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German Pages [493] Year 2019
Clemens Gussone
Reden über Rechtsradikalismus Nicht-staatliche Perspektiven zwischen Sicherheit und Freiheit (1951–1989)
Clemens Gussone
Reden über Rechtsradikalismus Nicht-staatliche Perspektiven zwischen Sicherheit und Freiheit (1951–1989)
Vandenhoeck & Ruprecht
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Ernst-Reuter-Gesellschaft Zugl. Diss., FU Berlin, 2018
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, 37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Proteste gegen das Deutschlandtreffen der NPD am 17.06.1978 in Frankfurt am Main. © picture alliance/dpa Satz: Reemers Publishing Services GmbH, Krefeld Druck und Bindung: Hubert & Co. BuchPartner, Göttingen Printed in the EU Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-36093-0
Inhalt
1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
2.
2.1. Auf- und Abstieg der Sozialistischen Reichspartei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
2.2. Partisanen, der Graubereich und die fehlende Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . .
66
2.3. Die „wehrhafte Demokratie“ und das demokratische Dilemma . . . . . . . . . .
82
2.4. Die Ursachenfrage und deren Bedeutung für die Auseinandersetzung . . . .
98
3.
Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
3.1. Von Köln in die ganze Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3.2. Die Verantwortung der DRP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3.3. Das Gute im Schlechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 4.
Die NPD und die Gewalt (1968/69) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
4.1. Die polarisierte Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 4.2. Auf- und Abstieg der NPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 4.3. Schreiben und Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 4.4. Ein Verbot der NPD? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 5.
Die neue Ostpolitik und die rechtsradikale Gegenwehr (1970/71) . . . . . . 239
5.1. Rechtsterrorismus, Chaos und Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 5.2. Zwischen Toleranz und Sicherheitspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 6.
Das Jahr des rechten Terrors (1980) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
7.
Die Auseinandersetzung um Michael Kühnen (1983) . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
7.1. Kühnen und der Neonazismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 7.2. Quo vadis Bundesrepublik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 7.3. Das Verbot der ANS/NA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
8.
Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
8.1. Gerhard Frey und die DVU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 8.2. Die Republikaner in West-Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 8.3. Die Lehre(n) von Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 8.4. Hessen und die „wehrhafte Demokratie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 9.
Ergebnisse und Schlussbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434
Literatur- und Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465
Primäre Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 Danksagungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491
1.
Einleitung
Die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland wird in der Historiografie fast durchweg als Erfolgsgeschichte beschrieben. So stellen insbesondere – aber keineswegs ausschließlich – die neueren Forschungen dem Stand der Demokratie in (West-) Deutschland ein gutes Zeugnis aus und beschreiben eine „konsolidierte“, eine „stabile“ oder eine „geglückte Demokratie“.1 Im Laufe der Zeit entstand eine souveräne und selbstbewusste demokratische Gesellschaft.2 Parallel lässt sich ein Prozess der Liberalisierung feststellen.3 Mindestens seit den sechziger Jahren bildete sich zudem eine Zivilgesellschaft heraus, die immer stärkeren Einfluss auf die politischen Debatten nahm.4 Aus Bonn wurde gerade nicht „Weimar“, son-
1 Vgl. z. B. Gert-Joachim Glaeßner, Politik in Deutschland, Wiesbaden 22006, S. 83; Peter Reichel, Politische Kultur der Bundesrepublik, Opladen 1981, S. 226; Edgar Wolfrum, Die geglückte Demokratie. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Bonn 2007. Siehe auch Martin Greiffenhagen / Sylvia Greiffenhagen, Ein schwieriges Vaterland. Zur politischen Kultur im vereinigten Deutschland, München 1993, S. 105f., 120. 2 So verstehen Bauerkämper, Jarausch und Payk „Demokratisierung“ als „Prozess der allmählichen, keineswegs zielgerichteten und z. T. auch zurückgenommenen Einverleibung und Verwurzelung der Demokratie in Westdeutschland von 1945 bis zur Mitte der sechziger Jahre“. Vgl. Arnd Bauerkämper u.a., Einleitung. Transatlantische Mittler und die kulturelle Demokratisierung Westdeutschlands 1945–1970, in: Dies. (Hg.), Demokratiewunder. Transatlantische Mittler und die kulturelle Demokratisierung Westdeutschlands 1945–1970, Göttingen 2005, S. 11–37, hier S. 14. 3 Vgl. Ulrich Herbert, Liberalisierung als Lernprozeß. Die Bundesrepublik in der deutschen Geschichte – eine Skizze, in: Ders. (Hg.), Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung, 1945 bis 1980, Göttingen 2002, S. 7–49, hier 12–15 bzw. 34–41. Laut Herbert ist „Liberalisierung“ „ein wert- und handlungsbezogener Begriff der politischen Kultur, der sich vor allem auf Mentalitäten, Wahrnehmungs-, Aktions- und Reaktionsmuster bezieht“ (S. 14). Laut Winkler habe sich spätestens nach der „Spiegel-Affäre“ 1962 die gesamte politische Kultur liberalisiert. Vgl. Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd. 2, Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung, München 2000, S. 211. Vgl. auch Anselm Doering-Manteuffel, Wie westlich sind die Deutschen? Amerikanisierung und Westernisierung im 20. Jahrhundert, Göttingen 1999. 4 Vgl. Konrad Jarausch, Die Umkehr. Deutsche Wandlungen 1945–1995, Bonn 2004, S. 29; Axel Schildt / Detlef Siegfried, Deutsche Kulturgeschichte. Die Bundesrepublik von 1945 bis zur Gegenwart, München 2009, S. 331f., 366; Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bundesrepublik und DDR 1949–1990, Bonn 2010, S. 277; Wolfrum, Demokratie, S. 11–14. Siehe zur Bedeutung der sechziger Jahre als Phase des Umbruchs auch: Klaus Schönhoven, Aufbruch in die sozialliberale Ära. Zur Bedeutung der sechziger Jahre in der Geschichte der Bundesrepublik, in: Geschichte und Gesellschaft 25 (1999), S. 123–145.
8 1. Einleitung dern im Laufe der Jahrzehnte eine stabile, liberale und auch international geachtete Demokratie. Diese Entwicklung war allerdings weder zwangsläufig noch vorhersehbar. Der „Erfolg“ der Bundesrepublik sei vielmehr eine „Geschichte der ausgebliebenen, ja der vermiedenen Katastrophe“, erklärt Eckard Conze.5 Aus heutiger Perspektive ist deutlich zu erkennen, dass die Demokratie in der Bundesrepublik zu keinem Zeitpunkt substanziell in Gefahr war, dennoch spielte die Angst vor einem vermeintlich bevorstehenden Scheitern stets eine große Rolle.6 Speziell der Rechtsradikalismus führte immer wieder zu Verunsicherungen und entsprechenden Warnungen. Dieser blieb trotz seiner wellenartigen Konjunkturen bis heute ein permanenter Teil der Geschichte der Demokratie(-entwicklung) in der Bundesrepublik und ein „fester Bestandteil der politischen Szenerie“.7 Zwar bildeten rechtsradikale Gruppen oder Parteien regelmäßig nur eine Minderheit ohne größeren politischen Einfluss und ohne kontinuierliche Medienpräsenz; dennoch gelang und gelingt es ihnen immer wieder, durch provokante, zum Teil gewalttätige Aktionen oder durch Wahlerfolge ein überproportionales Interesse in der Öffentlichkeit zu wecken.8 Kaum ein anderes Thema, schreibt Karl Kniest in seiner Dissertation über den Neonazi Michael Kühnen, „löst mehr Ängste, Besorgnisse und Nachdenklichkeiten aus“.9 Diese Studie nutzt den Terminus „Rechtsradikalismus“, um auf die grundsätzliche vor allem ideologische Gemeinsamkeit aller Akteure und Strömungen der Szene aufmerksam zu machen.10 Dieser Sammelbegriff wurde bis zur Mitte der 5 Eckart Conze, Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart, München 2009, S. 10, 14. Siehe auch Jarausch, S. 182, 192; Kurt Sontheimer, Die verunsicherte Republik. Die Bundesrepublik nach 30 Jahren, München 1979, S. 139. 6 Vgl. Christian Schletter, Grabgesang der Demokratie. Die Debatten über das Scheitern der bundesdeutschen Demokratie von 1965 bis 1985, Göttingen 2015, S. 6. 7 Peter Dudek / Hans-Gerd Jaschke, Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik. Zur Tradition einer besonderen politischen Kultur, Wiesbaden 1984, S. 177. 8 Vgl. Bernhard Rabert, Links- und Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik Deutschland von 1970 bis heute, Bonn 1995, S. 231. 9 Karl Kniest, Die „Kühnen-Bewegung“. Darstellung, Analyse und Einordnung, Frankfurt am Main 2000, S. 1. Vgl. auch Marek Czyżewski, Öffentliche Kommunikation und Rechtsextremismus, Łódź 2005, S. 197. 10 Erst ein solcher Sammelbegriff ermöglicht es, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckenden Formen des Rechtsradikalismus als zusammenhängend zu beschreiben. Hilfreich für den hier vertretenen Anspruch auf Zusammengehörigkeit ist die These von Dudek und Jaschke, die von einem „umgekehrt proportionalen Kräfteverhältnis“ zwischen parteipolitischen Erfolgen und verstärkten subkulturellen Erscheinungen ausgehen. Vgl. Dudek / Jaschke, S. 59. Auch Gideon Botsch beschreibt eine „Doppelhelix aus politischer Bewegung und lebensweltlichem Milieu“. Vgl. Ders., Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland. 1949 bis heute, Darmstadt 2012, S. 3.
1. Einleitung
9
siebziger Jahre auch von allen amtlichen Stellen der Bundesrepublik verwendet.11 Alle weiteren gängigen Termini bezeichnen jeweils eine Teilmenge des Rechtsradikalismus: Der Begriff „Neonazismus“ beschreibt diejenige moderne Variante, die sich auf den historischen Nationalsozialismus bezieht. Unter „Rechtsterrorismus“ wird die gesteigerte, nicht notwendigerweise lange geplante Gewalt von rechtsradikalen Personen oder Gruppen verstanden, deren Aktivitäten oder Pläne gewalttätige Anschläge mit Waffen oder Sprengstoff beinhalten.12 In den letzten Jahren konnte der „Rechtspopulismus“-Begriff einige Prominenz erreichen. Dieser, vielfach verknüpft mit der „Neuen Rechten“, beschreibt vor allem die Strategie, öffentlich gerade nicht rechtsradikal aufzutreten.13 Dennoch sind diese oftmals deutsch-nationalen Gruppen – wie die Partei Die Republikaner (REP) zumindest seit dem 1985 verabschiedeten „Siegburger Manifest“ – inhaltlich vielfach rechtsradikal oder beherbergen eine rechtsradikale Strömung.14 Die 11 Seither greifen diese auf den Terminus „Rechtsextremismus“ zurück. Obwohl dieser seitdem in vielen Bereichen der Wissenschaft und im politischen Alltag gängig ist, blieb er vor allem wegen seiner extremismustheoretischen Nutzung umstritten. Die Deutung zweier verwandter „Extremismen“ ist politisch motiviert und eine Abgrenzung vom normativen Zugang staatlicher Stellen, speziell dem Verfassungsschutz, ist mit dieser Terminologie nicht möglich. Vgl. Botsch, S. 1f.; Christoph Butterwegge, Rechtsextremismus, Freiburg 2002, S. 19f. 12 Für detaillierte Informationen zu den Termini siehe Butterwegge, Rechtsextremismus, S. 16–36; Hans-Gerd Jaschke, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Begriffe, Positionen, Praxisfelder, Wiesbaden 2001, S. 22–83; Wolfgang Kowalsky / Wolfgang Schroeder, Einleitung. Rechtsextremismus, Begriff, Methode, Analyse, in: Dies. (Hg.), Rechtsextremismus. Einführung und Forschungsbilanz, Opladen 1994, S. 7–20, hier S. 10f.; Samuel Salzborn, Rechtsextremismus, Baden-Baden 2014, S. 11–17. Siehe zum Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik insbesondere: Sebastian Gräfe, Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik Deutschland. Zwischen erlebnisorientierten Jugendlichen, „Feierabendterroristen“ und klandestinen Untergrundzellen, Baden-Baden 2017. Zur Frage, was unter „Rechtsterrorismus“ zu verstehen ist, siehe vor allem S. 37–46 und 60–68. 13 Allerdings weist der Terminus verschiedene Konnotationen auf. „Jeder Versuch einer Definition steht vor dem Problem“, erklärt Frank Decker, „von den zahlreichen Einzelerscheinungen abstrahieren zu müssen, denen das Etikett ‚populistisch‘ bis heute aufgeklebt worden ist.“ Auch wenn Decker den Populismus keineswegs nur negativ verstanden wissen will, verweist er auf Helmut Dubiel, nach dem das Wort „populistisch“ eine „bestimmte Art der Anrufung der Gesellschaft“ beschreibt und die Methode bezeichnet, mit der „sich Politiker, Bewegungen und Parteien zum umworbenen Volk in Beziehung setzen“. Es ist also eine Strategie für die öffentliche Agitation. Vgl. Frank Decker, Parteien unter Druck. Der neue Rechtspopulismus in den westlichen Demokratien, Wiesbaden 2000, S. 26–29. 14 Vgl. Botsch, S. 92; Richard Stöss, Die „Republikaner“. Woher sie kommen, Was sie wollen, Wer sie wählt, Was zu tun ist, Köln 1990, S. 30–33 und insbesondere S. 81–85. Siehe zu den Verbindungen der Partei zu eindeutigen Neonazis bzw. neonazistischen Mitgliedern auch: Manfred Behrend, Die Republikaner. Neue Rechte oder 1000 Jahre und kein Ende, Leipzig 1990, S. 3. Diese Studie trägt somit dem heterogenen Gemisch der Szene sowie der oft verschleierten Eindeutigkeit Rechnung und folgt der herrschenden
10 1. Einleitung diesbezügliche Debatte bildet einen der Schwerpunkte in der Auseinandersetzung mit den Republikanern und wird in dem entsprechenden Kapitel noch einmal ausführlicher aufgegriffen. Literatur über den Rechtsradikalismus füllt etliche Regalmeter. Die wichtigsten ereignisgeschichtlichen Zusammenhänge sind weitgehend untersucht und in – oftmals sozialwissenschaftlichen – Monografien15 beziehungsweise Sammelbänden16 veröffentlicht. Auch über die bekanntesten rechtsradikalen Parteien liegen zahlreiche Veröffentlichungen vor.17 Seltener sind Detailstudien zu einzelMeinung in der Forschung. Vgl. u.a. Wolfgang Benz (Hg.), Rechtsextremismus in der Bundesrepublik. Voraussetzungen, Zusammenhänge, Wirkungen, Frankfurt am Main 1994; Thomas A. Herz, Rechtsextreme Parteien und die Reaktion der Gesellschaft, in: Sozialwissenschaftliche Informationen 30 (1991), S. 234–240; Hans-Gerd Jaschke, Die „Republikaner“. Profile einer Rechtsaußen-Partei, Bonn 21993; Armin PfahlTraughber, Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, München 22000; Richard Stöss, Rechtsextremismus im vereinten Deutschland, Bonn 32000; Edgar Wolfrum, Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 23, Die Bundesrepublik Deutschland. 1949–1990, Stuttgart 2005, S. 490. Auch Veröffentlichungen des Bundesministeriums des Innern behandeln die Republikaner als rechtsradikale Partei. Vgl. Bundesministerium des Innern (Hg.), Extremismus in Deutschland, Berlin 2004. 15 Zu den immer noch besten Gesamtdarstellungen zum Rechtsradikalismus gehört die bereits zitierte Studie von Dudek und Jaschke, die natürlich mittlerweile einiger Ergänzungen bedarf. Siehe für einen ersten Überblick die bereits zitierten Werke von Gideon Botsch, Christoph Butterwegge, Hans-Gerd Jaschke; Samuel Salzborn, Richard Stöss und Armin Pfahl-Traughber. 16 Siehe zusätzlich zu bereits zitierten Werken z. B.: Jens Mecklenburg (Hg.), Handbuch deutscher Rechtsextremismus, Berlin 1996; Wilfried Schubarth / Richard Stöss (Hg.), Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz, Opladen 2001. 17 Siehe vor allem: Behrend, Republikaner; Christoph Butterwegge, Rechtsextremisten in Parlamenten. Forschungsstand, Fallstudien, Gegenstrategien, Opladen 1997; Georg Christians, „Die Reihen fest geschlossen“. Die FAP. Zu Anatomie und Umfeld einer militant-neofaschistischen Partei in den 80er Jahren, Marburg 1990; Eugen Fischer-Baling, Rechtsradikalismus im Nachkriegsdeutschland. Studien über die Sozialistische Reichspartei (SRP), Berlin 1957; Henning Hansen, Die Sozialistische Reichspartei (SRP). Aufstieg und Scheitern einer rechtsextremen Partei, Düsseldorf 2007; Gerhard Hertel, Die DVU – Gefahr von Rechtsaußen, München 1998; Jürgen Hoffmann, Die DVU in den Landesparlamenten. Inkompetent, zerstritten, politikunfähig. Eine Bilanz rechtsextremer Politik nach zehn Jahren, Sankt Augustin 1998; Uwe Hoffmann, Die NPD. Entwicklung, Ideologie und Struktur, Frankfurt am Main 1999; Jaschke, Republikaner; Claus Leggewie, Die Republikaner. Phantombild der neuen Rechten, Berlin 1989; Ders., Die Zwerge wollen Riesen sein. Die parlamentarische Rechte, Berlin 1992; Annette Linke, Der Multimillionär Frey und die DVU. Daten, Fakten, Hintergründe, Essen 1994; Jens Mecklenburg (Hg.), Braune Gefahr. DVU, NPD, REP. Geschichte und Zukunft, Berlin 1999; Oliver Sowinski, Die Deutsche Reichspartei. 1950–1965. Organisation und Ideologie einer rechtsradikalen Partei, Frankfurt am Main 1998; Stöss, Republikaner. Zudem gibt es umfangreiche Literatur zur NPD aus den sechziger Jahren und aktuell zur Partei Alternative für Deutschland, die für diese Studie keine Relevanz aufweisen.
1. Einleitung
11
nen nicht parteipolitischen Strömungen oder Gruppen beziehungsweise Biografien wichtiger Persönlichkeiten, insbesondere für die Zeit bis 1990.18 Ebenfalls hervorzuheben sind lexikalische Werke, die neben den bekannten Parteien und Gruppen speziell den zahlreichen Kleinstorganisationen kurze Abschnitte widmen.19 Darüber hinaus wurden Rechtsterrorismus und rechte Gewalt – in teilweise eher journalistischen Studien – untersucht.20
18 Siehe in Bezug zu dieser Arbeit insbesondere: Rainer Erb, Kühnen, Michael, in: Wolfgang Benz (Hg.), Handbuch des Antisemitismus, Bd. 8. Nachträge und Register, Berlin 2015, S. 89–92; Rainer Fromm, Die „Wehrsportgruppe Hoffmann“. Darstellung, Analyse und Einordnung. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen und europäischen Rechtsextremismus, Frankfurt am Main 1998; Kathy Hofmann u.a., „Wir sind die neue SA“ – die ANS, Petersberg 1984; Hans-Gerd Jaschke, Biographisches Portrait. Michael Kühnen, in: Uwe Backes / Eckhard Jesse (Hg.), Jahrbuch Extremismus und Demokratie, Bonn 1992, S. 168–180; Kniest, Kühnen; Giovanni di Lorenzo, Wer, bitte, ist Michael Kühnen?, in: Wolfgang Benz (Hg.), Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, Frankfurt am Main 1992, S. 235; Jürgen Strohmaier, Manfred Roeder – ein Brandstifter. Dokumente und Hintergründe zum Stammheimer Neofaschisten-Prozeß, Stuttgart 1982. Zudem gibt es zahlreiche Veröffentlichungen über jüngere Entwicklungen, die für diese Studie allerdings keine Rolle spielen. 19 Siehe z. B. Rainer Fromm, Am rechten Rand. Lexikon des Rechtsradikalismus, Marburg 21994; Thomas Grumke / Bernd Wagner (Hg.), Handbuch Rechtsradikalismus. Personen – Organisationen – Netzwerke vom Neonazismus bis in die Mitte der Gesellschaft, Opladen 2002; Kurt Hirsch, Rechts von der Union. Personen, Organisationen, Parteien seit 1945. Ein Lexikon, München 1989. Bernd Wagner, Handbuch Rechtsextremismus. Netzwerke, Parteien, Organisationen, Ideologiezentren, Medien. Reinbek bei Hamburg 1994. 20 Uwe Backes, Bleierne Jahre. Baader-Meinhof und danach, Erlangen 1991; Wolfgang Benz, Auf dem Weg zum Bürgerkrieg? Rechtsextremismus und Gewalt gegen Fremde in Deutschland, Frankfurt am Main 2001; Sebastian Gräfe, Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik Deutschland. Zwischen erlebnisorientierten Jugendlichen, „Feierabendterroristen“ und klandestinen Untergrundzellen, Baden-Baden 2017; Daniel Koehler, Right-Wing Terrorism in the 21st Century. The ‘National Socialist Underground’ and the History of Terror from the Far-Right in Germany, London 2017; Andreas Marneros, Blinde Gewalt. Rechtsradikale Gewalttäter und ihre zufälligen Opfer, Frankfurt am Main 2005; Rabert, Rechtsterrorismus; Andrea Röpke / Andreas Speit (Hg.), Blut und Ehre. Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland, Bonn 2013; Klaus-Henning Rosen, Rechtsterrorismus. Gruppen – Täter – Hintergründe, in: Gerhard Paul (Hg.), Hitlers Schatten verblasst. Die Normalisierung des Rechtsextremismus, Bonn 1989, S. 49–78; Olaf Sundermeyer, Rechter Terror in Deutschland. Eine Geschichte der Gewalt, München 2012. Nach den NSU-Enttarnungen kam es zudem zu einer Fülle von Publikationen zu diesem Thema, siehe z. B. Fabian Virchow, Nicht nur der NSU. Eine kleine Geschichte des Rechtsterrorismus in Deutschland, Erfurt 2016.
12 1. Einleitung Politische Kultur zwischen Sicherheit und Freiheit In der Debatte über den Umgang mit dem Rechtsradikalismus wird oft ganz selbstverständlich innerhalb der semantischen Felder „Freiheit“ und „Sicherheit“ argumentiert.21 Zentral für diesen Wertekonflikt ist in den Worten von HansGerd Jaschke das „Ausbalancieren der schwierigen Gratwanderung zwischen demokratisch-liberaler Toleranz […] auf der einen, Repression und Unterdrückung der unliebsamen Rechten auf der anderen Seite“.22 Leicht kann die Bekämpfung des Rechtsradikalismus undemokratische Züge annehmen und sich damit gegen das eigentliche Ziel, nämlich den Schutz der demokratischen Gesellschaft, wenden. Der Terminus „Sicherheit“ kann sich sowohl kollektiv auf die Gemeinschaft, als auch auf das Individuum oder eine kleinere Gruppe beziehen. Er beinhaltet zum Beispiel sowohl das Recht auf körperliche Unversehrtheit und die Wahrung des Eigentums, als auch die Wahrung von politischen und individuellen Grundrechten. Kollektive Sicherheit zielt vor allem auf die Stabilität staatlicher Strukturen und in der Bundesrepublik auf den Bestand der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.23 Ähnlich divers lässt sich der Begriff der Freiheit definieren. Dieser kann sich zum einen auf die Freiheit der individuellen Lebensentscheidung, zum anderen aber auch auf die kollektive Freiheit zum Beispiel in der Gründung von Vereinen oder Parteien beziehen. Zudem kann der Begriff auch gesamtgesellschaftlich angewendet werden, zum Beispiel in dem Wunsch, nicht unter einer fremden Besatzungsmacht oder in einem totalitären System leben zu müssen.24 Da sowohl Freiheit als auch Sicherheit sozial sowie kulturell bestimmt und entsprechend variabel sind,25 kann sich auch die Debatte über die Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus auf verschiedene Freiheits- und Sicherheitsbegriffe beziehen.
21 Beide Begriffe werden nur selten – Sicherheit noch deutlich öfter als Freiheit – direkt angesprochen, sondern tauchen vielfach nur als Bezugsgröße in den Debatten auf. Unabhängig davon, ob beispielsweise „innere Sicherheit“, „wehrhafte Demokratie“ oder „Parteiverbot“ bzw. „liberale Tradition“ oder „Meinungsfreiheit“ beschrieben werden, wird in den Kategorien von „Sicherheit“ und „Freiheit“ argumentiert. Diese als semantische Felder zu begreifen, ermöglicht alternative Termini zu berücksichtigen, die sich auf das Spannungsverhältnis beziehen. 22 Jaschke, Republikaner, S. 140. 23 Zu verschiedenen Sicherheitsbegriffen bzw. für einen kurzen Überblick zur Begriffsgeschichte vgl. Eckart Conze, Geschichte der Sicherheit. Entwicklung – Themen – Perspektiven, Göttingen 2018, vgl. insbesondere S. 22–46. 24 Zu verschiedenen Freiheitsbegriffen siehe Susan Richter u.a., Was ist Freiheit? Eine historische Perspektive, Frankfurt am Main 2016. 25 Conze, Geschichte, S. 13.
1. Einleitung
13
Aufgrund der auch aktuell hohen Bedeutung dieser Thematik ist der Forschungsstand gut, bisweilen aber kaum noch zu überblicken.26 Gilt die Entwicklung der Bundesrepublik weitgehend als Erfolg, dominiert im Detail momentan eine skeptischere Sicht. Oft wird vor einer Freiheit verzehrenden Entwicklung gewarnt und dafür plädiert, eine neue Balance zwischen beiden Grundwerten zu finden, die der Bedeutung von sowohl Freiheit als auch Sicherheit gerecht wird.27 Zu berücksichtigen ist dabei stets, dass Freiheit auch in einer Demokratie nicht grenzenlos sein kann, da uneingeschränkte Freiheit zu deren Aufhebung führen kann.28 Auf der anderen Seite bezeichnet Peter-Alexis Albrecht ein Denken im Rahmen der Parole „Freiheit durch Sicherheit“ als „Antithese europäischer Aufklärung“.29 Sogar Josef Isensee, Entwickler des „Grundrechts auf Sicherheit“, betont, „dass die Sicherheit nicht gegen die Freiheit ausgespielt werden kann“.30 Dennoch kann Sicherheit, speziell Sicherheitspolitik oft auch die Voraussetzung für Freiheit sein und steht ihr keineswegs zwangsläufig entgegen. Insofern kann Repression innerhalb eines demokratischen Rechtsstaates ein freiheitliches Ziel 26 Zur Einführung in die Literatur vgl. Andreas von Arnauld / Michael Staack (Hg.), Sicherheit versus Freiheit?, Berlin 2009; Gert-Joachim Glaeßner, Sicherheit in Freiheit. Die Schutzfunktion des demokratischen Staates und die Freiheit der Bürger, Opladen 2003; Matthias Kötter, Pfade des Sicherheitsrechts. Begriffe von Sicherheit und Autonomie im Spiegel der sicherheitsrechtlichen Debatte der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden 2008; Hans-Jürgen Lange u.a. (Hg.), Auf der Suche nach neuer Sicherheit. Fakten, Theorien und Folgen, Wiesbaden 2009; Oliver Lepsius, Sicherheit und Freiheit. Ein zunehmend asymmetrisches Verhältnis, in: Gunnar Folke Schuppert u.a. (Hg.), Der Rechtsstaat unter Bewährungsdruck, Baden-Baden 2010, S. 23–54. 27 Vgl. z. B. bei Peter-Alexis Albrecht, Dem Strafrecht auf dem Weg zur Sicherheitsgesellschaft, in: Schuppert u.a., Rechtsstaat 2010, S. 55–72, hier S. 63f.; Arnauld / Staack, S. 27; Glaeßner, Sicherheit, S. 92f.; Oliver Hidalgo, Freiheit und Sicherheit als antinomische Gegenpole im demokratischen Rechtsstaat, in: Rüdiger Voigt (Hg.), Sicherheit versus Freiheit. Verteidigung der staatlichen Ordnung um jeden Preis?, Wiesbaden 2012, S. 269–291, S. 288; Lepsius, Sicherheit 2010, S. 23–54; Johano Strasser, Gesellschaft in Angst. Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit, Gütersloh 2013, S. 13. 28 Nach Gregor Paul Boventer muss sie begrenzt sein, um die Sicherheit des demokratischen politischen Systems, welches er als Freiheitsrahmen begreift, zu gewährleisten. Sie hört spätestens da auf, wo die Freiheit eines Anderen beginnt. Vgl. Gregor Paul Boventer, Grenzen politischer Freiheit im demokratischen Staat. Das Konzept der streitbaren Demokratie in einem internationalen Vergleich, Berlin 1985, S. 15f.. Siehe auch Wolfgang Hoffmann-Riem, Sicherheit braucht Freiheit, in: Arnauld / Staack, S. 117–130, hier S. 120; Kötter, S. 357; Rüdiger Voigt, Sicherheit versus Freiheit, in: Ders. (Hg.), Sicherheit versus Freiheit. Verteidigung der staatlichen Ordnung um jeden Preis?, Wiesbaden 2012, S. 1–22, hier S. 3 und sogar auch Friedrich v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, hg. v. Alfred Bosch u.a., Tübingen 42005, S. 15. 29 Peter-Alexis Albrecht, Die vergessene Freiheit. Strafrechtsprinzipien in der europä ischen Sicherheitsdebatte, Berlin 2003, S. 12. 30 Josef Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit. Zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates, Berlin 1983, S. 19.
14 1. Einleitung verfolgen, auch wenn dies zunächst widersprüchlich klingt. Sicherheitspolitische Maßnahmen bleiben aber, je nach Intensität, per definitionem restriktiv oder gar repressiv.31 Dies ist vor allem dann einleuchtend, wenn wichtige Grundrechte eingeschränkt werden. Das mag durchaus legitim sein, bleibt aber begründungspflichtig und unterliegt dem Verhältnismäßigkeitsgebot. Der Politikwissenschaftler Michael Minkenberg beschreibt fünf Ebenen, auf denen Repression zum Schutz der Demokratie ausgeübt werden kann: „(1) auf der Ebene des Verfassungsgerichts: das Parteienverbot; (2) auf der Ebene der Bundes- wie Länderinnenminister: das Vereinsverbot; (3) auf der Ebene des Verfassungsschutzes: Überwachung und Berichte an die Öffentlichkeit; (4) auf der Ebene der politischen Justiz: strafrechtliche Ahndung von verbotener Propaganda (§ 86 Abs. 1 Ziff. 4 StGB), Verwendung von Symbolen verfassungswidriger Organisationen (§ 8a StGB) und Volksverhetzung bzw. Aufstachelung zum Rassenhass (§ 130 und 131 StGB); (5) auf der Ebene von Polizei und Gerichte: Auflösung öffentlicher Versammlungen, Verbot von Demonstrationen, starke Polizeipräsenz ‚auf der Straße‘“.32
Diese sicherheitspolitischen Möglichkeiten dienen dabei zunächst der Stabilität der staatlichen Struktur beziehungsweise der demokratischen Gesellschaft. 31 Zwar hat der Repressionsbegriff in den Geschichtswissenschaften in den letzten Jahren vor allem in Zusammenhang mit der Forschung zur Sowjetunion bzw. weiteren Ostblock-Staaten oder anderen autoritären Gesellschaftssystemen einige Prominenz erreicht, das ändert aber nichts an der Tatsache, dass auch in Demokratien repressive Gesetze verabschiedet werden oder staatliche Organe repressiv handeln können. Hier geht es nicht um die Frage der Legitimation, sondern um einen Eingriff in die demokratischen Grundrechte. Repressiv sind vor allem solche Maßnahmen, die den im Grundgesetz festgelegten Grundrechten entgegenwirken. Diese können, zumal in der demokratischen Bundesrepublik, rechtsstaatlich zustande gekommen, zur Verteidigung der Demokratie geboten und auch allgemein akzeptiert sein, das ändert aber nichts an ihrem restriktiven bzw. repressiven Charakter. Etymologisch betrachtet, stammt das Wort „repressiv“ vom lateinischen „repressio“ ab, was nichts anderes als „Zurückdrängen“ bedeutet. „Restriktiv“ beutet in diesem Zusammenhang, dass man die Rechte eines Grundrechtsträgers beschränkt. Insofern ist Repression durchaus als Steigerung von Restriktion zu begreifen, aber es ist davor zu warnen, beide Begriffe nur in Bezug auf antidemokratische bzw. diktatorische Regimes anzuwenden. Diese werden sowohl in der internationalen als auch in der deutschen Forschung in Zusammenhang mit dem Rechtsradikalismus vielfach genutzt. Vgl. z. B. die bereits zitierte Aussage von Hans-Gerd Jaschke, Republikaner, S. 140. Siehe auch Christian Davenport, State Repression and the Domestic Democratic Peace, Cambridge 2007; Michael Minkenberg, Repression und Repressionswirkungen auf rechtsradikale Akteure, in: Wilhelm Heitmeyer / Peter Imbusch (Hg.), Integrationspotenziale einer modernen Gesellschaft, Wiesbaden 2005, S. 304; Britta Schellenberg, Ist Hitlers „Mein Kampf “ für junge Neonazis attraktiv? Die Entwicklung des deutschen Neonazismus im Schatten staatlicher Repression, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 11 (2012), S. 915– 927. 32 Vgl. Minkenberg, S. 304.
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In der Bundesrepublik ist die Sicherheit des politischen Systems aber vor allem deshalb zentral, weil es sich um eine demokratische, freiheitliche Ordnung handelt.33 Das Ziel ist stets die Stabilität der freiheitsorientierten Gesellschaft. Repression ist somit ein zentraler Teil auch demokratischer staatlicher Macht. Und da sie im Fall des Rechtsradikalismus parallel der Sicherheit als auch der Freiheit dient, kann Repression ebenso freiheitlichen Zielen dienen wie bildungspolitische Maßnahmen oder das liberale Gewährenlassen. Sie ist nicht per se negativ und illegitim, sondern eine vom Gesetzgeber vorgegebene Möglichkeit zum Schutz des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates. Als Grundlage des Zusammenlebens gelten in der Bundesrepublik das Grundgesetz und die darin beschriebene freiheitlich-demokratische Grundordnung.34 Freiheit wurde dabei als Leitwert im Rahmen der Grundrechte an erster Stelle erwähnt. Dennoch stellt das Grundgesetz einen Kompromiss zwischen den individuellen Freiheitsrechten und dem Sicherheitsinteresse der Gesamtheit aller Bürger dar.35 Vor allem der Schutz der gesellschaftlichen Ordnung legitimiert die Beschränkung der (individuellen) Freiheit.36 Doch die Grenze, ab der ein Eingriff in die Freiheit eines Menschen zu schwer wiegt, um noch von Freiheitlichkeit als grundlegender Systemeigenschaft sprechen zu können, blieb stets umstritten.37 Die Unmöglichkeit einer parallelen Existenz maximaler Freiheit des Individuums bei einem gleichzeitigen Maximum an Sicherheit für alle wird in der Forschung als das „demokratische Dilemma“ bezeichnet38 und führt in allen Politik- und Gesellschaftsbereichen zu permanenter Diskussion über die weitere Entwicklung 33 Vgl. Claus Leggewie / Horst Meier, Republikschutz. Maßstäbe für die Verteidigung der Demokratie, Reinbek bei Hamburg 1995, S. 155. 34 Vgl. Art. 10 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, Art. 18, Art. 21 Abs. 2, Art. 87a Abs. 4, Art. 73 und Art. 91 Abs. 1 des Grundgesetzes. 35 Vgl. Markus Thiel, Zur Einführung. Die „wehrhafte Demokratie“ als verfassungsrechtliche Grundentscheidung, in: Ders. (Hg.), Wehrhafte Demokratie. Beiträge über die Regelungen zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, Tübingen 2003, S. 1–24, hier S. 22. 36 Zwar endet die Freiheit auch, wenn sie die Freiheit eines Anderen beschränkt, aber dies geschieht zur Befriedigung der Gesellschaft und damit letztlich auch zum Schutz der politischen Ordnung. Vgl. Reiner Tillmanns, Wehrhaftigkeit durch Werthaftigkeit. Der ethische Grundkonsens als Existenzvoraussetzung des freiheitlichen Staates, in: Markus Thiel (Hg.), Wehrhafte Demokratie. Beiträge über die Regelungen zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, Tübingen 2003, S. 25–56, hier S. 30; Boventer, S. 16. 37 Vgl. zur Debatte Christoph Gusy, Freiwilliger Verzicht auf Bürgerrechte, in: Hans-Jürgen Lange u.a. (Hg.), Auf der Suche nach neuer Sicherheit. Fakten, Theorien und Folgen, Wiesbaden 2009, S. 321–329, hier S. 327; Kötter, S. 12; Glaeßner, Sicherheit, S. 175. 38 Vgl. mit Bezug zu dieser Studie vor allem Hans-Gerd Jaschke, Streitbare Demokratie und innere Sicherheit. Grundlagen, Praxis und Kritik, Opladen 1991, S. 23; Christoph Weckenbrock, Die streitbare Demokratie auf dem Prüfstand. Die neue NPD als He rausforderung, Bonn 2009, S. 69; Boventer, S. 17f, 240, 260.
16 1. Einleitung einer Gemeinschaft und den Umgang mit (potenziellen) Gefahren. Dabei kann es nur temporär gültige Grenzziehungen geben, da diese sich aufgrund der politischen Umstände und unter Berücksichtigung der historischen Situation in einer Gesellschaft in stetiger Aushandlung befinden.39 Die Geschichte der Bundesrepublik kann dabei als ein Wechselspiel der Fokussierung auf Sicherheit oder Freiheit gedeutet werden.40 Je nach politischer Lage schlug das Pendel eher in Richtung Freiheit oder Sicherheit aus. Deutlich offenbart dies die Entwicklung weg vom Legalitäts- und hin zum Opportunitätsprinzip.41 Des Weiteren können verschiedene Akteure in der gleichen Frage parallel unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Auch kann ein einzelner Akteur in einem Fall stark sicherheitsorientiert argumentieren, während dessen Aussagen in Zusammenhang mit einer anderen Thematik gleichzeitig liberale Konturen aufweisen. Einerseits ist die Bundesrepublik aufgrund der historischen Erfahrungen bewusst als freiheitlicher Staat konzipiert worden. Andererseits wurde sie nach Conze „bestimmt von der Suche nach Sicherheit“.42 Ziel dieser Studie ist es zu verstehen, wie dieses Spannungsverhältnis im Umgang mit dem Rechtsradikalis39 Vgl. Anselm Doering-Manteuffel, Freiheitliche demokratische Grundordnung und Gewaltdiskurs. Überlegungen zur „streitbaren Demokratie“ in der politischen Kultur der Bundesrepublik, in: Frank Becker u.a. (Hg.), Politische Gewalt in der Moderne, Münster 2003, S. 269–284, hier S. 274; Ralf Dreier, Verfassung und „streitbare Demokratie“, in: Claus Leggewie (Hg.), Verbot der NPD oder Mit Rechtsradikalen leben? Die Positionen, Frankfurt am Main 2002, S. 81–88, hier S. 83; Tillmanns, S. 39. 40 Dabei kam es in der Bundesrepublik zu keinem Zeitpunkt zur völligen Aufgabe einer der beiden Grundwerte. So widerlegt Hans Braun die These, dass insbesondere die fünfziger Jahre in der Bundesrepublik ein Jahrzehnt des Sicherheitsstrebens waren. Sicherheit ist immer ein grundlegendes Bedürfnis, allerdings variiert die Art und Weise der Kommunikation darüber und erweckt den Eindruck unterschiedlicher Relevanzen. Vgl. Hans Braun, Das Streben nach Sicherheit in den Fünfzigern. Soziale und politische Ursachen und Erscheinungsformen, in: Archiv für Sozialgeschichte 18 (1978), S. 279–306, S. 279. Siehe auch Conze, Suche, S. 17; Glaeßner, Sicherheit, S. 15; Philippe Merz, Das Bedürfnis nach Sicherheit und die Aufgabe einer Sicherheitsethik, in: Gisela Riescher (Hg.), Sicherheit und Freiheit statt Terror und Angst. Perspektiven einer demokratischen Sicherheit, Baden-Baden 2010, S. 273–294, hier S. 276; Strasser, S. 17. 41 Hier geht es um die Frage, ob ein Antrag auf Verbot einer Partei zwangsläufig gestellt werden muss, wenn der Verdacht auf Verfassungswidrigkeit besteht oder ob Raum für politische Erwägungen bleibt. Nachdem zunächst die Ansicht vorherrschte, dass eine Verbotspflicht bestünde, hat sich heute das Opportunitätsprinzip durchgesetzt. Allerdings hängt in dem Moment, in dem ein politischer Ermessensraum entsteht, die Entscheidung auch von der tagespolitischen Relevanz und vom sogenannten „Zeitgeist“ ab. Vgl. zur Thematik Ralf Altenhof, Die Entwicklung der streitbaren Demokratie. Über die Krise einer Konzeption, in: Eckhard Jesse / Konrad Löw (Hg.), 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1999, S. 165–180, hier S. 168f.; Horst Meier, Parteiverbote und demokratische Republik. Zur Interpretation und Kritik von Art. 21 Abs. 2 des Grundgesetzes, Baden-Baden 1993, S. 225; Weckenbrock, S. 73–77. 42 Conze, Suche, S. 14.
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mus zum jeweiligen Zeitpunkt bewertet und ob es überhaupt als ein potenzielles Problem begriffen wurde. Die Untersuchung zielt insofern auf die jeweilige Sicherheitskultur43 sowie auf den vorhandenen Deutungsrahmen, der die Debatte prägte. Beide sind maßgeblich abhängig von der politischen Kultur einer Gesellschaft. Diese stiftet jene, den jeweiligen Akteuren gemeinsam gegebene Wirklichkeitswahrnehmungen und Sinnbezüge, die zur Interpretation politischer Phänomene und zur Debattenführung in der Öffentlichkeit unerlässlich sind und bildet den spezifischen Hintergrund für den Umgang mit dem Rechtsradikalismus.44 Die politische Kultur kann einem steten Wandel unterworfen sein und aktuelle Erfahrungen inkorporieren. Sie ist pluralistisch zu verstehen, da Wirklichkeitsdeutungen und Politikerfahrungen innerhalb einer Gesellschaft in Konkurrenz zueinander stehen können.45 Zudem können formal ähnliche Gesellschaften, weil politische Kultur den Raum des Sag- und Machbaren definiert, unterschiedliche Lösungsstrategien entwickeln.46 Deswegen ist auch eine Positionierung im Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit nicht nur stets dynamisch und themenspezifisch, sondern beruht zudem auf den jeweiligen Erfahrungen und Wahrnehmungen. Prägend für den westdeutschen Umgang mit dem Rechtsradikalismus sind bis heute in erster Linie das Ende der Weimarer Republik, die NS-Verbrechen sowie der Ost-West-Konflikt – hier sind speziell die Systemkonkurrenz von Bundesrepublik und DDR und der darauf aufbauende Antikommunismus hervorzuheben. Entschied sich im Vergleich zur Weimarer Vergangenheit die Legitimität der
43 Zum Terminus „Sicherheitskultur“ siehe Conze, Geschichte, S. 71–81. 44 Unter der „politischen Kultur“ versteht Karl Rohe die „für eine soziale Gruppe maßgebenden Grundannahmen über die politische Welt und damit verknüpfte operative Ideen […] soweit sie sich mental und/oder habituell auskristallisiert haben. Politische Kultur manifestiert sich mithin einerseits als ‚Weltbild‘ […], das das politische Denken strukturiert, andererseits als ‚ungeschriebene Verfassung‘, die das öffentliche Reden und Handeln der Gruppenmitglieder konditioniert.“ Vgl. Karl Rohe, Politische Kultur. Zum Verständnis eines theoretischen Konzepts, in: Oskar Niedermayer / Klaus v. Beyme (Hg.), Politische Kultur in Ost- und Westdeutschland, Berlin 1994, S. 1–21, hier S. 1. Siehe auch Christoph Butterwegge, Ambivalenzen der politischen Kultur, intermediäre Institutionen und Rechtsextremismus, in: Wilfried Schubarth / Richard Stöss (Hg.), Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz, Opladen 2001, S. 292–313, hier S. 292; Reichel, Kultur, S. 26; Gunnar Folke Schuppert, Politische Kultur, Baden-Baden 2008, S. 3f. 45 Vgl. Edgar Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948–1990, Darmstadt 1999, S. 268. 46 Vgl. Andreas Dörner, Politische Kulturforschung, in: Herfried Münkler (Hg.), Politikwissenschaft. Ein Grundkurs, Reinbek bei Hamburg 2003, S. 587–622, hier S. 593. Vgl. auch Benno Hafeneger, Im Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit. Umgang mit Rechtsextremismus, in: Sozial Extra 36 (2012), S. 11–14.
18 1. Einleitung bundesrepublikanischen Demokratie“,47 war der Nationalsozialismus zu jedem Zeitpunkt die negative Bezugsgröße der politischen Kultur der Bundesrepublik schlechthin.48 Die allumfassende, bis in die privatesten Winkel reichende Herrschaft, die Abschaffung der Unabhängigkeit der Justiz, die systematische Entrechtung der Bevölkerung und die einmalige Dimension des Völkermordes haben in der politischen Kultur der Bundesrepublik tiefe Spuren hinterlassen. Es ist dieser historische Bezug, der die deutsche Situation von den Reaktionen auf rechtsradikale Gruppen in anderen europäischen Staaten unterscheidet. Nach Jaschke ist der Umgang mit dem Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik schließlich „immer auch eine Positionsbestimmung gegenüber der NS-Zeit und ihren Nachwirkungen“.49 War es die Konsequenz aus „Weimar“, dass der Staat gegen seine Feinde gesichert werden musste, so war es die Folge der nationalsozialistischen Herrschaft, dass freiheitliche Regelungen zum Schutz der Menschenrechte prominent im Grundgesetz verankert wurden. Doch obwohl die junge Bundesrepublik von einer Gegenverfassung und eindeutigen Gegnern des „Dritten Reiches“ geprägt war, verließen sich diese auf eine stark belastete Beamtenschaft und Justiz.50 Einen „antifaschistischen“ Konsens hat es, wenn überhaupt, nur in der unmittelbaren Zeit nach Kriegsende gegeben.51 Schnell wurde das Narrativ 47 Hier liegt die Ursache für den „Weimar-Komplex“ der Bundesrepublik. Dies zeigt sich sowohl in der Staatsschutzkonzeption des Grundgesetzes, als auch in der ständigen Präsenz von „Weimar“ als skizzierte Kontrastfolie in vielen Debatten. Spätestens seit Mitte der fünfziger Jahre war aber unübersehbar, dass „Bonn nicht Weimar“ sei und entsprechende Vergleiche dienten seither mehr „der rhetorischen Zuspitzung und der Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit, als dass sie reale Entwicklungsoptionen der Bundesrepublik beschrieben.“ Vgl. Sebastian Ullrich, Der Weimar-Komplex. Das Scheitern der ersten deutschen Demokratie und die politische Kultur der frühen Bundesrepublik 1945–1959, Göttingen 2009, S. 13–22. Siehe auch Schildt / Siegfried, S. 124. 48 Vgl. Peter Reichel, Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur von 1945 bis heute, München 2001, S. 127. 49 Jaschke, Republikaner, S. 137. 50 Norbert Frei hat für diesen Prozess „der Amnestierung und Integration der vormaligen Anhänger des ‚Dritten Reiches‘ und der normativen Abgrenzung vom Nationalsozialismus“ den Terminus der Vergangenheitspolitik etabliert. Vgl. Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 1999, S. 397. 51 Spätestens mit der Verdrängung der sogenannten „45er“ durch Teile der alten Eliten wurde der Widerstand gegen den Nationalsozialismus als Gründungsnarrativ der Bundesrepublik unmöglich gemacht. Der Begriff des Antifaschismus wurde zunehmend marginalisiert, abgelehnt und mehr und mehr diskursiv umgeformt – dies auch in dem Maße, wie die DDR diesen instrumentalisierte. Vgl. Thomas Doerry, Antifaschismus in der Bundesrepublik. Vom antifaschistischen Konsens 1945 bis zur Gegenwart, Frankfurt am Main 1980, S. 11. Siehe zur Frage des antifaschistischen Grundkonsenses außerdem Conze, Suche, S. 33; Dudek / Jaschke, S. 34. Andere lehnen die Existenz eines solchen Konsenses gänzlich ab. Vgl. diesbezüglich Antonia Grunenberg, Anti-
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des antitotalitären Grundkonsenses wirkungsmächtig.52 Es eignete sich hervorragend als ideologisches Bollwerk gegen den Faschismusvorwurf aus der DDR und wurde als Gegenpol zentral für das Selbstverständnis der Bundesrepublik als freiheitlicher Staat. Doch die Auseinandersetzung mit „dem Osten“ relativierte schnell auch die Bedeutung des bundesrepublikanischen Rechtsradikalismus.53 Dieser wurde spätestens nach der Bundestagswahl 1953 und dem Scheitern des parteipolitischen Rechtsradikalismus in erster Linie zu einem Imageproblem. Eine größere Bedrohung für die Stabilität des Staates oder den Prozess der Demokratisierung stellte er nicht mehr dar. Die „wehrhafte Demokratie“ Nach Johannes Lameyer stellt „[n]ahezu die ganze Verfassung […] ein Geflecht von Sicherungen zur Verhinderung ihrer Überwältigung dar.“54 Ziel dieser „wehrhaften Demokratie“55 ist es zu verhindern, dass die gesellschaftliche Ordnung faschismus. Ein deutscher Mythos, Reinbek bei Hamburg 1993, S. 166; Richard Stöss, Die extreme Rechte in der Bundesrepublik. Entwicklung, Ursachen, Gegenmaßnahmen, Opladen 1989, S. 245. 52 Der Antitotalitarismus entwickelte sich im Rahmen der Vergangenheitspolitik zu einer Entlastungs- und Integrationsideologie. Diese wurde zu einer der prägendsten Geschichtskonstruktion der frühen Bundesrepublik und erwies sich bereits in den Debatten des Parlamentarischen Rates als geeignete Basis für den Brückenschlag zwischen bürgerlichem und sozialdemokratischem Lager. Vgl. Doerry, S. 16; Ullrich, S. 365; Wolfrum, Geschichtspolitik, S. 195. 53 Vgl. zu diesem Vorwurf Röpke / Speit, S. 207; Conrad Taler, Die Verharmloser. Über den Umgang mit dem Rechtsradikalismus, Bremen 1996, S. 10f.; Stöss, Rechte, S. 94. 54 Johannes Lameyer, Streitbare Demokratie. Eine verfassungshermeneutische Untersuchung, Berlin 1978, S. 20. 55 Der Terminus findet sich nicht im Grundgesetz, sondern wurde erst nachträglich durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Grundentscheidung der Verfassung angesehen. Der alternative Begriff „streitbare Demokratie“ hat sich in der Rechtsprechung etabliert und wird in der historischen Forschung weitestgehend synonym verwendet. Der Begriff der „Wehrhaftigkeit“ ist dabei vorzuziehen, da dieser dem Anspruch eines möglichst defensiven Charakters von Staatsschutz am nächsten kommt. Nach Markus Thiel bedeutet „wehrhafte Demokratie“: „Die Gegner der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sollen nicht mit allen sogar den von der Verfassung selbst zur Verfügung gestellten Mitteln auf eine Beseitigung dieser Ordnung hinwirken dürfen, sondern sehen sich bei Überschreiten bestimmter Grenzen staatlichen Schutzmechanismen und Abwehrmaßnahmen ausgesetzt.“ Vgl. Thiel, Einführung, S. 1. Für weitere Literatur zur Thematik siehe Lars Flemming, Das NPD-Verbotsverfahren. Vom „Aufstand der Anständigen“ zum „Aufstand der Unfähigen“, Baden-Baden 2005; Jaschke, Demokratie; Leggewie, Verbot; Ders. / Meier, Repu blikschutz; Robert Christian van Ooyen, Öffentliche Sicherheit und Freiheit. Politikwissenschaftliche Studien zu Staat, Polizei und wehrhafter Demokratie, Baden-Baden 2007; Weckenbrock, Demokratie. Spezieller sind die Bände Harry H. Kalinowsky, Kampfplatz Justiz. Politische Justiz und Rechtsextremismus in der Bundesrepublik
20 1. Einleitung von innen heraus gefährdet werden kann. Daher ist die „wehrhafte Demokratie“ als ein Produkt des fehlenden Vertrauens in den Demokratisierungsprozess der politischen Kultur in der Bundesrepublik zu verstehen.56 Sie fungiert quasi als Versicherung der Freiheit. Daneben ist die „wehrhafte Demokratie“ in ihrer Systematik eine (west-)deutsche Besonderheit,57 die bereits vor der Staatsgründung umstritten war und es bis heute ist. Ihre Instrumente sind dem Gehalt nach repressiv, da sie politische Freiheiten einschränken. Da sie letztendlich aber zum Schutz der Demokratie beziehungsweise allgemeiner „der Freiheit“ eingesetzt werden, kann ihre Anwendung durchaus legitim und insofern auch demokratisch sein, sofern die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Dennoch wurden oftmals politische Restriktionen durchgesetzt, „die mit dem rechtsstaatlichen und demokratischen Selbstanspruch der Bundesrepublik nicht vereinbar waren“.58 Markus Thiel ist daher darin zuzustimmen, dass der Grat, auf dem das Grundgesetz manövriert, ein schmaler ist.59 Ein entscheidender Kritikpunkt, den eine Untersuchung des Umgangs mit Rechtsradikalismus nicht vernachlässigen kann, ist die auch heute noch oftmals automatische Verknüpfung des Rechtsradikalismus mit dem Linksradikalismus. Das Konzept der „wehrhaften Demokratie“ ist als Reaktion auf den Nationalsozialismus und den Ost-West-Konflikt konzeptionell darauf ausgelegt, nicht zu differenzieren.60 Dominik Rigoll kritisiert in seiner Arbeit zum Staatsschutz in Westdeutschland vor allem die Praxis der „wehrhaften Demokratie“. Er geht daDeutschland 1949–1990, Pfaffenweiler 1993; Michael Goldbach, Mit juristischen Waffen gegen Rechts. Zur Wirksamkeit von Partei- und Versammlungsverboten, Hofgeismar 2003; Dominik Rigoll, Staatsschutz in Westdeutschland. Von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr, Göttingen 2013. 56 Vgl. Jaschke, Demokratie, S. 62f.; Glaeßner, Politik, S. 96; Hidalgo, Freiheit, S. 280. 57 Zwar finden sich auch in anderen westlichen Demokratien entsprechende Ansätze, aber eine derartige verfassungsrechtliche Verankerung ist spezifisch (west-)deutsch. Gleiches gilt für die Vorverlagerung der Grenzziehung. Vgl. Boventer, S. 236–240. Vgl. auch Isabelle Canu, Der Schutz der Demokratie in Deutschland und Frankreich. Ein Vergleich des Umgangs mit politischem Extremismus vor dem Hintergrund der europäischen Integration, Opladen 1997, S. 188, 260. 58 Vgl. Rupert von Plottnitz, Politischer Protest, Terrorismus und der Staat. Vom Umgang der Bundesrepublik Deutschland mit Andersdenkenden, in: Franz-Josef Hutter, Die Menschenrechte in Deutschland. Geschichte und Gegenwart, München 1997, S. 270– 285, hier S. 273. Siehe auch Doering-Manteuffel, Grundordnung, S. 277f.; Glaeßner, Politik, S. 44, 101; Horst Meier, „Ob eine konkrete Gefahr besteht, ist belanglos“. Kritik der Verbotsanträge gegen die NPD, in: Leggewie, Verbot 2002, S. 14–30, hier S. 19; Rigoll, Staatsschutz, S. 465. 59 Thiel, Einführung, S. 3. 60 Eine hiervon abweichende Sicht, die das Konzept der „wehrhaften Demokratie“ in erster Linie als „antifaschistisch“ motiviert sieht, hat in der Praxis keinerlei Relevanz erlangt. Vgl. den Hinweis bei Eckhard Jesse, Streitbare Demokratie. Theorie, Praxis und Herausforderungen in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1981, S. 24.
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von aus, dass das Konzept zwar demokratisch erdacht und konzipiert worden sei, es aber die Belasteten und Mitläufer der NS-Herrschaft gewesen seien, die die konkrete Ausgestaltung geprägt hätten.61 Die Bundesrepublik „ist von denen geprägt worden, die nicht gegen Hitler gekämpft haben“, betonte auch der Publizist Walter Boehlich.62 Links- und Rechtsradikale sind, vor allem wenn sie gewaltfrei agieren, nicht gleichermaßen gefährlich für Gesellschaft und Demokratie und müssen nicht zwangsläufig parallel bekämpft werden.63 Auf der anderen Seite wurde rechter Terrorismus mit wenigen Ausnahmen stets schnell zu „vergessene[m] Terrorismus“64, der im kollektiven Gedächtnis weit weniger verankert ist als die Taten der Roten Armee Fraktion (RAF). Kritisiert wurde ebenfalls, dass die Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ oft vorschnell ins Spiel gebracht wurden. Allein die Drohung kann sich auf die politischen Aktivitäten auswirken. Eine derartige Stigmatisierung kann wahlentscheidend sein und ist somit schon ein bedeutsamer Eingriff in die politische Landschaft. Auch führt der vorschnelle Rückgriff auf sicherheitspolitische Instrumente dazu, dass mögliche Alternativen zu wenig diskutiert werden beziehungsweise dass leicht von unbequemen Wahrheiten, wie den stets vorhandenen rechtsradikalen Einstellungen in der Bundesrepublik, durch Symbolpolitik abgelenkt werden kann. Einzelne Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ wurden bereits angesprochen. Letztlich umfasst diese alle juristischen und administrativen Staatsschutz-Mechanismen der Bundesrepublik65 und ist hierzulande der Versuch, das 61 Diese hatten laut Rigoll „nicht nur ein ideologisches und strategisches, sondern auch ein materielles Interesse daran, mundtot zu machen, wer ihre Eignung als Richter, Staatsschützer oder hoher Beamter mit dem Verweis auf ihr Berufsverbot im Jahr 1945 infrage stellte. Dies war wohl auch der Hauptgrund dafür, dass der westdeutsche Antikommunismus um so viel massiver war als in Ländern, in denen das öffentliche Interesse am Schutz vor kommunistischer Propaganda lediglich militärisch-strategischer und ideologischer Natur war.“ Vgl. Rigoll, S. 465, siehe auch S. 26f. 62 Zit.n. Hermann Vinke, Mit zweierlei Mass. Die deutsche Reaktion auf den Terror von rechts. Eine Dokumentation, Reinbek bei Hamburg 1981, S. 69f. 63 Radikal linke Politik beruht auf einem genauso antikapitalistischen wie egalitären Gesellschaftsverständnis. Kritisiert werden in erster Linie die sozio-ökonomischen Umstände und eine nicht ausreichende Demokratisierung. Eine antikapitalistische Grundorientierung ist nicht per se antidemokratisch. Demgegenüber sind die Ungleichheit von Menschen, der Antiindividualismus sowie der Gewaltfetisch schon in der rechtsradikalen Ideologie angelegt. Hier ist Gewalt eine „logische und erstrebte Konsequenz des Weltbildes“, die „in der Linken nur von einer kleinen Minderheit vertreten bzw. billigend in Kauf genommen [wird]“. Vgl. Salzborn, S. 16. Siehe zu Unterschieden auch Stöss, Rechtsextremismus 2000, S. 20f.; Sundermeyer, S. 22; Conrad Taler, Skandal ohne Ende. Deutscher Umgang mit dem Rechtsextremismus, Köln 2012, S. 11. 64 Patrick Gensing, Der vergessene Terrorismus, in: tagesschau.de, eingesehen am 4. November. 2012. So auch Gräfe, S. 81. 65 Inhaltlich ausgefüllt wird sie durch ein Gemisch verschiedenster gesetzlicher Regelungen auf verfassungsrechtlicher Ebene, ergänzt durch zahlreiche Bestimmungen im
22 1. Einleitung demokratische Dilemma rechtsstaatlich durch positives Recht zu lösen. Ihr wohl stärkstes Instrument ist das sogenannte Parteiverbotsverfahren.66 Parteien nehmen im Rahmen der Vereinigungsfreiheit eine besondere Stellung ein, da ihnen in Artikel 21 des Grundgesetzes eine tragende Rolle in der politischen Willensbildung zugestanden wird. Der zweite Absatz dieses Artikels besagt jedoch, dass „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger da rauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden […] verfassungswidrig“ sind. Über diese Einordnung urteilt das Bundesverfassungsgericht. Entscheidend ist im Verfahren weniger, welche Überzeugungen eine Partei vertritt, sondern ob sie aktiv dafür eintritt, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen beziehungsweise den Bestand des Staates zu gefährden. Nach jüngster Rechtsprechung muss sie darüber hinaus zudem in der Lage sein, dies auch auszuführen.67 Die Möglichkeit eines Parteiverbots ist bis heute umstritten.68 Es wird immer wieder befürchtet, dass antragsberechtigte Organe ihre Kompetenzen missbrauchen können und den Art. 21 Abs. 2 GG in der tagespolitischen Auseinandersetzung als Drohgebärde einsetzen, ohne dass ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht überhaupt angestrebt wird.69 Sogar Thiel, ein Befürworter einfachen Recht (z. B. §§ 80–91 und 130 StGB) oder die Verfassungsschutzregelungen in Bund und Ländern. 66 Für detaillierte Informationen siehe Alexander Hanebeck, Wirkungen eines Parteiverbots. Zur Debatte um Sinn und Unsinn eines Verbotsantrages gegen die NPD, in: Michael Goldbach, Mit juristischen Waffen gegen Rechts. Zur Wirksamkeit von Parteiund Versammlungsverboten, Hofgeismar 2003, S. 25–43; Markus Thiel, Das Verbot verfassungswidriger Parteien (Art. 21. Abs. 2 GG), in: Ders. (Hg.), Wehrhafte Demokratie. Beiträge über die Regelungen zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, Tübingen 2003, S. 173–208. 67 Die aktive Betätigung reicht als Begründung allein nicht mehr aus. In dem Urteil des BVerfG zur NPD heißt es: „Die NPD bekennt sich zwar zu ihren gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Zielen und arbeitet planvoll auf deren Erreichung hin, so dass sich ihr Handeln als qualifizierte Vorbereitung der von ihr angestrebten Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellt. Es fehlt jedoch an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die eine Durchsetzung der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele möglich erscheinen lassen.“ Vgl. BVerfG 2 BvB 1/13 vom 17.1.2017. 68 Nachdenklich stimmt hier vor allem der Befund von Michael Henkel und Oliver Lembke: „Entweder sei ein Parteiverbot unnötig, weil die Partei keine Gefährdung für die freiheitlich demokratische Grundordnung darstelle, oder es sei ineffektiv, weil die verfassungswidrige Partei mittlerweile über so viel Zustimmung in der Gesellschaft verfügt, dass durch ein entsprechendes Verbot die eigentliche Gefahr nicht mehr aus der Welt geschaffen werden [könne].“ Zit.n. Weckenbrock, S. 71f. 69 Vgl. zur Argumentation Jaschke, Demokratie, S. 24; Leggewie / Meier, Republikschutz, S. 60; Meier, Gefahr, S. 15f.; Martin Morlok, Schutz der Verfassung durch Parteiverbot?, in: Leggewie, Verbot 2002, S. 64–80, S. 66.
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der „wehrhaften Demokratie“, erkennt eine Spannung zwischen den Regeln zum Verbot einer Partei und dem Anspruch der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.70 Seit der Gründung der Bundesrepublik ist daher immer wieder die Streichung verlangt worden.71 Oft wird davon ausgegangen, dass ein Parteiverbot einen sinnvollen Schutzmechanismus der Gründungsjahre darstellte, aufgrund der erfolgreichen Demokratisierung nun aber nicht mehr zeitgemäß sei.72 Letztlich können die geringe Zahl der Anträge und die lediglich in zwei Fällen ausgesprochenen Verbote als Bestätigung einer stabilisierten, erfolgreichen Demokratisierung gedeutet werden.73 Die regelmäßig auftauchenden Verbotsdebatten und -forderungen weisen aber in die entgegengesetzte Richtung und auch die gesellschaftliche Zustimmung zum Parteiverbot ist nach wie vor relativ hoch.74 Ein weiteres Instrument der „wehrhaften Demokratie“ ist das Vereinsverbotsverfahren. Vereine unterliegen nicht dem gleichen (besonderen) grundrechtlichen Schutz wie Parteien und können daher direkt vom zuständigen Innenministerium verboten werden, wenn „deren Zwecke oder deren Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten“.75 Vereinsverbote wurden wesentlich häufiger verfügt als Anträge auf Verbot einer Partei, aber hier ist ebenfalls ein Rückgang bis 1990 unverkennbar.76 Auch sie sind nicht völlig un70 Vgl. Thiel, Verbot, S. 207. So auch Stöss, Rechte 1989, S. 251. 71 Zum Beispiel bei Claus Leggewie / Horst Meier, Das NPD-Verbot in der Diskussion, in: Leggewie, Verbot 2002, S. 9–13, S. 10. Vgl. auch folgende Beiträge aus dem gleichen Band: Meier, Gefahr, S. 15f.; Morlok, Schutz, S. 64. 72 Thiel, Verbot, S. 186. 73 Ein Verbotsverfahren wurde bisher sechs Mal angestrebt. Ein Verbot wurde lediglich gegen die Sozialistische Reichspartei (SRP) 1952 und gegen die Kommunistische Partei Deutschlands 1956 ausgesprochen. 1993 wurden der Antrag der Freien und Hansestadt Hamburg in Bezug auf die Nationale Liste und auf Antrag der Bundesregierung und des Bundesrates in Bezug auf die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei abgelehnt, da es sich nicht um Parteien handele. Diese Organisationen wurden aufgrund fehlendem Parteienstatus in der Folge vom zuständigen Innenministerium verboten. Vgl. zur Thematik van Ooyen, S. 87–92. Ein Antrag zum Verbot der NPD erfolgte mehrfach. Zunächst wurde dieser während des ersten Verfahrens 2001 bis 2003 wegen der sogenannten „V-Mann-Problematik“ abgelehnt. Für Details siehe Christoph Seils, Ratlosigkeit. Aktionismus und symbolische Politik. Die Geschichte der NPD-Verbotsdebatte, in: Heinz Lynen von Berg (Hg.), NPD – Herausforderung für die Demokratie?, Berlin 2002, S. 63–102. Jüngst hat das Bundesverfassungsgericht den Antrag des Bundesrates wegen fehlender Relevanz der Partei abgelehnt, obwohl die Verfassungswidrigkeit nachgewiesen wurde. Vgl. BVerfG 2 BvB 1/13 vom 17.1.2017. 74 Vgl. Thiel, Verbot, S. 207. 75 Art. 9 Abs. 2 GG. Für detaillierte Informationen siehe Julia Gerlach, Die Vereinsverbotspraxis der streitbaren Demokratie. Verbieten oder Nicht-Verbieten?, Baden-Baden 2012. 76 Gerlach konnte für die „alte Bundesrepublik“ zwei Phasen der Vereinsverbotspraxis bestimmen. In der ersten Phase von 1949 bis zum Inkrafttreten des Vereinsgesetzes
24 1. Einleitung umstritten, aber die Debatte reicht nur selten an die Grundfeste der „wehrhaften Demokratie“ heran.77 Alle anderen Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ tauchen in den untersuchten Debattenbeiträgen über den Umgang mit dem Rechtsradikalismus höchstens vereinzelt auf. Zu diesen zählen die Bestimmungen zur Verfassungstreue des Öffentlichen Dienstes sowie ein Verbot politischer Aktivitäten nach Art. 139 GG, nach dem die „zur Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus erlassenen Rechtsvorschriften […] von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt“ werden.78 Um einzelne Personen, deren politisches Wirken auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zielt, an der Teilnahme am politischen Prozess und der Verbreitung von Aussagen zu hindern, kann die Verwirkung von Grundrechten nach Art. 18 GG beim Bundesverfassungsgericht angestrebt werden. Die „persönlichen“ Grundrechte bleiben bestehen: Das Ziel ist nicht die „Entbürgerlichung, sondern […] die ‚Entpolitisierung‘ des Grundrechtsinhabers“.79 In der Praxis wurde die Verwirkung von Grundrechten selten angestrebt und in keinem Fall wirksam ausgesprochen.80 Teilweise werden mittlerweile glei1964 ergingen Verbote „sprichwörtlich am laufenden Band“, wobei die fünfziger Jahre als Schwerpunkt auszumachen sind. In der zweiten Phase von 1964 bis 1990 kam es dann zu einem Rückgang. Einer kleinen Verbotswelle speziell gegen rechtsradikale Vereine am Ende der sechziger Jahre folgte ein Jahrzehnt ohne ein einziges Verbot. Diese werden erst wieder vereinzelt in den achtziger Jahren, mit einem kleinen Höhepunkt zwischen 1982 und 1984, ausgesprochen. Vgl. Gerlach, S. 130–140. 77 Da dies ein durchaus taugliches Mittel sein kann, um Jugendliche vom Abgleiten in rechtsradikale Strukturen abzuhalten, und es deren Aktivitäten teilweise wirksam einschränken kann, sind auch grundsätzlich skeptische Akteure von diesem Instrument eher zu überzeugen. Seit Rechtsradikale sich vermehrt in freien Kameradschaften oder anderen informellen Strukturen sammeln, ist dieses Mittel allerdings weniger erfolgversprechend und die Nachhaltigkeit eines Verbots sowie die Frage nach radikalisierender Wirkung umstritten. Gideon Botsch kritisiert zudem, dass die Aktionismuswellen primär eine Reaktion auf die gestiegene Aufmerksamkeit der in- und ausländischen Öffentlichkeit, also letztlich nichts anderes als eine Beruhigungsoffensive seien. Vgl. Botsch, S. 29. 78 Dessen Gültigkeit ist allerdings nach dem Aufheben der Entnazifizierungsmaßnahmen in den Rechtswissenschaften stark umstritten. Vgl. Leggewie / Meier, Republikschutz, S. 282. 79 Für detaillierte Informationen siehe Markus Thiel, Die Verwirkung von Grundrechten gemäß Art. 18 GG, in: Ders. (Hg.), Wehrhafte Demokratie. Beiträge über die Regelungen zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, Tübingen 2003, S. 129–172, für das Zitat siehe S. 147f. 80 Anträge gab es 1952 gegen den damals stellvertretenden Vorsitzenden der Sozialistischen Reichspartei, Otto Ernst Remer, 1969 gegen die Druckschriften und Zeitungsverlag GmbH und deren alleinigen Gesellschafter Gerhard Frey sowie 1992 gegen Thomas Dienel, den Anführer der Deutsch-Nationalen-Partei, und Heinz Reisz, ein Mitglied der Nationalen Liste.
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chermaßen zivilgesellschaftliches Engagement im weitesten Sinne sowie die politische Auseinandersetzung im Sinne demokratischer Überzeugungsarbeit oder auch die politische Bildung unter den Begriff der „wehrhaften Demokratie“ subsumiert. Diese Zugehörigkeit musste sich aber erst langsam entwickeln.81 Auch wird heute verstärkt darauf hingewiesen, dass eine Zivilgesellschaft durchaus in der Lage ist, eine Gesellschaft zu schützen. Dies ist aber keinesfalls zwangsläufig und – gerade in Deutschland – historisch gesehen eher die Ausnahme.82 Zudem kann Zivilgesellschaft durchaus auch die gegenteilige Wirkung haben und selbst rechtsradikal sein – was die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (PEGIDA) jüngst bewiesen haben. Fragestellung und methodisches Vorgehen Während bisher fast ausschließlich der staatliche Umgang mit dem Rechtsradikalismus oder allgemeiner mit dem „Extremismus“ untersucht wurde, konzen triert sich diese Studie ganz explizit auf nicht-staatliche Perspektiven. Im Fokus stehen dabei unabhängige und verbandseigene Presseerzeugnisse, die sich an der öffentlichen Diskussion über den Umgang mit dem Rechtsradikalismus beteiligten. Unter „Öffentlichkeit“ wird in Anknüpfung an die Überlegungen von Jürgen Gerhards und Friedhelm Neidhardt ein Diskussionssystem ganz ähnlich einer Arena verstanden, in der sich Akteure präsentieren, ihre Meinungen ausführen und diese in der Auseinandersetzung mit politischen Parteien und anderen Interessengruppen verteidigen.83 Insofern ist Öffentlichkeit ein Kommunikationssystem zur Erzeugung der öffentlichen Meinungen und als „Zielfindungssystem für die Problemlagen einer Gesellschaft“ eine dauerhafte und bedeutsame Bezugsgröße politischen Handelns.84 Diskussionsprozesse in der Öffentlichkeit erfüllen 81 Eine präzise Definition dessen, was unter einer politischen Auseinandersetzung zu verstehen ist, hat sich dabei bisher noch nicht herausgebildet. Unstrittig ist, dass es sich um eine „Kampfsituation“ handelt, in der präventiv auf einen politischen Gegner mit Argumenten reagiert wird. Vgl. Christiane Hubo, Verfassungsschutz des Staates durch geistig-politische Auseinandersetzung. Ein Beitrag zum Handeln des Staates gegen Rechts, Göttingen 1998, S. 41–43, 246. 82 Vgl. zur Argumentation Franz Walter, Kritik der Zivilgesellschaft, in: FAZ, 16. April 2018, S. 6. 83 Gerhards und Neidhardt beschreiben ein: „[…] intermediäres System, dessen politische Funktion in der Aufnahme (Input) und Verarbeitung (Through-put) bestimmter Themen und Meinungen sowie in der Vermittlung der aus dieser Verarbeitung entstehenden öffentlichen Meinung (Output) einerseits an die Bürger, andererseits an das politische System besteht.“ Vgl. Jürgen Gerhards / Friedhelm Neidhardt, Strukturen und Funktionen moderner Öffentlichkeit. Fragestellungen und Ansätze, in: Stefan Müller-Doohm / Klaus Neumann-Braun (Hg.), Öffentlichkeit, Kultur, Massenkommunikation. Beiträge zur Medien- und Kommunikationssoziologie, Oldenburg 1991, S. 31–88, hier S. 34f. 84 Vgl. Jürgen Prott, Öffentlichkeit und Gewerkschaften. Theoretische Ansätze und empirische Erkenntnisse, Münster 2003, S. 66.
26 1. Einleitung dabei regelmäßig nicht die Bedingungen einer konsensorientierten Debattenkultur, da die unterschiedlichsten Akteure vor dem Hintergrund eigener Interessen und ungleicher Ressourcen öffentlich um die Wirklichkeitsinterpretation streiten und versuchen, ihre jeweiligen Deutungen und die bevorzugten Optionen im Umgang mit dem Rechtsradikalismus in der Öffentlichkeit zu präsentieren und durchzusetzen.85 Diese Studie untersucht dabei, wie diejenigen die Debatte begleitet haben, die nur begrenzt direkt auf den Rechtsradikalismus reagieren können. Sie dürfen sich zwar äußern und Forderungen nach einem konkreten Umgang platzieren, auch können sie gegen rechtsradikale Vorstellungen argumentieren und zu zivilgesellschaftlichen Protesten mobilisieren, aber sie können gerade nicht exekutiv handeln. Nur klassische Staatsgewalten können die gesetzlich fixierten Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ gegen den Rechtsradikalismus aktivieren und ausführen. Doch auch wenn das Engagement nicht-staatlicher Akteure wenig realitätsbildend blieb und ihre Aktivitäten ohne Frage Grenzen unterlagen, versuchten sie doch vielfach konkret Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse zu nehmen. Vereinfacht gesagt, „redeten“ sie primär über den Rechtsradikalismus, aber die Untersuchung wird zeigen, dass sie durchaus auch handelten. Sie nahmen nicht nur Einfluss auf das Meinungsklima und beteiligten sich am „framing“ der Debatte – beeinflussten also deren Deutungsrahmen86 –, sondern äußerten sich zudem explizit politisch und verfolgten eigene politische Agenden. Zwar haben Medien nicht unbedingt eine feste Strategie oder ein immerwährendes Ziel, welches sie mit ihrer Berichterstattung verfolgen; wohl aber können sie sich dafür entscheiden, gewisse Deutungen zu betonen oder wegzulassen beziehungsweise versuchen, bestimmte Reaktionsforderungen im Gespräch zu halten. Diese redaktionelle Linie einer Publikation kann die Folge von Zufällen sein. Normalerweise ist sie aber ein Resultat redaktioneller Beschlüsse oder herausgeberischer Anweisungen.87 Zudem wirkt sich der Deutungsrahmen der zu-
85 Vgl. Arnd Bauerkämper, Einleitung. Die Praxis der Zivilgesellschaft. Akteure und ihr Handeln in historisch-sozialwissenschaftlicher Perspektive, in: Ders. (Hg.), Die Praxis der Zivilgesellschaft. Akteure, Handeln und Strukturen im internationalen Vergleich, Frankfurt am Main 2003, S. 7–30, hier S. 11; Gerhards / Neidhardt, S. 76; Friedhelm Neidhardt, Einleitung. Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen, in: Ders. (Hg.), Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen, Opladen 1994, S. 7–41, hier S. 24f. 86 Vgl. Paolo R. Donati, Rahmenanalyse politischer Diskurse, in: Reiner Keller u.a. (Hg.), Handbuch sozialwissenschaftliche Diskursanalyse, Wiesbaden 22006, S. 145–175. 87 Vgl. z. B. Heiko Flottau, Liberal auf schwankendem Boden. Die „Frankfurter Rundschau“, in: Michael Wolf Thomas, Porträts der deutschen Presse. Politik und Profit, Berlin 1980, S. 97–108; Ludwig Maaßen, Die Zeitung. Daten, Deutungen, Porträts. Presse in der Bundesrepublik Deutschland, Heidelberg 1986, S. 74, für diese Studie siehe speziell S. 82–85 zur FAZ und S. 99 für die Frankfurter Rundschau.
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ständigen Redaktionsmitglieder aus, die anhand ihrer eigenen Erfahrungen und politischen Überzeugungen interpretieren, sortieren und schreiben. Zwar sind vor allem die Massenmedien bis heute zu „zentralen Trägern öffentlicher Meinungsbildung“88 geworden, entscheidend aber ist, dass alle Medien nicht einfach die Realität abbilden, sondern als die Wahrnehmung konstruierende Akteure verstanden werden müssen.89 Durch die Fähigkeit zum „Agenda-Setting“ können Medien zum Beispiel bestimmten Ereignissen oder Diskussionen erst zu gesellschaftlich relevanter Größe verhelfen. Auch politische Verbände nutzen ihre Publikationen genau in diesem Sinne. Gleiches gilt für die sogenannte Gate-Keeper-Funktion, durch die erheblicher Einfluss auf die Themenauswahl öffentlicher Diskussionsprozesse ausgeübt werden kann.90 Insofern erlauben alle Presseerzeugnisse einen hervorragenden Einblick in das Denken einer Zeit. Sie thematisieren, abhängig von der eigenen Interessenlage, ihrem jeweiligen Auftrag und Umfang relevante Diskussionsprozesse und grundlegende Fragen einer Epoche. Speziell Massenmedien wurden teilweise als die demokratisch nicht 88 Vgl. Wolfgang Rudzio, Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 82011, S. 438. 89 Bestimmte verzerrende Mechanismen wie der Hang zu Alarmismus, zu „Exotischem“, Negativismus, Personalisierung, Publikumsorientierung oder allgemein die Marktmechanismen schaffen bereits eine eigene Medienwirklichkeit. Vgl. Hermann Meyn, Massenmedien in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1994, S. 11. Siehe zur Argumentation auch Heinz Bonfadelli, Medieninhaltsforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen, Konstanz 2002, S. 51f.; Alexander Brand, Medien – Diskurs – Weltpolitik. Wie Massenmedien die internationale Politik beeinflussen, Bielefeld 2012, S. 42f., 265; Jürgen Gerhards u.a., Zwischen Palaver und Diskurs. Strukturen öffentlicher Meinungsbildung am Beispiel der deutschen Diskussion zur Abtreibung. Opladen 1998, S. 45; Siegried J. Schmidt, Die Wirklichkeit des Beobachters, in: Klaus Merten u.a. (Hg.), Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft, Opladen 1994, S. 3–19; Jörg Requate, Öffentlichkeit und Medien als Gegenstände historischer Analyse, in: Geschichte und Gesellschaft 25 (1999), S. 5–32, hier S. 9. 90 Besonders deutlich wird dies dann, wenn beispielsweise eine Tageszeitung einzelne Ereignisse auslässt, die in anderen Publikationen mit anderer Priorisierung aufgegriffen werden oder bestimmte Interpretationen vielfach wiederholt, die in anderen eine nachrangige Rolle spielen. So wurde Medien vorgeworfen, dass sie über den Rechtsradikalismus nur im Fall von Skandalen oder Wahlerfolgen berichten würden, oder dass sie durch ihre Skandalberichterstattung sogar Nachahmetaten provozierten bzw. die Wahlerfolge erst ermöglicht hätten. Der Vorwurf des Alarmismus ist nicht gänzlich unberechtigt, allerdings nicht durchgängig zutreffend. Ein gewisser Sensationsbezug gehört zum Geschäft von Tageszeitungen. Siehe zu diesem Vorwurf Butterwegge, Ambivalenzen, S. 304; Wolfgang Gessenharter, Kippt die Republik? Die Neue Rechte und ihre Unterstützung durch Politik und Medien, München 1994, S. 40; Richard Stöss, Forschungs- und Erklärungsansätze. Ein Überblick, in: Wolfgang Kowalsky / Wolfgang Schroeder (Hg.), Rechtsextremismus. Einführung und Forschungsbilanz, Opladen 1994, S. 23–66, S. 56.
28 1. Einleitung legitimierte „vierte Gewalt“ im Staat angesehen,91 wobei das in den Zeiten von „Social Media“ relativiert werden muss. Selbst wenn über die Intensität der Beeinflussung durchaus kontrovers diskutiert wird, ist die Tatsache, dass sie Einfluss auf politische Diskussions- und Entscheidungsprozesse haben, mittlerweile unumstritten.92 Generell betrieben Journalistinnen und Journalisten in der Bundesrepublik stets einen „missionarischen Journalismus“ und zielten auf die Förderung positiver Ideale.93 Ihnen wurde teilweise sogar ein Hang zur Politikberatung unterstellt.94 Tages- und Wochenzeitungen müssen vor allem wegen ihrer Leitartikel und Kommentare als eigenständige Akteure gesehen werden.95 Doch selbst die vermeintlich neutrale Berichterstattung kann beispielsweise durch die Auswahl von Zitaten oder das Auslassen bestimmter Informationen zu gezielter Meinungsverbreitung genutzt werden. Hier ist die Tonalität des Berichtes entschei91 Siehe z. B. Glaeßner, Politik, S. 521; Timothy E. Cook, Governing with the news. The news media as a political institution, Chicago u.a. 2010; Wehler, S. 399–406. 92 Vgl. Hans Mathias Kepplinger, Wirkung der Massenmedien, in: Elisabeth Noelle-Neumann u.a. (Hg.), Das Fischer-Lexikon Publizistik, Massenkommunikation, Frankfurt am Main 52009, S. 651–702, hier S. 653–671; Ders.: Zeitungsberichterstattung im Wandel, in: Jürgen Wilke (Hg.), Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1999, S. 195–210, hier S. 205f.; Hermann Meyn, Massenmedien in Deutschland, Berlin 2004, S. 199; Schmidt, Wirklichkeit, S. 14; Klaus Schönbach / Wolfgang Eichhorn, Medienwirkung und ihre Ursachen. Wie wichtig sind Zeitungsberichte und Leseinteressen?, Konstanz 1992, S. 121. 93 Vgl. Rudzio, S. 457f. Auch andere Studien gehen davon aus, dass diese vielfach in politische Debatten eingreifen und einen erziehenden Wertejournalismus betreiben. Vgl. Klaus Schönbach u.a., Oberlehrer und Missionare?, in: Friedhelm Neidhardt (Hg.), Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen, Opladen 1994, S. 139–161, hier S. 139. Siehe auch Andreas Albes, Die Behandlung der Republikaner in der Presse, Frankfurt am Main 1999, S. 93, 106f. 94 Vgl. z. B. das Interview mit dem langjährigen FAZ-Parlamentskorrespondenten Günter Bannas in der tageszeitung: „Ich kam mir wie ein Beichtvater vor“. 16./17. Juni 2018, S. 24 f. 95 Diese sind das journalistische Aushängeschild eines Mediums, anhand derer den Rezipienten die politische Linie näher gebracht werden kann. Vgl. Friedrich Julius Bröder, Presse und Politik. Demokratie und Gesellschaft im Spiegel politischer Kommentare der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, der „Welt“ und der „Süddeutschen Zeitung“, Erlangen 1976, S. 76f.; Christiane Eilders, Massenmedien als Produzenten öffentlicher Meinungen. Pressekommentare als Manifestation der politischen Akteursrolle, in: Barbara Pfetsch (Hg.), Massenmedien als politische Akteure. Konzepte und Analysen, Wiesbaden 2008, S. 27–51, speziell S. 28–30; Albrecht Lüter, Politische Profilbildung jenseits der Parteien? Redaktionelle Linien in Kommentaren deutscher Qualitätszeitungen, in: Christiane Eilders u.a. (Hg.), Die Stimme der Medien. Pressekommentare und politische Öffentlichkeit in der Bundesrepublik, Wiesbaden 2004, S. 167–195, speziell S. 169. Vgl. diesbezüglich auch die Selbsteinschätzung der FAZ, nachzulesen bei Gerhard Henrich, Alles über die Zeitung, Frankfurt am Main 211989, S. 9f.
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dend.96 Auf geringerem Niveau gilt dies auch für Publikationen, die als Mitteilungsblatt oder Mitgliederzeitschrift spezieller Organisationen das Ziel verfolgen, deren spezifische Deutungen in die Öffentlichkeit zu tragen. Hier aber sind Meinungsäußerungen wesentlich häufiger enthalten. Insofern sind nicht nur klassische nicht-staatliche Organisationen wie die Gewerkschaften eindeutig aktive Akteure, sondern auch die unabhängigen Tages- und Wochenzeitungen, die nicht nur Meinungen anderer wiedergeben, sondern diese auswählen, kommentieren und entsprechend ihrer redaktionellen Linie aufbereiten. Kurz gesagt, auch Zeitungen mobilisieren, relativieren, fokussieren oder fordern! Dass speziell die Verbandspublikationen interessengeleitet berichten, ist ohnehin offensichtlich. Es ist der Grund ihrer Existenz.97 Unter dem Terminus „Umgang“ werden hier nicht nur explizite Reaktionsforderungen der Akteure verstanden. Diese sind als Handlungsempfehlung an die zuständigen Stellen zwar äußerst aufschlussreich, aber nur ein Teil der Bewertungsgrundlage. Als Beitrag zur Historischen Sicherheitsforschung ist diese Studie zudem eng verbunden mit der Untersuchung von Bedrohungserfahrungen. Laut Conze gehören „Sicherheit, genauer gesagt: Unsicherheit und Bedrohung […] nicht nur semantisch in ein Feld, sondern es existieren große Schnittflächen zwischen den beiden Forschungsgebieten“.98 Auch deswegen ist es wenig sinnvoll, eine Geschichte des Umgangs mit dem Rechtsradikalismus zu schreiben und dabei lediglich auf die Debatte bezüglich der unmittelbaren Reaktion zu fokussieren. Eine solche muss den Diskurs umfassender berücksichtigen und in seiner Gesamtheit wahrnehmen. Diese Studie zielt neben der Frage nach den für sinnvoll erachteten Reaktionsoptionen insofern vor allem auf den Deutungskampf und ist zum großen Teil auch eine Diskursgeschichte. Der Terminus „Umgang“ bezieht sich daher auch auf die Wirklichkeitsinterpretationen, die artikulierten Bedrohungspotenziale sowie Debattenbeiträge zur Ursachenfrage und ist die Quintessenz all dessen, was zur Thematik berichtet, kommentiert und gefordert – oder aus verschiedensten Gründen weggelassen – wurde. Um die unüberschaubare Menge an nicht-staatlichen Akteuren zu beschränken, war eine Fokussierung auf einzelne, besonders relevante oder interessante Publikationen, die zudem ein möglichst breites Spektrum politischer Zuordnung repräsentieren, unvermeidlich. Untersucht wurden aus dem Bereich der klassi96 Laut dem Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger verdient der Tenor spezielle Beachtung, da er „in einem besonderen Maß die Wahrnehmung des Geschehens“ prägt. Vgl. Kepplinger, Zeitungsberichterstattung, S. 205f. 97 Ob dies im konkreten Fall auf einer Anweisung der Herausgeber beruhte oder redaktionellen Beschlüssen folgte, muss dabei teilweise offenbleiben, da diese Studie nur das veröffentlichte Endprodukt, nicht aber interne Quellen berücksichtigt. So musste hier aufgrund fehlender Sekundärliteratur teilweise mit Plausibilitätsannahmen gearbeitet werden. Diese wurden entsprechend sprachlich gekennzeichnet. 98 Conze, Geschichte, S. 123, siehe auch S. 124f. Zu den Aufgaben und Zielen der Historischen Sicherheitsforschung siehe auch S. 14–20.
30 1. Einleitung schen unabhängigen Printmedien die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ), die „Frankfurter Rundschau“ (FR) sowie die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“. Letztere erschien erstmals 1946 und ist zusammen mit dem „Spiegel“ die wichtigste meinungsbildende Wochenzeitung in der Bundesrepublik. Sie ist unabhängig und wird heute allgemein als liberal angesehen, ihrem Selbstverständnis nach veröffentlicht sie aber auch kontroverse Meinungen. Vergleichbar ist ihr Meinungsspektrum in etwa mit den während des Untersuchungszeitraumes im Bundestag vertretenen Parteien – vor allem in der ersten Dekade nach ihrer Gründung war sie allerdings primär national orientiert und „rechter als die CDU“.99 Bis heute verfolgt die Zeitung aber keine durchgängige redaktionelle Linie, sondern gibt sich je nach Ressort mal liberal, mal konservativ und teilweise auch ausgesprochen progressiv.100 Doch eines hatte immer Bestand: Die Zeitung wollte Meinung machen, sich einmischen und die Demokratisierung der Bundesrepublik unterstützen.101 Auch die beiden Frankfurter Tageszeitungen verfügen über überregionale Bedeutung und gelten als Qualitätszeitungen. Die „Frankfurter Rundschau“ war am 1. August 1945 die erste Zeitungsgründung im Westen Deutschlands nach Kriegsende. Die amerikanische Besatzungsregierung achtete darauf, dass ihre sieben Lizenzträger aus unterschiedlichen politischen Richtungen kamen, aber klar antinationalsozialistisch aufgestellt waren.102 Die Zeitung hatte durchgehend einen eindeutig linksliberalen Schwerpunkt und der Sozialdemokratie nahestehende Journalistinnen und Journalisten waren stets einflussreich. Bereits in den ersten Artikeln der Lizenzträger zeigte sich die Gegnerschaft zum Rechtsradikalismus.103 Zudem forderte die „Rundschau“ „eine gemeinsame Front aller 99 Vgl. Mathias von der Heide / Christian Wagener, Weiter rechts als die CDU. Das erste Jahrzehnt der Zeit, in: Lutz Hachmeister (Hg.), Die Herren Journalisten. Die Elite der deutschen Presse nach 1945, München 2002, S. 165–184, hier insbesondere S. 165f. und S. 174, für das Zitat siehe S. 171; Hermann Meyn, Liberaler Kaufmannsgeist. Die Zeit, in: Michael Wolf Thomas (Hg.), Porträts der deutschen Presse. Politik und Profit, Berlin 1980, S. 275–291, S. 275–277. 100 Der Chefredakteur der Zeit von 1973 bis 1992, Theo Sommer, sagte über die drei Zeitungsteile einmal: „Die Politik sei gedämpfte Mitte, die Kultur radikal links, die Wirtschaft aber konservativ“. Zit.n. Meyn, Kaufmannsgeist, S. 282f.. Ludwig Maaßen gibt das Zitat in anderem Wortlaut, aber gleicher inhaltlicher Ausrichtung wieder. Vgl. Maaßen, S. 108. 101 Ihr langjähriger Verleger Gerd Bucerius betonte einmal: „Um die Lizenz hatte ich mich beworben, weil ich meinte mit einer Zeitung Politik machen zu können. Vor 1933 hatten wir Politik und Zeitungen anderen überlassen – das war schiefgegangen.“ Zit.n. Meyn, Kaufmannsgeist, S. 285. 102 Vgl. Maaßen, S. 97. 103 Hier hieß es: „Die Lüge hat in den vergangenen zwölf Jahren den deutschen Volkscharakter in verheerender Weise angegriffen. […] Die ‚Frankfurter Rundschau‘ wird ihren Beitrag leisten, um dieses Nazi-Übel radikal auszumerzen.“ Zit.n. Heiko Buschke, Deutsche Presse, Rechtsextremismus und nationalsozialistische Vergangenheit in der Ära Adenauer, Frankfurt am Main 2003, S. 94.
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Anti-Nazi-Kräfte“.104 Sie betrieb für eine originär regionale Zeitung einen großen redaktionellen Aufwand, der dazu beitrug, dass sie einen größeren Einfluss auf die Bundespolitik hatte als vergleichbare Zeitungen. Für eine bedeutende Stellung im Printgefüge der Bundesrepublik sorgten ferner ihre große Verbreitung vor allem bei jüngeren Menschen, speziell Studierenden, sowie die Tatsache, dass andere Journalisten die FR regelmäßig als Quelle in ihren Recherchen nutzten.105 Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ erschien erstmals am 1. November 1949 nach dem Ende des Lizenzierungszwanges. Sie hat bis heute keinen alleinigen Chefredakteur, sondern ein fünfköpfiges Herausgebergremium und zwei Geschäftsführer. Im Gegensatz zur FR106 verkauft sich die FAZ vor allem außerhalb der Region Frankfurt am Main. Ihre Relevanz für diese Studie ergibt sich aus ihrem großen Einfluss auf die Entscheidungs- und Deutungseliten des Landes. Sie hat eine besondere Rolle im „Wechselspiel zwischen Medien und Politik“, ist ein klassisches Leitmedium und hierzulande die „bedeutendste überregionale Zeitung“.107 Obwohl sie sich selber einen überparteilichen „liberalen Kurs der politischen Mitte“ zuschreibt,108 ist eine konservative Grundhaltung und politische Nähe zu den Unionsparteien auszumachen. Untersucht wurde gleichfalls die heutige „Jüdische Allgemeine“ beziehungsweise ihre – unter anderem Namen erschienenen – direkten Vorgängerinnen,109 104 Vgl. Harold Hurwitz, Die Stunde Null der deutschen Presse. Die amerikanische Pressepolitik in Deutschland 1945–1949, Köln 1972, S. 316. 105 Jürgen Wilke, Leitmedien und Zielgruppenorgane, in: Ders. (Hg.), Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1999, S. 302–329, hier S. 304, 313. 106 Deren Hauptverbreitungsgebiet war stets Hessen. Außerhalb ihres „Stammlandes“ wurde die FR hauptsächlich in Großstädten verkauft und aufgrund der Konkurrenz zur Süddeutschen Zeitung vor allem nördlich des Mains. Vgl. Walter J. Schütz, Entwicklung der Tagespresse, in: Jürgen Wilke (Hg.), Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1999, S. 109–134, hier S. 126. Siehe auch Wilke, Leitmedien, S. 312f. Alternativ wird sie als regionale Tageszeitung mit bundespolitischer Bedeutung oder als überregionale Tageszeitung mit regionalem Schwerpunkt beschrieben. Vgl. Flottau, S. 107; Bernd Gäbler, Die andere Zeitung. Die Sonderstellung der „Frankfurter Rundschau“ in der deutschen Nachkriegspublizistik, in: Lutz Hachmeister (Hg.), Die Herren Journalisten. Die Elite der deutschen Presse nach 1945, München 2002, S. 146–164, S. 164. 107 Mehr als 1/3 der Journalisten lesen die FAZ, von den Bundestagsabgeordneten sind es sogar 4/5. Zahlen nach Wilke, Leitmedien, S. 304, 312. Siehe zum Einfluss auch Kepplinger, Wirkung, S. 684; Rudzio, S. 444; Vgl. zu Einflussmöglichkeiten auch die Selbsteinschätzung des Verlages bei Henrich, S. 8f. Für die Zitate siehe Kepplinger, Zeitungsberichterstattung, S. 196 bzw. Schütz, S. 125. 108 Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Zeitung für Deutschland. 1.11.1949, S. 1. 109 Aufgrund der unterschiedlichen Titel der Zeitung benutzt diese Arbeit auch den verbreiteten Spitznamen „Die Allgemeine“. Unter diesem Sammelbegriff werden alle Ausgaben der Zeitung im Untersuchungszeitraum unabhängig von den jeweiligen Erscheinungstiteln zusammengefasst. Gegründet wurde sie 1946 als Jüdisches Gemeindeblatt für die Nord-Provinzen und Westfalen. Wenig später erfolgte die Umbe-
32 1. Einleitung die zunächst unabhängig, seit den siebziger Jahren aber unter Herausgeberschaft des Zentralrates der Juden in Deutschland als Wochenzeitung erschienen. Auch als dieser noch nicht als Herausgeber fungierte, hatte er stets – ob nun als persönliche Stellungnahmen seiner Präsidenten oder die direkte Übernahme von Erklärungen und Stellungnahmen – viel Platz bekommen. Nach 1973 wurde die „Allgemeine“ dann ein abhängiges Verbandsblatt.110 Konsequenterweise verschwand das Wort „unabhängig“ aus dem Titel und die Zeitung erschien nun als „Allgemeine jüdische Wochenzeitung“. Die „Allgemeine“ wurde im Laufe der Jahre zur einzigen überregionalen jüdischen Wochenzeitung in Deutschland.111 Sie erscheint – wenn auch unter verschiedenen Namen – kontinuierlich seit 1946 und war fast durchgängig eine eher konservative Zeitung.112 Nach Susanne Schönborn meldete sich die Zeitung zu Wort, wenn sie Defizite im Kampf um den Aufbau der Demokratie zu erkennen glaubte.113 Ihr Gründer und langjähriger Herausgeber Karl Marx engagierte sich früh gegen die Nationalsozialisten und musste daher nicht nur wegen seiner jüdischen Herkunft emigrieren.114 Marx positionierte sich früh deutlich positiver zur Bundesrepublik als viele andere Vertreter des Judentums im In- und Ausland,115 sah seine Zeitung aber stets als Akteur „im Kampf gegen alle Anzeichen brauner Restauration“.116 Nach dem Holocaust eine dezidiert jüdische Stimme bezüglich des nennung in Jüdisches Gemeindeblatt für die britische Zone. Ab Mitte 1948 erschien sie für einige Monate unter dem Titel Jüdisches Gemeindeblatt – Allgemeine Zeitung der Juden in Deutschland und dann kurz als Jüdisches Gemeindeblatt – Zeitung der Juden in Deutschland. Im April 1949 bekam sie den Titel Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland. 1966 erfolgte die erneute Umbenennung in Allgemeine unabhängige jüdische Wochenzeitung. Vgl. Susanne Urbahn-Fahr, Jüdische Presse – Juden in der Presse, in: Otto Romberg / Susanne Urban-Fahr (Hg.), Juden in Deutschland nach 1945. Bürger oder „Mit“-Bürger?, Frankfurt 1999, S. 259. Siehe auch 20 Jahre Allgemeine, Dokumentation und Echo, Düsseldorf 1966, S. 65. 110 Vgl. Uri R. Kaufmann, Zur jüdischen Presse in der Bundesrepublik, in: Ders. (Hg.), Jüdisches Leben heute in Deutschland, Bonn 1993, S. 95–98, hier S. 96; Stephan J. Kramer, Wagnis Zukunft. 60 Jahre Zentralrat der Juden in Deutschland, Berlin 2011, S. 33; Urbahn-Fahr, S. 260. 111 Vgl. Urbahn-Fahr, S. 259; Andrea Sinn, Jüdische Politik und Presse in der frühen Bundesrepublik, Göttingen 2014, S. 190. 112 Vgl. Ralph Giordano, Narben, Spuren, Zeugen. 15 Jahre Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, Düsseldorf 1961, S. 388–393. 113 Vgl. Susanne Schönborn, Die jüdische Allgemeine. Ein Spiegelbild der jüdischen Gemeinschaft in der BRD?, in: Eleonore Lappin / Michael Nagel (Hg.), Deutsch-jüdische Presse und jüdische Geschichte, Bremen 2008, S. 229–242, hier S. 229; Sinn, S. 133, 311. 114 Zur Biografie und dem politischen Engagement gegen Hitler vgl. Sinn, S. 57–74. 115 Ebd., S. 189, siehe auch S. 9, 287, 388–393. 116 Vehement vertrat er die Position, dass nicht alle Deutschen Täter geworden seien und engagierte sich gegen die „Kollektivschuld“ des deutschen Volkes. Vgl. Sinn, S. 76f., 292, 322. Siehe auch Giordano, S. 388–393.
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Umgangs mit dem Rechtsradikalismus zu berücksichtigen ist nicht nur sinnvoll, sondern darüber hinaus interessant und aufschlussreich. Weitere von Trägerorganisationen abhängige hier berücksichtigte Presseerzeugnisse waren gewerkschaftliche Publikationen117, die Zeitschrift „Deutscher Ostdienst“118 des Bundes der Vertriebenen sowie die Verbandspublikation der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Die BDA ist die 1950 gegründete sozialpolitische Spitzenorganisation der Arbeitgeber in der Bundesrepublik.119 Zur Erreichung ihrer Ziele setzte sie früh auf umfassende Öf-
117 Neben der Information der eigenen Mitgliedschaft zielen gewerkschaftliche Publikationen darauf ab, die Sichtweisen der eigenen Organisationen „unverfälscht“ in die Öffentlichkeit zu transportieren. Für diese Studie wurden regelmäßig erscheinende und überregional ausgerichtete Presseorgane wie die Gewerkschaftlichen Monatshefte (GMH), die monatliche Funktionärszeitschrift Die Quelle sowie die gewerkschaftseigene Wochenzeitung Welt der Arbeit (WdA) genutzt. Gelten die GMH als das theoretische Diskussionsorgan des DGB, war die WdA das nicht nur für die gewerkschaftliche Öffentlichkeit bestimmte „Flaggschiff “. Ergänzend wurden thematisch einschlägige Einzelveröffentlichungen des DGB und die Periodika der zwei größten Einzelgewerkschaften im DGB, der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), berücksichtigt. Mithilfe der Metall und des ÖTV-Magazins (bis 1960 ÖTV-Presse) konnten Befunde für die DGB-Presse auf ihre Verallgemeinerbarkeit hin überprüft werden. Mit Ausnahme der WdA, deren Erscheinen 1988 eingestellt wurde, erschienen alle Publikationen im gesamten Untersuchungszeitraum. 118 1959 wurde der Deutsche Ostdienst (DOD) als zentrales Informationsblatt gegründet und erscheint bis heute. Hier werden die Probleme und Ziele der Vertriebenen artikuliert und regelmäßig zu allgemeinpolitischen Fragen Stellung bezogen. Es ist explizit keine Mitgliederzeitung, sondern konzipiert zur Einflussnahme auf die öffentliche Meinung. Die Adressaten sind in erster Linie Politikerinnen und Politiker, die Tagespresse, die Vertriebenenorganisationen und Verwaltungsstellen. Für den Zeitraum bis 1959 wurde ergänzend die vom Zentralverband vertriebener Deutscher (ZvD) herausgegebene Vertriebenen-Korrespondenz (V-K) untersucht, eine direkte Vorläuferin des DOD. 119 Sie vertritt eine große Mehrheit aller Unternehmen, wobei Großbetriebe und Konzerngruppen nahezu vollständig in ihr organisiert sind. Nach eigener Aussage vertritt die BDA „die unternehmerische Sozial- und Gesellschaftspolitik aller Wirtschaftsbereiche gegenüber Bundestag, Bundesregierung, Gewerkschaften, gesellschaftlichen Gruppen, den internationalen Organisationen und in der sozialen Selbstverwaltung“. Vgl. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Köln 1987 (b), S. 2. Siehe auch Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Eine kleine Einführung, Köln 1987 (a), S. 1; Fritz Erler, Aufgaben und Stellung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland, Köln u.a. 1966, S. 85. Zur Mitgliedschaft siehe Ulrich von Alemann, Organisierte Interessen in der Bundesrepublik, Opladen 1987, S. 80; Gerhard Ohneis, Wandel in den Zielsetzungen der deutschen Unternehmerverbände. Eine systemtheoretische Analyse am Beispiel von BDI und BDA, Berlin 1990, S. 70; Walter Simon, Macht und Herrschaft
34 1. Einleitung fentlichkeitsarbeit.120 Ein wichtiges Mittel dabei ist die Zeitschrift „Der Arbeitgeber“, welche die BDA seit ihrer Gründung vierzehntägig herausgibt. Hier werden die zentralen Probleme der Sozialpolitik aus der Sicht der Arbeitgeber diskutiert, nach außen hin dargestellt und erläutert. Stets wurde zudem über aktuelle politische Entwicklungen berichtet und diese regelmäßig kommentiert. Der Bund der Vertriebenen – Vereinigte Landsmannschaften und Landesverbände (BdV) konstituierte sich 1957 als ein politischer Interessenverband. Vor allem in den ersten beiden Dekaden der Bundesrepublik hatte er beträchtliche Einflussmöglichkeiten auf die Politik.121 Der Blickwinkel war eindeutig national.122 Zwar erkannten die Funktionäre früh, dass die demokratischen Parteien ihrer Sache trotz verbaler Unterstützung kaum weiterhelfen würden, aber dies änderte nichts an der offiziellen Ablehnung radikaler Politikansätze und ihrer Vertreter. Stets grenzte sich der BdV zu eindeutig rechtsradikalen Parteien und Strukturen ab, weil alles andere ein „Ausscheiden aus dem ‚antitotalitären Grundkonsens‘ bedeutet hätte“.123 Dennoch kam es in der Mitgliedschaft durchaus zu verstärkter Hinwendung zu rechtsradikalen Strukturen.124 Eng mit der Frage nach der Positider Unternehmerverbände. BDI, BDA und DIHT im ökonomischen und politischen System der Bundesrepublik, Köln 1976, S. 113. 120 Vgl. Hugo Müller-Vogg, Public Relations für die soziale Marktwirtschaft. Die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und des Instituts der Deutschen Wirtschaft zwischen 1966 und 1974, München 1979, S. 47; Ohneis, S. 130f.; Simon, S. 145. 121 Der Bund der Vertriebenen verstand sich als Vertreter aller Vertriebenen und hat immer wieder auf deren hohe Anzahl in der Bundesrepublik hingewiesen, obwohl die Mitgliederzahlen deutlich darunter lagen. Später kam es sogar zur Fälschung der offiziellen Zahlen, um die politischen Parteien unter Druck zu setzen. Seit den späten sechziger Jahren und der gesellschaftlichen Akzeptanz der Oder-Neiße-Grenze nahm die Bedeutung des BdV ab. Er geriet mit revisionistischen Forderungen verstärkt in Deutungskonflikte mit der öffentlichen Meinung und parallel immer stärker in die politische und öffentliche Isolation. Dennoch konnte der BdV stets auf die finanzielle Unterstützung durch den Bund und einige Bundesländer zählen. Vgl. Anna Jakubowska, Der Bund der Vertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland und Polen (1957–2004). Selbst- und Fremddarstellung eines Vertriebenenverbandes, Marburg 2012, S. 33–40, 50f., 82f., 97, 102, 137–141, 431; Hans Ohly, Der „Bund der Vertriebenen“. Stoßtrupp der Unversöhnlichkeit, München 1972, S. 16; Matthias Stickler, „Ostdeutsch heißt Gesamtdeutsch“. Organisation, Selbstverständnis und heimatpolitische Zielsetzungen der deutschen Vertriebenenverbände 1949–1972, Düsseldorf 2004, S. 27. 122 Vgl. Stickler, S. 99. 123 Andreas Kossert, Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945, München 2008, S. 181. 124 Als immer deutlicher wurde, dass der BdV weniger an der konkreten Umsetzung seiner verbalradikalen Forderungen denn an einer Integration in das demokratische System der Bundesrepublik interessiert war, konnte er insbesondere in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre durch die NPD leicht mit der Instrumentalisierung der
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onierung zum Rechtsradikalismus nach 1945 ist die Frage nach der NS-Belastung der Funktionäre verbunden. Diese bewerteten vor allem jüngere Forschungen, speziell mit Blick auf die erste Funktionärsgeneration, als hoch.125 Allerdings waren rechtsradikale politische Ideen für die überwiegende Mehrheit der Vertriebenen durchaus diskreditiert. Diese spannungsreiche Position zwischen dem Vorwurf, selbst rechtsradikal zu sein, und der zum Teil unzweifelhaften Gegnerschaft zum Rechtsradikalismus macht den BdV für diese Studie zu einem relevanten Akteur. Demgegenüber hatten die Gewerkschaften in der Bundesrepublik fast durchgängig einen wichtigen Anteil an der politischen Willensbildung.126 Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ist der größte deutsche Gewerkschaftsdachver„deutschen Frage“ unter Druck gesetzt werden. Diese hatte sich als einzige Partei klar zu den Grenzen von 1937 und dem Rückkehrrecht der Vertriebenen bekannt. Wenzel Jaksch, der damalige sozialdemokratische Präsident des Bundes, klagte in einem Brief vom 23. Juni 1966 an Erich Mende: „Das Telegramm vom NPD-Parteitag in Karlsruhe an den Sudetendeutschen Tag in München und die in Karlsruhe gehaltenen Reden verdeutlichen die Gefahr. […] Somit steht der BdV vor der Aufgabe einer verstärkten Auseinandersetzung mit den dem deutschen Standpunkt abträglichen Strömungen. Er muss sich ebenso der rechtsradikalen Einflußversuche erwehren. Mit meinen Freunden und Mitarbeitern bemühe ich mich, diesen Tendenzen einen Patriotismus der Mitte entgegenzusetzen. […] In diesem Zusammenhang meine ich auch, daß der Bund der Vertriebenen mit seiner Millionenzahl von Mitgliedern wie Sympathisierenden und mit seiner weit verzweigten Organisation für diese vom staatsbürgerlichen wie patriotischen Standpunkt aus notwendige Arbeit gerade geschaffen ist.“ Zit.n. Stickler, S. 337f., siehe auch S. 333–336. 125 Von den dreizehn Mitgliedern des ersten Präsidiums waren zwei Drittel Mitglied der NSDAP oder der SS gewesen. Lediglich der Sozialdemokrat und spätere Präsident des BdV, Wenzel Jaksch, kann als Widerstandskämpfer gegen den NS angesehen werden. Vgl. Michael Schwartz, Funktionäre mit Vergangenheit. Das Gründungspräsidium des Bundes der Vertriebenen und das „Dritte Reich“, München 2013, S. 521–529. Kritisch dazu Stickler, S. 320–346. Da Stickler Rechtsradikalismus vor allem an die Mitgliedschaft in eindeutig rechtsradikalen Strukturen knüpft, greift diese Verteidigung aber zu kurz. Die Vorstellung einer demokratischen Wandlung nach 1945 soll hier nicht grundsätzlich abgelehnt, aber doch in dieser etwas naiven Darstellung – Stickler führt als Argument z. B. den Gewaltverzicht des BdV zur Revision der Grenzen an – relativiert werden. Dies war mindestens ein jahrelanger Prozess der zumeist eher oberflächlichen Anpassung an die normativen Vorgaben der Vergangenheitspolitik. Zudem konnten vielfache Rückgriffe auf eine NS-ähnliche bzw. militärische Sprache ausgemacht werden. Vgl. Jakubowska, S. 40. 126 Durch eigene Presseorgane, den persönlichen Einsatz der Mitglieder sowie zahlreiche Verflechtungen mit politischen Parteien und anderen Verbänden versuchen sie kontinuierlich, Einfluss auf politische Entwicklungen zu nehmen. Vgl. Josef Esser, Funktion und Funktionswandel der Gewerkschaften in Deutschland, in: Wolfgang Schroeder / Bernhard Weßels (Hg.), Die Gewerkschaften in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland. Ein Handbuch, Wiesbaden 2003, S. 65–85, hier S. 67; Glaeßner, Politik, S. 314, 470; Prott, S. 243.
36 1. Einleitung band und vertritt seine Mitgliedsgewerkschaften nach außen hin vor allem in allgemeinpolitischen und gesellschaftlich relevanten Fragen. Im Untersuchungszeitraum war er sozialdemokratisch dominiert, grundsätzlich aber ein Zusammenschluss sozialdemokratischer mit christlichen und zunächst sogar kommunistischen Strömungen. Er ist überparteilich, politisch aber nicht neutral und versteht sich als stabilisierende Säule der Demokratie in der Bundesrepublik.127 Ihrem Selbstverständnis nach sind die DGB-Gewerkschaften erklärte Gegner rechtsradikaler Gruppen und Ideologien. Ihre Mitglieder beziehungsweise Führungspersonen beteiligen sich oftmals an Demonstrationen oder Kundgebungen gegen rechte Aufmärsche oder Parteitage.128 Schon die Gründung der Einheitsgewerkschaft in Form des DGB 1949 war die Konsequenz aus der institutionellen Schwäche, aufgrund derer die Zerschlagung durch die Nationalsozialisten nicht verhindert werden konnte.129 Durch die Untersuchung relevanter nicht-staatlicher Sichtweisen auf den Umgang mit dem Rechtsradikalismus wird eine oft vernachlässigte Perspektive eingenommen. Trotz mittlerweile zahlreicher Studien zum Umgang staatlicher 127 Die Gründungsstatuten sahen daher die „Pflege des Geistes friedlicher Völkerverständigung“ sowie den „Kampf für die Sicherung und den Ausbau der demokratischen Rechte und Freiheiten des Volkes“ gegen alle „nationalistischen und militaristischen“ Einflüsse vor. Vgl. Hans O. Hemmer / Siegfried Mielke (Hg.), Geschichte der Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland. Von den Anfängen bis heute, Köln 1990, S. 91; Manfred Wilke, Einheitsgewerkschaft zwischen Demokratie und antifaschistischem Bündnis. Die Diskussion über die Einheitsgewerkschaft im DGB seit 1971, Melle 1985, S. 12. 128 Vgl. z. B. Anja Corinne Baukloh, „Nie wieder Faschismus!“ Antinationalsozialistische Proteste in der Bundesrepublik der 50er Jahre im Spiegel ausgewählter Tageszeitungen, in: Dieter Rucht, Protest in der Bundesrepublik. Strukturen und Entwicklungen, Frankfurt am Main 2001, S. 71–101, hier S. 88; Klaus Dörre, Sehnsucht nach der alten Republik? Von den Schwierigkeiten einer gewerkschaftlichen Politik gegen Rechtsextremismus, in: Wilhelm Heitmeyer, Das Gewalt-Dilemma. Gesellschaftliche Reaktionen auf fremdenfeindliche Gewalt und Rechtsextremismus, Frankfurt am Main 1994, S. 166–194, hier S. 166f.; Stefan Höpel, Das demokratische Gewissen der Bundesrepublik. Die Politik der VVN-Bund der Antifaschisten gegen die Neonazis am Beispiel der NPD/JN 1977 bis 1980, Hannover 1989, S. 139–142; Hoffmann, NPD, S. 126f.; Butterwegge, Ambivalenzen, S. 300. 129 Vgl. Wolfgang Abendroth, Die deutschen Gewerkschaften. Weg demokratischer Integration, Berlin 1989, S. 37; Doerry, S. 4; Bernd Faulenbach, Kontinuität und Neubeginn. Zur Wiedergründung der Gewerkschaften nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Hans-Erich Bremes / Maria Schumacher (Hg.), Mit der Vergangenheit in die Zukunft. Felder gewerkschaftlicher Politik seit 1945, Münster 1989, S. 23–33, hier S. 26; Hemmer / Mielke, S. 168; Wilke, Einheitsgewerkschaft, S. 35, 113f.; Klaus Schönhoven, Geschichte der deutschen Gewerkschaften. Phasen und Probleme, in: Wolfgang Schroeder / Bernhard Weßels (Hg.), Die Gewerkschaften in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland. Ein Handbuch, Wiesbaden 2003, S. 40–64, hier S. 50.
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Behörden und Regierungsstellen mit dem Rechtsradikalismus130 existieren diesbezüglich bisher kaum langfristig angelegte Untersuchungen.131 Speziell zu den hier untersuchten Akteuren und ihrem Umgang mit dem Rechtsradikalismus finden sich insbesondere für die Zeit bis 1989 kaum Veröffentlichungen. Zahlreiche Bücher untersuchen zwar die Entwicklung der Gewerkschaften oder speziell den Deutschen Gewerkschaftsbund, deren Umgang mit dem Rechtsradikalismus klammern diese aber weitestgehend aus.132 Erste Hinweise verdankt die Arbeit 130 Diese bilden in fast allen bisher genannten Veröffentlichungen zum Rechtsradikalismus und teilweise zur „wehrhaften Demokratie“ fast automatisch einen gewissen Schwerpunkt. Siehe zudem Rainer Erb, Mit Gewalt zur Vernunft? Staatliche Repression und ihre Wirkungen auf den gegenwärtigen Rechtsextremismus in Deutschland, Wiesbaden 2010; Patrick Gensing, Angriff von rechts. Die Strategien der Neonazis – und was man dagegen tun kann, München 2009; Viola B. Georgi (Hg.), Strategien gegen Rechtsextremismus. Bd. 2 Handlungsempfehlungen für Politik und Praxis, Gütersloh 2005. Vielversprechend, aber noch nicht erschienen ist Fabian Virchow u.a. (Hg.), Verbote extrem rechter Parteien und Organisationen. Staatliche Verbotspolitik in der Bundesrepublik Deutschland zwischen „wehrhafter Demokratie“ und symbolischer Politik 1951–2017. 131 Zu den wenigen Ausnahmen siehe neben den bereits zitierten Veröffentlichungen von Anja Corinne Baukloh, Christoph Butterwegge, Thomas Doerry, Thomas A. Herz und Stefan Höpel insbesondere Frank Deppe, Antifaschismus, Heilbronn 1996; Hartmut Hering, Antifaschismus ist mehr als eine Gegenbewegung. 40 Jahre Kampf für Frieden, Demokratie und sozialen Fortschritt am Beispiel der VVN-Bund der Antifaschisten Gelsenkirchen 1947–1987, Gelsenkirchen 1988; Heinz Kleger, Bürgerbewegungen gegen Fremdenhaß. Von den Lichterketten zum Kirchenasyl, in: Berliner Debatte Initial 1 (1996), S. 55–72. 132 Neben den bereits zitierten siehe z. B. Frank Deppe, Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung, Köln 1989; Klaus Dörre / Karl Lauschke (Hg.), Die Gewerkschaftselite der Nachkriegszeit. Prägung – Funktion – Leitbilder, Essen 2006; Karl Christian Führer, Gewerkschaftsmacht und ihre Grenzen. Die ÖTV und ihr Vorsitzender Heinz Kluncker 1964–1982, Bielefeld 2017; Hans Limmer, Die deutsche Gewerkschaftsbewegung. Geschichte, Gegenwart, Zukunft. Ein kritischer Grundriß, München 1996; Eberhard Schmidt, Ordnungsfaktor oder Gegenmacht. Die politische Rolle der Gewerkschaften, Frankfurt am Main 1971; Michael Schneider, Kleine Geschichte der Gewerkschaften. Ihre Entwicklung in Deutschland von den Anfängen bis heute, Bonn 2000; Wolfgang Schroeder / Bernhard Weßels (Hg.), Die Gewerkschaften in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland. Ein Handbuch, Wiesbaden 2003. Vgl. auch die Edition Quellen zur Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung, in denen der Rechtsradikalismus auffallend selten vorkommt. Vgl. Josef Kaiser, Der Deutsche Gewerkschaftsbund 1949–1956, Köln 1996; Jens Hildebrandt, Der Deutsche Gewerkschaftsbund 1956–1963, Köln 2005; Wolther von Kieseritzky, Der Deutsche Gewerkschaftsbund 1964–1969, Bonn 2006; Klaus Mertsching, Der Deutsche Gewerkschaftsbund 1969–1975, Bonn 2013. Und zur IG Metall siehe Walter Dörrich, Die Industriegewerkschaft Metall in der frühen Bundesrepublik, Köln 1991; Felicitas Merkel, Die Industriegewerkschaft Metall in den Jahren 1956 bis 1963, Frankfurt am Main 1999. Speziell zur Gewerkschaftspresse siehe Maria Kniesburges, Die Funktion der Gewerkschaftspresse im Rahmen innergewerkschaftlicher Diskussion und Willens-
38 1. Einleitung einigen Ausführungen, die sich zumindest teilweise mit dem gewerkschaftlichen Umgang mit dem Rechtsradikalismus auseinandersetzen.133 Die diesbezügliche Berichterstattung von Medien wurde hingegen bereits untersucht, diese Studien weisen aber mit Ausnahme der Studie von Heiko Buschke über „Deutsche Presse, Rechtsextremismus und nationalsozialistische Vergangenheit in der Ära Adenauer“ aus dem Jahr 2003 einen relativ aktuellen Untersuchungszeitpunkt auf.134 Ansonsten finden sich vor allem allgemeine Veröffentlichungen und teilweise bildung. Am Beispiel d. IG Metall-Mitgliederzeitung Metall, Göttingen 1984. Jüngst erschienen ist Richard Stöss, Gewerkschaften und Rechtsextremismus in Europa, Berlin 2017, vgl. zum mangelnden Forschungsstand insbesondere S. 9. 133 Olaf Konstantin Krueger, Getrennt taktieren – gemeinsam aussitzen. Der abenteuerliche Umgang mit den Republikanern, Aachen 1994; Dörre, Sehnsucht; Bodo Zeuner, Gewerkschaften und Rechtsextremismus. Anregungen für die Bildungsarbeit und die politische Selbstverständigung der deutschen Gewerkschaften, Münster 2007. Siehe auch Thomas von Feyberg, Blinde Flecken gewerkschaftlicher Politik gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 8 (1995), S. 474–483; Bernd Leukert (Hg.), Thema: Rock gegen Rechts. Musik als politisches Instrument, Frankfurt am Main 1980. Daneben finden sich einige Veröffentlichungen aus gewerkschaftlicher Eigenproduktion, die, sofern sie vor 1990 publiziert wurden, als Quelle in die Untersuchung einfließen. 134 Buschkes Studie, die sich nur teilweise der hier zentralen Fragestellung widmet, wird um weitere Publikationen ergänzt und in Bezug auf die Frankfurter Tageszeitungen zum Teil relativiert. Die ebenfalls bereits zitierte Studie von Albes zu den Repu blikanern (1999) bezieht sich hauptsächlich auf die neunziger Jahre. Siehe zudem auch Hans-Bernd Brosius, Eskalation durch Berichterstattung? Massenmedien und fremdenfeindliche Gewalt, Opladen 1995; Britta Brugger, Die Auseinandersetzung mit rassistischer Gewalt in den bundesdeutschen Medien am Beispiel Rostock August 1992, Berlin 1994; Maria Busche-Baumann, Rechtsextremismus und die Presse. Eine inhaltsanalytische Untersuchung der Berichterstattung über den ostdeutschen Rechtsextremismus in den Tageszeitungen Berliner Zeitung und Sächsische Zeitung, Hildesheim 1994; Gessenharter, Republik; Thomas Pfeiffer u.a., Vom Aufstand der anständigen Pressen. Rechtsextremismus-Berichterstattung in deutschen Tageszeitungen, in: Christoph Butterwegge u.a., Themen der Rechten – Themen der Mitte. Zuwanderung, demografischer Wandel und Nationalbewusstsein, Opladen 2002, S. 266–288; Michael Haller (Hg.), Rechtsterrorismus in den Medien. Der Mörder Breivik in Norwegen und die Terrorzelle NSU in Deutschland – Wie die Journalisten damit umgingen und was sie voneinander lernen können, Münster 2013; Gabriele Herschel (Hg.), Rechtsextremismus in Deutschland und die Rolle der Medien. Bericht einer Diskussionsveranstaltung am 8. Dezember 1993, Berlin 1994; Siegfried Jäger, Der Groß-Regulator. Analyse der BILD-Berichterstattung über den rassistisch motivierten Terror und die Fahndung nach der RAF im Sommer 1993, Duisburg 1993; Ders., Die Anstifter der Brandstifter? Zum Anteil der Medien an der Eskalation rassistisch motivierter Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland, in: Bernd Scheffer (Hg.), Medien und Fremdenfeindlichkeit. Alltägliche Paradoxien, Dilemmata, Absurditäten und Zynismen, Opladen 1997, S. 73–98; Britta Schellenberg, Die Rechtsextremismus-Debatte. Charakteristika, Konflikte und ihre Folgen, Wiesbaden 2014, speziell das Kapitel 7 zu „Medien“ (S. 229–270). Aufschlussreich ist auch die bereits
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Selbstbeschreibungen der Zeitungen beziehungsweise ihrer Verlage, die den Rechtsradikalismus ebenfalls höchstens am Rande thematisieren.135 Zur Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände finden sich vor allem Selbstdarstellungen und ältere Literatur, die den Umgang mit dem Rechtsradikalismus nicht thematisieren.136 Gleiches gilt für den Zentralrat der Juden beziehungsweise die „Allgemeine“, wobei sich hier auch aktuelle Literatur findet – allerdings ebenfalls ohne inhaltlich neue Beiträge zu dem Thema dieser Arbeit.137 In den bereits zitierten Forschungsarbeiten über den Bund der Vertriebenen spielt der Umgang mit dem Rechtsradikalismus immerhin vereinzelt eine gewisse Rolle. Mit der Berücksichtigung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, des Bundes der Vertriebenen sowie den Gewerkschaften soll die erwähnte Studie von Christian Schletter, welche den Spiegel und den Rheinischen Merkur in Bezug auf Debatten über das Scheitern der Demokratie untersucht. 135 Vielfach wurden diese Publikationen bereits in den Ausführungen zu Medien und den Akteuren zitiert. Vgl. darüber hinaus Alles über die Zeitung, Frankfurter Allgemeine, Zeitung für Deutschland, Frankfurt am Main 241998; Frank Böckelmann, Wem gehören die Zeitungen? Die Inhaber- und Beteiligungsverhältnisse der Tagesund Wochenzeitungsverlage in Deutschland, Konstanz 2000; Emil Carlebach, Zensur ohne Schere. Die Gründerjahre der „Frankfurter Rundschau“ 1945/47, Frankfurt am Main 1985; Christian Haase / Axel Schildt (Hg.), Die Zeit und die Bonner Republik. Eine meinungsbildende Wochenzeitung zwischen Wiederbewaffnung und Wiedervereinigung, Göttingen 2008; Hermannus Pfeiffer (Hg.), Die FAZ. Nachforschungen über ein Zentralorgan, Köln 1988; Karl-Heinz Janßen u.a., Die Zeit. Geschichte einer Wochenzeitung 1946 bis heute, München 2006; Rolf Maria Korda, Für Bürgertum und Business. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, in: Michael Wolf Thomas, Porträts der deutschen Presse. Politik und Profit. Berlin 1980, S. 81–96; Hermann Meyn, Politische Tendenzen überregionaler Tageszeitungen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Publizistik 10 (1965), S. 412–423; Friedmann Siering, Zeitung für Deutschland. Die Gründergeneration der „Frankfurter Allgemeinen“, in: Lutz Hachmeister (Hg.), Die Herren Journalisten. Die Elite der deutschen Presse nach 1945, München 2002, S. 35–86. 136 Neben den im Rahmen der Akteursdarstellung bereits Zitierten siehe Gerhard Erdmann, Die deutschen Arbeitgeberverbände im sozialgeschichtlichen Wandel der Zeit, Neuwied 1966; Reinhard Göhner (Hg.), 50 Jahre BDA – 50 Jahre Politik für die Wirtschaft, Berlin 1999; Karl Otto Hondrich, Die Ideologien von Interessenverbänden. Eine strukturell-funktionale Analyse öffentlicher Äußerungen des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Berlin 1963; Wolfgang Schröder / Bernhard Weßels (Hg.), Handbuch Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände in Deutschland, Wiesbaden 2010, insbesondere das Kapitel von Rudolf Speth, Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände, S. 260–279. 137 Neben den bereits zitierten Werken siehe Uri Kaufmann, Jüdisches Leben heute in Deutschland, Bonn 1993, speziell der Abschnitt: Zur jüdischen Presse in der Bundesrepublik, S. 95–98. Problematisch ist aufgrund des rechtslastigen Verlages die Monografie von Bernhard Radtke, Der Zentralrat der Juden in Deutschland. 1950–2013. Eine politische Biographie, Selent 2013.
40 1. Einleitung oftmals vorhandene Fokussierung auf klassische Printmedien vermieden werden. Auch diese Organisationen haben sich durchgängig eingemischt, aktuelle politische Themen kommentiert und versucht, diese in ihrem Sinne zu beeinflussen – unabhängig davon, dass sie aufgrund ihrer Rolle als abhängige Verbandspublikationen mitunter anderen Relevanzen und Interessen folgten als die Tages- und Wochenpresse. Schon allein wegen des oftmals geringeren Umfangs und der fehlenden Chronistenpflicht sind diese nicht unmittelbar mit den originären Zeitungen vergleichbar. Das ist auch nicht unbedingt das primäre Ziel dieser Studie. Es geht vielmehr darum, möglichst verschiedene Meinungsäußerungen zu untersuchen, um eine relativ breite Debatte darzustellen, an der sich verschiedene nicht-staatliche Akteure – seien es originäre Tages- beziehungsweise Wochenzeitungen oder ganz anders gelagerte Verbände mit eigenen Publikationen – beteiligt haben. Ohne Letztere würde nur die mediale Perspektive Eingang in die Ergebnisse finden und das gilt es zu vermeiden. Verbandspublikationen sind zwar nicht unabhängig, die dahinterstehenden Organisationen sind es aber. Die hier getroffene Auswahl erweitert insofern das ansonsten übliche Spektrum derartiger Untersuchungen und bildet einen großen Querschnitt durch die politische Landschaft der Bundesrepublik ab. Darüber hinaus erlaubt diese analytisch aufschlussreiche Gegenüberstellungen der Akteure. Die vorliegende Studie untersucht den Umgang mit dem Rechtsradikalismus anhand einzelner Debatten in diachroner Perspektive. Es galt zunächst herauszufinden, wie die verschiedenen Akteure das Gefährdungspotenzial durch den Rechtsradikalismus bewerteten, welche Ursachen sie für die Existenz beziehungsweise Reproduktion des Rechtsradikalismus benannten und welche Reaktionen sie forderten oder unterstützten. Stets wurde auch nach den jeweiligen Besonderheiten des Umgangs sowie den spezifischen Interessen gefragt, die diesen beeinflussten. Die Tageszeitungen wurden dabei pro Fallbeispiel für etwa vier Wochen systematisch und vollständig gesichtet.138 Bei Wochenzeitungen wurde ein leicht verlängerter Untersuchungszeitraum veranschlagt, um die mitunter verzögerte Themenbehandlung zu berücksichtigen. Bei monatlich erscheinenden Zeitschriften wurden jeweils etwa zwölf Ausgaben ausgewertet. Ergänzend wurden – sofern vorhanden – Einzelveröffentlichungen der Akteure zum Themenkomplex 138 Im Fall von längeren Prozessen wie einer Verbotsdiskussion wurde anhand der Sekundärliteratur jeweils ein zentrales Ereignis – bei längeren, mehr als drei Monate anhaltenden Prozessen auch zwei bis drei zentrale Ereignisse – ausgewählt, die große Relevanz für das Fallbeispiel aufwiesen. Ein selektives Vorgehen ist sinnvoll, weil nicht permanent über die Thematik geschrieben wird. Zwar haben alle untersuchten Akteure den Rechtsradikalismus thematisiert, aber keiner war monothematisch auf diesen fokussiert. Dieser war immer nur ein Thema neben anderen, welches nach speziellen Anlässen für einen kurzen Zeitraum hervortrat, bevor es erneut für eine gewisse Phase in der Latenz verschwand. In Einzelfällen wurde der untersuchte Zeitraum um zwei Wochen verlängert, um die Quellenbasis zu erhöhen und weitere zentrale Aspekte wie die Enttarnung der Täter zu berücksichtigen.
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Rechtsradikalismus berücksichtigt. Alle Publikationen wurden dabei als ein Akteur gewertet, obgleich sie mitunter verschiedene politische Strömungen innerhalb einer Organisation oder Redaktion repräsentierten.139 An diese notwendige Grundlagenforschung anknüpfend, rückte die Sicherheitskultur der jeweiligen Akteure in den Mittelpunkt. Entsprechend wurde analysiert, ob ein Akteur insgesamt auf mehr oder weniger repressiv beziehungsweise dezidiert liberal ausgerichtete Reaktionen in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus zielte sowie, ob dieser diesbezüglich überhaupt abwog. Eine Einordnung als tendenziell repressiv oder eher liberal bezieht sich dabei vor allem auf die geforderten Reaktionsoptionen gegenüber dem Rechtsradikalismus bzw. den Umgang mit diesem. Daraus eine grundlegende Bewertung des Akteurs abzuleiten ist hingegen kaum möglich, da sich derartige Beschreibungen nur auf die Handlungen der Exekutive und ihrer jeweiligen Organe beziehen lassen. Auch gelten die Befunde bezüglich eines Akteurs keineswegs zwangsläufig für dessen Positionen in anderen Themenbereichen. Abschließend wurde untersucht, inwiefern sich die Debatten über den Umgang mit Rechtsradikalismus zwischen 1951 und 1989 veränderten. Der diachrone Vergleich diesbezüglicher Diskussionen erlaubt nicht nur Rückschlüsse auf die Wahrnehmung des Rechtsradikalismus, sondern auch auf die gefühlte Stabilität der westdeutschen Demokratie und die jeweils vorherrschende politische Kultur. Die Reaktionen auf den Rechtsradikalismus fungieren als „Gradmesser“ für das jeweils wahrgenommene politische Klima der Bundesrepublik. Der besondere Fokus auf das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit dient dieser Studie dabei als Raster zur Einordnung und Bewertung des Umgangs. Mit dem Fokus auf deren Spannungsverhältnis zielt diese Studie insofern auf das Selbstverständnis der Gesellschaft. Sie ist somit nicht nur ein Beitrag zum Umgang mit dem Rechtsradikalismus, sondern zugleich zur Geschichte der Demokratie und insbesondere zur Rezeption von deren Wehrhaftigkeit. Sie ist auch ein Beitrag zur jüngsten Historisierung von Printmedien und ihrer Arbeit in der Bundesrepublik.140 139 Auch die jeweiligen Autoren spielen für die Untersuchung nur eine nachgeordnete Rolle. Zwar ist die unmittelbare Autorenschaft keineswegs irrelevant, durch den hier gewählten Zugang rücken aber vor allem die redaktionelle Linie einer Publikation und die damit verbundenen Interessen und nicht so sehr die politische Meinung einzelner in den Vordergrund. Durch diese Entscheidung wird zudem die Diskrepanz zwischen prominenten und unbekannteren Autorinnen und Autoren aufgehoben. Die Einordnung in dieser Studie bezieht sich somit auf den vorherrschenden Deutungsrahmen der gesamten Publikation. 140 Siehe das DFG-Projekt Geschichte eines Leitmediums. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung von ihrer Gründung 1949 bis zur Gegenwart an der Universität Würzburg unter der Leitung von Prof. Dr. Peter Hoeres. Siehe auch Felix Marcinowski, Rechtsextreme Gewalt in deutschen Printmedien. Eine geschichtssoziologische Analyse der Berichterstattung zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ („NSU“), München 2017 (Dissertation).
42 1. Einleitung Durch den langen Untersuchungszeitraum können die verschiedensten Ausprägungen und Entwicklungen des Rechtsradikalismus einbezogen werden. Zudem ermöglicht erst die „longue durée“, Veränderungen in den Debatten zu gesellschaftlichen Wandlungsprozessen in Bezug zu setzen. Nicht nur die politische Kultur, sondern gleichfalls die staatlichen Institutionen und publizistischen Akteure haben sich in dieser Zeitspanne verändert und an immer wieder neue Gegebenheiten angepasst. Sie gewannen Erfahrungen, die sich mitunter auf ihre Debattenführung und Positionierungen ausgewirkt haben.141 Aufgrund des langen Untersuchungszeitraumes wird die Problematik exemplarisch anhand zen traler Umbruchpunkte, spezifischer Ereignisse und außergewöhnlichen Herausforderungen in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus bearbeitet. Zudem fokussiert die Arbeit auf den von Botsch als „politische Bewegung“ bezeichneten Teil des Rechtsradikalismus und folgt somit seiner akteursorientierten Perspektive.142 Die Auswahl der folgenden sieben Fallbeispiele erfolgte kriteriengeleitet143: 1. die Verbotsdiskussion um die Sozialistische Reichspartei und die Debatte im Anschluss an die „Partisanenaffäre“ des Bundes Deutscher Jugend (1951/52), 2. die Diskussion um die antisemitische „Schmierwelle“ und um ein Verbot der Deutschen Reichspartei (1959/60), 3. die Verbotsdebatte um die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) (1968/69), 141 Auch wenn eine bis in die heutige Zeit hineinreichende Untersuchung durchaus interessant wäre und es oftmals sinnvoll sein kann, die deutsche Einheit als Fluchtpunkt bundesrepublikanischer Geschichtserzählung aufzugeben, muss die vorliegende Arbeit darauf verzichten. Eine Untersuchung, die auch die Nachwendeperiode mit einschließt, müsste aufgrund des spezifischen DDR-Hintergrundes eines Teils der Bevölkerung und der zusätzlichen Akteure ganz andere politische und historische Hintergründe mitberücksichtigen, die einen nicht mehr vertretbaren Arbeitsaufwand darstellen. Auch erreichte der Rechtsradikalismus in den neunziger Jahren eine ganz neue Dimension, die sich mit den Stichworten „Hoyerswerda“, „Rostock-Lich tenhagen“ und „Solingen“ verbindet. 142 Die Frage nach rechtsradikalen Einstellungen in der Gesamtgesellschaft spielt insofern nur mittelbar eine Rolle, wenn diese in Zusammenhang mit rechtsradikalen Akteuren oder Aktivitäten diskutiert werden. 143 Auswahlkriterium für die Fallbeispiele war zunächst die Relevanz für den bundesdeutschen Rechtsradikalismus. Darüber hinaus wurde eine gewisse Bandbreite des Rechtsradikalismus, speziell die Akteursbereiche „rechtsradikale Partei“, „rechtsradikale Jugendgruppe/Neonazismus“ und „Rechtsterrorismus“ berücksichtigt. Es handelt sich in allen Fällen zudem um diskursive Ereignisse, welche die Entwicklung der jeweiligen Debatten mehr oder minder stark beeinflusst haben, da von ausführlich geführten Auseinandersetzungen in Politik und Zivilgesellschaft auszugehen war. Ein weiteres Kriterium war die möglichst repräsentative Verteilung innerhalb des Untersuchungszeitraumes, um eine kontinuierliche Entwicklung aufzeigen zu können.
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4. den Umgang mit der Aktion Widerstand und dem entstehenden Neonazismus (1970/71), 5. die Auseinandersetzung mit den Deutschen Aktionsgruppen und die Debatte nach dem Anschlag auf das Münchener Oktoberfest (1980), 6. den Umgang mit der „Kühnen-Gruppe“ (1983), 7. die Diskussionen über den Wiedereinzug rechtsradikaler Parteien in die Bremer Bürgerschaft 1987 (Deutsche Volksunion) und das Berliner Abgeordnetenhaus 1989 (Die Republikaner). In der empirischen Untersuchung wurden nicht nur die sich unmittelbar auf das Ereignis beziehenden Quellen berücksichtigt, sondern gleichfalls alle, die sich auf rechtsradikale Aktivitäten zu diesem Zeitpunkt beziehen.144 Da die Quellenarbeit – entgegen der ursprünglichen Vermutung – in erster Linie die Kontinuität der Debatte offenbarte, wurde im Aufbau der Arbeit auf eine Phaseneinteilung verzichtet. Die Publikationen wurden als Gesamtheit bewertet, dabei aber keinesfalls chronologisch abgearbeitet. Das Ziel war nicht die vollständige Darstellung der Berichterstattung über den Rechtsradikalismus, sondern die Frage nach dessen Behandlung. Ziel der Studie war es herauszuarbeiten, welche Interpretationen und Reaktionsforderungen die Presseerzeugnisse in der Öffentlichkeit platzierten und welche Wirklichkeitsdeutung sie forcierten. Sie erfasst daher nur Texte, die sich mit dem jeweils zeitgenössisch aktuellen Rechtsradikalismus befassen. Interne Debatten oder Gesprächsprotokolle nicht öffentlicher Sitzungen berücksichtigt diese Diskursgeschichte nicht.145 Das Ziel war es, möglichst unvoreingenommen die Wirkung der Veröffentlichung und mithin der Debattenbeiträge zu analysieren, also zu untersuchen, was nach außen kommuniziert wurde. Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind daher veröffentlichte Meinungen und Debattenbeiträge zum Umgang mit dem Rechtsradikalismus. Die Studie zielt mithin auf die Wirkung der Debattenbeiträge und die Versuche nicht-staatlicher Akteure, Einfluss auf die öffentliche Meinung auszuüben beziehungsweise die Diskussion über den Rechtsradikalismus zu beeinflussen. Im Falle abhängiger Publikationen können die veröffentlichten Positionen der Trägerorganisation zugerechnet werden.
144 Die speziellen Ereignisse sind insofern nur ein Vorwand für einen „Zoom“ in die Debatte. So konnten neben den jeweiligen Hauptthemen auch andere – wie die seit den sechziger Jahren kontinuierlich auftauchende NPD, zahlreiche rechtsterroristische und neonazistische Vorfälle sowie z. B. die Verbotsdebatten bezüglich der Nationalen Sammlung und der Freiheitlich Deutschen Arbeiterpartei – mit in die Untersuchung einbezogen werden. 145 Sekundärliteratur wurde, sofern vorhanden, berücksichtig und ausgewertet.
44 1. Einleitung Thesen Wie beschrieben, ist die politische Kultur und mithin die Priorisierung einer Gesellschaft im Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit stets dynamisch. Diese Studie geht dennoch davon aus, dass die Betonung der Sicherheit in der westdeutschen Gesellschaft und ihrer demokratischen Institutionen im Umgang mit dem Rechtsradikalismus vielfach die oberste Handlungsprämisse war. Der Dynamik waren insofern Grenzen gesetzt. Die Bundesrepublik war ein „Kind des Kalten Krieges“146 und Freiheit im Sinne von Abwesenheit totalitaristischer Beherrschung konnte, wie die besondere Betonung des Antikommunismus in diesen Jahren verdeutlicht, „durchaus mit aggressivem Antiliberalismus und tiefer Skepsis gegenüber zu weitgehender Demokratie vereinbart werden.“147 Durch den „permanenten Alarmzustand“ im Kalten Krieg „konnten die Mängel […] einer freien politischen Kultur […] kaschiert werden.“148 Noch zu Beginn der achtziger Jahre befand Peter Reichel, dass die Westdeutschen kein Bewusstsein für die Fragilität von Grundrechten hatten: „Die Sorge vor Einbußen im Lebensstandard und die Angst vor öffentlicher Unruhe und mangelnder staatlicher Ordnung sind stärker ausgeprägt als die Furcht vor einer Gefährdung demokratischer Grundrechte. Das wird noch dadurch unterstrichen, dass sich […] mehr als die Hälfte durch Einschränkung der Grundrechte eine wirksamere Bekämpfung extremistischer und terroristischer Gefahren versprechen.“149
Die Angst vor einem erneuten Scheitern demokratischer Staatlichkeit entwickelte sich zu einem Merkmal der politischen Kultur, zu einer „psychologischen Grunddisposition der Bundesbürger“150 und prägte auch die Sichtweise der hier untersuchten nicht-staatlichen Akteure auf den Rechtsradikalismus. „German Angst“ gilt bis heute als Ursache eines besonderen Sicherheitsbedürfnisses der Deutschen. Angst vor Krieg und ökonomischem Zusammenbruch wird ergänzt um die Angst vor einem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung.151 Nachdem deren Stabilität kaum mehr zu leugnen war, rückte verstärkt die „innere Sicherheit“ in den Mittelpunkt der Debatten und führte zu einer Beibehaltung des Si146 Glaeßner, Politik, S. 35. 147 Schildt / Siegfried, S. 144f. Auch Ulrich Herbert betont, dass der Kalte Krieg einerseits die Stabilisierung ermöglichte, andererseits aber den bereits seit den fünfziger Jahren auszumachenden „Tendenzen des gesellschaftlichen Wandels“ entgegenstand. Vgl. Herbert, S. 32f. Siehe auch Plottnitz, S. 273. 148 Leggewie / Meier, Republikschutz, S. 209. 149 Reichel, Kultur, S. 189. 150 Ullrich, S. 306. 151 Vgl. Axel Schildt, „German Angst“. Überlegungen zur Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik, in: Daniela Münkel / Jutta Schwarzkopf (Hg.), Geschichte als Experiment. Studien zu Politik, Kultur und Alltag im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Adelheid von Saldern, Frankfurt am Main 2004, S. 87–97, hier S. 89.
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cherheitsprimates.152 Nach Glaeßner umfasst diese „den Schutz der Individuen vor Gefahren, die ihnen durch Andere drohen. Dazu gehören der Schutz von Leib und Leben, der Gesundheit, der Freiheit und des Besitzes gegen Kriminalität und andere unzulässige Eingriffe in das persönliche Leben.“153 Insofern hatte sich zwar der Sicherheitsbegriff verändert, nicht aber der Orientierungshorizont und die Sicherheitskultur.154 Hier darf sicherlich nicht vergessen werden, dass speziell die siebziger Jahre, aber auch die Zeit danach trotz aller Utopien und Reformbestrebungen auch eine Phase der Unsicherheit waren. Dies beruhte nicht nur auf den terroristischen Anschlägen der RAF und anderer Gruppierungen, sondern auch auf der sich rasant verschlechternden ökonomischen Lage spätestens nach der Ölpreiskrise 1973.155 Aus dieser von Unsicherheit geprägten Wahrnehmung heraus betrieben auch nicht-staatliche Akteure im gesamten Untersuchungszeitraum mehrheitlich einen von Sicherheitsdenken beeinflussten Umgang mit dem Rechtsradikalismus. Entsprechend wurden sicherheitspolitische Maßnahmen, insbesondere die Instrumente der „wehrhaften Demokratie“, als entscheidende Mittel zur Verteidigung von Freiheit aufgefasst. Auch nicht-staatliche Akteure erkannten hier durchweg keinen Widerspruch. Vielmehr gingen sie mindestens bis 1989, so die Annahme dieser Arbeit, davon aus, dass mehr Sicherheit gleichzeitig mehr Freiheit bedeuten würde. Es ist zudem wahrscheinlich, dass die Bedrohungswahrnehmung einerseits vielfach erhöht war. Andererseits ist davon auszugehen, dass diese auch im nicht-staatlichen Bereich nur bedingt relevant war für die Frage nach der Reaktion. 152 Laut Rupert von Plottnitz fand „im Zeichen der Auseinandersetzung mit terroristischen Aktivitäten“ seit den siebziger Jahren „der Ruf nach dem starken Staat sehr schnell wieder Gehör. Es setzte eine alles andere als grundrechtsverliebte, bürgerrechtsorientierte Gegenbewegung ein. Das Pendel schlug zurück“. Vgl. Plottnitz, S. 277. Siehe auch Reichel, Kultur, S. 187. Siehe zum Terminus „innere Sicherheit“ und zur Wirkungsmächtigkeit des Konzeptes in den Debatten der Bundesrepublik zudem Thomas Feltes, Akteure der Inneren Sicherheit. Vom Öffentlichen zum Privaten, in: Hans-Jürgen Lange u.a. (Hg.), Auf der Suche nach neuer Sicherheit. Fakten, Theorien und Folgen, Wiesbaden 2009, S. 105–113; Jaschke, Demokratie, S. 77–86; Thomas Kunz, Der Sicherheitsdiskurs. Die innere Sicherheitspolitik und ihre Kritik, Bielefeld 2005, S. 14; Peter H. Ohly, Die Innere Sicherheit im Spiegel der deutschsprachigen Literatur, in: Hans-Jürgen Lange u.a. (Hg.), Auf der Suche nach neuer Sicherheit. Fakten, Theorien und Folgen, Wiesbaden 2009, S. 377–392. 153 Glaeßner, Sicherheit, S. 146. 154 Laut Conze war Sicherheit „in der Geschichte der Bundesrepublik stets ein Ziel jenseits des Handelns der Regierung und jenseits der gesellschaftlichen Erwartung an die Politik“. Sie „bildete […] einen umfassenden soziokulturellen Orientierungshorizont.“ Vgl. Conze, Suche, S. 17. Siehe auch Braun, S. 279. 155 Vgl. Johannes Hürter, Das Jahrzehnt der Verunsicherung. Anti-Terrorismus-Politik vor und nach dem „Deutschen Herbst“, in: Zeitgeschichte-online, veröffentlicht am 12. Sep. 2017.
46 1. Einleitung Während grundsätzlich von einem voranschreitenden „Prozess der allmählichen […] Einverleibung und Verwurzelung der Demokratie“ auszugehen ist,156 in deren Folge sich demokratische Grundsätze und Abläufe in der Willensbildung auch außerhalb der institutionalisierten politischen Sphäre ausbreiteten, ist Vergleichbares im Umgang mit dem Rechtsradikalismus nicht geschehen. Zwar spielte vor allem das Parteienverbot seit den fünfziger Jahren in der Praxis zunächst eine deutlich geringere Rolle, dies gilt aber weniger für Vereinsverbote. Ohnehin ist dieser empirische Befund der administrativen Praxis nicht automatisch auf die diesbezüglich geführte Debatte – zumal im nicht-staatlichen Bereich – übertragbar. Nicht nur die jüngsten Diskussionen über ein Verbot der NPD verweisen darauf, dass sich im Denken über den Umgang mit dem Rechtsradikalismus bisher nicht allzu viel verändert hat und eine oftmals geringe Bedrohungswahrnehmung sich kaum auf die geforderten Reaktionen auswirkte. In Bezug auf die Thematik dieser Studie ist davon auszugehen, dass die untersuchten nicht-staatlichen Akteure mindestens bis 1989 weder auf verstärkte Toleranz noch auf eine Liberalisierung der Mittel in der Auseinandersetzung drängten. Ihr Ziel blieb die Marginalisierung des Rechtsradikalismus zumindest auch mit sicherheitspolitischen Maßnahmen. Trotz vereinzelter Impulse, um diese Auseinandersetzung durch Diversifizierung möglicher Reaktionen erfolgreicher und vor allem nachhaltiger zu gestalten, war eine Abkehr von der „wehrhaften Demokratie“ keine Option. Sicherheitsdenken überwog und verhinderte, dass grundlegende Kritik an diesem Konzept in Zusammenhang mit dem Rechtsradikalismus formuliert wurde. Trotz intensiverer Debatten über die Legitimation dieser Staatsschutzkonzeption in der Gesamtgesellschaft seit den siebziger Jahren157 blieb die nicht-staatliche Kritik an sicherheitspolitischen Maßnahmen staatlicher Akteure gegen den Rechtsradikalismus die Ausnahme. Für die heute vielfach vertretene Annahme, dass ein vorschneller Rückgriff auf Repression möglicherweise sogar kontraproduktiv wirke und eine nachhaltige Marginalisierung erschweren könne, waren auch nicht-staatliche Akteure bis in die achtziger Jahre kaum zu gewinnen. Regelmäßig zielten die nicht-staatlichen Akteure noch stärker auf Sicherheit als ihre staatlichen Adressaten. Trotz ihrer seit den späten fünfziger Jahren verstärkten Rolle als „Triebkräfte des Aufbruchs“158 haben auch Journalistinnen und Journalisten beziehungsweise klassische Medien die staatliche Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus kaum verändert. Oft zielten auch sie nicht auf weniger, sondern vielmehr auf gesteigerte oder zumindest schneller durchzuführende repressive Maßnahmen. Mindestens aber unterstützten sie durchgän156 Vgl. Bauerkämper u.a., S. 14. 157 Siehe für weitere Informationen Altenhof, S. 180; Weckenbrock, S. 81f. Zum Inhalt der Kritik siehe Thiel, Einführung, S. 1–24, insbesondere Seite 10ff. 158 Christina v. Hodenberg, Die Journalisten und der Aufbruch zur kritischen Öffentlichkeit, in: Ulrich Herbert, Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung. 1945 bis 1980, Göttingen 2002, S. 278–311, hier S. 278.
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gig die Sicherheitspolitik und profilierten sich dadurch kaum als kritische Beobachter oder Kommentatoren staatlicher Reaktionen auf den Rechtsradikalismus. Diese Studie geht insofern davon aus, dass die Debatten über den Umgang mit dem Rechtsradikalismus bis zur Wiedervereinigung eher von Kontinuität denn von tief gehendem Wandel geprägt waren. Bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes entwickelte sich auch in diesem Teil der Gesellschaft „eine unbefangene Umgangsform“159 nur in Ansätzen. Wandlungsprozesse und Anpassungen waren zwar durchaus möglich, fanden aber eher im Detail, unterhalb des grundsätzlich favorisierten Umgangs, statt. Der Umgang war zwar keinesfalls statisch, es ist aber davon auszugehen, dass die untersuchten Akteure einen eng gesetzten Rahmen nicht verließen. Dem Wandel der politischen Kultur folgte höchstens ein partieller Einstellungswandel.160 So wurde eine Diversifizierung des Umgangs mit dem Fokus auf weniger repressive Instrumente, trotz mindestens subjektiv erlebter gesellschaftlicher Stabilisierung, gestiegenem demokratischem Bewusstsein sowie der ersten Erfolge in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus (u.a. der Wahlniederlagen rechter Parteien nach 1953 und vor allem der NPD 1969) auf diesem Gebiet bis 1989 in den nicht-staatlichen Debattenbeiträgen zwar teilweise berücksichtigt. Diese blieben dennoch von dem Gedanken geprägt, dass es im Zweifelsfall die Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ seien, welche die Freiheit der Gesellschaft bewahren. Die hier ausgewählten Publikationen sind auch deshalb relevant für diese Studie, weil sie für sich beziehungsweise ihre Trägerorganisationen eine führende Rolle im Ausbau von Demokratie und freiheitlichem Zusammenleben beanspruchten.161 Sie sahen es auch als ihre eigene Aufgabe an, dem Rechtsradikalismus entgegenzuwirken. Mit ihren je spezifischen Mitteln versuchten sie, ein Erstarken der rechtsradikalen Szene162 beziehungsweise derartige Manifestation 159 Hans-Gerd Jaschke u.a., Nach Hitler. Radikale Rechte rüsten auf, München 2001, S. 258. Vgl. auch Plottnitz, S. 283. 160 Zum Verhältnis beider Begriffe siehe Rohe, S. 2. 161 Vergleiche bezüglich Details die Veröffentlichungen zum jeweiligen Akteur, speziell Abendroth, S. 95–98; Alemann, S. 83; BDA, Bundesvereinigung (b), S. 12; Buschke, S. 372; Deppe, Geschichte, S. 472, 476, 562f.; Erdmann, S. 232; Erler, S. 104f.; Gäbler, S. 161f.; Giordano, S. 9f., 189; Göhner, S. 133; Hemmer / Mielke, S. 91; Wolfgang Hirsch-Weber, Gewerkschaften in der Politik. Von der Massenstreikdebatte zum Kampf um das Mitbestimmungsrecht, Köln 1959, S. 59, 120f.; Hurwitz, S. 316; Maaßen, S. 82f., 99; Ohneis, S. 73f.; Schönborn, S. 233; Speth, S. 260; Schroeder, Wolfgang / Weßels, Bernhard, Einleitung, in: Dies. (Hg.), Die Gewerkschaften in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland. Ein Handbuch, Wiesbaden 2003, S. 11–37, S. 16; Siering, S. 35; Sinn, S. 322; Stickler, S. 99; Urbahn-Fahr, S. 259; Zeuner, S. 10. 162 Der Begriff „rechtsradikale Szene“ dient als Sammelbezeichnung für alle Gruppierungen, Parteien und Individuen, die sich zum Rechtsradikalismus bekennen oder entsprechende Ideologien vertreten. Er ist bewusst nicht präzise definiert, da auch der Rechtsradikalismus insgesamt nicht präzise definiert werden kann. Der Terminus beinhaltet somit auch die jeweils zeitgenössischen Rand- oder Graubereiche.
