologie africaine sa crédibilité ». Pour une théologie authentique, selon Kä Mana, il faut qu’elle soit faite par « des théologiens africains cohérents dans leur pensée, leur être, leur parole et leur action », 34.  B.-M. Ndongmo, Crise identitaire et fanatisme religieux au Cameroun : une analyse constructiviste de la religiosité dans les Églises pentecôtistes à Douala, in: Débats théologiques et religieux, Revue de l’Institut de recherches et d’études africaines, 4, 2016, 191.

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2 Paul Tillich et sortie de la religion-tradition : révolution et réformation Ma réflexion sur le rapport à la tradition en Afrique tel que je l’ai analysé et tel qu’il s’applique au christianisme chez les Africains m’a conduit à nommer le christianisme en Afrique comme une religion-tradition. J’ai tenté de dégager les difficultés d’un christianisme considéré comme tradition, dans le sillage des Africains. En effet, le fait que les chrétiens noirs africains transposent le rapport qu’ils avaient avec leurs religions africaines sur le christianisme soulève les questionnements méthodologiques et théologiques suivants : le christianisme n’implique-t-il pas une méthode propre à sa nature ? Sa méthode ne serait-elle pas incompatible avec le rapport d’obéissance et de soumission tel qu’on le constate dans la vie pratique des chrétiens africains ? Alors que l’on adhère à la foi chrétienne par un désir personnel, comment la dimension individuelle du christianisme peut-elle se développer dans une tradition africaine qui est fondamentalement collective ? Telles sont les interrogations auxquelles j’essaierai d’apporter quelques pistes de solution grâce à la pensée théologique de Paul Tillich, comme une voie de Révolution et de Réformation.

2.1 Réformer la place de l’individu : avènement de l’être nouveau chrétien en Afrique ? La question de l’être nouveau, chez Paul Tillich, peut être reprise dans le contexte de la religion-tradition qui caractérise le christianisme en Afrique. L’être nouveau qui doit émerger est avant tout celui qui s’annonce dans la catégorie de l’individu. La réforme qui est urgente chez les chrétiens africains consiste à remettre au centre de la foi chrétienne l’adhésion personnelle et donc responsable à la personne de Jésus-Christ. Sans négliger le rôle de la communauté dans la foi chrétienne, Tillich montre que l’individu est appelé à faire une expérience individuelle de la foi, surtout dans le christianisme. « Dans sa solitude, il participe à la puissance qui lui donne le courage de s’affirmer en dépit des adversités de l’existence. (…) La Réforme rompit avec le semi-collectivisme du Moyen Age. Pour Luther, le courage de la confiance exprime une confiance personnelle qui provient d’une rencontre de personne à personne avec Dieu. Ni les papes, ni les

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conciles n’étaient capables de lui donner cette confiance » ³⁸. Cette perspective, sans tomber dans l’individualisme, permet d’envisager les modalités de fonder une communauté qui est au service des individus au lieu de les opprimer tel que cela est le cas dans la religion-tradition. L’être nouveau chrétien africain doit sortir de la tyrannie de la communauté. Cela exige une liberté totale dans l’acte de croire. Pour cela, les responsables des confessions chrétiennes sont appelés à faire le deuil de la quantité pour s’ouvrir aux vertus de la qualité dans leur mission évangélisatrice. A quoi bon baptiser les gens, tout en sachant qu’ils suivent notre foi soit par peur d’être exclus de la communauté soit par peur de ne pas bénéficier des avantages que notre religion offre tels que l’éducation scolaire, la santé, etc. Une communauté de chrétiens libres et individuellement engagés constitue un remède aux défauts du communautarisme et du régionalisme tels qu’ils marquent la religion-tradition. Tillich reconnaît que la collectivité joue un rôle dans la gestion de l’angoisse collective, mais qu’elle est démunie chaque fois que l’individu se confronte à son angoisse propre. « La collectivité offrait différents moyens pour résister à l’angoisse, mais aucun qui pût donner à l’individu de quoi assumer sa propre angoisse : jamais il ne pouvait être sûr ni ne pouvait affirmer son être avec une confiance inconditionnelle ; jamais il ne pouvait rencontrer directement l’inconditionnel avec son être total, dans une relation personnelle immédiate » ³⁹. L’individu fait l’expérience de l’angoisse, par conséquent, il faut qu’il soit en mesure d’assumer cette angoisse dans le christianisme sans refouler son angoisse ou prétendre la supprimer grâce aux voies collectives ou médiatrices. Cela furent, selon Tillich, l’originalité et la richesse du protestantisme. La peur intériorisée des forces du mal renforce l’obéissance aveugle des individus aux règles instituées par la religion. En effet, une religion-tradition cherche toujours à accentuer le sentiment de peur et de perdition chez ses fidèles. Cela entretient une atmosphère de dépendance quasi absolue des croyants aux règles existantes. Il va sans dire que dans cette situation, il est difficilement possible, pour l’individu, de se lancer dans de nouveaux horizons d’interprétation du corpus de la foi chrétienne. « La Réforme tant reconnue comme une machine à désenchanter (…) a dû passer par des efforts de réorganisation des sociétés » ⁴⁰. La Réforme dont le christianisme a besoin en Afrique, pour contraindre les rapports au christianisme qui font de celui-ci une religiontradition, doit réorganiser le rapport au sacré et départager le sacré du profane  P. Tillich, Le courage d’être, Paris-Genève-Québec, Cerf-Labor et fides-Presses universitaires Laval, 1998, 129.  Idem.  Ch. Taylor, L’âge séculier, op.cit., 144.

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dans les sociétés africaines. Elle doit être libératrice, pour l’individu, de la peur de la vie et du poids de la communauté et, par le même fait, de la religion. Laisser les individus s’exprimer, interpréter la foi chrétienne pour l’articuler avec le contexte des peuples, tel est le défi lancé à toutes les confessions chrétiennes en Afrique noire. En relevant ce défi, elles auront réussi à faire advenir l’être nouveau ; car « le christianisme n’annonce pas le christianisme, il annonce la réalité nouvelle. Un état de choses nouveau est apparu. Il apparaît encore. Il est caché et il est visible »⁴¹. En Afrique, la réalité chrétienne se greffe sur la réalité des religions anciennes. C’est ce que je me suis efforcé de montrer dans cette réflexion en me basant précisément sur le rapport à la tradition. Celui-ci a, à mon avis, phagocyté l’originalité du christianisme.

2.2 Le christianisme ou une révolution religieuse Paul Tillich a beaucoup parlé de la question de la religion, en général, et des religions, en particulier. La distinction entre la religion particulière et les religions particulières n’est pas anodine théologiquement ni philosophiquement. En effet, pour lui, tout être humain est religieux ontologiquement, puisqu’il a une préoccupation ultime qui porte et justifie les préoccupations secondaires⁴². Dans ce sens, on pourrait croire que le christianisme est une religion particulière parmi tant d’autres. Vu sur le plan sociologique, le christianisme est une religion parmi tant d’autres dans l’histoire de l’humanité. Tillich fonde sa réflexion sur les rites et observances qui marquent les religions en général. « Que veut dire pour nous circoncision ou incirconcision ? Cela peut vouloir dire quelque chose de très précis et de très universel. Cela veut dire qu’aucune religion en tant que telle n’est capable de produire l’Être nouveau. La circoncision est un rite religieux observé par les juifs. Les sacrifices sont des rites religieux observés par les païens. Le baptême est un rite religieux observé par les chrétiens. Tous ces rites sont sans importance : seule importe une création nouvelle » ⁴³. Dans la perspective chrétienne, les rites et le rapport à ces derniers ne font pas le tout de la religion. D’après Tillich, le christianisme ne peut pas se réduire au rite ni au rapport que les croyants choisissent d’entretenir avec lui. Le christianisme, dans sa nature profonde et dans son identité originale, implique une méthode. « Seule importe une création nouvelle » ⁴⁴. Cette approche de Tillich est stimulante pour    

P. Tillich, L’être nouveau, Paris, Planète, 1969, 43. P. Tillich, La dynamique de la foi, Paris, Casterman, 1968. P. Tillich, L’être nouveau, op.cit., 34. Idem.

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ma réflexion sur le rapport à la tradition en Afrique et les conséquences que cela entraîne sur la religion chrétienne. Le christianisme n’est pas une religion comme les autres, auquel il est possible d’appliquer des méthodes d’une autre religion ou d’une autre conviction laïque que Tillich appelle de pseudo-religions, telles que le communisme ou autre idéologie. Le christianisme ne peut pas se proposer en termes de « venez à moi, je suis une religion meilleure »⁴⁵ ou en termes de publicité, « faites sur vous un essai et comme tout le monde vous ne pourrez plus vous en passer » ⁴⁶. Ces méthodes sont anti-chrétiennes, d’après Tillich. Cependant, Tillich reconnaît qu’il y a des chrétiens qui en font usage. « On rencontre des missionnaires, des pasteurs et des laïcs qui utilisent des méthodes de ce genre. Ils montrent une totale incompréhension du christianisme »⁴⁷. Cette position de Tillich n’est pas sans intérêt pour notre réalité des chrétiens d’Afrique de toutes confessions confondues. Elle remet en question le rapport qu’ils entretiennent avec les affirmations de la foi. J’ai établi une continuité voire un redéploiement du rapport aux religions traditionnelles africaines sur le christianisme. Sur la base de la pensée de Tillich, j’affirme que ce rapport est incompatible au christianisme et qu’il est grand temps d’en sortir. A l’encontre de la manière dont les chrétiens africains se rapportent au christianisme, Tillich affirme : « C’est la grandeur du christianisme qu’on puisse voir combien il est petit. Dans le fait d’être chrétien, ce qui importe, c’est qu’on puisse rencontrer l’idée que cela n’a aucune importance. C’est la puissance spirituelle de la religion que de permettre à celui qui est religieux de considérer sans crainte la vanité de la religion. C’est le fruit le plus mûr de la pensée chrétienne que de comprendre que le christianisme comme tel ne sert à rien »⁴⁸. Cette assertion de Tillich ne peut qu’être choquante pour les chrétiens noirs africains. Pourtant, elle regorge de la substance profonde et originale d’être chrétien, c’est ce que saint Paul nomme la folie. Cependant, il convient de sortir de cette apparence de pessimisme pour en prolonger la portée en ce qui concerne l’être nouveau. En effet, « l’être nouveau n’est pas simplement quelque chose qui remplace le vieil être. C’est un renouveau du vieux, de ce qui est corrompu, déformé, déchiré et presque détruit, mais cependant pas complétement détruit. Le salut ne détruit pas la création : il transforme la vieille création en une création nouvelle » ⁴⁹. L’homme ne doit pas cesser d’être homme pour être chrétien. Cela peut rejoindre la pro    

Ibid., 35. Idem. Ibid., 35 – 36. Ibid., 38. Idem.