48 1. Einleitung in der Öffentlichkeit zu verhindern. Allerdings stand das Interesse, als potenziell kritische, aber im Kern legitimierte Partner der bundesdeutschen Politik angesehen zu werden, oftmals im Vordergrund. Im Zweifelsfall war dieses entscheidender als eine konsequente Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus. So war die Darstellung des Rechtsradikalismus stets interessengeleitet. Selbst die Darstellung der Bedrohungspotenziale des Rechtsradikalismus oder dessen Ursachen blieb abhängig von den jeweils aktuellen Zielen. Parallel betonten die nicht-staatlichen Akteure die positiven Entwicklungen der Bundesrepublik und nutzten staatliches Vorgehen gegen den Rechtsradikalismus im Rahmen der „wehrhaften Demokratie“, um internationalen Beobachtern das westdeutsche Engagement zum Schutz der Demokratie zu demonstrieren. Während Relativierungen vor allem der Außenwirkung dienten, zielte Dramatisierung auf die innere Alarmbereitschaft, konterkarierte dabei aber leicht eine realistische Betrachtung der Situation. Sie verhinderte einen umfassenden Wandel des Umgangs mit dem Rechtsradikalismus für mehrere Dekaden. Zwar konnte dieser lange Jahre immer nur phasenweise in der Öffentlichkeit auftreten oder Wahlerfolge feiern, immer wieder wurde dennoch deutlich, wie wenig nachhaltig die bisherige Marginalisierung war und, dass der Rechtsradikalismus regelmäßig in etwas anderer Form erneut die Bühne der politischen Auseinandersetzung betreten konnte und kann. Dazu beigetragen hat eine jahrelange teilweise sehr polarisierte Debatte über die Fragen, was die Ursachen rechtsradikaler Erfolge seien, warum der Rechtsradikalismus für Teile der Bevölkerung attraktiv sei und wie verbreitet dieser überhaupt sei. Parallel wurde über die Sinnhaftigkeit von Verboten und der Überwachung durch den Verfassungsschutz genauso intensiv gestritten, wie über das Problem, dass es unterschiedliche Vorstellung darüber gab und gibt, welche Gruppen oder Parteien rechtsradikal sind und welche nicht. Daher ist der etwas übertriebenen Feststellung von Richard Stöss, dass Rechtsradikalismus ein hochpolitisches und emotionsgeladenes Thema sei, über das kaum jemand vernünftig diskutieren könne, wohl in der Sache zuzustimmen.163
163 Vgl. Stöss, Erklärungsansätze, S. 25.
2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) 1945 wurde zwar das nationalsozialistische Deutschland besiegt, nicht aber der Rechtsradikalismus aus der Welt geschafft. Schnell zeigte sich, dass entsprechende Gruppen wieder aktiv werden konnten. Auch rechtsradikale Einstellungen waren in der Bevölkerung weiterhin verbreitet. Entnazifizierung, Besatzung sowie die Kriegsgefangenenfrage konnten leicht zur Mobilisierung genutzt werden, ohne allzu offen auf nationalsozialistische Ideologieelemente zurückzugreifen.1 Bezüglich des Rechtsradikalismus kann nur in organisatorischer Hinsicht von einer „Stunde Null“ die Rede sein. Inhaltlich und personell war die Brücke zum Nationalsozialismus hingegen niemals abgebrochen. Im Folgenden wird neben dem Umgang mit der SRP ebenso die Debatte im Anschluss an die Enttarnung des Technischen Dienstes des Bundes Deutscher Jugend (BDJ) Mitte Oktober 1952 und die Frage nach dem „Graubereich“ untersucht.2
2.1. Auf- und Abstieg der Sozialistischen Reichspartei Bald nach Kriegsende entwickelten sich die ersten rechtsradikalen Parteistrukturen. Insbesondere Niedersachsen war in dieser Gründungsphase der Bundesrepublik ein Zentrum rechtsradikaler Präsenz.3 Hier entwickelte sich aus einem Geflecht rechter Gruppierungen und Parteien u.a. die Deutsche Konservative Partei – Deutsche Rechtspartei (DKP/DRP), die in Niedersachsen nur als Deutsche Rechtspartei antrat.4 Nach Flügelstreitereien Ende der vierziger Jahre schlossen sich die Nationalkonservativen am 21. Januar 1950 zur Deutschen Reichspartei 1 Dudek / Jaschke, S. 41. 2 Zur Bestimmung des Untersuchungszeitraums dienten drei Ereignisse: (1.) Die Landtagswahl in Niedersachsen vom 6. Mai 1951, (2.) Die Wahl zur Verfassunggebenden Landesversammlung im späteren Baden-Württemberg vom 9. März 1952 – noch existierten die Länder Württemberg-Baden, Baden, Württemberg-Hohenzollern. Das Land Baden-Württemberg wurde erst im Anschluss an diese Wahl gegründet. (3.) Die Verkündung des SRP-Parteiverbotes am 23. Oktober 1952. 3 Diese ergab sich aus einem sonst nirgends vorherrschenden Gemisch aus sozio-ökonomischen Problemen, verstärkt durch extrem hohe Flüchtlings- bzw. Vertriebenenzahlen, sowie die Auflösung des klassischen bürgerlich-welfischen Milieus. Vgl. Bernd Weisbrod (Hg.), Rechtsradikalismus in der politischen Kultur der Nachkriegszeit. Die verzögerte Normalisierung in Niedersachsen, Hannover 1995. 4 Diese deutschnationale Partei gewann bei der Bundestagswahl 1949 mit teilweise eindeutig nationalsozialistischer Propaganda rund 500.000 Stimmen und damit fünf Mandate. Sie war aber auch eine der ersten Parteien, welche die alliierte Sicherheitspolitik zu spüren bekam. Vgl. Dudek / Jaschke, S. 64, 193; Stöss, Rechtsextremismus 2000, S. 42; Hansen, S. 42.
50 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) zusammen. Der nationalsozialistische Flügel hatte bereits am 2. Oktober 1949 die Sozialistische Reichspartei gegründet. Ihr Ziel war die „Sammlung aller wahrhaft Deutschen durch kämpferisches Bekenntnis und Verpflichtung auf ein klares sozialistisches und nationales Programm zur Überwindung der deutschen Not.“5 Auf dem Höhepunkt ihrer politischen Tätigkeit zählte die SRP ungefähr 10.000 Mitglieder. Ihre Kader waren keine früheren NS-Führungspersönlichkeiten, sondern repräsentierten vor allem die mittlere Ebene des Regimes oder waren Angehörige der Wehrmacht.6 Es handelte sich aber nicht nur um eine Partei „alter Nazis“, sondern auch um ein Produkt der spezifischen gesellschaftlichen Umstände in der jungen Bundesrepublik: Die Mitglieder verband soziale Deklassierung und wirtschaftliche Not nach dem Krieg.7 Die Sozialistische Reichspartei existierte nur für etwa drei Jahre, war aber sowohl für die weitere Entwicklung des Rechtsradikalismus als auch für die Etablierung der „wehrhaften Demokratie“ von zentraler Bedeutung. Sie wurde von Dudek und Jaschke als der „erste und zugleich letzte Versuch“ bezeichnet, „die Ideologie des Nationalsozialismus unverblümt parteiförmig wiederzubeleben“.8 Dies wurde in der Öffentlichkeit zwar nur abgeschwächt und andeutungsweise präsentiert, war aber anhand von Programmatik und internem Auftreten deutlich. Als ein weiteres Indiz hierfür wird oftmals der Aufbau der Reichsfront als Saalschutzorganisation der Partei erwähnt, die der SA gleiche.9 Deutlich wird dies darüber hinaus an personellen Kontinuitäten, speziell an dem bekannten Hitler-Anhänger Otto Ernst Remer, dessen Aufgabe es war, eindeutige Verbindungslinien zum NS-Regime zu symbolisieren, ohne verbal allzu explizit zu werden.10 Früh nämlich war die Bereitschaft, repressiv gegen die SRP vorzugehen, sehr ausgeprägt und die Parteiführung sah sich bald mit Rede- und Versamm 5 Zit.n. Hansen, S. 41. Für Details zur Gründung siehe auch Otto Büsch, Geschichte und Gestalt der SRP, in: Eugen Fischer-Baling, Rechtsradikalismus im Nachkriegsdeutschland. Studien über die Sozialistische Reichspartei (SRP), Berlin 1957, S. 17. 6 Vgl. Dudek / Jaschke, S. 65; Büsch, S. 96. 7 Es handelte sich überwiegend um Menschen, welche durch Kriegsniederlage und Entnazifizierung aus ihrer politischen und beruflichen Laufbahn geworfen wurden. Vgl. Büsch, S. 22f.; Frei, S. 327; Stöss, Rechtsextremismus 2000, S. 131f. 8 Vgl. zur Thematik Dudek / Jaschke, S. 64–67, für das Zitat siehe S. 67. Für eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Ideologie der Partei siehe Peter Furth, Ideologie und Propaganda der Sozialistischen Reichspartei (SRP). Ein Beitrag zur Ideologiekritik des Rechtsradikalismus, in: Eugen Fischer-Baling, Rechtsradikalismus im Nachkriegsdeutschland. Studien über die Sozialistische Reichspartei (SRP), Berlin 1957; Hansen, Reichspartei. Siehe für NS-Bezüge auch Conze, Suche, S. 147; Frei, S. 326; Jaschke u.a., Hitler, S. 145. 9 Dies findet sich teilweise auch in den untersuchten Publikationen. Vgl. Die Zeit, Den Rechtsstaat verteidigen!, 10.5.1951; FAZ, Reichsfront, 5.5.1951, S. 1; ÖTV-Presse, Wehret den Anfängen, 14.5.1951, S. 7. 10 Remer blieb bis zu seinem Tod seinen rechtsradikalen Überzeugungen treu und trat für diese offen ein. Vgl. diesbezüglich Clemens Gussone, Rechtsextremismus in der
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lungsverboten konfrontiert.11 Im September 1950 wurde die Mitgliedschaft in der SRP im „Extremisten-Beschluss“ für unvereinbar mit einer Beschäftigung im Öffentlichen Dienst erklärt. Die Partei geriet nun immer mehr in den Fokus der soeben erst aufgebauten staatlichen Verfassungsschutzbehörden. Auch auf gesellschaftlicher Ebene regte sich vielerorts Protest.12 Die Bedeutung der Partei in diesen Jahren zeigte sich auch in den hier untersuchten Publikationen. Vor allem die „Frankfurter Rundschau“ und die Gewerkschaftspresse informierten regelmäßig über die SRP und ihr Umfeld, bewerteten deren Positionen und beteiligten sich an der Debatte über die Frage nach dem Umgang mit dieser. Zudem berichteten sie auch über andere rechtsradikale Gruppierungen. Zunächst lässt sich dies auch für die FAZ festhalten. Nach der Wahl in Niedersachsen ließ das Interesse der Zeitung an der Partei aber schnell nach und sie wurde entsprechend seltener thematisiert. „Die Zeit“ behandelte die SRP in mehreren Artikeln, wobei hier vor allem die Wahl in Niedersachsen und das Verbot der Partei das Interesse weckten. Der wichtigste Vorläufer des „Deutschen Ostdienstes“, die „Vertriebenen-Korrespondenz“ (V-K), herausgegeben vom Zentralverband vertriebener Deutscher (ZvD), äußerte sich zum Rechtsradikalismus und speziell zur SRP in den frühen fünfziger Jahren hingegen nur auf geringem Niveau. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände beteiligte sich in ihrer Verbandszeitschrift „Der Arbeitgeber“ sogar überhaupt nicht an der Diskussion. Weder zur SRP noch zu anderen Aspekten des Rechtsradikalismus finden sich Artikel.13 Bundesrepublik Deutschland. Die Veröffentlichungen Otto Ernst Remers, Berlin 2011 (Magisterarbeit). 11 Bereits im Februar 1950 wurden gegen Remer in einigen Bundesländern Auftrittsverbote verhängt. Siehe für weitere Details Frei, S. 326f.; Felix Hanschmann, Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. SRP und KPD. Antragsgegner, historisch-politischer Kontext, Verfahren und Folgen, in: Michael Goldbach, Mit juristischen Waffen gegen Rechts. Zur Wirksamkeit von Partei- und Versammlungsverboten, Hofgeismar 2003, S. 7–25, hier S. 11; Hansen, S. 228f.; Jaschke u.a., Hitler, S. 146. 12 Vgl. Baukloh, S. 82; Hansen, S. 150. 13 Aus welchen Gründen die BDA kein Interesse an der Thematik zeigte, ist spekulativ. Dies könnte sowohl an der vielfachen Unterstützung der Unternehmerschaft für das „Dritte Reich“ als auch an der tatsächlichen Gleichgültigkeit bezüglich des Umgangs mit dem Rechtsradikalismus liegen. Da die wirtschaftlichen Eliten allerdings schon früh nicht mehr rein defensiv agieren mussten und sich aktiv in die Diskussion über die sozio-ökonomischen Grundlagen der Bundesrepublik einmischten, ist ein taktischer Hintergrund eher unwahrscheinlich. Auch weil Der Arbeitgeber, anders als beispielsweise die Gewerkschaftspresse, nicht die Aufgabe hatte, die eigenen Mitglieder politisch zu schulen, ist hier wohl tatsächlich von Desinteresse auszugehen. Dass das „‚Kommunikative Beschweigen‘ der belasteten Biographien“ vielen Unternehmen, wie Tim Schanetzky argumentierte, bei der „Ankunft“ in der Bundesrepublik half, hat das ohnehin geringe Interesse an einer Thematisierung des Rechtsradikalismus aber sicherlich bestärkt. Die weiteren Kapitel werden zeigen, dass der Arbeitgeber sich sehr
52 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) Von einer allgemein intensiven Debatte über die SRP kann insofern nicht gesprochen werden. Vielmehr war die Quantität der Berichterstattung deutlich verschieden und das keineswegs nur im Vergleich der originären Presse zur Verbandspublizistik. So war die SRP überraschenderweise sogar für die „Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland“ zunächst kein besonders zentrales Thema.14 Erst als sich das hohe Wahlergebnis der Partei abzeichnete, befasste die Zeitung sich intensiver mit ihr und nahm eine klare Gegenposition ein. Wichtiger für die „Allgemeine“ war in den frühen fünfziger Jahren immer noch die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und sie behandelte zudem primär Themen, die unmittelbar auf die Probleme der jüdischen Menschen in der Bundesrepublik bezogen waren.15 Die zunächst geringe Beschäftigung mit der SRP im Vorfeld der niedersächsischen Landtagswahl war möglicherweise auch die Folge des Standorts der Zeitung im rheinischen Düsseldorf, von wo aus die norddeutsche Tiefebene nicht nur geografisch weit weg war. Dass die „Allgemeine“ sich dennoch bereits vor dem Wahlergebnis der SRP in Niedersachsen durchaus als Mahnerin bezüglich des nach wie vor existenten Antisemitismus und Rechtsradikalismus betrachtete, zeigt die Thematisierung anderer rechts radikaler Strukturen und Prozesse, die sie offenbar mindestens für ebenso wichtig hielt wie Wahlen in der norddeutschen „Provinz“.16 Dennoch ist Giordanos Lobpreisung der Zeitung, die regelmäßig „mit einer Intensität und einem Nachdruck, die in keinem anderen Organ auch nur annähernd verzeichnet werden können […] auf alle neonazistischen Erscheinungen, auf ihre Gefahren und auf die Versäumnisse ihnen gegenüber“17 hinweise, für die frühen fünfziger Jahre nur partiell zutreffend. wohl zu vergleichbaren Themen positionierte. Vgl. Jörg Osterloh (Hg.), Unternehmer und NS-Verbrechen. Wirtschaftseliten im „Dritten Reich“ und in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main 2014, insbesondere S. 13–22; Tim Schanetzky, Unternehmer. Profiteure des Unrechts, in: Norbert Frei (Hg.), Hitlers Eliten nach 1945, München 2007, S. 69–116, speziell S. 83–94. Vgl. auch Wolfrum, Demokratie, S. 83. 14 Dass sie der SRP keine erhöhten Gefahrenpotenziale zusprach, zeigt die Entscheidung, vor der Wahl lieber den Deutschen Block, den die Zeitung ebenfalls als rechtsradikal einstufte, in einem langen Artikel zu skandalisieren. Vgl. diesbezüglich Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, NS-Sieg in Niedersachsen und Schleswig Holstein, 11.5.1951, S. 5. Die geringe Quantität der Berichte ist zumindest teilweise sicherlich auch der geringen Seitenzahl der ersten Jahrgänge geschuldet, die eine Verdichtung auf einzelne Themen erforderte. 15 So beachtete sie despektierliche Äußerungen Remers über das Attentat vom 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler fast genauso intensiv wie die Parteiaktivitäten der SRP. Vgl. Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Schlägerei bei SRP Versammlung, 13.4.1951, S. 3; Drei Monate Gefängnis für Remer, 21.3.1952, S. 6. Vgl. zur thematischen Schwerpunktsetzung Sinn, S. 126; Urbahn-Fahr, S. 259. 16 Siehe Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, NS-Sammelbewegung in Bayern verboten, 4.5.1951, S. 3; Die wahre Ursache des Judenpogroms, 3.10.1952, S. 5. 17 Giordano, S. 287, 388–393.
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Insgesamt war die Relevanz sowohl der SRP als auch des Rechtsradikalismus für die nicht-staatlichen Akteure also durchaus unterschiedlich. Während einige dem Rechtsradikalismus weniger Beachtung schenkten beziehungsweise teilweise auch andere Gruppierungen betrachteten, stand die SRP dennoch verstärkter im Mittelpunkt, je erfolgreicher sie wurde. Bereits 1950 trat die Partei bei Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein an, konnte aber kein Mandat gewinnen. Der Trend zeigte dennoch nach oben und in Niedersachsen übertraf sie mit einem „Veranstaltungsfeuerwerk“ alle Befürchtungen.18 Die Wahlkampfäußerungen nahmen parallel immer offener Bezug auf den Nationalsozialismus.19 Schließlich wurde am 4. Mai 1951, zwei Tage vor der Landtagswahl in Niedersachsen, das Verbot der Reichsfront nach Art. 9 Abs. 2 GG verkündet. Dieses primär wahlpolitisch motivierte Manöver sollte zwar auch demonstrieren, dass der junge Staat gegen die SRP kämpft, vor allem aber deren bisher stets nur behauptete Verfassungswidrigkeit unterstreichen und somit aufzeigen, dass Stimmen für die SRP mittelfristig verschenkt seien. Die Partei selber konnte noch nicht belangt werden, solange das Bundesverfassungsgericht nicht die Arbeit aufgenommen hatte.20 Alle untersuchten Publikationen, mit Ausnahme des „Arbeitgebers“, agierten in diesen Wochen, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität, gegen die SRP. Die FAZ kritisierte, im Parteiprogramm seien „schon in der ersten Zeile zwei kapitale, sinnentstellende Fehler“ zu finden.21 Daneben nutzte die Zeitung vielfach Aussagen prominenter Persönlichkeiten, um stigmatisierende Informationen in Artikeln mit an sich neutralem Zuschnitt zu platzieren.22 Vielfach finden sich zudem Anspielungen auf personelle Überschneidungen mit NS-Organisationen. Ohnehin beschrieb die FAZ die SRP als Neuauflage der NSDAP und zweifelte nicht an deren Verfassungswidrigkeit.23 Auch wenn sie kaum eigene Meinungsartikel zum Thema veröffentlichte, wurde ihre Gegnerschaft zur SRP so doch deutlich. 18 Vgl. Hansen, S. 151; Stöss, Rechte, S. 104. 19 Vgl. Frei, S. 333. 20 Ein eigentlicher Verbotsantrag konnte erst nach der Gründung des Bundesverfassungsgerichts am 28. September 1951 eingereicht werden. 21 FAZ, Der Druckfehler im Parteiprogramm, 26.2.1952, S. 2. Siehe auch FAZ, Verbotene Veranstaltungen, 1.5.1951, S. 3. 22 Wichtigster „Kronzeuge“ war Bundesinnenminister Robert Lehr (CDU), der sich als Befürworter eines SRP-Verbotes positionierte. Vgl. FAZ, Lehr reist nach Niedersachsen, 27.4.1951, S. 1; FAZ, Verbot der Volksbefragung, 27.4.1951, S. 1; FAZ, Wehner fordert weitere Verbote, 27.4.1951, S. 3; FAZ, Rechtsradikalismus in Nord-Niedersachsen, 1.5.1951, S. 3; FAZ, Die Bundesregierung verbietet die Reichsfront, 5.5.1951, S. 1; FAZ, Schumacher. Unsicherheit, 5.5.1951, S. 4. 23 FAZ, Rechtsradikalismus, 1.5.1951, S. 3. Dies betonte sie auch nach der Niedersachsenwahl weiterhin. Vgl. FAZ, Die Mahnung von Niedersachsen, 8.5.1951, S. 1; FAZ, Das Feuer des Radikalismus ausbrennen, 9.5.1951, S. 1; FAZ, Volksbefragung, 27.4.1951, S. 1; FAZ, Das Ringen um die Flüchtlingsseele, 17.5.1951, S. 1; FAZ, Druck-
54 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) In der Gewerkschaftspresse war speziell die Gewerkschaftsfeindlichkeit des Rechtsradikalismus ein zentraler Topos.24 Verweise auf die historische Situation der frühen dreißiger Jahre oder die NS-Jahre sollten dies unterstützen.25 Auch die Gewerkschaftspresse verglich die Partei mit der NSDAP und erklärte, die SRP würde „offen die Wiederherstellung des Hitlernazismus“ oder zumindest eine neue Diktatur vorbereiten.26 Sie diffamierte die SRP-Politiker als die „größten Feinde der Demokratie“ und „Ratten der Politik“.27 Dies diente sicherlich nicht nur der Diskreditierung der Partei, sondern zugleich der Mobilisierung der gewerkschaftlichen Abwehrbereitschaft und der Beeinflussung der eigenen Mitglieder. Dass viele Arbeiter und Gewerkschaftsmitglieder Hitler folgten, war schließlich noch nicht lange her. Zurückhaltender agierte die „Frankfurter Rundschau“ im Vorfeld der niedersächsischen Wahl. Wie die „Allgemeine“28 half auch sie zwar durchgehend mit, ein Negativbild der Sozialistischen Reichspartei zu erzeugen,29 betonte aber auch, dass diese eigentlich nur sehr wenige Anhänger habe, in sich gespalten sei und
fehler, 26.2.1952, S. 2; FAZ, Remer und das Feinblech, 1.3.1952, S. 2; FAZ, Die gleiche Blutgruppe?, 7.3.1952, S. 2. 24 Welt der Arbeit, Der 1. Mai gibt die Antwort, 27.4.1951; WdA, Wer zögert, verspielt seine Freiheit, 27.4.1951. Auch dies wurde nach der Wahl weiterhin regelmäßig thematisiert. Siehe WdA, Aus dem weißen Herrenhaus wird geschossen, 11.5.1951; WdA, Der Angriff wurde abgeschlagen, 11.5.1951; Metall, Der Faschismus erhebt wieder sein Haupt, 15.5.1951, S. 1f.; Die Quelle 1 (1952), Gewerkschafts-Selbsthilfe gegen Neofaschismus, S. 5f.; GMH 3 (1952), Die Gefahr des Neonazismus, S. 168–172. 25 ÖTV-Presse, So hat es auch 1931 angefangen, 30.4.1951, S. 9; ÖTV-Presse, Koalitionspartei auf Abwegen, 30.4.1951, S. 9; WdA, Braune Epigonen, 13.4.1951, S. 1f.; WdA, Herrenhaus, 11.5.1951; WdA, Dilettanten, 17.10.1952; WdA, Nicht bagatellisieren, 24.10.1952, S. 2; WdA, Kurzsichtig und taktlos, 31.10.1952; WdA, Ein erfreuliches Urteil, 31.10.1952, S. 2; WdA, Die Veilchen im Verborgenen, 31.10.1952; GMH 2 (1953), Chronik der Zeit, S. 110f.; GMH 3 (1953), Die Verteidigung der Demokratie, S. 137–141, hier S. 137. 26 Die Quelle 1 (1952), Gewerkschafts-Selbsthilfe, S. 5f.. Siehe auch WdA, Epigonen, 13.4.1951, S. 1f.; WdA, Alarmsignale, 11.5.1951, S. 1; Metall, Faschismus, 15.5.1951, S. 1f.; ÖTV-Presse, 1931, 30.4.1951, S. 9; ÖTV-Presse, Anfängen, 14.5.1951, S. 7. 27 WdA, Wühlmäuse und Ratten in der deutschen Politik, 7.3.1952. 28 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Entscheidungsreife Stunde, 4.5.1951, S. 1 bzw. Fünf Fragen und fünf Antworten = eine Frage, 18.5.1951, S. 1. 29 Frankfurter Rundschau (FR), Geplantes Verbot der SRP umstritten, 28.4.1951, S. 7; FR, Kundgebungen des „Deutschen Blocks“ verboten, 30.4.1951, S. 5. Siehe für die Zeit nach der Wahl auch FR, Kanzler verklagt Remer wegen Beleidigung, 10.5.1951, S. 8; FR, SRP-Propagandist schändet Bundesflagge, 12.5.1951, S. 3; FR, Dorls verliert Immunität, 1.3.1952, S. 24; FR, Rößler alias Richter verurteilt, 5.3.1952, S. 8; FR, Sachverständige gegen Remer, 10.3.1952, S. 8; FR, Gewissenskonflikte des Vorsitzenden im Remer-Prozeß, 12.3.1952, S. 1.
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nur mit etwas Glück an der Wahl überhaupt teilnehmen könne.30 Nur am Rande zeigte sich, dass die Zeitung bezüglich der demokratischen Zukunft der Bundesrepublik in den frühen fünfziger Jahren noch wenig optimistisch war.31 Aber mehr als kleine Sticheleien gegen die SRP veröffentlichte sie im Vorfeld der Wahl nur noch in Berichten zum Verbot der „Reichsfront“32 – doch dazu später. Auch die Hamburger „Zeit“ agierte relativ zurückhaltend und beschäftigte sich eher mit den Ursachen des Erfolges denn mit der Agitation gegen die Partei. Ohnehin würden die mageren Ergebnisse des BHE darauf hindeuten, dass speziell die Flüchtlinge keinesfalls besonders anfällig für rechtsradikale Demagogen seien.33 Zum Teil wurde zudem vor einer Stimmenabgabe zugunsten der Partei gewarnt. Nicht nur die „Welt der Arbeit“, sondern auch die „Vertriebenen-Korrespondenz“ gab zu Bedenken, dass eine Wahlentscheidung zugunsten des politischen Radikalismus alle Aufbaubemühungen der letzten Jahre wieder zerstören könnte.34 Oftmals war diese Warnung auch in den anderen Veröffentlichungen totalitarismustheoretisch darauf bezogen, sich gegen jeden Radikalismus zu entscheiden. Wie akzeptiert die totalitarismustheoretische Relativierung des Rechtsradikalismus zu Beginn der fünfziger Jahre war, zeigt ein Blick in die FR und auf die gewerkschaftlichen Berichte.35 Die GMH beschrieben ein „bewußte[s] und unbewußte[s] Zusammenspiel der nationalsozialistischen Kreise und des Kommunismus“ gegen 30 Nur durch den Übertritt bereits im Landtag sitzender Abgeordneter sei die Partei um die für sie kaum zu schaffende Hürde herumgekommen, in jedem Wahlkreis 100 Unterschriften sammeln zu müssen. Vgl. FR, Vor der Entscheidung in Niedersachsen, 5.5.1951, S. 3. Zur Spaltung siehe FR, Spaltung in der SRP. 5.5.1951, S. 1. 31 Die FR zitierte mehrfach bekannte Persönlichkeiten, die vor dem Rechtsradikalismus warnten. Auch hier kann vor allem Robert Lehr genannt werden. Vgl. z. B. FR, Niedersachsen geht nicht gegen SRP vor, 1.5.1951, S. 1; FR, Schumacher warnt vor Rechtsradikalen, 17.5.1951, S. 2. 32 So tauchte die SRP während der niedersächsischen Landtagswahl als eine relativ normale Partei in der Berichterstattung auf. In einem abschließenden Artikel vor dem Wahlsonntag wurde zunächst die SPD, dann die Union und ihre Partner beschrieben, um anschließend auch ein paar Zeilen zur SRP zu veröffentlichen. Vgl. FR, Entscheidung, 5.5.1951, S. 3. Siehe auch FR, SRP weist Vorwürfe zurück, 10.5.1951, S. 8. 33 Die Zeit, Kein Erdrutsch in Niedersachsen, 10.5.1951. 34 Vertriebenen-Korrespondenz 16 (1951), Verantwortung, 28.4.1951, S. 12f.; WdA, Nutzt die Wahl am 6. Mai, 4.5.1951. 35 So wurde in einem Artikel der FR die Spaltung der SRP beschrieben, weil sich Teile der Partei gegen die „totalitären kommunistischen Tendenzen der Parteiführung“ aussprechen würden. Auch vermutete die FR, dass SRP-Mitglieder nach dem Verbot der Partei mit der KPD zusammenarbeiten würden. Vgl. FR, Spaltung, 5.5.1951, S. 1 bzw. Fahndung nach SRP-Tarnorganisationen, 30.10.1952, S. 1. Siehe auch FR, Bundesregierung verbietet militante Organisationen der Sozialistischen Reichspartei, 5.5.1951, S. 1; FR, Politische Stabilität in Niedersachsen, 8.5.1951, S. 2; FR, Bundesregierung will Entscheid des Verfassungsgerichts über SRP nicht abwarten, 9.5.1951, S. 1; FR, Bund wird Demokratie verteidigen, 10.5.1951, S. 8; FR, Abwarten und Untergehen?, 18.10.1952, S. 2.
56 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) die Demokratie.36 Die „totalitäre“ Gefahr sei eben nicht einseitig und auch Stalin habe „in Niedersachsen seine Netze ausgelegt“, um den Aufbau der Demokratie zu sabotieren.37 Die SRP würde zudem gezielt die Zusammenarbeit mit der SED suchen, um eine erneute Machtübernahme durch die Destabilisierung von allen Seiten vorzubereiten.38 Mit abwegigen „Beweisen“ wurde unterstellt, dass es kommunistische Unterstützung für rechtsradikale Kreise in der Bundesrepublik gebe.39 Wenig überraschend war auch die FAZ stark von totalitarismustheoretischem Denken beeinflusst und nutzte dieses Narrativ in der Berichterstattung über den Rechtsradikalismus.40 Sie wertete beispielsweise die Niederlage der Kommunisten in Niedersachsen als Grund zur Beruhigung, da dies die Gefährdungspotenziale durch den Rechtsradikalismus bereits massiv einschränken würde.41 Während die Kommunisten erfolglos blieben, gelang der SRP trotz der stärker werdenden Gegenwehr und der ersten administrativen Einschränkungen in Niedersachsen aber ein großer Erfolg: Elf Prozent der Stimmen waren eine Sensation.42 Nun stehe fest, schrieb die „Welt der Arbeit“, dass „noch immer […] in Deutschland rechts ein starker Feind der Demokratie und der Gewerkschaften“ stehe.43 Die „ÖTV-Presse“ beschrieb Norddeutschland als einen „Tummelplatz“ rechtsradikaler Parteien.44 Die „Metall“ sprach von einem „Menetekel“, welches „eine gewaltige Gefahr für die westdeutsche Demokratie“ signalisiere.45 36 Dieses „Zusammenspiel war immer da, selbst dann, als sich Hakenkreuz und Hammer und Sichel auf Tod und Leben zu befehden schienen“. Vgl. GMH 2 (1953), Chronik, S. 110f.. Siehe auch WdA, Epigonen, 13.4.1951, S. 1f.; WdA, Antwort, 27.4.1951. 37 WdA, Ein Schandfleck wurde beseitigt, 31.10.1952. In einer Grafik wurde Stalin zudem zusammen mit den zahlreichen rechtsradikalen Parteien als treibende Kraft hinter der SRP dargestellt. Vgl. WdA, Die sieben Schwaben, 31.10.1952. Siehe auch WdA, Winke mit dem Zaunpfahl, 24.10.1952; WdA, SRP mit anderen Firmenschildern, 31.10.1952; GMH 3 (1953), Neonazismus in Deutschland, S. 129–136, hier S. 131. 38 WdA, Freiheit, 27.4.1951; WdA, Herrenhaus, 11.5.1951. 39 Zum Beispiel würden „einzelne englische Äußerungen […] die Restorganisationen des Nationalsozialismus als eine Fünfte Kolonne des Ostens“ empfinden. Vgl. GMH 3 (1953), Neonazismus, S. 131, 135; GMH 2 (1953), Chronik, S. 110. 40 FAZ, Volksbefragung, 27.4.1951, S. 1; FAZ, Feuer, 9.5.1951, S. 1; FAZ, Flüchtlingsseele, 17.5.1951, S. 1. Die FAZ druckte sogar eine Meldung, die über angebliche Versuche der SRP berichtete, die politische Arbeit nach dem Verbot unter Mithilfe der KPD fortzuführen. Vgl. FAZ, Dorls bat um Exil bei der Kommunistischen Partei, 27.10.1952, S. 2. 41 Dieser hätte 1933 „kaum siegen können, wenn er von der äußersten Linken nicht so oft parlamentarische Hilfe erhalten hätte“, so das Argument der Zeitung. Vgl. FAZ, Mahnung, 8.5.1951, S. 1. 42 Ein noch besseres Ergebnis wurde nur durch das gute Abschneiden des Bundes der Heimatvertriebenen (BHE) (14,9 % der Stimmen), der auf ein ähnliches Wählerpotenzial zielte, verhindert. Vgl. Hansen, S. 166. 43 WdA, Alarmsignale, 11.5.1951, S. 1. 44 ÖTV-Presse, Anfängen, 14.5.1951, S. 7. 45 Der Autor wollte sich nicht darüber freuen, dass es der SRP nicht gelungen war, große Wählerpotenziale unter den Industriearbeitern zu gewinnen. Da dies in der Weimarer
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Aber gewerkschaftliche Stimmen, die von einer drohenden Gefahr ausgingen, verloren anschließend an Bedeutung und waren bereits während der Wahl in Niedersachsen nicht ohne Widerspruch.46 Wirkliches Entsetzen über das gute Abschneiden der SRP war auch nach dem Urnengang in den Artikeln der Gewerkschaftspresse kaum festzustellen. Das Ergebnis in Niedersachsen war zwar durchaus ein Schock und führte in der Gewerkschaftspresse zu sorgenvollen Äußerungen,47 der Gesamteindruck aber relativiert diese Aussagen. Die gewerkschaftlichen Veröffentlichungen zielten einerseits darauf ab, Hindernisse für den Aufbau der demokratischen Gesellschaft speziell durch den Rechtsradikalismus zu benennen. Andererseits beteiligten sie sich aber auch an der diskursiven Absicherung des Normalisierungsprozesses und wollten diesen nicht durch eine zu kritische Darstellung untergraben.48 Man dürfe die Alarmsignale aus Niedersachsen nicht überhören, aber – so der Tenor – den Wahlausgang auch nicht dramatisieren. Zwar habe die SRP ihre Stimmanteile stark vergrößert, aber dort, wo man sie bereits kannte, sei sie kaum gewählt worden.49 Entsprechend wurde das niedersächsische Ergebnis in der „ÖTV-Presse“ als Produkt besonderer regionaler Spezifika relativiert; und selbst wenn es zeige, dass viele Menschen aus den NS-Jahren keine Lehren gezogen hätten, würden die sechzehn SRP-Mandate lediglich „zu größter Aufmerksamkeit“ mahnen.50 Anschließend erklärte die Zeitung, „daß die Bevölkerung, abgesehen von einigen ländlichen Gebieten im Norden des Landes, sowohl den rechts- als auch linksradikalen Parteien eine deutliche Absage erteilt hat“. Interessanterweise beteiligte sich auch die „Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland“ in erster Linie an der Relativierung des Ergebnisses der SRP. Sie betonte, lediglich der Norden Deutschlands, speziell Niedersachsen, sei ein Schwerpunkt des Rechtsradikalismus und wies darauf hin, dass dies ohneRepublik auch nicht (bzw. nur spät) gelungen sei, zeigte sich die Zeitung sehr besorgt über die weitere Entwicklung Vgl. Metall, Faschismus, 15.5.1951, S. 1f. 46 Rund drei Wochen vor den Landtagswahlen in Niedersachsen schrieb die Welt der Arbeit zum Beispiel, dass die Lautstärke der rechtsradikalen Propaganda „im umgekehrten Verhältnis zu ihrer tatsächlichen politischen Bedeutung“ stehe. Vgl. WdA, Epigonen, 13.4.1951, S. 1f. 47 So sei die Arbeiterklasse nicht immun gegen den Rechtsradikalismus und die SRP könne durchaus auch hier Anhänger gewinnen. Zudem habe das „Gewissen der deutschen Öffentlichkeit […] in den letzten Monaten gegenüber dem Treiben der früheren braunen Führer stark nachgelassen“. Vgl. GMH 3 (1952), Gefahr, S. 168–172; WdA, Mehr als nur Sensation, 29.2.1952, S. 1; WdA, Wühlmäuse, 7.3.1952. 48 Die GMH geben offen zu, dass die tatsächliche Bedeutung der rechtsradikalen Szene nicht immer präzise beschrieben werden könne und dass jede Veröffentlichung zum Thema auch den jeweiligen Interessen des Publizierenden und seine Sicht auf die NS-Jahre berücksichtigen würde. Vgl. GMH 2 (1953), Chronik, S. 110f.; GMH 3 (1953), Neonazismus, S. 129. 49 WdA, Alarmsignale, 11.5.1951, S. 1; WdA, Angriff, 11.5.1951. 50 ÖTV-Presse, Anfängen, 14.5.1951, S. 7.
58 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) hin „alter nationalistischer Boden“ sei.51 Hier habe bereits die NSDAP bei den letzten freien Wahlen 1932 teilweise über 40 Prozent der Stimmen einstreichen können.52 Insofern begrenzte auch die „Allgemeine“ das Problem geografisch und half mit, die Außenwirkung der Bundesrepublik zu schützen. Mit dem Hinweis auf die regionalen Besonderheiten forderte selbst die „Frankfurter Rundschau“, man solle das Resultat der SRP nicht überbewerten. Schließlich sei die Flüchtlingsfrage nach wie vor die Achillesferse der Bundesrepublik.53 Insofern erkannte die FR trotz der elf Prozent für die SRP eine „politische Stabilität in Niedersachsen“ und erklärte, dass „die von vielen prophezeite Sensation eines scharfen Rechtsruckes“ nicht eingetreten sei.54 Der gleiche Artikel konstatierte optimistisch, dass „der politische Radikalismus von rechts und links trotz seiner verzweifelten Anstrengungen und trotz der großen Not breiter Volksschichten heutzutage in der Bundesrepublik keinen allzu starken Anklang findet“. Bereits nach vier Tagen veröffentlichte die FR keine weiteren Berichte zur Wahl. Dass die Zeitung die Lage in Niedersachsen als undramatisch darstellte, ergibt sich schon aus dem völligen Desinteresse, die SRP in Kommentaren oder Leitartikeln vor der Wahl zu thematisieren. Sogar die ersten Artikel nach der Wahl ließen die SRP weitestgehend aus und konstatierten lediglich den Erfolg der SPD, die Niederlage der CDU sowie einen ruhigen Wahltag.55 Einzig dass das Wahlergebnis und die Existenz der Partei größeren Schaden für das Ansehen der Bundesrepublik in der Welt darstellten und eine Belastung für eine auf Gleichberechtigung zielende Außenpolitik wären, scheint die FR beunruhigt zu haben.56 Ansonsten beteiligte sie sich an der Gesundschreibung der Gesellschaft, berücksichtigte in hohem Maße deren Außenwirkung und stellte möglicher Kritik eine positive Deutung entgegen. Da diese zurückhaltende Beschreibung der SRP den gängigen Forschungsergebnissen widerspricht, dass links(liberale) Akteure zu dieser Zeit jegliche rechtsradikale Agitation scharf beobachteten und meistens relativ früh Alarm schlugen,57 kann der „Rundschau“ hier durchaus ein 51 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Stunde, 4.5.1951, S. 1 bzw. Unsere Meinung, 18.5.1951, S. 1. 52 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Fragen, 18.5.1951, S. 1. 53 FR, Die Auslandspresse zu den Wahlen in Niedersachsen, 9.5.1951, S. 2. 54 FR, Stabilität, 8.5.1951, S. 2. 55 Hier findet sich lediglich der Hinweis, dass die SRP durch die Verbotsdrohung lahmgelegt worden sei sowie die Aussage des Parteivorstandes Wolf Graf von Westarp, dass die Partei mit dem Ergebnis zufrieden sei. Vgl. FR, Erfolg der SPD in Niedersachsen, 8.5.1951, S. 1; FR, Adenauer. Ausdruck sozialer Spannung, 8.5.1951, S. 1. Siehe auch FR, SPD führt in Niedersachsen, 7.5.1951, S. 1; FR, Stabilität, 8.5.1951, S. 2. 56 Vgl. FR, Bundesregierung, 9.5.1951, S. 1; FR, Bund, 10.5.1951, S. 8; FR, Paris über SRP beunruhigt, 10.5.1951, S. 8. Siehe diesbezüglich auch FR, Deutsch-Israelische Konferenz begann, 21.3.1952, S. 1; FR, Bundestagsausschuss erörtert BDJ-Geheimorganisation, 10.10.1952, S. 1. 57 Vgl. zum Beispiel Buschke, S. 366; Ullrich, S. 349.
2.1. Auf- und Abstieg der Sozialistischen Reichspartei
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bewusstes Interesse an einer gewissen Verharmlosung unterstellt werden – doch dazu später. Während diese Akteure das gute Wahlergebnis der SRP zu relativieren versuchten, behandelte die FAZ die Sozialistische Reichspartei zunächst als relativ normale Partei.58 Die Berichterstattung zur Landtagswahl in Niedersachsen war entsprechend sachlich. Überschriften wie „Eine Schlappe für die Demokratie“ und „Vertriebene und Rechtsradikale gewinnen“ zeigen aber doch, dass die FAZ mit dem Ergebnis nicht zufrieden war.59 Sie rechnete vor, dass sich „jeder zehnte Abgeordnete im Parlament zu Hannover […] zur Nachfolge des Nationalsozialismus“ bekannte – dies bedeute im Augenblick zwar keine große Gefahr, sei aber mindestens ein „beunruhigendes Anzeichen“ und „bleibt Grund genug zu ernsten Betrachtungen“.60 Entsprechend wurde die Wahl im gleichen Artikel als „Mahnung von Niedersachsen“ dargestellt.61 Dass BHE und SRP zusammen derart viele Stimmen bekommen hatten, würde eine „Lücke der inneren Sicherheit“ in Niedersachsen offenbaren, erklärte die Zeitung zudem.62 Sollten sich beide Parteien perspektivisch zusammenschließen, könnten sich daraus „geradezu revolutionäre Aspekte ergeben“.63 Zudem bekannte die Zeitung öffentlich die eigene Scham darüber, dass Deutsche noch immer rechtsradikal wählten. Dies richte vor allem auf außenpolitischem Gebiet Schaden an und leiste dem Eindruck Vorschub, dass viele im Land unverbesserliche Nazis seien.64 Deutlicher als andere Publikationen beschrieb die FAZ die SRP insofern als eine potenzielle Bedrohung für die Demokratie. Daher muss Buschkes Feststellung, dass die FAZ kategorisch ausschloss, dass der Rechtsradikalismus eine Gefahr in der Bundesrepublik darstelle, zumindest für diese Phase widersprochen werden.65 Dennoch bemühte auch sie sich parallel darum, die Bedeutung des SRP-Erfolges zu relativieren. Das Ergebnis sei keine Überraschung gewesen, hieß es wiederholt, und es bedeute keine dramatische Steigerung des rechtsradikalen 58 FAZ, Ruhige Wahlen in Niedersachsen, 7.5.1951, S. 1; FAZ, Vertriebene und Rechtsradikale gewinnen, 8.5.1951, S. 1, 3; FAZ, Bedingungslos demokratisch, 10.5.1951, S. 3; FAZ, Klage gegen Lehr, 11.5.1951, S. 1. 59 FAZ, Bonn. Eine Schlappe für die Demokratie, 8.5.1951, S. 1; FAZ, Vertriebene, 8.5.1951, S. 1, 3. 60 FAZ, Mahnung, 8.5.1951, S. 1. 61 Dies lässt sich auch aus den ausgewählten oftmals warnenden Artikeln aus der Rubrik „Stimme der Anderen“ herauslesen, die in der SRP eine potenzielle Gefahr sahen. Vgl. FAZ, England. Eine Gefahr, 10.5.1951, S. 2; FAZ, Klein, aber gefestigt, 10.5.1951, S. 2; FAZ, Neu-Faschisten, 11.5.1951, S. 2. 62 FAZ, Schlappe, 8.5.1951, S. 1. 63 FAZ, Flüchtlingsseele, 17.5.1951, S. 1. 64 FAZ, Mahnung, 8.5.1951, S. 1; FAZ, Feuer, 9.5.1951, S. 1; FAZ, Paris. Keine ernste Gefahr, 10.5.1951, S. 3; FAZ, Straßburg debattiert und verweist an Ausschüsse, 16.5.1951, S. 3. Dies tauchte auch in der Presseschau auf. Vgl. FAZ, Mißtrauen in Frankreich, 9.5.1951, S. 2; FAZ, Unbehagen, 9.5.1951. 65 Vgl. Buschke, S. 365.
60 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) Wahlzuspruchs. Auch die FAZ betonte, es sei vielmehr ein Spiegelbild der sozialen Spannungen und der Flüchtlingsfrage in Niedersachsen und somit eine regionale Besonderheit, die nicht verallgemeinerbar sei.66 Man müsse akzeptieren, dass der Nationalsozialismus nicht an einem einzigen Tag absterbe. Der gleiche Kommentar äußerte sogar Verständnis dafür, dass viele sich in den Jahren der Not und der „törichte[n] und menschenunkundige[n] Entnazifizierung [sowie der] weltfremden Internierung“ erneut nationalsozialistischer Politik zugewendet hätten.67 Die Demokratie sei grundsätzlich auf einem erfolgversprechenden Weg. Zwar gebe es hier und da einige Probleme, all dies gehe aber keinesfalls an die Substanz der jungen Demokratie, führte die Zeitung im Anschluss aus: „Eine so weit verbreitete Gedankenwelt stirbt nicht an einem einzigen Tag. Der Nationalsozialismus hat am 8. Mai 1945 einen furchtbaren Schlag erlitten […] Aber es war klar, daß sich eines Tages wenigstens ein Teil von ihnen wieder an die alte Welt erinnern würde, daß er die Greuel [sic] von Auschwitz ebenso vergessen würde wie die Schrecken des Gewissensdruckes, weil die Sehnsucht nach einer Zeit übermächtig werden mußte, in der ihre Empfindungen eher befriedigt wurden als heute.“
Auch „Die Zeit“ beschrieb keine besonders hohe Gefahr. Schon vor dem Urnengang betonte ein Bericht, dass es zu einfach sei, die Anhänger „einfach als ‚Nazis‘ mit einer Handbewegung abzutun“.68 In einem weiteren Artikel hielt die Zeitung fest, dass „wir heute […] gewiss nicht von der Gefahr eines Umsturzes oder einer neuen Machtergreifung bedroht sind“.69 Nach der Wahl verglich sie diesen „Anfangserfolg“ dann aber direkt mit den ersten Erfolgen der NSDAP.70 Hektische Warnungen veröffentlichte die Zeitung zwar nicht, aber die Tatsache, „daß immer neue Kreise […] von dem Bazillus erfaßt werden“, sei durchaus beunruhigend, führte Marion Gräfin Dönhoff in einer Analyse aus.71 Die Spannung zwischen beiden Positionen erklärt sich durch den internen Disput über die Problematisierung des Rechtsradikalismus. Insbesondere die Abgrenzung der Redaktion zu rechtsnationalen Positionen und Personen wurde von Dönhoff energisch eingefordert, während Richard Tüngel dies als Chefredakteur bis zu einem gewissen Grad und bis zu seiner Entlassung 1955 zu verhindern versuchte.72
66 Hier hätten rechtsradikale Parteien schon früher große Erfolge aufweisen können. Schließlich sei in Niedersachsen die „braune Überlieferung stärker als am Rhein, an der Ruhr oder im Süden“. Vgl. FAZ, Mahnung, 8.5.1951, S. 1. Siehe auch FAZ, Schlappe, 8.5.1951, S. 1; FAZ, Vertriebene, 8.5.1951, S. 1, 3; FAZ, Feuer, 9.5.1951, S. 1. 67 FAZ, Mahnung, 8.5.1951, S. 1; FAZ, Paris, 10.5.1951, S. 3. 68 Die Zeit, „Das wär’ bei Hitler nicht passiert...“, 3.5.1951. 69 Die Zeit, Rechtsstaat, 10.5.1951. 70 Die Zeit, Erdrutsch, 10.5.1951. 71 Die Zeit, Der Zerfall der bürgerlichen Mitte, 17.5.1951. 72 Vgl. zum Disput z. B. Die Zeit, Wer darf hier schreiben?, 31.1.2019.
2.1. Auf- und Abstieg der Sozialistischen Reichspartei
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Letztlich finden sich in fast allen Publikationen einerseits sorgenvolle Äußerungen,73 andererseits stellten alle das SRP-Wahlergebnis kaum als größere Gefahr dar und beschrieben dies als eine regionale Ausnahme, die sich derart in anderen Teilen der Bundesrepublik nicht wiederholen lasse. Obwohl die Publikationen, vor allem die gewerkschaftlichen und die FAZ, das Ergebnis durchaus auch als (potenzielles) Problem wahrnahmen, dominierte das Ziel, die Außenwirkung der jungen Bundesrepublik zu schützen und dieses möglichst zu entdramatisieren und als Ausnahme zu erklären. Die meisten Berichte zielten darauf, dass der Wahlerfolg der SRP möglichst nicht als Argument dafür genutzt werden könne, den Westdeutschen weiterhin einen Hang zum Rechtsradikalismus beziehungsweise Nationalsozialismus zu unterstellen. Noch war es kaum möglich, positive Darstellungen der Demokratisierung zu veröffentlichen, aber der erwarteten Kritik aus dem Ausland wurde dennoch versucht entgegenzuwirken. Insofern zeigt sich bereits hier vor allem die Spannung zwischen Dramatisierung und Bagatellisierung, welche die Debatte über den Rechtsradikalismus bis heute stets begleitet. Dennoch wurde die SRP spätestens nach der Niedersachsenwahl zu einem zentralen Thema der politischen Berichterstattung. In der ein halbes Jahr später im Oktober 1951 stattfindenden Bremer Bürgerschaftswahl erwartete die SRP eigentlich nicht viel, konnte aber mit 7,7 Prozent der Stimmen erneut einen Erfolg verbuchen. Kurz darauf, im November 1951, reichte die Bundesregierung den Antrag auf Verbot der Partei beim Bundesverfassungsgericht ein.74 Der folgende Wahlkampf zur Wahl der Verfassunggebenden Versammlung im späteren Baden-Württemberg vom 9. März 1952 fand dann bereits im Schatten des Verbotsverfahrens statt und wurde seitens der SRP entsprechend angepasst geführt.75 Erschwert wurde dieser durch die Tatsache, dass zur gleichen Zeit der Prozess gegen Otto Ernst Remer wegen übler Nachrede und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener stattfand. Remer, laut „Zeit“ „ein dumpfer, subalterner Mensch, der viele Vorurteile und wenig Denkvermögen“ besaß,76 hatte den Widerstandskämpfern des 20. Juli wiederholt öffentlich Landesverrat vorgeworfen.77 Bereits vor der Urteilsverkündung strengte Bundesin73 Die Nichtbeachtung der Thematik durch den Arbeitgeber ist insofern auch eine Absage an deren Relevanz. 74 Die Debatte über die Motivation bzw. die Gründe für den letztlich dann doch gestellten Verbotsantrag wurde in der Forschung ausgiebig diskutiert. Vgl. z. B. Botsch, S. 27; Conze, Suche, S. 147–149; Dudek / Jaschke, S. 67; Frei, S. 343; Hansen, S. 225–239; Hanschmann, S. 11; Stöss, Rechte, S. 105–107; Ullrich, S. 338–342. 75 Vgl. Hansen, S. 160f. 76 Die Zeit, Die SRP verurteilt, 20.3.1952. 77 Vgl. Urteil des LG Braunschweig vom 15.3.1952. Der Prozess, der mit einer Verurteilung zu einer Haftstrafe von drei Monaten endete, erregte in der jungen Bundesrepublik großes Aufsehen und war durch die Person Remers eng mit der Berichterstattung und Wahrnehmung der SRP verbunden. Vgl. Frei, S. 347. Siehe auch die Biografie von Irmtrud Wojak über Fritz Bauer, der als leitender Staatsanwalt den Prozess initiierte:
62 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) nenminister Lehr ein Verfahren zur Aberkennung der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gegen ihn an.78 Zudem wurde wenige Wochen vor dem Urnengang bekannt, dass der SRP-Bundestagsabgeordnete Dr. Franz Richter, seit 1949 Mitglied des ersten Bundestages, tatsächlich der vermeintlich verstorbene Nationalsozialist Fritz Rößler war. Dies war nicht nur ein weiteres Beispiel für die Verbindungen der Partei zur NSDAP, sondern auch ein politischer Skandal erster Güte. Die SRP trat nur im noch bestehenden unabhängigen Württemberg-Baden an und erhielt dennoch insgesamt 2,4 Prozent der Stimmen. Den Einzug in den neuen, nun baden-württembergischen Landtag verpasste sie somit, aber unter den gegebenen Umständen war das Ergebnis gleichwohl beachtlich. Wie schon zuvor bei anderen Wahlen konnten vor allem in protestantisch geprägten Regionen gute Ergebnisse mit zum Teil über zehn Prozent erzielt werden.79 Unter dem Strich aber hatte die Partei die Wahl als Verlierer beendet und in allen Publikationen überwog die positive Darstellung über die Entwicklung der Bundesrepublik hin zu Stabilität und Demokratie, die nach der Wahl von Niedersachsen noch nicht möglich war. Da auch die Deutsche Partei und der BHE keine Stimmenmehrheiten bekommen hätten, wurde das Ergebnis als Zeichen von Stabilität gewertet: „Der Südwesten hat bewiesen, daß er krisenfest ist“, betonte die WdA.80 Für die Gewerkschaften bewies dies die Absage der Bevölkerung an den Rechtsradikalismus.81 Nun erklärten die „Gewerkschaftlichen Monatshefte“ sogar, dass die rechtsradikale Szene momentan ungefährlich sei und von Resten lebe.82 Dass es für ein paar Jahre noch „Unbelehrbare“ geben würde, sei schließlich zu erwarten gewesen. Diese würden der Bundesrepublik zwar außenpolitisch in der Auseinandersetzung mit den einstigen Kriegsgegnern schaden,83 seien aber keine besondere Gefahr für die demokratische Gesellschaft oder den Rechtsstaat.
Irmtrud Wojak, Fritz Bauer 1903–1968. Eine Biographie, München 2009, speziell das Kapitel „Eine Grenze hat die Tyrannenmacht“ zum Remer-Prozess in Braunschweig, S. 265–283. 78 Der Antrag wurde zwar 1960 abgewiesen, weil von Remer keine staatsfeindlichen Bestrebungen mehr ausgehen würden, ist aber als erster Versuch, dieses Instrument zu nutzen, durchaus von Bedeutung. Vgl. Frei, S. 351; Eckhard Jesse, Biographisches Portrait. Otto Ernst Remer, in: Uwe Backes / Eckhard Jesse (Hg.), Jahrbuch Extremismus und Demokratie, Bd. 6, Baden-Baden 1994, S. 207–221. 79 Vgl. Hansen, S. 176. 80 WdA, Südwestdeutschland hat sich als krisenfest erwiesen, 14.3.1952. 81 WdA, Stabilität kennzeichnet Südwesten, 14.3.1952; WdA, Südwestdeutschland, 14.3.1952. 82 GMH, 3 (1952), Gefahr, S. 168–172. 83 WdA, Winke, 24.10.1952; WdA, Urteil, 31.10.1952, S. 2; GMH 3 (1953), Neonazismus, S. 130; GMH 2 (1953), Chronik, S. 110f.
2.1. Auf- und Abstieg der Sozialistischen Reichspartei
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Auch die „Frankfurter Rundschau“ berichtete über die SRP weiterhin weitgehend unaufgeregt.84 Die Partei wurde in der Berichterstattung und auch im Kommentar zum Wahlergebnis kaum erwähnt.85 Zugewinne und Verluste von CDU und SPD und somit die Frage nach einer Tendenz bezüglich der weiteren Entwicklung auf Bundesebene dominierten.86 Für die FR war es entscheidend, dass die westlichen Länder wieder Vertrauen in die Deutschen gewinnen können. Daher betonte die Zeitung nach der Wahl primär die positiven Aspekte des Ergebnisses und blieb damit ihrer Linie der geringen Bedrohungspotenziale durch die SRP treu. Wie auch die Gewerkschaften deutete sie das Ergebnis sowie die starke Wahlbeteiligung als Zeichen für die langsame Stabilisierung der deutschen Demokratie.87 Mit Verweis auf SPD und CDU hieß es: „Beide Parteien stimmen in der Befriedigung überein, die sie über die Niederlage der linken und rechten Extremisten zum Ausdruck bringen. Damit erweise sich die Unversehrtheit der demokratischen Struktur der Bundesrepublik, was im Ausland besondere Beachtung verdiene“.88
Da selbst links-liberale beziehungsweise dezidiert „antifaschistische“ Akteure oder gar solche, die, wie die „Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland“, einen NS-Verfolgungshintergrund aufwiesen, keineswegs vor dem Rechtsradikalismus warnten und vor allem die positiven Aspekte des Wahlergebnisses betonten, wundert es kaum, dass die FAZ ähnlich berichtete, dabei aber noch deutlicher als die anderen die Marginalisierung der SRP beschrieb. Bereits vor dem Wahltag maß die FAZ dem Rechtsradikalismus insgesamt keine Bedrohungspotenziale mehr zu.89 Speziell die SRP habe keine Machtoption, denn de-
84 Die ersten Berichte, die sich auch mit der SRP beschäftigten, erschienen erst einen Tag vor der Wahl. Vgl. FR, Vor der Entscheidung im deutschen Südwesten, 8.3.1952, S. 8. Ansonsten finden sich im Vorfeld lediglich kurze Meldungen. Vgl. FR, SRP klagt gegen Bundesregierung, 26.2.1952, S. 8; FR, Verwaltungsgericht hebt SRP-Versammlungsverbot auf, 28.2.1952, S. 6; FR, Westarp. Verurteilung Remers wäre nicht ohne Folgen, 15.3.1952, S. 9. 85 Vgl. FR, Bonner Reaktionen zum Wahlergebnis, 11.3.1952, S. 1; FR, CDU stärkste Partei im neuen Südweststaat, 11.3.1952, S. 1; FR, Stärkung der Bonner Koalition, 11.3.1952, S. 2. 86 FR, Starke Wahlbeteiligung im Südwesten, 10.3.1952, S. 1; FR, Reaktionen, 11.3.1952, S. 1. 87 FR, Wahlbeteiligung, 10.3.1952, S. 1. 88 FR, Reaktionen, 11.3.1952, S. 1. 89 Die Szene sei von Abspaltungen, Umgründungen und dem Wechsel von schnellem Aufstieg und darauf folgendem Verfall geprägt und vielfach stünden den Gruppen übertriebener Ehrgeiz Einzelner oder erbitterte Machtkämpfe im Wege. Die tatsächliche Bedrohung sei daher unbedeutend. Vgl. FAZ, Druckfehler, 26.2.1952, S. 2; FAZ, Nicht aufbauschen!, 14.3.1952, S. 3.
64 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) ren „geistige Dürftigkeit“ setze ihrer Ausdehnung enge Grenzen.90 Sie sei schon deshalb ungefährlich, weil nicht einmal wohlwollende Beobachter behaupteten, „daß es in der ganzen Sozialistischen Reichspartei einen einzigen Mann gäbe, der auch nur entfernt mit [Hitler, Göring oder Goebbels] zu vergleichen wäre.“91 Deutlich wird die Gesamteinschätzung auch im Vergleich zur FR. Während jene den Bericht des amerikanischen Hochkommissars McCloy vor allem im Hinblick auf die Warnung vor dem Anwachsen nationalistischer Stimmungen beschrieb,92 betonte die FAZ die ebenfalls geäußerten positiven Entwicklungen in der Außenpolitik und die gewachsene Rolle der Bundesrepublik in der Welt.93 Im Unterschied zu 1951 nutzte die FAZ nach der Wahl im Süd-Westen Aussagen prominenter Persönlichkeiten, um einen Anstieg rechtsradikaler Gruppen zu verneinen, und behauptete, anderslautende Aussagen seien nur von dem Interesse motiviert, den Normalisierungsprozess der Bundesrepublik zu stören.94 Ob die Rechtsradikalen sich Hoffnungen machen könnten, sei zwar noch eine offene Frage, hieß es weiterhin vor der Wahl, aber große Chancen gestand die FAZ der SRP nicht zu. Sie prognostizierte eher einen Erfolg der Kommunisten als Reaktion auf strategische Fehlentscheidungen der SPD.95 Allerdings erklärte sie erst nach dem Urnengang offen, dass sie die politische Existenz der SRP nicht für tragisch halte, da sie nie daran geglaubt habe, dass diese eine Machtoption besäße.96 Konsequent wurde die Partei nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses fast nur am Rande erwähnt.97 Dennoch beschrieb die FAZ den Zusammenbruch der SRP als das „erfreulichste Ergebnis an der ganzen Wahl“ und ergänzte: „In diesem Land haben die Exaltationen des braunen Radikalismus noch weniger Raum zur Entfaltung als die des roten.“98 Direkt danach betonte der Bericht, dass die „Badener und Württemberger […] wieder einmal einen Beweis für die Gesundheit ihres politischen Instinkts geliefert“ hätten. Deutlich trat hier der Wille hervor, die Fähigkeit der Deutschen zur Demokratie zu betonen und deren Lernfähigkeit aufzuzeigen. Mit Verweis auf die völlig unterschiedlichen Resultate der SRP in Niedersachsen und Baden-Württemberg konnte die FAZ nun glaubhaft die These der regionalen Besonderheiten im Norden untermauern und argumentieren, dass nicht alle Deutschen potenzielle Rechtsradikale seien. Insofern erklärte sie 90 FAZ, Druckfehler, 26.2.1952, S. 2. Siehe auch FAZ, Der Kurs bleibt der alte, 11.3.1952, S. 1. 91 FAZ, Feinblech, 1.3.1952, S. 2. 92 FR, McCloy warnt vor wachsenden nationalistischen Tendenzen, 28.2.1952, S. 1. 93 FAZ, McCloy kritisiert die Soldatenbünde, 28.2.1952, S. 3. 94 FAZ, Hallstein in der Georgetown-Universität, 14.3.1952, S. 3; FAZ, Nicht aufbauschen, 14.3.1952, S. 3. 95 FAZ, Der Sonntag wird Aufschlüsse geben, 5.3.1952, S. 1. 96 FAZ, Kurs, 11.3.1952, S. 1. 97 FAZ, Das Wahlergebnis in Zahlen, 11.3.1952, S. 3; FAZ, Starke Beteiligung der Jugend an der Wahl, 10.3.1952, S. 1. 98 FAZ, Kurs, 11.3.1952, S. 1.
2.1. Auf- und Abstieg der Sozialistischen Reichspartei
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die Wahlen im Süd-Westen direkt zu einem außenpolitischen Gewinn. Die positive Entwicklung der Demokratisierung sei deutlich geworden. Auch in der Berichterstattung der „Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland“, die im Mai 1951 noch betonte, dass die Gefahr „akut“ sei,99 nahm die Bedrohungswahrnehmung bis zum Verbotszeitpunkt der SRP im Oktober 1952 deutlich ab. Sie war frühzeitig bereit, die staatliche Stabilität der jungen Bundesrepublik zumindest nach außen hin zu proklamieren.100 Das wesentlich positivere Wahlergebnis der SRP im späteren Baden-Württemberg behandelte die Zeitung ebenso wie „Die Zeit“, „Der Arbeitgeber“ und der DOD nicht. „Die Zeit“ veröffentlichte zwar einen kurzen Bericht zum Wahlergebnis, stellte bezüglich der SRP aber lediglich fest, dass „die Mehrzahl der 65 000 SRP-Stimmen aus dem kommunistischen Lager kommt“.101 Insofern zielte die Darstellung des Rechtsradikalismus, insbesondere während der Wahl in Niedersachsen 1951, zwar durchaus auch auf dessen Problematisierung, die Normalisierung der westdeutschen Demokratie war aber bei allen nicht-staatlichen Akteuren von noch größerer Bedeutung. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass sich Bedrohungsbeschreibungen bezogen auf die SRP in den gewerkschaftlichen Publikationen erst dann vermehrt finden, als die Gefahr objektiv bereits deutlich relativiert war beziehungsweise nachdem das Verbot ausgesprochen wurde und die Verteidigungsbereitschaft der Bundesrepublik gegen den Rechtsradikalismus fürs Erste bewiesen war. Als die SRP 1951 noch eine tatsächliche Bedrohung für den Normalisierungsprozess und eventuell sogar für die staatliche Stabilität war, relativierte die Gewerkschaftspresse diese jedoch partiell, weil sie dem „politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands unendlich schaden“ würde.102 Auf der anderen Seite kritisierte die Gewerkschaftspresse Darstellungen, dass die Westdeutschen noch zu größeren Teilen nationalsozialistisch eingestellt seien, durchgängig scharf. Da die bürgerliche Koalition und die Sozialdemokratie bei Wahlen einen Großteil der Stimmen auf sich vereinen könnten, sei diese Darstellung abwegig und als US-Außenminister Dulles erklärte, dass er nicht an eine neonazistische Gefahr in Deutschland glaube, wurde dies als Beweis angeführt, dass diese Gefahr tatsächlich nicht bestehe.103 In der Rückschau wurde nun argumentiert, dass das gute Ergebnis der SRP in Niedersachsen kein Zeichen für eine Radikalisierung der Bundesdeutschen sei, sondern lediglich für 99 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Stunde, 4.5.1951, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Meinung, 18.5.1951, S. 1. 100 Dafür, dass die Bedrohungswahrnehmung sich deutlich entspannte, spricht ferner, dass die Zeitung die Enttarnung des Technischen Dienstes nicht thematisierte. 101 Die Zeit, Maßvolle Wähler, 13.3.1952. 102 WdA, Epigonen, 13.4.1951, S. 1f. So auch ÖTV-Presse, Koalitionspartei, 30.4.1951, S. 9; Metall, Faschismus, 15.5.1951, S. 1f. 103 GMH 2 (1953), Chronik, S. 110f.; GMH 3 (1953), Neonazismus, S. 129.
66 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) das ohnehin vorhandene Potenzial: „Wenn die SRP […] große Stimmenzahlen erreichen konnte, so heißt das nicht, daß enttäuschte Demokraten nun Nazis geworden sind; es heißt bloß, dass aus getarnten Nazis offene geworden sind.“104 Die SRP-Wähler_Innen sind in dieser Deutung lediglich eine Folge der Hitlerjahre. Die Bundesrepublik hingegen sei dafür nicht verantwortlich. Die Lage, so auch das gewerkschaftliche Fazit, sei zwar nicht rundweg positiv, werde aber eben auch nicht schlechter. Möglicherweise erfolgte diese Abwehrhaltung aus dem Bewusstsein heraus, dass die eigenen Deutungen gerade im westlichen Ausland Einfluss hätten, da die Gewerkschaften dort als eine der wenigen verlässlichen Stützen der Demokratisierung wahrgenommen wurden.105
2.2. Partisanen, der Graubereich und die fehlende Abgrenzung Der Urnengang im späteren Baden-Württemberg war die letzte große Wahl, an der die SRP teilnahm. Aber noch vor ihrem Verbot wurde ein gutes halbes Jahr später die Enttarnung einer Geheimorganisation des Bundes Deutscher Jugend in der Öffentlichkeit bekannt. Die „Partisanenaffäre“ wurde schnell zum Topthema und sorgte für umfassende Spekulationen in alle Richtungen.106 Der BDJ wurde hauptsächlich mit Mitteln des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen unterhalten und verstand sich selbst als „Anti-FDJ“. Obwohl er offiziell um Abgrenzung nach rechts bemüht war, kann ein großer Einfluss rechtsradikaler Aktivisten ausgemacht werden. Der seit 1951 klandestin aufgebaute Technische Dienst (TD) war eine paramilitärische, rechtsradikale und antikommunistische Untergrundarmee, die ungefähr 2000 Personen umfasste.107 Sie war integraler Teil des BDJ und die Mitglieder wurden von der amerikanischen CIA als politische Einzelkämpfer ausgebildet, um als potenzielle „stay-behind“-Einheiten zu fungieren.108 Der rechtsradikale Fokus wurde insbesondere anhand der geführten „Todeslisten“ deutlich, die im Falle einer sowjetischen Invasion oder politischer Unruhen genutzt werden sollten, um linke politische Gegner zu liquidieren. Nicht nur die FR ging aufgrund der zahlenmäßigen Verteilung der Personen auf den „Todeslisten“ von einer speziell gegen die Sozialdemokratie und die Gewerkschaftsbewegung gerichteten Partisanentruppe aus. Die sich an die Enttarnung 104 GMH 3 (1952), Gefahr, S. 168–172. 105 So argumentierte die Metall, dass es in erster Linie die Folge der starken Rolle der Gewerkschaften sei, dass die Bundesrepublik international wieder etwas Vertrauen genieße. Vgl. Metall, Faschismus, 15.5.1951, S. 1f. 106 Für folgende und weiterführende Informationen siehe Dudek / Jaschke, S. 356, 377; Rigoll, S. 111f.; Röpke / Speit, S. 28; Erich Schmidt-Eenboom / Ulrich Stoll, Die Partisanen der NATO. Stay-Behind-Organisationen in Deutschland 1946–1991, Berlin 2015, S. 23–80, speziell 24–32. 107 Vgl. Virchow, NSU, S. 11. 108 Siehe zu diesem Thema insbesondere Schmidt-Eenboom / Stoll, S. 23–80.
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des Technischen Dienstes anschließende Debatte gehört zu den zentralen Streitthemen der frühen Bundesrepublik und führt unmittelbar zu der Frage, wer oder was überhaupt rechtsradikal ist. Interessanterweise zeigt sich vor allem in der „Frankfurter Rundschau“ eine deutliche Diskrepanz zwischen der eher verharmlosenden Berichterstattung über die SRP und den empörten Ausführungen zum BDJ. Die FR nannte die Enthüllungen mehrfach „sensationell“ und erkannte diesen früh eine herausragende Rolle für die Geschichtsschreibung über die Entwicklung der Demokratie in der Bundesrepublik zu.109 Da die meisten Personen auf der erwähnten Liste klare Gegner des Kommunismus seien, spekulierte sie nicht nur, dass der TD potenziell verdächtige Personen im Ernstfall zu liquidieren beabsichtige,110 sondern zudem, dass diese vor allem auf der Liste gelandet seien, weil sie allesamt Gegner des Rechtsradikalismus beziehungsweise des deutschen Nationalismus seien.111 Somit handele es sich um eine Organisation gegen die soziale Demokratie und nicht gegen den Kommunismus. Auch die FR hielt es zwar grundsätzlich für legitim, gewisse Vorkehrungen für den Fall einer sowjetischen Besetzung der Bundesrepublik zu treffen, aber im vorliegenden Fall handele es sich weder um eine staatliche noch um eine antikommunistische, sondern primär um eine innenpolitisch motivierte bewaffnete Partisanenorganisation, die letztlich die Liquidierung der Demokratie anstrebe. Eine gemeinsame Abwehr sowjetischer Bedrohungen mit Rechtsradikalen hielt die Zeitung für absurd: „Man bekämpft totalitäre Bestrebungen nur mit demokratischen Mitteln – auch mit allen demokratischen Machtmitteln –, aber niemals mit einem Bündnis zwischen Demokraten und Faschisten.“112 Wohl auch, weil die FR davon ausging, dass der BDJ Bürgerkriegspläne entworfen hatte, wurde dessen Technischer Dienst als wesentlich gefährlicher wahrgenommen als die SRP. Nun sei klar geworden, dass der Bundesrepublik dieselbe Entwicklung drohe wie der Weimarer Republik.113 Zwar seien die Methoden an die heutige Zeit angepasst, aber das Ziel der Rechtsradi-
109 FR, Geheimorganisation des Bundes Deutsche Jugend in Hessen ausgehoben, 9.10.1952, S. 1; FR, Sollen wieder Köpfe rollen?, 10.10.1952, S. 2; FR, Wer finanzierte politische Mordpläne, 11.10.1952, S. 2; FR, Abwarten, 18.10.1952, S. 2. 110 FR, Geheimorganisation, 9.10.1952, S. 1; FR, Köpfe, 10.10.1952, S. 2; FR, Alle Marxisten sind Revolutionäre, 11.10.1952, S. 1; FR, Partisanenaktion. Hintergründe und Opfer, 14.10.1952, S. 2; FR, Hessische Stellen erhielten erste Kenntnisse am 9. September, 24.10.1952, S. 1f. 111 FR, Partisanenaktion, 14.10.1952, S. 2. Siehe auch FR, Marxisten, 11.10.1952, S. 1; FR, Politische Unterwelt in Deutschland, 11.10.1952, S. 8. 112 FR, Köpfe, 10.10.1952, S. 2. So auch FR, Ollenhauer greift Alliierte an, 15.10.1952, S. 1. 113 Vergleichbar sei die Enttarnung des TD nur mit der Aufdeckung der „Boxheimer Dokumente“ in Frankfurt 1931. Vgl. FR, Köpfe, 10.10.1952, S. 2. Siehe zu Bürgerkriegsplänen auch FR, Abwarten, 18.10.1952, S. 2.
68 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) kalen bleibe dasselbe wie vor 1933.114 Der TD sei nur das jüngste Glied der deutschen Tradition der politischen Gewalt, so der Tenor der Zeitung.115 Die Vorfälle zeigten, dass es den ehemaligen sowie den unverbesserlichen Nationalsozialisten unter dem „Mantel des Antikommunismus“ zu leicht gemacht werde, sich erneut zu sammeln.116 Die FR fragte besorgt, was von der Demokratie übrig bleibe, wenn am Beginn ihrer Verteidigung schon politischer Mord stehe.117 Aufgrund der konkreten Besorgnis über rechtsradikale Partisanenorganisationen veröffentlichte die „Frankfurter Rundschau“ in diesen Tagen auch weitere Berichte – eigentlich vielmehr Gerüchte – über eine europaweite Koordinationsstelle für rechtsradikale Partisanenbestrebungen und Entdeckungen kleiner Gruppen.118 Ob diese nun mit dem BDJ zusammenhingen oder unabhängig agierten, war nebensächlich. Zentral war der entstehende Eindruck, dass rechtsradikale Gruppen in der Bundesrepublik deutlich verbreiteter seien als angenommen und dass der junge Staat mitunter doch in Gefahr geraten könnte.119 Ein späterer Kommentar beschrieb dann vermeintlich absichtliche Versuche der Strafverfolgungsbehörden, die Sache zu vertuschen und die Ermittlungen zu erschweren.120 Dass Bundesjustizminister Thomas Dehler von der Freien Demokratischen Partei (FDP) die Vorfälle zunächst herunterspielte und die Bundesregierung in ihnen keine bundespolitische Relevanz erkennen könne, sei schlicht 114 FR, Partisanenaktion, 14.10.1952, S. 2. 115 Bereits der erste Kommentar zur Thematik beschrieb eine faschistische „Privatgestapo“, die sich „den politischen Massenmord zum Ziele gesetzt hat“. Vgl. FR, Köpfe, 10.10.1952, S. 2. Analog dazu beschrieb die Rundschau „neofaschistische Tendenzen“ innerhalb des TD, nannte Offiziere von Wehrmacht, SS und Luftwaffe als wichtigste Mitglieder und verglich die Anführer Lüth und Peters mit Hitler und Göring. Vgl. FR, Geheimorganisation, 9.10.1952, S. 1 bzw. FR, Mordpläne, 11.10.1952, S. 2. Siehe auch FR, Abwarten. 18.10.1952, S. 2. 116 FR, Köpfe, 10.10.1952, S. 2. 117 FR, Mordpläne, 11.10.1952, S. 2. Da es einen solchen bisher aber nicht gegeben habe, verlagerte sie die Bedrohung in die Zukunft und fragte rhetorisch, was morgen sein werde und ob die Deutschen bis dahin warten wollten. Vgl. FR, Partisanenaktion, 14.10.1952, S. 2. Gerüchte über bereits erfolgte Fememorde wurden daher bereitwillig publiziert – und später zurückgenommen. Vgl. FR, Zinn und Dehler besprechen Partisanenorganisation des BDJ, 15.10.1952, S. 1; FR, Anfragen über BDJ-Geheimorganisation, 16.10.1952, S. 1f. Zur Zurücknahme siehe FR, Karlsruhe fordert BDJ-Listen von Zinn an, 21.10.1952, S. 1. 118 FR, Partisanenorganisation in ganz Europa?, 3.11.1952, S. 2; FR, Högener. Untergrundbewegung in Bayern, 18.10.1952, S. 1; FR, Abwarten, 18.10.1952, S. 2; FR, Bayern verfolgt drei Partisanenbünde, 23.10.1952, S. 3; FR, Weitere Enthüllungen über die Tätigkeit der BDJ-Partisanen, 30.10.1952, S. 1. 119 Bereits vor der Enttarnung des TD hatte die FR auf die große Bedrohung durch das Freikorps Deutschland hingewiesen, welches als Putscharmee dargestellt wurde. Vgl. FR, Freikorps Deutschland. Avantgarde des Neofaschismus, 23.2.1952, S. 3. 120 FR, Ruhe vor dem BDJ!, 4.11.1952, S. 2.
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fahrlässig.121 „Höchste Zeit“, forderte der gleiche Kommentar im Anschluss, „daß die tragenden Parteien der Bundesrepublik sich in der Abwehr gegen antidemokratische Organisationen grundsätzlich einigen.“ Insofern ist die Berichterstattung der „Frankfurter Rundschau“ zum Technischen Dienst in ihrer Dramatik deutlich von der zur SRP zu unterscheiden. Während die SRP als ein Produkt der NS-Jahre und als Nachwehe wahrgenommen wurde, galt dies für den lange US-finanzierten und -gelenkten BDJ vor dem Hintergrund des Kalten Krieges nicht in dem Maße. Der Technische Dienst taugte weniger dazu, NS-Restaurationsängste zu nähren, war als Privatarmee für den Aufbau demokratischer Gesellschaften und die politische Kultur aber potenziell wesentlich gefährlicher. Auch vermutete die FR hier engere Kooperationen mit den politischen und wirtschaftlichen Eliten. Auch deshalb betonte sie, dass man privaten Bürgerkriegsorganisationen beherzt begegnen müsse, damit der demokratische Staat erstmals in Deutschland nachhaltig etabliert werden könne.122 Zudem bemühte die FR den Vergleich mit der Weimarer Republik, die derartige Warnungen nicht ernst genug genommen habe, und appellierte an die bundesrepublikanischen Behörden, alles dafür zu tun, dass „das deutsche Volk in Ruhe und ohne Angst seine demokratische Gesellschaftsform friedlich entwickeln kann“.123 Allein die Tatsache, dass die Mehrheit der Bundesbürger die enorme Bedeutung der „Partisanenaffäre“ schnell erkannt und somit ihre Bereitschaft, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, unter Beweis gestellt habe, biete Anlass für vorsichtigen Optimismus.124 An Toleranz gegenüber dem Rechtsradikalismus, soviel kann bereits an dieser Stelle festgehalten werden, war für die FR angesichts dieser Entwicklungen kaum zu denken. Auch die Gewerkschaftspresse reagierte auf die BDJ-Enthüllungen alarmiert und dies dürfte die bereits erwähnten, gestiegenen Bedrohungsartikulationen in diesen Wochen ebenfalls begründet haben. Die als empörend und erschreckend bezeichnete Enttarnung des Technischen Dienstes wurde sofort zum bestimmenden Thema der gewerkschaftlichen Berichterstattung und stellte sogar
121 FR, Abwarten, 18.10.1952, S. 2; FR, Ruhe, 4.11.1952, S. 2. 122 FR, Abwarten, 18.10.1952, S. 2. 123 FR, Köpfe, 10.10.1952, S. 2. 124 FR, Abwarten, 18.10.1952, S. 2. Bereits seit dem Frühjahr 1952 wurde die FR etwas optimistischer. Sie erklärte, dass es empörend sei, wenn ein alter Nazi wie im Fall Richter/Rößler derart dreist in der Öffentlichkeit auftritt und das Ansehen des neuen Bundestages beschädige – aber Schuld daran habe nicht die deutsche Demokratie, hieß es verteidigend, sondern das Chaos der Nachkriegszeit. Es spräche vielmehr für die positive Entwicklung, dass gerade die freiheitliche Gesellschaft den Fall enttarnt hätte. Vgl. FR, Der falsche Richter, 22.2.1952, S. 2. Siehe zur Thematik auch FR, MdB Franz Richter im Bundeshaus verhaftet, 21.2.1952, S. 1; FR, Rößler hatte sich gut getarnt, 23.2.1952, S. 20; FR, SRP nennt Annahme falscher Titel Richter/Rößlers nicht gravierend, 26.2.1952, S. 8; FR, Rößler, 5.3.1952, S. 8.
70 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) den Verbotsbeschluss gegen die SRP deutlich in den Schatten.125 Der Technische Dienst wurde in der Gewerkschaftspresse, auch wenn dieser Vergleich abwegig war, sogar als „Neuauflage“ der NSDAP bezeichnet.126 Um keine Zweifel an der immensen Bedeutung der Vorfälle aufkommen zu lassen, wurde auch auf deren rasanten Aufstieg verwiesen: Zwar sei der BDJ recht klein, aber „[a]uch die Nazis haben einmal klein angefangen und konnten nur dadurch hochkommen, daß Polizei und Justiz ihnen gegenüber versagten.“127 Zudem attestierten sie dem BDJ einen „terroristische[n] Charakter“.128 Auch die Gewerkschaften waren darüber empört, dass „unter dem Deckmantel des Antikommunismus [der] Terror gegen demokratische Politiker“ vorbereitet werde.129 Wie die FR fokussierte ihre Presse vor allem auf die Todeslisten, was angesichts der Tatsache, dass dort zahlreiche Gewerkschafter vermerkt waren, nicht überrascht. Die „Welt der Arbeit“ klagte, dass diese Listen verdeutlichen, dass der Technische Dienst als „Stoßtrupp[…] gegen Republikaner“ innenpolitisch gegen die politische Linke ausgerichtet sei.130 Die Zeitung bilanzierte: „Unter dem Deckmantel eines lauten Antibolschewismus sollte der sozialen Demokratie, sollte der freien Gewerkschaftsbewegung der Strick gedreht werden.“131 Vor allem der Vergleich mit der Technischen Nothilfe als eindeutig gewerkschaftsfeindliche Organisation mit Freikorpsvergangenheit und NS-Belastung zeigt deutlich die Relevanz der Thematik: „Wir werden uns mit allen Kräften dagegen zu wehren wissen“, gab sich die WdA kämpferisch.132 Diese Ausführungen offenbaren, für wie wenig gefestigt die Gewerkschaftspresse die Position der Gewerkschaften im jungen Staat noch hielt. Eine Priorisierung der Sicherheit war in den Augen der Gewerkschafter nicht nur angesichts der rechtsradikalen Potenziale in der Gesellschaft, sondern auch gerade wegen derartiger Enthüllungen alternativlos. Dass das Bundesinnenministerium bereits seit 125 Vgl. WdA, Paul Lüth, BDJ und Partisanen, 17.10.1952; WdA, Dilettanten, 17.10.1952. 126 WdA, Gemeinsam handeln für eine bessere Zukunft, 24.10.1952, S. 1 u. 3. 127 WdA, Nicht bagatellisieren, 24.10.1952, S. 2. 128 WdA, BDJ ist ein Stoßtrupp gegen die Demokratie, 24.10.1952. Für die Gefährdungspotenziale siehe zudem WdA, Lüth, 17.10.1952; WdA, Auch in Bayern waren BDJ-Partisanen, 7.11.1952. 129 WdA, Dilettanten, 17.10.1952. 130 Für die Gewerkschaften war der TD gleichzeitig Streikbrecherorganisation im Sinne der Technischen Nothilfe und Terrororganisation in der Tradition der rechten Fememörder. Entsprechend wurden dessen Mitglieder mit den Mördern von Matthias Erzberger und Walther Rathenau verglichen. Vgl. WdA, Nicht bagatellisieren, 24.10.1952, S. 2. So auch WdA, Lüth, 17.10.1952; WdA, Stoßtrupp, 24.10.1952; WdA, Bayern, 7.11.1952. 131 Aufgrund der regionalen Stärke der Gewerkschaften und des Einflusses der demokratischen Kräfte in Hessen, argumentierte der Artikel weiter, sei daher auch der Schwerpunkt der Aktivitäten in diesem Bundesland kein Zufall. Vgl. WdA, Stoßtrupp, 24.10.1952. 132 WdA, Dilettanten, 17.10.1952.
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über einem Jahr, auch durch den DGB,133 über den TD informiert gewesen sei und nichts unternommen habe, war in den Augen der „Welt der Arbeit“ nicht nur „abgeschmackt, sondern grob fahrlässig“. 134 Dass man hier befürchtete, dass die TD-Aktivitäten von Seiten der Regierung unterstützt wurden, machte die Sache noch delikater und für die Gewerkschaften bedrohlicher. Wie auch die FR forderte der DGB neben Aufklärung der Hintergründe allerdings zunächst kaum weitere Maßnahmen. Erst einige Tage nach den Enttarnungen publizierte die „Welt der Arbeit“ die Forderungen des DGB nach der Verhaftung aller „Verschwörer im BDJ und die Auflösung“.135 Dass die Gewerkschaften in ihren Publikationen hier nicht früh energischer auftraten, ist etwas überraschend. Erst als bekannt war, dass die Truppe sich verselbstständigt hatte und nicht mehr unter amerikanischer Kontrolle stand, forderte sie klare Reaktionen. Grundsätzlich waren auch die Gewerkschaften von Vorbereitungen gegen einen sowjetischen Angriff überzeugt, aber Partisanen mit rechtsradikalem Hintergrund waren damit nicht gemeint. Deutlich wies man darauf hin, dass die Gewerkschaften nicht bereit seien, die Freiheit Europas gegen „den Bolschewismus“ zusammen mit rechtsradikalen Strukturen zu verteidigen, sondern nur mit demokratischen und friedlichen Kräften.136 Bereits eine Woche vorher betonte die „Welt der Arbeit“, „daß hier von Dilettanten eine Art der Bekämpfung des Kommunismus exerziert wurde, die in der Praxis dem Kommunismus den Boden bereitet.“137 Viel besser zur Verteidigung gegen den Kommunismus als „Partisanenspielereien, auch wenn sie ehrlich gemeint sein sollten“, heißt es anschließend, sei eine demokratische Arbeiterschaft. Auch an anderer Stelle wurden die Traditionen der Arbeiterklasse wider besseres Wissen als Sperrriegel gegen den Rechtsradikalismus bezeichnet.138 In den Augen der Gewerkschafter war eine umfassende Demokratisierung und soziale Befriedung der Bevölkerung wesentlich tauglicher als heimliche Aktivitäten rechtsradikaler Kreise. Des Weiteren wurden konservative Zeitungen beschuldigt, die Beziehungen vom TD zum BDJ zu leugnen und – als dies nicht mehr möglich war – eine Verbindung des BDJ-Anführers Paul Lüth zur KPD zu konstruieren, um den rechtsradikalen Hintergrund des Technischen Dienstes zu vertuschen.139 In Bezug auf die FAZ und „Die Zeit“ waren diese Vorwürfe durchaus berechtigt. Während die Deutungen und Darstellungen in der FR und der Gewerkschaftspresse sich durchaus ähnelten und vor allem auf die Bedrohung durch den Technischen Dienst fokussierten, nahmen die FAZ und „Die Zeit“ eine geradezu gegen133 Vgl. die Ausführungen in WdA, Lüth, 17.10.1952; WdA, Dilettanten, 17.10.1952. 134 WdA, Nicht bagatellisieren, 24.10.1952, S. 2. 135 WdA, Stoßtrupp, 24.10.1952. 136 Ebd. 137 WdA, Dilettanten, 17.10.1952. 138 GMH 3 (1953), Verteidigung, S. 139. 139 WdA, Stoßtrupp, 24.10.1952.
72 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) sätzliche Position ein. Aus der Perspektive der FAZ kamen die BDJ-Enttarnungen ungelegen und drohten, die bisherigen Erfolge der Demokratisierung und vor allem der Außenwirkung zu sabotieren, die sich nach der Niederlage der SRP im späteren Baden-Württemberg gerade wieder verbessert hatte. Die Zeitung versuchte daher durchgehend, den Enthüllungen die Brisanz zu nehmen.140 Nach wie vor wollte sie im Rechtsradikalismus keine ernste politische Kraft oder Gefahr erkennen und versuchte jeglicher Dramatisierung entgegenzuwirken.141 So hieß es zwar zunächst mit Blick auf die Liste von Personen, die im „Fall X ‚kaltgestellt‘ werden sollen“, „daß der Organisation eine wesentlich höhere Bedeutung zukomme, als man ursprünglich habe annehmen können“.142 Auch die FAZ zitierte zudem den hessischen Ministerpräsidenten Zinn, dass es sich um eine politische, bewaffnete Widerstandsbewegung handele. Eine Woche später erklärte sie sogar, dass „der Eindruck entstehen [muss], daß es hier irgendwie nach ‚Feme-Tendenzen‘ rieche.“143 Aufschlussreich ist dann aber die geringere Relevanz, die die FAZ in der weiteren Berichterstattung den „schwarzen Listen“ mit potenziellen Zielen beimaß.144 Ausführlich erläuterte sie darüber hinaus verschiedene Interpretationsmöglichkeiten und erklärte, dass die Deutung als Todesliste lediglich eine Möglichkeit neben anderen sei.145 Die FAZ beschrieb gerade keine potenzielle Bürgerkriegsarmee und entsprechend keine besondere Gefahr für die Demokratie. Außerdem zielte sie darauf ab, den Zusammenhang zwischen den TD-Aktivisten und dem vermeintlich verfassungstreuen BDJ zu verneinen.146 Der Relativierung der Situation diente ferner der Hinweis, dass der BDJ 140 Deutlich wird dieser Relativierungsmechanismus beispielsweise auch am 23. Oktober 1952, als es auf der Titelseite der FAZ hieß: „Die Bundestagsfraktion der Unionsparteien hat sich gegen eine übertriebene Behandlung der Partisanenaffäre in Hessen ausgesprochen“. Vgl. FAZ, Heimatschutzbewegung in Bayern, 23.10.1952, S. 1. Lediglich mit Verweis auf sozialdemokratische Äußerungen wurde über den „terroristischen Charakter“ des TD geschrieben. Daneben verdeutlicht auch die geringe Anzahl einschlägiger Kommentare die fehlende Bereitschaft der FAZ, den TD als Bedrohung zu behandeln. Vgl. FAZ, Der Bundestag prüft die Enthüllungen Zinns, 10.10.1952, S. 1; FAZ, Das Wort hat jetzt das Gericht, 25.10.1952, S. 4. 141 FAZ, Keine rechtsradikale Gefahr, 14.10.1952, S. 3. 142 Dass in den Listen primär eindeutig antikommunistisch positionierte Sozialdemokraten deutlich häufiger enthalten seien als kommunistische Persönlichkeiten, war auch für die FAZ offensichtlich. Vgl. FAZ, Eine Geheimorganisation ausgehoben, 9.10.1952, S. 1. 143 FAZ, Die Partisanenfrage, 16.10.1952, S. 3; FAZ, Ermittlungsverfahren wegen Fememord, 18.10.1952, S. 3. 144 Sie wurden nicht nur auffallend selten, sondern vom 11. bis zum 23. Oktober praktisch gar nicht thematisiert. 145 FAZ, Weiter Unklarheit über die Geheimlisten, 24.10.1952, S. 1; FAZ, Wort, 25.10.1952, S. 4. 146 Bereits am Tag der ersten Enthüllungen druckte die FAZ eine Pressemitteilung des BDJ, in der sich dieser von den Vorwürfen distanzierte. Bei anderer Interessenlage hätte man diese Meldung auch innerhalb der normalen Berichterstattung kurz er-
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mehrfach Kontakt mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz gehabt hätte und sogar der hessische Verfassungsschutz bis vor Kurzem keine negativen Informationen erbracht habe.147 Selbst die Positionen des BDJ-Anführers Paul Lüth veröffentlichte die Zeitung ohne Kritik und Gegenstimmen.148 Man erfährt, dass Lüth früher Mitglied der KPD war, aber die Berichterstattung ließ zumindest den Schluss zu, dass dieser sich dort lediglich als antikommunistischer Agent eingeschrieben hatte.149 Ohnehin entsteht in den Artikeln der Eindruck, dass Lüth letztlich nichts anderes sei als ein Hochstapler ohne festes politisches Koordinatensystem. Der rechtsradikale Hintergrund spielte insofern keine vordergründige Rolle. Dass Lüth als Volontär bei der FAZ gearbeitet hatte, erwähnte die Zeitung allerdings nicht.150 Dies könnte aber die Bereitschaft verstärkt haben, ihn als harmlos darzustellen. Dass die FAZ die Gefahr durch den Technischen Dienst als gering bewertete, ergibt sich auch aus einem Artikel, der argumentiert, dass es sich um ein rein lokales, hessisches Problem handele, während „in den meisten Bundesländern […] über die illegale Geheimorganisation […] nichts festgestellt worden“ sei.151 Zwar wurde über Enthüllungen und Waffenfunde aus Hamburg und Bayern berichtet, aber diese gleichfalls kaum skandalisiert.152 Regelmäßig fanden sich stattdessen Dementi und Relativierungen weiterer Erkenntnisse, die die Brisanz der Affäre hätten erhöhen können.153 In anderen Fällen wurde die Substanz der Meldungen durch die Nennung der Quelle subtil angezweifelt.154 Die FAZ war Teil der „konzertierten rechtswidrigen Vertuschungsaktion“ von konservativer Seite.155 Sie kritisierte die Vorfälle weniger aufgrund der eigentlichen Existenz des Technischen
wähnen können. Vgl. FAZ, Der Bund Deutscher Jugend distanziert sich, 9.10.1952, S. 4. Siehe auch FAZ, Der Bundestag berät die Partisanenfrage, 17.10.1952, S. 3; FAZ, Fememord, 18.10.1952, S. 3; FAZ, Lüth in Karlsruhe vernommen, 20.10.1952, S. 3; FAZ, Peters in Karlsruhe vernommen, 21.10.1952, S. 3; FAZ, Wort, 25.10.1952, S. 4. 147 FAZ, Das Kabinett erörtert die Geheimorganisation, 11.10.1952, S. 1. 148 FAZ, Bundestag, 10.10.1952, S. 1; FAZ, Lüth, 20.10.1952, S. 3. 149 FAZ, Partisanenfrage, 16.10.1952, S. 3; FAZ, Bundestag, 17.10.1952, S. 3. 150 Vgl. zur Thematik Schmidt-Eenboom / Stoll, S. 26. 151 FAZ, In den meisten Ländern unbekannt, 11.10.1952, S. 1. So auch FAZ, Zinn bespricht mit Dehler die Partisanenfrage, 15.10.1952, S. 3. 152 FAZ, Fememord, 18.10.1952, S. 3; FAZ, Der Oberbundesanwalt übernimmt die Hamburger Partisanenaffäre, 28.10.1952, S. 4. 153 Zu Vorfällen in Bayern zitierte die FAZ den Ministerpräsidenten mit der Aussage, dass man diese nicht überbewerten wolle und dass das bayerische Volk einen gesunden Kern des Heimatschutzes habe, der nicht in Geheimorganisationen abgedrängt werden sollte. Vgl. FAZ, Partisanenfrage, 15.10.1952, S. 3; FAZ, Lüth, 20.10.1952, S. 3; FAZ, Peters, 21.10.1952, S. 3; FAZ, Heimatschutzbewegung, 23.10.1952, S. 1. 154 So wurde über mögliche Waffenlager des BDJ vor allem berichtet, dass die diese Information enthüllenden Zeitungen den Sozialdemokraten nahestehen würden. Vgl. FAZ, Suche nach Waffenlagern, 13.10.1952, S. 2. 155 Vgl. Schmidt-Eenboom / Stoll, S. 242.
74 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) Dienstes, sondern vor allem, weil diese das geringe Vertrauen der Alliierten gegenüber den Bundesdeutschen aufzeigten.156 Aus ähnlichen Gründen wurden die Enthüllungen auch in der „Zeit“ als politisches Ärgernis beschrieben, eine Gefahr aber erkannte die Zeitung gleichfalls nicht, schließlich hätten sich die meisten Aktivisten nur wegen der Verpflegung engagiert.157 Zwar porträtierte „Die Zeit“ die TD-Aktivisten auf der einen Seite als ein „neonazistisches Geschwür“, auf der anderen Seite aber gab sie vor allem dem Anführer des BDJ, Paul Lüth, sehr viel Raum, um seine Sicht der Dinge ohne Widerspruch in der Öffentlichkeit verbreiten zu können. So ließ die Zeitung dessen Aussage, dass die Menschen auf den Listen höchstens ausgeschaltet, aber keinesfalls liquidiert werden sollten, ohne Kommentar oder Widerspruch stehen.158 Ohnehin sei Lüth unverdächtig, da dieser schließlich eine „geharnischte Schrift gegen Faschisten und Neo-Faschisten herausgeben“ habe, betonte „Die Zeit“ direkt im Anschluss. Derart leugnete sie nicht nur die Verbindung des Technischen Dienstes zum BDJ, sondern auch die Relevanz der Gruppe. Deren Mitglieder seien, so der Tenor, vielmehr junge Deutsche, die zunächst von den Amerikanern rekrutiert, dann aber nicht mehr gebraucht wurden. Problematisch war auch in der Sichtweise der Hamburger Wochenzeitung primär die Tatsache, dass derartige Partisanengruppierungen ohne das Wissen der Bundesregierung aufgebaut wurden und dass „Deutsche in die Agententätigkeit hineingezogen werden“.159 Hier zeigt sich vor allem die bereits bekannte Linie der Zeitung, sich deutlich gegen die Besatzungsmächte zu positionieren und wie in vielen anderen Zusammenhängen auch deren umfassende Rechte in Deutschland zu kritisieren.160 Ohnehin sei mit diesen Plänen nichts erreicht worden zum Schutz der Bundesrepublik, wohl aber habe man der Sowjetunion zu einem Propagandaerfolg verholfen, hieß es anschließend. Aufschlussreich ist auch, dass die Zeitung ihren ersten Bericht zur Thematik direkt mit der Frage der politischen Instrumentalisierung 156 Entsprechend zitierte die FAZ Mitglieder des Bundeskabinettes in erster Linie damit, dass es bedauerlich sei, dass der Aufbau von Partisanentruppen und Waffenlagern in der Bundesrepublik ohne ihr Wissen durchgeführt wurde. Ab sofort, so die Forderung der Zeitung, müssten alle „geheimen Waffenlager der deutschen Seite bekanntgegeben werde[n], damit die deutschen Stellen sich nicht dem Verdacht aussetzten, Mitbeteiligte zu sein“. Vgl. FAZ, Kabinett, 11.10.1952, S. 1. So auch FAZ, Unklarheit, 24.10.1952, S. 1; FAZ, Wort, 25.10.1952, S. 4. 157 Auf die geringe Bedrohungswahrnehmung verweist auch folgendes Zitat: „Nein wirklich, man sollte die Affäre nicht dramatisieren. Man sollte statt dessen an einen alten Schlager denken, den man nach dem ersten Weltkrieg sang. ‚Armer Gigolo kleiner Gigolo, denkst du noch an die Zeiten, wo du als Husar, goldbetreßt sogar, durftest durch die Straßen reiten?“ Vgl. Die Zeit, Kleiner Partisan, armer Partisan..., 23.10.1952. 158 Ebd. 159 Die Zeit, Die hessischen Partisanen, 16.10.1952. 160 Vgl. diesbezüglich Heide / Wagener und Meyn, Kaufmannsgeist.
2.2. Partisanen, der Graubereich und die fehlende Abgrenzung
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der TD-Enthüllungen beginnt und impliziert, dass diese vor allem als parteipolitisches Manöver lanciert wurden: „Ob die Enthüllungen […] als ein Schuß gegen die Bundesregierung zur Eröffnung des Wahlkampfes gedacht war, oder als eine Ohrfeige für die amerikanische Besatzungsmacht, ist auch nach den vielen Erklärungen und Dementis der letzten Tage schwer zu erkennen. Am wenigsten wahrscheinlich ist jedoch, daß aus Herrn Zinn der besorgte Landesvater sprach, als er seine Sensation im Wiesbadener Landtag publik machte. Feststeht nur, daß die beschuldigte Organisation innerhalb der BDJ bereits im Stadium der Liquidation war, als Zinn die Bombe zum Platzen brachte.“161
Während die „Frankfurter Rundschau“ und die Gewerkschaften hier eine weitaus größere Gefahr erblickten als in der SRP, erkannten die FAZ, die ebenfalls ein parteitaktisches Manöver der Sozialdemokraten vermutete,162 und „Die Zeit“ keine Bedrohung. War der TD vor allem ein innenpolitisches Thema, galt dies weniger für die SRP. Während Letztere von allen Akteuren als rechtsradikal beziehungsweise nationalsozialistisch beschrieben wurde, war dies wiederum in Bezug auf den Technischen Dienst des BDJ weniger eindeutig und die veröffentlichten Meinungen gingen auseinander. Insofern muss eine Untersuchung des Umgangs mit dem Rechtsradikalismus in dieser Phase auch die unklare Definition dessen berücksichtigen, was genau damit gemeint war. Zwar finden sich in der Literatur seit den achtziger Jahren zahlreiche Definitionen und Kataloge, anhand derer man diese Einordnung vornehmen könnte,163 für die frühen Jahre der Bundesrepublik findet sich dergleichen aber nicht. Auch äußerten sich die untersuchten Akteure zu dieser Frage keineswegs abschließend. So findet sich bereits hier die Problematik des Graubereiches, der sich bis heute immer wieder in Zusammenhang mit der Debatte über den Rechtsradikalismus aufzeigen lässt. Diskutieren wir dies seit den späten achtziger Jahren vor allem in Bezug auf rechtspopulistische Parteien wie Die Republikaner oder aktuell die Alternative für Deutschland, findet sich in den frühen fünfziger Jahren eine ähnliche Debatte in Bezug auf die FDP sowie die Deutsche Partei (DP). Die besondere Relevanz dieser Frage ergibt sich allerdings in der Gründungsphase der Bundesrepublik vor allem daraus, dass beide offiziell Teil des bürgerlichen Lagers und nicht nur Koalitionspartner auf Bundesebene, sondern auch Mitglieder zahlreicher Landesregierungen waren.
161 Die Zeit, Partisanen, 16.10.1952. 162 Über die neuesten Erkenntnisse der hessischen Regierung wurde zwar berichtet, Aussagen, die die Validität der Enthüllungen des Ministerpräsidenten anzweifeln, wurden dabei aber regelmäßig parallel zitiert. Vgl. FAZ, Ein scharfer Angriff gegen Lüth, 13.10.1952, S. 2; FAZ, Bundestag, 10.10.1952, S. 1; FAZ, Bundestag, 17.10.1952, S. 3; FAZ, Peters, 21.10.1952, S. 3. 163 Vgl. z. B. Pfahl-Traughber, S. 11–20; Salzborn, S. 18–29; Stöss, Rechte 1989, S. 17–38.
76 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) Federführend in dieser Debatte waren ebenfalls die links-liberale „Frankfurter Rundschau“ und die Gewerkschaftspresse. „Die Zeit“ beklagte zumindest, dass die nationalistische DP mittlerweile als konservativ gehandelt wird. Die FAZ hingegen kritisierte DP und FDP lediglich dafür, dass sie untereinander zerstritten seien, viel zu wenig Rücksicht auf die Soldaten genommen hätten und überhaupt allzu sehr als Erfüllungsgenossen der Besatzungsmächte aufgetreten und somit mitschuldig am Erfolg der SRP seien.164 Die „Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland“ bezog sich nicht auf diese beiden Parteien, kritisierte aber allgemein die fehlende Abgrenzung des bürgerlichen Lagers nach rechts. Zusätzlich zu Maßnahmen gegen die SRP und andere rechtsradikale Strukturen forderte die Zeitung stets eine zweite – konsequentere – Entnazifizierung, die alle Belasteten in öffentlichen Ämtern erfassen sollte.165 Die eindeutige Abgrenzung zum Nationalsozialismus sowie zum Rechtsradikalismus war eines ihrer wichtigsten Anliegen. In der fehlenden Einhaltung erkannte die „Allgemeine“ das eigentliche Problem der jungen Bundesrepublik. Auch dies erklärt die relativ undramatische Beschreibung der SRP. Diese und andere rechtsradikale Strukturen seien nur dann eine potenzielle Bedrohung, wenn die konsequente Ausgrenzung nicht auf allen Ebenen vollzogen würde. Entsprechend fragte die Zeitung, wie man die alten und neuen Rechtsradikalen effektiv bekämpfen wolle, wenn: „[...] Vertreter der höchsten Gewalten der Bundesrepublik den Krieg verherrlichen, den Nazismus entschuldigen und offenen antisemitischen Drohungen gegenüber schweigen! Unter diesen Umständen können auch die Versicherungen des besten Willens weder bei uns noch bei den ausländischen Beobachtern der innerdeutschen Entwicklung auf einen der Verständigung dienlichen Boden fallen. Eine erneute Schuldfrage erübrigt sich dann automatisch […].“166
Auch für die „Frankfurter Rundschau“ und die Gewerkschaften war die Frage der Abgrenzung zentral, ihre Kritik ging aber noch darüber hinaus. Wie bereits erwähnt war die SRP für die Gewerkschaften nur eine potenzielle Bedrohung neben anderen. Entsprechend breit gefächert war die Thematisierung des Rechtsradikalismus. Hier findet sich ein zweigeteilter Umgang, der sich zum einen auf den ausgegrenzten Rechtsradikalismus und zum anderen auf den mehr oder weniger akzeptierten – und dadurch vermeintlich viel gefährlicheren – Rechts-Konservatismus bezog, der in der Wahrnehmung der Gewerkschaften mindestens 164 FAZ, Druckfehler, 26.2.1952, S. 2; FAZ, Mit Blick auf den Wähler ganz rechts, 4.3.1952, S. 2. 165 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Fragen, 18.5.1951, S. 1. Dies wird auch im Rahmen der Enttarnung des SRP-Abgeordneten Fritz Rösler/Richter erneut aufgeworfen, welcher bei entsprechend konsequenter Entnazifizierung wohl schon viel früher enttarnt worden wäre. Vgl. Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Köpenickiade der deutschen Demokratie, 29.2.1952, S. 1. 166 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Fragen, 18.5.1951, S. 1.
2.2. Partisanen, der Graubereich und die fehlende Abgrenzung
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starke rechtsradikale Tendenzen aufwies. Obgleich es weiterhin einige Nationalsozialisten gebe und der alte Nationalsozialismus unter bestimmten Umständen eine gewisse Unruhe verbreiten könne, würde er kaum mehr wirklich „ziehen“.167 In der fehlenden Distanz des bürgerlichen Konservatismus nach rechts und der mangelnden Beachtung diskursiver Grenzen sah die Gewerkschaftspresse die weitaus größere Gefahr für die junge Republik. Der Rechtsradikalismus könne schon allein deshalb langsam wieder Boden gut machen, weil selbst Regierungsmitglieder die Abgrenzung nicht genau genug nähmen. Daher forderte die Gewerkschaftspresse hier mehr Konsequenz.168 Die Gewerkschaften, allen voran der DGB, sahen sich in den frühen fünfziger Jahren als entscheidende Kraft für die Demokratisierung und als stabilisierende Säule des Staates.169 Dieses Selbstverständnis wurde allerdings von der bürgerlich-konservativen Regierung mit dem vermeintlichen Schreckgespenst eines „Gewerkschaftsstaates“ massiv angegriffen.170 Gewerkschafter galten vielfach als „unsichere Demokraten“.171 Auch deshalb war ihr Umgang mit dem Rechtsradikalismus immer gleichermaßen ein Umgang mit dem in ihrer Wahrnehmung nach rechts zu offenen Graubereich. Mehrfach warnten Berichte davor, dass Rechtsradikale und Konservative sich gegen die Gewerkschaften und ihre Verbündeten zusammenschließen könnten.172 Sogar Koalitionen seien durchaus wieder denkbar.173 Auch in Zusammenhang mit der SRP wurde insbesondere Bundesjustiz-
167 So seien vor allem die Soldatenbünde wie SS-Ehemaligenverbände und der Stahlhelm nationalsozialistisch. Vgl. GMH 3 (1953), Neonazismus, S. 131–134. 168 Metall, Rechtsradikalismus, 2.4.1952, S. 2; WdA, Sensation, 29.2.1952, S. 1. 169 Vgl. Hirsch-Weber, S. 59; Wilke, Einheitsgewerkschaft, S. 12. 170 So wurde wiederum Bundesjustizminister Dehler vorgeworfen, dass er zwar vordergründig gegen die Verabschiedung des Gesetzes über die Mitbestimmung bei Kohle, Stahl und Eisen und das neue Betriebsverfassungsgesetz agiere, gleichzeitig aber durch seinen Kampf gegen die Gewerkschaften dem rechtsradikalen Aufschwung Vorschub leiste. Vgl. Die Quelle 2 (1953), Dehler und der Neofaschismus, S. 49–50. Siehe zur Kritik an den Gewerkschaften auch WdA, Zukunft, 24.10.1952, S. 1 u. 3; WdA, Kurzsichtig, 31.10.1952. 171 Vgl. Deppe, Geschichte, S. 517 bzw. 529. Siehe zur fehlenden Akzeptanz der Gewerkschaften im politischen System und vor allem bei deren Beteiligung an allgemeinpolitischen Debatten Schneider, S. 298f. 172 Beispiele für eine Zusammenarbeit konservativer Kräfte mit den Rechtsradikalen wurden entsprechend skandalisiert. Vgl. Die Quelle 2 (1953), Dehler, S. 49f.; GMH 3 (1953), Neonazismus, S. 134; Metall, Im Keime ersticken, 12.9.1952, S. 2; WdA, Zaunpfahl. 24.10.1952; WdA, Lüth, 17.10.1952; WdA, SRP, 31.10.1952; WdA, Schandfleck, 31.10.1952; WdA, Veilchen, 31.10.1952. 173 Selbst Adenauer habe auf einen Brief des SRP-Politikers Dorls geantwortet, statt sich klar gegen jede Kooperation auszusprechen. Vgl. WdA, Herr Dorls schreibt..., 10.10.1952, S. 2. Siehe auch WdA, Epigonen, 13.4.1951, S. 1f.
78 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) minister Dehler unterstellt, mit seinen Bagatellisierungen des Rechtsradikalismus potenzielle Koalitionen vorzubereiten.174 Parallel rückte die am äußersten rechten Rand des demokratischen Spektrums stehende und der SPD in Feindschaft verbundene Deutsche Partei in den Fokus der Kritik.175 Die „Metall“ kritisierte, dass diese sich immer stärker als Auffangbecken präsentiere seit „das Damoklesschwert der Verfassungswidrigkeit“ über der SRP schwebe.176 „Die Quelle“ skandalisierte eine Rede des aus der DP kommenden Bundesverkehrsministers Hans-Christoph Seebohm, in der dieser erklärte, sich vor „jedem Symbol unseres Volkes“ zu verneigen, unter dem sich Deutsche für ihr Vaterland geopfert hätten.177 Heftig kritisieren die Gewerkschaften diejenigen Politiker, die auf den nationalen Zug aufgesprungen seien und durch das Überschreiten von diskursiven Tabugrenzen das SRP-Ergebnis mit zu verantworten hätten.178 Ein Neuanfang unter demokratischen Vorzeichen sei so unmöglich, zitierte die „ÖTV-Presse“ den baden-württembergischen Ministerpräsidenten und Gegner des Rechtsradikalismus, Reinhold Meier (FDP), der vor einem politischen Rechtsruck in der Bundesrepublik warnte: „Diese Gefahr liege nicht im Wiederaufleben des Nationalsozialismus Hitlerischer Prägung und auch nicht bei der SRP oder ähnlichem, sondern vielmehr in der Möglichkeit, daß sich eine ‚Nationale Rechte‘ bilde, die sich nicht radikal antidemokratisch gebärde, die aber die Demokratie als schließlich doch zweitrangige Angelegenheit behandle und so in die autoritäre und bald darauf in die totalitäre Form hineingestoßen werde.“179
Schließlich würden in allen bürgerlichen Parteien viele alte Nationalsozialisten „überwintern“. Vor dem Hintergrund drohender Verbote und strikter diskursiver Ausgrenzung beruhe die Taktik der Rechten ohnehin eher auf Unterwanderung bestehender Organisationen.180 Die von der SRP aufgebauten Wählergemeinschaften könnten bereits teilweise auf den Schutz der bürgerlich-konservativen Parteien bauen.181 Besonders nach dem Verbot der SRP waren die gewerkschaftlichen Publikationen insofern über die Integration der Reichsparteiler in die Parteien des Bürgerblocks beunruhigt, zumal diese als Regierungspartner in Bonn 174 WdA, Dorls, 10.10.1952, S. 2; WdA, Kurzsichtig, 31.10.1952. 175 Vgl. diesbezüglich Wolfrum, Demokratie, S. 50. 176 Metall, Rechtsradikalismus, 2.4.1952, S. 2. 177 Die Quelle 1 (1952), Gewerkschafts-Selbsthilfe, S. 5f. 178 WdA, Alarmsignale, 11.5.1951, S. 1; WdA, Herrenhaus, 11.5.1951; Metall, Faschismus, 15.5.1951, S. 1f. 179 ÖTV-Presse, Reinhold Maier. Gefahr von rechts, Nov. 1952, S. 250. 180 Vgl. Die Quelle 2 (1953), Dehler, S. 49f.; GMH 3 (1953), Neonazismus, S. 133; WdA, Nicht bagatellisieren, 24.10.1952, S. 2; WdA, Rechts sammelt sich die alte Front, 24.10.1952. 181 WdA, Zaunpfahl, 24.10.1952; WdA, SRP, 31.10.1952; WdA, Schandfleck, 31.10.1952; Metall, Keime, 12.9.1952, S. 2.
2.2. Partisanen, der Graubereich und die fehlende Abgrenzung
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eine besondere Verantwortung trügen.182 Die „Metall“ zeigte sich äußerst skeptisch, dass DP sowie FDP an so wichtigen Entscheidungen wie der Wiederbewaffnung und dem Generalvertrag beteiligt sein sollten.183 Auch die WdA sprach ihnen die demokratische Tauglichkeit weitgehend ab.184 Daher argumentierte sie, trotz entsprechender Rhetorik, dass nicht der TD das gravierendste Problem sei. Um diese „Hanswurste“, „die sich als Kämpfer gegen den Osten aufspielen“, zu stoppen, hätte schon eine etwas intensivere Polizeiarbeit ausgereicht.185 Diese Truppe sei zwar bezeichnend für den Zustand der Bundesrepublik, aber ihr Nutzen als Putscharmee sei durchaus zweifelhaft, solange die Alliierten als Rückversicherung der Demokratie präsent seien.186 Die größere Gefahr erkannten die Gewerkschaften in der fehlenden Lernbereitschaft.187 Der Antikommunismus sei schließlich ein hervorragender ideologischer Brückenpfeiler zwischen dem konservativen Mainstream und dem rechtsradikalen Spektrum, von dem aus jederzeit wieder ein Erstarken des Antisemitismus ausgehen könne.188 Entsprechend empörte sich die „Welt der Arbeit“, dass diese Integrationsbemühungen noch als Gewinn für die Demokratie verkauft wurden, obgleich die Nazis sie doch lediglich als Aufruf zur besseren Tarnung verstünden.189 Diese Wahrnehmung ist sicherlich auch ein Grund dafür, dass die SRP teilweise für wenig relevant gehalten wurde. Auch aus gewerkschaftlicher Sicht war der eindeutige Rechtsradikalismus schließlich nicht das einzige Problem. Und vor diesem Hintergrund war die Niederlage der (rechts-)konservativen Parteien und damit der gewerkschaftsfeindlichen Politik in Niedersachsen 1951 fast wichtiger als das Ergebnis der SRP. Aufgrund der verbreiteten Ablehnung der Gewerkschaften nutzten diese die eigene Berichterstattung zum Rechtsradikalismus zugleich, um die eigene Legitimation zu fördern, und präsentierten sich selber als eine der wenigen verläss182 Dies bezog sich nicht nur auf die DP, denn auch in der FDP sei bereits eine Clique alter Nazis aktiv und der BHE müsse ohnehin schnell entscheiden, „wo er eigentlich steht“. Gleichermaßen wurde hier die CDU als potenziell rechtsoffen charakterisiert. Vgl. Die Quelle 2 (1953), Dehler, S. 49f.; Metall, Keime, 12.9.1952, S. 2; WdA, BHE muss Position beziehen, 17.10.1952; WdA, Zaunpfahl, 24.10.1952; WdA, SRP, 31.10.1952. 183 Metall, Der Rechtsradikalismus findet Anschluß, 2.4.1952, S. 2. 184 WdA, Zukunft, 24.10.1952, S. 1, 3; WdA, Kurzsichtig, 31.10.1952. 185 WdA, Nicht bagatellisieren, 24.10.1952, S. 2. 186 GMH 3 (1952), Gefahr, S. 168–172. 187 So sei die „politische Augenkrankheit“ von Bundesjustizminister Dehler „angesichts der Enthüllungen über die BDJ-Partisanen […] geradezu staatsgefährdend für die Demokratie“. Da er in seinen Reden teilweise Mordaufrufe an linken Akteuren äußere, müsse er zumindest ideell als mitschuldig an der „Partisanenaffäre“ gelten. Vgl. WdA, Kurzsichtig, 31.10.1952 bzw. Die Quelle 2 (1953), Dehler, S. 49f.. Siehe auch WdA, Lüth, 17.10.1952. 188 GMH 3 (1953), Neonazismus, S. 133. 189 WdA, Zaunpfahl, 24.10.1952; WdA, Urteil, 31.10.1952, S. 2.
80 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) lichen Stützen der jungen Demokratie.190 Laut „Welt der Arbeit“ seien Gewerkschaften die besten Garanten für die deutsche Demokratie und verpflichtet, sich gegen jede Diktatur zu stellen.191 Die Gewerkschaften hätten die zentrale Aufgabe, rechtsradikale Aktivitäten öffentlich zu machen und auf Gefährdungen der Demokratie hinzuweisen.192 „So gesehen“, erklärte die „Welt der Arbeit“, „wächst gewerkschaftliche Funktion von heute über die materielle Interessenvertretung hinaus zur sittlichen Verpflichtung an der Menschheit“.193 Dies führte allerdings direkt zur Frage nach der in diesen Jahren ohnehin heftig umstrittenen parteipolitischen Neutralität des DGB, über die auch anhand des Umgangs mit dem Rechtsradikalismus diskutiert wurde. Vielfach wurde die Struktur der Einheitsgewerkschaft als eine wichtige Errungenschaft gelobt. Den neutralen Grundsatz, so betonten zahlreiche Artikel, wolle niemand aufweichen. Allerdings sei eine gewisse Opportunität notwendig, sofern es sich um Parteien handele, „die trotz Grundgesetz nicht verboten, aber offensichtlich antidemokratisch sind“194. Bestimmte politische Gruppen explizit zu bekämpfen, sei geboten, wenn diese sich wie SRP, DP oder die nordrhein-westfälische FDP gewerkschaftsfeindlich und antidemokratisch gebärden: „Wo die Demokratie und die politische Freiheit der Arbeitenden bedroht ist [sic], da hört die parteipolitische Neutralität der Gewerkschaften auf. Wer zögert oder die Intoleranten toleriert, verspielt seine eigene Freiheit. Die Gewerkschaften werden es nicht tun“.195
Ähnliches, wenn auch auf etwas geringerem Niveau, findet sich in der „Frankfurter Rundschau“. Auch hier wurde der Niederlage der bürgerlich-konservativen Parteien nach den niedersächsischen Landtagswahlen eine wesentlich zentralere Bedeutung zugemessen als dem klassischen Rechtsradikalismus. Dies war ein zentraler Grund dafür, dass die Zeitung sich nur auf relativ geringem Niveau an der Kampagne gegen die SRP beteiligte und die Partei selbst in den Tagen vor und nach der Niedersachsenwahl keineswegs in den Mittelpunkt stellte. Vor diesem Hintergrund ist auch die starke Fokussierung der FR auf die fehlende Abgrenzung der rechts-konservativen von den rechtsradikalen Parteien zu sehen. Trotz ihrer eigenen Zurückhaltung im Fall SRP war sie ein Gegner der Deutschen Partei und trat von dort vielfach geäußerten Relativierungen des SRP-Ergebnisses
190 WdA, Stoßtrupp, 24.10.1952; WdA, Zukunft, 24.10.1952, S. 1 u. 3. 191 WdA, Wühlmäuse, 7.3.1952. 192 WdA, Stoßtrupp, 24.10.1952. So auch WdA, Zukunft, 24.10.1952, S. 1 u. 3; WdA, Front, 24.10.1952. 193 WdA, Zukunft, 24.10.1952, S. 1 u. 3. 194 GMH 10 (1952), Parteipolitische Neutralität und innergewerkschaftliche Demokratie, S. 591–594, hier S. 592. 195 WdA, Freiheit, 27.4.1951. Siehe auch WdA, Angriff, 11.5.1951.
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offensiv entgegen.196 Auch die Ablehnung des SRP-Verbotsantrages durch deren Kabinettsmitglieder wurde scharf kritisiert: „Die von der Deutschen Partei kommenden Kabinettsmitglieder haben mit ihrem Votum gegen das SRP-Verbot mehr von ihren geheimen Zielen verraten, als dem Ansehen eines Bonner Koalitionspartners zuträglich sein kann. Sie haben damit auf der Bundesebene die Christlich-Demokratische-Union noch einmal so kompromittiert, wie es in den Ländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen bereits zur ständigen Uebung geworden ist.“197
Zwar billigte die „Rundschau“ Adenauer die Bereitschaft zu, gegen den Rechtsradikalismus vorzugehen, sofern er dies gegen seine Koalitionspartner „heute noch könne“, aber sogar die CDU habe sich in einigen Kommunalwahlen als Partner der SRP angedient und somit fehlende Abgrenzungsbemühungen gezeigt. Insgesamt sei ein Abschmelzen der Mitte zu befürchten, falls die Union weiterhin das rechtsradikale Lager als Bündnispartner betrachte.198 Daher bilanzierte auch die FR, seien die nach rechts offenen Parteien, welche die Bonner Bundesregierung unterstützten und eben nicht ausgegrenzt werden, die eigentliche Gefahr für die demokratische Entwicklung der Bundesrepublik. Schließlich habe auch der amerikanische Hochkommissar McCloy kritisiert, dass „[n]icht einmal Bundesminister […] sich gescheut [hätten], die ‚nationalistische Fanfare zu blasen‘“.199 Dies würde es dem Rechtsradikalismus ermöglichen, Einfluss auf die weitere Entwicklung des jungen Staates zu nehmen und der politischen Kultur weit stärker schaden als offen rechtsradikale Parteien, deren Chancenlosigkeit absehbar sei. Daher war die untersuchte Berichterstattung teilweise eher eine Kampagne gegen die rechtsaußen stehende und explizit antisozialdemokratische Deutsche Partei.200 Und die Forderung nach klarer Abgrenzung wurde bereits hier zu einem der zentralen Aspekte in der Debatte.
196 FR, Hellwege bagatellisiert Erfolge der SRP, 10.5.1951, S. 8. 197 FR, Maßnahmen, 7.5.1951, S. 2. 198 Ebd.; FR, Adenauer, 8.5.1951, S. 1. 199 FR, McCloy, 28.2.1952, S. 1. 200 Im Gegensatz zu der Gewerkschaftspresse fokussierte die FR dabei wesentlich weniger auf die FDP. Der Deutschen Partei wurde hingegen sogar eine federführende Rolle im Aufbau einer potenziellen Putscharmee unter dem Namen Freikorps Deutschland unterstellt. Vgl. FR, Freikorps, 23.2.1952, S. 3. Siehe auch FR, Krebs-Gang zur Futterkrippe, 11.3.1952, S. 2.
82 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52)
2.3. Die „wehrhafte Demokratie“ und das demokratische Dilemma War die Frage, wer als rechtsradikal zu gelten habe, durchaus umstritten, galt dies nicht für die grundsätzliche Bewertung der „wehrhaften Demokratie“. Zwar wurde bereits deutlich, dass die Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ in der Debatte über den TD nur eine verschwindend geringe Rolle spielten, aber selbst wenn in Bezug auf die SRP keineswegs alle nicht-staatlichen Akteure in die gleiche Richtung zielten, nahm die „wehrhafte Demokratie“ hier schnell eine wesentlich zentralere Rolle in der Debatte ein. Innerhalb der Bundesregierung war der Umgang mit der SRP umstritten. Während sich Bundesinnenminister Robert Lehr schnell als klarer Verbotsbefürworter zeigte, waren andere skeptischer. Lange Zeit verhinderten auch machtpolitische Erwägungen eine Entscheidung, denn Teile des (rechts-)konservativen Lagers wollten sich mögliche Koalitionsoptionen mit der SRP bewahren.201 Vor allem FDP und DP reagierten ablehnend.202 Ähnlich umstritten waren die Maßnahmen zwischen den jeweiligen Länderregierungen. Henning Hansen geht davon aus, dass erst das gute Wahlergebnis von Niedersachsen dazu führte, dass der Bundeskanzler einen Verbotsantrag überhaupt erwog.203 Wenige Tage nach der niedersächsischen Wahl erklärte Konrad Adenauer dann aber, dass derartige Erfolge rechtsradikaler Gruppen zu verhindern seien, und beauftragte eine Materialsammlung für einen eventuellen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht. Die SRP reagierte auf das drohende Verbotsurteil im September 1952 mit Selbstauflösung und hoffte, wenigstens die bisher gewonnenen Mandate behalten und ihre Politik in Zusammenarbeit mit anderen Parteien weiterführen zu können. Allerdings gab das Bundesverfassungsgericht im Oktober 1952 nicht nur das Verbot der Partei bekannt, sondern verfügte auch die Streichung aller Mandate. Zudem wurde die Selbstauflösung aufgrund des fehlenden Mitgliedervotums in dieser Sache für ungültig erklärt. Das Urteil fokussierte genauso auf die personellen Kontinuitäten zum Nationalsozialismus wie auf die undemokratische Struktur und Programmatik der Partei.204 Es ging dabei nicht darum, dass die SRP zahlreiche ehemalige Mitglieder der NSDAP oder anderweitig NS-belastete Personen in ihren Reihen hatte – das traf auf fast alle Parteien zur damaligen Zeit zu –, sondern 201 Für Details siehe Hansen, S. 238; Steffen Kailitz, Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung, Wiesbaden 2004, S. 33. 202 Vgl. Frei, S. 346. 203 Wobei die alliierte Mahnung in einer Sitzung der Alliierten Hochkommission sowie der enorme Druck, den die ausländische Presse in ihren jeweiligen Ländern produzierte, ebenfalls entscheidend gewesen sein dürften. Vgl. Hanschmann, S. 11; Hansen, S. 224f. 204 Vgl. das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 23. Oktober 1952, 1 BvB V51. Für weitere Details siehe auch Hansen, S. 264–268.
2.3. Die „wehrhafte Demokratie“ und das demokratische Dilemma
83
dass sie sich gerade um die Unbelehrbaren bemühte. Ihr Verbot wurde im In- und Ausland öffentlich weitestgehend begrüßt und als Beweis für die Handlungsbereitschaft der jungen Demokratie gegen die Rechtsradikalen gewertet.205 Stets war die Debatte über die Bedrohungspotenziale, die Wahlchancen oder auch die Ursachen des Rechtsradikalismus mit der Frage nach dem Umgang verbunden. Mit Ausnahme des „Arbeitgebers“ haben sich alle untersuchten nicht-staatlichen Akteure an dieser Diskussion beteiligt. So war es auch der „Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland“ ein Anliegen, dem Rechtsradikalismus in jeglicher Manifestation etwas entgegenzusetzen.206 Entsprechend wurden die Ankündigungen von Bundesinnenminister Lehr, dass der „gefährliche Unfug“ der linken und rechten Radikalen „mit allen polizeilichen Mitteln unterdrückt“ werde, von der Zeitung mit dem Hinweis begrüßt, dass die Demokratie sich niemals durch das Gewähren zu weiter Freiheiten selbst gefährden dürfe.207 Bereits Verboten gegen weniger bedeutende rechtsradikale Strukturen, wie der aus alten SS-Führern und Kameraden bestehenden Nationalen Sammlungspartei Deutschlands in Bayern, stand die jüdische Wochenzeitung positiv gegenüber.208 Sogar im Falle der antisemitischen „Deutschland-Briefe“ forderte sie unabhängig von deren kaum vorhandener Relevanz und Reichweite ein repressives Vorgehen: „Meinungsfreiheit in allen Ehren! Aber hier wird systematisch entstellt, gelogen und gehetzt“.209 Schließlich gehe es genauso um das „Vertrauen in die Autorität der Regierung“ und deren Bereitschaft, einem derartigen Treiben Einhalt zu gebieten.210 Wohl auch deshalb kritisierte sie die langsamen und inkonsequenten Reaktionen staatlicher Stellen auf rechtsradikale Manifestationen.211 Insgesamt zeigt sich, dass die „Allgemeine“ einen Erfolg der Demokratisierung nur dann für möglich hielt, wenn diese restriktiv und durch klar definierte Tabugrenzen überwacht wird. Bereits vor der Wahl in Niedersachsen betonte die Zeitung: 205 Vgl. Hansen, S. 268, 274; Flemming, S. 32. Heutige Forschungen tendieren hingegen auch zu einer kritischen Sichtweise. So geht Conze davon aus, dass die Sozialistische Reichspartei im Laufe der fünfziger Jahre auch ohne administrative Maßnahmen wahlpolitisch marginalisiert worden wäre. Vgl. Conze, Suche, S. 147f. So auch Frei, S. 343. 206 Nur wenige Artikel ließen Reaktionsformen gänzlich aus. Die Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland fokussierte auf die Einschränkung der Pressefreiheit für die rechtsradikale Publizistik, Verbote, Strafverfolgung oder allgemein die „wehrhafte Demokratie“. Nur ausnahmsweise betonte die Zeitung die Notwendigkeit, die Verzweifelten durch soziale Maßnahmen davon abzuhalten, überzeugte SRP-Anhänger zu werden. 207 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Mit allen Mitteln, 27.4.1951, S. 1. 208 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, NS-Sammelbewegung, 4.5.1951, S. 3. 209 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Ursache, 3.10.1952, S. 5. 210 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Eine Stärkung der Demokratie, 31.10.1952, S. 3. 211 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Fragen, 18.5.1951, S. 1.
84 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) „Es dürfe den Rechtsradikalen nicht wie vor 1933 die Chance gegeben werden, durch die hypernationalistische Propaganda, die sich in ‚gemeinsten Beschimpfungen der Bundesregierung und der parlamentarischen Institutionen‘ sowie in der Schaffung einer brutalen Atmosphäre […] äußere, die öffentliche Meinung zu beeinflussen.“212
Die „Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland“ bemühte sich zwar um eine nüchterne Darstellung des Rechtsradikalismus, dennoch war ihre Berichterstattung sicherheitsorientiert. Entsprechend begrüßte sie das Verbot der SRP nicht nur als „Stärkung der deutschen Demokratie“, sondern zugleich als ein Zeichen der Bereitschaft, jederzeit einen „vernichtenden Schlag gegen alle totalitären Bestrebungen in der Bundesrepublik zu führen“.213 Parteitaktische Beschwerden über die Verbotsentscheidung kritisierte die Zeitung an gleicher Stelle hingegen scharf. Ihre Zustimmung zur „wehrhaften Demokratie“ zeigt sich überdies daran, dass sie dem Verbotsurteil zugestand, „von demokratischem Geist getragen“ worden zu sein.214 Sie hoffte, ein Verbotsverfahren gegen die SRP würde „die Herren Remer, Dorls und Westarp endgültig in den Ruhestand“ schicken.215 Zunächst beruhte ihre Sicherheitsfokussierung noch auf einer erhöhten Bedrohungswahrnehmung, doch während diese bald sank, dominierten weiterhin Forderungen nach Repression die Berichterstattung. Dies deutet darauf hin, dass die Zeitung trotz optimistischer Darstellung der bundesrepublikanischen Entwicklung von dieser nicht wirklich überzeugt war. Dass die „Allgemeine“ ein entschiedenes Vorgehen gegen den Rechtsradikalismus unterstützte, verwundert angesichts der nationalsozialistischen Verbrechen gerade an jüdischen Menschen kaum. Hier ist Sicherheitspolitik automatisch auch Freiheitspolitik in Form von Minderheitenschutz und insofern zwar weiterhin repressiv, aber eben auch rechtsstaatlich legitimiert zum Schutz der Demokratie. Ein demokratisches Dilemma spielte für die Zeitung keine Rolle, da sie keinen Widerspruch ausmachte. Die restriktiven Möglichkeiten der „wehrhaften Demokratie“ wurden auch in der Gewerkschaftspresse nicht nur positiv bewertet, sondern vielfach gefordert, da „nach den Erfahrungen der Vergangenheit keine Illusion mehr erlaubt“ sei.216 Nur Stärke würde die rechtsradikale Szene jetzt noch in die Schranken weisen. Eventuelle Kritiker harter Maßnahmen wurden gefragt, ob „denn die Demokratie ein zweites Mal abwarten sollte, bis es zu spät ist?“217 Die „ÖTV-Presse“ hoffte, 212 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Stunde, 4.5.1951, S. 1. 213 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Stärkung, 31.10.1952, S. 3. 214 Auch die Streichung aller politischen Mandate begrüßte die Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland im gleichen Kommentar und sah dies als Grundvoraussetzung an, um die Demokratie vor der SRP zu schützen. Vgl. ebd. 215 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, SRP soll verboten werden, 4.5.1951, S. 3. 216 WdA, Epigonen, 13.4.1951, S. 1f. Siehe auch Metall, Faschismus. 15.5.1951, S. 1f.; ÖTV-Presse, 1931, 30.4.1951, S. 9; GMH 12 (1951), Freiheit für die Unfreiheit?, S. 708–711. 217 Metall, Faschismus, 15.5.1951, S. 1f.
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dass der Staat die „Kraft und den Mut zur Selbsterhaltung“ besitze und forderte ein rücksichtsloses Vorgehen der staatlichen Stellen ein, ohne sich „durch formalistische oder prinzipielle Überlegungen hemmen“ zu lassen.218 Die „deutsche Demokratie muss das Notwendige schon selber tun, und zwar lieber zu früh als zu spät“, forderten die GMH.219 In einem Resümee zum Remer-Prozess wies die „Welt der Arbeit“ darauf hin, dass „die zu weit getriebene Toleranz der Demokratie an sich selbst zum Verbrechen werden kann“, da sie so ihren eigenen Untergang befördern werde.220 Besorgt bemerkte die Zeitung zudem, dass die Rechtsradikalen bei ihrem erneuten Vormarsch unter dem Schutz „der freiesten Verfassung der Welt“ stünden.221 Laut „Metall“ aber dürfe „es für die Feinde der Freiheit keine unbeschränkte Freiheit der Aktion geben“.222 Die Gewerkschaften hegten folglich keinerlei Zweifel an der Notwendigkeit der „wehrhaften Demokratie“ und bewerteten diese als legitime Konzeption, um die Demokratie zu verteidigen. Schließlich waren ihre Publikationen durchgängig wenig optimistisch, was die Zukunft der jungen Bundesrepublik betraf. In ihren Augen war zwar der Nationalsozialismus besiegt, nicht aber der Rechtsradikalismus. Selbst die Sozialistische Reichspartei wurde zunächst noch mehrheitlich als potenzielle Gefahr für die Stabilität der Bundesrepublik beschrieben. Regelmäßig warnten Berichte davor, dass es 1933 auch klein angefangen habe.223 Letztlich war die gewerkschaftliche Bewertung der staatlichen Stabilität zu Beginn der fünfziger Jahre noch sehr ambivalent, zumal sich die grundsätzliche Entwicklung der Bundesrepublik in diesen Jahren wieder stärker gegen die Gewerkschaften und deren Neuordnungspläne vollzog. Demokratie war die Voraussetzung für gewerkschaftliche Interessenvertretung und zumindest durch den als konservativ getarnten Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik gefährdet.224 Zudem sah der DGB angesichts des Scheiterns vieler seiner Neuordnungsvorstellungen die Erfolge der Arbeiterschaft beim Wiederaufbau des Staates nach 1945 gefährdet, sollte der Rechtsradikalismus in welcher Form auch immer erneut eine Chance bekommen. Der Kampf gegen diesen und die Stabilisierung der eigenen Position waren insofern nicht nur eng miteinander verbunden, sondern bedingten sich. Entsprechend finden sich Aussagen, dass man dem Rechtsradikalismus „beizeiten entgegenzutreten“ gedenke.225 Selbst wenn man keine Gefahr erkenne, dürfe dies nicht zur Entwarnung führen, denn das Auftreten der Rechtsradikalen sei 218 ÖTV-Presse, 1931, 30.4.1951, S. 9. 219 GMH 3 (1952), Gefahr, S. 172. 220 WdA, „...wenn wir wieder dran sind“, 21.3.1952. 221 WdA, Sensation, 29.2.1952, S. 1. 222 Metall, Wolf ohne Schafspelz, 23.6.1952, S. 2. 223 ÖTV-Presse, 1931, 30.4.1951, S. 9; ÖTV-Presse, Koalitionspartei, 30.4.1951, S. 9; WdA, Epigonen, 13.4.1951, S. 1f.; WdA, Herrenhaus, 11.5.1951. 224 WdA, Wühlmäuse, 7.3.1952. 225 WdA, Epigonen, 13.4.1951, S. 1f.; GMH 12 (1951), Freiheit, S. 708–711.
86 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) aufgrund der juristischen und diskursiven Grenzen „noch unauffälliger geworden, so daß die autoritären Wölfe im demokratischen Schafpelz kaum noch zu erkennen, geschweige denn bloßzustellen sind“.226 „Der endgültige Beweis für das Vorhandensein echt revolutionärer Bewegungen ist immer ihre Machtergreifung und der Umsturz selber. Dann aber ist es zu spät“, warnten die GMH.227 Daher dürfe man den Rechtsradikalismus auch vorher keinesfalls verharmlosen.228 Ein toleranter Umgang mit dem Rechtsradikalismus war vor dem Hintergrund der geringen Umsetzbarkeit gewerkschaftlicher Neuordnungsvorstellungen nach Kriegsende sowie der damaligen Dominanz rechts-konservativer, bürgerlicher und zum Teil offen gewerkschaftsfeindlicher Politik insofern keine Option. Entsprechend positiv bewertete die Gewerkschaftspresse das Verbotsurteil gegen die SRP und erklärte dies zu einem großen Erfolg.229 Die Berichte waren teilweise durchaus euphorisch. Die „Welt der Arbeit“ titelte: „Ein Schandfleck wurde beseitigt“ und fragte, wie lange man den Aktivitäten der „neuen NSDAP“ denn noch hätte zusehen wollen.230 Die Zeitung sprach von einem erfreulichen und weisen Urteil und bemerkte, dass es nicht oft vorkomme, dass „Einzelmenschen oder Völker aus ihren Erfahrungen lernen“.231 Allerdings konstatierte die Gewerkschaftspresse zugleich, dass das Urteil angesichts der vielfach fehlenden Abgrenzung keine Entwarnung bedeute. Ohnehin wäre es naiv, an die Selbstauflösung der SRP zu glauben: „In Wahrheit lebt sie, munterer und frischer denn je. Ein Verbot des Bundesverfassungsgerichts kann ihr nicht mehr viel anhaben.“232 Daher wurde der umfangreiche Einsatz gegen mögliche Ersatzorganisationen wie den nordrhein-westfälischen Zweig der Deutschen Gemeinschaft genauso begrüßt wie das Verhindern von Wahlgemeinschaften unter Beteiligung ehemaliger SRP-Mitglieder mit Blick auf die kommenden Kommunalwahlen in Niedersachsen und die Streichung der Mandate.233 Als wirksames Mittel in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus begrüßten die Publikationen darüber hinaus die Vorschläge, gegen die führenden Funktionäre der SRP nach Art. 18 GG vorzugehen.234
226 GMH 3 (1953), Verteidigung, S. 137. 227 GMH 2 (1953), Chronik, S. 110. 228 Die Quelle 2 (1953), Dehler, S. 49f.; WdA, Nicht bagatellisieren, 24.10.1952, S. 2; WdA, Zukunft, 24.10.1952, S. 1 u. 3. 229 Metall, Keime, 12.9.1952, S. 2; WdA, Schandfleck, 31.10.1952; WdA, Urteil, 31.10.1952, S. 2. 230 WdA, Schandfleck, 31.10.1952. 231 WdA, Urteil, 31.10.1952, S. 2. 232 WdA, Zaunpfahl, 24.10.1952. Siehe auch WdA, SRP, 31.10.1952; Metall, Keime, 12.9.1952, S. 2. 233 Metall, Keime, 12.9.1952, S. 2. 234 Ebd.; WdA, Dorls, 10.10.1952, S. 2.
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Einzig die „Gewerkschaftlichen Monatshefte“ bilanzierten, dass es eine große Aufgabe bleibe, „die Freiheit so aufzurichten, daß sie nicht eine Waffe für die Unfreiheit wird“,235 aber mögliche Probleme der „wehrhaften Demokratie“ wurden auch hier nur im Detail erkannt. Vor diesem Hintergrund finden sich zwar Stimmen, welche die Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ in der konkreten Situation der Bundesrepublik als ungeeignet ansahen, um „dieser nazistischen Wühlarbeit“ beizukommen,236 Grundsatzkritik findet sich aber nicht. Angesichts der deutlichen Zweifel bezüglich der Demokratisierung und Stabilisierung von Staat und Gesellschaft und der unsicheren Zukunftsprognosen war der Fokus auf Sicherheit sehr deutlich. Vielfach wurden ein Verbot der SRP – deutlich seltener auch des BDJ –, Mandatsstreichungen, Einschränkungen der Pressefreiheit, harte Strafen für rechtsradikale Aktivisten und die Entfernung alter NSDAP-Parteigenossen („Pgs“) aus dem öffentlichen Dienst in den eigenen Publikationen gefordert. Sicherheitspolitik hatte für die Gewerkschaften insofern die Aufgabe, die demokratische Freiheit der Gesellschaft zu sichern. Der „Weimar-Komplex“ war in den gewerkschaftlichen Berichten zum Rechtsradikalismus deutlich feststellbar. Das Narrativ der „wehrlosen Republik“ wurde mehrfach aufgegriffen, um als Negativbeispiel für die junge Bundesrepublik zu fungieren.237 Vor diesem Hintergrund war Repression nicht nur legitim, sondern auch geboten. Die „Frankfurter Rundschau“ differenzierte in ihrer Bewertung der Bedrohungspotenziale. Im Gegensatz zum Technischen Dienst bewertete sie die Sozialistische Reichspartei und andere rechtsradikale Parteien dabei als weitgehend ungefährlich und relativierte deren Bedeutung.238 Die SRP war ohnehin – ähnlich wie in den gewerkschaftlichen Veröffentlichungen – nur ein Aspekt neben anderen. Insgesamt aber ging die FR von einer steigenden Bedrohung aus, da sich der Rechtsradikalismus immer deutlicher in der Öffentlichkeit zeige: „Auch heute kann jeden Augenblick ein falscher Prophet auftreten, dem eine ratlose Jugend nachläuft. Das Schicksal unserer Demokratie hängt davon ab, ob wir ihn wieder als einen mehr oder weniger harmlosen Verrückten betrachten, den man nicht ernst zu nehmen braucht, oder – ob wir fähig sind, die Gleichgültigkeit zu überwinden, und, jeder für sich, ihm von Anfang an Paroli bieten [sic]“.239 235 So könne nur eine umfassende Diktatur Andersdenkende endgültig bekämpfen. Vgl. GMH 12 (1951), Freiheit, S. 708–711. 236 Hier artikulierte Die Quelle auch die von Rigoll bemängelte Ausgestaltung der „wehrhaften Demokratie“ durch die alten „Pgs“. Vgl. Die Quelle 2 (1953), Dehler, S. 49f. 237 GMH 3 (1952), Gefahr, S. 172; ÖTV-Presse, Entschließung zum Neofaschismus in der Bundesrepublik, Jan. 1952, S. 9; WdA, Sensation, 29.2.1952, S. 1. 238 Bereits die 1,6 Prozent der Stimmen in Schleswig-Holstein interpretierte sie als „scharfe Absage der Wähler an den Rechtsradikalismus“. Vgl. FR, Wahlen in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein, 1.5.1951, S. 2. 239 FR, Grenzen der Toleranz, 14.3.1952, S. 2. Siehe auch FR, Die Wurzeln des braunen Übels, 6.3.1952, S. 2.
88 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) Nach wie vor genieße der Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik schließlich zu viele Freiräume.240 Trotz vielfach auch wenig alarmierender Berichte forderte die „Frankfurter Rundschau“ fast durchgehend eine intensivere Sicherheitspolitik, wie bereits das Zitat zum Umgang mit dem TD im zweiten Abschnitt des Kapitels verdeutlicht.241 Sie bezeichnete bereits das Verbot der Reichsfront als lediglich „halbe[…] Maßnahme“ und forderte eine deutliche Reaktion gegen die SRP: „Wenn die Demokratie aus Notwehr einschneidende Maßnahmen trifft, und wir sind der Meinung, daß sie es tun muß, dann ist alles zu vermeiden, was den Augenschein der Zwielichtigkeit erwecken könnte.“242 Dennoch blieben diese eindeutigen Aussagen zugunsten der „wehrhaften Demokratie“ in Zusammenhang mit der SRP zunächst die Ausnahme. Zwar hätte deren hohes Ergebnis in Niedersachsen gut als Argument für ein Verbot angeführt werden können, aber auch nach der Verkündung der Wahlergebnisse forderte die FR dies überraschenderweise nicht.243 Grundsätzlich hielt die FR ein repressives Vorgehen gegen die SRP zwar durchaus für sinnvoll, beteiligte sich aber nur auf geringem Niveau an entsprechenden Kampagnen. Ursächlich dafür dürfte vor allem die berechtigte Hoffnung gewesen sein, dass ein gutes Abschneiden der SRP Stimmenverluste der bürgerlich-rechten Parteien bedeutete und somit die Chance auf eine sozialdemokratische Landesregierung in Niedersachsen erhöhte. Die Aussicht darauf, die Konkurrenz von rechtsradikalen und konservativen Parteien durch das parallele Antreten zu vergrößern, war wohl entscheidend für die bereits im ersten Abschnitt beschriebene zurückhaltende und harmlose Berichterstattung der Zeitung. Grundsätzliche Zweifel hatte die FR nämlich weder am westdeutschen Konzept des Staatsschutzes noch bezüglich eines repressiven Umgangs mit rechtsradikalen Strukturen.244 Wahrscheinlich hielt die Zeitung die Wahlchancen der SPD hier tatsächlich für relevanter als die negativen Effekte rechtsradikaler Wahlerfolge – schließlich drohte zumindest solange keine erneute Machtübernahme, wie alliierte Truppen als Rückversicherung in der Bundesrepublik statio240 FR, Wurzeln, 6.3.1952, S. 2. 241 Hier hieß es: „Man bekämpft totalitäre Bestrebungen nur mit demokratischen Mitteln – auch mit allen demokratischen Machtmitteln […].“ Vgl. FR, Köpfe, 10.10.1952, S. 2. 242 Die Zwielichtigkeit bezog sich vor allem darauf, dass ein Parteiverbot keine Taktik im Parteienkampf sein dürfe. Vgl. FR, Halbe Maßnahmen – Halbe Wahrheiten, 7.5.1951, S. 2. 243 Noch am 7. Mai forderte die FR ein Verbot der SRP. Nur einen Tag später enthielt ein Kommentar keinerlei Aktionsforderungen mehr, obwohl das SRP-Ergebnis zweistellig war. Eine weiterhin zustimmende Haltung zum repressiven Umgang ergibt sich implizit in einigen Artikeln zur Wahl, eine klare Forderung findet sich hier aber nicht. Vgl. ebd. bzw. FR, Stabilität, 8.5.1951, S. 2; FR, Bundesregierung, 9.5.1951, S. 1. 244 So war der parallel zum Verbot der Reichsfront beschlossene Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit vom Bundeskabinett das Thema des Tages – und die FR war vollständig einverstanden. Vgl. FR, Bundesregierung, 5.5.1951, S. 1.
2.3. Die „wehrhafte Demokratie“ und das demokratische Dilemma
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niert waren.245 Prinzipiell erkannte die FR an, dass die Stimmen für die SRP sich negativ auf die Außenwirkung auswirkten, aber angesichts der bürgerlich-konservativen Dominanz dieser Jahre war die mögliche Spaltung des Wählerpotenzials wichtiger. Die FR ordnete die Auseinandersetzung mit der SRP dem Streben nach guten Bedingungen für eine sozialdemokratische Politik unter.246 Bereits vor dem Wahltag zitierte die Zeitung daher den niedersächsischen Ministerpräsidenten Kopf, der für ein Verbot der SRP „keine staatsrechtlichen Grundlagen“ erkennen wollte.247 Sie verzichtete entsprechend auf eine Skandalisierung und Problematisierung der SRP und agierte auch in der Frage eines Verbotes zwar wohlwollend, aber nicht als treibende Kraft. Die „Rundschau“ war bereit, den weitgehend ausgegrenzten und stigmatisierten Rechtsradikalismus aus wahltaktischen Gründen zunächst zu tolerieren, da nicht dieser die größte Gefahr darstellte, sondern die weitgehend akzeptierten, vermeintlich konservativen, aber zumindest zum Teil rechtsradikalen Parteien mit ihren Einflussmöglichkeiten auf die politische Kultur und die Bundesregierung. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die Zeitung den paramilitärischen Technischen Dienst als wesentlich bedrohlicher beschrieb als die SRP. Für diese Deutung spricht auch, dass sowohl die FAZ als auch „Die Zeit“ das Ausbleiben eines Verbotsantrages vor der Wahl gerade als wahltaktisches Manöver zur Schwächung des bürgerlichen Lagers kritisierten.248 Ungeachtet dessen wies die „Rundschau“ einen positiven Bezug zur „wehrhaften Demokratie“ auf, auch wenn sie anmerkte, dass deren Existenz kein Selbstzweck sein dürfe.249 Den Verbotsbeschluss durch das Bundesverfassungsgericht bewertete sie auch trotz der eigenen verharmlosenden Darstellung der SRP beziehungsweise der interessengeleitet geringen Fokussierung auf ihr Verbot eindeutig positiv. Diese Entscheidung unterstreiche, „daß die Feinde der Freiheit der Freiheit nicht wert sind und beweist, daß die junge deutsche Demokratie von lebendigem Geist erfüllt und kein leeres Gefäß ist, das man beliebig mißbrau245 Dass die Zeitung in diesen Jahren offiziell unabhängig, aber dennoch sehr stark mit der Sozialdemokratie verbunden war, ergibt sich schon allein aus der politischen Positionierung ihrer Redakteure, allen voran des Herausgebers Karl Gerold, der 1949 nur aus der SPD ausgetreten war, um die formale Unabhängigkeit der FR nicht zu gefährden – ohne seine politischen Vorstellungen aufzugeben. Vgl. bezüglich der Nähe der FR zur Sozialdemokratie Buschke, S. 95; Flottau, S. 100; Gäbler, S. 161f.; Maaßen, S. 97f., 101. 246 Dass die Zeitung durchaus die Gefahr erkannte, zeigt z. B. ein Bericht, welcher mit der Feststellung des Bundesinnenministers Lehrs endet, dass der nördliche Teil Niedersachsens „durch rechtsradikale Elemente völlig unterminiert sei“. Vgl. FR, Niedersachsen, 1.5.1951, S. 1. 247 FR, Entscheidung, 5.5.1951, S. 3. 248 Vgl. FAZ, Rechtsradikalismus, 1.5.1951, S. 3 bzw. Die Zeit, Hitler, 3.5.1951; Die Zeit, Erdrutsch, 10.5.1951; Die Zeit, Die Folgen des SRP-Verbots, 30.10.1952. 249 FR, Verbot, 28.4.1951, S. 7; FR, Niedersachsen, 1.5.1951, S. 1; FR, Maßnahmen, 7.5.1951, S. 2.
90 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) chen und schließlich zertrümmern kann“.250 Trotz der mittlerweile offenkundig gesunkenen Relevanz der SRP plädierte die FR weiterhin keineswegs für einen toleranteren Umgang. Mit dem Verbot sei „die Lehre aus den bitteren Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit gezogen worden“, argumentierte die Zeitung im Anschluss stattdessen. Die im Urteil festgestellte Verwandtschaft von SRP und NSDAP und deren fehlendes Bekenntnis zu demokratischen Prinzipien lagen ganz auf der interpretatorischen Linie der FR und wurden ausführlich dargestellt.251 Die Zeitung betonte die sorgsame Arbeit des Gerichtes sowie die schlüssige Urteilsbegründung und erkannte eine „moralische Berechtigung“ zur „wehrhaften Demokratie“.252 Die positive Einschätzung ergibt sich darüber hinaus aus der Übernahme zentraler Passagen des Urteils in die Berichterstattung, insgesamt aber traten zum Beispiel die Gewerkschaften wesentlich offensiver für ein Verbot der SRP ein. Wie bereits angedeutet, kritisierte „Die Zeit“, dass die SRP nicht bereits vor der Wahl in Niedersachsen verboten wurde. Generell war auch sie von der Stabilität der jungen Bundesrepublik keineswegs überzeugt: „Die naiven, leicht betörbaren Gemüter aus dem Grenzgebiet von menschlicher Vernunft und animalisch dumpfem Drang, die immer als erste den Demagogen zu Opfer fallen, sammeln sich bereits“, führte ein Artikel entsprechend aus.253 Daher war die „Zeit“, auch ohne dass sie im parteipolitischen Rechtsradikalismus eine besonders ausgeprägte Bedrohung erkannte, eine klare Befürworterin der „wehrhaften Demokratie“ als Reaktion auf diesen. Das Verbot der SRP sei ein „überaus wichtiger rechtlicher und politischer Akt“ und die Bundesrepublik somit „innenpolitisch wehrhaft geworden“, konstatierte die Zeitung daher knapp eineinhalb Jahre später zustimmend.254 Bereits nach dem Verbot der Reichsfront 1951 erklärte ein Bericht, „[k]ein vernünftiger deutscher Staatsbürger wird gegen diese Maßnahmen, die längst fällig gewesen sind, etwas einzuwenden haben“.255 Im Gegensatz zu den bisher genannten beschäftigte sich „Die Zeit“ allerdings wesentlich intensiver mit den demokratietheoretischen Aspekten dieser Frage. Zwar bezeichnete sie die Entscheidung, die SRP nicht einfach auf der Grundlage von Art. 9 GG zu verbieten, sondern auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu warten, als „maßvoll“, doch „rührt auch diese durchaus vorsichtige und zurückhaltende Maßnahme bereits an ein Grundproblem, das heute alle Staaten der westlichen 250 FR, Bundesverfassungsgericht erklärt SRP für verboten und aufgelöst, 24.10.1952, S. 1f. 251 Vgl. zum Verhältnis der SRP zum Nationalsozialismus auch FR, Dorls. SRP bejaht Grundprinzip des Nationalsozialismus, 5.3.1952, S. 8. 252 FR, Verbot der SRP, 24.10.1952, S. 2. 253 Der Artikel beschriebt detailliert, warum die Bundesrepublik alles andere als ein stabiler, zukunftssicherer Staat sei. Vgl. Die Zeit, Zerfall. 17.5.1951. 254 Die Zeit, Folgen, 30.10.1952. 255 Die Zeit, Rechtsstaat, 10.5.1951.
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Welt angeht […]“256 Deutlich beschreibt der Artikel zudem die Gefahr, „daß eine demokratische Regierung, die einem antidemokratisch gesonnenen Konkurrenten nicht die Möglichkeit gibt, sich durch die Mehrheit zu legitimieren, das Prinzip der Demokratie verletzt, deren Sinn es ja eben ist, daß die Mehrheit die Regierung legitimiert.“ Dass Sicherheitspolitik die Freiheit zur politischen Betätigung einschränkt, sei aus demokratischer Perspektive insofern zunächst einmal problematisch. Das demokratische Dilemma sah „Die Zeit“ nur dann als gelöst an, wenn jede Art von Sicherheitspolitik, speziell im Fall von Verboten, dabei sowohl rechtsstaatlich gedeckt sei als auch von der Legitimation des Rechtsstaates her vollzogen werde. Es gehe, so das Fazit der Zeitung, nicht um die Verteidigung der Demokratie, sondern um den Schutz des Rechtsstaates.257 Deutlich merkt man das Unbehagen ob der eingeschlagenen Verbotspolitik. Aufgrund der durchaus skeptischen Wahrnehmung bezüglich der Zukunft und sicherlich auch als Reaktion auf die NS-Vergangenheit unterstützte die Wochenzeitung die „wehrhafte Demokratie“, sah sich aber mehrfach dazu veranlasst, deren Legitimation und demokratische Grundlage zu betonen. Erwartete Kritik wurde derart bereits im Vorfeld angegangen. Zudem befürchtete „Die Zeit“, dass die „wehrhafte Demokratie“ leicht missbraucht werden könnte, nun da sie erstmals mit voller Konsequenz angewendet wurde. Schließlich „könnte eine Regierung dabei auf den Gedanken verfallen, auch solche Oppositionsgruppen zu verbieten, die gar nicht die Absicht haben, einen Umsturz zu veranstalten, und zwar einfach deshalb, weil ihr diese Opposition für den eigenen Bestand gefährlich erscheint.“258 Interessanterweise führt auch dieser Artikel zu Bedingungen, unter denen die Anwendung der „wehrhaften Demokratie“ legitim sei. So benennt „Die Zeit“ klare Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Hierzu zählt sie den juristischen Grundsatz „nulla poena sine lege“ (keine Strafe ohne Gesetz) genauso wie die Gleichheit vor dem Gesetz. Sie zielt darauf ab, die Verbotsentscheidung nicht auf moralische Grundlagen zu stellen, sondern vom Rechtsstaat her zu handeln, was letztlich in einer klaren Forderung nach dem Legalitätsprinzip mündet: „Man darf nicht eine Partei verbieten, die zum Umsturz treibt, und eine andere bestehen lassen, die gleiche Ziele nur unter anderen Parolen verfolgt.“259 256 Die Zeit, Rechtsstaat, 10.5.1951. 257 Auch wenn dieser Artikel sich ausschließlich mit der „wehrhaften Demokratie“ gegen kommunistische Gruppierungen beschäftigt, zielt er in die gleiche Richtung. Vgl. Die Zeit, Was darf die Polizei verbieten?, 16.10.1952. 258 Die Zeit, Polizei, 16.10.1952. 259 Ebd.; Interessanterweise zielt der Artikel auf den ersten Blick auf das Gegenteil und fordert ein Vorgehen nach dem Opportunitätsbegriff. So könne „ein Soldatenbund, der noch unlängst als eo ipso gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet gelten konnte, […] bei veränderter politischer Lage geradezu als ein Werkzeug dieser Verständigung gelten.“ Daher, so der Bericht weiter, dürfe es keine automatische Wirkung des Art. 9 Abs. 2 GG zum Verbot von verfassungswidrigen Vereinen geben. Doch zielt die Kritik hier weniger auf das Vorgehen gegen alle Gruppierungen, son-
92 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) Auch die FAZ tendierte zunächst zu einer kritisch-positiven Bewertung der „wehrhaften Demokratie“. Früh veröffentlichte sie implizite Hinweise, die ein administratives Vorgehen gegen die SRP unterstützten: „Was diese Hetzer des Neofaschismus sich zur Zeit im Wahlkampf Niedersachsen an Herabsetzung der demokratischen Staatsformen und an Herausforderungen an die Staatstreuen leisten“, zitierte sie beispielsweise Bundesinnenminister Lehr, „übersteigt das Maß des Erträglichen.“260 Ein Verbot der SRP wurde im Frühjahr 1951 noch grundsätzlich bejaht. Ein Erfolg der Demokratisierung war auch für die FAZ noch keineswegs sicher, auch wenn sie früh wesentlich positiver über diesbezügliche Fortschritte berichtete. Die Stabilität des Staates war nicht garantiert und ein aktiver Staatsschutz insofern notwendig, auch wenn Parteiverbote in einem freiheitlichen Staat immer eine „mißliche Sache“ bleiben.261 Dies sollte nur unter strengsten Kriterien und nicht zur Einschränkung unangenehmer Meinungen angestrebt werden. Trotz grundlegender Zustimmung blieb die FAZ gegenüber den Instrumenten der „wehrhaften Demokratie“ skeptisch. Das Verbot der Reichsfront sei ein Einschnitt, weil die Gesellschaft damit in die „Sphäre der Verbote geraten“ sei und „[w]eder der Bundesregierung noch den Bürgern der Bundesrepublik ist aus ganz bestimmten Gründen ganz wohl“, berichtete sie im Mai 1951.262 Die Zeitung akzeptierte, dass Repression zum Schutz der Demokratie durchaus eine Notwendigkeit sei. Viel stärker als andere nicht-staatliche Akteure fokussierte sie aber auf die Spannung, die diese Debatte bis heute so konfliktreich macht. Dass die „wehrhafte Demokratie“ aus einer demokratietheoretischen Sicht durchaus problematisch sei, gab auch die FAZ offen zu bedenken. Freilich führte dies angesichts der gesellschaftlichen Realität und der angespannten Phase des Kalten Krieges nicht dazu, dass diese abgelehnt wurde. Auch fokussierte die Zeitung weniger auf die rechtsstaatlichen Grundlagen als die Hamburger „Zeit“. Sie betrachtete die „wehrhafte Demokratie“ als ein zwar schwieriges, aber durchaus notwendiges Konzept, um die Freiheit der Bundesrepublik und die demokratische Struktur der Gesellschaft zu bewahren. Im Gegensatz zur „Zeit“, die den Ausweg vor allem in der Betonung des Rechtsstaates suchte und somit die „wehrhafte Demokratie“ formal als legitimiert ansah, blieben die Zweifel der FAZ im Wesentlichen bestehen, waren sie doch weniger juristisch als ideologisch begründet. Sie hoffte daher bis zuletzt, dass dern vielmehr auf die Frage, wer vorgehen darf. Verbote sollten stets Aufgabe von Gerichten sein und nicht von Polizei- oder Innenbehörden. 260 FAZ, Verbot, 27.4.1951, S. 1. Am selben Tag schrieb die Zeitung, dass die Bundesregierung erwarte, dass sämtliche Länderregierungen gegen rechtsradikale Organisationen mit den schärfsten Mitteln vorgingen und der Bund notfalls bereit sei zu helfen, falls die Länder mit den Staatsfeinden nicht allein fertig werden würden. Vgl. FAZ, Lehr, 27.4.1951, S. 1; FAZ, Volksbefragung, 27.4.1951, S. 1. 261 FAZ, Gegen den Terror, 5.5.1951, S. 1. 262 Ebd.
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die Entscheidung bezüglich der SRP an der Wahlurne gefällt werde, um einen Verbotsantrag überflüssig zu machen. Dies wäre ein wichtiges Zeichen für die positive Entwicklung des parlamentarischen Parteienstaates gewesen. Des Weiteren zeigte sich bereits hier in Ansätzen die Vorstellung, dass sich das Volk zum Schutz zur Demokratie zu engagieren habe.263 Da die FAZ sich allerdings der geringen Wahrscheinlichkeit dieser Hoffnungen bewusst war, rang sie sich zur Verbotsunterstützung durch: „Gegen Gewalt ist Gewalt nicht nur erlaubt, sondern notwendig“, betonte sie und erklärte dies zur besonnenen Meinung auch von Anhängern einer weitgehenden Meinungsfreiheit, zu der sie sich selbst zählte.264 Angesichts der unsicheren Zukunft zielte auch die FAZ zunächst auf einen sicherheitsorientierten Umgang mit dem Rechtsradikalismus – dies immer auch in dem Bewusstsein, dass ein administratives Vorgehen hilfreich ist, um dem Ausland die Lernbereitschaft zur Verteidigung der Demokratie zu beweisen,265 schließlich bewertete die FAZ rechtsradikale Vorfälle bereits hier vor allem unter dem Aspekt der Außenwirkung und mithin der Gefährdungspotenziale für den Normalisierungsprozess. Dass dieser, weil er dem Misstrauen im Ausland Vorschub leiste, ein wirksames Hindernis für die Außenpolitik sei, wurde besonders deutlich, als die FAZ über Reaktionen bezüglich des SRP-Verbotes in Frankreich klagte: „Wie ungerecht aber diese zumindest oberflächliche Beurteilung ist, die sich journalistisch gesehen nach dem Grundsatz des geringsten psychologischen Widerstandes richtet, mag aus folgender, durchaus legitimer Ueberlegung klar werden: Wenn das Verfassungsgericht anders entschieden und die Partei nicht verboten oder etwa darauf verzichtet hätte, den neonazistischen Abgeordneten ihre Mandate zu belassen, hätte es achtspaltige Balken-Ueberschriften in den Pariser Zeitungen gegeben.“266
Letztlich akzeptierte die FAZ, dass der Umgang mit dem Rechtsradikalismus der Integration in den Westen und dem Aufbau stabiler Strukturen weitgehend untergeordnet wurde. Insofern sah die Zeitung das Verbotsverfahren gegen die SRP vor allem als eine vertrauensbildende Maßnahme an. Dass die Presse, zumal die konservative, in diesen Jahren ohnehin „regierungsfreundlich“ berichtete, könnte die zustimmende Darstellung in der FAZ noch verstärkt haben.267 Möglicherweise wirkte hier, im Gegensatz zur FR, obendrein ein spezielles Interesse an 263 Vgl. zu dieser Ansicht auch Bröder, S. 126–128. 264 FAZ, Terror, 5.5.1951, S. 1. 265 Die Auswahl der Presseschau bringt immer wieder Wortmeldungen anderer Zeitungen, die die Bundesregierung für ihre zögerliche Anwendung der „wehrhaften Demokratie“ kritisieren. Vgl. FAZ, Beifall für Lehr, 28.4.1951, S. 2; FAZ, Mißtrauen, 9.5.1951, S. 2; FAZ, Unbehagen, 9.5.1951, S. 2; FAZ, Versagen der Bürgerlichen?, 10.5.1951, S. 2; FAZ, Kritik an Lehr, 12.5.1951, S. 2. 266 FAZ, Berichterstattung, 30.10.1952, S. 2. Siehe auch FAZ, Kurs, 11.3.1952, S. 1; FAZ, Nicht aufbauschen, 14.3.1952, S. 3. 267 Vgl. v. Hodenberg, S. 295.
94 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) einem Verbot der SRP. Ein solches erhöhte schließlich die Chancen auf Koalitionen unter Führung konservativer Parteien, weil es neben der Manifestation diskursiver Grenzen eine Stimmenumverteilung zugunsten des bürgerlichen Lagers als Nebeneffekt hätte. Schließlich wurde die Weigerung der niedersächsischen Regierung, gegen die Partei vorzugehen, wie bereits erwähnt, als sozialdemokratisches Manöver zur Schwächung des bürgerlichen Lagers beschrieben. Die bürgerlich-konservative Dominanz der „Ära-Adenauer“ zeichnete sich zu diesem Zeitpunkt erst ganz langsam ab und war noch keineswegs so selbstverständlich, wie das aus heutiger Perspektive erscheint. Während der Wahl in Niedersachsen war die Sozialistische Reichspartei für die FAZ ein wichtiges Thema, welches mit größeren Sorgen verbunden war. Anschließend ließ das Interesse allerdings deutlich nach und die Partei wurde für immer ungefährlicher gehalten. Parallel wandelten sich die bevorzugten Reaktionsformen. „Wachsam bleiben“ blieb die Devise, von „wehrhafter Demokratie“ zum Schutz der Demokratie wurde in der FAZ trotz deutlich artikulierter Skepsis bezüglich der Verteidigungsbereitschaft der Westdeutschen aber immer weniger gesprochen. Ein Verbot der SRP spielte in der Berichterstattung keine Rolle mehr. Schließlich war ein „taktischer“ Grund nun nicht mehr gegeben, da die Chancen der SRP und somit ihr Störpotenzial bezüglich bürgerlich-konservativer Koalitionsoptionen außerhalb Niedersachsens für wesentlich geringer gehalten wurde. Auch hatte das Wahlergebnis im späteren Baden-Württemberg nicht nur die weitgehende Marginalisierung der SRP, sondern auch die positive Entwicklung der Demokratisierung aufgezeigt. Nun blieb die Zeitung bei ihrer ablehnenden Haltung gegenüber einem Verbotsverfahren gegen die SRP. Falls dies doch durchgeführt werden würde, sei es allerdings unerlässlich, handfeste juristische Gründe vorzubringen. Lediglich optische und propagandistische Ähnlichkeiten mit der NSDAP reichten nicht aus.268 Auch ein gutes Wahlergebnis war für die FAZ kein Argument für ein Verbotsverfahren.269 Insofern war nun der Gedanke der freien politischen Betätigung prägender für die Zeitung als unbegründetes Sicherheitsdenken. Auch dass ein Verbotsbeschluss zu einem Wettkampf der Parteien um die rechtsradikalen Wähler mit rechtsradikalen Parolen kommen könnte, beschrieb die FAZ anschließend als gefährlich und nutzte es nun sogar als Argument gegen ein Verbot. Sie hätte es lieber gesehen, wenn es dem bürgerlichen Lager gelungen wäre, sich durch politische Überzeugungsarbeit als Inte grationskraft nach rechts zu behaupten.270 268 FAZ, Blick, 4.3.1952, S. 2. 269 FAZ, Schlappe, 8.5.1951, S. 1; FAZ, Flüchtlingsseele, 17.5.1951, S. 1; FAZ, Außenminister Morrison in Bonn, 19.5.1951, S. 1. 270 Bis dato sei es speziell in Niedersachsen vor allem die SRP, die konfessionell ungebunden und über den regionalen Konflikten stehend die Idee eines geeinten Deutschlands jenseits von Welfen, Oldenburgern und Braunschweigern verkörpere, kritisierte die FAZ das bürgerliche Lager. Vgl. FAZ, Blick, 4.3.1952, S. 2.
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Als das Bundesverfassungsgericht das Verbot der SRP verkündete, kamen dann aber etwas überraschend auch in der FAZ ausschließlich positive Meinungen zu Wort. Nun nutzte die Zeitung das Verbotsurteil, um die Bundesrepublik von der Weimarer Republik abzugrenzen. Erstere bemühe sich ehrlich um den Schutz der Demokratie, konstatierte die Zeitung,271 und sie zeigte sich erfreut darüber, dass die Grundprinzipien der Verfassung „[m]it harter Entschiedenheit verwirklicht“ würden.272 Das Urteil selber wurde ausführlich in einem eigenen Artikel präsentiert, der schon in der Überschrift auf die Nähe der SRP zum Nationalsozialismus verwies.273 Deutlich zeigte sich hier die bereits beschriebene grundsätzliche Zustimmung zur „wehrhaften Demokratie“. Die Freiheit dürfe nicht zum Kampf gegen die Freiheit benutzt werden, hieß es nun ohne die bisher stets geäußerten kritischen Einschränkungen.274 „Der Schlag ist schwer“, kommentierte die FAZ und betonte, dass die Wehrhaftigkeit im Gegensatz zum „Weimarer Staat […] kaum als leere Formalität und als Spaß bewertet“ werde.275 Speziell Artikel 21 GG sei eine „Lehre aus den bitteren Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit“, um die Wiederholung einer rechtsradikalen Machtübernahme in der Bundesrepublik zu verhindern.276 Kritisiert wurde lediglich die Streichung aller Mandate der SRP.277 Dass elf Prozent des Wahlvolkes sich nun nicht mehr im Landtag vertreten sehen, könne zu politischen Instabilitäten führen.278 Auf grundsätzlicher Ebene hielt die FAZ die Meinungsfreiheit weiterhin sehr hoch und setzte sich auch für das Recht auf Außenseitermeinungen ein: „Wir [meinen], daß ein Staat, in dem der Gedanke der Freiheit tätig wirkt, nicht nur Außenseiter ertragen können muss; er braucht sie zu seinem Dasein, als eine immer lebendige Bürgschaft dafür, daß die Gewissen seiner Glieder wach geblieben sind.“279
Die Selbstwahrnehmung der FAZ als Stütze der Gesellschaft wird hier besonders deutlich. Leidenschaftlich plädierte der Kommentar dafür, die Schwierigkeiten einer Demokratie unbedingt zu ertragen, um ihren Erfolg zu gewährleisten. Zwar 271 FAZ, Berichterstattung, 30.10.1952, S. 2. 272 FAZ, Ein schwerer Schlag, 24.10.1952, S. 1. 273 FAZ, Eine Partei unbelehrbarer Nationalsozialisten, 24.10.1952, S. 3. 274 FAZ, Schlag, 24.10.1952, S. 1. Skepsis bezüglich Wirksamkeit und Nachhaltigkeit des Verbotes findet sich lediglich in der Presseschau. Vgl. FAZ, Die Aberkennung der Mandate, 30.10.1952, S. 2; FAZ, Das erste Parteiverbot, 31.10.1952, S. 2. 275 FAZ, Schlag, 24.10.1952, S. 1; FAZ, Zu viel Gerichtsbarkeit, 30.10.1952, S. 1. 276 FAZ, Nationalsozialisten, 24.10.1952, S. 3. 277 Sie gab in diesem Zusammenhang zu bedenken, ob die Befugnisse der Judikative nicht zu hoch angesetzt seien und fragte, ob Richter bei politischen Fragen nicht überfordert seien. Vgl. FAZ, Gerichtsbarkeit, 30.10.1952, S. 1. 278 FAZ, Die Sozialistische Reichspartei verfassungswidrig, 24.10.1952, S. 1; FAZ, Hellwege für Neuwahlen, 25.10.1952, S. 4; FAZ, Fragen nach dem Wegfall der Mandate, 1.11.1952, S. 3. 279 FAZ, Wir brauchen auch unbequeme Leute, 29.10.1952, S. 1.
96 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) versuchte die FAZ, die deutsche Bevölkerung als geläutert und lernfähig darzustellen, aber noch im Herbst 1952 ging sie keineswegs davon aus, dass diese mehrheitlich bereit sei, die Demokratie zu unterstützen: Obwohl mittlerweile gegenüber dem Staat ein großer „Teil der Stumpfheit, der Gleichgültigkeit und der Feindschaft geschwunden“ sei, eine für den Schutz der Demokratie notwendige „leidenschaftliche Zuneigung gegenüber dem neuen Staate ist noch nicht geboren.“280 Die politischen Freiheiten seien den Menschen nach wie vor lästig: „Für viele ist Freiheit ein Druck. Sie atmen erleichtert auf, wenn sie von ihm befreit sind“, kritisierte ein Kommentar.281 Die FAZ ist ein gutes Beispiel für die These, dass Konservative sich kaum Illusionen über die politischen und mentalen Dispositionen der Westdeutschen machten, auch wenn sie diese ungern thematisierten.282 Letztlich weist all dies darauf hin, dass die FAZ die „wehrhafte Demokratie“ aus demokratietheoretischen Überlegungen heraus zwar sehr skeptisch beurteilte, aus pragmatischer Sicht auf die Realität allerdings durchaus für legitim und notwendig erachtete und insbesondere die positive Wirkung auf die internationale Wahrnehmung der Wehrhaftigkeit der Bundesrepublik zu schätzen wusste. Insgesamt zeigt sich, dass die „wehrhafte Demokratie“ grundsätzlich auch von nicht-staatlicher Seite positiv gesehen wurde. Zwar gab es auch Zweifel oder ein gesteigertes Rechtfertigungsbedürfnis, ihre Instrumente wurden unabhängig von der politischen Linie eines Akteures allerdings als sinnvolle Optionen zum Schutz der Demokratie und der gesellschaftlichen Freiheit im antitotalitären Sinne verstanden. Deutlich wurde aber auch, dass die Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ keineswegs als „Allzweckwaffe“ wahrgenommen wurden. Speziell deren Nachhaltigkeit wurde angezweifelt. Dass Demokratie und Grundrechte – oder allgemeiner die Freiheit – aber sicherheitspolitisch geschützt werden müssten, stand in den frühen fünfziger Jahren aus nicht-staatlicher Perspektive außer Frage. Angesichts der NS-Vergangenheit, der aktuellen Ost-West-Spannungen und der Versuche der Rechtsradikalen sich erneut zu etablieren, wurde die „wehrhafte Demokratie“ als alternativlos wahrgenommen. Die SRP-Funktionäre versuchten nach dem Verbot ihrer Partei, im Rahmen von Wählergemeinschaften bei Kommunalwahlen anzutreten, doch diese wurden in den allermeisten Fällen nicht zugelassen und als Tarnorganisationen der SRP betrachtet.283 Gelang es doch, kam es mitunter zu Koalitionen oder Zusammenarbeit mit bürgerlichen Parteien wie zum Beispiel bei der Kommunalwahl in Wilhelmshaven im November 1952, als sich CDU, FDP, die Deutsche Partei u. a. 280 FAZ, Wir brauchen auch unbequeme Leute, 29.10.1952, S. 1. 281 FAZ, Die Freiheit ist anstrengend, 18.10.1952, S. 1. So auch FAZ, Wir, 29.10.1952, S. 1. 282 Auch wenn Ulrich Herbert dies in erster Linie auf die unmittelbar politischen Akteure bezog, ist die These generalisierbar. Vgl. Herbert, S. 18. 283 Vgl. Fabian Virchow u.a., Verbote extrem rechter Vereinigungen in der Bundesrepublik. http://www.fes-forumberlin.de/pdf_2013/130506_virchow.pdf . Eingesehen am 14. März 2014.
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mit der Deutschen Reichspartei und neun ehemaligen SRP-Mitgliedern zusammentaten, um als Antimarxistischer Block Wilhelmshaven eine SPD-Mehrheit zu verhindern.284 Unter anderem deshalb gab die Gewerkschaftspresse trotz des Verbotes keine komplette Entwarnung.285 Nicht nur war die Bedrohungswahrnehmung der Artikel deutlicher wahrzunehmen, auch verorteten diese potenzielle Gefahren seit der Niederlage der SRP im späteren Baden-Württemberg und insbesondere nach dem Verbot der Partei verstärkt in der Zukunft und verschoben die Bedrohung somit in die Latenz und das Ungefähre.286 Auch in der FAZ entwickelte sich nach dem Verbot der SRP vor allem die Sorge vor SRP-Tarnlisten bei der niedersächsischen Kommunalwahl für einige Tage zu einem Themenschwerpunkt.287 Ähnliches findet sich in anderen Publikationen.288 So bemerkte „Die Zeit“, dass die demokratischen Parteien die 370 000 Wähler der SRP zwar zu „überzeugen und gewinnen“ beabsichtigen, erklärte aber direkt, dass dieses Vorhaben nicht ganz leicht sein dürfte.289 Ohnehin würden die rechten Gruppierungen öffentlich möglichst harmlos auftreten, um einer eventuellen Sicherheitspolitik keine Angriffsfläche zu bieten.290 Auch die „Frankfurter Rundschau“ unterstellte der SRP, aus dem Untergrund heraus gefährliche Unterwanderungsstrategien zu planen, nun aber zielte sie besonders darauf, dass die bisher von der SRP repräsentierten rechtsradikalen Teile der Gesellschaft sich nicht erneut organisierten.291 In diesem Zusammenhang 284 Vgl. Jaschke u.a., Hitler, S. 143f. 285 So verdeutliche bereits die Enttarnung des SRP-Politikers Dr. Franz Richter laut Welt der Arbeit die Notwendigkeit, weiterhin äußerst wachsam zu sein, denn die „alten Nazis“ würden mit extremer Dreistigkeit erneut in die Öffentlichkeit drängen. Vgl. WdA, Sensation, 29.2.1952, S. 1. Auch Die Quelle artikulierte Anfang 1952 durchaus größere Bedrohungsmomente und erklärte, dass das „immer dreistere Auftreten“ den DGB veranlasst habe, im Dezember 1951 den „unerbittlichen Kampf gegen diese Volksfeinde“ auszurufen. Vgl. Die Quelle 1 (1952), Gewerkschafts-Selbsthilfe, S. 5f. 286 So könnten diejenigen, die nicht zur Wahl gegangen waren, mitunter durch rechtsradikale Agitation schnell mobilisiert werden. Vgl. WdA, Stabilität, 14.3.1952. Siehe auch Die Quelle 2 (1953), Dehler, S. 49f.; GMH 3 (1953), Neonazismus, S. 131–134; GMH 2 (1953), Chronik, S. 110f. 287 FAZ, Wahlvorschläge werden gesiebt, 25.10.1952, S. 4; FAZ, Hannover lehnt Wahlvorschläge ab, 29.10.1952, S. 3; FAZ, Haussuchungen [sic] in Niedersachsen, 30.10.1952, S. 1. 288 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Stärkung, 31.10.1952, S. 3; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Tarnorganisationen der SRP, 7.11.1952, S. 8. 289 Die Zeit, Neue Krise in Niedersachsen, 30.10.1952. 290 Die Zeit, Rechtsstaat, 10.5.1951. 291 Dementsprechende Verdachtsfälle wurden regelmäßig skandalisiert. Alleine in Niedersachsen, so die FR, seien bereits über sechzig Nachfolgestrukturen ausgemacht worden. Vgl. FR, Verbot, 24.10.1952, S. 2; FR, SRP plant getarnte Tätigkeit, 25.10.1952, S. 1; FR, Niedersachsen überprüft SRP-verdächtige Tarngruppen, 28.10.1952, S. 2; FR, Fahndung, 30.10.1952, S. 1; FR, Deutsche Gemeinschaft in NRW verboten, 1.11.1952, S. 8.
98 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) rückten erneut die Deutsche Partei und die FDP in den Fokus, von denen die FR erwartete, dass sie sich nicht als Auffangorganisationen für SRP-Mitglieder andienten.292 Die Berichterstattung der Zeitung wies nun eine erhöhte Bedrohungswahrnehmung auf, was auch mit Blick auf die Enttarnungen zum TD wenig verwundert. All diese Fälle waren in den Augen der „Frankfurter Rundschau“ trotz des Verbotes der SRP Grund für eine verstärkt pessimistische Zukunftsbetrachtung. Angesichts der massiven Gefährdung des demokratischen Aufbaus durch die fehlende Abgrenzung sei sogar das Verbot der SRP nur ein symbolisch wichtiges Zeichen, aber keine Garantie. Insofern besaß die Aktivierung der „wehrhaften Demokratie“ für keinen nicht-staatlichen Akteur eine beruhigende Wirkung. Die Sicherheitspolitik steigerte nicht das Sicherheitsgefühl.
2.4. Die Ursachenfrage und deren Bedeutung für die Auseinandersetzung Neben den Möglichkeiten der „wehrhaften Demokratie“ wurden von Anfang an alternative Reaktionsoptionen diskutiert und gefordert. Allerdings blieben diese in den frühen fünfziger Jahren allgemein und auch im Umgang mit der Sozialistischen Reichspartei ganz eindeutig sekundär. So publizierte die WdA unter dem Slogan „Wahlrecht ist Wahlpflicht“ den Aufruf des DGB, in Niedersachsen demokratische Parteien zu wählen. Ansonsten könnten die Rechtsradikalen zusammen mit einer konservativen Landesregierung eine neue „Machtergreifung“ vorbereiten und arbeitnehmerfeindliche Politik durchsetzen.293 Zudem müsse, da es in Westdeutschland keine ausreichenden Kräfte zur Unterstützung der Demokratie gebe und die fehlende demokratische Tradition das größte Hindernis im Kampf gegen den Rechtsradikalismus sei, der Integration der NS-Mitläufer eine umfassende Demokratisierung folgen.294 Besonders zentral waren diese Forderungen aber auch in der gewerkschaftlichen Publizistik nicht. Die gewerkschaftliche Fokussierung auf administrative Umgangsformen im Rahmen der „wehrhaften Demokratie“ schlug sich auch in der relativ geringen Behandlung der Ursachenfrage nieder, zumal die Publikationen den Rechtsradikalismus in den frühen fünfziger Jahren wohl vor allem als Folge der NS-Jahre betrachteten.295 Neben den beschriebenen Abgrenzungsdefiziten wurden allerdings vereinzelt wirtschaftliche und soziale Not als zentrale Problemfelder ausgemacht. Zu diesen gehöre speziell in Niedersachsen die schwierige Situation der 292 FR, Verbot, 24.10.1952, S. 2. 293 WdA, Wahl, 4.5.1951. 294 GMH 3 (1953), Verteidigung, S. 138; Metall, Faschismus, 15.5.1951, S. 1f.; Metall, Keime, 12.9.1952, S. 2. 295 Dies entsprach den allgemein verbreiteten Deutungen und wurde folglich kaum erwähnt. Für eine Ausnahme siehe GMH 3 (1952), Gefahr, S. 172.
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Vertriebenen, denn „wer heimat- und besitzlos ist, [schwebt] immer in Gefahr [...] falschen Parolen zu folgen“.296 Entsprechend erklärte die „Welt der Arbeit“: „Nur soziale Maßnahmen legen den braunen Sumpf trocken“.297 Monate später erklärten auch die „Gewerkschaftlichen Monatshefte“, dass die repressiven In strumente der „wehrhaften Demokratie“ im Umgang mit dem Rechtsradikalismus „keine so ausschlaggebende Rolle spielen dürfen wie eine überzeugende soziale und demokratische Politik.“298 Ohne diese Grundlage würden alle Verbote nichts nützen.299 Dennoch stand die Ursachenfrage genauso wenig im Mittelpunkt der Gewerkschaftspresse wie die soziale Frage. Wahrnehmbare Kampagnen oder der Versuch, diese Erkenntnis in den Vordergrund zu rücken, finden sich in den gewerkschaftlichen Veröffentlichungen in Zusammenhang mit dem Rechtsradikalismus nicht. Dies könnte daran liegen, dass man in Gewerkschaftskreisen verstärkt akzeptieren musste, dass man die eigenen Pläne zur staatlichen und wirtschaftlichen Neuordnung nach 1945 nicht durchsetzen konnte.300 Früh akzeptierte man die neuen Realitäten oder hoffte, diese bei den Bundestagswahlen 1953 an der Urne verändern zu können. Für den Moment zielten die Gewerkschaften eher darauf, dem in ihren Augen restaurativ-konservativen Rollback etwas entgegenzusetzen. Die Gewerkschaften „hielten verbal an ihren grundsätzlichen Forderungen nach gesellschaftlicher Neuordnung fest“, verzichteten aber zumindest in den Berichten zum Rechtsradikalismus auf eine konfrontative Debatte.301 Schließlich gerieten sie seit der Staatsgründung immer mehr in die Defensive302 und Fundamentalkritik wurde immer seltener geäußert: „An die Stelle sozialer Utopien sollte nüchtern die Forderung nach ständig steigendem Lebensstandard und die Beseitigung der Arbeitslosigkeit gesetzt werden“, schrieb Deppe später.303 Letztlich wurde die „DGB-Führung […] zwischen 1949 und 1952 zu einer Stütze der adenauerschen Außenpolitik“.304 In dieser Deutung wird aus der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik eine Maßnahme gegen den Rechtsradikalismus. Konsequenterweise wurde die Westbindung der Regierung Adenauer 296 WdA, Epigonen, 13.4.1951, S. 1f. Siehe auch WdA, Angriff, 11. 5.1951. 297 WdA, Angriff, 11.5.1951. Siehe auch WdA, Alarmsignale, 11.5.1951, S. 1. 298 GMH 3 (1953), Neonazismus, S. 136. Siehe auch GMH 3 (1953), Verteidigung, S. 137–141; ÖTV-Presse, Gefahr, Nov. 1952, S. 250. 299 Metall, Keime, 12.9.1952, S. 2. 300 Für Details siehe Deppe, Geschichte, S. 461; Schneider, S. 268. 301 Vgl. auch Andrei S. Markovits, The politics of the West German trade unions. Strategies of class and interest representation in growth and crisis, Cambridge 1986, S. 11; Schmidt, Ordnungsfaktor, S. 5, 27. 302 Vgl. Wolfrum, Demokratie, S. 30, 83–86. 303 Deppe, Geschichte, S. 520f. Siehe auch Horst-Udo Niedenhoff, Gegenmacht oder Gestaltungskraft? Die Entwicklung der DGB-Grundsatzprogramme, Köln 1997, S. 58. 304 Deppe, Geschichte, S. 481f.; Edgar Wolfrum beschreibt hingegen lediglich eine Neutralität gegenüber den meisten innen- und außenpolitischen Grundsatzfragen. Vgl. Wolfrum, Demokratie, S. 84.
100 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) unterstützt: „Von der Teilung allein wird der Nazismus nicht leben können“, argumentierte ein Bericht in den GMH.305 Als Mittel gegen den Rechtsradikalismus wurde zudem die schnelle bundesdeutsche Souveränität gefordert.306 Demgegenüber tauchte die Forderung nach umfassender Mitbestimmung im Betrieb in den Berichten zum Rechtsradikalismus nicht auf, obwohl dies als zentrale Konsequenz aus dem Erfolg der Nationalsozialisten galt.307 Auch die Übernahme des Antitotalitarismus, des herrschenden ideologischen Narratives der konservativ geprägten jungen Bundesrepublik, verdeutlicht die weitgehende Anpassungsbereitschaft der Gewerkschaften.308 Hier wirkte sich auch die interne Auseinandersetzung mit den kommunistischen Mitgliedern der Einheitsgewerkschaft aus, die in diesen Jahren akut geführt wurde.309 In der Hochphase des Kalten Krieges war auch der DGB in erster Linie antitotalitär und erst in zweiter Linie „antifaschistisch“. Dies war grundlegend, wollten die Gewerkschaften sich ihren Vorstellungen entsprechend als Sozialpartner in das neue Staatsgefüge integrieren.310 Ihrem Antikommunismus folgend waren die Gewerkschaften eher bereit, die restaurativen Kräfte zumindest in diesem Bereich zu unterstützen als die eigenen Neuordnungsprogramme konsequent zu verfol305 GMH 3 (1952), Gefahr, S. 171. 306 Ebd. Siehe auch GMH 2 (1953), Chronik, S. 111; GMH 3 (1953), Neonazismus, S. 131–134. 307 Vgl. Abendroth, S. 96f.; Deppe, Geschichte, S. 426f., 435; Niedenhoff, S. 94, 136; Irene Raehlmann, Der Interessenstreit zwischen dem Deutschen Gewerkschaftsbund und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände um die Ausweitung der qualifizierten Mitbestimmung. Eine ideologiekritische Untersuchung, Köln 1975, S. 229; Schönhoven, Geschichte, S. 53. 308 Vgl. zur Argumentation auch Julia Angster, Konsenskapitalismus und Sozialdemokratie. Die Westernisierung von SPD und DGB, München 2003, S. 357. 309 Weder die Einzelgewerkschaften noch der DBG waren homogene Akteure, sodass es auch immer darum ging, die eigenen Flügel zu kontrollieren. Laut Angster war die Struktur der Einheitsgewerkschaft schon seit den frühen fünfziger Jahren ohnehin nur noch ein fragiles Konstrukt. Vgl. ebd., S. 244. Siehe zu Spaltungstendenzen in der Einheitsgewerkschaft auch Abendroth, S. VIII (Vorwort von Frank Deppe); Markovits, S. 11; Wolfrum, Demokratie, S. 84f. 310 Der Wandel hin zu einem sozialpartnerschaftlichen Verständnis war 1952 intern noch umstritten, wurde aber dominanter. Bis 1953 konnten die Befürworter eines integrierenden Kurses marxistische Konzeptionen und Vertreter einer Fundamentalopposition mehrheitlich ausgrenzen. Zwar standen Teile der Gewerkschaftsbewegung der Bundesrepublik auch in den sechziger Jahren noch kritisch gegenüber, aber ein immer größerer Teil strebte nach Integration und Akzeptanz. Es formierte sich „eine ideologische Koalition von rechtssozialdemokratischem Integrationismus und katholischer Soziallehre“. Vgl. Deppe, Geschichte, S. 509–542, für das Zitat siehe S. 519. Siehe auch Markovits, S. 105; Niedenhoff, S. 58. Schneider, S. 321–326. Eberhard Schmidt geht davon aus, dass diese Entwicklung schon mit der Akzeptanz der „Marschallhilfen“ begann. Vgl. Schmidt, Ordnungsfaktor, S. 22–79. Siehe für den Prozess der Integration auch die bereits zitierte Veröffentlichung von Julia Angster.
2.4. Die Ursachenfrage und deren Bedeutung für die Auseinandersetzung
101
gen.311 Dadurch aber beschränkten sie ihre Kritikfähigkeit im Umgang mit dem Rechtsradikalismus. Der zunächst postulierte Zusammenhang von Kapitalismus und Rechtsradikalismus geriet immer stärker aus dem Blick.312 Den positiven Bezug der Gewerkschaften zum jungen Staat zeigt außerdem die Zustimmung zur Vergangenheitspolitik. Die weitgehende Integration sei wesentlich, um die Gesellschaft und die Demokratie zu stabilisieren.313 Auch denjenigen, die derzeit lediglich aufgrund der schwierigen Umstände aus Protest rechtsradikale Parteien wählten, müsse man mit Aufklärung und Hintergrundwissen entgegentreten.314 In einem Fall wurde sogar differenziert zwischen den rechtsradikalen Personen, die den Nationalsozialismus wieder an der Macht sehen wollen, und denjenigen, die zwar nationalsozialistische Überzeugungen aufwiesen, daraus aber keinen Staat mehr machen wollten und sich zur Demokratie bekannten.315 Diese Unterteilung war in diesen Jahren in der Bundesrepublik weitgehend akzeptiert. Auch die links-liberale FR positionierte sich in diesem Sinne.316 Selbst wenn dies negative Auswirkungen auf den Umgang mit dem Rechtsradikalismus habe, sei es wohl in den Augen der FR unter dem Aspekt, einen stabilen demokratischen Staat aufbauen zu wollen, unvermeidbar, Letztere in das politische System zu integrieren. Die FAZ trennte zudem nicht nur die unverbesserlichen Nationalsozialisten von den weitaus zahlreicheren „Mitläufern“ von damals, die nun politisch und mit sozialen Maßnahmen schnell integriert
311 Vgl. Angster, S. 227–229; Deppe, Geschichte, S. 472–481, hier S. 476. 312 Siehe zur Argumentation auch Niedenhoff, S. 62f. 313 Gefordert wurde, einen „Schlussstrich“ unter die allgemeine Diskriminierung aller früheren „Pgs“ zu ziehen. Zwar seien getarnte Rechtsradikale in Ministerien und Strafverfolgungsbehörden für „einen demokratischen Staat besonders schädlich“, aber nur die damals führenden Nazis seien die eigentliche Gefahr und sollten im Gegensatz zu den Mitläufern und Protestwählern aus den Verwaltungen entfernt werden. Besonders gegenüber Jugendlichen müsse man nachsichtig sein, wenn man diese nicht vollends verlieren möchte. Gleiches gelte aber für die Mitglieder der SS, die zu vielen Tausenden angeblich gegen ihren Willen eingezogen worden waren. Diese Unfreiwilligen „waren und sind keine Nazisten“, hieß es deutlich. Vgl. Die Quelle 1 (1952), Gewerkschafts-Selbsthilfe, S. 5f.. Für die singuläre Kritik an dieser Integrationsstrategie siehe GMH 3 (1952), Gefahr, S. 170. Siehe auch Die Quelle 2 (1953), Dehler, S. 49f.; WdA, Sensation, 29.2.1952, S. 1. In diesem Zusammenhang druckte Die Quelle einen Leserbrief mit der bezeichnenden Überschrift „Nicht alle Nazis waren Verbrecher“. Vgl. 1952, S. 104. 314 WdA, Wühlmäuse, 7.3.1952. 315 Diese wären zwar durchaus potenziell gefährlich, da sie sich nur vordergründig zu den demokratischen Parteien bekennen, aber eine derartige Differenzierung ist bezeichnend für die Bereitschaft der Gewerkschaftspresse, Skandalisierung zugunsten einer harmonischeren Deutung hintenan zu stellen. Vgl. GMH 3 (1952), Gefahr, S. 168. 316 FR, Verbot, 24.10.1952, S. 2.
102 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) werden müssten, sondern grenzte auch innerhalb der SRP einen radikalen von einem gemäßigten Flügel ab.317 Besonders deutlich wird eine Schutzfunktion allerdings in der Berichterstattung der „Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland“. Parallel zur Kritik am Umgang mit dem aktuellen Rechtsradikalismus sowie dem Nationalsozialismus finden sich trotz der „Partisanenaffäre“ und der Wahlerfolge der SRP an vielen Stellen Verweise auf eine sehr positive Entwicklung der Bundesrepublik hin zu Demokratie und Liberalität. So würden die meisten Zeitungen eine „von hohen Idealen getragene[…] humanitäre […] Arbeit“ verrichten.318 Zudem verwies sie auf die Proteste der Bevölkerung sowie der Sozialdemokratie gegen antisemitische Manifestationen.319 Deutlich zeigt sich bereits hier der Kampf zwischen „dem Guten“ und „dem Bösen“ um Versöhnung und Demokratie, über den die „Allgemeine“ laut Karl Marx intensiv berichten wollte.320 Nicht zufällig teilte sie die politischen Kräfte in Niedersachsen 1951 in destruktive und konstruktive Kräfte ein. So stehe „jenen humanitären Kreisen und den Äeßerungen [sic] ihres vernunft- und liebegetragenen Schöpfungswillens eine bis zu allem in den letzten Konsequenzen des Hasses und der Verblendung bereite, vielfach noch anonyme Front gegenüber“.321 Deutlich offenbarte die Berichterstattung den Zwiespalt der jüdischen Zeitung, die einerseits klar Stellung gegen die negativen Vorfälle in der Bundesrepublik beziehen wollte. Andererseits aber berichtete sie parallel über positive Entwicklungen, um so die rechtfertigende Basis für ihre Entscheidung zu liefern, trotz der nationalsozialistischen Verbrechen nach 1945 weiterhin in Deutschland zu leben. Dies stieß in diesen Jahren international auf extrem heftige Widerstände und war gegenüber nicht in Deutschland lebenden Juden kaum zu legitimieren. Vor allem deshalb wurde wohl der ohnehin schon recht harmlos formulierten US-amerikanischen Bewertung der SRP die kanadische Interpretation nachgestellt, die „in der Reaktion der Bundesregierung und der deutschen Presse auf die Wahlerfolge des Rechtsradikalismus in Niedersachsen und Schleswig-Holstein ein positives Zeichen für die demokratische Geisteshaltung in Westdeutschland“ erkannte.322 Zwei Wochen später zitierte die Zeitung dann den Hohen Kommissar der US-Regierung in der Bundesrepublik, John McCloy, dass man „den Fortschritt des neuen deutschen Staates nicht nach den sporadischen Ausbrüchen enttäuschter Nazis, deren Aeußerungen [sic] von der ausländischen 317 FAZ, Blutgruppe, 7.3.1952, S. 2. 318 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Stunde, 4.5.1951, S. 1. 319 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Antisemitismus besudelt Ehre Deutschlands, 29.2.1952, S. 1. 320 Laut Giordano habe Marx dies als publizistisches Ziel der Zeitung angegeben. Vgl. Giordano, S. 9. 321 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Stunde, 4.5.1951, S. 1. Vgl. auch Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Meinung, 18.5.1951, S. 1. 322 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Demokratische Bewährungsprobe, 1.6.1951, S. 5.
2.4. Die Ursachenfrage und deren Bedeutung für die Auseinandersetzung
103
Presse gewöhnlich übertrieben würden“, bewerten dürfe.323 Obwohl der Rechtsradikalismus mitunter stark verbreitet sei, stehe das deutsche Volk ihm „scharf ablehnend gegenüber“, so McCloy weiter. Wie die anderen Presseerzeugnisse nahm auch die „Allgemeine“ früh eine Schutzposition gegenüber der Bundesrepublik und der westdeutschen Gesellschaft ein. Sie verzichtete auf eine explizite Problematisierungs- und Skandalisierungspublizistik bezüglich der SRP und betonte die positive Entwicklung des Landes – ohne aufzuhören, die Kritik an rechtsradikalen und antisemitischen Vorkommnissen punktuell zu forcieren.324 Trotz ihres jüdischen Hintergrundes beteiligte sich die „Allgemeine“ insgesamt an der Gesundschreibung der Bundesrepublik. Sie fokussierte verstärkt auf die Demokratisierung der politischen Kultur, während sie den konkreten Rechtsradikalismus als weniger bedeutsam darstellte. Weitergehende Analysen fanden sich auch in der „Frankfurter Rundschau“ nicht. Die Ursachen des Rechtsradikalismus wurden in der FR höchstens im unverfänglichen Falle regionaler Besonderheiten Niedersachsens thematisiert325 und ansonsten als Spätfolgen der NS-Herrschaft gewertet. Auch hieran zeigt sich, dass die FR kein großes Interesse an der ausführlichen Diskussion hatte. Konsequenterweise spielten sozio-ökonomische Maßnahmen als mögliche Reaktionsformen in der Zeitung keine Rolle. Die FR publizierte vor allem plakative Forderungen nach dem Ende der vermeintlichen Toleranz gegenüber dem Rechtsradikalismus. Sie trat zwar nicht als Advokat für ein Verbot der SRP in Erscheinung, alternative Reaktionsoptionen thematisierte sie deswegen aber keineswegs prominenter. Hier zeigt sich, dass die Zeitung sich gegenüber dem Rechtsradikalismus keineswegs für Toleranz einsetzte, sondern ein Verbot der SRP grundsätzlich befürwortete – aus der beschriebenen Rücksicht auf die Mehrheitsoptionen für die Sozialdemokratie in Niedersachsen aber nicht lautstark forderte. Demgegenüber veröffentlichte die FAZ durchaus längere Hintergrundartikel, oftmals prominent platziert, und behandelte in diesen auch die Ursachenfrage.326 Dabei beschrieb sie ebenfalls einen Zusammenhang zwischen steigender wirtschaftlicher Prosperität und abnehmendem Mobilisierungspotenzial der Rechtsparteien.327 Mit Verweis auf den baden-württembergischen Ministerpräsidenten 323 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Tarnorganisationen, 7.11.1952, S. 8. 324 Für diese Deutung spricht nicht nur die geringe Artikulation von Bedrohungswahrnehmungen und die geringe Relevanz der Ursachenfrage, sondern auch, dass der Technische Dienst, der in anderen Publikationen vielfach als Zeichen kaum überwundener Probleme gewertet wurde, hier überhaupt nicht behandelt wurde. 325 Lediglich an wenigen Stellen wurden soziale Probleme vor allem in Bezug auf die Flüchtlingsfrage genannt, aber eben mit dem Hinweis auf die besondere Situation des Bundeslandes umgehend relativiert. 326 Vgl. FAZ, Druckfehler, 26.2.1952, S. 2; FAZ, Feinblech, 1.3.1952, S. 2; FAZ, Blick, 4.3.1952, S. 2; FAZ, Blutgruppe, 7.3.1952, S. 2. 327 FAZ, Feinblech, 1.3.1952, S. 2. Siehe zu Mobilisierungspotenzialen in der Bauernschaft auch FAZ, Druckfehler, 26.2.1952, S. 2.
104 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) Maier wurde die „grundsätzliche […] soziale […] Schwäche der Bundesrepublik“ sorgenvoll betrachtet.328 Die SRP sei „die Zuflucht vieler ‚131er‘“329, die sozialen Abstieg hinter sich und aktuell keine befriedigende Beschäftigung hätten. Daher erklärte die FAZ, ganz ähnlich wie die Gewerkschaften, könnten auch nur soziale Maßnahmen den Erfolg der Rechtsradikalen nachhaltig eindämmen, weswegen der „Ausbau der sozialen Befriedung“ eine Notwendigkeit bleibe.330 Bereits während der Wahl in Niedersachsen deuten die Zweifel an einem Vorgehen im Rahmen der „wehrhaften Demokratie“ darauf hin, dass die FAZ zu einer liberaler geprägten Auseinandersetzung tendierte. Wohl deshalb betonte die Zeitung die Grenzen der „wehrhaften Demokratie“, wie die vielfach fehlende Nachhaltigkeit der Maßnahmen, insgesamt deutlicher als andere Akteure. Konsequenterweise war sie, um der SRP das Wählerpotenzial abzugraben, der Idee einer modernen und zielstrebigen Sozialpolitik sowie der Schaffung staatlicher Arbeitsplätze nicht abgeneigt, aber diese Forderung blieb singulär. Entscheidender für die Stabilität des jungen Staates sei es ohnehin, schnell außenpolitische Erfolge aufzuweisen.331 Dahinter stand die Vorstellung, dass eine sich als handlungsfähig und souverän gerierende Bundesrepublik viel stärkere Anziehungskräfte und somit die Integrationsfähigkeit nach rechts hätte als ihre Weimarer Vorgängerin. Die Befriedung der Gesellschaft und der Kampf gegen den Rechtsradikalismus gingen in den Konzeptionen Hand in Hand und bedingten sich gegenseitig. War die FAZ im Umgang mit dem Rechtsradikalismus in diesen Jahren energisch, lag dem die Sorge um eben diese Befriedung zugrunde. Die Deutung der sozialen Ursachen als Mobilisierungsressource für Rechtsradikale diente aber auch als Argument gegen die Alliierten. Durch die Senkung der Besatzungskosten332 sollten finanzielle Mittel für soziale Belange freigesetzt werden.333 Ohnehin seien weitgehend die Alliierten für die aktuelle sozio-ökonomische Situation der Bundesrepublik beziehungsweise der direkten Nachkriegszeit und somit auch für den Anstieg des Rechtsradikalismus verantwortlich: „Der Anteil, den die unglückselige Entnazifizierung an dem Wachsen der Sozialistischen Reichspartei hat, kann kaum hoch 328 FAZ, Maier erwartet einen Rechtsruck, 9.10.1952, S. 4. 329 Als „131er“ wurden diejenigen Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes bezeichnet, die zunächst aufgrund ihrer Beschäftigung während der NS-Jahre 1945 ihre Anstellung verloren hatten, ab 1. April 1951 aber wieder eingestellt werden durften, sofern sie im Entnazifizierungsverfahren nicht als „Hauptschuldige“ oder „Belastete“ eingestuft worden waren. Vgl. Frei, S. 69–99. 330 FAZ, Schlappe, 8.5.1951, S. 1; FAZ, Flüchtlingsseele, 17.5.1951, S. 1; FAZ, Morrison, 19.5.1951, S. 1. 331 FAZ, Feinblech, 1.3.1952, S. 2. 332 Die Bundesrepublik hatte die Besatzungskosten selbst zu tragen. Diese waren enorm hoch und beliefen sich 1950 auf etwa 36 % des Bundeshaushaltes. Vgl. Wolfrum, Demokratie, S. 51. 333 FAZ, Schlappe, 8.5.1951, S. 1; FAZ, Die Besatzungskosten, 10.5.1951, S. 3; FAZ, Morrison, 19.5.1951, S. 1.
2.4. Die Ursachenfrage und deren Bedeutung für die Auseinandersetzung
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genug eingeschätzt werden“, argumentierte ein Artikel entsprechend.334 Deutlich zeigt sich hier die Schutzfunktion der FAZ gegenüber der Gesellschaft. Der Rechtsradikalismus wurde parallel als Problem wahrgenommen und als Argument genutzt: „Der Standpunkt der Bundesregierung, daß die Ausgaben für die äußere Sicherheit nutzlos bleiben müßten, wenn ihre Höhe eine Milderung der inneren Notstände unmöglich machen werde, ist durch die Erfahrungen in Niedersachsen erhärtet worden.“335
Die sozio-ökonomischen Ursachen für die rechtsradikalen Wahlerfolge nach 1945 rückten auch in der Wochenzeitung „Die Zeit“ in den Vordergrund.336 Zudem sei die SRP keineswegs nur auf den Nationalsozialismus zurückzuführen, schließlich „rekrutiert [sie] sich aus ganz neuen Elementen“.337 Ursächlich dafür sei die allgemeine Unzufriedenheit nicht nur mit der ökonomischen, sondern auch mit der politischen Situation. Das Ziel der Wählerinnen und Wähler von rechtsradikalen Parteien sei „nicht so sehr ein positives Programm als eine möglichst heftige Kritik an der Regierung, den Alliierten und der Zeit überhaupt.“338 Speziell innenpolitische Probleme wie der Lastenausgleich für Flüchtlinge, die niedrigen Renten oder die steigenden Preise würden zu wenig angegangen. Auch an anderer Stelle forderte „Die Zeit“, die Themen der rechten Gruppierungen zu akzeptieren und sich „ernsthaft mit ihnen zu beschäftigen“.339 Zudem sollte die Regierung „über die materiellen Möglichkeiten Rechenschaft ablegen und dann einen Dreijahresplan aufstellen“, da jede Misere leichter zu ertragen sei, wenn man einem klaren Ziel zustrebt.340 Spielten sozio-ökonomische Aspekte in der Ursachenfrage vielfach eine Rolle, gilt dies nicht für die „Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland“.341 Die Zeitung wertete alle Aspekte des Rechtsradikalismus vor allem als Nachwehen des Nationalsozialismus. Der Erfolg der SRP in Niedersachsen sei lediglich 334 FAZ, Druckfehler, 26.2.1952, S. 2. 335 FAZ, Besatzungskosten, 10.5.1951, S. 3. 336 Bereits im Rahmen der „Partisanenaffäre“ wurde auf die zentrale Rolle von Verpflegung für die Bereitschaft sich im TD zu engagieren hingewiesen. Vgl. Die Zeit, Partisan, 23.10.1952. 337 Die Zeit, Zerfall, 17.5.1951. 338 Ebd. 339 Die Zeit, Hitler, 3.5.1951. 340 Die Zeit, Zerfall, 17.5.1951. 341 Mögliche Ursachen, die sich aus der spezifischen Situation Westdeutschlands ergaben, wurden kaum thematisiert. Lediglich singulär findet sich die Deutung, dass nicht alle SRP-Wählerinnen und -wähler aktive oder getarnte Nationalsozialisten seien, „sondern zum größten Teil […] enttäuschte, ja verzweifelte Menschen“. Vgl. Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Fragen, 18.5.1951, S. 1. Siehe auch Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Meinung, 18.5.1951, S. 1.
106 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) das Produkt einer Gruppe von NS-Belasteten, die sich politisch betätigt hätten, um ihre verlorene Existenz zurück zu erstreiten.342 Darüber hinaus habe der Kalte Krieg zu einer Krisenstimmung geführt, in deren Folge sich die Menschen nicht nur dem Antibolschewismus, sondern auch altbekannten Ideen zugewandt und so den Rechtsradikalen die Agitation erleichtert hätten: „[Deren] Taktik [ist] die der primitivsten Propaganda, die sich ihres Erfolges umso gewisser weiß, je primitiver ihre Methoden sind, d. h je ausschließlicher sich diese ‚ausrichten‘ auf die sattsam bekannten Ressentiments einer durch historische Marschmusik, durch ‚nationale‘ Filme, durch ‚Tatsachenberichte‘ über die ehemaligen Führer des NS und geschickt gestellte Reportagen von Kriegsverbrechen ‚der anderen‘ vorbereiteten, zu einer Kritik unfähigen Masse.“343
Insgesamt betrachtet wurde die Frage nach den Ursachen von nicht-staatlicher Seite dennoch primär sozio-ökonomisch beantwortet. Dabei wurde gleichfalls deutlich, dass Forderungen in Bezug auf sozio-ökonomische Maßnahmen teilweise auch auf unabhängig vom Rechtsradikalismus fußenden speziellen Zielen der jeweiligen Akteure beruhten. Der Rechtsradikalismus diente insofern vielfach als Argument in Debatten, obwohl deren Themen eigentlich nicht direkt mit diesem in Verbindung standen. Besonders deutlich wird dies in der Vertriebenenpublizistik. Einerseits äußerte sich der wichtigste Vorläufer des „Deutschen Ostdienstes“, die „Vertriebenen-Korrespondenz“ (V-K), herausgeben vom Zentralverband vertriebener Deutscher (ZvD),344 zum Rechtsradikalismus und speziell zur SRP nur auf geringem Niveau. Während der Wahlen in Niedersachsen wurde dabei aber andererseits vor allem die Überparteilichkeit des Zentralverbandes betont, ohne sich hier explizit vom Rechtsradikalismus abzugrenzen.345 Nach dem Urnengang stritt die Zeitung allerdings nicht ab, dass viele Vertriebene in Niedersachsen rechtsradikal gewählt hatten. Vielmehr nutzte sie die Resultate von SRP und BHE als Argument, um Druck auf die Bundesregierung auszuüben, sich verstärkt um die Belange der Vertriebenen zu kümmern. Hier müsse ein soziales Pulverfass entschärft werden.346 Speziell zielte der ZvD mit dieser Darstellung darauf, den schon in der „Zeit“ geforderten gerechten Lastenausgleich im Sinne der Vertriebenen zu erreichen und die eigene Organisation als Partner der Bundespolitik zu etablieren:
342 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Meinung, 18.5.1951, S. 1. Vgl. auch den Pressespiegel vom 18.5.1951 (S. 3). 343 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Stunde, 4.5.1951, S. 1. 344 Anfang der fünfziger Jahre war der spätere Bund der Vertriebenen noch nicht gegründet. 345 Vgl. V-K 16 (1951), ZVD Niedersachsen überparteilich, 28.4.1951, S. 5; V-K 16 (1951), In gemeinsamer Verantwortung! Zu den Landtagswahlen, S. 12f. 346 V-K 17 (1951), 12.5., S. 1f.
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„Das Wahlresultat sollte [der Bundesregierung] sagen, dass es Zeit ist, allerhöchste Zeit, das Steuer herumzuwerfen, positive, praktische Vertriebenen-Politik zu betreiben und sich dabei auf die grosse überparteiliche Vertriebenen-Organisation des ZvD zu stützen.“347
Ansonsten ist ein Umgang mit dem Rechtsradikalismus neben der Nutzbarmachung für die eigenen Interessen in der untersuchten Vertriebenenpublizistik nicht zu erkennen. Dieser wurde primär als Argument und nicht als Problem dargestellt. Der Umgang war zu Beginn der fünfziger Jahre daher vor allem funktional. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Verbot der SRP zwar nicht von allen untersuchten Akteuren intensiv gefordert wurde, wohl aber waren alle mit dem Urteil zumindest einverstanden – und dass, obwohl sie parallel vielfach argumentierten, dass die Partei eigentlich keine Bedrohung für die junge Republik sei. Dies war insofern kein Widerspruch, als beide Debatten mehr oder weniger separat geführt werden konnten. Das Verbot der SRP war zunächst ein wichtiges Zeichen nach innen. Danach waren alle rechtsradikalen Parteien viel stärker um Abgrenzung zum rechten Rand und möglichst verfassungstreue Außendarstellung bemüht. Zudem war es ein wichtiges Symbol für die internationale Gemeinschaft, dass die Bundesrepublik nicht nur bereit ist, sich gegen den Rechtsradikalismus zu verteidigen, sondern dazu auch in der Lage ist. Insofern war das Verbot entscheidend für die Herausbildung der „wehrhaften Demokratie“ in der Bundesrepublik.348 Die Bedrohungspotenziale der Partei spielten dabei nur eine sekundäre Rolle, die Symbolwirkung und die Grenzmarkierung waren wesentlich entscheidender. Auffallend ist weiter, dass vielfach sozio-ökonomische Ursachen für die Erfolge der SRP und die Attraktivität des Rechtsradikalismus allgemein ausgemacht wurden. In der Frage nach dem Umgang spielten entsprechende Maßnahmen aber nur die Nebenrolle. Dass die „wehrhafte Demokratie“ grundsätzlich ein sinnvolles Konzept zur Absicherung der demokratischen Staatsform gegen ihre Feinde sei, davon waren die untersuchten nicht-staatlichen Akteure überzeugt. Angesichts der nach wie vor keineswegs gesicherten Demokratisierung und im Lichte der zahlreichen rechtsradikalen Versuche, Einfluss auf die junge Bundesrepublik auszuüben – sei es parteipolitisch durch die SRP oder durch potenzielle Gewaltpolitik wie im Fall des Technischen Dienstes – wurde eine restriktive Sicherheitspolitik nicht infrage gestellt und in vielen Fällen sogar unterstützt. Dass diese theoretisch freiheitsbeschränkend sei, wurde zwar durchaus wahrgenommen, dies führte aber nur in den Berichten der FAZ und der „Zeit“ zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit dem demokratischen Dilemma. Die Sicherheitsorientierung im Umgang mit 347 V-K 17 (1951), 12.5., S. 1f. Siehe auch V-K 18 (1951), 26.5., S. 1f. 348 So kommt dem Verbotsurteil nicht von ungefähr eine zentrale Rolle für die Entwicklung des Begriffs der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ zu.
108 2. Die SRP und die Partisanen des BDJ (1951/52) dem Rechtsradikalismus wurde sicherlich auch durch die heiße Phase des Kalten Krieges und die steten Ängste vor dem Kommunismus – unabhängig davon, ob diese durch eine sowjetische Aggression oder durch interne kommunistische Gruppen ausgelöst würden – gefördert. Da alle untersuchten Akteure antitotalitär eingestellt waren, sind diese beide Aspekte keineswegs zu trennen. Ein Handeln allein gegen den Rechtsradikalismus war in der Wahrnehmung der untersuchten Akteure weder möglich noch sinnvoll. Insgesamt ist zudem davon auszugehen, dass die Sorge um die Außenwirkung, mithin der Blick auf die Reaktionen im Ausland auf den Rechtsradikalismus und speziell die SRP, die Berichterstattung in allen Publikationen beeinflusste. Dies geschah zum einen durch die bereits erwähnte Relativierung der rechtsradikalen Potenziale der Bundesrepublik. Zum anderen aber führte dies dazu, die Bevölkerung möglichst als demokratisch und lernbereit darzustellen.
3.
Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60)
In diesem Fallbeispiel wird die Diskussion im Anschluss an die Schändung der Kölner Synagoge an Heiligabend 1959 sowie die zahlreichen Nachahmungstaten im Januar 1960 untersucht. Parallel entwickelten sich Verbotsdiskussionen bezogen auf die Deutsche Reichspartei sowie den Bund Nationaler Studenten, der zwar heutzutage in Monografien zum Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik vielfach, in den untersuchten Publikationen erstaunlicherweise aber höchstens am Rande erwähnt wurde.
3.1. Von Köln in die ganze Republik Die erste rechtsradikale Welle der Bundesrepublik war spätestens 1953 abgeflaut. Insgesamt war der organisierte Rechtsradikalismus nach dem Verbot der SRP und den klaren Niederlagen bei allen Wahlen seit 1952 stark geschwächt und es begann eine Phase der öffentlichen Randständigkeit, die immer wieder als „Zeit der Flaute“ bezeichnet wurde.1 Unterhalb der parteipolitischen Ebene waren die diskursive Ausgrenzung und die administrative Einschränkung hingegen weniger wirksam und der rechtsradikalen Szene blieben subkulturelle Freiheitsräume.2 Speziell die Jüngeren organisierten sich in privaten Gruppen oder nationalistischen Jugendverbänden. Organisationen wie die Wiking-Jugend oder die Heimattreue Jugend prägten eine neue Generation. Hier entstand erneut die Bereitschaft zur offensiven Aktion und zur Provokation. Trotz diskursiver Ausgrenzung und administrativer Beschränkungen kam es bereits seit Mitte der fünfziger Jahre wieder verstärkt zu rechtsradikal motivierten Zwischenfällen und antisemitischen Manifestationen.3 1 Vgl. zum Beispiel Botsch, S. 31. 2 Das politische Überleben des Rechtsradikalismus wurde in dieser Zeit primär durch vorpolitische Organisationen wie Kulturvereine oder Verlage gesichert. Zeitschriften wie Nation Europa entstanden und entwickelten sich zu zentralen Organen rechtsradikaler Ideologie. Diese wurden dann zu Keimzellen einer zaghaften Reorganisation. Vgl. Backes, S. 97; Botsch, S. 36; Dudek / Jaschke. S. 50f.; Röpke / Speit, S. 26. 3 Zahlreiche Vorfälle, die sich oft erst durch allzu nachlässige Reaktionen zum Skandal entwickelten, wurden ergänzt durch mindestens einen herausgehobenen Vorfall pro Jahr, der auch internationale Aufmerksamkeit fand. So wurde am 17. Januar 1959 die Synagoge in Düsseldorf mit Hakenkreuzen beschmiert. In diesem Monat wurde auch in Berlin die Aufführung eines kritischen Theaterstücks zur NS-Vergangenheit durch Jugendliche mit Stinkbomben und antisemitischen Ausrufen gestört. Vgl. Werner Bergmann, Antisemitismus als politisches Ereignis. Die antisemitische Schmier-
110 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) Die Vorfälle an Heiligabend 1959 kamen daher nicht aus heiterem Himmel. Die Kölner Synagoge wurde mit Hakenkreuzen und dem Slogan „Deutsche fordern Juden raus“ verunstaltet. Im Anschluss beschmierten die Täter in der Innenstadt ein Denkmal für Opfer des Nationalsozialismus. Die Kölner Vorfälle unterschieden sich insofern von den antisemitischen Taten, die sich seit den frühen fünfziger Jahren ereignet hatten, als sie eine Initialtat darstellten, die etliche zeitnahe Nachfolgefälle im ganzen Bundesgebiet und sogar im Ausland provozierten.4 Allein am 7. Januar wurden 58 Fälle gemeldet.5 Bis zum 28. Januar 1960 registrierte die Polizei 685 antisemitische Vorkommnisse in der Bundesrepublik und West-Berlin.6 Schmierereien wurden nicht nur aus London, Paris und New York gemeldet, sondern sogar aus Tel Aviv. Zunächst gingen vor allem die Tageszeitungen von einer Einzeltat aus.7 Schnell rückten hier jedoch die weiteren Vorfälle in den Fokus. Ab dem 2. Januar erkannten sowohl die FR als auch die FAZ explizit eine bundesweite Welle.8 Dabei riefen beide mehrfach zu früh deren Ende aus und offenbarten dadurch in erster Linie die eigenen diesbezüglichen Hoffnungen.9 Bereits wenige Tage später musste dies regelmäßig revidiert werden.10 welle im Winter 1959/1960, in: Ders. (Hg.), Antisemitismus in der politischen Kultur nach 1945, Opladen 1990, S. 253–275, hier S. 254; Ders., Antisemitismus in öffentlichen Konflikten. Kollektives Lernen in der politischen Kultur der Bundesrepublik 1949–1989, Frankfurt am Main 1997, S. 235; Ulrich Brochhagen, Nach Nürnberg. Vergangenheitsbewältigung und Westintegration in der Ära Adenauer, Hamburg 1994, S. 276f.; Reichel, Vergangenheitsbewältigung, S. 139–147. 4 Es handelt sich dabei nicht durchweg um Angriffe auf Synagogen, sondern hauptsächlich um Friedhofs- und Denkmalschändungen, persönliche Bedrohungen und Schmierereien. Vgl. Botsch, S. 43; Butterwegge, Rechtsextremismus, S. 103; Manfred Funke, Rechtsextremismus in Deutschland. Historische Entwicklung und aktuelle Bedeutung, Melle 1994, S. 18; Röpke / Speit, Blut, S. 30f. 5 Vgl. Peter Schönbach, Reaktionen auf die antisemitische Welle im Winter 1959/1960, Frankfurt am Main 1961, S. 7. 6 Vgl. Dudek / Jaschke, Entstehung, S. 266f. 7 Da die Wochenzeitungen sowie die abhängigen Verbandspublikationen nicht auf einer täglichen Basis berichteten, konnten ihre ersten Berichte bereits den umfangreicheren Charakter der Schmierwelle erkennen und beschrieben daher keine Einzeltat. 8 FR, Welle antisemitischer Aktionen, 2.1.1960, S. 1; FAZ, Sudelwelle, 2.1.1960, S. 1; FAZ, Die Ratten, 12.1.1960, S. 2; FAZ, Unglückselige Wirkungen, 14.1.1960, S. 1. 9 FAZ, Das Volksverhetzungs-Gesetz soll jetzt verabschiedet werden, 7.1.1960, S. 1; FR, USA befürchten Bündniskrise, 7.1.1960, S. 1 bzw. FR, Schlag gegen Neofaschisten, 8.1.1960, S. 2. 10 Vgl. FAZ, Wegen antisemitischer Aeußerungen verhaftet, 11.1.1960, S. 4; FAZ, Zwischenfall bei einer Berliner Studentendemonstration, 19.1.1960, S. 3; FR, Noch kein Ende der Schmierereien, 9.1.1960, S. 1; FR, Schröder kündigt harte Strafen für Antisemiten an, 9.1.1960, S. 1; FR, Noch kein Ende der Ausschreitungen, 11.1.1960, S. 1; FR, Kanzler. Unpolitische Flegeleien, 18.1.1960, S. 1.
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Warum erst die Kölner Tat derartige Nachahmungen provozierte, ist bis heute unklar.11 Die bald als „antisemitische Schmierwelle“ bezeichnete Häufung rassistischer Taten offenbarte allerdings allzu deutlich, dass der Antisemitismus nach wie vor existierte und unter bestimmten Umständen schnell aus der Latenz hervorkommen konnte. Sie zeigte, dass die Vergangenheit noch nicht vorbei war, und rückte sie durch die schiere Menge der Taten erneut in den Mittelpunkt der öffentlichen Konflikte. Das Echo im In- und Ausland war intensiv und ein allgemeiner und nicht parteigebundener Aufschrei der Empörung ging durch die Republik.12 Die Gewerkschaftspresse verurteilte die antisemitischen Vorfälle aufs Schärfs13 te. Mit Verweis auf die eigene gesellschaftspolitische Verantwortung und den selbst gewählten Schutzauftrag für die Demokratie betonten die „Gewerkschaftlichen Monatshefte“, dass man alles tun werde, um die Demokratie zu sichern und um der Weltöffentlichkeit zu zeigen, dass es aufrechte Demokraten in der Bundesrepublik gebe, die bereit seien, für ihre Überzeugungen einzutreten.14 Die FAZ ergänzte, nirgends sei die Empörung größer gewesen als in der Bundesrepublik: „Aus allen Kreisen der Bevölkerung, des politischen, kommunalen und kulturellen Lebens der Stadt Köln, des Landes Nordrhein-Westfalen und der Bundesrepublik war im Laufe des ersten Weihnachtstages eine Flut von Telegrammen und Anrufen […] eingetroffen, in denen der Empörung über die gemeine Tat Ausdruck gegeben wurde.“15 11 Dies kann sicherlich nicht in der Besonderheit der Aktion liegen, die sich kaum von der in Düsseldorf vom Januar 1959 unterschied. Ein Aspekt könnte die gestiegene Bereitschaft rechtsradikaler Grenzüberschreitungen sein, die um 1960 ihren ersten Höhepunkt erreicht. Zudem hatte der Bundeskanzler die Synagoge erst wenige Monate vorher mit hoher medialer Aufmerksamkeit öffentlich eingeweiht. Sie hatte somit einen gewissen Symbolcharakter. Möglicherweise hat auch das in einem Teil der bundesdeutschen Öffentlichkeit in den fünfziger Jahren gestiegene Bewusstsein für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem zeitgenössischen Rechtsradikalismus die Resonanz verstärkt. Vgl. Bergmann, Antisemitismus 1990, S. 257; Reichel, Vergangenheitsbewältigung, S. 147; Stöss, Rechtsextremismus 2000, S. 151. 12 Vgl. Brochhagen, S. 298–305. Für weitere Details siehe Conze, Suche, S. 252; Reichel, Vergangenheitsbewältigung, S. 128, 147f.; Schönbach, Reaktionen, S. 7; Edgar Wolfrum, Geschichte als Waffe. Vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinigung, Göttingen 2002, S. 110f. 13 Die Quelle 1 (1960), Endlich handeln gegen Rechtsradikale, S. 1f.; GMH 2 (1960), DGB fordert Maßnahmen gegen rechtsradikale Gruppen, S. 108; Metall, DGB fordert Maßnahmen, 13.1.1960, S. 2; Metall, Sieht so die Jugend aus?, 27.1.1960, S. 1; WdA, Auf der Anklagebank. Die Tradition, 15.1.1960. 14 GMH 8 (1960), Die Gewerkschaften müssen die Demokratie schützen, S. 492f. 15 FAZ, Die Schändung der neuen Kölner Synagoge, 28.12.1959, S. 1. So u.a. auch FAZ, Stille Tage in Bonn und ein Schnupfen, 28.12.1959, S. 4; FAZ, Das Kabinett befaßt sich mit den antisemitischen Uebergriffen, 4.1.1960, S. 1; FAZ, Adenauer verurteilt die antisemitischen Schmierereien, 6.1.1960, S. 4; FAZ, Der Zentralrat will keine Sondergesetze, 12.1.1960, S. 4; FAZ, Der Bundestag verurteilt den Antisemitismus, 13.1.1960,
112 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) Auch der Bund der Vertriebenen gab sich entsetzt über die „abscheuliche Hetze“.16 Er distanzierte sich vom Antisemitismus und Rechtsradikalismus und positionierte sich als eindeutiger Befürworter der Bundesrepublik und ihrer demokratischen Staatsform. Während viele Medien unmittelbar ihre Empörung beschrieben, veröffentlichte „Die Zeit“ hingegen zunächst lediglich einen langen Bericht über die Entstehung der „Protokolle der Weisen von Zion“, welche als die „furchtbarste Fälschung der Geschichte“ beschrieben und auch für die Kölner Tat mitverantwortlich gemacht wurden.17 Dies ist zwar durchaus als Beitrag gegen die antisemitischen Vorfälle zu verstehen, da auf die lange Geschichte des Antisemitismus als politische Ideologie eingegangen wird, aber dennoch wirkt der Bericht als erstes Statement zu der Kölner Tat deplatziert. Erst eine Woche später, mit der Ausgabe vom 8. Januar 1960, beginnt auch in der „Zeit“ die wirkliche Auseinandersetzung mit der Thematik. In Politik und Gesellschaft war man sich in der Ablehnung des Antisemitismus einig wie nie zuvor. Doch zunächst reagierten insbesondere konservative Akteure mit einem antikommunistischen Reflex. Vor allem die FAZ behandelte die Diskussion bezüglich einer kommunistischen Urheberschaft ausführlich und zunächst positiv.18 Man könne selten derart deutlich wie jetzt sehen, argumentierte ein Bericht, „wie sich die äußerste Rechte, die Nationalisten, und die extreme Linke, die Kommunisten, in die Hände arbeiten“.19 Zudem betonte die Zeitung, dass es immer wieder Versuche der DDR gegeben habe „mit der DRP ins Geschäft zu kommen“.20 Die Rechtsradikalen würden entsprechend fast alles kritisieren, nur nicht die sowjetische Deutschlandpolitik.21 In einem eigenen Bericht veröffentlichte die FAZ neben Meldungen über „Zonen-Spitzel“ in der rechtsradikalen Szene22 auch die Erklärung der Bundesregierung, dass die „Schmierwelle“ durch S. 1; FAZ, Gemeinsame Abwehr, 13.1.1960, S. 1; FAZ, Weitere Hakenkreuz-Schmierer verhaftet, 13.1.1960, S. 3; FAZ, Gebt ihnen eine Tracht Prügel, 18.1.1960, S. 1; FAZ, Aussprache des Kanzlers mit Nahum Goldmann, 19.1.1960, S. 1; FAZ, Der Bundestag verurteilt den Antisemitismus, 21.1.1960, S. 1; FAZ, Kiesinger bedauert Zwischenfälle, 21.1.1960, S. 4. 16 DOD, Abscheuliche Hetze, 11.1.1960, S. 8f. Siehe auch DOD, Deutscher Plan nötig, 11.1.1960, S. 9; DOD, Kein Boden, 18.1.1960, S. 1f. 17 Die Zeit, Die furchtbarste Fälschung der Geschichte, 1.1.1960. 18 Dass einer der beiden Kölner Täter wiederholt im „sowjetischen Besatzungsgebiet“ gewesen und mit SED-Parteiabzeichen gesehen worden sei oder beide zumindest von „östlichen Drahtziehern“ angestiftet wären, findet sich mehrfach. Vgl. FAZ, Schändung, 28.12.1959, S. 1; FAZ, Die politisch Verfolgten danken der Kölner Polizei, 30.12.1959, S. 3; FAZ, Die Deutsche Reichspartei bestreitet jede Verantwortung, 31.12.1959, S. 1; FAZ, Erbin rechtsradikaler Zirkel und Sekten, 6.1.1960, S. 2. 19 FAZ, Moralische Unterstützung, 6.1.1960, S. 1. 20 FAZ, Erbin, 6.1.1960, S. 2. 21 FAZ, Doch Landesparteitag der Reichspartei, 11.1.1960, S. 4. 22 FAZ, Als Zonen-Spitzel bei den Rechtsradikalen, 18.1.1960, S. 4; FAZ, Kirkpatrick befürchtet keinen Rückfall in Deutschland, 20.1.1960, S. 4.
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eine „ideologische kommunistische Förderung“ angefacht wurde – wenngleich die äußerst dünne Beweisführung nur auf zwei Einzelfällen beruhte.23 Stets aufs Neue rekurrierte die FAZ auf die sogenannte „Kommunistenthese“, aber immer wieder musste sie sich korrigieren und sprach sich am Ende doch gegen diese aus.24 Dennoch blieb der Ost-West-Konflikt zentral, obwohl sie schließlich nicht mehr von einer Steuerung durch kommunistische Akteure ausging: „Wer Nutzen von einer Untat hat, braucht durchaus nicht deren Anstifter zu sein“ und totalitäre „Querverbindung müßte nicht durchaus Steuerung bedeuten“, sondern könnte in der im Kern gleichen Thematik des rechten Antisemitismus und des linken Antizionismus bestehen.25 Auch der „Deutsche Ostdienst“ setzte direkt auf diese Karte. Ein rechtsradikaler Hintergrund spielte in dieser Publikation keine Rolle. Zu sehr fokussierte der BdV in der Urheberfrage auf „den Osten“, der nicht nur aufgrund der kommunistischen Ideologie seit der Vertreibung der Deutschen eines der liebsten Feindbilder war. Dass es sich bei den antisemitischen Taten um ein Produkt der „Ostblockpropaganda“ handele, würde schon das Faktum aufzeigen, „daß überall in Deutschland nur ausgerechnet nicht in der Sowjetzone derartige Kundgebungen zu verzeichnen sind“, erläuterte ein Bericht.26 Spätere Vorfälle in der DDR wurden konsequent als Alibis zur Verschleierung der Urheberschaft gedeutet. Im Gegensatz zur FAZ rückte der BdV von dieser „Kommunismus-These“ im Untersuchungszeitraum nicht wieder ab. In den anderen Publikationen wurde ein möglicher kommunistischer Hintergrund hingegen frühzeitig abgelehnt oder zumindest angezweifelt. Lediglich die „Metall“ erklärte, in der Bundesrepublik würden die „Feinde der Demokratie von rechts und links Hand in Hand arbeiten“.27 Ein Beitrag in den GMH hingegen 23 In einem dieser Fälle wurden Mitte Januar zwei angebliche Kommunisten beim Beschmieren von Wänden mit rechtsradikalen und antisemitischen Parolen festgenommen, was der FAZ einen kurzen Bericht wert war. Wenig später musste sie eingestehen, dass die Richter einen Auftrag ausländischer Stellen für nicht beweisbar hielten und lediglich feststellten, dass die Täter früher Kontakte zu kommunistischen Organisationen gehabt hätten. Vgl. FAZ, Kommunistische Schmierer verhaftet, 20.1.1960, S. 4; FAZ, Harte Strafen für antisemitische Aeußerungen, 22.1.1960, S. 4. Vgl. auch FAZ, Das Kabinett bestätigt kommunistische Beteiligung, 21.1.1960, S. 4. 24 FAZ, Berlin wehrt sich gegen antisemitische Uebergriffe, 6.1.1960, S. 1,4; FAZ, Die Infektion, 7.1.1960, S. 1; FAZ, Goldmann wünscht Vorsorge gegen den Antisemitismus, 22.1.1960, S. 1. Debattenbeiträgen des Verteidigungsministers Franz Josef Strauß, der diese Interpretation weiterhin bewusst forcierte, stand die FAZ spätestens in der dritten Januarwoche ablehnend gegenüber und gab kritischen Stimmen viel Raum. Vgl. FAZ, Schröder und Strauß über die Hintergründe uneinig, 20.1.1960, S. 4. 25 Obwohl der Verfasser diesen Gedanken selbst sofort als „unredlich“ bezeichnete, wurde er auf der Titelseite veröffentlicht. Vgl. FAZ, Infektion, 7.1.1960, S. 1. 26 DOD, Hetze, 11.1.1960, S. 8f.. Siehe auch DOD, Boden, 18.1.1960. 27 Metall, Nazistische Schmutzwelle über Deutschland, 13.1.1960, S. 5.
114 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) lehnte derartige Deutungen als bewusstes Ablenkungsmanöver ab.28 Die Berichterstattung der „Frankfurter Rundschau“ zeigte zwar zunächst noch Unsicherheiten in der Frage, wie die These einer kommunistisch gelenkten Aktion zu bewerten sei,29 im Verlauf des Untersuchungszeitraumes wurde deren Ablehnung dann aber immer deutlicher. Darauf bezogene Äußerungen kommentierte die Zeitung später teilweise nur noch ironisch.30 Einzig die „Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland“ lehnte die Kommunismus-These direkt ab31 und betonte sofort, dass primär alte Nationalsozialisten auf privatem Wege zu großen Einfluss auf die Täter gehabt hätten.32 Nachdem auch die Bundesregierung zunächst mit einem antikommunistischen Reflex reagierte, erklärte Bundesinnenminister Gerhard Schröder (CDU) bald, dass eine kommunistisch gesteuerte Aktion nicht nachgewiesen werden könne.33 Die These kommunistischer Lenkung war vor allem ein Ablenkungsmanöver und spätestens mit der Veröffentlichung eines Weißbuches zum Thema34 rückte die Bundesregierung offiziell von ihr ab. Überhaupt war diese These sogar im Bundeskabinett zu keinem Zeitpunkt unumstritten und heute geht man davon aus, dass die krasse Häufung antisemitischer Taten in erster Linie ein Produkt der westdeutschen Gesellschaft gewesen ist.35 28 GMH 2 (1960), Zur Aussen- und Innenpolitik der Bundesrepublik Anfang 1960, S. 104–108, hier S. 106. 29 Vgl. FR, Bonn. Eine gelenkte Aktion, 4.1.1960, S. 1. Gerüchte über Ostkontakte bzw. Kommunistennähe der Kölner Täter wurden jedenfalls gedruckt und zunächst kaum kritisch hinterfragt. Vgl. FR, Doch Verbindungen zur SED?, 30.12.1959, S. 1; FR, Extreme Rechte. Wir sind Opfer der radikalen Linken, 31.12.1959, S. 1; FR, Schröder, 9.1.1960, S. 1; FR, Der Bundestag will handeln, 13.1.1960, S. 1; FR, Washington. Schärfer vorgehen, 16.1.1960, S. 3; FR, Die NS-Parolen überwiegen, 22.1.1960, S. 1. 30 Vgl. FR, Aufstand der Dummköpfe und Psychopathen?, 9.1.1960, S. 3; FR, Vergiftete Welt, 9.1.1960, S. 3. 31 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Wer Wind sät, wird Sturm ernten, 1.1.1960, S. 5; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Empörung über die Ausschreitungen, 8.1.1960, S. 3f.; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Keine unmittelbare Gefahr, 29.1.1960, S. 2. 32 Zwischendurch gerieten zwar auch die Vertriebenen und ihre Organisationen in den Verdacht der Anstiftung, aber dies war wohl eher ein Zeichen der allgemeinen politischen Einschätzung dieser Gruppen als auf die konkrete Situation bezogen. Vgl. Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Anschlag auf die deutsche Demokratie, 1.1.1960, S. 1. 33 Vgl. Taler, Skandal, S. 18f.; Reichel, Vergangenheitsbewältigung, S. 151. 34 Vgl. Die Bundesregierung (Hg.), Die antisemitischen und nazistischen Vorfälle in der Zeit vom 25. Dezember 1959 bis zum 28. Januar 1960. Weißbuch und Erklärung der Bundesregierung, Bonn 1960. 35 Dennoch konnte sich diese These vor allem deshalb so lange halten, weil der nicht zuständige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß sie wider besseres Wissen stetig weiter propagierte. Bis heute halten sich derartige Deutungen. Der Extremismusforscher Steffen Kailitz behauptete 2004, dass ein Teil der Taten durch MfS-Stellen
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Unabhängig von dieser Debatte wurde bereits direkt nach den Kölner Taten über die Tragweite des Antisemitismus und die Rolle des Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik gestritten. Während sich fast alle Akteure deutlich gegen jede Art von antisemitischem Denken aussprachen, wurden die Fragen nach dessen Verbreitung und Bedrohungspotenzialen für die demokratische Gesellschaft einerseits und für die Außenwirkung der Bundesrepublik andererseits aber keineswegs konsensual behandelt – und waren eng verbunden mit einer Fokussierung auf vermeintliche kommunistische Anstiftung. So thematisierte die FAZ die „Schmierwelle“ zwar ausführlich, die Gefährdungspotenziale des Rechtsradikalismus stufte die Zeitung dabei aber als gering ein. Die Rechtsradikalen seien nur eine winzige Minderheit im Lande. Bereits der erste Kommentar der FAZ zur „Untat von Köln“ war aufschlussreich für die weitere Linie.36 Weder äußerte die Zeitung hier in energischen Worten ihr Entsetzen noch forderte sie drastische Konsequenzen. Stattdessen erklärte sie sofort, dass sie nicht glaube, dass es „in Deutschland Kreise und Gruppen von nennenswerter Stärke oder irgendwelchem Einfluß gibt, die heute noch dem Antisemitismus anhingen.“ Einige Zeilen später erklärte sie, dass von diesen „üblen Taten keine Schlüsse auf die deutsche Mentalität […] gezogen werden können“. Die Annahme einer koordinierten Aktion rechtsradikaler Gruppen im Untergrund lehnte die FAZ von Anfang an ab.37 Ein paar Schmierfinken und Einzelaktionen bedeuteten schließlich keine rechtsradikale Gefahr: „Der Verbrauch an weißer Farbe ist kein Gradmesser des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik.“38 Mehrfach zitierte Aussagen des Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, Nahum Goldmann, dass die antisemitischen Vorgänge keine „ernsthafte […] Gefahr für die Juden darstellen“, sollten diese Deutung stützen und legitimieren.39 Dennoch blieb die Berichterstattung der Zeitung in dieser Frage ambivalent, wenngleich sie stets darauf zielte, die Bedeutung des Antisemitismus in der Bundesrepublik möglichst zu relativieren. Die FAZ begann früh mit Reparaturarbeiten an der Außenwirkung, ohne weiteinszeniert worden sei, um die Bundesrepublik zu diffamieren. Vgl. Kailitz, S. 94. Dies kann an dieser Stelle nicht nachgeprüft werden, stellt in dieser Art und Weise allerdings deutlich klar, dass die Gesamtheit aller antisemitischen Vorfälle kein DDR-Produkt war. Vgl. Bergmann, Antisemitismus 1990, S. 266f.; Ders., Antisemitismus 1997, S. 246; Reichel, Vergangenheitsbewältigung, S. 151; Taler, Skandal, S. 18f. Gideon Botsch geht davon aus, dass sich lediglich Trittbrettfahrer mit DDR-Bezug an der weiteren Entwicklung beteiligten. Brochhagen ist der Kommunismus-These hingegen zugeneigter. Vgl. Botsch, S. 43; Brochhagen, S. 280. 36 FAZ, Die Untat in Köln, 28.12.1959, S. 1. 37 FAZ, Der Bundestag will nicht über den Antisemitismus debattieren, 5.1.1960, S. 1; FAZ, In Hessen keine gezielte Aktion, 8.1.1960, S. 14; FAZ, Bonn bestätigt die Haltlosigkeit der Boykottgerüchte, 15.1.1960, S. 4; FAZ, Kabinett, 4.1.1960, S. 1. 38 FAZ, Sudelwelle, 2.1.1960, S. 1. 39 FAZ, Goldmann sieht keine ernsthafte Gefahr, 8.1.1960, S. 4. Siehe auch FAZ, Goldmann, 22.1.1960, S. 1; FAZ, Goldmann kritisiert die Jugenderziehung, 25.1.1960, S. 3.
116 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) re antisemitische Ereignisse zu leugnen.40 Als ein kommunistischer Hintergrund immer schwerer zu vermitteln wurde, und die Rolle des Rechtsradikalismus nicht mehr ignoriert werden konnte, insistierte die Zeitung vor allem auf die Jugend der Täter. Da diese zu jung seien, um selbst noch vom Nationalsozialismus beeinflusst gewesen zu sein, müsse man allerdings nach Möglichkeiten der Indoktrination fragen.41 Zitiert wurde Berlins Innensenator Lipschitz, der explizit auf die Notwendigkeit verwies, die Unbelehrbaren der Vergangenheit ausfindig zu machen, welche die Jugendlichen verführt hätten.42 Insofern erkannte die FAZ an, dass es in Deutschland weiterhin Antisemitismus gäbe und „daß solche Affekte […] in der Unterwelt der Kollektivseele ein zähes Leben führen“.43 Dennoch müsse die Öffentlichkeit in der Bundesrepublik, „aber auch überall draußen, […] die rechten Proportionen im Auge“ behalten.44 Es sei zwar offensichtlich, dass es sich im Fall der Kölner Täter nicht um unpolitische Jugendliche handelte,45 aber es gebe in Deutschland höchstens einzelne Unbelehrbare und keinen weit verbreiteten, organisierten Antisemitismus.46 Letztlich zielte die FAZ vor allem darauf, die politischen Hintergründe und das rechtsradikale Potenzial zu relativieren. Viele Nachfolgetaten, so das hier gewünschte Narrativ, seien kein Produkt antisemitischer Überzeugung, sondern eine provokante Reaktion auf die prompte und energische Reaktion von Öffentlichkeit und Regierung.47 Die Gesellschaft, so der Tenor, habe sich wenig vorzuwerfen. Ab der zweiten Januarwoche wurden die 40 Weitere Vorfälle sowie diesbezügliche Gerichtsverfahren wurden immer wieder kurz dokumentiert. Vgl. z. B. FAZ, Verfolgten, 30.12.1959, S. 3; FAZ, Nach der Syna gogenschändung, 31.12.1959, S. 5; FAZ, Schutz für jüdische Kulturstätten, 2.1.1960, S. 1; FAZ, Wieder mehrere antisemitische Uebergriffe, 2.1.1960, S. 3; FAZ, Kabinett, 4.1.1960, S. 1; FAZ, Weiterer antisemitischer Uebergriff in Berlin, 5.1.1960, S. 3; FAZ, Aeußerungen, 11.1.1960, S. 4; FAZ, Schmierereien mit dem gleichen Stift, 11.1.1960, S. 8; FAZ, Die Spuren schrecken, wehret den Anfängen, 12.1.1960, S. 11; FAZ, Kein Anlaß zu einer Panikstimmung, 13.1.1960, S. 11; FAZ, Haltlosigkeit, 15.1.1960, S. 4; FAZ, Brandstiftung an der Synagoge, 20.1.1960, S. 1; FAZ, Wieder Schmierereien in Allersberg, 25.1.1960, S. 3. 41 Bereits im ersten Kommentar nach den Kölner Vorfällen forderte die Zeitung daher eine intensive Untersuchung über die Frage, ob es „Hintermänner und moralische Urheber“ gegeben habe. Vgl. FAZ, Untat, 28.12.1959, S. 1. Siehe auch FAZ, Uebergriff, 5.1.1960, S. 3; FAZ, Erbin, 6.1.1960, S. 2; FAZ, Goldmann, 8.1.1960, S. 4. Dies ist auch ein erster Schwerpunkt der Presseschau sowohl am 30. als auch am 31. Dezember 1959. 42 FAZ, Berlin, 6.1.1960, S. 1,4. 43 FAZ, Infektion, 7.1.1960, S. 1. 44 FAZ, Sudelwelle, 2.1.1960, S. 1. 45 Diese hätten beim Verlassen des Gerichtsgebäudes nach dem Haftprüfungstermin den „Deutschen Gruß“ entboten. Vgl. FAZ, Schändung, 28.12.1959, S. 1. 46 Ebd.; FAZ, Untat, 28.12.1959, S. 1; FAZ, Unterstützung, 6.1.1960, S. 1; FAZ, Infektion, 7.1.1960, S. 1; FAZ, Kirkpatrick, 20.1.1960, S. 4; FAZ, Goldmann, 22.1.1960, S. 1. 47 FAZ, Sudelwelle, 2.1.1960, S. 1. Ermittlungen, die auf individuelle Hintergründe der Täter deuteten, wurden in diesem Sinne angeführt. Vgl. FAZ, Uebergriffe, 2.1.1960, S. 3.
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Vorfälle endgültig entpolitisiert und in die Sphäre der Streiche verschoben.48 Von den Tätern wurde als „unreife Burschen“ gesprochen, die weder neofaschistisch noch antisemitisch seien und lediglich aus angeblich jugendlichem Unverstand oder Übermut gehandelt hätten.49 Daher sollte man sie nicht wichtiger nehmen, als sie sind: „Eine Therapie gelassener Kälte und zugreifender Härte im Einzelfall ist vonnöten.“50 Die FAZ wählte letztlich den Deutungsrahmen, der für die Außenwirkung und den Normalisierungsprozess am ungefährlichsten war: „Die Hakenkreuze und antisemitischen Parolen gleichen […] toten Ratten, die von einer Infektion künden. Man weiß, dass tote Ratten ein Warnsignal sind, nicht mehr und nicht weniger. Ohne Panik muss man die notwendigen Vorkehrungen treffen.“51
Doch die FAZ musste letztlich erkennen, dass diese antisemitische Welle keineswegs einfach vorbeigehen würde und veröffentliche dann doch auch einzelne verstärkte Mahnungen. Als Reaktion auf einen vereitelten Anschlag auf eine Amberger Synagoge warnte sie: „Aber am Ende des Spiels mit dem Feuer, zu dem auch schon das Hantieren mit Farbtopf und Pinsel zu rechnen ist, können, sofern man nicht auf der Hut ist, Brände stehen, die mehr verschlingen als eine, mehr als alle Synagogen.“52 Doch sogar in diesem singulären Fall artikulierter Bedrohungspotenziale schrieb die FAZ gegen eine Dramatisierung der Situation an. Dies deutet darauf hin, dass ihre Berichterstattung zumindest bis zu einem gewissen Grad die Situation bewusst zu verharmlosen suchte. Sie tat alles, um den Eindruck einer stabilen Gesellschaft mit deutlicher demokratischer Entwicklung nicht zu stören. Auch der Bund der Vertriebenen erklärte, dass die Tatsache der plötzlichen Eruption antisemitischer Vorfälle beweise, dass es in Deutschland keinen Antisemitismus im Sinne einer politischen Kraft gäbe, denn dieser würde sich ansonsten „fortgesetzt manifestieren.“53 Ohnehin spielte ein rechtsradikaler Hintergrund im
48 Viele Vorfälle, erklärte die FAZ am 7. Januar 1960, seien dilettantisch ausgeführte Kinder- beziehungsweise Dummenjungenstreiche. Vgl. FAZ, Volksverhetzungs-Gesetz, 7.1.1960, S. 1. 49 FAZ, Hessen, 8.1.1960, S. 14; FAZ, Grober Unfug aus Dummheit, 14.1.1960, S. 9; FAZ, Die Erklärung Adenauers zum Antisemitismus, 18.1.1960, S. 4; FAZ, Aussprache, 19.1.1960, S. 1; FAZ, Kiesinger, 21.1.1960, S. 4; FAZ, Strafen, 22.1.1960, S. 4. 50 FAZ, Infektion, 7.1.1960, S. 1. 51 FAZ, Ratten, 12.1.1960, S. 2. Siehe auch FAZ, Hessen, 8.1.1960, S. 14; FAZ, Unfug, 14.1.1960, S. 9; FAZ, Haltlosigkeit, 15.1.1960, S. 4; FAZ, Die Sozialdemokraten gegen einen Vergleich mit 1933, 23.1.1960, S. 3. Aufrufe, eine Bagatellisierung zu unterlassen, finden sich nur in zitierten Aussagen. Vgl. neben den hier bereits angegebenen Berichten FAZ, Brandt kündigt schärfstes Vorgehen an, 8.1.1960, S. 4; FAZ, Brandt mahnt zum Zusammenhalt, 18.1.1960, S. 4. 52 FAZ, Feuerschein, 20.1.1960, S. 1. 53 DOD, Hetze, 11.1.1960, S. 8f.
118 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) „Deutschen Ostdienst“ keine Rolle.54 Eine größere Gefahr für die Sicherheit von Staat und Gesellschaft beschrieb die Zeitung nicht. Derart wird deutlich, dass konservative nicht-staatliche Akteure dazu beitrugen, die Situation zu verharmlosen. Interessant ist allerdings, dass ganz ähnliche Ziele offenbar auch in den Veröffentlichungen der jüdischen und eher linken Publikationen ausschlaggebend für den Tenor der Berichterstattung waren. So artikulierte die „Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland“ ebenfalls kaum besondere Bedrohungswahrnehmungen. In der ersten Ausgabe nach den Anschlägen auf die Kölner Synagoge finden sich zwar einige Artikel, die den wahrgenommenen Schrecken erkennen lassen, aber insgesamt blieb die Berichterstattung durchgängig sachlich. Entsprechend titelte der erste Artikel nach den Kölner Vorfällen reißerisch: „Anschlag auf die deutsche Demokratie“ und im Untertitel „Verbrechen in nationalsozialistischem Geist“, offenbarte aber den Wunsch, die Vorfälle nicht allzu wichtig zu nehmen: „Dieses Mal waren es Jugendliche, die zur Ausführung dieses das mit vieler Mühe wiedererarbeitet Ansehen der jungen deutschen Demokratie schändenden Verbrechen veranlaßt worden sind [Fehler im Original].“55 Dass diese antisemitischen Manifestationen eine innenpolitische Gefahr sein könnten, verneinte die „Allgemeine“ von Anfang an. Da die Zeitung kein großes Interesse an einer Skandalisierung der Vorfälle hatte, postulierte sie, wie auch FAZ und FR, schon Mitte Januar frühzeitig ein Ende der „Schmierwelle“.56 Auch die Sommersonnenfeier des BNS in West-Berlin wurde kaum thematisiert und nicht zur Dramatisierung der Situation genutzt.57 Der Generalsekretär des Zentralrates der Juden, Hendrik G. van Dam, äußerte sich ebenfalls in einem längeren Bericht in der „Zeit“. Auch hier wurden die Täter eher als unpolitische „Spinner“ denn als Rechtsradikale dargestellt. Ihnen wurde direkt vorgeworfen „doch sehr ungeschickt vorgegangen“ zu sein.58 Erneut schrieb van Dam gegen die Deutung einer koordinierten rechtsradikalen Aktion an, rechtfertigte sich aber direkt dafür, dass er die Vorfälle kleinredet: „Gewiß werden unangenehme Dinge nicht dadurch aus der Welt geschafft, daß man sie verschwieg; Probleme werden nicht dadurch gelöst, daß man ihre Existenz leugnet. Aber es kommt vor, daß Tatsachen ihrer Realität entkleidet werden: sie geben ein schiefes Bild, wenn sie verzerrt werden. Der Sinn für Proportionen darf nicht abhanden kommen.“ 54 Nur singulär wurden zumindest „Unreife“ beschuldigt, wenn es hieß, dass „[d]er Judenhaß im infantilen politischen Denken nahezu unausrottbar vorhanden ist“. Vgl. DOD, Hetze, 11.1.1960, S. 8f. 55 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Anschlag, 1.1.1960, S. 1. 56 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Aufstand gegen die Unbelehrbaren, 15.1.1960, S. 3. 57 Für die Ausnahmen siehe Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Steht die Vergangenheit auf?, 8.1.1960, S. 3; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Empörung, 8.1.1960, S. 3f. 58 Die Zeit, Antisemitismus ohne Juden, 8.1.1960.
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Direkt wird dem Antisemitismus in Deutschland ein Antigermanismus im Ausland gegenübergestellt, der keineswegs besser sei. Schließlich gebe es „objektive und subjektive Faktoren, die ein stärkeres Gewicht haben als die Ausschreitungen geistig Minderwertiger“. Man dürfe sie keineswegs ignorieren und sie fügen der deutschen Außenwirkung großen Schaden zu, aber, so der Tenor des Kommentars, man sollte sie auch nicht wichtiger nehmen als sie sind.59 Auch in der Gewerkschaftspresse wurden die antisemitischen Manifestationen in erster Linie als peinlich und schädlich für das deutsche Ansehen in der Welt betrachtet. Die antisemitische „Schmierwelle“ war hier ebenfalls ein zentrales Thema,60 eine größere Gefahr beschrieben dennoch nur wenige Artikel und verorteten diese dabei eher in der Zukunft. Die zu Beginn der fünfziger Jahre noch deutliche Skepsis bezüglich der Demokratisierung der Gesellschaft beziehungsweise der staatlichen Stabilität war bereits gesunken, aber nach wie vor vorhanden. Die Gewerkschaftspresse beschrieb die „Schmierwelle“ nicht als ein spezielles Jugendproblem. Das junge Alter vieler Täter führte dennoch zu einer verstärkten Thematisierung von gesellschaftlichen Fehlentwicklungen und Problemlagen. In der Gewerkschaftspresse wurden vor allem die unbewältigte Vergangenheit, der Mangel an politischer Erziehung sowie fehlendes Wissen über die NS-Jahre für die antisemitischen Vorfälle verantwortlich gemacht. Die grundsätzliche Kritik am gesellschaftlichen und demokratischen Zustand sei wichtig, denn diese Taten würden offenbaren, wie weit die Bundesrepublik von einem demokratischen Staat derzeit noch entfernt sei.61 Alle Versuche, die antisemitischen Taten als unpolitisch zu bagatellisieren, wurden ebenso scharf kritisiert wie Bestrebungen,
59 Für die Darstellung der Täter als unpolitische Flegel siehe auch Die Zeit, ,,Weil wir in die Zeitung kommen...“, 15.1.1960; Die Zeit, Überzeugen statt relegieren, 15.1.1960. Bereits während des Jahres 1959 verfolgte Die Zeit die Linie, dass es in der Bundesrepublik zwar Antisemitismus gäbe, aber keine neuen Antisemiten. Diese seien vielmehr Überbleibsel der NS-Jahre, die nun wieder lauter in der Öffentlichkeit auftreten würden. Vgl. Janßen u.a., S. 205. 60 Fast alle Medien berichteten ausführlich. Die Welt der Arbeit startete sogar eine Artikelserie über die Hintergründe der Taten. Nur die ÖTV ignorierte das Thema fast vollständig und publizierte in der Januarausgabe 1960 lediglich eine vor dem Hintergrund der Vorfälle etwas skurril anmutende Doppelseite mit dem scheinbar zufällig ausgewählten Fokus auf jüdische Kultur in der Bundesrepublik. Hier wurde zwar bedauert, dass der Antisemitismus aus Deutschland nicht verschwunden sei und Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht schon allein im Interesse des Ansehens der Deutschen in der Welt vonnöten wäre. Zusammenhänge mit der „Schmierwelle“ wurden aber nicht thematisiert. Vgl. ÖTV-Presse, Jan. 1960, S. 12f. 61 GMH 5 (1960), Praxis der Erwachsenenbildung. Parteien, politische Bildung und Staatsgelder, S. 304–306, S. 306.
120 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) diese zu externalisieren.62 Zwar würden fast alle Bundesbürger den Mord an den Juden ablehnen, aber niedrigschwelliger Antisemitismus sei dennoch weiterhin präsent.63 Generell wiesen die vielen antisemitischen Vorfälle der letzten Jahre darauf hin, dass die breite Gesellschaft noch lange nicht demokratisch eingestellt sei.64 Letztlich sei aber nicht der Antisemitismus das eigentliche Problem. Dieser sei vielmehr eine Manifestation des weiterhin populären Nationalsozialismus.65 Obwohl die Gewerkschaften nicht unbedingt eine koordinierende Kraft im Hintergrund der „Schmierwelle“ ausmachten, wurde diese zum Anlass genommen, auf die seit Jahren schleichende Sammlung rechtsradikaler Kreise aufmerksam zu machen.66 Schon allein, weil die Konkurrenz innerhalb der zerstrittenen rechtsradikalen Szene jederzeit überwunden werden könne, müsse diese weiterhin ernst genommen werden.67 Wohl auch deswegen betonten die gewerkschaftlichen Zeitungen stets den rechtsradikalen Hintergrund der jüngsten Vorfälle. Die „Frankfurter Rundschau“ hielt eine koordinierte Aktion Rechtsradikaler im Hintergrund nicht für grundsätzlich abwegig, aber diese Deutung im konkreten Fall für überzogen und nur teilweise richtig.68 Zwar ging die Zeitung zumindest in einigen Fällen von unpolitischen Taten jugendlicher „Schmierfinken“, „Betrunkener“ oder „Halbstarker“ aus,69 insgesamt sah sie derartige Interpretationen aber als bewusste Bagatellisierung an: „Selbst wenn die These richtig sein sollte, daß es sich […] um eine durch Ansteckung hervorgerufene Häufung unzusammenhängender Vorkommnisse handelt, beleuchte sie doch einen politischen Hinter- und Untergrund, […] der aber auf keinen Fall unterschätzt werden sollte.“70 Die Taten verweisen für die FR unabhängig von der Einzelbewertung der Täter auf ein rechtsradikales Problem. Aus der Jugend vieler Täter leitete die Zeitung vor allem die Erkenntnis ab, dass die Vorfälle eben keine NS-Spätfolge, sondern in erster Linie das Produkt der bundesrepublikanischen Verhältnisse 62 Die Täter wurden als „Verbrecher“ bezeichnet, aber dass das rechtsradikale Potenzial der bundesrepublikanischen Gesellschaft eine große Verantwortung für das Aufbrechen der „Schmierwelle“ trage, war für die Gewerkschaften offensichtlich. Vgl. Die Quelle 2 (1960), Verurteilt, S. 93. Siehe auch GMH 5 (1960), Erwachsenenbildung, S. 305. 63 WdA, Anklagebank, 15.1.1960. 64 Die Quelle berichtete bereits im gesamten Jahr 1959 regelmäßig über antisemitische Skandale bzw. rechtsradikale Manifestationen in der jungen Bundesrepublik. Siehe auch GMH 2 (1960), Innenpolitik, S. 105; Metall, Schmutzwelle, 13.1.1960, S. 5. 65 WdA, Antisemitismus. Folge völkischer Ideen, 11.1.1960. Dies führte z. B. auch Hen drik G. van Dam aus. Vgl. Die Zeit, Antisemitismus, 8.1.1960. 66 Die Quelle 1 (1960), Rechtsradikale, S. 1f.; GMH 2 (1960), Maßnahmen, S. 108. 67 Die Quelle 6 (1959), Presseschau. 70000 rechtsradikale Jugendliche, S. 265. 68 FR, Bonn, 4.1.1960, S. 1; FR, Verstecken hinter der Anonymität, 5.1.1960, S. 1; FR, Aufstand, 9.1.1960, S. 3; FR, Goldmann. Nazizentrale in Kairo, 22.1.1960, S. 1. 69 FR, Welle, 2.1.1960, S. 1; FR, Anonymität, 5.1.1960, S. 1; FR, Weltweite Empörung über antisemitische Vorgänge, 11.1.1960, S. 1; FR, Bundestag, 13.1.1960, S. 1; FR, Hakenkreuze am Tankwagen, 14.1.1960, S. 4; FR, NS-Parolen, 22.1.1960, S. 1. 70 FR, Nur eine Tracht Prügel?, 18.1.1960, S. 3. Siehe auch FR, Aufstand, 9.1.1960, S. 3.
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seien.71 Somit stellte die Zeitung sich gegen jede Verharmlosung, an der sich die anderen Publikationen, mit Ausnahme der Gewerkschaften, hingegen mehr oder weniger intensiv beteiligten. Entsprechend hart ging die FR dabei mit dem Zustand der Gesellschaft ins Gericht.72 Allein dass westdeutsche Jugendliche nazistische und antisemitische Symbole benutzen, sei ein politisch bedenkliches Zeichen, führte ein Bericht aus.73 Die bundesdeutsche Gesellschaft sei nach wie vor nur auf dem Papier demokratisch, so die deutliche Kritik.74 Auch Antisemitismus sei unter der Oberfläche noch weit verbreitet.75 Die Sicherheit des Staates sei insofern zumindest potenziell gefährdet, wenn sich der Rechtsradikalismus sogar in der jüngeren Generation ausbreite. Für die FR war der mittlerweile geläufige Befund „Bonn ist nicht Weimar“ kein Grund zum Ausruhen, sondern im Gegenteil ein Ansporn, die Demokratie weiter zu festigen. Insofern war die Empörung über die Vorfälle durchaus allgemein, deren Einordnung und vor allem die Antworten auf die Frage, wie verbreitet Antisemitismus und Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik waren, gingen aber stark auseinander und hingen auch von den jeweiligen Zielen der Publikationen beziehungsweise ihren politischen Linien ab. Während die Bewertung der Vorfälle insofern durchaus umstritten war, plädierten alle Publikationen direkt für eine harte Bestrafung der Täter. So betonte die FAZ die Notwendigkeit eindeutiger Grenzmarkierungen und berichtete vielfach über Forderungen nach harter und schneller – allerdings gerichtlich festgelegter – Strafe.76 Milde wäre bei antisemitischem Vergehen „völlig fehl am Platz“.77 Die FR erkannte zwar ebenfalls die Jugend der meisten Täter und damit ihre politische Unreife an, unterstützte aber 71 Diese jungen Menschen seien erst nach 1945 mit rechtsradikalen Vorstellungen und nationalsozialistischer Propaganda konfrontiert worden und daher keine „alten Nazis“. Vgl. FR, Eine Drachensaat ist aufgegangen, 2.1.1960, S. 2. Siehe auch FR, Reale Gespenster, 4.1.1960, S. 3; FR, Nun auch in West-Berlin, 5.1.1960, S. 3. 72 Bereits im ersten Artikel zur Kölner Tat findet sich der Hinweis auf die fehlende Bereitschaft in der Weimarer Republik, konsequent gegen rechtsradikale Taten vorzugehen. Dass dies inzwischen anders sei, wurde bezweifelt. Vgl. FR, Aufstand, 9.1.1960, S. 3. 73 FR, Prügel, 18.1.1960, S. 3. 74 FR, Gespenster, 4.1.1960, S. 3. 75 FR, Schweigen Sie den Antisemitismus doch tot!, 11.1.1960, S. 3. 76 Mitunter druckte die FAZ relativ abwegige Begründungen für eine harte und schnelle Bestrafung. So habe Ernst Lemmer, der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, konsequente Bestrafung gefordert, weil die antisemitischen Vorfälle ein „Dolchstoß gegen die Wiedervereinigung“ seien und einem Landesverrat glichen. Vgl. FAZ, Schnelle Strafen gegen Antisemiten und Neonazisten, 9.1.1960, S. 3. Siehe auch FAZ, Der Verfassungsschutz befaßt sich mit der Deutschen Reichspartei, 29.12.1959, S. 1; FAZ, Sudelwelle, 2.1.1960, S. 1; FAZ, Volksverhetzungs-Gesetz, 7.1.1960, S. 1; FAZ, Harte Strafen für Hakenkreuz-Schmierer, 14.1.1960, S. 4; FAZ, Strafen, 22.1.1960, S. 4. 77 FAZ, Infektion, 7.1.1960, S. 1. Lediglich in einem Fall warnte die FAZ mit Verweis auf den unpolitischen Charakter der Vorfälle davor, panisch drakonische Strafen zu verhängen. Vgl. Unfug, 14.1.1960, S. 9.
122 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) dennoch ein striktes Vorgehen.78 Selbstjustiz wie den „Prügelappell“ von Bundeskanzler Adenauer lehnte sie hingegen entschieden ab: „Seine mehr als großväterliche Aufforderung, den Lümmeln eine Tracht Prügel zu verabreichen, kann wohl kaum als eine ausreichende politische Aktion angesehen werden, zumal solche – gewiß gutgemeinten – Ratschläge sich nicht gerade mit unserem Rechtssystem vereinbaren lassen“.79
Konrad Adenauer hatte an den Jüdischen Weltkongress zunächst die Botschaft gerichtet, dass in der Bundesrepublik ein kompromissloser Kampf gegen den Antisemitismus geführt werde und argumentierte ebenfalls, dass man einzelne Vorfälle nicht überbewerten dürfe.80 Es handele sich fast ausschließlich um unpolitische Flegeleien, behauptete Adenauer und forderte, dass diese, soweit strafbare Handlungen vorlägen, verfolgt und gesühnt werden müssten. In einer Rundfunksendung erklärte der Bundeskanzler dann aber auch: „Wenn ihr irgendwo einen Lümmel erwischt, vollzieht die Strafe auf der Stelle und gebt ihm eine Tracht Prügel. Das ist die Strafe, die er verdient.“81 Dieser „Vorschlag“ offenbarte vor allem den krampfhaften Versuch, die Taten als unpolitische Einzelereignisse Jugendlicher zu deuten und war meilenweit von einem seriösen politischen Umgang entfernt. Der Antisemitismus wurde hier zu einem „Pubertätsdelikt“ reduziert. Mithin wurde der Rechtsradikalismus von staatlicher Seite aus gerade nicht als gesamtgesellschaftliches Phänomen behandelt.82 Auch die nicht unmittelbar rechtsradikal motivierten Taten entstanden allerdings in einem Umfeld, welches rechtsradikale und antisemitische Einstellungen konservierte und reproduzierte. Daher muss in fast allen Fällen zumindest von politischen Taten mit rechtsradikalem Hintergrund gesprochen werden,83 auch wenn diese Deutung in den untersuchten Publikationen keineswegs allgemein geteilt wurde. Wie die FR kritisierten auch die Gewerkschaften diesen Aufruf des Bundeskanzlers als populistisch und zudem als dem Ernst der Situation in keiner Weise angemessen.84 Die FAZ hingegen zielte zwar grundsätzlich in die gleiche Rich78 FR, Schröder, 9.1.1960, S. 1; FR, Empörung, 11.1.1960, S. 1; FR, Israelische Note an Bonn, 12.1.1960, S. 1; FR, Frankfurts Bürger sind empört, 12.1.1960, S. 4. 79 FR, Prügel, 18.1.1960, S. 3. Siehe auch FR, Schröder. Gesinnung nicht strafbar, 19.1.1960, S. 1. 80 Vgl. Taler, Skandal, S. 17. 81 Zit.n. FAZ, Prügel, 18.1.1960, S. 1; FR, Flegeleien, 18.1.1960, S. 1. 82 Vgl. Peter Dudek, Die Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Rechtsextremismus nach 1945, in: Wolfgang Kowalsky / Wolfgang Schroeder (Hg.), Rechtsextremismus. Einführung und Forschungsbilanz, Opladen 1994, S. 277–301, hier S. 280f. Siehe auch Butterwegge, Rechtsextremismus, S. 104. 83 Doch selbst wenn nur ein Drittel der Täter politisch motiviert gewesen wäre, reicht dies aus, um die „Schmierwelle“ als ein politisches – und zwar rechtsradikales – Problem aufzufassen. 84 GMH 2 (1960), Innenpolitik, S. 108; WdA, Im Fettnäpfchen. Adenauer, 22.1.1960, S. 1.
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tung, äußerte aber auch Verständnis für die Aufforderung Adenauers.85 So könne eine sofortige Prügelstrafe „politisch […] zuweilen wirkungsvoller sein als manche gerichtliche Bestrafung“ und sei sogar in der Lage, die Abwehrkräfte des deutschen Volkes gegen den Antisemitismus zu stärken.86 Die FAZ bemängelte an Adenauers Aussage vor allem, dass dieser „hausväterliche Rat“ schnell juristische Probleme verursacht habe, als beherzte Bürger entsprechend handelten.87 Trotz des oft jugendlichen Alters der Täter fielen die verhängten Strafen vielfach sehr scharf aus und wurden kaum zur Bewährung ausgesetzt. Die bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden wollten Durchsetzungsfähigkeit gegen rechts demonstrieren und folgten damit der Prämisse, die die Bundesregierung ausgegeben hatte und die von allen untersuchten Publikationen unterstützt wurde. Allerdings waren die Gerichte vielfach nicht bereit, eine politische Motivation festzustellen. Die Verurteilung wegen (unpolitischem) groben Unfugs und Sachbeschädigung folgte der Bagatellisierungsstrategie und knüpfte an die Entpolitisierungsziele an. Insofern drehte sich die Frage nach den Ursachen der antisemitischen Taten vor allem um deren politische Bewertung. Während die Relevanz des Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik daher stark umstritten war, blieb die Frage, warum es nach wie vor Rechtsradikale gebe, randständig und wurde, wenn überhaupt, vor allem mit vergangenheitspolitischen Problemen beantwortet. Kritik an den sozio-ökonomischen Grundlagen findet sich nicht einmal mehr in den Berichten der Gewerkschaftspresse. Angesichts der positiven Wirtschaftsentwicklung, der weiterhin manifesten internen Konflikte bezüglich der Integrationsfrage und der Schwächung des DGB durch ein deutliches Absinken des Organisationsgrades verloren utopische Vorstellungen über Änderungen an den Eigentumsverhältnissen sowie die Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft selbst hier ihre Relevanz.88 Das Interesse, als Sozialpartner legitimiert zu sein, war mittlerweile dominant und die tiefgehende Beschäftigung mit den Hintergründen des Rechtsradikalismus sowie daraus entwickelte antikapitalistische Positionen hätten die gerade aufgebaute Stellung des DGB als Sozialpartner bedroht.89 Angesichts des sogenannten „Wirtschaftswunders“ wäre eine weitgehende Kritik ohnehin auf taube Ohren gestoßen. Auch die IG Metall fiel in der Gesamtuntersuchung zumindest publizistisch nicht aus dem Rahmen. Ihr „Einspruchsrecht“, welches sie sich in Fragen der Demokratieentwicklung reser85 Der „Prügelappell“ wurde zwar mehrfach veröffentlicht, aber die Kritik bekam deutlich mehr Raum. Vgl. FAZ, Prügel, 18.1.1960, S. 1; FAZ, Erklärung, 18.1.1960, S. 4. Für Kritik siehe auch FAZ, Aussprache, 19.1.1960, S. 1; FAZ, Zwischenfall, 19.1.1960, S. 3. 86 FAZ, Hausväterlicher Rat, 25.1.1960, S. 2. 87 Ebd.; Siehe auch FAZ, Schmierereien, 25.1.1960, S. 3. 88 Viele enttäuschte Mitglieder hatten die Gewerkschaften nach den Niederlagen der fünfziger Jahre verlassen. Vgl. Deppe, Geschichte, S. 546f., 562f.; Schönhoven, Geschichte, S. 53; Wilke, Einheitsgewerkschaft, S. 235. 89 Siehe zu dieser Argumentation auch Markovits, S. 30, 83.
124 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) vierte, nahm sie zumindest in ihrer Verbandspublikation nicht außerhalb der zu diesem Zeitpunkt gängigen Deutungen wahr.90 So verwies die „Metall“ mehrfach darauf, dass die Masse der Bevölkerung und der Jugend keinesfalls antisemitisch geschweige denn nationalsozialistisch sei.91 Einerseits wurden die Vorfälle also insgesamt äußerst ernst genommen und scharfe Reaktionen gefordert, andererseits aber wurde vor allem – aber nicht nur – von konservativer Seite aus vieles dafür getan, die Existenz des zu bekämpfenden Phänomens zu leugnen.92 Beides geschah vor allem aus Sorge um den Verlust des gerade wieder gestiegenen Ansehens in der Welt. Die antisemitischen Taten wurden im In- und Ausland vielfach als Zeichen der noch lange nicht überwundenen NS-Vergangenheit gedeutet.93 Mit dieser Deutung soll keineswegs ignoriert werden, dass auch nicht-staatliche Akteure durchaus versuchten, dem Antisemitismus in der Bundesrepublik entgegenzuwirken, und ein intrinsisches Interesse an dessen Bekämpfung besaßen. Aber angesichts der hier teilweise vertretenen Deutungen muss zumindest in Bezug auf die „Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland“, die FAZ und – auch wenn diese als Verbandszeitung nicht direkt mit den anderen vergleichbar ist – den „Deutschen Ostdienst“ von einer Priorität der Außenwirkung und somit der Entpolitisierung ausgegangen werden. Insofern war die zunächst vor allem von konservativen Akteuren favorisierte „Kommunismus-These“ auch dem Ziel geschuldet, die Angriffsfläche zu reduzieren. Schließlich waren die Vorfälle auch unabhängig von den Hintergründen im innerdeutschen Konflikt schärfste Munition, wie zahlreiche Beiträge unterschiedlicher Akteure wiederholt betonten. Für die „Frankfurter Rundschau“ waren die Vorfälle eine propagandistische Steilvorlage für die DDR.94 Die Bundesrepublik könnte vor dem Hintergrund der jüngsten Taten leicht als „Hort der Reaktion, Restauration und Refaschisierung“ denunziert werden, gab ein Artikel in den „Gewerkschaftlichen Monatsheften“ zu bedenken.95 Auch die FAZ betonte, dass diese willkommene Anlässe für die östliche Propaganda seien, um die Bundesrepublik zu diskreditieren und als faschistisch zu brandmarken.96 Mit der Behauptung, Westdeutschland sei weiterhin das Zentrum aller „faschistischen, militaristischen und revanchistischen Organisationen“, ziele die Moskau90 Vgl. zum Einspruchsrecht Merkel, S. XLV. 91 Metall, Schmutzwelle, 13.1.1960, S. 5; Metall, Jugend, 27.1.1960, S. 1; Metall, Wider den Rassenhaß, 27.1.1960, S. 14. 92 Vgl. bezüglich anderer Akteursgruppen zu dieser These auch Bergmann, Antisemitismus 1990, S. 258f. 93 Bergmann, Antisemitismus 1997, S. 249; Wolfrum, Waffe, S. 110f. 94 FR, Bonn, 4.1.1960, S. 1. 95 GMH 2 (1960), Innenpolitik, S. 104–108. 96 Siehe u.a. FAZ, Ueberprüfung der Rechtsradikalen gefordert, 29.12.1959, S. 4; FAZ, Infektion, 7.1.1960, S. 1; FAZ, Die SED erhofft sich Nutzen, 7.1.1960, S. 4; FAZ, Brandt, 8.1.1960, S. 4; FAZ, Wirkungen, 14.1.1960, S. 1; FAZ, Schröder, 20.1.1960, S. 4; FAZ, Kirkpatrick, 20.1.1960, S. 4; FAZ, Kabinett, 21.1.1960, S. 4.
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er Führung auf eine Schwächung der bundesdeutschen Position im westlichen Bündnis, führte die FAZ weiter aus.97 „Die Zeit“ ergänzte, dass die DDR die Vorfälle sicherlich zu nutzen gedenke, verwies aber direkt auf den sich ausbreitenden Antisemitismus im Ostblock.98 Die östliche These, dass Antisemitismus immer gleichbedeutend mit Antikommunismus sei, müsse widerlegt werden, daher dürfe die „widerwärtige antisemitische Welle“ nicht zu einer Waffe im Kalten Krieg werden, hieß es weiter. Die Frage nach einer konkreten Beteiligung des MfS war im Grunde nebensächlich für den Umgang. Wichtig war, dass sich die Taten eindeutig in der Bundesrepublik ereigneten und der Staat hier an der Wurzel seiner Legitimation angegriffen wurde. Die Bundesregierung hatte sich gerade etwas Spielraum verschafft,99 und nun drohte der demokratischen Entwicklung und der Wendung nach Westen ernste Gefahr. Auch wenn die „Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland“ grundsätzlich kaum Kritisches berichtete, Befürchtungen, dass die antisemitischen Vorfälle schädlich für die Außenwirkung sowie die westdeutsche Außenpolitik seien, finden sich auch hier.100 Die Zeitung befürchtete, die Vorfälle könnten eine Welle antideutscher Gefühle entfachen und so die Position der Bundesrepublik in den bevorstehenden Ost-West-Gesprächen speziell zum Status Berlins unterminieren.101 Dies wurde auch in den Frankfurter Tageszeitungen diskutiert, wobei die Gefahren für die Fortschritte um Gleichberechtigung und Anerkennung im Westen hier für wesentlich gravierender befunden wurden.102 Aus deutschen Diplomatenkreisen berichtete die FAZ, „daß die Flegeleien 97 Vgl. FAZ, Moskau schürt das Mißtrauen gegen Bonn, 8.1.1960, S. 2; FAZ, Entschieden gegen neue Entnazifizierung, 11.1.1960, S. 4. 98 Die Zeit, „Haltet den Dieb!“, 15.1.1960. Siehe auch Die Zeit, Antisemitismus, 8.1.1960. 99 Die vermeintlich letzten NS-Überbleibsel wurden Anfang der fünfziger Jahre administrativ beschränkt, die DRP hatte bei der Bundestagswahl 1953 (und danach) keine Chance. Vor allem aber brachten die Wiedergutmachungsverhandlungen mit Israel der Bundesrepublik Sympathien und weitere innen- und außenpolitische Spielräume. 100 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Anschlag, 1.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Mut zur Demokratie, 8.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Warnungsreiche Reminiszenz, 8.1.1960, S. 5; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Energische Maßnahmen notwendig, 15.1.1960, S. 3; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Offener Brief, 22.1.1960, S. 1. 101 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Empörung, 8.1.1960, S. 3f. 102 So heißt es in einem Kommentar der FAZ: „Was dem Bundeskanzler Sorgen macht, ist bekannt. Die antisemitischen Flegeleien sind hinzugekommen. Mit welcher Abscheu er über dergleichen denkt, weiß man. Dass er es dennoch mit kräftigen Worten vor seiner Abreise nach Rom noch ausgesprochen hat, deutet darauf hin, daß er die Atmosphäre geklärt zu sehen wünscht, ehe die internationalen Verhandlungen sich verdichten.“ Vgl. FAZ, Vorbereitungen, 18.1.1960, S. 1. Siehe auch FAZ, Uebergriff, 5.1.1960, S. 3; FAZ, Adenauer, 6.1.1960, S. 4; FAZ, Infektion, 7.1.1960, S. 1. Die FR befürchtete, dass „die von der Bundesrepublik ausgegangene neue antisemitische Hetzwelle das Prestige Bonns als wertvollsten und zuverlässigsten Bundesgenossen
126 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) einiger Rowdys in Westdeutschland geeignet seien, die mühsame Arbeit vieler Jahre und das dabei neu gewachsene Vertrauen zu zerstören“.103 Dass die „Warner vor dem unverbesserlichen Deutschen sich bestätigt fühlen, war vorherzusehen“, erklärte ein Kommentar.104 Mehrfach verwies die FAZ auch auf israelische beziehungsweise jüdische Sorgen und Ängste vor dem Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik.105 Selbst der BdV äußerte sich in diesem Sinne. Die antisemitischen Vorfälle seien nicht nur peinlich sowie herausragendes Futter für das „östliche Propagandatrommelfeuer“, sondern auch kontraproduktiv für die Interessen der Vertriebenen auf Rückkehr in die alte Heimat.106 Angesichts derartiger Befürchtungen sollten Deutungen Westdeutschlands als Hort antisemitischer Einstellungen möglichst verhindert werden. Nutzten die der USA schwer erschüttern könnte.“ Vgl. FR, Bündniskrise, 7.1.1960, S. 1. Auch die Briten würden die demokratische Zuverlässigkeit mittlerweile wieder infrage stellen. Die Gerüchte über antideutsche Boykottmaßnahmen in Großbritannien würden zwar weniger ernst genommen, aber dennoch könne von einer Welle politischer Missbilligung als Folge der antisemitischen Vorfälle gesprochen werden. Vgl. u.a. FR, Aufstand, 9.1.1960, S. 3; FR, Deutsche Angestellte in Großbritannien entlassen, 14.1.1960, S. 1f.; FR, Bundesregierung wartet weitere Ermittlungen ab, 15.1.1960, S. 1. Siehe auch FR, Kölner Synagogenschändung bereits aufgeklärt, 28.12.1959, S. 1; FR, Verbindungen, 30.12.1959, S. 1; FR, Aus der Vergangenheit lernen, 4.1.1960, S. 1; FR, Gespenster, 4.1.1960, S. 3; FR, Hakenkreuzfahne in Mailand, 6.1.1960, S. 1; FR, Beunruhigung und Empörung über antisemitische Welle, 6.1.1960, S. 4; FR, Schlag, 8.1.1960, S. 2; FR, Schmierereien, 9.1.1960, S. 1; FR, Empörung, 11.1.1960, S. 1; FR, Note, 12.1.1960, S. 1; FR, Der Westen bereitet Bonn Sorgen, 14.1.1960, S. 1; FR, Flegeleien, 18.1.1960, S. 1; FR, Konsulat besorgt über Proteste, 20.1.1960, S. 1. 103 FAZ, Prügel, 18.1.1960, S. 1. Auch bei den westlichen Partnern würden die antisemitischen Manifestationen das Misstrauen gegenüber der Bundesrepublik erneut entfachen, betonte die FAZ. Vgl. FAZ, Kabinett, 4.1.1960, S. 1; FAZ, England verweist auf die Juden im Ostblock, 6.1.1960, S. 4; FAZ, Jüdisches Memorandum, 6.1.1960, S. 4; FAZ, Infektion, 7.1.1960, S. 1; FAZ, Ein Gesetz gegen Volksverhetzung auch in England?, 9.1.1960, S. 3; FAZ, Bundestag, 13.1.1960, S. 1; FAZ, Der Wunsch der jüdischen Gemeinden, 15.1.1960, S. 1; FAZ, Flegeleien gefährden das Vertrauen zu Deutschland, 16.1.1960, S. 4; FAZ, Erklärung, 18.1.1960, S. 4; FAZ, Eine Woge der Feindschaft, 19.1.1960, S. 3; FAZ, Kirkpatrick, 20.1.1960, S. 4; FAZ, Goldmann, 22.1.1960, S. 1. Ähnliches berichtet die FAZ auch für – das allerdings östliche – Polen. Vgl. FAZ, Fern aus Polen gesehen, 22.1.1960, S. 2. 104 FAZ, Wirkungen, 14.1.1960, S. 1. So auch, FAZ, Grober Unfug aus Dummheit, 14.1.1960, S. 9. 105 FAZ, Uebergriffe, 2.1.1960, S. 3; FAZ, Berlin, 6.1.1960, S. 1,4; FAZ, Adenauer, 6.1.1960, S. 4; FAZ, Memorandum, 6.1.1960, S. 4; FAZ, Goldmann, 8.1.1960, S. 4; FAZ, Israel unterrichtet die Bundesregierung, 12.1.1960, S. 1; FAZ, Ratten, 12.1.1960, S. 2; FAZ, Panikstimmung, 13.1.1960, S. 11; FAZ, Prügel, 18.1.1960, S. 1; FAZ, Sozialdemokraten, 23.1.1960, S. 3. 106 DOD, Boden, 18.1.1960, S. 1f.. Siehe auch DOD, Im Hinblick auf die Gipfelkonferenz, 25.1.1960, S. 4.
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politischen Eliten vor allem symbolische Aktionen zur Abgrenzung,107 versuchten die hier untersuchten Publikationen, diesen publizistisch entgegenzuwirken. Entsprechend finden sich neben Schuldzuweisungen an Kommunisten oder die Weigerung, eine rechtsradikale Szene in der Bundesrepublik zu sehen, immer wieder Versuche, die westdeutschen antisemitischen Vorfälle durch Gleichsetzungen mit ähnlichen Taten im Ausland zu relativieren oder zumindest deren Besonderheit zu negieren. Zwar betonten gewerkschaftliche Beiträge explizit, dass die internationalen Vorfälle keine Entschuldigung für hiesige Fälle sein dürften, da der Antisemitismus in Deutschland eine besonders lange Tradition habe,108 aber der relativierende beziehungsweise abwehrende Eindruck bleibt dennoch bestehen. Auch die Gewerkschaften betonten, dass die antisemitische „Schmierwelle“ ein europäisches Problem sei.109 Sogar die „Frankfurter Rundschau“, die einerseits dafür plädierte, die antisemitischen Vorfälle keinesfalls zu entpolitisieren und auf einem rechtsradikalen Kontext beharrte, war gleichzeitig bereit, die Thematik im internationalen Vergleich ein Stück weit zu relativieren.110 Einerseits hieß es hier, dass die antisemitischen Taten eine Schande und Belastung seien und dies durch die Vorfälle im Ausland nicht gemindert werde.111 Andererseits thematisierte die FR Letztere im Verlauf des Untersuchungszeitraumes dennoch ausführlich und nutzte sie zur Relativierung der deutschen Vorfälle: „Die Zahl der Hakenkreuze und antisemitischen Parolen an Häusern und Mauern der Bundesrepublik ist inzwischen so groß geworden, daß die Presse zu Sammelmeldungen übergehen mußte. Die Zahl gleicher Sudeleien im Ausland stehe den deutschen ‚Leistungen‘ dieser Art nicht nach. Nacht für Nacht erscheinen neue Hetzparolen und Nazi-Embleme an den Häusern […] unserer Bundesrepublik. England, Amerika, Dänemark, Schweden, Norwegen und Länder in Uebersee mußten gleiche Erfahrungen machen.“112 107 Neben regelmäßigen „Beruhigungsreden“ der politischen Elite besuchte beispielsweise Konrad Adenauer am 2. Februar 1960 mit Bergen-Belsen erstmals ein ehemaliges KZ und legte einen Kranz nieder. 108 Metall, Schmutzwelle, 13.1.1960, S. 5; WdA, Antisemitismus, 15.1.1960. 109 Da als Beispiel für ausländische Vorfälle ausgerechnet ein Fall aus der Sowjetunion ausgewählt wurde, liegt der Schluss nahe, dass es hier auch um die Abwehr gegen die östliche Propaganda ging. Vgl. ebd.; WdA, Dauerdruck auf die Parteien, 8.1.1960; Metall, Der Schmutzwelle energisch Einhalt gebieten, 27.1.1960, S. 2. 110 Auch dass der Bund Nationaler Studenten in der Berichterstattung nicht auftauchte, könnte darauf hindeuten, dass die Zeitung kein grundsätzliches Interesse an einer Skandalisierung hatte, um die ohnehin angespannte Situation nicht noch zu verschlimmern. 111 FR, Carlo Schmidt warnt vor billigen Entschuldigungen, 21.1.1960, S. 1. So auch der Tenor der Presseschau vom 23.1.1960, S. 4. 112 FR, Aufstand, 9.1.1960, S. 3. Vgl. auch FR, DRP wird scharf überwacht, 29.12.1959, S. 1; FR, Welle, 2.1.1960, S. 1; FR, Bonn, 4.1.1960, S. 1; FR, Anonymität, 5.1.1960, S. 1; FR, Ende, 11.1.1960, S. 1; FR, Flegeleien, 18.1.1960, S. 1; FR, Gestörte Kundgebung in
128 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) Anderen Staaten wurde mit Verweis auf deren eigene antisemitische Vorfälle und nationalsozialistische Parteien anschließend direkt das Recht abgesprochen, die westdeutschen Vorfälle zu bewerten. Speziell im Fokus stand dabei Großbritannien, welches die FR als zweiten Schwerpunkt der „Schmierwelle“ darstellte.113 Britische Zeitungsmeldungen, dass es nicht lohne, „zwischen Deutschen und Nazis zu unterscheiden“ sowie über eine „Naziverseuchung der deutschen Jugend“ stießen auch in der FAZ auf deutliche Gegenwehr.114 Vor allem, dass die Vorfälle im westlichen Ausland als „Übergriffe von Straßenlümmeln“, diejenigen hierzulande hingegen „als gefährliche Zeichen des erwachenden Nazismus“ interpretiert wurden, war ihr ein Dorn im Auge.115 Sie forderte, dass ausländische Beobachter „gerade dem Volke, das von besorgniserregenden Spuren einer alten Infektion heimgesucht wird, und gegen sie kämpfe, den gutwilligen Kräften helfen müßte[n], anstatt […] die Bonner Regierung und die übrigen fünfzig Millionen in einen Topf der Schande zu stoßen“.116 Auch die FAZ erklärte, dass man die „Schmierwelle“ nicht hauptsächlich deshalb bedauern dürfe, weil sie der Reputation der Bundesrepublik im Ausland abträglich sei.117 Dieser Aspekt aber blieb in ihrer Berichterstattung dennoch ebenfalls prominent und ist wahrscheinlich ein zentraler Grund für die harmlose und entpolitisierende Darstellung, ging es doch um die Aufrechterhaltung der positiven Darstellung der Demokratisierung. Der Wunsch nach Entdramatisierung wurde auch in den zahlreichen Berichten über die antisemitischen Vorfälle im Ausland deutlich.118 Zwar gehe von der Tatsache, dass die „Infektion“ ebenso in anderen Ländern auftrete, keine Beruhigung aus, aber dies sei dennoch tröstend, erklärte die FAZ in aller Offenheit.119 Der internationale Charakter der „Schmierwelle“ wurde als Entlastung für die Bundesrepublik aufgefasst. Explizit hieß es Berlin, 19.1.1960, S. 1. Auffällig ist die geringe Prominenz der antisemitischen Vorfälle in der Sowjetunion und der DDR. Vgl. Bündniskrise, 7.1.1960, S. 1. 113 FR, Hakenkreuzfahne, 6.1.1960, S. 1; FR, Aufstand, 9.1.1960, S. 3. 114 FAZ, Unterstützung, 6.1.1960, S. 1 bzw. FAZ, Englische Firmen dementieren Boykott deutscher Waren, 14.1.1960, S. 1,4; FAZ, Kirkpatrick, 20.1.1960, S. 4. 115 FAZ, Zwei Soldaten wegen Hakenkreuz-Schmiererei bestraft, 11.1.1960, S. 4. Die FAZ veröffentlichte daher anderslautende Zeitungsartikel in der Presseschau. Siehe FAZ, Zweierlei Urhebergruppen, 15.1.1960, S. 2; FAZ, Keine Antipathien gegen Deutsche, 21.1.1960, S. 2. 116 FAZ, Wirkungen, 14.1.1960, S. 1. 117 FAZ, Infektion, 7.1.1960, S. 1. 118 Vgl. FAZ, Auch eine Londoner Synagoge beschmiert, 2.1.1960, S. 3; FAZ, Antisemitische Parolen im Ausland, 4.1.1960, S. 3; FAZ, Die Zentrale in Wien?, 4.1.1960, S. 3; FAZ, Gedenkfeier hinter zerbrochenen Fensterscheiben, 5.1.1960, S. 3; FAZ, England, 6.1.1960, S. 4; FAZ, Neue Hakenkreuzschmierereien in England, 7.1.1960, S. 4; FAZ, Volksverhetzung, 9.1.1960, S. 3; FAZ, Soldaten, 11.1.1960, S. 4; FAZ, Jetzt doch Boykott-Maßnahmen in Großbritannien, 18.1.1960, S. 4; FAZ, Zwischenfall, 19.1.1960, S. 3. 119 FAZ, Infektion, 7.1.1960, S. 1. Auch Kritik anderer Akteure, dass die Hinweise auf ausländische Vorfälle ein Ablenkungsmanöver seien, wurden in der FAZ veröffent-
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schon Anfang Januar, dass Antisemitismus in vielen Ländern zu finden sei, sofern man unvoreingenommen untersuche.120 Dass der internationale Charakter trotz gegenteiliger Beteuerung die deutschen Vorfälle relativieren sollte, zeigt sich vor allem in den zahlreichen Hinweisen auf Großbritannien, welches auch in der FAZ als ausländischer Schwerpunkt der „Schmierwelle“ dargestellt wurde.121 Am 9. Januar behauptete die Zeitung sogar, dass es dort mehr antisemitische Vorfälle gebe als in der Bundesrepublik, ein Artikel vom 19. Januar fokussierte dann nur noch auf internationale Aspekte.122 Der drohende Imageverlust muss als zentrale Handlungsmotivation angesehen werden, da die innere Sicherheit auch aus Perspektive der Zeitgenossen zu keinem Zeitpunkt ernsthaft gefährdet war.123 Um den Jahreswechsel 1959/60 herum zählten vor allem die negativen Auswirkungen auf den Normalisierungsprozess. Im Gegensatz zu der Frage nach den politischen Hintergründen, waren sich alle Akteure in diesem Punkt einig. Viele nicht-staatliche Akteure beteiligten sich umfassend und versuchten, die Debatte in ihrem Sinne zu beeinflussen. Erneut ist hier einzig die Zeitschrift „Der Arbeitgeber“ als Ausnahme zu nennen.124 Dies dürfte zwar mitunter an den gleichen Gründen liegen, die im Kapitel zur SRP ausgeführt wurden, wahrscheinlicher aber ist, dass antisemitische Jugendstreiche, wie die breite Öffentlichkeit die „Schmierwelle“ wahrnahm, nicht in den Rahmen des von der Satzung vorgegebenen eng gesteckten Agitationsfeldes passten. Dies kann man kritisieren, auch unter dem Aspekt, dass derartige Vorkommnisse durchaus in der Lage waren, die Möglichkeiten der bundesdeutschen Wirtschaft zu beeinträchtigen, aber systemdestabilisierend oder ein Versuch zur Systemüberwindung waren die Vorfälle nicht und damit letztlich für die BDA wahrscheinlich nicht von Interesse. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände positionierte sich im „Arbeitgeber“ nicht als Gegner des Rechtsradikalismus. Zum Rechtsradikalismus nahm sie nur in Ausnahmefällen und, wie die weitere Entwicklung zeigen wird, vor allem nach parteipolitischen Manifestationen Stellung.
licht. Vgl. FAZ, Galinski beschuldigt die Bundesrepublik, 16.1.1960, S. 4; FAZ, Sozialdemokraten, 23.1.1960, S. 3. 120 FAZ, Sudelwelle, 2.1.1960, S. 1. 121 FAZ, Parolen, 4.1.1960, S. 3; FAZ, Gedenkfeier, 5.1.1960, S. 3; FAZ, England, 6.1.1960, S. 4. 122 FAZ, Volksverhetzung, 9.1.1960, S. 3 bzw. FAZ, Zwischenfall, 19.1.1960, S. 3. 123 Lediglich 18 % aller Befragten hielten die „Schmierwelle“ für ein Warnzeichen für kommende Gefahren. Vgl. Schönbach, Reaktionen, S. 31f. Siehe auch Reichel, Vergangenheitsbewältigung, S. 148. 124 Um den Jahreswechsel 1959/60 finden sich in der Zeitschrift Der Arbeitgeber erneut keine Artikel zum Umgang mit dem Rechtsradikalismus oder den antisemitischen Schmierereien.
130 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60)
3.2. Die Verantwortung der DRP Die Kölner Täter wurden schnell gefasst. Arnold Strunk (23) und Paul Schönen (25) standen der weitgehend erfolglosen Deutschen Reichspartei zumindest nahe.125 Im Prozess präsentierten sich diese als geistig unreife Männer ohne geschlossenes rechtsradikales Weltbild und wurden vom Landgericht Köln zu 14 beziehungsweise zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Eine Mitschuld der DRP oder ihrer Funktionäre wurde nicht nachgewiesen. Dennoch entwickelte sich durch die Nähe der Kölner Täter zur Partei und trotz intensiver Bemühungen der Mitglieder und Funktionäre, diese aus dem Fokus herauszuhalten, unmittelbar nach der Tat eine auf sie bezogene Verbotsdiskussion.126 Zahlreiche Abgeordnete anderer Parteien sowie ausländische Stimmen forderten, administrative Schritte einzuleiten.127 Wie die SRP war die DRP 1950 aus der Deutschen Rechtspartei hervorgegangen. Sie blieb zunächst im Hintergrund, wurde aber nach dem Verbot der SRP 1952 zur bestimmenden Kraft im deutschen Rechtsradikalismus. Dudek und Jaschke charakterisieren sie, obgleich ihre Basis mit der Zeit sogar eher schmaler wurde, als „Nahtstelle zwischen organisiertem Rechtsextremismus und politischem System“.128 Sie hatte bereits 1953 im Zuge der Bundestagswahl Erfahrungen mit einer Verbotsdiskussion gesammelt.129 Erst im Mai 1954 hatte die Bundesregierung schließlich öffentlich ihren Verzicht auf den Verbotsantrag erklärt. In der Folge entwickelte die DRP eine Anpassungsstrategie, betonte stets ihre Verfassungstreue und achtete öffentlich darauf, die diskursiven Regeln der politischen Kommunikation einzuhalten.130 Nach den Kölner Taten versuchte die Partei nun zunächst mit Hinweisen auf angebliche Ostkontakte der Täter von sich abzulenken und knüpfte somit an 125 Einige Studien beschreiben einen, andere sogar beide Täter auch als Mitglieder der Partei. Vgl. Taler, Verharmloser, S. 13–16 bzw. Dudek / Jaschke, S. 266f. 126 Der DRP-Kreisvorsitzende selbst soll zwar den Hinweis auf die beiden Täter gegeben haben, weil er sofort eine Diskussion über das Verbot seiner Partei befürchtete. Dies lässt aber auch den Schluss zu, dass die Parteispitze sich sogar selbst als evtl. mitschuldig ansah. Vgl. Reichel, Vergangenheitsbewältigung, S. 148. 127 Vgl. Bergmann, Antisemitismus 1990, S. 259. 128 Vgl. Dudek / Jaschke, Entstehung, S. 181, 204. Siehe auch Toralf Staud, Moderne Nazis. Die neuen Rechten und der Aufstieg der NPD, Köln 2005, S. 30. 129 Die Bundesregierung beschloss wenige Tage vor der Wahl, einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit beim Bundesverfassungsgericht zu stellen. Es handelte sich allerdings um ein taktisches Wahlkampfmanöver, sodass der Antrag nach der Wahl nicht eingereicht wurde. Vgl. Dudek / Jaschke, S. 206; Flemming, S. 40f.; Sowinski, S. 241. 130 Dass es sich lediglich um eine taktisch motivierte Anpassung und keine grundsätzliche Überzeugung handelte, lässt sich durch die innerparteiliche Korrespondenz eindeutig belegen. Für eine detaillierte Analyse der politischen Programmatik der Partei siehe die bereits zitierte Monografie von Oliver Sowinksi.
3.2. Die Verantwortung der DRP
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die „Kommunismus-These“ an. Da sie selbst diese Versuche aber für wenig erfolgversprechend hielt, bezeichnete sie beide vorsichtshalber als Narren, die auf „eigene Faust“ gehandelt hätten.131 Um die Legalitätsstrategie nicht zu gefährden, distanzierte sich die Parteiführung in aller Öffentlichkeit demonstrativ von den Kölner Tätern und ihren Taten. Sie wurden aus der Partei ausgeschlossen und der Kölner Verband wegen antisemitischer Tendenzen aufgelöst. Die Parteiführung wiederholte ihre Treuebekenntnisse zum parlamentarisch-demokratischen Weg bei jeder Gelegenheit öffentlich auch jetzt und wurde dennoch international „als Partei des bundesrepublikanischen Antisemitismus wahrgenommen“.132 Diese Wahrnehmung sowie die Ablehnung der Partei ist auch in den Berichten der hier untersuchten Publikationen deutlich nachzuvollziehen. Umstritten blieb dabei aber die direkte Verantwortung der Partei für die Kölner Vorfälle. Einzig der „Deutsche Ostdienst“ argumentierte ohne Abstriche, dass diese nicht der Drahtzieher der antisemitischen Taten sein könne, da sie ohnehin vom Verbot bedroht sei und daher an einer Eskalation der Lage kein Interesse habe.133 „Die Zeit“ hingegen äußerte sich, obwohl sie selbst das nationale Fahrwasser ohne Frage verlassen hatte und mittlerweile um klare Abgrenzung zum Rechtsradikalismus bemüht war, relativ selten zur DRP. Ein Bericht über deren politische Veranstaltungen zeichnete allerdings das Bild einer Partei, deren Abgrenzung zur NSDAP keineswegs eindeutig ist.134 Zudem äußerte sie an gleicher Stelle Verständnis für den Frust der Gegendemonstranten darüber, dass die Polizei die DRP schütze anstatt die Demokratie. Die „Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland“ hingegen fragte, ob „nicht die Ideologie und die gesamte Tätigkeit der DRP in der Vergangenheit wurzele und Grundlage derartiger Verbrechen sei“.135 Der Parteizeitung „Reichsruf “ wurde vorgeworfen, antisemitische Einstellungen zumindest implizit zu verbreiten: „Wer das ‚Horst-Wessel-Lied‘ und alles, was dazu gehört, neu belebt, kann sich nicht wundern, wenn die ‚Parteigenossen‘ […] die ‚Renaissance‘ der NSDAP hundertprozentig zu verwirklichen suchen“.136 Auch in der „Frankfurter Rundschau“ rückte die DRP nach der Kölner Tat in den Fokus und die Zeitung beteiligte sich intensiv an der Diskussion über den Umgang mit der Partei.137 Sie 131 Vgl. Sowinski, S. 245; Taler, Skandal, S. 17. 132 Vgl. Bergmann, Antisemitismus 1990, S. 260. Siehe auch Dudek / Jaschke, Entstehung, S. 207. 133 DOD, Hetze, 11.1.1960, S. 8f. 134 Die Zeit, „Elefanten müßte man haben“, 22.1.1960. 135 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Selbstbesudelung des deutschen Namens, 1.1.1960, S. 4. 136 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Wind, 1.1.1960, S. 5. Zum Reichsruf siehe auch Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Zuviel Kompromisse, 8.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Umfassende Ermittlungen, 8.1.1960, S. 4. 137 Vgl. FR, DRP, 29.12.1959, S. 1; FR, Reif für Verfassungsgericht, 29.12.1959, S. 3; FR, Verbindungen, 30.12.1959, S. 1; FR, Rechte, 31.12.1959, S. 1; FR, Die Lage war damals
132 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) wurde zusammen mit der Ludendorff-Bewegung als „vordergründige Täter“ und deren Distanzierungen als unglaubwürdig bezeichnet.138 Ähnlich argumentierten die Gewerkschaften, die aber bei der Frage nach einer möglichen Koordination durch Rechtsradikale zurückhaltender blieben.139 So wurde die DRP in der Gewerkschaftspresse nicht als Motor der „Schmierwelle“ porträtiert, aber ihre Verantwortung zumindest für die Kölner Tat betont.140 Den „jungen DRP-Leuten [sei] der antisemitische Ungeist von ihren bejahrten Kameraden eingeimpft worden“, lautete der Vorwurf.141 Selbst in der FAZ, die zunächst auf die „Kommunismus-These“ setzte und dann vieles versuchte, um die antisemitischen Taten möglichst zu entpolitisieren, rückte die DRP in den Mittelpunkt.142 Zwar warnte die Zeitung vor voreiligen Schritten, dennoch ließ auch sie zunächst wenig Zweifel daran aufkommen, dass die Partei zumindest abstrakt als Ideengeber im Hintergrund agiert habe.143 Auch ihre politische Nähe zum Nationalsozialismus sowie die persönliche Vergangenheit der Führungskräfte als „alte Kämpfer“ wurden herausgestellt.144 Die viel gefährlicher, 2.1.1960, S. 2; FR, DRP-Verbotsantrag vorbereitet, 5.1.1960, S. 1. 138 Rhetorisch fragte die FR, ob man sich von seinen geistigen Kindern überhaupt distanzieren könne. Vgl. FR, Verfassungsgericht, 29.12.1959, S. 3. An anderer Stelle betonte sie, dass die Kölner Täter in der DRP die geistige Nahrung für ihre Taten bekommen hätten. Vgl. FR, Drachensaat, 2.1.1960, S. 2. Für Informationen zur Ludendorff-Bewegung siehe Bettina Amm, Die Ludendorff-Bewegung. Vom nationalistischen Kampfbund zur völkischen Weltanschauungssekte, Hamburg 2006, für die Zeit nach 1945 speziell S. 266–280. 139 Vgl. Die Quelle 2 (1960), Verurteilt, S. 93; WdA, Was unternahm bisher der Verfassungsschutz, 8.1.1960, S. 1; WdA, Nach dem zwölften Bier, 22.1.1960; abweichend dazu GMH 2 (1960), Innenpolitik, S. 104–108. 140 Die Quelle 1 (1960), Rechtsradikale, S. 1f.; WdA, Die Ursachen, 8.1.1960; WdA, Keine Schonung für Feinde der Demokratie, 8.1.1960; WdA, Antisemitismus, 11.1.1960; WdA, Antisemitismus hat politischen Charakter, 15.1.1960; WdA, Sprechen wir endlich vom richtigen Thema, 22.1.1960. 141 Metall, Schmutzwelle, 13.1.1960, S. 5. Die Welt der Arbeit und die Metall beschäftigten sich eingehender mit der Partei und analysierten deren antisemitisches bzw. nationalsozialistisches Potenzial. Vgl. Metall, Die Seelenfänger der DRP, 13.1.1960, S. 13; WdA, Wenn die Parteikameraden unter sich sind, 8.1.1960; WdA, Cartoon, 11.1.1960. 142 Vgl. FAZ, Verfassungsschutz, 29.12.1959, S. 1; FAZ, Reichspartei, 31.12.1959, S. 1; FAZ, Hart am Rande der Verfassung, 31.12.1959, S. 2; FAZ, Erbin, 6.1.1960, S. 2; FAZ, DRP-Veranstaltungen verboten, 9.1.1960, S. 1; FAZ, Krawall um die Reichspartei, 20.1.1960, S. 3; FAZ, Austritte aus der Reichspartei, 22.1.1960, S. 4. 143 FAZ, Verfassungsschutz, 29.12.1959, S. 1; FAZ, Entschuldigung nicht angenommen, 9.1.1960, S. 3. 144 FAZ, Reichspartei, 31.12.1959, S. 1; FAZ, Rande, 31.12.1959, S. 2; FAZ, Berlin, 6.1.1960, S. 1,4; FAZ, Landesparteitag, 11.1.1960, S. 4; FAZ, Altmeier beschuldigt die Reichspartei, 13.1.1960, S. 3; FAZ, DRP-Kundgebungen verboten, 16.1.1960, S. 4; FAZ, Einstweilige Verfügung gegen Altmeier, 18.1.1960, S. 4; FAZ, Die einstweilige
3.2. Die Verantwortung der DRP
133
DRP versuche dies zwar durch ihre taktische Anpassung und die Vermeidung allzu eindeutiger Aussagen zu verschleiern und habe sich seit ihrer Gründung „bemüht, hart am Rande der Verfassung zu operieren“, dennoch sei sie eine Anlaufstelle für Antisemiten, so das Fazit.145 Auch die Versuche der DRP, sich von den beiden Kölner Tätern zu distanzieren, erschienen der FAZ unglaubwürdig.146 Letztlich erkannten sowohl konservative als auch eher linke Publikationen die DRP zumindest in einer gewissen Verantwortung, vielleicht nicht insgesamt für die Schmierwelle, aber schon eher für die Vorfälle in Köln und insbesondere als Träger und Verbreiter von Antisemitismus. Dennoch beschrieb kaum eine Publikation erhöhte Bedrohungswahrnehmungen. „Die vollen Säle in den Wahlkämpfen“, schrieb beispielsweise die „Frankfurter Rundschau“, „täuschen über die Zahl der Wähler jedesmal hinweg“.147 Auch der bereits erwähnte Bericht der „Zeit“ zeichnet eher das Bild einer chaotischen Versammlung denn das einer organisierten und schlagkräftigen Partei. Bedrohungswahrnehmungen wurden – wenn überhaupt – indirekt durch Vergleiche vorgetragen. So erklärte die jüdische „Allgemeine“ mehrfach, die DRP sei eine rechtsradikale Partei in der Nachfolge der NSDAP.148 Ein anderer Artikel wies darauf hin, dass die aktuelle Marginalisierung der DRP keine Garantie für die Zukunft beinhalte: „Die Partei soll jetzt über etwa 350 Kreisverbände verfügen. Wie gesagt, 1927 war – auch – die NSDAP noch nicht groß“, so die subtile Warnung.149 Sogar die FAZ merkte in diesem Zusammenhang an, dass selbst Hitler vor der Machtübernahme ebenfalls stets seine Verfassungstreue beschworen habe.150 Insgesamt aber fokussierte die FAZ auf die geringe Resonanz der DRP in der Bevölkerung. Sie sei zwar ein Sammlungspunkt für Verlierer der Entnazifizierung und „Wirtschaftswunderjahre“, allerdings dennoch relativ unbedeutend, und habe, außer in Rheinland-Pfalz, keine politischen Erfolge erringen können.151 Sie sei mehr ein „Gegenstand des Verfügung, 19.1.1960, S. 2; FAZ, Die Verfügung gegen Altmeier mißbilligt, 20.1.1960, S. 1. 145 FAZ, Rande, 31.12.1959, S. 2 bzw. FAZ, Uebergriffe, 2.1.1960, S. 3. 146 Zumindest in der Kölner Ortsgruppe habe man wohl vorher von deren Tat gewusst, konstatierte die FAZ. Vgl. FAZ, Verfassungsschutz, 29.12.1959, S. 1; FAZ, Reichspartei, 31.12.1959, S. 1. 147 FR, Lage, 2.1.1960, S. 2. 148 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Anschlag, 1.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Selbstbesudelung, 1.1.1960, S. 4; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Die Schandtat von Köln, 1.1.1960, S. 5; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Wind, 1.1.1960, S. 5; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, DRP siegte vor Gericht, 15.1.1960, S. 2; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Emigrantengruppen mitverantwortlich, 15.1.1960, S. 6; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Kritik an der DRP, 22.1.1960, S. 2. 149 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Reminiszenz, 8.1.1960, S. 5. 150 FAZ, Erbin, 6.1.1960, S. 2; FAZ, Rande, 31.12.1959, S. 2. 151 FAZ, Erbin, 6.1.1960, S. 2.
134 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) Ärgernisses“ und ein „verlorener Haufen“ als eine politische Kraft.152 Vielleicht ist dies der Grund dafür, dass die FAZ selbst einen Leserbrief der DRP veröffentlichte, in dem diese sich erneut zu ihrer Entschuldigung zu der Kölner Tat bekannte.153 Auch von der aufgrund der Mitgliedschaft Paul Schönens in den Fokus gerückten Ludendorff-Bewegung, die als kleine Sekte dargestellt wurde, veröffentlichte die FAZ eine Distanzierung vom Antisemitismus in Form eines Leserbriefes.154 Die Berichterstattung in beiden Fällen unterstützte aber vor allem die These der Zeitung, dass es eine größere organisierte, rechtsradikale Kraft in der Bundesrepublik nicht gebe. Auch der Verfassungsschutz befasste sich schon länger mit der DRP und sammelte Material, welches aber für ein Verbotsverfahren zu keinem Zeitpunkt ausreichte.155 Von einem koordinierten Verfahren von Bund und Ländern ist sie wohl vor allem deshalb verschont geblieben, weil bei den zahlreichen Nachfolge taten keinerlei Verbindung zur Partei nachgewiesen werden konnte. Dennoch sah sich die DRP in dieser Zeit oft mit Versammlungs- und einzelne Funktionäre mit Redeverboten konfrontiert. Einzelne Ausgaben der Parteizeitung wurden beschlagnahmt und speziell die SPD forderte in allen Ländern sowie im Bund, DRP-Mitglieder in der öffentlichen Verwaltung auf ihre demokratische Tauglichkeit hin zu überprüfen.156 Die DRP war zwar keineswegs völlig unschuldig, rückte aber in erster Linie aufgrund ihrer herausragenden Rolle innerhalb des rechtsradikalen Lagers in den Fokus der Debatte.157 Dabei spielte die Forderung nach einem Verbot der Partei eine zentrale Rolle. Mit Verweis auf die vielen inhaltlichen Übereinstimmungen zum Nationalsozialismus ging die FAZ zunächst davon aus, dass ein Verbot der DRP sinnvoll sein könnte.158 Eine klare Kampagne zugunsten eines Parteiverbotes ist aber nicht auszumachen. Die ablehnende Haltung wurde immer deutlicher, je mehr die Zeitung ab der zweiten Januarwoche den unpolitischen Charakter der Vorfälle betonte. Wurde die Frage nun explizit formuliert, hieß es lediglich: „Das bleibt juristisch zu prüfen.“159 Die Zeitung trat auf die Bremse und warnte vor den mitunter schwerwiegenden Folgen. Des Weiteren argumentierte die FAZ, dass die Tatsache, dass viele alte Nazis und „Pgs“ in der Partei seien, nicht gegen sie ver152 FAZ, Infektion, 7.1.1960, S. 1. 153 FAZ, Erwiderung der Reichspartei. (Leserbrief), 9.1.1960, S. 11. Auch an anderer Stelle publizierte die FAZ einen Distanzierungsversuch der DRP vom Antisemitismus kommentarlos. Vgl. FAZ, Verfolgten, 30.12.1959, S. 3. 154 FAZ, Nicht aus der Ludendorff-Bewegung. (Leserbrief), 8.1.1960, S. 8. 155 Vgl. Bergmann, Antisemitismus 1990, S. 261. 156 Vgl. Dudek / Jaschke, Entstehung, S. 269. 157 Vgl. zur Argumentation Bergmann, Antisemitismus 1997, S. 236. 158 Die Verfassungsfeindlichkeit der Partei wurde allerdings an einem lächerlich kleinen Punkt aus dem Parteiprogramm, der Mitwirkung der Bundesländer an der Gesetzgebung, für bewiesen erachtet. Vgl. FAZ, Rande, 31.12.1959, S. 2. 159 FAZ, Infektion, 7.1.1960, S. 1.