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blématique des forces vitales chez les chrétiens africains. Ceux qui se réclament chrétiens ne doivent plus penser sortir de la condition humaine, grâce au christianisme. En revanche, ils sont appelés, à la lumière de Tillich, à penser le Dieu du christianisme autrement de telle sorte qu’il ne soit pas incompatible avec la fragilité, la faiblesse, la pauvreté, la mort, etc. « Quand nous essayons de lui montrer des bonnes œuvres pour l’apaiser, nous échouons. Il n’y en a jamais assez ! » ⁵⁰. Le rapport d’obéissance et d’observance envers notre religion, si radical soit-il, ne nous épargne pas des ravins existentiels. Le christianisme nous réconcilie avec nous-mêmes. Il ne nous offre pas, comme par magie, les forces vitales telles que nous les espérons quand nous tombons dans la religion-tradition. Le christianisme, tel que Tillich nous le propose, s’oppose à la religion-tradition, car il nous introduit dans cette acceptation de ce que nous sommes réellement, il ne nous culpabilise pas de ne pas être à la hauteur, mais il nous ouvre l’horizon de l’être nouveau en nous mettant de façon confiante, mais pas compétitive ni fanatique, sur le chemin. «Une réalité nouvelle est apparue dans laquelle vous êtes réconciliés. Nous n’avons rien à montrer pour entrer dans l’être nouveau, parce qu’il suffit de lui être ouvert pour qu’il nous saisisse »⁵¹. En définitive, Tillich nous propose une démarche de disponibilité plutôt qu’une observance, d’acceptation plutôt que d’orgueil. Il ne s’agit pas d’une simple soumission aveugle au destin ou au cours naturel des choses, il est question, par contre, d’un discernement qui, à la suite de JésusChrist, nous épargne de l’autosuffisance. « On fait alors l’expérience d’une union avec soi-même, non dans l’orgueil ou dans la suffisance, mais dans une acceptation profonde de soi » ⁵². Nous ne quittons pas un monde pour un autre, comme le prêchent les chrétiens africains. Le christianisme est une religion de l’Incarnation. Nous sommes sauvés de ce que nous vivons non pas comme un arrachement mais comme un achèvement, comme une guérison des maux qui nous rongent. « Rien n’est recherché avec plus de passion que la guérison sociale, l’être nouveau dans l’histoire et dans les relations humaines. On accuse la religion et le christianisme de ne pas avoir apporté l’union dans l’histoire humaine. Qui peut nier le bien-fondé de cette accusation ? »⁵³. La création nouvelle existe sous le signe de l’unité et non pas sous le signe de la division comme le font les mouvements chrétiens en Afrique. Ceuxci, en épousant le rapport à la tradition, tel que le vivaient les anciens africains,

   

Ibid., 39. Ibid., 40. Ibid., 41. Ibid., 42.

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se sont séparés des richesses du christianisme et en ont fait une religion-tradition. Cependant, la note d’espoir voire d’espérance prédomine chez Tillich ; car, même si le christianisme, dans ses moments historiques, n’a pas toujours su unir l’homme à lui-même, ni aux autres ni à Dieu ; la réconciliation et l’unité entre l’homme avec lui-même, avec les autres et avec Dieu ne sont jamais absentes totalement. « L’Église, comme tous ses membres, est exposée à rechuter de l’être nouveau dans le vieil être, c’est pourquoi le troisième signe de la création nouvelle est la ré-surrection. (…) Là où il y a un être nouveau, là est la résurrection » ⁵⁴. L’expression de Tillich de la création nouvelle est le propre du christianisme. En cela, son approche permet de sortir de la religion-tradition qui, elle, ne se contente que du statu quo. La nouveauté ne peut intervenir que là où les gens se remettent en question et interrogent la tradition pour dégager le nouveau du vieux, la situation nouvelle de la tradition, le présent du passé. Tel est le défi majeur des religions-traditions et la tâche des théologiens de ces religions.

2.3 La méthode de corrélation : Révolution méthodologique La question de la méthode occupe une place importante dans l’analyse de tout rapport à quelque chose. Dans le cas de ma réflexion, il est urgent de repenser une méthode qui puisse faire sortir le christianisme en Afrique de l’état d’une religion-tradition. Pour ce faire, je constate que la méthode de corrélation répondrait aux défis du christianisme en Afrique surtout en ce qui concerne la rencontre entre les affirmations de la foi chrétienne et les situations des peuples africains. Une religion-tradition se contente de la méthode kérygmatique. La connaissance des règles et la répétition des pratiques codifiées sont obligatoires. L’absolutisme des chrétiens africains donne naissance aux fanatismes et aux fondamentalismes violents entre les membres de différentes confessions chrétiennes. Pour ces chrétiens, la vérité de tous les temps est connue ou du moins elle est connaissable. Elle est dans leur foi particulière, dans son objectivité et dans sa puissance. Chaque groupe chrétien, dans son absolutisme, pense que la tradition est plus importante que la situation particulière, car elle véhicule les vérités qui ont toujours existé. Paul Tillich s’insurge contre cette approche. « Même la théologie kérygmatique utilise forcément les outils conceptuels de son temps. Elle ne peut pas simplement répéter des passages bibliques, et même quand elle le fait, elle n’échappe pas à la situation conceptuelle des différents auteurs

 Ibid., 43.

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bibliques » ⁵⁵. Cet argument consiste à montrer que toutes les vérités théologiques portent en elles, d’une manière ou d’une autre, les marques des situations particulières. Le rapport au kérygme chez Tillich est dynamique, vivant et nuancé ; car il est porté par la situation du croyant voire du théologien. « La théologie kérygmatique doit abandonner sa transcendance exclusive, et prendre au sérieux l’effort de la théologie apologétique pour répondre aux questions que lui pose la situation contemporaine » ⁵⁶. Tenir compte de la situation pour interpréter le message religieux est une manière de le rendre vivant et donc sensé pour les personnes de notre temps. Le rapport à la tradition que propose Tillich se fonde sur le choix d’une méthode. Celle-ci doit se situer entre la tradition et la situation présente. Tillich opte pour une solution conciliante grâce à la méthode de l corrélation. Car « il est également nécessaire de chercher une méthode théologique qui relie le message et la situation en n’escamotant ni l’un ni l’autre »⁵⁷. Le message qui ne tient pas compte de la situation perd sa quintessence et son identité. Tel semble être le sort du christianisme en Afrique. Au départ, tout message est déjà marqué par les conditions de situation particulière. Il est impossible de les dissocier. La méthode de corrélation permettra d’éviter les dérives du rapport aveugle à la tradition, en général, et plus particulièrement les conséquences néfastes, sur le plan social et théologique, de la religion-tradition. La théologie de Tillich permet de sortir de la religion-tradition. Le théologien africain qui cherche à proposer une solution aux problèmes du christianisme africain gagne en s’inspirant de la méthode de corrélation de Tillich. Car, tout théologien, selon Tillich, « s’efforce de mettre en corrélation les questions qu’implique la situation avec les réponses qu’implique le message » ⁵⁸. Cette démarche épistémologique est révélatrice du souci intellectuel de Tillich. L’épistémologie fait partie intégrante de la cohérence du discours théologique. La manière dont la connaissance théologique se structure renseigne sur l’idée de Dieu qui est en jeu. Le statut épistémologique de la méthode, dans tous les systèmes théologiques, est capital pour comprendre chaque théologie. « Le système et la méthode appartiennent l’un à l’autre, et on doit les juger ensemble » ⁵⁹. La théologie doit se préoccuper de la méthode dans laquelle elle se développe. La méthode et la théologie ne sont pas séparables.

 P. Tillich, Théologie systématique I : Introduction. Première partie : Raison et Révélation, Paris-Genève-Québec, Cerf-Labor et fides-Presses de l’université Laval, 2000, 22.  Idem.  Ibid., 23.  Idem.  Ibid., 24.