3.2. Die Verantwortung der DRP
135
wendet werden könne, weil dies in anderen Parteien nicht anders sei.160 Gleichfalls zweifelte die FAZ, ob bisher überhaupt genug Material gesammelt werden konnte, um einen Verbotsantrag gehaltvoll zu unterfüttern.161 Stelle man einen Verbotsantrag und fiele damit vor dem Bundesverfassungsgericht durch, sei dies im Ergebnis schlimmer, als wenn man gar nichts unternommen hätte, schlussfolgerte sie anschließend. Auffallend wenig fokussierte auch die „Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland“ angesichts ihrer klaren Bevorzugung der „Nazi-Hintermänner-These“ auf die DRP. Sie beschrieb diese zwar mehrfach als rechtsradikale Partei in der Nachfolge der NSDAP, beteiligte sich aber kaum an der Verbotskampagne. Nur vereinzelt finden sich Hinweise, dass sie dies überhaupt als ein erstrebenswertes Ziel betrachtete.162 Während die FAZ allerdings vorsichtig vor einem Verbotsantrag warnte, findet sich dergleichen in der „Allgemeinen“ nicht. Grundlegende Kritik an der „wehrhaften Demokratie“ publizierten beide Zeitungen ohnehin keineswegs. Die Gewerkschaften waren einem Verbot der Partei demgegenüber aufgeschlossener. Der DRP müsse der „Boden für die öffentliche Wirksamkeit entzogen werden“, forderte ein Bericht in den „Gewerkschaftlichen Monatsheften“.163 Dennoch kann auch hier nicht von einer intensiv betriebenen Kampagne gesprochen werden. Während die bisher genannten Akteure ein Verbot zwar entweder grundsätzlich begrüßten, es dabei aber nicht durch ihre eigene Darstellung intensiv forderten oder sogar Zweifel an der Sinnhaftigkeit – nicht aber der Legitimität – formulierten, war es vor allem die „Frankfurter Rundschau“, die sich entsprechend engagierte. In der Verbotsdiskussion bezüglich der DRP agierte die Zeitung teilweise in der Rolle eines Advokaten und fragte provokant: „Wenn die KPD in der Bundesrepublik verfassungsfeindlich war und verboten werden mußte – was ist dann die DRP?“164 Die Antwort war eindeutig: „Die DRP ist heute, was den inneren Gehalt ihrer Politik betrifft, die Nachfolgeorganisation der NSDAP.“165 Deren taktische Anpassung war daher ebenso immer wieder ein The-
160 FAZ, Rande, 31.12.1959, S. 2. 161 FAZ, Verfassungsschutz, 29.12.1959, S. 1. 162 So kann man mehrfach zwischen den Zeilen lesen, dass die Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland die DRP als einen wichtigen Akteur im Hintergrund der „Schmierwelle“ wertete. Vgl. Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Schandtat, 1.1.1960, S. 5; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Vergangenheit, 8.1.1960, S. 3; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Empörung, 8.1.1960, S. 3f.; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Ermittlungen, 8.1.1960, S. 4; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Reminiszenz, 8.1.1960, S. 5. 163 GMH 2 (1960), Maßnahmen, S. 492. 164 FR, Verfassungsgericht, 29.12.1959, S. 3. Vgl. auch FR, Welt, 9.1.1960, S. 3; FR, Ziele und Verhalten, 11.1.1960, S. 3. 165 FR, Drachensaat, 2.1.1960, S. 2.
136 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) ma wie die NS- oder SRP-Vergangenheit vieler Mitglieder und Führungskräfte.166 Auch den Ausführungen zu Versammlungsverboten gegen die DRP stellte die FR keine kritischen Stimmen entgegen und offenbarte derart die eigene Unterstützung. Restlos überzeugt von der Stabilität der Bundesrepublik war die FR nach wie vor nicht. In den Wahlniederlagen rechtsradikaler Parteien seit 1952 und dem Verbot der SRP erkannte sie höchstens temporär beruhigende Zwischenschritte. Einem DRP-Verbotsverfahren war die FR daher grundsätzlich positiv gegenüber eingestellt. Doch letztlich finden sich ausgerechnet in dieser Publikation sogar Zweifel an der Legitimität eines Verbotes, schließlich stelle die DRP keine machtpolitische Gefahr dar.167 Darüber hinaus wurde nicht ignoriert, dass das Verbot einer Partei aufgrund deren herausgehobener Rolle im Grundgesetz problematisch sein kann: „Das Verbot einer Partei schaffe eine Konfliktlage“, erklärte ein Kommentar und ergänzte: „Zumindest theoretisch besteht ein Widerspruch zwischen dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung und dem staatlichen Eingriff, mit dem eine Partei aus dem politischen Leben ausgeschaltet wird.“168 Im Gegensatz zu den Publikationen, die ein Verbot der DRP gerade nicht anstrebten, artikulierte die FR hier ihr Bewusstsein für das demokratische Dilemma und ergänzte im gleichen Artikel, dass besonders die Beweisführung sehr schwer sei. Grundlegende Zweifel bezüglich eines DRP-Verbotes fanden sich dann aber doch nur anhand der Frage, ob es taktisch klug wäre, der Partei die Verfassungsfeindlichkeit nachzuweisen.169 Die Berichterstattung erweckt insgesamt den Eindruck, als hätte die FR sich am liebsten direkt an der Materialsammlung für ein Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht beteiligt. Trotz deren Irrelevanz verhinderte der fehlende Glaube an die Demokratisierung und die daher ausgeprägte Sicherheitsorientierung der Zeitung einen toleranteren Umgang mit der DRP. Auch anhand der immer wieder positiven Darstellung der entschiedenen Reaktionen in West-Berlin zeigte sich die Sicherheitsorientierung der FR.170 Der Berliner Senat habe sofort „energische Maßnahmen eingeleitet“ und wollte, laut Berliner Innensenator Joachim Lipschitz, neben administrativen Maßnahmen den „Neofaschismus an der Wurzel packen“.171 Deutlich positionierte sich die FR zudem für starre Grenzen der Sagbarkeit.172 Zwar gehöre der Pluralismus zum 166 FR, Verfassungsgericht, 29.12.1959, S. 3; FR, Lage, 2.1.1960, S. 2; FR, Drachensaat, 2.1.1960, S. 2. 167 FR, Lage, 2.1.1960, S. 2. 168 FR, Ziele, 11.1.1960, S. 3. 169 FR, Lage, 2.1.1960, S. 2; FR, DRP-Verbotsantrag, 5.1.1960, S. 1. 170 Vgl. z. B. FR, Angestellte, 14.1.1960, S. 1f.; FR, Bundesregierung, 15.1.1960, S. 1; FR, Washington, 16.1.1960, S. 3; FR, Kundgebung, 19.1.1960, S. 1. 171 FR, Vorfälle in West-Berlin alarmieren Senat, 5.1.1960, S. 1; FR, Berliner Senat greift durch, 6.1.1960, S. 1. 172 Zu diesem Begriff siehe Achim Landwehr, Geschichte des Sagbaren. Einführung in die historische Diskursanalyse, Tübingen 2001.
3.2. Die Verantwortung der DRP
137
Wesen einer parlamentarischen Demokratie, aber alle „politischen Parteien müssen bestimmte absolute Werte anerkennen und sie gemeinsam verteidigen“.173 Da insbesondere auch rechtsradikale Propaganda im Vergleich zu Aktivitäten einzelner rechtsradikaler Gruppen als wesentlich gefährlicher eingeschätzt wurde, finden sich vereinzelt auch Forderungen, die Pressefreiheit einzuschränken, um rechtsradikale Meinungsverbreitung und Indoktrination vor allem von Jugendlichen zu erschweren.174 Bezogen auf Berlin veröffentlichte die „Frankfurter Rundschau“ zudem die Entscheidung, nicht nur rechtsradikale Studenten von den Universitäten zu relegieren, sondern auch Schüler von deren Schulen zu verweisen, ohne Kritik.175 Hier fordert die Zeitung auch administrative Schritte gegen den Bund Nationaler Studenten. Insofern erkannte die FR einerseits durchaus die demokratietheoretisch problematischen Aspekte administrativer Sicherheitspolitik gegen den Rechtsradikalismus, andererseits waren diese eindeutig nachrangig und sollten die restriktive Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus nicht untergraben. Ganz eindeutig war freiheitseinschränkende Sicherheitspolitik hier gleichzeitig freiheitsbewahrender Demokratieschutz. Für die FR bestand höchstens theoretisch ein Widerspruch, in der Realität der Bundesrepublik war das Streben nach Sicherheit die legitime Voraussetzung für Demokratie und Freiheit. Besonders drastisch war die Auseinandersetzung mit der Deutschen Reichspartei in Rheinland-Pfalz. Erst 1957 konnte hier überhaupt ein Landesverband aufgebaut werden, der allerdings auf Grund lokaler ökonomischer Probleme schnell Unterstützung fand und bei der Landtagswahl 1959 mit 5,1 Prozent die Sperrklausel überspringen konnte.176 Besonders dem nach der Wahl einzigen Abgeordneten der Partei im Landtag, der zugleich als Landesvorsitzender fungierte, wurde in der FR vorgeworfen, die Wiederherstellung des Nationalsozialismus als politisches Ziel benannt zu haben.177 Nur dieser Landesverband wurde letztlich als Nachfolgeorganisation der SRP am 27. Januar 1960 verboten, eine Einschätzung, die Oliver Sowinski in seiner Studie als unhaltbar kritisiert.178 Ohne173 FR, Ziele, 11.1.1960, S. 3. 174 FR, Nicht die Zahl bildet eine Gefahr, 16.1.1960, S. 3; FR, DRP, 29.12.1959, S. 1; FR, Bonn, 4.1.1960, S. 1; FR, Welt, 9.1.1960, S. 3. 175 FR, West-Berlin, 5.1.1960, S. 3; FR, Senat, 6.1.1960, S. 1. 176 Für Details siehe Sowinski, S. 83; Stöss, Rechtsextremismus 2000, S. 131. 177 FR, Mainz nimmt DRP unter die Lupe, 12.1.1960, S. 1; FR, Bundestag, 13.1.1960, S. 1. Eine einstweilige Verfügung, dass Ministerpräsident Dr. Altmeier von der CDU derartige Unterstellungen zu unterlassen habe, war für die FR ein politischer Skandal und wurde als „Weltfremdheit“ empfunden. Vgl. FR, Demokratisches Schattenboxen, 20.1.1960, S. 3. 178 So gehörte die DRP zunächst nicht zur NS-Tradition des Rechtsradikalismus, sondern eher zum national-konservativen Flügel bzw. alten Nationalismus. Weil nach dem SRP-Verbot ehemalige Reichsparteimitglieder integriert wurden, konstatiert Sowinski für die zweite Hälfte der fünfziger Jahre „starke ideologische NS-Einflüsse“ und antisemitische Einstellungen, die aber aufgrund der Anpassung an die bundes-
138 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) hin wurde das Verbot der Landespartei in Rheinland-Pfalz wenig später wieder aufgehoben. Die Einordnung der beiden Kölner Täter als jugendliche „Flegel“, die die Partei offensiv betrieb, deckte sich mit den Bagatellisierungsversuchen durch die Bundespolitik – was sich zu einem Glücksfall für die DRP entwickelte.179 Dennoch unterstützten die hier untersuchten Akteure das regionale Verbot. So erörterte „Die Zeit“ die Frage, ob die DRP eine Nachfolgeorganisation der SRP sei, und kam zu einem positiven Ergebnis: Schließlich fände sich in der DRP wie auch in der SRP und der NSDAP nationalsozialistisches Gedankengut, welches den Verbotsbeschluss als Nachfolgeorganisation rechtfertige.180 Auch die FR nannte den Verbotsbeschluss „wohlbegründet“ und ließ keine Zweifel an ihrer Zustimmung zu dieser Maßnahme zu.181 Während die „Allgemeine“ zu Bedenken gab, dass die DRP, da sie auf Bundesebene kein Verbot mehr zu befürchten habe, bald einen neuen Landesverband aufbauen werde, der sich nicht in so hohem Maße auf alte SRP-Funktionäre stützen werde,182 betonte die FAZ zwar die Legitimität und Sinnhaftigkeit des Beschlusses, warnte aber parallel vor sicherheitspolitischen Schnellschüssen: „Es ist wichtig, daß Feinden des mühsam und nach großen Opfern an Gut und Leben zurückgewonnenen freiheitlichen Rechtsstaates keine ernsthafte Gelegenheit gegeben wird, das ganze Volk aufs neue ins Unglück zu stürzen. Die Demokratie muß hart zuschlagen können. Aber es ist ebenso wichtig, daß vor den Gerichten peinlich genau bewiesen wird, daß ein solcher Schlag zu Recht geführt wurde.“183
Von einer allgemeinen Kampagne nicht-staatlicher Akteure für ein Verbot der DRP kann keine Rede sein. Zwar blieben Meinungsäußerungen gegen ein derart restriktives Vorgehen in der Minderheit, waren aber durchaus vorhanden. Zudem bedeutet eine positive Haltung zum Verbotsantrag in Bezug auf die DRP auf Landesebene nicht zwangsläufig ein entschiedenes Trommeln für diese Maßnahme auf Bundesebene. Ohnehin ist in jedem Fall von einem Mischumgang auszugehen, da kein Akteur einzig auf die restriktiven Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ setzte, sondern ergänzend auch alternative Umgangsformen forderte, ohne die ein Verbot der DRP wirkungslos bleiben würde. So fällt zum Beispiel die Zweitrangigkeit der Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ in deutschen Diskursregeln nur „unterirdisch“ wirkten. Vgl. Sowinski, S. 9f., 214f., 230, 246. Siehe auch Stöss, Rechte, S. 107. 179 Vgl. zur Argumentation Sowinski, S. 245. 180 Die Zeit, Der radikale Konditor, 5.2.1960. 181 FR, Die Kriminalpolizei kam um acht Uhr in der Frühe, 29.1.1960, S. 3; FR, Mainz verbietet die DRP, 28.1.1960, S. 1. 182 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, DRP in Rheinland-Pfalz verboten, 5.2.1960, S. 4. 183 FAZ, Vollstreckung, 28.1.1960, S. 1. Siehe auch FAZ, Die Deutsche Reichspartei in Rheinland-Pfalz aufgelöst, 28.1.1960, S. 1.
3.2. Die Verantwortung der DRP
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der jüdischen „Allgemeinen“ auf. Erst der Blick auf die geforderten Reaktionsmöglichkeiten zeigt, wo diese Wochenzeitung die eigentlichen Ursachen der „Schmierwelle“ verortete. Regelmäßig kritisierte sie nämlich, dass die Entnazifizierung nur inkonsequent durchgeführt worden sei und anschließend sogar eine Renazifizierung von Politik, Verwaltung, Behörden und Ausbildungsstätten stattgefunden habe.184 Für entscheidend hielt die „Allgemeine“ zudem deutliche Verbesserungen im Bildungswesen sowie eine umfassendere Aufklärung über die NS-Zeit und ihre Verbrechen in allen Ausbildungsbereichen.185 Kurzfristig sollten eine konsequente Bestrafung der Täter sowie das Aufzeigen klarer diskursiver und rechtlicher Grenzen die „Schmierwelle“ eindämmen, aber letztlich sei die jüngste Geschichte in den Schulen massiv vernachlässigt worden: „[I]ch höre nicht auf, daran zu glauben, daß, wenn diese nachzuholende Erziehungspolitik durchgeführt wird, sich der größte Teil des deutschen Volkes mit aller Entschlossenheit gegen eine Renaissance des Bösen wenden wird und daß die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes nach dieser Aufklärung dann auch vollauf versteht, daß gegen die Unbelehrbaren [...] eine Einheitsfront notwendig ist.“186
Da der Gedanke reifte, dass man Jugendlichen oder gar Kindern trotz des Wunsches nach harter Reaktion nicht einfach mit dem Strafrecht beikommen kann, rückte das Bildungssystem in den Fokus und wurde zum Ziel scharfer Kritik, als der Druck aus dem Ausland nach klarer Abgrenzung und harten Sanktionen seit Mitte Januar langsam nachließ.187 Ab Mitte Januar 1960 tauchte auch in der Gewerkschaftspresse vermehrt die Forderung nach einem besonderen Fokus auf Bildung auf, aber eine ausgesprochene Kampagne in diesem Sinne ist nicht festzustellen. Bildung und Erziehung wurden hier lediglich als ergänzende Um184 So seien die meisten der älteren West-Berliner Lehrer Mitglieder der NSDAP gewesen und erst durch das „131er“-Gesetz wieder in die Schulen gekommen. Die Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland zitierte einen Berliner Landesschulrat, der klagte, dass diese Lehrer „uns besser erspart worden wären“. Vgl. Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Praeceptor Germaniea, 15.1.1960, S. 2. 185 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Selbstbesudelung, 1.1.1960, S. 4; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Pflicht zur Aktion, 15.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Eindrücke von einer Deutschlandreise, 29.1.1960, S. 6. 186 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Brief, 22.1.1960, S. 1. Siehe auch Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Praeceptor, 15.1.1960, S. 2; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Maßnahmen, 15.1.1960, S. 3; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Gegenaktionen im Ausland, 15.1.1960, S. 6; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Wachsender Widerstand gegen NS-Geist, 22.1.1960, S. 3; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Gefahr, 29.1.1960, S. 2; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Eindrücke, 29.1.1960, S. 6. 187 Vgl. Bergmann, Antisemitismus 1990, S. 268; Conze, Suche, S. 252; Dudek / Jaschke, S. 266f.; Wolfrum, Waffe, S. 110f.
140 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) gangsform erwähnt.188 Die „Frankfurter Rundschau“ beschrieb schon deutlich früher vor allem die Versäumnisse der älteren Generation in der demokratischen Prägung der Jugend. Diese „schweren Unterlassungssünden“ müssten nun durch Taten gesühnt werden, um an den Kern des Problems zu gelangen.189 In der Folge betrieb auch die FR eine Problematisierungskampagne bezüglich NS-belasteter Lehrer in den Schulen, da diese „ihre pädagogische und moralische Pflicht nicht erfüllt hätten“.190 Allein die Tatsache, dass belastetes pädagogisches Personal eingesetzt werde, habe vielen Jugendlichen als Beweis dafür gedient, dass die NS-Jahre doch nicht allzu schlimm gewesen sein könnten.191 Solange derartige Lehrer weiterhin unterrichten dürften, müsse man sich nicht wundern, wenn antisemitische und nationalsozialistische Vorstellungen weiter Verbreitung fänden. Provokant fragte die Zeitung, was denn eigentlich noch alles geschehen müsse, bevor endlich was passiere?192 Wie schon die „Allgemeine“ beklagte auch die FR eklatante Wissenslücken junger Deutscher über den Nationalsozialismus und speziell die Verbrechen.193 Die Elternhäuser würden die Thematik weitestgehend beschweigen194 und viele Ältere den Jungen Geschichten über die „gute alte Zeit“ sowie über die angeblich positiven Seiten der Hitlerjahre berichten. Dies alles zusammen zeige „die exakte, dumpfe Wirklichkeit eines deutschen Zustandes von heute“ auf, polemisierte ein Kommentar.195 Abgedruckte Leserbriefe unterfütterten diesen Befund mit anschaulichen Beispielen.196 Klassische Instrumente der „wehrhaften Demokratie“, so die FR, müssten daher sinnvoll um pädagogische
188 GMH 2 (1960), Innenpolitik, S. 104–108; GMH 5 (1960), Erwachsenenbildung, S. 304–306; Metall, Schmutzwelle, 13.1.1960, S. 5; Metall, Schmutzwelle, 27.1.1960, S. 2; WdA, Verfassungsschutz, 8.1.1960, S. 1; WdA, Thema, 22.1.1960; WdA, Bier, 22.1.1960. 189 FR, Aufstand, 9.1.1960, S. 3. Siehe auch FR, Senat, 6.1.1960, S. 1; FR, Welt, 9.1.1960, S. 3; FR, Bürger, 12.1.1960, S. 4. 190 FR, Vergangenheit, 4.1.1960, S. 1. So auch FR, Drachensaat, 2.1.1960, S. 2; FR, West-Berlin, 5.1.1960, S. 3; FR, Aufstand, 9.1.1960, S. 3; FR, Welt, 9.1.1960, S. 3; FR, Schütte. Lehrer dürfen die Hitler-Zeit nicht verschweigen, 22.1.1960, S. 1. Auch aus den in der FR abgedruckten Leserbriefen geht dies als zentraler Aspekt der Ursachenforschung hervor. Vgl. FR, Freie Aussprache, 7.1.1960, S. 2; 13.1.1960, S. 2; 23.1.1960, S. 2. 191 FR, Gespenster, 4.1.1960, S. 3. 192 FR, Aufstand, 9.1.1960, S. 3. 193 FR, Schweigen, 11.1.1960, S. 3; FR, Bürger, 12.1.1960, S. 4; FR, Hakenkreuze, 14.1.1960, S. 4; FR, Mehr Zeitgeschichte an den Schulen, 16.1.1960, S. 3; FR, Kräfte gegen Antisemitismus stärken, 23.1.1960, S. 6. 194 FR, West-Berlin, 5.1.1960, S. 3; FR, Aufstand, 9.1.1960, S. 3; FR, Schweigen, 11.1.1960, S. 3; FR, Schütte, 22.1.1960, S. 1; FR, Goldmann sieht keine aktuelle Gefahr, 25.1.1960, S. 1. 195 FR, Gespenster, 4.1.1960, S. 3. 196 FR, Freie Aussprache, 12.1.1960, S. 2.
3.2. Die Verantwortung der DRP
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und erzieherische Konzepte ergänzt werden.197 In dieser Verbindung sah die Zeitung die wichtigste Voraussetzung für eine dauerhafte Abkehr der Bevölkerung von nationalsozialistischen Vorstellungen.198 Mitte Januar informierte auch die FAZ über die „pädagogische Bilanz“ der Berliner Schulverwaltung und veröffentlichte einen Kommentar zur „Zeitgeschichte“.199 Hier wurde moniert, dass das Interesse an zeitgeschichtlicher und staatspolitischer Bildung immer stärker werde, das tatsächliche Wissen über die Vergangenheit aber katastrophal sei. Es scheine fast so, „als ob [die Jugendlichen] überhaupt keinen Geschichtsunterricht gehabt hätten.“200 Die Erziehung der Jugend gegen Rassenwahn und Verhetzung sei allerdings entscheidend für das Gelingen der Demokratie.201 Auch die FAZ machte als Hauptgrund für das Unwissen bezüglich zeitgeschichtlicher Fragen die hohe Zahl der „131er“ unter den Lehrern aus.202 Auffällig ist insgesamt dennoch die geringe Bedeutung, die nicht nur die FAZ dem Bildungsaspekt zumaß. Dies steht in einem gewissen Widerspruch zu der vielfach in der Forschung ausgemachten ausgewiesenen Relevanz dieses Aspektes während der Debatte.203 Diese ist, einmal abgesehen von einzelnen Berichten in der jüdischen „Allgemeinen“, im Untersuchungszeitraum lediglich für die „Zeit“ feststellbar. Nur hier wird in der Berichterstattung wiederholt primär auf die schlechte Qualität der schulischen Bildung speziell mit Blick auf die NS-Vergangenheit und die Zeitgeschichte hingewiesen und dieser Themenkomplex in den Mittelpunkt gestellt. Bereits der erste Meinungsbeitrag des Generalsekretärs des Zentralrats der Juden, Hendrik G. van Dam, forderte „ein Unterrichts Ministerium des Bundes [sic]“ da der Gesetzgeber allein „kein zuverlässiger Garant für die Beschleunigung des inneren Prozesses staatsbürgerlicher Reife“ sei. Ein weiterer Artikel beschrieb das Unbehagen ob der harten Strafen, denn den in der Wahrnehmung der „Zeit“ oftmals „jungen, primitiven Menschen“ hätte man womöglich „eine solche Abstempelung fürs Leben ersparen können, wenn man sie rechtzeitig, schon in der Schule über die furchtbaren Geschehnisse im Hitlerreich aufgeklärt hätte“.204 So sei gerade das Entfernen von neonazistischen Jugendlichen aus den Schulen ein Schritt in die falsche Rich197 FR, DRP-Verbotsantrag, 5.1.1960, S. 1. 198 FR, Schütte, 6.1.1960, S. 2. Zu diesbezüglich ersten Erfolgen siehe FR, Zeitgeschichte, 16.1.1960, S. 3. 199 FAZ, Lehrer, die der Schule besser erspart geblieben wären, 11.1.1960, S. 2; FAZ, Zeitgeschichte, 16.1.1960, S. 1. 200 FAZ, Lehrer, 11.1.1960, S. 2. So auch FAZ, Unfug, 14.1.1960, S. 9; FAZ, Dibelius in Coventry, 18.1.1960, S. 1. 201 FAZ, Zeitgeschichte, 16.1.1960, S. 1; FAZ, Goldmann, 22.1.1960, S. 1; FAZ, Sozialdemokraten, 23.1.1960, S. 3; FAZ, Schütte, 22.1.1960, S. 4. 202 FAZ, Lehrer, 11.1.1960, S. 2. 203 Vgl. zum Beispiel Bergmann, Antisemitismus 1990, S. 262–268. 204 Die Zeit, ,,Weil wir in die Zeitung kommen...“, 15.1.1960.
142 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) tung.205 Auffällig ist aber, dass „Die Zeit“, anders als die „Allgemeine“ und die FR, gerade nicht die Lehrer kritisierte. Schließlich seien nur ganz wenige unwillig, die NS-Jahre im Unterricht zu behandeln. Das größere Problem sei, dass ihnen kaum brauchbare Studien und wissenschaftliches Material zur Verfügung stünden, um den Unterricht zu planen. Selbst dort, wo die Lehrkräfte motiviert wären, mangele es an Infrastruktur.206 Während der Themenbereich „Bildung“ insofern in der nicht-staatlichen Perspektive im Untersuchungszeitraum nur teilweise eine zentrale Rolle spielte, entwickelte sich dieser immer mehr zum Mittelpunkt der legislativen und exe kutiven Aktivitäten. Die Kultusministerkonferenz der Länder verabschiedete bereits im Februar 1960 überarbeitete Richtlinien für den Geschichtsunterricht, in denen vor allem die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus betont und die Aufklärungsmaßnahmen über den Holocaust intensiviert wurden. Die Bekämpfung des Antisemitismus entwickelte sich hier zur „pädagogischen Aufgabe Nr. 1“, analysierte Andreas Bergmann Jahrzehnte später.207 Mit Bergmann ist die Verschiebung von juristischen zu pädagogischen Maßnahmen ein Versuch zur „Problemgeneralisierung“, um von zielgenauen, konkreten Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Gruppen abzulenken: „Das Problem wird so vom politischen auf das Erziehungssystem verschoben, dem ein Teil der Versäumnisse aufgebürdet werden.“208 Die Fokussierung auf Erziehung und Bildung half den ideologischen Hintergrund der Taten verblassen zu lassen und war insofern eng mit der Verharmlosungsstrategie verbunden. Eine positivere Deutung dieser Verschiebung fokussiert hingegen vor allem auf die durchaus nachhaltigere Wirkung von Verbesserungen im Bildungssystem. Die Diskussion konzentrierte sich insofern auch auf die NS-Belastung der Erziehungsinstitutionen. Das Problem der viel weitergehenden Renazifizierung der Gesellschaft – besonders umstritten waren die prominenten Fälle Hans Globke und Theodor Oberländer209 – wurde dagegen teilweise verdrängt. Die Verknüp205 Die Zeit, Überzeugen, 15.1.1960. 206 Genannt werden vor allem die mangelnde Aktualität bzw. die ungenügende Quantität der Schulbücher. Vgl. Die Zeit, Handwerkszeug für Lehrer, 15.1.1960; Die Zeit, Wird der Geschichtsunterricht besser?, 15.1.1960. 207 Vgl. Bergmann, Antisemitismus 1990, S. 268f. Es folgte der Ausbau der Politikwissenschaften an den Universitäten und die Einführung der politischen Schulfächer (je nach Bundesland Sozialkunde, Politik oder Gemeinschaftskunde). Hier zeigt sich deutlich, dass Bildung nun die Aufgabe zugewiesen bekam, demokratisches Bewusstsein in den Köpfen der Menschen zu verankern. Auch im Umbau der Bundeszentrale für Heimatdienst zur Bundeszentrale für politische Bildung wurde dieser Wandel deutlich. Parallel reifte das Bewusstsein, dass die Tötungslager der NS-Jahre, die bisher kaum beachtet wurden, in den Fokus rücken und zu Erinnerungsorten aufgebaut werden müssen. Vgl. Botsch, S. 41; Wolfrum, Waffe, S. 110f. 208 Bergmann, Antisemitismus 1990, S. 270. 209 Globke war Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassegesetze und in der Bundesrepublik von 1953 bis 1963 Chef des Bundeskanzleramts. Oberländer, „Ost-
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fung beider Themen hatte der Problematik eine noch grundlegendere Bedeutung gegeben und sie ganz unmittelbar in den gesamtgesellschaftlichen Umgang mit dem Nationalsozialismus überführt. Für die nicht-staatlichen Akteure spielte dabei auch stets die – bis heute aktuelle – Frage nach strikter Abgrenzung vor allem konservativer Parteien und Individuen, aber letztlich auch der gesamten Gesellschaft zum Rechtsradikalismus eine entscheidende Rolle. So nutzte die Gewerkschaftspresse die „Schmierwelle“, um erneut auf die zu weitgehende Toleranz staatlicher Institutionen gegenüber dem Rechtsradikalismus hinzuweisen. Diese hätten „bisher gegenüber diesen Feinden der Demokratie eine gefährliche […] Nachsicht an den Tag gelegt“.210 Die fehlende Abgrenzung nach rechts, sei es mit dem Ziel der Integration im Sinne der Vergangenheitspolitik, habe sich zu einem großen Problem entwickelt. Zu schnell sei man bereit gewesen, Antikommunisten – unabhängig von einer potenziell rechtsradikalen Einstellung – als Demokraten zu deklarieren. Dies sei auch eine Folge der ausschließlichen Fixierung auf die vermeintlich viel größere kommunistische Gefahr.211 Nun sei es zur Selbstreinigung und mit Rücksicht auf die Außenwirkung notwendig, führende Bonner Köpfe mit NS-Vergangenheit – speziell Globke und Oberländer – aus ihren Ämtern zu entfernen.212 Die konsequente Entnazifizierung der unteren Verwaltungsebene, vor allem der Polizei und der Justiz, sei auch heute noch eine wichtige Maßnahme, so der Tenor. Dies wäre nicht nur auf einer symbolischen Ebene weit einschneidender als jegliche Versicherung, dass der gesamte Staat solidarisch hinter der jüdischen Bevölkerung stehe, und zugleich wesentlich effektvoller als jede Strafverschärfung. Die vorhandenen Ahndungsmöglichkeiten seien ausreichend gegen die „Feinde der Demokratie […] wenn nur alle Angehörigen der Exekutive und der Rechtsprechung es wirklich wollen“.213 Diese Ausführungen sind dann wohl der Grund, warum die Bildungsfrage und auch die Forderung nach einem Verbot der DRP nicht zu dominant in der gewerkschaftlichen Berichterstattung auftauchten. Die Entfernung zweifelhafter Demokraten wurde zumindest in die Öffentlichkeit als wesentlich dringendere Maßnahme kommuniziert. Deutlich zeigt sich, dass die Vergangenheitspolitik mittlerweile kritisch gesehen wurde. Die Gewerkschaftspresse erlaubte sich stärkere Kritik an den gesellschaftlichen Grundlagen als noch zu Beginn der fünfziger Jahre. forscher“ sowie SA- und NSDAP-Mitglied seit dem 1. Mai 1933, war von 1953 bis 1960 Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte. 210 Die Quelle 1 (1960), Rechtsradikale, S. 1f.; GMH 2 (1960), Maßnahmen, S. 108; WdA, Schonung, 8.1.1960. 211 GMH 2 (1960), Innenpolitik, S. 105; WdA, Thema, 22.1.1960. 212 GMH 2 (1960), Innenpolitik, S. 104–108; Metall, Schmutzwelle, 13.1.1960, S. 5; Metall, Schmutzwelle, 27.1.1960, S. 2; Metall, Rassenhaß, 27.1.1960, S. 14. Siehe auch den Cartoon in der WdA vom 8.1.1960. 213 GMH 2 (1960), Innenpolitik, S. 107. So auch Metall, Schmutzwelle, 27.1.1960, S. 2; WdA, Bier, 22.1.1960.
144 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) Auch die „Allgemeine“ erkannte Bedrohungspotenziale vor allem in der fehlenden Abgrenzung zum Rechtsradikalismus. Auf politischer Ebene sei die Unterwanderung demokratischer Institutionen mit Rechtsradikalen schließlich deutlich gefährlicher als deren direkte Aktionsmöglichkeiten, führte sie aus.214 Diesbezügliche Verbesserungen waren das wohl wichtigste Anliegen der Zeitung zu Beginn der sechziger Jahre: „Nur eine saubere Innenpolitik“, so der Vorsitzende des Zentralrates der Juden, Heinz Galinski, in einem Gastbeitrag, „kann zu einer Bereinigung der unbewältigten Vergangenheit […] führen.“215 Entscheidend sei die eindeutige Distanzierung von rechten Einstellungen und Deutungsmustern. Schließlich habe man in der Weimarer Republik erfahren müssen, dass einem Kompromiss stets ein weiterer folge: „Der gesamte Apparat des Staates, Regierung, Gesetzgebung, Verwaltung und Justiz, Schulen und Universitäten und nicht zuletzt Verteidigung und Polizei, muss vom gleichen demokratischen Geist beherrscht sein, der keine Kompromisse mit der Vergangenheit des Dritten Reiches kennt und nicht zu dem Zugeständnis neigt, daß die Machthaber des zweiten Weltkrieges in dem einen oder anderen Punkt doch Recht gehabt hätten.“216
Die Nachrangigkeit eines Umgangs im Rahmen der „wehrhaften Demokratie“ war insofern konsequent, als die „Allgemeine“ die gefassten Jugendlichen, wie im ersten Abschnitt bereits erwähnt, in den meisten Fällen nicht als die eigentlichen Täter ansah. Sie seien vielmehr zu diesen Taten durch selten genauer definierte Hintermänner angestiftet worden. Eine zweite Entnazifizierung wurde in der „Allgemeinen“ daher als unerlässlich für die ebenfalls geforderte weitere Demokratisierung angesehen. Auch die „Frankfurter Rundschau“ verband den Kampf gegen den Rechtsradikalismus am Beginn der sechziger Jahre mit dem Ziel, die Gesellschaft auf einen demokratischen Kurs einzuschwören. Dementsprechend kritisierte sie, dass die demokratische Auseinandersetzung durch Kampfbegriffe ersetzt würde. 214 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Pflicht, 15.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Praeceptor, 15.1.1960, S. 2; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Eindrücke, 29.1.1960, S. 6. 215 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Energische Maßnahmen gefordert, 1.1.1960, S. 1. Siehe auch Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Selbstbesudelung, 1.1.1960, S. 4; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Mut, 8.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Pflicht, 15.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Emigrantengruppen, 15.1.1960, S. 6; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Brief, 22.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Einheitlichkeit der Willensbildung, 29.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Eindrücke, 29.1.1960, S. 6. 216 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Mut, 8.1.1960, S. 1. Siehe auch Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Kompromisse, 8.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Brief, 22.1.1960, S. 1.
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Wie sollte die Bevölkerung sich gegen den Rechtsradikalismus erheben, „wenn der Kanzler die Sozialdemokraten Kommunisten nennt, die Sozialdemokraten wiederum fruchtlos und sehr oft halbherzige Anklagen gegen die Nazis in der CDU, gegen den BHE, gegen die FDP und die alle wiederum gegenseitig Anklagen gegen die anderen erheben?“217 Man müsse die parteitaktischen Spielchen beenden und das deutsche Volk würde sich in seiner Mehrheit eindeutig gegen den Neonazismus stellen. Ohne eine grundlegende Veränderung der politischen Kultur und ein gemeinsames Vorgehen aller Demokraten gegen den Rechtsradikalismus könne deren weitere Vergiftung allerdings nicht verhindert werden, so das Fazit des Artikels. Fast meint man im obigen Zitat die Empörung darüber zu fühlen, dass das deutsche Volk trotz derartiger Skandale auffällig lethargisch blieb. Hier zeigt sich, dass die FR danach strebte, die politische Kultur zu verändern, da eine „wehrhafte Demokratie“ ohne grundlegende Demokratisierung und klare diskursive Regeln kaum nachhaltig sein könne. Die Bundesrepublik und insbesondere die verantwortlichen Parteien hätten sich den alten Nationalsozialisten viel zu tolerant gegenüber gezeigt: „[Doch] man kann nicht mit Faschisten gegen Kommunisten kämpfen! Mit den Kommunisten werden wir fertig – aber erst dann, wenn wir ihnen eine echte Freiheit mit einer von Faschisten gereinigten Ordnung entgegensetzen können. Erst wenn die Bundesregierung dieses Prinzip in voller Konsequenz begriffen hat, werden wir für das Ausland wirklich glaubwürdig sein.“218
Gerade der Antikommunismus habe sich in der Bundesrepublik zu einem hervorragenden Instrument zur Integration der Nationalsozialisten unter Beibehaltung alter Feindbilder erwiesen, problematisierte die FR anschließend und wies darauf hin, dass dies in Zeiten der Wiederbewaffnung noch heikler werde.219 Auch die FR nutzte die „Schmierwelle“ dazu, um erneut eine Kampagne gegen NS-belastete Personen in den höchsten Ämtern der Politik zu starten: „Solange Oberländer Minister sei […] so lange ermangelten alle die Schmierereien verurteilenden Stellungnahmen der Bundesregierung der Glaubwürdigkeit“, kritisierte sie deutlich.220 Die Zeitung erkannte die erneute Chance, die ungeliebten alten Nationalsozialisten endlich loszuwerden. Von einer zweiten, diesmal kon217 FR, Welt, 9.1.1960, S. 3. 218 FR, Gespenster, 4.1.1960, S. 3. 219 Trotz des Verweises auf die Funktion des Antikommunismus behauptete die FR hier, dass zwischen Rechts- und Linksradikalen im politischen Raum kein Unterschied sei. Deutlich zeigt sich hier die totalitaristische Verknüpfung beider Themenkomplexe, die aber ansonsten keine Rolle spielte. Vgl. FR, Rechte, 31.12.1959, S. 1. 220 FR, Schröder, 9.1.1960, S. 1. Siehe auch FR, DRP, 29.12.1959, S. 1; FR, Vergangenheit, 4.1.1960, S. 1; FR, Gespenster, 4.1.1960, S. 3; FR, Bündniskrise, 7.1.1960, S. 1; FR, Empörung, 11.1.1960, S. 1; FR, Bundesregierung, 15.1.1960, S. 1; FR, Frage nach den Hintermännern ungeklärt, 23.1.1960, S. 2; FR, Gefahr, 25.1.1960, S. 1.
146 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) sequenten Entnazifizierung aller Behörden, Ministerien und Ausbildungsstätten versprach sie sich aber in erster Linie eine Signalwirkung. Heftig kritisierte die FR nicht nur die gesellschaftliche Realität, sondern auch die faulen Kompromisse der Vergangenheit. Die deutschen Zustände würden bestimmt „von einem seelisch bedingten Vergessenwollen alter Schuldgefühle in einem großen Volksteil“.221 Insofern rückten auch in der nicht-staatlichen Debatte die vergangenheitspolitischen Grundentscheidungen in den Fokus und wurden vor allem von der politischen Linken beziehungsweise NS-Opfergruppierungen eindeutig in Zusammenhang mit der Debatte über die antisemitischen Vorfälle von Köln und anderswo gesetzt. Diesbezügliche Veränderungen wurden teilweise auch als wesentlich entscheidender wahrgenommen als die Möglichkeiten der „wehrhaften Demokratie“ gegen die DRP. Einzig der Bund der Vertriebenen lehnte alle Versuche, die Vorfälle zu nutzen, um Vertriebenen-Politiker mit hoher NS-Belastung aus ihren Ämtern zu entfernen, entschieden ab. So habe der „entnazifizierte Bürger“ Theodor Oberländer das Recht und die Pflicht, demokratische Politik zu betreiben.222 Wichtiger sei es, die Verantwortlichen streng zu bestrafen und – ohne diesbezüglich weitere Details zu nennen – die Intoleranz zu bekämpfen.223 „Die Zeit“ hingegen differenzierte – allerdings nach dem hier ausgewählten Untersuchungszeitraum – und verteidigte Globke, während sie argumentierte, dass Oberländer als Belasteter sein Amt aufgeben müsse.224 Parallel drehte sich die Debatte um eine Neufassung der Gesetzgebung gegen „Volksverhetzung“,225 wobei dies in den untersuchten Publikationen im ausgewählten Untersuchungszeitraum allenfalls eine Nebenrolle spielte.226 Mit dem 221 FR, Gespenster, 4.1.1960, S. 3. An anderer Stelle griff die FR diesen Aspekt auf und kritisierte einen FDP-Stadtrat, der nicht der Meinung war, dass „das deutsche Gewissen durch die NS-Gasöfen und die Millionen gemordeter Juden besonders geschärft sein müßte“, da er dafür nichts könne und davon auch nichts gewusst habe. Vgl., Schweigen, 11.1.1960, S. 3. 222 DOD, Die Wahrheit, 18.1.1960, S. 2f. 223 DOD, Hetze, 11.1.1960, S. 8f. bzw. DOD, Boden, 18.1.1960, S. 1f. 224 Vgl. Janßen u.a., 2006, S. 206. Vgl. auch Die Zeit, Was ist mit den Nazis in Bonn?, 29.1.1960. 225 Diese stand schon länger zur Diskussion und wurde bereits als Folge der Nielandund Zind-Skandale wenige Jahre zuvor angeregt. In beiden Fällen ging es um die offene Bewunderung für das Töten jüdischer Menschen. 226 So lehnte die Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland ein speziell die jüdische Bevölkerung schützendes Gesetz vehement ab, um keine potenziell den Antisemitismus stärkende Sonderrolle einzunehmen. Wichtiger wäre, dass die Verfolgung von Amts wegen erfolgen könne, um nicht von privaten Strafanträgen abhängig zu sein. Vgl. Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Entschließungen des Zentralrats, 15.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Ohnmacht der Justiz, 22.1.1960, 3f.. Ansonsten finden sich lediglich in der FAZ mehrere einschlägige Beiträge. Eine Gesetzesänderung schien ihr an sich sinnvoll zu sein, wenngleich sie betonte, dass die antisemitischen Vorfälle damit sicherlich nicht gestoppt werden
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6. Strafrechtsänderungsgesetz am 30. Juni 1960 sanktionierte der Gesetzgeber in §130 StGB Angriffe auf „die Menschenwürde anderer“ – die jüdische Bevölkerung wurde nicht explizit erwähnt, um positive Diskriminierung zu vermeiden. Die Debatte und noch viel mehr die Neufassung des Gesetzes verdeutlichen, dass in der bundesrepublikanischen Gesellschaft weiterhin Bedarf nach konkreter Tabumarkierung bestand, um die neue Rolle der Bundesrepublik in der Welt nicht zu gefährden. Die Bevölkerung hatte sich der neuen politischen Kultur nicht in der gleichen Geschwindigkeit angepasst wie ihre Eliten.227 Dass daher sowohl bildungspolitische Maßnahmen als auch administrative Grenzmarkierungen diskutiert wurden, überrascht nicht, da man auch im nicht-staatlichen Bereich vielfach erkannt hatte, dass die Gesellschaft ein größeres rechtsradikales Potenzial in sich trug, gegen das die klassischen Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ wenig ausrichten können. Insgesamt führte die „Schmierwelle“ zu einer umfassenden Debatte über die Hintergründe des Antisemitismus und verschiedenste politische Akteure rangen um die Deutungshoheit. Im Zusammenspiel mit anderen wichtigen Themen der Zeit wurden „die Verantwortlichen jeweils passend“ im Rechtsradikalismus, in der Regierung und Justiz der Bundesrepublik, im Erziehungswesen oder im kommunistischen Lager lokalisiert. Auch wenn die Debatte über ein Verbot der DRP insofern in der Realität nur kurzfristig in Rheinland-Pfalz zu temporären Konsequenzen führte, wird dennoch deutlich, dass alle untersuchten Akteure sich keineswegs gegen die „wehrhafte Demokratie“ aussprachen und eine restriktive Sicherheitspolitik grundsätzlich positiv bewerteten, auch wenn sie beispielsweise ein Verbot der DRP nicht selbst forderten. Sicherheitspolitik meint schließlich nicht nur Parteiverbote, sondern beinhaltet auch niedrigschwelligere Maßnahmen. Eine gesteigerte Sicherheitsorientierung ergibt sich auch aus wenig konkreten Pauschalforderungen der Akteure. Zum Beispiel forderte Heinz Galinski in der „Allgemeinen“ „energische Maßnahmen“, die sich vor allem auf die Entfernung politisch belasteter Personen aus Politik und Gesellschaft und die Beschränkung der Agitationsfreiheit für rechtsradikale Gruppen und Presseerzeugnisse bezogen.228 Zudem hoffte die Zeitung etwas skeptisch, dass „die Behörden der Bundesrepublik in der Lage seien, die Maßnahmen zu ergreifen, die zur Stärkung der deutschen Demokratie […] jetzt dringender als je erforderlich sind“.229 Dass die „Allgemeine“ die „wehrhafte Demokratie“ grundsätzlich positiv bewertete, ergibt sich auch aus den zitierten Forderungen ausländischer könnten. Vgl. FAZ, Wunsch, 15.1.1960, S. 1. Siehe auch FAZ, Arndt gegen ein Sondergesetz zum Schutz jüdischer Bürger, 8.1.1960, S. 1; FAZ, Sondergesetze, 12.1.1960, S. 4; FAZ, Bundestag, 13.1.1960, S. 1; FAZ, Abwehr, 13.1.1960, S. 1. 227 Vgl. Bergmann, Antisemitismus 1990, S. 269. 228 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Maßnahmen, 1.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Empörung, 8.1.1960, S. 3f. 229 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Anschlag, 1.1.1960, S. 1.
148 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) jüdischer Organisationen nach einem Verbot aller rechtsradikalen Strukturen in der Bundesrepublik.230 Außerdem sollte die Pressefreiheit eingeschränkt werden, wenn sie gegen den Staat und das demokratische System genutzt wird.231 Ähnlich äußerten sich auch die Gewerkschaften. Wegen des vermehrten Auftretens rechtsradikaler Strukturen zitierten alle DGB-Publikationen und die „Metall“ einen Beschluss des DGB-Bundesvorstandes vom 5. Januar 1960, der „unverzügliche Maßnahmen [forderte], die die verderbliche Tätigkeit der rechtsradikalen und antisemitischen Gruppen an der Wurzel bekämpfen“.232 Die Bundespolitik habe hier klaren Nachholbedarf. Die Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ sollten genutzt werden, solange es nicht zu spät sei: „Wehren wir jedoch nicht den Anfängen, so kann es uns passieren, daß wir eines Tages die Diskussion um diese Frage besorgter führen müssen“, argumentierte „Die Quelle“.233 Hier wird deutlich, wie wenig Relevanz die Gewerkschaftspresse potenziellen Zweifeln an der Legitimität von Sicherheitspolitik gegen den Rechtsradikalismus zumaß. Ein konsequentes Vorgehen sei schon deshalb sinnvoll, weil das deutsche Ansehen durch jegliche rechtsradikale Manifestationen gefährdet sei.234 Nur in Deutschland sei der Rechtsradikalismus schließlich an die Macht gekommen.235 Allerdings waren die Gewerkschaften nicht davon überzeugt, dass man allein mit den Instrumenten der „wehrhaften Demokratie“ etwas gegen die rechtsradikale Szene und insbesondere die antisemitischen Taten ausrichten könne. Vor allem die DRP sei im Untergrund noch schwerer zu überwachen, gab man zu bedenken.236 Schlussendlich müssten nicht die Symptome, sondern die Ursachen bekämpft werden.237 Parallel forderten die Artikel zudem ein verstärktes zivilgesellschaftliches Engagement als nachhaltigstes Instrument im Umgang mit dem Rechtsradikalismus.238 Trotz der klaren Relevanz auch alternativer Reaktions230 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Emigrantengruppen, 15.1.1960, S. 6; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Gegenaktionen, 15.1.1960, S. 6. 231 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Kompromisse, 8.1.1960, S. 1. 232 Die Quelle 1 (1960), Rechtsradikale, S. 1f.; GMH 2 (1960), Maßnahmen, S. 108; Metall, Maßnahmen, 13.1.1960, S. 2; Metall, Schmutzwelle, 27.1.1960, S. 2; WdA, Schonung, 8.1.1960. 233 Die Quelle 6 (1959), Soll man sie ernst nehmen die Neonazis?, S. 264f.. Siehe auch Metall, Schmutzwelle, 13.1.1960, S. 5; Metall, Nazi-Lieder, 13.1.1960, S. 7; WdA, Eure Ideale sind geblieben, 29.1.1960. 234 Die Quelle 2 (1959), DGB gegen Rassenhetze, S. 91; WdA, Antisemitismus, 15.1.1960; Metall, Schmutzwelle, 13.1.1960, S. 5; Metall, Jugend, 27.1.1960, S. 1; Metall, Schmutzwelle, 27.1.1960, S. 2. 235 WdA, Thema, 22.1.1960. Verweise auf die vermeintlich wehrlose Weimarer Republik und den Aufstieg der NSDAP finden sich ansonsten nur noch in einem Fall. Vgl. WdA, Dauerdruck, 8.1.1960. 236 GMH 2 (1960), Innenpolitik, S. 107; WdA, Verfassungsschutz, 8.1.1960, S. 1. 237 WdA, Ursachen, 8.1.1960. 238 Gemeint war damit aber nicht die direkte Reaktion im Sinne des „Prügel-Appells“ des Bundeskanzlers, den die Gewerkschaften verurteilten. Vgl. GMH 2 (1960), Innen-
3.2. Die Verantwortung der DRP
149
formen verzichteten die gewerkschaftlichen Publikationen allerdings keineswegs auf die Forderung nach repressiven Maßnahmen wie die Einschränkung der Pressefreiheit für den rechtsradikalen Verleger Gerhard Frey.239 Daher wurden hier restriktive und liberalere Umgangsformen angemahnt, aber keineswegs die Forderung nach mehr Toleranz. Weiterhin wurden Verbote, harte Strafen und die Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ gefordert, allerdings galten Aufklärung, Bildung, gesellschaftliche Ausgrenzung und die Weigerung, den Rechtsradikalen Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen, als ebenfalls wichtige Umgangsformen. Dies ist sicherlich zumindest in Teilen auch die Folge der andersgelagerten rechtsradikalen Manifestation der „Schmierwelle“, die, im Gegensatz zu Parteiaktivitäten, kaum organisierten Strukturen entsprangen. Dafür spricht, dass sich die Reaktionsforderungen gegen die DRP durchaus mit denen gegen die SRP vergleichen lassen – obgleich die Gewerkschaftspresse diese angesichts der eindeutigen Bedeutungslosigkeit der DRP und der Bedeutung einer zweiten „Entnazifizierung“ weniger vehement vortrug. Wie auch gegen die SRP sollten im Umgang mit der DRP vor allem die Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ bemüht werden. Dies verdeutlicht, dass die Gewerkschaften weiterhin keinesfalls allzu optimistisch in die Zukunft schauten. Der Fokus auf Sicherheit blieb vorherrschend, obwohl sich das Arsenal der Reaktionsoptionen verbreitete und den jeweiligen Kontexten anpasste. Eine Ablehnung der „wehrhaften Demokratie“ findet sich nicht. Die immer deutlicher werdende staatliche Stabilität, die Niederlage aller rechtsradikaler Parteien seit 1953 und auch das mittlerweile geflügelte Wort, dass „Bonn nicht Weimar“240 sei, führte bei den Gewerkschaften lediglich zu minimalem Wandel. Sie blieben ihrer mahnenden Haltung und der Devise „sicher ist sicher“ treu. Eine Zweiteilung des Umgangs ist auch in der Berichterstattung der FR zu beobachten. Die diskutierten und thematisierten Reaktionsmöglichkeiten lassen sich grob in die Forderung nach strikter Anwendung der „wehrhaften Demokratie“ sowie den Ruf nach Bildung, Erziehung und Aufklärung aufteilen – allerdings überwogen repressive Maßnahmen, bezogen sowohl auf jugendliche Täter, die DRP und andere rechtsradikale Gruppen, hier deutlicher als in der Gewerkschaftspublizistik. Insgesamt war die Berichterstattung sicherheitsorientiert. Weniger restriktive Umgangsformen waren primär die Folge der prognostizierten Chancenlosigkeit eines Verbotsverfahrens einerseits und der Jugend der Täter anderseits. Spätestens ab der zweiten Januarwoche glaubte die Zeitung nicht politik, S. 108; WdA, Im Fettnäpfchen. Adenauer, 22.1.1960, S. 1. Siehe zur Forderung nach zivilgesellschaftlichem Handeln Die Quelle 1 (1960), Rechtsradikale, S. 1f.; Metall, Schmutzwelle, 13.1.1960, S. 5; Metall, Lieder, 13.1.1960, S. 7. 239 Metall, Schmutzwelle, 27.1.1960, S. 2; WdA, Mißbrauch der Pressefreiheit, 15.1.1960. 240 Bereits 1956 hatte der Journalist Fritz René Allemann ein Buch mit dieser bald sprichwörtlichen These veröffentlicht. Vgl. Fritz René Allemann, Bonn ist nicht Weimar, Köln 1956.
150 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) mehr an die Möglichkeit eines Verbotes der DRP, ohne jedoch diesbezügliche Forderungen aufzugeben. Ähnlich wie die Gewerkschaften akzeptierte die FR die Nachhaltigkeit der positiven Entwicklung der Bundesrepublik nur bedingt. Ein Wandel hin zu einem liberaleren Umgang war daher unmöglich und Sicherheitspolitik zur Absicherung der Demokratie keineswegs widersprüchlich, sondern notwendig und legitim. Schließlich genüge „[o]ptimistisches Vertrauen in die Urteilsfähigkeit der Wähler […] kaum, um den Staat vor der Aggressivität einer totalitären Partei zu schützen“.241 „Mit der Freiheit, die wir haben, ist es nicht getan“, warnte ein weiterer Bericht, vielmehr müsse man „diese Freiheit mit einer tatkräftigen Zucht und Ordnung gegen die Mächte der Vergangenheit aus[statten]“.242 Die FR war zu diesem Zeitpunkt ein eindeutiger Befürworter der Nutzung der „wehrhaften Demokratie“ gegen den Rechtsradikalismus. Zwar gehöre es „zu den Grundlagen der freiheitlichen Demokratie, daß sich der Staatswille in der ständigen Auseinandersetzung aller Kräfte und Interessen bildet“, doch dies, so der Artikel weiter, „kann kein Freibrief dafür sein, jeder nur denkbaren politischen Konzeption den Weg der freien Betätigung zu öffnen.“243 Die Gesamteinordnung der Berichterstattung der FAZ hingegen weist nur eine ganz leichte Tendenz zur Sicherheitsorientierung auf. Vielfach, vor allem in den Meinungsartikeln, veröffentlichte sie liberalere Standpunkte. Dennoch findet sich auch hier keine grundsätzliche Kritik am westdeutschen Staatsschutz, den die Zeitung weiterhin für notwendig erachtete. In der Debatte über eine Neuregelung des Ausnahmezustandes hieß es: „Es hat den Anschein, als ob sich heutzutage zu viele bei uns zu sicher fühlen. Zu Unrecht“.244 Auch in der FAZ lässt sich zudem eine Vorbildrolle West-Berlins im Umgang mit dem Rechtsradikalismus nachweisen. Senat, Justiz und Polizei hätten mit Schärfe und außerordentlicher Schnelligkeit geantwortet, hieß es mehrfach,245 teilweise in expliziter Abgrenzung zu den als zu gering wahrgenommenen Maßnahmen in der Bundesrepublik.246 Die FAZ lobte beispielsweise den sozialdemokratischen Innensenator Lipschitz dafür, dass er sich nicht erst jetzt in der akuten Situation antisemitischer Vorfälle um rechtsradikale Gruppen kümmern würde und die Mitarbeiter seiner Verwaltungen ständig über die NS-Jahre aufgeklärt hätte.247 Sie behielt ihre kritisch-positive Haltung zur „wehrhaften Demokratie“ bei. Allerdings sah die FAZ deren klassische Instrumente kaum als wirksame Reaktionsmittel gegen die antisemiti241 FR, Ziele, 11.1.1960, S. 3. 242 FR, Gespenster, 4.1.1960, S. 3. 243 FR, Ziele, 11.1.1960, S. 3. So auch FR, DRP, 29.12.1959, S. 1; FR, Senat, 6.1.1960, S. 1. 244 FAZ, Der gußeiserne Panzer, 21.1.1960, S. 1. 245 FAZ, Berlin, 6.1.1960, S. 1,4; FAZ, Berlin ist wach, 6.1.1960, S. 2; FAZ, Volksverhetzungs-Gesetz, 7.1.1960, S. 1; FAZ, Brandt, 8.1.1960, S. 4; FAZ, Aeußerungen, 11.1.1960, S. 4; FAZ, Hakenkreuz-Schmierer, 14.1.1960, S. 4; FAZ, Haussuchung [sic] bei Rechtsradikalen, 15.1.1960, S. 4; FAZ, Goldmann, 25.1.1960, S. 3. 246 FAZ, Soldaten, 11.1.1960, S. 4; FAZ, Sondergesetze, 12.1.1960, S. 4. 247 FAZ, Berlin, 6.1.1960, S. 2.
3.2. Die Verantwortung der DRP
151
sche „Schmierwelle“ und hatte Zweifel an der Umsetzbarkeit eines DRP-Verbotes. Daher beruhte die Abkehr von der DRP-Verbotsforderung vor allem auf spezifischen Überlegungen und weniger auf einem radikaldemokratischen Denken oder dem Wunsch nach Toleranz – obwohl die Zweifel an der Legitimation von Sicherheitspolitik, zumindest in Bezug auf den Umgang mit dem Rechtsradikalismus, stärker ausgeprägt waren als in anderen Publikationen. Ausgerechnet die SPD zitierte die Zeitung mit dem Hinweis, dass ein Verbot der DRP zwar sorgfältig geprüft werden sollte, dies aber grundsätzlich „ein zweifelhafter Weg“ sei.248 Der endgültige Erfolg über Antisemitismus und Rechtsradikalismus „[l]äßt sich schwerlich mit organisatorischen Vorkehrungen betreiben“, betonte sie zudem.249 Entsprechend singulär findet sich die Forderung nach einer Einschränkung der Pressefreiheit, um die Verbreitung rechtsradikaler Propaganda zu erschweren.250 Derart zeigt sich, dass die FAZ einem sicherheitsorientierten Umgang mit dem Rechtsradikalismus nicht grundsätzlich, wohl aber zu diesem Zeitpunkt, angesichts der fehlenden rechtsradikalen Bedrohung sowie der vielfach unorganisierten Täterhintergründe, skeptisch gegenüber stand. Die Zeitung hoffte eher auf schnelle Aufklärung.251 Die Verfassungsschutzämter müssten ihre Augen nach rechts öffnen, selbst wenn der gefährlichere Feind links stehe.252 Allerdings ist auch diese, im Vergleich zu einem Verbot wesentlich weniger einschränkende Maßnahme dennoch eine sicherheitspolitische Forderung, da der Verfassungsschutz weit im Vorfeld einer konkreten Straftat aktiv werden darf. Insofern bleibt festzuhalten, dass aus dem Bereich der Tages- und Wochenpresse allein die Hamburger „Zeit“ sich, zumindest für den hier festgelegten Untersuchungszeitraum, nicht zur „wehrhaften Demokratie“ äußerte. Hier wurde vor allem auf Verbesserungen im Bildungsbereich gedrängt, sodass die Zeitung keineswegs dafür plädierte untätig zu bleiben. Den Bereich der Sicherheitspolitik ignorierte sie dabei aber und veröffentlichte weder Zustimmung noch Kritik. Ihr bevorzugtes Mittel war liberalerer Natur, das Ziel aber war auch hier nicht die Tolerierung des Rechtsradikalismus – höchstens gegenüber der DRP, nicht aber gegenüber rechtsradikalem Denken in der Gesellschaft. Die Schmierwelle war daher dennoch ein zentrales Thema der „Zeit“-Ausgaben dieser Wochen. Für den Bund der Vertriebenen lässt sich dies zwar nicht sagen, aber auch im „Deutschen Ostdienst“ finden sich Beiträge zur Thematik. Ein Artikel betonte die humanistische Gesinnung der Vertriebenen und beschrieb den BdV
248 FAZ, Sozialdemokraten, 23.1.1960, S. 3. 249 FAZ, Infektion, 7.1.1960, S. 1. So auch FAZ, Die Unterscheidung liegt im Menschlichen, 7.1.1960, S. 8. 250 FAZ, Ueberprüfung, 29.12.1959, S. 4. 251 FAZ, Abwehr, 13.1.1960, S. 1; FAZ, Panikstimmung, 13.1.1960, S. 11. 252 FAZ, Schändung, 28.12.1959, S. 1; FAZ, Erbin, 6.1.1960, S. 2; FAZ, Infektion, 7.1.1960, S. 1.
152 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) als Säule der demokratischen Ordnung.253 Deutlich zeigt sich das Interesse des BdV, die eigene Organisation und die Vertriebenen allgemein vor dem Verdacht des Antisemitismus beziehungsweise des politischen Radikalismus zu schützen: „Das Ostdeutschtum, die Vertriebenen, sind kein Terrain für antisemitischen Barbarismus“.254 Es sei eine „irrige Vorstellung […] daß der nationale Gedanke schlechthin ein Nährboden für den Antisemitismus sei“, verteidigte die Zeitschrift weiter und behauptete, dass Nationalismus generell keineswegs einer „extremen Gefühlslage“ entspreche.255 Stattdessen versuchte der BdV die Vertriebenen im gleichen Artikel ebenfalls als Opfer des NS-Regimes darzustellen. Zwar billigte der DOD den jüdischen Opfern im Vergleich zum mittelbaren Opferstatus der eigenen Klientel den unmittelbaren Opferstatus zu – aber hier fand doch eine Gleichsetzung statt, aus der sich eine emotionale Verbundenheit zum Judentum und mithin die Ablehnung der antisemitischen Vorfälle ergeben sollte: „[Die Vertriebenen] seien sich völlig darüber klar, daß der Tatbestand der Vertreibung der Deutschen um ihres Volkstums willen von dem Tatbestand der Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der Juden durch das Deutschland Hitlers politisch und moralisch in Folge und Wirkung nicht zu trennen sei. Wenn die vertriebenen Deutschen Wiedergutmachung im Geiste der Menschlichkeit erwarten, dann setzen sie Wiedergutmachung an den Juden voraus.“256
Ein Umgang im Sinne einer Beschäftigung mit dem Rechtsradikalismus fand – von wenigen Ausnahmen abgesehen – weiterhin nicht statt. Der BdV zielte in der Berichterstattung des „Deutschen Ostdienstes“ vor allem darauf, die eigene politische Position zu schützen und die nationalen Gebietsansprüche gegen den Vorwurf des Revanchismus zu verteidigen. Er zielte mithin auf die eigene Abgrenzung zum Rechtsradikalismus.
3.3. Das Gute im Schlechten Es wurde deutlich, dass alle Akteure in ihren Publikationen nicht nur die Frage nach dem Umgang mit den antisemitischen Vorfällen und der DRP diskutierten, sondern auch um die Frage stritten, wie diese zu bewerten seien. Am homogensten war die Darstellung der allgemeinen Empörung der Westdeutschen über die antisemitischen Taten. Dass diese nicht nur die Wunden der Vergangenheit er253 DOD, Hetze, 11.1.1960, S. 8f. 254 DOD, Boden, 18.1.1960, S. 1f.. Siehe auch DOD, Hetze, 11.1.1960, S. 8f.; DOD, Hinblick, 25.1.1960, S. 4. 255 DOD, Boden, 18.1.1960, S. 1f. 256 Art. 3 des Grundgesetzes, so der Artikel weiter, verbiete es nun einmal, jemanden wegen „seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft“ zu benachteiligen. Vgl. DOD, Hetze, 11.1.1960.
3.3. Das Gute im Schlechten
153
neut aufbrachen, sondern dabei auch die seit Kriegsende erreichten Erfolge vor allem in Bezug auf die Wahrnehmung der Demokratisierung und die Westbindung bedrohten, ist dabei ebenfalls deutlich geworden. Insofern verwundert es kaum, dass ein äußerst zentraler Aspekt, der sich wie eine rote Linie durch alle Berichte und Publikationen zieht, gerade die optimistische Darstellung der Gesellschaft und ihrer Reaktionen auf den Antisemitismus war. Dies gilt sogar für die ansonsten relativ kritische Berichterstattung der „Frankfurter Rundschau“ in diesen Wochen. Während die antisemitischen Vorfälle und die vergangenheitspolitischen Kompromisse skandalisiert wurden, versuchte die Zeitung zumindest teilweise eine positive Entwicklung der Gesellschaft zu beschreiben: „Das einzig Erfreuliche an der Schandtat bleibt die Reaktion der Bevölkerung“, schrieb sie bereits im Dezember 1959.257 Je mehr antisemitische Vorfälle in die Öffentlichkeit gelangten, desto mehr schrieb sie der Bevölkerung die Bereitschaft zu, die Demokratie zu verteidigen, aus ihren Fehlern gelernt zu haben und dem Rechtsradikalismus beziehungsweise Antisemitismus wirksam und frühzeitig entgegenzutreten.258 Die Kölner Synagogengemeinde habe nach der Tat zahlreiche Sympathiebekundungen erhalten und die Bevölkerung derart bewiesen, dass sie jegliche rassistische Hetze mit aller Schärfe ablehne.259 Aussagen bundesdeutscher Politiker oder Mitglieder der Bundesregierung, die ihre Empörung über die Vorfälle ausdrückten, finden sich in zahlreichen Artikeln.260 So zeigte sich neben dem kritischen Blick nach innen das Interesse der FR, nach außen eine demokratische Gesellschaft oder zumindest einen hoffnungsvollen Weg dahin zu skizzieren. Die Westdeutschen wurden daher ganz selbstverständlich in die Reihe der westeuropäischen Staaten mit viel längerer demokratischer Tradition gestellt und speziell die Jugend als besonders philosemitisch porträtiert.261 Entsprechend erkannte die „Frankfurter Rundschau“ auch positive Entwicklungen, die auf eine erfolgreichere Demokratisierung hindeuteten. All dies kann die insgesamt eher pessimistische Darstellung aber nicht relativieren.
257 FR, Verfassungsgericht, 29.12.1959, S. 3. 258 FR, DRP, 29.12.1959, S. 1; FR, Vergangenheit, 4.1.1960, S. 1; FR, Brandt appelliert an die Berliner, 8.1.1960, S. 1; FR, Empörung, 11.1.1960, S. 4; FR, Bürger, 12.1.1960, S. 4; FR, Kräfte, 23.1.1960, S. 6. Vielfach wurde auch der Präsident des jüdischen Weltkongresses, Nahum Goldmann, in der FR mit positiven Aussagen bezüglich der bundesdeutschen Gesellschaftsentwicklung zitiert. Vgl. FR, Goldmann, 22.1.1960, S. 1; FR, Gefahr, 25.1.1960, S. 1. 259 FR, Synagogenschändung, 28.12.1959, S. 1; FR, DRP, 29.12.1959, S. 1; FR, Bürger, 12.1.1960, S. 4. 260 Ebd.; Siehe auch FR, Bonn, 4.1.1960, S. 1; FR, Schröder, 9.1.1960, S. 1; FR, Welt, 9.1.1960, S. 3. 261 FR, Empörung, 11.1.1960, S. 1 bzw. FR, Starkes Interesse der Jugend am Judentum, 4.1.1960, S. 1. So auch FR, Bürger, 12.1.1960, S. 4.
154 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) Dies lässt sich dafür aber für die Berichterstattung der FAZ festhalten. Die Zeitung beschrieb weiterhin – wie auch schon zu Beginn der fünfziger Jahre – vor allem eine positive Entwicklung der demokratischen Gesellschaft. Fast alle Bundesbürger würden sich dem Schutz der Juden verpflichtet fühlen und auch Adenauer sei entschlossen, den kleinsten Anfängen antisemitischer Hetze entgegenzutreten.262 Der Fortgang der Welle und die nun öfter vorgefundenen Taten hätten die zuständigen Bonner Stellen sogar darin bestärkt, noch entschiedener gegen die Schuldigen vorzugehen sowie jüdischen Einrichtungen verstärkten Schutz zu bieten.263 Bereits im ersten Artikel der FAZ nach Weihnachten 1959 fand sich zudem der Hinweis, dass die Kölner Täter mit Hilfe der Bevölkerung so schnell ausfindig gemacht werden konnten.264 Darüber hinaus interessiere sich die Jugend immer mehr für politische Themen und zeige reges Interesse für die Demokratie.265 Fast hat man das Gefühl, dass die FAZ den Bundesbürgern einen explizit philosemitischen Charakter zuschreiben wollte. Die Westdeutschen hätten somit bewiesen, dass sie nicht mehr bereit seien, rechtsradikale Vorfälle zu tolerieren.266 Schließlich gehe es – und das sei nicht zu unterschätzen – bei der Abwehr der antisemitischen Vorfälle nicht nur um die Sicherheit der „jüdischen Mitbürger, sondern auch um die sittliche Grundlage unserer Demokratie“.267 Ausländische Stimmen, die der Bundesregierung und der bundesdeutschen Öffentlichkeit wohlwollend gegenüber standen, nahm die Zeitung als moralische Unterstützung verbündeter Demokraten in der Unterdrückung des Nationalsozialismus wahr.268 Oftmals wurden hier bewusst jüdische Stimmen zitiert.269 Die
262 FAZ, Wunsch, 15.1.1960, S. 1 bzw. FAZ, Volksverhetzungs-Gesetz, 7.1.1960, S. 1. 263 FAZ, Kabinett, 4.1.1960, S. 1 bzw. FAZ, Augenmerk auf jüdisches Eigentum, 4.1.1960, S. 9. 264 FAZ, Schändung, 28.12.1959, S. 1. Die Hilfe der Bevölkerung bei der Abwehr oder Aufklärung derartiger Vorkommnisse war mehrfach Thema. Vgl. FAZ, Volksverhetzungs-Gesetz, 7.1.1960, S. 1; FAZ, Berlin, 6.1.1960, S. 2; FAZ, Abwehr, 13.1.1960, S. 1. 265 FAZ, Lehrer, 11.1.1960, S. 2. 266 Um diese positive Deutung der Gesellschaft zu unterstreichen, verwies die FAZ auf Aussagen wichtiger Persönlichkeiten, die die Reaktion als hoffnungsvoll und positiv bewerteten. Vgl. FAZ, Ueberprüfung, 29.12.1959, S. 4; FAZ, Abwehr, 13.1.1960, S. 1; FAZ, Goldmann, 22.1.1960, S. 1. Das beherzte Eingreifen staatlicher Stellen sowie die klare Positionierung aller maßgeblichen Regierungsstellen wurden auch in der Presseschau betont. Vgl. FAZ, Die Pflicht der Älteren, 5.1.1960, S. 2; FAZ, Böse Saat, 6.1.1960, S. 2; FAZ, Würdig, nachdrücklich und vernünftig, 22.1.1960, S. 2. 267 FAZ, Abwehr, 13.1.1960, S. 1. 268 FAZ, Unterstützung, 6.1.1960, S. 1. So heißt es auch in einem Auszug aus dem englischen Daily Telegraph: „Bei der Schändung der Synagoge […] ist nicht die Tat an sich von Bedeutung, sondern die prompte und leidenschaftliche Verurteilung, die alle Schichten der deutschen Bevölkerung umfaßt“. Vgl. FAZ, Von der Mehrheit verabscheut, 31.12.1959, S. 2. 269 FAZ, Uebergriffe, 2.1.1960, S. 3; FAZ, Bundestag, 5.1.1960, S. 1.
3.3. Das Gute im Schlechten
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FAZ ergriff die Chance, die positive Entwicklung aller Gesellschaftsteile und die fortgeschrittene Demokratisierung darzustellen. Letztlich appellierte die FAZ aber vor allem an die Selbstheilungskräfte der Gesellschaft. Man solle nicht dramatisieren, aber dennoch alles Wesentliche der Öffentlichkeit bekannt machen, damit diese sich entsprechend zur Wehr setzen könne.270 Nur so könnten sich die Gelassenen, zu denen sich die Zeitung selber zählte, vom Verdacht der Komplizenschaft befreien. Dazu passte die Vorstellung von einer biologischen Lösung des Rechtsradikalismus. Die Nation brauche Zeit, um zu gesunden, erklärte ein Artikel, da die nationalsozialistischen Ideen ja nicht direkt 1945 aus der Welt geschafft wurden.271 Der Gesundungsgedanke taugte auch in besonderem Maße für die weiterhin für richtig gehaltene Integration der alten Nazis in die demokratische Gesellschaft.272 Heinz Galinski wurde trotz seiner Kritik gewissermaßen als Kronzeuge in Stellung gebracht und dahingehend zitiert, dass in der DDR „noch Verbrecher des Nationalsozialismus in hohen Aemtern [säßen]“, während man diese im Westen „nummeriert beim Namen nennen“ könne.273 Besonders deutlich wird die Betonung der positiven Reaktionen in weiten Teilen von Politik und Gesellschaft in der Berichterstattung der „Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland“. Schon wegen ihres jüdischen Hintergrundes war die massive Häufung antisemitischer Vorfälle in Deutschland für die Zeitung von großer Bedeutung. Zwar wurden teilweise deutliche Maßnahmen gefordert, auffällig ist dennoch der sachliche Ton und dass die allermeisten Artikel keine besondere Bedrohungswahrnehmung artikulierten.274 Lediglich Be270 FAZ, Feuerschein, 20.1.1960, S. 1. 271 FAZ, Sudelwelle, 2.1.1960, S. 1; FAZ, Infektion, 7.1.1960, S. 1. 272 So veröffentlichte die FAZ einen Artikel, der mit der Feststellung endete, dass auch die jüdischen Organisationen eine erneute Entnazifizierung entschieden ablehnen würden. Vgl. FAZ, Entnazifizierung, 11.1.1960, S. 4. Nur vereinzelt druckte die Zeitung Kritik an der politischen Rolle NS-belasteter Persönlichkeiten in der Öffentlichkeit. So erklärte Heinz Galinski, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Berlin und des Zentralrates, dass Vorfälle wie in Köln kaum verwunderlich seien, wenn durch ihre Vergangenheit belastete Persönlichkeiten die politische Bühne in Deutschland beträten und ganz offen sowie ungestraft nazistische Parolen verbreiten könnten. Vgl. FAZ, Ueberprüfung, 29.12.1959, S. 4. Die Thematik wurde ansonsten fast immer nur im Rahmen der Presseschau oder als Forderungen englischer bzw. amerikanisch-jüdischer Stimmen aufgestellt. In wenigen Fällen wurde auch auf bundesdeutsche, links positionierte Stimmen verwiesen, ohne die Thematik grundsätzlich zu diskutieren. Vgl. FAZ, Die Pflicht der Älteren, 5.1.1960, S. 2; FAZ, England, 6.1.1960, S. 4; FAZ, Memorandum, 6.1.1960, S. 4; FAZ, Hakenkreuzschmierereien, 7.1.1960, S. 4; FAZ, Boykott-Maßnahmen, 18.1.1960, S. 4; FAZ, Aussprache, 19.1.1960, S. 1; FAZ, Zwischenfall, 19.1.1960, S. 3; FAZ, Kummernuß lehnt Neutralität ab, 23.1.1960, S. 3. 273 FAZ, Berlin, 6.1.1960, S. 1,4. 274 Zwar finden sich vor allem in den ersten Berichten auch gestiegene Bedrohungswahrnehmungen, aber dies nimmt anschließend schnell und deutlich ab. Viele Artikel verzichten ohnehin auf Aussagen zu dieser Thematik.
156 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) fürchtungen, dass die antisemitischen Vorfälle schädlich für die Außenwirkung sowie die westdeutsche Außenpolitik seien, finden sich mehrfach.275 Die Zeitung befürchtete, die Vorfälle könnten eine Welle antideutscher Gefühle entfachen und somit die Position der Bundesrepublik in den bevorstehenden Ost-West-Gesprächen unterminieren.276 Insgesamt aber fokussierte sie noch intensiver als die Frankfurter Tageszeitungen auf die gesellschaftliche Verurteilung des Antisemitismus und versuchte, eine für die Westdeutschen möglichst harmlose Deutung der Vorfälle zu verbreiten. Konsequent behandelte die „Allgemeine“ die Frage nach den Ursachen dieser antisemitischen Manifestationen und des Rechtsradikalismus daher nur auf geringem Niveau.277 Sogar die genaue Täterschaft der antisemitischen Vorfälle schien die Zeitung wenig zu interessieren: So wurden alte Nationalsozialisten, junge Rechtsradikale, Kommunisten, einmal sogar ungarische Faschisten278 oder einfach nur Chaoten verantwortlich gemacht. Nach dem Herausgeber Karl Marx sei es ohnehin nebensächlich, ob die Vorfälle organisiert oder spontan durchgeführt wurden.279 Selbst der Vorsitzende des Zentralrates der Juden stellte in einem Kommentar fest, dass skeptische Analyse der Realität gut sei, „aber kämpferische Aktion gegenüber den Kräften des Untergangs ist besser“.280 Viel deutlicher kann man das eigene Desinteresse an der Ursachenfrage nicht artikulieren. Das eigentlich Überraschende in der Berichterstattung der „Allgemeinen“ ist, dass weder die antisemitischen Vorfälle an sich noch die Reaktionsforderungen in der Berichterstattung insgesamt die entscheidende Rolle spielten. In erster Linie berichtete die Zeitung nämlich über die überwiegend positive Reaktion der Gesellschaft und mithin über die bisherigen Erfolge der Demokratisierung. Insgesamt liest man eine überschwängliche Lobeshymne auf die westdeutsche Gesellschaft, die bei keinem anderen Akteur derart positiv und ausführlich auszumachen war.281 In diesen Tagen sei es offensichtlich, „daß die Mehrheit des 275 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Anschlag. 1.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Mut, 8.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Reminiszenz, 8.1.1960, S. 5; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Maßnahmen, 15.1.1960, S. 3; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Brief, 22.1.1960, S. 1. 276 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Empörung, 8.1.1960, S. 3f. 277 Ob nun alte Nazis die Jugendlichen verführen, staatliche Stellen zu tolerant mit rechtsradikalen Akteuren umgehen bzw. sich Politiker zu wenig nach rechts abgrenzen oder schlicht die Eltern in der Immunisierung ihrer Kinder versagen würden, es waren fast immer nur singuläre Nennungen. 278 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Emigrantengruppen, 15.1.1960, S. 6. 279 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Brief, 22.1.1960, S. 1. 280 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Mut. 8.1.1960, S. 1. 281 Vgl. Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Maßnahmen, 1.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Selbstbesudelung, 1.1.1960, S. 4; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Stimmen der Empörung, 1.1.1960, S. 4; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Empörung, 8.1.1960, S. 3f.; Allg. Wochenztg. d. Juden in
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deutschen Volkes in der Bundesrepublik gewillt ist, sich zur Wehr zu setzen, wie es die außerordentliche Anteilnahme […] beweist.“282 Dass dies kein Einzelfall war, zeigen weitere Artikel: „Aber man sah keine Freudentänze wie vor 21 Jahren, man hörte nicht uniformierte Fanatiker schreien: ‚Juden unerwünscht!‘ Ein anderes Bild bot sich diesmal an, eine andere Empörung sprach aus diesen Gesichtern und ganz andere Worte hörte man von jungen und alten Menschen, die ihre Festlichkeiten unterbrachen, um bei beschränkten Verkehrsverhältnissen und regnerischem Wetter von nah und fern zur Synagoge zu pilgern […] Sie kamen, um ihre Abscheu vor der Tat zu versichern, […]; sie kamen vor allem, um ihren jüdischen Mitbürgern zu verstehen zu geben, daß sie nicht allein standen in dieser neuerlichen schweren Stunde […]“.283
Die Zeitung beschrieb eine breite Welle der Solidarität. Die Synagogengemeinde Köln sei angesichts der zahlreichen Beistandsbekundungen tief bewegt.284 Die antisemitischen Vorfälle hätten bewirkt, dass sich die bisher eher distanziert begegnenden Nachbarn jüdischer und nicht-jüdischer Art spontan zusammenfanden.285 Des Weiteren hätten Polizei und Justiz ihr ernstes Interesse an der Aufklärung der Vorfälle bewiesen. Auch die Politik habe auf allen Ebenen sofort reagiert und sich gegen den Antisemitismus positioniert, wie die Zeitung fast gebetsmühlenartig darstellte und teilweise mit Aussagen wichtiger jüdischer Persönlichkeiten oder Organisationen unterfütterte.286 Sogar die Rolle der westDeutschland, Entschließungen, 15.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Praeceptor, 15.1.1960, S. 2; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Aufstand, 15.1.1960, S. 3; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Gegenaktionen, 15.1.1960, S. 6; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Widerstand, 22.1.1960, S. 3; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, ...so wurden wir Antisemiten, 29.1.1960, S. 3; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Verständnis aufbringen, 29.1.1960, S. 3; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Ich schäme mich, 29.1.1960, S. 3. So auch der Tenor der Pressestimmen vom 8.1.1960, S. 6. 282 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Anschlag, 1.1.1960, S. 1. Siehe auch den Bericht über einen ehemaligen SS-Mann, dem aufgrund antisemitischer Aussagen in einer Kneipe von anwesenden nicht-jüdischen Gästen Prügel angedroht wurde. Vgl. Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Verhaftungen und Verurteilungen. 15.1.1960, S. 3. 283 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Schandtat, 1.1.1960, S. 5. 284 Diese wurde wie folgt zitiert: „In dieser schweren Stunde waren sie uns ein Trost. So viele haben uns ihre Anteilnahme bezeugt, daß wir nicht jedem antworten können.“ Vgl. Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Stimmen, 1.1.1960, S. 4. 285 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Schandtat, 1.1.1960, S. 5. 286 Vgl. neben den bereits vielfach zitierten Artikeln vom 1. und 8. Januar auch Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Aufstand, 15.1.1960, S. 3; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Maßnahmen, 15.1.1960, S. 3; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Stellungnahme der israelischen Regierung, 15.1.1960, S. 3; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Verhaftungen, 15.1.1960, S. 3; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Emigrantengruppen, 15.1.1960, S. 6; Allg. Wochenztg. d.
158 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) deutschen Medien wurde ausdrücklich gelobt.287 In ihrer Gesamtheit erzeugte die Zeitung den Eindruck, dass die Bundesrepublik ihre demokratische Reifeprüfung mit Bravour bestanden habe. Sie zeichnete im gesamten Januar 1960 das Bild einer Gesellschaft, die gegen den Antisemitismus und die wenigen „Ewiggestrigen“ zusammenstand. Noch vier Wochen nach der Initialtat betonte die „Allgemeine“, dass sich angesichts neuer Zwischenfälle „die demokratische Front gegen die Ausschreitungen“ verstärkte und private „Abwehrgruppen gegen Neonazismus und Antisemitismus“ bildeten.288 Als sie frühzeitig erklärte, dass die „Welle“ langsam abzuklingen scheine, führte sie dies dann zu großen Teilen auf die ablehnende Haltung der Bevölkerung und ihre öffentlich demonstrierte Empörung zurück.289 Diese optimistische Darstellung ging sogar so weit, dass die „Allgemeine“ Solidaritätsbekundungen der Hilfsgemeinschaft der ehemaligen Soldaten der Waffen-SS, der DRP sowie eines Mitgliedes des Bundes Nationaler Studenten veröffentlichte.290 Neben den rundweg positiven gesellschaftlichen Reaktionen wurde der nordrhein-westfälische Innenminister Dufhues ohne jeglichen Widerspruch mit der Aussage zitiert, dass es Antisemitismus „in Nordrhein-Westfalen ebenso wenig wie in der übrigen Bevölkerung der Bundesrepublik“ gebe.291 Auch die internationale (jüdische) Prominenz wurde dahingehend zitiert, dass die Antisemiten in der Bundesrepublik nur ganz Wenige seien und dass deren Einfluss minimal sei.292 Angesichts der massiv auftretenden Manifestationen muteten derartige Aussagen – zumal in einer jüdischen Zeitung – merkwürdig an. An anderer Stelle wurde die Verbreitung antisemitischer Einstellungen in der Bevölkerung zwar differenzierter dargestellt, aber die Zeitung betonte dennoch die eigene ÜberJuden in Deutschland, Gegenaktionen, 15.1.1960, S. 6; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Kritik, 22.1.1960, S. 2; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Widerstand, 22.1.1960, S. 3; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Eine Aufgabe für alle, 29.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Eine Beleidigung der Demokratie, 29.1.1960, S. 2; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Gefahr, 29.1.1960, S. 2; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Doch gelenkte Aktion, 29.1.1960, S. 4. 287 Die Allgemeine schrieb: „Der Wunsch gerade dieser Stellen, intensive Aufklärungsarbeit zu leisten […] ist bemerkenswert. Es ist ein tätiges, von bewußter Verantwortung getragenes Interesse, das hier am Werk ist und das nicht erlahmt.“ Vgl. Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Eindrücke, 29.1.1960, S. 6. 288 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Widerstand, 22.1.1960, S. 3. 289 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Aufstand, 15.1.1960, S. 3; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Maßnahmen, 15.1.1960, S. 3. 290 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Stimmen, 1.1.1960, S. 4; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Verständnis, 29.1.1960, S. 3. 291 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Selbstbesudelung, 1.1.1960, S. 4. 292 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Maßnahmen, 15.1.1960, S. 3; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Gegenaktionen, 15.1.1960, S. 6. Siehe auch Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Eindrücke, 29.1.1960, S. 6.
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raschung darüber, dass die Meinungserforschungsinstitute offenbar nicht richtig gelegen hätten, als sie die Westdeutschen für „antisemitismus-frei“ erklärten.293 Die antisemitischen Taten wurden auch hier in erster Line als ärgerliche Schmierereien junger Menschen dargestellt und somit entpolitisiert. Vor diesem Hintergrund forderte ein Zitat aus den Entschließungen des Zentralrates „die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, aber auch die Freunde in aller Welt auf, trotz der berechtigten Erregung über die schändliche Provokation ihre Ruhe zu bewahren“.294 Hilfreich waren dabei Aussagen prominenter Juden wie der des Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, Nahum Goldmann, der „die Ansicht vertrat, daß die antisemitischen Vorgänge der jüngsten Zeit keine ernsthafte objektive Gefahr für die Juden darstellten“.295 Passenderweise findet sich mehrfach, und explizit auch in Bezug auf die NS-Jahre, die Vorstellung von einer Trennung der eigentlichen Nationalsozialisten und dem davon nicht überzeugten Volk, welches heute wieder unter deren Treiben leide.296 Dass die „Allgemeine“ hier weniger die antisemitischen Vorfälle als die Rechtfertigung der eigenen Wohnsitzwahl im Land der Täter vor Augen hatte, ist sehr wahrscheinlich.297 Gerade im Angesicht massiver antisemitischer Manifestationen war der ohnehin vorhandene Rechtfertigungsdruck noch gestiegen. Vor diesem Hintergrund betonte sie das Positive. Die „Schmierwelle“ offenbare einerseits Negatives, aber andererseits vor allem eine veränderte Gesellschaft. Dies würde selbst in Israel so wahrgenommen – eine Aussage mit Entlastungspotenzial erster Güte.298 Als Argument für die Relativierung wurden die bundesdeutschen Vorfälle in eine Reihe mit den internationalen Manifestationen des Antisemitismus gestellt und gerade nicht auf die Besonderheit derartiger Taten in Deutschland hingewiesen.299 Dass die „Allgemeine“ als interessengeleiteter Akteur in Verteidigung der westdeutschen Gesellschaft sowie der eigenen Entscheidung, im Land zu bleiben, agierte, verdeutlicht folgendes von der Zeitung veröffentlichtes Zitat van Dams:
293 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Reminiszenz, 8.1.1960, S. 5. 294 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Entschließungen, 15.1.1960, S. 1. Zur These der bewussten Zurückhaltung siehe Sinn, S. 329. 295 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Maßnahmen, 15.1.1960, S. 3; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Gefahr, 29.1.1960, S. 2. 296 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Anschlag, 1.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Kompromisse, 8.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Brief, 22.1.1960, S. 1. 297 Vgl. bezüglich dieser These auch Brochhagen, S. 286–289. 298 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Empörung, 8.1.1960, S. 3f.; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Stellungnahme, 15.1.1960, S. 3. 299 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Vergangenheit, 8.1.1960, S. 3.
160 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) „Die öffentliche Meinung der Welt erkennt die Arbeitskraft und die bürgerlichen Tugenden des deutschen Volkes an, überschätzt seine militärische Begeisterung und Organisationsgabe maßlos, weigert sich aber, an seine Fähigkeiten zur Entwicklung der Demokratie und an seine Zivilcourage zu glauben.“300
Dass die „Allgemeine“ vor allem auf die Rechtfertigung derjenigen Juden zielte, die sich entschieden hatten, in Deutschland wohnhaft zu bleiben, zeigt sich auch an anderen Stellen explizit.301 Am 19. Januar 1960 führte van Dam in einem weiteren Artikel aus, dass sich die Anwesenheit jüdischer Menschen in der Bundesrepublik „in diesen Wochen als bedeutender und wichtiger gezeigt hat, als wir jemals behauptet haben“.302 Ähnlich schließt ein Essay über eine Deutschlandreise: „Wir können und dürfen niemals vergessen, welche ungeheuren Verbrechen von deutschen Menschen an unserem jüdischen Volk begangen wurden. Aber wir dürfen uns dort, wo echtes Schuld- und Sühnegefühl, wo ein Bemühen um Verständigung vorhanden ist, nicht haßerfüllt abwenden. […] Wir sind verpflichtet, mitzuarbeiten an einer besseren Zukunft, wo immer sich eine Möglichkeit – und sei sie noch so klein – bietet. Ich glaube, daß diese Möglichkeit auch in Deutschland besteht. […]. Wir sollten dieser Aufgabe auch in Deutschland, und gerade in Deutschland, dienen.“303
Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass die „Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland“ einen primär antisemitischen Hintergrund der „Schmierwelle“ stets ablehnte. Vielfach betonte sie, dass der Angriff der Synagoge „ein Anschlag [...] auf die deutsche Demokratie“ sei, der „sich gegen die gesamte anständige Menschheit richtet“.304 Die Taten seien in erster Linie antidemokratisch und eine Beleidigung für die Bundesrepublik. Eine publizierte Stellungnahme des Zentralrates argumentierte sogar, dass es sich nur dem äußeren Anschein nach um eine antijüdische Tat handele, die sich aber in weit höherem Maße gegen die christliche Lehre und gegen das Ansehen des deutschen Volkes wende.305 Der 300 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Mut, 8.1.1960, S. 1. 301 Rechtfertigungen, in der Bundesrepublik zu bleiben, finden sich vor allem in den publizierten Stellungnahmen des Zentralrats der Juden. Vgl. ebd.; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Pflicht, 15.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Einheitlichkeit, 29.1.1960, S. 1. Vgl. hierzu auch Sinn, S. 336. 302 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Einheitlichkeit, 29.1.1960, S. 1. 303 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Eindrücke, 29.1.1960, S. 6. 304 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Anschlag, 1.1.1960, S. 1. Siehe auch Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Selbstbesudelung, 1.1.1960, S. 4; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Mut, 8.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Kompromisse, 8.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Pflicht, 15.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Entschließungen, 15.1.1960, S. 1; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Ohnmacht, 22.1.1960, 3f. 305 Derartige Aussagen finden sich mehrfach in den veröffentlichten Kommentaren van Dams. Vgl. Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Selbstbesudelung, 1.1.1960, S. 4; Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Pflicht. 15.1.1960, S. 1.
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westdeutsche Staat sei das eigentliche Opfer, so der Tenor. Andrea Sinn ist daher zuzustimmen, dass die „Allgemeine“ hier eindeutig die Rolle einer Fürsprecherin der Deutschen einnahm.306 Was angesichts ihrer internationalen Leserschaft und dem Wunsch, die Bundesrepublik nicht allzu sehr der Kritik auszusetzen, nachvollziehbar ist, war aber gleichfalls ein Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Verharmlosungsstrategie. Pessimistische Blicke in die Zukunft oder Kritik am Zustand der westdeutschen Gesellschaft finden sich daher in der „Allgemeinen“ nur selten.307 Zwar habe die westdeutsche Bevölkerung ihre Zivilcourage bewiesen, nun aber müsse die Bereitschaft zur Verteidigung der Demokratie noch weiter verstärkt werden.308 Auch könnte es zum Problem werden, dass die Deutschen sich angesichts der guten ökonomischen Lage vor allem aus opportunistischen Gründen für die Demokratie entschieden hatten.309 Das Positive aber überwog in der Berichterstattung bei Weitem. Wurde die Stabilität der Bundesrepublik zu Beginn der fünfziger Jahre lediglich proklamiert, zweifelte die Zeitung diese mittlerweile kaum mehr an. Eine entsprechend geringe Rolle im Umgang mit den ärgerlichen, aber ungefährlichen antisemitischen Vorfällen nahm die „wehrhafte Demokratie“ ein. Insgesamt reagierte die Gesellschaft mit einer Doppelstrategie, die zwischen Verharmlosung und der Forderung nach harten Strafen pendelte. Aus dem Willen zur Selbstberuhigung heraus reagierte die Mehrheit zwar mit Empörung, aber vor allem mit Bagatellisierung. Befürchtungen über einen erneuten Aufschwung des Nationalsozialismus wurden auch von nicht-staatlichen Akteuren konsequent abgestritten. Vielfach wurden die Taten als Nachwehen der NS-Jahre beschrieben, unabhängig davon, dass man wegen der Jugend vieler Täter, die den Nationalsozialismus höchstens als Kinder erlebt hatten, nicht von „Ewiggestrigen“ sprechen konnte.310 Eine „biologische Lösung“ des Problems war schon damals unrealistisch.311 Aus der internationalen Dimension ergab sich die Möglichkeit, die deutschen Vorfälle nicht als spezifisch deutsch, sondern als Teil einer internationalen Entwicklung darzustellen. Die nicht-staatlichen Akteure postulierten dabei Deutungen, die sich mit den „offiziellen“ weitgehend deckten. Die Auseinandersetzung über die „Schmierwelle“ war nicht nur Teil einer grundsätzlichen Wandlung im Umgang mit der Vergangenheit, die sich zwischen 306 Sinn, S. 331–337. 307 So sei die Tatsache, dass man speziell jüdische Organisationen in die Rolle des Mahners dränge, bezeichnend für den Zustand der Zivilgesellschaft in der Bundesrepublik. Vgl. Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Antisemiten. 29.1.1960, S. 3. 308 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Entschließungen, 15.1.1960, S. 1. 309 Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland, Eindrücke, 29.1.1960, S. 6. 310 Vgl. Butterwegge, Rechtsextremismus, S. 103; Röpke / Speit, S. 31. 311 So waren in den fünfziger Jahren etwa 40.000 Jugendliche zur völkischen Jugendbewegung zu zählen, die weiterhin an Vorstellungen einer „Volksgemeinschaft“, vom „Reich“ und zu großen Teilen an rassistisch-antisemitischen Interpretationen festhielt. Vgl. Dudek, S. 280f.
162 3. Der Antisemitismus meldet sich zurück (1959/60) den Jahren 1955 bis 1961 vollzog. Diese massive Häufung antisemitischer Vorfälle war auch ein Wendepunkt für die politische Kultur, die Gesellschaft und speziell für den Umgang mit dem Rechtsradikalismus. Die jüngste Geschichte wurde wieder Teil der Gegenwart.312 Der Ulmer-Einsatzgruppenprozess ein Jahr zuvor und Justizskandale in Zusammenhang mit antisemitischen Vorfällen hatten sicherlich die Sensibilität nach rechts erhöht. Neben der stärkeren Thematisierung der Vergangenheit in Film und Literatur hat vor allem die stark zugenommene Beschäftigung von Wissenschaft und Publizistik seit 1955 hier ihre Wirkung gezeigt. Die Errichtung der Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen 1958, der Eichmann-Prozess 1961 sowie der Auschwitz- und andere KZ-Prozesse zeugen davon genauso wie die Verjährungsdebatten, die allesamt anzeigen, dass es hier zu einer stärkeren Thematisierung der NS-Geschichte kam. Der Antisemitismus wurde erstmals allumfassend auf allen Ebenen der Gesellschaft thematisiert. Trotz aller Kritik des Umgangs zwischen Verharmlosung und der Forderung nach schnellen und harten Strafen sowie der Externalisierung der Täter nach „Osten“ wurde zugleich die einhellige Ablehnung antisemitischer Taten und umfassende Empörung darüber sichtbar – ein Novum in der deutschen Geschichte.313 Nicht zuletzt für diese Arbeit ist die „Schmierwelle“ besonders relevant, weil sich hier parallel zu juristisch-administrativen Reaktionsformen die Deutungskämpfe und die versuchte diskursive Ausgrenzung unliebsamer Positionen aufzeigen lassen.314 Gleichzeitig zeigt das Fallbeispiel, wie eine Verbotsdiskussion reflexartig aufkommen kann, sobald rechtsradikale Aktivitäten in der Öffentlichkeit bekannt werden. Fast automatisch wurde die Deutsche Reichspartei zum symbolischen Gegner aufgebaut, obwohl die justiziell-administrative Repression keine Grundlage hatte.315 Symbolträchtiger Aktionismus als Zeichen nach außen war das Gebot der Stunde. Auf diesem Legitimationsdruck beruhte darüber hinaus das Vorgehen gegen den Bund Nationaler Studenten. Nachdem der Umgang mit dem Rechtsradikalismus sich bald ohnehin stärker auf pädagogische Entwicklungen konzentrierte, war es naheliegend, sich auf diese Gruppe zu konzentrieren, die als Wirkungsstätte gerade die staatlichen Bildungseinrichtungen nutzen wollte.316 Diese Thematik hatte aber für die nicht-staatliche Perspektive kaum Relevanz und wurde – allerdings ohne Erkenntnisgewinne für diese Studie – nur in der „Frankfurter Rundschau“ behandelt.
312 Vgl. Reichel, Vergangenheitsbewältigung, S. 147. 313 Vgl. Bergmann, Antisemitismus 1990, S. 271. 314 Andreas Bergmann weist zurecht darauf hin, dass die „Schmierwelle“ „auch die Chance zum politischen Handeln und zur Anwendung und Festigung demokratischer Normen und Wertvorstellungen“ bot. Vgl. Bergmann, Antisemitismus 1990, S. 256. 315 Vgl. zur Argumentation Kalinowsky, S. 147f. 316 Vgl. zur Argumentation Dudek / Jaschke, S. 428.
4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) An der politischen Bedeutungslosigkeit des Rechtsradikalismus konnte die Deutsche Reichspartei nichts ändern. Ihre Wahlergebnisse übertrafen selten ein Prozent. Durch Abspaltungen wurde sie weiter geschwächt. Fusion schien letztlich die einzige Lösung zu sein und tatsächlich entstand Mitte der sechziger Jahre eine neue Dynamik. Die Ära Adenauer ging zu Ende und die Forderung nach einem Abschluss der „ewigen“ NS-Auseinandersetzung und Schuldzuweisung wurde immer lauter vorgetragen.1 Fast parallel fand ab 1963 in Frankfurt am Main der große Auschwitz-Prozess statt und wurde als „das symbolische Ende jener Phase der Vergangenheitspolitik [bezeichnet], in der die politische Agenda in der Bundesrepublik […] bestimmt war von der Wahrung der Interessen der Täter“.2 In dem Moment, in dem sich Veränderungen im Umgang mit der NS-Vergangenheit abzeichneten, betrat 1964 eine neue rechtsradikale Partei, die Nationaldemokratische Partei Deutschlands, die Bühne der Politik, um die nationalen Grüppchen zu sammeln, die auf der subkulturellen Ebene „überwintert“ hatten. Hauptmotor dieses Prozesses war die alte DRP.3 Auch wenn die Debatte über ein Verbot der NPD schon kurz nach deren Gründung begann, wird diese hier auf ihrem Höhepunkt untersucht.4
4.1. Die polarisierte Gesellschaft Die NPD nahm in allen untersuchten Publikationen eine gewichtige Rolle ein. So äußerte sich erstmals auch die Zeitschrift „Der Arbeitgeber“. Bis heute ist über die Programmatik und Ideologie der Partei viel veröffentlicht worden.5 Wichtig war vor allem die Tatsache, dass auch die NPD die Anpassungsstrategie an die Grenzen der Sagbarkeit in der Öffentlichkeit forcierte. Sie bemühte sich um ein national-konservatives, verfassungstreues Image und hoffte so, nicht nur breitere Wählerschichten anzuziehen, sondern auch einer Diskussion über die Verfassungswidrigkeit zu entgehen. Doch „trotz aller Säuberungsaktionen und 1 Vgl. Jaschke u.a., Hitler, S. 150f. 2 Conze, Suche, S. 254f. 3 Sie wurde zwar aufgelöst, doch deren Funktionäre behielten die Kontrolle über die Entwicklung der neuen Partei lange bei. Vgl. Dudek / Jaschke, S. 181. 4 Der genaue Untersuchungszeitraum beruht auf drei Ereignissen: (1.) Die Landtagswahl in Baden-Württemberg vom 28. April 1968; (2.) Die Cantate-„Saal-Schlacht“ am 25. Juli 1969 in Frankfurt am Main; (3.) Der Bundestagswahlkampf und die Bundestagswahl vom 28. September 1969. 5 Vgl. die bereits vielfach erwähnte Literatur. Für einen ersten Überblick siehe Botsch, S. 41–59; Hoffmann, NPD; Pfahl-Traughber, S. 24–27; Stöss, Rechte, S. 135–140.
164 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) Renommierversuche ist die NPD“, so zum Beispiel „Die Zeit“, „eine Partei des Biertisches […], die gegen das Erreichte und für das Unerfüllbare ist“, geblieben.6 Intern dominierten „Alt-Nazis“ (mit Ausnahme des Parteichefs Friedrich Thielen) die höheren Parteigremien.7 Zunächst verabschiedete die Partei lediglich ein politisches Manifest, welches möglichst offen für viele Wählerspektren sein sollte. Ein richtiges Parteiprogramm, ebenfalls schwammig und teilweise widersprüchlich, wurde erst im November 1967 beschlossen und spiegelte die politische Spannweite der Partei wieder, die von nationalsozialistischen zu rechtskonservativen Mitgliedern reichte.8 Dass die NPD eine nationale rechte Partei war, darüber waren sich alle untersuchten Publikationen einig. Die Frage aber, ob sie auch rechtsradikal oder gar nationalsozialistisch ist, wurde kontroverser diskutiert. So betonte die „Allgemeine unabhängige jüdische Wochenzeitung“ den neonazistischen Charakter der Partei und zitierte viele Aussagen, die einen eindeutigen Zusammenhang mit der NSDAP und den NS-Jahren zeichneten: „Adolf von Thadden ist nicht zimperlich. Ein bißchen dumm, ein bißchen dreist darf man in seiner Partei schon sein. Man darf auch ein bißchen Nationalsozialist gewesen sein, und man darf es noch ein bißchen sein.“9 Nachdem Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel (CDU) die Charakterisierung der NPD als neonazistisch öffentlich angezweifelt hatte, reagierten auch die Frankfurter Tageszeitungen und kritisierten dessen Aussagen deutlich.10 Während die jüdische „Allgemeine“ vor allem beklagte, dass die zu wenig eindeutige Bewertung der Partei als neonazistisch letztlich deren beste Wahlwerbung sei,11 bemängelte die FAZ, dass Aussagen wie die des Bundestagspräsidenten „im Wahlkampf schnell zum Alibi für die NPD-Führung“ werden 6 Die Zeit, Die Partei aus Krähwinkel, 29.8.1969. 7 Vgl. Stöss, Rechte, S. 137. 8 Das Parteiprogramm beinhaltete laut Toralf Staud vor allem „Banalitäten und Populismus.“ Vgl. Staud, S. 72. 9 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Offenbarung, 25.7.1969, S. 2. Siehe für NS-Vergleiche auch Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Die Wahl in Baden-Württemberg, 3.5.1968, S. 2; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Stellungnahmen der Bundestagsparteien gegen den n euen Extremismus, 10.5.1968, S. 3; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Gewerkschaft Leder fordert Verbot. 17.5.1968, S. 16; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Scharfe Absage an die NPD, 18.7.1969, S. 2; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Von Hassel. NPD keine neonazistische Partei, 1.8.1969, S. 12; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Aufsehenerregende Äußerungen über NDP [sic], 8.8.1969, S. 1f.; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Neuer Verbotsantrag geplant, 12.9.1969, S. 7; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., NPD holte wieder auf, 19.9.1969, S. 1. Für die Position der „Allgemeinen“ und ihre Rolle als Akteur in dieser Frage siehe auch Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Zeichen der Unmenschlichkeit, 25.7.1969, S. 2. 10 Für Beispiele aus der FR siehe FR, von Hassel nimmt NPD in Schutz, 29.7.1969, S. 5; FR, Empörung über Hassel-Äußerungen, 30.7.1969, S. 5; FR, Kanzler. NPD nicht neonazistisch, 31.7.1969, S. 4; FR, SPD. Politische Instinktlosigkeit, 2.8.1969, S. 4; FR, FDP fordert Einigkeit gegen NPD, 4.8.1969, S. 8. 11 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Gefährliche Unentschlossenheit, 8.8.1969, S. 2.
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könnten und damit einer Bekämpfung der Partei im Wege stünden.12 Die „Rundschau“ ergänzte, dass sogar von Hassel seine Verneinung des neonazistischen Charakters der NPD als Schutz „vor der Propaganda des Auslandes“ bezeichnet hatte, dieser also selbst zu seinen Aussagen auf Distanz gegangen war.13 In den Publikationen der Gewerkschaften finden sich zwar keine direkten Äußerungen in diesem Zusammenhang, insgesamt aber lässt die Berichterstattung auch hier keine Zweifel an der Wahrnehmung der NPD als rechtsradikal, antidemokratisch, rassistisch und antisemitisch.14 „Die Zeit“ ordnete die NPD ebenfalls in das rechtsradikale Lager ein und bezeichnete sie als neonazistisch.15 Sie erkannte in ihr sogar die Nachfolgerin der verbotenen SRP sowie zahlreicher aufgelöster rechtsradikaler Parteien wie der DRP, der Deutschen Partei und dem BHE.16 Demgegenüber sträubten sich der Bund der Vertriebenen und die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände in ihren Publikationen gegen eine Zuschreibung der NPD als eindeutig rechtsradikal. Kurz vor der Bundestagswahl argumentierte ein Bericht im „Arbeitgeber“, dass man die Sorgen der Wähler ernst nehmen müsse und eben nicht nur „über die NPD statt mit ihr diskutieren“ dürfte.17 Sie sei schließlich keine neonazistische Partei – sonst wäre sie „selbstverständlich längst verboten worden“, so der Artikel weiter. Vielmehr werde sie nur zu einer vermeintlich verfassungswidrigen Partei stigmatisiert. Hier sah die BDA zahlreiche Journalisten und Wissenschaftler der „Links-Journaille“ beziehungs12 FAZ, Die Mitläufer, 30.7.1969, S. 2. Auch vorher wurde die Partei von der FAZ als „neonazistisch“ eingestuft. Vgl. FAZ, Vorwürfe gegen Gutmann, 23.4.1968, S. 4; FAZ, Schwierige Regierungsbildung in Stuttgart, 30.4.1968, S. 1,4; FAZ, Gedächtnislücke Thaddens, 4.5.1968, S. 3; FAZ, Empörung über die Schmierereien in Plötzensee, 21.7.1969, S. 3; FAZ, Fatales Gerede, 2.8.1969, S. 1; FAZ, Wenig Interesse in Amerika an der Wahl, 26.9.1969, S. 5. 13 FR, Hassel, 29.7.1969, S. 5. 14 Vgl. z. B. DGB-Bundesvorstand (Hg.), DGB-Kurier. Beilage zur Metall vom 16.9.1969; Die Quelle 4 (1969), Die NPD. Gefahr von rechts, S. 157–159; Die Quelle 9 (1969), Ein guter Deutscher ist kein Nationalist; GMH 8 (1968), Biologismus, Rassismus und Antisemitismus. Der ideologische Kern der NPD, S. 477–480; GMH 11 (1968), Die Tschechoslowakei in der Sicht der NPD, S. 696–698; GMH 3 (1969), Der Parlamentarier Adolf von Thadden, S. 178–180; Metall, Appell an Dumme, 19.8.1969, S. 6; Metall, Wahltag. Jede Stimme zählt!, 16.9.1969, S. 1; Gerd Muhr / DGB-Bundesvorstand (Hg.), Keine Stimme für die NPD. Rede anläßlich einer Kundgebung des DGB-Kreises Düsseldorf am 19. Juli 1969 in der Rheinhalle Düsseldorf, Düsseldorf 1969, S. 4f.; ÖTV-Magazin, NPD. Werden diese Leute etwa zur Macht gebeten?, Sep. 1969, S. 16f.; ÖTV-Magazin, Jetzt hat der Wähler das Wort, Sep. 1969, S. 3; WdA, Bürgeraktion gegen die NPD, 25.7.1969, S. 1; WdA, Demagogen auf der Spur, 5.9.1969, S. 7; WdA, Gewerkschaftsfeindlich, 19.9.1969, S. 3. 15 Vgl. z. B. Die Zeit, Neonazis im Vormarsch, 3.5.1968; Die Zeit, Das Gespenst der NPD, 10.5.1968; Die Zeit, Wenn Dummheit gefährlich wird, 15.8.1969; Die Zeit, Das Resümee der Wahl, 3.10.1969. 16 Die Zeit, Krähwinkel, 29.8.1969. 17 Der Arbeitgeber 15 (1969), Mut zum Gräßlichen!, S. 596f.
166 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) weise des „Schreibtisch-Vietkong“ – insbesondere Sebastian Haffner, mit „dem ‚Nazi‘-Tick“ –18 in der Schuld: „Ein möglicher Stimmenzuwachs der NPD als Reaktion auf [dessen Darstellungen der protestierenden Studierenden] wird großenteils zu seinen Lasten gehen. Sollte dieses Ergebnis von Haffner gewollt sein, so sei schon hier und heute darauf hingewiesen. Die von Haffner konstruierten Motive derer, die angreifen, und derer, die sich wehren, verfehlen das Thema in einem derart phantastischen Ausmaß, daß dieser Schluß erlaubt sein muß.“19
Mehrfach argumentierte „Der Arbeitgeber“ zudem, dass nicht alle ordnungsliebenden Menschen heute sowie alle damaligen Mitglieder der NSDAP Nazis (gewesen) seien.20 Der DOD hielt sich dabei wesentlich bedeckter. Entsprechend findet sich weder eine eindeutige Beschreibung der NPD als rechtsradikal oder neonazistisch noch explizite Kritik an diesen Zuschreibungen. Die Partei wurde lediglich als verantwortungslos und abenteuerlich tituliert.21 Ein größerer Konsens wurde hingegen in der Frage erzielt, ob die Partei eine Bedrohung für die staatlichen Strukturen oder die demokratische Gesellschaft darstelle. Dies blieb zwar auch innerhalb der einzelnen Publikationen uneinheitlich, in der Gesamtbetrachtung ist aber von einer geringen Gefährdungswahrnehmung auszugehen. Speziell in der „Frankfurter Rundschau“ und – deutlich geringer – in den gewerkschaftlichen Publikationen finden sich dabei zwar auch einige Artikel, die eine höhere Gefahr beschreiben, aber auch hier ist nicht von einer herausragenden Kampagne in diesem Sinne auszugehen. Insgesamt tendierten die gewerkschaftlichen Publikationen allerdings trotz der geringen Bedrohungswahrnehmung gegenüber der NPD keineswegs zu einer allzu optimistischen Zukunftsprognose. Zwar werde diese Partei zunächst keine prominente Rolle in den Parlamenten oder auf Regierungsebene spielen können, da der Druck von außen auf die bürgerlichen Parteien, Koalitionen mit rechtsradikalen Parteien zu vermeiden, momentan noch stark genug sei, stellte die „Welt der Arbeit“ fest, mit der Gewöhnung an die rechtsradikale Agitation könnte sich dies allerdings schnell ändern.22 Schließlich sei es durchaus möglich, dass die NPD den Bundestagswahlkampf erfolgreich meistere 18 Vgl. Der Arbeitgeber 9 (1969), Diese Ausländer, S. 308 bzw. Der Arbeitgeber 15 (1969), Mut, S. 596f. 19 Der Arbeitgeber 5 (1968), Haffners „Nazi“-(Tak)Tick, S. 104. 20 Der Arbeitgeber 5 (1968), „Nazi“-(Tak)Tick, S. 104; Der Arbeitgeber 10 (1968), Werden wir von „Nazis“ beherrscht?, S. 255–260; Der Arbeitgeber 9 (1969), Ausländer, S. 308. 21 DOD, Wem nutzt die Verketzerung, 13.4.1968, S. 2f. 22 WdA, Radikale Phrasen ziehen immer noch, 12.4.1968, S. 3. Am Beispiel von Schleswig-Holstein wurde auch ein gutes Jahr später noch das bürgerlich-rechtsradikale Koalitionsgespenst an die Wand gemalt. Dort kam es in einer unbedeutenden Sachfrage (Gebietsreform) zu einer punktuellen Kooperation, was die Gewerkschaften als potenziellen Anfang von Zusammenarbeit in Zeiten größerer Anspannung deuteten, da der Union Wahlsiege wichtiger seien als die Bekämpfung der Rechtsradikalen. Vgl. WdA, Steigbügel für die NPD, 12.9.1969, S. 4.
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und bald im Bundestag Platz nehmen könne.23 Auch dass rechtsradikale Einstellungen bei Sicherheitsorganen, speziell der Bundeswehr, stark verbreitet seien, war aus gewerkschaftlicher Perspektive zentral, weil für diese in den parallelen Debatten zur Notstandsgesetzgebung der Einsatz im Inneren denkbar wurde.24 Selbst die FAZ, die einerseits erklärte, dass es nach wie vor keine rechtsradikale Gefahr in der Bundesrepublik gebe, betonte andererseits, dass die von links verbreiteten Unruhen bei den Bürgern weniger das politische Interesse geweckt, sondern in erster Linie Schrecken verbreitet hätten.25 „Die Zeit“ veröffentlichte bereits im April 1968 eine kleine Serie über die Aktivitäten der NPD in den Landesparlamenten, in die sie bis dato hinein gewählt wurde. Zwar hieß es an anderer Stelle mehrfach, dass die Partei auf dem Vormarsch sei,26 aber in diesen Regionalstudien wurde wenig Dramatisches beschrieben: „Über die NPD gibt es nichts zu berichten. Ihre Mitwirkung im Landesparlament ist nicht der Rede wert“, hieß es zum Beispiel in Bezug auf Hessen.27 Selbst für den Fall, dass die NPD in den Bundestag einziehen werde, argumentierte „Die Zeit“, dass sich die Partei in der parlamentarischen Alltagsarbeit nicht profilieren werde. Im Parlament werde sie „wahrscheinlich der Lächerlichkeit preisgegeben sein.“28 Letztlich blieb vor allem die „Allgemeine“ unsicher, ob und wann die NPD zu stoppen sei. Das Bedrohungsgefühl ließ bis zur Bundestagswahl zwar auch hier etwas nach, sank aber nie so weit, dass die Partei als ungefährlich oder belanglos charakterisiert wurde. Dies könnte neben der im Vergleich zum Jahresbeginn 1960 deutlich pessimistischeren Wahrnehmung der gesellschaftlichen Realität auch die Folge der andersgelagerten rechtsradikalen Manifestation sein. Die NPD wurde, ähnlich wie schon die SRP, wohl gerade weil sie eine rechtsradikale Partei ist, als größere Gefahr für die Demokratisierung gesehen als die – einmal abgesehen von der in der Wahrnehmung der „Allgemeinen“ irrelevanten DRP – weitgehend unorganisierten antisemitischen Vorfälle um den Jahreswechsel 1959/60. Auffällig ist dennoch, dass erhöhte Bedrohungsbeschreibungen nicht nur in der „Allgemeinen“, sondern auch insgesamt seltener wurden, je näher die Bundestagswahl rückte. So veröffentlichte beispielsweise die „Welt der Arbeit“ am 18. Juli 1969 eine Kurzmeldung, die den Rückgang der Mitgliederzahlen verkündete und eine Abnahme der Parteiaktivitäten implizierte.29 Der DOD kritisierte bereits im März 1968, dass die ausländische Presse aus „Flöhen Elefanten“ machen würde.30 23 WdA, Phrasen, 12.4.1968, S. 3. 24 Die Quelle 5 (1969), Marsch nach rechts, S. 203–204. Vgl. auch Deppe, Geschichte, S. 571; Rigoll, S. 469. 25 FAZ, Landtags-Wahlkampf im Angesicht der Unruhe, 20.4.1968, S. 1. 26 Die Zeit, Neonazis, 3.5.1968; Die Zeit, Gespenst, 10.5.1968. 27 Die Zeit, Quantität anstatt Qualität, 26.4.1968. 28 Die Zeit, Krähwinkel, 29.8.1969. 29 WdA, NPD fällt ab, 18.7.1969, S. 2. 30 DOD, Verketzerung, 13.4.1968, S. 2f.. Zu vermeintlich übertriebener Fokussierung der Auslandspresse auf die NPD siehe auch DOD, Von Links nach Rechts, 8.5.1968, S. 4f.
168 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) Weiter hieß es hier vorwurfsvoll, dass deren Berichterstattung überhaupt erst der Grund sei, weswegen „der deutsche Linksradikalismus, selbst wenn Dutschke den Teufel an die Wand malt, den Westen weniger zu schrecken vermag als Thaddens heiseres Röhren“. Dass damalige Akteure eine drohende Gefahr für die staatlichen Strukturen oder die demokratische Gesellschaft erkannten, kann insofern kaum behauptet werden. Stattdessen zeigt sich recht unmittelbar, dass die eigentliche Bedrohung der NPD für die Außenwahrnehmung der Bundesrepublik und mithin für die internationalen Beziehungen ausgemacht wurde. Dementsprechend warnte zum Beispiel die ÖTV davor, dass nicht nur die östlichen Staaten, sondern auch die westlichen „Freunde“ den Aufstieg der Partei mit Sorge betrachten würden.31 Die „Frankfurter Rundschau“ verwies darauf, dass ein Einzug der NPD in den sechsten Deutschen Bundestag vor allem außenpolitisch eine große Bürde darstellen würde.32 Aufgrund der nationalsozialistischen Vergangenheit richte sich der Blickpunkt aller internationaler Wahlbeobachter besonders in jenen Ländern, „die im letzten Krieg von Hitlers Soldaten besetzt waren“, seit Monaten auf das Ergebnis der NPD, erklärte die Zeitung.33 Die FAZ prophezeite, dass ein Einzug der NPD in den Bundestag der Bundesrepublik nicht nur zu „Ärger mit unseren ausländischen Freunden“ führen würde, sondern dies „uns auch Materielles kosten“ werde.34 Pointiert stellte auch „Die Zeit“ fest: „Gibt es eine Bonner NPD-Fraktion, ist es vorerst um die Reputation dieser Republik geschehen.“35 Der „Deutsche Ostdienst“ betonte gleichfalls, dass die NPD gefundenes Fressen für die Propaganda der Ostblockstaaten sei.36 Doch gerade die Reaktionen im westlichen Ausland wertete die Zeitschrift zum einen als Ungeheuerlichkeit und zum anderen als bewusste Strategie:
Dass diese verharmlosende Darstellung einer bewussten Entscheidung folgte, zeigen andere Untersuchungen, die herausarbeiteten, dass der BdV die NPD intern durchaus als Gefahr wahrnahm – allerdings vor allem für die eigene Politik. Vgl. Stickler, S. 338. 31 Um dies zu untermauern, druckte das ÖTV-Magazin in der September-Ausgabe einige Faksimiles ausländischer Zeitungen. Vgl. ÖTV-Magazin, NPD. Sep. 1969, S. 16f. Für andere gewerkschaftliche Äußerungen in diesem Zusammenhang siehe WdA, Der NPD-Erfolg schadet uns innen und draußen, 3.5.1968, S. 1. Siehe auch den Cartoon in der WdA vom 10.5.1968, S. 2. 32 FR, Kanzler, 31.7.1969, S. 4; FR, Heinemann mahnt zur Fairness, 15.9.1969, S. 1; FR, Scheel. Unionsparteien schüren Emotionen, 26.9.1969, S. 11; FR, Ausgangssperre für die roten Pappkameraden, 26.9.1969, S. 28. Diese Argumentation war in der FR auch schon ein Jahr früher geläufig. Vgl. FR, Kiesinger. NPD objektiv sehen, 1.5.1968, S. 1. 33 FR, Ausgangssperre, 26.9.1969, S. 28. 34 Vgl. FAZ, Konsequenzen, 26.9.1969, S. 1. 35 Die Zeit, Krähwinkel, 29.8.1969. Siehe auch Die Zeit, Quantität, 26.4.1968; Die Zeit, Bonner Wahlkater, 3.5.1968. 36 DOD, Verketzerung, 13.4.1968, S. 2f.; DOD, Genugtuung im Osten, 7.10.1969, S. 3.
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„Alles in allem jedoch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß das Pressegezeter unserer westlichen Nachbarn über die rechtsradikalen Umtriebe in der Bundesrepublik Deutschland, […] nicht allein einer ‚Soldatenzeitung‘ oder einer NPD-Parteitagsrede, sondern vor allem dem Suchen nach einem eigenen Alibi, gewissen Schuld- und Minderwertigkeitskomplexen und nicht zuletzt der Größe des Balkens im eigenen Auge – der den Ausblick auf den Splitter im Auge des ‚Nächsten‘ verdeckt – zuzuschreiben ist.“37
Mehrfach warf auch die FAZ ausländischen Regierungen sowie der internationalen Presse vor, die NPD bewusst zu dramatisieren.38 Insofern zeigte sich, dass der Blick ins Ausland teilweise unterschiedliche Zielrichtungen verfolgte, aber in allen Publikationen einen herausragenden Stellenwert besaß. Eng verbunden war dieser mit der Frage nach dem Status Quo der Bundesrepublik, der, mit Blick auf den Aufstieg einer rechtsradikalen Partei gut zwanzig Jahre nach Kriegsende und den parallelen Unruhen, die wir gemeinhin mit der Chiffre „1968“ verbinden, gleichfalls ein zentrales Thema dieser Jahre war. So sahen die Akteure vielleicht insgesamt keine große Bedrohung heraufziehen, Beunruhigung äußerte sich in den Berichten dennoch vielfach. Die NPD und der Rechtsradikalismus wurden daher auch als ein Symptom für die Krisenhaftigkeit der Gesellschaft wahrgenommen. Dass die Partei vieles von dem, was bisher erreicht wurde, gerade in Bezug auf das Vertrauen in die Demokratisierung der Bundesrepublik wieder zerstören könnte, schien allen gleichfalls möglich. Im April 1968 rückte der Rechtsradikalismus zunächst mit dem Mordversuch an Rudi Dutschke in den Fokus. Die „Frankfurter Rundschau“ stellte den Attentäter dabei als Kommunistenhasser und eher verwirrt denkenden rechtsradikalen Einzelgänger dar.39 Zudem argumentierte ein Kommentar, dass politische Attacken „immer nur in einer erhitzen Atmosphäre [geschehen]“, die die politische Rechte erzeuge, und, dass es daher kein Zufall sei, „daß in unserem Lande die Opfer nahezu ausnahmslos Linke waren.“40 Schließlich würde die Gesellschaft aktiv antikommunistische „Pogromstimmung“ entwickeln.41 Die FR nutzte den Mordversuch, um für die Deradikalisierung aller Gesellschaftsteile zu werben, obwohl die „Hoffnung, daß die ‚Böswilligen‘ einsichtig, die Ignoranten zugäng37 DOD, Verketzerung, 13.4.1968, S. 2f. 38 Ein Bericht kritisierte zum Beispiel, dass die britische Presse teilweise den Eindruck erwecke, es „handele sich um ein Duell zwischen von Thadden und Strauß um den Kanzlerposten“. Vgl. FAZ, Die Engländer sähen am liebsten einen Sieg Brandts, 26.9.1969, S. 2. Vgl. auch FAZ, Kiesinger. NPD erweist Moskau großen Dienst, 10.9.1969, S. 1; FAZ, Mischnick. Wer nicht wählt, gibt seine Stimme der NPD, 15.9.1969, S. 28; FAZ, Interesse, 26.9.1969, S. 5. 39 FR, Mord imponierte dem Attentäter Josef Bachmann, 16.4.1968, S. 2; FR, Unruhige Ostern, 16.4.1968, S. 3. 40 FR, Ostern, 16.4.1968, S. 3. 41 FR, Was gefährdet unsere Demokratie?, 25.4.1968, S. 17.
170 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) lich, die Radikalen gemäßigt werden“, nach wie vor äußerst gering sei.42 Auch später noch wurde die „Fanatisierung des öffentlichen Lebens“ als große Gefahr für die demokratische Gesellschaft beschrieben.43 Die Berichte der „Zeit“ verdeutlichen ebenfalls, dass die späteren sechziger Jahre als eine ausgesprochene Krisenphase wahrgenommen wurden. Nach den Schüssen auf Dutschke fragte die Zeitung, ob man nun erstmals seit 1949 ernsthaft fragen müsse, „ob Bonn nicht doch Weimar sei – oder werden könne“, schließlich reiche ein „halbtoter Dutschke […] offenbar nicht aus, um Besinnung zu bewirken“.44 Zwar verzichtete „Die Zeit“ in Zusammenhang mit diesem Attentat konsequent auf die Beschreibung des rechtsradikalen Hintergrundes des Attentäters,45 dass aber die Gesellschaft durchaus mitschuldig sei, betonte auch sie: „Mordanschläge sind nicht reiner Zufall“ und immer zumindest „indirekt zugleich auch das Produkt des Milieus“.46 Ohnehin beschrieb sie den Zustand der Gesellschaft vielfach negativ als konfrontativ und polarisiert.47 Die FAZ teilte die Skepsis bezüglich der politischen Lage durchaus. Die Schüsse auf Dutschke wertete sie als politischen Mordversuch, einen rechtsradikalen Hintergrund beschrieb sie aber ebenfalls nicht. Ähnlich wie „Die Zeit“ wertete sie diesen Vorfall dennoch als Alarmsignal für die demokratische Gesellschaft: „Wird man einmal sagen können, sie seien das schreckliche und schreckende Zeichen zur Einkehr und Umkehr geworden?“, fragte ein Kommentar und erklärte, dass mit einer Gesellschaft, die einen politisch motivierten Mord hervorbringen könne, sicherlich nicht alles in Ordnung sei.48 Deutlich offenbart sich die Fassungslosigkeit über eine solche Entwicklung. Wer, fragte die Zeitung, „hätte vor einem Jahr gedacht, daß bei uns geschehen würde, was jetzt geschieht?“49 Die gestiegene Skepsis verdeutlicht vor allem der auch hier im Anschluss an das Zitat veröffentlichte Verweis darauf, dass Bonn – lediglich noch – nicht Weimar sei. Zum Schutz der demokratischen Gesellschaft forderte die FAZ daher ein Zusammenstehen aller Bevölkerungsteile und eine „Rückkehr zu den Spielregeln der Demokratie“.50 Der Gesellschaft aber einen faschistischen Charakter 42 FR, Ostern, 16.4.1968, S. 3. 43 FR, Demokratie, 25.4.1968, S. 17. 44 Die Zeit, Die Vernunft blieb auf der Strecke, 19.4.1968. 45 Dieser wird lediglich als der „unselige Pistolenschütze bzw. „der 23jährige Anstreicher“ beschrieben. Vgl. Die Zeit, Vernunft, 19.4.1968; Die Zeit, Nach dem Attentat – blutige Ostern, 19.4.1968. 46 Die Zeit, Vernunft, 19.4.1968. 47 Siehe z. B. die am 19. April 1968 abgedruckten Wortmeldungen prominenter Intellektueller. Vgl. Die Zeit, Das Versagen der Alten (Gustav Heinemann); Die Zeit, Im Teufelskreis der Ratlosigkeit (Ralf Dahrendorf); Die Zeit, Wenn die Feigen stark werden (Heinrich Alberiz); Die Zeit, Die Erklärung der Vierzehn (Theodor W. Adorno u.a.). 48 FAZ, Der Mordanschlag, 13.4.1968, S. 1. 49 FAZ, Kraftprobe, 17.4.1968, S. 1. 50 FAZ, Mordanschlag, 13.4.1968, S. 1.
4.1. Die polarisierte Gesellschaft
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zuzuschreiben, bezeichnete sie direkt als primitiv, denn „[v]iel freier und mehr Freiheit ermöglichend als unsere ist keine Gesellschaft der wirklichen Welt in Geschichte und Gegenwart“. Dass die Gewalt in den kommenden Monaten auch in Zusammenhang mit Wahlkampfauftritten der NPD immer weiter eskalierte, führte dazu, dass die Gesamtbetrachtung der politischen Situation in der FAZ zum Teil dennoch sehr negativ ausfiel. Eine solche negative Gesamtwahrnehmung der politischen Situation zeigte sich gleichfalls in der „Allgemeinen unabhängigen jüdischen Wochenzeitung“, die dabei deutlicher als die anderen primär in Richtung Rechtsradikalismus blickte: „Vieles“, so ein Kommentar, „liege im Argen mit der bundesdeutschen Gesellschaft und der Praktizierung der Demokratie“.51 Die Bundesrepublik befinde sich an einem „Scheideweg ihrer Existenz“ und die Gesellschaft müsse sich, so der Kommentar weiter, nun zwischen Radikalisierung – „von der die im Hintergrund lauernden Faschisten am meisten profitieren würden“ – und der Vernunft entscheiden. Auch die jüdische Zeitung wertete den Mordversuch an Dutschke als Beispiel für den „inneren Unfrieden Deutschlands“.52 Das Problem des Antisemitismus sei ebenfalls keineswegs gelöst.53 Vor diesem Hintergrund war der stete Aufstieg der NPD ein weiteres Alarmzeichen.54 Immer wieder dokumentierte die „Allgemeine“ darüber hinaus kleinere antisemitische oder rechtsradikale Vorkommnisse und unterfütterte somit die eigene Kritik.55 Die Schändung der Gedenkstätte Plötzensee erschien dabei als besonders ver-
51 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Das Attentat, 19.4.1968, S. 2. Vgl. auch Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Brandt warnt vor übersteigertem Nationalismus und NPD, 17.5.1968, S. 1; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Zeichen, 25.7.1969, S. 2; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Unentschlossenheit, 8.8.1969, S. 2; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Die Reifeprüfung, 26.9.1969, S. 1. 52 Allerdings wurde der Mordanschlag zunächst nicht als rechtsradikale Tat bezeichnet, sondern als ein Attentat, dessen Täter „im Sinne vieler anderer handelte, die aus Denkfaulheit den politischen Gegner lieber vernichten, als sich ihm zur Rede stellen“. Erst später erklärte die Zeitung, der Anschlag sei ein Produkt der „Feme“, die entsprechend der deutschen Tradition „von rechts nach links geschossen“ habe. Vgl. Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Attentat, 19.4.1968, S. 2 bzw. Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Plädoyer für junge Deutsche, 10.5.1968, S. 1f. 53 „‚Der Antisemitismus ist tot – es lebe der Philosemitismus!‘ Die erste Feststellung zweifele ich ebenso an, wie die darauf folgende Parole“, erklärte ein Bericht kritisch. Vgl. Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Philosemitismus heute, 12.9.1969, S. 28. So auch Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Rassen und Hessen, 10.5.1968, S. 2. 54 Sie nehme zusammen mit der Deutschen Nationalzeitung von Gerhard Frey eine Schlüsselrolle im Spektrum ein. Vgl. Allg. unabh. jüd. Wochenztg., NPD, 19.9.1969, S. 1. 55 Siehe z. B. Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Vier Kirchen mit NS-Symbolen besudelt, 1.8.1969, S. 12; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Neue Hakenkreuzschmierereien in Berlin, 8.8.1969, S. 1.
172 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) werflich.56 Insgesamt zeigt sich, dass die „Allgemeine unabhängige jüdische Wochenzeitung“ ihre bisher vielfach beschönigende Darstellung der Demokratisierung nun teilweise relativierte und zu einer kritischeren Bestandsaufnahme und entsprechenden Mahnungen tendierte. Ihr bisheriger (Zweck-)Optimismus bekam deutliche Risse, je stärker der Rechtsradikalismus wurde. Für „Wehret den Anfängen“ sei es viel zu spät und wer dies fordere, mache sich mitschuldig an der missglückten Vergangenheitspolitik, hieß es nun deutlich.57 Das Problembewusstsein bezüglich der NS-Vergangenheit nehme stetig ab und senke die Bereitschaft, den Rechtsradikalismus als ernstes Problem zu sehen.58 Mit Bezug auf den Anschlag auf Dutschke hieß es: „Wir haben darauf gewartet, den Täter von Westberlin bagatellisiert zu bekommen als ‚Einzeltäter‘, als ‚Irren‘, als ‚Abwegigen‘, was bekanntlich auch prompt eintrat. Sein malerisches Bekenntnis zu Hitler und seine Anfälligkeit für die NPD konnten zwar nicht unterschlagen werden, wurden aber wie Randerscheinungen behandelt.“59
Insofern war die Darstellung in fast allen Publikationen weitgehend kritisch geprägt und beinhaltete durchaus sorgenvolle Meinungsäußerungen, wenn auch oftmals nicht direkt auf die NPD, sondern auf die allgemeine Entwicklung bezogen. Einzig die BDA fiel in diesem Zusammenhang aus dem Rahmen. Während fast alle Publikationen den Vormarsch des Rechtsradikalismus beschrieben, erklärte „Der Arbeitgeber“, dass es gar keinen Anstieg des Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik gegeben habe.60 Und selbst wenn, dann könne ein solcher angesichts der eigentlichen Gefahr durch die politische Linke ohnehin vernachlässigt werden. Die NPD sei lediglich ein Handelsrisiko und – in diesem Fall stimmte die BDA den anderen Publikationen dann doch zu – eine Bedrohung für 56 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Zeichen, 25.7.1969, S. 2. Lediglich die FAZ berichtete ähnlich umfassend über diese Vorfälle zum 25. Jahrestag des Hitlerattentates in West-Berlin. Deutlich offenbarte sie dabei ihre Empörung über diese symbolträchtigen Schändungen. Vgl. FAZ, Aktuell geworden, 21.7.1969, S. 2; FAZ, Empörung, 21.7.1969, S. 3; FAZ, Hakenkreuz-Schmierer noch unbekannt, 22.7.1969, S. 6. 57 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Reifeprüfung, 26.9.1969, S. 1. 58 Die vergangenheitspolitischen Fehler würden sich bis heute in der fehlenden Abgrenzung zum Rechtsradikalismus manifestieren und wirksame diskursive Brandmauern verhindern. Die „Allgemeine“ veröffentlichte entsprechende Beispiele. Vgl. Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Fatales Paktieren, 10.5.1968, S. 2; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Äußerungen, 8.8.1969, S. 1f.; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Verbotsantrag, 12.9.1969, S. 7. Siehe auch Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Wahl, 3.5.1968, S. 2; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Plädoyer, 10.5.1968, S. 1f.; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Reifeprüfung, 26.9.1969, S. 1. 59 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Plädoyer, 10.5.1968. Siehe diesbezüglich auch Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Hakenkreuzschmierereien gesühnt, 19.4.1968, S. 2; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Paktieren, 10.5.1968, S. 2; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Brandt, 17.5.1968, S. 1. 60 Der Arbeitgeber 9 (1968), Es hat 12 geschlagen!, S. 211f.
4.2. Auf- und Abstieg der NPD
173
das westdeutsche Ansehen in der Welt.61 Selbst in der Ursachenfrage bezüglich des NPD-Aufstieges fokussierte „Der Arbeitgeber“ vor allem auf die politische Linke. In dieser Wahrnehmung wurde der Erfolg der Partei zu einem Produkt von Chaos und Panikmache, welches die Linke veranstalte.62 Überhaupt beschrieb die Zeitung den Zustand von Staat und Gesellschaft in positiven Worten. Die Entwicklung nach zwei Dekaden sei „beachtlich“, und die Menschen lebten nach „den Grundsätzen einer Verfassung, die liberaler nicht vorstellbar ist“.63
4.2. Auf- und Abstieg der NPD Die Bundesrepublik steuerte ab Mitte der sechziger Jahre in ihre erste – wenn auch leichte – Rezession. Die ersten staatlichen Finanzdefizite tauchten auf, zahlreiche Firmen mussten aufgeben und die Arbeitslosenzahlen schnellten in die Höhe, was neben den unmittelbaren Folgen ein Gefühl der Verunsicherung erzeugte. Parallel gelang es der Union immer weniger, das rechtsaffine Wahlpotenzial an sich zu binden, da ihre Politik, solange sie sich in einer Großen Koalition befand, koalitionsfähig und weniger auf Gegensatz zur Sozialdemokratie ausgerichtet sein musste. Auch die FDP hatte ihren aus den Gründungsjahren der Bundesrepublik stammenden nationalen Flügel weitgehend verloren, sodass die NPD sich als „einzig nationale Oppositionspartei“ ausweisen konnte. Zudem rückten zahlreiche Konservative inhaltlich wieder näher an die Nationaldemokraten he ran und trugen dazu bei, deren Positionen zumindest teilweise zu legitimierten.64 Auch im konservativen Lager standen die Zeichen auf Veränderung. „Es war das Ende der Nachkriegszeit!“,65 erklärt Eckart Conze die Situation. Parallel hatte der Umbruch von der konservativen Hegemonie zum sozialdemokratischen Jahrzehnt der siebziger Jahre langsam begonnen.66 Des Weiteren ist die internationale Lage zu bedenken. Die neue Ostpolitik zeichnete sich langsam am Horizont ab. Die Entspannung des Ost-West-Konflik61 Der Arbeitgeber 15 (1969), Mut, S. 596f. 62 Der Arbeitgeber 5 (1968), „Nazi“-(Tak)Tick, S. 104; Der Arbeitgeber 9 (1968), 12, S. 211f.; Der Arbeitgeber 15 (1969), Mut, S. 596f. 63 Der Arbeitgeber 9 (1968), 12, S. 211f.. Ähnlich positiv auch Der Arbeitgeber 9 (1969), Ausländer, S. 308. 64 Vgl. zur Argumentation Uwe Backes / Patrick Moreau, Die extreme Rechte in Deutschland. Geschichte – gegenwärtige Gefahren – Ursachen – Gegenmaßnahmen, München 21994, S. 20; Dudek / Jaschke, S. 287. 65 Conze, Suche, S. 363. 66 Edgar Wolfrum geht zudem davon aus, dass die Debatte über den Tag der Deutschen Einheit, der 1968 ausgelassen und 1969 neu zu besetzen versucht wurde, um außenpolitischen Spielraum zu gewinnen, ihren Teil zur Mobilisierung der NPD beigetragen hat. Vgl. Wolfrum, Geschichtspolitik, S. 254.
174 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) tes sorgte für eine gewisse Aufweichung der Feindbilder.67 Die NPD stellte sich als einzig konsequent antikommunistische Partei dar und versuchte, an das „autoritär-entspannungsfeindliche Erbe Adenauers“ anzuknüpfen.68 Sie konnte bereits bei den Bundestagswahlen 1965 zwei Prozent der Stimmen auf sich vereinen und damit das DRP-Ergebnis von 1961 mehr als verdoppeln. Nach diesem Achtungserfolg erzielte sie ab 1966 einen Wahltriumph nach dem anderen.69 Als die NPD sich im Juni 1966 zum Parteitag in Karlsruhe treffen wollte, wurde allerdings auch deutlich, dass sie auf immer stärkeren Widerstand traf. Die Stadt versuchte, den Mietvertrag für die Halle zu kündigen, und 15.000 Menschen trafen auf einer vom DGB organisierten Protestdemonstration gegen die Rechtsradikalen zusammen. Viele Einzelgewerkschaften verabschiedeten Unvereinbarkeitsbeschlüsse und die ersten Verbotsforderungen machten die Runde.70 Der Aufstieg der NPD ging dennoch, wenn auch nicht ganz geradlinig, weiter.71 In Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein konnte sie im April 1967 mit 6,9 beziehungsweise 5,8 Prozent der Stimmen in die Landtage einziehen. Parallel stiegen die Mitgliederzahlen und erhöhten die Schlagkraft.72 Mit besonderer Spannung wurden die Ergebnisse der niedersächsischen Landtagswahlen im Juni erwartet. Im „Stammland des Rechtsradikalismus“ (Siehe Kapitel 2) wurde Schlimmstes befürchtet. Aber das Wahlergebnis (7,0 Prozent) verdeutlichte, dass das rechtsradikale Potenzial hier mittlerweile nicht größer war als im bundesrepublikanischen Durchschnitt. Im Oktober 1967 erzielte die NPD bei der Wahl zur Bremer Bürgerschaft mit 8,8 Prozent der Stimmen erneut ein gutes Ergebnis. Im Anschluss begann der Wahlkampf für die Landtagswahl in Baden-Württemberg. Die Ausgangsbedingungen waren vielversprechend. Nicht nur wirkte die seit 1965 aufgetretene Wirtschaftskrise nach, auch hatte sich die gesellschaftliche Radikalisierung beziehungsweise Polarisierung verstärkt. Daher artikulierte zum Beispiel die „Frankfurter Rundschau“ die Besorgnis, dass die Unruhen der letzten Zeit – speziell die Studierendenproteste – sich verheerend auswirken könnten. Schließlich hätte 67 Vgl. Doering-Manteuffel, Grundordnung, S. 282f. 68 Stöss, Rechte, S. 135. 69 Waren es bei der Hamburger Bürgerschaftswahl im März „lediglich“ 3,9 %, erhielt die NPD etwas später in Hessen und Bayern schon 7,9 % bzw. 7,4 % der Stimmen. In einigen hessischen Gemeinden bekam sie mehr als zwanzig Prozent der Wählerstimmen. Berücksichtigt man die starke Position der CSU in Bayern, ist das dortige Ergebnis noch eindrucksvoller. Vgl. Flemming, S. 79; Hoffmann, NPD, S. 109f. 70 Vgl. Conze, Suche, S. 363 bzw. Hoffmann, NPD, S. 80. 71 Vgl. Flemming, S. 79f. 72 1966 hatte die Partei bereits fast 25.000 Mitglieder. Der Anstieg setzte sich bis 1967 fort und pendelte dann bis 1969 um die 28.000. Vgl. Pfahl-Traughber, S. 26. Erstmals in der Bundesrepublik gelang es einer rechtsradikalen Partei mit der Gründung der Jungen Nationaldemokraten (JN) zudem, eine – mehr oder weniger – stabile Jugendorganisation aufzubauen. Vgl. Dudek / Jaschke, S. 134.
4.2. Auf- und Abstieg der NPD
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sich der Ruf nach Ordnung immer mehr zum bestimmenden Thema des Wahlkampfes entwickelt.73 Der Pessimismus der Zeitung bezüglich des Wahlausgangs bezog sich dabei im Vorfeld allerdings vor allem auf die erwarteten Stimmenverluste der SPD und weniger auf das Ergebnis der NPD.74 Deren relativ geringe Relevanz für die Zeitung verdeutlicht die ironische Darstellung des Wahlkampfes: „Wahlkampfveranstaltungen waren erstaunlich gut besucht, und nicht nur Adolf von Thadden, der noch dazu zwei Mark Eintritt für seine Auftritte verlangte und bekam, lockte mehrere tausend Zuhörer an, wenn er sich für deutsche Kohle, deutschen Kohl und deutsche Ehre stark machte“.75
Deutlichere Besorgnis findet sich in den Berichten der FAZ. Die baden-württembergische Landtagswahl sei schließlich eine „neue Probe für die Empfänglichkeit des Wählers für Parolen der NPD.76 Von deren Einzug in den Landtag schien sie dabei weitgehend überzeugt und kritisierte vor allem den SDS als „Zutreiber wider Willen“.77 Wahrscheinlich werde der Erfolg daher sogar die bisherigen Ergebnisse der NPD übertreffen: „[Die verbreitete Radikalisierung] wird sich […] zu Stimmen für die NPD auf eine Weise summieren, die allen Vernünftigen noch die Gänsehaut über den Rücken jagen wird. Der Rechtsextremismus hatte in der Bundesrepublik bloß eine relativ bescheidene Chance des Wahlprotestes. […] Der terroristische Kern der Demonstranten wird es aber am Ende noch schaffen, der NPD zu einem größeren Stamm aufgeschreckter, nach Ordnung und Sicherheit auf den Straßen verlangender Wähler zu verhelfen“.78
73 Vgl. FR, Besorgnis über Ausgang der Wahlen, 20.4.1968, S. 1; FR, Alex Möller, 26.4.1968, S. 3; FR, Die Abschleppkosten für einen politischen Unfall, 26.4.1968, S. 3. 74 Auch am ersten Tag nach der Wahl, als die Ergebnisse noch nicht bekannt waren, verwies die Zeitung noch auf Aussagen von Landespolitikern, die von einem „spürbaren Dämpfer“ für die NPD und einem klaren Bekenntnis zur Demokratie ausgingen. Vgl. FR, Baden-Württemberg wählte Landtag, 29.4.1968, S. 2. 75 FR, Abschleppkosten, 26.4.1968, S. 3. 76 FAZ, Junge Leute ziehen in den Wahlkampf, 11.4.1968, S. 4; FAZ, Brandt weicht nicht aus, 22.4.1968, S. 4. 77 FAZ, Landtags-Wahlkampf, 20.4.1968, S. 1 bzw. FAZ, Nutznießer, 18.4.1968, S. 2. Bezüglich des SDS siehe auch FAZ, Linus Kather wirbt für die NPD, 24.4.1968, S. 5; FAZ, Ausstrahlungen auf Bonn, 27.4.1968, S. 2. 78 FAZ, Nutznießer. 18.4.1968, S. 2. Siehe auch FAZ, Ausstrahlungen, 27.4.1968, S. 2. Zwar erklärte die FAZ, dass die Studierendenunruhen lediglich ein Aspekt neben anderen seien, in der Berichterstattung war dieser dennoch dominant und wurde als Argument gegen die radikale Linke in Stellung gebracht. Vgl. FAZ, Folgen eines fatalen Wahlsonntags, 30.4.1968, S. 1; FAZ, Erregung im Ausland über das Wahlergebnis macht Kiesinger Sorge, 30.4.1968, S. 1,4; FAZ, Regierungsbildung, 30.4.1968, S. 1,4; FAZ, Amerikaner warnen vor Panikstimmung, 30.4.1968, S. 4; FAZ, Der Kanzler warnt die Utopisten vor Gewalttätigkeit, 1.5.1968, S. 1,4.
176 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) Vorsichtshalber erklärte die FAZ ein Ergebnis um die sieben Prozent für nicht außergewöhnlich und versuchte derart bereits im Vorfeld, der erwarteten Skandalisierung etwas entgegenzusetzen.79 Schließlich verfolge das Ausland die Landtagswahl mit besonderem Interesse und ein gutes Ergebnis der NPD könne der Bundesrepublik immens schaden.80 Parallel versuchte die FAZ das erwartete hohe Ergebnis der NPD bereits im Vorfeld als Protestwahl gegen den Status quo zu relativieren. So gründe die Entscheidung der Bauern für die NPD sicherlich nicht in dem Wunsch nach einem „neuen Hitler“.81 Vielmehr würde die Politik auf die steigenden Unzufriedenheitspotenziale in der bundesdeutschen Gesellschaft keine Antworten finden.82 In diese Richtung zielten auch die Berichte der „Zeit“. „Ordnung“, heißt es zunächst ebenfalls, „gehört in Baden-Württemberg zum Lebensstil“ und wäre zum Schlüsselbegriff des Wahlkampfes geworden. Dann aber beschrieb die Zeitung ausführlich vor allem die ökonomischen Ursachen des erwarteten NPD-Erfolges, speziell die Frustrationspotenziale der Bauern.83 Demgegenüber hielten die Gewerkschaften einen Erfolg der Partei vor der Landtagswahl für unwahrscheinlich oder wollten dies zumindest suggerieren. Die „Welt der Arbeit“ ging zunächst davon aus, dass der Aufwärtstrend der NPD mittlerweile abgeflacht sei und dass die wirtschaftlichen Probleme, die der Partei seit 1966 zu ihren Erfolgen verholfen hatten, rechtzeitig beseitigt werden konnten.84 Auch die gewerkschaftlichen Publikationen verorteten die Ursachen für den Aufstieg der NPD vor allem in den steigenden sozialen und ökonomischen Problemen. So konstatierte der stellvertretende Vorsitzende des DGB-Bundesvorstandes, Gerd Muhr85, dass es die kapitalistische Wirtschaftsordnung und das Klima der Restauration gewesen seien, die der NPD ideale Wachstumsbedingungen einbrachten.86 Er wollte nun explizit die „Zustände“ kritisch beleuchten, dieser Aspekt stand aber zu keinem Zeitpunkt im Mittelpunkt der Publikationen und tauchte eher beiläufig auf. Tiefgehende Kritik übte die Gewerkschaftspresse nicht. Klassenkämpferischen Positionen hatte insbesondere die Gewerkschafts-
79 FAZ, Bonn blickt auf Baden-Württemberg, 27.4.1968, S. 4. 80 Ebd.; FAZ, Leute, 11.4.1968, S. 4; FAZ, Ausstrahlungen, 27.4.1968, S. 2. 81 FAZ, Ausstrahlungen, 27.4.1968, S. 2. Siehe auch FAZ, Junge Union sucht der NPD das Wasser abzugraben, 23.4.1968, S. 3. 82 FAZ, Dann wäre der Aufruhr nicht zu unterdrücken, 26.4.1968, S. 44. 83 Die Zeit, Proteststimmung auch im Musterländle, 26.4.1968. 84 WdA, Innenminister immer noch gegen NPD-Verbot, 12.4.1968, S. 3. 85 Muhr kam aus der IG Metall und war nach Ansicht von Stefan Remeke eine der „herausragenden Persönlichkeiten der westdeutschen Gewerkschaftsbewegung in der Nachkriegszeit“. Vgl. Stefan Remeke, Gerd Muhr und Maria Weber. Eine sozialpolitische Elite des DGB in den frühen Jahren der sozialliberalen Koalition (1969–1974), in: Klaus Dörre / Karl Lauschke (Hg.), Die Gewerkschaftselite der Nachkriegszeit. Prägung – Funktion – Leitbilder, Essen 2006, S. 207–223, hier S. 207. 86 Muhr / DGB-Bundesvorstand, S. 14.
4.2. Auf- und Abstieg der NPD
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führung weitgehend abgeschworen87, und deren Einfluss reichte bis in die Redaktionen der abhängigen Zeitschriften. In Bezug auf Baden-Württemberg hieß es insofern, dass die NPD zwar weiterhin das „Sammelbecken aller Unzufriedenen“ sei, sie könne aber mit ihren nationalen Wirtschaftsparolen und ihrem Selbstverständnis als Partei gegen das Establishment mittlerweile nur noch die in Schwierigkeiten steckende Wählerschaft wie einige Selbstständige sowie Teile der kleinbürgerlichen und bäuerlichen Bevölkerung mobilisieren.88 Von Alarmismus war die Gewerkschaftspresse weit entfernt. Entsprechend wurde hier, wie auch in den anderen Publikationen, vor allem von einer Protestwahl gesprochen. Keinesfalls könnte sie besonders erfolgreich sein, würde sie nur „wirkliche Nazis“ ansprechen.89 Aufschlussreich ist darüber hinaus der Hinweis der „Welt der Arbeit“, dass das derzeitige Ausmaß rechtsradikaler Aktivitäten als normale Pathologie zu bewerten sei.90 Dass derartige Relativierungen beziehungsweise Zweifel an der Möglichkeit eines guten Wahlergebnisses für die NPD gerade in den gewerkschaftlichen Publikationen auftauchten, verwundert zunächst und lässt sich nur mit einem gezielten Interesse an einer Relativierung des Aufstieges der NPD erklären. Ähnlich dürfte die Entscheidung der „Allgemeinen“ zu verstehen sein, die Partei vor der Landtagswahl kaum zu behandeln. Angesichts der vorhandenen Sensibilisierung könnte dies darauf hindeuten, dass die jüdische Zeitung den erwarteten Erfolg nicht schon vorher dramatisieren wollte. Dafür spricht, dass sie den Überraschungscharakter des Ergebnisses nach der Wahl mit Blick auf den ausführlichen Wahlkampf der Partei verneinte.91 Mit zahlreicher Unterstützung aus anderen Bundesländern und vielen lokalen Veranstaltungen versuchten die Rechtsradikalen, ihre Botschaft zu verbreiten. Allerdings stießen sie regelmäßig nicht nur auf publizistische Gegenproteste, die sich in Einzelfällen zu regelrechten Saalschlachten ausweiteten.92 Dennoch 87 Vgl. Deppe, Geschichte, S. 566f. 88 Mit Sorge betrachtete die WdA lediglich, dass die verbreitete Unzufriedenheit auch Teile der traditionellen SPD-Klientel in die Arme der NPD treiben könnte. Vgl. WdA, Die Bürger reagieren gelassen, 26.4.1968, S. 11. 89 Ebd. 90 WdA, Innenminister, 12.4.1968, S. 3. Die WdA griff dabei auf die Veröffentlichung von Scheuch und Klingemann zurück, die versuchten, dem Rechtsradikalismus „mit analytischer Distanz und Gelassenheit zu begegnen“, dabei aber stark relativierende Äußerungen möglich machten. Vgl. Reichel, Vergangenheitsbewältigung, S. 125. Für die eigentliche Veröffentlichung siehe Erwin K. Scheuch / Hans-Dieter Klingemann, Theorie des Rechtsradikalismus in westlichen Industriegesellschaften, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 12 (1967), S. 12–29. 91 Den Erfolg konnten nur diejenigen nicht sehen, „die in den vergangenen Jahren auf einem Auge blind durch die politische Landschaft spaziert sind“. Vgl. Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Wahl, 3.5.1968, S. 2. 92 Vgl. Botsch, S. 49.
178 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) konnte die NPD mit 9,8 Prozent der Stimmen in Baden-Württemberg den bis dahin größten Erfolg feiern. Unter dem Parteivorsitzenden Friedrich Thielen führte sie dem In- und Ausland erneut klar vor Augen, dass eine rechtsradikale Partei in Deutschland durchaus in Parlamente einziehen konnte. Die FAZ beschrieb einen „fatalen Wahlsonntag“93 und artikulierte deutliches Entsetzen über die Stimmenzugewinne.94 Der bange Blick der Zeitung auf die internationalen Reaktionen zeigte sich bereits anhand der vielen diesbezüglichen Artikel.95 Dass 87 Prozent der Wähler demokratische Parteien gewählt hätten, beklagte die FAZ, würde international kaum wahrgenommen werden.96 Nun seien sogar „Freunde und Verbündete der Bundesrepublik über das Aufschwemmen der NPD und über den Fatalismus der Ämter befremdet“.97 Mit Blick nach Osten könnte das Ergebnis den internationalen Entspannungsprozess beeinträchtigen und die westdeutsche Verhandlungsposition schwächen.98 Erneut zeigt sich hier zudem die Befürchtung der FAZ, dass die gesamte Gesellschaft in ein Stadium der extremen Polarisierung gekommen sei, in der die bisher gültigen Grundsätze und mit ihnen der Staat und die Gesellschaft durchaus ins Wanken geraten könnten. Nach dem Dutschke-Attentat sei der Wahlsieg der NPD ein weiteres Menetekel. Zwar versuchte die FAZ, die Bedeutung des NPD-Ergebnisses zu relativieren, aber man merkt der Berichterstattung an, dass sie dieses als deutlichen Dämpfer für den Normalisierungs- und Demokratisierungsprozess wertete. Um auch positive Aspekte aufzuzeigen, beschrieb sie das 93 FAZ, Folgen, 30.4.1968, S. 1. 94 Dass diese in der Höhe unerwartet gewesen wären, wie ein kurzer Bericht behauptete, wirkt wenig glaubwürdig, wenn man die warnende Berichterstattung vor der Wahl berücksichtigt. Vgl. FAZ, Thadden zeigt sich befriedigt, 29.4.1968, S. 4; FAZ, Regierungsbildung, 30.4.1968, S. 1,4. 95 Im Ausland würde man sich vor allem auf das Ergebnis der NPD stürzen und internationale Journalisten hätten am Wahlabend in erster Linie mit Adolf von Thadden reden wollen. Vgl. ebd.. Siehe auch FAZ, Folgen, 30.4.1968, S. 1; FAZ, Abgewogene Reaktion in Belgien, 30.4.1968, S. 4; FAZ, Amerikaner, 30.4.1968, S. 4; FAZ, Kritisches Echo aus Paris, 30.4.1968, S. 4; FAZ, Die britische Öffentlichkeit ist beunruhigt, 30.4.1968, S. 4; FAZ, Erinnerung an die Zeit vor 1933, 30.4.1968, S. 4. Negative Wahrnehmungen internationaler Zeitungen nahmen auch in der Presseschau der FAZ eine dominierende Rolle ein. Vgl. FAZ, Ein trauriges Resultat, 30.4.1968, S. 2; FAZ, Schlimmer als befürchtet, 30.4.1968, S. 2; FAZ, Alarmsignal, 30.4.1968, S. 2; FAZ, Aufruf zur Wachsamkeit, 1.5.1968, S. 2. 96 FAZ, Erregung, 30.4.1968, S. 1,4; FAZ, Utopisten, 1.5.1968, S. 1,4. 97 FAZ, Folgen, 30.4.1968, S. 1. 98 Vor allem wenn es darum gehe, Übergriffen gegen die Zufahrtswege nach West-Berlin entgegenzutreten. Mithilfe des Wahlergebnisses, so ihre Befürchtung, würde die Sowjetunion „jetzt aufs Ganze“ gehen und die eindeutige Anerkennung der DDR sowie der Oder-Neiße-Grenze verlangen. Vgl. FAZ, In Klausur, 3.5.1968, S. 1; FAZ, Bundesregierung um Belebung der Außenpolitik bemüht, 4.5.1968, S. 1; FAZ, Der Koalitions-Kurs, 4.5.1968. S. 1.
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allseits verbreitete Entsetzen und fokussierte auf die wenigen Bürgerinnen und Bürger, die vor dem Landtagsgebäude gegen die NPD protestierten.99 In Verteidigung der westdeutschen Bevölkerung zitierte sie ferner den FDP-Vorsitzenden Walter Scheel, der erklärte, dass eine junge Generation in Deutschland noch nie so demokratisch gewesen sei wie die jetzige.100 Doch diese wenigen Lichtblicke relativierten den negativen Gesamteindruck nach der Wahl kaum. Auch ein kurzer Bericht über die etwas weniger erfolgreichen Landtagswahlen der letzten Zeit hinterlässt den Eindruck, dass das Ergebnis in Baden-Württemberg Teil eines rechtsradikalen Vormarsches sei, der noch lange kein Ende gefunden habe.101 Nun prognostizierte die FAZ der NPD bei der Bundestagswahl sogar bis zu zwölf Prozent der Stimmen.102 Resigniert erklärte ein Bericht, dass man sich „[m]it einer gewissen Zahl blindwütiger Zerstörer des deutschen Ansehens in der Welt aus Ressentiment und sektiererischer Verblendung, auch aus Dummheit, […] abfinden“ müsse.103 Nach den zunächst überraschend verharmlosenden Beschreibungen noch vor dem Wahlgang stellte nun auch die Gewerkschaftspresse entsetzt fest, dass die NPD zu den Wahlgewinnern gehörte, da viele „Nazis, die bisher nicht zur Wahlurne gingen“, gewählt hätten.104 Insofern berge das Ergebnis durchaus eine gewisse Problematik, auch wenn es keinesfalls so dramatisch sei, wie die Prozentzahlen der NPD suggerierten. Nachdem sie die Partei im Wahlkampf zunächst ignoriert hatte, fokussierte nun auch die jüdische „Allgemeine“ vor allem auf die Wahlkreise, in denen das Wahlergebnis noch deutlich über dem ohnehin hohen Landesergebnis lag, und erklärte, dass die NPD bewiesen habe, dass man sie als „neue Kraft im politischen Spiel“ beachten müsse.105 Zudem wertete auch sie das Resultat außenpolitisch als ein Desaster.106 Insbesondere Israel habe das Ergebnis „mit größter Unruhe und Besorgnis aufgenommen.“107 Dass die NPD in Baden-Württemberg genauso viele Stimmen bekommen habe wie die NSDAP 1930 im Land Württemberg, weise in eine bedrohliche Zukunft.108 In ihrer Wahrneh 99 FAZ, Regierungsbildung, 30.4.1968, S. 1,4. 100 FAZ, Utopisten, 1.5.1968, S. 1,4. 101 FAZ, Die NPD in den Landtagen, 29.4.1968, S. 4. So auch FAZ, Erregung, 30.4.1968, S. 1,4. 102 FAZ, Folgen, 30.4.1968, S. 1. So auch FAZ, Utopisten, 1.5.1968, S. 1,4. 103 FAZ, Parteien wählen – oder die Regierung?, 19.7.1969, S. 1. 104 WdA, NPD-Erfolg, 3.5.1968, S. 1. Siehe auch Metall, Schwere Niederlage der Demokratie, 14.5.1968, S. 4. 105 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Stimmenverluste für SPD und CDU, Gewinne für NPD und FDP, 3.5.1968, S. 1. 106 Ebd; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Stellungnahmen, 10.5.1968, S. 3; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Alarmiert, 10.5.1968, S. 3; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., NPD muss bis 1969 herunter, 10.5.1968, S. 3. 107 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Aus Israels Presse, 17.5.1968, S. 16. 108 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Wahl, 3.5.1968, S. 2.
180 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) mung wurde der stete Aufstieg der NPD langsam zu einem Sicherheitsproblem. Bitter war die Erkenntnis, dass die NS-Vergangenheit nicht mehr als Immunisierung vor dem Rechtsradikalismus wirkt: „Der baden-württembergische NPD-Vorsitzende Gutmann konnte sich zu Recht bei den Wählern für das bewiesene Vertrauen bedanken. Weder ihm persönlich noch seiner Partei hat seine nationalsozialistische Vergangenheit geschadet. In seinem Wahlkreis in Karlsruhe lag Gutmanns Stimmenanteil mit über elf Prozent noch beträchtlich über dem NPD-Landesdurchschnitt. Vergessen ist die Zeit seiner Herrschaft als NSDAP-Ortsgruppenleiter und Nazi-Bürgermeister von Tiengen, vergessen und vergeben ist seine schmachvolle Rolle bei der Verfolgung der jüdischen Bürger dieses Städtchens und sein Durchhaltegeschrei in den Tagen der deutschen Kapitulation. Die Wählerschaft ist großzügig oder anspruchslos, wie man’s nimmt, sie läßt sich auch durch einen so exponierten Mann wie ihn nicht von ihren rechtsextremen Neigungen abbringen.“109
Auch die Berichterstattung der „Frankfurter Rundschau“ veränderte sich mit dem Bekanntwerden der Ergebnisse deutlich. Sogar die großen Stimmenverluste der SPD wurden nun als zweitrangig behandelt. Die Zeitung zitierte – nicht nur, aber primär – besorgte Äußerungen, die, wie zum Beispiel Willy Brandt, vor einem weiteren Ansteigen des Neo-Nazismus warnten.110 Nun habe die NPD sogar Zugriff auf die Informationen des baden-württembergischen Verfassungsschutzes, warnte sie ebenfalls.111 Gerüchte, dass es zu einem verstärkten Engagement von Vertriebenenverbänden oder gar zur Zusammenarbeit mit der NPD kommen könne, verdeutlichen gleichfalls die Sorge vor einem Rechtsruck der Gesellschaft.112 Das Entsetzen über das Ergebnis zeigte auch hier der reflexartige Blick auf die westlichen Partner und deren Reaktionen.113 Zahlreiche Artikel beschrieben die internationale Besorgnis hinsichtlich des aktuellen Standes der westdeutschen Demokratie.114 In Ost und West würde man in dem Ergebnis „ein 109 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Wahl, 3.5.1968, S. 2. Siehe zur kaum noch vorhandenen Schutzwirkung der NS-Jahre bezüglich der Wahl rechtsradikaler Parteien auch Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Paktieren, 10.5.1968, S. 2. 110 FR, Brandt warnt vor Nationalismus, 11.5.1968, S. 4. 111 FR, NPD erhält vollen Zugang zu Verfassungsschutz-Informationen, 4.5.1968, S. 1. 112 FR, Immer radikaler, 6.5.1968, S. 3. 113 Diese wurde vertieft dargestellt und es finden sich neben einem Überblicksartikel für acht westliche Länder sowie die Sowjetunion einzelne kurze Berichte über die Interpretation des Wahlergebnisses, wobei die NPD in allen Ländern als das absolute Topthema ausgemacht wurde. Vgl. FR, Schuld ist die große Koalition, 1.5.1968, S. 4, sowie die Berichte zu einzelnen Ländern am 30.4.1968, S. 7. 114 Die französische Presse wurde beispielsweise dahingehend zitiert, dass dies „der schwerste Schlag für die Bundesrepublik Deutschland seit ihrer Gründung“ gewesen sei. In Skandinavien würden sich die Menschen fragen, ob Deutschland die Welt ein drittes Mal ins Unglück stürzen wolle. In England würde man von einem „Triumph der Nazis und Neonazis“ sprechen. Die amerikanischen Zeitungen zeigten sich vor
4.2. Auf- und Abstieg der NPD
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bedrohliches Wiederaufleben des nationalsozialistischen Geistes“ sehen, was sich besonders auf die von der SPD forcierte neue Ostpolitik auswirken dürfte.115 Schließlich würden die sowjetische und ostdeutsche Presse dies als Beweis für die Renazifizierung, die „Bonn durch Revanchepolitik und Kriegsvorbereitungen“ mitverschuldet habe, werten.116 Dass die Zeitung sich als eine Verteidigerin der westdeutschen Außenwirkung verstand, zeigt sich speziell in diesem Zusammenhang sehr deutlich. Explizit forderte sie vor allem nach der baden-württembergischen Landtagswahl, dass die internationalen Medien die demokratische Realität der Bundesrepublik anerkennen sollten.117 Fast erleichtert stellte ein Bericht später fest, dass die westliche Presse das Wahlergebnis nun nüchtern analysieren und die Stimmengewinne der NPD weder über- noch unterbewerten würde. Es folgte der bekannte Satz, dass Bonn nicht Weimar sei, um auf die stabile Situation der Bundesrepublik hinzuweisen und dem Rechtsradikalismus die Bedrohung zu nehmen.118 Insofern beschrieb die Zeitung hier eindeutig eine demokratische und positive Entwicklung, parallel aber kritisierte sie das Ergebnis der NPD scharf. Demgegenüber erklärte „Die Zeit“, dass „die stillen sechziger Jahre“ nun zwar vorbei seien und dass die politische Gesamtlage ungemütlicher geworden sei, letztlich aber seien die Verluste der SPD wesentlich gefährlicher für die Stabilität der deutschen Demokratie als der Stimmenanstieg der NPD.119 Wie auch die FAZ und die „Allgemeine“, ging die Zeitung von der dauerhaften Etablierung der NPD im bundesdeutschen Parteienspektrum aus, da sie nunmehr den „Anfang zu einer rechten ‚Volkspartei‘“ gemacht habe.120 Insgesamt aber war die Berichterstattung wesentlich sachlicher als beispielsweise in der „Frankfurter Rund-
allem deshalb besorgt, weil die NPD in einer wirtschaftlich gesunden Lage und trotz der vermeintlich langen liberalen Tradition im Land Baden erfolgreich sein konnte. Vgl. FR, Besorgnis auch in den USA, 30.4.1968, S. 7; FR, Englands Öffentlichkeit besorgt, 30.4.1968, S. 7; FR, Paris. Schwerpunkt nach rechts, 30.4.1968, S. 7; FR, Schweiz. Beunruhigendes Phänomen, 30.4.1968, S. 7; FR, Tisch für Neofaschisten gedeckt, 30.4.1968, S. 7. 115 FR, Ausland über NPD-Erfolg bestürzt, 30.4.1968, S. 1. Siehe auch FR, Bestürzung und Unsicherheit in der SPD, 30.4.1968, S. 6. 116 FR, Sowjets sehen sich durch NPD-Gewinne bestätigt, 30.4.1968, S. 7; FR, Schuld, 1.5.1968, S. 4. 117 Dass die Mehrheit demokratisch gewählt habe, hätte die FR von der ausländischen Presse gerne prominenter dargestellt gesehen. Vgl. FR, Ausland, 30.4.1968, S. 1; FR, Englands, 30.4.1968, S. 7. Auch den Bundeskanzler zitierte sie mit der Forderung an das Ausland, „die NPD objektiv [zu] sehen“ und nicht mit „schrecklichen Vereinfachungen“ zu arbeiten. Vgl. FR, Kiesinger, 1.5.1968, S. 1. 118 FR, Schuld, 1.5.1968, S. 4. Eine Weimar-Anspielung findet sich auch hier: FR, Brandt, 11.5.1968, S. 4. 119 Die Zeit, Das Debakel von Stuttgart, 3.5.1968. 120 Die Zeit, Gespenst, 10.5.1968.
182 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) schau“. Aber auch „Die Zeit“ betonte vor allem den Protestwahlcharakter.121 Da die anderen untersuchten Publikationen dies bereits im Vorfeld ebenfalls betonten, ist es wenig überraschend, dass sie diese Beschreibung auch im Nachhinein in den Mittelpunkt ihrer Analysen stellten. Passend betonte auch die BDA, dass die guten Wahlergebnisse der NPD keineswegs das Produkt einer Überzeugungswahl seien.122 Die FAZ erklärte gleichfalls: „Nicht alle, die NPD gewählt haben, sind rechtsradikal“,123 und differenzierte zwischen vermeintlich „echten Nazis“ und angeblich demokratischen Bürgerinnen und Bürgern, die nur aus Protest zur Stimmabgabe der NPD tendierten.124 Die Kritik, dass insbesondere die Große Koalition zentrifugale Kräfte nach links und rechts freilege, sei zu lange ignoriert worden und habe zu einer „rabiaten Verwerfung im Parteienfeld“ geführt.125 Die Chiffre der Protestwahl stand hier für verschiedene Aspekte von Unzufriedenheit und Zukunftsangst. Die Protestwählerinnen und -wähler seien zwar töricht, aber letztlich doch harmlos.126 Sogar die „Frankfurter Rundschau“ konstatierte „eine Fluktuation der Protestwähler und sogar der Stammwähler nach rechts“127 Das demokratische Wechselspiel sei durch die Große Koalition angehalten und den Protestwählern die Alternative entzogen worden.128 Darüber hinaus gebe es eine „nicht beseitigte Lücke 121 So gebe es zwar ein größeres rechtsradikales Potenzial in der Bundesrepublik, aber die NPD wäre auch von Demokraten gewählt worden. Lediglich 25 Prozent ihrer Wählerinnen und Wähler würden sich mit der Partei tatsächlich identifizieren. Vgl. Die Zeit, Gespenst, 10.5.1968; Die Zeit, Schwäbisches Röntgenbild, 10.5.1968. Siehe auch Die Zeit, Debakel, 3.5.1968; Die Zeit, Wahl-Schlappe der SPD, 3.5.1968. 122 Der Arbeitgeber 15 (1969), Mut, S. 596f. 123 FAZ, Regierungsbildung, 30.4.1968, S. 1,4. Siehe auch FAZ, Utopisten. 1.5.1968, S. 1,4. 124 FAZ, Erhebliche Verluste der Sozialdemokraten in Baden-Württemberg, 29.4.1968, S. 1,4; FAZ, NPD, 29.4.1968, S. 4; FAZ, Folgen, 30.4.1968, S. 1; FAZ, Regierungsbildung, 30.4.1968, S. 1,4; FAZ, Erinnerung, 30.4.1968, S. 4; FAZ, Gewerkschaften erinnern an Ausdehnung der Mitbestimmung, 3.5.1968, S. 6; FAZ, Protestwähler, 8.5.1968, S. 2. 125 FAZ, Folgen, 30.4.1968, S. 1. Mehrfach betonte die FAZ zudem, dass neben Bauern und mittelständischen Kreisen auch Arbeiter für die NPD gestimmt hätten. Vgl. FAZ, Verluste, 29.4.1968, S. 1,4; FAZ, Thadden, 29.4.1968, S. 4; FAZ, Regierungsbildung, 30.4.1968, S. 1,4; FAZ, Protestwähler, 8.5.1968, S. 2. 126 FAZ, Folgen, 30.4.1968, S. 1. Dass diese Differenzierung keinesfalls singulär aufzufinden war, zeigen ähnliche Äußerungen im Rahmen der Bundestagswahl. So müsse man „zwischen den politischen Verführern und den oft gutwilligen, meist naiven Mitläufern“ differenzieren. Vgl. FAZ, Mitläufer, 30.7.1969, S. 2. Siehe auch FAZ, Mit Zahlen gegen Thadden, 15.7.1969, S. 4; FAZ, Die Wahrheit über die NPD, 23.7.1969, S. 29; FAZ, Hassel gegen NPD-Verbot, 29.7.1969, S. 4; FAZ, Scharfe Kritik an Hassels NPD-Äußerungen, 30.7.1969, S. 5; FAZ, Kontroverse wegen Kiesinger-Interview, 31.7.1969, S. 4; FAZ, Volle Versammlungen auch auf dem Lande, 10.9.1969, S. 4. 127 FR, Schwierige Koalitionsgespräche in Stuttgart erwartet, 30.4.1968, S. 6. 128 FR, Quittung der Wähler, 30.4.1968, S. 3; FR, Bestürzung, 30.4.1968, S. 6; FR, CDU. Anteil der NPD ist zu hoch, 30.4.1968, S. 6; FR, Vertrauensschwund trägt Schuld,
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zwischen Wort und Wahrheit in unserer Politik“.129 Es sei der NPD erfolgreich gelungen, die Unzufriedenheit der Menschen und speziell der Bauern im Land zu mobilisieren.130 Zwar erklärte die FR, dass auch die hohe Wahlbeteiligung bei unverbesserlichen Nazis für den Erfolg der NPD mitverantwortlich sei,131 letztlich beteiligte sie sich aber trotz des eigenen Erschreckens an der Relativierung des Ergebnisses als Protestwahl. Der „Deutsche Ostdienst“ zielte teilweise ebenfalls in diese Richtung.132 Inte ressant ist vor allem, dass dieser primär danach strebte, das Wahlergebnis nutzbar zu machen. Schließlich sei vor allem die SPD wegen ihrer „Anerkennungstendenzen“ für den Wahlerfolg der NPD verantwortlich: „Man sollte aber jetzt nicht den Vertriebenen die Schuld für diese Entwicklung geben. Ist es ein Wunder, wenn sie sich enttäuscht von einer Partei abwenden, die eine Politik beschließt, die als eine Anerkennung des ihnen gegen alles Menschen- und Völkerrecht angetanen Unrechts gedeutet werden kann […]? […] Das Votum politisch engagierter und hellhöriger Vertriebener bei den Landtagswahlen gegen die SPD ist offensichtlich Ausdruck dieser Empörung und man sollte nun nicht Ursache und Wirkung verwechseln.“133
Das Wahlergebnis erfolgte zwar durchaus aus Protest gegen die Große Koalition und die nach wie vor nicht erfolgte vollständige Integration der Vertriebenen in die westdeutsche Gesellschaft – zudem sei der Erfolg der NPD in Baden-Württemberg ein Produkt der Ausschreitungen zu Ostern134 –, all dies war aber in der Bewertung keineswegs vergleichbar mit der angeblich fatalen Deutschlandpolitik der SPD. Entsprechend erklärte der „Deutsche Ostdienst“: „Hoffentlich verstehen […] die Anerkennungsapostel“ die Wahlergebnisse, denn nur eine Abkehr der Sozialdemokratie vom neuen außenpolitischen Kurs könne die NPD letztlich stoppen.135 Entsprechend waren alle Artikel zum Umgang mit der NPD in erster Linie Warnungen vor der SPD und deren Ostpolitik. Die Weigerung, die Oder-Neiße-Linie als Staatsgrenze anzuerkennen, wurde somit zu einem 30.4.1968, S. 6; FR, Kiesinger, 1.5.1968, S. 1; FR, Schuld, 1.5.1968, S. 4. Darauf zielte auch der Cartoon vom 30.4.1968, S. 6. 129 FR, Quittung, 30.4.1968, S. 3. Siehe auch FR, Brandt, 11.5.1968, S. 4. 130 Insofern stimmte sie Bundeskanzler Kiesinger zu, der in der Wahl einen „Trotzprotest“ erkannte. Vgl. FR, Kiesinger, 1.5.1968, S. 1. So auch FR, Quittung, 30.4.1968, S. 3; FR, Koalitionsgespräche, 30.4.1968, S. 6. 131 FR, Quittung, 30.4.1968, S. 3; FR, Kiesinger, 1.5.1968, S. 1. 132 Die NPD habe „einen zwar stetigen, aber – das muss gegenüber den hysterischen Schreckensrufen insbesondere der Auslandskommentare gesagt werden – einen relativ bescheidenen Gewinn zu verzeichnen, wobei 3 % nach eigenen Aussagen der Parteiführung chronische Oppositionswähler sind.“ Vgl. DOD, Links, 8.5.1968, S. 4f. 133 DOD, Die Antwort auf Nürnberg, 16.5.1968, S. 11f.. Siehe auch DOD, Links, 8.5.1968, S. 4f.; DOD, Die Quittung von Stuttgart, 16.5.1968, S. 7f. 134 DOD, Links, 8.5.1968, S. 4f. 135 DOD, Antwort, 16.5.1968, S. 11f.
184 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) entscheidenden Mittel gegen die NPD umgemünzt. Diese Nutzbarmachung war aber weiterhin eng gekoppelt an die Relativierung der Ergebnisse. Sie bedingten sich insofern, als dass der BdV die These der Wählerwanderung zur NPD als Folge einer „Anerkennungspolitik“ nicht ewig überspannen konnte, wollte er die eigene Reputation nicht aufs Spiel setzen. Daher betonte der „Deutsche Ostdienst“ zur Verteidigung der eigenen Klientel parallel, dass die NPD nur leicht überdurchschnittlich von Vertriebenen gewählt wurde,136 und beteiligte sich, wie bereits erwähnt, nicht an der Stigmatisierung der Partei als neonazistisch. Neben der vielfachen Beschreibung einer Protestwahl konzentrierte sich die Ursachendebatte nach der Wahl insbesondere auf die politische Linke. Das Wahlergebnis in Baden-Württemberg sei in erster Linie eine Reaktion auf Ausschreitungen linker Gruppen, postulierte „Der Arbeitgeber“ –, und das allseits verbreitete „‘Verständnis‘ für links“ habe diese Entwicklung entscheidend gefördert.137 Ein Artikel kritisierte entsprechend den „nur noch von der Linken gepäppelten NPD-Popanz auf der Rechten“.138 Aber nicht nur die Zeitung der BDA, die ohnehin in diesen Monaten vor allem nach links blickte, betonte die Verantwortung linker Gruppierungen für den Aufstieg der NPD. Auch die FAZ zielte in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus stets parallel auf die (radikale) Linke: „Es ist genug geschehen, um auch dem Arglosen zu zeigen, daß die Extremisten links und rechts einander brauchen und sich dabei voranhelfen“ erklärte sie entsprechend.139 Die NPD wurde als „Moskaus liebstes Kind“ tituliert, um darauf hinzuweisen, wer angeblich primär von den rechtsradikalen Erfolgen profitiere.140 Dass NPD-Gegner die Gewalteskalation als willkommenen 136 DOD, Links, 8.5.1968, S. 4f.; DOD, Keine NPD-Wähler, 26.8.1969, S. 4f.; DOD, Ostdeutsche Landsleute, 7.10.1969, S. 1; DOD, Wie haben die Vertriebenen gewählt?, 7.10.1969, S. 6f. 137 Der Arbeitgeber 9 (1968), 12, S. 211f. 138 Der Arbeitgeber (1969), Die Mitte schläft, S. 3. 139 Die FAZ druckte als Beleg zum Beispiel einen kurzen Bericht über drei festgenommene Studenten, die neben SDS-Parolen auf Gehwegen Hakenkreuze auf eine Volksbank gemalt haben sollen, ohne darauf hinzuweisen, dass die Hakenkreuze eventuell nicht die politische Meinung der Täter darstellten, sondern als Diffamierung der Bank gedacht waren. Zudem würden sich auch Vertreter der Neuen Rechten für eine Wiederzulassung der KPD einsetzen, um so gemeinsam gegen drohende Verbote radikaler Meinungen zu agieren. Vgl. FAZ, SDS malt Hakenkreuze, 16.4.1968, S. 4 bzw. FAZ, Verbotsurteil auf Widerruf, 23.4.1968, S. 2. Für das Zitat im Haupttext siehe FAZ, Die Kasseler Schüsse, 18.9.1969, S. 1. Siehe auch FAZ, Verluste, 29.4.1968, S. 1,4; FAZ, Regierungsbildung, 30.4.1968, S. 1,4; FAZ, Utopisten, 1.5.1968, S. 1,4; FAZ, Bendas Einschätzung der radikalen Ränder, 14.7.1969, S. 5; FAZ, Strauß über die Große Koalition, 17.7.1969, S. 5; FAZ, Kein NPD-Verbotsantrag vor der Wahl, 8.8.1969, S. 4; FAZ, Enttäuschungen, 29.9.1969, S. 23. 140 FAZ, Gerede, 2.8.1969, S. 1. Entsprechend wurde Bundeskanzler Kiesinger zitiert, dass die NPD „ein ideales politisches Instrument der Kommunisten und ihrer Mitläufer“ sei. Vgl. FAZ, Kiesinger, 10.9.1969, S. 1.
4.2. Auf- und Abstieg der NPD
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Beweis für deren Radikalität begrüßten, wertete die FAZ als zynische Kalkulation und schrilles Alarmzeichen.141 Linksradikalen wurde unterstellt, sie wünschten einen Erfolg der NPD, um sich anschließend „als Gralshüter gegen einen neuen Faschismus gebärden“ zu können.142 „Nicht zufällig“, so der Kommentar weiter, gehöre diese antifaschistische Bündnispolitik „zum festen Bestandteil der Pläne der Deutschen Kommunistischen Partei“. Um die eigene Position zu stützen und sich gleichsam mit anderen wichtigen Akteuren bundesdeutscher Politik zu verbinden, fokussierte auch der BdV im „Deutschen Ostdienst“ auf den Linksradikalismus, speziell den SDS, als die größere Gefahr für die Demokratie.143 Bereits der Mordanschlag auf Dutschke wurde zwar als „verbrecherisch“ bezeichnet,144 aber ohne dass hierzu mehr zu erfahren war, wurde die darauf folgende Reaktion des SDS als noch wesentlich gefährlicher kritisiert. Konsequent maß der DOD der Niederlage der radikalen Linken bei der Wahl in Baden-Württemberg eine entscheidendere Rolle zu als dem Erfolg der NPD.145 Die Gefahren durch die politische Linke würden dabei von dort vor allem mit dem Faschismusvorwurf an die Unionsparteien verschleiert: „Das braunste Braun, das es je gab, soll durch das röteste Rot verdrängt werden; wobei, um die Wirkkraft zu erhöhen, der schwarze Riese nicht weiß, sondern braun serviert wird.“146 Zwar argumentierte die „Frankfurter Rundschau“ demgegenüber, dass sie diese Erklärung für den Erfolg der NPD in Baden-Württemberg allein als nicht ausreichend betrachtete, aber bereits die schiere Anzahl von Erwähnungen hinterlässt einen anderen Eindruck.147 Auch sie beschrieb die Ordnungssehnsucht vieler Bevölkerungsteile als das ausschlaggebende Moment.148 Bezogen auf die Protestgruppen erklärte die FR, es sei infantil, „die Wirkungen des eigenen Handelns auf das Erstarken des organisierten Rechtsradikalismus unreflektiert zu lassen.“149 Die Verantwortung für das gute Ergebnis der NPD wurde insofern recht konsensual der politischen Linken zugeschoben. Zwar bezeichnete die „Metall“ 141 FAZ, Kaltes Blut, 30.7.1969, S. 29. 142 FAZ, Ausstrahlungen, 27.4.1968, S. 2. Siehe diesbezüglich auch FAZ, Schlachten zu verlieren, 28.7.1969, S. 1; FAZ, Gerede, 2.8.1969, S. 1. 143 DOD, Verketzerung, 13.4.1968, S. 2f.; DOD, Ist die Abwehr frühlingsmüde?, 26.4.1968, S. 1f.; DOD, Walter. Keine NPD-Verbindung, 26.4.1968, S. 7; DOD, Gegen Gesetz und Ordnung, 8.5.1968, S. 10f. 144 DOD, Rehs verurteilt Gewaltakte, 26.4.1968, S. 2. 145 DOD, Links, 8.5.1968, S. 4f. 146 DOD, Gesetz, 8.5.1968, S. 10f. 147 Vgl. z. B. FR, Ausland, 30.4.1968, S. 1; FR, Bestürzung, 30.4.1968, S. 6; FR, CDU, 30.4.1968, S. 6; FR, Gewerkschaften und Jungsozialisten fordern Alternative, 30.4.1968, S. 6; FR, Politiker schieben Schuld ab, 30.4.1968, S. 6; FR, Vertrauensschwund, 30.4.1968, S. 6; FR, Weitere Radikalisierung befürchtet, 30.4.1968, S. 7. 148 FR, Quittung, 30.4.1968, S. 3. Siehe auch FR, Gewerkschaften, 30.4.1968, S. 6. 149 FR, Politiker, 30.4.1968, S. 6.
186 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) diese Interpretation als „ebenso billig wie verlogen“,150 aber, dass das Ergebnis eine Reaktion auf die eskalierenden Proteste der APO und eine Folge der Sehnsucht nach Ruhe und Ordnung sei, veröffentlichte auch die „Welt der Arbeit“.151 Einzig die jüdische „Allgemeine“ äußerte sich eindeutig kritisch zu diesen Schuldzuweisungen. Mehrfach wies sie darauf hin, dass die NPD wesentlich gefährlicher sei als der SDS. Zudem finden sich immer wieder positive Äußerungen zu der vor allem studentischen Protestbewegung dieser Jahre. Totalitarismustheoretische Aufrechnungen lehnte sie ab.152 Auch derjenige verliere jede Glaubwürdigkeit, der „[n]icht verheimlichen kann, daß er sich vom SDS tiefer bedroht fühlt, als von der internationalen faschistischen Feme“, kritisierte die „Allgemeine“ die gängige Haltung vor allem im konservativen Lager dieser Jahre.153 Dass die NPD die neue Kraft in einem Vier-Parteien-System sein würde, galt spätestens nach der Wahl in Baden-Württemberg als wahrscheinlich. „Die Zeit“ beschrieb die NPD bereits jetzt als „etabliert“.154 Nun blickten alle, je nach Standpunkt, optimistisch bis panisch auf die kommende Bundestagswahl. Die ersten Prognosen rechneten mit zehn bis fünfzehn Prozent für die NPD.155 In der Rückschau wird allerdings deutlich, dass die NPD mit ihrem Erfolg im Südwesten und der Übernahme des Parteivorsitzes durch Adolf von Thadden den Höhepunkt erreicht hatte. Zwar konnten in der Folge noch gute Ergebnisse erzielt werden, aber nicht mehr in diesem Ausmaß. Die Partei wurde immer stärker mit Ausschreitungen und Gewalt in Verbindung gebracht. Auch die Gründung des parteieigenen Ordnerdienstes (OD), die nach der baden-württembergischen Wahl in allen Landesverbänden vorangetrieben wurde, zeigt, dass die NPD immer stärker auf Widerstand stieß. Die Aufgaben des Ordnerdienstes umfassten die Sicherung von Veranstaltungen und vor allem das „Freimachen“ der Eingänge im Fall von Störaktionen – wenn nötig mit Gewalt.156 So kam es am 25. Juli 1969 in Frankfurt am Main zu gewalttätigen Ausschreitungen. Eine Bürgeraktion für Demokratie, getragen von einem breiten linken Bündnis157, hatte zu Protesten gegen eine Parteiveranstaltung im städtischen 150 Metall, Niederlage, 14.5.1968, S. 4; Metall, Nach der Wahl. Gefahr von rechts, 14.5.1968, S. 6. 151 WdA, NPD-Erfolg, 3.5.1968, S. 1. 152 Dies ergibt sich auch aus dem Fokus auf den Rechtsradikalismus in Berichten über den Extremismus in der Bundesrepublik. Vgl. Allg. unabh. jüd. Wochenztg., 21 Anzeigen gegen NPD-Ordner, 12.9.1969, S. 7; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., NPD, 19.9.1969, S. 1. 153 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Plädoyer, 10.5.1968, S. 1f. 154 Die Zeit, Wahl-Schlappe, 3.5.1968. Siehe auch Die Zeit, Proteststimmung, 26.4.1968; Die Zeit, Debakel, 3.5.1968; Die Zeit, Wahlkater, 3.5.1968. 155 Vgl. Stöss, Rechte, S. 137. 156 Vgl. Hoffmann, NPD, S. 125. 157 In diesem waren unter anderem der DGB, die Jusos, die Deutsche Kommunistische Partei und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes engagiert.
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Cantate-Saal aufgerufen. Zunächst wurde der Zugang zum Veranstaltungsraum durch ein „Sit-in“ blockiert. Der Ordnerdienst kämpfte allerdings den Weg frei und es entwickelte sich eine Spirale exzessiver und – vonseiten der Rechtsradikalen – organisierter Gewalt.158 Dieser Vorfall hinterließ zahlreiche Verletzte und wurde vor allem in den Tages- und Wochenzeitungen ausführlich dargestellt und verurteilt. Angesichts der vielfach ohnehin schon kritischen Wahrnehmung des Status quo bestätigten die gewalttätigen Ausschreitungen alle Befürchtungen. Entsetzt klagte die FAZ: „Unter den Fenstern von Goethes Geburtsstätte und zwischen den Mauern des Buchhändlerhauses entspann sich eine Straßenschlacht, von deren Opfern einige blutüberströmt auf der Bahre fortgetragen werden mußten. Und das hatten mit Fäusten und Stangen die Schläger der Nationaldemokratischen Partei gemacht.“159
Bereits vor den Cantate-Vorfällen berichtete die FAZ, dass die NPD „Schläger“ ausbilde, nun aber habe der Ordnerdienst ein „brutales Regiment“ errichtet.160 Die Partei habe endgültig bewiesen, dass sie Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik erachte.161 Auch in der FR war das Entsetzen über die Ausschreitungen deutlich zu spüren: „Die Worte Empörung, Verzweiflung, ohnmächtige Wut sind zu schwach, das alles zu erfassen“.162 Um den Cantate-Saal herum habe „Lynchatmosphäre“ geherrscht, schrieb die Zeitung und stellte die Brutalität der Angriffe auf die friedlichen Gegendemonstranten heraus.163 Die NPD habe bewusst „gezielten physischen Terror“ als politisches Mittel eingesetzt.164 Die Berichte hinter158 Für weitere Details siehe Botsch, S. 58; Dudek / Jaschke, S. 336; Hoffmann, NPD, S. 127. 159 FAZ, Die Straße frei, 28.7.1969, S. 19. Dass die NPD von der FAZ als Hauptschuldige angesehen wurde, ergibt sich auch aus folgenden Berichten: FAZ, NPD Schläger im Einsatz, 26.7.1969, S. 26; FAZ, Ermittlungen gegen Greiftrupps der NPD, 28.7.1969, S. 19f.; FAZ, Bisher zwölf Ermittlungsverfahren gegen Ordner, 30.7.1969, S. 5. 160 FAZ, Wahrheit, 23.7.1969, S. 29 bzw. FAZ, Straße, 28.7.1969, S. 19. Vgl. auch FAZ, Staatsanwaltschaft, 30.7.1969, S. 29f. 161 Vgl. FAZ, Ermittlungen, 28.7.1969, S. 19f.; FAZ, Blut, 30.7.1969, S. 29; FAZ, Anleitung zum Umgang mit NPD-Ordnern, 31.7.1969, S. 4; FAZ, Mit einer Vernehmung einverstanden, 2.8.1969, S. 31; FAZ, Magistrat verurteilt Schlägertrupps, 5.8.1969, S. 23. 162 FR, Die Polizeiführung sah zu, 28.7.1969, S. 3. 163 FR, Gnade Gott dem, der uns anfaßt, 28.7.1969, S. 3. Von einem gedruckten Pressespiegel des Hamburger Abendblattes, der die NPD als Opfer darstellte, distanzierte sich die FR deutlich. Vgl. FR, Bei anderen gelesen. NPD-Redner verprügelt, 30.7.1969, S. 10. Siehe auch FR, Nach NPD-Terror Anzeigen wegen schwerer Körperverletzung, 28.7.1969, S. 1; FR, Staatsanwaltschaft ermittelt gegen NPD-Ordner, 30.7.1969, S. 10; FR, Bürgerinteressen wichtiger als NPD-Scheinlegalität, 30.7.1969, S. 10. 164 FR, Polizeiführung, 28.7.1969, S. 3. Siehe auch FR, Gnade, 28.7.1969, S. 3; FR, Das war die traurige Bilanz, 28.7.1969, S. 10; FR, Staatsanwaltschaft, 30.7.1969, S. 10; FR, Für uns kein Mietpartner mehr, 31.7.1969, S. 14; FR, Angestellten-Gewerkschaft. Wie SA und SS, 2.8.1969, S. 14.
188 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) ließen den Eindruck enormer Brutalität. Gewalt, konstatierte die FR, „scheint das wichtigste Mittel geworden zu sein, mit dem sich die radikalen Gruppen […] in das Bewusstsein der Bürger hineinprügeln wollen“.165 Die „Rundschau“ nahm das Urteil vorweg: Die Angriffe seien „schwere Körperverletzung: tatbestandsmäßig, rechtswidrig und vorsätzlich.“166 Auch die Gewerkschaften wiesen darauf hin, dass die eskalierende Gewalt langsam das wahre Gesicht der Partei enthüllen würde.167 Den Ordnerdienst und dessen „dressierte Schläger“ beschrieben sie als paramilitärische Truppe und kritisierten, dass die Polizei diese „Schlägerkolonnen nach Nazi-Vorbild“ vor dem Cantate-Saal viel zu lange gewähren ließ.168 Dies weise auf ein zu geringes Problembewusstsein der Sicherheitsbehörden hin. Gerd Muhr betonte, dass die Rechtsradikalen gerade auf die „Leichtgläubigkeit wie auf die mangelnde Wachsamkeit der Demokratie spekulieren“.169 Die FR ergänzte, dass die Polizei mit ihrem Verhalten sogar den Rechtsradikalismus fördere und forderte ein härteres Durchgreifen.170 Selbst die FAZ kritisierte, dass die Polizei viel zu spät reagiert und zu wenig durchgegriffen habe.171 Es dürfe nie wieder passieren, dass Demokraten, die gegen Rechtsradikale demonstrieren, deren Gewalt fürchten müssten.172 Allerdings betonte die FAZ – und dies unterschied sie von anderen Publikationen – die Pflicht der Polizei, den Weg für die NPD zu ihrer Veranstaltung freizuhalten, auch wenn sie sogar Verständnis für den fehlenden diesbezüglichen Willen signalisierte.173 Im Zweifel stand die FAZ auf der Seite des geltenden Rechts und wollte dies auch für die NPD angewandt sehen. Schließlich war die Partei nicht verboten und insofern gelte es, so der wahrscheinlich dahinterliegende Gedanke, auch deren Recht auf Versammlung zu akzeptieren. Ihr Ziel blieb die Deradikalisierung der politischen Auseinandersetzung. 165 FR, Linke Schrittmacher, 5.8.1969, S. 3. Siehe zum Anstieg der Gewaltbereitschaft auch FR, Empörung, 30.7.1969, S. 5; FR, IG-Metall beschließt Maßnahmen gegen NPD-Terror, 30.7.1969, S. 5; FR, Ganoven ziehen meistens schneller, 30.7.1969, S. 9. Um deutlich zu signalisieren, dass diese Schlägertruppe nichts gemein hat mit gewöhnlichen Ordnern bei angemeldeten Versammlungen, verwendete die FR die Bezeichnung „Ordner“ in ihrer Berichterstattung fast ausschließlich in Anführungszeichen. 166 FR, Gnade, 28.7.1969, S. 3. So auch FR, Ordnertrupps sind rechtswidrig, 6.8.1969, S. 5. 167 WdA, Keine Räume für die NPD, 8.8.1969, S. 8. 168 WdA, SA marschiert im Geiste mit, 1.8.1969, S. 1. 169 Muhr / DGB-Bundesvorstand, S. 4. 170 Vgl. FR, Polizeiführung, 28.7.1969, S. 3; FR, Gnade, 28.7.1969, S. 3; FR, Bilanz, 28.7.1969, S. 10; FR, Staatsanwaltschaft, 30.7.1969, S. 10; FR, Bürgerinteressen, 30.7.1969, S. 10; FR, NPD gefährdet Leib und Leben, 2.8.1969, S. 4. 171 Sie sei für eine Auseinandersetzung mit einem „Saalschutz“ wohl noch zu ungeübt, hieß es leicht ironisch. Vgl. FAZ, Anleitung, 31.7.1969, S. 4. 172 FAZ, Blut, 30.7.1969, S. 29. So auch FAZ, Staatsanwaltschaft, 30.7.1969, S. 29f. 173 FAZ, Straße, 28.7.1969, S. 19. So auch FAZ, Unnachsichtig gegen Schläger, 29.7.1969, S. 21; FAZ, Extrablatt, 8.8.1969, S. 2.
4.2. Auf- und Abstieg der NPD
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Die Ausschreitungen vor dem Frankfurter Cantate-Saal führten dazu, dass die NPD nun verstärkt als gewalttätig beschrieben wurde. Der Vorwurf, einen Saalschutz nach dem Vorbild der SA beziehungsweise der SS aufgebaut zu haben, entwickelte sich übergreifend zum Standardrepertoire, um die Vorfälle einzuordnen.174 Selbst die oft zurückhaltende FAZ betonte, dass der Ordnerdienst „eine Neuauflage des Naziterrors“ sei.175 Allerdings gab die Zeitung resigniert zu bedenken, dass eine stigmatisierende Wirkung ausbleibe, wenn viele den Nationalsozialismus für eine gute Idee hielten, die bloß falsch ausgeführt worden sei.176 Die „Allgemeine“ betonte dennoch: „Der NPD-Ordnerdienst mit seinen brutalen Schlägertypen, die Schutzhelm und Koppeln tragen und mit Eisenstangen, Zangen und Hämmern bewaffnet sind und Handschuhe haben mit rauem Sandpapier an der Innenfläche, mit dem sie die Haut ihrer Opfer beim Zupacken aufreißen können, beweist uns erneut, was wir schon des öfteren [sic] äußerten, daß nämlich die NPD der NSDAP ähnelt wie ein Bruder dem anderen.“177
Interessanterweise thematisierte „Die Zeit“ diese oder ähnliche Ausschreitungen relativ selten. Zwar war die Gewalt gegen Dutschke für die Zeitung von großer Relevanz, aber die „Cantate-Vorfälle“ stellte sie keineswegs in den Mittelpunkt.178 Erst Wochen später wurden diese Ausschreitungen fast nebenbei als „barbarisch“ und die NPD als „Partei der Schläger“ charakterisiert.179
174 Vgl. FAZ, NPD-Schläger im Einsatz, 26.7.1969, S. 26; FAZ, Straße, 28.7.1969, S. 19; FAZ, Ermittlungen, 28.7.1969, S. 19f.; FAZ, Unnachsichtig, 29.7.1969, S. 21; FAZ, Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die NPD-Ordner, 30.7.1969, S. 29f.; FAZ, Die NPD demaskiert sich, 1.8.1969, S. 37; FR, NPD-Terror, 28.7.1969, S. 1; FR, Bilanz, 28.7.1969, S. 10; FR, Bürgerinteressen, 30.7.1969, S. 10; FR, SA, 2.8.1969, S. 14; FR, Der Weg zum NPD-OD, 25.9.1969, S. 4; Die Zeit, Dummheit, 15.8.1969; Die Zeit, Krähwinkel, 29.8.1969. 175 FAZ, Unnachsichtig, 29.7.1969, S. 21. 176 FAZ, Zahlen, 15.7.1969, S. 4. 177 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Unentschlossenheit, 8.8.1969, S. 2. Siehe auch Allg. unabh. jüd. Wochenztg., SA-Praktiken, 1.8.1969, S. 1; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Äußerungen, 8.8.1969, S. 1f.; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Städte verweigern der NPD ihre Säle, 8.8.1969, S. 12; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Anzeigen, 12.9.1969, S. 7; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Heinemann hofft auf Absage an radikale Kräfte, 19.9.1969, S. 1. 178 Zeitnah veröffentlichte sie einen Bericht über die Polizei, die in einem anderen Fall aus den Erfahrungen von Frankfurt gelernt habe und „den Feind nicht mehr in erster Linie bei den Demonstranten“ gegen die NPD sehe. In einem weiteren betonte die Zeitung, dass die NPD sich mit ihrem Verhalten völlig außerhalb jeden akzeptierten Rahmens gestellt habe: „Mit diesen Leuten ist kein Staat zu machen“. Vgl. Die Zeit, Gebändigte NPD-Ordner, 15.8.1969 bzw. Die Zeit, Dummheit, 15.8.1969. 179 Die Zeit, Gesten und Geheul, 3.10.1969 bzw. Die Zeit, NPD vor dem Ruin, 10.10.1969.
190 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) Die Aufgabe des Ordnerdienstes, lediglich eigene Versammlungen und die Teilnehmer zu schützen, entpuppte sich insofern schnell als Farce. In der Folge standen alle Parteiaktivitäten unter dem Schatten dieser Ereignisse. Dennoch organisierte die Partei eine „Deutschlandfahrt“ des Vorsitzenden Adolf von Thadden, die ihn im Spätsommer 1969 an über dreißig verschiedene Orte führte und regelmäßig von Krawallen begleitet wurde.180 Auf diesem Niveau und in dieser Regelmäßigkeit hatte es in der Bundesrepublik bisher keine Zusammenstöße Rechtsradikaler mit ihren Gegnern gegeben. Die Polizei hatte sich mittlerweile besser auf die Situationen eingestellt, was fast immer zu einem überzogenen Auftritt führte. Die Veranstaltungsorte „boten schon von daher das Bild latenter Gewalttätigkeit“.181 Durch zahlreiche Zwischenfälle stand die NPD immer stärker im Gegensatz zum erhofften Saubermann-Image.182 Je näher die Bundestagswahl rückte, desto schlechter wurden die Umfrageergebnisse. Der erste Einzug einer rechtsradikalen Partei in den Bundestag seit zwei Dekaden war allerdings weiterhin wahrscheinlich. Die NPD hatte bisher insgesamt 61 Landtagssitze und etwa 600 kommunale Sitze erhalten. Sowohl politische Beobachter als auch die eigenen Funktionäre rechneten fest mit dem Erfolg.183 Als Reaktion auf die Gewaltspirale wurde nur eine Woche vor dem Urnengang eine NPD-Kundgebung in Kassel kurzfristig verboten. Nach der stattdessen angesetzten Pressekonferenz kam es am 16. September erneut zu Ausschreitungen.184 Der Parteivorsitzende Adolf von Thadden wurde von politischen Gegnern auf der Straße abgefangen und beschimpft. Im Verlauf der Auseinandersetzungen zog Klaus Kolley, der Bundesbeauftragte für den Ordnerdienst und Leibwächter des Parteivorsitzenden, eine Waffe, gab sich als Polizist aus und schoss in die Luft. Einige NPD-Gegner versuchten ihn daraufhin festzuhalten. Um dieser Situation zu entkommen, schoss Kolley erneut und verletzte zwei Gegendemonstranten. Von Thadden konnte mit seinen Begleitern anschließend in die Wohnung eines NPD-Landtagsabgeordneten flüchten. Kolley entkam mithilfe der anderen durch den Hinterausgang, wurde aber später zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Diese „Kolley-Affäre“ war ein wichtiger Grund dafür, dass die Debatte über den Zusammenhang von NPD und Gewalt nicht so bald verebbte. 180 Für Details siehe Botsch, S. 58; Dudek / Jaschke, S. 338. 181 Dudek / Jaschke, S. 339. 182 Letztlich erreichte die Partei mit dem OD eher das Gegenteil von dem eigentlichen Ziel: Eskalation statt Ordnung. Bereits zur Bundestagswahl Ende September waren 27 strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder des OD eingeleitet worden und erste Urteile wegen schwerer Körperverletzung wurden gesprochen. Vgl. Dudek / Jaschke, S. 337; Eckhard Fascher, Modernisierter Rechtsextremismus? Ein Vergleich der Parteigründungsprozesse der NPD und der Republikaner in den sechziger und achtziger Jahren, Berlin 1994, S. 59f.; Hoffmann, NPD, S. 125. 183 Vgl. Hoffmann, NPD, S. 117f. 184 Vgl. ebd., S. 128f.; Botsch, S. 58; Röpke / Speit, S. 36f.
4.2. Auf- und Abstieg der NPD
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Entsprechend der bereits beschriebenen äußerst skeptischen Wahrnehmung der politischen Situation in der Bundesrepublik wurden die von Klaus Kolley in Kassel abgegebenen Schüsse in der „Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland“ als weiteres Menetekel für den Zustand des Landes und Ausdruck „eines neuen gewalttätigen Denkens“ gewertet.185 Nun zeugen auch Inhalt und Wortwahl der Berichte in der „Frankfurter Rundschau“ von den vielfach präsenten Weimar-Erinnerungen dieser Wochen.186 Für die FAZ veranschaulichte diese Tat vor allem „die Bereitschaft zur Unruhe“.187 Dass Schusswaffen im Rahmen von politischen Demonstrationen benutzt werden, sei, so die Tageszeitung, bezeichnend für die politische Lage. In der Bundesrepublik sei „die Atmosphäre des Kampfes zwischen den extremen Lagern links und rechts […] mittlerweile so angeheizt, daß die Gefahr der Induktion zu Attentaten als akut gelten muss“.188 Interessant ist aber, dass die Kasseler Tat von der FAZ nicht der NPD zugerechnet, sondern, wie schon nach dem Mordversuch an Dutschke, allgemein als Zeichen der Verrohung dargestellt wurde.189 Zumindest implizit wurde die Schuld der politischen Linken angelastet. Im Gegensatz dazu deuteten Überschrift und weitere Formulierungen in der FR, obwohl der Täter zunächst nicht ausfindig gemacht werden konnte, auf eine Täterschaft im Umfeld der NPD.190 Die Partei hatte alle Kräfte auf das Ziel Bundestag konzentriert, alle finanziellen Ressourcen mobilisiert und jegliche internen Streitigkeiten hintenangestellt.191 Die sogenannte „Kolley-Affäre“ und die anderen Gewaltvorfälle aber waren eine Belastung und ruinierten das Image der NPD endgültig. Entsprechend frohlockte „Die Zeit“ nach der Verhaftung Kolleys, nun werde die Partei „zerbrechen an 185 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Reifeprüfung, 26.9.1969, S. 1. Siehe auch Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Heinemann warnt vor Selbstzufriedenheit, 26.9.1969, S. 16; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Unbekannter griff zur Pistole, 26.9.1969, S. 16. 186 Nur vor diesem Hintergrund versteht man, dass die Zeitung die eigentlich vernachlässigbare Meldung veröffentlichte, dass nun auch andere rechtsradikale Gruppen Kampftruppen aufbauten. Vgl. FR, Kampftruppe gegen Linke gebildet, 30.7.1969, S. 5. 187 FAZ, Die Arbeit des Lagezentrums im Bundesinnenministerium, 20.9.1969, S. 6. 188 FAZ, Schüsse, 18.9.1969, S. 1. 189 Die FAZ gab an, nicht überrascht zu sein, „wenn der Pistolenschütze weder zur persönlichen Umgebung des NPD-Vorsitzenden von Thadden noch zu der skandalösen Schlägertruppe gehörte, mit der die NPD zuerst in Hessen aufgetreten ist“. Vgl. FAZ, Schüsse, 18.9.1969, S. 1. 190 FR, Schüsse auf NPD-Gegner lösen Protestwelle aus, 18.9.1969, S. 1f. So auch FR, Nach den Schüssen von Kassel, 19.9.1969, S. 21; FR, Kasseler Polizei auf heißer Spur, 27.9.1969, S. 4. Als Kolley schließlich als Täter ermittelt wurde, veröffentlichte die FR dies auf der Titelseite und ergänzte die Meldung um weitere Berichte. Vgl. FR, Ein Funktionär der NPD hat in Kassel geschossen, 6.10.1969, S. 1; FR, Erster Hinweis durch Fernsehteam, 6.10.1969, S. 8; FR, Voruntersuchung gegen Kolley, 10.10.1969, S. 1; FR, Kolley kein unbeschriebenes Blatt, 11.10.1969, S. 4. 191 Vgl. Hoffmann, NPD, S. 117.
192 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) dem Verdammungsurteil, eine Partei der Schießwütigen zu sein“.192 Diese Aussage tätigte sie allerdings bereits nach der Bundestagswahl, was das optimistische Urteil erklärt. Aber selbst zwei Tage vor der Wahl, noch mitten im Wahlkampf, betonte „Die Zeit“ vor allem die Stabilität: „Zwar haben die Kundgebungen der NPD und die Aktionen der APO Emotionen aufgeführt, aber mit Ausnahme der Schlägerei in Frankfurt, der Schüsse in Kassel und einige erfolgreiche Versammlungsstörungen ist es nirgend zu ernsthaften Zwischenfällen gekommen.“193
Während „Die Zeit“ also die Bedrohungspotenziale weiterhin nur für gering erachtete, wurde die NPD in der „Frankfurter Rundschau“ auch kurz vor der Bundestagswahl Ende September 1969 noch intensiv als Hort der Gewalttätigkeit dargestellt: „Existenz und Politik dieser Partei hätten bewirkt, daß erstmals seit dem Kriege bei einer Wahlveranstaltung wieder Schüsse gefallen seien“, wurde eine sozialdemokratische Stimme zitiert.194 Es finden sich weiterhin viele kleine Meldungen und Berichte, die auf Ausschreitungen bei NPD-Wahlkampfauftritten hinwiesen und den Eindruck einer permanenten Eskalation hinterließen.195 Die Abschlusskundgebung der NPD in Nürnberg, die eigentlich von der Polizei kurz vorher abgesagt wurde, „weil die öffentliche Sicherheit nicht mehr gewährleistet war“, wurde in der FR als regelrechte „Straßenschlacht“ beschrieben.196 Bisher seien zudem 13 Wahlkundgebungen der NPD ausgefallen, verboten oder abgebrochen worden – im Gegensatz zu keiner einzigen der anderen Parteien.197 Angesichts der immer massiveren Gewaltmanifestationen fokussierte die FR zudem kurz vor der Bundestagswahl weiterhin auf die allgemeine Radikalisierung und Polarisierung der Gesellschaft.198 Das demokratische Parteienspektrum böte dem Protest keine Alternative mehr, kritisierte sie, und sah das Ziel einer 192 Die Zeit, NPD, 10.10.1969. 193 Die Zeit, Gemäßigt bis stürmisch, 26.9.1969. 194 FR, Existenz dieser Partei hat Blutvergießen erzeugt, 18.9.1969, S. 2. 195 Bis vier Tage vor der Wahl habe es bereits 172 Verletzte gegeben. Auch wenn die Artikel die NPD nicht explizit benannten, erzeugte die Darstellung doch direkte Verbindungslinien. Die FR behauptete zudem, dass die NPD „selbst einen gewaltsamen Verlauf ihrer meisten Kundgebungen anstrebe“. Vgl. FR, Am Tatort blieb eine Patronenhülse zurück, 18.9.1969, S. 2. Siehe auch FR, Thadden sprach in Augsburg hinter Stacheldraht, 19.9.1969, S. 4; FR, von Thadden lobt Polizei-Einsatz zum Schutz der NPD, 22.9.1969, S. 10; FR, FDP zum Machtwechsel bereit, 23.9.1969, S. 5; FR, Geldstrafe für NPD-Funktionär, 24.9.1969, S. 5; FR, Im Wahlkampf gab es bisher 172 Verletzte, 24.9.1969, S. 5; FR, Störungen überschätzt, 26.9.1969, S. 11; FR, Polizei, 27.9.1969, S. 4; FR, Straßenschlacht in Nürnberg, 29.9.1969, S. 2; FR, Eine Wahlanfechtung der NPD hat wenig Chancen, 1.10.1969, S. 3. 196 FR, Straßenschlacht, 29.9.1969, S. 2. 197 FR, Noch keine Spur des Schützen, 20.9.1969, S. 4. 198 FR, Parallele zu Hitlers Kampf, 1.8.1969, S. 16; FR, Empörung, 30.7.1969, S. 5.
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gemäßigten politischen Kultur in Gefahr.199 Wenngleich totalitarismustheoretische Deutungen keine herausgehobene Rolle spielten, zeigt der Spagat zwischen Schuldzuweisungen an die APO für deren vermeintliche Mobilisierungshilfe der NPD und Unterstützung für deren grundsätzliche Ziele, dass die FR zur Aufgabe dieser Theorie noch nicht bereit war. Vielmehr versuchte sie, diese zu nutzen, um mäßigend auf die radikale Linke einzuwirken. Die Eskalation der politischen Auseinandersetzung sei verheerend für die Zukunft der westdeutschen Demokratie. Ein Kommentar kritisierte, dass die APO mit ihrer Gewalt nichts erreichen werde, „sondern dem Rechtsradikalismus nur noch Schrittmacherdienste leiste“.200 Die Situation sei zwar nicht direkt mit Weimar vergleichbar, weil sich Links- und Rechtsradikale nur in Ausnahmesituationen gegenseitig bekämpfen würden, aber die APO begründe mit ihren Aktionen „[p]rimitive Ängste und Emotionen […], die demokratisch bemäntelt, nur ein Ziel haben: Rückkehr zum Ordnungsstaat auf faschistischer Basis“.201 Die Erfolge der NPD wurden so auch in der FR zum Argument gegen die radikale Linke. Trotz dieser jüngsten Entwicklungen waren die meisten nicht-staatlichen Akteure davon überzeugt, dass die NPD den Einzug in den Bundestag schaffen werde. So attestierte „Die Zeit“ der Partei gut einen Monat vor dem Wahltag noch gute Chancen.202 Die „Allgemeine unabhängige jüdische Wochenzeitung“ hielt den Erfolg der Partei bei den Bundestagswahlen 1969, sicherlich auch vor dem Hintergrund der eigenen stark negativen Wahrnehmung des gesellschaftlichen Status Quo, sogar für sicher. Angesichts der auch hier zu erwartenden massiven Schädigung der Außenwirkung und der ohnehin angespannten beziehungsweise polarisierten Lage werde es eine für die weitere Zukunft entscheidende Schicksalswahl sein.203 Die NPD wurde für die „Allgemeine“ nun zum Anlass für eine Generalabrechnung mit der Gesellschaft. Ihr Resultat bei der Bundestagswahl werde ein Urteilsspruch nicht nur über den Umgang mit der NS-Vergangenheit, sondern vor allem auch über die Demokratisierung sein. Jede Stimme für die NPD offenbare schließlich die Erfolglosigkeit der Immunisierung der Deutschen gegen den Rechtsradikalismus. Unabhängig davon, dass neunzig Prozent der Stimmen auf eine demokratische Partei fallen werden und ein „überwältigen199 Dafür spricht, dass vielfach die Auflösung der Großen Koalition, speziell während der baden-württembergischen Landtagswahl, als ein wichtiger Hebel im Umgang mit dem Rechtsradikalismus gesehen wurde. Vgl. FR, Bestürzung, 30.4.1968, S. 6; FR, Gewerkschaften, 30.4.1968, S. 6; FR, Besorgnis, 30.4.1968, S. 7; FR, Schuld, 1.5.1968, S. 4. 200 FR, Schrittmacher, 5.8.1969, S. 3. So auch FR, Die Protestwelle ist bei den Schwaben abgeebbt, 15.9.1969, S. 10. 201 FR, Schrittmacher, 5.8.1969, S. 3. 202 Die Zeit, Krähwinkel, 29.8.1969. 203 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Heinemann, 19.9.1969, S. 1; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Stuttgarter Professoren. Wer NPD wählt, schadet Deutschland, 26.9.1969, S. 16.
194 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) der Sieg der Demokratie“ somit sicher sei, verstand sie diese Bundestagswahl als „Reifeprüfung“: „[Denn] so einfach sollte es sich keiner machen, der die Stabilität eines demokratischen deutschen Staates nicht nur als Rechenaufgabe sieht. Es ist bestimmt nicht richtig, daß man in Kreisen des Auslandes geneigt ist, das Wahlresultat nur unter dem Aspekt des rechtsradikalen Abschneidens zu sehen und zu beurteilen, aber es ist ebenfalls nicht richtig, auf deutscher Seite dem jeweiligen Ausland die dortigen radikalen Minderheiten vorzuhalten […] Es ist einfach unmöglich, das radikale Problem in Deutschland ohne den Blick auf die nationalsozialistische Vergangenheit zu betrachten. Mosley und von Thadden sind nicht vergleichbar, denn Großbritannien hat noch keine vergleichbare Diktatur erlebt. Worüber man in London, ohne Schaden zu nehmen, spöttisch lächeln kann, läßt sich in Bonn nicht so wegwerfend hinwegsehen.“204
Interessant ist, dass diese auf die Vergangenheit bezogenen Erklärungen in der „Allgemeinen“ deutlich an Relevanz einbüßten, je näher die Bundestagswahl rückte. Nun wurden primär Deutungen angeboten, welche das erwartete gute Ergebnis der NPD relativierten und es als spontane Eruption von Frust deuteten.205 Stimmen würde die Partei von Menschen bekommen, die „nicht bis über ihre Nasenspitze hinaus zu denken vermögen“.206 Die „Allgemeine“ wagte den Spagat zwischen notwendiger Problematisierung und paralleler Entdramatisierung. Zwar erkannte sie ein rechtsradikales Potenzial von nicht mehr als 15 Prozent in der westdeutschen Bevölkerung an, betonte aber auch, dass dies kein Grund für eine Verharmlosung sein dürfe.207 Andererseits hob die Zeitung nach wie vor stets die fortgeschrittene Demokratisierung der Bevölkerung hervor. Ein Kommentar äußerte die Hoffnung, dass die offenbar gewordenen NS-Verbindungen der Partei den einen oder die andere „doch noch abhalten, der NPD bei den kommenden Bundestagswahlen [die] Stimme zu geben“.208 Vielfach zitierte sie Äußerungen westdeutscher Persönlichkeiten, die vor der NPD warnten und dazu aufriefen, die Partei nicht zu wählen und sich klar von ihr zu distanzieren.209 Dies diente 204 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Reifeprüfung, 26.9.1969, S. 1. 205 Die Niederlage bei den Bundestagswahlen, hieß es daher auch später, verdeutliche, dass viele die Partei nur als Protest gewählt hätten und nicht aus politischer Überzeugung. Vgl. Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Beständigkeit blieb Trumpf. 3.10.1969, S. 1f. 206 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Zeichen, 25.7.1969, S. 2. 207 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Alarmiert, 10.5.1968, S. 3; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., NPD, 10.5.1968, S. 3. 208 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Offenbarung, 25.7.1969, S. 2. 209 Vor allem Willy Brandt mit seiner Vergangenheit als NS-Gegner wurde mehrfach als positives Beispiel angeführt. Vgl. Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Gutman blitzte ab, 26.4.1968, S. 16; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Stellungnahmen, 10.5.1968, S. 3; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., NPD, 10.5.1968, S. 3; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Brandt, 17.5.1968, S. 1; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Absage, 18.7.1969, S. 2; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Brandt. Nationales Interesse heißt Vernichtung des Nationalismus, 18.7.1969, S. 12; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Verbotsantrag, 12.9.1969,
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wohl auch dem Ziel, die westdeutsche Gesellschaft nach außen und gerade vor einem internationalen jüdischen Publikum als lernfähig und demokratieunterstützend zu porträtieren. Mehrfach wurden zudem Aussagen veröffentlicht, die die Erfolgschancen der NPD eher kritisch sahen.210 Insgesamt entstand so, ergänzend zu artikulierten Sorgen bezüglich der weiteren Entwicklung, der Eindruck einer breiten gesellschaftlichen Abwehrfront gegen den Rechtsradikalismus, wie ein Bericht über die Aussage des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Rainer Barzel zur NPD verdeutlicht: „[Barzel] erklärte: ‚Hier braucht keiner mit dem Finger auf uns zu zeigen.‘ Dies sei die Sorge des gesamten Parlaments, und man werde mit ihr fertig werden. Wer in der Welt den Deutschen dabei helfen wolle, der könne dies tun, indem er anerkenne, was in der Bundesrepublik an demokratischer Wirklichkeit vorhanden sei, und indem er völlig klarmache, daß die demokratischen Parteien dabei seien, dieses Problem zu lösen. Wer jedoch auf Grund des Wahlergebnisses in Baden-Württemberg glaube, nun erneut die Deutschen abstempeln zu sollen, ‚der fällt uns in den Arm, der leistet Vorschub für das Ansteigen der Rechtsradikalen‘“.211
Obwohl auch die „Rundschau“ einerseits eine engagierte NPD-Gegnerin blieb und der Partei durchaus hohe Bedeutung zumaß, fiel diese unmittelbar vor der Bundestagswahl 1969 angesichts der erstmals realistischen Möglichkeit eines Machtwechsels auf Bundesebene oftmals ganz aus dem Fokus.212 Dies deutet gleichfalls darauf hin, dass die Zeitung deren Chancen auf einen Bundestagseinzug in den letzten Tagen tatsächlich für recht gering hielt. Volle Entwarnung gab sie gleichfalls nicht, denn obwohl ein großer Teil der für die NPD günstigen Protestwelle mittlerweile verebbt sei, gebe es nach wie vor Hochburgen.213 Die S. 7; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Bremer Senat soll NPD-Verbotsantrag unterstützen, 19.9.1969, S. 1; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Heinemann, 19.9.1969, S. 1; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Professoren, 26.9.1969, S. 16; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Unbekannter, 26.9.1969, S. 16. 210 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Benda räumt Radikalen keine Chance ein, 18.7.1969, S. 12; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Hassel, 1.8.1969, S. 12; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Äußerungen, 8.8.1969, S. 1f.; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Heinemann, 19.9.1969, S. 1. 211 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Stellungnahmen, 10.5.1968, S. 3. 212 FR, Worauf es ankommt, 26.9.1969, S. 3. 213 Diesen widmete die Zeitung ein besonderes Dossier, welches Anzeichen für ein Ende des NPD-Vormarsches ausmachte, aber parallel konstatierte, dass die Parolen der Partei „heute auf weit fruchtbareren Boden fallen als vor der letzten Landtagswahl“ und dass „die Bauern […] für die nationalistische Agitation der NPD-Redner so zugänglich wie nie zuvor“ seien. Trotz fehlender akuter Wahrscheinlichkeit wurde weiterhin auf eine potenzielle Gefahr verwiesen. Dass die Partei in den letzten Hochrechnungen lediglich bei 4,7 Prozent der Stimmen lag, war für die FR kein Grund zur Entwarnung. Auch als die ersten ausgezählten Wahllokale ein Scheitern der NPD vermuten ließen, wurde dies nicht entsprechend interpretiert. Dass die Bonner Polizei
196 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) negativen Prognosen seien insofern keineswegs sicher und ein Erfolg der NPD kurzfristig jederzeit möglich.214 Eine frühe Entwarnung wurde möglicherweise auch vermieden, um die Wahlmobilisierung der eigenen Klientel nicht zu konterkarieren. Letztlich war es vor allem die FAZ, welche die Erfolgsaussichten der NPD kurz vor den Bundestagswahlen negativ einschätzte.215 Als dann am 28. September 1969 die Wahllokale schlossen, offenbarte sich, dass die NPD den Einzug in den Bundestag mit 4,6 Prozent der Stimmen knapp verpasst hatte. Obwohl sich die Reaktionen in den Publikationen im Detail unterschieden, artikulierten sie alle ein Gefühl der Erleichterung – und verbanden dies zum Teil mit dem Hinweis auf die eigene Rolle in der Auseinandersetzung mit der rechtsradikalen Partei. Entsprechend betonte der DOD nun vor allem, dass es die Vertriebenen gewesen seien, die mit ihrer weitgehenden Absage an die NPD deren Einzug in den Bundestag verhindert hätten.216 Nach der bewussten Funktionalisierung der Entscheidung für die NPD nach der Wahl in Baden-Württemberg vor etwas mehr als einem Jahr sollte nun der Beweis erbracht werden, dass die Vertriebenen keine besondere Tendenz zum Rechtsradikalismus aufweisen, sondern lediglich taktisch agieren würden. Derart wurde die Wahlentscheidung zugunsten der NPD, wie bereits nach der Wahl in Baden-Württemberg angedeutet, in erster Line als Folge politischer Fehler der großen Parteien interpretiert und die Vertriebenen, die man so zunächst in die Nähe der NPD gerückt hatte, im Nachhinein entsprechend entschuldigt. Die Gewerkschaftspresse zeigte sich über das Scheitern der NPD bei der Bundestagswahl erfreut. Der seit 1969 neue DGB-Vorsitzende Heinz Oskar Vetter erklärte in der „Welt der Arbeit“, das politische Urteil sei über die NPD gefällt worden. Dies beweise, dass die Bundesrepublik „in sich gefestigt ist“.217 Er besich auf handfeste Proteste der NPD-Gegner in Bonn im Fall des Einzuges vorbereitete, sei ebenfalls ein schlechtes Omen. Vgl. für das Zitat FR, Erfolge in überfüllten Wirtshäusern, 15.9.1969, S. 10. Siehe ansonsten FR, Protestwelle, 15.9.1969, S. 10; FR, Die SPD schaffte den Durchbruch wieder nicht, 29.9.1969, S. 1; FR, Benda. Wahlsonntag ohne Störungen, 29.9.1969, S. 2. 214 FR, Protestwelle, 15.9.1969, S. 10; FR, Erfolge, 15.9.1969, S. 10; FR, Stimmung schwankt wie noch nie, 25.9.1969, S. 4; FR, Ausgangssperre, 26.9.1969, S. 28. 215 FAZ, Mischnick rechnet nicht mit der NPD im Bundestag, 12.7.1969, S. 3; FAZ, Im Weimarer Stil, 16.7.1969, S. 2; FAZ, Strauß, 17.7.1969, S. 5; FAZ, Schlachten, 28.7.1969, S. 1; FAZ, Kritik, 30.7.1969, S. 5; FAZ, Brandt wünscht Gespräch mit Ost-Berlin, 31.7.1969, S. 4; FAZ, Kontroverse, 31.7.1969, S. 4; FAZ, Gerede, 2.8.1969, S. 1; FAZ, Barzel. Mit NPD keine Koalition, 2.8.1969, S. 4; FAZ, Bisher nur eine Schönwetterdemokratie, 5.8.1969, S. 10; FAZ, Ost-Berlin gegen Verhandlungen, 6.8.1969, S. 6; FAZ, Moskau spricht von Allmacht deutscher Militaristen, 7.8.1969, S. 3; FAZ, SPD knapper vor CDU, 18.9.1969, S. 3; FAZ, Kiesinger, 10.9.1969, S. 1; FAZ, Verlorene Stimmen, 25.9.1969, S. 2; FAZ, Kandidaten-Aufstellung künftig öffentlich, 25.9.1969, S. 4. 216 DOD, Landsleute, 7.10.1969, S. 1; DOD, Absage an Anerkennungstendenzen und Radikalismus, 7.10.1969, S. 6. 217 WdA, Das Urteil ist gefällt, 3.10.1969, S. 1.
4.2. Auf- und Abstieg der NPD
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tonte anschließend speziell die demokratischen Wahlentscheidungen der Jugend und zeigte sich erleichtert über die nun bewiesene Lernfähigkeit: „Offensichtlich haben die Menschen unseres Landes aus böser Erfahrung gelernt, daß ein übersteigerter Nationalismus der erste Schritt zum Selbstmord ist.“ Auch die „Metall“ erklärte, dass die Absage der Wähler an die NPD der erfreulichste Aspekt des Wahlausganges war.218 Das Scheitern der Rechtsradikalen schrieb der Artikel dabei in erster Linie dem zivilgesellschaftlichen Engagement und somit auch den Gewerkschaften selber zu: „Der harte und kompromisslose Kampf gegen die NPD hat sicher entscheidend dazu beigetragen, der Bevölkerung die Gefahren des Rechtsradikalismus vor Augen zu führen“. Auch Vetter erklärte in der WdA, dass er „es nicht zuletzt der konsequenten Aufklärung der Gewerkschaften [zuschreibe], daß es gelang, Adolf von Thadden und seinen Leuten die Suppe zu versalzen.“219 Die FAZ titelte nach der Wahl, dass die CDU die stärkste Partei geworden sei und betonte im Gegensatz zur vorsichtigeren FR sofort, dass es der NPD nicht gelungen war, die Sperrklausel zu überwinden.220 Dass in den internationalen Reaktionen nach der Wahl vor allem die Erleichterung über den Wahlausgang dominierte, der Bundesrepublik allgemein eine funktionierende Demokratie attestiert und ein politisches Reifezeugnis ausgestellt wurde, war insofern wichtig, als derartige Stimmen doch besonders gut in der Lage waren, die bundesdeutsche Entwicklung zu beweisen.221 Triumphierend zitierte die FAZ eine italienische Stimme, dass die „Dämonisierung der Bundesrepublik durch die Sowjetunion […] einen kräftigen Schlag bekommen“ habe und Moskau „nun nicht mehr ernsthaft seinen Anspruch auf Intervention im angeblich nazistisch infizierten Deutschland anmelden“ könne.222 Schon allein deshalb wertete sie das Scheitern der NPD als Segen.223 Vor dem Hintergrund der vielfach skeptischen Darstellung der letzten zwei Jahre war die FAZ regelrecht erleichtert.224 Das Wahlergebnis 218 Metall, Koalition des Fortschritts, 14.10.1969, S. 3. 219 WdA, Urteil, 3.10.1969, S. 1. 220 FAZ, Die CDU bleibt mit Abstand stärkste Partei, 29.9.1969, S. 1,4. 221 Vgl. FAZ, Amerikaner erkennen politische Reife an, 30.9.1969, S. 3; FAZ, Brown schöpft Hoffnungen für den Beitritt, 30.9.1969, S. 3; FAZ, Israel über NPD-Niederlage befriedigt, 30.9.1969, S. 3; FAZ, Paris sieht Demokratie in der Bundesrepublik fest verankert, 30.9.1969, S. 3. Deutlich zeige sich der Fortschritt der Bundesrepublik selbst in der sowjetischen Reaktion. Vgl. FAZ, Moskau sieht das Nazi-Gespenst weichen, 30.9.1969, S. 3; FAZ, Moskauer Fragen zu Bonner Koalitionen, 1.10.1969, S. 5. 222 FAZ, Dämonisierung mißlungen, 30.9.1969, S. 7. 223 FAZ, Doch die Mini-Koalition, 30.9.1969, S. 1. 224 Insgesamt sah die FAZ die NPD nun auf dem absteigenden Ast. In einigen Bundesländern konnte die Partei zwar mehr als fünf Prozent der Stimmen auf sich vereinen, hatte aber im Vergleich zu den jeweiligen Landtagswahlen an Stimmen verloren. Die einzig beschriebene Ausnahme im Saarland, wo die Partei in einigen Gemeinden bis zu zehn Prozent bekam, und die in einem anderen Artikel weiterhin ausgemachten Hochburgen in Rheinland-Pfalz und Franken konnten den Gesamteindruck fehlen-
198 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) habe aber nicht nur die demokratische Entwicklung bestätigt, sondern auch gezeigt, dass man eine rechtsradikale Partei in der Bundesrepublik mit demokratischen Mitteln schlagen könne.225 Um die Gesellschaft langfristig zu stabilisieren, weitere Protestwahlen zu verhindern sowie die Polarisierung abzubauen, sei es nun unerlässlich, die künftigen Vermögenszuwächse gerechter zu verteilen.226 Überraschend positiv wurden hier die Ausweitung der Mitbestimmung im Betrieb sowie grundlegende sozio-kulturelle Reformen bewertet. Zwar sind all diese kapitalismuskritischen Aspekte in erster Linie auf die Beruhigung der APO gemünzt, sie zielten aber gleichfalls auf den Abbau der für den NPD-Erfolg ursächlichen Frustrationspotenziale. Interessanterweise blieb die „Frankfurter Rundschau“ auch nach der Wahl bei ihrer geringen Beachtung der Partei. Angesichts der realen Chancen Willy Brandts auf die erste sozialdemokratische Kanzlerschaft in der Bundesrepublik war das Ergebnis der SPD für die Zeitung von größerer Bedeutung als die NPD.227 Sie zeigte sich aber dennoch erleichtert: „Die NPD hat den relativ größten Erfolg aller Parteien bei der Bundestagswahl errungen – und sie ist die größte Verliererin dieses 28. Septembers. Sie hat gegenüber der Bundestagswahl 1965 ihre Stimmenanzahl verdoppelt – aber sie kommt nicht in das Parlament“.228
Befürchtungen bezüglich der im Vergleich zu 1965 großen Stimmenzuwächse wurden mit Vergleichen zu den letzten Landtagswahlen direkt relativiert und als wenig dramatisch dargestellt.229 Mit Blick auf die internationalen Reaktionen erklärte die FR, dass mit Ausnahme der sowjetischen Presse, die den Fokus auf der Gefährdungseinschätzung nicht revidieren. Vgl. FAZ, Wie in den Ländern gewählt wurde, 30.9.1969, S. 5; FAZ, Bremer Mannschaft unverändert, 30.9.1969, S. 6; FAZ, Überraschende Stabilität im Saarland, 30.9.1969, S. 6; FAZ, Die Bilanz in Rheinland-Pfalz, 30.9.1969, S. 7; FAZ, Die CSU bei den Bayern am beliebtesten, 30.9.1969, S. 7; FAZ, Die Fluktuation in Baden-Württemberg, 30.9.1969, S. 7; FAZ, In Hessen 22 Direktmandate für die SPD, 30.9.1969, S. 7; FAZ, Steffen sieht sich in Kiel bestätigt, 30.9.1969, S. 7. Siehe auch FAZ, Wie sich Gewinne und Verluste im einzelnen verteilen, 1.10.1969, S. 2. Im Fall der anstehenden Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen berichtete die FAZ sogar über eine „Krisenstimmung der Rechtsradikalen“, die aus finanziellen, organisatorischen und auch politischen Gründen in vielen Gemeinden gar nicht antreten könnten. Vgl. FAZ, Krisenstimmung der Rechtsradikalen, 7.10.1969, S. 4. 225 FAZ, CDU, 29.9.1969, S. 1,4. 226 FAZ, Vor großen Aufgaben, 29.9.1969, S. 1. 227 Die Kommentare und auch viele Analysen der Wahl ließen die NPD komplett aus und fokussierten aufgrund der Chance der Sozialdemokratie auf die Kanzlerschaft primär auf die schwierige Koalitionsbildung. Vgl. z. B. FR, Durchbruch, 29.9.1969, S. 1. 228 FR, Wahlanfechtung, 1.10.1969, S. 3. 229 FR, Große Enttäuschung bei der NPD, 30.9.1969, S. 4.
4.2. Auf- und Abstieg der NPD
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die gestiegenen Stimmenanteile der NPD legte, alle anderen primär die positiven Aspekte des Ergebnisses für die westliche Bündnispolitik betont hätten.230 Auch die angedrohte Wahlanfechtung wurde als eine wenig aussichtsreiche Verzweiflungstat gewertet, um das eigene Scheitern nach innen zu erklären: „Das Votum der Bundesbürger, die dieser Partei eine klare Abfuhr erteilten, soll nun mit einer Wahlanfechtung erneut gefordert werden. So handeln jene, die nichts mehr zu verlieren haben, die selbstverschuldete Zwangsmaßnahmen in mißbrauchte Ermessensentscheidungen der Behörden umgedeutet sehen wollen, die sich gestört, behindert, ausgeschlossen sehen, auf demokratische Fairneß plädieren und selbst mit einem Vokabular und Taten über das Land ziehen, die jeder Demokratie Hohn sprechen“.231
Doch die Bewertung der Bedrohungspotenziale der NPD blieb insofern erhalten, als die „Rundschau“ warnte, dass es Anzeichen gebe, dass die NPD jederzeit wieder erstarken könne.232 Die Zeitung blieb skeptisch. Ähnliches lässt sich für die jüdische „Allgemeine“ erkennen. Trotzdem wurde das Scheitern der NPD zunächst eindeutig positiv aufgefasst. Die Demokratie habe nicht nur eine Schlacht gewonnen, sondern der „deutsche Wähler“, triumphierte die Zeitung, „bewies damit seine Mündigkeit“.233 Der Misserfolg der NPD war für die jüdischen Zeitungsmacher das wichtigste Ergebnis der Wahl, ohne dass sie nun zu einer explizit positiven Zukunftseinschätzung bezüglich der endgültigen Niederlage des Rechtsradikalismus tendierten – schließlich konnte die Partei ihren Stimmen230 FR, Erleichterung über NPD-Schlappe, 30.9.1969, S. 5. 231 FR, Taktik, 6.10.1969, S. 3. Siehe auch FR, Wahlanfechtung, 1.10.1969, S. 3; FR, NPD ficht Bundestagswahl an, 6.10.1969, S. 1. 232 Der Blick auf die Stimmenzugewinne in einzelnen Bundesländern würde durchaus eine potenzielle Bedrohung andeuten. In Niedersachsen konnte die NPD ihren Stimmenanteil gegenüber 1965 um 2,1 auf 4,6 % verbessern. Auch in Rheinland-Pfalz sei die Gefahr des Rechtsradikalismus noch keineswegs überwunden, denn hier konnte die Sperrklausel auf Landesebene überwunden werden. In Bayern wäre die NPD sogar erfolgreicher als die FDP gewesen und habe bis zu 8,3 % der Stimmen in Mittelfranken erhalten. Auch für Bremen wurden die Rechtsradikalen als Gewinner ausgemacht. In Hessen habe die Partei zwar gegenüber der letzten Landtagswahl Stimmen verloren, aber ebenfalls die Sperrklausel überwunden. Vgl. FR, Bocksprünge in Niedersachsen, 30.9.1969, S. 4; FR, Mainz. Mehr als 5 Prozent für die NPD, 30.9.1969, S. 4; FR, Verschärfte Gegensätze in Bayern, 30.9.1969, S. 4; FR, SPD-Erfolg trotz Baulandskandal, 30.9.1969, S. 4; FR, SPD in Hessen wieder stärkste Partei, 30.9.1969, S. 19. Lediglich die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen eine gute Woche nach der Wahl hätten einen Niedergang der Partei aufgezeigt. Vgl. FR, NPD kandidiert nur vereinzelt, 8.10.1969, S. 5. Ob diese Auswahl, bei der die FR fast ausschließlich über die Bundesländer berichtete, in denen die NPD relativ erfolgreich war, zufällig oder bewusst erfolgte, um die Bedrohungspotenziale der NPD zu betonten, kann hier nicht nachvollzogen werden. Die einzige Ausnahme war Schleswig-Holstein. Vgl. Steffen gegen Strauß und Hassel, 30.9.1969, S. 4. 233 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Beständigkeit, 3.10.1969, S. 1f.
200 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) anteil im Vergleich zu 1965 mehr als verdoppeln.234 Nach wie vor war die „Allgemeine“ nicht bereit, ihre besorgte Haltung aufzugeben. Dass die NPD aus dem Nichts heraus in so kurzer Zeit derart viele Stimmen mobilisieren konnte, wertete sie als deutliches Alarmzeichen. Das „rechtsradikale Problem [bleibt] weiterhin auf dem Tisch“, hieß es warnend.235 So berichtete die „Allgemeine“ zwar über die im Vergleich zu den Landtagswahlen gesunkenen Stimmenanteile in den Hochburgen,236 blickte dennoch weiterhin besorgt in die Zukunft, da derartige auf Emotionen und Protest beruhenden Mobilisierungserfolge wie in den letzten Jahren jederzeit erneut drohen könnten. Der Rückgriff zahlreicher vor allem christsozialer Politiker auf nationalistische Parolen zur Abwerbung radikaler Wähler steigerte diese Wahrnehmung nur noch und beweise die geringe Abgrenzungsbereitschaft, die schnell eine erneute Radikalisierung nach sich ziehen könne.237 „Die Zeit“ betonte ebenfalls, dass das Volk seine „Mündigkeit“ bewiesen habe.238 Die Erleichterung der Redaktion zeigt sich zudem in der anschließenden, etwas übertrieben positiven Beschreibung der Westdeutschen: „Die Instinkte dieses Volkes sind verläßlicher, sein Urteil bestechlicher, seine Reflexe prompter, als seine Herrscher oder seine Nachbarn es ihm zuweilen zutrauten.“ Jetzt, wo deutlich geworden sei, dass vor allem die ökonomischen Probleme den Erfolg der NPD ermöglichten, könnte man beruhigt sein, da die Partei ohne eine unmittelbare Rezession viele Stimmen direkt wieder verloren habe.239 Sie habe „ihren Gipfelpunkt“ überschritten, so das Fazit.240 Allerdings befürchtete auch „Die Zeit“, dass die NPD weiterhin Erfolge feiern könnte – schon allein, weil es „nach wie vor ein großes Reservoir von Rechtsradikalen in der Bundesrepublik gibt“.241 Auch wenn nun klar sei, dass die Westdeutschen nicht noch einmal einer rechtsradikalen Partei ins Verderben folgen werden: „So werden sie weitermarschieren… Aber nicht, bis alles in Scherben fällt, sondern bis eine große Krise ihnen aufhilft oder – da die Krise wahrscheinlich und hoffentlich ausbleibt – bis ihre ewige Geistigkeit sie dahin verweist, woher sie kommen und wohin sie sich letztes Endes sehnen: ins Gestern.“242
234 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Das Ergebnis der Bundestagswahl, 3.10.1969, S. 1; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Beständigkeit, 3.10.1969, S. 1f. 235 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Beständigkeit, 3.10.1969, S. 1f. 236 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Ergebnis, 3.10.1969, S. 1. 237 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Beständigkeit, 3.10.1969, S. 1f. 238 Die Zeit, Das Ende einer Herrschaft, 3.10.1969. 239 Die Zeit, Resümee, 3.10.1969. 240 Die Zeit, Die NPD auf dem Wahlprüfstand, 3.10.1969. 241 Ebd.; Siehe auch Die Zeit, Gesten, 3.10.1969. 242 Die Zeit, Gesten, 3.10.1969.
4.2. Auf- und Abstieg der NPD
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Einzig „Der Arbeitgeber“ beteiligte sich nicht an dieser ansonsten konsensualen Erleichterung über das Scheitern der NPD. Angesichts der bisherigen Äußerungen, die vor allem auf die Irrelevanz der Partei zielten und sie als ein Produkt linker Hysterie beziehungsweise Unruhestiftungen betrachtete, nur konsequent, erwähnte die Zeitung das Scheitern an der Sperrklausel bei der Bundestagswahl in einem Artikel zum Wahlergebnis mit keinem Wort.243 Die Übernahme der Regierungsgeschäfte durch die Sozialdemokratie wurde getreu dem bisher skizzierten Denken hingegen als eine Gefahr für die Stabilität der Bundesrepublik heraufbeschworen. Besonders zentral dafür, dass die NPD trotz der eigentlich guten Ausgangslage 1969 den Einzug in den Bundestag verpasste, war der in der Öffentlichkeit stark wahrgenommene Zusammenhang zwischen der Partei und den gewalttätigen Ausschreitungen.244 Pointiert kommentierte „Die Zeit“: „Adolf von Thadden, der Bonn im Sturm nehmen wollte, kam nur bis Kassel. Er scheiterte nicht am 28. September, als ihm knapp 0,7 Prozent zum Sprung über die Bundestagshürde fehlten; er erlebte sein Cannae bereits 13 Tage zuvor, als einer seiner Leibwächter nach einer verbotenen Wahlkundgebung eine Mauser-Pistole zog und schoß.“245
Spätestens hiernach war es unmöglich geworden, das eigene Image als verfassungskonforme, national-konservative Partei für Ruhe und Ordnung zu propagieren. Programmatisch konnte die Partei im Wahlkampf zudem keine Akzente setzen.246 Die Bildung der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt weist zudem darauf hin, dass sich die gesamtgesellschaftlichen Gewichte bereits verschoben hatten. Ebenso spielte der erneut einsetzende wirtschaftliche Aufschwung sicherlich eine große Rolle. Dass die „etablierte Politik“ in der Lage schien, die ökonomische Krise zu meistern, entzog der NPD einen Teil der Zustimmung.247 Nicht zu unterschätzen ist daneben die starke Gegenwehr großer Teile der Gesellschaft. Manfred Funke hat betont, dass die „intensive öffentliche Aufklärung“ über den Rechtsradikalismus und die NPD im Besonderen zu deren Diskreditierung beigetragen habe.248 Die NPD wurde durch eine „bunte Koalition“ bekämpft, in der sogar Teile des konservativen Spektrums zur Zusammenarbeit bereit waren.249 Auch nicht-staatliche Akteure waren dabei vielfach an vorderster Front beteiligt.
243 Der Arbeitgeber 16 (1969), Kunst des Unmöglichen?, S. 631. 244 Vgl. Botsch, S. 58; Dudek / Jaschke, S. 336; Stöss, Rechte, S. 137. 245 Die Zeit, NPD, 10.10.1969. 246 Vgl. Staud, S. 35. 247 Vgl. Winkler, S. 272. 248 Funke, S. 19. Siehe auch Staud, S. 35; Jarausch, S. 196. 249 Zu Details siehe Dudek / Jaschke, S. 340; Herz, S. 237.
202 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69)
4.3. Schreiben und Handeln Generell lässt sich festhalten, dass die untersuchten Akteure vielfach umfassend über die gesellschaftlichen Aktivitäten gegen die NPD berichteten und diese auch weitgehend unterstützten. Die Forderung an die jeweilige Leserschaft, sich an den Wahlen zu beteiligen und dabei auf eine Stimmabgabe zugunsten der NPD zu verzichten, wurde in den Ausführungen zur Wahrnehmung der Bundestagswahl als „Schicksalswahl“ durch die „Allgemeine“ bereits angedeutet. Ähnliche Forderungen finden sich in fast allen Publikationen. So betonte „Die Quelle“: „Demokraten wählen demokratische Parteien. Darum keine Stimme für politische Extremisten. Entscheiden Sie sich gegen Radikalismus und Neonazismus, entscheiden Sie sich für die Demokratie.“250 Da sogar Arbeitnehmer und Gewerkschaftsmitglieder nicht hundertprozentig immun gegen die Verheißungen der NPD waren, dürften diese Appelle zumindest teilweise an die eigene Klientel gerichtet gewesen sein.251 Dieser Gedanke dürfte auch in der FAZ eine gewisse Rolle gespielt haben. Zumindest verwies die Zeitung darauf, dass eine Stimme für die Rechtsradikalen schädlich für die deutschen Interessen sei.252 Sie appellierte an potenzielle NPD-Wähler, die eigene Entscheidung im Interesse der Außenpolitik zu überdenken. Ansonsten würden „[a]lte Ängste in der Welt geweckt.“253 Auch im innerdeutschen Konflikt schade die NPD der Bundesrepublik.254 Daher gehe es schlussendlich „darum, ob im deutschen Parlament erstmals seit 1949 wieder Abgeordnete einer rechtsextremen Partei sitzen werden oder nicht“.255 Wenn man ein Überwinden der Sperrklausel schon nicht verhindern könne, „dann sollte doch ihr schockierendes parlamentarisches Einsprengsel zumindest 250 Die Quelle 9 (1969), Wahlaufruf des DGB, S. 340f.. Siehe auch WdA, Auch die Nichtwähler sind verantwortlich, 26.9.1969, S. 9; Metall, Wahltag, 16.9.1969, S. 1; DGB-Bundesvorstand, DGB-Kurier. Sep. 1969. 251 Dass potenzielle NPD-Wähler die Gewerkschaftspresse lasen, offenbart ein Leserbrief im Mai 1968, der offensichtlich von einem Sympathisanten der NPD geschrieben wurde: „Jedes ÖTV-Magazin, wo ich es nur erwische, wird zerrissen, damit Sie langsam […] begreifen, was gespielt wird. Ihrem Schmierblatt wird der Kampf angesagt […] Außerdem wird in jeder NPD-Versammlung in der Bundesrepublik (namentlich ihre Redaktion, Chefredakteur, also ein gewisser H.E.R. Vater, als sein Herausgeber) auf solches Treiben aufmerksam gemacht werden […] Solche Lumpen und Landesverräter müssen nämlich dem Bürger und damit Wähler bekanntgemacht werden, damit er weiß, um wen es sich auch handelt!“ Vgl. ÖTV-Magazin, Kampf angesagt (Leserbrief). Mai 1968, S. 20. 252 FAZ, Schlachten, 28.7.1969, S. 1. 253 FAZ, Gerede, 2.8.1969, S. 1. 254 Der Ostblock schlachte das Thema aus und die DDR-Presse berichte laufend „genüßlich“ über die Parteiaktivitäten. Vgl. FAZ, Stil, 16.7.1969, S. 2; FAZ, Ost-Berlin, 6.8.1969, S. 6; FAZ, Moskau, 7.8.1969, S. 3. 255 FAZ, Hürde für die NPD, 27.9.1969, S. 1.
4.3. Schreiben und Handeln
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durch hohe Wahlbeteiligung klein gehalten werden.“256 Es kommt, so die FAZ, „auf jede Stimme an. Jeder Wähler, der […] mehr zur Wahl geht und seine Zweitstimme einer der drei Parlaments-Parteien gibt, trägt mit dazu bei, die NPD aus dem Parlament fernzuhalten“.257 Wer hingegen nicht wählen gehe, helfe ihr, die Sperrklausel zu überwinden, erklärte die Zeitung unermüdlich bis zum Wahltag.258 Ausführlich rechnete sie zudem mehrfach die Stimmen vor, die der NPD bei entsprechend niedrigen Wahlbeteiligungen zum Einzug reichen würden.259 Vor der Bundestagswahl rief auch „Der Arbeitgeber“ dazu auf, nicht die NPD zu wählen, aber dies war in erster Linie eine Maßnahme zur Stabilisierung der sogenannten „demokratischen Mitte“ aus dem Wunsch heraus, stabile politische Verhältnisse zu sichern. Daher waren Aussagen, die eine Wahlentscheidung der NPD als Unglück bezeichneten, direkt verbunden mit etwas verklausulierten Aufrufen, vor allem CDU oder CSU zu wählen: „Wer also gegen die NPD und der Meinung ist, daß die große Koalition ihre Schuldigkeit getan bzw. nicht getan hat, kann klare Fronten nur dadurch schaffen, daß er sein Kreuzlein bei den Christen macht“.260 Auffällig ist, dass diese Aufrufe, keinesfalls die NPD zu wählen, vor allem in den Medien auftauchten, deren Leserschaft zumindest zu kleinen Teilen empfänglich für die Parolen der NPD sein könnten.261 Auf der anderen Seite findet sich Ähnliches auch in der FR, ist hier, da die eigene Leserschaft wenig verdächtig war, für die NPD zu stimmen, aber wohl in erster Linie als Argumentationshilfe beziehungsweise als allgemeine Warnung gemeint. Schließlich waren entsprechende Aussagen vielfach direkt verknüpft mit der Warnung vor den Folgen eines guten Endergebnisses für die Außenwirkung und die internationalen Beziehungen.262 Aufgrund der nationalsozialistischen Vergangenheit rich256 FAZ, Konsequenzen, 26.9.1969, S. 1. Siehe z. B. auch FAZ, NPD-Verbotsantrag, 8.8.1969, S. 4; FAZ, Unternehmer gegen NPD aufgerufen, 16.9.1969, S. 13; FAZ, DGB. Keine Stimme der NPD, 16.9.1969, S. 25; FAZ, Störungen der Bundestagswahlen in Bayern befürchtet, 23.9.1969, S. 1; FAZ, Machtkampf, 27.9.1969, S. 1. 257 FAZ, Jede Stimme, 22.9.1969, S. 2. 258 Ebd.; FAZ, Wahl in Qual, 25.9.1969, S. 1; FAZ, Konsequenzen, 26.9.1969, S. 1; FAZ, Hürde, 27.9.1969, S. 1; FAZ, Machtkampf, 27.9.1969, S. 1. Bereits während der Wahl in Baden-Württemberg platzierte die FAZ den Hinweis, dass eine hohe Wahlbeteiligung den Radikalen schaden würde. Vgl. FAZ, Brandt, 22.4.1968, S. 4. 259 FAZ, Stimme, 22.9.1969, S. 2; FAZ, Hürde, 27.9.1969, S. 1. 260 Der Arbeitgeber 15 (1969), Mut, S. 596f. Siehe auch Der Arbeitgeber 14 (1969), 50 Zitterer, S. 564. 261 Für die konservativen und von den politisch links assoziierten politischen Vorfällen der letzten Jahre aufgeschreckten Teile gilt dies genauso wie für gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer, wie wir, auch wenn das damals noch keineswegs im Fokus stand, heute ohne Zweifel wissen. 262 Die FR verbreitete Appelle, dies bei der Stimmabgabe zu bedenken und die NPD nicht zu wählen. Vgl. FR, Heinemann, 15.9.1969, S. 1; FR, Thadden, 19.9.1969, S. 4; FR, Thadden, 22.9.1969, S. 10; FR, Scheel, 26.9.1969, S. 11; FR, Bischöfe warnen die Radikalen, 27.9.1969, S. 4.
204 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) te sich der Blickpunkt aller internationaler Wahlbeobachter, besonders in jenen Ländern, „die im letzten Krieg von Hitlers Soldaten besetzt waren“, seit Monaten auf das Ergebnis der NPD.263 Auf die eigene Leserschaft zielte vielmehr die Forderung, in jedem Fall wählen zu gehen. Zwar könne man über eine Wahl der SPD streiten, aber keinen Stimmzettel abzugeben, helfe in jedem Fall der NPD.264 Die zahleichen APO-Sympathisanten in der Leserschaft wurden aufgefordert, sich nicht vollständig aus der Realpolitik zurückzuziehen: „Jetzt kommt es auf Euch an – auf Eure innere Ehre und Eure Pflicht, damit das, was Ihr an Freiheit noch besitzt, nicht schmachvoll unter schlechten ‚Führern‘ untergeht“.265 Ähnliches dürfte für die mittlerweile eindeutig liberal-bürgerliche „Zeit“ gelten, die zwei Artikel mit der expliziten Aufforderung, sich an den Wahlen zu beteiligen, veröffentlichte und dabei ebenfalls primär auf die linke Seite des politischen Spek trums zielte.266 Deutlich forderte die Zeitung, die NPD müsse „aus der Sicht von morgen abgekanzelt werden“, da man mit Fossilien nicht leben könne.267 In diesem Zusammenhang findet sich dann auch einer der wenigen klaren Belege dafür, dass sich sogar der Bund der Vertriebenen in seiner Publikation offen gegen die NPD aussprach: „Wer nicht wähle oder sich für links- oder rechtsextreme Parteien entscheide“, argumentierte der „Deutsche Ostdienst“, „der stimme im Grunde genommen gegen die Demokratie“.268 Ansonsten wies speziell der Umgang der Vertriebenen eine Besonderheit auf, die im folgenden kurz dargestellt werden soll. Faktisch war die NPD bei den Wahlen der späten sechziger Jahre die einzige Partei, die sich klar zu den deutschlandpolitischen Zielen der Vertriebenen bekannte und sich aktiv um deren Stimmen bemühte. Wegen der besonderen Brisanz thematisierten viele Artikel diese politische Nähe zu den Rechtsradikalen. Die Abgrenzung des BdV gegen alle Vorwürfe, mit rechtsradikalen Gruppen – speziell der NPD – zusammenzuarbeiten oder gar selbst rechtsradikal zu sein, war überlebenswichtig, um die eigene Diskursposition abzusichern.269 Offiziell lehnte der BdV „politisches Abenteuerertum [sic] gleichviel ob es nach der linken oder rechten Seite ausufert“ ab.270 Matthias Stickler bemerkte 263 FR, Ausgangssperre, 26.9.1969, S. 28. 264 FR, Die Verantwortung der linken Nichtwähler, 26.9.1969, S. 28; FR, Wahlengagement, 27.9.1969, S. 3. 265 FR, Wahlengagement, 27.9.1969, S. 3. 266 Die Zeit, Nicht wählen ist Unsinn, 19.9.1969; Die Zeit, Die Zweitstimme zählt, 26.9.1969. 267 Die Zeit, Dummheit, 15.8.1969. 268 DOD, Demokratisch wählen, 25.9.1969, S. 8. Siehe auch DOD, Kriterien der Entscheidung, 6.8.1969, S. 1f.; DOD, Ostdeutsche Landsleute, 25.9.1969, S. 1. 269 Vgl. DOD, Verketzerung?, 13.4.1968, S. 2f.; DOD, Walter, 26.4.1968, S. 7; DOD, Kriterien, 6.8.1969, S. 1f.; DOD, Kein NPD-Einfluß im BdV, 26.8.1969, S. 4. 270 DOD, Kriterien, 6.8.1969, S. 1f.. So auch DOD, Landsleute, 25.9.1969, S. 1. Vgl. auch die Ausführungen von Dr. Hans Neuhoff vom BdV in einem Gutachten zum Umgang mit der NPD. Siehe diesbezüglich Stickler, S. 342.
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allerdings zu Recht, dass an diesem Problem eine öffentliche Distanzierung nicht viel ändere.271 Seit Mitte der sechziger Jahre kam es zu einer schleichenden Radikalisierung einer sich vergrößernden Minderheit unter den Vertriebenen.272 Deren Misstrauen gegen die etablierten Parteien wurde immer stärker und sie sahen in der NPD eine legitime Alternative. Sie ließen NPD-Abgeordnete im Gesamtdeutschen Rat des BdV mitarbeiten oder bauten selber rechtsradikale Gruppierungen wie die Aktion Deutscher Osten aus den BdV-Strukturen heraus auf.273 Eine Kommission, die 1968 eingesetzt wurde, um den Umgang mit der NPD zu klären, versuchte die Gratwanderung zwischen der Bejahung einiger politischer Ziele der Partei bei gleichzeitiger Ablehnung der dahinterliegenden Motivation. In einem der angefertigten Gutachten zeigte sich das ganze Dilemma des BdV. Der Gutachter Dr. Rudolf Hilf (Geschäftsführer des BdV-Landesverbands Bayern) erklärte, das vermeintlich national-konservative NPD-Programm weise die gleichen Ansichten auf, die man in den eigenen Gliederungen finde. Fast verzweifelt betonte er weiter: „Hier in Bayern erleben wir, daß die NPD-Fraktion im Bayerischen Landtag lautstark alle unsere Forderungen im Landtag vertritt. Allerdings mit dem Ergebnis, daß sie von den anderen Parteien abgelehnt werden.“274 Der BdV befand sich in einer Zwickmühle zwischen der eigenen sich radikalisierenden Mitgliedschaft und dem Wunsch, als Stütze der Demokratie wahrgenommen zu werden. Die Vertriebenenfunktionäre hatten bereits lange Jahre laut getrommelt und Versprechungen gemacht, die immer unrealistischer wurden, was ihnen nun den Umgang mit der NPD deutlich erschwerte: „Der BdV lief Gefahr, an seiner eigenen Programmatik gemessen zu werden“ stellte Stickler im Anschluss an obiges Zitat ironisch fest. Inoffiziell argumentierte das Präsidium daher auf mehreren Kanälen, dass man massiv unter dem Druck rechtsradikaler Gruppen stehe, welche dem BdV Verzichtpolitik unterstellten. Daher müsse man zumindest verbal ebenfalls radikal auftreten. Dies war sicherlich eine kluge Taktik, um beide Ziele offiziell beibehalten zu können. Doch dafür bedurfte es nicht nur der klaren Akzeptanz der diskursiven Grenzen, sondern auch einer mäßigenden Einwirkung auf die frustrierten Teile der Heimatvertriebenen.275 Erschwerend in der Distanzierung zum Rechtsradikalismus kam für den BdV hinzu, dass der ehemalige Vertriebenenpolitiker Linus Kather für die NPD kandidierte. Aufgrund dessen herausgehobener Position war dies zum einen ein erfolgversprechender Versuch, Stimmen der Vertriebenen in das rechtsradikale Lager zu ziehen, und zugleich ein großes Problem für die Legitimation des BdV.276 Fortwährend beschimpfte Kather den BdV und warf ihm Verrat an der Sache der 271 Vgl. Stickler, S. 341. 272 Vgl. Kossert, S. 182. 273 Vgl. Stickler, S. 334–336, 339. 274 Stickler, S. 343, Vgl. zur gesamten Thematik S. 342–344. 275 Vgl. ebd., S. 336–339. 276 Ebd., S. 20, 340.
206 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) Vertriebenen vor, weil dieser nach eigener Aussage eben gerade nicht „eine ex trem nationalistische, sondern eine maßvolle, konsequente und nachhaltige Politik der patriotischen Mitte“ anstrebe.277 Diese Passage diente aber nicht nur der Selbstdarstellung als Demokraten, sie war gleichwohl auch Teil der Verteidigung gegen die NPD. Dies ist eine der wenigen Aussagen im „Deutschen Ostdienst“ gegen die Partei – bezeichnenderweise war diese keineswegs besonders deutlich. Diese Vorsicht folgte einem Beschluss des BdV-Präsidiums vom 2. Juli 1969. Dort wurde festgelegt, dass man keine offiziellen Gespräche mit der NPD auf Bundesebene führen werde, sondern dies nach einer Einzelfallprüfung den Ortsverbänden überlasse. Zudem beschloss man, nichts Konkretes über das Verhältnis des BdV zur NPD herauszugeben und sich im DOD nicht über das bisherige Maß mit der Partei zu beschäftigen.278 Lediglich Material zur Verteidigung der eigenen Organisation gegen rechtsradikale Angriffe sollte weiterhin intern verbreitet werden. Dies schränkte nicht nur den publizistischen Umgang mit der Partei deutlich ein, sondern nahm dem BdV die Fähigkeit zur klaren Positionierung. In den Artikeln der Rubrik „Bundestagswahldienst“ tauchte die NPD dann konsequenterweise gar nicht erst auf.279 Dies war allerdings zugleich ein unauffälliger Schritt der Distanzierung, denn nach den baden-württembergischen Landtagswahlen tauchten in der Auflistung der „Vertretung der Vertriebenen im neuen Landtag“ noch drei Abgeordnete der NPD auf, was zeigt, wie ambivalent und vor allem interessengeleitet die Haltung zu dieser Partei war.280 Es war dabei von hoher Wichtigkeit, dass die Vertriebenenverbände nicht in Verdacht gerieten, den vermeintlich „antitotalitären Grundkonsens“ zu verlassen.281 Ihre revanchistischen Positionen konnten sie nur so lange öffentlich in den Diskurs einbringen, wie sie als Demokraten anerkannt waren. Daher schrieb sich der BdV gleich selber die Rolle des Aufpassers zu, welcher die Vertriebenen vor extremistischen Einstellungen und Wahlentscheidungen behüte.282 Dementsprechend triumphierte der Präsident Reinhold Rehs nach der Bundestagswahl auf der Titelseite des „Deutschen Ostdienstes“: 277 DOD, Kriterien, 6.8.1969, S. 1f.. Siehe zu dieser Selbsteinschätzung auch DOD, Landsleute, 25.9.1969, S. 1. 278 Vgl. Stickler, S. 345. 279 Vgl. DOD, DOD-Bundestagswahldienst, 6.8.1969, S. 13f., 26.8.1969, S. 10–12 und 25.9.1969, S. 13f. 280 DOD, Quittung, 16.5.1968, S. 3. 281 Vgl. Kossert, S. 181. 282 Möglicherweise führten die Legitimationseinbußen der Vertriebenenorganisationen in Folge der gesamtgesellschaftlich gewandelten Positionen zur Oder-Neiße-Frage und der Revision der osteuropäischen Grenzen zu einer im Vergleich zum vorherigen Beispiel deutlich gesteigerten Selbstdarstellung als demokratische Organisation, welche die freiheitlich-demokratische Grundordnung uneingeschränkt akzeptierte. Vgl. DOD, Links, 8.5.1968, S. 4f.; DOD, Kriterien, 6.8.1969, S. 1f.; DOD, NPD-Einfluß, 26.8.1969, S. 4; DOD, Landsleute, 7.10.1969, S. 1; DOD, Absage, 7.10.1969, S. 6.
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„Sie [die Vertriebenen] haben, dem Ruf und den Erwartungen der Führung des Bundes der Vertriebenen folgend, ein Bekenntnis zu geordneten demokratischen Verhältnissen, zu einer Politik der patriotischen Mitte […] abgelegt. Sie haben die Verleumder, die ihnen nationalistische und radikale Tendenzen nachsagen, Lügen gestraft und sich erneut als ein Element der Stabilität erwiesen“.283
Ein weiterer zentraler Aspekt der Berichterstattung im Spätsommer 1969 war die Debatte über die Vermietung von Räumlichkeiten an die NPD. In dieser Frage zeigte sich eine deutliche Gegenüberstellung der konservativen FAZ und der linksliberalen FR, während andere Publikationen dies höchstens am Rande behandelten. Die FAZ bewertete bereits die Debatte selbst als relativ sinnlos und sogar schädlich, da sie der Partei weitere Stimmen zutreiben würde.284 Zwar kam es nach den „Cantate-Vorfällen“ speziell im Regionalteil zu einem gewissen Wandel hin zu einem stärker auf Sicherheit setzenden Denken,285 die anderen Zeitungsteile blieben aber bei der Auffassung, dass die Weigerung zur Vermietung sowie die diesbezüglich erwartbaren Gerichtsurteile zugunsten der NPD taktische Fehler seien, mit deren Hilfe die Partei sich oftmals als Siegerin gegenüber ihren Feinden darstellen könne. Dies habe ihr auch zu verstärkter Publizität verholfen, denn die „Saalkündigungen erregten mehr Aufsehen und bewirkten mehr Zulauf für die Partei, als es normale Veranstaltungen wohl getan hätten“.286 Betont positiv berichtete die FAZ daher über die Stadt Spendlingen, die gleich alle Parteien als potenzielle Mieter ausschloss, und so, ohne ein Scheitern vor Gericht erwarten zu müssen, die Debatte vermied.287 Letztlich deutete die Zustimmung zu einem 283 DOD, Landsleute, 7.10.1969, S. 1. 284 Zwar wurde die Weigerung, Räumlichkeiten an die NPD zu vermieten, auch genutzt, um die Bevölkerung als gegen den Rechtsradikalismus abwehrbereit darzustellen, aber parallel betonte die FAZ eben auch, dass sämtliche Gerichtsprozesse gegen die NPD in dieser Sache verloren gingen. Vgl. FAZ, Bendas, 14.7.1969, S. 5. 285 Die Fokussierung auf den Gewaltaspekt erzeugte den Eindruck, dass die NPD keinesfalls als normale Partei gewertet werden dürfe und somit auch kein Recht auf öffentliche Räumlichkeiten genieße. Nun entstand vielmehr der Eindruck, dass sich Honoratioren der Stadt Frankfurt, gewerkschaftliche Gruppen und Einzelpersonen in der Ablehnung von Vermietungen durchaus einig seien. Der Rechtfertigung des Entschlusses der städtischen Saalbau GmbH und anderer Städte, alle Mietverträge mit der NPD zu kündigen, wurde nun zumindest im Regionalteil breiter Raum geboten. Vgl. FAZ, Börsenverein protestiert, 24.7.1969, S. 21; FAZ, Die Saalbau erhält Proteste, 25.7.1969, S. 37; FAZ, Weitere Aktionen gegen die NPD, 2.8.1969, S. 25; FAZ, Die NPD soll nicht mehr in städtische Säle, 30.7.1969, S. 29; FAZ, Thadden nicht in der Stadthalle, 30.7.1969, S. 32; FAZ, Magistrat, 5.8.1969, S. 23. 286 FAZ, Müssen wir noch einmal wählen?, 3.10.1969, S. 2. Siehe auch FAZ, Das Bundesinnenministerium beobachtet die Wahlkampf-Zwischenfälle, 19.9.1969, S. 4. Dass auch der Regionalteil der FAZ hier nicht einheitlich publizierte, zeigen folgende Artikel: FAZ, Enttäuschungen, 29.9.1969, S. 23; FAZ, Es hätte eigentlich umgekehrt sein müssen, 29.9.1969, S. 23f. 287 FAZ, Kein städtischer Saal, kein Ärger, 16.9.1969, S. 28.
208 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) allgemeinen Vermietungsverbot allerdings auf eine vorhandene Sicherheitsorientierung hin, auch wenn es sich nicht um klassische Sicherheitspolitik handelt. Die „Frankfurter Rundschau“ hingegen veröffentlichte bereits vor den Cantate-Ausschreitungen regelmäßige Forderungen, die Vermietung von Räumlichkeiten an die NPD oder andere Rechtsradikale grundsätzlich zu unterlassen.288 Angesichts der steigenden Gewalteskalation betonte die FR, dass sich die Stadt Frankfurt nun die Frage stellen müsse, „ob sie sich unter diesen Gesichtspunkten noch an Gerichtsurteile, die der NPD städtische Versammlungslokale erzwingen, gebunden fühlen kann.“289 Als die NPD dann allerdings immer erfolgreicher darin wurde, das Überlassen von Räumlichkeiten vor Gericht zu erzwingen, erkannte auch die „Rundschau“ die negativen Auswirkungen dieser Praxis an, während die „Welt der Arbeit“ weiterhin einen Aufruf zur Weigerung, Lokalitäten an die Partei zu vermieten, publizierte.290 Gerade die Frage der Räumlichkeiten ist dennoch ein gutes Beispiel dafür, dass die stufenweise Abkehr von repressiveren Reaktionsforderungen in der FR keinem Gesinnungswandel, sondern vielmehr der Macht des Faktischen, wie in diesem Fall den Entscheidungen der Gerichte, folgte. Verbote und andere Restriktionen hielt die „Rundschau“ weiterhin grundsätzlich für sinnvoll, aber angesichts der fehlenden Handlungsbereitschaft fokussierte sie verstärkt auf Alternativen. Neben der Vermietungsfrage bezog sich die Debatte in diesen Wochen vor allem auf die direkte gesellschaftliche Gegenwehr beziehungsweise das Engagement für eine demokratische Gesellschaft und politische Kultur. Der DGB rief zur Bildung von Bürgerinitiativen auf, „damit den Demagogen der NPD die Maske vom Gesicht gerissen wird“.291 Als der DGB sich dann selbst in Düsseldorf weigerte, eine Halle nach dem Ende der eigenen Veranstaltung für die NPD freizumachen, wurde dies auch in der „Frankfurter Rundschau“ als „deutliche Abfuhr“ gewertet.292 Die Gegendemonstranten in Frankfurt wurden als engagierte Demokraten präsentiert, die sich dem Schutz der Gesellschaft gegen den Rechts288 FR, Abfuhr der NPD in Düsseldorf, 21.7.1969, S. 9; FR, Anhaltende Proteste gegen NPD-Wahlveranstaltung, 25.7.1969, S. 12; FR, Sie fordern Verbot der NPD!, 29.7.1969, S. 9f.; FR, Verträge mit der NPD in Frankfurt gekündigt, 30.7.1969, S. 1; FR, Mietpartner, 31.7.1969, S. 14; FR, NPD, 2.8.1969, S. 4; FR, Die Bürger wehren sich, 2.8.1969, S. 14; FR, FDP, 4.8.1969, S. 8. 289 FR, Polizeiführung, 28.7.1969, S. 3. Die einige Tage später getroffene Entscheidung der stadteigenen Saalbau GmbH, die NPD nicht mehr als Mietpartner zu sehen, wurde daher ausführlich dargestellt und entsprechend gerechtfertigt. Vgl. FR, Verträge, 30.7.1969, S. 1; FR, Mietpartner, 31.7.1969, S. 14. Gleiches gilt für alternative Regelungen anderer Kommunen. Vgl. FR, Ordnerliste verlangt, 30.7.1969, S. 11. 290 FR, Neue Rufe nach Auflösung der NPD, 19.9.1969, S. 4 bzw. WdA, Räume, 8.8.1969, S. 8. 291 WdA, Bürgeraktion, 25.7.1969, S. 1. Siehe auch Metall, Massive Aufklärung, 5.8.1969, S. 3; WdA, Demagogen, 5.9.1969, S. 7. 292 FR, Abfuhr, 21.7.1969, S. 9.
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radikalismus widmeten. Grundsätzlich hielt die „Rundschau“ zivilgesellschaftliches Engagement gegen den Rechtsradikalismus für legitim und notwendig, sofern es friedlich bleibt.293 Ähnliches lässt sich über „Die Zeit“ sagen, in deren Berichterstattung die zivilgesellschaftliche Gegenwehr aber keine besonders he rausgehobene Rolle spielte. Die Zeitung stand dieser zwar durchaus wohlwollend gegenüber,294 primär aber betrieb sie die Analyse der Ursachen für den Erfolg der NPD in diesen Jahren. Demgegenüber finden sich auch in der jüdischen „Allgemeinen“ zahlreiche positive Beschreibungen zivilgesellschaftlichen Engagements gegen die Partei, die den Eindruck breiter Abwehrbereitschaft unterfüttern.295 Wurde die Gesamtdarstellung pessimistischer, knüpfte die Zeitung in diesem Bereich direkt an die außerordentlich positive Darstellung der gesellschaftlichen Reaktionen während der antisemitischen „Schmierwelle“ an: „Die Bürgerinitiativen gegen den Rechtsradikalismus, aus den verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Richtungen kommend, wiesen einen besseren Weg der Auseinandersetzung“, hieß es zusammenfassend im Vergleich zu Krawall und Versammlungsverboten.296 Speziell die Gewerkschaften wurden mit ihren Verbots- und Widerstandsforderungen sowie Aktionen oft hervorgehoben.297 Insofern erkannte die Zeitung durchaus 293 Die Zeitung betonte zum Beispiel, dass die Gegendemonstranten am Cantate-Saal durchgängig friedlich gewesen seien – und da dies allein anscheinend noch nicht ausreichte, um die Legitimität der Proteste zu betonen, erwähnte sie explizit, dass es von „der ApO keine Spur“ gegeben habe. Vgl. FR, Gnade, 28.7.1969, S. 3. An weniger prominenter Stelle abweichend FR, Bilanz, 28.7.1969, S. 10. 294 Vgl. Die Zeit, Der verbotene Protest, 27.6.1969; Die Zeit, NPD-Ordner, 15.8.1969. 295 So hätten zum Beispiel trotz der angeblichen Absage einer NPD-Veranstaltung in Dachau die Jugend des DGB und andere erklärt, zur Sicherheit trotzdem dorthin fahren zu wollen, um „eine Verhöhnung der Toten zu verhindern“, denn schließlich habe die NPD schon oft Absagen nur vorgetäuscht. Vgl. Allg. unabh. jüd. Wochenztg., NPD-Kundgebung in Dachau, 11.7.1969, S. 12. Siehe für positive Aussagen zum Engagement auch Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Demokratische Aktion gegründet, 10.5.1968, S. 3; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Presse, 17.5.1968, S. 16; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Absage, 18.7.1969, S. 2; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., NPD-Veranstaltung in Düsseldorf verhindert, 25.7.1969, S. 2; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., SA-Praktiken, 1.8.1969, S. 1; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., SPD ging gegen National-Zeitung vor, 1.8.1969, S. 12; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Rechtsradikalismus am Pranger, 8.8.1969, S. 4; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Städte, 8.8.1969, S. 12. 296 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Reifeprüfung, 26.9.1969, S. 1. 297 Sie veröffentlichte Verbotsforderungen von der ÖTV, der Gewerkschaft Leder und einzelner DGB-Führungspersönlichkeiten. Die IG Metall forderte laut der Zeitung „geeignete Maßnahmen“ gegen die NPD. Unvereinbarkeitsbeschlüsse wurden von der Deutschen Postgewerkschaft gemeldet. Siehe Allg. unabh. jüd. Wochenztg.,Gutman, 26.4.1968, S. 16; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Demokratische Aktion, 10.5.1968, S. 3; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Forderung nach NPD-Verbot, 10.5.1968, S. 3; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Gewerkschaft, 17.5.1968, S. 16. Siehe auch Allg. unabh. jüd. Wochenztg., NPD-Veranstaltung, 25.7.1969, S. 2; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Städ-
210 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) die positive Entwicklung der Demokratisierung sowie die Bereitschaft zu ihrer Verteidigung an. Die bereits angesprochenen, vielfach deutlich skeptischeren Aussagen verweisen aber darauf, dass sie die Stabilität des Staates keineswegs für absolut sicher hielt. Es ist, so der Tenor, nicht alles schlecht, aber man müsse jetzt aufpassen, dass es nicht noch schlechter wird. Besonders auffällig war die umfassende Darstellung zivilgesellschaftlicher Gegenwehr in der FAZ. Zwar sei es die Aufgabe der demokratischen Politiker, bis zur Bundestagswahl 1969 durch „überzeugende Politik der NPD die Wähler wieder abzunehmen“;298 die wichtigste Reaktion müsse aber aus der Gesellschaft selbst kommen. Die FAZ glaubte, trotz aller Skepsis den lange erhofften „Prozeß des demokratischen Erwachsenwerdens zu erkennen“.299 Entsprechend intensiv und unterstützend wurden zivilgesellschaftliche Aktivitäten gegen die NPD – insbesondere in der Berichterstattung über die Bürgeraktion für Demokratie Frankfurt am Main und ähnliche Gruppen im Bundesgebiet – beschrieben.300 Über derartige private Zusammenschlüsse gegen die NPD wurde zwar auch in der „Rundschau“ wohlwollend berichtet,301 aber keineswegs auf dem Niveau der FAZ, die diese als „Bollwerk gegen die NPD“ betrachtete.302 Die FAZ fragte rhetorisch, ob fehlende „Zivilcourage – am Gartenzaun und im Betrieb –, […] Trägte, 8.8.1969, S. 12; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Verbotsantrag, 12.9.1969, S. 7; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Wer eine solche Sprache spricht, 3.10.1969, S. 16. 298 FAZ, Verluste, 29.4.1968, S. 1,4. Siehe auch FAZ, Erregung, 30.4.1968, S. 1,4. 299 FAZ, Verbotsurteil, 23.4.1968, S. 2. 300 Im Laufe des Untersuchungszeitraumes wurde die FAZ allerdings verhaltener, je stärker sie eine linke Dominanz befürchtete. Seit dem 2. August 1969 berichtete sie daher vermehrt über interne Auseinandersetzungen bezüglich der Zusammenarbeit mit den Unionsparteien und der Unterwanderung durch die DKP. Da diese zunehmend Einfluss nehmen würde, verlor die Bürgeraktion schnell die Unterstützung der Zeitung: „Was sich so hoffnungsvoll anließ […] ist auf dem besten Wege, in rascher Fahrt auf schiefer Ebene hinabzurutschen“, weil ein Einschreiten für die Demokratie nicht das Ziel der DKP sei. Vgl. FAZ, Gerede, 2.8.1969, S. 1; FAZ, Auf schiefer Ebene, 2.8.1969, S. 26; FAZ, DGB will Kundgebung verhindern, 8.8.1969, S. 34. Siehe auch FAZ, Zahlen, 15.7.1969, S. 4; FAZ, Wahrheit, 23.7.1969, S. 29. Siehe für positive Berichte: FAZ, Ermittlungen, 28.7.1969, S. 19f.; FAZ, Demokratische Bürgergemeinschaft, 28.7.1969, S. 21; FAZ, NPD, 1.8.1969, S. 37; FAZ, Aktionen, 2.8.1969, S. 25; FAZ, Flugblätter gegen die NPD, 4.8.1969, S. 20. 301 Jedermann sei verpflichtet, die Grundrechte zu schützen, „indem er von seinem Widerstandsrecht – zugleich Pflicht – Gebrauch macht“, hieß es zum Beispiel in einem abgedruckten Aktionsaufruf, der anschließend „Kein zweites Weimar! Ein Adolf war genug!“ verkündete. Vgl. FR, Ein Adolf war genug, 28.7.1969, S. 10. Die Bürgeraktion für Demokratie wurde als breit angelegtes Bündnis zum Widerstand porträtiert, allerdings nicht in dem Umfang und dem mobilisierend-positiven Tenor wie in der FAZ. Kritik an vermeintlich linksradikaler bzw. kommunistischer Unterwanderung dieser Gruppen findet sich in der FR dafür nicht. Vgl. FR, Abfuhr, 21.7.1969, S. 9; FR, Verbot, 25.7.1969, S. 12; FR, Bürger, 2.8.1969, S. 14. 302 FAZ, NPD-Schläger, 26.7.1969, S. 26.
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heit und Resignation da verzeihlich [sind]?“303 Optimistisch endete ein Kommentar mit einem Zitat eines engagierten Bürgers, der behauptete, dass die „Chance, die NPD auszubooten, […] noch nie so groß wie jetzt“ war.304 Die FAZ präsentierte die bundesdeutsche Bevölkerung als lern- und demokratiefähig. Aber ihre Bewertung von Gegenprotesten blieb ambivalent. Einerseits begrüßte sie das Engagement enthusiastisch, um auf die Bereitschaft der Bundesbürger hinzuweisen, die Demokratie zu verteidigen. Diese hätten sich „ihr gutes Recht“ genommen, „um durch ihre Anwesenheit, mit Transparenten und Rufen zu demonstrieren, was sie von dieser Partei halten. Sie suchten keine andere Auseinandersetzung mit ihren politischen Gegnern als die mit dem Wort.“305 Andererseits, und das deutet das obige Zitat bereits an, stellte sie Ausschreitungen bei Protesten linker NPD-Gegner in den Vordergrund und interpretierte diese als Störungen des Wahlkampfs. Da Gewalt der NPD nutze und ihr Wählerstimmen zutreibe, wurde in den Wochen vor der Bundestagswahl vor allem die Eskalation von Gegenveranstaltungen regelmäßig breit dokumentiert und heftig kritisiert.306 Ein Kommentar rief dazu auf, alles zu vermeiden, was der NPD zu Publizität verhelfe – und diese am besten komplett zu ignorieren.307 Der „Faschismus [werde] gründlicher ‚entlarvt‘, wenn er seine Dummheit, Borniertheit und Langeweile ausstrahlt, als wenn er seine Frechheit und Brutalität austoben darf.“308 Daher geriet auch der DGB nach konfrontativeren Aktionen immer wieder in die Kritik.309 Überschritt eine Protestaktion, wie die Weigerung des DGB in Düsseldorf, 303 FAZ, Parteien, 19.7.1969, S. 1. 304 FAZ, Zahlen, 15.7.1969, S. 4. 305 FAZ, Blut, 30.7.1969, S. 29. Dass Gegenproteste an sich legitim seien, muss man der Tatsache entnehmen, dass die FAZ Aussagen von NS-Zeitzeugen zitierte, die eine klare Verbindungslinie zu „damals“ zogen. Auch hieß es, dass die Demonstranten lediglich ihrer Empörung über die Anmaßungen der NPD Luft gemacht hätten. Vgl. FAZ, NPD-Schläger, 26.7.1969, S. 26 bzw. FAZ, Straße, 28.7.1969, S. 19. Siehe auch FAZ, Ebene, 2.8.1969, S. 26. 306 Die sich an Gewaltexzesse anschließende Berichterstattung habe den Anhängern das Gefühl gegeben, zu einer wichtigen Bewegung zu gehören. Vgl. FAZ, Schlachten, 28.7.1969, S. 1. Siehe auch FAZ, NPD-Schläger, 26.7.1969, S. 26; FAZ, Ermittlungen, 28.7.1969, S. 19f.; FAZ, Extrablatt, 8.8.1969, S. 2; FAZ, Schwere Tumulte um Thadden-Kundgebung, 16.9.1969, S. 3; FAZ, Friedlicher Protest endet in Tumulten, 17.9.1969, S. 6; FAZ, Wahlkampf-Zwischenfälle, 19.9.1969, S. 4; FAZ, Zwischenfälle im Wahlkampf, 21.7.1969, S. 4; FAZ, Wieder NPD-Tumulte, 22.9.1969, S. 4; FAZ, NPD-Versammlung gesprengt, 22.9.1969, S. 28; FAZ, Störungen, 23.9.1969, S. 1; FAZ, Schwere Tumulte in Hannover, 24.9.1969, S. 6; FAZ, Enttäuschungen, 29.9.1969, S. 23; FAZ, Es hätte eigentlich umgekehrt sein müssen, 29.9.1969, S. 23f. 307 FAZ, Schüsse, 18.9.1969, S. 1. 308 FAZ, Schlachten, 28.7.1969, S. 1. 309 Dessen Aufrufe, notfalls kämpferisch NPD-Veranstaltungen zu verhindern, erfüllen den Tatbestand der Anstiftung zur Verhinderung von erlaubten Versammlungen, kritisierte die FAZ. Die Blockade der NPD-Wahlkampfveranstaltung in Düsseldorf wur-
212 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) die Halle an die NPD zu übergeben, die Grenzen der normalen politischen Auseinandersetzung, sah die FAZ sie als gescheitert an, auch wenn sie die dahinterliegenden Ziele grundsätzlich teilte: „Die Waffensammlung, die der Bremer Polizeipräsident vorgestern unter Teilnehmern einer ‚Demonstration‘ gegen die NPD abhalten konnte, wie auch die Farbbeutel und Knallkörper einzelner Kasseler Demonstranten liegen eindeutig jenseits der Grenze erlaubter Mittel im Kampf gegen eine Partei, der wir am 28. September eine vollständige Niederlage wünschen.“310
In dem soeben zitierten Kommentar kann man weiterhin lesen, dass das Konzept der Gegendemonstration an sich gescheitert sei, weil es immer zu Gewaltausbrüchen komme.311 Sogar die Cantate-Ausschreitungen wurden in der FAZ als Erfolg für die NPD gewertet, die sowohl ihren „Kampfgeist“ als auch ihren „Verfolgungs- und Märtyrerkomplex stärken“ konnte. Verlierer der Ausschreitungen seien hingegen die echten Demokraten, die den Staat vor extremistischen Kräften bewahren wollten. Zwar dürfte die Zeitung mit dieser Interpretation relativ alleine geblieben sein, aber sie forderte trotzdem, dass die Taktik deutlich angepasst werden müsste: „Je weniger auf NPD-Kundgebungen ‚los‘ ist, desto besser läßt sich dieser Krankheitsherd lokalisieren und mit den geeigneten Mitteln politischer Hygiene unschädlich machen.“312 Es gehe darum, „echte Demokraten“ zu mobilisieren, um „alle antidemokratischen Bewegungen“ zu bekämpfen.313 Kluge Bürger sollten sich nicht von den Linksradikalen zum „Werkzeug für Handgreiflichkeiten“ machen lassen.314 Derart wurde jeder Protest gegen die NPD vor linkem Hintergrund delegitimiert.315 Auch dies zeigt, dass die FAZ nichts mehr fürchtete als einen immer stärker von Gewalt geprägten Wahlkampf. Dies würde „genau auf der von links und rechts gewünschten Linie der Ausartung de direkt in Zusammenhang mit destabilisierenden Faktoren gestellt. Sie würde der Partei den Vorwand schaffen, die bevorstehenden Bundestagswahlen anzufechten. Vgl. FAZ, Zwischenfälle, 21.7.1969, S. 4; FAZ, Extrablatt, 8.8.1969, S. 2. 310 FAZ, Schüsse, 18.9.1969, S. 1. Siehe auch FAZ, Protest, 17.9.1969, S. 6. 311 Ganze Stadtviertel seien von den Unruhen erfasst, hieß es auch an anderer Stelle empört. Vgl. FAZ, Arbeit, 20.9.1969, S. 6. 312 FAZ, Schlachten, 28.7.1969, S. 1. 313 Dies war insofern programmatisch, als dass es der FAZ wichtig war, dass zivilgesellschaftliches Engagement als demokratisches Engagement der politischen Mitte wahrgenommen werde. Vgl. FAZ, Zahlen, 15.7.1969, S. 4. Siehe auch FAZ, Verluste, 29.4.1968, S. 1,4; FAZ, CSU und SPD weitgehend einig, 26.4.1968, S. 4; FAZ, Wahrheit, 23.7.1969, S. 29. 314 FAZ, Blut, 30.7.1969, S. 29. 315 Die Absurdität dieser Unterstellungen findet sich dann auch direkt in einem Leserbrief, welcher der FAZ-Berichterstattung vorwarf, in diesem Punkt „schon eine an Sterilität grenzende ‚politische Hygiene‘“ zu betreiben. Vgl. FAZ, Grund, rot zu sehen (Leserbrief), 31.7.1969, S. 9.
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des Bundestagswahlkampfes zu ‚Wahlschlachten‘ liegen,“ wie ein Kommentar erklärte, der nicht zufällig den Titel „Im Weimarer Stil“ trägt.316 Die Zeitung warnte vor einer Brutalisierung der Auseinandersetzung und forderte fast schon beschwörend, dass „diesen politischen Entartungserscheinungen mit allen Mitteln gewehrt werden“ müsse, um eine „Wiederholung Weimarer Zustände“ zu verhindern.317 „Links“ sei auch in den Augen der BDA keinesfalls mit „demokratisch“ gleichzusetzen und somit zu legitimieren: Man sollte nicht „jeden Anarchisten mit der Gloriole des „demokratischen Anti-Nazi“ […] umgeben“.318 Die „kleine Minderheit revolutionärer Utopisten“ – gemeint war der SDS – arbeite selbst mit faschistischen Methoden und sei für die Mord(-versuche) an Dutschke und Ohnesorg verantwortlich.319 Sie seien heute die „wahren Feinde der Demokratie“, und wer vor den drohenden Gefahren für Staat und Wirtschaftsordnung durch radikallinke Agitation „die Augen verschließt, könnte alsbald ein böses Erwachen erleben“.320 Dass nun „plötzlich“ die „Braunen“ statt die „Roten“ den Untergang der Republik herbeiführen sollen, hielt die BDA für absurd.321 Derartige Gedanken aber blieben keineswegs auf das konservative beziehungsweise arbeitgebernahe Lager begrenzt, wie ein Bericht in der „Zeit“ zeigt, der ebenfalls argumentierte, dass der „tatsächliche Kampf “ gegen die NPD „den Ruhe- und Ordnungswunsch des Bundesbürgers“ verstärke und somit den Rechtsradikalen nutze.322 Der „Weimar-Komplex“ war hier wirkungsmächtig und wurde als Argument nicht nur gegen die NPD, sondern vor allem gegen die politische Linke eingesetzt.323 Ruhe und Ordnung waren in dieser Darstellung dann doch wichtiger als die zivilgesellschaftliche Gegenwehr gegen die NPD. Neben der Möglichkeit, sich in Gegenprotesten und Demonstrationen gegen den Rechtsradikalismus und speziell die NPD zu engagieren, gab es vor allem in Wahlkampfzeiten noch eine andere Möglichkeit, die in vielen Publikationen nicht nur als sehr vielversprechend beschrieben, sondern gleichfalls auch betrieben wurde. Gemeint ist die sogenannte „politische Auseinandersetzung“, wobei bisher keine allgemein gültige Definition für diese Option entwickelt wurde. Es ist aber unstrittig, dass diese bereits in Form von Stigmatisierungen und negativer Berichterstattung beginnt. Konsens ist auch, dass die geistig-politische Aus316 FAZ, Im Weimarer Stil, 16.7.1969, S. 2. 317 FAZ, Anleitung, 31.7.1969, S. 4. Bezüglich der Warnung vgl. FAZ, Ermittlungsverfahren, 30.7.1969, S. 5. 318 Der Arbeitgeber 5 (1968), „Nazi“-(Tak)Tick, S. 104. 319 Der Arbeitgeber 9 (1968), 12, S. 211f. 320 Ebd.; So auch Der Arbeitgeber 10 (1968), Der Bürger und sein Staat, S. 247–249; Der Arbeitgeber (1969), Die Mitte schläft, S. 3. 321 Der Arbeitgeber 15 (1969), Mut, S. 596f. 322 Die Zeit, Gesten, 3.10.1969. 323 Siehe diesbezüglich auch FAZ, Parteien, 19.7.1969, S. 1; FAZ, Magistrat, 5.8.1969, S. 23.
214 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) einandersetzung in erster Linie auf der Diskussion und dem Austauschen von Argumenten beruht.324 Die Argumentation kann sich dabei sowohl an die potenziellen Wählerinnen und Wähler richten, als auch an die Parteimitglieder, wobei letzteres nur selten angestrebt wurde. Die NPD zu wählen, erklärte die „Welt der Arbeit“, „bedeutet, den Untergang der Demokratie zu wollen.“325 Aber vor allem die Tages- und Wochenzeitungen veröffentlichten vielfach Meldungen oder Berichte mit dem Ziel, den Ruf der NPD zu beeinträchtigen.326 Für die „Frankfurter Rundschau“ bedrohten die NPD-Funktionäre die freiheitlich-demokratische Grundordnung und zeigten eine gefährliche Nähe zum Nationalsozialismus.327 Aber erst in den Wochen vor der Bundestagswahl wurde hier in aller Deutlichkeit der unterstellte Zusammenhang von NPD und Nationalsozialismus beschrieben.328 „Die Zeit“ beschrieb den demokratischen Charakter der Partei als Tarnung.329 Zudem sei ihr Personal weitestgehend unfähig und vor allem gierig auf Parlamentsdiäten.330 Viel zentraler für die Zukunft sei allerdings „die Einsicht, daß die politischen Parolen der NPD vor allem eines sind: dumm.“331 Ihre politischen Forderungen seien „utopisch“ und „unrealistisch“, auch wenn das neue Programm nun „mehr sachliche Kritik herausfordert“ als noch das Manifest von 1966, welches „von abstoßender Primitivität“ gekennzeichnet gewesen wäre.332 Allerdings veröffentlichte „Die Zeit“ auch Beschreibungen, die weniger dazu geeignet sind, die Partei zu diskreditie324 Vgl. Hubo, S. 41–43, 246. 325 WdA, Demagogen, 5.9.1969, S. 7. 326 Über die Frage, ob diese Informationen jeweils als Folge einer bewussten Negativkampagne oder lediglich im Rahmen der Chronistenpflicht veröffentlicht wurden, konnte dabei teilweise nur spekuliert werden. 327 So wurde mehrfach über die Vergangenheit des NPD-Vorsitzenden Wilhelm Gutmann aus Baden-Württemberg berichtet. Gutmann wurde hier nicht nur als NS-Täter dargestellt, sondern auch als überzeugter Nationalsozialist, der mit gezückter Pistole seine Mitbürger zur sinnlosen Verteidigung gegen die anrückenden US-Truppen zwang. Vgl. FR, NPD-Gutmann klagte vergeblich, 20.4.1968, S. 4; FR, Kiel sieht Gefahr durch NPD, 25.4.1968, S. 3. 328 Vgl. z. B. FR, Abfuhr, 21.7.1969, S. 9; FR, Für ein Verbot der Kundgebung, 25.7.1969, S. 12; FR, Verbot, 29.7.1969, S. 9f.; FR, Parallele, 1.8.1969, S. 16; FR, Barzel schließt jede Koalition mit der NPD aus, 2.8.1969, S. 4; FR, Bürger, 2.8.1969, S. 14; FR, Schrittmacher, 5.8.1969, S. 3; FR, NPD-OD, 25.9.1969, S. 4. 329 Die Zeit, Gespenst, 10.5.1968. Siehe auch Die Zeit, Nur nicht auffallen, 26.4.1968; Die Zeit, Neonazis, 3.5.1968; Die Zeit, Krähwinkel, 29.8.1969. An anderer Stelle wird die Partei, wie eingangs erwähnt, allerdings auch in der Zeit als „neonazistisch“ bezeichnet, was wohl als Synonym weniger für nationalsozialistisch, sondern, angesichts dieser Aussage, für rechtsradikal genutzt wird. Vgl. z. B. Die Zeit, Neonazis, 3.5.1968. 330 Die Zeit, Quantität, 26.4.1968. Siehe auch Die Zeit, Parlaments-Störenfriede, 26.4.1968; Die Zeit, Krähwinkel, 29.8.1969. 331 Die Zeit, Dummheit, 15.8.1969. 332 Die Zeit, Gespenst, 10.5.1968.
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ren. Sie erklärte, dass sich durchaus auch Demokraten aktiv in der NPD engagierten oder der Partei ihre Stimme gäben.333 An gleicher Stelle heißt es dann sogar: „Wer Auschwitz verschleiert, den Warenhäusern den Kampf ansagt, Militärgerichte verlangt, für die Todesstrafe eintritt, ist noch kein Spätfaschist.“334 Da sich in der Partei aber immer noch „die alten Nazis breitmachen“, wie man an anderer Stelle erfährt,335 muss festgehalten werden, dass „Die Zeit“ hier einen gewissen Zickzackkurs fuhr, der angesichts der Erscheinungstermine der Artikel darauf hindeutet, dass die Zeitung in ihrer Bewertung zunächst vorsichtig, dann aber immer eindeutiger wurde. Dafür spricht auch, dass die Zeitung nach der Bundestagswahl erklärte, dass die Protestwähler abgewandert seien, sodass lediglich „der Kern aus Unbelehrbaren“ der NPD die Treue gehalten habe.336 Die FAZ hingegen versuchte, der NPD vor der Bundestagswahl vor allem den Nimbus der Besonderheit zu nehmen: „Gemessen an ihrer – vom indirekten Schaden abgesehen – vollkommenen Einflusslosigkeit ist das Gerede, das jetzt um sie veranstaltet wird, absurd.“337 Kurz vor den Bundestagswahlen finden sich fast mantraartig Stimmen, die die Erfolgsaussichten der NPD für gering erachteten.338 Dass diese Einschätzungen mittlerweile auch tatsächlich der Wahrnehmung der FAZ entsprachen, zeigt sich daran, dass die NPD trotz eines gewissen Restrisikos bezüglich der Überwindung der Sperrklausel nun nur noch erstaunlich selten besprochen wurde.339 Zudem sei keine andere Partei nach einem Einzug in den Bundestag bereit, mit ihr zusammenzuarbeiten.340 Angesichts der bis in das rechts-konservative Spektrum reichenden Leserschaft war die Beteiligung der FAZ an der politischen Auseinandersetzung bedeutungsvoller als ähnliche Bestrebungen der Gewerkschaftspresse und insbesondere der „Frankfurter Rundschau“.341 Bereits während der Wahl in Baden-Württemberg argumentierte 333 Die Zeit, Gespenst, 10.5.1968. 334 Ebd. 335 Die Zeit, Dummheit, 15.8.1969. 336 Die Zeit, Resümee, 3.10.1969. Siehe auch Die Zeit, NPD, 3.10.1969. 337 FAZ, Gerede, 2.8.1969, S. 1. 338 Vgl. Fußnote 215 in diesem Kapitel. 339 Dies folgte zugleich der geforderten strategischen Ignoranz der Partei. Für die wenigen Erwähnungen siehe FAZ, Der Wahlkampf ist hitziger geworden, 15.9.1969, S. 1,4; FAZ, SPD, 18.9.1969, S. 3; FAZ, Prognostisches zum Wahlsonntag, 25.9.1969, S. 3; FAZ, Wildenmann. Wahlausgang schwer vorauszusagen, 25.9.1969, S. 3; FAZ, Wahlausgang auf des Messers Schneide, 27.9.1969, S. 1; FAZ, Machtkampf, 27.9.1969, S. 1. 340 FAZ, Gemessenes Wandertempo auf dem Weg zu Reformen, 26.7.1969, S. 2; FAZ, Gerede, 2.8.1969, S. 1; FAZ, Barzel, 2.8.1969, S. 4. 341 Die FAZ veröffentlichte zahlreiche kleine Meldungen und Informationen, die die Partei als nicht wählbar und antidemokratisch porträtierten. Vgl. z. B. FAZ, Vorwürfe, 23.4.1968, S. 4; FAZ, CSU, 26.4.1968, S. 4; FAZ, Gedächtnislücke, 4.5.1968, S. 3; FAZ, NPD wird im Ruhrgebiet aktiv, 4.5.1968, S. 4; FAZ, Thadden rettet Faßbender, 6.5.1968, S. 4; FAZ, NPD-Mandat kommt teuer zu stehen, 19.7.1969, S. 1; FAZ, Warnung vor NPD-Ostpolitik, 4.8.1969, S. 20; FAZ, Im Landtag noch tragbar,
216 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) die FAZ, dass man die NPD in eine politische Auseinandersetzung zwingen müsse, welche die Politikvorstellungen der Rechtsradikalen delegitimieren würde: „Da standen Besucher von Wahlversammlungen [der NPD] auf, deren ruhiges und sachliches Auftreten es unmöglich machte, sie als linksradikale Störer abzuqualifizieren, zogen das Statistische Jahrbuch heraus und lasen einige Zahlen vor, die zu den Behauptungen des NPD-Redners ganz und gar nicht passen wollten.“342
Besonders hob die FAZ bereits hier zum einen die Weigerung der CDU hervor, sich den populistischen und unrealistischen Parolen der NPD anzuschließen, und zum anderen die Bereitschaft vor allem der Jungen Union, gezielt die Diskussion in fast sechshundert Veranstaltungen gesucht zu haben, um potenzielle Wählerinnen und Wähler der NPD umzustimmen.343 Besonders lobenswert seien die Sozialdemokraten, die „aufs flache Land [gefahren sind], um den Bauern die NPD auszureden“, obwohl sie genau wüssten, dass sie im Erfolgsfall nur Stimmen für die CDU generieren.344 Es gehe, so das Ziel dieser Aussage, zunächst um den Schutz der demokratischen Gesellschaft und erst danach um den demokratischen Parteienkampf. Auch vor der Bundestagswahl ein gutes Jahr später betonte die FAZ, dass die argumentative Auseinandersetzung entscheidend sei, weil sie sich „gegen Halbwissen, schwammige Begriffe und dumpfe politische Emotionen, auf denen die Parolen der Nationaldemokraten leicht Wurzeln schlagen können“, richte.345 Besonders wirkungsvoll in diesem Sinne dürfte eine Reportage gewesen sein, welche die Enttäuschung eines national denkenden Menschen über die Partei artikulierte. Dieser „Rechtsanwalt Gerhard Wulle“, heißt es hier, „der 5.8.1969, S. 23; FAZ, Hessen will NPD-Material an Benda weiterleiten, 8.8.1969, S. 4; FAZ, Warnung vor nationalem Fanatismus, 11.9.1969, S. 6; FAZ, Brenner warnt vor Radikalen, 12.9.1969, S. 4; FAZ, Kandidaten-Aufstellung, 25.9.1969, S. 4; FAZ, Ermittlungen gegen von Heyl, 27.9.1969, S. 3. In einer kleinen Artikelserie am 30.4.1968 (S. 4) wurde zudem die bisherige Politik der Fraktionen in den Bundesländern als dilettantisch dargestellt. Vgl. FAZ, Die Rolle der NPD in den Landtagen; FAZ, Fraktion in der Fraktion; FAZ, Geringe Resonanz in Bayern; FAZ, Unsere Stunde kommt noch; FAZ, Unsicher in Hessen. 342 FAZ, Zahlen, 15.7.1969, S. 4. Siehe auch FAZ, Kather, 24.4.1968, S. 5; FAZ, Verluste, 29.4.1968, S. 1,4; FAZ, Auch mit Krakeelern von rechts, 6.5.1968, S. 4. 343 FAZ, Leute, 11.4.1968, S. 4; FAZ, Union, 23.4.1968, S. 3. Deren Versuche, mit Freibier über Ziele und Methoden der NPD aufzuklären, wurden auch während des Bundestagswahlkampfes erneut positiv hervorgehoben und mit dem Hinweis, dass es darum gehe zu „informieren statt zu provozieren“, ausführlich dargestellt. Vgl. FAZ, Wahlkampf mit 2000 Liter Freibier, 23.10.1969, S. 26. 344 FAZ, Brandt, 22.4.1968, S. 4. 345 FAZ, Zahlen, 15.7.1969, S. 4. Für weitere positive Aussagen zur argumentativen Auseinandersetzung vor der Bundestagswahl in der FAZ vgl. FAZ, Wahrheit, 23.7.1969, S. 29; FAZ, IG Metall protestiert bei der SPD, 29.7.1969, S. 3; FAZ, Hassel, 29.7.1969, S. 4; FAZ, ... aber Kopfrechnen schwach, 6.8.1969, S. 30; FAZ, Mischnick, 15.9.1969, S. 28; FAZ, Schüsse, 18.9.1969, S. 1.
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in Thaddens Partei Nationales und Demokratisches vereinigt zu finden glaubte und nichts Besseres fand als eine radikale Partei, in der Rechtsbrüche nicht selten sind, hat genug von der NPD“.346 Er habe statt Recht und Ordnung nur „Unrecht und Unordnung“ in einer undemokratischen Partei gefunden. Um die Wirkung noch zu erhöhen, beschrieb der Artikel am Ende die Enttäuschung des Rechtsanwaltes darüber, dass die NPD nicht einmal strikt antikommunistisch sei. Auch die „Allgemeine unabhängige jüdische Wochenzeitung“ engagierte sich und unterstützte die argumentative Auseinandersetzung mit der NPD.347 Vor der Bundestagswahl erläuterte die Zeitung entsprechend: „Um der Nationaldemokratischen Partei in der politischen Auseinandersetzung wirksam entgegentreten zu können, muss man sie kennen, muß man über ihre Struktur und Praktiken in Vergangenheit und Gegenwart Bescheid wissen. Die exakte Aufklärung der Oeffentlichkeit über die radikalen Elemente, über ihren Geist und ihre Kampfmethoden ist eine dringende Aufgabe.“348
Da die politische Diskussion mit den Rechtsradikalen, die verstärkt auf Gewalt auch als Auseinandersetzungsform mit politischen Gegnern setzen, allerdings kaum mehr möglich sei, müsse diese bei den Protestwählern ansetzen.349 Die „Allgemeine“ veröffentlichte, wie auch andere Publikationen, immer wieder Hinweise, wo man sich bezüglich argumentativer Hilfestellungen informieren könne. Nach der Bundestagswahl forderte die Zeitung, dass die politische Auseinandersetzung mit der NPD nicht nur zu Wahlkampfzeiten geführt werden dürfe, und würdigte nach dem Scheitern der Partei noch einmal das Engagement einer breiten Koalition zum Schutz der Demokratie: „Den bedeutendsten Beitrag leisteten sicherlich die Wortführer der demokratischen Parteien, die Gewerkschaften, Bürgeraktionen und Jugendorganisationen, die in den Wochen vor dem Wahltag immer wieder gegen den Radikalismus zu Felde zogen und den Wählern das Schreckensgespenst extremistischen Einflusses vor Augen führten.“350
Auf der anderen Seite betonte die „Allgemeine unabhängige jüdische Wochenzeitung“ aber auch die Aussichtslosigkeit derartiger Versuche. Schließlich habe die NPD bewiesen, dass sie nicht diskutieren, „sondern zuschlagen will. Wer da stillhält, darf sich nicht wundern, wenn sich in Deutschland das Rad der Ge346 FAZ, Deshalb nicht mehr mit Thadden, 15.9.1969, S. 4. Die Darstellung wurde durch einen Leserbrief eines NPD-Anhängers bekräftigt. Vgl. FAZ, In der NPD auf verlorenem Posten, 24.9.1969, S. 12. 347 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Absage, 18.7.1969, S. 2; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Städte, 8.8.1969, S. 12; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Reifeprüfung, 26.9.1969, S. 1; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Beständigkeit, 10.1969, S. 1f. 348 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Information und Anklage, 19.9.1969, S. 16. 349 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Unentschlossenheit, 8.8.1969, S. 2. 350 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Beständigkeit, 3.10.1969, S. 1f.
218 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) schichte zurückdreht.“351 Dieser Widerspruch zur geforderten Fokussierung auf Protestwähler und Protestwählerinnen lässt sich dadurch auflösen, dass die Zeitung einerseits akzeptierte, dass man die potenziellen Wählerinnen und Wähler ansprechen müsse, solange die NPD eine legale Partei sei; andererseits hielt sie die Erfolgsaussichten dieser Bemühungen für gering, aber es nicht zu versuchen, wäre angesichts des angenommenen Protestwahlcharakters keine Alternative gewesen. Wenig überraschend waren die Gewerkschaften ebenfalls engagierte Debattenteilnehmer und fokussierten verstärkt auch auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit der NPD.352 Dies folgte der Erkenntnis, dass der Rechtsradikalismus einen zu hohen Einfluss auf das Meinungsspektrum in der Bundesrepublik habe.353 Man müsse, so hieß es mehrfach und wahrscheinlich mit dem gleichen eben beschriebenen Gedanken in Bezug auf die „Allgemeine“ verbunden, zumindest die Protestwähler erreichen und umstimmen, die bis zu einem knappen Viertel der bundesdeutschen Wahlbevölkerung stellten.354 In diesem Sinne argumentierte Gerd Muhr: „Es muss uns gerade um diejenigen gehen, an die sich auch die NPD-Propaganda ganz bevorzugt wendet, nämlich um diejenigen unter uns, die sich sozial nicht genügend gesichert fühlen, denen der wirtschaftliche und technische Fortschritt über den Kopf wächst […] und die gerade deshalb oftmals bereit sind, den einfachen Phrasen und Parolen der NPD bereitwillig ihr Ohr zu schenken.“355
Mehrere Berichte setzten sich mit deren Programm und Ideologie auseinander und versuchten, über den rassistischen und antisemitischen Kern der Partei zu informieren.356 Aufklärung über die eigentlichen Ziele der NPD erschien schon allein deshalb als zentral, da die Partei mittlerweile recht geschickt darin geworden sei, sich als verfassungstreu und staatstragend zu inszenieren.357 Dass es sich dabei lediglich um Tarnung handelte, war auch für die Gewerkschaften offensichtlich. Einige Artikel waren daher explizit mit dem Ziel der Enttarnung geschrieben, kritisierten die Relativierung der deutschen Schuld am Zweiten Welt351 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Unentschlossenheit, 8.8.1969, S. 2. 352 Die Quelle 4 (1969), NPD, S. 157–159; Metall, Aufklärung, 5.8.1969, S. 3; WdA, Bürgeraktion, 25.7.1969, S. 1. 353 DGB-Bundesvorstand, Abt. Jugend (Hg.), Materialsammlung über die NPD, Düsseldorf 1969. 354 Ebd.; Metall, Aufklärung, 5.8.1969, S. 3; WdA, Demagogen, 5.9.1969, S. 7. 355 Muhr / DGB-Bundesvorstand, S. 3. 356 DGB-Bundesvorstand, DGB-Kurier, Sep. 1969; Die Quelle 10 (1969), Gewerkschaftsausschluss wegen NPD-Zugehörigkeit, S. 401; GMH 8 (1968), Biologismus, S. 477– 480; GMH 11 (1968), Tschechoslowakei, S. 696–698; ÖTV-Magazin, NPD, Sep. 1969, S. 16f.; WdA, Bürgeraktion, 25.7.1969, S. 1; WdA, Demagogen, 5.9.1969, S. 7; WdA, Gewerkschaftsfeindlich, 19.9.1969, S. 3. Siehe auch ÖTV-Magazin, Wähler, 1969, S. 3. 357 GMH 8 (1968), Biologismus, S. 477; Die Quelle 9 (1969), Nationalist.
4.3. Schreiben und Handeln
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krieg oder verwiesen regelmäßig auf die antidemokratische innere Ordnung.358 Andere Berichte stigmatisierten die NPD als Nachfolgeorganisation und ideologische Verwandte der NSDAP oder verwiesen darauf, dass viele Mitglieder vorher in mittlerweile verbotenen Organisationen engagiert waren.359 Der Nationalsozialismus war nicht nur der Grund für die Gegnerschaft, sondern blieb das beste Gegenargument. Vor der Bundestagswahl publizierte der DGB sogar ein Sonderheft im Sinne negativer Wahlwerbung.360 Den Gewerkschaften ging es vor allem darum, die NPD als unwählbar zu präsentieren. In diese Richtung zielte auch die aus den frühen fünfziger Jahren bekannte Argumentationsstrategie, dass die Nationaldemokraten gewerkschaftsfeindliche Politik betreiben.361 Parallel bestand vor allem die „Metall“ auf zusätzlichen Demokratisierungsbemühungen, die durch eine Ausdehnung der Mitbestimmung auch hinter den Fabriktoren wirken müssten, um die Immunisierung der Arbeiterschicht gegen rechtsradikale Mobilisierung im Falle einer schweren Rezession zu sichern.362 „Der Arbeitgeber“ agierte hingegen wesentlich indirekter. Während die politischen Programme der wichtigsten Parteien im Vorfeld der Wahl auf ihre Aussagen in Bezug auf die politische Linie der BdA hin untersucht wurden, wurde die NPD schlicht weggelassen.363 Während es angesichts der bisherigen Befunde kaum überrascht, dass die Option einer verstärkten politischen Auseinandersetzung im „Arbeitgeber“ keine Rolle spielte, ist dies in Bezug auf die „Frankfurter Rundschau“ doch etwas verwunderlich. Dies ist, wie die weiteren Ausführungen zeigen werden, vor allem auf die grundsätzliche Fokussierung der Zeitung auf die klassischen Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ zurückzuführen. Ein Grund für diese Priorisierung einer klassischen Sicherheitspolitik dürfte die Sorge vor einer drohenden Zusammenarbeit des konservativen mit dem rechts358 Die Quelle 10 (1969), Gewerkschaftsausschluss, S. 401; GMH 3 (1969), Parlamentarier, S. 178–180; Metall, Terror gegen Wahrheit, 22.7.1969, S. 3; Metall, Aufklärung, 5.8.1969, S. 3; Metall, Appell, 19.8.1969, S. 6; Muhr / DGB-Bundesvorstand, S. 4; WdA, Bei Hitler gab‘s das nicht, 18.7.1969, S. 1; WdA, Bürgeraktion, 25.7.1969, S. 1. 359 Die Quelle 9 (1969), Nationalist; DGB-Bundesvorstand, DGB-Kurier, Sep. 1969; GMH 8 (1968), Biologismus, S. 480; GMH 3 (1969), Parlamentarier, S. 178–180; Metall, Appell, 19.8.1969, S. 6; Metall, Wahltag, 16.9.1969, S. 1; Muhr / DGB-Bundesvorstand, S. 4f.; ÖTV-Magazin, NPD, Sep. 1969, S. 16f.; WdA, Bürgeraktion, 25.7.1969, S. 1; WdA, Demagogen, 5.9.1969, S. 7. 360 Dies zielte sicherlich auch auf enttäuschte Gewerkschaftsmitglieder, die sich der NPD zuwenden könnten, sollte aber wohl in erster Linie als Argumentationshilfe dienen. Vgl. DGB-Bundesvorstand, DGB-Kurier, Sep. 1969. 361 Die Quelle 4 (1969), NPD, S. 157–159; Die Quelle 10 (1969), Gewerkschaftsausschluss, S. 401; GMH 3 (1969), Parlamentarier S. 178–180; DGB-Bundesvorstand, DGB-Kurier, Sep. 1969, S. 1, 3; ÖTV-Magazin, NPD, Sep. 1969; Metall, Aufklärung, 5.8.1969, S. 3; WdA, Bürgeraktion, 25.7.1969, S. 1; WdA, Demagogen, 5.9.1969, S. 7; WdA, Gewerkschaftsfeindlich, 19.9.1969, S. 3. 362 Metall, Wahl, 14.5.1968, S. 6. 363 Siehe z. B. Der Arbeitgeber 15 (1969), Vermögensbildung, S. 606f.