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Conclusion Cette réflexion est le fruit de ma présence, en tant que théologien de métier, en Afrique et plus particulièrement au Rwanda. L’enseignement et la recherche théologiques en Afrique m’ont ouvert les yeux sur la portée de la théologie, en général, et de la théologie de Paul Tillich, en particulier, pour le christianisme africain. En effet, je me suis rendu compte que, dans les faits, toute théologie est la fille de son temps et de son espace dans la mesure où elle est traversée par les interrogations du peuple ; quand elle questionne la foi de celui-ci. Le christianisme en Afrique noire soulève quelques problèmes, tels que le fanatisme, le fondamentalisme, le prosélytisme et l’intolérance, etc. Il nourrit la souffrance de tant de personnes qui sont séparées de leur famille, car elles appartiennent à une confession chrétienne autre que celle de la majorité dans la famille ; il fragmente socialement les hommes et les femmes. Les individus sont opprimés dans leurs initiatives religieuses, puisqu’il faut toujours se soumettre aux règles de la religion telles qu’elles sont proclamées par le prêtre ou le pasteur. Cette situation profite matériellement voire socialement aux responsables religieux et le christianisme cesse d’être une religion libératrice et réconciliatrice de l’homme avec lui-même, de l’homme avec les autres et de l’homme avec Dieu. Dans cette réflexion, j’ai tenté de montrer que le rapport au christianisme est calqué sur le rapport aux religions proprement africaines. Ce rapport, pour moi, fausse le christianisme. Celui-ci, bien qu’étant une religion de l’Incarnation, devient une métaphysique parmi tant d’autres et perd le contact avec les situations existentielles et essentielles des Africains. Pour proposer les pistes susceptibles de relever ces défis, je me suis inspiré de certains écrits de Paul Tillich. Ceux-ci m’ont permis de montrer que le christianisme est fondamentalement incompatible avec le rapport que les Africains entretenaient avec leurs religions traditionnelles, comme seulement un moyen par lequel ils surmonteraient leurs faiblesses individuelles et collectives. Le christianisme doit nous réconcilier avec nous-mêmes. Pour ce faire, il faut une réformation et une révolution des modalités de déploiement du christianisme en Afrique. Ainsi, il convient, avec Tillich, de sortir le christianisme africain de son état actuel d’une religion-tradition. La méthode de corrélation est, à mon avis, le levier grâce auquel il est possible de sortir du christianisme-religion-tradition. C’est à cette condition que le contenu de la foi chrétienne peut fructifier et marquer la vie des Africains, non pas comme un phénomène religieux fait de rites et d’autres cultes, mais comme le point de départ et d’enracinement de l’avènement de l’être nouveau toujours recherché. Le changement de paradigme du rapport aux affirmations de la foi permettra de proposer un horizon original

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et libérateur aux Africains. Il va de soi que la formation de futurs prêtres et pasteurs est plus que jamais à réformer et à révolutionner afin qu’ils soient messagers de Jésus-Christ l’unificateur et non pas le séparateur, le maître de l’histoire et non le maître du passé seulement, l’homme-Dieu et non le Dieuobjet.

Marc Dumas

La Théologie systématique de Tillich: une révolution? Introduction Plusieurs événements ecclésiaux et scientifiques ont permis de souligner cette année l’anniversaire du 500e de la Réformation. Mais le titre de notre rencontre à Jena ajoute déjà un autre élément, un élément complémentaire au terme de la Réformation proprement dite. L’histoire de ces mots et de leurs différentes utilisations au fil des siècles laisse entrevoir une panoplie de recoupements, peutêtre de contresens et assurément de tensions, que seule une fine analyse permet de clarifier.¹ Au terme réformation est associé l’idée de réforme, l’idée de transformer une situation actuelle déformée en faisant appel à un retour aux sources, à ce qui existait antérieurement en vue d’une amélioration des conditions actuelles. Une réforme corrige les dérapages, purge le système de ses erreurs et travers, et cherche à le rendre meilleur. Des réformes peuvent se faire dans les diverses administrations ou organisations devenues trop lourdes et ayant perdues leur raison d’être. On peut faire des réformes politiques, juridiques, sociales, etc. Mais ces changements ou ces réorganisations améliorent-ils vraiment les choses? Certains diront que les réformes ne corrigent pas vraiment la situation problématique, qu’elles sont inefficaces et qu’elles servent plutôt à protéger les acquis de ceux et de celles qui ont le pouvoir, qui sont à la tête du système et qui, promettant des réformes, ne vont pas vraiment au fond des choses… Dans un contexte de réforme qui n’avance plus, qui fait du surplace, l’idée d’accélérer le mouvement de transformation en manifestant, en s’indignant, en se soulevant, en se révoltant, en usant de violence peut mobiliser des éléments plus impatients et conduire à des actes révolutionnaires. Une cassure se produit alors entre les réformateurs et les révolutionnaires et le processus qui voulait corriger et améliorer le système de manière plus ou moins conservatrice est pris dans les courants extrêmes, plus radicaux et plus violents, plus rapides et plus irrationnels. Le processus évolutif en vue de construire et de transformer la société, bref de réformer est-il pris d’assaut par celui de la révolution? Dans cette dernière question, la révolution est marquée par la violence et une volonté

 Voir pour cette introduction : H. Günther, art.: Revolution, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Tome 8, Darmstadt 1992, col. 957– 973. https://doi.org/10.1515/9783110668124-023

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radicale, voire destructrice et irrationnelle, de transformation. Cet amalgame estil toujours justifié? Jusqu’où une réforme n’exige-t-elle pas une dose de violence pour progresser? Une révolution tranquille, pour reprendre une expression bien québécoise, une révolution sans débordement, guerre civile ou terrorisme estelle une illusion? La réformation (ou les réformes religieuses historiques en christianisme) n’est-elle pas un douloureux exemple d’une métamorphose qui a eu peine à contenir les débordements de violence? Retrouver la pureté de l’Évangile, se débarrasser de ce qui a déformé la foi au fil des siècles et vivre du don de Dieu, n’est-ce pas l’intuition initiale développée par les réformateurs au 16e siècle? Cette métamorphose n’est pas œuvre des hommes, mais de Dieu; elle n’est pas simplement rénovation d’un passé perdu, mais amélioration de la vie de foi qui a des impacts sur la doctrine, le culte et les mœurs, mais aussi sur la société et le monde; elle n’est pas simplement une période historique marquée par l’affiche de 95 thèses contre les indulgences sur les portes de l’église du château de Wittenberg, mais elle est aussi un processus à reprendre sans cesse tant dans l’horizon de la foi que de celui de la société, tant pour retrouver l’essentiel que pour réformer et révolutionner ce qui ne va plus.² Nous comprenons aujourd’hui le terme révolution dans au moins deux acceptions : une plus scientifique ou astronomique, où le terme de révolution indique le mouvement complet de rotation d’un astre autour d’un autre astre; la terre prend par exemple une année pour faire un tour complet autour du soleil. La seconde acception souligne un changement d’ordre qualitatif. Il peut être d’ordre politique, mais aussi d’ordre social ou spirituel, d’ordre industriel, technoscientifique ou encore économique. Nous parlons aujourd’hui de la révolution technologique! Cette transformation d’ordre qualitatif suppose habituellement l’idée de troubles ou d’agitations en vue d’apporter un changement historique irréversible; de tels mouvements seraient initiés par la base, par en bas ou du moins avec cette prétention de refléter ses volontés… Mais il arrive aussi que des révolutions se fassent sans révolte et que les bouleversements révolutionnaires pointent en direction de changements réussis, positifs, qui apportent des améliorations notables dans différents domaines… Est-ce naïf de croire que ces révolutions se font sans dommage et sans chaos? Peut-être. Est-ce possible de lire la Théologie systématique de Paul Tillich en prêtant attention au caractère révolutionnaire de la théologie? Une « révolution », une rotation complète autour de cet œuvre permet-elle quelques réflexions sur  Voir P. Tillich, Théologie Systématique IV : La vie et l’esprit, Genève 1991, 203 (par la suite TS IV, 203), où deux connotations sont données au mot réforme: outre l’événement historique de l’église au XVIe siècle, la réforme est un principe permanent de l’Esprit qui combat les ambiguïtés de la religion.

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les métamorphoses initiées au fil de la lecture des cinq volumes publiés en français au cours des deux dernières décennies? Je procéderai par remarques : une première remarque sera plus circonstancielle ou contextuelle et les autres seront plus analytiques ou propre au contenu systématique proprement dit. J’ai donc repris la lecture en français de la théologie systématique au cours des dernières semaines et me suis arrêté sur les termes touchant la constellation de la révolution.

Des remarques 1 Un contexte révolutionnaire Le contexte de la rédaction de la TS n’est-il pas lui-même marqué par le thème de la révolution? Nous pouvons bien évoquer les anniversaires des révolutions européenne ou américaine ou encore celles des révolutions politiques du XXe siècle, mais il me semble juste d’affirmer que les années où Tillich s’affairait à écrire sa Systematic Theology étaient aussi des années fortement inscrites dans un horizon révolutionnaire. Que l’on pense aux différentes guerres anticoloniales en Afrique et en Asie, aux différentes guerres civiles en Amérique du Sud, aux soulèvements des minorités contre les pouvoirs politiques oppresseurs dans certains pays d’Asie et d’Europe. La fin des années cinquante et les années soixante sont marquées par le thème de la révolution : révolution cubaine en 1959, révolution culturelle avec Mao en 1966, mai 68 en France, printemps de Prague en 1968, mais aussi aux États-Unis la révolution sexuelle, le mouvement hippies et la résistance à la guerre du Vietnam, l’émergence de la société de consommation de l’après-guerre, etc. Dans ce contexte, est-il possible d’imaginer la Systematic Theology s’inscrivant dans ces mouvements de révolution, dans lesquels les sociétés vivent des transformations profondes, des métamorphoses marquées tantôt par des volontés de réforme, tantôt par des dynamiques révolutionnaires? Mais ne faudrait-il pas plutôt ici retourner au Tillich socialiste de sa période allemande pour trouver chez lui du matériel plus explicite dialoguant avec le contexte politique de son époque, y suggérant une révolution politique d’inspiration chrétienne? S’il y a révolution dans la Théologie Systématique, ne serait-elle pas alors de facture théologique? Son écrit ne devient-il pas le témoin partiel ou fragmentaire d’une révolution théologale, où la situation ambiguë est dépassée par la présence et l’action de Jésus le Christ, l’Être nouveau? Dans ce qui suit, je soulignerai tome après tome les lieux où le thème de la révolution apparaît de manière significative. Cela nous permettra en fin d’analyse d’évaluer les forces et les limites de notre suggestion, à savoir que la Théologie Systéma-

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tique proposerait une « révolution théologique », reposant sur une révolution théologale.