220 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) radikalen Lager sein. Es ist aufschlussreich, dass sich in der FR veröffentlichte Umgangsforderungen stets auch an die Unionsparteien richteten. Die Zeitung attestierte diesen zwar, sich noch keineswegs mit dem Einzug der NPD in den Bundestag abgefunden zu haben. Ursächlich dafür sei allerdings weniger ein Interesse an der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus, sondern eher das ungenierte Streben nach der absoluten Mehrheit – was die Integration der rechten und rechtsradikalen Wähler erfordere.364 Die FR kritisierte, dass die Trennlinie der Union nach rechts im Alltag selten erkennbar sei und konservative Kreise regelmäßig in neonazistischen Organisationen mitarbeiteten.365 Dass die Union einer Zusammenarbeit mit den Rechtsradikalen nicht für alle Zeit entsagt habe, wirke beklemmend, erklärte ein Kommentar, denn keinesfalls dürfe die Integration der Protestpotenziale zu einer Relativierung der NPD führen.366 „Die Zeit“ betonte, dass die NPD durchaus ein Produkt der westdeutschen Gesellschaft sei, die eben ein gewisses rechtsradikales Potenzial in sich trage: „Rechts ist nicht nur dort, wo die Thaddens sind, die großen und die kleinen“, so das Fazit.367 Anschließend folgt eine heftige Kritik an der fehlenden Abgrenzung der politischen Elite zum Rechtsradikalismus, die diesbezügliche Aussagen in der FR noch übertraf: „Wenn Ludwig Erhard als Bundeskanzler eine ‚formierte Gesellschaft‘ empfahl, im Brustton der Überzeugung verkündete: ‚Wir sind wieder wer‘, Intellektuelle als ‚Pinscher‘ beschimpfte; wenn Erich Mende als FDP-Vorsitzender riet, die Deutschen sollten nicht länger ‚im Büßerhemd‘ herumlaufen und der FDP-Innenminister Weyer erklärte: ‚Wer alle Werte leugnet, die sich Völker aller Rassen und Religionen gegeben haben, und mit billigen Schlagworten wie Antinationalismus und Antimilitarismus operiert und sie für einzig liberal hält, der darf sich über die Entwicklung der NPD nicht wundern‘ – so zeigt sich, wie fließend die Grenzen zwischen Rechts und ganz Rechts sind.“368
Der Artikel beschreibt im Anschluss die enge Kooperation von politischen Akteuren wie der FDP, dem Bauernverband und den Vertriebenen mit der NPD und schlussfolgert, dass „der Unterschied zwischen rechtsradikaler und reaktio364 FR, Die Lust zu dienen, 14.7.1969, S. 3. 365 Die FR berichtete mehrfach über Kooperationen zwischen den Unionsparteien und der NPD und warnte vor einer potenziellen Zusammenarbeit, wenn es darum gehe, einen sozialdemokratischen Bundestagspräsidenten zu verhindern. Untermauert wurde dies später durch Gerüchte über Kontakte der NPD zur CDU im Kieler Landtag. Vgl. FR, Tauziehen um Geschäftsordnung, 26.9.1969, S. 1f. bzw. FR, Kiel erwartet zweiten FDP-Austritt, 8.10.1969, S. 5. Siehe auch FR, Vertrauensschwund, 30.4.1968, S. 6; FR, Politiker, 30.4.1968, S. 6; FR, Koalition für Ruhe und Ordnung, 23.7.1969, S. 4. 366 FR, Die falsche Wahlkampftaktik, 2.8.1969, S. 3. 367 Die Zeit, Gespenst, 10.5.1968. Siehe zum rechtsradikalen Potenzial in der Gesellschaft und der fehlenden Abgrenzung auch Die Zeit, Krähwinkel, 29.8.1969. 368 Die Zeit, Gespenst, 10.5.1968.
4.4. Ein Verbot der NPD?
221
när-konservativer Geisteshaltung verwischt“ sei. Die Gewerkschaftspresse kritisierte dabei vor allem Versuche, die rechtsradikalen Wähler durch einen nach rechts offenen Wahlkampf an das bürgerliche Lager zu binden.369 Besonders die rechten Flügel von CDU und CSU hätten ihren Teil zur Mobilisierung und Entstigmatisierung des Rechtsradikalismus beigetragen und der Rechtsschwenk der auf die rechtsaffinen Wähler schielenden Gesamtparteien würde die NPD gesellschaftsfähig machen.370 Im Vergleich zur FR spielte dieser Aspekt in der Gewerkschaftspresse aber eine deutlich geringere Rolle, was sicherlich auch daran liegt, dass die Gewerkschaften einen einflussreichen christlichen Flügel mit politischen Affinitäten zu den Unionsparteien beinhalteten. Aufschlussreich ist zudem, dass „Der Arbeitgeber“ in dieser Frage in die entgegengesetzte Richtung zielte. CDU und CSU müssten jetzt ihr rechtes Profil schärfen, um Stimmenabwanderungen zur NPD zu verhindern.371 Dass daraus bürgerlich-nationaldemokratische Koalitionen entstehen könnten, wurde für abwegig gehalten.372 Nur eine „dumpf vor sich hinkonsumierende Gesellschaft, die Springer als Meinungs-Monopolherrn, Strauß als Rechtsbrecher […] und Böll als den [Hrvh. im Original] deutschen Dichter akzeptiert, ist reif genug, alsbald auch die ihr suggerierte Identität zwischen CDU und NPD zu fressen.“373
4.4. Ein Verbot der NPD? Letztlich, so lässt sich aus heutiger Perspektive erkennen, war der Umgang mit der NPD erfolgreich und beförderte die Partei für gut dreißig Jahre ins gesellschaftliche Abseits. Doch der Aufstieg der NPD wurde nicht nur von direkter zivilgesellschaftlicher Gegenwehr begleitet. In den jeweiligen Landtagen reagierten die anderen Parteien mit einer relativ konsequenten Ausgrenzung und nahmen der NPD schnell die Bühne.374 Bereits nach den ersten Erfolgen 1966 begann zudem die Diskussion über einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit.375 Diese verlief wellenartig mit Hochkonjunkturen nach einschlägigen 369 Metall, Wahl, 14.5.1968, S. 6. 370 Die Quelle 4 (1969), NPD, S. 157–159; Die Quelle 9 (1969), Nationalist; ÖTV-Magazin, NPD, Sep. 1969; WdA, Räume, 8.8.1969, S. 8. 371 Der Arbeitgeber 15 (1969), Mut, S. 596f. 372 Ebd.; Der Arbeitgeber 9 (1969), Ausländer, S. 308. Auch wenn später überraschend ein Leserbrief gedruckt wurde, der eben genau dieses doch für zumindest möglich hielt und auch ansonsten die Berichterstattung des Arbeitgebers heftig kritisierte. Vgl. Der Arbeitgeber 13 (1969), Ein Schatz (Leserbrief), S. 555f. 373 Der Arbeitgeber 15 (1969), Mut, S. 596f. 374 Vgl. Staud, S. 34. 375 Vgl. zu weiteren Details und folgenden Angaben Dudek / Jaschke, S. 288, 345–353; Flemming, S. 88–95; Hoffmann, NPD, S. 89–97; Meier, Parteiverbote, S. 224; Virchow u.a., Verbote.
222 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) Vorfällen wie Gewaltexzessen oder Wahlerfolgen. Sogar auf höchster politischer Ebene waren die Positionen keineswegs eindeutig und die Debatte blieb inkonsequent.376 Selbst als die Verbotsdebatte im Spätsommer 1968 an ihrem Höhepunkt angelangt war und die Bundesregierung stets betonte, wie negativ die Wahlergebnisse der NPD für das Ansehen der Bundesrepublik im Ausland seien, war sie weiterhin nicht zu einem aktiven Vorgehen bereit.377 Sie reagierte vor allem mit organisierter Verwirrung: „Die nach außen hin zögernde, unsichere und inkonsequente Haltung bei der Verbotsdiskussion diente objektiv der Einschüchterung und Ausgrenzung der NPD […]. Die Inkonsequenz nach außen hin war faktisch hingegen eine Inkonsequenz mit System, weil das Damoklesschwert des Verbots dergestalt ständig über der NPD schwebte. […] Die Verbotsdrohung ist politischer Opportunismus, der machtpolitische Motive hat, zudem aber auch als außenpolitisches Feigenblatt benutzt wurde.“378
Die Bundesregierung wollte Aktionismus vortäuschen, um Zeit zu gewinnen, ohne sich aktiv positionieren zu müssen. Parallel blieb die Verbotsdrohung aktuell und verlor nicht an Wirksamkeit. Entsprechend ging Bundesinnenminister Ernst Benda Mitte September 1968 mit der Information an die Öffentlichkeit, dass sein Ministerium nun doch mit einer Materialsammlung über die NPD begonnen habe und sich das Kabinett in absehbarer Zeit mit dem Thema erneut befassen werde. Er erklärte aber gleichzeitig, dass er sich persönlich immer noch nicht entschieden habe. Als sich die Bundesregierung schließlich im Dezember 1968 wieder näher mit der NPD befasste, verschob sie mit der Begründung, das Bundesinnenministerium solle die Beweismittelsuche noch intensivieren, einen Beschluss erneut – und das, obwohl die Kabinettsvorlage ein Verbot der NPD tatsächlich forderte. Am 17. Januar 1969 teilte der parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Heinrich Köppler, mit, dass die Bundesregierung trotz vorhandener Beweismittel keinen Verbotsantrag stellen werde. Doch fast gleichzeitig kündigte sein Minister den Abschluss der Beweisaufnahme erst für 376 So erklärte Bundespressechef Karl-Günther von Hase am 7. November 1966, dass das Thema im Bundeskabinett noch nicht erörtert wurde. Wenige Tage später erklärte Bundesinnenminister Paul Lücke (CDU), dass die Bundesregierung sich gegenwärtig um keinen Verbotsantrag bemühe. Vgl. Dudek / Jaschke, S. 288. 377 Der im April 1968 neu ins Amt gekommene Bundesinnenminister Ernst Benda erklärte im Juli, dass ein Verfahren zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit kein adäquates politisches Mittel sei und daher momentan nicht weiterverfolgt werde. Besonders zögernd agierte auch Bundeskanzler Kiesinger, bei dem die Sorge vor den negativen Folgen eines gescheiterten Verbotsantrages wohl überwog. Aber auch in der SPD gab es skeptische Stimmen, die von der politischen Zweckmäßigkeit wenig überzeugt waren. Vgl. Dudek / Jaschke, S. 345f. 378 Dudek / Jaschke, S. 353. Flemming geht hingegen davon aus, dass die Bundesregierung von der eigenen Materialsammlung wirklich nicht überzeugt war und eine Niederlage fürchtete. Vgl. Flemming, S. 93.
4.4. Ein Verbot der NPD?
223
Februar an. Parallel zur bundespolitischen Auseinandersetzung wurde eine teilweise eigenständige Debatte in einigen Ländern ebenfalls ohne Ergebnis geführt. Doch die latente Verbotsdrohung war für die NPD ein permanentes Problem und die Debatte für sie politisch extrem gefährlich.379 Alle untersuchten Publikationen wiesen auch am Ende der sechziger Jahre einen eindeutig positiven Bezug zur „wehrhaften Demokratie“ auf. Dennoch waren sie keineswegs durchgehend darauf fokussiert, diese gegen die NPD auch einzusetzen. So bewertete „Der Arbeitgeber“ die monatelange Verbotsdiskussion sogar als extrem schädlich beziehungsweise als Wahlhilfe für die Rechtsradikalen. Die BDA verlangte im Umgang mit der NPD allerdings auch kaum alternative Reaktionen.380 Allenfalls die harsche Kritik an der SPD, die eine rechtzeitige Wahlrechtsreform verhindert habe,381 zeigt eine weitere, auf einem gesteigerten Sicherheitsbedürfnis beruhende Handlungsoption gegen rechts auf, die aber ebenfalls eher dem Wunsch nach stabilen politischen Verhältnissen entstammt denn als ein originäres Mittel in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus anzusehen ist. Die „wehrhafte Demokratie“ hingegen wurde zwar eindeutig positiv wahrgenommen, sollte allerdings vor allem im Umgang mit linken Gruppierungen Anwendung finden. „Vor Jahren, als die Gefahr für die Demokratie allein von der extremen Rechten zu drohen schien, war der Grundsatz ‚Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit‘ für uns noch selbstverständlich. Heute, da die Gefahr in nicht geringem Maße von der extremen Linken droht, ist der Grundsatz leider nicht mehr selbstverständlich“, kritisierte „Der Arbeitgeber“.382 Da rüber hinaus sollte der Staat sich und seine Angestellten und Beamten gegen die (verbalen) Angriffe besser schützen, denn wenn „der Staat [diese] im Stich lässt, werden sie über kurz oder lang auch den Staat im Stich lassen“.383 Eindeutig zielte die BDA auf sicherheitsorientierte Maßnahmen, sobald sie eine Gefahr für den Status quo der Bundesrepublik erkannte.384 Da die NPD in ihrer Wahrnehmung 379 Nicht nur war es ein Zeichen an die Wähler, dass Stimmen für die NPD evtl. verloren gehen würden, es war auch ein Akt der Delegitimierung und schränkte die Partei in ihrer eigenen Agitation stark ein. Um dieser Situation zu entgehen, forderte die NPD die Bundesregierung im Dezember 1967 selbst auf, das Verfahren in Karlsruhe einzuleiten. Vgl. Dudek / Jaschke, S. 345; Flemming, S. 91; Staud, S. 35f. 380 Lediglich vereinzelt forderte sie im Arbeitgeber zu einem demokratischen Handeln der politischen Mitte gegen die Extreme auf bzw. beklagte sich über deren Agonie. Vgl. Der Arbeitgeber 10 (1968), Bürger, S. 247–249; Der Arbeitgeber (1969), Mitte, S. 3. 381 Der Arbeitgeber 15 (1969), Mut, S. 596f. 382 Der Arbeitgeber 10 (1968), Bürger, S. 247–249. Siehe auch Der Arbeitgeber 9 (1968), 12, S. 211f.; Der Arbeitgeber (1969), Mitte, S. 3. 383 Der Arbeitgeber 9 (1968), 12, S. 211f. 384 So sei der Staat zum Beispiel gegenüber dem SDS und dessen revolutionärer Gewalt zur Notwehr berechtigt, betonte Der Arbeitgeber unter dem bezeichnenden Titel „Es hat 12 geschlagen!“ Zwar betonte die Zeitschrift singulär, es könne aus taktischen Erwägungen nachteilig sein, den SDS zu verbieten, grundlegende Zweifel an der „wehr-
224 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) aber keine besondere Bedrohung darstelle, fokussierte sie in diesem konkreten Fall zumindest publizistisch nicht auf repressive Reaktionen. Lediglich die Idee der Wahlrechtsreform verweist auf ein sicherheitsorientiertes Denken. Angesichts der grundsätzlichen Skepsis gegenüber der Stabilität und Nachhaltigkeit der westdeutschen Demokratisierung ist es zunächst etwas überraschend, dass auch die „Allgemeine unabhängige jüdische Wochenzeitung“ sich nur auf geringem Niveau an der NPD-Verbotskampagne beteiligte. Es findet sich lediglich ein Kommentar vom August 1969, der allerdings eine konsequente Anwendung der „wehrhaften Demokratie“ gegen die NPD forderte: „Was muss wirklich noch geschehen? Muss es erst ein von der NPD verursachtes Blutbad geben?“385 Anschließend wurde das Relativierungsstreben des Bundeskanzlers für die Weigerung, eine Verbotsentscheidung zu erwirken, verantwortlich gemacht: „Das Bundeskabinett ist bisher davor zurückgeschreckt, den […] Verbotsantrag gegen die NPD an das Bundesverfassungsgericht weiterzuleiten. Das ist kein Wunder, denn einer der Staatsmänner mit seiner durch die rosarote Brille der politischen Unvernunft gefärbten Ansicht über die rechtsradikale Partei hat ja unmißverständlich geäußert, daß die NPD schon längst verboten wäre, wenn er sie für neonazistisch hielte.“
Bereits nach den ersten Wahlerfolgen der NPD 1966 tendierte sie dazu, ein Verbot zu fordern.386 Wie schon in den frühen fünfziger Jahren ging sie davon aus, dass die Demokratisierung überwacht und gegebenenfalls administrativ in die richtige Bahn gelenkt werden müsse. Sarkastisch betonte die „Allgemeine“, dass die Bundesrepublik derart demokratisch sei, dass überall rechtsradikale und revisionistische Publizistik gekauft werden dürfe.387 Eine Kampagne zugunsten eines NPD-Verbotes oder einer anderen Reaktionsform führte die „Allgemeine“ insgesamt aber nicht offen. Sie agierte im Falle der Verbotskampagne vor allem indirekt in Form von Zitaten als Unterstützer und griff auch entsprechende Initiativen antragsbefugter Organe wohlwollend auf.388 Zitierte Aussagen westdeutscher Akteure in diese Richtung sollten parallel das vorhandene Problembewusstsein der Gesellschaft gegenüber dem Rechtsradikalismus nach außen hin unterstreichen.389 haften Demokratie“ finden sich aber nicht. Vgl. Der Arbeitgeber 9 (1968), 12, S. 211f.; Der Arbeitgeber 10/11 (1969), „Juden raus!“, S. 364. 385 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Unentschlossenheit, 8.8.1969, S. 2. 386 Vgl. z. B. Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Frucht der Versäumnisse, 11.11.1966, S. 1f. 387 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Zeichen, 25.7.1969, S. 2. So auch Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Anzeigen, 12.9.1969, S. 7. 388 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Verbotsantrag, 12.9.1969, S. 7; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Senat, 19.9.1969, S. 1. 389 Vgl. folgende Artikel, die eher beiläufig die Forderung nach einem NPD-Verbot enthalten: Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Aktion, 10.5.1968, S. 3; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Forderung, 10.5.1968, S. 3; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Gewerkschaft, 17.5.1968, S. 16; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., SA-Praktiken, 1.8.1969, S. 1; Allg. un-
4.4. Ein Verbot der NPD?
225
Während die jüdische „Allgemeine“ ein Verbot der NPD zwar durchaus befürwortete, nur selber kaum als Advokat in diesem Sinne auftrat, bewertete die FAZ ein solches kritischer. Im Frühjahr 1968 favorisierte die FAZ repressive Umgangsformen nur in Richtung SDS und anderer linksradikaler Gruppen.390 Ein NPD-Verbot spielte kaum eine Rolle, auch wenn ein Artikel verwundert fragte, warum eigentlich niemand einen Ersatzorganisationscharakter der NPD in Bezug zur SRP annehme, obwohl dies bei jedem kommunistischen Neuansatz schließlich sofort folge.391 Nach dem Wahlschock in Baden-Württemberg bezeichnete die Zeitung ein Verbot dann zumindest als eine Option.392 An ihre stille Hoffnung, „daß die NPD, wie einst Thaddens Deutsche Reichspartei, selbst einmal Hand an sich legen“393 werde, glaubte die FAZ spätestens seit dem Ergebnis von Baden-Württemberg nicht mehr. Die Frage, ob ein Verbot daher nötig sei, bejahte die Zeitung aber weiterhin nicht. Eine Wahlrechtsreform nach britischem Vorbild, um die kleineren Parteien zu schwächen, hielt auch sie zunächst für vorteilhafter.394 Die NPD wurde hier zu einem Argument für politische Reformen, die in den Augen der FAZ auch allgemein positive Auswirkungen auf die Stabilität des politischen Systems hätten, während ein Verbot der NPD die Polarisierung womöglich verstärke und vor allem keine Auswirkung auf die radikale Linke hätte. Ein Artikel kurz vor der Bundestagswahl diskutierte die Verbotsoption dann ausführlicher, gipfelte aber in der Feststellung, „daß ein Verbot das ‚Problem der NPD‘ nur juristisch löse, nur an der Oberfläche, nicht soziologisch“.395 Die FAZ plädierte für eine möglichst sparsame Anwendung der „wehrhaften Demokratie“ im Sinne einer Ultima Ratio, die sie im Fall NPD trotz des gestiegenen Pessimismus und der vielfachen Zweifel bezüglich der zukünftigen Entwicklung, wie bereits nach früheren Erfolgen der Partei, auch momentan für nicht notwendig, grundsätzlich aber für absolut legitim, erachtete.396 Allein die Drohung mit einem Verbot abh. jüd. Wochenztg., Verbotsantrag, 12.9.1969, S. 7; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Senat, 19.9.1969, S. 1. 390 FAZ, Kraftprobe, 17.4.1968, S. 1. 391 FAZ, Verbotsurteil auf Widerruf?, 23.4.1968, S. 2. 392 Hier heißt es: „Gegen die sich aufpumpende […] NPD wird es auf die Dauer nur dreierlei Möglichkeiten geben: 1. Auflösung der Großen Koalition, 2. Prohibitives Wahlrecht oder 3. Verbot einer Partei, die die verbotene SRP unter dem Schein der Spießigkeit fortsetzt.“ Vgl. FAZ, Folgen, 30.4.1968, S. 1. 393 FAZ, Sein oder Nichtsein schien in Bonn die Frage, 29.9.1969, S. 4. 394 Daher druckte die FAZ mehrfach vor allem britische Meldungen, die eine Wahlrechtsreform für Westdeutschland anmahnen. Vgl. die Presseschau vom 30.4.1968, S. 2. Siehe auch FAZ, Öffentlichkeit, 30.4.1968, S. 4. 395 FAZ, Verbot auch nach der Niederlage, 24.9.1969, S. 41. 396 So bewertete die FAZ das Verbot von SRP und KPD in den fünfziger Jahren als eine wichtige Maßnahme. Auch heute noch sei ein Verbot der NPD „von hohem Nutzen“. Vgl. FAZ, Es wäre das erste Parteiverbot, 8.1.1969, S. 1; FAZ, Karlsruher Beweislast, 20.9.1968, S. 1. Andererseits hielt sie dies in anderen Artikeln für nicht notwendig.
226 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) habe eine gewinnbringende Wirkung für die Demokratie.397 Dem Entschluss der Bundesregierung gegen einen Verbotsantrag unterstellte sie „wohlerwogene Gründe[…]“.398 Ähnliches lässt sich auch unterhalb der Verbotsschwelle erkennen. Um die Eskalationspotenziale der politischen Auseinandersetzungen zu senken, war ihr ein striktes Vorgehen gegen jegliche Aktivitäten, die sich außerhalb des Versammlungsrechtes bewegen, wichtig.399 Aber auch hier tendierte sie nicht verstärkt zu repressiven Maßnahmen. Versammlungsverbote und -auflösungen sah die FAZ sogar kritisch, da diese letztlich der NPD nützten.400 Hier bewegte sich die Berichterstattung deutlich in Kontinuität zur Debatte über DRP und SRP, als die FAZ zwar ein Verbot ambivalent beurteilte, grundsätzlich aber in einer Demokratie für grenzwertig hielt. Auch im Fall der NPD war sie zwar nicht um jeden Preis gegen ein Verbot, aber trotz der teilweise düsteren Betrachtungen auch kein Advokat. Deutlich stärker als andere Akteure forderte sie wohl aus dem Bewusstsein heraus, dass repressive Sicherheitspolitik die Radikalisierung verschärfe, einen liberaleren Umgang – freilich ohne Toleranz bezüglich der NPD zu propagieren. Repression würde insofern das Ziel einer ruhigeren politischen Auseinandersetzung, die für die Sicherheit des Staates grundlegend sei und die auch die FAZ vorangetrieben sehen wollte, erschweren oder gar verunmöglichen. Letztlich zeigt aber auch hier die Betonung einer Wahlrechtsreform, dass die FAZ mitunter sicherheitsorientierte Maßnahmen unterstützte. In diese Richtung weist ebenfalls die Unterstützung des Antrages auf Grundrechtsverwirkung gegen Gerhard Frey.401 Vgl. z. B. FAZ, Tarnfarbe frisst sich unter die Haut, 28.11.1966, S. 1; FAZ, Und jetzt das Verbot?, 28.8.1968, S. 1; FAZ, Fragwürdiges Verbot, 14.12.1968, S. 2. 397 Vgl. z. B. FAZ, In der Frucht des Gesetzes, 11.3.1967, S. 2; FAZ, Ungemütlich für die NPD, 19.12.1968, S. 2. Allerdings dürfe dies nicht überspannt werden. Vgl. FAZ, Parteiverbot, 8.1.1969, S. 1. 398 FAZ, Mitläufer, 30.7.1969, S. 2. Auch Aussagen darüber, dass das gesammelte Material für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit ausreiche, veröffentlichte sie im Gegensatz zu anderen Akteuren nicht. 399 FAZ, Anleitung, 31.7.1969, S. 4. 400 Nach den Vorfällen am Frankfurter Cantate-Saal beschrieb die FAZ einige diesbezüg liche Einschränkungen dann doch als legitim. Die Verlegung einer Kundgebung weg vom Nürnberger Hauptmarkt, auf dem Hitler regelmäßig seine großen Paraden abnahm, wurde als sinnvoll akzeptiert. Im Fall Berlin, wo der lokale Parteitag der NPD verboten wurde, erkannte ein Kommentar zustimmend an, dass „auf dem Berliner Pflaster besondere Rücksichten zu nehmen sind“, und erkannte ein lokales Verbot der NPD als sinnvoll an. Auch im Fall der Stadt Dachau wurden Forderungen nach Versammlungsverboten für Rechtsradikale mit Verweis auf deren spezielle Vergangenheit unterstützt. Letztlich blieb die FAZ dennoch skeptisch bezüglich repressiver Umgangsformen gegen die NPD. Vgl. FAZ, NPD-Kundgebung verlegt, 19.9.1969, S. 6; FAZ, Dachauer Stadtrat gegen NPD-Veranstaltungen, 2.8.1969, S. 4; FAZ, Müssen, 3.10.1969, S. 2; FAZ, Parteitagsverbot, 8.10.1969, S. 2; FAZ, NPD-Parteitag in Berlin verboten, 8.10.1969, S. 1. 401 Vgl. FAZ, Antrag auf Verbot, 21.3.1969, S. 2. Noch 1967 war die FAZ hier skeptischer. Vgl. FAZ, Grundrechtsverwirkung?, 20.5.1967, S. 2.
4.4. Ein Verbot der NPD?
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Obwohl „Die Zeit“ sich stets für eine möglichst liberale Anwendung der „wehrhaften Demokratie“ aussprach,402 kann auch ihr eine diesbezüglich positive Grundhaltung attestiert werden. „Notfalls“, so ein Bericht nach dem Mordversuch an Dutschke und den linken Osterausschreitungen, „wird sich die Demokratie auch mit Schlagstöcken und Tränengas ihrer Haut wehren müssen“.403 Dass bereits die Verbotsdrohung die NPD behindere, wird herausgestellt.404 An anderer Stelle meint man vorsichtige Kritik daran zu erkennen, dass letztlich kein Verbotsantrag eingereicht wurde, weil die Partei mittlerweile zu erfolgreich sei – wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Autor davor warnen wollte, das ein Verbotsverfahren auch kontraproduktiv sein könne.405 Gegen Letzteres spricht, dass ein anderer Artikel festhielt, „[n]ichts, außer einem Verbotsantrag, kann Thaddens Vormarsch auf Bonn noch aufhalten.“406 Im Endeffekt behandelte „Die Zeit“ die Verbotsfrage im Untersuchungszeitraum nur am Rande. Sie positionierte sich dabei keineswegs gegen diese Maßnahme, eindeutige Forderungen in diese Richtung finden sich aber ebenfalls nicht. Generell war die Berichterstattung wenig agitatorisch, auch wenn „Die Zeit“ sich eindeutig als Gegner der NPD präsentierte. Dass die Zeitung sich eindeutig gegen ein Verbot aussprach, wie Karl-Heinz Janßen und seine Kollegen behaupten, kann anhand der hier ausgewählten Untersuchungszeiträume insofern nicht bestätigt, sondern muss sogar angezweifelt werden.407 Diese, auch unabhängig von der eigenen Position, geringe Behandlung der Verbotsfrage zu diesem Zeitpunkt ist, zumal in einer sich selbst als meinungsbildende Wochenzeitung verstehenden Publikation, dennoch überraschend. Zumal sie in der Beschreibung und Bewertung alternativer Umgangsformen gleichfalls zurückhaltend und abwartend agierte. Auch wenn „Die Zeit“ in ihren Berichten vielfach angab, dass die NPD wahrscheinlich in den Bundestag einziehen werde, ist es allerdings durchaus möglich, dass diese in den Wochen vor der Wahl durchaus vom Gegenteil überzeugt war. Dafür spricht, dass die Zeitung über die Interna der Partei durch gute Kontakte zu Adolf von Thadden stets informiert war.408 Daher wusste die Redaktion, dass die NPD aufgrund der massiven Gewaltvorfälle im Wahlkampf selbst mit einem baldigen Verbot rechnete. Diesbezügliche Kritik beziehungsweise Zustimmung findet sich allerdings nach wie vor nicht.409 402 Die Zeit, Proteste und Polizei, 3.5.1968. 403 Die Zeit, Vernunft, 19.4.1968. 404 Die Zeit, Krähwinkel, 29.8.1969. 405 Die Zeit, Wahlkater, 3.5.1968. 406 Die Zeit, Gespenst, 10.5.1968. 407 Auch 1966 sprach sie sich keineswegs grundsätzlich gegen ein Verbot aus, sondern beschrieb vor allem dessen fehlende Nachhaltigkeit. Vgl. Die Zeit, Sind die Nazis wieder da?, 11.11.1966. Vgl. zur These Janßen u.a., 2006, S. 213. 408 Vgl. Janßen u.a., S. 213. 409 Die Zeit, NPD, 10.10.1969.
228 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) Die Gewerkschaftspresse hingegen setzte im Umgang mit der NPD früh auf die „wehrhafte Demokratie“ und insbesondere auf ein Verbot der Partei.410 Bitter kommentierte die „Welt der Arbeit“, dass offensichtlich keine Gefahr darin erkannt werde, wenn sich „‘Feinde der Verfassung‘ in unseren Parlamenten häuslich niedergelassen haben.“411 Im April 1969 kritisierte „Die Quelle“, dass der günstige Zeitpunkt für ein Einschreiten gegen die NPD mittlerweile vorbei sei und die alleinige Drohung nicht mehr ausreiche: „[D]as Damoklesschwert der Verbotsdrohung […] wird langsam stumpf.“412 Die „Gewerkschaftlichen Monatshefte“ beklagten, dass die Mehrheit der Strafverfolgungsbehörden und Politikvertreter sich immer noch von der legalistischen Taktik der NPD täuschen lasse.413 Daher wäre es ohnehin sinnvoller, wenn das Bundesverfassungsgericht in dieser Sache von sich aus aktiv werden dürfe.414 Deutlich zeigt sich hier zum einen die Sicherheitspriorisierung und zum anderen, dass sich die gewerkschaftlichen Reaktionsforderungen auf den parteipolitischen Rechtsradikalismus im Vergleich zu der Auseinandersetzung mit SRP und DRP nicht verändert hatten. Dass die Gewerkschaftspresse den Rechtsradikalen kaum erhöhte Bedrohungspotenziale unterstellte, spielte keine Rolle. Weder die negative Gefahreneinschätzung noch der Erfolg der zivilgesellschaftlichen Gegenwehr gegen die NPD führten zu einem Abrücken von der „wehrhaften Demokratie“. Für die IG-Metall wies ihr Vorsitzender nach der Bundestagswahl darauf hin, dass das Ergebnis zwar erfreulich, die Gefahr aber keinesfalls vorüber sei. Das Verbot der NPD müsse weiterhin Priorität genießen.415 Ein Verbotsantrag, der lediglich auf die akute Gefährdung abziele, sei grundsätzlich unbefriedigend, erklärte die WdA.416 Aufgrund der historischen Erfahrungen forderte die Zeitung einen Umgang mit dem Rechtsradikalismus anhand des Legalitätsprinzips, welches die gestiegene Demokratisierung sowie Stabilität von Staat und Gesellschaft gerade nicht berücksichtigt. Ähnlich wie die Gewerkschaftspresse agierte auch die „Frankfurter Rundschau“, die, wie bereits erwähnt, wesentlich weniger auf zivilgesellschaftliches Handeln setzte als andere untersuchte Publikationen. Zunächst wurde auch die „wehrhafte Demokratie“ kaum thematisiert,417 doch je näher die Bundestagswah410 Siehe z. B. GMH 11 (1968), Tschechoslowakei, S. 696–698; Metall, Wahl, 14.5.1968, S. 6; WdA, Bürger, 26.4.1968, S. 11. 411 WdA, Innenminister, 12.4.1968, S. 3. 412 Die Quelle 4 (1969), NPD, S. 157–159. 413 GMH 8 (1968), Biologismus, S. 477. 414 WdA, Innenminister, 12.4.1968, S. 3. 415 Metall, Koalition, 14.10.1969, S. 3; Metall, Molotow-Cocktails und scharf geladene Pistolen, 28.10.1969, S. 3. 416 WdA, Innenminister, 12.4.1968, S. 3. 417 Zwar wurden die gesellschaftlichen Zustände, die dazu führten, dass „die KPD verboten wurde, aber die NPD ‚legal‘ heranreift“, mitverantwortlich gemacht für das hohe Ergebnis der Partei in Baden-Württemberg, aber explizite Forderungen nach einem Verbot der Partei finden sich in der Berichterstattung nicht oder wurden trotz der
4.4. Ein Verbot der NPD?
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len rückten und die politische Lage zu eskalieren drohte, desto intensiver schlägt sich die Verbotsdebatte bezüglich der NPD in der Berichterstattung nieder.418 Die Verbotsforderung wurde dabei in der FR, wie auch in der „Allgemeinen“, fast ausschließlich indirekt formuliert, indem bekannte Personen, Organisationen wie Gewerkschaften oder auch eine Demokratische Aktion gegen Neonazismus zitiert wurden.419 Die FR publizierte sogar einen längeren Artikel mit dem einzigen Ziel, verschiedensten Persönlichkeiten aus Politik und Kultur die Möglichkeit zu bieten, ihre Verbotsforderung zu artikulieren.420 Sich selbst positionierte die FR in ihrem Kommentar zur Bundeswehrproblematik zwar nur zaghaft für ein Verbot der NPD,421 verbreitete die Idee aber stets weiter und hielt die Debatte somit am Leben. Besondere Bedeutung hatten dabei Aussagen von konservativen Politikern wie Ludwig Erhard, der zu Protokoll gab, dass es „höchste Zeit [sei], dem wilden Treiben der NPD ein Ende zu bereiten“, und notfalls gesetzgeberische Maßnahmen einforderte.422 Mehrfach betonte die FR, dass das Bundesinnenministerium genug Beweise gesammelt habe, um die Verfassungsfeindlichkeit der Partei belegen zu können.423 Vor allem die Gewaltvorfälle und insbesondere die Schüsse von Kassel wurden als Argument genommen, um ein Verbotsverfahren zu begründen.424 Hier spielte obendrein die vermeintlich große Bedeutung der NPD bei Soldaten der Bundeswehr eine Rolle, die angesichts der Debatten zur Notstandsgesetzgebung besonders problematisch war. Die Vorstellung, dass Soldaten beziehungsweise „Bürger in Uniform als Vorkämpfer einer neonazistischen Partei öffentlich gegen unsere Demokratie ankämpfen“, sei nur schwer erträglich.425 Mehrfach veröffentlichte die Zeitung nun darüber hinaus die Forderung
Erfolge der Partei als abwegige Option beschrieben. Vgl. FR, Demokratie, 25.4.1968, S. 17; FR, Ausland, 30.4.1968, S. 1; FR, Keine Rede von Verbotsantrag, 30.4.1968, S. 1. 418 Dass die „Bundesregierung […] trotz Ausschreitungen nichts unternehmen“ wolle, kritisierte die FR in einer Unterschlagzeile. Vgl. FR, Bonn denkt nicht an Verbotsantrag, 29.7.1969, S. 5. Siehe auch FR, Kiesinger hat nicht das Recht, vor der NPD zu warnen, 19.7.1969, S. 4; FR, Abgrenzung, 23.7.1969, S. 3; FR, Gnade, 28.7.1969, S. 3; FR, Bilanz, 28.7.1969, S. 10; FR, Verbot, 29.7.1969, S. 9f.; FR, Ordnertrupps, 6.8.1969, S. 5. 419 Vgl. FR, Angestellte fordern NPD-Verbot, 16.9.1969, S. 5; FR, SPD. Existenz, 18.9.1969, S. 2; FR, Machtwechsel, 23.9.1969, S. 5; FR, Wahlkampf, 24.9.1969, S. 5; FR, Stil des Wahlkampfes wird härter, 26.9.1969, S. 11. 420 FR, Verbot, 29.7.1969, S. 9f. 421 Vgl. FR, Abgrenzung, 23.7.1969, S. 3. 422 FR, Rufe, 19.9.1969, S. 4. Siehe auch FR, CDU-Vorsitzender, 27.9.1969, S. 2; FR, CSU fordert Verbot der Radikalen, 22.9.1969, S. 10. 423 FR, Abgrenzung, 23.7.1969, S. 3; FR, Bonn, 29.7.1969, S. 5. 424 FR, Gnade, 28.7.1969, S. 3 bzw. FR, Rufe, 19.9.1969, S. 4. 425 FR, Abgrenzung, 23.7.1969, S. 3. Siehe auch FR, Hardthöhe warnt Extremisten, 23.7.1969, S. 4.
230 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) nach einem grundsätzlichen Verbot von Versammlungen der NPD.426 Spätestens seit der Cantate-Saal-Schlägerei würden sachliche Gründe dafür vorliegen: „Zuviel ist in den vergangenen Wochen und Monaten geschehen. Organisierte Schlägertrupps provozierten massive Polizeieinsätze. Ernsthafte Zwischenfälle, die nur mit einem Funken Phantasie vorherzusehen waren, wurden durch das Einschreiten der Behörden vermieden. Selbst wenn in dem einen oder anderen Fall des Guten zuviel [sic] getan worden sein sollte […].“427
Trotz fehlender offener Kampagne bezüglich eines Verbotes wird die Zustimmung der „Frankfurter Rundschau“ zu einem repressiven Umgang mit der NPD deutlich. Dass Sicherheitspolitik die demokratische Freiheit zu schützen habe, stand weiterhin außer Frage. So konnte sie ihre Enttäuschung über die fehlende Bereitschaft der zum Antrag berechtigten Organe zu einem Verbot nicht verhehlen. Die Bundesregierung habe sich „in der Frage eines NPD-Verbots bisher nicht gerade mit Ruhm bekleckert“, bilanzierte ein Kommentar.428 Die Verbotsfrage, so das Fazit der Berichterstattung, sei weiterhin aktuell und nur temporär negativ beschieden.429 Der endgültige Beschluss gegen einen Verbotsantrag wurde noch vor der Bundestagswahl am 23. April 1969 getroffen und damit die Entscheidung dem Wahlvolk überlassen. Die Bundesregierung glaubte ohnehin bereits nicht mehr an ein gutes Ergebnis der NPD. Ergänzend zur Verbotsdebatte hatte sie bereits Mitte März 1969 einen Antrag auf Einschränkungen nach Art. 18 GG gegen Gerhard Frey beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.430 Der rechtsradikale Verleger hatte mit seinem Presseimperium für die NPD Wahlwerbung gemacht. Interessanterweise äußerte sich neben der FAZ lediglich ein Bericht in der gewerkschaftlichen Zeitung „Die Quelle“ zu dieser Thematik. Hier wurde dann, entsprechend der ohnehin vorhandenen Fokussierung auf Sicherheitspolitik, die Beschränkung der Pressefreiheit für Freys „Deutsche National-Zeitung“ gefordert, da dieser regelmäßig das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung missbrauche und bisherige Strafverfahren gegen ihn keine nachhaltige Wirkung gezeigt hätten.431 Dass sich weder die FR noch „Die Zeit“ zu dieser Thematik äußerten, könnte darauf 426 FR, Verbot, 25.7.1969, S. 12; FR, FDP, 28.7.1969, S. 3; FR, NPD darf in Düsseldorf auftreten, 5.8.1969, S. 5; FR, Tatort, 18.9.1969, S. 2; FR, Spur, 20.9.1969, S. 4. 427 FR, Taktik, 6.10.1969, S. 3. 428 FR, Abgrenzung, 23.7.1969, S. 3. So auch FR, Verbot, 25.7.1969, S. 12. 429 Siehe dafür auch die eindeutigen Aussagen der SPD. Vgl. FR, Alliierte verbieten NPD-Parteitag, 8.10.1969, S. 1. 430 Die Bundesregierung hatte diesen Antrag aber nach der Niederlage der NPD nicht mehr weiter verfolgt, sodass er letztlich als nicht hinreichend begründet abgelehnt wurde. Auch dies bewertete die Forschung somit als taktisch motiviert und als „Akt symbolischer Politik“. Vgl. Kalinowsky, S. 154f. Siehe auch Meier, Parteiverbote, S. 224f. 431 Die Quelle 4 (1969), Die braune Kloake, S. 159f.
4.4. Ein Verbot der NPD?
231
hindeuten, dass sie dieses Instrument keineswegs begrüßten. Es könnte allerdings auch auf der geringen Bedeutung von Frey beruhen, wobei die allgemeine Relevanz der Themenkomplexe „Rechtsradikalismus“ und „wehrhafte Demokratie“ dagegen sprechen. Abschließend lassen sich einige Beschreibungen festhalten. Lediglich in den Tagen direkt nach den Cantate-Ausschreitungen tendierte die FAZ zu einer verstärkten Sicherheitsorientierung, die sich aber bald wieder relativierte. Insgesamt war die Berichterstattung somit im Vergleich zum vorherigen Kapitel angesichts der voranschreitenden Polarisierung der Gesellschaft zwar etwas dynamischer, im Ergebnis aber durchaus ähnlich. Die im Vergleich gestiegenen Bedrohungspotenziale und die teilweise sicherheitsorientierte Darstellung veränderten die redaktionelle Linie nur am Rande, deuten aber darauf hin, dass auch die bisher stets optimistische und die demokratische Entwicklung positiv bewertende FAZ besorgter wurde. Mit ihrer Berichterstattung verfolgte die FAZ das Ziel, die NPD aus dem Bundestag herauszuhalten. Die Zeitung priorisierte dabei nicht die Sicherheit und verzichtete trotz teilweise deutlicher Bedrohungswahrnehmungen auf die Forderung an staatliche Stellen nach repressiven Mitteln. Teilweise sprach sie sich sogar für eine gewisse Toleranz gegenüber der Partei aus – wobei sie im Fall Frey gegensätzlich argumentierte. Dies entsprach dabei der eigenen Überzeugung sowie dem Wunsch nach einer nachhaltigen Stabilisierung und war nicht, wie im Fall der „Frankfurter Rundschau“ oder der Gewerkschaften, eine Folge der unvermeidlichen Akzeptanz des staatlichen Desinteresses an einem Verbot. Das Selbstverständnis der FAZ entsprach dem einer doppelten Stütze der Demokratie, nach innen im Kampf gegen Radikalisierung und Polarisierung sowie nach außen gegen die Deutung der Bundesrepublik als Schwerpunkt rechtsradikaler Aktivitäten. Insofern konnte sie gleichzeitig ein glühender Verfechter und schärfster Kritiker zivilgesellschaftlichen Engagements gegen die NPD sein – je nachdem wie sich der Protest ausdrückte und wer sich daran beteiligte. Die Abkehr von Gewalt und die Rückkehr zu geordneten politischen Auseinandersetzungen waren vielfach das wichtigste Ziel. Der Umgang mit der NPD war somit gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit den protestierenden Linken und der vorherrschenden politischen Kultur. Warum die „Frankfurter Rundschau“ sich zu dem Antrag auf Grundrechtsverwirkung nach Art. 18. GG gegen Gerhard Frey nicht äußerte, muss spekulativ bleiben. Insgesamt kann in der Berichterstattung dennoch eine Sicherheitsorientierung ausgemacht werden, die deutlicher wurde, je näher die Bundestagswahl rückte. Ein grundlegender Wandel lässt sich trotz der – angesichts kaum vorhandener Verbotschancen – notwendigen Fokussierung auf weniger repressive Auseinandersetzungsoptionen allerdings nicht feststellen.432 Ohnehin führte die 432 Eine auffällige Diskrepanz zwischen der Gesamtberichterstattung und den weniger sicherheitsorientierteren Meinungsartikeln während der Bundestagswahlen ist teilweise darauf zurückzuführen, dass die FR ein Parteienverbot grundsätzlich positiv
232 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) Eskalation der Gewalt in den letzten Wochen vor der Bundestagswahl, besonders nach den Ereignissen vor dem Frankfurter Cantate-Saal, zu einer deutlich verstärkten Betonung des Sicherheitsgedankens. Zumindest nach einschneidenden Vorfällen war die Berichterstattung der FR nach wie vor sicherheitsorientiert. Die positive Haltung zu einem repressiven Umgang blieb grundsätzlich bestehen und Zweifel in Bezug auf diese Maßnahmen artikulierte die Zeitung nicht. Eine neue Priorisierung im Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit beziehungsweise ein verändertes Bewusstsein bezüglich des demokratischen Dilemmas ist nicht erkennbar. Letztlich zielte die Zeitung auf ein zweigleisiges Konzept, bei dem sowohl staatliche Stellen als auch die Bevölkerung ihre demokratische Tauglichkeit demonstrieren sollten. Die Entscheidung der Bundesregierung, keinen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit zu stellen, ist der Grund, warum die Berichterstattung in der Gesamtbewertung nur eine leichte Sicherheitsorientierung aufwies. Die stärkere Fokussierung auf alternative Umgangsformen entsprang pragmatischen Notwendigkeiten. Da die Bundesregierung untätig bleibe, müsse man sich selber darum kümmern.433 Entsprechend betonte die „Rundschau“ ihre Bereitschaft, die Auseinandersetzung mit „der uns widerwärtigen neofaschistischen NPD“ zu suchen, so lange diese nicht verboten sei.434 Weiterhin aber stellte die FR die „wehrhafte Demokratie“ keinesfalls infrage und erklärte: „Das Problem Rechtsradikalismus und Demokratie, wie es sich durch die Existenz der NPD […] stellt, muß von der Regierung gelöst werden“.435 Ähnliches lässt sich für die Gewerkschaftspresse festhalten. Auch hier war die Zustimmung zur „wehrhaften Demokratie“ durchgängig vorhanden. Je näher die Bundestagswahl 1969 rückte, desto relevanter wurden allerdings liberalere Umgangsformen, was jedoch den sicherheitsorientierten Gesamteindruck nicht relativierte. Wie die „Rundschau“ war auch die Gewerkschaftspresse pragmatisch, da ein baldiger Verbotsantrag immer unrealistischer wurde. Die Gewerkschaftspresse agierte letztlich ebenfalls anhand einer doppelgleisigen Strategie und der Fokus auf administrative Repression blieb bestehen. Alternative Strategien galten auch hier vor allem als temporäre Behelfsmittel bis zum Verbot. In der Folge blieben hartes Durchgreifen der Strafverfolgungsbehörden und die Forderung nach einem Ende jeglicher Toleranz dennoch auf der Agenda und die Gewerkschaften beurteilte und entsprechend berichtete, dies aber angesichts des diesbezüglichen Desinteresses der antragsberechtigten Stellen für nicht mehr realisierbar hielt und daher temporär alternative Umgangsformen forderte und unterstützte, um den Einzug der NPD in den Bundestag dennoch zu verhindern. 433 Beschlüsse zu zivilem Ungehorsam oder der Aufruf zum Widerstand gegen die NPD finden sich mehrfach. Bereits vor der Cantate-Saal-Veranstaltung wurden Frankfurter Honoratioren angeführt, um gegen die Versammlung zu protestieren. Vgl. FR, Proteste, 25.7.1969, S. 12; FR, Verbot, 25.7.1969, S. 12. Siehe auch FR, Abfuhr, 21.7.1969, S. 9; FR, Bürger, 2.8.1969, S. 14; FR, FDP, 4.8.1969, S. 8. 434 FR, Wahlengagement, 27.9.1969, S. 3. 435 FR, Abgrenzung, 23.7.1969, S. 3.
4.4. Ein Verbot der NPD?
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betrachteten sich trotz der relativ geringen Bedrohungswahrnehmung weiterhin als Hüter der Demokratie und wichtige Säule der Stabilität.436 Es ist gleichfalls festzuhalten, dass sich die Sicherheitsorientierung kaum veränderte und gerade in Bezug auf rechtsradikale Parteien in der Kontinuität der bisherigen Fallbeispiele steht. Aussagen, dass man die nicht verbotene NPD nur in der politischen Auseinandersetzung bekämpfen könne, lehnte die WdA explizit ab.437 Dass Bonn gerade nicht Weimar wurde, ließen sie als Argument nicht gelten. Zwar tauchte singulär in der DGB-Publizistik die Frage auf, ob es überhaupt gerechtfertigt sei, einer kleinen Partei so viel Aufmerksamkeit zu schenken,438 Zweifel an der Legitimität eines repressiven Umgangs artikulierten sie aber nur hier. Die Gewerkschaften waren angesichts der Tatsache, dass Rechtsradikale in gewissen Konstellationen mit guten Wahlresultaten rechnen können, zu einem liberaleren Umgang mit diesen nicht bereit und die gewerkschaftlichen Publikationen ließen weiterhin kaum eine Gelegenheit aus, ihre Forderung nach einem NPD-Verbot zu artikulieren. Ihnen stand deutlich vor Augen, dass die Phase des Aufschwungs zunächst vorbei sei. Die Deutschen müssten daher nun lernen, einen Blick für das Erreichbare in der Politik zu entwickeln, da utopisch-radikale Forderungen nur den Extremisten helfen würden.439 Dafür, dass die Gewerkschaftspresse trotz der geringen Bedrohungsartikulation und der temporären Fokussierung auf alternative Umgangsformen vielfach auf einem repressiven Umgang mit dem Rechtsradikalismus beharrte, waren sicherlich die Erfahrungen mit dem Untergang der Weimarer Republik und dem Aufstieg der Nationalsozialisten entscheidend. Bis 1969, als Heinz Oskar Vetter den Vorsitz übernahm – Vetter war bereits 1933 Mitglied des Deutschen Jungvolkes, einem Teil der Hitler-Jugend –, standen alle DGB-Vorsitzenden in der sozialdemokratischen Tradition von vor 1933 oder gar 1914 und hatten die Niederlage gegen die Nationalsozialisten direkt miterlebt.440 „Das Scheitern der Weimarer Republik erlebte diese Generation als persönliche politische Niederlage, aus der die Arbeiterbewegung zu lernen hatte“, erklärte Manfred Wilke später.441 In dieser Umbruchphase wollte man keinesfalls zu tolerant gegen die Antidemokraten auftreten und entsprechend „den Anfängen wehren“.442 Nebenbei erfüllten die strikten Forderungen auch eine Symbolwirkung, die nicht nur an das Ausland, sondern auch in die eigene Organisation hinein adressiert war. Egal was kom436 Interessanterweise finden sich in der Gewerkschaftspresse dennoch keine Hinweise auf die verabschiedeten Unvereinbarkeitsbeschlüsse bezogen auf die NPD. 437 WdA, Bürger, 26.4.1968, S. 11. 438 DGB-Bundesvorstand, Materialsammlung, 1969. 439 Die Quelle 9 (1969), Nationalist; DGB-Bundesvorstand, DGB-Kurier, Sep. 1969, S. 4; WdA, Nichtwähler, 26.9.1969, S. 9. 440 Vgl. Deppe, Geschichte, S. 622f. 441 Wilke, Einheitsgewerkschaft, S. 113–116. 442 Vgl. Conze, Suche, S. 356.
234 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) me, die Gewerkschaften werden die Demokratie verteidigen – die Devise „sicher ist sicher“ blieb aktuell. Dass diese parallel zumindest öffentlich die Ursachenfrage auffallend wenig betonten, konnte angesichts der klaren Positionen gegen den Rechtsradikalismus leicht übersehen werden. Keineswegs soll die Forderung nach der „wehrhaften Demokratie“ hier als rein funktionalistisches Vorgehen interpretiert werden – dafür war das Engagement der Gewerkschaften gegen den Rechtsradikalismus in jeglicher Form eindeutig zu ausgeweitet –, betrachtet man aber einzig die Publikationen, drängt sich dieser Verdacht auf. „Die Zeit“ berichtete insgesamt unaufgeregt. Ihr Ziel war es zwar ebenfalls, die NPD sowohl bei Landtagswahlen als auch auf Bundesebene am Wahlerfolg zu hindern, dabei betrieb sie aber keine ausgesprochenen Kampagnen. Grundlegende Kritik an der „wehrhaften Demokratie“ findet sich nicht, aber auch nur wenige Forderungen in diese Richtung. Letztlich war ihr Umgang mit der NPD, auch in Bezug auf Forderungen an das Verhalten staatlicher Stellen, von relativer Liberalität geprägt – Liberalität in Bezug auf die zu verfolgenden Gegenstrategien und nicht im Sinne von Toleranz gegenüber der Partei. Schließlich war sie durchgängig davon überzeugt, dass die Partei in den Bundestag einziehen werde und das musste, schon allein aus Rücksicht auf die Wahrnehmung im Ausland, verhindert werden. Mittlerweile war auch die Berichterstattung der „Allgemeinen unabhängigen jüdischen Wochenzeitung“ deutlich pessimistischer als noch zu Beginn der Dekade. Insgesamt ergibt sich in der Analyse ihres Umgangs beziehungsweise der geforderten Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus, speziell der NPD, dennoch zunächst ein etwas liberaleres Bild. Eine Sicherheitsorientierung war allerdings stets deutlich, sobald einzelne Ereignisse, wie die für die NPD erfolgreiche Landtagswahlen oder die gewalttätigen Ausschreitungen im Frankfurter Cantate-Saal, die Debatte über den Umgang stimulierten. Neben vielen einzelnen Vorschlägen zielte die Zeitung zwar vor allem auf eine kohärente, glaubwürdige Politik mit Lösungskompetenzen, wobei es unerlässlich sei, eine klare Abgrenzung zum Rechtsradikalismus einzuhalten und diesen nicht zu bagatellisieren. Allerdings wurde ebenfalls die „wehrhafte Demokratie“ – allen voran ein Verbot der NPD – sowie eine konsequente Strafverfolgung als entscheidend angesehen. Die Zeitung betonte den Sicherheitsgedanken nun insgesamt stärker als während der antisemitischen „Schmierwelle“. In deutlichen Worten kritisierte sie das Fehlen klarer Konzeptionen im Umgang mit dem Rechtsradikalismus: „Die Regierung und die politischen Parteien haben wieder einmal zum Kampf gegen die politischen Extremisten aufgerufen, obwohl sie bis heute einen überzeugenden Beweis dafür schuldig geblieben sind, wie sie diesen vielzitierten Kampf ‚mit politischen‘ Mitteln im Alltag durchzuführen gedenken. Im Grunde haben sie sich mit der Existenz des radikalen Potenzials abgefunden, wenn sie auch bestrebt sind, vornehmlich und bezeichnenderweise aus außenpolitischen Erwägungen, das extreme Element möglichst klein und einflußlos zu halten. Damit ändert sich natürlich nichts an dem Vorhanden-
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sein der Demokratieverächter […]. Tatsache ist, daß sich die Rechtsradikalen mittlerweile bequem in unserer Mitte eingenistet haben und weitaus salonfähiger geworden sind, als es sich noch vor zehn Jahren irgend jemand hätte vorstellen können.“443
Doch die „Allgemeine“ betonte auch, dass ein rein repressives Vorgehen gegen die NPD nicht das Problem des Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik lösen kann. Passend erklärte ein langer Bericht kurz vor der Bundestagswahl, dass jegliche Repression gegen den Rechtsradikalismus nichts nütze, da der „praktizierte Rechtsentzug“ die Demokratiefeinde erneut ins Recht setzen würde und ihnen die Chance auf Wahlanfechtung biete.444 Deshalb wäre eine Absage der Bevölkerung an die NPD bei der Bundestagswahl ein viel wichtigeres Symbol, als es ein Verbot je sein könnte. Dies ist zwar eine eindeutige Positionierung bezüglich des demokratischen Dilemmas, aber diese bleibt singulär und kann die zahlreichen positiven Aussagen zu einem NPD-Verbot keineswegs ausgleichen. Insgesamt findet derart die innere Zerrissenheit der Zeitung Ausdruck. Sie hoffte auf eine politische Auseinandersetzung, aber nach Vorfällen wie den Gewaltausschreitungen um den Cantate-Saal in Frankfurt am Main folgte sie doch einem temporären Sicherheitsreflex. Dass die Demokratie notfalls administrativ gestützt werden müsse, daran hatte auch die „Allgemeine“ keine Zweifel.445 Die teilweise pessimistische Berichterstattung der „Allgemeinen“ in diesen Monaten beruhte aber nicht nur auf der Sorge um die Demokratisierung der Bundesrepublik, sondern nach wie vor auf dem Wunsch nach Legitimierung der Entscheidung, weiterhin im „Land der Täter“ zu wohnen. Auch hieraus ergab sich nach wie vor ein Teil der Spannungen zwischen den liberalen Teilen der Berichterstattung und denen mit mehr Forderungen nach repressiveren Reaktionen, die sich mit den Phasen erhöhter Legitimationspflicht deckten. So finden sich die vielfachen Äußerungen der Bedrohlichkeit der NPD weniger in den Kommentaren der Zeitung als vielmehr in zitierten Aussagen relevanter Personen. Dies führt in der Darstellung zu der beschriebenen erhöhten Gefahrenartikulation, unterstützte aber in erster Linie die Deutung der Zeitung, dass die Gesellschaft das Problem des Rechtsradikalismus erkannt habe. Langsam, so die subtile Botschaft, steige auch in der Bundesrepublik die Bereitschaft, den Aufstieg einer rechtsradikalen Partei nicht nur als Problem für die Außenwahrnehmung, sondern für den eigenen demokratischen Aufbau zu werten. Positive Beispiele 443 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Paktieren, 10.5.1968, S. 2. 444 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Reifeprüfung, 26.9.1969, S. 1. 445 Ob die Allg. unabh. jüd. Wochenztg. sich auch deshalb verstärkt für alternative Umgangsformen aussprach, weil mittlerweile deutlich wurde, dass ein Verbot der NPD von allen zum Antrag berechtigten Akteuren nicht mehr angestrebt wurde und eben ein Zeichen der fehlenden gesellschaftlichen Gegenwehr sei, bleibt spekulativ. Angesichts der pessimistischen Wahrnehmung und der zumindest punktuell eindeutigeren Bejahung eines Verbotsverfahrens ist dies allerdings durchaus möglich.
236 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) bezüglich des Umgangs mit der Vergangenheit fungierten als Lichtblicke.446 Beispiele für eine zu tolerante Haltung beziehungsweise fehlende Abgrenzung zum Rechtsradikalismus wurden oftmals durch Gegenbeispiele in Zusammenhang mit der NPD relativiert. Somit findet sich in der Berichterstattung erneut der Kampf zwischen „Gut“ und „Böse“ im Aufbau der freien demokratischen Gesellschaft, und auch wenn die „Vertreter des Bösen“447 – wie im Fall der NPD – kurzfristig einen Vorteil erlangen oder sich an zu geringer Gegenwehr erfreuen könnten, gebe es genügend Beispiele, dass die „Guten“ dies nicht mehr hinnähmen. Dass der Kampf aber noch lange nicht entschieden sei, zeigte sich an einem sehr bildlichen Beispiel nach der Schändung der Gedenkstätte Plötzensee in West-Berlin: „Eine Welle der Empörung hat diese frevlerische Tat hervorgerufen. Anständigen Menschen ist die Schamröte ins Gesicht gestiegen, da [sic] dergleichen im Jahre 1969 geschehen kann – ungehindert! Die Hetzer aber können sich im Stillen die Hände reiben. Ihre Saat trägt Früchte. Ihr Verbrechen […] ist nicht nur eine Denkmalschändung, sie ist eine Schändung des Bemühens all derer, die dazu beitrugen, daß die Bundesrepublik in der freien Welt gleichberechtigter Partner geworden ist.“448
Eine allgemeine Zustimmung nicht-staatlicher Akteure zu einem Verbot der NPD hat es nicht gegeben. Diese Maßnahme war hier genauso umstritten wie innerhalb der Parteien, Parlamente und Regierungen. Während die „wehrhafte Demokratie“ allgemein grundsätzlich für sinnvoll erachtet wurde, war die Berichterstattung über den Rechtsradikalismus stark von den eigenen Interessen und Wahrnehmungen abhängig. Besonders deutlich wird dies im Umgang des Bundes der Vertriebenen mit der NPD. Nach dem Kurswechsel der SPD in der „nationalen Frage“ setzte sich der „Deutsche Ostdienst“ vor allem mit dieser Partei auseinander.449 Aufgrund der selbstverordneten Zurückhaltung kamen die meisten Artikel ohne auf die NPD oder andere Manifestationen des Rechtsradikalismus bezogene Reaktionsforderungen aus. Auch warnte der DOD kaum vor der Partei. Er wetterte höchstens indirekt gegen „extremistische“ Gruppen, welche die Deutschlandpolitik trotz großartiger Versprechungen eher erschweren denn voranbringen würden. Insgesamt aber war der Umgang des BdV mit dem Rechtsradikalismus die Konsequenz aus der für sich selbst beschlossenen Zurückhaltung in dieser Thematik.
446 So sei es gerade der neue Bundesinnenminister Ernst Benda gewesen, der z. B. die Verjährung von NS-Verbrechen vehement bekämpft habe. Vgl. Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Wahlrechtsreform für immer vertagt, 26.4.1968, S. 2. 447 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Paktieren, 10.5.1968, S. 2. 448 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Zeichen, 25.7.1969, S. 2. 449 Siehe z. B. DOD, Wunder Punkt Wahlen, 8.4.1968, S. 1f.; DOD, Quittung, 16.5.1968, S. 7f.; DOD, Antwort, 16.5.1968, S. 11f.; DOD, Wahl, 5.9.1969, S. 1f.; DOD, Landsleute, 25.9.1969, S. 1.
4.4. Ein Verbot der NPD?
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Ähnlich von den politischen Zielen geleitet waren die Beiträge im „Arbeitgeber“. Erstmals finden sich hier zwar Ende der sechziger Jahre einige Artikel zum Rechtsradikalismus, speziell zur NPD, allerdings waren die Berichte über linksradikale Gruppen nicht nur wesentlich zahlreicher, sondern auch ablehnender. Selbst der Umgang mit dem Rechtsradikalismus war im „Arbeitgeber“ vor allem eine hitzige Auseinandersetzung mit „der Linken“: „Was die NPD betrifft, so ist damit das Merkmal eines Wahlkampfes aufgezeigt, wie es in der Geschichte deutscher Wahlkämpfe ohne Beispiel ist: Um den eigenen Aufmarsch gegen Staat und Gesellschaft zu verschleiern und obwohl eindeutig bewiesen ist, daß weit über 90 Prozent der Wahlberechtigten Parteien wählen, deren demokratischer good will außer jedem Zweifel steht, hat es ein Syndikat skrupelloser Polit-Publizisten tatsächlich geschafft, einer Handvoll „Ehemaliger“ von gestern und Unzufriedener von heute eine Bedeutung anzudichten, deren Resonanz ohne diese unbezahlte wie unbezahlbare Wahlhilfe gleich Null wäre!“450
Zunächst zeigt dieses Kapitel allerdings deutlich, dass die BDA sich im „Arbeitgeber“ durchaus zu allgemeinpolitischen Themen der Zeit äußerte. Dies spricht für die These, dass die Redaktion sich bisher nicht für den Rechtsradikalismus interessiert hatte. Die BDA erblickte die Feinde der Republik vor allem im von ihr weitgefassten Bereich des Kommunismus.451 Die positiven Bezugnahmen auf die „wehrhafte Demokratie“ in der Auseinandersetzung mit der radikalen Linken deuten zumindest an, dass die BDA sicherheitsorientierter publizierte, wenn sie eine vermeintliche Bedrohung des sozio-ökonomischen Systems erkannte. In der NPD sah sie eine solche aber nicht. Unmittelbar nach der Niederlage bei der Bundestagswahl 1969 setzte der Niedergang der NPD ein. Das Wahlergebnis entpuppte sich in der Rückschau als Wendepunkt nicht nur für die Partei, sondern für den Rechtsradikalismus allgemein. Für die Nationaldemokraten war dies der Beginn einer „nicht enden wollenden Niederlagenserie“452 in den folgenden Jahren. Die NPD war für die kommenden drei Dekaden ins Abseits manövriert worden. Sie verlor bald alle Landtags- und Kommunalmandate und die Mitgliederzahl ging auf 6-8.000 zurück.453 Die bestehenden Parlamentsfraktionen waren starken Dissoziationsprozessen ausgesetzt und die bis dahin erzielten Erfolge auf Landesebene konnten nicht wiederholt werden. Die Union konnte ihre Rolle als Integrationspartei bis weit nach rechts aus der Opposition heraus wieder umfassender wahrnehmen. 450 Der Arbeitgeber 15 (1969), Mut, S. 596f. 451 Dies verrät auch der Blick in weitere Publikationen der BDA. Vgl. z. B. Otto Andreas Friedrich, Die politische Aufgabe des Unternehmers in einer freiheitlichen Leistungsgesellschaft, Bonn 1972. 452 Flemming, S. 82. 453 Vgl. Reinhard Kühnl, Die Entwicklung der extremen Rechten seit 1945. Ursachen, Etappen, Gegenstrategien, in: Jens Mecklenburg (Hg.), Handbuch deutscher Rechtsextremismus, Berlin 1996, S. 124–146, hier S. 130; Pfahl-Traughber, S. 77.
238 4. Die NPD und die Gewalt (1968/69) Ohne die schwersten administrativen Maßnahmen tatsächlich ausgenutzt zu haben, schien die rechtsradikale Gefahr gebannt. Nach dem Aus der NPD bei den Bundestagswahlen verkam die Verbotsdebatte immer weiter zu einer zwar routinemäßig vorgetragenen aber letztlich nischenhaften Diskussion einzelner Akteure.454 Entsprechende Forderungen blieben jedoch ein Reflex, der sich bei jeder kleinen Regung Rechtsradikaler unter dem Logo der NPD – und zunehmend auch völlig unabhängig von ihr – auslöste. Abschließend lässt sich mit Dudek und Jaschke festhalten, dass die Debattenteilnehmer den Aufstieg der NPD als ein „quasi-unvorhergesehenes und nicht eingeplantes Phänomen“ verstanden, welches „an düstere, längst verdrängte Zeiten erinnerte“.455 Hier zeigt sich, dass die NS-Vergangenheit und die zunächst langsam steigenden Wahlerfolge der NSDAP immer noch Vielen vor Augen standen.
454 Eine breitere Diskussion entwickelte sich bis zu den erneuten Wahlerfolgen der Partei in den neunziger Jahren bzw. nach der Jahrtausendwende nur 1978 im Anschluss an ein Urteil des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofes, welches der NPD attestierte, keine verfassungsfeindlichen Ziele zu verfolgen. 455 Dudek / Jaschke, S. 319.
5.
Die neue Ostpolitik und die rechtsradikale Gegenwehr (1970/71)
Die Gründung der Aktion Widerstand (teilweise nur Aktion W) war eine zentrale Folge der NPD-Niederlage 1969. Dieses Fallbeispiel wurde anhand zweier zentraler Ereignisse untersucht, die mit der Europäischen Befreiungsfront und einem Anschlag am sowjetischen Ehrenmal in Berlin auch die Anfänge des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik berücksichtigen konnten. Grundlegend aber waren die Proteste in Kassel im Rahmen des Staatsbesuches des Vorsitzenden des Ministerrats der DDR, Willy Stoph, am 21. Mai 1970 sowie der Gründungskongress der Aktion Widerstand am 31. Oktober 1970 in Würzburg.
5.1. Rechtsterrorismus, Chaos und Widerstand Auf die Niederlage der NPD bei der Bundestagswahl 1969 folgte ein rapider Zersetzungsprozess. Der an politische Gegebenheiten und diskursive Grenzen angepasste legale Parlamentarismus der NPD schien seinem Ende entgegenzugehen und hinterließ zahlreiche frustrierte Aktivisten.1 Fast parallel kam es zu einem Generationswechsel im Rechtsradikalismus, der die neuen Impulse noch verstärkte. Während die Führungsebene der NPD weiterhin für den legalistischen Kurs plädierte, bemängelte eine zweite Gruppe die fehlende theoretische Arbeit.2 Eine immer stärker werdende dritte Gruppe forderte eine radikalere Ausrichtung der Partei und verstärkten Aktionismus. Die APO vor Augen drängte diese auf spektakuläre, teilweise illegale Aktionen und eine offenere Bekämpfung des demokratischen Systems.3 Das parlamentarische Scheitern der NPD als Chance begreifend, traten die radikalen Vertreter, hauptsächlich Mitglieder der Jungen Nationaldemokraten, immer offener in Erscheinung. Mit dem „Wertheimer Manifest“ setzten sich 1971 letztlich zwar die Legalisten in der Partei durch, allerdings verlor diese im Gegenzug zwei ganze Strömungen, die sich nun verselbstständigten.4 Zurück blieb eine kraftlose „Alt-Herren-Partei“. Parallel entwickelte sich in etwa das rechtsradikale Spektrum, welches wir bis heute 1 Für Details siehe Backes / Moreau, S. 23. 2 Diese Fraktion unter der Führung von Siegfried Pöhlmann konnte ihre Vorstellungen letztlich aber nicht durchsetzen und verließ daraufhin die Partei. Hier entwickelte sich bald die Aktion Neue Rechte, die ab 1972 in Anlehnung an die französische Nouvelle droite eine rechte Hegemonie in der Bundesrepublik anstrebte und sich einen stärker intellektuell geprägten Habitus zulegte. 3 Für Details siehe Staud, S. 37; Pfahl-Traughber, S. 52. 4 Für Details siehe Flemming, S. 64.
240 5. Die neue Ostpolitik und die rechtsradikale Gegenwehr (1970/71) kennen. Dudek und Jaschke beschreiben dies als einen Wandlungsprozess „von einer Erlebnisgemeinschaft zur Bekenntnisgemeinschaft“.5 Die Veränderungen waren zunächst biografisch, diesem Prozess folgte in den nächsten Jahren aber auch ein Wandel an Themen und Strategien.6 Seit 1969 entwickelten sich die ersten Organisationen, die sich auch öffentlich explizit positiv auf Hitler bezogen und Anpassung ablehnten. Man strebte die Wiederbegründung der NSDAP an und zeigte sich mit eindeutig NS-belasteten Symbolen.7 Eine derart offene Anknüpfung an die Hitler-Jahre hatte es seit dem Verbot der SRP 1952 in der Bundesrepublik nicht mehr gegeben. Die neuen Gruppierungen8 waren unabhängig von jeder Partei und weit aggressiver und aktionsbereiter als die zahlreichen Strukturen, die bis dahin das Öffentlichkeitsbild des Rechtsradikalismus bestimmt hatten. In den regelmäßigen Konfrontationen mit der Studentenbewegung der vorangegangenen Jahre hatte sich eine gestiegene Gewaltbereitschaft entwickelt. Die „NS-Kampfzeit“ rückte immer stärker in eine umschwärmte Vorbildrolle. Aus der „nationalen Opposition“ entwickelte sich der „nationale Widerstand“: „Widerstand schien 1970 das Gebot der Stunde: Widerstand gegen die Etablierung einer kritischen Geschichtsschreibung, Widerstand gegen Überfremdung, Widerstand vor allem gegen die neue Ostpolitik“, fasste Gideon Botsch dies zusammen.9 Die Befürworter des radikaleren Kurses hatten die Strategiedebatte in der NPD verloren, aber dafür prägten sie die Entwicklung des Rechtsradikalismus für die nächsten zwanzig Jahre. Dass gerade die Phase um 1970 zum Wendepunkt für den bundesdeutschen Rechtsradikalismus wurde, beruhte nicht nur auf szeneinternen Vorgängen. Die Wahl Willy Brandts zum Bundeskanzler symbolisierte den gesamtgesellschaftlichen Wandel. Die Zeiten konservativer Hegemonie waren vorüber. Neben dem 5 Nun gaben nicht mehr die NS-Zeitzeugen den Ton an, sondern immer stärker die Jungen. Vgl. Dudek / Jaschke, S. 49. 6 Vgl. Klaus Schönekäs, Bundesrepublik Deutschland, in: Franz Greß u.a., Neue Rechte und Rechtsextremismus in Europa. Bundesrepublik, Frankreich, Grossbritannien, Opladen 1990, S. 218–347, hier S. 242. 7 Für weitere Informationen siehe Botsch, S. 73. 8 Bereits 1969 wurde die Nationale Deutsche Befreiungsbewegung gegründet, die sich als Vorstufe zur Bildung einer neuen NSDAP verstand und Anschläge auf Einrichtungen der DDR und der Sowjetunion plante. Pionierarbeit leistete auch der Bund Deutscher Nationalsozialisten, der allerdings sehr schnell vom Bundesinnenministerium verboten wurde. Fast gleichzeitig wurden die für den Neonazismus prägenden Schriften von Thies Christophersen sowie Jürgen Riegers „Rasse – ein Problem auch für uns“ veröffentlicht. 9 Botsch, S. 61. Siehe auch Christoph Kopke, Die Aktion Widerstand 1970/71. Die „nationale Opposition“ zwischen Sammlung und Zersplitterung, in: Massimiliano Livi u.a. (Hg.), Die 1970er Jahre als schwarzes Jahrzehnt. Politisierung und Mobilisierung zwischen christlicher Demokratie und extremer Rechter, Frankfurt am Main 2010, S. 249– 262, hier S. 259.
5.1. Rechtsterrorismus, Chaos und Widerstand
241
Ziel, mehr Demokratie wagen zu wollen, wurde auch die neue Ostpolitik zum Symbol der Veränderung. Diese war in der Retrospektive durchaus erfolgreich, dennoch darf nicht vergessen werden, „welch tiefe innenpolitische und gesellschaftliche Gräben [diese] gezogen hat.“10 Die Ostpolitik der Regierung Brandt wurde bis in das konservative Lager hinein schlicht als „Verrat“ verstanden.11 Auch paramilitärische Vorstellungen wurden in diesen sich radikalisierenden Strukturen immer verbreiteter und erste rechtsterroristische Strukturen entstanden. Aus der NPD heraus – aber wohl ohne das Wissen der Führung – gründeten vierzehn Mitglieder des Ordnerdienstes die Europäische Befreiungsfront (EBF).12 Vorausgegangen war dessen Auflösung durch den NPD-Parteivorstand im Mai 1970. Insofern war diese „militante Geheimorganisation“13 auch eine Art Auffangorganisation. Die maximal 35 Neonazis begannen mit paramilitärischem Training und planten, Anschläge auf führende Politiker auszuführen. Mögliche Ziele wurden auf „schwarzen Listen“ eingetragen.14 Aufgrund der politischen Vergangenheit des neuen Bundeskanzlers und des SPD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Herbert Wehner, gingen sie dabei von einem Vordringen „des Kommunismus“ aus. Speziell im Fokus ihrer Bemühungen stand das bevorstehende Treffen von Bundeskanzler Willy Brandt am 21. Mai 1970 mit dem Ministerpräsidenten der DDR, Willi Stoph. Ein Anschlag auf die Stromversorgung konnte rechtzeitig verhindert werden, da die Mitglieder der EBF einen Tag vor dem geplanten Treffen verhaftet und ihre umfassenden Waffenlager ausgehoben wurden – bekannt wurde dies aber erst nach dem Treffen und wird daher erst im Anschluss an dieses behandelt. Die Auflösung des NPD-Ordnerdienstes schien generell die Tore zu öffnen und bestärkte die Gründung illegaler Gruppen.15 Nun kam es immer wieder zu Zwischenfällen, bei denen die Urheber mindestens in Verbindung zum OD gestanden hatten.16 Es ist wohl nicht übertrieben davon auszugehen, dass dessen ehemaligen Mitglieder „in der Anfangsphase der frühen siebziger Jahre die Basis der entstehenden neonazistischen Gruppen und Organisationen“ stellten.17 Die 10 Conze, Suche, S. 446–448. Siehe auch Schletter, S. 345–352. 11 Gessenharter, S. 45. 12 Für folgende Angaben siehe Gräfe, S. 84–89. Siehe auch Backes, S. 99; Kopke, S. 257; Rabert, S. 233; Röpke / Speit, S. 38; Rosen, S. 51; Stöss, Rechte, S. 160; Virchow, NSU, S. 13. 13 Dudek / Jaschke, S. 293. 14 Vgl. Botsch, S. 62. 15 Für weitere Details siehe Stöss, Rechte, S. 160; Fascher, S. 60. 16 Anfang 1971 wurde z. B. das ehemalige NPD-Mitglied Bernd Hengst zusammen mit dem ehemaligen Vorsitzenden des Nationaldemokratischen Hochschulbundes, Rüdiger Krauss, festgenommen, nachdem bei ihnen in einer zufälligen Polizeikontrolle Waffen gefunden worden waren – auch diese beiden planten Anschläge auf politische Gegner. Vgl. Backes, S. 100. 17 Pfahl-Traughber, S. 79.
242 5. Die neue Ostpolitik und die rechtsradikale Gegenwehr (1970/71) „politisch und historisch bedeutsamste aus der NPD hervorgegangene“ Organisation war die im Herbst 1970 gegründete Aktion Widerstand.18 Zwar war die EBF gerade noch rechtzeitig von ihren Aktionen abgehalten worden, aber der Besuch des Vorsitzenden des Ministerrats der DDR, Willy Stoph, in Kassel entwickelte sich dennoch zu einem Kristallisationspunkt rechtsradikaler Aktivitäten. Auch wenn diese noch nicht offiziell von der Aktion Widerstand koordiniert wurden, gilt dies aus heutiger Perspektive als ihr Auftakt: „Für die Rechte bedeutet Kassel das, was für die Linke einmal die Ostermärsche oder die Antinotstandskampagne waren: der lange gesuchte Anlass sich zu formieren […]“.19 Während Willy Brandt am 19. März 1970 in Erfurt ausgiebig gefeiert wurde, sah sich Willy Stoph bei seinem Gegenbesuch Mitte Mai 1970 in der Bundesrepublik mit einer ihm mehrheitlich feindlich gesonnenen Menge konfrontiert. Die deutsch-deutschen Gespräche wurden nicht nur durch die fehlende Verhandlungsbereitschaft der DDR-Führung erschwert, sondern auch durch den öffentlichkeitswirksamen Auftritt des westdeutschen Rechtsradikalismus. Am Vorabend des 21. Mai kam es in Kassel zu einer ersten Demonstration, an der vor allem junge Rechtsradikale teilnahmen.20 Ein Demonstrant kletterte einen Fahnenmast hoch und riss die DDR-Fahne herunter, andere blockierten die Wagenkolonne des Staatsgastes. Nach einer Kranzniederlegung am Mahnmal für NS-Opfer schnitten Rechtsradikale die Schleifen des Kranzes ab, den Stoph dort abgelegt hatte. Zuvor musste dieser Besuch aufgrund der zahlreichen Demonstranten – sehr zum Ärger der westdeutschen Gastgeber – sogar verschoben werden. Die Polizei war angesichts der Proteste überfordert und es kam wiederholt zu Straßenschlachten. Willy Brandt erläuterte später, dass der „Geruch von Weimar“ in der Luft gelegen hätte.21 Dies ist sicherlich übertrieben, verweist aber auf die Bedrohlichkeit der rechtsradikalen Aktivitäten, auf deren Wirkungsmächtigkeit sowie auf die gesamtgesellschaftliche Polarisierung, die der Regierungswechsel zur SPD und deren neuer Ansatz im Ost-West-Konflikt schufen. Die NPD war an der Wahlurne besiegt, ob die Gesellschaft auch mit exzessiver rechtsradikaler Gewalt erfolgreich umgehen kann, musste sich erst noch zeigen. Die Proteste in Kassel waren für die rechtsradikale Szene ein voller Erfolg. Obwohl sich erste interne Differenzen schnell zeigten, war es ihnen gelungen, in der Öffentlichkeit als starker und geschlossener Akteur aufzutreten.22 Nicht von ungefähr beschrieb die FAZ einen „turbulente[n], ja dramatische[n] Tag“, der 18 Dudek / Jaschke, S. 290. 19 Schönekäs, S. 242. 20 Organisiert wurde diese durch eine Organisation namens Gesamtdeutsche Aktion. Für Informationen zu dieser Demonstration siehe Botsch, S. 62; Hoffmann, NPD, S. 144; Kopke, S. 253. 21 Vgl. Conze, Suche, S. 446–448. 22 Auch Teile der Union – vor allem aus der Jungen Union – hatten sich beteiligt. Vgl. Conze, Suche, S. 446–448. Bezüglich interner Differenzen siehe Schönekäs, S. 242.
5.1. Rechtsterrorismus, Chaos und Widerstand
243
noch lange nachwirken würde.23 „Die Zeit“ nutzte die gleiche Formulierung, beschäftigte sich aber mehr mit der innerdeutschen Perspektive denn mit den Ausschreitungen.24 Sie war zwar keineswegs einverstanden mit den Protesten und bezeichnete diese als „schlimm“ und als „Ärgernis“,25 hielt sich aber ansonsten auffallend zurück. Die Gewerkschaften berichteten über die gewalttätigen Vorfälle ausführlich, als dramatisch wurde die Situation in Kassel letztlich aber auch hier nicht beschrieben. Zwar hätten die Neonazis mit ihrem provokativen Auftreten die „Grenze des politischen Gangstertums“ erreicht,26 aber die Berichterstattung sowohl der „Welt der Arbeit“ als auch der „Metall“ zu den Protesten in Kassel begann mit der Feststellung, dass „die Kommunisten“ viel erfolgreicher darin gewesen seien, ihre Anhänger zu mobilisieren als „ihre rechtsradikalen Pendants“.27 Dennoch hätten sich diese Gruppen dann aber die wohl größte Schlacht nach 1945 geliefert und die WdA gab mit einer „Spur von Genugtuung“ zu, dass die Rechtsradikalen in die Flucht geprügelt worden seien. Demgegenüber wurden die Vorfälle in der „Frankfurter Rundschau“ schnell zum beherrschenden Thema. „Was viele befürchtet […] hatten, am Nachmittag wurde es Realität in Kassel“, erklärte die Zeitung und meinte damit die „offene, streckenweise mit Gewalt ausgetragene Konfrontation zwischen den Rechtsextremen und den Anhängern linker Gruppierungen“.28 Die vielfach veröffentlichten Zusammenfassungen der Ausschreitungen unterlagen allesamt einem erschrockenen Tenor. Die FR hatte Konflikte erwartet, aber die Ausführungen erweckten dennoch einen düsteren Eindruck, der Schlimmes für die Zukunft erwarten ließ. Fast schon in der Form epischer Erzählungen hieß es: „Dem immer wieder ausbrechenden Kampf Mann gegen Mann, dem Krachen der zersplitternden Gegenstände haftete etwas von ‚Chaos im Unterholz‘ an.“29 Erstaunlich ist, dass die gesamte Berichterstattung, bis auf eine Ausnahme im Anschluss an das soeben erwähnte Zitat, ohne deutliche Weimar-Vergleiche auskam, was wohl vor allem dem Wunsch diente, die ohnehin peinliche Situation nicht noch sprachlich anheizen zu wollen. Dennoch waren die bekannten Narrative indirekt durchaus wirkungsmächtig. So sei die Polizei gleichzeitig von zwei extremen Gruppen an23 FAZ, Kassel, einen Tag danach, 23.5.1970, S. 2. 24 Die Zeit, Atempause für Stoph, 29.5.1970; Die Zeit, Der dramatische Tag von Kassel, 29.5.1970. 25 Die Zeit, Satyrspiel, 29.5.1970. 26 WdA, Ein Ja zum Status quo, 29.5.1970, S. 1. 27 WdA, Nach Kassel in die Sackgasse, 29.5.1970, S. 3; Metall, Kassel. Auf der Stelle getreten, 26.5.1970, S. 1. 28 FR, Konfrontation zwischen links und rechts am Mahnmal, 22.5.1970, S. 2. So auch FR, Linke und rechte Extremisten beherrschen die Straße, 22.5.1970, S. 3; FR, Kundgebungen schon am Vorabend des Treffens, 22.5.1970, S. 23; FR, Der Mensch lebt nicht vom Argument allein, 23.5.1970, S. 3. 29 FR, Die Deutschen und ihre Kränze, 23.5.1970, S. 5.
244 5. Die neue Ostpolitik und die rechtsradikale Gegenwehr (1970/71) gegriffen worden und habe sich zwischen zwei Fronten befunden.30 Implizit ist auch totalitarismustheoretisches Denken auszumachen. „Niemals in den letzten Jahren standen sich die deutschen Extremisten der Linken und Rechten so nah, so feindselig und unversöhnlich gegenüber wie in dieser Stunde in Kassel“, erläuterte ein Artikel.31 Ein anderer beschrieb „Schlachtformationen“ der Linken und Rechten auf dem Boden der Bundesrepublik.32 Zwar seien die Linken in der Mehrzahl gewesen, aber der „harte Kern der sich in der Minderheit befindlichen Rechtsextremisten habe genügt, ‚die von beiden Gruppen offensichtlich gesuchte Konfrontation‘ herbeizuführen.“33 Auch wenn die Proteste offiziell gegen die DDR und Willy Stoph gerichtet waren, war der primäre Adressat der Rechtsradikalen doch die westdeutsche Bundesregierung und ihre neue Politik. Beide Regierungen würden gemeinsam den Ausverkauf der deutschen Interessen vorantreiben: „Volksverräter Hand in Hand – Willi Stoph und Willy Brandt“, war ein oft wiederholter Slogan während der Proteste.34 Unabhängig davon war das internationale Medienecho verheerend und speziell die Reaktion der ostdeutschen Presse entsprechend heftig. Die Aktivitäten der jungen Rechten waren hervorragende Munition im Ost-WestKonflikt und in den innerdeutschen Verhandlungen. „Die Zeit“ beschrieb eine Kampagne, mit der die Bundesrepublik „als ein Staat verketzert wird, der von reaktionären und neonazistischen Elementen durchsetzt ist“.35 Generell lässt sich festhalten, dass die erwarteten und dann einige Tage später auch festgestellten Reaktionen im Ostblock, speziell in der DDR, die Darstellung in den untersuchten Berichten maßgeblich beeinflussten und, dass die Publikationen auch direkt auf die dortigen Darstellungen reagierten. Entsprechend dominierte vielfach das Interesse an einer möglichst harmlosen Darstellung, die in Bezug auf den Rechtsradikalismus oftmals eindeutig relativierend und die Bundesrepublik gegenüber der Systemkonkurrenz verteidigend war. Entsprechend beklagte die Gewerkschaftspresse in erster Linie, dass die rechtsradikalen Aktionen der „Ostpresse“ genau die Beweise liefern würden, die sie bräuchten, um die Bundesrepublik als faschistisch darzustellen. „Die Peinlichkeiten von Kassel sind für die Propagandamacher ein gefundenes Fressen, davon werden sie noch lange zehren“, erklärte die „Welt der Arbeit“ und befürchtete, dass diese Vorfälle die Verhandlungsposition der Bundesregierung im innerdeutschen Konflikt stark schwächten.36 Dass Willy Brandt sich mehrfach für die rechtsradikalen Ausschreitungen bei seinem 30 FR, Konfrontation, 22.5.1970, S. 2. 31 FR, Extremisten, 22.5.1970, S. 3. 32 FR, Kränze, 23.5.1970, S. 5. 33 FR, Kasseler OB verteidigt sich, 23.5.1970, S. 2. So auch FR, Schuld liegt bei den Radikalen, 27.5.1970, S. 15. 34 Zit.n. Conze, Suche, S. 446–448. Siehe auch Die Zeit, Kassel, 29.5.1970. 35 Die Zeit, Atempause, 29.5.1970. 36 WdA, Sackgasse, 29.5.1970, S. 3. Siehe auch WdA, Status quo, 29.5.1970, S. 1.
5.1. Rechtsterrorismus, Chaos und Widerstand
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Besucher entschuldigen musste, wurde ebenfalls bitter herausgestellt und betont, dass die Krawallmacher von Kassel keinesfalls repräsentativ für das deutsche Volk seien.37 Alles in allem beklagten die Gewerkschaften, wie auch „Die Zeit“, weniger die rechtsradikale Manifestation an sich, sondern eher deren negative Wirkungen auf die Außenpolitik. „Die Zeit“ betonte, dass die Vorfälle der DDR-Delegation den Vorwand geliefert hätten, jegliche Vereinbarungen abzulehnen, so wie es von vornherein geplant gewesen wäre: „Willy Stoph und seine Genossen waren mit der Absicht nach Kassel gefahren, das Treffen so ausgehen zu lassen, wie es ausgegangen ist [ohne konkrete Ergebnisse]. Aber je entgegenkommender sich Brandt gab, desto schwerer mußte es ihnen fallen, seine Angebote abzulehnen und dies zu begründen. Die Kasseler Pannen haben an diesem Ergebnis nichts geändert, aber sie haben die Taktik der SED erleichtert.“38
Dass die Proteste derartige Auswirkungen auf den Ablauf des Staatsempfanges und damit eine stark schädigende Wirkung nicht nur auf die unmittelbaren Verhandlungen, sondern auf die allgemeinen außenpolitischen Entwicklungen hatten, beunruhigte auch die „Frankfurter Rundschau“.39 Die Vorkommnisse hätten „den ständigen Vorwürfen des DDR-Ministerpräsidenten, der Neofaschismus in der Bundesrepublik werde nicht unter Kontrolle gehalten, plötzlich neues Gewicht gegeben […].“40 In einem anderen Artikel hieß es, dass die DDR neben „der Schablone vom faschistischen Revanchistenstaat“ nun ergänzen könne, dass „[e]in Staat, der nicht einmal in der Lage ist, die Sicherheit seiner Gäste zu garantieren, ein Staat [sei], der nicht fähig ist, zu verhindern, daß Nazi-Rowdies die Fahne des Gastlandes schänden.“41 Die drei jungen Männer, die vor dem Kasseler Tagungshotel die Fahne der DDR heruntergerissen und zerstört hatten, wurden in der FR dann gerade nicht als Rechtsradikale, sondern als vermeintlich unpolitische Jugendliche mit Vertriebenenhintergrund porträtiert. Auch die FAZ vermied jegliche Dramatisierung und betonte stattdessen die Stabilität der Bundesrepublik. Die Rechtsradikalen seien insgesamt trotz der prominenten Redner in einem bescheidenen Rahmen aufgetreten und konnten nur maximal 250 Mann mobilisieren.42 Von einer starken Kraft, so das beschriebene Bild, könne man hier sicherlich nicht ausgehen. Am Mahnmal für die Opfer des Faschismus in Kassel hätten auch Rechtsradikale, jedoch vor allem Anhänger der DKP, derart provoziert, dass die Sicherheit des DDR-Staatsgastes nicht mehr ge-
37 Metall, Kassel, 26.5.1970, S. 1; WdA, Sackgasse, 29.5.1970, S. 3. 38 Die Zeit, Atempause, 29.5.1970. 39 Vgl. z. B. FR, Konfrontation, 22.5.1970, S. 2; FR, Gäste sollen unbehelligt bleiben, 23.5.1970, S. 2. 40 FR, Kranzniederlegung mußte abgesagt werden, 22.5.1970, S. 1f. 41 FR, Mensch, 23.5.1970, S. 3. 42 FAZ, Demonstrationen überbewertet, 23.5.1970, S. 4.
246 5. Die neue Ostpolitik und die rechtsradikale Gegenwehr (1970/71) währleistet gewesen sei.43 Über die Widersprüchlichkeit dieser Aussage sah sie dabei einfach hinweg.44 Auch die Erklärung, dass die „Aktivität der DKP und einiger rechter extremer Gruppen […] Unruhe in das Programm“ brachte,45 beschreibt diese gewünschte Abstufung. An anderer Stelle wurden die Eskalationen mit ähnlicher Tendenz als „Randerscheinungen“ beschrieben.46 Zwar musste die FAZ zugeben, dass „Linke und rechte Extremistengruppen“ das Bild beherrscht hätten, dennoch hinterlässt die Berichterstattung einen verharmlosenden Eindruck.47 Obwohl die FAZ alles unternahm, um die NPD beziehungsweise allgemein den Rechtsradikalismus als weitgehend ungefährlich darzustellen, war sie gegen anderslautende Interpretationen aus dem Ausland machtlos. Sie kritisierte, dass sich beispielsweise das französische Fernsehen in erster Linie für die NPD-Aktivitäten interessierte.48 In mehreren Berichten analysierte auch die FAZ vor allem die Reaktionen in der DDR.49 So habe die Ostberliner Nachrichtenagentur ADN schon vorher mit einer Propagandakampagne gegen die Bundesrepublik und die angeblich schützende staatliche Hand für den bundesdeutschen Rechtsradikalismus begonnen. Die Kasseler Vorfälle wurden dann dort als Beweis für die „ohnehin kaum noch zu überbietende Kampagne gegen angebliche neofaschistische Tendenzen in der Bundesrepublik“ angeführt.50 Sie würden der DDR-Presse vor allem deshalb so gut passen, hieß es im gleichen Artikel, weil die NPD seit ihrer Wahlniederlage bei der Bundestagswahl kaum mehr als Argument tauge: „Denn in dem gleichen Umfang, wie die NPD in der Bundesrepublik ständig an Bedeutung verliert […] sieht sich die SED um ein billiges Propaganda-Argument gebracht. Umso verzerrter werden jene Kasseler Ereignisse und andere Randerscheinungen hochgespielt […].“
Besonders deutlich ist die Abwehrhaltung der FAZ, wenn sie betont, dass „es keinen Orkan in Kassel gegeben [habe], auch wenn uns die Propaganda der DDR 43 FAZ, Besuch am Mahnmal erst abends, 22.5.1970, S. 1. 44 Vgl. zu den Verbindungen zwischen der DDR und der DKP z. B. Hubertus Knabe, Honeckers Millionen für ein Trojanisches Pferd, in: FAZ, 9.10.2008. 45 FAZ, Geringere Erwartungen als bei der Erfurter Begegnung, 22.5.1970, S. 1. 46 FAZ, Kleine Pannen-Nachlese, 23.5.1970, S. 4. 47 FAZ, Erwartungen, 22.5.1970, S. 1. Deutlich wird die Relativierung, wenn die FAZ betonte, dass beide Gruppen sich lediglich gegenseitig niedergeschrien hätten bzw. dass „es an der ‚Nahtstelle‘ der Gesinnungsgegner immer wieder zu Rempeleien und mittelprächtigem Handgemenge kam“. Vgl. ebd.; FAZ, Tumulte am Mahnmal für Opfer des Nationalsozialismus, 22.5.1970, S. 3. 48 FAZ, Franzosen sehen nach Kassel den Dialog am toten Punkt, 23.5.1970, S. 5. 49 FAZ, Schüßler zeigt sich zufrieden, 21.5.1970, S. 4; FAZ, Neues Deutschland. Provokation, 22.5.1970, S. 4; FAZ, Wie sich das Kasseler Treffen im Ost-Berliner Fernsehen ausnahm, 22.5.1970, S. 4; FAZ, Demonstrationen, 23.5.1970, S. 4. 50 FAZ, DDR-Protest gegen Kranzschändung, 25.5.1970, S. 4.
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dies einreden will“.51 Zur Verteidigung griff die Zeitung sogar auf einen Bericht der sowjetischen „Iswestija“ zurück, der ein positives Bild der Bevölkerung zeichnete und lediglich eine kleine Gruppe „neonazistischer und revisionistischer Burschen“ ausmachen wollte, die in der Masse fast untergegangen sei.52 Nur konsequent kritisierte die Zeitung die immense Aufmerksamkeit, welche den Demonstrationen und Protesten gewidmet worden sei, schließlich sei eine große Stimmungsentladung bei dem ersten Besuch einer DDR-Regierungsdelegation in der Bundesrepublik nicht ungewöhnlich.53 Die FAZ beschrieb die Ausschreitungen als normale Folge der aufgestauten Emotionen bezüglich der Entwicklungen in der SBZ beziehungsweise der DDR und insofern vor allem als Reaktion auf den östlichen Kommunismus. Zwar hätten rechte und linke Gruppen einen großen Einfluss auf die Vorkommnisse des Tages genommen, aber wohl ihrem Interesse folgend, die Bundesrepublik als stabilen Staat darzustellen, betonte die FAZ im Fall der Kasseler Vorkommnisse vor allem die Souveränität der Polizei, die „das Heft in der Hand“ behalten habe.54 Die Bundesrepublik wurde zudem als pluralistischer Staat mit funktionierenden Sicherheitsstrukturen beschrieben, dessen radikale politische Ränder kaum Einfluss hätten. Nach einem etwas skeptischeren Intermezzo in den späten sechziger Jahren kehrte die FAZ zu ihrer optimistischen und die staatliche Stabilität postulierenden Haltung zurück. Dass auch die relativierenden Beschreibungen der „Frankfurter Rundschau“ durchaus Absicht gewesen sein könnten, um der DDR-Propaganda eine harmlosere Variante entgegenzuhalten, verdeutlicht folgendes Zitat: „Wir wissen alles natürlich viel besser; wir wissen, daß der Rechtsradikalismus nicht die politisch beherrschende Kraft in der Bundesrepublik ist. Die Wahlergebnisse beweisen das. […] Wir brauchen da gar keine Komplexe haben. Die demokratischen Parteien bestimmen bei uns das Geschehen.“55
Überraschenderweise folgt anschließend die Feststellung, dass einzelne rechtsradikale Vorfälle nicht weiter schlimm und lediglich „der Preis [seien], den wir für unsere Freiheit bezahlen“ müssten. Wenig später zitierte die FR auch aus der Erklärung der Stadtverwaltung Kassel: „Konfliktsituationen, wie sie sich am 21. Mai in Kassel […] ereignet haben, lassen sich in einem freiheitlichen Rechtsstaat nie ganz ausschließen.“56 Die Möglichkeit, den Rechtsradikalismus als ein weiterhin 51 FAZ, Pannen-Nachlese, 23.5.1970, S. 4. 52 FAZ, Moskau. DDR-Delegation freundlich empfangen, 22.5.1970, S. 4. Anschließend näherten sich die Beurteilungen der sowjetischen Presse laut FAZ denen der DDR-Medien aber an. Vgl. FAZ, Moskau. Als Tatsache bedeutsam, 23.5.1970, S. 5. 53 FAZ, Demonstrationen, 23.5.1970, S. 4. 54 FAZ, Besuch, 22.5.1970, S. 1. So auch FAZ, Tumulte, 22.5.1970, S. 3. 55 FR, Mensch, 23.5.1970, S. 3. 56 FR, Schuld, 27.5.1970, S. 15. So auch FR, Polizeiliche Gesichtspunkte schwer durchzusetzen, 27.5.1970, S. 15.
248 5. Die neue Ostpolitik und die rechtsradikale Gegenwehr (1970/71) virulentes Problem herauszustellen, wurde hier, trotz Zweifeln an der zukünftigen Entwicklung der Gesellschaft, zugunsten der außenpolitischen Interessen weitgehend ausgelassen. Die Existenz rechtsradikaler Gruppen wurde nun vielmehr als Argument gegen die politische Situation in der DDR genutzt und dies – sozusagen als besondere Stichelei – mit Rosa Luxemburg legitimiert: „Das Wort von der Freiheit, die immer die Freiheit des Andersdenkenden sein muß, stammt von Rosa Luxemburg. Die Extremisten auf dem linken und rechten Flügel denken nun einmal anders. Sollen sie. Sie dürfen nicht nur denken, sie dürfen es aussprechen, dürfen sich öffentlich dazu bekennen. Die Grenzen setzen einzig und allein die Verfassung und die Gesetze“.57
Aufschlussreich in Bezug auf das Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit ist obendrein die ambivalente Darstellung der Polizei. Es finden sich zwar positive Berichte, aber in erster Linie kritisierte die „Rundschau“, dass diese zahlreiche Fehler begangen, zunehmend nervös und teilweise viel zu zaghaft reagiert habe.58 Sie habe sogar auf „beschämende Weise versagt“.59 Dennoch wurde den rechtfertigenden Erklärungen des Kasseler Polizeipräsidenten sowie der Stadtverwaltung ausführlich Raum gegeben. Deren Erklärung, dass gewisse Ausschreitungen „als Preis der Freiheit“ zuzulassen seien, wurde nicht weiter kommentiert.60 Die FR tendierte grundsätzlich zu einer kritischen Sicht auf die Fähigkeit der Strafverfolgungsbehörden, den Rechtsradikalismus zur Wahrung der Sicherheit einzuengen. Da nun aber die Rechtfertigung der Vorfälle vor dem internationalen Publikum und speziell der DDR unausweichlich wurde, betonte sie vor allem die Freiheit der politischen Betätigung, die man nicht habe einschränken wollen, und versuchte, die Situation in einen Vorteil umzudeuten. Da die Zeitung mit den Kasseler Vorfällen grundsätzlich keinesfalls einverstanden war, liegt der Gedanke nahe, dass dies eine bewusst positive Darstellung zur Beschönigung der Situation war. Dafür, dass es eine weitverbreitete Abwehrreaktion gegen Unterstellungen aus der DDR gegeben hat, spricht, dass auch „Die Zeit“ sich aktiv um Relativierung bemühte. Schließlich sei es „immer noch besser […] wenn ein Staat zu viele und zu wilde Demonstranten als zu viele und wilde Polizisten“ habe.61 Die Provokateure wären ohnehin nur Minderheiten und, speziell am Mahnmal für NS-Opfer, ohnehin vielfach kommunistisch – auch wenn die tätlichen Auseinandersetzungen von Rechtsradikalen initiiert worden seien.62 Diejenigen, die die Fahne der 57 FR, Mensch, 23.5.1970, S. 3. 58 FR, Extremisten, 22.5.1970, S. 3. Für positive Berichte siehe FR, Konfrontation, 22.5.1970, S. 2; FR, Kundgebungen, 22.5.1970, S. 23. 59 FR, Kränze, 23.5.1970, S. 5. 60 FR, Gesichtspunkte, 27.5.1970, S. 15; FR, Schuld, 27.5.1970, S. 15. 61 Die Zeit, Satyrspiel, 29.5.1970. 62 Die Zeit, Kassel, 29.5.1970.
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DDR zerfetzt hatten, bezeichnete „Die Zeit“ als „Deutschlands-Rand-Rabauken, die sich mit televisionärer Hilfe für einen Tag in die Rolle politischer Protagonisten hineinmogelten“, und verzichtete somit auf die Titulierung als Rechtsradikale.63 Interessant ist zudem, dass die Publikationen trotz der grundlegend rechtfertigenden Berichterstattung durchaus auch Kritik übten. Sie zielten dabei aber vor allem auf die westdeutsche Bevölkerung. Die „schweigende Mehrheit schwieg“, konstatierte „Die Zeit“.64 Die „Frankfurter Rundschau“ beklagte, dass die Öffentlichkeit „auf beschämende Weise versagte“, denn die „demokratische Mehrheit war zu Hause geblieben oder stand als sprachlose Menge am Straßenrand“ und habe Kassel „den extremen Kräften überlassen“.65 Doch sogar der Makel, dass zivilgesellschaftliches Engagement in der Bundesrepublik „eben schwach entwickelt“ sei, wurde wenige Tage später, die Propaganda der DDR-Medien lief bereits auf Hochtouren, zu ihrer Verteidigung genutzt: „Warum trotzdem der berühmte ‚Rest von Unbehagen‘ bleibt? Weil die Bürger von Kassel von ihrer Wahlfreiheit Gebrauch machten und sich gemütlich zu Hause am Fernsehschirm alles anschauten und nicht auf die Straße gingen, um die politischen Relationen deutlich zu machen.“66
Parallel zur möglichst unaufgeregten Darstellung der Vorfälle kritisierte auch die FAZ, dass die vermeintlich „normalen“ Bürger zu wenig Präsenz gezeigt hätten. Während die Relativierung des Rechtsradikalismus auf die Stabilisierung der Außenwirkung zielte, richtete sich diese Kritik in erster Linie nach innen. Die FAZ versuchte hier – ähnlich wie die FR – aus der Not eine Tugend zu machen und erklärte die fehlende Bereitschaft der Kasseler Bürger, sich zivilgesellschaftlich zu engagieren, mit den vermeintlichen Einsichten nicht nur in die Notwendigkeit der Gespräche zwischen der Bundesrepublik und der DDR, sondern auch in eine grundsätzliche Toleranz gegenüber Andersdenkenden: „Ist nicht die Zurückhaltung der Mehrheit als Ausdruck einer realistischen, leicht skeptischen, jedenfalls toleranten Einsicht zu bewerten“, fragte ein Artikel und kritisierte dennoch, speziell die in Kassel regierenden Sozialdemokraten und die Gewerkschaften hätten die Straßen leichtfertig „den von auswärts herbeikommenden Minderheiten“ überlassen.67 Dies war ein gängiger Vorwurf in diesen Tagen, gegen den sich speziell die Gewerkschaften entsprechend wehrten. So habe der größte Teil der Bevölkerung die Notwendigkeit von Gesprächen schlicht anerkannt, erklärte die
63 Die Zeit, Satyrspiel, 29.5.1970. 64 Die Zeit, Kassel, 29.5.1970. 65 FR, Kränze, 23.5.1970, S. 5. Ganz ähnlich auch FR, Konfrontation, 22.5.1970, S. 2. 66 FR, Mensch, 23.5.1970, S. 3. 67 FAZ, Demonstrationen, 23.5.1970, S. 4.
250 5. Die neue Ostpolitik und die rechtsradikale Gegenwehr (1970/71) „Welt der Arbeit“ im Gegenzug, und sich daher nicht an den Demonstrationen beteiligt.68 Wie eingangs beschrieben, wurden am Tag vor dem Besuch von Wills Stoph in Kassel die Mitglieder der Europäischen Befreiungsfront verhaftet – öffentlich diskutiert wurde dies aber erst während beziehungsweise im Anschluss an das Treffen von Stoph und Brandt und war insofern sehr eng mit den Gewalterfahrungen von Kassel verbunden. Entsprechend konstatierte zum Beispiel die „Welt der Arbeit“, dass es einzig an der rechtzeitigen Festnahme der Mitglieder der Europäischen Befreiungsfront liege, dass es zu keinen Anschlägen auf Willy Stoph gekommen sei.69 Vor allem die „Frankfurter Rundschau“, die jüdische „Allgemeine“ und die Gewerkschaften erkannten in diesem Zusammenhang eine etwas erhöhte Bedrohung durch den Rechtsradikalismus. Schließlich habe die Europäische Befreiungsfront schon Verbindungen zu früheren SS-Offizieren aufgenommen und geplant, so zum Beispiel die „Allgemeine“, Anschläge auf bundesdeutsche Politiker ausführen.70 Zwar sei sie noch im Aufbau gewesen, ergänzte die FR, aber allein der Plan, eine militante, bewaffnete rechtsradikale Organisation in der Bundesrepublik aufzubauen, die Mordpläne gegenüber Mitgliedern der Bundesregierung habe und terroristische Anschläge im Rahmen der Kasseler Regierungsgespräche verüben wolle, weise in diese Richtung. Insbesondere das junge Alter der Rechtsterroristen deute auf eine potenzielle Bedrohung für die Zukunft hin. Dies verdeutliche, so die Zeitung weiter, „in welch erschreckendem Ausmaß latentes faschistisches Bewusstsein unter der demokratischen Tünche unserer Gesellschaft weiterlebt“.71 Die „Metall“ behandelte die EBF in einem gesonderten Bericht und äußerte ihren Schock darüber, dass es diese „faschistische Mord-Organisation“, die nichts anderes sei als eine Neuauflage des „Feme-Bandenwesens der Weimarer Republik“, überhaupt geben könne.72 Insgesamt aber lässt sich festhalten, dass die Enttarnung der EBF eher ein Randereignis blieb, welches zwar kurzfristig zu eindeutigen Äußerungen führte, aber keine grundlegende Bedrohung signalisierte. Wohl deshalb veröffentlichte „Die Zeit“ keine Beiträge zur Thematik. Entsprechend wenig verwundert es zudem, dass sich auch im „Deutschen Ostdienst“ sowie dem „Arbeitgeber“ gleichfalls keine finden. 68 WdA, Status quo, 29.5.1970, S. 1. 69 Ebd. 70 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Zur Gewaltanwendung entschlossen, 29.5.1970, S. 1. Vgl. für die FR auch FR, Geheimorganisation aufgedeckt, 23.5.1970, S. 2; FR, Hitler-Sprüche am Schreibtisch, 25.5.1970, S. 12. 71 FR, Er will die nationalen Kräfte aufrüsten, 26.5.1970, S. 3. 72 Metall, Weg mit dem Spuk, 9.6.1970, S. 6. Die IG Metall positionierte sich in diesem Bericht energisch als Gegnerin des Rechtsradikalismus. Ihre besondere Radikalität zeigt sich auch in der Veröffentlichung der vollständigen Meldeadressen wichtiger rechtsradikaler Personen in dem Artikel zur EBF – ein implizierter Aufruf zur Stigmatisierung, wenn nicht sogar zur direkten Aktion.
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Passend zur bisherigen – weitgehend unaufgeregten – Linie war die Enttarnung der Europäischen Befreiungsfront selbst in der FAZ zunächst kein wichtiges Thema.73 Erst zwei Tage nach dem Bekanntwerden der Vorfälle findet sich ein ausführlicherer Bericht, der über die Planung von politisch motivierten Mordanschlägen auf Angehörige der Bundesregierung berichtete. Nun allerdings erkannte die Zeitung an, dass „dieser Organisation doch mehr Gewicht beigemessen werden muß, als manche grotesk wirkende Informationen zunächst vermuten ließen“.74 Hätte man die Aktivitäten nicht so frühzeitig unterbinden können, so der Bericht weiter, wäre durchaus eine größere Gefährdung möglich gewesen. Allerdings war davon auszugehen, dass die Enttarnung ein rein bundesrepublikanisches Thema bleiben und somit lange nicht so in den Fokus internationaler Medien geraten würde wie bedeutende Wahlen oder die Vorfälle von Kassel. Zudem hätten die westdeutschen Sicherheitsstrukturen in diesem Fall ihre Fähigkeiten unter Beweis gestellt, was trotz der potenziellen Gefahr in erster Linie die Abwehrfähigkeit des Staates beweise. Trotzdem hatte sich das rechtsradikale Mobilisierungspotenzial und damit einhergehend die Gewaltproblematik eindrucksvoll gezeigt. Die NPD-Führung versuchte, die Radikalisierungsdynamik und den verstärkten Aktionismus unter ihre Kontrolle zu bekommen, um den eigenen Machtverfall auch innerhalb der „Szene“ aufzuhalten, und die neu entstandenen Kräfte zumindest lose an die Partei zu binden.75 Durch eine gestiegene verbale Militanz strebte man danach, die „legalistische[n] NPD-Funktionäre und militante jüngere Aktivisten“ zu vereinen.76 Die „Alten“ versuchten, den Einfluss auf die „Jungen“ nicht vollständig zu verlieren. Um an die Erfolge von Kassel anzuknüpfen, begann die Partei im Juni 1970 mit intensiven Vorarbeiten. In der Zwischenzeit wurde der Moskauer Vertrag im August 1970 verabschiedet und die Gegner sahen alle Befürchtungen bestätigt. Die NPD verbreitete einen „Aufruf zum Widerstand“: „Über alle Parteigrenzen hinweg rufen die Nationaldemokraten auf zum Widerstand gegen den Moskauer Unterwerfungsvertrag. Die NPD appelliert dabei auch an jene Kräfte in anderen Parteien, insbesondere jene in der CDU/CSU und der FDP, die diese Gefahr für Deutschland genauso einschätzen und deswegen bereit sein müssen, dieser Politik gleich uns entschlossenen Widerstand entgegenzusetzen! – Formiert den Widerstand!“77
73 Zunächst findet sich nur eine kurze Meldung, die den terroristischen Charakter der Organisation betonte. Vgl. FAZ, Rechtsradikaler Geheimbund zerschlagen, 23.5.1970, S. 9. 74 FAZ, Mordpläne des Geheimbundes Europäische Befreiungsfront, 25.5.1970, S. 1. 75 Vgl. Stöss, Rechte, S. 142. 76 Dudek / Jaschke, S. 291. Siehe auch Hoffmann, NPD, S. 142; Schönekäs, S. 243. 77 Zit.n. Kopke, S. 254.
252 5. Die neue Ostpolitik und die rechtsradikale Gegenwehr (1970/71) Zusammen mit der Gesamtdeutschen Aktion einigte man sich schließlich Anfang Oktober 1970 auf die Gründung des überparteilichen Vereins Aktion Widerstand. Ziel dieser Sammlung war zunächst der Aufbau einer Volksbewegung, um die neue Ostpolitik angreifen zu können – Blaupause waren die Proteste gegen den Dawes- sowie den Young-Plan Mitte beziehungsweise Ende der zwanziger Jahre.78 Die NPD hoffte, derart ihren Abwärtstrend zu stoppen, und stellte trotz der Beteiligung von 34 Organisationen den größten Teil an Finanzierung und Personal. Nennenswerte Persönlichkeiten aus CDU und CSU, dem rechten Rand der FDP oder aus den Vertriebenenverbänden konnten hingegen nicht gewonnen werden.79 Der neue Verein formulierte einen deutlich antikommunistischen Appell und rief für den 31. Oktober 1970 zur Gründungskundgebung in Würzburg auf, wo sich 3500 bis 4000 Teilnehmer einfanden. Allein die hohe Teilnehmerzahl machte die Versammlung zu einem Erfolg. Verabschiedet wurde neben einigen Resolutionen ein „Manifest des deutschen Widerstandes“, wobei bereits die Veranstaltung immer wieder mit parolenartigen Forderungen („Haut den Roten auf die Pfoten“ und immer wieder „Widerstand“) unterbrochen wurde.80 An dem anschließenden Fackelmarsch durch die Würzburger Innenstadt beteiligten sich – trotz eines Verbotes – tausende Rechtsradikale. Zu ihren Forderungen gehörten: „Willy Brandt – an die Wand“, „Deutsches Land wird nicht verschenkt, eher wird der Brandt gehängt“ oder auch: „Hängt die Verräter“.81 Der Aufzug war nicht nur verbal von Gewalttätigkeiten begleitet, sodass der Bürgermeister der Stadt später erklärte, der „nationalistische Mob“ habe „heute für alle sichtbar, in einer deutschen Großstadt Gewalt und Terror ausgeübt“, wie mehrere Medien zitierten.82 Zu ernsthaften Zwischenfällen kam es allerdings nicht und trotz vereinzelter Gegenproteste reagierte die Würzburger Bevölkerung eher teilnahmslos.83 Interessant ist, dass die Gründungsfeier der Aktion Widerstand nur am Rande beachtet wurde. Eine allgemeine Sensibilisierung für den Rechtsradikalismus war insofern zunächst kaum vorhanden. Dann aber führte vor allem der Fackel78 Vgl. Dudek / Jaschke, S. 290. 79 Prominente Unterstützer waren vor allem die alten Szene-Größen Waldemar Schütz, Peter Kleist und Erich Kernmayr. Auch der Verleger Gerhard Frey sympathisierte, war wohl aus ökonomischer Konkurrenz zu Schütz aber kein offizieller Unterstützer. Vgl. zu mitwirkenden Persönlichkeiten Botsch, S. 62; Hoffmann, NPD, S. 142f.; Kopke, S. 254f.; Linke, S. 14–16. 80 Zit.n. Kopke, S. 255. Vgl. zu den Parolen auch Die Zeit, „Fegt ihn weg, den roten Dreck!“, 5.6.1970; Die Zeit, Der Aufstand des letzten Aufgebots, 13.11.1970. 81 Vgl. Botsch, S. 62; Dudek / Jaschke, S. 292; Hoffmann, NPD, S. 144; Röpke / Speit, S. 37. Siehe auch Die Zeit, Aufstand, 13.11.1970. 82 Vgl. Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Neue rechtsradikale Vereinigung, 6.11.1970, S. 16; FAZ, Bonn verurteilt Aktion Widerstand, 3.11.1970, S. 5; FR, Würzburg schlägt in Bonn Alarm, 2.11.1970, S. 11. 83 Vgl. Hoffmann, NPD, S. 144.
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marsch zu einem sehr negativen Medienecho. Die „Allgemeine“ beschrieb die Aktion Widerstand als gewaltbereite bedrohliche Vereinigung, die sich in Würzburg nicht nur über das Demonstrationsverbot der örtlichen Polizei hinweggesetzt, sondern auch zu Mord aufgerufen habe.84 Die Zeitung ergänzte an anderer Stelle: „In Würzburg gingen vor kurzem Mitglieder der ‚Aktion Widerstand‘ auf die Straße, um ‚Widerstand gegen die selbstmörderische Zerstörung der deutschen Nation und das Lebensrecht unseres Volkes‘ zu leisten, indem sie mit Mordparolen demonstrierten, Andersdenkenden Prügel erteilten und die erste Strophe des Deutschlandliedes anstimmten: ‚Von der Maas bis an die Memel…‘ Die Sprechchöre der Demonstrierenden untermauerten ihre handfesten Absichten: […]‚Fegt ihn weg, den roten Dreck‘, ‚Schlagt die Roten tot‘, ‚Volksverräter‘. Dazu hoben sie die rechte Hand hoch und spreizten drei Finger zum ‚W‘ (=Widerstand) und neuen deutschen Gruß.“85
Auch die Gewerkschaften betonten, dass man den Rechtsradikalismus nach der Niederlage der NPD offenbar unterschätzt habe. Nun betonte die „Metall“, dass man als Lehre der Vergangenheit „dem rechtsradikalen Gesindel nicht entschieden genug entgegentreten kann“, selbst wenn der parlamentarische Niedergang offensichtlich sei.86 Die „Welt der Arbeit“ hingegen gab sich vor allem erstaunt. Nach der Niederlage der NPD hatte sie diese Aktionsfähigkeit trotz der Erfahrungen der letzten Monate offensichtlich nicht mehr erwartet.87 Besonders betont wurde das Gewaltpotenzial der Demonstration. Die Mordaufrufe verdeutlichten, dass es sich um „Terror von rechts“ handele.88 Ein halbes Jahr nach Kassel hatte der DGB erkannt, dass die radikale Rechte erneut mobilisierte, und veröffentlichte drastischere Positionen. Im Dezember 1970 argumentierte ein Bericht in den „Gewerkschaftlichen Monatsheften“, dass es bei der Aktion Widerstand letztlich nicht mehr nur um den Sturz der sozialliberalen Bundesregierung gehe, sondern um die Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.89 Deutliche Kritik an der Rolle der Vertriebenen artikulierte „Die Zeit“ und warf diesen vor, dass sie mit der fehlenden Akzeptanz der Ostpolitik der Regierung Brandt „die Grenze der demokratischen Auseinandersetzung überschritten“ hätten.90 Zudem beschrieb sie die NPD als Motor hinter der Aktion Widerstand, mit der die Partei sich profilieren wolle, seit sie durch Wahlen nichts mehr erreichen könne, und zählte die lange Liste rechtsradikaler Kleinstgruppen auf, die 84 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Vereinigung, 6.11.1970, S. 16; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Appell zur Wachsamkeit, 13.11.1970, S. 1. 85 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Alarmsignale, 13.11.1970, S. 1. 86 Metall, OD. Schlägertruppe des Herrn v. Thadden, 13.10.1970, S. 3. 87 Vgl. WdA, Das waren Brandfackeln in Würzburg, 6.11.1970, S. 4; WdA, Rechtsaußen im Abseits, 16.10.1970, S. 2. 88 WdA, Brandfackeln, 6.11.1970, S. 4. 89 GMH 12 (1970), Eine APO von rechts?, S. 711–714, hier S. 713f. 90 Die Zeit, Dreck, 5.6.1970.
254 5. Die neue Ostpolitik und die rechtsradikale Gegenwehr (1970/71) sich beteiligten.91 Doch selbst wenn diese sich zusammenschließen, so das Fazit der „Zeit“, bleiben sie dennoch die „Sammlung der Reste der radikalen Rechten“ und „niemand sollte sich in Angst und Schrecken versetzen lassen“.92 War die „Frankfurter Rundschau“ im Rahmen der Berichterstattung zu den Vorfällen von Kassel noch primär mit der Relativierung der Ereignisse befasst, wurde sie nun etwas energischer. Zwar rückten der Würzburger Fackelmarsch und die gewalttätigen Ausschreitungen erst mit einigen Tagen Verzögerung in den Blickpunkt der „Rundschau“, dann aber veröffentlichte auch sie die bereits erwähnten Aussagen des Würzburger Oberbürgermeisters ausführlich. Dieser betonte laut FR auch, dass der vorab verbotene Fackelmarsch mit rund eintausend Teilnehmern sogar den „Rechtsstaat und [die] Demokratie“ in Gefahr gebracht habe.93 Vor allem gegen linke Gegendemonstranten sei massiv Gewalt angewendet worden.94 Ein Kommentar der FR führte aus, dass die Ereignisse gezeigt hätten, „daß radikaler Nationalismus zwangsläufig in verbalem und physischem Terror endet“.95 Um die Bedeutung der Vorfälle zu unterstreichen, wurden Weimar-Vergleiche bemüht. So verwies die FR auf den bayerischen SPD-Vorsitzenden Volkmar Garbert, der warnte, dass es „nicht wieder so weit kommen [dürfe], daß die Demokratie an ihrer eigenen Schwäche zugrunde gehe“.96 Die Darstellung der Würzburger Ereignisse unterschied sich insofern deutlich von der Berichterstattung nach Kassel. Eventuell veröffentlichte die FR diese drastischeren Beurteilungen, weil sie gerade keine besonderen Reaktionen im Ausland erwartete und daher nicht mit einem Abwehrreflex reagierte.97 Wahrscheinlicher aber ist, dass dies die Folge der bereits gestiegenen Bedrohungswahrnehmung ist. Im Gegensatz zu den bisher beschriebenen deutlich warnenden Berichten blieb die FAZ ihrer politischen Linie treu und verneinte jegliche Gefahr durch den Rechtsradikalismus. Der Gründungskongress der Aktion Widerstand und der anschließende Fackelmarsch durch Würzburg wurden wenig dramatisch und mit geringem Fokus auf die Gewalttätigkeit dokumentiert. Während die FR betonte, dass die Demonstration verboten gewesen sei, erklärte die FAZ, dass eigentlich ein Besuch einer 200 Mann starken Delegation im Rathaus genehmigt gewesen sei. Dieser Delegation hätten sich dann aber zahlreiche Menschen zu91 Die Zeit, Aufstand, 13.11.1970. 92 Ebd. 93 FR, Würzburg, 2.11.1970, S. 11. So ähnlich auch FR, Brandt nennt Würzburger Zwischenfälle gefährlich, 6.11.1970, S. 1. 94 FR, Wieder NPD-Verbot gefordert, 5.11.1970, S. 4. 95 FR, Würzburg ist überall, 4.11.1970, S. 3. Ergänzend zitierte die FR den SPD-Pressedienst, laut dem die Rechtsradikalen in Würzburg „organisierten Mobil-Terror“ verbreitet hätten. Vgl. FR, Bonn verurteilt Ausschreitungen, 3.11.1970, S. 4. 96 Ebd. 97 Der Gründungskongress der Aktion Widerstand wies im Gegensatz zu einem Staatsbesuch keine unmittelbaren internationalen Bezüge auf. Die Wahrnehmung wurde viel stärker von innenpolitischen Erwägungen geprägt.
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sätzlich angeschlossen, die „zum Teil auf gegendemonstrierende kleine Gruppen, aber auch auf unbeteiligte Passanten einschlugen“.98 Zwar zitierte auch die FAZ anschließend den Würzburger Oberbürgermeister mit seiner Deutung eines „nationalistischen Mobs“, der „Gewalt und Terror“ ausgeübt habe, aber mehr findet sich zu diesem Aspekt in der Berichterstattung nicht. Später hieß es sogar, dass es lediglich einen Verletzten mit Verdacht auf Gehirnerschütterung gegeben habe, der allerdings nach einer Untersuchung im Krankenhaus sofort wieder entlassen worden sei.99 Eine schärfere Darstellung, zitierte sie anschließend Bayerns Innenminister Merk, sei nur als „ullbrichtsche Diktion“ zu betrachten. Überraschenderweise publizierte die FAZ zusätzlich den Hinweis, dass die Aktion Widerstand sich in ihrem Recht auf freie Versammlung und Meinungsäußerung durch das Demonstrationsverbot eingeschränkt gesehen hätte.100 Im Gegensatz dazu verstanden und beschrieben die FR, die „Allgemeine unabhängige jüdische Wochenzeitung“, „Die Zeit“ und die Gewerkschaften die Aktion Widerstand als rechtsradikale und konservative Sammlung gegen die neue Ostpolitik und somit gegen die linksliberale Bundesregierung in Bonn. Auch wenn die Aktion Widerstand wenig erfolgreich darin war, explizit konservative Politiker oder Gruppierungen zur Mitarbeit zu bewegen, nutzten diese Publikationen, wie in den vorausgegangen Fallbeispielen, ihre Möglichkeiten zur umfassenden Kritik an der fehlenden Abgrenzung dieser zum Rechtsradikalismus. Da es, wie „Die Quelle“ argumentierte, allgemein bekanntes Wissen sei, dass nicht die Regierung Brandt diese Gebiete nun preisgebe, sondern dies vielmehr die direkte Folge des Zweiten Weltkrieges sei, könne es nur darum gehen, dieses Thema zum Kampf gegen die sozialliberale Bundesregierung zu nutzen.101 Die Gewerkschaften wollten bei aller Kritik und vorhandener Differenzen die SPD unterstützen, als sie zum ersten Mal seit 1930 wieder einen deutschen Kanzler stellen konnte, der zudem noch das Deutschland verkörperte, welches sich durch Emigration und Widerstand gegen den Nationalsozialismus hervortat.102 Deren „Politik der Vernunft“ hätte nämlich früher oder später auch eine christdemokratische Bundesregierung einleiten müssen.103 Insofern verwandten sie viel Energie auf deren Rechtfertigung. Vor diesem Hintergrund wurde die Aktion Widerstand in einen größeren Zusammenhang gestellt. Sie sei Teil einer Koalition, die von 98 FAZ, Bonn, 3.11.1970, S. 5. 99 FAZ, Bundesregierung verurteilt Radikale links und rechts, 6.11.1970, S. 3. 100 FAZ, Brandt. Nationalistische Abenteuer, 4.11.1970, S. 6. 101 Die Quelle 1 (1971), Blindwütig gegen Politik der Vernunft, S. 10f. 102 Dass nun Gewerkschaftsmitglieder ebenfalls auf der Regierungsbank Platz nahmen, verstärkte die Loyalität der Gewerkschaften gegenüber dem Staat zusätzlich. Vgl. Deppe, Geschichte, S. 585f., 599. Siehe auch Markovits, S. 116. Zur Unterstützung der Gewerkschaften für die SPD siehe auch Sebastian Müller, Der Anbruch des Neoliberalismus. Westdeutschlands wirtschaftspolitischer Wandel in den 1970er-Jahren, Wien 2017, S. 137f. 103 Die Quelle 1 (1971), Blindwütig, S. 10f.
256 5. Die neue Ostpolitik und die rechtsradikale Gegenwehr (1970/71) der Springer-Presse über die Unionsparteien (speziell die CSU) und die Vertriebenenverbände bis hin zum Rechtsradikalismus reiche.104 Nach wie vor fokussierten die Gewerkschaften auf den Graubereich zwischen dem konservativen und dem zweifelsfrei rechtsradikalen Lager. Nicht nur die NPD, sondern eben auch Franz Josef Strauß habe sich an der „nationalistischen Hetze“ beteiligt.105 Dass dieser seine Teilnahme beim Würzburger Gründungskongress lediglich aus Termingründen abgesagt habe, wurde als Beweis für die Bereitschaft der Christsozialen gewertet, mit der rechtsradikalen Szene zusammenzuarbeiten. Die Vorfälle von Kassel seien daher das „logische Ergebnis einer bestimmten, seit Jahren konsequent betriebenen Schulung und Politik.“106 Ein Artikel warnte explizit vor einer Neuauflage der sogenannten „Harzburger Front“ und betonte, dass es den Protest gegen die Ostpolitik sogar noch verschärft habe, dass die Unionsparteien nun in der Opposition seien.107 Dabei sei es politisch äußerst gefährlich, wenn konservative Kräfte mit nationalistischen Parolen auf Stimmenfang gehen: „Seltsam, vor allem seltsam unter Taktikern demokratischer Parteien, daß sie wie bei der Kalkulation von Waren darüber Rechnungen anstellen, wie viele Stimmen sie bei den kommenden Wahlen von der angeblich zerfallenen NPD zu sich herüberziehen. Sind diese Stimmengewinne wirklich so wertvoll, daß man ihnen zuliebe in Versammlungen nationalistische Schlagworte benutzt?“108
Dieser Zusammenschluss von „Unbelehrbaren“ betreibe politischen Wahnsinn – daher auch die Titulierung als „Aktion Wahnsinn“.109 Nach wie vor artikulierte die Gewerkschaftspresse ihre Befürchtungen vor einem engeren Zusammengehen des rechten Unionsrandes, speziell einer bundesweit agierenden CSU, mit der NPD in der Zukunft. Obwohl die Auseinandersetzung mit der Aktion Widerstand sicherlich deren Bekämpfung diente, zielte der Umgang doch primär auf die Absicherung der Entspannungspolitik und der sozialliberalen Koalition. Die „Allgemeine unabhängige jüdische Wochenzeitung“ begriff die Ostpolitik der Regierung Brandt ebenfalls als alternativlos und verdächtigte alle Gegner dieser Politik, zum rechtsradikalen Lager zu gehören. Insgesamt reiche die ablehnende Front von „Kreisen der CDU/CSU bis hin zu radikalen Nationalsozialisten, etwa in der ‚Aktion Oder-Neiße‘, […] im ‚Witiko-Bund‘ und der ‚Aktion Widerstand‘ mit ihrem Vorsitzenden Peter Kleist, dessen Weg als ‚Alter Kämpfer‘ der NS-Zeit unverändert bis in unsere Tage führt […]“.110 Wie in den gewerk104 Ebd.; Metall, Rechtsextreme ApO, 27.10.1970, S. 2. 105 GMH 12 (1970), APO, S. 713. Siehe auch den Cartoon in der Metall vom 10.11.1970, S. 5. 106 WdA, Rechtsaußen, 16.10.1970, S. 2. 107 GMH 12 (1970), APO, S. 712–714. 108 WdA, Brandfackeln, 6.11.1970, S. 4. 109 Die Quelle 1 (1971), Blindwütig, S. 10f. 110 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Alarmsignale, 13.11.1970, S. 1.
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schaftlichen Berichten und der „Zeit“ wurden darüber hinaus die Vertriebenenverbände als ein Hort revanchistischer und potenziell rechtsradikaler Ideen beschrieben: „Diese ‚Führer‘ sind in Wahrheit Verführer: Sie sind weder gute Deutsche noch werden sie je gute Europäer sein können. Sie möchten noch immer den verlorenen Krieg gewinnen, obwohl längst erwiesen ist, daß es da nichts mehr zu gewinnen gibt […]“.111
Die „Frankfurter Rundschau“ kritisierte wiederholt, dass die CSU „in ähnlichen Tönen“ wie die Rechtsradikalen argumentierte, weil sie nicht auf deren Stimmen verzichten wolle.112 Einige Unionspolitiker hätten sich längst freiwillig in die nationalistische Ecke begeben: „Wen wundert es da, daß die […] Rechtsradikalen in Würzburg Solidarität mit der CSU suchten und wen wundert es, daß eine in der Agonie liegende Partei auf den hochputschenden Emotionen mitschwimmen will“.113 Insofern, konstatierte die FR anschließend, seien die Morddrohungen der Würzburger Demonstranten auch das Produkt derjenigen Unionspolitiker, die rechtsradikale Anliegen salonfähig gemacht hätten. Mehrfach finden sich Aussagen wichtiger Politiker, die der CSU, und speziell dem Parteivorsitzenden Franz Josef Strauß, nicht nur eine Mitschuld bei der Bildung der Aktion Widerstand, sondern auch an den gewalttätigen Ausschreitungen unterstellten.114 Die CSU-Regierung würde sich nicht einmal von den Vorfällen und speziell den Mord-Parolen distanzieren, empörte sich die FR.115 Dass konservative Oppositionspolitiker als „Initialzündung für Extremisten wirken“, sei ein Skandal.116 Deutlich zeigte sich hier das Interesse der Rundschau, die konservativen K räfte zu delegitimieren und gleichzeitig die erste sozialdemokratisch geführte Regie rung seit 1930 zu unterstützen. Die FR nutzte die Würzburger Vorfälle zur Prob lematisierung des Rechtsradikalismus, noch wichtiger aber war die Kampagne gegen CDU und CSU, wo die FR zumindest teilweise die eigentliche Gefahr verortete. Die originär rechtsradikalen Gruppierungen seien dagegen vor allem eine Bedrohung für das friedliche Zusammenleben. Sollten die Unionsparteien es nicht schaffen, Franz Josef Strauß und dem ebenfalls vielfach mit nationalistischen Parolen aufgefallenen Baron zu Guttenberg Einhalt zu gebieten, so der Artikel weiter, könnten diese die Rolle der Deutschnationalen der Weimarer Re111 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Schrille Töne, 29.5.1970, S. 2. Siehe auch Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Alarmsignale, 13.11.1970, S. 1. 112 FR, Die Mißverstandenen, 7.11.1970, S. 3. Vgl. auch FR, CSU-Chef Strauß wirbt um die heimatlose Rechte, 27.10.1970, S. 1; FR, Bundestag befasst sich mit Würzburger Vorfällen, 4.11.1970, S. 1; FR, Zwischenfälle, 6.11.1970, S. 1. 113 FR, Würzburg, 4.11.1970, S. 3. Siehe auch FR, Mißverstandenen, 7.11.1970, S. 3. 114 FR, Bonn, 3.11.1970, S. 4; FR, Borm. Strauß drängt NLA zur NPD, 6.11.1970, S. 1; FR, Attentäter Weil wurde gefaßt, 21.11.1970, S. 1. 115 FR, Bundestag, 4.11.1970, S. 1. So auch FR, Mißverstandenen, 7.11.1970, S. 3. 116 FR, Würzburg, 4.11.1970, S. 3.
258 5. Die neue Ostpolitik und die rechtsradikale Gegenwehr (1970/71) publik einnehmen. In Anlehnung an Weimar würde die CDU somit zu einem Steigbügelhalter für eine rechtsradikale Machtübernahme. Derart anklagende Berichte finden sich in der „Zeit“ nicht, dennoch wird auch hier deutlich, für wie zentral die Zeitung eine klarere Abgrenzung rechts-konser vativer Akteure zum Rechtsradikalismus hielt. Dass Strauß, der die Rechtsradikalen durchaus animiert habe, „sein Fehlen mit einer windelweichen Erklärung entschuldigen ließ“, bemerkte auch „Die Zeit“.117 Parallel beschuldigte sie die „Deutsche-Nationalzeitung“ von Gerhard Frey, „Woche für Woche“ zur Hetze aufgerufen zu haben. Während sich die Wahrnehmung und politische Bewertung in diesen Medien insofern relativ ähnlich blieben, war dies im „Deutschen Ostdienst“ des Bundes der Vertriebenen schon allein deshalb anders, weil dieser, wegen der vermeintlichen politischen Nähe zur Aktion Widerstand, heftig attackiert wurde. Im „Deutschen Ostdienst“ finden sich etliche Artikel, die selbst eine deutliche Widerstandsrhetorik nutzten sowie zum Widerstand gegen die Bundesregierung und ihre deutschlandpolitischen Vorstellungen aufriefen: „Widerstand wird jetzt erste Bürgerpflicht!“, hieß es beispielsweise in einem Aufruf des Präsidiums.118 Deutlich zeigt sich hier die verbale Aufrüstung, allerdings findet sich explizit zur Aktion Widerstand kein Artikel. Selbst eine Distanzierung ist im DOD nicht zu finden. Der einzige Bericht zum Treffen von Stoph und Brandt in Kassel erwähnte die dortigen Ausschreitungen nur ganz am Rande und nahm die rechten Demonstranten in Schutz. So sei es bei der „Berichterstattung über die Ereignisse in Kassel sehr einfach [gewesen], jeden Demonstranten, der nicht zu den Kommunisten gehörte, dem rechtsradikalen Lager zuzuteilen. Wer die Aufhebung des Schießbefehls an der ‚innerdeutschen Grenze‘ fordert, muss schon ein Rechtsradikaler sein. Und wer gar gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie ist, der will sicherlich die ganze Welt in ein neues Unglück stürzen. Diese Schlußfolgerung ist schlechthin dümmlich: Schärfstens weisen wir deshalb den Versuch zurück, den Widerstand der Vertriebenen gegen die Ostpolitik der Bundesregierung als undemokratisch zu diffamieren.“119
Der wichtigste Aspekt der Berichterstattung im DOD war die Offenhaltung der Grenzen der Sagbarkeit in Bezug auf die Vertriebenenfrage. Damit zielte der Bund der Vertriebenen weiterhin vor allem darauf, sich vor dem Vorwurf des Rechtsradikalismus zu schützen. Schließlich wurde der BdV mittlerweile immer 117 Die Zeit, Aufstand, 13.11.1970. 118 DOD, Unserer Heimat droht Gefahr, 15.5.1970. Siehe auch DOD, Hochgradige Aktivität, 15.5.1970, S. 8f.; DOD, Hupka für Widerstand, 15.5.1970, S. 9; DOD, Der Widerstand formiert sich, 11.6.1970, S. 1f.; DOD, Starker Widerhall, 11.6.1970, S. 2; DOD, Wortlaut der Ansprache des Präsidenten des Bundes der Vertriebenen, Dr. Herbert Czaja, MdB, bei der Kundgebung am 30. Mai 1970 auf dem Bonner Marktplatz, 11.6.1970, S. 7–10. 119 DOD, Erfurt – Kassel – Canossa?, 29.5.1970.
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stärker aus dem politischen Mainstream ausgegrenzt. In seiner im DOD veröffentlichten Ansprache auf der Großkundgebung gegen die Ostpolitik in Bonn am 30. Mai 1970 forderte der Präsident des BdV, Herbert Czaja, entsprechend, nicht vor diesen Anschuldigungen zu kapitulieren: „Wir lassen uns nicht an den Rand der Gesellschaft, in das Exil der Nation drängen!“120 Die Vertriebenen seien keine „ewig Gestrigen“, sondern böten konstruktive Alternativen und neue Wege für die Politik, so Czaja weiter. Auch die in Kassel öffentlich agierende Deutsche Jugend des Ostens wurde gegen den Vorwurf des Rechtsradikalismus verteidigt: „[Diese habe lediglich] von ihrem demokratischen Recht Gebrauch gemacht und gegen das Auftreten des Repräsentanten eines totalitären Systems auf deutschem Boden demonstriert. Sie hat aber auch klar gemacht, wo sie die Grenzen der Demonstration sieht. So hat sie alle Vorgänge in Kassel verurteilt, die nicht mit ihrem Demokratieverständnis vereinbar sind, z.B. den Flaggenzwischenfall, die Prügeleien am Mahnmal in Kassel, die Steinwürfe gegen das Amerikahaus, die Niederreißung der amerikanischen Flagge.“121
Es ist davon auszugehen, dass die Zeitschrift bei der Verteidigung unabhängiger Vertriebenenstrukturen gleichzeitig stets auf die eigene Rechtfertigung zielte. An anderer Stelle wurde der DOD dann auch deutlicher und verteidigte die eigene Organisation gegen die Vorwürfe, revanchistische Politik zu befürworten beziehungsweise selbst nicht mehr auf dem Boden der Demokratie zu stehen.122 Dies bezog sich vor allem auf entsprechende Äußerungen aus der FDP, die den BdV als rechtsradikal klassifizierten. Deutlich wehrte sich der BdV außerdem gegen die Behauptung, er sei Teil jener „außerparlamentarischer Opposition zum Sturz der Regierung“, die als Reaktion auf die Ostpolitik der sozialliberalen Regierung forciert worden sei.123 Der Vorwurf des Rechtsradikalismus sei nichts weiter als linke Propaganda und komme nahe an die Volksverhetzung heran. Als Urheber der „Verleumdungskampagne“ gegen die Vertriebenen wurde anschließend ein Dreieck des „Linkskartells“ bestehend aus SED/„Neues Deutschland“, „Frankfurter Rundschau“ und Gewerkschaftsbewegung, namentlich der „Welt der Arbeit“, benannt.124 Wenn deren „Demokratieverständnis in unserem Staat politische Praxis wird, wird auch die parlamentarische Demokratie grundsätzlich in Frage gestellt und damit eine Entwicklung eingeleitet, die links- und rechtsradikalen Gruppen Tür und Tor öffnet“, erklärte der DOD anschließend. 120 DOD, Wortlaut, 11.6.1970, S. 7–10. 121 DOD, Die Deutsche Jugend des Ostens. Ein Revanchistenclub?, 6.11.1970, S. 4f. 122 DOD, Gute und schlechte Vertriebene?, 2.10.1970, S. 3; DOD, Wir wissen Bescheid, 27.10.1970, S. 1; DOD, Konzertierte Aktion von Links, 27.10.1970, S. 2f.; DOD, Gegen BdV-Diffamierung, 27.10.1970, S. 8f. 123 Dies könnte zumindest als Bezugspunkt auf die Aktion Widerstand verstanden werden. Da der Artikel sich eher mit der Bundestagsdebatte zum Thema Witiko-Bund auseinandersetzte, ist dieser Bezug aber letztlich nicht eindeutig. Vgl. DOD, Aktion, 27.10.1970, S. 2f.; DOD, BdV-Diffamierung, 27.10.1970, S. 8f. 124 DOD, Jugend, 6.11.1970, S. 4f.
260 5. Die neue Ostpolitik und die rechtsradikale Gegenwehr (1970/71) Im Zusammenhang mit dem Ziel dieser Arbeit kann insofern festgehalten werden, dass der BdV sich und ihm nahestehende Organisationen primär vom Verdacht des Rechtsradikalismus zu befreien versuchte, was ihm immer schlechter gelang, je weniger Einfluss er in der Öffentlichkeit geltend machen konnte und die politische Hegemonie sich nach links verschob.125 Die Radikalisierung vieler Vertriebener seit Mitte der sechziger Jahre wurde öffentlich geleugnet. Die im Vergleich zu eindeutig rechtsradikalen Akteuren oftmals fast gleichlautenden Formulierungen der Vertriebenen-Publizistik verdeutlichen die Nähe. Es scheint fast so, als ob der BdV sich zwar an den Aktivitäten der jungen Rechten nicht beteiligen wollte, aber dem teilweise vorhandenen Beteiligungswillen seiner Mitglieder auch nicht im Weg stehen konnte. Obwohl vielfach explizit betont wurde, dass man „als Deutsche und Demokraten Widerstand leisten“ werde126 oder dass die „Vertriebenen und ihre Verbände einen hervorragenden Beitrag zur Festigung der demokratischen Gesinnung geleistet hätten“127, war die Abgrenzung zum Rechtsradikalismus im DOD nicht eindeutig. Durch die Widerstandsrhetorik und die Verteidigung radikalisierter Vertriebenenstrukturen wurde dies teilweise sogar konterkariert. Die fehlende eindeutige Abgrenzung kann insofern zumindest teilweise als heimliche Sympathie gewertet werden. Andererseits ließen sich größere Teile der Vertriebenenbevölkerung – bei weitem aber nicht alle – von den Unionsparteien wieder integrieren, als deren Oppositionsrolle mit der Übernahme konservativerer aber auch konfrontativerer Positionen einherging.128 Den Ruf eines revanchistischen Verbands mit zum Teil rechtsradikalen Tendenzen konnte der Bund der Vertriebenen aber bis heute nicht mehr vollständig loswerden. Nach Kassel und Würzburg endeten viele weitere Veranstaltungen der Aktion Widerstand ebenfalls mit Gewalt.129 Auch abseits davon gingen die jungen Rechten in der Folgezeit verstärkt gewalttätig vor und politische Gegner wurden immer öfter tätlich angegriffen. Sachbeschädigung – zum Beispiel bei sowjetischen Botschaftsgebäuden oder an DKP- und DGB-Büros – wurde ein regelmäßiges Instrument der Auseinandersetzung. Besonders einschneidend war hier sicherlich der Anschlag auf den sowjetischen Wachsoldaten Iwan Schtscherbak vor dem Ehrenmal in Berlin-Tiergarten am 7. November 1970. Der rechtsradikale Täter, Ekkehard Weil, war zuvor Aktivist in der Europäischen Befreiungsfront. Mehrere Hinweise deuteten auf mögliche Hintermänner, dennoch wurde er von den zuständigen britischen Behörden als „versponnener Einzeltäter“ dargestellt und zudem nach seiner Verurteilung schnell begnadigt.130 125 Vgl. Kossert, S. 182. 126 DOD, Hupka, 15.5.1970. Siehe auch DOD, Auf nach Bonn!, 29.5.1970, S. 1; DOD, Wortlaut, 11.6.1970, S. 7–10. 127 DOD, BdV-Diffamierung, 27.10.1970, S. 8f. 128 Vgl. Stickler, S. 345. 129 Vgl. für Details Backes, S. 99; Botsch, S. 63; Hoffmann, NPD, S. 145; Kopke, S. 257. 130 Vgl. Botsch, S. 62f.; Röpke / Speit, S. 38.
5.1. Rechtsterrorismus, Chaos und Widerstand
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Für die FAZ dominierte nach diesem rechtsterroristischen Anschlag weiterhin die Sorge um die Außenwirkung. Dieser könnte „für Moskau ein Vorwand sein, bei den Botschaftergesprächen über Berlin jegliches Entgegenkommen zu verweigern“ sowie die Propaganda gegen die Bundesrepublik zu intensivieren.131 Die ostdeutschen Zeitungen würden den Vorfall und die spätere Flucht des Täters bereits nutzen, um dem Berliner Senat die Duldung von „faschistischen Terrorgruppen“ im Westteil der Stadt zu unterstellen und gegen eine Verbesserung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion zu instrumentalisieren.132 Auch „Die Zeit“ befürchtete, dass dieser Anschlag die Verhandlungen über Berlin erschweren werde.133 Sie mutmaßte zudem, dass Ekkehard Weil durch das verbreitete „Widerstandsgeschrei“ zur Tat motiviert wurde, und beschrieb ihn als „politischen Überzeugungstäter“ mit rechtsradikalen Verbindungen.134 Auffällig sind hingegen auch im Fall der West-Berliner Schüsse die niedrige Gefährdungsbeurteilung und die geringe Betonung des terroristischen Potenzials des Rechtsradikalismus in der FAZ. Zwar erwähnte die Zeitung früh, dass Ekkehard Weil eine rechtsradikale Vergangenheit hatte,135 sie lehnte eine derartige Einordnung aber trotz der gefundenen Indizien ab und versuchte, die Einzeltäterthese im Gespräch zu halten.136 Dies ging einher mit einer Darstellung des Attentäters als potenziell psychisch krankem „Phantasten“.137 An anderer Stelle erkannte die FAZ einen rechtsradikalen Hintergrund dann aber indirekt doch an und erklärte, dass der Anschlag das Produkt der Radikalisierung der rechten Kräfte insgesamt sei. Sie beschuldigte des Weiteren die Aktion Widerstand als Radikalisierungsstruktur, die mit den Schüssen „ihr wahres Gesicht enthüllt“ habe.138 Dies deutet darauf hin, dass der rechtsradikale Hintergrund vorher bewusst nicht betont wurde.
131 FAZ, Schüsse in Berlin, 9.11.1970, S. 2. 132 FAZ, Der Anschlag belastet Berlin-Verhandlungen, 9.11.1970, S. 5; FAZ, Barzel stellt Geist des Vertrages in Frage, 11.11.1970, S. 6; FAZ, Weil wie ein Verkehrssünder bewacht, 21.11.1970, S. 4. 133 Die Zeit, Schüsse am Ehrenmal, 13.11.1970. 134 Die Zeit, Aufstand, 13.11.1970 bzw. Die Zeit, Schüsse, 13.11.1970. 135 FAZ, Ein Krankenpfleger der Berliner Attentäter?, 9.11.1970, S. 1. 136 Die in Weils Wohnung gefundenen Bilder von Hitler und die Plakate mit nationalistischen Sprüchen wertete die FAZ lediglich als Indizien für eine verwirrte Persönlichkeit und ignorierte die eigentlich naheliegende Erklärung, dass Weil ein rechtsradi kaler Attentäter sei, weitestgehend. Sie wollte zwar nicht ausschließen, dass zumindest bei den Schmierereien weitere Personen beteiligt waren, versuchte aber dennoch, auf einer Alleintäterschaft Weils zu beharren. Zudem wurde dessen eigene Behauptung, ohne Helfer agiert zu haben, verbreitet, ohne auf die mögliche Schutzfunktion dieser Aussage auch nur hinzuweisen. Vgl. FAZ, Krankenpfleger gesteht Anschlag auf Ehrenmal, 10.11.1970, S. 3. Siehe auch FAZ, Anschlag, 9.11.1970, S. 5. 137 FAZ, Krankenpfleger, 9.11.1970, S. 1; FAZ, Ehrenmal, 10.11.1970, S. 3. 138 FAZ, Schüsse, 9.11.1970, S. 2; FAZ, Anschlag, 9.11.1970, S. 5.
262 5. Die neue Ostpolitik und die rechtsradikale Gegenwehr (1970/71) Erst zwei Wochen nach dem Würzburger Gründungskongress der Aktion Widerstand erklärte die FAZ, dass der „Schock […] noch nicht überwunden“ sei.139 Dies folgte aber weniger einer späten Einsicht, sondern war wahrscheinlich vor allem die Folge der sich verbreitenden rechtsterroristischen Aktivitäten: Nicht nur der Anschlag von Ekkehard Weil, sondern auch der unlängst bekanntgewordene starke Anstieg von Attentatsdrohungen gegen Mitglieder der Bundesregierung sowie die Tatsache, dass gerade viele junge Rechtsradikale in der Öffentlichkeit in Erscheinung traten, hatten darauf wohl Einfluss. Neben weiteren Plänen der Aktion Widerstand würden nun viele andere Gruppen zum Aufbau von Widerstandsorganisationen oder zur Zusammenarbeit mit größeren politischen Organisationen wie Vertriebenenverbänden aufrufen, warnte die Zeitung.140 Spät ergibt sich somit doch noch ein leichter Schwenk hin zu einer stärkeren Gefährdungswahrnehmung des Rechtsradikalismus in der FAZ. Allerdings verbreitete die Zeitung weiterhin keine allzu beunruhigenden Nachrichten. Die Strafverfolgungsbehörden hätten grundsätzlich alle rechtsradikalen Gruppen im Blick. Problematisch seien lediglich die „Sorgenkinder“, also „jene Einzelgänger, die impulsiv handeln und deren Aktionen daher unberechenbar sind“.141 Während die FAZ also nach wie vor auf eine relativierende Berichterstattung setzte, die vor allem die internationalen Beziehungen im Blick hatte, zeigte sich der nach Würzburg ohnehin auffällige Wandel hin zu einer stärkeren Bedrohungsartikulation in der „Rundschau“ besonders nach dem Attentat am Ehrenmal in West-Berlin. Bitter kommentierte die FR: „Der Aberglaube an die Gewalt ist in dieser unzulänglichen Welt anscheinend unausrottbar. Jede noch so kleine Gruppe oder Zelle, die von sich glaubt, höhere Ziel zu verfolgen, hält sich für legitimiert, mit dem Leben oder der Gesundheit unschuldiger […] Menschen beliebig umspringen zu können“.142
Als bekannt wurde, dass es seit dem Amtsantritt der sozialliberalen Bundesregierung vermehrt – vermeintlich rechtsradikale – Anschlagsdrohungen gegen Mitglieder der Bundesregierung gebe und verstärkt Widerstandsgruppen aufgebaut würden, wertete auch die FR dies als ein weiteres Indiz für eine Radikalisierung im rechtsradikalen Lager.143 Auch hier wurde betont, das Berliner Attentat würde den Diffamierungskampagnen der DDR erneut hervorragende Munition gegen die Bundesrepublik liefern,144 viel deutlicher noch als nach Würzburg arti139 FAZ, Die Aktion Widerstand hat weitere Pläne, 20.11.1970, S. 3. 140 FAZ, Widerstand, 20.11.1970, S. 3; FAZ, Aktion Widerstand auch in Schleswig-Holstein geplant, 12.11.1970, S. 4. 141 FAZ, Aktion, 20.11.1970, S. 3. 142 FR, Heckenschützen, 9.11.1970, S. 3. 143 FR, Attentäter, 21.11.1970, S. 1. 144 Die östliche Presse habe von „einer groß angelegte[n] Aktion faschistischer Terrorgruppen in West-Berlin“ berichtet und den Behörden unterstellt, bewusst nichts un-
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kulierte die FR nun aber die Bedrohungspotenziale des Rechtsradikalismus. Früh argumentierte sie ferner, dass Ekkehard Weil kein Einzeltäter gewesen sein könne und eine spontane Entscheidung zum Anschlag auszuschließen sei, wie aus dem Zeitpunkt am Tag vor dem 53. Jahrestag der Oktoberrevolution und der präzisen Vorbereitung hervorgehe.145 Sie verwies in diesem Zusammenhang auch auf ein Flugblatt der Europäischen Befreiungsfront. Weil wurde schnell als Rechtsradikaler eingeordnet, der schon früher in entsprechenden Gruppen organisiert gewesen sei und zu Hause zahlreiche Bücher und Devotionalien aus der Nazizeit gehortet sowie ein Hitlerbild und eine Hakenkreuzfahne als Wanddekoration aufgehängt habe.146 Die FR deutete an, dass der Attentäter zudem Sympathisanten in den Strafverfolgungsbehörden selbst gehabt haben könnte – wobei sie mit diesen Ausführungen wohl weniger eine direkte Kooperation, als eine viel zu unsensible, die Bedeutung rechtsterroristischer Taten unterschätzende Polizei zu kritisieren suchte.147 Von einer Schutzfunktion gegenüber staatlichen Stellen oder der Außenwirkung mit Blick auf die internationalen Beziehungen kann insofern nicht mehr gesprochen werden. Dafür versuchte die FR, selbst den Anschlag auf den sowjetischen Wachsoldaten im Berliner Tiergarten als Argument gegen den Rechtsschwenk der Unionsparteien nach der Bundestagswahl 1969 zu nutzen: „Bestimmte politische Verbrechen gedeihen nur in einem bestimmten politischen Klima. So wie das Attentat auf Rudi Dutschke nur in einer bestimmten, bewußt geschürten Hysterie möglich war, so sind auch die Schüsse auf den sowjetischen Wachsoldaten in Berlin nur in einer aufgeputschten Stimmung denkbar. Die maßlose Hetze sich seriös gebender Politiker und Publizisten gegen die Entspannungspolitik der Bundesrepublik hat erst jenen politischen Haß geschürt, in dem geistig Minderbemittelte und politisch Unbedarfte zur Tat schreiten.“148
Trotz ihres rapiden Niedergangs tauchte auch die NPD zunächst weiterhin regelmäßig in den Berichten auf. Äußerungen finden sich zum Beispiel in Berichten über den Gerichtsprozess gegen Klaus Kolley (Vgl. das vorangegangene Kapitel zur Bundestagswahl 1969). Dessen Verurteilung nahm die „Frankfurter Rundschau“ mit Befriedigung auf und beschrieb die NPD nun als weitgehend ungefährlich: „Wie sehr die NPD durch die Wahlniederlage im vergangenen Herbst aus dem Tritt geriet, wie erfreulich unerheblich ihre Rolle im politischen Leben der Bundesrepublik wurde […]“, kommentierte die FR und ordnete die Partei als ternommen zu haben. Die spätere Flucht des Rechtsterroristen habe diesen Umstand nur noch verstärkt. Vgl. FR, Empörung über Schüsse auf Sowjetsoldaten, 9.11.1970, S. 1f.; FR, Skandal, 21.11.1970, S. 3; FR, Die ganze Schwäche des Apparates wurde deutlich, 21.11.1970, S. 3. 145 FR, Empörung. 9.11.1970, S. 1f., FR, Schwäche, 21.11.1970, S. 3. 146 FR, Empörung, 9.11.1970, S. 1f.; FR, Krankenpfleger gesteht Anschlag auf Sowjet-Ehrenmal, 10.11.1970, S. 1. 147 FR, Schwäche, 21.11.1970, S. 3; FR, Skandal, 21.11.1970, S. 3. 148 FR, Heckenschützen, 9.11.1970, S. 3.