2 Une révolution de la raison théologique Dès l’introduction à la TS, Tillich explicite l’importance de développer une théologie corrélationnelle, une théologie qui d’une part doit dépasser un repli sur la vérité éternelle et par conséquent une fermeture à la situation existentielle et qui d’autre part doit éviter une dissolution de la vérité éternelle dans la situation existentielle; l’un est distinct de l’autre, mais tous les deux sont en relation d’inter-indépendance. Déjà ces premières pages introductives annoncent des thèmes récurrents et porteurs de tout le système : celui du dépassement de postures ou d’attitudes théologiques supranaturalistes³ et naturalistes, les premières cramponnées à la transcendance exclusive et les secondes noyées dans le contexte… Ce qui doit être dépassé théologiquement concerne l’absolutisation de ce qui est relatif et l’indifférence d’un contexte autonome devant l’inconditionné. Ce qui est préoccupation ultime pour l’humain devient affaire d’être et de nonêtre et tout le système cherchera à tenir en équilibre l’origine essentielle (notre participation essentielle à l’être), l’aliénation existentielle (notre déstructuration ontologique) et le dépassement de l’ambiguïté à travers une participation à l’Être Nouveau. Nous trouvons, ici comme ailleurs dans les parties subséquentes à cette introduction, des renvois au thème de la révolution. Par exemple, dans sa discussion sur la norme en théologie systématique, Tillich montre bien comment « [l]a norme est un principe déduit de la Bible dans une rencontre entre la Bible et l’Église ».⁴ Et il qualifie les réactions d’Augustin de conservatrices et celles des Réformateurs de révolutionnaires, dans la mesure où ces derniers ont été bien réactifs face au rôle ou à l’influence de Paul dans leur effort de produire une réforme de la foi chrétienne pour retrouver son caractère originel et authentique. Quelques pages plus loin, l’auteur, développant le caractère dialectique de la raison théologique et les affirmations paradoxales de la théologie, insiste pour

 Jean Richard dans une correspondance privée en préparation à cette communication, me faisait remarquer comment le renversement du supranaturalisme est un ou le grand leitmotiv du travail théologique de Tillich. La méthode de corrélation peut être comprise comme cette révolution contre le supranaturalisme : commencer par en bas et y reconnaître une révélation de Dieu dans la culture.  P. Tillich, Théologie Systématique I : Introduction. Première Partie: Raison et révélation, Genève/Paris/Québec 2000, 77 (par la suite TS I, 77).

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que l’exercice de réfléchir l’existence chrétienne ne soit pas compris comme illogique ou encore comme contradictoire à la raison. « Ils veulent exprimer la conviction que l’action de Dieu transcende toutes les actions humaines possibles, et toutes les préparations humaines nécessaires. Elle transcende, mais ne détruit pas la raison finie, car Dieu agit par le Logos, source transcendantale et transcendante du Logos qui structure la pensée et l’être. »⁵ La raison extatique renvoie à un au-delà de la raison, qui dépasse celle-ci sans la détruire. Dit autrement, le paradoxe de la foi chrétienne est l’irruption de Dieu au cœur de l’existence, le surgissement de ce qui dépasse l’existence dans les conditions de l’existence… Ces quelques nuances sur les principes de la rationalité théologique soulignent encore une fois la dimension révolutionnaire du théologal. Cette irruption de Dieu ébranle, bouleverse et transforme la réalité, dans la mesure où le dépassement de l’ambiguïté de la réalité devient possible. Ceci exige de la part du théologien la plus grande vigilance pour ne pas absolutiser ce qui ne l’est pas ou dissoudre ce qui ne peut l’être. Seule une rationalité paradoxale peut rendre compte de l’extase de la raison. Un tel emploi extatique de la raison n’est-il pas révolutionnaire alors que nous sommes englués dans un emploi très technique de la raison? N’est-ce pas un peu ce que cherche à mettre en évidence la première partie de la Systematic Theology portant sur la raison et la révélation? Dans cette partie, j’ai trouvé quatre renvois explicites à la thématique de la révolution. Le premier se trouve dans la section développant « le conflit à l’intérieur de la raison concrète et la recherche de la révélation ».⁶ Ici, Tillich présente trois conflits entre les éléments structurels de la raison, conflit qui ouvre à un dépassement, à une recherche de la révélation. Le premier est le conflit entre l’autonomie et l’hétéronomie, le second celui entre le relativisme et l’absolutisme et le dernier est celui entre le formalisme et l’émotionalisme. C’est dans l’élaboration du second conflit qu’apparaît notre thématique. Dans les conditions de l’existence, les deux éléments essentiels de la raison, le statique plus identitaire pour la raison et le dynamique plus créatif pour la raison ou plus associé à la croissance dans le processus de la vie, bref ces deux éléments sont en conflit l’un contre l’autre. Deux formes d’absolutisme manifestent alors l’élément statique : « celui de la tradition et celui de la révolution », alors que les relativismes positiviste et cynique laissent apparaître l’élément dynamique de la raison. L’absolutisme de la tradition, le conservatisme, subit les foudres d’un autre type d’absolutisme, le révolutionnaire.

 P. Tillich, TS I, 85.  Voir P. Tillich, TS I, 119 et suivantes.

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Mais après la destruction d’un absolutisme par une attaque révolutionnaire, le vainqueur se pose lui-même en termes également absolus. Il le fait presque inévitablement parce qu’une prétention absolue, au caractère souvent utopique, a permis à son attaque de remporter la victoire. La raison révolutionnaire croit représenter une vérité immuable tout aussi profondément que le traditionalisme, mais avec moins de cohérence dans cette croyance. L’absolutisme de la tradition peut citer les âges passés, en prétendant dire ce qu’on a toujours dit. Tandis que l’absolutisme révolutionnaire expérimente l’effondrement d’une telle prétention au moins dans un cas, à savoir dans la brèche que sa propre victoire opère dans la tradition; et il devrait envisager la possibilité de sa propre fin. […]⁷

Cette longue citation sur l’absolutisme révolutionnaire souligne bien l’enchâssement du thème de la révolution qui mènera aussi, comme les formes de relativisme, à la recherche du dépassement de ce conflit. La thématique de la révolution s’inscrit ici dans ce qui requiert un dépassement par la révélation; elle est œuvre humaine qui oublie en s’absolutisant son nécessaire sacrifice. Et c’est ce que Tillich rappelle plus loin dans le texte.⁸ Il reconnaît en effet dans l’image de Jésus en tant que Christ la manifestation des aspects concrets et absolus de la révélation finale; ainsi le paradoxe de l’Être Nouveau exprime la révélation finale. La concrétion rend visible l’absolu en toute transparence, en sacrifiant le médium dans lequel il apparaît. Et dans ce contexte de non-enfermement, de transparence, Tillich réagit lorsque « [v]oir en Jésus le Christ quelqu’un qui donne des lois absolues pour la pensée et pour l’action ouvre les digues à la révolte révolutionnaire d’un côté, et à la sape relativiste de l’autre, deux réactions qui peuvent se justifier ».⁹ Ici, l’expression « révolte révolutionnaire » pointe encore vers la dénonciation de ce qui brise le paradoxe de la révélation finale en Jésus comme Christ. Plus loin encore, alors que Tillich traite du thème de l’histoire de la révélation, il insiste pour mentionner que les mouvements prophétiques qui dénoncent un sacramentalisme déformé dépassent les frontières de l’Ancien et du Nouveau Testament : « [l]a critique et la promesse prophétiques interviennent activement dans l’ensemble de l’histoire de l’Église, […] dans des révolutions et des constructions religieuses extérieures au christianisme, […]. »¹⁰ Le prophétisme sous toutes ses formes, dont celle de la révolution, critique les médiums concrets de la révélation et s’efforce d’annoncer un possible de Dieu; le prophétisme de la Bible prépare en dénonçant le préparatoire et en annonçant  P. Tillich, TS I, 124.  Voir P. Tillich, TS I, 207 et suivantes, la section intitulée « La révélation finale surmonte le conflit entre l’absolutisme et le relativisme ».  P. Tillich, TS I, 209.  P. Tillich, TS I, 196.

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l’irruption définitive de Dieu dans le temps et l’histoire. Quelques pages plus loin, la lutte prophétique est associée à un processus universel qui prépare le chemin concret de la révélation finale du Nouveau Testament en Jésus Christ : « Recevoir, rejeter et transformer, voilà l’attitude de l’Ancien Testament à l’égard de la révélation universelle, et celle du Nouveau Testament à l’égard de la révélation universelle ainsi que de l’Ancien Testament. La dynamique de l’histoire de la révélation exclut les théories mécanistes supranaturalistes de la révélation et de l’inspiration. »¹¹ Révolutionnaire est ici ce mouvement prophétique dépassant pour Tillich les balises bibliques et est ce qui doit être exclu parce que s’inscrivant dans une posture incompatible avec le projet théologique moderne; en effet le supranaturalisme reviendra comme un leitmotiv d’une posture théologique dépassée. La révolution est une transformation radicale; elle tient ensemble révélation et salut, comme en fait foi cette citation, qui insiste sur la transformation de celui qui est saisi par la révélation : « Moïse […] Ésaïe […]; Pierre […]; Paul doit expérimenter une révolution de tout son être quand il reçoit la révélation qui fait de lui un chrétien et un apôtre. »¹²

3 Variations sur le thème de la révolution : du style à la puissance révolutionnaire de Dieu Le second tome de la Théologie Systématique porte sur l’être et Dieu. J’y ai trouvé un renvoi dans chacune des deux sections corrélées. Dans sa présentation des éléments ontologiques, Tillich explore la polarité dynamique – forme et explique que si la forme n’exprime pas la substance spirituelle, elle tombe alors dans un pur formalisme. Ainsi, recourir à des formes ayant perdu cette expressivité spirituelle, que ces formes soient traditionnelles ou encore révolutionnaires, devient un formalisme : « Un style révolutionnaire peut devenir aussi formaliste qu’un style conservateur. Le critère est la puissance expressive d’une forme et non un style particulier. »¹³ Et dans la section sur la réalité de Dieu, Tillich, suite à une description phénoménologique de la signification de Dieu, propose une série de considérations typologiques sur l’histoire de l’idée de Dieu. C’est dans les types de monothéisme qu’il aborde le monothéisme monarchique comme se situant à la

 P. Tillich, TS I, 198.  P. Tillich, TS I, 200.  P. Tillich, Théologie Systématique II : L’être et Dieu, Genève/Paris/Québec 2003, 32 (par la suite TS II, 32).