264 5. Die neue Ostpolitik und die rechtsradikale Gegenwehr (1970/71) „politische[n] Leichnam“ ein.149 In der Berichterstattung über die Proteste und Ausschreitungen während des Gipfeltreffens von Bundeskanzler Willy Brandt und DDR-Ministerpräsident Willi Stoph in Kassel wurde die NPD dann fast als eine „normale“ Protestgruppe neben anderen behandelt.150 Dies unterstreicht ihre geringe Relevanz in der Wahrnehmung der FR.151 Selbst in der Nachbearbeitung wurden rechtsradikale Gruppen nicht singulär thematisiert, sondern immer in Zusammenhang mit Aktivitäten linksradikaler Gruppen und insbesondere der DKP. Im Spätherbst 1970 artikulierte die FR trotz insgesamt steigender Bedrohungsartikulation weiterhin den Niedergang der NPD und erklärte, dass die Gefahrenpotenziale primär von jungen Neonazis ausgingen. In Hessen sei die Partei „vor lauter Selbstzerfleischung nicht mehr zur Selbstdarstellung gekommen“152 und in der Bedeutungslosigkeit verschwunden.153 Wesentlich skeptischer und warnender als die „Frankfurter Rundschau“ und die Gewerkschaftspresse war die „Allgemeine unabhängige jüdische Wochenzeitung“. Aus ihrer im Angesicht der verbreiteten Radikalisierungstendenzen mittlerweile ohnehin sorgenvollen Betrachtung der Realität ergibt sich die weiterhin ausgeprägte Fokussierung auf die NPD, die trotz ihrer Niederlage 1969 immer noch gefährlich sei. Dass die Partei bei der Wahl in Hessen erneut eine heftige Niederlage einfuhr, stehe dieser Befürchtung nicht entgegen, da die Radikalisierung der Gesellschaft unabhängig davon voranschreite.154 Dass die Partei in der Zukunft wieder Erfolge aufweisen könnte, wurde zumindest angedeutet, obwohl die Versuche, die Bundestagswahl anzufechten, fürs Erste gescheitert waren.155 Berichte über den Strafprozess gegen den Kasseler Schützen Kolley artikulierten gleichfalls Sorgen über die weitere Entwicklung.156 Dass ein Mitglied der Partei eine Waffe mit zu einer Wahlveranstaltung genommen habe, sei nach den Erfahrungen des bislang geführten Wahlkampfes schlicht unverantwortlich und ein Zeichen der Verrohung der politischen Kultur, hieß es erneut warnend. Und 149 FR, Das Urteil von Kassel, 14.5.1970, S. 3. Siehe auch FR, Kolley zu 18 Monaten verurteilt, 14.5.1970, S. 1; FR, Kolley hat Revision eingelegt, 26.5.1970, S. 4. 150 Sie wurde in einem Atemzug mit der DKP, der Jungen Union oder CSU-nahen Gruppen genannt, mit denen sie teilweise auch zusammen protestiert hätte. Vgl. FR, Billy nimmt Willi und Willy ins Gebet, 17.5.1970, S. 3; FR, Bachmann und Thadden kommen, 20.5.1970, S. 2; FR, Extremisten, 22.5.1970, S. 3; FR, Kundgebungen, 22.5.1970, S. 23. 151 Von größerer Bedeutung sei lediglich deren Gegnerschaft zur DKP, weil somit ein turbulentes Zusammentreffen beider Parteien zu erwarten sei. Vgl. FR, Billy, 17.5.1970, S. 3. 152 FR, Vielleicht wird es lauter Sieger geben, 7.11.1970, S. 3. 153 FR, Hessenwahl bestätigt Bonner Koalition, 9.11.1970, S. 1f. 154 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Hessen-Wahl, 13.11.1970, S. 2. 155 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Wahleinspruch abgelehnt, 20.11.1970, S. 16. 156 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Strafantrag gegen Kolley, 8.5.1970, S. 16; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Gefährliche Körperverletzung, 22.5.1970, S. 2.
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selbst wenn die NPD sich nicht erholen werde, sei die Gefahr latent weiterhin vorhanden, denn die CDU als ein „Sammelbecken aller Wähler rechts der Mitte“157 beinhalte eine zusätzliche Gefahr: „Der organisierte Rechtsradikalismus hat zweifellos bei den Bundestagswahlen einen erheblichen Rückschlag erlitten, weil es der NPD nicht gelungen ist, in den Bundestag zu kommen. Immerhin hat sich die Wählerzahl erheblich vergrößert, doch der Mangel an geeigneten ‚Führerpersönlichkeiten‘ blieb. Man sollte sich jedoch nicht darüber täuschen, daß der Rechtsradikalismus in Deutschland ein bedeutendes Potential hat. Eine Verlagerung zu einer anderen Partei, auch zu einer bereits bestehenden, bleibt im Bereich des Möglichen.“158
Wiederum war es vor allem die FAZ, welche die unbekümmertste Beschreibung des Rechtsradikalismus veröffentlichte. Bereits im Vorfeld des Kasseler Gipfeltreffens porträtierte sie die NPD als weitestgehend harmlose Protestgruppe neben anderen. Nüchtern wurden ihre Pläne für den Besuch in einer chronologisch sortierten Aufzählung mit der Jungen Union, den Sowjetzonenflüchtlingen sowie der DKP angegeben.159 In einem Bericht am Tag vor dem Staatsbesuch hieß es schlicht, dass trotz Auftritten der Parteispitze „nur etwa fünfhundert Leute, darunter kaum die Hälfte Parteimitglieder und Anhänger“, nach Kassel gereist seien und es lediglich „zu kleineren Handgemengen“ mit politischen Gegnern gekommen sei.160 Verschwunden vom Beobachtungsradar war die NPD insofern nicht, für die FAZ war diese jedoch deutlich im Abstieg begriffen und schaffte es kaum über positive Meldungen in die Öffentlichkeit.161 Ergebnisse in der Nähe der Sperrklausel traute sie der Partei bei den anstehenden Landtagswahlen in Hessen, Niedersachsen und dem Saarland nicht mehr zu.162 Der Verzicht auf die mündliche Verhandlung bezüglich der Bundestagswahlanfechtung sei „doch für 157 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Hessen-Wahl, 13.11.1970, S. 2. 158 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Die politische Situation in der Bundesrepublik, 29.5.1970, S. 5. 159 FAZ, Schüßler in Kassel. Letzte Inspektion vor dem Treffen, 20.5.1970, S. 4. 160 FAZ, Nur unbedeutende Demonstrationen, 21.5.1970, S. 4. 161 FAZ, Wahlerfolg der FDP in Hessen – Starke Gewinne der CDU, 9.11.1970, S. 1,4. Siehe auch FAZ, Niederlage des Parteivorsitzenden, 6.11.1970, S. 54; FAZ, Bayerischer NPD-Abgeordneter verläßt seine Partei, 7.11.1970, S. 5; FAZ, NPD-Einspruch abgewiesen, 13.11.1970, S. 6. 162 Der „desolate Zustand der Parteiorganisation und die fehlende persönliche Ausstrahlung ihres Parteivorsitzenden ließen es um die rechtsradikale Gruppe sehr still werden.“ In Hessen habe das Ergebnis den „Zerfall“ der Partei offenbart und in Bayern würde sie „Rückzugsgefechte“ führen. Selbst in Niedersachsen, dem einstigen „Stammland“ des Rechtsradikalismus, würde die NPD den Sprung über die Sperrklausel bei den Landtagswahlen nicht schaffen. Vgl. FAZ, Für die Saar-CDU ist Röder Gold wert, 15.5.1970, S. 4; FAZ, Profitiert der kleine Dritte vom Zweikampf der Großen?, 30.5.1970, S. 2; FAZ, Die Wahlkampf-Argumente der CDU, 30.5.1970,
266 5. Die neue Ostpolitik und die rechtsradikale Gegenwehr (1970/71) die innere Verfassung der NPD bezeichnend“.163 Aufgrund ihrer Bedeutungslosigkeit werde niemand „[a]uf die genaue Zahl der ins Leere fallenden Stimmen für die NPD […] noch groß achten“.164 Weiterhin weigerte sich die Zeitung, den Rechtsradikalismus, einmal abgesehen von der Außenwirkung, als ein größeres Problem darzustellen. Während der Bund der Vertriebenen vor allem mit der eigenen Reputation beschäftigt war und die FAZ dem Rechtsradikalismus die Bedrohungspotenziale weitgehend absprach, beschrieben die anderen Medien die Ausbreitung von Gewalt mit mehr oder weniger größerer Sorge. Entsprechend beschrieb die „Allgemeine unabhängige jüdische Wochenzeitung“ den Anschlag des „rechtsradikalen Phantast[en]“ Ekkehard Weil auf einen sowjetischen Wachposten im Berliner Tiergarten als Alarmsignal.165 Die breite Öffentlichkeit lastete die zahlreichen Gewaltvorfälle mehrheitlich der NPD an und die direkten Täter waren tatsächlich oft Mitglieder der Partei. Adolf von Thadden rief immer wieder dazu auf, die Disziplin zu wahren,166 doch er konnte die jungen Rechten nicht mehr erreichen. Schließlich stellte die NPD nicht nur die Finanzierung der Aktion Widerstand ein, sondern kappte alle organisatorischen Zusammenhänge.167 Im März 1971 erklärte sie sogar die Unvereinbarkeit der gleichzeitigen Mitgliedschaft in der Partei und allen militanten Strukturen. Damit war das Ende der Aktion Widerstand besiegelt. Auf einem Parteitag im November 1971 bekräftigte die NPD den Vorrang der Parteiarbeit vor überparteilichen Aktivitäten und gab damit ihren Sammlungsanspruch auf.168 Bei der vorgezogenen Bundestagswahl 1972, die als Abstimmung über die neue Ostpolitik heftig polarisierte, beteiligten sich über 90 Prozent der wahlberechtigten Bundesbürgerinnen und Bundesbürger und entschieden sich fast vollständig gegen jegliche Splitterparteien wie die NPD, die nur noch 0,6 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte. Sie kämpfte in den kommenden Jahren „vor allem mit sich selbst und ihrem Negativ-Image in der politischen Öffentlichkeit“.169
S. 3; FAZ, Zunehmendes Interesse am hessischen Wahlkampf, 24.10.1970, S. 4; FAZ, Gunstgebuhle um des Wählers Stimme, 31.10.1970, S. 39; FAZ, Wirkung der Affäre Geldner ungewiß, 20.11.1970, S. 8. 163 FAZ, Verzicht der NPD auf Wahleinspruchs-Erörterung, 4.6.1970, S. 4. 164 FAZ, München nicht Bonn, 21.11.1970, S. 1. 165 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Demokratische Aktion warnt, 5.6.1970, S. 16. 166 Vgl. Hoffmann, NPD, S. 144. 167 Vgl. Backes, S. 99; Botsch, S. 63; Dudek / Jaschke, S. 292; Kopke, S. 257. 168 Vgl. Stöss, Rechte, S. 142. 169 Dudek / Jaschke, S. 296.
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5.2. Zwischen Toleranz und Sicherheitspolitik Dieses Kapitel verdeutlicht, wie unterschiedlich die Akteure den Rechtsradikalismus bewerteten und wie stark deren Darstellung von dem Interesse abhing, die Außenwirkung der Bundesrepublik zu schützen. Auch zeigt es, wie die Wahrnehmung des Rechtsradikalismus sich durch Gewalteskalation und Terrorismus schnell verändern konnte und diese insofern durchaus von entsprechenden Konjunkturen abhängig ist. So war die Aktion Widerstand für die FR zunächst kein besonders wichtiges Ereignis. Die wenigen Artikel zum Rechtsradikalismus befassten sich vor allem mit der NPD. Mit der Zunahme von Gewalt und Terrorismus stieg dann im Laufe des Jahres 1970 nicht nur das Interesse am nicht parteipolitischen Rechtsradikalismus, sondern auch die zunächst niedrige Gefährdungswahrnehmung. Die von Gewalt geprägten Ausschreitungen in Kassel und Würzburg, die Enttarnung der terroristischen EBF und der Weil-Anschlag in West-Berlin ließen die Zeitung aufhorchen. Interessanterweise nahm die Relevanz der „wehrhaften Demokratie“ parallel ab. Zunächst bedauerte die FR noch, dass es in den späten sechziger Jahren zu keinem entschiedenen Vorgehen mit den klassischen Instrumenten der „wehrhaften Demokratie“ gegen die NPD gekommen war. Das Problem sei schließlich nicht gelöst, denn wer „wollte bezweifeln“, fragte die Zeitung, „daß rechtsextreme Ideen und Gedanken und damit die Gefahr neuerlicher Artikulierung nach wie vor in beträchtlichem Maße existieren und deshalb immer wieder von bedenklicher Aktualität werden können“.170 Von der Nachhaltigkeit des Scheiterns der NPD war die FR zu Beginn des Jahres 1970 keineswegs überzeugt.171 Deren Niederlage bei der Bundestagswahl im Jahr zuvor wirkte sich insofern zunächst kaum auf den geforderten Umgang der Zeitung mit ihr aus. Dieser blieb wegen der vereinzelten Forderungen nach einem NPD-Verbot und der Einschränkung der Versammlungsrechte sicherheitsorientiert. Im Spätherbst 1970 dann artikulierte die FR trotz insgesamt steigender Bedrohungsartikulation den Niedergang der NPD wesentlich deutlicher. Dass die NPD nicht verboten wurde, hielt die FR nun für richtig:
170 FR, Urteil, 14.5.1970, S. 3. 171 Kleinere Vorfälle wie die Bereitschaft eines SPD-Mitglieds, NPD-Wahlkampfplakate zu drucken, wurden daher weiterhin skandalisiert. Vgl. FR, Kritik wegen Geschäften mit der NPD, 26.5.1970, S. 4. Die anhaltende Fokussierung auf die NPD zeigte sich auch in der Betonung der Zusammenhänge von Partei und EBF. Alle festgenommen potenziellen Rechtsterroristen seien Mitglieder oder sogar Funktionäre der Partei gewesen. Vgl. FR, Geheimorganisation, 23.5.1970, S. 2; FR, Hitler-Sprüche, 25.5.1970, S. 12.
268 5. Die neue Ostpolitik und die rechtsradikale Gegenwehr (1970/71) „In den Landtagen wurden die Repräsentanten der Nationaldemokraten als politische Analphabeten entlarvt, die nun der Lächerlichkeit preisgegeben, Mann für Mann aus den Parlamenten demokratisch hinauskatapultiert werden[…] Zur Zeit besteht gewiß keine konkrete Gefahr, daß dieser Staat von der NPD aus den Angeln gehoben wird. Man kann deshalb den Gang zum Bundesverfassungsgericht außer Betracht lassen“.172
Aufschlussreich ist dieses Zitat aber auch durch die Betonung von „zur Zeit“. Weiterhin sei Art. 21 GG, der das Verbot einer Partei regelt, nicht überflüssig, aber seit dem Urteil über die SRP hätten sich die Verschleierungsmethoden derart verfeinert, dass die Anwendung immer schwieriger werde.173 Die NPD blieb weiterhin auf dem Beobachtungsschirm, wie eine Meldung über deren Unfähigkeit zu rationaler Politik sowie die Selbstzerfleischung nach der Wahlniederlage 1969 verdeutlichte.174 Langsam aber stieg die Bereitschaft der „Rundschau“, die mögliche Bedeutungslosigkeit einer rechtsradikalen Struktur anzuerkennen und in diesen Fällen kein Verbot mehr zu fordern. Da man aber mit den Instrumenten der „wehrhaften Demokratie“ kaum gegen einen allgemeinen Rechtsruck der Gesellschaft ankommen könne, sei es umso wichtiger, dass die Strafverfolgungsbehörden konsequenter vorgehen. Angesichts der Radikalisierung, die weit in das konservative Lager hineinreichte, war zudem die Forderung nach eindeutiger Abgrenzung für den Moment wichtiger als ein administratives Vorgehen – zumal die FR betonte, dass Ideologien durch Verbote nicht aussterben: „Würzburg war nur der Auswuchs eines Symptoms, das mit einem Verbot leider nicht hinwegzufegen ist.“175 Insofern blieb die „wehrhafte Demokratie“ nebensächlich, grundlegende Ablehnung erfuhr das Konzept aber weiterhin keineswegs – wie bereits das Wort „leider“ im Zitat suggeriert. Zweifel an deren demokratischer Legitimität artikulierte die „Rundschau“ nach wie vor nicht. Weiterhin begriff sie eine administrative Sicherheitspolitik als sinnvollen Schutz der Demokratie und obwohl sie politische Freiheit als Argument gegen die östliche Propaganda in Stellung brachte, geschah dies keineswegs aus Überzeugung. Da die „Frankfurter Rundschau“ die eigentliche Gefahr zumindest teilweise in den Unionsparteien verortete, konnte eine gestiegene Bedrohungswahrnehmung mit einem weniger auf Repression zielenden Umgang mit dem Rechtsradikalismus zusammengehen, ohne dass sich die grundlegende Deutung veränderte. Die sinkende Sicherheitsorientierung war weniger die Folge eines Umdenkens oder einer gestiegenen Sensibilisierung in Bezug auf das demokratische Dilemma, sondern angesichts des vermeintlich umfassenden Rechtsruckes die Folge einer Verschiebung des Umgangsobjektes von der NPD zu den bürgerlich-konservativen Parteien. Außer172 FR, Würzburg, 4.11.1970, S. 3. Die Forderung, die NPD zu verbieten, findet sich in der FR daher nur noch einmal in Zusammenhang mit dem DGB. Vgl. FR, NPD-Verbot, 5.11.1970, S. 4. 173 FR, Würzburg, 4.11.1970, S. 3. 174 FR, Krach in der Marburger NPD, 7.11.1970, S. 12. 175 FR, Würzburg, 4.11.1970, S. 3.
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gewöhnlich war in diesem Zusammenhang allerdings der wiederum auf Weimar anspielende Hinweis, dass „Kräfte der Wirtschaft“ die Rechtsradikalen finanzieren würden.176 Die dauerhafte Sicherheit der demokratischen Gesellschaft war in ihrer Wahrnehmung nur eingeschränkt gegeben. Fast schon, um sich selbst Mut zu machen, argumentierte der Kommentar weiter, dass die demokratischen Kräfte in der Bundesrepublik nicht mehr so schwach seien, dass sie sich erneut von der „Macht der Finanzbosse in die Flucht schlagen lassen“. Für die gewerkschaftlichen Publikationen war der Rechtsradikalismus – angesichts dessen bisheriger Relevanz – von zunächst überraschend geringem Interesse. Zudem wurde das Attentat von Ekkehard Weil auf den sowjetischen Militärposten in West-Berlin nicht thematisiert. Dies zeigt, dass der Rechtsradikalismus hier Anfang der siebziger Jahre nur ab einem bestimmten diskursiven Niveau thematisiert wurde. Eine Hauptrolle spielte dieser nach dem Scheitern der NPD nicht mehr. Offenbar ging die Gewerkschaftspresse davon aus, dass sich einige rechte Gruppierungen zwar mit Gewalt bemerkbar machten, für eine große Gefahr hielt sie diese dennoch zunächst nicht. Allerdings wurden in den „Gewerkschaftlichen Monatsheften“ Artikel veröffentlicht, die sich mit den Bezügen des Rechtsradikalismus zur Landwirtschaft und den unterschiedlichen Termini in Wissenschaft und Publizistik beschäftigten.177 Dies verweist auf das vorhandene Interesse an der Thematik, welche aber nicht als besonders dringlich erachtet wurde. Die Gewerkschaftspresse blickte weiterhin vor allem auf die NPD, die allerdings langsam an Bedeutung verlor.178 Andere Entwicklungen wurden zunächst nicht wahrgenommen. Im Mai 1970 beschrieben gewerkschaftliche Veröffentlichungen den Rechtsradikalismus daher keineswegs als gefährlich. Sie kritisierten zwar das gewalttätige und terroristische Potenzial der Szene, bewerteten die Vorkommnisse aber in erster Linie als unangenehm und schädlich für die Außenwirkung der Bundesrepublik. Im Spätherbst des Jahres war die kommunizierte Bedrohungswahrnehmung dann aber ambivalenter. Nun erkannte etwa die Hälfte der Artikel eine leichte bis potenziell steigende Gefahr, was vor allem an der nun stärkeren Fokussierung auf den Neonazismus beruhte. Dass die Bedrohungsartikulation in Bezug auf die Aktion Widerstand nach Würzburg anstieg, lässt sich vor allem auf die hier deutlich gewordene umfassende Organisationsfähigkeit zurückführen, welche die Handlungsfähigkeit des Rechtsradikalismus bewies – dies war nach Kassel noch keineswegs so deutlich zu erkennen gewesen und der DGB ließ sich 176 FR, Heckenschützen, 9.11.1970, S. 3. 177 GMH 11 (1970), Neofaschismus und Landwirtschaft in der BRD, S. 680–685; GMH 11 (1970), Rechtsradikalismus, Linksradikalismus, Linksfaschismus. Bemerkungen zu den gängigen Schlagworten, S. 670–679. 178 Die Quelle untersuchte die Aktivitäten der NPD in den zahlreichen Landtagen und konstatierte, dass es um die Partei stiller geworden sei. Vgl. Die Quelle 4 (1970), Ein glatter Versager im Parlament, S. 164–166.
270 5. Die neue Ostpolitik und die rechtsradikale Gegenwehr (1970/71) zunächst von der Niederlage der NPD blenden. Obwohl diese Partei langsam an Bedeutung verlor, überwog das Sicherheitsdenken dennoch weiterhin und folgte der teilweise skeptischen Gesamteinschätzung der Lage. Kritik an der „wehrhaften Demokratie“ findet sich nicht und im Umgang mit der Aktion Widerstand forderten gewerkschaftliche Beiträge vor allem nach den Würzburger Demons trationen eindeutig repressive Reaktionen, speziell deren Verbot.179 Nun hieß es deutlich, dass der Kampf gegen rechts noch nicht zu Ende sei: „Es wird künftig nicht mehr genug damit sein, daß man sagt, die rechtsradikalen Staatsfeinde müßten mit dem Stimmzettel geschlagen werden. Es wird höchste Zeit genau zu prüfen, wo die Toleranz gegen rechte Meinungen innerhalb unserer Demokratie aufhört und wo, laut Grundgesetz, unser Staat und unser Volk das Stoppschild ohne Umleitungsmöglichkeiten setzt. […] Schließlich sollen alle demokratischen Parteien und Organisationen […] klar definieren, was von rechtsaußen an Parolen und Aktionen in unserer politischen Bandbreite der Meinungen nichts zu suchen hat.“180
Besonders gelte dies auch für die Vertriebenenverbände und ihre Untergliederungen, die immer wieder durch besonders nationalistische und revanchistische Töne auffielen.181 Bereits nach der Zerschlagung der Europäischen Befreiungsfront forderte die „Metall“ nicht nur ein Verbot der NPD. Entscheidend sei vielmehr eine administrative Auflösung aller neonazistischen Organisationen in der Bundesrepublik, denn die Ereignisse von Kassel, die regelmäßige Hetze auf Vertriebenenkundgebungen und der Aufbau der EBF seien zusammenhängende Entwicklungen, die eine verstärkte Formierung der Rechten aufzeigen.182 Auch die „Welt der Arbeit“ setzte auf das Verbot der NPD.183 Trotz ihrer Wahlniederlage 1969 blieb diese zunächst die Hauptgegnerin. Parallel forderte „Die Quelle“ ein Verbot der rechtsradikalen „Deutschen Nationalzeitung“, um deren Agitation gegen die Ostpolitik zu verhindern.184 Insofern bewegte sich die Berichterstattung in den bekannten Bahnen. Allerdings kritisierten die „Gewerkschaftlichen Monatshefte“ im November 1970 immer offener die totalitarismustheoretische Deutung der Behörden. Noch zu Beginn der siebziger Jahre war dies ein wirkungsmächtiges Narrativ auch in der Gewerkschaftsbewegung, wie das bereits aufgeführte Zitat zur größten Schlacht von Kommunisten und Rechtsradikalen seit 1945 verdeutlicht.185 Nun wurde diese Deutung immer offener kritisiert: 179 Die Quelle 1 (1971), Blindwütig, S. 10f. 180 WdA, Brandfackeln, 6.11.1970, S. 4. 181 WdA, Rechtsaußen, 16.10.1970, S. 2. 182 Metall, Spuk, 9.6.1970, S. 6. 183 WdA, Status quo, 29.5.1970, S. 1. 184 Die Quelle 1 (1971), Blindwütig, S. 10f. 185 Dies zeigt sich zudem, wenn die Aktion Widerstand als „APO von rechts“ oder als „rechtsextreme ApO“ bezeichnet wurde. Vgl. GMH 12 (1970), APO, S. 711 bzw. Metall, ApO, 27.10.1970, S. 2.
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„Kein Kritiker kann, will er ernst genommen werden, die neue Linke des Faschismus zeihen; die Quellen, aus denen sich die Protestbewegung speist, führen keinesfalls gleiches oder auch nur ähnliches Grundwasser wie der Faschismus. Wenn der Vorwurf dennoch nicht verstummt, so sind daran wohl die in den angewandten Methoden bis zu einem gewissen Grad tatsächlich vergleichbaren, jedoch sekundären Berührungspunkte etwa der direkten Aktionen (Demonstrationen, go-in, sit-in usw.) oder der Anwendung von Gewalt (Steinwürfe) schuld. Daß diese Form der Praxis aber weit eher als eine Spielart anarchistischer Politik bewertet werden muss und keinen Vergleich mit faschistischem Terror zuläßt, ist schon so häufig betont worden […].“186
Schuld am Aufstieg der Rechten in der Weimarer Republik sei zudem keinesfalls die Linke, sondern primär die Schwäche des Staates und der demokratischen Institutionen, denn „offene Türen pflegen gemeinhin nicht mehr eingeschlagen zu werden“, hieß es anschließend. Darüber hinaus wurde die problematische Wirkung des totalitarismustheoretischen Narratives auf den Umgang mit dem Rechtsradikalismus nun aus Gewerkschaftskreisen deutlicher nach außen kommuniziert. Im folgenden Jahr wurden die „Namen der Antidemokraten [gemeint sind die Kommunisten] auf dem Grenzstein der DGB-Satzung getilgt“, was als Voraussetzung für eine langsame Abkehr vom Antitotalitarismus zu einem veränderten Verständnis von Demokratieschutz in der Gewerkschaftsbewegung führen sollte.187 Anschließend ging es nicht mehr primär um die Gegnerschaft zu totalitären Systemen, sondern positiv um die Verteidigung der freiheitlich- demokratischen Grundordnung. Trotzdem blieb totalitarismustheoretisches Vokabular weiterhin im Repertoire, aber die inhaltliche Ausgestaltung des Kampfes gegen die Extreme wurde nun deutlicher auf den Kampf gegen rechts reduziert. Erstmals beschloss der DGB in dieser Phase in Zusammenhang mit einem Kampfprogramm gegen den Rechtsradikalismus eine „antifaschistische Auslegung des Leitbilds von der Einheitsgewerkschaft“.188 Langsam hatte der Antifaschismus in der Gewerkschaftsbewegung wieder Konjunktur. Die „Allgemeine unabhängige jüdische Wochenzeitung“ hatte eine solche Re-Fokussierung auf den Rechtsradikalismus bereits nach 1960 begonnen und wich von ihrer seit den sechziger Jahren skeptischen, vielfach warnenden Haltung auch nach der Niederlage der NPD bei den Bundestagswahlen 1969 nicht ab. Sie griff dabei auch kaum belegte Gerüchte auf, sofern diese andeuteten, dass sich Rechtsradikale sammeln.189 Speziell zur Aktion Widerstand findet sich jedoch wenig. Zwar wurden die Vorfälle in Würzburg in besorgtem Tonfall be186 GMH 11 (1970), Rechtsradikalismus, S. 670–679. 187 Vgl. Wilke, Einheitsgewerkschaft, S. 12, 296f. 188 Ebd., S. 115f., 296f. 189 So versuche Franz Josef Strauß angeblich mit einer Nationalliberalen Aktion unter Einschluss von NPD-Mitgliedern eine rechts-konservative Partei in Abgrenzung zur CDU und als Alternative für eine bundesweite CSU aufzubauen. Vgl. Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Anschlag rechtsgerichteter Kräfte, 23.10.1970, S. 16.
272 5. Die neue Ostpolitik und die rechtsradikale Gegenwehr (1970/71) schrieben, aber überraschenderweise finden sich keinerlei Berichte über die Ausschreitungen von Kassel.190 Dies war wohl die Folge einer unterschiedlichen Gewichtung. Die Kasseler Vorfälle waren eher spontaner Natur und angesichts der Debatte über die Ostpolitik handelte es sich in erster Linie um einen Konflikt mit außenpolitischen Bezügen. Die offizielle Gründung der Aktion Widerstand und die anschließende Demonstration durch Würzburg waren schon wegen der Gewalterlebnisse für die Zeitung viel bedeutsamer. Zudem offenbarten sie die erneuten Sammlungsversuche des Rechtsradikalismus, was die „Allgemeine“ trotz der Wahlniederlage der NPD 1969 offenbar beunruhigte, denn es finden sich in den wenigen Artikeln dieses Fallbeispiels mehrfach Vergleiche mit dem Ende der Weimarer Republik beziehungsweise explizit mit der sogenannten „Harzburger Front“.191 Sie zitierte einen Brief an Bundeskanzler Brandt, in dem unter anderem Ernst Bloch, Helmut Gollwitzer, Erich Kästner und Martin Walser warnten, dass die „heutige Bundesregierung […] die Fehler der Reichsregierung in den Jahren 1929 bis 1932 nicht wiederholen“ dürfe.192 Offensichtlich wirkten die Unsicherheitspotenziale, die insbesondere die Erfolgsphase der NPD hinterlassen hatte, trotz deren Niederlage bei der Bundestagswahl im Jahr zuvor nach. Von einem endgültigen Triumph über den Rechtsradikalismus ging die „Allgemeine“ keineswegs aus. Denn nicht nur die Gewalt, sondern gerade auch das terroristische Potenzial des Rechtsradikalismus führte zu einer weiterhin negativen Einschätzung der Entwicklungschancen der Bundesrepublik. Auch wenn die Polizei im Fall der Europäischen Befreiungsfront noch rechtzeitig einschreiten konnte, wurde die Ausbreitung rechtsradikaler terroristischer Strukturen als einschneidend wahrgenommen. Die Vorfälle in Würzburg, in Berlin und anderswo wurden nur als Spitze des Eisberges gewertet, denn die Anfälligkeit der Deutschen für radikales Gedankengut sei heute noch genauso hoch wie ehedem.193 „Sind die Sitten in diesem Lande tatsächlich schon so verwildert“, fragte die „Allgemeine“ und betonte, dass sich die Bundesrepublik Weimarer Zustände nicht leisten könne.194 Die steigende Radikalisierung könne den Staat immer weiter destabilisieren. An eine nachhaltige Demokratisierung der Bevölkerung glaubte die Zeitung weiterhin nicht. Die Aktion Widerstand würde dies beweisen.195 Nicht nur die weiterhin vorhandene skeptische Sicht auf die Entwicklung der Bundesrepublik, sondern gerade auch die Reaktionsforderungen verdeutlichen 190 Nur in einer kurzen Meldung hieß es, dass Bundeskanzler Willy Brandt sich nach den Kasseler Vorfällen über die NPD erneut informieren wolle. Vgl. Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Brandt und die NPD, 5.6.1970, S. 16. 191 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Aktion, 5.6.1970, S. 16; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Alarmsignale, 13.11.1970, S. 1. 192 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Aktion, 5.6.1970, S. 16. 193 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Alarmsignale, 13.11.1970, S. 1. 194 Ebd.. Siehe auch Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Appell, 13.11.1970, S. 1. 195 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Appell, 13.11.1970, S. 1.
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die Kontinuität des Umgangs in der „Allgemeinen unabhängigen jüdischen Wochenzeitung“. Die Niederlage der NPD bei der Bundestagswahl 1969 hatte keine Auswirkungen auf diesen und er blieb sicherheitsorientiert. Weiterhin forderte auch diese Zeitung ein Verbot der NPD.196 Auf diesen Umgang wollte sie angesichts der pessimistischen Realitätswahrnehmung nicht verzichten, denn die Partei wirke nicht nur als Wahlpartei, sondern sei vor allem eine Keimzelle von Gewalt und terroristischen Aktionen.197 Auch die Forderung nach Einschränkungen rechtsradikaler Demonstrationen weisen auf eine deutliche Sicherheitsorientierung hin. Doch trotz der Zustimmung zu restriktiven Maßnahmen erkannte die „Allgemeine“, dass diese keine nachhaltigen Bekämpfungsmethoden des Rechtsradikalismus sein können. Letztlich, so ein Bericht der Zeitung, könne die Demokratie nicht mit Verordnungen und Gesetzen gesichert werden: „Dazu gehört eine echte Überzeugung, die von breiten Volksschichten getragen und von den politischen Vertretern vorgelebt wird. Mehr Demokratie, mehr Menschlichkeit in der politischen Auseinandersetzung heißt die Forderung, die an alle verantwortlichen Kreise gerichtet werden muss. Keine radikale Ideologie läßt sich verbieten, sondern sie muss von allen Trägern der Gesellschaft in gemeinsamem Handeln zum Verschwinden gebracht werden.“198
Dies ist allerdings keine Ablehnung von Verboten, sondern beschreibt nur deren Unzulänglichkeit. Zweifel an der Legitimität repressiver Umgangsformen zum Schutz der gesellschaftlichen Freiheit gegen den Rechtsradikalismus findet sich in der „Allgemeinen“ nicht. Da Repression allein das Problem aber nicht nachhaltig lösen könne, forderte die Zeitung im Anschluss an das obige Zitat weiterhin die zweifelsfreie Abgrenzung zum Rechtsradikalismus. Sie zitierte Willy Brandt, dass ein eindeutiger „Trennungsstrich gegenüber nationalistischen Abenteurern“ absolut notwendig sei.199 Auch solange eine Regierung unter SPD-Führung als Untergang des Vaterlandes begriffen werde und Gewalt anstelle von Vernunft trete, sei das Land jederzeit gefährdet, wieder ein Erstarken des Rechtsradikalismus 196 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Brandt, 5.6.1970, S. 16; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Aktion, 5.6.1970, S. 16. Auch darauf, dass der Landesbezirk Bayern des DGB ein Verbot der NPD forderte, wies die Allgemeine unabhängige jüdische Wochenzeitung prominent hin, was eine Unterstützung dieses Vorschlags deutlich macht. Vgl. Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Appell, 13.11.1970, S. 1. 197 Dass alle Mitglieder der Europäischen Befreiungsfront aus der Partei stammten und auch die Aktion Widerstand ihr Produkt sei, war für die Allgemeine unabhängige jüdische Wochenzeitung ein deutliches Indiz. Vgl. Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Gewaltanwendung, 29.5.1970, S. 1; Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Vereinigung, 6.11.1970, S. 16. 198 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Alarmsignale, 13.11.1970, S. 1. 199 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Appell, 13.11.1970, S. 1. Siehe auch Allg. unabh. jüd. Wochenztg., IG Metall, Scharfmachern mit aller Entschiedenheit entgegentreten, 20.11.1970, S. 1.
274 5. Die neue Ostpolitik und die rechtsradikale Gegenwehr (1970/71) zu erleben. Die sich, auch vor dem Hintergrund der neuen Ostpolitik, in letzter Zeit ausgebildete Diskussionskultur habe nur dazu geführt, dass Menschen sich zu politischen Gewalttaten bemächtigt fühlten: „Wenn sie die in einer Demokratie notwendigen Auseinandersetzungen zur Sache in demagogische Attacken, in persönliche Beleidigungen, mit einem Wort: in einen erbitterten Kampf gegen die andersdenkende Seite, der ihre ‚Ausschaltung‘ zum Ziel hat, ausarten lassen, braucht sich niemand zu wundern, wenn solche Art der ‚Diskussion‘ in gewissen anfälligen Kreisen des Volkes als negatives Vorbild Schule macht. Es gibt hierzulande noch zu viele Menschen, die zum Zweck der Durchsetzung ihrer politischen Vorstellungen vor demokratieschädlichen Praktiken nicht zurückschrecken“.200
Das ist eine deutliche Kritik nicht nur von CDU und CSU, sondern des gesamten (rechts-)-konservativen Lagers zu Beginn der siebziger Jahre. Insgesamt strebte die „Allgemeine“ eine komplette Neujustierung der politischen Kultur an. Daher müssen alle repressiven Maßnahmen, sofern man Nachhaltigkeit anstrebe, mit einer umfassenden Demokratisierung und einer eindeutigen Ausgrenzung des Rechtsradikalismus verbunden werden. Demgegenüber berichtete die FAZ weitgehend relativierend über den Rechtsradikalismus. Ihre Darstellung war insgesamt unaufgeregt und wenig bedrohlich. Mit Blick auf den Anschlag von Ekkehard Weil, die Würzburger Vorfälle und die EBF gab die FAZ keine völlige Entwarnung, aber insgesamt wurde der Rechtsradikalismus als ungefährlich eingestuft. Deutlicher wies sie hingegen auf die schädigende Wirkung auf Außenpolitik und -darstellung hin. Die geringe Gefährdungswahrnehmung korreliert dabei nicht nur mit dem fehlenden Interesse, die Ursachen des Rechtsradikalismus in den Blick zu nehmen – dieser Aspekt tauchte in den anderen Publikationen auch nur ganz am Rande auf201 –, sondern vor allem mit der fehlenden Thematisierung jeglicher Reaktionsmöglichkeiten. Zwar finden sich Hinweise, dass auch die FAZ die Abgrenzung der Unionsparteien zum Rechtsradikalismus für zu gering erachtete, aber bestimmender waren Appelle, die Würzburger Vorfälle nicht zu dramatisieren – auch wenn die Gewaltausbrüche ernst zu nehmen seien. 200 Allg. unabh. jüd. Wochenztg., Alarmsignale, 13.11.1970, S. 1. 201 Nur in wenigen Fällen betonten z. B. gewerkschaftliche Berichte ein mangelndes demokratisches Bewusstsein in der Gesellschaft oder wurden wirtschaftliche Probleme angesprochen. Entsprechend wurde die Niederlage der NPD 1969 vor allem auf die verbesserte ökonomische Situation zurückgeführt. Vgl. Die Quelle 4 (1970), Versager, S. 164–166. Siehe auch GMH 11 (1970), Neofaschismus, S. 681; GMH 11 (1970), Rechtsradikalismus, S. 676. Die Allgemeine unabhängige jüdische Wochenzeitung betonte lediglich die herausgehobene Stellung der NPD als Kaderschmiede und Kontaktbörse, während die FR vor allem die zu geringe Abgrenzung des Konservatismus zum Rechtsradikalismus unterstrich. In der Wochenzeitung Die Zeit blieb dieser Aspekt ebenfalls randständig.
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Der Umgang der FAZ mit den verschiedenen Varianten des Rechtsradikalismus war insofern zunächst nicht von einem besonders sicherheitsorientierten Denken geprägt – de facto war er relativ tolerant gegenüber den sich formierenden Widerständen gegen die sozialliberale neue Ostpolitik. Aus der geringen Betonung von Bedrohungspotenzialen folgte die geringe Notwendigkeit direkter Reaktionen auf den Rechtsradikalismus. Entsprechende Äußerungen finden sich nur in zitierten Aussagen anderer Akteure. Mit Verweis auf den Würzburger Oberbürgermeister hieß es nach den Vorfällen unkonkret, dass „Maßnahmen der Bundesregierung und der bayerischen Staatsregierung gegen die NPD und die Aktion ‚Widerstand“ […] unerlässlich [seien]“.202 Auch Bundeskanzler Willy Brandt wurde in diesem Sinne angeführt: „Jetzt gehe es darum, daß alle demokratischen und rechtsstaatlichen Kräfte in der Bundesrepublik gemeinsam Front machten gegen Vorgänge, wie sie schon einmal das deutsche Volk ins Verderben gestürzt hätten“.203 Neben diesem auch an anderer Stelle wiederholten204 Verweis auf die NS-Machtübernahme 1933, die eine gewisse Gefährdungsprognose suggerierte, ergab sich hier aber keine bestimmte Reaktionsform abseits der gemeinsamen Aktionen aller Demokraten. Nach dem abgelehnten Einspruch der NPD gegen das Ergebnis der Bundestagswahl 1969 druckte die FAZ sogar den Appell des Vorsitzenden des Wahlprüfungsausschusses des Bundestages an die Innenminister von Bund und Ländern, auch im Fall der NPD „für eine freie und offene politische Willensbildung“ zu sorgen.205 Weiterhin zielte die FAZ auf einen geordneten Meinungskampf ohne Eskalation und ohne die Nutzung der „wehrhaften Demokratie“. Aufgrund der primär rechtsterroristischen, gewalttätigen Manifestation des Rechtsradikalismus spielten zivilgesellschaftliche Reaktionsmöglichkeiten allerdings eine geringere Rolle als noch gegen die NPD. Zudem hatten sich die in den späten sechziger Jahren artikulierten Zweifel bezüglich der staatlichen Stabilität mittlerweile fast vollständig verflüchtigt. Wichtig sei es nun, schlussfolgerte die FAZ, besonnen zu agieren, um den Rechtsradikalen nicht das Gefühl zu geben, dass sie mit ihren Taten Nervosität und Unruhe verbreiten und somit Erfolge erzielen können.206 Eine Relativierung jeglicher Vorfälle, so die daraus abgeleitete Erkenntnis, gleiche einer Aktion gegen Rechtsradikale, da diesen derart die Möglichkeit genommen werde, politisch zu wirken. Dies ist sicherlich nicht völlig falsch, diente aber zugleich als argumentative Absicherung der eigenen Berichterstattung. Der in der FAZ geforderte Umgang zielte insofern kaum auf Repression und dies änderte sich auch nicht, als die Gefährdungswahrnehmung der Zeitung stieg. Da bis dato in ähnlichen Fällen noch sicherheitsorientierte Reflexe 202 FAZ, Bonn, 3.11.1970, S. 5. 203 FAZ, Brandt, 4.11.1970, S. 6. 204 FAZ, Bundesregierung, 6.11.1970, S. 3. 205 FAZ, NPD-Einspruch, 13.11.1970, S. 6. 206 FAZ, Anschlag, 9.11.1970, S. 5.
276 5. Die neue Ostpolitik und die rechtsradikale Gegenwehr (1970/71) auszumachen waren, ergibt sich hier ein gewisser Wandel, der aber nicht so groß ist, als dass er die bisherigen Bahnen der Berichterstattung verließe. Schließlich waren die Sichtweisen der FAZ auf den Umgang mit dem Rechtsradikalismus stets liberaler und nur nach einschneidenden Vorfällen war ihre Berichterstattung sicherheitsorientiert. Früh äußerte sie zudem Zweifel an der demokratischen Legitimität von Repression. Ein leichter Wandel ist allerdings in Bezug auf die gestiegene Toleranz gegenüber den Gruppierungen zu verzeichnen, die sich der Politik der Regierung Brandt friedlich widersetzten – freilich betrachtete die FAZ diese keineswegs als rechtsradikal. Trotz der Relativierungen erkannte allerdings auch die FAZ eine gewisse grundlegende Bedrohung. Diese beruhte allerdings vor allem auf der Wahrnehmung, dass „[a]lle außerparlamentarischen Oppositionen […] Anschläge auf alle Bundesregierungen“ seien.207 Sie bezeichnete die Aktion Widerstand anschließend als „rechte außerparlamentarische Opposition“ und stellte sie mit der linken APO auf eine Stufe. Deutlich zeigt sich hier nicht nur eine Fokussierung auf autoritäre Regierungskonzepte, sondern zudem, dass die FAZ den Umgang mit dem Rechtsradikalismus nach wie vor als einen Umgang mit allen Radikalen verstanden wissen wollte. Parallel zu der Berichterstattung über die Würzburger Vorfälle betonte die Zeitung daher, dass die Bundesregierung „sich auch mit der Tätigkeit linksradikaler Gruppen, wie zum Beispiel der ‚roten Zellen‘ in Berlin“, beschäftige und dass die Grundrechtsordnung „ebenso gegen linksrevolutionäre Tätigkeiten angewandt werden müsse“.208 Eine ungleiche Bedrohung durch links- und rechtsradikale Gruppen erkannte die FAZ lediglich für die Außenwahrnehmung.209 Ihre Berichterstattung zielte letztlich, wie schon im Fallbeispiel zur NPD, weniger auf einen speziellen Umgang mit der Aktion Widerstand als vielmehr allgemein auf den Schutz des Staates und der westdeutschen Demokratie, die sie von linken und rechten Radikalen angegriffen sah: „Alle […] Parteien täten sich und uns einen wichtigen Dienst, wenn sie die Sprache der Gewalttätigkeit rechts außen und links außen so blutig ernst nähmen, wie es werden kann, wenn diese Bewegungen nicht ganz ernst, als gemeinsame Bedrohung verstanden würden.“210
Indirekt zeigt sich hier erneut eine Fokussierung auf die beiden großen Volksparteien, die im Verständnis der FAZ aufhören müssten, sich gegenseitig die Schuld an der Radikalisierung zuzuschieben, sondern beginnen sollten, gemeinsam den Staat zu verteidigen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die teilweise relativierende Berichterstattung über die Würzburger Vorfälle, die sowohl der 207 FAZ, Rechte und linke Apo, 6.11.1970, S. 2. 208 FAZ, Bundesregierung, 6.11.1970, S. 3. 209 Rechtsradikale Manifestationen haben hier besonders negative Auswirkungen, betonte sie nach den Würzburger Vorfällen. Vgl. FAZ, Brandt, 4.11.1970, S. 6. 210 FAZ, Apo, 6.11.1970, S. 2.
5.2. Zwischen Toleranz und Sicherheitspolitik
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Aktion Widerstand die Beachtung, als auch die Unionsparteien aus der Schusslinie nehmen sollte. Dass die FAZ darauf hinwies, dass die bayerische Regierung die gesetzeswidrigen Demonstrationen scharf verurteilt habe, während die FR den Unionsparteien vorwarf, sich nicht deutlich von den Würzburger Vorfällen distanziert zu haben, deutet die Schutzfunktion der FAZ bezüglich der Unionsparteien an.211 Insgesamt zeigt sich, dass die untersuchten Medien den Rechtsradikalismus nach der Niederlage der NPD 1969 zunächst deutlich weniger beachteten. Als rechtsradikale Aktivitäten in der Öffentlichkeit aber erneut zunahmen, befassten sie sich intensiv mit diesen und beteiligten sich an der Debatte über die Einordnung und den Umgang. Lediglich „Der Arbeitgeber“ ist hier wieder einmal als Ausnahme zu nennen. Auch wenn ein Bericht betonte, dass „systemkonträre, extreme Meinungen“ vor allem „auf dem ‚rechten‘ [und] nicht auf dem ‚linken‘ Flügel manifest geworden sind“,212 spielte der Rechtsradikalismus keine weitere Rolle. Ein Artikel, der sich explizit mit der Politisierung der Jugend befasste, kritisierte dann wieder nur ein vermeintlich naives Hinterherlaufen linker Ideologien.213 Ein anderer beklagte unter dem Schlagwort „Gesellschaftspolitik“ entsprechend, dass Anarchismus und Neomarxismus wieder modern wären, ohne die Entwicklung im Neonazismus anzudeuten.214 Dem vermeintlich revolutionären linken Potenzial wurde hier weiterhin das größere Bedrohungspotenzial zugesprochen.215 Die geringe Relevanz des Rechtsradikalismus aus Arbeitgebersicht zeigt sich des Weiteren in einem längeren Artikel zum Besuch von DDR-Ministerpräsident Willy Stoph in Kassel, welcher die dortige Eskalation nicht thematisierte.216 Hier war die Sorge über die vermeintlich fatale Politik der Sozialdemokratie nach wie vor größer. Wahrscheinlich fielen die Aktivitäten in Kassel durch das Radar, weil sie zwar unangenehm, aber keine Gefährdung für den Status quo der sozialen Marktwirtschaft darstellten. An einer grundlosen Skandalisierung rechtsradikaler Aktivitäten hatte die BDA auch 1970/71 kein Interesse. Der Gegner saß weiterhin eindeutig links. Zudem fällt eine Bewertung speziell zur Frage der Positionierung der „Zeit“ im Spannungsverhältnis von Sicherheit und Freiheit schwer. Die Zeitung sparte in ihren Berichten keineswegs mit Kritik an der NPD, den Vertriebenen oder auch Franz Josef Strauß, aber neben der zentralen Rolle verstärkter Abgrenzung 211 FAZ, Brandt, 4.11.1970, S. 6. So auch die von der FAZ zitierte Aussage eines FDPMdB, dass die Kräfte, welche für die Aktion Widerstand verantwortlich seien, nicht wie CDU/CSU im Bundestag vertreten sind. Vgl. FAZ, Die Opposition drängt Brandt zu intensiverer Europapolitik, 7.11.1970, S. 1,4. 212 Der Arbeitgeber 2 (1970), Konservativ aus Trägheit, S. 60f. 213 Der Arbeitgeber 2 (1970), Diese Jugend!, S. 39. 214 Der Arbeitgeber 18 (1970), Die Grenze überschritten, S. 759. 215 Siehe hierzu auch Der Arbeitgeber 21 (1970), Theorie und…, S. 879f. 216 Der Arbeitgeber 11 (1970), Unsicherheit, S. 472f.
278 5. Die neue Ostpolitik und die rechtsradikale Gegenwehr (1970/71) rechts-konservativer Akteure nach ganz rechts finden sich kaum Forderungen zur konkreten Reaktion auf den Rechtsradikalismus. Der Umgang der Zeitung war letztlich liberal in der Methode, zielte dabei aber nicht auf Toleranz gegenüber dem Rechtsradikalismus. So lässt sich abschließend konstatieren, dass die Bewertung des Rechtsradikalismus 1970 umstritten war. Während die Relevanz der Aktion Widerstand damals kontrovers diskutiert wurde und vielfach erst im Laufe des Jahres nach den Ausschreitungen von Würzburg erkannt wurde, ist deren Bedeutung für die weitere Entwicklung des Rechtsradikalismus hingegen nicht zu unterschätzen. Alle zwischen 1969 und 1971 gegründeten neonazistischen Gruppen standen zu ihr in Verbindung. Sie war der letzte halbwegs taugliche Versuch der „nationalen Sammlung“, bevor sich das rechtsradikale Spektrum der Gesellschaft erneut in Kleinstorganisationen aufspaltete.217 Dies zeigt deutlich, dass die NPD-Taktik der Integration radikaler Kräfte gescheitert war. Obendrein hatten die Kampagnen und Aktionen gegen die Ostpolitik eine ganze Generation von Rechtsradikalen weiter radikalisiert, nachdem die NPD sie frustriert aus den Wahlkämpfen der sechziger Jahre entlassen hatte. Nicht zufällig brach anschließend eine Phase besonders gewalttätiger Aktionen an.218 Für viele junge Rechtsradikale war diese Zeit „mit ihren gewalttätigen Demonstrationen und illegalen Aktionen eine Art Schlüsselerlebnis“.219 Die Frustration über die fehlende Möglichkeit parlamentarischer Teilhabe und die konsequente – auch diskursive – Ausgrenzung aus dem demokratischen Konsens verstärkte die ohnehin vorhandenen Gewaltpotenziale um ein Vielfaches.220 Die neonazistischen Gruppen behielten die neuen Aktionsformen bei und entwickelten sie weiter. Die späten sechziger und die frühen siebziger Jahre waren die Geburtsstunde dessen, was man heute unter dem Terminus „Neonazismus“ versteht. Dieser war insofern ein Produkt des „Reizklimas der ideologischen Konfrontation“ dieser Jahre.221 Die dominante Rolle der Parteien ging zu Ende und wurde in den kommenden zwei Dekaden von jugendlich dominierten Strukturen abgelöst. Kaum eine dieser neuen Gruppen passte sich an die diskursiven und strafrechtlichen Grenzen der Bundesrepublik an.222 Militanz und Aktivismus wurden die bevorzugten Mittel politischer Agitation. Insofern ist diese Phase der direkte Vorläufer für die wenig später auftretenden Wehrsportgruppen und die Intensivierung rechtsterroristischer Taten.
217 Vgl. Kopke, S. 249; Stöss, Rechte, S. 160; Pfahl-Traughber, S. 52f. 218 Vgl. Stöss, Rechtsextremismus 2000, S. 152. 219 Kopke, S. 258. So auch Klaus Maler, Das Netzwerk der militanten Neonazis, in: Jens Mecklenburg (Hg.), Handbuch deutscher Rechtsextremismus, Berlin 1996, S. 572– 594, hier S. 573. 220 Vgl. Rabert, S. 242. 221 Vgl. Backes, S. 101. 222 Vgl. Butterwegge, Rechtsextremismus, S. 46; Dudek / Jaschke, S. 179.
6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) Das Jahr 1980 spielt in der Historiografie der Bundesrepublik keine herausragende Rolle. Dennoch müsste es als „das blutigste in der deutschen Nachkriegsgeschichte“1 und als Jahr mit den meisten Toten durch rechtsradikale Täter eigentlich wesentlich stärkere Berücksichtigung finden.2 In der letzten Dekade entwickelte sich ein genuin rechter Terrorismus und dieser sollte als eigenständiges Phänomen untersucht werden,3 obwohl die Auseinandersetzung mit der Roten Armee Fraktion und anderen linksradikalen Gruppen das Geschehen dieser Jahre in jeder Hinsicht dominierte: „Ende der 70er Jahre scheint jedem Staatsschützer, Polizisten, Staatsanwalt und normalen Bürger klar, woher die Gewalt nur kommen kann: von links. So tief sitzt der Schrecken angesichts der von der RAF begangenen Terrorakte, dass eine Gefahr von rechts für die Bundesrepublik nicht gesehen wird.“4
Bereits im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 1977 bezeichnete Innenminister Gerhard Baum (FDP) zahlreiche Waffenfunde als besorgniserregend. Immer öfter wurden seither Waffen- und Sprengstofflager rechtsradikaler Gruppen ausgehoben. Aus dem Neonazismus entwickelte sich im Laufe der siebziger Jahre langsam sowohl ein terroristisches als auch ein immer stärkeres paramilitärisches Element. Neben den Wehrsportgruppen wurden zahlreiche kleine Gruppen aufgebaut, die sich oftmals nach dem Vorbild der linken Revolutionären Zellen organisierten.5 Die Ausstrahlung der TV-Serie „Holocaust“ 1979 entfachte eine regelrechte neonazistische Kampagne und es wurden bereits in diesem Jahr mehr Gewalttaten durch Rechtsradikale registriert als jemals zuvor seit 1945.6 Des Weiteren zündeten Rechtsradikale am 2. August 1980 eine Bombe auf dem Bahnhof im italienischen Bologna und töteten 85 Menschen. Hunderte wurden verletzt. Als Täter wurden nach anfänglicher Verdächtigung linker Gruppen rechte Terroristen der Nuclei Armati Rivoluzionari ausgemacht. Schnell wurde die In1 Jaschke u.a., Hitler, S. 29. 2 Insgesamt starben 1980 nach offiziellen Angaben 18 Menschen durch rechtsradikale Attentate. Vgl. Röpke / Speit, S. 51. 3 Schon allein der Hinweis, dass die rechtsradikalen Terroristen soziologisch betrachtet Angehörige der Unterschicht mit unterdurchschnittlicher Qualifikation waren, sollte dafür sorgen, dass die Entstehung des Rechtsterrorismus nicht als Reaktion auf die Rote Armee Fraktion und andere linke Gruppen gesehen wird. Zudem ist eine Gleichzeitigkeit der Entstehung zeitlich nicht gegeben, wie selbst Uwe Backes zugeben muss. Vgl. Backes, S. 112; Stöss, Rechte, S. 156. 4 Jaschke u.a., Hitler, S. 29. 5 Vgl. Röpke / Speit, S. 41. 6 Für Details siehe Botsch, S. 81; Röpke / Speit, S. 44–57.
280 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) formation verbreitet, dass diese Verbindungen nach Deutschland gehabt hätten. Dies entpuppte sich zwar als bewusst falsch gelegte Fährte italienischer Geheimdienste, ließ aber auch zunächst niemanden in der Bundesrepublik hellhörig werden.7 All dies aber waren deutliche Alarmzeichen für die rechtsterroristischen Aktivitäten des Jahres 1980.8 Diese untersucht das Kapitel exemplarisch zum einen anhand der Hochphase der Deutschen Aktionsgruppen (DAG)9 im August und zum anderen nach dem Anschlag auf das Münchener Oktoberfest am 26. September desselben Jahres. Manfred Roeder, der Kopf der Deutschen Aktionsgruppen, wurde 1929 in Berlin geboren und deutsch-national erzogen.10 Seine schulische Laufbahn absolvierte er in einer National-Politischen-Erziehungsanstalt zur Ausbildung des NS-Führungsnachwuchses und einem der SS zugeordneten Internat. Anfang 1945 meldete sich Roeder freiwillig zum „Volkssturm“ und war an den Kämpfen um Berlin beteiligt. Er holte 1947 sein Abitur nach und begann ein Studium der Germanistik und Philosophie – wechselte dann allerdings schnell zu den Rechtswissenschaften. Nach ein paar Jahren anwaltlicher Tätigkeit und politischen Zwischenstationen bei der Berliner CDU (1965-1970) sowie der evangelischen Kirche verschärften sich seine antiliberalen und rechtsradikalen Einstellungen immer weiter. Eine „Erotikmesse“ im Sommer 1970 in Offenbach versuchte er zunächst juristisch zu verhindern. Als ihm dies nicht gelang, entschloss er sich, Farbbeutel und Buttersäure zu nutzen. Im November 1971 gründete Roeder dann mit Gesinnungsgenossen die Deutsche Bürgerinitiative, deren Führung er übernahm. Er verschickte regelmäßig „Rundbriefe“, die in einer Auflage von 2500 bis 3000 Exemplaren einerseits politische Inhalte enthielten und andererseits um Finanzhilfen baten. Spätestens hier wurde aktive Holocaust-Leugnung Teil seines ideologischen Programms. 1972 dann griff er zusammen mit Thies Chris tophersen, einer Fuhre Mist und Rauchbomben die in seinen Augen „entartete 7 Vgl. Jaschke u. a., Hitler, S. 32. Nach der Enttarnung der geheimen NATO-Pläne für den Fall eines sowjetischen Angriffs Jahre später deutete vieles darauf hin, dass die rechtsradikalen Täter auch im Gladio-Netzwerk operierten. Vgl. zu Gladio Schmidt-Eenboom / Stoll, S. 182, 196, 202. 8 Vgl. bezüglich Alarmzeichen auch Stöss, Rechtsextremismus 2000, S. 152f.; Taler, Skandal, S. 81; Andreas Wirsching, Abschied vom Provisorium 1982–1990, München 2006, S. 416. 9 Hier wurde der Untersuchungszeitraum um vier Wochen verlängert, da die Quellenlage in allen Publikationen sonst zu dünn gewesen wäre. Dies ist zwar ebenfalls aufschlussreich und offenbart deren geringes Interesse, aber durch diese Ausweitung konnte auch die Verhaftung und somit eindeutige Enttarnung der Rechtsterroristen mitberücksichtigt werden. 10 Alle Infos zur Person und politischem Engagement aus Rabert, S. 273–277. Siehe auch Pfahl-Traughber, S. 73f.; Stöss, Rechte, S. 163f.; Strohmaier, S. 7–14. Für einen Überblick über Ideologie und Aktivitäten der Deutschen Aktionsgruppen siehe auch Gräfe, S. 126–142.
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Kunst“ der 5. Documenta in Kassel an. In diese Zeit fiel auch die Gründung des „Reichshofes“ im hessischen Schwarzenborn, den er zu einem nationalen Treffpunkt ausbaute. Auf den hier seit 1975 regelmäßig durchgeführten „Reichstagen“ sollten die Interessen des angeblich nicht untergegangenen Deutschen Reiches vertreten werden. Nach einem Briefwechsel mit Karl Dönitz erklärte er sich zum Reichsverweser – parallel eskalierte das Aktionslevel weiter.11 Zu Beginn des Jahres 1978 entzog er sich einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe durch Flucht ins Ausland. Weil ihm dies als Feigheit ausgelegt wurde und er dort keine nennenswerten Kontakte aufbauen konnte, kehrte er im August 1979 trotz bestehenden Haftbefehls zurück und begann mit dem Aufbau illegaler Strukturen. Die Deutschen Aktionsgruppen waren eine „militante Rassistentruppe“.12 Wichtigste Mitglieder waren neben dem überzeugten Hitler-Anhänger Roeder vor allem Heinz Colditz, Sibylle Vorderbrügge und Raymund Hörnle, die mit der Ausführung von Anschlägen betraut wurden. Roeder selbst war bei diesen nie anwesend.13 Die Rechtsterroristen hofften, durch ihre Angriffe auf Migranten und deren Unterkünfte ein Unsicherheitsklima in der Bundesrepublik zu verbreiten, um dieses anschließend für einen gewaltsamen Umsturz zur Wiedererrichtung des Deutschen Reiches unter Roeders Führung zu nutzen.14 Nachdem andere Rechtsradikale im Januar 1980 in Südtirol mit Mastensprengungen einige Aufmerksamkeit erhalten hatten, beschlossen sie loszuschlagen. Am 21. Februar 1980 kam es zu einem ersten Sprengstoffanschlag auf eine Auschwitz-Ausstellung im Landratsamt Esslingen.15 Kurze Zeit später wurde auch das Wohnhaus des Landrates angegriffen und Roeder bejubelte in seinem „Rundbrief “ das Überschreiten der Gewaltgrenze: „Nach 8 Jahren war der legale Weg ausgeschöpft. […] Der Kampf muss jetzt auf einer anderen Ebene mit noch größerer Entschlossenheit fortgeführt werden, denn wir werden niemals tatenlos zusehen, wenn Deutschland zerstört wird. Entweder werden wir siegen oder untergehen.“16 11 Roeder propagierte stets ein gemeinsames Vorgehen aller Gegner der Bundesrepublik. Um diesem Querfrontdenken Ausdruck zu verleihen, beteiligte er sich beispielsweise mit seinen Anhängern an den Demonstrationen gegen das AKW Brokdorf. Nach Rabert war die Verbrennung eines „Union Jacks“ auf der Bonner Rathaustreppe im Rahmen einer Veranstaltung zur Freilassung von Rudolf Heß am 10. Mai 1977 bewusst darauf ausgerichtet, eine Konfrontation mit der Polizei zu erreichen. Vgl. Rabert, S. 273–277. 12 Röpke / Speit, S. 47. 13 Vgl. Sundermeyer, S. 37. 14 Vgl. Rabert, S. 273. 15 Die Gruppe erklärte: „Hier Deutsche Aktionsgruppen, um 8.03 geht im Landratsamt Esslingen eine Bombe aus Protest gegen die Auschwitz-Ausstellung hoch. Wir haben die antideutsche Hetze satt. Wer dem Zionismus dient, bekommt unsere Maßnahmen zu spüren.“ Zit.n. Rabert, S. 283. 16 Zit.n. Grumke / Wagner, S. 303.
282 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) Um den Eindruck einer großen und starken Organisation beziehungsweise die Beteiligung zahlreicher Gruppen an den Aktivitäten zu erwecken, suchten die Deutschen Aktionsgruppen – wie Jahrzehnte später der NSU – bundesweit nach potenziellen Anschlagszielen.17 Diese Taktik war, zumindest wenn man die Darstellung der Wochenzeitung „Die Zeit“ berücksichtigt, zunächst auch durchaus erfolgreich.18 Der Sprengstoffanschlag vom 27. April 1980 auf die Janusz-Korczak-Schule in Hamburg wurde zum Glück amateurhaft ausgeführt. Zwei Krankenschwestern, welche die viel zu spät gezündete Bombe zufällig fanden, wurden leicht verletzt. Der nächste Anschlag wurde am 30. Juni gegen ein Ausländerwohnheim in Zirndorf in der Nähe von Fürth mit erheblichem Sachschaden ausgeführt. Am 17. August 1980 führten die Rechtsterroristen einen Brandanschlag auf ein Hotel im württembergischen Leinfelden aus, in dem Asylbewerber einquartiert waren. Zwei Bewohner erlitten leichte Brandverletzungen. Nur zehn Tage später attackierten Colditz, Vorderbrügge und Hörnle eine Unterkunft für Asylsuchende in Lörrach. Wiederum nur fünf Tage später kam es am 22. August 1980 zum Anschlag auf die Unterkunft von Flüchtlingen aus Vietnam in Hamburg, nachdem die Täter von der Verlegung einiger Flüchtlinge aus einem Flüchtlingslager bei Fulda nach Hamburg gelesen hatten.19 Insgesamt drei mit Benzin gefüllte Brandsätze wurden durch die Fenster des vierstöckigen, von 211 Flüchtlingen bewohnten Gebäudes am Hafen geworfen. Zwei Vietnamesen, Ngoc Nguyên (22) und Anh Lân Dô (18), starben an ihren Brandverletzungen. Trotz der beiden Todesfälle blieben die Deutschen Aktionsgruppen – die erste „erfolgreiche“ rechtsterroristische Gruppe der Bundesrepublik20 – auch jetzt weitgehend unter dem Aufmerksamkeitsradar der Öffentlichkeit. So hat die „Frankfurter Rundschau“ zu ihren Taten zunächst kaum etwas veröffentlicht.21 Auf den rechtsradikalen Hintergrund der Deutschen Aktionsgruppen fokussierte die Zeitung zudem auffallend wenig.22 Ein kurzer Kommentar betonte die Vor17 Vgl. Rabert, S. 284f. Für detailliertere Informationen zu den Anschlägen der Deutschen Aktionsgruppen siehe außerdem Backes, S. 104; Röpke / Speit, S. 46; Sundermeyer, S. 37; Vinke, S. 69f. 18 Siehe Die Zeit, Das zweite Todesopfer, 5.9.1980. Später korrigierte sich die Zeitung und sprach alle Vorfälle den Deutschen Aktionsgruppen zu. Vgl. Die Zeit, Der Schlag gegen das Roeder-Rudel, 12.9.1980. 19 Das Hamburger Abendblatt berichtete nicht nur von vermeintlicher Überlastung der Stadt und Verärgerung in der Bevölkerung, sondern nannte ebenfalls die Adresse der neuen Unterkunft. 20 Anton Maegerle, Rechtsextreme Gewalt und Terror, in: Grumke / Wagner, S. 159–172, S. 160; Pfahl-Traughber, S. 73f. 21 Im eigentlichen Untersuchungszeitraum finden sich lediglich zwei Artikel zu dem Anschlag in Hamburg und ein Leserbrief. Erst mit der Erweiterung des Untersuchungszeitraums finden sich weitere Berichte. 22 Ein solcher wurde trotz der an die Wand gemalten Parole „Ausländer raus“ lediglich „vermutet“. Auch bezüglich des Sprengstoffanschlages in Lörrach erkannte sie nur
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hersehbarkeit der Anschläge,23 insgesamt verdeutlicht dieser Abschnitt dennoch vor allem die geringe Bedeutung des Rechtsradikalismus für die FR zu diesem Zeitpunkt.24 Dafür spricht auch, dass die FR nach dem Anschlag im italienischen Bologna schnell den dortigen rechtsradikalen Tathintergrund hervorhob, diesen aber keineswegs dazu nutzte, um auf rechtsradikale Entwicklungen in der Bundesrepublik hinzuweisen.25 Rechtsterrorismus wurde in erster Linie als ein italienisches Problem beschrieben, schließlich gehörten entsprechende Anschläge dort „schon seit den sechziger Jahren zu bevorzugten Aktionen neofaschistischer Untergrundorganisationen“.26 Die FAZ hingegen berichtete über die Anschläge der Deutschen Aktionsgruppen und andere rechtsradikale Aktivitäten etwas ausführlicher, aber Rechtsradikalismus und Rechtsterrorismus waren auch hier zunächst keine herausragenden Themen. Zwar stieg die zunächst noch geringe Gefährdungswahrnehmung nach der Enttarnung der Deutschen Aktionsgruppen und insbesondere dem Oktoberfest-Attentat deutlich an und die FAZ sah die Rechtsradikalen erneut auf dem Vormarsch, zunächst aber betonte die Zeitung, dass der Rechtsradikalismus „weiter an Boden verloren“ habe.27 Die Anschläge im italienischen Bologna Anfang August nutzte sie deshalb gleichfalls nicht dazu, auf bundesdeutsche rechtsradikale Organisationen zu verweisen.28 Auch über die Taten der Deutschen Aktionsgruppen erfährt man in ihren Berichten zunächst nur sehr wenig. Die FAZ veröffentlichte eine kurze Meldung zum Sprengstoffattentat in Lörrach, betonte aber vor allem die Ablehnung rechtsradikaler Taten und Ideen durch die Bevöl„Anhaltspunkte“ für einen rechtsradikalen Hintergrund. Vgl. FR, Tödlicher Brandanschlag auf Asylanten-Wohnheim, 23.8.1980, S. 1f. 23 „Wer Augen hat“, heißt es hier, der „sieht schon seit Wochen, wie sich auf Brettern und an Hauswänden neben den Parolen aus dem terroristischen RAF-Umfeld jene reaktionäre Aggression breitmacht, die meist mit zwei Worten auskommt: ‚Ausländer raus.‘“ Vgl. FR, Die Spitze des Eisbergs, 23.8.1980, S. 3. 24 Eine besondere Warnung vor dem Rechtsterrorismus findet sich daher nicht. Lediglich in einem kurzen, wenig prominent platzierten Bericht greift die FR die Warnungen des sozialdemokratischen MdB Karl Liedtke auf, dass das BKA „neue Anschläge erheblicher Dimension nicht ausschließen“ könne, auch wenn die Sicherheitsorgane keine konkreten Erkenntnisse über unmittelbar bevorstehende terroristische Aktionen hätten. Vgl. FR, Terroristen geht das Geld aus, 2.9.1980, S. 4. 25 So wurde ein sogenannter „Euro-Terrorismus“ als potenzieller Drahtzieher erwähnt, aber weder genauer ausgeführt noch besonders hervorgehoben. Vgl. FR, Suche nach der schwarzen Spur, 5.8.1980, S. 3. Siehe auch FR, Rechtsradikale als Attentäter vermutet, 4.8.1980, S. 1f.; FR, Im Hintergrund. Schon häufig Bomben, 4.8.1980, S. 2; FR, Blindwütiger Terror, 4.8.1980, S. 3. 26 FR, Bomben, 4.8.1980, S. 2. Siehe auch FR, Terror. 4.8.1980, S. 3; FR, Suche, 5.8.1980, S. 3. 27 FAZ, Dregger. Sicherheit nur durch die Union, 14.8.1980, S. 4. 28 Vgl. FAZ, Entsetzen in Italien nach dem Bombenanschlag von Bologna, 4.8.1980, S. 1f.; FAZ, Der Terror der Rechtsextremisten, 5.8.1980, S. 2.
284 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) kerung.29 Zu möglichen Tätern finden sich hier keine Hinweise. Erst nach dem Anschlag von Hamburg hieß es, dass in Lörrach „rechtsextreme Kreise als Täter in Frage kommen“.30 Allerdings erklärte die FAZ, wie die FR, an gleicher Stelle in Bezug auf Hamburg, dass die Motive der Täter nicht bekannt seien. Demgegenüber betonte „Die Zeit“ den rechtsradikalen Hintergrund der Täter und verwies darauf, dass diese die Parole „Ausländer raus“ an der Hausfassade hinterlassen hätten.31 Zwar ging sie zunächst von mehreren Gruppierungen aus, die unabhängig von einander agierten, an deren politischer Gesinnung zweifelte sie dabei aber nicht.32 Im Gegensatz zu den Frankfurter Tageszeitungen skandalisierte „Die Zeit“ zudem die nachlässige Arbeit der Strafverfolgungsbehörden, denn „gegen gewalttätige Rechtsextremisten wurde bisher zu wenig getan, und was jetzt geschieht, geschieht zu spät“.33 Dahinter hätte, so der Bericht weiter, vor allem die Einstellung der Beamten gelegen, welche die „rechten Extremisten schlicht für harmloser als die linken“ gehalten hätten. In diese Richtung zielte auch die gewerkschaftliche „Metall“, die problematisierte, dass die Strafverfolgungsbehörden gegen die rechtsradikale Szene – speziell ihre terroristischen Teile – zu wenig unternehme: „Sind die Bundesanwaltschaft, der Verfassungsschutz und zahlreiche Polizeibehörden auf dem rechten Auge blind? Man könnte zu dieser Auffassung kommen, denn jahrelang wurden Morddrohungen, Pogromhetze und die sich vor aller Augen formierenden Gewalttäter der Neonazi-Szene bagatellisiert, während linke Buchläden, Gewerkschaftsdemonstrationen oder der gewaltlose Protest gegen Kernenergie bevorzugte Objekte von Durchsuchungen, Behinderungen und ‚Observationen‘ waren“.34
Mit dem Hinweis, dass in Deutschland schon einmal eine Republik an der „Einäugigkeit ihrer Justiz zugrunde“ ging, gab die „Metall“ dem Ganzen zudem eine betont zuspitzende Dramatik.35 Auffällig ist aber, dass lediglich die „Metall“ gewerkschaftliche Artikel zu dieser Thematik publizierte. Sie berichtete zumindest kurz über den Anschlag auf die Asylbewerberunterkunft in Hamburg. Als Täter wurden trotz der, wie bereits erwähnt, vor Ort gefundenen eindeutigen Indi zien wie dem Schriftzug „Ausländer raus“ aber selbst hier zunächst „Unbekann29 FAZ, Sprengstoffanschlag auf äthiopische Asylanten, 18.8.1980, S. 4. 30 FAZ, Brandanschlag auf Ausländerwohnheim, 23.8.1980, S. 5. 31 Die Zeit, Sie haben wieder Angst, 29.8.1980. 32 Die Zeit, Erst mußte einer sterben, 29.8.1980; Die Zeit, Todesopfer, 5.9.1980; Die Zeit, Schlag, 12.9.1980. 33 Die Zeit, Erst mußte einer sterben, 29.8.1980. Siehe für Kritik an der Polizei auch Die Zeit, Todesopfer, 5.9.1980. 34 Metall, Das rechte Auge endlich öffnen, 17.9.1980, S. 4. 35 Vorher wurden bereits die Verfassungsschutzbehörden kritisiert, die nichts zum Schutze der ausländischen Mitbürger unternähmen. Dies sei angesichts der SS-Vergangenheit der wichtigsten Personen in den Aufbaujahren allerdings wenig verwunderlich. Vgl. Metall, Absage an Feindlichkeit, 8.10.1980, S. 4.
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te“ angegeben.36 In einem weiteren Artikel zwei Wochen später benannte die „Metall“ dann die Deutschen Aktionsgruppen als Täter und beschrieb diese als „terroristische Vereinigung“.37 Interessanterweise fokussierte der erste Artikel vor allem auf die vermeintliche Vorgeschichte der Tat: Die „National-Zeitung“ habe permanent gegen die Flüchtlingsaufnahme agitiert und eine Lösung der „Ausländerfrage“ gefordert. Das „Hamburger Abendblatt“ habe dann die A dresse der Flüchtlingsunterkunft veröffentlicht und darauf hingewiesen, dass dort aus Frankfurt abgeschobene „Zigeuner und Asylbewerber“ einquartiert werden sollten. Die „Metall“ versuchte mit dieser Darstellung die Mitschuld beider Zeitungen zu belegen. Für den Ausländerhass in der Bundesrepublik sei schließlich auch die bürgerliche Presse verantwortlich.38 Derartiges findet sich in den anderen Publikationen nicht. Lediglich „Die Zeit“ kritisierte ebenfalls Versuche konservativer Politiker, den Hamburger Anschlag für den Wahlkampf zu instrumentalisieren.39 Ohnehin war die artikulierte Bedrohung in der Hamburger Wochenzeitung stärker ausgeprägt als in der Gewerkschaftspresse und den Frankfurter Tageszeitungen. Zwar wurde der Anschlag in Bologna auch hier nicht zur Skandalisierung des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik genutzt,40 dennoch betonte „Die Zeit“ deutlicher die potenziellen Gefahren. „Geht es jetzt von neuem los?“, fragte ein Bericht schon frühzeitig, der nicht von ungefähr den Titel „Den Anfängen wehren“ trägt.41 Hier wird die steigende Zahl von Angriffen auf Ausländer als ein „Alarmzeichen“ beschrieben, welches man bereits deshalb ernst nehmen müsse, weil fremdenfeindliche Agitation verstärkt Zustimmung finde. Zwar gehe von den Gewalttaten keine Gefahr für die staatliche Struktur aus, deutlich offenbaren die Taten allerdings dennoch, dass „der Rechtsextremismus eine neue, gefährliche Qualität angenommen“ habe.42 Die Bedeutung, welche „Die Zeit“ den Deutschen Aktionsgruppen zusprach, ergibt sich auch aus der Quantität der Artikel. Zwar behandelte die Zeitung deren erste Anschläge in Baden-Württemberg nicht, aber in der Ausgabe direkt nach der Hamburger Tat finden sich dafür gleich drei Artikel – was für eine Wochenzeitung durchaus beachtlich ist und nicht nur der geographischen Nähe geschuldet war. Zudem deuten speziell der Umfang und 36 Metall, Die Mörder von heute, 3.9.1980, S. 4f. 37 Metall, Auge, 17.9.1980, S. 4. 38 Ähnliches findet sich nach dem Oktoberfest-Attentat, als sie die oftmals fehlende politische Abgrenzung und teilweise direkte Unterstützung der rassistischen Argumentationen beklagte. Speziell der Bayerische Rundfunk wurde kritisiert, weil er eine Analogie bemühte, nach der ein Volk wie ein Gewässer sei, welches ebenfalls nur mit einer bestimmten Menge an Fremdstoffen belastbar sei. Vgl. Metall, Absage, 8.10.1980, S. 4. 39 Die Zeit, Erst mußte einer sterben, 29.8.1980. 40 Vgl. Die Zeit, Terror von rechts, 8.8.1980. 41 Die Zeit, Den Anfängen wehren, 29.8.1980. Siehe auch Die Zeit, Erst mußte einer sterben, 29.8.1980. 42 Die Zeit, Schlag, 12.9.1980.
286 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) der Detailreichtum des Berichtes nach der Verhaftung der Gruppe auf die hohe Relevanz hin.43 Die mittlerweile als „Allgemeine jüdische Wochenzeitung“ erscheinende jüdische Wochenzeitung behandelte die Deutschen Aktionsgruppen zunächst ebenfalls nicht. Dann aber zielte sie in eine ganz ähnliche Richtung wie „Die Zeit“ und blieb ihrer in den letzten Fallbeispielen bereits beschriebenen deutlich negativeren Darstellung, speziell in Bezug auf die verstärkten Gewaltpotenziale, treu. Die Deutschen Aktionsgruppen wurden an mehreren Stellen als die „bisher gefährlichste rechtsgerichtete Organisation“ beschrieben.44 Zwar deuteten die Anschläge in Hamburg und Lörrach keinesfalls darauf hin, dass die Ausländerfeindlichkeit in weiten Teilen der Bevölkerung verbreitet sei, aber „daß junge Vietnamesen die von den kommunistischen Marodeuren in ihrer Heimat veranstalteten Blutbäder überstehen und sogar noch den Piraten sowie den Stürmen im Südchinesischen Meer entkommen, um dann in der Bundesrepublik das Opfer fanatisierter Gewalttäter zu werden, ist ebenso paradox wie beschämend“.45 Die beiden Toten würden stellvertretend für alle Ausländer beziehungsweise von Rechtsradikalen bedrohte Minderheiten im Land stehen,46 womit die Zeitung auch auf die Sicherheit der jüdischen Bevölkerung anspielte. Die große Bedeutung, die der Rechtsradikalismus in all seinen Facetten im Jahr 1980 für die „Allgemeine“ hatte, schlägt sich bereits in der Quantität der hier einschlägigen Artikel nieder. Über die Deutschen Aktionsgruppen wurde ebenso breit berichtet wie über viele andere kleinere Vorfälle mit Bezug zum Rechtsradikalismus. Die seit den fünfziger Jahren stetig gestiegene Skepsis bezüglich der demokratischen und liberalen Entwicklung der Bundesrepublik bzw. die gesunkene Relevanz für beschönigende Darstellungen zeigt hier ihre Wirkung. Der Rechtsradikalismus – so die Wahrnehmung – sei in der Bundesrepublik und in großen Teilen Europas auf dem Vormarsch.47 Obwohl die „Allgemeine jüdische Wochenzeitung“ die parteipolitische Bedeutungslosigkeit des Rechtsradikalismus betonte, maß sie nach wie vor sogar der NPD eine besondere Rolle zu. Der Partei fehle zwar das Geld für aufwendige Aktionen und insbesondere „die Resonanz innerhalb der deutschen Bevölkerung“,48 aber sie versuche mittlerweile verstärkt, an die in der Gesellschaft weit 43 Die Zeit, Schlag, 12.9.1980. 44 Allg. jüd. Wochenztg., Haß als Mittel zum Zweck, 12.9.1980, S. 1f.; Allg. jüd. Wochenztg., Erneut Haftbefehle gegen Rechtsextremisten, 26.9.1980, S. 2; Allg. jüd. Wochenztg., Für sieben Anschläge verantwortlich, 24.10.1980, S. 12. 45 Allg. jüd. Wochenztg., Tödlicher Fremdenhaß, 5.9.1980, S. 8. 46 Allg. jüd. Wochenztg., Haß, 12.9.1980, S. 1f. 47 Die gesteigerte Aufmerksamkeit beruhte dabei auch auf den internationalen Vorfällen, wobei dies weniger an den Anschlägen italienischer Rechtsradikaler in Bologna, sondern primär an dem Aufflammen antisemitischer Gewalt in Frankreich gelegen haben dürfte. 48 Allg. jüd. Wochenztg., NPD-Hetze, 19.9.1980, S. 2. Siehe auch Allg. jüd. Wochenztg., Die Verbrechen nicht isoliert betrachten, 10.10.1980, S. 2f.
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verbreitete Xenophobie anzuknüpfen und mit ausländerfeindlichen Parolen die eigene Irrelevanz zu überwinden.49 An dieser xenophoben Grundstimmung sei die westdeutsche Gesellschaft allerdings selber schuld, weil sogar die politischen Eliten sich zu wenig von ausländerfeindlichen Parolen abgrenzen: „Die Debatte zwischen der Bundesregierung und mehreren Landesregierungen, zwischen den Landesregierungen untereinander sowie zwischen den Parteien über das Problem der Asylanten oder – wie ein verräterischer Terminus sie nennt – der ‚Scheinasylanten‘ wird zum Teil in einem Ton und mit Argumenten geführt, die Zweifel daran aufkommen lassen, ob alle Beteiligten eigentlich noch wissen, daß sie nicht von einer beliebig zu verschiebenden Ware, sondern von Menschen reden. Wenn etwa der Ministerpräsident eines Bundeslandes dem Innenminister eines anderen Bundeslandes mitteilt, er könne sich dreitausend Asylbewerber ‚auf dem Bahnhof von Dortmund abholen‘, als handele es sich um die Ausführung einer Lieferbestellung, darf man sich nicht wundern, daß die offiziell geförderte Gehässigkeit einigen Psychopaten zum puren Haß gerät.“50
In diesem Klima würde von der NPD erneut ein gesteigertes Gewaltpotenzial ausgehen.51 Sogar die Deutschen Aktionsgruppen wurden als „ungeistige Kinder dieser Partei“ bezeichnet, was nicht nur falsch ist, sondern ihr eine Stellung zuschreibt, die sie 1980 keinesfalls mehr besaß.52 Allerdings sei auch unabhängig von der Partei ein „hoch gefährliches Gewaltpotenzial im Entstehen“53, erklärte die „Allgemeine“, welches selbst „die gutmütigsten Staatsschützer nicht mehr übersehen können“.54 Der „pure Haß“ manifestiere sich verstärkt in terroristischen Aktionen: „Seit dem Brandanschlag auf ein Hamburger Ausländerwohnheim […] ist nun nicht mehr zu übersehen, daß im Sumpf des politischen Rechtsextremismus nicht nur zarte Pflänzchen blühen. Allerdings hätten die Gewaltaktionen von Neonazis bereits vorher unübersehbar an Zahl und Intensität zugenommen, so daß es leider nur eine Frage der Zeit war, bis Menschen in Mitleidenschaft gezogen würden.“55 49 Allg. jüd. Wochenztg., Fremdenhaß, 5.9.1980, S. 8; Allg. jüd. Wochenztg., Haß, 12.9.1980, S. 1f. 50 Allg. jüd. Wochenztg., Fremdenhaß. 5.9.1980, S. 8. Siehe auch Allg. jüd. Wochenztg., Haß, 12.9.1980, S. 1f. 51 Allg. jüd. Wochenztg., NPD-Hetze, 19.9.1980, S. 2 bzw. Allg. jüd. Wochenztg., Rechtsradikale in Rinteln, 26.9.1980, S. 2; Allg. jüd. Wochenztg., Brandstiftung durch NPD-Mitglieder in Bielefeld, 3.10.1980, S. 3. 52 Allg. jüd. Wochenztg., Fremdenhaß, 5.9.1980, S. 8. 53 Allg. jüd. Wochenztg., Haß, 12.9.1980, S. 1f. Auch die Wehrsportgruppe Hoffmann hätte im Fall der Fälle ohne zu zögern ihre Waffen gegen die Bundesrepublik eingesetzt, behauptete die Allgemeine jüdische Wochenzeitung. Vgl. Allg. jüd. Wochenztg., Verwaltungsgerichtshof. Hoffmann würde Truppe einsetzen, 10.10.1980, S. 12. 54 Allg. jüd. Wochenztg., Fremdenhaß, 5.9.1980, S. 8. 55 Allg. jüd. Wochenztg., Haß, 12.9.1980, S. 1f. Siehe auch Allg. jüd. Wochenztg., Orientierungspunkte markieren, 12.9.1980, S. 3,5; Allg. jüd. Wochenztg., Ein beredtes Symptom, 10.10.1980, S. 2; Allg. jüd. Wochenztg., Rechtsradikale Ausschreitungen,
288 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) Die Zeiten von gezielter Verharmlosung rechtsradikaler Vorfälle waren in der „Allgemeinen“ bereits seit den späten sechziger Jahren vorbei. Nun zeichnete sie ein düsteres Bild der Situation und beschrieb die rechtsradikale Gewalteskalation nicht nur als Peinlichkeit, sondern auch – und dabei noch intensiver als „Die Zeit“ – als Bedrohung der liberalen demokratischen Gesellschaft. Mehrfach berichtete sie über kleinere Vorfälle oder Waffenfunde bei rechtsradikalen Gruppen, was den Eindruck einer bedrohlichen Entwicklung noch verstärkte.56 Obendrein stufte sie die gestiegene Verbreitung rechtsradikaler und explizit nationalsozialistischer Publikationen in der Bundesrepublik als problematisch ein.57 Dass nur die „Allgemeine“ und die gewerkschaftlichen Publikationen die absolut marginalisierte NPD überhaupt behandelten, deutet auf ein spezielles Interesse am Rechtsradikalismus unabhängig von konkreten Aktivitäten hin. Der Anschlag in Hamburg war dann jedoch der letzte traurige Höhepunkt der Deutschen Aktionsgruppen. Am 1. September wurden Roeder und seine Anhänger verhaftet. Die „Frankfurter Rundschau“ würdigte dies als „Schlag gegen Rechtsextremisten“.58 „Die Brisanz des rechtsradikalen Terrors kann gar nicht unterschätzt werden“, erklärte die Zeitung nun und ergänzte, dass man sich nicht durch die sinkenden Mitgliederzahlen rechter Parteien blenden lassen dürfe.59 Die NPD, so der Kommentar weiter, sei „den meisten jungen Menschen, die heute rechtsaußen ihren Weg suchen, […] schon lange nicht mehr radikal genug“. Alarmiert ergänzte ein weiterer Bericht: „Seit Beginn dieses Jahres explodieren in der Bundesrepublik Bomben. Sie richten sich gegen Ausstellungen über die Nazi-Vergangenheit und jetzt auch gegen Ausländer, die bei uns Schutz suchen“.60 Nun betonte die FR darüber hinaus, dass Fremdenfeindlichkeit in der Bundesrepublik sehr verbreitet sei. Die Anschläge der Deutschen Aktionsgruppen s eien nur die „Spitze des Eisbergs“ und wiesen auf eine gefährliche Verschiebung der innenpolitischen Diskussion hin.61 Gerade in Bezug auf die Ausländerfrage 10.10.1980, S. 4; Allg. jüd. Wochenztg., Vom Kasperle-Spiel zum Verbot, 10.10.1980, S. 12; Allg. jüd. Wochenztg., Bestand unserer Grundordnung steht nicht auf dem Spiel, 24.10.1980, S. 3f. 56 Allg. jüd. Wochenztg., Keine lässlichen Jugendsünden, 29.8.1980, S. 12; Allg. jüd. Wochenztg., Anklage gegen neun mutmaßliche Neonazis zugelassen, 19.9.1980, S. 1; Allg. jüd. Wochenztg., Haftbefehle, 26.9.1980, S. 2; Allg. jüd. Wochenztg., Rechtsradikale, 26. 9.1980, S. 2; Allg. jüd. Wochenztg., Unbekannte beschmieren Synagogen-Gedenkstein in Frankfurt-Rödelheim, 26.9.1980, S. 3; Allg. jüd. Wochenztg., Brandstiftung, 3.10.1980, S. 3; Allg. jüd. Wochenztg., Waffen und NS-Propagandamaterial gefunden, 10.10.1980, S. 12. 57 Allg. jüd. Wochenztg., Verstärkt gegen NS-Publikationen, 29.8.1980, S. 12; Allg. jüd. Wochenztg., Orientierungspunkte, 12.9.1980, S. 3,5. 58 FR, Schlag gegen Rechtsextremisten, 3.9.1980, S. 1f. 59 FR, Gewalt von rechts, 3.9.1980, S. 3. 60 FR, Gewalt, 3.9.1980, S. 3. 61 FR, Spitze, 23.8.1980, S. 3.
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r eiche der „Anteil der Sympathisanten“ mittlerweile weit über die rechtsradikale Szene hinaus.62 Doch trotz der deutlich gestiegenen Relevanz der Thematik rückte diese keineswegs ins Zentrum der Berichterstattung. Allerdings lässt die etwas gestiegene Anzahl von Berichten über Vorfälle mit rechtsradikalem Hintergrund sowie über die Verhaftung von Manfred Roeder und seinen Anhängern auf eine mittlerweile etwas höhere Sensibilität für das Thema schließen.63 Im Gegensatz dazu hatte die FAZ offenbar weiterhin kein Interesse an einer tief gehenden Problematisierung. Als Roeder festgenommen wurde, hieß es entsprechend lapidar, dass dieser unter anderem wegen „der vorsätzlichen Nötigung der Verfassungsorgane sowie der Verunglimpfung der Bundesrepublik und ihrer Symbole“ festgesetzt wurde.64 Auf die ausländerfeindlichen Anschläge wurde erst am folgenden Tag hingewiesen: „Daß die Fahndung nach Rechtsextremisten zu Verhaftungen geführt hat, weckt die Hoffnung, nicht nur einige abscheuliche Straftaten sühnen zu können […], sondern auch über die Tatmotive und den Verbrechensimpuls der Täter Klarheit zu gewinnen. Schon seit einiger Zeit ist beobachtet worden, daß auf der Rechten ein jahrelang nur lärmiges Extremistengehabe in Verbrechertum hoher Intensität übergegangen ist“.65
Erst jetzt wurden Hörnle, Vorderbrügge und Colditz von der FAZ als Mitglieder einer „terroristischen Vereinigung“ präsentiert.66 In der Folge berichteten dann auch weitere Artikel über eine verstärkte Aktivität und Bedrohung durch neonazistische Gruppen.67 Die Enttarnung der Deutschen Aktionsgruppen führte in der FAZ insofern zu einer etwas gestiegenen Gefährdungswahrnehmung. Rechte Gewalttäter und Terroristen betrachtete sie dabei vor allem als Aufgabe für 62 FR, Gewalt, 3.9.1980, S. 3. 63 Nun finden sich zudem Berichte über rassistische Wahlwerbespots der NPD oder Prozesse gegen Neonazis. Besonders Hamburg sei aufgrund der Aktivitäten von Michael Kühnen und dessen sogenannter „Hansa-Bande“ in den vergangenen Jahren ein Zentrum rechtsradikaler Aktivitäten gewesen. Vgl. FR, Führender Neonazi muss 15 Monate ins Gefängnis, 2.9.1980, S. 1; FR, Schlag, 3.9.1980, S. 1f.; FR, WDR/ZDF. Keine Handhabe, 12.9.1980, S. 4; FR, NPD-Wahlspot verurteilt, 17.9.1980, S. 4. 64 FAZ, Rechtsanwalt Röder festgenommen, 3.9.1980, S. 2. 65 FAZ, Ohne Sympathisanten, 4.9.1980, S. 10. 66 FAZ, Roeder – nur ein Einzelgänger?, 4.9.1980, S. 5; FAZ, Haftbefehl gegen Roeder, 6.9.1980, S. 3. 67 So berichtete die FAZ über einen Prozess in Braunschweig, bei dem sechs junge Neo nazis wegen Bildung einer terroristischer Vereinigung und Mordplänen gegen westdeutsche Politiker angeklagt seien. Zum anderen problematisierte sie bekannt gewordene Umfragen, nach denen ein „großer Teil von Schülern zwischen dreizehn und zwanzig Jahren […] für rechtsradikale und antidemokratische Parolen zu gewinnen“ sei und dass mehr als ein Viertel der befragten jungen Menschen rechtsradikale Aussagen positiv sehen würden. Vgl. FAZ, Neuer Prozeß gegen Rechtsextremisten, 11.9.1980, S. 6 bzw. FAZ, Anfällig für rechtsradikale Parolen, 11.9.1980, S. 32. Siehe auch FAZ, Immer wieder die Asylantenfrage, 5.9.1980, S. 2.
290 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) Strafrichter. Politische Bedeutung gestand die FAZ ihnen nach wie vor nicht zu. Die Gewalttäter seien lediglich von „beschränkte[m] Verstand“, da sie nicht erkennen, dass sie mit ihren Taten nur den Linksradikalen nützen, die „für ihre jahrzehntelang unbewiesene These von einer riesigen ‚Gefahr von rechts‘ nun immerhin Scheinbeweise“ vorzeigen können.68 Von einer besonderen Alarmierung kann keine Rede sein. Nach der Verhaftung der Deutschen Aktionsgruppen begann der Stammheimer „Terroristenprozess gegen rechts“.69 Zwar versuchte sich Manfred Roeder vor Gericht von den Taten und den direkten Tätern zu distanzieren, aber er wurde wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung und „Mittäterschaft durch Unterlassen“ bei tödlich ausgehenden Anschlägen zu dreizehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Eine direkte Tatbeteiligung konnte ihm aber nicht nachgewiesen werden. Hörnle und Vorderbrügge erhielten im Juni 1982 lebenslange Haftstrafen wegen Mordes. Colditz kam mit sechs Jahren Haft davon. Roeder, der nur wenige Wochen nach seiner vorzeitigen Entlassung 1990 erneut mit rechtsradikalen Aktivitäten begann, ist bis heute in der rechtsradikalen Szene wegen seines Aktionismus und der Bereitschaft zur Tat hoch angesehen und gilt weiterhin als „eine der Integrationsfiguren am äußersten rechten Rand“.70 Er fungiert als klassisches Bindeglied zwischen der alten und der jungen neonazistischen Generation,71 auch wenn die Deutschen Aktionsgruppen 1980 relativ schnell ausgeschaltet werden konnten. Zwar schreckten die Anschläge der Deutschen Aktionsgruppen einige auf, dennoch sensibilisierten sie weder alle nicht-staatlichen Akteure noch die gesamte bundesdeutsche Gesellschaft für rechtsradikale Terrortaten. Noch im September 1980 erklärte der bayerische Innenminister Gerold Tandler einem Journalisten, der ihn zum Rechtsradikalismus befragte: „Ihre Sorge sollte sich in erster Linie gegen den Linksextremismus wenden“, da von rechtsradikalen Gruppen keine Gefahr ausgehe.72 Verweise auf rechten Terror oder rechtsradikale Gewalt wurden oftmals eher als Relativierung der RAF-Taten angesehen denn als eigenständige Bedrohung. Als dann am 26. September 1980 eine Bombe auf dem Münchener Oktoberfest explodierte und vierzehn Menschen tötete sowie über 200 zum Teil schwer verletzte, waren fast alle Annahmen zunächst „realistischer“ als die eines rechtsradikal motivierten Anschlages. Dieses „Oktoberfest-Attentat“ war der bis heute „größte Terrorangriff in der Geschichte der Bundesrepublik“73 und gleichzeitig der erste, der sich bewusst gegen eine willkürliche Menschenmenge richtete. In der Forschung wird diese Tat regelmäßig als der für 68 FAZ, Sympathisanten, 4.9.1980, S. 10. 69 Kalinowsky, S. 159. 70 Grumke / Wagner, S. 304. Siehe auch Rabert, S. 286; Röpke / Speit, S. 47. 71 Vgl. Gensing, Terrorismus; Pfahl-Traughber, S. 54. 72 Zit.n. Sundermeyer, S. 31f. 73 Röpke / Speit, S. 50.
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die Bundesrepublik einschneidendste Vorfall mit rechtsradikalem Hintergrund gewertet – auch wenn diese Auffassung nach den NSU-Enthüllungen wohl etwas relativiert werden muss. Der überwiegende Teil der untersuchten Medien artikulierte konsensual Betroffenheit. Allerdings äußerte sich „Der Arbeitgeber“ wieder einmal weder zu dem Anschlag auf das Münchener Oktoberfest noch zu anderen Aspekten des Rechtsradikalismus. Ursächlich dafür dürfte dabei erneut die geringe Bedeutung für die Stabilität der Bundesrepublik gewesen sein. Dies gilt für das „Oktoberfest-Attentat“, welches zwar einen Schock, aber keinesfalls eine staatliche Krise auslöste, wie der reibungslose Ablauf der Bundestagswahl wenige Tage später zeigte, und erst recht für die Anschläge der Deutschen Aktionsgruppen. Rechtsterrorismus war in diesen Jahren zudem ein Problem zahlreicher westeuropäischer Staaten und taugte somit kaum als Argument gegen die Bundesrepublik. Auch der „Deutsche Ostdienst“ ignorierte den Rechtsterrorismus vollständig. Nicht einmal eine Trauerbekundung wurde veröffentlicht, sodass dieses Thema für den BdV – der sich als zunehmend marginalisierter Akteur74 ohnehin kaum mehr in der Rolle einer demokratischen Stütze der Gesellschaft präsentieren konnte – anscheinend keine Bedeutung hatte. Die rechtsradikalen Vorfälle taugten nicht, um die Themen der Vertriebenen voranzubringen, und gleichzeitig war eine politische Distanzierung in diesen Fällen nicht notwendig. Dies unterstützt die Annahme, dass der BdV sich nur dann zum Rechtsradikalismus äußerte, wenn es für ihn vorteilhaft im Sinne einer demokratischen Profilierung oder notwendig im Falle verlangter beziehungsweise selbst angestrebter politischer Distanzierung war. Als mit intrinsischer Motivation ausgestatteter Gegner des Rechtsradikalismus agierte der Bund der Vertriebenen zumindest im „Deutschen Ostdienst“ nicht – und es ist zweifelhaft, ob er dies an anderer Stelle tat. Weil diese beiden Publikationen sich auch in den bisherigen Fallbeispielen nur unter gewissen Bedingungen zum Rechtsradikalismus geäußert haben und als abhängige Verbandspublikationen auch keiner Chronistenpflicht unterliegen, ist dies nicht unbedingt verwunderlich. Überraschend ist hingegen die geringe Bedeutung, welche sowohl die Deutschen Aktionsgruppen als auch insbesondere der Anschlag auf das Oktoberfest in der zeitgenössischen Gewerkschaftspresse einnahmen. Der einzige einschlägige Artikel in den „Gewerkschaftlichen Monatsheften“ im Untersuchungszeitraum ist ein wissenschaftlicher Kurzüberblick über den Rechtsradikalismus, seine Geschichte und Terminologie, der zu früh veröffentlicht wurde, um die hier gewählten Ereignisse zu behandeln.75 Hier konstatierte Wolfgang Benz zwar, dass Rechtsradikale derzeit keine machtpolitische Gefahr darstellen, fokussierte ansonsten aber auf deren großes Gewaltpotenzial und argumentierte, dass es ein durchgängig vorhandenes rechtsradikales Po74 Vgl. Jakubowska, S. 214. 75 Vgl. GMH 8 (1980), Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, S. 511–526.
292 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) tenzial in der Bundesrepublik gebe, welches in krisenhaften Situationen jederzeit aktiviert werden könne. Dennoch thematisierte insbesondere die „Welt der Arbeit“, das wöchentliche Sprachrohr der Gewerkschaften in die Öffentlichkeit, weder die Deutschen Aktionsgruppen noch deren Taten. Selbst das „Oktoberfest-Attentat“ wurde hier lediglich zweimal kurz erwähnt.76 In der Zeitung finden sich auch unabhängig davon nur wenige Berichte zum Rechtsradikalismus. Dafür wurden ein Angriff neonazistischer Gruppen auf einen DGB-Kreisvorsitzenden in Bamberg und die träge Reaktion der Strafverfolgungsbehörden problematisiert.77 Dieser Vorfall offenbare allerdings die potenzielle Gefahr Gewalt ausübender Neonazis, vor welcher der DGB schon lange gewarnt habe. Auch an anderer Stelle betonte die WdA, dass „die Nazis, Alt- wie Neonazis […] die größte Gefahr für Freiheit, Demokratie und Menschlichkeit“ seien.78 Dennoch findet sich hier nur der Aufruf, gegen alle rechtsterroristischen Strukturen nicht genauer benannte „Maßnahmen zu ergreifen“. Die grundsätzliche Relevanz des Rechtsradikalismus für die Gewerkschaften wird zwar deutlich, doch darüber hinaus berichtete die DGB-Presse nicht. Daher nahm die „Metall“ eine gewisse Sonderstellung in der Gewerkschaftspresse ein. Nach der Gewalttat von München berichtete sie relativ ausführlich zumindest über rechtsradikale Entwicklungen.79 Allerdings wurde der Anschlag auf das Oktoberfest auch hier – wenig prominent – erst auf der achten Seite behandelt.80 Der Artikel betonte, dass der Täter rechtsradikale Motive gehabt habe und aus dem Umfeld der WSG-Hoffmann komme. Darüber hinaus wurde Franz Josef Strauß vorgeworfen, dass er die Gefahr durch rechtsradikale Terrorgruppen (speziell die WSG-Hoffmann) zuvor nicht nur verharmlost und die Polizei von Ermittlungen abgehalten habe, sondern nun vor allem den Anschlag schamlos als Wahlkampfthema missbrauche. Explizit kritisierte die Zeitung auch, dass der verantwortliche bayerische Innenminister „alles [getan habe], um nichts gegen 76 In einem Gastbeitrag von Egon Bahr, dem damaligen Bundesgeschäftsführer der SPD, wurde dieser als der brutalste Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik bezeichnet, aber dieser Hinweis fungierte lediglich als Aufhänger, um den Kanzlerkandidaten der Union, Franz Josef Strauß, anschließend auch anhand anderer Beispiele zu disqualifizieren. Den rechtsradikalen Hintergrund erwähnte Egon Bahr nur indirekt, um Strauß seine verharmlosenden Aussagen zur rechtsradikalen Szene vorzuhalten. In einem weiteren Artikel wurde der Anschlag ebenfalls nur beiläufig erwähnt, um darauf hinzuweisen, dass der Beschluss zu einer Kundgebung gegen den NPD-Bundesparteitag in Augsburg keine Reaktion auf den Anschlag darstelle. Vgl. WdA, Egon Bahr. Es geht um die Fähigkeit, den Frieden zu bewahren, 2.101980, S. 2 bzw. WdA, Vor neuen und alten Nazis wird gewarnt, 30.10.1980, S. 1. 77 WdA, Neonazis geben keine Ruhe, 21.8.1980, S. 2. 78 WdA, Nazis, 30.10.1980, S. 1. 79 Gleich vier längere Artikel sind in dieser Ausgabe der Metall zu finden. Vgl. Metall, Absage, 8.10.1980, S. 4; Metall, Friedlich gegen die Neonazis, 8.10.1980, S. 4; Metall, Wer ist schuldig?, 8.10.1980, S. 8; Metall, Schutz für Nazis, 8.10.1980, S. 8f. 80 Metall, Wer ist schuldig?, 8.10.1980, S. 8.
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die Rechtsterroristen unternehmen zu müssen“.81 Auf den vorderen Seiten dieser Ausgabe befasste sich die „Metall“ mit eher allgemeineren Aspekten des Rechtsradikalismus und der zu diesem Zeitpunkt völlig unbedeutenden NPD. Hier berichtete sie zum einen über die Mobilisierung gegen den Bundesparteitag der Partei in Augsburg im November 1980 und informierte zum anderen ganz allgemein über die sich verstärkende Fremdenfeindlichkeit, die ein Zeichen von Krisenwahrnehmung sowie Verunsicherung sei und hervorragend zur Mobilisierung der Rechten tauge.82 Nun wurden sogar die Deutschen Aktionsgruppen erwähnt und unterstellt, dass es die NPD gewesen sei, die mit ihren Parolen die Zuspitzung der Anschläge und die Gründung zahlreicher Bürgerinitiativen gegen die Migration in die Bundesrepublik provoziert habe. Die inhaltliche Fokussierung auf diese Partei ist angesichts ihrer völligen Bedeutungslosigkeit auch innerhalb der rechtsradikalen Szene dieser Jahre nur schwer nachvollziehbar. Passender sind da zwei weitere Artikel gegen die CSU, die am Beispiel der Stadt Bamberg die bewusste Bagatellisierung rechtsradikaler und rechtsterroristischer Strukturen durch die bayerischen Behörden und besonders durch Innenminister Gerold Tandler skandalisierten.83 Explizit wurde hier von „christsozialer Rückendeckung“ für neonazistische Ausschreitungen gesprochen und die totalitarismustheoretische Ideologie der Behörden kritisiert.84 Das Thema Rechtsradikalismus war insofern präsent, die geringe Bedeutung der rassistischen beziehungsweise rechtsradikalen Terroranschläge für die Gewerkschaftspresse bleibt dennoch überraschend, zumal die anti-rechtsradikale Mobilisierung seit einigen Jahren stark angestiegen war und es nach Doerry seit der Ausstrahlung der Fernsehserie „Holocaust“ erstmals einen emotionalen antifaschistischen Grundkonsens in der Bevölkerung gegeben habe.85 Vor allem die äußerst geringe Beschäftigung mit dem Münchener Anschlag ist kaum nachvollziehbar. Dies fällt umso schwerer, als allen bisherigen Fallbeispielen eine recht umfangreiche Thematisierung in den gewerkschaftlichen Publikationen folgte. Zudem kann eigentlich nicht davon ausgegangen werden, dass der DGB beziehungsweise die Einzelgewerkschaften die Relevanz des Ereignisses nicht erkannt haben. Dass es bei allen Taten einen rechtsradikalen Hintergrund gegeben habe, dürfte den Gewerkschaften schnell klar gewesen sein. Ohnehin hatte der „Anti81 Metall, Wer ist schuldig?, 8.10.1980, S. 8. 82 Metall, Neonazis, 8.10.1980, S. 4 bzw. Metall, Absage, 8.10.1980, S. 4. 83 Metall, Brauner Untergrund, 22.10.1980, S. 8f.. Siehe auch Metall, Schutz, 8.10.1980, S. 8f. 84 Zur Erklärung der Zurückhaltung der bayerischen Polizei hieß es: „Daß es sich bei dem ganzen Nazi-Aufmarsch am Mainufer bei Bamberg nur um ein Spiel gehandelt haben konnte, stand für die Behörden sehr schnell fest – gemäß dem herrschenden bayerischen Landesrecht, wonach immer nur Linke gewalttätig, Rechte aber, selbst mit der Knarre in der Hand, stets harmlos sind“. Vgl. ebd. 85 Vgl. Doerry, S. 28–30.
294 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) faschismus“, wie bereits das letzte Kapitel konstatierte, auch innerhalb der Gewerkschaftsbewegung wieder Konjunktur. Entscheidend für die Zurückhaltung könnte zunächst das Interesse gewesen sein, sich nicht allzu einseitig im Bundestagswahlkampf zu positionieren, um somit dem alten immer wiederkehrenden Vorwurf der fehlenden parteipolitischen Neutralität vorzubeugen. Seit den späten siebziger Jahren warfen die Unionsparteien und in zunehmendem Ausmaße auch die FDP den Gewerkschaften vor, dass sich entscheidende Strömungen immer linker positionieren würden und die Gewerkschaftsbewegung zu sehr auf die Sozialdemokratie fixiert sei.86 Jegliche inhaltliche Äußerung nach dem „Oktoberfest-Attentat“ wäre als Parteinahme für die Sozialdemokratie interpretiert worden, da diese durchaus ähnliche Deutungen und Erklärungen anzubieten hatten.87 Auch intern war die Frage, ob man die SPD unterstützen dürfte, in Teilen des Gewerkschaftsbundes heftig umstritten. Teile des DGB – vor allem aus der IG Metall und der IG Druck und Papier – begannen, sich aus der besonderen Bindung an die SPD zu lösen, während andere aus dem „Kanzlerflügel“ weiterhin für engste Kooperation mit der Bundesregierung eintraten.88 So war der DGB intern uneinig, da die alten strategischen Flügelstreitereien wieder aufgebrochen waren.89 Langsam keimte die Idee, die integrationistische Strategie zwar keinesfalls grundlegend aufzugeben, aber doch etwas aufzuweichen, um unabhängiger agieren zu können.90 Obendrein wurde dem DGB in diesen Jahren vielfach vorgeworfen, kommunistisch unterwandert zu sein.91 Entsprechend waren die Gewerkschaften infolge des sich stärker formierenden Konservatismus in der Bundesrepublik am Ende der siebziger Jahre langsam in die Defensive geraten. Da der DGB als Dachorganisation auch unionsnahe Gewerkschafter umfasste, war er kaum in der Lage, klar Position zu beziehen. Die weiterhin steigende Massenarbeitslosigkeit drohte ferner, die Legitimation gewerkschaftlicher Vertretung zu zerstören, und die Betonung der unverzichtbaren Aufrechterhaltung der Einheitsgewerkschaft war eine der wichtigsten Reaktionen und erklärt die hohe Symbolkraft derartiger Debatten dieser 86 Diese Vorwürfe wurden insbesondere im 1979 geleakten „Stoiber-Papier“ erhoben, welches auch eine parteipolitische Gruppenbildung im DGB nach österreichischem Vorbild vorschlug sowie eine massive Kampagne zur Stärkung der christlichen Gewerkschaften forderte. Für weitere Details siehe Markovits, S. 139. 87 Indirekt geschah dies zum Teil in der klaren Zurückweisung des bayerischen Umgangs mit dem Rechtsradikalismus allgemein und mit der Einbeziehung des Anschlages durch Strauß in den Wahlkampf im Besonderen allerdings trotzdem. 88 Vgl. Wilke, Einheitsgewerkschaft, S. 176, S. 197. 89 Vgl. Deppe, Geschichte, S. 654. 90 Vgl. Markovits, S. 147. 91 Letztlich war die Frage des antifaschistischen Gründungsmoments des DGB in dieser Zeit heftig umstritten und drehte sich um die Frage, ob auch die Kommunisten legitime Vertreter der Arbeiterklasse bzw. der Arbeitnehmer seien. Vgl. Deppe, Geschichte, S. 674; Wilke, Einheitsgewerkschaft, S. 174, 215.
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Jahre.92 Insgesamt war die Gewerkschaftsbewegung in diesen Jahren zerstritten und unsicher, was zu tun sei. Dies verhinderte nicht zwangsläufig eine gemeinsame tief gehende Analyse der Situation, wohl aber deren Kommunikation nach außen in der Gewerkschaftspresse. So wurde speziell die Frage nach den Hintergründen des Oktoberfest-Attentats zu vermintem Gebiet, während andere Vorfälle mit Bezug zum Rechtsradikalismus durchaus angesprochen und vereinzelt auch hier als extrem gewalttätig bis terroristisch beschrieben wurden. Die deutlicheren Aussagen der „Metall“ beruhten dabei wohl auf der stärkeren Rolle radikaler Stimmen in dieser Einzelgewerkschaft, die sich weniger den Kompromissen einer Dachorganisation, bestehend aus verschiedenen politischen Strömungen, unterordnen musste.93 Dennoch verwundert auch hier die geringe Relevanz des „Oktoberfest-Attentates“. Dass aber nicht alle Einzelgewerkschaften den Rechtsradikalismus intensiver thematisierten als der Dachverband, zeigt der Blick auf die ÖTV, die in dieser Phase insbesondere ins Kreuzfeuer der Kritik geraten war, da sie ihre Macht in Tarifverhandlungen zum Schaden der Bundesrepublik angeblich skrupellos ausgenutzt hätte.94 Das „ÖTV-Magazin“ veröffentlichte nach dem Münchener Anschlag neben einem auf die Ereignisse bezogenen Cartoon lediglich eine kurze Meldung, die vor allem die Erklärung des DGB-Bundesvorstands zum Attentat zitierte.95 Betont wurde hier, dass der DGB seine Warnungen vor dem Rechtsradikalismus bestätigt sehe. Gefordert wurden aber lediglich ein Ende der Verharmlosung rechtsradikaler Gewalt und ein Abrücken von der Einzeltäterthese in Zusammenhang mit rechten Gewalttaten. Daraus ergibt sich, dass der DGB und dessen Mitgliedsgewerkschaften sich sehr wohl öffentlich äußerten. Eine ausführlichere Behandlung des Rechtsterrorismus in den eigenen Publikationen blieb aus politisch-taktischen Erwägungen heraus dennoch aus. Insofern kann von einem allgemeinen Aufschrei zumindest mit Bezug auf die nicht-staatlichen Akteure dieser Studie nicht gesprochen werden. Vielmehr wurde der Anschlag auf das Münchener Oktoberfest 1980 vor allem in der klassischen Tages- und Wochenpresse behandelt. Dass diese themenunabhängig wesentlich umfangreicher berichtete und im Gegensatz zu den Verbandspublikationen gleichfalls den Anspruch hegte, alle gesellschaftlich relevanten Vorfälle 92 Vgl. Wilke, Einheitsgewerkschaft, S. 194. Sebastian Müller erklärte, das gesellschaftliche Meinungsklima wurde immer gewerkschaftsfeindlicher, weil diesen vermehrt eine Mitschuld an der Verschlechterung der Wirtschaftslage attestiert wurde. Vgl. Müller, S. 142–145. Siehe auch Deppe, Geschichte, S. 615, 642f., 664; Schneider, S. 372–380; Schönhoven, Geschichte, S. 54. 93 Vgl. Deppe, Geschichte, S. 671–674. Ohne Frage war auch die IG Metall überparteilich, gilt im Vergleich zum DGB bzw. anderen Einzelgewerkschaften als etwas radikaler und kampfbereiter, was sich zum Beispiel auch in einer erhöhten Streikbereitschaft ausdrückte. 94 Vgl. Führer, S. 11f. 95 ÖTV-Magazin, Warnungen bestätigt, Nov. 1980, S. 39.
296 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) zu behandeln, muss dabei stets berücksichtigt werden. Hier zeigte sich einerseits recht schnell das allgemeine Entsetzen, andererseits manifestierten sich aber auch deutliche Differenzen in der Bewertung. Für die „Allgemeine jüdische Wochenzeitung“ waren der Anschlag auf das Münchener Oktoberfest und speziell die Wahllosigkeit der Opfer angesichts der ohnehin kritischen Wahrnehmung bezüglich des Zustandes der G esellschaft ein weiterer Schock. Immer wieder beschrieb die Zeitung die Tat in patho logischen Begriffen, welche die Fassungslosigkeit offenbarten.96 So gehe es „[d]iesen Mördern […] wirklich nur um Mord“.97 Auch in der „Frankfurter Rundschau“ nahm der Anschlag schnell einen gewichtigen Platz in der Berichterstattung ein. Die Zeitung betonte den terroristischen und gewalttätigen Charakter des Rechtsradikalismus98 und mithin die Bedrohung für die innere Sicherheit. Das „mörderische Geschehen“ in München sei „nicht nur einer der schwersten Terroranschläge, den die Bundesrepublik erlebt hat, sondern auch das heimtückischste Verbrechen aus dem Dunstkreis des Rechtsextremismus“.99 Die Bombe habe darauf abgezielt, großen Schaden anzurichten und Menschenleben zu gefährden.100 Beschriebene Details über Verstümmelungen und Kinder, deren Kopf abgetrennt wurde, unterstrichen die Bedrohungswahrnehmung. Deutlich zeigt sich die Schockwirkung: „Starres, sprachloses Entsetzten war wohl die erste Reaktion der meisten Menschen. […] Ein Gefühl drängte sich auf, alles sei ein schrecklicher Irrtum. Aber es war kein Irrtum. Zwölf Menschen waren gestorben, und fast 200 verletzt, weil ein krankes Gehirn […] sich diesen blutigen Totentanz inmitten fröhlicher, lauter Menschen ausgedacht hatte.“101
Auch wenn ein Artikel im Nachhinein angab, dass die „Erscheinungen des Rechtsextremismus nicht zu übersehen“ waren und die Bilanzen der Verfassungsschützer der Jahre 1978 und 1979 ein frühzeitiger Hinweis gewesen wären,102 besaß der Rechtsradikalismus in den Wochen vor dem Oktoberfestattentat zunächst nur eine geringe Relevanz für die Zeitung. Die nach der Enttarnung der Deutschen 96 Allg. jüd. Wochenztg., Das Sinnlose, 3.10.1980, S. 1f. Siehe auch die zitierten Aussagen aus der Politik in Allg. jüd. Wochenztg., Hinterhältige Synthese von Wahnsinn und Verbrechen, 3.10.1980, S. 1f. 97 Allg. jüd. Wochenztg., Der Weg ins Ghetto ist kein Rettungsweg, 10.10.1980, S. 1. 98 Vgl. FR, Rechtsextremist legte Bombe in München, 29.9.1980, S. 1f. Siehe auch FR, Wenige Stunden danach waren die Bierzelte wieder voll, 29.9.1980, S. 3. 99 FR, Ein verfallenes Schloss diente als Hauptquartier, 30.9.1980, S. 3. 100 FR, Generalbundesanwalt Rebmann. Sprengkörper vermutlich zu früh gezündet, 29.9.1980, S. 2. Siehe auch FR, Stunden, 29.9.1980, S. 3; FR, Rechtsextremist, 29.9.1980, S. 1f. 101 FR, Mord im Wahlkampf, 29.9.1980, S. 3. 102 FR, Flucht nach vorne, 2.10.1980, S. 3. Siehe auch FR, Terror nicht überraschend, 14.10.1980, S. 4.
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Aktionsgruppen bereits etwas angestiegene Bedeutung der Thematik nahm nun allerdings weiter zu. Nach dem „Oktoberfest-Attentat“ betonte die FR sogar, dass die schiere Menge von Anschlägen der letzten Monate in Westeuropa der „Angst vor einer Wiedergeburt des Faschismus neuen Auftrieb gegeben“ habe, obwohl sie anschließend ergänzte, dass eigentlich keine rechtsradikale Gruppe über irgendeinen politischen Einfluss verfüge.103 Auch die FAZ beschrieb, nachdem die Bombe auf dem Münchener Oktoberfest explodierte, ihre Betroffenheit. Die Ausgabe vom 29. September 1980, die sich erstmals intensiv mit dem Anschlag auseinandersetzte, kann fast als Sonderausgabe zu diesem Thema angesehen werden. Wiederholt wiesen die Berichte darauf hin, dass die Größe der Bombe, die Uhrzeit der Detonation und der gewählte Ort aufzeigen, dass es das Ziel war, zahlreiche Menschen zu töten und eine verheerende Wirkung zu erzielen.104 Das Münchener Attentat habe gerade durch seine Beliebigkeit in der Opferauswahl sein Grauen offenbart und das Verängstigungspotenzial deutlich erhöht: „Der Schrecken soll alle erreichen und in allen haften bleiben“.105 Es sei ein „Attentat auf die gesamte Öffentlichkeit“ und ihre Ordnung gewesen.106 „Die Zeit“ betonte ebenfalls, dass die Theresienwiese wie ein Schlachtfeld ausgesehen habe.107 Schnell war sehr wahrscheinlich, dass die Tat – zumindest auch – von dem 21-jährigen Studenten Gundolf Köhler aus Donaueschingen ausgeführt worden war. Köhler selbst war unter den Toten, wohl weil die Bombe zu früh zündete.108 Die genauen Hintergründe blieben sowohl auf der politischen Ebene als auch in den nicht-staatlichen Publikationen heftig umstritten. „Das bisher größte Terrorismusverbrechen,“ bilanzierte „Die Zeit“, „kam von rechts. Alles andere ist Vermutung“.109 Selbst die bisher oftmals relativierend agierende FAZ erkannte schnell an, dass die „blutigen Spuren des Attentats […] in Richtung Rechtsextremismus“ weisen.110 Während die „Frankfurter Rundschau“ konsterniert erklärte, 103 FR, Das Netz des Neofaschismus, 13.10.1980, S. 3. 104 FAZ, Der Münchner Oktoberfest-Mord eine Tat von Rechtsextremisten, 29.9.1980, S. 1f.; FAZ, Und Stunden nach dem Blutbad drehen sich wieder Karussells, 29.9.1980, S. 3; FAZ, Werfergranate beim Münchner Sprengstoffanschlag verwendet, 3.10.1980, S. 1. 105 FAZ, Haß auf bürgerliche Politik – die andere Seite, 30.9.1980, S. 3. 106 FAZ, Öffentliche Moral, 30.9.1980, S. 25. 107 Die Zeit, Nach dem Grauen keine Anstandsfrist, 3.10.1980. 108 Vgl. Daniel Koehler, German Right-Wing Terrorism in Historical Perspective. A First Quantitative Overview of the “Database on Terrorism in Germany (Right-Wing Extremism)”, in: Perspectives on Terrorism 5 (2014), S. 48–58, hier S. 55. 109 Die Zeit, Die Bombe vor der Wahl, 3.10.1980. 110 FAZ, Spuren von München, 29.9.1980, S. 1; FAZ, Oktoberfest-Mord, 29.9.1980, S. 1f. Als skurril und eher dem Interesse geschuldet, sich dem Vorwurf der Meinungsverengung zu widersetzen, müssen die Leserbriefe vom 6.10.1980 gewertet werden, welche die Verortung des Münchener Täters im rechtsradikalen Lager bezweifeln. Vgl. FAZ, Hier fehlt ein Fragezeichen (Leserbrief) bzw. FAZ, Mutmaßlich fehlt (Leserbrief). Jeweils S. 6.
298 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) dass die Frage nach dem „Warum“ wohl nie zu beantworten sein werde,111 fragte die FAZ am folgenden Tag, „[w]oher […] die rechtsextreme Gewaltkriminalität“ komme?112 Vereinzelte Versuche, vermeintlich instabile Elternhäuser und fehlende Väter verantwortlich zu machen, wurden allerdings nicht weiter ausgeführt.113 Dafür fragte sie, ob man dies nicht hätte ahnen können, wenn man einige Anzeichen ernster genommen hätte?114 Die in diesen Tagen – auch in der FAZ – vielfach auftauchenden Artikel und Chroniken über rechtsradikale Gewalt zeigen, dass dies sicherlich der Fall war.115 Dass es irgendwann zu Todesopfern kommen würde, „war nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden zu befürchten, ja fast absehbar“, führte ein weiterer Bericht aus.116 Ähnlich konsensual war auch die Kritik daran, dass die Debatte über die Hintergründe des Anschlages direkt in den Wahlkampf gezogen und zu einem parteipolitischen Zankapfel gemacht wurde. Während „Die Zeit“ sich weniger mit Köhler oder den genauen Vorfällen beschäftigte, stand diese Kritik deutlich im Vordergrund ihrer Berichte. Die Opfer wären noch nicht einmal im Krankenhaus und die Leichen hätten noch auf der Straße gelegen, „da fielen schon die Politiker […] wie die Geier übereinander her und versuchten sich gegenseitig die Schuld für die Katastrophe in die Schuhe zu scheiben“.117 Dies sei fast noch schlimmer als der eigentliche Anschlag und bezeichnend für die politische Kultur der Bundesrepublik, fand auch die „Allgemeine jüdische Wochenzeitung“: „Der Wahlkampf […] ist vorbei, und so sollte sich denn niemand an seinem Optimismus hindern lassen, daß es vielleicht wenigstens jetzt möglich ist, von Politikern über Ursachen des Bombenanschlags von München im besonderen [sic] und über das Phänomen des rechtsextremistischen Terrorismus ehrlichere und intellektuell redlichere Argumente zu hören, als die zu Wahlkampfplatitüden [sic] degenerierten Sprüche in der ersten Woche nach dem grausigen Attentat.“118
111 FR, Auf eine schauerliche Weise durchgegriffen, 30.9.1980, S. 3. 112 FAZ, Haß, 30.9.1980, S. 3. 113 FAZ, Die alten Rechtsextremisten sind den jungen zu zahm, 4.10.1980, S. 4. 114 FAZ, Haß, 30.9.1980, S. 3. 115 Auch die FAZ erklärte, die Bereitschaft zu Gewalt bzw. kriminellen Taten wie Banküberfällen sei bereits in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Darüber hinaus gehörten „[s]elbstgebastelte Rohrbomben […] schon seit Jahren zum Waffenarsenal von Rechtsextremen in der Bundesrepublik“. Vgl. FAZ, Rechtsextremisten und Rohrbomben, 29.9.1980, S. 3. Siehe auch FAZ, Spuren, 29.9.1980, S. 1; FAZ, 1980 eine Häufung rechtsextremistischer Gewalttätigkeiten, 29.9.1980, S. 2; FAZ, Baum. Zunehmende Neigung zu Gewalt bei Rechtsextremisten, 21.10.1980, S. 3. 116 FAZ, Rechtsextremisten, 4.10.1980, S. 4. 117 Die Zeit, Grauen, 3.10.1980. Siehe auch Die Zeit, Bombe, 3.10.1980. 118 Allg. jüd. Wochenztg., Verbrechen, 10.10.1980, S. 2f.. Siehe auch Allg. jüd. Wochenztg., Galinski fordert entschiedenere Bekämpfung des Neonazismus, 24.10.1980, S. 2.
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Den „Sumpf des Neonazismus“ könne man schließlich nur trockenlegen, wenn sich die Demokraten nicht gegenseitig behindern, kritisierte die jüdische Zeitung.119 Politiker müssten vielmehr ihrer Vorbildfunktion nachkommen.120 Mit dieser Kritik zielte die „Allgemeine“ dabei vor allem auf die Unionsparteien und speziell die CSU. Expliziter findet sich dies in der „Frankfurter Rundschau“: „Die eindringlichen Mahnungen, den Münchener Terror-Anschlag aus dem Wahlkampf herauszuhalten, haben nichts genutzt. Nachdem der Kanzlerkandidat der Unions-Parteien begonnen hatte, mit bösartigen Schuldzuweisungen aus dem blutigen Verbrechen parteipolitisches Kapital zu schlagen, fühlte sich dann auch der Münchener CSU-Oberbürgermeister [...] dazu ermutigt, die Trauerfeier für die Opfer als Forum für den Wahlkampf zu mißbrauchen. Was hier dem Bürger zugemutet wurde, ist wohl das traurigste Kapitel in der Geschichte der Bundestags-Wahlkämpfe.“121
Deutliche Positionierungen gegen Franz Josef Strauß veröffentlichte auch „Die Zeit“. Dieser habe sich vom trivialen Vorteilsdenken verführen“ lassen und die Münchener Bombe genutzt, um davon abzulenken, dass die bayerischen Behörden den Rechtsradikalismus stets verharmlost hätten.122 Die Bombe von München sei zur Bombe im Bundestagswahlkampf geworden, spitzte ein Bericht zu.123 Auf der grundlegenden Ebene konnte sogar die FAZ diesen Ausführungen zustimmen.124 Die Frage, welcher Politiker zu welchem Zeitpunkt den Rechtsradikalismus oder einen Terrorismus verharmlost oder dramatisiert hätte, behandelten zahlreiche Artikel.125 Auffällig ist aber, dass die Unionsparteien hier keinesfalls im Mittelpunkt standen. Zudem wurden die bayerischen Behörden gerade nicht für ihre relativierende Haltung kritisiert. Die FAZ vermied eine kritische Darstellung, die für die Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauß ge-
119 Allg. jüd. Wochenztg., Verbrechen, 3.10.1980, S. 1f. Vgl. auch mit dem Interview mit Bundesinnenminister Gerhard Rudolf Baum in FR, Bestand, 24.10.1980, S. 3f. 120 Allg. jüd. Wochenztg., Zerstörerischen Tendenzen wehren, 24.10.1980, S. 2. 121 FR, Flucht, 2.10.1980, S. 3. Siehe auch FR, Kanzler. Irrsinniger Anschlag, 29.9.1980, S. 1f.; FR, Mord, 29.9.1980, S. 3; FR, Strauß zieht Attentat voll in den Wahlkampf, 30.9.1980, S. 1f.; FR, Egon Bahr spricht von Hetze, 1.10.1980, S. 4. 122 Die Zeit, Bombe, 3.10.1980. Siehe auch Die Zeit, Grauen, 3.10.1980. 123 Die Zeit, Bombe, 3.10.1980. 124 Mehrfach kritisierte sie ebenfalls, dass der Anschlag direkt in den Wahlkampf hi neingezogen wurde. Vgl. FAZ, Oktoberfest-Mord, 29.9.1980, S. 1f.; FAZ, Nach dem Anschlag. Strauß attackiert Baum, 29.9.1980, S. 3; FAZ, War der Münchner Bombenleger ein Einzeltäter?, 30.9.1980, S. 1; FAZ, Jede Gewalt nach einheitlichen Maßstäben ächten, 1.10.1980, S. 6; FAZ, CDU. Rechtsextremismus nicht begünstigt, 1.10.1980, S. 39f. 125 Vgl. ebd.; FAZ, Heftige Vorwürfe Tandlers, 30.9.1980, S. 1f.; FAZ, Auseinandersetzungen in Bonn um den Anschlag in München, 30.9.1980, S. 3; FAZ, Er weiß alles, 30.9.1980, S. 12.
300 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) fährlich werden könnte.126 Dies erklärt, warum die Zeitung den Rechtsradikalismus als potenzielle Gefahr beschrieb, gleichzeitig aber die Hintergründe des Anschlages auf das Oktoberfest zu entpolitisieren versuchte. Parallel kritisierte sie, trotz der massiven Manifestation des Rechtsterrorismus, speziell die vermeintliche Kompromissbereitschaft der politischen Linken gegenüber dem linken Terror der letzten Jahre. Die Debatten über die RAF und andere Gruppen hätten zu viel Verständnis für den Terror als Methode aufgezeigt und somit auch von der politischen Realität frustrierte Rechtsradikale motiviert: „Wenn Gewalt einmal irgendwo toleriert wird“, führte die Zeitung aus, „setzt ein Wucherungsprozeß ein, dem dann keine Grenzen mehr zu setzen sind – manchmal nicht einmal die, die aus dem Tod der Opfer folgen“.127 Daher, und damit kommt die FAZ schnell wieder zu einem ihrer Hauptanliegen, dürfe es „nicht darum gehen, ob Gewalttaten von Rechtsextremisten oder von Linksextremisten verübt würden, ob sie gezielt gegen einzelne oder anonym gegen unbeteiligte Bürger gerichtet seien“.128 Die Gewalt an sich sowie der „kollektive Wahnsinn“, der die Münchener Tat möglich gemacht habe,129 müsse zum Schutz von Staat und Gesellschaft bekämpft werden. Und weil sie mit diesen Ausführungen einen Teil der Verantwortung für den Münchener Anschlag auf die Linke übertrug, forderte sie nun eine gemeinsame Abwehrfront aller Demokraten gegen die Extreme. Die Auseinandersetzung um die Deutung des Münchener Anschlages entwickelte sich insofern schnell zu einem zentralen Themenkomplex. Da die nächste Bundestagswahl keine zehn Tage später stattfand, wurde das Attentat sofort in den Wahlkampf zwischen Schmidt und Strauß gezogen. Äußerst zentral war die Frage, ob der Täter allein handelte oder Teil eines rechtsradikalen Netzwerkes sei, welches ihn nicht nur ideologisch, sondern auch bei der konkreten Vorbereitung unterstützte. Es ging letztlich darum, ob in der Bundesrepublik größere rechtsterroristische Gruppierungen operieren, und parallel um die Frage, wie viel Einfluss der Rechtsradikalismus insgesamt ausübe. Speziell für die zunächst zuständigen bayerischen Behörden und die Politiker der CSU handelte es sich um eine potenziell bedrohliche Situation. Sie hatten sich jahrelang geweigert, die WSG-Hoffmann als das zu bewerten, was sie war: eine rechtsradikale paramilitärische Truppe.130 Da ausgerechnet ein Rechtsradikaler aus dem Umfeld der 126 Für die Presseschau wurde entsprechend ein Artikel ausgewählt, der einen rechtsradikalen Hintergrund mit der Erklärung verneinte, dass die Neonazis keineswegs „so dumm sind, ihrem Gegner [der SPD] Vorteile zu verschaffen“. Vgl. FAZ, An die dreißiger Jahre erinnert, 30.9.1980, S. 2. 127 FAZ, Spuren, 29.9.1980, S. 1. Siehe auch FAZ, Haß, 30.9.1980, S. 3; FAZ, Gewalt, 1.10.1980, S. 6. 128 FAZ, Gewalt, 1.10.1980, S. 6. 129 FAZ, Haß, 30.9.1980, S. 3. 130 Franz Josef Strauß äußerte diesbezüglich am 22. März 1979 im Landtag: „Machen sie sich doch nicht lächerlich, wenn sie gewissen Gruppierungen – sie haben heute die Wehrsportgruppe Hoffmann genannt – durch ihre ständigen, in der Öffentlich-
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Wehrsportgruppe in München einen Bombenanschlag ausgeführt hatte, musste es zwangsläufig so wirken, als ob die abwartende Haltung der Behörden eine gewisse Mitschuld an dem Anschlag trage. Die WSG-Hoffmann wurde von Karl-Heinz Hoffmann bereits 1974 aufgebaut. Sie war die bekannteste militante Gruppe der siebziger Jahre und bereitete sich relativ öffentlich auf einen Partisanenkampf gegen eventuell eingerückte Sowjetsoldaten vor.131 Begonnen hatte die Truppe zunächst mit Saalschutz-Aufgaben bei Veranstaltungen von NPD und Deutscher Volksunion (DVU). Als es 1976 zu einer ersten großen Straßenschlacht mit Gegendemonstranten kam, begannen zivilgesellschaftliche Akteure eine längere Kampagne zum Verbot der Organisation.132 In den siebziger Jahren betrieben fast alle neonazistischen Gruppen „Wehrsport“, Hoffmanns Organisation kam dabei aber eine Vorbildfunktion zu. Sie war, wie die Aktion Widerstand, eine wichtige Zwischengruppe auf dem Weg zum Rechtsterrorismus und zeichnete sich durch besondere Brutalität und regelmäßige Gewalt gegen politische Gegner aus.133 Die Gruppe selber ist nach Bernd Rabert eher als „Vorstufe einer terroristischen Vereinigung“ zu sehen, „ohne jedoch deren Qualität oder Handlungssystematik zu erreichen“.134 Auch Armin Pfahl-Traughber erkannte keine „terroristische Struktur“, erklärte aber, dass sich „terroristische Handlungen nicht zufällig aus der Wehrsportgruppe Hoffmann“ entwickelten.135 Die bis zu 400 Aktivisten trainierten regelmäßig in fränkischen Wäldern mit ausgedienten Bundeswehr-Fahrzeugen und zeigten sich öffentlich in Uniformen mit Totenkopfabzeichen. Angesichts der steten Relativierungen aus Bayern war es dann Bundesinnenminister Gerhard Baum (FDP), der am 16. Januar 1980 das Verbot aussprach. In der Folge fanden die Ermittler massenhaft militärische Ausrüstung und regelrechtes Kriegsgerät wie Schützenpanzer und Flak-Kanonen. Hoffmann setzte sich mit einigen Anhängern in den Libanon ab und führte seine Ausbildungsmission dort als Wehrsportgruppe Ausland fort.136 keit vorgetragenen Darstellungen überhaupt erst in der bayerischen Bevölkerung bekanntmachen und ihnen damit eine Bedeutung beimessen, die sie nie hatten, nie haben und in Bayern nie bekommen werden.“ Zit.n. Taler, Verharmloser, S. 19. 131 Vgl. Rabert, S. 24. Für weitere Informationen siehe Gräfe, S. 98–112; Rosen, S. 53–58. 132 Anlass war eine Veranstaltung des Hochschulrings Tübinger Studenten, bei dem auch Gundolf Köhler aktiv war. Spätestens hier wurde ihm die Existenz der WSG bekannt. Vgl. Botsch, S. 81. 133 Viele spätere Attentäter, wie die Mitglieder der sogenannten „Hepp-Kexel-Gruppe“, erhielten hier ihre Ausbildung. Dies gilt auch für Uwe Behrendt, der Ende des Jahres 1980 den jüdischen Verleger Shlomo Lewin und dessen Lebensgefährtin Frida Poeschke erschoss. Auch hier konnte Hoffmann selbst keine Beteiligung nachgewiesen werden – was aber bis heute aufgrund zahlreicher Indizien umstritten ist. Vgl. Backes, S. 108–114; Botsch, S. 82; Kailitz, S. 97; Röpke / Speit, S. 51–56; Stöss, Rechte, S. 165f.; Sundermeyer, S. 32f. 134 Vgl. Rabert, S. 298, siehe auch S. 288–295. Vgl. zudem Gräfe, S. 98–111. 135 Pfahl-Traughber, S. 73f. 136 Für weitere Details siehe Röpke / Speit, S. 49; Botsch, S. 82; Stöss, Rechte, S. 165f.
302 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) Die offizielle Lesart nach dem Münchener Anschlag war, dass Köhler als Einzeltäter handelte und der Anschlag eine Verzweiflungstat gewesen sei.137 Diese „Einzeltäter-These“ war eine zentrale Verteidigungslinie derjenigen, die aus verschiedensten Motiven nicht über die rechtsradikalen Hintergründe sprechen wollten.138 Bis heute wird diese Erklärung vielfach zurückgewiesen und auf Hinweise zu alternativen Szenarien, Mittätern oder Hintermännern sowie Ermittlungspannen verwiesen. Auch über eventuelle Verbindungen der Tat zu (bundesdeutschen) Geheimdiensten oder „stay-behind“-Einheiten wird bis heute vielfach spekuliert.139 Zudem blieb auch die Verantwortung der WSG-Hoffmann umstritten. Eine Hilfestellung oder Anstiftung durch die WSG oder ihren Anführer konnte nicht nachgewiesen werden – wurde aber auch nicht ausreichend untersucht.140 Köhler hat auf jeden Fall nachweislich an „Manövern“ dieser paramilitärischen Truppe teilgenommen und war bereits in der rechtsradikalen Szene seines Studienortes Tübingen vernetzt.141 Er wurde in der Wehrsportgruppe Hoffmann und im Hochschulring Tübinger Studenten zumindest ideologisch geschult und ausgebildet. Zudem hat er rechtsradikales Denken „als Mittelpunkt seiner gesamten Lebensplanung verinnerlicht“.142 Die Einzeltäter-These blieb bis heute, trotz aller Zweifel, die offizielle Deutung, aber die Frage nach den genauen Hintergründen gleichzeitig eine der offenen Kontroversen. Schon damals war sie heftig umstritten und wurde intensiv debattiert. Einer eventuellen Tatbeteiligung der Wehrsportgruppe Hoffmann stand die FAZ von Anfang an skeptisch gegenüber. Sie betonte schnell, dass es bisher ungeklärt sei, „ob es sich um ein ‚Organisationsdelikt‘ der verbotenen, gleichwohl wahrscheinlich im Untergrund weiterexistierenden ‚Wehrsportgruppe Hoffmann‘ handele oder um die Tat eines Einzelnen aus dieser Gruppe oder vielleicht einer Untergruppe in ihr.“143 In einer Reportage kurz nach dem „Oktoberfest-Attentat“ hieß es unkritisch, dass der Verfassungsschutz „die Gruppe als eine lästige und unerfreuliche, aber im Grunde harmlose Vereinigung“ beziehungsweise als 137 Vgl. Backes, S. 105; Stöss, Rechte, S. 166. 138 Unterstützung bekam diese Auffassung durch die schnelle Freilassung der anderen Mitglieder der WSG-Hoffmann, denen keine Tatbeteiligung nachgewiesen werden konnte. Erst später wurde bekannt, dass der Tatverdacht aufrechterhalten wurde, das Belastungsmaterial aber nicht für einen Haftbefehl reichte. Vgl. Vinke, S. 45f. 139 Siehe zu alternativen Szenarien Röpke / Speit, S. 50; Schmidt-Eenboom / Stoll, S. 203–232. 140 Vgl. Pfahl-Traughber, S. 73. Samuel Salzborn geht hingegen davon aus, dass Köhler WSG-Aktivist gewesen ist. Vgl. Salzborn, S. 49. Eckard Conze schrieb 2009 in seiner Geschichte der Bundesrepublik ganz explizit, dass die WSG-Hoffmann hinter dem Oktoberfest-Attentat stehe. Vgl. Conze, Suche, S. 486. 141 Vgl. Röpke / Speit, S. 50; Botsch, S. 82. 142 Rabert, S. 315. 143 FAZ, Oktoberfest-Mord, 29.9.1980, S. 1f. Vgl. auch FAZ, Die Wehrsportgruppe Hoffmann, 29.9.1980, S. 3.
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„Spinner“ betrachte.144 Auch etwa zehn Monate nach dem Verbot beharrte die FAZ darauf, dass von ihr keine Bedrohung ausgehe.145 Die Bundesrepublik sei eher vom ausländischen Echo auf die Wehrsportgruppe als von dieser selbst gefährdet, argumentierte sie.146 Bereits früh fokussierte die FAZ daher konsequent auf die Einzeltäterthese: „Ein Einzeltäter, ein verrückter Fanatiker, ein Bombenbastler – entweder mit Selbstmordabsicht oder nur mit ‚Pech‘? Das ist allemal möglich“, erklärte sie direkt nach der Tat.147 Als bekannt wurde, dass Köhler sich vor der Tat mit anderen Menschen unterhalten hatte, wertete die FAZ dies nicht als Indiz für eine Mittäterschaft.148 Er habe zwar an „Manövern“ der Wehrsportgruppe Hoffmann teilgenommen, sei aber ansonsten, obwohl er teilweise direkt beschattet worden sei, nicht durch politische Aktivitäten aufgefallen. Köhler wollte wohl „seinem ‚Gruppenchef ‘“ Hoffmann demonstrieren, „was er für ein Kerl sei“, spekulierte die Zeitung.149 Um die Einzeltäterthese zu betonen, wurde Köhler vielfach als psychisch Erkrankter porträtiert.150 Diese Darstellung traf allerdings auch im nicht-staatlichen Bereich schnell auf Widerspruch. Die „Allgemeine jüdische Wochenzeitung“ charakterisierte die Debatte über die Einzeltäterschaft Köhlers sogar als belanglos. Selbst wenn er letztlich als Einzeltäter gehandelt habe, was die Zeitung teilweise bezweifelte,151 wäre er zuvor dennoch massiv rechtsradikal beeinflusst gewesen. Es sei absurd, so zu tun, „als habe dieser junge Mensch nicht vielfältigen Einflüssen unterstanden, keine wenn auch noch so spärliche Kommunikation betrieben; als sei nicht auch er geprägt worden und sei es von kriminellen Verführern, ungeordneten Gedanken und pervertierten Normen.“152 „Die Zeit“ äußerte sich relativ wenig zu dieser Frage, allerdings hielt auch sie es für absurd, dass Köhler alleine zur 144 FAZ, Wehrsportgruppe, 29.9.1980, S. 3 bzw. FAZ, Haß, 30.9.1980, S. 3. 145 Dass die zunächst verhafteten Wehrsportgruppenmitglieder wieder freigelassen wurden, wertete die FAZ als logische Konsequenz ihrer Unschuld. Vgl. FAZ, Seltsamer Einzelgänger, 30.9.1980, S. 1; FAZ, Bombenleger, 30.9.1980, S. 1; FAZ, Köhler galt als Eigenbrötler, 30.9.1980, S. 2. 146 FAZ, Wehrsportgruppe, 29.9.1980, S. 3. 147 FAZ, Einzelgänger, 30.9.1980, S. 1. Siehe auch FAZ, Vorwürfe, 30.9.1980, S. 1f. 148 FAZ, Neue Fahndungsergebnisse in München, 10.10.1980, S. 1. 149 FAZ, Köhler, 30.9.1980, S. 2. Auch ein in der FAZ abgedruckter Leserbrief unterstellt Köhler, als Einzeltäter aus bloßer Ruhmsucht gehandelt zu haben. Vgl. FAZ, An Herostrat erinnert, 4.10.1980, S. 8. 150 Der „verrückte Fanatiker“ habe keine Freunde gehabt und in seiner Heimatstadt Donaueschingen „als Eigenbrötler mit ungewöhnlichem Geltungsbedürfnis“ gegolten. Vgl. FAZ, Einzelgänger, 30.9.1980, S. 1 bzw. FAZ, Köhler, 30.9.1980, S. 2. Für weitere Darstellung eines psychologischen Hintergrundes siehe FAZ, Tandler beklagt sich über Rebmann, 29.9.1980, S. 2; FAZ, Anschlag, 29.9.1980, S. 3. 151 Siehe Allg. jüd. Wochenztg., Sinnlose, 3.10.1980, S. 1f. Abweichend dazu der Bericht über Köhler. Vgl. Allg. jüd. Wochenztg., Kein dringender Verdacht mehr, 3.10.1980, S. 1. 152 Allg. jüd. Wochenztg., Verbrechen, 10.10.1980, S. 2f.
304 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) Tat motiviert worden war; und vermutete in der „Einzeltäter-These“ eine Ablenkungsstrategie.153 Wäre Köhler dem linken Spektrum zuzuordnen, „hätte freilich schon längst alle Welt nach dem ‚geistigen Umfeld‘, nach den Sympathisanten gefragt“, so das pointierte Fazit.154 Anschließend erklärte die Zeitung noch, dass es Tradition in Deutschland sei, den Rechtsradikalismus derart zu verharmlosen und dass dies besonders in Bayern praktiziert werde. Zwar gab „Die Zeit“ dem bayerischen Innenminister Tandler recht, dass es vielleicht die Linken seien, welche die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Bundesrepublik stärker gefährden, für den inneren Frieden gelte dies aber keineswegs. Schließlich sei die Münchener Tat kein Zufall gewesen, hieß es andeutungsvoll.155 Die „Frankfurter Rundschau“ akzeptierte einerseits schnell, dass Gundolf Köhler als ausführender Täter identifiziert wurde,156 andererseits lehnte sie die Einzeltäterthese gleichfalls als Entpolitisierungsstrategie und Notlüge zur Vertuschung der Hintergründe ab.157 Offensiv ging sie allen Indizien, die gegen eine alleinige Täterschaft Köhlers sprachen, nach.158 Sogar der Generalbundesanwalt 153 Die Zeit, Wie sicher ist Deutschland? Terrorismus und Innere Sicherheit. Die streitbare Demokratie nach einem Jahrzehnt sozial-liberaler Koalition, 3.10.1980. 154 Die Zeit, Grauen, 3.10.1980. 155 Die Zeit, Nachrichten über die Bombe, 10.10.1980. Merkwürdigerweise veröffentlichte Die Zeit aber zudem einen Bericht, der sich für die Unschuldsvermutung auch in Bezug auf Köhler einsetzte. Zwar spreche vieles gegen ihn, aber die unmittelbaren Vorverurteilungen hielt die Zeitung, selbst mehr als zwei Wochen nach der Tat, noch für wenig angemessen. Vgl. Die Zeit, Im Zweifel für Köhler, 17.10.1980. 156 Siehe FR, Rechtsextremist, 29.9.1980, S. 1f.; FR, Generalbundesanwalt, 29.9.1980, S. 2; FR, Gundolf Köhlers Eltern stellen sich vor ihren Sohn, 4.10.1980, S. 4. 157 Derartige Deutungen wurden regelmäßig als höchst spekulativ beschrieben. Zwar finden sich mehrfach zitierte Aussagen, die einen krankhaften psychologischen Hintergrund vermuten lassen, und die Zeitung selbst beschrieb Köhler als einen „schwierig-scheuen Einzelgänger“ bzw. erkannte ein krankes Gehirn, aber psychische Erklärungen führen eben keinesfalls zwangsläufig zur Einzeltäterthese. Vgl. FR, Attentat als Wahlkampfthema, 29.9.1980, S. 1; FR, Kanzler, 29.9.1980, S. 1f.; FR, Galinski. Sumpf trockenlegen, 30.9.1980, S. 2. Für den Fall, dass Köhler letztlich doch als Einzeltäter agiert habe, betonte auch die Rundschau, dass er zumindest in einem größeren rechtsradikalen Umfeld – damit zielte sie auf die WSG-Hoffmann – dazu stimuliert worden sei. Vgl. FR, Schloss, 30.9.1980, S. 3. 158 Dass Köhler vor der Tat noch mit zwei jungen Männern gesprochen habe, wurde entsprechend angeführt. An bekannte Klischees über junge Rechte anknüpfend hieß es andeutungshaft: „Auffallend war der kurze Haarschnitt der beiden jungen Männer“. Vgl. FR, Köhler sprach vor dem Anschlag mit zwei jungen Männern, 10.10.1980, S. 1. In einem Porträt wurden alte Freunde zitiert, die eine Einzeltat ausschlossen, da Köhler sich selbst in den letzten Monaten vor dem Anschlag kaum politisch und keinesfalls extrem geäußert habe. Sein alter Geschichtslehrer ergänzte, dass dieser auch im Unterricht zur NS-Zeit unauffällig geblieben war. Dies sollte suggerieren, dass er schwerlich so schnell ein einsamer Rechtsradikaler geworden sein könne. Daher bilanzierte der Artikel: „Das Konkreteste, was auf eine Bereitschaft zu einer Tat wie
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hätte betont, dass „dieses ‚schwerste Attentat seit Bestehen der Bundesrepublik‘ nicht auf das Konto eines Einzeltäters gehe“, und angegeben, mit der Verhaftung der WSG-Mitglieder weitere Bombenattentate verhindert zu haben.159 Mehrfach kritisierte die FR, dass die Wehrsportgruppe Hoffmann viel zu lange bagatellisiert worden sei, und zitierte höhere Polizeibeamte und Politiker, die angaben, dass Karl-Heinz Hoffmann alles andere als harmlos sei.160 Als die zunächst verhafteten Wehrsportler aufgrund mangelnder Tathinweise wieder freigelassen wurden, betonte die Zeitung, dass die Gruppe weiterhin im Fokus der Ermittlungen stehe und hielt ihre Verdächtigung somit aufrecht.161 Die FR erklärte zudem fast man traartig, dass Köhlers Mitgliedschaft erwiesen sei.162 Die „Allgemeine jüdische Wochenzeitung“ zielte darüber hinaus auf eine grundlegende Problematik. Der rechtsterroristische Anschlag in München wurde als ein Angriff auf die gesamte Gesellschaft beziehungsweise die Freiheit des Westens dargestellt.163 Er offenbare die ohnehin massive Bereitschaft rechtsradikaler Aktivitäten, Gewalt in die Gesellschaft zu tragen. Die vielfach artikulierte Bedrohung bezog sich daher in erster Linie auf das friedliche Zusammenleben, das massiv gestört werden würde.164 Eindeutig hielt die „Allgemeine“ die gestiegene Gewalt für ein Produkt der Zustände im Land und erkannte in ihr einen Seismografen, denn „Terroristen […] sind ein Produkt und Problem der Gesellschaft, aus der sie sich abzumelden suchen“.165 Dass die Rechtsradikalen sich auch der von München hinweisen könnte, sind Bemerkungen, die Köhler angeblich früher schon mal fallen ließ, aber eher beiläufig und ohne nähere Begründung: Durchgreifen müsse man und die Zügel nicht schleifen lassen“. Vgl. FR, Weise, 30.9.1980, S. 3. Zudem zitierte die FR den bayerischen Innenminister, der zu diesem Zeitpunkt noch eine gemeinsame Aktion mehrerer Täter für möglich hielt. Vgl. FR, Rechtsextremist, 29.9.1980, S. 1f. 159 Vgl. FR, Generalbundesanwalt, 29.9.1980, S. 2. So auch FR, Wehrsportgruppe Hoffmann, 29.9.1980, S. 2; FR, Bombenleger, 1.10.1980, S. 1; FR, Bombe stammte aus dem Krieg, 2.10.1980, S. 1. 160 Sie verwies auf Waffen und Sprengmittelfunde in Wohnungen von deren ehemaliger Führungsriege. Vgl. FR, Rechtsextremist, 29.9.1980, S. 1f.; FR, Generalbundesanwalt, 29.9.1980, S. 2; FR, Wehrsportgruppe, 29.9.1980, S. 2. Siehe auch FR, Stunden, 29.9.1980, S. 3; FR, Rechtsradikale wieder frei, 30.9.1980, S. 1f. 161 FR, Auch in Frankfurt wurde nach Neo-Nazis gefahndet, 1.10.1980, S. 17. Erst am nächsten Tag erklärte die Frankfurter Rundschau, dass nun auch die Bundesanwaltschaft die zuvor verhaftete Führungsriege der Wehrsportgruppe nicht mehr für tatverdächtig hielt. Vgl. FR, Bombe, 2.10.1980, S. 1. 162 FR, Generalbundesanwalt, 29.9.1980, S. 2; FR, Rechtsradikale, 30.9.1980, S. 1f.; FR, Weise, 30.9.1980, S. 3; FR, Schloss, 30.9.1980, S. 3. 163 Allg. jüd. Wochenztg., Nicht Selbstschutz darf die Antwort sein, 10.10.1980, S. 1; Allg. jüd. Wochenztg., Unsere gemeinsame Aufgabe, 10.10.1980, S. 2. 164 Allg. jüd. Wochenztg., Orientierungspunkte, 12.9.1980, S. 3,5. So auch der Pressespiegel vom 10.10.1980, S. 12. 165 Allg. jüd. Wochenztg., Verbrechen, 10.10.1980, S. 2f. Siehe auch Allg. jüd. Wochenztg., Haß, 12.9.1980, S. 1f.
306 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) international vernetzen – die Zeitung beschrieb eine „‘Schwarze Internationale‘ der Rechten“166 – und somit die Gefährdungspotenziale ansteigen, ändere nichts an der Tatsache, dass der heimische Rechtsterrorismus als „spezifisch deutsches Problem“ in der Bundesrepublik bekämpft werden müsse.167 Dass hier zum Teil sehr gegensätzliche Deutungen aufeinanderprallten, wird schnell offensichtlich. Ähnliches lässt sich auch in Bezug auf die „Kommunisten-These“ feststellen. Dies war die zweite Verteidigungslinie derjenigen, die nicht über die rechtsradikalen Hintergründe sprechen wollten. Vertreter fanden sich, wie bereits bei der Einzeltäter-These, vor allem im konservativen Spek trum – allen voran in der CSU. Franz Josef Strauß musste handeln, wollte er seine Kandidatur für das Bundeskanzleramt nicht noch stärker gefährden. Daher zog er den Münchener Anschlag nicht nur unmittelbar in den Wahlkampf hinein, sondern versuchte zudem, diesen gegen die sozialliberale Bundesregierung zu wenden. Am 29. September 1980 ging Strauß in die Offensive und gab in einem „Bild“-Interview indirekt der sozialliberalen Bundesregierung eine Mitschuld an den Vorfällen.168 Um sich Verdächtigungen zu erwehren, dass der Rechtsradikalismus in Bayern stets verharmlost worden sei, führte Strauß aus, dass in Bayern alles Notwendige gegen diesen unternommen wurde, es auf Bundesebene aber größere Versäumnisse gegeben habe. Er erklärte zudem, dass er Informationen besitze, die zeigen, dass viele Rechtsradikale aus dem Wehrsportgruppenumfeld Verbindungen zur DDR hätten. Strauß beharrte – trotz besseren Wissens – auf einer Mitschuld des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. In der Union, speziell aber der CSU, war dies eine willkommene Strategie, um die regelmäßigen Vorwürfe bezüglich der Verharmlosung des Rechtsradikalismus zu kontern. Strauß konnte sich einer gewissen Resonanz sicher sein und darauf vertrauen, dass diese Ablenkungsthese ihm etwas Zeit verschaffen würde. Auch der bayerische Innenminister Gerold Tandler trat regelmäßig in diesem Sinne auf. Er hatte sich den Vorwurf eingehandelt, die Ermittlungsergebnisse massiv beeinflusst zu haben und persönlich für Ermittlungspannen verantwortlich zu sein.169 Die „Kommunisten-These“ wurde von Teilen der Presse – national und international – aufgegriffen. Von den untersuchten Akteuren hegte insbesondere die FAZ Sympathien für einen nachrichtendienstlichen Hintergrund, was entweder in Richtung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS) oder des sowjetischen Geheimdienstes KGB zielte:
166 Allg. jüd. Wochenztg., Schwarze Internationale der Rechten, 22.8.1980, S. 1f. So auch Allg. jüd. Wochenztg., Haß, 12.9.1980, S. 1f. 167 Allg. jüd. Wochenztg., Verbrechen, 10.10.1980, S. 2f. 168 Er sagte: „Herr Baum ist schuld, dass unsere Nachrichtendienste systematisch gelähmt, demoralisiert und zerschlagen wurden. Das nützt den links- und rechtsradikalen Verbrechern.“ Zit.n. Taler, Verharmloser, S. 19f. 169 Für Details siehe Vinke, S. 45f.