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frontière entre le polythéisme et le monothéisme. Le Dieu monarque règne sur les autres entités divines de la hiérarchie. Sa puissance stabilise le système et la hiérarchie divine. Mais « [c]omme tout monarque, une révolution et des attaques venant de l’extérieur le menacent. Le monothéisme monarchique a des liens trop étroits avec le polythéisme pour en être libéré. »¹⁴ L’allusion à la révolution des puissances inférieures contre les puissants correspond à une compréhension bien politique et humaine de la révolution. Le troisième tome porte sur l’existence et le Christ. Thématiquement, plusieurs allusions et plusieurs mentions apparaissent et nous pouvons les regrouper autour de quatre points majeurs : a) le caractère circulaire du système, b) le dépassement du naturalisme et du supranaturalisme exigeant un processus de délittéralisation, c) la lutte contre le monde tel qu’il existe et enfin d) le caractère révolutionnaire du Dieu de l’Être Nouveau et ses conséquences extatiques. Nous verrons quelques recoupements avec le déjà vu, consolidant ainsi les remarques de nos premières analyses. a) Une brève remarque formelle en introduction à ce troisième tome insiste sur le « caractère circulaire » du système théologique de Tillich. Une nouvelle partie repose sur les exposés antérieurs et elle les approfondit et les clarifie. Nous soulignons ici simplement d’entrée de jeu le caractère révolutionnaire du système, qui est « en orbite » autour de l’exposé du message chrétien, interprété pour chaque génération nouvelle.¹⁵ b) L’introduction à ce troisième tome répond à des questions et à des critiques soulevées suite à la parution du premier volume en anglais de la Systematic Theology, dont sa doctrine de Dieu. Ici, Tillich insiste pour mettre en évidence comment sa proposition théologique veut aller au-delà des interprétations naturaliste et supranaturaliste du mot Dieu. « On peut appeler ‘autotranscendante’ ou ‘extatique’ une notion de Dieu qui surmonte le conflit du naturalisme et du supranaturalisme. »¹⁶ Le texte allemand traduit en note dans la version française est encore plus clair : « Le chemin qui permet de dépasser l’opposition du naturalisme et du supranaturalisme dans la notion de Dieu peut être appelé ‘autotranscendant’ ou ‘extatique’, selon qu’on part de la nature de la finitude ou de l’expérience de l’infini. »¹⁷ Les diverses versions du supranaturalisme ou du naturalisme disqualifient la notion de Dieu; elles réduisent l’infinité dans les marges du fini et c’est ici qu’une troisième voie doit se frayer  P. Tillich, TS II, 95.  Voir P. Tillich, TS I, 17.  P. Tillich, Théologie Systématique III : L’existence et le Christ, Genève/Paris/Québec 2006, 17 (par la suite TS III, 17).  P. Tillich, TS III, 17, n. 27.

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théologiquement un chemin. Évaluer les intuitions (positives et) réductrices des deux positions pour les dépasser, voilà une stratégie que Tillich utilisent fréquemment dans ses écrits. Ainsi, cette troisième voie « affirme que Dieu ne serait pas Dieu s’il n’était pas le fondement créateur de tout ce qui a de l’être; il est, effectivement, la puissance infinie et inconditionnée de l’être ou, pour employer l’abstraction la plus radicale, il est l’être-même ».¹⁸ Cette notion de Dieu est-elle révolutionnaire? Tillich rappelle que d’autres auteurs de la tradition ont emprunté cette troisième voie, mais qu’il voudrait la poursuivre jusqu’au bout… Un autre aspect de la critique du supranaturalisme et du naturalisme s’exprime à travers le thème du littéralisme et des essais de délittéralisation. Ainsi, dans sa discussion sur les marques de l’aliénation humaine et le concept de péché,¹⁹ Tillich critique un emploi littéral de termes (ici les adjectifs ‘originel’ et ‘héréditaire’ pour qualifier le ‘péché’) qui dévoient le sens d’une recherche d’une troisième voie! Une délittéralisation (démythologisation²⁰) s’impose pour éviter de réduire la portée symbolique des affirmations théologiques et de les conduire à des absurdités les concernant. Ce travail théologique de Tillich est en aval de la révolution théologale et pourrait constituer une valence de la révolution théologique à laquelle nous convie la Systematic Theology. c) Cette même section qui porte sur l’aliénation et le péché et qui veut répondre à la question de la relation entre le concept de péché et celui d’aliénation, nous plonge dans certains débats philosophiques entourant la notion hégélienne d’aliénation. Si pour Hegel, la réconciliation surmonte l’aliénation dans l’histoire, pour certains de ses élèves, dont Marx, cette thèse ne tient pas la route : « Pour eux, l’individu est aliéné et non réconcilié; la société est aliénée et non réconciliée; l’existence est aliénation. Cette conviction les conduit à devenir des révolutionnaires en lutte contre le monde tel qu’il existe. »²¹ La profondeur de l’aliénation existentielle, la radicalité de la misère humaine qui révèle notre aliénation de ce à quoi nous appartenons (Dieu, notre propre soi et notre monde), peut-elle être objet de révolution humaine, historique ou philosophique? C’est ici qu’intervient la proposition théologique révolutionnaire de Tillich, de comprendre l’expérience de Dieu comme salut, guérison et participation à l’Être Nouveau, objet de notre quatrième et dernière remarque pour ce troisième tome de la Théologie Systématique.

 P. Tillich, TS III, 20.  Voir P. Tillich, TS III, 77 et suivantes.  Voir aussi TS IV, 16 f., où la démythologisation apparaît comme la réponse à la question d’une description de la relation entre Dieu et l’homme comme le veut le dualisme et le supranaturalisme.  P. Tillich, TS III, 77.

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d) Comment respecter l’infinité de l’infini sans la réduire à une fonction utile du fini (supranaturalisme) ou encore sans perdre la distance qui sépare les choses finies de leur fondement infini (naturalisme)? La troisième voie explorée à fond par Tillich est celle de l’auto-transcendance ou du caractère extatique de la notion de Dieu; elle est celle du dépassement et du sacrifice de soi pour devenir transparent de Dieu. C’est le défi religieux de tenir bon à l’infini à travers une forme finie tout en sachant qu’elle n’est que médium… Tout au fil du tome, Tillich développe le caractère révolutionnaire du Dieu de l’Être Nouveau et ses conséquences extatiques. Ainsi, c’est « la loi d’amour qui surmonte l’aliénation. L’amour est la force qui conduit à la réunion de ce qui est séparé; il s’oppose donc à l’aliénation. Dans la foi et dans l’amour, le péché est vaincu parce que la réunion l’emporte sur l’aliénation. »²² Dans la section sur « l’Être Nouveau en Jésus le Christ »,²³ le caractère révolutionnaire est mis en scène. Alors que les attentes et les espérances envers Jésus le Christ sont à leur paroxysme, la fin tragique de Jésus comme crucifié semble laisser croire que rien ne changera et que l’histoire se poursuivra comme avant dans la violence et l’injustice. La revendication messianique aura alors besoin d’un sérieux recadrage pour susciter la foi dans le caractère paradoxal de la revendication prophétique et messianique. En principe, l’espérance d’un monde nouveau s’accomplit en lui; en principe, le salut est là au cœur de la misère existentielle des humains et de l’histoire et nous y prenons part de manière fragmentaire et anticipée. « L’Être Nouveau est l’être essentiel dans les conditions de l’existence; il comble le fossé entre l’essence et l’existence. »²⁴ Cette idée de « nouvelle créature » chez Paul et le fait de notre participation en Christ qui nous transforme en une créature nouvelle est un acte créateur, une création de l’Esprit divin. En Christ, la loi, l’existence vécue dans l’aliénation et l’histoire ambiguë arrivent à leur terme et le dépassement de la préparation via la loi, de l’existence aliénée et de l’histoire ambiguë, bref l’accomplissement est qualitativement ou en principe engagé. Le processus est un engagement transformateur de la part du divin, une révolution qui ouvre des horizons neufs, des possibles dans l’amour et dans la foi. L’être Nouveau en Jésus le Christ est puissance de salut!²⁵ Le salut est la guérison de l’état d’aliénation. « Guérir, signifie réunir ce qui est aliéné, donner un centre à ce qui est divisé, surmonter la rupture entre l’homme et Dieu, entre l’homme est son monde, entre l’homme et lui-même. »²⁶ Si pour les chrétiens, il y a salut en     

P. Tillich, TS III, 80. P. Tillich, TS III, 189 et suivantes. P. Tillich, TS III, 190. Voir la section du même nom. P. Tillich, TS III, 256 et suivantes. P. Tillich, TS III, 258.

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lien avec Jésus le Christ, il y a pour les humains au fil de leur existence des événements de révélation, qui guérissent. « La révélation […] est la manifestation extatique du fondement de l’être dans des événements, des personnes et des choses. De telles manifestations ont une puissance d’ébranlement, de transformation et de guérison. Dans ces événements de salut, la puissance de l’Être Nouveau agit de façon préparatoire et fragmentaire, avec des possibilités de déformation démonique. Mais elle agit et guérit là où on l’accepte sérieusement. »²⁷ Dernière remarque ici sur ce point, où Tillich élargit la révélation de salut et lui donne un sens universel. L’Être Nouveau en Jésus le Christ demeure l’ancrage, mais sa puissance de salut traverse les frontières pour s’ouvrir à l’humanité et à toute la création… Le caractère révolutionnaire de la Systematic Theology est théologique parce que théologal. Cette irruption et cette transformation, qui guérissent sérieusement, manifestent une puissance extatique, participative ou communionnelle avec le fondement de l’être, source d’accomplissement et de réalisation…

4 Des révolutions humaines et les symboles de la révolution théologale Les deux derniers tomes, le IVe intitulé « La vie et de l’Esprit » et le Ve intitulé « L’histoire et le Royaume de Dieu », développent deux thèmes dans lequel les dynamiques de création, d’aliénation et de guérison se déploient et où Tillich présente les symboliques qui pointent vers une vie et vers une histoire où les ambiguïtés sont dépassées. La Présence Spirituelle, le Royaume de Dieu et la Vie éternelle sont les trois symboles qui, dans l’horizon chrétien, évoquent le dépassement et l’accomplissement,²⁸ ils sont les symboles dans et à travers lesquels nous percevons certaines limites des révolutions humaines et l’infinité de la révolution théologale. Dans chacun des tomes, l’hypothèse soutenue depuis le début de notre réflexion devient plus évidente. Elle nous contraint toutefois à nuancer notre anthropologie de la révolution pour lui donner une densité théologale… Au tome IV, Tillich propose au départ une réflexion sur l’unité multidimensionnelle de la vie et discute du caractère inadéquat d’employer la notion de niveau. Dans ce contexte, la relation entre la religion et la culture entraîne des conflits insolubles, dont la suspension de l’autonomie des fonctions culturelles,

 Ibid.  Voir P. Tillich, TS IV, 119 – 122.

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qui « a conduit aux réactions révolutionnaires par lesquelles la culture a essayé d’absorber la religion et de la soumettre aux normes de la raison autonome ».²⁹ Le thème de la révolution reflète ici la réaction humaine à une inadéquation, inadéquation que Tillich tente de corriger en proposant d’autres métaphores pour rendre compte de la vie, de ses dimensions et relations. Je ne reviens pas sur les trois fonctions fondamentales de la vie; nous les avons bien explorés ailleurs.³⁰ Soulignons seulement que chacune des fonctions de la vie s’enlisent dans des ambiguïtés et que la réaction révolutionnaire apparaît comme une manière de réagir aux conséquences des ambiguïtés. Pour la fonction de l’autointégration de la vie, discutant du principe de l’agapè et des conséquences pour la motivation morale, Tillich ajoute : « [m]ais c’est ici, précisément, qu’apparaît son ambiguïté la plus profonde et la plus dangereuse [celle de la loi], cette ambiguïté qui conduisit Paul, Augustin et Luther à leurs expériences révolutionnaires. La loi en tant que loi est une expression de l’aliénation de l’homme par rapport à lui-même. »³¹ Pour les deux autres fonctions (autocréation et autotranscendance), Tillich montre comment les ambiguïtés profondes et dangereuses suscitent aussi des réactions et des attaques pour corriger, voire transformer les ambiguïtés dans lesquelles chacune des fonctions s’empêtrent.³² Trois symboles pointent vers la vie non ambiguë. La Présence Spirituelle, premier symbole, se caractérise par la saisie de l’esprit humain, par son extase. « Bien que le caractère extatique de l’expérience de la Présence Spirituelle ne détruise pas la structure rationnelle de l’esprit humain, il opère néanmoins ce que l’esprit humain ne peut faire lui-même. Quand la présence Spirituelle saisit l’homme, elle crée la vie non ambiguë. »³³ Cette citation importe car elle souligne que les symboles développés dans la Théologie Systématique renvoient à la révolution théologale et dépassent ce qui est enlisé dans la vie ambiguë. L’esprit humain ne peut se sauver lui-même. Tillich reviendra sur cette affirmation un peu plus loin : Dans la réunion de l’être essentiel et de l’être existentiel, la vie ambiguë est élevée audessus d’elle-même à une transcendance qu’elle ne pourrait atteindre par ses propres forces. […] L’‘union transcendante’ apparaît dans l’esprit humain comme un mouvement

 P. Tillich, TS IV, 17.  Particulièrement lors du dernier colloque de l’APTEF, en 2015 et sa publication : M. Dumas/ J. Richard/B. Wagoner (dir.), Les ambiguïtés de la vie selon Paul Tillich. Travaux issus du XXIe colloque international de l’Association Paul Tillich d’expression française, Berlin 2017.  P. Tillich, TS IV, 55.  Dans ces deux cas, l’expression révolution n’apparaît pas, mais des termes analogues y font écho. Voir aussi TS IV, 154, où Tillich parle du combat contre la profanisation et la démonisation.  P. Tillich, TS IV, 124 f.

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extatique que d’un certain point de vue on appelle la ‘foi’ et d’un autre l’‘amour’. Ces deux états manifestent l’union transcendante créée par la Présence Spirituelle dans l’esprit humain.³⁴

La foi et l’amour sont deux aspects de la Présence Spirituelle, qui dépasse l’ambiguïté. Le symbole de la Présence Spirituelle est développé dans l’horizon de l’esprit humain, puis dans celui de l’humanité historique. Il sera appliqué dans les trois dimensions de la vie : la religion, la culture et la morale. Soulignons qu’une expérience se déploie là où l’irruption de ou le saisissement par la Présence Spirituelle se produit, entraînant une réception marquée par des distorsions profanes ou démoniques, enclenchant des réactions, des résistances, des critiques en vue d’une participation à la vie non-ambiguë. Ce processus revient régulièrement dans les lectures que Tillich propose de la vie et de l’histoire; ce sont des processus dans lesquels on retrouve une volonté de réforme ou encore un moment révolutionnaire. Par exemple, dans la section nommée « La Présence Spirituelle en Jésus en tant que Christ : christologie pneumatologique »,³⁵ Tillich écrit qu’ « [o]n retrouve toujours le même ‘être-saisi’ par la Présence Spirituelle, suivi de la profanation et de la démonisation du processus de réception et d’actualisation et d’un mouvement de protestation prophétique et de renouveau ».³⁶ À la section suivante, traitant de la communauté Spirituelle³⁷ Tillich, après avoir clarifié que la communauté Spirituelle est une création non ambiguë mais fragmentaire de l’Esprit divin (« fragmentaire signifiant apparaissant sous les conditions de la finitude et dominant pourtant à la fois l’aliénation et l’ambiguïté »³⁸), enchaîne concernant le stade latent et manifeste de la communauté Spirituelle. Dans ce contexte, il écrit à propos de la communauté Spirituelle latente : « On y trouve l’emprise de la Présence Spirituelle dans la foi et dans l’amour, mais manque le critère ultime de la foi et de l’amour, l’union transcendante de la vie non ambiguë telle qu’elle se manifeste dans la foi et dans l’amour du Christ. C’est pourquoi, sans principe ultime de résistance, la communauté Spirituelle à l’état latent est ouverte à la profanation et à la démonisation. »³⁹ Quelques lignes plus loin, il précise ce principe de résistance, critère ultime de la foi et de l’amour du Christ. Sans ce critère, on ne peut pas « actualiser l’autonégation radicale et l’autotransformation présentent

     

P. Tillich, TS IV, 143 f. Voir P. Tillich, TS IV, 159 et suivantes. P. Tillich, TS IV, 163. P. Tillich, TS IV, 164 et suivantes. P. Tillich, TS IV, 165. P. Tillich, TS IV, 169.

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(sic) réellement et symboliquement dans la croix du Christ ».⁴⁰ Ce critère devient l’outil de réformes, de régénérations, même de révolutions au sein des groupes et des Églises, constituant la communauté Spirituelle. Cette résistance (ou ce pouvoir de résistance) apparaît contre les distorsions de la foi, contre les ambiguïtés que l’on rencontre dans les églises, dans les religions, etc. Ce quatrième tome déploie donc le thème de la Présence Spirituelle tant dans l’esprit humain que dans l’humanité historique. Ainsi, les ambiguïtés de la vie sont mises sous le projecteur de la Présence Spirituelle. On y voit comment, à la lumière de la Présence Spirituelle, les différentes ambiguïtés de la vie sont en principe dépassées, comment la Présence Spirituelle met à la fois en mouvement le processus de guérison, mais aussi celui de résistance et de combat, ou encore de critique prophétique (la terminologie diffère, mais je pense qu’elle oriente dans la même direction), bref du principe protestant qui dénonce la profanisation ou la démonisation de réception ou de réalisation, qui ne sont pas soumise au critère de la croix de Jésus de Nazareth, médium du Christ, médium de l’Être Nouveau, qui renonce à lui-même pour laisser l’espace à l’Esprit divin.

5 La révolution dans l’histoire; la révolution de l’histoire Le dernier tome porte sur l’histoire et est éloquent pour notre travail sur la notion de révolution, parce qu’il contient entre autres une section spécifique sur la révolution. Deux symboles seront dans ce cinquième tome mis de l’avant pour souligner la Présence Spirituelle : tout d’abord celui du Royaume de Dieu au sein de l’histoire, puis celui de la Vie éternelle pour la fin de l’histoire. Avant de développer ces deux symboles, Tillich analyse le thème de l’histoire et y décèle une quête de dépassement, une quête du Royaume de Dieu. Dans la section nommée « la dynamique de l’histoire »⁴¹, il explore ce qu’il appelle le mouvement ou le processus de l’histoire. Il y souligne entre autre la structure des événements historiques, dont la structure dialectique sert d’outil à l’analyse et à la description des dynamiques de l’histoire et de la vie : « Chaque fois que la vie entre en conflit avec elle-même et conduit à un nouvel état au-delà du conflit, une dialectique objective ou réelle intervient. Partout où on décrit ces processus en termes de ‘oui’ et de ‘non’, on utilise une dialectique subjective ou méthodologique. »⁴² Ce processus dialectique présent dans l’histoire n’est pas une méca P. Tillich, TS IV, 170.  P. Tillich, Théologie Systématique V : L’histoire et le Royaume de Dieu, Genève/Paris/Québec 2009, 53 et suivantes (par la suite TS V, 53 et suivantes).  P. Tillich, TS V, 57.

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nique, mais peut bien contribuer à comprendre les différents processus de l’histoire. De plus, le thème de la périodisation est utilisé pour mieux cerner la dynamique de l’histoire. Réfléchissant sur les conditions favorisant le phénomène de périodisation, Tillich renvoie à la Réforme : Les événements créateurs de période peuvent se produire soudainement, dramatiquement, et avec une grande extension, comme pour la Réformation, ou lentement, sans drames et dans le cadre restreint de petits groupes comme pour la Renaissance. Dans les deux cas, la conscience de l’Europe occidentale a vu dans ces événements le commencement d’une nouvelle période, ce que la recherche sur les événements eux-mêmes ne permet ni de confirmer ni d’infirmer.⁴³

Il est intéressant de souligner comment certains événements deviennent des marqueurs de l’histoire pour certaines personnes ou groupes et comment ces événements sont une suite d’événements continus qui se bousculent, se chevauchent, avancent ou ralentissent le cours de l’histoire. Quelques pages plus loin, se penchant sur la notion de progrès historique, Tillich se demande si cette notion de progrès s’applique à la religion. Si « la manifestation révélatrice et salvifique de la Présence Spirituelle est toujours ce qu’elle est, […] le contenu de ces manifestations et leurs expressions symboliques, comme les styles dans les arts et les connaissances en philosophie, dépendent, d’une part, des potentialités impliquées par la rencontre humaine avec le sacré et, d’autre part, de la réceptivité du groupe humain à l’égard de telle ou telle de ces potentialités ».⁴⁴ En un sens, un progrès au niveau de la réceptivité est possible. Ces deux thèmes (dialectique et progrès) préparent le terrain à mieux saisir ses analyses sur les ambiguïtés de la vie dans la dimension historique. Au point intitulé « les ambiguïtés de l’auto-créativité historique », le thème de la révolution est abordé. La créativité rend possible le nouveau à partir de l’ancien; elle le nie et le conserve, pour reprendre une formule hégélienne. Mais ce processus de créativité est aussi touché par l’ambiguïté : il peut permettre la croissance et le progrès, tout comme la destruction et le tragique. Tant dans les relations entre les générations, où les jeunes entrent en conflit avec les anciens pour permettre la nouveauté, que dans la vie politique, où l’action cherche la nouveauté pour un groupe social donné, au profit de l’ancien ou du nouveau. Une tension existe entre les forces progressistes et conservatrices, entre les forces révolutionnaires et contre-révolutionnaires. Cette tension a aussi tendance à polariser les liens

 P. Tillich, TS V, 59.  P. Tillich, TS V, 68 f.

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entre les personnes et à créer des luttes destructrices pour débloquer une situation sans issue : Il existe des situations où seule une révolution (pas toujours sanglante) peut ouvrir une brèche vers une nouvelle création. Ces brèches violentes donnent des exemples de destruction en vue d’une création, destruction parfois si radicale qu’elle rend impossible toute création nouvelle et qu’elle réduit lentement la collectivité et sa culture à une existence quasi végétative. Ce danger d’un total chaos donne aux pouvoirs établis la justification idéologique nécessaire à la répression des forces révolutionnaires ou à la tentative d’en triompher par une contre-révolution.⁴⁵

La lutte entre la révolution et la réaction qu’elle engendre conduit parfois à du neuf, mais au prix de vies ruinées et de destructions organisationnelles, d’où la question d’une créativité historique non ambiguë. Tillich fait encore écho allusivement à l’action révolutionnaire ou aux mouvements révolutionnaires dans sa section interprétant l’histoire. Il interprète l’action révolutionnaire dans l’horizon de l’élan utopique qui croit que c’est cette action qui entraînera la transformation finale de la réalité sur la terre. Tillich note que cet utopisme séculier en modernité a conduit à des progrès et des réussites extraordinaires, mais aussi à des régressions et des déceptions sans fin. L’accomplissement non ambigu attendu par les révolutionnaires n’a pas atteint sa cible. « Ces attentes ont été déçues avec cette désillusion profonde qui suit toute confiance idolâtre en quelque chose de fini. Si on décrivait ces ‘désappointements existentiels’ des temps modernes, on raconterait… »⁴⁶ Cette désillusion produit cynisme, maladie, division, fanatisme, etc. Le symbole du Royaume de Dieu devient la réponse à la question du sens de l’histoire; il devient la réponse aux ambiguïtés de l’histoire.⁴⁷ Dans le Nouveau Testament, « il s’agit d’un ciel et d’une terre transformées, d’une nouvelle réalité dans une nouvelle période de l’histoire. Il résulte d’une renaissance de l’ancien dans une création nouvelle où Dieu est tout en tout. »⁴⁸ Le passage du politique au cosmique met bien en évidence que le dépassement des ambiguïtés de l’histoire ne dépend plus des conditions historiques ou politiques, « mais par une intervention divine et par une nouvelle création débouchant sur de nouveaux cieux et sur une nouvelle terre. »⁴⁹ Les éléments positifs de l’histoire deviennent les porteurs du symbole, mais sa structure démonique est détruite. Il     

P. Tillich, TS V, 78. P. Tillich, TS V, 93 f. Voir P. Tillich, TS V, 96 et suivantes. P. Tillich, TS V, 98. P. Tillich, TS V, 101.

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n’y a pas exclusion de l’histoire, mais dépassement par la révolution théologale. C’est ce que la seconde partie du tome développe sous le titre : « Le Royaume de Dieu au sein de l’histoire ».⁵⁰ On y présente les différents éléments permettant une juste compréhension du symbole. Tillich parle par exemple de la notion de kairos qui scande l’histoire du salut, tant dans sa préparation, sa manifestation décisive à travers l’irruption de l’Être Nouveau dans l’histoire de Jésus comme Christ, ainsi que dans sa réception à travers des kairoi au sein des communautés et de leurs histoires spécifiques. Ainsi, lorsqu’une expérience d’un kairos se produit en son sein, elle « sert de fondement à la critique prophétique des églises en état de distorsion. Quand les églises rejettent cette critique ou ne l’acceptent qu’en partie dans un compromis, l’Esprit prophétique pénètre dans des mouvements sectaires de caractère originellement révolutionnaire jusqu’à ce que ces sectes se transforment en églises et que l’Esprit prophétique devienne latent ».⁵¹ Dans la section nommée : « Le Royaume de Dieu et les ambiguïtés de l’autocréativité historique »⁵², Tillich réfléchit au dépassement des conflits que suscitent les processus de croissance. « Le Royaume de Dieu l’emporte quand il crée une unité de la tradition et de la révolution qui surmonte l’injustice de la croissance sociale et ses conséquences destructives, ‘le mensonge et le meurtre’ ».⁵³ Il ne s’agit pas de rejeter la révolution et la tradition au nom de la transcendance du Royaume, ni de soutenir une révolution qui aurait comme « but de provoquer la réalisation du Royaume de Dieu et de sa justice ‘sur la terre’ ».⁵⁴ Le dépassement des ambiguïtés de la croissance devient possible « seulement là on peut discerner que la révolution se construit dans la tradition de telle sorte que, […], on trouve une solution créative dans le sens du but ultime de l’histoire ».⁵⁵ Il en va de même pour l’histoire des églises où le traditionalisme et le conservatisme priment habituellement. Mais il arrive des moments d’exception, où l’esprit prophétique défie les doctrines sacerdotales et les traditions rituelles. Dans l’histoire des religions, ces moments sont relativement rares (les prophètes juifs, Jésus et les apôtres, les réformateurs). En règle générale, la croissance normale de la vie se fait organiquement, lentement, et sans interruptions catastrophiques. […] Mais chaque fois que la puissance spirituelle engendre une révolution spirituelle, on passe d’une étape du christianisme (et de la religion en général) à une autre. […] Toute révolution faite avec la

     

P. Tillich, TS V, 103 et suivantes. P. Tillich, TS V, 114. Voir P. Tillich, TS V, 139 et suivantes. P. Tillich, TS V, 139. P. Tillich, TS V, 140. Ibid.

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puissance de l’Esprit pose une nouvelle base que le clergé conserve et qui fait croître des traditions durables. C’est par ce rythme de la dynamique de l’histoire que le Royaume de Dieu opère dans l’histoire.⁵⁶

La dernière partie de ce cinquième tome abord le symbole de la Vie Éternelle et discute les sens différents de la fin de l’histoire. C’est là qu’il réfléchira au sens de la résurrection, où il veut en dépasser une compréhension trop matérialiste, qui discréditerait la symbolique chrétienne en un temps où les faits fondent la vérité et les concepts la définissent. Pour Tillich, à la suite de Paul, la notion de corps spirituel « exprime la totalité de la personnalité humaine spirituellement transformée ».⁵⁷ Ainsi, la résurrection affirme que le Royaume de Dieu intègre toute les dimensions de l’être. « La personnalité tout entière participe à la Vie Éternelle ».⁵⁸

Conclusion Tout vient de Dieu et tout y retourne. C’est une révolution complétée autour du mystère de l’humain en lien avec le cosmos et son créateur qui s’achève. Certes, les révolutions prennent différentes valences dans les mondes des humains, mais elles réagissent à ce qui ne va pas de soi et cherche à trouver la brèche qui permette que du neuf puisse dépasser les situations ambiguës de notre misère humaine. Ces révolutions sont parfois elles-mêmes saisies pour devenir vecteur de la révolution théologale, où un dépassement de principe engendre des dépassements fragmentaires et partiels en attendant que l’essencification métamorphose, par l’Esprit divin, la création et que la réconciliation s’accomplisse au-delà des déchirements et des destructions démoniques. Ce point positif énoncé, le thème a aussi une limite. Le thème de la révolution a donc chez le Tillich de Théologie Systématique plusieurs sens. Parfois simple renvoi historique aux réformateurs du XVIe siècle (et à leurs prédécesseurs bibliques et théologiques), il joue plus souvent le rôle de levier pour marquer le changement. Il constitue un risque, parce que rien ne dit que cela conduira à un dépassement des impasses et des ambiguïtés que la vie en général et l’histoire en particulier engendrent. Il constitue un risque parce qu’on ne sait jamais quand la dynamique révolutionnaire ne deviendra pas médium du Kairos, médium de la Présence Spirituelle, du Royaume de Dieu ou

 P. Tillich, TS V, 141.  P. Tillich, TS V, 174.  P. Tillich, TS V, 175.

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encore de la Vie Éternelle. On ne sait jamais quand la dynamique révolutionnaire oubliera son caractère de médium, quand elle s’absolutisera, se repliera sur ellemême, se crispera et oubliera que la métamorphose devait pointer vers la nouveauté créatrice et guérissante de l’Être Nouveau.

Autorenverzeichnis Dr. Raymond Asmar Prof. für Philosophie und religiöse Kultur an der Saint Joseph University in Beirut, Libanon Dr. Christian Danz Prof. für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien Dr. Stefan Dienstbeck Privatdozent für Systematische Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München Dr. Marc Dumas Professor für Théologie fondamentale an der Université de Sherbrooke, Kanada Dr. Martin Fritz Privatdozent für Systematische Theologie an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau Dr. Peter Haigis Privatdozent für Systematische Theolgie an der Universität Heidelberg Dr. Marcus Held Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Systematische Theologie und Sozialethik der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz Dr. Etienne Higuet Gastprofessor an der Université de l’État du Pará in Belém, Brasilien Dr. Gabriella laione Prof. für protestantische Religion an der Realschule in Brüssel, Belgien Geoffrey Legrand, M.Th. Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät der Université Catholique de Louvain, Belgien Jean-Paul Niyigena, Ph.D. Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät der Université Catholique de Louvain, Belgien Dr. Burkhard Nonnenmacher Privatdozent für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen

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Autorenverzeichnis

Russell Re Manning, Ph.D. Senior Lecturer für Philosophie und Ethik an der Bath Spa University in Bath, Vereinigtes Königreich Jari Ristiniemi, Ph.D. Prof. für Religionswissenschaft an der Universität von Gävle, Schweden Dr. Dr. Werner Schüßler Prof. für Philosophie an der Theologischen Fakultät Trier Dr. Axel Siegemund Prof. für Grenzfragen von Theologie, Naturwissenschaft und Technik am Institut für katholische Theologie der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen Mary Ann Stenger, Ph.D. Prof. em. für Theologie an der University of Louisville, Kentucky Dr. Erdmann Sturm Prof. i.R. für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster Sorin-Avram Virtop, Ph.D. Dozent an der Constantin-Brâncuşi-Universität in Târgu Jiu, Rumänien Matthew Lon Weaver, Ph.D. Kaplan und Leiter des Department of Social, Religious, and Ethical Studies der Marshall School in Duluth, Minnesota Dipl.-Theol. Katharina Wörn Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena

Personenregister Abrudan, Mircea-Gheorghe 283 Adorno, Theodor W. 281 Agamben, Giorgio 290 f. Akbar 257 Alemanno, Giovanni 280 Altizer, Thomas Jonathan Jackson 227 Altmann, Walter 370 Alves, Damares 385 Alves, Rubem 370 Ambedkar, Bhimrao Ramji 251 Androutos, Chrestos 285 Aristoteles 8, 238, 290, 329 Ashoka 257 Augustin 21, 108, 115 f., 121 f., 241, 424, 432 Aveline, Jean-Marc 366 Badiou, Alain 227 Barth, Karl 21, 38, 55, 79 – 81, 119, 174, 176, 220, 224, 230, 236, 285, 373, 390 Basset, Lytta 310 Bates, Searle 390 de Beauvoir, Simone 231 Beckett, Samuel 228 Benedikt XVI., Papst 241 Bennett, John 390 Berger, Peter Ludwig 131 – 134, 139, 141, 149, 152, 154, 162, 171 Blair, Anthony Charles Lynton 257 Boeve, Lieven 366 Bonhoeffer, Dietrich 283 – 285, 390 Bradlaugh, Charles 257 Brunner, Emil 176, 285 Brunstäd, Friedrich 178 Bultmann, Rudolf 230 Burke, Edmund 327 Butler, Judith 289 Calvin, Johannes 113 Caputo, John David 217, 229 Cassirer, Ernst 337 Castoriadis, Cornelius 320 – 324, 327 – 348 César, Valdo 388 Clayton, John 230 f.

Coates, Ta-Nehisi 39 Cornelius, Hans 221 Cox, Harvey 227, 229 Danz, Christian 26, 35, 183 Deleuze, Gilles 227, 290 f. Derrida, Jacques 227 Dix, Otto 180 Dürer, Albrecht 111 Einstein, Albert 319 Eliade, Mircea 275, 277 f. Feliciano, Marco 384 Fichte, Johann Gottlieb 110, 290, 326 Foster, Durwood 231 f. Foucault, Michel 288 – 291 Franz von Assisi 116 Franziskus, Papst 360 Freud, Sigmund 289 Furtado, Celso 389 Gandhi, Mahandas Karamchand 257 Geertz, Clifford 338 George, Stefan 223 Gisel, Pierre 360 Goethe, Johann Wolfgang von 46 Gogarten, Friedrich 103, 107, 119 Gorbatschow, Michail Sergejewitsch 255 Grosz, George 180 Grünewald, Matthias 18 Gutenberg, Johannes 278 Habermas, Jürgen 321 Hamilton, William 227 Hamman, Adalbert-Gautier 220 Heckel, Erich 181 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 2, 70, 140, 176 – 181, 207, 228, 340, 429 Heidegger, Martin 54, 184, 193, 224, 227, 295 Herder, Johann Gottfried 207 Heydrich, Reinhard 45

444

Personenregister

Hirsch, Emanuel 101, 117 Hitler, Adolf 44 Hofstede, Geert 282 Hofstede, Gert Jan 282 Holl, Karl 101 – 103, 107, 117 Holtwick, Bernd 249 Holyoake, George 257 Honterus, Johannes 278 Horney, Karen 110 f. Hountondji, Paulin 402 Huber, Wolfgang 261 Husserl, Edmund 76, 108 Ignatius von Loyola 278 Iser, Wolfgang 332 Jaspers, Karl 184, 242 Jerobeam I., König 265 Joas, Hans 329 Jung, Carl Gustav 294 Kabir 257 Kagame, Alexis 400, 407 Kant, Immanuel 28, 81, 179 f., 187 f., 219, 282, 286, 294, 323 – 326, 376 Kennedy, John Fitzgerald 57 Kierkegaard, Søren 55, 136, 220, 224, 290, 296 f. Kirchner, Ernst Ludwig 181 Koestler, Arthur 288 Kroner, Richard 238 Kurewa, Zvomunondita 402 Lacan, Jacques 334, 344 f. Lehmann, Paul 390 Leo X., Papst 280 Lessing, Gotthold Ephraim 2, 207 Levi-Strauss, Claude 337, 339 Luther, Martin 2, 7 – 11, 13, 19 f., 74, 77 f., 80 f., 85, 87 f., 101 – 104, 106, 108 – 117, 120 – 129, 136, 175, 240, 277 – 280, 286, 369, 371, 411, 432 Mahlmann, Theodor 21 Malafaia, Silas 384 f. Mana, Kä 409 Mao Zedong 423

Marichal, Anne-Catherine 356 Marx, Karl 54, 58, 65, 207, 328 f., 340 f., 429 Mbiti, John 399 Meillassoux, Quentin 227 Melanchthon, Philipp 115, 277 Menzel, Adolph von 180 Messi Metogo, Eloi 403 Meyer, John W. 272 Micu-Klein, Samuel 282 Milbank, John 228 Minkov, Michael 282 Moore, Patrick 264 More, Thomas 58 Morin, Edgar 302 Nayar, Kuldip 255 f. Nehru, Jawaharlal 251 f., 255 – 257, 268, 271 Niebuhr, Reinhold 57, 238, 376 f., 390 Nietzsche, Friedrich 54, 113, 127, 223, 227, 287, 296 Nolde, Emil 181 Novalis 125 Nygren, Anders 239 – 241 Oliver, Mary 66 Origenes 108 Otetea, Andrei 278 Otto, Rudolf 102 Parker, Theodore 39 Paulus von Tarsus 18, 21, 74, 108, 120 – 122, 382, 397, 414, 424, 427, 430, 432, 438 Pereira, Everaldo Dias 385 Platon 104, 238, 240, 324 f. Plotin 238 Quisling, Vidkun

45

Rahner, Karl 307 Rauschenbausch, Walter 376 f. Reihlen, Charlotte 380 Richard, Jean 365 Rilke, Rainer Maria 223 Ritschl, Albrecht 72, 77, 220, 239, 376 Robinson, John Arthur Thomas 227

445

Personenregister

Rolffs, Ernst 75 Roosevelt, Franklin Delano 377 Rousseau, Jean-Jacques 285, 325 Routhier, Gilles 360 Rubens, Pedro 352 Sägesser, Caroline 349 Saguna, Andrei 282 f. de Santa Ana, Julio 370 Sartre, Jean-Paul 54, 227 f. Schad, Christian 180 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 55, 65, 69, 72, 177 – 179, 181, 224, 228, 282, 286, 296, 328, 340 f. Schillebeeckx, Edward 360 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 131, 162, 219 f. Schmidt-Rottluff, Karl 181 Schüßler, Werner 183 Seeberg, Erich 102 Seeberg, Reinhold 101 f., 106 f., 112 f. Shakespeare, William 290 Shaull, Mildred 389 Shaull, Richard 370, 388 – 392 Sheeva, Sarah 385 Shiva, Vandana 264 Simmel, Georg 2, 70 Simon Petrus 19 Smith, Jonathan Zittell 217 Spalatin, Georg 277 Stahl, Friedrich Julius 2, 69 f.

Stalin, Josef Wissarionowitsch Štaniloae, Dumitru 284 f. Steiner, Rudolf 278 Sturm, Erdmann 183

268

Taylor, Mark C. 217, 229 Tempels, Placide 400 Temple, William 47 Thatcher, Margaret Hilda 255 – 257 Thimme, Friedrich 75 Thomas von Aquin 42, 237 f., 241 Troeltsch, Ernst 3, 77, 131, 134, 163, 220 Urban, Wilbur Marshall

236 f.

Vahanian, Gabriel 227 Van Buren, Paul 227 Vansittart, Robert Gilbert 51 Vico, Giambattista 324 de Visme Williamson, René 285 Voltaire 285 Weber, Max 3, 277 Wegener, Carl Richard 40 Wesley, John 379 Wittekind, Folkart 80 Wittgenstein, Ludwig 238 Wright, Erik Olin 204 Wundt, Wilhelm 62 Žižek, Slavoj

228