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„Weit hergeholt, aber nicht undenkbar wäre die Vermutung, das Verbrechen könne nicht nur einen terroristischen und extremistischen, sondern zugleich einen nachrichtendienstlichen Hintergrund haben. Wer mit Rechtsextremisten selber nichts im Sinn hat, könnte, falls ruchlos genug, desto interessierter daran sein, daß alle Welt sich über sein Aufkommen gerade in der Bundesrepublik Deutschland entsetze. […] Vieles, sogar das Meiste würde sich bei dieser Art der Erklärung zu einem Bild zusammenfügen, das ein plausibles Motiv böte und kein bisschen mysteriös wäre.“170
Schon der Hinweis, dass ein Rechtsradikaler wie Karl-Heinz Hoffmann in der DDR geboren war, reichte aus, um dem MfS eine Beteiligung anzudichten.171 Dass es hierfür kaum Indizien gab, focht die Zeitung nicht an. Zu sehr schätzte die FAZ die entlastende Wirkung dieser Annahmen. Zu gut passte diese Strategie zu ihren Zielen: Entweder handelte ein psychisch kranker Einzeltäter oder ein verwirrter Einzelner wurde von einem Geheimdienst ausgenutzt – so oder so wären die Bundesrepublik und ihre Gesellschaft aus der Schusslinie. Derart konnte die Einzeltäterthese vollständig vom Rechtsradikalismus abgekoppelt werden. Sogar als die These kommunistischer Steuerung nicht mehr haltbar war,172 argumentierte die FAZ, dass die DDR zumindest mittelbar ebenfalls verantwortlich sei für den Münchener Anschlag, da dortige Ereignisse sowie deren Existenz als solche die Rechtsradikalen radikalisiert hätten.173 Neben den Versuchen, einen originär rechtsradikalen Hintergrund zu relativieren, stellte die FAZ sofort Vergleiche mit dem vermeintlichen Gefährdungspotenzial von „links“ an. Ein Artikel über den Status quo des Rechtsradikalismus titelte nicht nur programmatisch: „Haß auf bürgerliche Politik – die andere Seite“, sondern widmete dem „Linksextremismus“ nur einen Tag nach dem rechtsterroristischen Anschlag gut die Hälfte des langen Artikels und bilanzierte, dass „[b]eide Formen des Terrors [...] ohne jeden Unterschied kriminelle Verbrechen“ seien.174 Links- und Rechtsterroristen diffe170 Anschließend spekulierte dieser Artikel, dass bundesdeutsche Extremisten von links und rechts unter Umständen „nicht nur Opfer ihrer eigenen Geistesverfassung“ geworden wären, sondern auch „Opfer von Bosheit, die sie manipuliert. Und am Ende vielleicht sogar tötet – damit es niemand merkt.“ Vgl. FAZ, Einzelgänger, 30.9.1980, S. 1. Siehe auch FAZ, Haß, 30.9.1980, S. 3. Bereits am 30. September findet sich ein Artikel aus dem französischen Figaro in der Presseschau der FAZ, der einen KGB-Hintergrund vermutete. Vgl. FAZ, Stimmen, 30.9.1980, S. 2. 171 Zwar distanzierte sich der Verfasser davon, daraus eine Steuerung durch DDR-Stellen zu behaupten, und verwies eher auf Erfahrungen in der DDR, die die Menschen zu Rechtsradikalen gemacht habe, aber den Gedanken führte er dennoch zunächst aus. Vgl. FAZ, Nach dem Anschlag in München, 4.10.1980, S. 4. 172 Erst am 2. Oktober findet sich in einem längeren Text versteckt der Hinweis, dass die bundesdeutschen Regierungsstellen keine Hinweise darüber hätten, dass die WSG-Hoffmann vom Staatssicherheitsdienst der DDR gesteuert wurde. Vgl. FAZ, Vogel verteidigt Rebmann gegen Vorwürfe Tandlers, 2.10.1980, S. 2. 173 FAZ, Anschlag, 4.10.1980, S. 4. 174 FAZ, Haß, 30.9.1980, S. 3. Siehe auch FAZ, Spuren, 29.9.1980, S. 1.
308 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) rieren bei allen Unterschieden „[i]m Fanatismus und in der kriminellen Energie ihrer Haupttäter“ nicht.175 Dem Linksradikalismus wurden dabei weiterhin die größeren Bedrohungspotenziale für den Staat zugestanden, da er „mehr intellektuelle Potenz“ aufweise und „eine, wenn auch geringfügig, größere Chance [habe], doch eines Tages Anschluß an Stimmungen in der Bevölkerung zu finden“.176 Interessanterweise veröffentlichte auch „Die Zeit“ eine „Chronik des Terrors“, welche von insgesamt 21 Terrorakten lediglich zwei rechtsradikalen Tätern zuordnete.177 Auch wenn die Gleichsetzung von linkem und rechtem Terror in der Zeitung in Bezug auf die Bundesrepublik eigentlich keine Rolle spielte, ist diese Chronik angesichts des Münchener Anschlages etwas fehl am Platze. Die „Kommunismusthese“ lehnte die Zeitung dennoch ab – zwar keineswegs offensiv, aber die klare Fokussierung auf den Rechtsradikalismus in allen anderen Berichten und die konsequente Nichtbeachtung dieser These sind eindeutig kongruentes Verhalten. Deutlicher agitierte die „Allgemeine“ gegen diese These. Einerseits beharrte sie darauf, nicht zwischen linkem und rechtem Terrorismus zu differenzieren.178 Andererseits dürfe es nicht geschehen, argumentierte der Bundestagsabgeordnete Helmut Sieglerschmidt in einem Gastbeitrag, „daß einige meinen, ein rechtsextremistischer Terror wäre nicht vorstellbar, da müsse etwas anderes dahinterstecken“.179 Versuche, den KGB oder das MfS zu beschuldigen, wurden explizit abgelehnt: „Die krampfhaften Versuche, als wahre Schuldige wieder die Agenten des Staatssicherheitsdienstes der DDR zu entlarven, weil sie zum Zwecke propagandistischer Ausschlachtung rechtsextremistische Organisationen in der Bundesrepublik unterwanderten, zeugt von einer gespenstischen Fixierung, in der für die Realitäten zumindest partiell kaum noch Platz bleibt.“180
Die „Frankfurter Rundschau“ wandte sich nicht nur gegen die Instrumentalisierung des Rechtsterrorismus im Wahlkampf, sondern vor allem gegen die Versuche, die Verantwortung der rechtskonservativen Kräfte zu leugnen. Sie hoffte, dass die „unredliche Argumentation“ bezüglich der Verantwortung von Bundesinnenminister Baum für das Entstehen des Rechtsterrorismus sich in unserem Land „von selbst“ richte, und kritisierte – wie auch „Die Zeit“ –, dass Franz Josef Strauß derart sowohl eine gemeinsame Trauer als auch ein gemeinsames Handeln 175 FAZ, Rechtsextremisten, 4.10.1980, S. 4. 176 FAZ, Spuren, 29.9.1980, S. 1. So auch FAZ, Haß, 30.9.1980, S. 3; FAZ, Wir sollten uns vor Heuchelei hüten, 3.10.1980, S. 9. 177 Die Zeit, Eine Chronik des Terrors, 3.10.1980. 178 Allg. jüd. Wochenztg., Sinnlose, 3.10.1980, S. 1f.; Allg. jüd. Wochenztg., Erschütterung und Mitgefühl, 10.10.1980, S. 4. 179 Allg. jüd. Wochenztg., Tendenzen, 24.10.1980, S. 2. 180 Allg. jüd. Wochenztg., Verbrechen, 10.10.1980, S. 2f.
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verhindert habe.181 Er habe stattdessen versucht, die „Flucht nach vorn“ anzutreten, um die eigene Verantwortung für den rechten Terror abzustreifen. „Während die Unionsparteien dafür sorgten, daß sich das öffentliche Interesse vor allem nach links richtete, vollzog sich auf dem rechten Flügel der Wandel vom verbalen Radikalismus zur Gewalt“,182 klagte die „Rundschau“. Dementsprechend wurde die Forderung nach einem Ende jeglicher Verharmlosung zu einer der wichtigsten Reaktionen der Zeitung auf das Oktoberfest-Attentat.183 Die FR ergriff erneut eindeutig Partei gegen die Unionsparteien und speziell die CSU. Dort „sei man eben traditionell auf dem rechten Auge blind“.184 Dass Strauß nur vier Tage nach dem Oktoberfest-Anschlag noch angab, dass in Bayern alles getan worden sei, um die Gefahr durch den Rechtsradikalismus zu minimieren, wertete die FR als grotesk beziehungsweise als dreiste Lüge und als einen Beweis für eine bewusste Bagatellisierungsstrategie.185 Auch dessen Aussagen, dass die Erfahrungen der Weimarer Republik eigentlich gezeigt hätten, dass man konsequent gegen rechten Terror vorgehen müsse,186 wurden direkt gegen ihn gewendet. Konservativen Akteuren wurde allgemein der Vorwurf gemacht, sich in der Bewertung des Rechtsradikalismus nur auf die NPD konzentriert zu haben, was dessen Gefährdungspotenziale verdeckt habe.187 Auch die Kommunismus-These wertete die FR 181 FR, Mord, 29.9.1980, S. 3. Siehe auch Die Zeit, Bombe, 3.10.1980. 182 FR, Flucht, 2.10.1980, S. 3. 183 Die Debatte über eine potenzielle Verharmlosung sowohl des Rechtsradikalismus als auch des linken Terrorismus durch politische Akteure der jeweiligen Gegenseite wurde breit dokumentiert. Vgl. z. B. FR, Attentat, 29.9.1980, S. 1; FR, Im Wortlaut, 29.9.1980, S. 2; FR, Mord, 29.9.1980, S. 3; FR, Strauß, 30.9.1980, S. 1f.; FR, Aufgespießt, 30.9.1980, S. 2; FR, Bahr, 1.10.1980, S. 4; FR, SPD. Stärker gegen Neo-Nazis vorgehen, 1.10.1980, S. 17; FR, Bonn. Bayern erschwerte Ermittlungen, 2.10.1980, S. 1f.; FR, Rücktritt von Strauß verlangt, 2.10.1980, S. 4; FR, Demagogische Breitseiten aus dem Süden, 4.10.1980, S. 3. 184 FR, Flucht, 2.10.1980, S. 3. 185 FR, Strauß, 30.9.1980, S. 1f.; Vgl. auch FR, Bayern, 2.10.1980, S. 1f.. Um auf die jahrelangen Verharmlosungen des Rechtsradikalismus durch die CSU und speziell deren Parteivorsitzenden aufmerksam zu machen, nutzte die FR nicht nur Aussagen prominenter Politiker oder Organisationen, sondern druckte unter der Rubrik „Im Wortlaut“ die bekannte und an anderer Stelle wiederholte Aussage von Strauß im bayerischen Landtag aus dem Jahr 1979, in der er die Bedrohungspotenziale der Wehrsportgruppe Hoffmann ins Lächerliche zog und deren Anführer als „harmlosen ‚Schwachkopf ‘“ darstellte. Vgl. FR, Wortlaut, 29.9.1980, S. 2; FR, Ansichten eines Kandidaten, 1.10.1980, S. 4. Erneut zitiert auch hier: FR, Bahr, 1.10.1980, S. 4. Zu anderen mit dem Verharmlosungsvorwurf zitierten Akteuren siehe FR, Bayern, 2.10.1980, S. 1f.; FR, Rücktritt, 2.10.1980, S. 4. 186 FR, Kanzler, 29.9.1980, S. 1f. 187 „Man konnte sich schließlich damit beruhigen, die rechten Nationaldemokraten seien ja aus den Parlamenten verschwunden und in Bedeutungslosigkeit untergegangen“, so die Kritik. Vgl. FR, Flucht, 2.10.1980, S. 3.
310 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) vor allem als Wahlkampfmanöver der Unionsparteien zur Verteidigung gegen den Vorwurf der bewussten Relativierung der rechtsradikalen Gefahr: „Das Kuriose […] ist, daß die Unionsparteien und ihre Freunde sich inzwischen so verhalten, als ob es derartige Anmerkungen tatsächlich gegeben hätte: Für die Verbrechen von München wird nämlich entweder wortreich ein freischwebender Einzeltäter verantwortlich gemacht oder es werden die seltsamsten Spekulationen über geheimnisvolle Hintermänner aufgestellt. Da werden die verrücktesten Seiltänze aufgeführt – nur mit Rechtsradikalismus, neonazistischen Tendenzen und Bestrebungen darf die Bluttat nicht in Verbindung gebracht werden“.188
Als weiteren Beweis dieser konservativen Ignoranz bezüglich des Rechtsradikalismus veröffentlichten sowohl die „Frankfurter Rundschau“ als auch „Die Zeit“ einen Bericht über „Bayerische Grenzer“, die zweimal junge, den Verfassungsschutzbehörden bekannte Neonazis „mit uniformähnliche[r] Kleidung mit Hakenkreuzen“ passieren ließen, bis jene von den österreichischen Beamten an der Einreise gehindert wurden.189 In dieselbe Richtung wirkte ein detailliert dokumentierter Briefwechsel zwischen einer Privatperson und zuständigen bayerischen Behörden, der verdeutlicht, wie diese sich lange zierten, einem rechtsradikalen Spielmannszug die Gemeinnützigkeit abzuerkennen und ein Verbot nach Art. 9 Abs. 2 GG ablehnten.190 Auch „Die Zeit“ argumentierte, dass die Verharmlosung des Rechtsradikalismus durch die CSU bewusst erfolgte. Dafür spreche, dass die Wehrsportgruppe Hoffmann vom bayerischen Verfassungsschutz derart intensiv überwacht und ausgespäht worden sei, dass die „Bayern am Sonntagmorgen [nach dem Oktoberfestanschlag] sofort wußten, wo sie zuzugreifen hatten.“191 Tatsächlich, so der Bericht weiter, „solle das Geschrei von Franz Josef Strauß und seinen Gehilfen bloß davon ablenken, daß die Wehrsportgruppe Hoffmann in Bayern tätig war und ihre Tat in München ausführte‘“.192 Insofern zeigt sich hier eine deutliche Trennlinie zwischen der konservativen FAZ auf der einen und der jüdischen „Allgemeinen“ sowie den (links-)liberalen Zeitungen „Die Zeit“ und „Frankfurter Rundschau“ auf der anderen Seite. Dies deckt sich mit den Positionierungen im politischen System. Bundeskanzler Helmut Schmidt und die Regierungsparteien forderten von Strauß Beweise für seine 188 FR, Flucht, 2.10.1980, S. 3. Siehe auch FR, Strauß, 30.9.1980, S. 1f.; FR, Kein Hinweis auf die DDR, 4.10.1980, S. 1. 189 FR, Bayerische Grenzer ließen Hakenkreuzträger passieren, 1.10.1980, S. 4; Die Zeit, Grauen, 3.10.1980. Ob es sich dabei wirklich um „bayrische Grenzer“, also um Angehörige der dem Land Bayern unterstellen Bayerischen Grenzpolizei handelte oder um dem Bundesinnenminister unterstellte Angehörige des Bundesgrenzschutzes muss an dieser Stelle offenbleiben. 190 FR, Mit Pauken und Trompeten für die NPD, 14.10.1980, S. 10. 191 Die Zeit, Grauen, 3.10.1980. 192 Der Artikel ist so geschrieben, dass unklar bleibt, ob dies eine Meinungsäußerung des Redakteurs oder der in diesem Absatz erwähnten Bundesanwaltschaft ist.
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Thesen, der sich auf nicht näher genannte bayerische Behörden berief, von denen er die Informationen habe. Nach hinlänglicher Prüfung stellte die Bundesregierung klar, dass sie und auch der Verfassungsschutz keinerlei Anhaltspunkte für einen MfS-Hintergrund hätten. Sie warfen Strauß vor, „hemmungslos irgendwelche erstunkenen und erlogenen Geschichten in die Welt“ zu setzen.193 Die Darstellung und die Interpretation der rechtsterroristischen Anschläge in den Publikationen waren schlussendlich eng verbunden mit den jeweiligen politischen Zielen. Unabhängig davon gingen alle fast konsensual davon aus, dass der Rechtsradikalismus keine direkte Bedrohung für die demokratische Gesellschaft sei. Unterhalb dieser Ebene variierten die artikulierten Bedrohungspotenziale dafür umso deutlicher. Weiterhin versuchte die FAZ, die Bundesrepublik gerade nicht als rechtsterroristisches Aktionsfeld oder Tummelplatz rechtsradikaler Gruppierungen darzustellen. Die Stabilität des Staates, argumentierte ein Bericht, „ist von rechts nicht gefährdet, da die legalen Organisationen des Rechtsextremismus, vor allem die NPD, an Bedeutung und Stärke weiter abnehmen“.194 Zwar biete die verbreitete Ausländerfeindlichkeit den Rechtsradikalen Anknüpfungspunkte an die politische Debatte, aber letztlich sei die Bedeutungslosigkeit des legalen Rechtsradikalismus ursächlich für eine Radikalisierung im illegalen Bereich. Die Westdeutschen seien, so die zentrale Botschaft, alles andere als rechtsradikal.195 Da die Rechtsradikalen keinerlei Anschluss an intellektuelle Strömungen hätten und es nicht einmal ein Klima gebe, in dem sie ihre Ideen in der Öffentlichkeit wirksam formulieren könnten, reagierten diese mit Vergangenheits- und Militärfetischismus, der zu Provokation und Gewalt führe, um überhaupt wahrgenommen zu werden.196 Auch Köhler, erklärte ein Bericht der FAZ, sei ein Verlierer, der sich auf die nationalsozialistische Tradition berufe und aufgrund der stetigen Unterdrückung „einsam beschlossen hätte, er müsse jetzt eine Heldentat vollbringen“.197 Die dramatische Zuspitzung des Rechtsradikalismus im Terrorismus sei zwar verheerend für die innere Sicherheit, aber gleichzeitig auch ein gutes Zeichen für die Demokratisierung der Bundesrepublik.198 193 Zit.n. Taler, Verharmloser, S. 20f. 194 FAZ, Rechtsextremisten, 4.10.1980, S. 4. Allerdings habe die NPD durch Untätigkeit und Hilflosigkeit als Durchlauferhitzer für die Gewalt und letztlich den Rechtsterrorismus agiert und die jungen Anhänger trotz gegenteiliger Absicht, wie die Zeitung explizit anerkannte, radikalisiert. Vgl. FAZ, Haß, 30.9.1980, S. 3. 195 FAZ, Rechtsextremisten, 4.10.1980, S. 4. Siehe auch FAZ, Hinterfragte Wähler, 3.10.1980, S. 25. 196 FAZ, Nicht Schriften, sondern Uniformstücke und Orden, 15.10.1980, S. 12. 197 FAZ, Haß, 30.9.1980, S. 3. So auch FAZ, Schriften, 15.10.1980, S. 12. 198 Die geringe Relevanz, die dem Rechtsradikalismus zugestanden wurde, zeigte sich auch in der randständigen Bedeutung der Ursachenfrage. Die Ursachen sowohl des Rechtsradikalismus als auch speziell des Rechtsterrorismus wurden selten und in den einschlägigen Kommentaren überhaupt nicht thematisiert. Alle Nennungen beruh-
312 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) Doch trotz Entpolitisierung und Externalisierung des Münchener Anschlages zielte die FAZ keinesfalls auf eine grundsätzliche Leugnung des Rechtsradikalismus sowie dessen Verbreitung. So erkannte sie durchaus an, dass rechte Gewalt stetig gewachsen sei, „[w]ährend im Bewusstsein der Öffentlichkeit lange vornehmlich Angehörige linker Gruppen als die Urheber von Anschlägen erschienen“.199 Nach dem Münchener Terroranschlag befassten sich zahlreiche Berichte mit anderen zum Teil ebenfalls rechtsterroristischen Vorfällen.200 Der Regionalteil informierte über eine Debatte innerhalb der politischen Szene der Stadt Frankfurt am Main, die über die örtlichen Probleme mit Neonazis sowie über die Frage geführt wurde, ob genug gegen den Rechtsradikalismus unternommen wurde.201 Daneben fanden Gerichtsprozesse, in denen Rechtsradikale wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung angeklagt werden, zusammen mit deren mutmaßlichen Sprengstoff- und Brandanschlägen regelmäßig ihren Weg in die Zeitung.202 Zudem druckte die FAZ mehrere lange Hintergrundberichte, die den Status quo des bundesdeutschen Rechtsradikalismus untersuchten.203 Darüber hinaus habe sich der Neonazismus in den letzten Jahren europaweit vernetzt.204 Während Köhler in erster Linie als Einzeltäter dargestellt wurde, erweckte die Berichterstattung nach dessen Tat insgesamt den Eindruck, dass rechtsterroristische Vorfälle stark verbreitet seien. Prophetisch behauptete ein längerer Bericht gut eine Woche nach dem Münchener Anschlag, dass man weiterhin jederzeit mit schweren Gewalttaten rechnen müsse.205 Zwar müsse der Rechtsradikalismus nicht als politische Kraft ernst genommen werden, dennoch finde sich dort ver-
ten in keiner Weise auf einer fundierten Auseinandersetzung mit den Hintergründen und werden in diesem Kapitel daher ebenfalls lediglich nebenbei erwähnt. 199 FAZ, Häufung, 29.9.1980, S. 2. 200 FAZ, Rechtsextremisten, 29.9.1980, S. 3; FAZ, Brandanschlag Rechtsradikaler, 30.9.1980, S. 4; FAZ, Waffen bei mutmaßlichen Rechtsextremisten entdeckt, 4.10.1980, S. 4; FAZ, Junge Rechtsradikale kommen vor Gericht, 4.10.1980, S. 38; FAZ, Brandanschlag auf ein von 600 Ausländern bewohntes Haus, 7.10.1980, S. 1; FAZ, Zehn Monate Freiheitsstrafe wegen Volksverhetzung, 23.10.1980, S. 4. 201 FAZ, SPD. Günstiges Klima für Neonazis in Frankfurt, 30.9.1980, S. 29; FAZ, CDU, 1.10.1980, S. 39f. 202 FAZ, Rechtsextremisten, 29.9.1980, S. 3; FAZ, Hauptpunkt der Anklage. Rechtsterrorismus, 1.10.1980, S. 6; FAZ, V-Mann der Beihilfe angeklagt, 2.10.1980, S. 4. 203 Hier erfuhr man, dass es vermehrt junge Rechtsradikale gebe und es der Szene immer besser gelänge, auch Frauen und Angehörige sozial höher gestellter Schichten anzusprechen. Vgl. FAZ, Wehrsportgruppe, 29.9.1980, S. 3; FAZ, Haß, 30.9.1980, S. 3; FAZ, Rechtsextremisten, 4.10.1980, S. 4; FAZ, Schriften, 15.10.1980, S. 12. 204 FAZ, Wehrsportgruppe, 29.9.1980, S. 3; FAZ, Das Verbrechen in der Rue Copernic, 6.10.1980, S. 8; FAZ, Baum. Zusammen gegen Rechtsextremisten, 13.10.1980, S. 4; FAZ, Schriften, 15.10.1980, S. 12; FAZ, Baum. Zunehmende Neigung zu Gewalt bei Rechtsextremisten, 21.10.1980, S. 3. 205 FAZ, Rechtsextremisten, 4.10.1980, S. 4.
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stärkt „Personal für kriminelle Handlungen“.206 Eine umfassende Gefahr sei dies zwar nicht, aber doch ein deutliches Alarmzeichen: „In unserem Staat, der für das Lösen von Konflikten und für das Bestreiten neuer Wege legale Formen in hinreichender Menge zur Verfügung stellt, ist Gewalt sicherlich noch keine Alltagserscheinung, aber die Neigung dazu wächst sachte – kleine, bedrohliche Veränderungen“.207
Deutlich sichtbar veränderte die FAZ ihre Berichterstattung nach München und fokussierte nun stärker auf die Gefährdungspotenziale des Rechtsradikalismus. Dieser wurde jetzt vor allem als Bedrohung für das friedliche Zusammenleben beziehungsweise die innere Sicherheit wahrgenommen. Man dürfe die Neonazis nicht mehr als „abseitige Spinner“ betrachten, sondern sollte ihr kriminelles Potenzial ernst nehmen, hieß es jetzt warnend.208 Unabhängig von konkreten Reaktionen im Einzelfall müsse man jederzeit demonstrieren, dass „Gewalt letztlich ohne Wirkung bleibe und unserer Gesellschaft nichts anhabe“.209 Deutlich zeigte sich hier die grundlegende Linie der FAZ. Problematisch sei vor allem die rechtsradikale Gewaltbereitschaft, welche trotz politischer Marginalisierung sowohl die politische Debatte erschwere als auch das Sicherheitsgefühl der Bundesbürger zum Teil deutlich beeinträchtige. Hier zeigt sich, dass Julius Bröder mit seiner zugespitzten These, dass die FAZ unter Demokratie vor allem „Ruhe und Ordnung“ verstand, zumindest in der Tendenz richtig lag.210 Dennoch war die Deutung des Rechtsterrorismus als Produkt der Marginalisierung des Rechtsradikalismus wohl bewusst derart positiv, um angesichts des Terrors auch Optimistisches verkünden zu können. Parallel arbeitete die FAZ daran, den Rechtsterrorismus als gesamteuropäisches Phänomen darzustellen. Einerseits spielte der Blick ins Ausland nicht mehr die zentrale Rolle, die er in früheren Jahren vor allem nach rechtsradikalen Wahlerfolgen eingenommen hatte,211 andererseits aber dienten Berichte über den Rechtsradikalismus im europäischen Ausland, wie schon während der antisemitischen Schmierwelle 1959/60, vor allem der Relativierung des bundesdeutschen Rechtsradikalismus und boten die Chance, den Rechtsterrorismus als eine europäische Angelegenheit zu beschreiben. Der Münchener Anschlag unterscheide 206 Ebd.. Erpresserische Gewalt würde von den Rechtsradikalen immer mehr als einzige Möglichkeit angesehen, politische Veränderungen nach ihren Vorstellungen voranzutreiben. Vgl. FAZ, Haß, 30.9.1980, S. 3; FAZ, Schriften, 15.10.1980, S. 12. 207 FAZ, Spuren, 29.9.1980, S. 1. 208 FAZ, Rechtsextremisten, 4.10.1980, S. 4. 209 FAZ, Gewalt, 1.10.1980, S. 6. 210 Vgl. Bröder, S. 162. Siehe zum Demokratieverständnis der FAZ auch S. 126–128. 211 Vor allem die Ausführungen der sowjetischen Presse wurden kaum mehr ernst genommen. Vgl. FAZ, Mitverantwortung der Bonner Parteien an Neonazismus, 4.10.1980, S. 2.
314 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) sich insofern nur gering von dem in Bologna.212 Auch Frankreich sei ein Zentrum des Rechtsterrorismus.213 Dort habe zudem eine Intellektualisierung des Rechtsradikalismus (die „Nouvelle Droite“; dt: Neue Rechte) stattgefunden, die es hierzulande nicht gebe.214 Der Rechtsradikalismus, so der Tenor, sei keine deutsche Besonderheit und tauge daher nicht als Argument gegen die Bundesrepublik: „Die neonazistische Entwicklung in der Bundesrepublik ist keine auf dieses Land begrenzte, isolierte Erscheinung. In anderen westlichen Staaten, so in Belgien, Frankreich, der Schweiz und Großbritannien, aber auch in den Vereinigten Staaten und Kanada, beobachtet man ebenfalls das Wechselspiel zwischen einem Rückgang des organisierten Rechtsradikalismus und einer Zunahme der Militanz in kleinen Aktionsoder Propagandagruppen.“215
Interessanterweise findet sich die von der FAZ postulierte „positive“ Deutung des Rechtsterrorismus sogar in der ansonsten pessimistischeren „Allgemeinen jüdischen Wochenzeitung“. Selbst hier wurde die Gewaltsteigerung als Folge von politischer Randständigkeit und somit als ein Zeichen für die demokratische Gesinnung der weitaus überwiegenden Bevölkerung in Westdeutschland dargestellt. Ergo sei die sichtbar gewordene Ausbreitung und massive Zunahme rechtsradikaler Gewalt vor allem mit dem Frust über die parteipolitische Belanglosigkeit von Parteien wie der NPD oder auch der DVU zu erklären.216 So gesehen, kons tatierte die jüdische Zeitung, sei der Trost des Oktoberfest-Attentates, dass es die Ohnmacht der Rechten offenbare. Jene würden nunmehr verzweifelt versuchen, sich „aus der Bedeutungslosigkeit der die ganze Persönlichkeit ergreifenden Luftschloßideologie herauszubomben.“217 Neben der Frustrationsthese zur Erklärung verstärkter Gewaltanwendung stand die Ursachenfrage in der jüdischen Zeitung aber nicht im Mittelpunkt. Abgesehen von wenigen Stellen, in denen sozio-ökonomische Probleme als Mobilisierungsursache angeführt wurden,218 212 FAZ, Moral, 30.9.1980, S. 25. 213 FAZ, Neonazistischer Terror in Frankreich, 29.9.1980, S. 3; FAZ, Vier Tote bei Bombenanschlag auf Synagoge in Paris, 4.10.1980, S. 1; FAZ, Verbrechen, 6.10.1980, S. 8; FAZ, Der Rechtsextremismus wird zum Thema auch der französischen Innenpolitik, 8.10.1980, S. 2; FAZ, Das Pariser Attentat – eine neue Spur, 10.10.1980, S. 2. 214 FAZ, Schriften, 15.10.1980, S. 12. 215 FAZ, Rechtsextremisten, 4.10.1980, S. 4. So auch FAZ, Verbrechen, 6.10.1980, S. 8. 216 Vgl. z. B. Allg. jüd. Wochenztg., Orientierungspunkte, 12.9.1980, S. 3,5; Allg. jüd. Wochenztg., Synthese, 3.10.1980, S. 1f. 217 Allg. jüd. Wochenztg., Verbrechen, 10.10.1980, S. 2f. 218 Die in der Einschätzung der Allgemeinen jüdischen Wochenzeitung geringe Relevanz der sozio-ökonomischen Probleme in Bezug auf die Mobilisierungsfähigkeit des Rechtsradikalismus zeigte sich deutlich, wenn ein Artikel die Empfehlung aussprach, „den Kindern und Jugendlichen […] eine geringere Erwartungshaltung nahezubringen“ bzw. ihnen zu einer realen Betrachtung des Elends in der Welt und Wahrnehmung ihrer privilegierten Lage in Westeuropa riet. Vgl. Allg. jüd. Wochenztg., Anfälligkeit für rechte Parolen, 26.9.1980, S. 3.
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beklagte die „Allgemeine“ vor allem die bereits erwähnte fehlende inhaltliche Abgrenzung zum Rechtsradikalismus. Weil die Gefahr des Rechtsradikalismus – wenn überhaupt – lediglich abstrakt wahrgenommen werde und die Menschen fast alle in materieller Sicherheit in einem freiheitlichen Staat aufwachsen, scheine es immer schwieriger, die Jugend über die nationalsozialistische „Zeit der Unfreiheit“ zu informieren.219 Dies sei insofern besorgniserregend, weil man nicht wisse, was passiere, wenn sich die wirtschaftliche Situation des Landes drastisch verschlechtere, zumal Umfragen immer wieder die Anfälligkeit junger Menschen für rechtsradikale Vorstellungen nachgewiesen hätten.220 Deutlich verweisen diese Berichte auf die Verantwortung der westdeutschen Gesellschaft für die Weiterexistenz des Rechtsradikalismus. Die Zeitung sah sich und die jüdische Bevölkerung Anfang der achtziger Jahre kaum noch der Rechtfertigungspflicht ausgesetzt, im Land der Täter zu wohnen. Das Ansehen der Bundesrepublik hatte sich international längst deutlich zum Positiven hin verändert und die Zeitung konnte offen Kritik üben, ohne auf die Absicherung der eigenen Entscheidung, in Deutschland geblieben zu sein, noch Rücksicht nehmen zu müssen.221 Sie nutzte ihre Berichte über die rechtsradikalen Vorkommnisse entsprechend vielfach, um auf die eigene Position als Stütze der Gesellschaft hinzuweisen. Die „Allgemeine jüdische Wochenzeitung“ und der Zentralrat der Juden – mittlerweile Herausgeber der Zeitung – verwiesen auf die besondere Rolle der jüdischen Verbände im Aufbau der demokratischen Gesellschaft und als Mahner. Jegliche Bestrebungen von Rückzug aus der demokratischen Bundesrepublik seien abwegig. „Der Weg ins Ghetto ist kein Rettungsweg“ hieß es zugespitzt.222 Auch direkt nach dem Anschlag in München erklärte die „Allgemeine“ kämpferisch, dass sie weiterhin zur Wachsamkeit bereit und entschlossen sei.223 Ein Kommentar adressierte die jüdische Leserschaft:
219 Allg. jüd. Wochenztg., Orientierungspunkte, 12.9.1980, S. 3,5. 220 Allg. jüd. Wochenztg., Anfälligkeit, 26.9.1980, S. 3. Siehe auch Allg. jüd. Wochenztg., Galinski, 24.10.1980, S. 2; Allg. jüd. Wochenztg., Jungdemokraten. Schulen sollen mehr gegen Neonazismus tun, 10.10.1980, S. 2f. 221 Die Zeitung selbst erklärte, dass man sich in den letzten Jahrzehnten deutlich „zurückhaltender“ an der Gesellschaft beteiligt habe als „unsere Väter und Großväter im späten Kaiserreich und in der Weimarer Republik “, da die NS-Jahre die jüdische Bevölkerung extrem vorsichtig haben werden lassen, aber letztlich sei auch das zurückhaltende Mitwirken schon immer eine Zustimmung zum deutschen Staat gewesen. Schließlich, so argumentierte der Artikel weiter, habe die Bundesrepublik jegliche Parallelen mit dem nationalsozialistischen Staat widerlegt. Vgl. Allg. jüd. Wochenztg., Aus gegebenem Anlass, 29.8.1980, S. 1. 222 Allg. jüd. Wochenztg., Weg, 10.10.1980, S. 1. 223 Allg. jüd. Wochenztg., Sinnlose, 3.10.1980, S. 1f.
316 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) „Wir müssen wachsam bleiben. Dieser demokratische Staat, die Bundesrepublik, lebt nicht ungefährdet. Extremisten […] machten hellhörig. Vergessen zwingt uns immer wieder, jüngste deutsche Vergangenheit wachzuhalten. Unsere Erfahrungen in diesem Jahrhundert haben uns äußerst sensibel werden lassen. Darum ist es keine jüdische Anmaßung, sondern Pflicht, zu warnen und zu mahnen, wo immer wir es für geboten halten. […] Dabei ist es unser gutes Recht, nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß wir, die Juden, in dieses Land zurückgekehrt sind, um am Aufbau der Demokratie mitzuwirken und diesem Staat in der Welt Ansehen zu verschaffen. […] Unsere Bereitschaft, mitzuwirken, ist gleichzeitig ein Bekenntnis zu diesem demokratischen Rechtsstaat“.224
Bei aller Kritik betonte die „Allgemeine jüdische Wochenzeitung“ aber auch, dass der Rechtsradikalismus „keine ernsthafte Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung“ darstelle.225 Einmal abgesehen von der Gewalt habe sich die überwiegende Mehrheit „immer wieder und insbesondere bei Wahlen gegenüber dubiosen Verheißungen extremistischer Parteien als immun erwiesen“, so der Bericht weiter. Langfristig wollte die Zeitung aber nach wie vor keine Garantie abgeben und offenbarte somit im gleichen Bericht doch ihre Sorgen ob der weiteren Entwicklung: „Auch wenn keine akute Gefahr droht, so ist das kein Grund sich für alle Zeiten in Sicherheit zu wiegen“, hieß es ganz explizit in Verbindung mit der Sorge vor einer Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Situation. Die „Frankfurter Rundschau“ war in der Tendenz noch negativer, insgesamt aber berichtete sie hinsichtlich der Bedrohungspotenziale des Rechtsradikalismus ähnlich. Noch 1979 waren die Berichte der Verfassungsschützer trotz besorgter Untertöne hoffnungsfroh, jetzt aber erlebe man eine neue Dimension des rechtsradikalen Terrorismus, beklagte ein Bericht nach dem Anschlag von München.226 In dessen Folge berichtete auch die FR zudem über weitere rechtsradikale Anschläge sowie Waffenfunde und dokumentierte Gerichtsprozesse gegen Rechtsradikale wegen der Gründung von terroristischen Vereinigungen,227 erreichte dabei aber nicht das quantitative Niveau der FAZ. Verstärkt beschrieb die Zeitung den Rechtsradikalismus dennoch als Bewegung im Vormarsch und betonte dessen gestiegene Militanz. Zentral sei dabei vor allem das junge Alter speziell der Gewalttäter.228 Auch die NPD und andere rechte Strukturen erhielten nun erneut Aufmerksamkeit.229 Stärker als in den anderen Zeitungen rück224 Allg. jüd. Wochenztg., Anlass, 29.8.1980, S. 1. 225 Allg. jüd. Wochenztg., Orientierungspunkte, 12.9.1980, S. 3,5. 226 FR, Schloss, 30.9.1980, S. 3; FR, Netz, 13.10.1980, S. 3. 227 FR, Brandanschlag von Neo-Nazis, 30.9.1980, S. 1; FR, Verfassungsschutz hatte Kontaktmann in Neonazi-Gruppe, 1.10.1980, S. 4; FR, Waffen bei Razzia entdeckt, 4.10.1980, S. 4. 228 FR, Schloss, 30.9.1980, S. 3; FR, Netz, 13.10.1980, S. 3; FR, IG Druck sieht die „Rechte noch rechter geworden“, 14.10.1980, S. 4. 229 FR, Brandanschlag, 30.9.1980, S. 1; FR, Verfassungsschutz, 1.10.1980, S. 4; FR, Volksbegehren Ausländerstopp abgelehnt, 23.10.1980, S. 28.
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ten obendrein die internationalen Verbindungen der deutschen Rechtsradikalen in den Fokus. Die gestiegene Vernetzung mit anderen westeuropäischen Neonazigruppen und die Verbindungen in den Nahen Osten zu palästinensischen Gruppen hätten dem bundesdeutschen Rechtsradikalismus neue Möglichkeiten verschafft.230 Rechtsradikale Gewalttäter seien mittlerweile in „fast ganz Westeuropa aktiv“ und arbeiteten bei der Ausbildung an Waffen über die Landesgrenzen hinweg eng zusammen.231 Angeblich gäbe es in Europa mindestens zwei neonazistische Kontaktnetze, die, so die implizite Botschaft, eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellten. Zudem habe beispielsweise die WSG-Hoffmann ebenfalls Verbindungen zur palästinensischen PLO und sogar „möglicherweise“ zum lybischen Diktator Gaddafi aufbauen können.232 Den Oktoberfest-Anschlag stellte die FR ebenfalls in einen internationalen Zusammenhang und erkannte „viele Parallelen“ zu den Vorfällen in Bologna, verwies nun aber explizit auf die hiesige Dimension: „Was man noch vor kurzem hierzulande gern als eine italienische ‚Spezialität‘ abtat, nämlich Terroranschläge von Rechtsextremisten, die trotz aller Aufrufe und Vorbereitungen zur Gewalttätigkeit vielen als abwegige, nicht weiter ernst zu nehmende Spinner galten, das sieht seit den Attentaten von Lörrach und Hamburg nun ganz anders aus.“233
Dass sie den Rechtsterrorismus zunächst selber als ein spezifisch italienisches Problem beschrieben hatte, scheint keine Rolle mehr gespielt zu haben und wurde nicht reflektiert. Zudem ist es überraschend, dass München hier nicht explizit genannt wurde. Aber die Hinweise auf die Anschläge der Deutschen Aktionsgruppen zeigen, dass die „Rundschau“ durchaus eine zumindest ideologische Verbindung zwischen allen rechtsterroristischen Gewalttaten erkannte. Deutlich wird an diesen Aussagen, dass die Zeitung nun verstärkt terroristische Gefährdungspotenziale wahrnahm und die Vernetzung des Rechtsradikalismus mit Sorge betrachtete.234 Auch wenn dies zunächst anders war, wurde der Rechtsterrorismus von der „Frankfurter Rundschau“ spätestens nach dem „Oktoberfest-Attentat“ als bedrohlich wahrgenommen. Von einem optimistischen Blick in die Zukunft waren 230 FR, Generalbundesanwalt hält Bombenleger nicht für Einzeltäter, 1.10.1980, S. 1; FR, Netz, 13.10.1980, S. 3. 231 FR, Rechtsradikale, 30.9.1980, S. 1f.; FR, Netz, 13.10.1980, S. 3; FR, Terror, 14.10.1980, S. 4. 232 FR, Bombenleger, 1.10.1980, S. 1 bzw. FR, Bahr, 1.10.1980, S. 4. 233 Vgl. FR, Stunden, 29.9.1980, S. 3. Siehe auch FR, Netz, 13.10.1980, S. 3. 234 Dennoch blieb eine umfassende Beschäftigung mit dem Rechtsradikalismus und dessen Ursachen weiterhin aus. Zwar forderte die FR, dass man sich jetzt „gründlicher mit den Ursachen des Radikalismus und Terrorismus überhaupt zu beschäftigen“ habe, dem folgte aber keine intensive Beschäftigung mit dieser Thematik. Vgl. FR, Flucht, 2.10.1980, S. 3.
318 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) die Berichte ohnehin weit entfernt, aber sie gingen auf der anderen Seite auch nicht davon aus, dass der politisch marginalisierte Rechtsradikalismus trotz einzelner Gewaltakte und Terroranschläge eine besondere Gefahr für die Stabilität des Staates darstellt. Dass darüber hinaus der Parteienstreit über die Bedeutung des Oktoberfest-Anschlages relevanter für die Berichterstattung war als die Tat selber, deutet darauf hin, dass sich die „Rundschau“ im Wahlkampf zugunsten der sozialliberalen Koalition befand. Sie nutzte den Münchener Anschlag zu einer groß angelegten Kampagne gegen die Unionsparteien in diesen letzten Tagen vor der Bundestagswahl 1980. Erneut war der Umgang mit dem Rechtsradikalismus insofern in erster Linie eine Auseinandersetzung mit den Unionsparteien und deren Kanzlerkandidat Franz Josef Strauß. Dieser habe deutlich aufgezeigt, wie wenig er als Bundeskanzler tauge.235 Die FR zitierte zudem Herbert Wehner, dass Strauß mit seinem Verhalten nicht nur „dem gemeinsamen demokratischen Staat“ geschadet, sondern auch denen geholfen habe „die unseren Staat kaputtbomben wollen“.236 Demgegenüber müsse man festhalten, dass sozialliberale Koalitionspolitiker „immer wieder dringlich“ an die Gefährdungspotenziale erinnert hätten.237 Im Wahlkampf gegen Franz Josef Strauß befand sich auch „Die Zeit“, die offen Partei für Helmut Schmidt und die SPD ergriff.238 In der Frage der Bedrohungspotenziale war die Zeitung dabei noch etwas energischer. Dies zeigt sich dabei nicht erst nach dem Oktoberfestattentat, sondern bereits davor in Bezug zu den Anschlägen der Deutschen Aktionsgruppen um Manfred Roeder. Diese hatten die Zeitung bereits wesentlich früher für den Rechtsterrorismus beziehungsweise die rechtsradikale Gewalt sensibilisiert und alarmiert als die anderen Publikationen.239 Insgesamt ging aber auch „Die Zeit“ nicht davon aus, dass der Rechtsradikalismus in seiner radikalen Form eine ernst zu nehmende Gefahr werden könnte; dass aber die Ausländerfeindlichkeit sich stetig ausbreite, weise in eine unschöne Richtung. Entsprechend betonte die Zeitung die eigene Rolle zum Beispiel in der Kampagne zur Unterstützung der vietnamesischen „Boat-People“ und beschrieb, wie die breite Bevölkerung den Flüchtlingen geholfen habe.240 Nun aber, so der Bericht am Ende, müsse man „[a]ngesichts unserer jüngsten 235 So würde im Gegensatz zu fast allen politischen Akteuren einzig Franz Josef Strauß die Gefahren des Rechtsterrorismus leugnen. Vgl. FR, Strauß, 30.9.1980, S. 1f. 236 FR, Attentat, 29.9.1980, S. 1 bzw. FR, Strauß, 30.9.1980, S. 1f. 237 FR, Mord, 29.9.1980, S. 3. So auch FR, Strauß, 30.9.1980, S. 1f. 238 Vgl. z. B. Die Zeit, Ein Bundeskanzler für schweres Wetter, 3.10.1980. 239 Noch nach dem Anschlag von Bologna verwies die Zeitung zwar auf die „deutsche Terrorszene“, beschrieb dann aber ausschließlich linksterroristische Gruppen wie die RAF. Vgl. Die Zeit, Terror, 8.8.1980 bzw. Die Zeit, Wenn Herold warnt, 8.8.1980. Ein Artikel in der Zeit zum Rechtsterrorismus in Frankreich verwies ebenfalls nicht auf die Bundesrepublik. Vgl. Die Zeit, Frankreich. Terrorismus jetzt auch von rechts?, 15.8.1980. 240 Die Zeit, Anfängen, 29.8.1980.
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Geschichte […] sorgfältig darauf achten, daß dies auch so bleibt.“ Die Fremdenfeinde seien lediglich „noch nicht“ in der Mehrheit, hieß es warnend. Dass die zahlreichen fremdenfeindlichen Taten dieser Wochen in dem Bewusstsein ausgeführt wurden, in breiten Bevölkerungskreisen Zustimmung zu finden, hielt die Zeitung für eine richtige Deutung.241 Zwar sei Rechtsterrorismus keineswegs eine deutsche Spezialität, hieß es auch hier relativierend, aber die alten Klischees von den dummen Neonazis seien „längst durch Tatsachen widerlegt“.242 Zudem gehen rechte Terroristen, anders als die RAF, „wahllos gegen Unschuldige vor“.243 „Die Zeit“ bezog sich auch auf die noch nicht veröffentlichte SINUS-Studie244, welche „ein erstaunliches nationalistisches Gefühlsreservoir entdeckt“ habe und von einem deutlich vorhandenen rechtsradikalen Potenzial in der Gesellschaft ausgehe.245 Im Gegensatz zu den Aktivitäten der Deutschen Aktionsgruppen war der Anschlag auf das Münchener Oktoberfest ein äußerst zentrales Ereignis. Die Debatte drehte sich dennoch vor allem um die Frage, ob der Anschlag überhaupt auf den Rechtsradikalismus zurückgeführt werden könne. Die Bundesrepublik erlebte bis 1982 eine „Welle neonazistischen Terrors“,246 die aber oftmals rein individuellen Erklärungsmuster verstellten allerdings den Blick auf die grundlegende Entwicklung. Auch die von der Bundesregierung in Auftrag gegebene SINUS-Studie zu rechtsradikalen Einstellungen in der Bevölkerung, die ermittelte, dass ein Anteil von 13 Prozent der Wahlbevölkerung ein „ideologisch geschlossenes rechtsextremes Weltbild“ habe und dass fast die Hälfte davon mit gewaltsamem Protest sympathisiere, änderte daran wenig. Anstatt sich mit dieser Problematik inhaltlich auseinanderzusetzen, wurde die Studie als Gefahr für das bundesdeutsche Ansehen und als Schützenhilfe für „den Osten“ gewertet. Uwe Barschel, der CDU-Innenminister von Schleswig-Holstein, attestierte ihr, „eine Beleidigung unseres Volkes“ zu sein.247 Dennoch zeigt der Blick auf nicht-staatliche Akteure, dass der Anschlag von München die Bedrohungsartikulation allumfassend steigerte. Es ist erstaunlich, wie wenig präsent diese Anschläge in der bundesrepublikanischen Erinnerung sind – vor allem, wenn man die Aktivitäten der RAF zum Vergleich heranzieht, die bis heute eine viel prägendere Rolle im kollektiven Gedächtnis einnehmen. Das eigentliche Geschehen in München ge241 Die Zeit, Erst mußte einer sterben, 29.8.1980. 242 Die Zeit, Wie sicher ist Deutschland, 3.10.1980. 243 Die Zeit, Schlag, 12.9.1980. 244 Veröffentlicht als: 5 Millionen Deutsche. „Wir sollten wieder einen Führer haben...“. Die SINUS-Studie über rechtsextremistische Einstellungen bei den Deutschen, Reinbek bei Hamburg 1981. 245 Die Zeit, Wie sicher ist Deutschland, 3.10.1980. 246 Botsch, S. 81f. Für Details dieser Welle siehe auch Backes, S. 103–114; Jaschke u.a., Hitler, S. 43; Pfahl-Traughber, S. 74; Rabert, S. 288–295, 315f.; Röpke / Speit, S. 51–56; Stöss, Rechte, S. 161–166; Sundermeyer, S. 32f. 247 Zit.n. Die Zeit, Keine Gefahr von rechts?, 8.5.1981.
320 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) riet sehr schnell in den Hintergrund und die westdeutsche Gesellschaft befasste sich nach anfänglicher Betroffenheit schnell wieder mit anderen Themen. Das Münchener Attentat „wurde als eine Katastrophe empfunden, die politische Dimension blieb außen vor“, kritisierte Manfred Vinke Jahre später.248 In anderen europäischen Staaten zeigten die Menschen ihre Wut auf rechtsradikale Attentate. In Italien demonstrierten 300.000 Menschen zusammen mit der Staatsführung nach den Anschlägen auf den Bahnhof in Bologna. Auch in Paris gingen 200.000 Menschen nach einem Anschlag auf eine Synagoge mit vier Toten auf die Straße. In Deutschland demonstrierten mit zeitlicher Verzögerung wenige Tausend in West-Berlin – in München wurden Gedenkdemonstrationen vom Bürgermeister untersagt.249 Dies wurde in den untersuchten Medien gleichfalls heftig kritisiert. So empörte sich die „Metall“: „Während nach dem faschistischen Attentat von Bologna das Volk auf die Straße ging und streikte, sollte das Volk von München weiter auf die Wies’n gehen – beim größten Volksfest der Welt stand ein Millionenumsatz in Gefahr.“250 In der Darstellung der „Frankfurter Rundschau“ findet sich sogar deutliche Bewunderung für die zivilgesellschaftliche Solidarität nach dem Anschlag: „Die Menschen außerhalb Italiens sind oft verwundert darüber, daß südlich der Alpen Terroranschläge regelmäßig mit Solidaritätsstreiks der Arbeiter und Angestellten beantwortet werden. Doch was sich in diesen Stunden des hilflosen Zorns und der Verzweiflung abspielt, ist alles andere als eine gewerkschaftliche Pflichtübung. Nach einer Kundgebung auf Bolognas Piazza Maggiore zogen am Montag Zehntausende zu jenem […] Bahnhof und pfiffen trotzig Partisanenlieder; keine Hysterie, nicht einmal der wütende Ruf nach der Todesstrafe, sondern nur der Wille, den Angriff der Mörder aus dem Untergrund gemeinsam abzuwehren.“251
In München würde das Oktoberfest weitergehen, als wäre nichts passiert, während sich in Bologna direkt „alle demokratischen Kräfte zu machtvollen und beeindruckenden antifaschistischen Demonstrationen zusammengefunden“ hätten, kritisierte die FR auch an anderer Stelle.252 Die Reaktion in den französischen Städten nach den Anschlägen von Paris beschrieb sie gleichfalls in wohlwollenden Tönen. Die spontanen Protestkundgebungen und die großen parteiübergreifenden Demonstrationszüge seien ein starkes Zeichen der politischen Einheit gegen den Rechtsterrorismus und Neonazismus gewesen.253 Bitter kritisierte sie 248 Vinke, S. 61. 249 Ebd., S. 16; Jaschke u.a., Hitler, S. 36. 250 Metall, Wer ist schuldig?, 8.10.1980, S. 8. 251 FR, Suche, 5.8.1980, S. 3. 252 FR, Stunden, 29.9.1980, S. 3. Deutlich zeigt sich, dass die FR eigentlich einen Abbruch des Oktoberfestes erwartete. Vgl. ebd.; FR, Mord, 29.9.1980, S. 3; FR, Von Trauer und vom Geschäft auf der Wies’n, 1.10.1980, S. 4. 253 FR, Heftige Empörung nach Anschlag auf Synagoge, 6.10.1980, S. 1; FR, Hunderttausende protestieren in Frankreich gegen Rassismus, 9.10.1980, S. 2.
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demgegenüber, dass „[a]ktiver Antifaschismus […] bei uns keine Breitenerscheinung [ist]“.254 Statt dass nun weniger Menschen auf die „Wies’n“ gehen, kämen sogar vermehrt Schaulustige.255 „Die Zeit“ beschrieb die gesellschaftliche Reaktion in Frankreich nach den antisemitischen Vorfällen zwar differenzierter und vor allem auch im Hinblick auf die lediglich temporäre Eintracht im Protest, dennoch zeigt sich auch hier Bewunderung.256 Auf der anderen Seite problematisierte sie ebenfalls die Entscheidung, das Oktoberfest nicht abzubrechen.257 Die Entscheidung, die Festwiese erneut für Vergnügungen zu öffnen, sei „bezeichnend für die Reaktion der westdeutschen Gesellschaft“ auf das Attentat und somit für die politische Kultur, beklagte auch die FAZ und gab sich offen enttäuscht über die gesellschaftlichen Reaktionen in der Bundesrepublik.258 Heftig kritisierte sie, dass „der Verzicht auf Pietät […] vielleicht doch schwerer [wiegt] als finanzielle Verluste. Denn er bedeutet einen Verzicht auf Humanität.“259 Zwar sei die Bundesrepublik ein stabiler Staat, aber die gesellschaftliche Entwicklung weise gerade in der Ausbildung einer Zivilgesellschaft weiterhin Mängel auf. Überschwänglich lobte daher auch die FAZ demgegenüber die italienische Reaktion nach dem Anschlag in Bologna: „Wie haben wir, als der Bahnhof von Bologna unter einer Bombenexplosion zusammenbrach, verwirrt und verworren zugeschaut und den Kopf über das Chaos in Italien geschüttelt. Aber wie hat die Bevölkerung reagiert? Mit Protestmärschen, mit einem Streik. Sie hat damit dargetan, daß sie das politische Attentat als einen Angriff auf sich selbst empfand. Diese Reaktion auf eine eminente Herausforderung hat ihre attackierte Würde wiederhergestellt, denn hier zeigte sich eine Masse von Menschen wieder angepackt von dem Gefühl, daß nicht genug getan sei, wenn sie diesen Anschlag nur mit einer offiziellen Trauerfeier beantwortet.“260
Der Oktoberfest-Anschlag müsse als „öffentliche Angelegenheit empfunden“ werden und dürfe nicht in einer autoritätsvertrauenden Art und Weise an die Strafverfolgungsbehörden abgegeben werden – in Anbetracht der Realitätsferne dieses Wunsches endete der Artikel mit dem ironischen Kommentar „Darauf ein Bier“. Trotz der deutlichen Skepsis findet sich hier erneut das Ziel der Zeitung, in der Bundesrepublik eine Zivilgesellschaft zu etablieren, die sich gegen jede extreme politische Richtung sowie die stets kritisierte Polarisierung richten solle. 254 FR, Flucht, 2.10.1980, S. 3. 255 FR, Trauer, 1.10.1980, S. 4. 256 Die Zeit, Ein Marsch der Scham, 17.10.1980. 257 Am nächsten Tag wären dort „Massen wie noch nie“ gewesen und es habe „Bombenstimmung“ geherrscht. Vgl. Die Zeit, Grauen, 3.10.1980. 258 Vgl. FAZ, Stockholm. Bier und Gewalt, 29.9.1980, S. 2; FAZ, Geschäft als Moral, 29.9.1980, S. 25; FAZ, Stunden, 29.9.1980, S. 3. 259 FAZ, Geschäft, 29.9.1980, S. 25. Siehe auch FAZ, Moral, 30.9.1980, S. 25. 260 FAZ, Moral, 30.9.1980, S. 25.
322 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) Insofern kann vielfach von einer recht breiten Absage an die demokratische Reife der Bundesbürger in den untersuchten Medien gesprochen werden. Zwar sei der Rechtsradikalismus politisch marginalisiert, bekomme bei Wahlen kaum Stimmen und könne nur durch Gewalttaten in die Öffentlichkeit wirken, aber gesellschaftliche Gegenwehr bleibe Mangelware. Entscheidend sei es, betonte die „Frankfurter Rundschau“ mit Verweis auf Bundesinnenminister Gerhard Baum schon vor dem Oktoberfestattentat, dass die Bevölkerung und speziell die Medien sich klar positionieren und nach rechts abgrenzen. Man müsse verhindern, dass Rechtsradikale mit Gewaltanwendungen Zustimmung erringen.261 Auch die Politik müsse für eine „humane und differenzierte Betrachtung der gesamten Ausländerthematik werben“ und eine weitergehende Integrationspolitik vorantreiben.262 Nur eine gezielte Verbesserung des politischen Klimas könnte den von „Angstmacherei“ geprägten Debattenstil verändern.263 Die FR zielte hier sofort auf eine Entradikalisierung aller Bevölkerungsteile und der Debattenkultur. Notwendig sei zudem eine Intensivierung der strafrechtlichen Arbeit gegen Rechtsradikale sowie eine Abkehr von der Fokussierung auf linksradikale Gruppen.264 Nach dem Anschlag auf das Münchener Oktoberfest war die Berichterstattung der „Frankfurter Rundschau“ durchaus sicherheitsorientiert, aber die originär auf den Rechtsradikalismus bezogenen Reaktionsforderungen spielten insgesamt nur eine untergeordnete Rolle. Es finden sich vor allem allgemein gehaltene Forderungen, die Handlungsbereitschaft suggerieren, ohne Details zu nennen. Zum Beispiel zitierte die FR die Forderung Heinz Galinskis, „den Sumpf des Neonazismus trockenzulegen“, und die Aussage von Innenminister Baum, „alle erforderlichen Maßnahmen“ gegen ein Anwachsen des Rechtsradikalismus zu unternehmen.265 Diese allgemeinen Umgangsforderungen suggerieren eine harte Reaktion, tragen aber gleichzeitig nichts dazu bei, konkrete Vorschläge zu machen. Auffällig sind ohnehin die Kommentare der Zeitung, welche kaum explizite Ideen bezüglich Reaktionen auf den Rechtsradikalismus enthielten. Dies deutet darauf hin, dass die „Frankfurter Rundschau“ zu diesem Zeitpunkt die Meinungen zahlreicher Gegner des Rechtsradikalismus zitierte, selber aber von diesen abwich. Das Fehlen repressiver Reaktionsoptionen deutet allerdings nicht auf eine Wandlung zu liberalerem Denken bezüglich des Umgangs mit dem Rechtsradikalismus hin, sondern dürfte die Konsequenz dessen sein, dass man gegen den Rechtsterrorismus vor allem mit den Möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden vorgehen kann. Die „wehrhafte Demokratie“ wurde demgegenüber als 261 FR, Brandanschlag, 23.8.1980, S. 1f. 262 FR, Spitze, 23.8.1980, S. 3; FR, Hemmschwelle der Fremdenfeindlichkeit überschritten, 4.9.1980, S. 4. 263 FR, NPD-Wahlspot, 17.9.1980, S. 4. 264 FR, Gewalt, 3.9.1980, S. 3. 265 FR, Sumpf, 30.9.1980, S. 2 bzw. FR, Bombenleger, 1.10.1980, S. 1. Siehe auch FR, SPD, 1.10.1980, S. 17; FR, Verstärkter Kampf gefordert, 15.10.1980, S. 2.
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Schutz gegen legal operierende Strukturen entwickelt. Insofern war der geforderte Umgang der FR keineswegs liberal im Sinne von tolerant, angesichts der Eskalation der Gewalt zielte die Zeitung vielmehr auf Veränderungen der politischen Kultur zur Bekämpfung des Rechtsradikalismus. Noch stärker müssten sich die Bundesdeutschen aufseiten der demokratischen Gesellschaft positionieren und diese aktiv verteidigen. Zu große Teile der Bevölkerung sowie der konservativen Volksparteien würden fremdenfeindlich agieren.266 Und da Phänomene wie die „Hitler-Welle“267 dafür sorgten, dass rechtsradikale Organisationen und Themen in der Bevölkerung verstärkt Zuspruch fänden, sollten Schülerinnen und Schüler deutlich mehr über die NS-Zeit erfahren.268 Auch wenn die „wehrhafte Demokratie“ in Zusammenhang mit dem Rechtsterrorismus keine tragende Rolle spielen konnte, betrachtete die „Frankfurter Rundschau“ diese nach wie vor als legitime und sinnvolle Konzeption gegen den Rechtsradikalismus. Das Verbot der Wehrsportgruppe Hoffmann im Januar 1980 wurde ohne Abstriche unterstützt. Kritisiert wurde lediglich, dass diese Maßnahme erst derart spät ausgeführt wurde.269 Als Bonbon zitierte die Zeitung hier auch die unterstützenden Aussagen des Bayerischen Innenministers Tandler von der CSU ausführlich. Ein kurzer Kommentar griff zwar mögliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Verbotes auf, da die Aktivisten im Untergrund noch schwerer zu überwachen seien, betonte dann aber vor allem die positive Signalwirkung und unterstrich, dass jegliche argumentative Auseinandersetzung mit paramilitärisch agierenden Rechtsradikalen sinnlos sei: „Man hätte sie schon früher verbieten sollen […] Nun hat Bundesinnenminister Gerhard Baum […] endlich der Tatsache Rechnung getragen, daß es Organisationen gibt, bei denen der im Prinzip richtige Gedanke nicht zieht, die Feinde des Staates in erster Linie mit Argumenten zu bekämpfen. […] Wo Auschwitz als Lüge der Gegenpropaganda abgetan wird und Hitler trotz allen Verbrechen das große Idol geblieben ist, erübrigt sich ein wie auch immer gearteter Dialog.“270
Der Entschluss zum Verbot der Wehrsportgruppe Hoffmann wurde auch im Spätherbst impliziert weiterhin als sinnvolle Maßnahme beschrieben.271 Dafür, 266 FR, Aus latenter Unlust kann rasch brisante Feindschaft werden, 30.9.1980, S. 1. Zu ähnlichen Vorwürfen der FR an CDU-Politiker siehe FR, SPD, 1.10.1980, S. 17. 267 Die „Hitler-Welle“ ist ein Begriff, der ein stark gestiegenes Interesse an Hitler und dem Nationalsozialismus beschreibt, welches sich vor allem publizistisch niederschlug. Nachdem Joachim Fest seine Hitler-Biografie erfolgreich verkaufen konnte, fanden zahlreiche unkritische, wenig wissenschaftliche Darstellungen sowie nostalgische Literatur reißenden Absatz. 268 FR, Bahr, 1.10.1980, S. 4; FR, Flucht, 2.10.1980, S. 3. 269 Vgl. FR, „Wehrsportgruppe Hoffmann“ verboten, 31.1.1980, S. 1f.; FR, Als die Polizei kam, zog er die Pistole, 31.1.1980, S. 3. 270 FR, Höchste Zeit, 31.1.1980, S. 3. 271 Vgl. FR, Wehrsportgruppe, 29.9.1980, S. 2.
324 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) dass es in der FR seit dem Verbot der Wehrsportgruppe jedoch keinen grundlegenden Wandel hin zu einem verstärkt liberalen Denken im Umgang mit dem Rechtsradikalismus gegeben hat, sprechen auch positive Äußerungen über die Einschränkung der Pressefreiheit für Rechtsradikale im Oktober desselben Jahres.272 In Zusammenhang mit anderen Themen lehnte die FR derartiges allerdings ab und verwies explizit darauf, dass die Bundesrepublik der freiheitlichste Staat der deutschen Geschichte sei.273 Sie zelebrierte ihre in der Selbstwahrnehmung liberale Haltung und betonte, dass Toleranz Vorrang vor allen anderen noch so moralisch fundierten Argumenten habe.274 Dennoch verdeutlicht diese Studie, dass die in Bezug auf zahlreiche Themen vorhandene liberale Haltung der FR nicht durchgängig war. Im Umgang mit dem Rechtsradikalismus war die Berichterstattung deutlich sicherheitsorientierter als in anderen Bereichen und „Freiheit“ diente keineswegs als leitende Kategorie in Bezug auf die Gegenwehr.
272 Die FR deutete zumindest an, dass dies ein sinnvoller Umgang sein könnte. In einem Kommentar wurde darauf hingewiesen, dass im Rahmen der „Hitler-Welle“ unter dem Deckmantel, „hier ginge es um Historisches“, vielfach NS-Literatur verbreitet wurde, während von „den gesetzmäßigen Möglichkeiten […] – wenn überhaupt – sehr sparsam Gebrauch gemacht worden“ sei. Vgl. FR, Flucht, 2.10.1980, S. 3. Es findet sich zudem der Hinweis, dass die österreichische Widerstandsbewegung ein Verbot der Deutschen National-Zeitung wegen ihres nahen Verhältnisses zur WSG-Hoffmann in Österreich gefordert hat. Dies konnte die Leserinnen und Leser auf den Gedanken bringen, dass dies auch für die Bundesrepublik durchaus sinnvoll wäre, wie auch ein Leserbrief betonte. Vgl. FR, 30.9.1980, S. 2; FR, Freie Aussprache, 18.10.1980, S. 2. 273 In der Debatte über Veröffentlichungen von Autoren aus dem Apartheitregime in Südafrika, die auf der Frankfurter Buchmesse nicht entfernt wurden, hieß es: „Die Bundesrepublik Deutschland ist […] ein freier Staat, der freiheitlichste in der bisherigen deutschen Geschichte. Hier kann jeder jede Meinung frei vertreten, von den wenigen vom Gesetz bestimmten Ausnahmen abgesehen. Literaturpolitik findet hier nicht statt. Wer mit Büchern, Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehsendungen zu tun hat, kann den Rahmen der Meinungsfreiheit gar nicht weit genug ziehen.“ Im weiteren Verlauf argumentierte die FR, dass Forderungen von Gewerkschaften und anderen, faschistische Literatur von der Buchmesse fernzuhalten, daher problematisch seien: „Und genau so, wie wir uns auf dem Höhepunkt des linken Terrors in der Bundesrepublik dagegen verwahrt haben, dies zum Anlaß zu nehmen, gegen linke und extrem linke Literatur vorzugehen, müssen wir uns dagegen wenden, den Bombenanschlag von München als Vorwand zu benutzten.“ Vgl. FR, Toleranz hat Vorrang, 10.10.1980, S. 3. 274 Dass von der eigenen Leserschaft hierzu scharfer Protest in Form von Leserbriefen eintraf, verwundert kaum, wenn man die bisherige Linie der Zeitung berücksichtigt. Dass „Toleranz für faschistische Literatur“ gefordert wurde, „haut dem Faß den Boden aus“, kritisierte ein Leser. Vgl. FR, Freie Aussprache, 18.10.1980, S. 2.
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Auch die FAZ lehnte die Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ im Spätherbst 1980 keinesfalls ab.275 Bereits direkt nach dem Verbot der Wehrsportgruppe Hoffmann im Januar bemängelte ein Kommentar lediglich, dass es kein paralleles Vorgehen gegen linke Gruppen gegeben habe.276 Die damalige Darstellung des Bundesinnenministers, dass ein Verbot oftmals weniger bringe als die argumentative Debatte, aber – auch mit Blick auf das Ausland – eine wichtige Signalwirkung enthalte, übernahm die FAZ ohne Abstriche.277 Diese Deutung entsprach genau der eigenen Linie. Im Spätherbst 1980 aber hielt die Zeitung die Aktivierung der „wehrhaften Demokratie“ aufgrund der vermeintlich geringen Bedeutung des Rechtsradikalismus und sicherlich auch wegen der fehlenden Nutzbarkeit in Bezug auf den Rechtsterrorismus nicht für notwendig. Schließlich war die symbolhafteste Organisation bereits verboten und andere, ähnlich relevante Strukturen waren nicht existent. Konsequenterweise lassen die meisten Artikel den Aspekt der Reaktionen daher vollständig aus. Weiterhin wünschte die FAZ einen Umgang mit dem Rechtsterrorismus in erster Linie im Rahmen des Strafrechts. Insofern zeigt sich, dass die Frankfurter Tageszeitungen ihrer Linie zwar grundlegend treu blieben, aber gerade in Bezug auf den Rechtsterrorismus ist es schwierig, ihre Berichterstattung des Spätherbstes 1980 in Rahmen des Spannungsverhältnisses zwischen Sicherheit und Freiheit zu analysieren. Bereits illegale Strukturen oder lediglich lose Verbindungen können nicht verboten werden und auch die anderen Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ sind keine sinnvollen Umgangsformen gegen den Rechtsterrorismus. Bezieht sich die Debatte lediglich auf diesen – und nicht etwa parallel auch auf rechtsradikale Parteien oder Vereine –, wird die Frage nach den Reaktionen zum einen vor allem strafrechtlich und zum anderen in Bezug auf die politische Kultur diskutiert. Bis auf ganz wenige Ausnahmen spielte auch die NPD keine Rolle in diesen Tageszeitungen. Insofern lässt sich festhalten, dass hier, anders als noch 1960 mit der DRP nach den antisemitischen Vorfällen, auch keine „Ersatzorganisation“ gesucht wurde, gegen die sich die nicht-staatlichen Forderungen richteten. Dennoch hielten die Frankfurter Tageszeitungen Verbotsbeschlüsse vor allem aufgrund deren Signalwirkung nach innen und außen durchaus für sinnvoll, sofern diese eine gewisse öffentliche Resonanz entfalten konnten. Rechtsterroristischen Gruppen gelang dies in der Bundesrepublik allerdings kaum. Doch diese Deutung, die darauf hindeuten könnte, dass ein Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit nur dann eine analytische Relevanz aufweist, wenn die Debatte um feste Gruppierungen herum geführt wird, ist nicht 275 In den Meinungsartikeln findet sich trotz der Verteidigung der CSU z. B. ein positiver Blick auf Vereins- und Versammlungsverbote, vor allem in Zusammenhang mit der Wehrsportgruppe Hoffmann. Vgl. FAZ, Er weiß alles, 30.9.1980, S. 12. 276 FAZ, Warum nur diese?, 31.1.1980, S. 10. 277 Vgl. FAZ, Baum wertet das Verbot der „Wehrsportgruppe“ als Signal, 31.1.1980, S. 2.
326 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) verallgemeinerbar. So veröffentlichte „Die Zeit“ den bereits zitierten langen Bericht zur Frage, wie sicher die Bundesrepublik angesichts des linken und rechten Terrors sei und welche Relevanz die „wehrhafte Demokratie“ mittlerweile besitze.278 Hier wird zunächst festgehalten, dass selbst ein „bis an die Zähne bewaffneter Rechtsstaat“ gegen die willkürlich inszenierte Gewalt, gegen die ziellose Mordlust politisch motivierter Krimineller“ macht- und hilflos wäre. Daher könne es nicht an der fehlenden Ausstattung der Sicherheitskräfte liegen, dass der Umgang bisher wenig nachhaltig gewesen sei. Die Bundesrepublik sei keineswegs ein „schlapper Staat“, wie Helmut Kohl argumentierte. Allerdings stoße der „militarisierte Schutz der Inneren Sicherheit“ die junge Generation ab. Deutlich kritisierte „Die Zeit“ hier, dass „Sicherheit“ und nicht „Freiheit“ der leitende Gedanke in Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung war. Das „Oktoberfest-Attentat“ verdeutliche, dass der Terrorismus nicht so bald verschwinden werde, heißt es hier abschließend pessimistisch. Daran, dass die Bundesrepublik „auf die neuerliche Herausforderung gelassener und souveräner reagiert als in den letzten Jahren und daß in Zukunft die Einrichtungen des liberalen Rechtsstaats eher gestärkt als gefährdet werden“, glaubte die Zeitung weniger. Deutlich spricht „Die Zeit“ hier die Sinnlosigkeit von massiver Sicherheitspolitik gegen den Terrorismus an. Freilich ist damit keine Aussage zum Umgang mit dem nicht gewalttätigen Rechtsradikalismus verbunden. Ob die Zeitung die klassischen Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ in Situationen auch ablehnte, in denen diese tatsächliche Auswirkungen haben könnte, muss daher an dieser Stelle offenbleiben. In Zusammenhang mit dem Rechtsterrorismus zielte sie vor allem darauf anzuerkennen, dass es ein rechtsradikales Potenzial in der Bundesrepublik gebe, dass rechtsradikale Gewalt zunehme und dass speziell die CSU dies nicht regelmäßig leugnen dürfe. Auch für die „Allgemeine jüdische Wochenzeitung“ blieb die „wehrhafte Demokratie“ grundsätzlich eine legitime Option im Umgang mit dem Rechtsradikalismus. Eine besondere Kampagne zu ihrer Nutzung findet sich im Spätsommer 1980 aus den bereits skizzierten Gründen allerdings ebenfalls nicht. Dennoch artikulierte die Zeitung hier deutlicher als die bisher behandelten Publikationen Zustimmung zu sicherheitspolitischen Umgangsformen. Entsprechend forderte die „Allgemeine“ eine wirksame Verhinderung von Importen rechtsradikaler Publizistik und zielte in diesem Fall eindeutig auf Repression.279 Es sei absurd, so Galinski, „daß der Vertrieb hier im Bundesgebiet verboten ist, aber nicht die Einfuhr.“280 An anderer Stelle führte ein Bericht anerkennend aus, dass die konsequente Sicherheitspolitik bereits 1979 die Aktivitäten mehrerer – allerdings 278 Die Zeit, Wie sicher ist Deutschland, 3.10.1980. 279 Vgl. z. B. Allg. jüd. Wochenztg., Galinski, 24.10.1980, S. 2; Allg. jüd. Wochenztg., Tendenzen, 24.10.1980, S. 2. 280 Allg. jüd. Wochenztg., ...es gibt eine Chance, 1.8.1980, S. 2.
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ungenannter – neonazistischer Gruppierungen wirksam eingeschränkt habe.281 Auch das Verbot der Wehrsportgruppe Hoffmann im Januar fand die volle Unterstützung der Zeitung. Wie die FR gab auch die „Allgemeine“ zu bedenken, dass es zwar gute Gründe gegen eine Verbotsmaßnahme gebe, aber wichtiger sei die „mittlerweile allemal notwendig[e]“ Signalwirkung – nach innen und nach außen.282 Zweifel an der Legitimität artikulierte die Zeitung letztendlich nicht. Ganz im Gegenteil erklärte der Bericht weiter, dass gerade autoritätsfixierte Rechtsradikale „respektive [gemeint sind wohl restriktive oder repressive] Maßnahmen des Staates besonders gut verstehen“ würden. Aufgrund der nationalsozialistischen Vergangenheit sei es ohnehin die Pflicht der Bundesrepublik, auf den Rechtsradikalismus deutlich zu reagieren und das Konzept der „wehrhaften Demokratie“ auch zu nutzen: „Jedes Zögern des Staates und jede Nachlässigkeit wird von den Neonazis als Schwäche mißdeutet, von den Bürgern als unverständliches Desinteresse betrachtet und vom Ausland mit berechtigter Skepsis gegenüber der politischen Entwicklung der Bundesrepublik verfolgt. […] Auch in diesem Sinne war das Verbot der ‚Wehrsportgruppe Hoffmann‘ längst überfällig.“283
Im Spätsommer des Jahres betonte wiederum Helmut Sieglerschmidt in seinem bereits erwähnten Gastbeitrag in der „Allgemeinen“, dass man „jedoch nicht nur an exekutive Mittel denken dürfe“, sondern auch die Aufklärung im Blick behalten müsse.284 Exekutive Mittel blieben aber stets eine Option, schließlich bleibe auch der Schutz der jüdischen Bevölkerung in der Bundesrepublik die Aufgabe staatlicher Stellen: „Wir Juden sind darauf angewiesen, daß der Staat als Inhaber der legitimen Machtmittel uns gegen die Mörder schützt. Wir selbst sind machtlos“.285 Zwar hätten Politik und Strafverfolgungsbehörden den vielfachen Warnungen jüdischer Organisationen nicht immer entsprechend zugehört,286 aber Bestrebungen eines jüdischen Selbstschutzes – wie in Frankreich nach den dortigen Anschlägen auf jüdische Einrichtungen – lehnte die Zeitung ab.287 Die trotz aller Mängel und Kritik vor allem an den Debatten nach dem Oktoberfest-Anschlag positive Bewertung rekurriert auf der Vorstellung, dass im Interesse eines funktionierenden Gemeinwesens auch die Juden ihre Reflexe kontrollieren und 281 Allg. jüd. Wochenztg., Orientierungspunkte, 12.9.1980, S. 3,5. 282 Allg. jüd. Wochenztg., Verbot der „Wehrsportgruppe“ ein „Signal“, 8.2.1980, S. 2f. 283 Ebd. 284 Allg. jüd. Wochenztg., Tendenzen, 24.10.1980. 285 Allg. jüd. Wochenztg., Weg, 10.10.1980, S. 1. 286 Allg. jüd. Wochenztg., Alle gesetzlichen Mittel ausschöpfen, 12.9.1980, S. 1; Allg. jüd. Wochenztg., Beileidstelegramm des Zentralrates, 3.10.1980, S. 1f.; Allg. jüd. Wochenztg., Synthese, 3.10.1980, S. 1f. 287 Allg. jüd. Wochenztg., Weg, 10.10.1980, S. 1; Allg. jüd. Wochenztg., Selbstschutz, 10.10.1980, S. 1.
328 6. Das Jahr des rechten Terrors (1980) dem Staat vertrauen müssten, um dem Rechtsradikalismus den politischen Erfolg zu nehmen: „Denn wenn neben dem Morden aus Mordlust die Untaten von Paris und Bologna, die Anschläge auf das Oktoberfest und das Hamburger Ausländerwohnheim einen Sinn haben, dann ist es die Produktion von Chaos, die Auflösung des funktionierenden Staates. Mussolini und Hitler ließen ihre Verbrecherbanden solange herumtoben, bis ein verängstigtes Bürgertum dem Gesindel die Staatsmacht einräumte, damit es die von ihm selbst verursachte Unordnung beseitige.“288
Deutlich liest man aus all diesen Aussagen das Sicherheitsbedürfnis heraus und erfährt, dass die Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus vor allem als staatliche Aufgabe verstanden wurde. Nur sehr wenige Artikel in der „Allgemeinen jüdischen Wochenzeitung“ skizzierten konkrete Reaktionsmöglichkeiten. Lediglich die harte Bestrafung der Täter sollte nun folgen.289 Es entsteht der Eindruck, dass der Zentralrat und seine Zeitung mit den Reaktionen auf die rechtsterroristischen Anschläge, abgesehen von der politischen Instrumentalisierung der Ursachenfrage, im Grunde recht zufrieden waren. „Sie können versichert sein“, wandte sich ein Bericht an die Leserinnen und Leser, „daß mit allen gesetzlichen Mitteln gegen den Rechtsextremismus vorgegangen wird.“290 Die Zeitung argumentierte zwar, dass die Bundesrepublik ein Maß an „demokratischer Selbstsicherheit“ erreicht habe, welches jeglichem Radikalismus keinen Platz zur Entfaltung mehr erlaube,291 aber angesichts der vielfachen pessimistischen Berichte ist davon auszugehen, dass gerade die Gewalt des Rechtsradikalismus Ängste schürte. Dass die Darstellung der gesellschaftlichen Realität nach wie vor ambivalent war, ergibt sich aus der gleichfalls oft unterstellten bagatellisierenden Einseitigkeit der Behörden: „Wie schon so oft in der Geschichte der Bundesrepublik waren die Sicherheitsbehörden auf dem rechten Auge, wenn nicht blind, so
288 Allg. jüd. Wochenztg., Weg, 10.10.1980, S. 1. 289 Allg. jüd. Wochenztg., Haß, 12.9.1980, S. 1f.; Allg. jüd. Wochenztg., Galinski, 24.10.1980, S. 2. 290 Allg. jüd. Wochenztg., Orientierungspunkte, 12.9.1980. Mehrfach vertrat die Allgemeine jüdische Wochenzeitung zudem die Einschätzung, dass die staatlichen Stellen engagiert im Kampf gegen den Rechtsradikalismus seien. Vgl. Allg. jüd. Wochenztg., NS-Publikationen, 29.8.1980, S. 12; Allg. jüd. Wochenztg., 15 Monate Gefängnis für Geiss, 12.9.1980, S. 1f.; Allg. jüd. Wochenztg., Beileidstelegramm, 3.10.1980, S. 1f.; Allg. jüd. Wochenztg., Verbrechen, 10.10.1980, S. 2f.; Allg. jüd. Wochenztg., Bestand, 24.10.1980, S. 3f.; Allg. jüd. Wochenztg., Bonn forciert Gespräche über Rechtsextremismus, 24.10.1980, S. 4; Allg. jüd. Wochenztg., Kurzmeldungen, 24.10.1980, S. 12. So auch in der Informationsvermittlung bezüglich der NS-Vergangenheit. Vgl. Allg. jüd. Wochenztg., Anne Frank Stiftung informiert über Rechtsradikale, 17.10.1980, S. 12. 291 Allg. jüd. Wochenztg., Verbrechen, 10.10.1980, S. 2f.
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doch zumindest kurzsichtig“.292 Zu leicht habe man es sich in der Vergangenheit damit gemacht, die Rechtsradikalen als „arme Irre“ abzutun, „um dann schnell hinzuzufügen, Gefahr drohe in Deutschland nur von links“.293 Warum nicht schon früher, auch im Angesicht der europaweiten Radikalisierung, gegen die rechtsradikalen Strukturen vorgegangen worden sei, bleibe daher eine offene Frage.294 Heinz Galinski jedenfalls forderte die politisch Verantwortlichen auf, noch entschiedener gegen den Neonazismus vorzugehen – nicht ohne gleichzeitig zu betonen, dass in der Bundesrepublik deutlich mehr unternommen werde als in Frankreich.295 Interessanterweise wurde ein Verbot der NPD trotzdem nicht mehr gefordert. Dies ist angesichts der artikulierten Bedeutungslosigkeit der Partei zwar nicht verwunderlich, bisher war die „Allgemeine“ in vergleichbaren Fällen aber dennoch für Verbote eingetreten. Der Frage, ob dies eine temporäre Bewertung angesichts der Bedeutungslosigkeit der gesamten rechtsradikalen Szene war oder ein nachhaltiger Wandel, werden die folgenden Fallbeispiele zeigen. Für die Gewerkschaftspresse ist es aufgrund der geringen Quellenlage kaum möglich, detaillierte Befunde festzuhalten. Alles deutet aber darauf hin, dass die Sicherheitsorientierung hier nach wie vor vorhanden war und dass dem Rechtsradikalismus weiterhin vor allem repressiv begegnet werden sollte. Kritik an der „wehrhaften Demokratie“ veröffentlichte die Gewerkschaftspresse im Spätherbst des Jahres nicht. Als Reaktion auf die rechtsterroristischen Anschläge forderten die gewerkschaftlichen Publikationen – speziell die „Metall“ – dennoch vor allem ein härteres Durchgreifen der Behörden und eine Abkehr der Fokussierung auf linke Gewalt. Vorstellungen von einer notwendigen Sicherung von Demokratie und Freiheit gegen Angriffe waren vielfach präsent. Dafür spricht auch, dass die Ursachenfrage, deren Behandlung die Voraussetzung für alternative Umgangsformen ist, analog zur generellen Bedeutungslosigkeit des Themas absolut randständig blieb. Vor allem die zum DGB gehörenden Veröffentlichungen spiegelten letztlich aber die fehlende Handlungsfreiheit der Einheitsgewerkschaft. Dennoch bleibt diese unerwartet defizitäre Behandlung der Thematik etwas rätselhaft und kann auch kaum damit erklärt werden, dass immer größere Teile der Bevölkerung der Meinung waren, die Gewerkschaften sollten sich aus der Politik heraushalten.296
292 Allg. jüd. Wochenztg., Fremdenhaß, 5.9.1980, S. 8. Siehe auch Allg. jüd. Wochenztg., Waffen, 10.10.1980, S. 12. 293 Allg. jüd. Wochenztg., Verbrechen, 10.10.1980, S. 2f. 294 Allg. jüd. Wochenztg., Haß, 12.9.1980, S. 1f. Vgl. auch den Pressespiegel der Allgemeinen jüdischen Wochenzeitung vom 3.10.1980, S. 2. 295 Allg. jüd. Wochenztg., Galinski, 24.10.1980, S. 2. 296 Vgl. Müller, S. 444f., speziell Fußnote 442.
7.
Die Auseinandersetzung um Michael Kühnen (1983)
In diesem Fallbeispiel werden die Reaktionen auf die Aktivitäten von Michael Kühnen und seinen Anhängern im Jahr 1983 untersucht. Er war zwar bereits schon vorher ein bekannter Neonazi, aber in diesem Jahr verdichtete sich die Diskussion und es kam zum Verbot seiner Aktionsfront Nationaler Sozialisten / Nationale Aktivisten (ANS/NA).1 Die bisherigen Abschnitte haben gezeigt, wie die rechtsradikale Szene seit den sechziger Jahren in Bewegung geraten war. Dem Generationswechsel und der NPD-Niederlage 1969 folgten zahlreiche Neugründungen meist kleiner Gruppen. Auch die Zahl neonazistischer Aktivisten stieg weiter an, blieb aber auf einem insgesamt geringen Niveau.2 Viele knüpften direkt an ihre Erfahrungen in der Aktion Widerstand oder den NPD-Wahlkämpfen an. Das rechtsradikale Lager differenzierte sich dabei immer weiter aus, dennoch entwickelten sich dominierende Strukturen wie die „Kühnen-Gruppe“, in der sich fast alle der wichtigsten Neonazi-Gruppen der späten siebziger und frühen achtziger Jahre sammelten.3 Der Begriff ist ein Forschungskonstrukt – eine konkrete Organisation mit diesem Namen existierte nicht – und beruht auf der organisatorischen Verwirrung, die Michael Kühnen bewusst aufbaute, um staatlichen Repressionen zu entgehen.4 Der Terminus verweist daneben auf dessen Dominanz in diesen Strukturen. Kühnen wurde als die „schillerndste Figur“ des Rechtsradikalismus beziehungsweise als „deutscher Neonazi Nummer eins“ der achtziger Jahre beschrieben und entwickelte sich zur ersten richtigen „Szenegröße“, die nach dem Generationswechsel im Rechtsradikalismus die Führung übernahm.5 1 Als konkreter Untersuchungszeitraum wurden drei Ereignisse dieses Jahres ausgewählt: (1.) Anfang Mai 1983: Sternfahrt der ANS/NA nach Bad Bergzabern und Mobilisierung zum Treffen der Waffen-SS in Bad Hersfeld, (2.) Wahlbeteiligung der Aktion Ausländerrückführung bei den Landtagswahlen in Hessen am 25. September 1983, (3.) Verbotsverfügung des Bundesinnenministers gegen die Aktionsfront Nationaler Sozialisten / Nationale Aktivisten am 24. November 1983. 2 Es ist zu Beginn der achtziger Jahre von maximal etwa 1000 Personen auszugehen. Vgl. Backes, S. 102. 3 Vgl. Pfahl-Traughber, S. 55; Wirsching, S. 417. Für einen Überblick über die Aktivitäten der militanten Neonazis dieser Jahre siehe auch Gräfe, S. 112–126. 4 Viele Teilorganisationen existierten nur auf dem Papier, die Aktivisten waren fast immer dieselben. Dies diente vor allem dem Zweck, im Fall von Verboten alternative Strukturen zur Weiterführung der politischen Arbeit zu haben. Gleichzeitig sollte die immense Zahl den Eindruck von großer Schlagkraft erzeugen und somit die potenzielle Wirkungsmacht erhöhen. 5 Viele spätere Neonazianführer – wie Christian Worch und Siegfried Borchardt (bis heute bekannt als „SS-Siggi“) – haben ihre ersten politischen Erfahrungen unter Kühnen
7. Die Auseinandersetzung um M ichael Kühnen (1983)
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Trotz der temporären Dominanz von Kühnen und seinen Anhängern in der rechtsradikalen Szene und vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung dieser existierten parallel viele weitere Gruppen, die zum Teil ebenfalls in den Fokus der hier untersuchten nicht-staatlichen Akteure gerieten. Der Rechtsradikalismus darf selbst in dieser Phase der maximalen Prominenz von Kühnen keinesfalls auf ihn und seine Anhänger reduziert werden. Zum Beispiel berichtete die „Allgemeine jüdische Wochenzeitung“ weiterhin regelmäßig über weitere rechtsradikale Aktivitäten oder Gerichtsprozesse gegen Rechtsterroristen wie Karlheinz Hoffmann sowie den Neonazi Friedhelm Busse.6 Dass die Zeitung sich sogar unabhängig von besonderen Vorfällen für den Rechtsradikalismus interessierte, verdeutlichen Berichte über NS-Lyrik oder unbedeutende Kleinstgruppen, die rassistische Vorstellungen in die Mehrheitsgesellschaft zu transportieren versuchten.7 Vor allem die nationalsozialistisch inspirierte Publizistik war ihr weiterhin ein Dorn im Auge, zumal derartige Veröffentlichungen bis in das konservative Spektrum Verbreitung fänden.8 Vor diesem Hintergrund setzte sich ein Artikel mit den ideologischen Grundlagen der „Neuen Rechten“ auseinander. Deren Strategie, mit langsamen Schritten und zunächst primär der Waffe der Sprache die Grenzen der Sagbarkeit zu erweitern, fürchtete die jüdische Zeitung, könnte für die Gesellschaft zum Problem werden, denn eine „Ideologie ist meistens schon im Bereich des Möglichen eingezeichnet, wenn Saalschlachten, öffentliche Disputationen und politische Gegenmaßnahmen einsetzen. Das erste Wachstum der Ideologie ereignet sich im Bereich der Sprache“.9 Werden die Tabugrenzen einer Gesellschaft ausgeweitet und das bisher Ausgegrenzte wird wieder salonfähig, so die Warnung, dann kann dies durchaus bedrohlich werden. Zudem würden es die zahlreichen esoterischen Kleinstorganisationen immer besser verstehen, junge Menschen zu begeistern. Wenngleich die Vorstellungswelten dieser oft winzigen Gruppen oftmals abwegig seien, sollte man sie nicht unterschätzen.10 Helfen – und damit betont die „Allgemeine“ erneut eines ihrer gemacht. Vgl. diesbezüglich und auch für alle weiteren biografischen Angaben Erb, Kühnen; Jaschke, Kühnen, S. 172; Kniest; Rabert, S. 272, 304f.; Pfahl-Traughber, S. 55. 6 Allg. jüd. Wochenztg., Nicht genügend Beweise, 30.9.1983, S. 12; Allg. jüd. Wochenztg., Zwei Anklagen gegen 15 Neonazis erhoben, 25.11.1983, S. 4; Allg. jüd. Wochenztg., Eine Gruppe von vier Neonazis, 25.11.1983, S. 5; Allg. jüd. Wochenztg., Keine politische Motivation, 2.12.1983, S. 12. 7 Allg. jüd. Wochenztg., Der Armanen-Orden, 27.5.1983, S. 5; Allg. jüd. Wochenztg., Neonazistische Lyrik in der Bundesrepublik, 23.9.1983, S. 4; Allg. jüd. Wochenztg., Okkultismus und Neonazismus, 16.12.1983, S. 12. 8 Allg. jüd. Wochenztg., Neonazistische Vertriebsdienste, 13.5.1983, S. 4; Allg. jüd. Wochenztg., Lyrik, 23.9.1983, S. 4. 9 Allg. jüd. Wochenztg., Die neue rechtsradikale Ideologie, 27.5.1983, S. 4f. 10 „Schon einmal wurde eine verbrecherische Bewegung, die sich die Vernichtung ‚minderwertiger Rassen‘ zum Ziel gesetzt hatte, aus den trüben Gewässern ‚germanischen Weistums‘ gespeist“, warnte ein Text zum weitgehend unbekannten Armanen-Orden.
332 7. Die Auseinandersetzung um M ichael Kühnen (1983) langjährigen Hauptanliegen – würde den Neonazis vor allem der geringe Wissensstand junger Menschen über die NS-Vergangenheit: „Man lockt mit ‚Qualitäten‘, die die Unkenntnis der Bevölkerung ausnutzen und ihren Profit schlagen aus der mangelnden Aufklärung über den Nationalsozialismus und dessen Aufarbeitung – sowohl in der älteren wie in der jungen Generation.“11 Deutlich zeigt sich hier, dass die Zeitung auch im Jahr 1983 durchaus potenzielle Gefahren für die demokratische Gesellschaft ausmachte. Demgegenüber finden sich in der Gewerkschaftspresse in diesem Jahr nur sehr wenige Berichte zu aktuellen Vorfällen, der ANS/NA oder anderen rechtsradikalen Strukturen.12 Die DGB-Publikationen berichteten hingegen trotz deren Bedeutungslosigkeit über die NPD.13 Diese Kleinstpartei diente nach wie vor als Feindbild, wohl weil sie als bekannte politische Partei besonders exponiert war. Hier konnten die Gewerkschaften parallel zu den zahlreichen Aktivitäten vor Ort mit konkreten Forderungen Handlungsbereitschaft signalisieren. Darüber hi naus beschrieb die Gewerkschaftspresse eine wachsende Bereitschaft zu Gewalttaten.14 Da die zunehmenden Terrorakte jugendlicher Neonazis als Gradmesser für gesellschaftliche Probleme und Konflikte angesehen wurden, sei die politische Situation der Bundesrepublik keineswegs allzu stabil.15 In mehreren Artikeln thematisierte vor allem die „Welt der Arbeit“ den ebenfalls steigenden Einfluss von Neonazis in bundesdeutschen Fußballfanklubs.16 Hier wurden ausnahmsweise auch Kühnen und die Aktionsfront Nationaler Sozialisten / Nationale Aktivisten direkt erwähnt, die im Hintergrund immer dabei seien, wenn nicht nur Fanszenen, sondern generell Jugendgruppen von Rechtsradikalen vereinnahmt werden sollten. Diese Entwicklung betrachtete auch die jüdische „Allgemeine“ mit Sorge. Dass sich die Gewalt in und um die Fußballstadien ausbreite, helfe speziell neonazistischen Rechtsradikalen, ihren Einfluss auszuweiten.17 Immer wieder würden sie – genannt wurde in diesem Zusammenhang auch Kühnen – gezielt Jugendliche und Fußballfans ansprechen, um diese zu indoktrinieren und Vgl. Allg. jüd. Wochenztg., Armanen-Orden, 27.5.1983, S. 5. Für Informationen zum Armanen-Orden siehe Fromm, Rand, S. 23–28. 11 Allg. jüd. Wochenztg., Vertriebsdienste, 13.5.1983, S. 4. 12 In den Publikationsorganen von ÖTV und IG Metall finden sich keine Artikel zum Rechtsradikalismus. 13 WdA, Verbietet die NPD, 6.10.1983, S. 4. 14 WdA, Warnung vor Neonazis, 17.11.1983, S. 8. 15 Ilse Brusis / DGB-Bundesvorstand, Abt. Jugend (Hg.), 50 Jahre Machtergreifung. Arbeiterbewegung, Nationalsozialismus und Neofaschismus in Deutschland. Materialien und Kommentare, Düsseldorf 1982, S. 10. 16 WdA, Nazis in Fanclubs, 6.5.1983, S. 9; WdA, Nazis im Stadion, 3.11.1983, S. 9; WdA, Nazis in Fanclubs, 1.12.1983, S. 9. 17 Allg. jüd. Wochenztg., Beweise, 30.9.1983, S. 12; Allg. jüd. Wochenztg., Ermittlungen gegen gewalttätige Skinheads, 7.10.1983, S. 3; Allg. jüd. Wochenztg., Wachsam bleiben, 16.12.1983, S. 1.
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an deren ohnehin bereits vorhandenes rechtes Denken anzuknüpfen.18 Dass diese Entwicklung mit einer gewissen Sorge zu betrachten sei, findet sich sogar in der FAZ. Zwar seien „rechtsextreme Schläger noch Einzelfälle“, führte die Zeitung in gewohnter Weise aus, jedoch bilde sich in Verbindung mit der gestiegenen Gewaltbereitschaft bei Hooligans ein potenziell gefährliches Amalgam heraus.19 So habe die „Kühnen-Gruppe“ in Hamburg enge Kontakte zu örtlichen Skinheads, dem HSV-Fanclub Die Löwen und der 1982 aufgelösten Savage Army (SA) knüpfen können. Die Fußball-Hooligans, erklärte die FAZ, seien dabei „unter den Einfluß von neonazistischen Demagogen [geraten], die in den sogenannten Jugendbanden ‚nützliche Idiotien‘ sähen für Gewalttätigkeiten etwa gegen Ausländer“.20 Daher konstatierte sie, der Rechtsradikalismus sei langsam in bundesdeutschen Fußballstadien angekommen, und warnte, dass Fußballspiele in Zukunft als zentrale Agitationsfelder der Neonazis anzusehen seien. Auch unabhängig davon sah die FAZ den Rechtsradikalismus leicht im Aufwind und berichtete anlassbezogen mehrfach.21 Vor allem im Regionalteil zu Hessen finden sich auch Berichte zu weniger bekannten Vorfällen, was die grundsätzliche Bereitschaft der Zeitung aufzeigt, diesen als relevantes Problem wahrzunehmen.22 Hier heißt es beispielsweise, dass rechtsradikale Auffassungen in hessischen Schulen stark verbreitet seien.23 Vor allem im Regionalteil informierte die Zeitung regelmäßig auch über die NPD.24 Dass die Zeitung das rechtsradikale Spektrum im Blick hatte, zeigt sich auch daran, dass sie über szeneinterne Entwicklungen berichtete,
18 Zu den Versuchen Kühnens, in den Fußball-Fanszenen Fuß zu fassen, siehe Hofmann, S. 115–120. 19 FAZ, Aggression im Stadion nach vierzig Jahren Frieden, 27.9.1983, S. 22. Siehe auch FAZ, Neo-Nazis hetzen Jugendbanden auf, 30.9.1983, S. 9; FAZ, Die Glatzköpfe von rechtsaußen, 14.11.1983, S. 30. 20 FAZ, Acht Fußball-Fanatiker vor Gericht, 7.121983, S. 9. 21 So waren Manfred Roeder, Karl-Heinz Hoffmann und andere Rechtsterroristen der letzten Jahre weiterhin interessant genug für die Berichterstattung. Vgl. FAZ, Gericht lehnt Hauptverfahren gegen Hoffmann ab, 21.9.1983, S. 7; FAZ, Neonazis wollen Tradition der SA fortsetzen, 1.10.1983, S. 37; FAZ, Rechtsradikale in München zu Freiheitsstrafen verurteilt, 26.11.1983, S. 4. 22 Dies kann für die gesamte Zeitung konstatiert werden, da der Regionalteil keinesfalls autonom agierte und die Veröffentlichung gleichfalls der Zustimmung der Herausgeber bedurfte. Für die Berichterstattung siehe FAZ, Neonazis in der Disco, 6.5.1983, S. 55; FAZ, Fragen nach rechtsradikalen Schmierereien, 7.5.1983, S. 38; FAZ, Uniformen und neonazistische Embleme, 10.12.1983, S. 50; FAZ, SS-Runen zwischen linksradikalen Sprühparolen, 13.12.1983, S. 33. 23 FAZ, Strafrecht und Pädagogik reichen nicht aus, 20.9.1983, S. 27. 24 Vor allem über Entscheidungen, Mietverträge mit der Partei zu verhindern, berichtete die FAZ wohlwollend. Vgl. FAZ, Stadt kündigt der NPD, 11.5.1983, S. 33; FAZ, Kandidaten der NPD, 18.5.1983, S. 38; FAZ, Lob für Kündigung der Mietverträge mit NPD, 20.5.1983, S. 48; FAZ, Für Neonazis kein generelles Auftrittsverbot, 27.5.1983, S. 55.
334 7. Die Auseinandersetzung um M ichael Kühnen (1983) die in allen anderen untersuchten Medien ausgelassen wurden.25 So widmete sie der in diesem Untersuchungszeitraum gegründeten Partei Die Republikaner einen längeren Artikel, der ihr einen Hang zu Populismus und Ausländerfeindlichkeit attestierte und den politischen Standort als „rechts von der Mitte“ beschrieb.26 Auffällig ist dennoch die quantitativ hohe Bedeutung des hinteren Zeitungs- beziehungsweise des Regionalteils in diesem Kapitel, was letztlich die Marginalisierung des Rechtsradikalismus auch für die FAZ verdeutlicht. Im Vergleich dazu war das Interesse sowohl der „Zeit“ als auch der „Frankfurter Rundschau“ an rechtsradikalen Gruppierungen und Vorfällen ohne Verbindung zu Michael Kühnen auffallend gering. In der FR finden sich insgesamt nur wenige Berichte zum Rechtsradikalismus – etwa zur Hälfte im hinteren beziehungsweise dem regionalen Teil der Zeitung. Für die geringe Relevanz der Thematik spricht zudem, dass diese Zeitung die Information des Verfassungsschutzes, dass es rund 1400 Neonazis in der Bundesrepublik gebe – „von denen 300 durch militantes Verhalten aufgefallen seien“ –, erst im Rahmen der Verbotsverfügung gegen die ANS/NA ein gutes halbes Jahr später als die FAZ veröffentlichte.27 Aufschlussreich ist ferner, dass die erwähnte verstärkte Einflussnahme Rechtsradikaler auf die Fußballfanszene in der FR nicht aufgegriffen wurde. Der Rechtsradikalismus verließ die Latenz in der „Rundschau“ 1983 nur dann, wenn ein gewisses diskursives Niveau überschritten wurde oder wenn ein spezielles Interesse bestand.28 Beispielhaft ist hier ein Bericht über zivilgesellschaftliches Engagement in Freiburg im Breisgau, wo es linken Kräften zusammen mit engagierten Privatpersonen und Menschen des öffentlichen Lebens gelungen sei, die Gründung einer Bürgerinitiative Ausländerstopp aus dem Umfeld der NPD zu verhindern.29 Dies wurde – ohne es explizit auszusprechen – als positives Beispiel für zivilgesellschaftliches Engagement prominent platziert. 25 Zum Beispiel berichtete die FAZ über Diskussionen innerhalb der rechtsradikalen Szene bezüglich der Rolle, die der historische Nationalsozialismus und die Person Hitler in der aktuellen Mobilisierung und Zielsetzung der Neonazis spielen sollten. Sie schlussfolgerte daraus zwar zunächst, dass diese kontinuierlich an Boden verlören, aber dafür zumindest einige Gruppen beabsichtigen, ihre Ideologie anschlussfähiger gestalten zu wollen. Zudem heißt es, dass sich Gruppen mit einer Anti-Hitler-Ideologie auch innerhalb der rechtsradikalen Szene eher isoliert hätten. Vgl. FAZ, Anti-Hitlerismus bei den Neo-Nazis, 26.4.1983, S. 6; FAZ, Neonazis werden nicht unterschätzt, 4.5.1983, S. 38. 26 FAZ, Die Republikaner in München als neue Partei gegründet, 28.11.1983, S. 3. 27 FR, Verbot der Neonazis kam morgens beim Führer-Nachfolger an, 8.12.1983, S. 1; FAZ, Neonazis. 4.5.1983, S. 38. 28 So z. B. bei Berichten über rechtsradikale Polizisten. Vgl. FR, Waffen und Hakenkreuze, 20.9.1983, S. 4. Auch wurde der Gerichtsprozess gegen den ehemaligen Wehrsportgruppenchef Karl-Heinz Hoffmann bzw. dessen Einstellung sowie der gegen die Gruppe um Friedhelm Busse in der FR wesentlich prominenter behandelt als in der FAZ. Vgl. FR, Gericht lehnt Verfahren gegen Rechtsextremist Hoffmann ab, 21.9.1983, S. 1; FR, Rechtsradikale zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt, 26.11.1983, S. 4. 29 FR, Freiburger zwangen Ausländerfeinde zum Rückzug, 30.4.1983, S. 4.
7.1. Kühnen und der Neonazismus
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7.1. Kühnen und der Neonazismus Michael Kühnen (Jg. 1955) wuchs als einziges Kind in einem gutbürgerlichen und dem Nationalsozialismus kritisch gegenüberstehenden Elternhaus in Düsseldorf und Bonn auf. Er war lange auf der Suche nach einer (politischen) Zugehörigkeit und sowohl Mitglied der Jungen Union Deutschlands und den Jungen Nationaldemokraten als auch bei den NPD-Abspaltungsprodukten Aktion Widerstand und Aktion Neue Rechte aktiv.30 Zwar beteiligte er sich kurzfristig sogar in der maoistischen Liga gegen den Imperialismus, aber seine Begeisterung für nationalistische Deutungen entwickelte sich früh. Die Wahlniederlage der NPD 1969 war für ihn eine bittere Erfahrung, die seine Radikalisierung vorantrieb. Kühnen machte 1974 Abitur an einem privaten katholischen Gymnasium in Bonn und entschied sich für eine Ausbildung als Zeitoffizier bei der Bundeswehr. Ab Mitte der siebziger Jahre näherte er sich dem Neonazismus an, war in der NSDAP-Aufbauorganisation (NSDAP/AO)31 aktiv und baute seine internationalen Kontakte aus. Wenngleich die tatsächliche Bedeutung Kühnens innerhalb der rechtsradikalen Szene umstritten war und ist,32 wurde er zweifellos zum persönlichen Aushängeschild der Szene in der Öffentlichkeit dieser Jahre. Seine unvergleichbare Provokationsstrategie garantierte ihm eine enorme Bekanntheit weit über den Rechtsradikalismus hinaus.33 Mit seinen rhetorischen Fähigkeiten konnte er sich immer mehr als Integrationsfigur aufbauen, auch wenn er nie Anführer einer rechtsradikalen Massenorganisation, sondern eher vieler, zeitlich nachfolgender kleiner Gruppen war. Organisationshistorisch reichten die Anfänge der „Kühnen-Gruppe“ in die Mitte der siebziger Jahre zurück.34 1975 baute er im Auftrag der NSDAP/AO in Hamburg den Freizeitverein Hansa und parallel den SASturm 8. Mai auf. Der Freizeitverein sollte eine Art legale Tarnorganisation für den SA-Sturm darstellen, welcher eher konspirativ und als schlagkräftige Kampftruppe konzipiert war. Die Gruppe publizierte ab Juli 1977 die Zeitschrift „Der Sturm – SA Kampfblatt für Hamburg und Umgebung“, mit der sie ihre nationalsozialistische Propaganda zu verbreiten hoffte. Daneben entfaltete sie einige Aktivität, beschmierte Hamburg regelmäßig mit NS-Parolen und hielt provokative 30 Teilweise wird Kühnen auch eine aktive Phase in der Wiking-Jugend attestiert. Vgl. Rabert, S. 305. 31 Diese US-amerikanische Neonazi-Organisation um Gary Lauck verfolgte das politische Ziel einer Wiederzulassung der NSDAP in Deutschland und stellte zu diesem Zwecke Propagandamaterial her. 32 Auch viele rechtsradikale Gruppen standen ihm eher feindlich gegenüber und missbilligten seine Methoden genauso wie seine Selbstdarstellungen in der Öffentlichkeit. 33 Vgl. Erb, Kühnen, S. 90; di Lorenzo, S. 232; Kniest, S. 18. 34 Für Details zu diesem Abschnitt siehe Kopke, S. 262; Maler, S. 573; Rabert, S. 305; Stöss, Rechte, S. 167.
336 7. Die Auseinandersetzung um M ichael Kühnen (1983) Kundgebungen ab. Kühnen feierte diesen Schritt: „Es begann der Weg raus aus der Anonymität, hinein ins Volk. Mit immer neuen Ideen wurde der Staatsschutz provoziert, die Presse zum Bericht gezwungen und das Volk erfährt nun endlich: Wir sind wieder da!“35 Im Jahr 1977 wurde Kühnen aufgrund seiner rechtsradikalen Aktivitäten unehrenhaft aus der Bundeswehr entlassen.36 Er entwickelte sich in der Folge, seiner materiellen Existenz beraubt, „von einem idealistischen, orientierungsarmen und ungefestigten Nationalisten zu einem ‚professionellen‘ Neonazi“, erklärt Hans-Gerd Jaschke im Rückblick.37 Im November des Jahres gründete er dann die Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS), welche die weitere Entwicklung des neonazistischen Spektrums entscheidend prägen sollte.38 Mit ihr wollte er für eine Wiederzulassung der NSDAP in der Bundesrepublik werben.39 Es handelte sich um „nur“ etwa 75 Aktivisten, die ihre politische Sozialisation vorwiegend bei den Hamburger Jungen Nationaldemokraten, aber auch der Wiking Jugend erhalten hatten,40 aber die ANS wurde eine der aggressivsten und provokantesten Organisationen aus dem neonazistischen Spektrum, die jemals in der Bundesrepublik aktiv waren.41 Kühnens Ziel blieb die Öffentlichkeitsarbeit im Sinne der NSDAP/AO. Solange dieses Fernziel nicht erreicht werden konnte, zielte er auf die stete Provokation der Mehrheitsgesellschaft, um den Bekanntheitsgrad der eigenen Organisation auch über die diskursiven Grenzen hinweg in der Öffentlichkeit zu steigern.42 So plante er mit der ANS die Beteiligung an der Hamburger Bürgerschaftswahl 1978, scheiterte aber an fehlenden Unterstützungsunterschriften. Im Mai 1978 provozierten er und einige wenige Mitstreiter mit einem bundesweit beachteten Aufmarsch, bei dem alle Teilnehmer Eselsmasken und Schilder mit dem Aufdruck „Ich Esel glaube noch, dass in deutschen KZs Juden ‚vergast‘ wurden“ tru35 Zit.n. Jaschke, Kühnen, S. 171. 36 Vgl. Pfahl-Traughber, S. 55. 37 Vgl. Jaschke, Kühnen, S. 172. Siehe auch Rabert, S. 303. 38 Letztlich handelte es sich allerdings eher um eine Umbenennung des SA-Sturms als um eine Neugründung. Vgl. di Lorenzo, S. 237. 39 Vgl. Botsch, S. 75; Grumke / Wagner, S. 353. 40 Vgl. Stöss, Rechte, S. 167. 41 Mitglieder überfielen am 22. November 1977 einen wachhabenden Bundeswehrsoldaten und erbeuteten ein Sturmgewehr. Kurze Zeit später überfielen sie einen Bauunternehmer und eine Bank. Weitere Waffen erbeuteten sie bei einem Überfall auf niederländische Soldaten im Februar 1978, bei dem sie vier Maschinenpistolen und Munition erbeuteten. Dies war Teil einer parallel zur ANS von Kühnen gegründeten „Werwolf “-Untergrundaktion, die terroristische Ziele verfolgte, und zeigte, dass Kühnen Gewalt keineswegs abgeneigt gewesen ist. Vgl. Botsch, S. 84; Rabert, S. 233; Röpke / Speit, S. 43f. 42 Für Belege zu den folgenden Abschnitten und weitere Informationen zur politischen Strategie siehe Jaschke, Kühnen, S. 42, 172–178; Kniest, S. 196–199; 217; di Lorenzo, S. 238; Rabert, S. 304–306; Stöss, Rechte, S. 167.
7.1. Kühnen und der Neonazismus
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gen.43 Im Juni 1978 organisierte er in Lentföhrden eine Veranstaltung mit dem Titel „Gerechtigkeit für Hitler“. Dem Wunsch nach Provokation und möglichst breiter Berichterstattung wurde alles untergeordnet. Kühnen und seine Begleiter traten öffentlich in SA-ähnlichen Uniformen auf und setzten auf eindeutige NS-Bezüge. „Nie zuvor in der Nachkriegsgeschichte“, schrieb Giovanni di Lorenzo, „hatten sich Deutsche, zumal jung, so ungeschminkt und rückhaltlos zum NS bekannt wie Kühnen und seine Gesinnungsgenossen, als sie in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre erstmals auf sich aufmerksam machten“.44 Kühnen hatte erkannt, dass „ihm jedwede Berichterstattung nützlich war, da sie trotz ihrer meist stigmatisierenden und moralisierenden Tendenz für die Diffusion seiner politischen Vorstellungen sorgte“ und seine „Bewegung“ bekannt machte. Daher informierte er vor fast jeder Aktion die Presse und machte diese zum Instrument seiner Propaganda. Oft fingen die Aktionen erst an, sobald die Medienvertreter eintrafen. Diese stigmatisierten ihn zwar weiterhin konsequent und verurteilten seine Politik, machten ihn aber dennoch bekannt. Kühnen hingegen etablierte sich als „pressefreundlicher Neonazi“. Diese Strategie offenbarte einen Taktikwechsel weg von Anpassung an die diskursiven Regeln der Bundesrepublik und Geheimhaltung der eigenen Radikalität zum Schutz vor Strafe hin zur radikalen Zurschaustellung sowie der Bereitschaft, hierfür Strafverfolgung zu riskieren. Die Neonazis waren sich bewusst, welche Resonanz sie mit der offenen Anknüpfung an Hitler erreichen konnten. Das fehlende politische Gewicht der „Kühnen-Gruppe“ wurde durch die „Dauer-Inszenierung des Rechtsextremismus als öffentliches Spektakel“ ausgeglichen. Insgesamt hat der schon mit 36 Jahren verstorbene Kühnen rund ein Viertel seines Lebens hinter Gittern verbracht. Aber die Verurteilungen waren der Preis, den er für das öffentliche Eintreten für den Nationalsozialismus zu zahlen bereit war. Allein in der ersten Jahreshälfte 1978 wurde er achtzehnmal festgenommen. Am 13. September 1979 fiel das Urteil im sogenannten Bückeburger Prozess vor dem Oberlandesgericht Celle. Wegen Volksverhetzung und Verbreitens von Propagandamitteln einer verfassungswidrigen Organisation wurde Kühnen zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.45 Seine mitangeklagten ANS-Aktivisten wurden wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu langjährigeren Haftstrafen verurteilt.46 Im April 1982 kam es zu einem weiteren Verfahren über die Reichweite der Meinungsfreiheit. Michael Kühnen hatte in der Untersuchungshaft während des Bückeburger Prozesses ein Manifest mit dem Titel „Die zweite Revolution“ verfasst, jedoch nicht veröffentlicht. Im Prozess wurde ihm dennoch die Verbreitung propagandistischer Werke vorgeworfen. Allerdings 43 Zit n. Pfahl-Traughber, S. 55. 44 Di Lorenzo, S. 233. Siehe auch Erb, Kühnen, S. 89f. 45 Für Prozessdetails siehe Hofmann, S. 34–41; Röpke / Speit, S. 43f.; Stöss, Rechte, S. 169. 46 Dennoch wurde Kühnen immer wieder mit terroristischen Aktivitäten in Verbindung gebracht. Vgl. Rosen, S. 60.
338 7. Die Auseinandersetzung um M ichael Kühnen (1983) akzeptierte der Bundesgerichtshof seine Argumentation, nach der das Abfassen eines Manuskriptes keine Meinungsäußerung sei. Kühnen hatte erneut einen medienwirksamen Coup gelandet.47 Ende 1982 begann Michael Kühnen – er war gerade wieder aus dem Gefängnis entlassen worden – mit der Restrukturierung seiner Organisationen und verstieß damit sofort gegen seine Bewährungsauflagen. Das Ziel war die Fusion der ANS mit der Wehrsportgruppe Fulda und der NS-Initiativgruppe Frankfurt/ Main, die sich mittlerweile als Nationale Aktivisten (NA) bezeichneten.48 Auch Aktivisten der Wehrsportgruppe Hoffmann und der Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands / Partei der Arbeit (VSBD/PdA) waren an diesem Prozess beteiligt. Die am 15. Januar 1983 gegründete neue und gemeinsame Organisation hieß Aktionsfront Nationaler Sozialisten / Nationale Aktivisten und entwickelte sich schnell zur führenden Neonazi-Organisation der Republik. Obwohl sie maximal 500 vor allem junge Aktivisten umfasste, übte sie eine enorme Sogwirkung aus und hatte maßgeblichen Einfluss auf die weitere Entwicklung des neonazistischen Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik.49 Der Beginn der neuen Kampagne waren ein Fernsehinterview mit Michael Kühnen, welches die Sendung „Panorama“ am 21.12.1982 ausstrahlte, sowie ein Radiointerview mit dem „Deutschlandfunk“ etwa einen Monat später.50 Zum 1. Mai 1983 plante die ANS/NA dann ein Treffen in Bad Bergzabern, wo sie demonstrativ den „Tag der nationalen Arbeit“ zelebrierte.51 Knapp drei Wochen später mobilisierten die Aktivisten in der Hoffnung, die „alten Kameraden“ für ihre Ziele instrumentalisieren zu können, zu einem SS-Veteranentreffen nach Bad Hersfeld. Der DGB organisierte eine große Gegendemonstration mit mehr als 6000 Teilnehmern. Es kam zu Straßenschlachten der Neonazis mit Linken und der Polizei.52 Während sich die „Allgemeine jüdische Wochenzeitung“ ausführlicher als beispielsweise die „Frankfurter Rundschau“ zu anderen Aspekten des Rechtsradikalismus äußerte, veröffentliche sie zu den Aktivitäten der ANS/NA nur sehr wenig.53 Im Falle des Treffens der Neonazis in Bad Bergzabern beschrieb sie in erster Linie die Gegenproteste, was zusammen mit der dort vorgetragenen Verbotsfor47 Vgl. Kalinowsky, S. 170–172. 48 Vgl. Botsch, S. 84. Für Details zum Gründungsprozess der ANS/NA siehe auch Hofmann, S. 71–74. 49 Vgl. Grumke / Wagner, S. 354; Kniest, S. 11; Röpke / Speit, S. 42. 50 Vgl. Kniest, S. 202f. 51 Für Details siehe Hofmann, S. 79–83. 52 Für Details siehe Bernd Langer, 80 Jahre Antifaschistische Aktion. Herausgegeben vom Verein zur Förderung antifaschistischer Kultur, Göttingen 2012, S. 35f. 53 Ob die geringe Zahl der Artikel zur ANS/NA eine Folge der von Susanne Schönborn für die achtziger Jahre ausgemachten bewussten Zurückhaltung des Zentralrates aus Sorge, selbst zum Ziel von rechtsradikalen Anschlägen zu werden, war, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden, ist aber möglich. Die niedrigere Zahl der Artikel beruhte dabei aber wohl in erster Linie auf der geringeren Bedeutung der „Kühnen-Gruppe“
7.1. Kühnen und der Neonazismus
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derung erneut die positive Rolle der Bevölkerung unterstrich.54 Auch in der Gewerkschaftspresse verblieb die „Kühnen-Gruppe“ unter dem Radar. Nicht einmal über das Verbot der ANS/NA oder deren vorherige Aktivitäten wurde berichtet. Ein Artikel über das Bad Hersfelder Treffen der ehemaligen Waffen-SS-Mitglieder spart nicht mit Pathos bezüglich des Kampfes gegen den aktuellen Rechtsradikalismus, verzichtete aber auf die Nennung von Kühnen oder seiner Anhänger. Vielmehr stellte die „Welt der Arbeit“ die strömungsübergreifenden und teilweise internationalen Proteste gegen das Treffen deutlich in den Vordergrund und zitierte den DGB-Kreisvorsitzenden von Hersfeld-Rotenburg und gleichzeitigen Mitinitiator der Gegendemonstrationen, Julius Klausmann: „Es sei Pflicht aller Demokraten, gegen alte und neue Nazis Widerstand zu leisten. Gerade das Jahr 1983 mit der Wiederkehr des 50. Jahrestages der Machtergreifung und der Zerstörung der Gewerkschaftshäuser dürfe […] nicht zum ‚Jubeljahr der alten und neuen Nazis‘ mißbraucht werden.“55
Auch in der FAZ, die grundsätzlich sensibilisiert für die Thematik war und intensiver über den Rechtsradikalismus berichtete als andere, wurde die „Kühnen-Gruppe“ zunächst nur in wenigen kürzeren Artikeln behandelt. Die Informationen erwecken dabei teilweise nicht den Eindruck gründlicher Recherche. So wurde Kühnen zunächst als Gegner des Hitler-Kultes beschrieben.56 Die Zeitung korrigierte sich diesbezüglich indirekt erst nach dem Treffen in Bad Bergzabern: „Die 53 Teilnehmer des Treffens hatten den Hitlergruß imitiert, Fahnen mit einem verstümmelten Hakenkreuz gezeigt, statt der zwei SS-Runen nur eine Rune als Uniformstücke getragen. Die Gruppe um den vorbestraften Michael Kühnen nennt sich auch nicht Nationalsozialisten, sondern nationale Sozialisten“.57
Noch Ende April 1983 erklärte die FAZ, die ANS/NA „dürfte sich auf wenige Dutzend Anhänger beschränken“.58 Sie sprach ihr jede Bedeutung ab und berichtete über etwa 60 bis maximal 80 anwesende Neonazis in Bad Bergzabern – im gleichen Satz erwähnte sie die rund 1.500 Gegendemonstranten.59 Derart wurde nicht nur die Zahl der Neonazis sofort relativiert, sondern vor allem das zahlenmäßige Verhältnis zugunsten der demokratischen Gesellschaft betont. Man im Vergleich zu den offen rechtsterroristischen Anschlägen des Jahres 1980. Zur These siehe Schönborn, S. 240. 54 Allg. jüd. Wochenztg., Neonazitreffen mit Gegendemonstrationen und Festnahmen, 6.5.1983, S. 12. 55 WdA, Frühere Waffen-SS. Kein Altherrenklub, 26.5.1983, S. 3. 56 FAZ, Anti-Hitlerismus, 26.4.1983, S. 6. 57 FAZ, Ermittlungsverfahren gegen Rechtsradikale eingeleitet, 7.5.1983, S. 5. 58 FAZ, Anti-Hitlerismus, 26.4.1983, S. 6. 59 FAZ, Neonazis treffen sich in Bergzabern, 2.5.1983, S. 3; FAZ, Keine Möglichkeit für ein Verbot, 4.5.1983, S. 4.
340 7. Die Auseinandersetzung um M ichael Kühnen (1983) erfährt ansonsten lediglich, dass die Neonazis die Stadt – ohne dass es zu Zwischenfällen gekommen sei – am Abend mit unbekanntem Ziel verlassen hätten. Ähnlich dürftig war die Thematisierung des Treffens ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS in Bad Hersfeld. Berichtet wurde in der FAZ lediglich, dass eine ähnliche Anzahl an Aktivisten der ANS/NA dieses Treffen genutzt hätten, um unter den Augen zahlreicher ausländischer Fernsehsender durch die Straßen zu marschieren.60 Problematisch sei hier wohl weniger der Marsch selber, sondern dessen internationale Beachtung. Einen längeren Bericht über die ANS/NA veröffentlichte die FAZ im Regionalteil aber bereits Anfang Oktober, nachdem die Frankfurter Staatsanwaltschaft Anklage gegen zehn Mitglieder wegen Weiterführung nationalsozialistischer Ziele und Verbreitung entsprechender Propaganda erhoben hatte.61 Nun erblickte die Zeitung in der „Kühnen-Gruppe“ den Versuch, eine „neue SA“ aufzubauen, und berichtete in der Folge mehrfach über deren Aktivitäten.62 Vor allem bei jungen Menschen würden diese „politischen Soldaten einer neuen Ordnung“ gut ankommen.63 Die Selbstbezeichnung als „politische Soldaten“ wurde in den Augen der FAZ wenige Wochen später bestätigt, als 25 Mitglieder der ANS/NA bei einer geheimen Versammlung zur Planung einer provokanten Demonstration in München zur Feldherrnhalle ausgerechnet zum 60. Jahrestag des Hitlerputsches festgenommen wurden und „unter anderem Gaspistolen, Messer, Schlagstöcke, Fahnen und Gassprühdosen“ mitgeführt hatten.64 Kühnen selbst wurde dabei als „einschlägig bekannter Neonazi“ tituliert, der nach der Haftentlassung gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen habe und nur wegen der „Groteske der Wirklichkeit“ nicht erneut belangt werden konnte.65 Auffällig ist, dass fast jeder Artikel zu Kühnen dessen bisherige Verurteilungen nannte, die für den Inhalt meistens völlig nebensächlich waren.66 Möglicherweise versuchte die FAZ 60 FAZ, Proteste gegen Waffen-SS-Treffen, 24.5.1983, S. 3. 61 FAZ, Neonazis, 1.10.1983, S. 37. 62 FAZ, 35 Rechtsradikale in München festgenommen, 7.11.1983, S. 5; FAZ, Junge Neonazis stören Kundgebung, 11.11.1983, S. 65. Auch in der FAZ spielte der „Femefall“ gegen eines des Verrates verdächtigen Mitglieds der ANS/NA eine große Rolle, da dieser die besondere Gewaltbereitschaft der Neonazis unterstreiche. Vgl. FAZ, Der Abtrünnige wird gefoltert, 19.11.1983, S. 38. 63 FAZ, Neonazis, 1.10.1983, S. 37. Siehe auch FAZ, Abtrünnige, 19.11.1983, S. 38; FAZ, Zimmermann verbietet größten neonazistischen Verband, 8.12.1983, S. 5. 64 FAZ, Rechtsradikale, 7.11.1983, S. 5. Zu Waffenfunden siehe auch FAZ, Neonazis, 11.11.1983, S. 65. 65 FAZ, Ein jämmerlich schmutziger Tod, 26.4.1983, S. 23. 66 Vgl. FAZ, Rechtsradikale veranstalten Sternfahrt mit geheimem Ziel, 30.4.1983, S. 3; FAZ, Bergzabern, 2.5.1983, S. 3; FAZ, Möglichkeit, 4.5.1983, S. 4; FAZ, Ermittlungsverfahren, 7.5.1983, S. 5; FAZ, Rechtsradikale, 7.11.1983, S. 5. Nach dem Verbotsbeschluss betonte die FAZ die irrelevante Tatsache, dass Kühnen den Verbotsbeschluss der ANS/ NA in einer „von ihm nicht angemeldeten Wohnung in Pinneberg“ überreicht bekam. Vgl. FAZ, Bescheid, 8.12.1983, S. 5; FAZ, Strategie des Loyalitätsentzugs, 10.12.1983, S. 4.
7.1. Kühnen und der Neonazismus
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derart den Eindruck zu verstärken, dass es sich bei ihm und seinen Kameraden weniger um politische Aktivisten, sondern mehr um Kriminelle handele. Prozesse gegen Kühnen und seine Mitstreiter wurden in der FAZ schon allein deshalb positiv dargestellt, weil sie sich nach Angabe der Sicherheitsbehörden als „ein ‚ziemlicher Schlag‘ gegen die Rechtsradikalen“ erwiesen hätten.67 Aber erst mit der Verkündung des Verbotes im November 1983 wurde die ANS/NA in der FAZ als „derzeit bedeutendste neonazistische Gruppe“ sowie als der „wichtigste und größte neonazistische Verein“ in der Bundesrepublik dargestellt.68 „Die Zeit“ veröffentlichte nach dem Mai-Treffen der Neonazis zumindest einen Bericht, der sich vor allem mit der Ideologie und Taktik der ANS/NA beschäftigte.69 Hier wurde darauf hingewiesen, dass die Gruppe sich einerseits explizit auf Hitler und den historischen Nationalsozialismus bezog. Andererseits wurde Kühnen zitiert, der erklärte, den eigenen „Kampf gewaltfrei im Rahmen des bestehenden Systems zu führen, wie ihn Adolf Hitler in den zwanziger und dreißiger Jahren auch hat führen müssen.“ Sein Ziel, so der Bericht, sei keineswegs die Tarnung der eigenen Überzeugungen, aber doch der Versuch, staatliche Repression zu minimieren. Insgesamt betrachtet war es vor allem die „Frankfurter Rundschau“, welche die ANS/NA relativ oft und ausführlich behandelte, obwohl andere Aspekte des Rechtsradikalismus in dieser Zeitung nur eine geringe Rolle spielten. Offenbar erkannte die Zeitung die spezielle Bedeutung Kühnens schon früh. Sie berichtete auch über kleinere Vorfälle, wie Kühnens Abschiebung von Österreich in die Bundesrepublik, die zum Beispiel in der FAZ ausgelassen wurden.70 Zudem berichtete sie auf der Titelseite über Pläne der Neonazis, eine Kundgebung unter dem Motto „1. Mai 1933 – 1. Mai 1983: 50 Jahre Sozialismus der Tat“ abhalten zu wollen.71 Von Bedeutung sei dieses Treffen, weil es „in Verfassungsschutzkreisen als erster Versuch gewertet [werde], die rechtsradikale Szene zu sammeln und zu einen“.72 Ohnehin sah die „Rundschau“ Kühnen und dessen ANS/NA auf dem Vormarsch.73 Explizit hohe Bedrohungspotenziale erkannte sie ihm und seinen Anhängern dabei aber genauso wenig zu wie die anderen Publikationen – auch wenn die FR die Neonazis als gewalttätig und kriminell sowie als zumindest potenzielle Gefahr für die innere Sicherheit beschrieb.74 Dennoch warnte ein Bericht auf der Titelseite, im Falle einer Machtübernahme wüssten 67 FAZ, Neonazis, 1.10.1983, S. 37. 68 FAZ, Zimmermann verbietet rechtsextreme Verbände, 8.12.1983, S. 1; FAZ, Zimmermann, 8.12.1983, S. 5. 69 Die Zeit, Ein Neonazi im Wortlaut, 6.5.1983. 70 FR, Fünf Neonazis verhaftet, 12.9.1983, S. 17; FR, Rechtsradikale, 26.11.1983, S. 4. 71 FR, Neonazis planen Kundgebung, 26.4.1983, S. 1. 72 FR, Mainz will Neonazi-Treffen in der Südpfalz unterbinden, 30.4.1983, S. 4. 73 FR, Die Heerschau fand als geschlossene Gesellschaft statt, 2.5.1983, S. 1. 74 Die Gewalt gegen ein der Spaltung verdächtigtes Mitglied der Aktionsfront beschrieb die Zeitung als außerordentlich brutal. So sei „der 21jährige geschlagen, gefesselt und
342 7. Die Auseinandersetzung um M ichael Kühnen (1983) die Neonazis schon, mit wem sie abzurechnen hätten.75 Die Zeitung zitierte Kühnen mit der Parole, dass er und seine Kameraden dafür sorgen werden, „daß der Nationalsozialismus weiterlebt“, und betonte, die Neonazis hätten die ANS/NA in einem internen Rundbrief selbst als legalen Arm der NSDAP bezeichnet.76 Bezeichnenderweise endete ein Artikel zu Kühnens Aktivitäten mit einer kleinen Meldung, nach der mehr als die Hälfte der Westdeutschen nicht der Meinung sei, dass man einen Schlussstrich unter die Verbrechen der NS-Jahre ziehen sollte.77 Das Treffen der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS in Bad Hersfeld beschrieb die FR nicht nur als eine „Verhöhnung der Opfer des NS-Regimes“, sondern darüber hinaus als eine Schädigung der Außenwirkung der Bundesrepublik.78 Immer wieder zitierte die Zeitung prominente Stimmen, die eine Kündigung von Mietverträgen oder eine Verhinderung der Veranstaltung forderten.79 Die FR argumentierte, dass man dieses „politische Problem“ schon deshalb verhindern müsse, da es eine Anziehungskraft auf junge Neonazis habe.80 Sie zitierte zudem Hans Werner Schwarze, den Generalsekretär des Schriftstellerverbandes „Poets, Essayists, Novelists“: „[E]ine derartige Veranstaltung 50 Jahre nach Beginn des Naziregimes in der Stadthalle von Bad Hersfeld [muss] als Provokation gelten. Diese werde ‚nicht nur von den Opfern des Naziregimes weit über die Grenzen Deutschlands hinaus als demonstrativer Beweis für die Duldung neonazistischer Aktivitäten bewertet“.81
geknebelt“ und schließlich zusammen mit einer Morddrohung in einem Waldstück ausgesetzt worden. Vgl. FR, Neonazis, 12.9.1983, S. 17. 75 FR, Heerschau, 2.5.1983, S. 1. 76 FR, Neonazi-Flugblätter beschlagnahmt, 9.5.1983, S. 16. Die enge ideologische Bindung der ANS/NA an den Nationalsozialismus sei nicht nur durch einen geplanten Marsch zur Feldherrnhalle zum 60. Jahrestag des Hitlerputsches offenkundig, sondern auch anhand von NS-Emblemen an der Kleidung verhafteter Kühnen-Anhänger. Vgl. FR, In München wurden 35 Rechtsradikale festgenommen, 7.11.1983, S. 4. Siehe auch FR, Heerschau, 2.5.1983, S. 1. 77 FR, Heerschau, 2.5.1983, S. 1. 78 Zum Beweis wurde ein nicht näher benannter niederländischer Jude zitiert, der angab, „fassungslos“ zu sein, dass „so etwas in Deutschland möglich ist“. Vgl. FR, Wie ist so etwas in Deutschland möglich, 24.5.1983, S. 3. Siehe bezüglich Nachteilen für die Außenwirkung auch FR, Verhöhnung der Opfer des NS-Regimes, 18.5.1983, S. 17; FR, Das SS-Treffen reißt noch kaum geheilte Wunden auf, 20.5.1983, S. 14. 79 Siehe ebd.; FR, Großes Polizeiaufgebot in Bad Hersfeld, 21.5.1983, S. 17. 80 Nicht nur die Polizei erwartete für die Veranstaltung gewalttätige Zusammenstöße von Neonazis mit den zahlreichen Gegendemonstranten. Mit dem Verweis auf gewerkschaftliche Sorgen bezüglich einer Entladung der „von den Neonazi-Gruppen propagierten Gewalt“ wurde indirekt eine Absage der Veranstaltung gefordert. Vgl. FR, Verhöhnung, 18.5.1983, S. 17; FR, Polizeiaufgebot, 21.5.1983, S. 17. 81 FR, Verhöhnung, 18.5.1983, S. 17.
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Zustimmend betonte die „Rundschau“, dass das Mainzer Innenministerium beabsichtige, „alle rechtlichen Schritte in die Wege zu leiten, um ungesetzliche Veranstaltungen mit dem [...] Neonazi Michael Kühnen […] an diesem Wochenende zu verhindern“.82 Letztlich sei es aber schwierig, eine als privat deklarierte Veranstaltung mit geltenden Gesetzen zu untersagen.83 Öffentliche Räumlichkeiten, lautete daher der Appell der Zeitung, sollten den Rechtsradikalen nur unter gerichtlichem Zwang zur Verfügung gestellt werden, um sich in jedem Einzelfall politisch zu distanzieren.84 Heftig kritisiert wurde daher, dass die Stadt Bad Hersfeld dies aus parteitaktischen Differenzen nicht einmal versucht habe. Selbst nach der Veranstaltung habe die Verwaltung keine deutlichen Worte gegen die Rechtsradikalen gefunden und eine Wiederholung nicht ausgeschlossen: „Es war diese Haltung des Bürgermeisters und der ihn schützenden CDU und FDP in Bad Hersfeld, die den ursprünglich eher bescheidenen Protest der vergangenen Jahre diesmal zu einem nationalen und internationalen Flächenbrand werden ließ.“85
Wohl um mitzuhelfen, die Aktivitäten der Neonazis zu behindern, beteiligte sich die „Rundschau“ bereits zeitig an der Mobilisierung der Gegenproteste.86 Die zivilgesellschaftlichen Proteste wurden anschließend auch mit Verweis auf deren breites und internationales politisches Spektrum wohlwollend dargestellt. Kritik findet sich nur in Bezug auf sogenannte „Anarcho-Gruppen“, die wegen der Lust an der Gewalt angereist seien, und die Bad Hersfelder Bürger, die sich kaum an den Protesten beteiligt hätten.87 Deutlich kritisierte die FR, dass die Gegendemonstration vor Ort von Beamten mit Hunden zurückgehalten wurde und die Polizei sich als Schützer rechtsradikaler Veranstaltungen gerierte.88 Sie wertete dies fast schon als Skandal und betonte, dass sogar Kühnen den Schutz der Polizei für rechtsradikale Organisationen als Zeichen der Veränderung des politischen Klimas zugunsten der Rechten wertete. Die Zeitung verzichtete hier auf Wider82 FR, Mainz, 30.4.1983, S. 4. 83 FR, Polizeiaufgebot, 21.5.1983, S. 17; FR, SS-Treffen, 20.5.1983, S. 14. 84 Als vor allem symbolisch wichtige Geste wurde die Entscheidung der Stadt Frankfurt am Main beschrieben, die städtischen Säle nicht mehr an die NPD zu vermieten. Vgl. FR, Saalbau kündigt der NPD, 11.5.1983, S. 13. Siehe auch FR, Verhöhnung, 18.5.1983, S. 17. 85 FR, Deutschland, 24.5.1983, S. 3. Für Kritik an der Stadt Bad Hersfeld siehe auch FR, Verhöhnung, 18.5.1983, S. 17; FR, Polizeiaufgebot, 21.5.1983, S. 17. 86 Früh benannte die FR zum Beispiel Bad Bergzabern als Versammlungsort und ermöglichte so ortsnahe Proteste. Vgl. FR, Mainz, 30.4.1983, S. 4. Noch vier Tage vorher hatte sie kritisiert, dass der genaue Veranstaltungsort als Maßnahme gegen antifaschistische Gegenproteste geheim bleiben würde. Vgl. FR, Neonazis, 26.4.1983, S. 1. Ebenso veröffentlichte die FR im Fall Bad Hersfeld im Vorfeld Protestpläne des DGB. Vgl. FR, Verhöhnung, 18.5.1983, S. 17; FR, SS-Treffen, 20.5.1983, S. 14. 87 FR, Deutschland, 24.5.1983, S. 3. 88 Ebd.; FR, Heerschau, 2.5.1983, S. 1.
344 7. Die Auseinandersetzung um M ichael Kühnen (1983) spruch und stimmte dieser Deutung insofern indirekt zu. Sie verwies stattdessen auf die Bisswunden einiger Gegendemonstranten und die Notwendigkeit der ärztlichen Behandlung nach Zusammenstößen mit der Polizei. Im Juni 1983 gründete Kühnen mit der Aktion Ausländerrückführung – Volksbewegung gegen Überfremdung und Umweltzerstörung (AAR) eine weitere Organisation. Seit den sechziger Jahren wurde der Fremdenhass immer mehr zum zentralen Mobilisierungsthema der rechtsradikalen Szene, die derart versuchte, an die ohnehin vorhandenen Ressentiments in der Bevölkerung anzuknüpfen. Die AAR wurde als „parlamentarischer Arm“ unter der Führung des Kühnen-Vertrauten Thomas Brehl gegründet.89 Personelle Überschneidungen zur ANS/NA waren die Regel. Es war beabsichtigt, an den Landtagswahlen in Hessen im September 1983 teilzunehmen, was aufgrund der geringen Personalstärke nur in einigen Wahlkreisen wirklich durchgeführt wurde.90 Dennoch zitierte die jüdische „Allgemeine“ Kühnen, dass „Nationalsozialisten erstmals seit dem Verbot der Sozialistischen Reichspartei 1952 wieder die Möglichkeit [hätten], sich ‚ohne ideologische Kompromisse und Verrenkungen‘ an Wahlen zu beteiligen.“91 Trotz der vorhandenen Fokussierung auf Michael Kühnen hielt die FR die Aktion Ausländerrückführung vor und nach der Landtagswahl in Hessen hingegen für so irrelevant, dass sie diese Gruppierung kaum erwähnte.92 War der Rechtsradikalismus weder parteipolitisch erfolgreich noch trat er besonders provokant in der Öffentlichkeit auf, verschwand er, selbst wenn er sich in Hessen manifestierte, fast unter dem Radar der Zeitung. Im Gegensatz zu den neonazistischen Provokationsauftritten von Kühnen und anderen waren diese Aktivitäten auch in den Augen der „Rundschau“ belanglos. Da verwundert es kaum, dass auch die FAZ Kühnens Aktion Ausländerrückführung während der Landtagswahlen in Hessen kaum behandelte. Und wenn doch, wurde sie weniger als rechtsradikale Tarnliste, sondern eher als eine nicht weiter interessante Wählergruppe beschrieben.93 Bezeichnenderweise erwähnte die FAZ erst im Rahmen der Verbotsverfügung gegen die ANS/NA und weitere Teile der „Kühnen-Gruppe“ Monate später deren vollen Titel.94 Da ihre Erfolglosigkeit unzweifelhaft war und die Zeitung kaum negative Einflüsse auf die im Ausland wahrgenommene Demokratieentwicklung erwartete, war die AAR nicht nur für die Frankfurter 89 Vgl. Stöss, Rechte, S. 169. Zu Thomas Brehl siehe Hofmann, S. 98–101. 90 Für Details zur Organisation und zum Wahlkampf siehe Grumke / Wagner, S. 353; Hofmann, S. 144–150. 91 Allg. jüd. Wochenztg., Ohne ideologische Kompromisse, 23.9.1983, S. 12. 92 Vgl. FR, Hessenwahl. Irgendwann nach 22 Uhr das vorläufige Ergebnis, 24.9.1983, S. 18; FR, Wahlergebnisse im Stadtgebiet Frankfurt am Main seit 1980, 27.9.1983, S. 16; FR, CDU sorgt sich um die Absolute, 28.9.1983, S. 11f. 93 FAZ, Für den Landtag bewerben sich 402 Direktkandidaten, 8.9.1983, S. 29; FAZ, Bei der Briefwahl gibt es einen neuen Rekord, 23.9.1983, S. 52. 94 FAZ, Bescheid um 6.30 Uhr, 8.12.1983, S. 5.
7.2. Quo vadis Bundesrepublik?
345
Tageszeitungen, sondern wohl auch für „Die Zeit“ zu belanglos, um behandelt zu werden.95 Das Wahlergebnis wies den Neonazis in Fulda, Hanau, Groß-Gerau und in zwei Frankfurter Wahlkreisen ein Ergebnis zwischen 0,2 und 0,4 Prozent der Stimmen aus. Nach der Wahl konstatierte die FAZ nüchtern: „Die rechtsradikale Aktion Ausländerrückführung […] konnte keine nennenswerten Erfolge erzielen“.96 Aber erst Wochen nach der Wahl publizierte die FAZ, dass die AAR „ganze 890 Stimmen“ bekam und dass dies „einem Wähleranteil von 0,0“ entsprechen würde.97 Auch die „Frankfurter Rundschau“ erklärte nach der Wahl erleichtert, dass die „rechtsradikale Gruppierung ‚Aktion Ausländerrückführung‘ […] offenbar kaum Resonanz“ gefunden habe.98 Genüsslich führte sie aus: „In diesem oder jenem Wahllokal mal eine oder zwei Stimmen. Absolute Spitze waren sechs Stimmen in einigen wenigen Wahllokalen am Stadtrand“ von Frankfurt.99 Schlussendlich zielten die Neonazis aber ohnehin nicht auf den Wahlerfolg, der von vornherein völlig aussichtslos war. Herbe Wahlniederlagen seien mit Blick auf die eigentliche Motivation kein größeres Problem und von den Neonazis ohnehin erwartet worden, erklärte die „Allgemeine“.100 Nach der Wahl wies auch die FAZ darauf hin, dass die AAR als parteipolitischer Arm der ANS/NA gegründet wurde, um deren Verbot zu erschweren.101 Die Neonazis hofften mit dieser Gründung eine Struktur zu schaffen, die durch den Schutz des Parteiengesetzes einem Verbotsverfahren entzogen wäre.102 Um diesem Ziel näher zu kommen, wurden im November 1983 Landesverbände in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Schleswig-Holstein gegründet.
7.2. Quo vadis Bundesrepublik? Letztlich betrachteten alle Akteure die AAR als völlig unbedeutende rechtsradikale Gruppierung. Insgesamt aber war die Wahrnehmung in Bezug auf rechtsradikale Bedrohungspotenziale ambivalenter. Zwar beschrieb kaum ein Beitrag eine größere politische Relevanz der verschiedenen Gruppen oder eine macht 95 Ein längerer Bericht zur hessischen Wahl behandelte alle größeren Parteien und die noch jungen Grünen, die AAR behandelte dieser aber nicht. Vgl. Die Zeit, Das Rennen könnte knapp werden, 23.9.1983. 96 FAZ, Rechtsradikale ohne Bedeutung, 27.9.1983, S. 4. 97 FAZ, Glatzköpfe, 14.11.1983, S. 30. 98 FR, Die hessische SPD drang tief in CDU-Regionen vor, 27.9.1983, S. 17. 99 FR, CDU, 28.9.1983, S. 11f. 100 Allg. jüd. Wochenztg., Kompromisse, 23.9.1983, S. 12; Allg. jüd. Wochenztg., Beweise, 30.9.1983, S. 12; Allg. jüd. Wochenztg., Anklagen, 25.11.1983, S. 4. 101 Siehe diesbezüglich auch FAZ, Glatzköpfe, 14.11.1983, S. 30; FAZ, Zimmermann, 8.12.1983, S. 5. 102 Vgl. Hofmann, S. 146; Kniest, S. 51f.
346 7. Die Auseinandersetzung um M ichael Kühnen (1983) politische Gefahr in irgendeiner Weise, aber umso deutlicher zeigten sich dafür die Warnungen in Bezug auf die innere Sicherheit – hier zeigt sich insofern eine Kontinuität im Vergleich zu den Terroranschlägen des Jahres 1980.103 Weil Neonazis mittlerweile vor allem kriminell, gewalttätig und teilweise sogar terroristisch agierten, gehe zumindest von diesen eine gewisse Bedrohung für das friedliche Zusammenleben aus, bemerkte selbst die in dieser Frage stets sehr vorsichtige FAZ. Viele Artikel der Zeitung wiesen zudem darauf hin, dass sich neonazistische Vorfälle häuften oder rechtsradikale Vorstellungen immer stärkere Verbreitung fänden.104 Nicht nur habe die Gewaltbereitschaft stark zugenommen, bedrohlich erschien zudem, dass die Neonazis begonnen hätten, gezielt Jugendliche für ihre Interessen einzuspannen und diese politisch zu indoktrinieren.105 Zudem berichtete die FAZ ausführlich über die Aussagen von Bundesinnenminister Zimmermann, der befürchtete, radikale Gruppen links und rechts könnten die schlechte Stimmung ausnutzen und „in naher Zukunft jede Chance ergreifen […], gesellschaftliche und soziale Schwierigkeiten zum Kampf gegen die freiheitliche Demokratie zu nutzen“, denn die „terroristische Gefahr“ sei keinesfalls gebannt.106 Die FAZ wies einerseits deutlich auf die Probleme mit dem Rechtsradikalismus hin. Andererseits aber betonte sie gleichzeitig, dass das Problem nur auf niedrigem Niveau existiere.107 Vor dem Hintergrund des 50. Jahrestages der NS-Machtübernahme ging die FAZ daher in konsequenter Weiterführung der geringen Gefahrenartikulation davon aus, dass die Bundesrepublik ein stabiler Staat sei. Es sei abwegig „einen drohenden Faschismus an die Wand zu malen“.108 Zudem würden die Sicherheitsbehörden die rechtsradikalen Strukturen „nicht unterschätz[en]“.109 Insofern stand die FAZ den angesichts der Massenarbeitslosigkeit und des 50. Jubiläums des Jahres 1933 verstärkt auftauchenden Weimar-Vergleichen kritisch gegenüber:
103 Vgl. z. B. FR, Ein bisschen sollte man das System schon straffen, 10.12.1983, S. 14–16. 104 Siehe FAZ, Tod, 26.4.1983, S. 23; FAZ, Vergleiche mit dem Unvergleichbaren, 4.5.1983, S. 4; FAZ, Neonazis, 4.5.1983, S. 38; FAZ, Strafrecht, 20.9.1983, S. 27. 105 FAZ, Gewaltbereitschaft von Rechtsextremen wächst, 27.4.1983, S. 37; FAZ, Neo-Nazis, 30.9.1983, S. 9. 106 Vgl. FAZ, Zimmermann warnt vor falschen Verfassungsfreunden, 23.9.1983, S. 1f. 107 Eigentlich spielten „weder die links- noch die rechtsextremen Grüppchen eine Rolle“ und dies „sollte künftig bei jeder selbst produzierten Lautstärke oder dem von Dritten herbeigeschrienen Lärm bedacht werden“, hieß es im Regionalteil. Vgl. FAZ, Stadtergebnis, 26.9.1983, S. 25. So auch FAZ, Rechtsradikale, 27.9.1983, S. 4. Dass sie dabei nicht von einer besonderen Dramatik ausging, zeigt zudem, dass sich etwa die Hälfte der Artikel zum Rechtsradikalismus im Regionalteil finden, die oftmals auch weniger bedeutsamen Vorfällen Beachtung schenken. 108 FAZ, Vergleiche, 4.5.1983, S. 4. So auch FAZ, Nach dem 1. Mai war es für einen Kampf gegen Hitler zu spät, 5.5.1983, S. 4. 109 FAZ, Neonazis, 4.5.1983, S. 38.
7.2. Quo vadis Bundesrepublik?
347
„Ein junger Postgewerkschafter zog [auf einer Konferenz des DGB zum Jahrestag] eine direkte Linie von der Brüningschen Sparpolitik zu den Einsparbemühungen der neuen Regierung im öffentlichen Dienst. Auf ihn und andere Vereinfacher war wohl die Mahnung des Politologen von Beyme gemünzt, ‚nicht hinter jeder Weihnachtsgeld-Kürzung steckt die Fratze des Faschismus‘.“110
Die FAZ bemühte sich, die Bundesrepublik gerade vor dem Hintergrund der Massenarbeitslosigkeit und der steten Modernisierungen im rechtsradikalen Lager als stabilen Staat und die Bevölkerung als keinesfalls rechtsradikalaffin darzustellen. Parallel hielt sie das politische Klima im Land nach wie vor für verbesserungswürdig und zielte darauf, den politischen Prozess in klar begrenzte demokratisch-argumentative Formen zurückzuführen.111 Während sie der Thematik Rechtsradikalismus als gesellschaftliches Problem an sich aufgeschlossen und sensibilisiert gegenüberstand, galt dies weniger für neonazistische Kleinstorganisationen. Die FAZ war vor allem dann ein engagierter Gegner des Rechtsradikalismus, wenn sie negative Auswirkungen auf die politische Kultur oder die Außenwirkung der Bundesrepublik befürchtete. Ein ähnlicher Spagat findet sich in der jüdischen „Allgemeinen“. Zwar müsse man rechtsradikale Vorfälle bis dato „nicht allzu ernst [nehmen], weil sie ganz offensichtlich von einer verschwindenden Minderheit unverbesserlicher Nostalgiker herrühren“,112 aber insgesamt sah die Zeitung den Neonazismus doch auf dem Vormarsch.113 Nur ganz wenige würden eine rechtsradikale Gefahr völlig ausschließen, verkündete sie, auch wenn die Zahlen in der Bundesrepublik im Vergleich zum europäischen Ausland kaum ausreichen würden, um „uns in Furcht und Zittern zu versetzen, einen noch unbekannten neuen Hitler befürchten zu müssen oder gar die Koffer zu packen.“114 Demgegenüber war „Die Zeit“ optimistischer und betonte, dass sich „alle Befürchtungen, mit der wachsenden Arbeitslosigkeit gerade unter Jugendlichen und der virulenten Ausländerfeindlichkeit könnten die braunen Rattenfänger reiche Beute machen, als Unkenrufe erwiesen“ hätten.115
110 FAZ, Mai, 5.5.1983, S. 4. 111 FAZ, Welchen Gehorsam schulden wir den Gesetzen?, 3.12.1983, S. 12. 112 Allg. jüd. Wochenztg., Ideologie, 27.5.1983, S. 4f. 113 Allg. jüd. Wochenztg., Warnung vor neonazistischen Tendenzen, 6.5.1983, S. 1; Allg. jüd. Wochenztg., Wachsam, 16.12.1983, S. 1. An anderer Stelle erklärte die Allgemeine jüdische Wochenzeitung dann aber, dass die Frage, ob es sich dabei um eine allgemeine Sammlungstendenz handele oder die einzelnen Gruppen weiterhin miteinander in Konkurrenz stehen, umstritten sei. Vgl. Allg. jüd. Wochenztg., Keine zentrale Steuerung des Rechtsradikalismus, 7.9.1983, S. 3. 114 Allg. jüd. Wochenztg., Wachsam, 16.12.1983, S. 1. 115 Die Zeit, Mit Kanonen auf Spatzen?, 9.12.1983.
348 7. Die Auseinandersetzung um M ichael Kühnen (1983) Auch jetzt, in der ersten Hälfte der achtziger Jahre, war die Debatte insofern eng verbunden mit der jeweiligen Wahrnehmung des politischen und gesellschaftlichen Status quo. Dass die Rechtsradikalen vermehrt Attraktivität ausstrahlten, liege vor allem an der Schwäche der übrigen Gesellschaft, war die Quintessenz in der „Allgemeinen jüdischen Wochenzeitung“. Ob Arbeitslosigkeit oder politische Unabwägbarkeiten, die Angst vor der Zukunft schaffe ein hervorragendes Mobilisierungsreservoir für rechtsradikale Gruppen.116 Insbesondere eine weitere Verschlechterung der ökonomischen Lage beunruhigte die Zeitung: „Was heute noch ein unausgegorener Brei aus ultrakonservativen Ideologien mit ökologischen, antiamerikanischen, antisowjetischen, antifreimaurerischen, antizionistischen und antikapitalistischen Ingredenzien [sic] ist, könnte morgen schon, wenn die wirtschaftliche Lage prekärer werden sollte, zu einem einheitlichen Weltbild zusammenschmelzen.“117
Sogar der 1983 einzige im „Arbeitgeber“ abgedruckte Artikel zum Rechtsradikalismus betonte, dass die derzeit schlechte ökonomische Entwicklung durchaus bedrohliches Potenzial auf der Rechten und auf der Linken entfachen könnte.118 Frustration und Arbeitslosigkeit wurden hier als wichtige Ursachen politischer Radikalität benannt und als Argument für eine Dynamisierung der Wirtschaft im Sinne der – despektierlich oftmals „neoliberal“ genannten – marktradikalen Wende, die sich immer deutlicher abzeichnete, in Stellung gebracht.119 Bisher ignorierte die Zeitschrift „Der Arbeitgeber“ jugendbezogene Aspekte stets, sofern es sich um rechtsradikale Manifestation handelte. Dies schien sich im Angesicht der allgemeinen Krisenwahrnehmungen der achtziger Jahre verändert zu haben. Arbeitslosigkeit und allgemeine Frustration wurden nun offenbar selbst bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände als potenziell bedrohlich für die Stabilität der Bundesrepublik und speziell ihrer Wirtschaftsstruktur gesehen. Eventuell systemverändernde Entwicklungen – unabhängig von einem rechten oder linken Hintergrund – mussten in den Augen der BDA in jedem Fall unterbunden werden. Zur Befriedung der Gesellschaft und Stabilisierung des 116 Allg. jüd. Wochenztg., Warnung, 6.5.1983, S. 1; Allg. jüd. Wochenztg., Okkultismus, 16.12.1983, S. 12. 117 Allg. jüd. Wochenztg., Ideologie, 27.5.1983, S. 4f. 118 Der Arbeitgeber 16 (1983), Eine nachindustrielle Reservearmee?, S. 581–583. 119 Der Terminus „Neoliberalismus“ weist durchaus zahlreiche Bedeutungen auf. Gemeint ist an dieser Stelle allerdings die steigende Fokussierung auf den freien Markt, die Flexibilisierung insbesondere des Arbeitsmarktes, die weitgehende Rückführung von staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft sowie die Privatisierung staatlicher Betriebe und Aufgaben auch in der Bundesrepublik seit den späten siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Für Details siehe das bereits erwähnte Buch von Sebastian Müller. Zum Terminus der „Wende“ siehe Müller, S. 10; Herbert Schui / Stephanie Blankenburg, Neoliberalismus. Theorie, Gegner, Praxis, Hamburg 2002, insbesondere S. 74–82; Gerhard Willke, Neoliberalismus, Frankfurt am Main 2003, insbesondere S. 21f., 28.
7.2. Quo vadis Bundesrepublik?
349
politischen Systems akzeptierte sie daher nun zumindest teilweise staatlich gelenkte sozio-ökonomische Maßnahmen: „Wenn wir diese Entwicklung steuern wollen, müssen wir Kommunen, Körperschaften, Wohlfahrtsverbände zumindest bis 1995 in die Lage versetzen, jedem Schulabgänger und Ausbildungsabgänger, der nicht vermittelt werden kann, einen Arbeitsplatz zum Mindestlohn anzubieten.“120
Möglicher Kritik trat der Artikel direkt entgegen: „Wen das an den Arbeitsdienst erinnert, dem sei entgegnet: Diesmal sollte die Zweite Deutsche Republik [sic] nicht warten, bis ein anderes System das Problem beseitigt.“ Lieber solle der Staat im Rahmen der bestehenden Ordnung in die ansonsten freie Wirtschaft ausgleichend eingreifen, als dass die gesamte Struktur gefährdet werde. Ein Lastenausgleich zugunsten der kommenden Generation wurde hier zum Mittel der Systemstabilisierung und dadurch zum Instrument gegen den (Rechts-)Radikalismus. Insofern folgte der Umgang der Fokussierung der Zeitschrift auf die weitgehende Beibehaltung des Status quo. Dieser war entscheidend und nicht der Rechtsradikalismus, der nur aufgrund seiner Bedrohung für die Stabilität des politischen Systems, aber keineswegs wegen seiner selbst bekämpft werden sollte. Dass die BDA allerdings für begrenzte Eingriffe in die Wirtschaft plädierte, zeigte doch auf, dass sie die Zukunft der Bundesrepublik nun skeptischer beurteilte. Besonders prägnant zeigte sich die gestiegene Wahrnehmung eines Zusammenhangs zwischen sozio-ökonomischer Situation und dem Rechtsradikalismus in der gewerkschaftlichen Publizistik. Zwar war hier vor allem der fünfzigste Jahrestag der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 das zentrale Thema dieser Wochen.121 Da diese aber oftmals Warnungen vor einem auch aktuell möglichen rechtsradikalen Vormarsch enthielten, kann von einer direkten Verbindungslinie gesprochen werden.122 Auch hier wurde befürchtet, wirtschaftliche Probleme könnten schnell zu einem erneuten Aufstreben rechtsradikaler
120 Der Arbeitgeber 16 (1983), Reservearmee, S. 581–583. Laut Volker Berghahn war die Bereitschaft zu entsprechendem Handeln schon seit den fünfziger Jahren in der Unternehmerschaft vorhanden, auch wenn sie in den Berichten zum Rechtsradikalismus nicht aufzufinden war. Vgl. Ders. Unternehmer und Politik in der Bundesrepublik, Frankfurt am Main 1985, S. 324f. 121 In den Publikationen finden sich im gesamten Jahr 1983 zahlreiche Artikel zu Fragen nach der Wehrhaftigkeit der Weimarer Republik und nach der Rolle der Gewerkschaften im ersten Halbjahr 1933. Insofern beteiligten sich auch die Gewerkschaften an der allseitigen Rückschau und permanenten NS-Vergegenwärtigung, die das Jahr 1983 mit sich brachte. Vgl. zur NS-Vergegenwärtigung Conze, Suche, S. 658. 122 So enthält ein „Aufruf des DGB zum 30. Januar“ die Parole: „Gegen Ausländerfeindlichkeit und Neonazismus!“ Vgl. Die Quelle, Jan. 1983, Heft 2, S. 9. Siehe auch ÖTV-Magazin, Die Lehren ziehen. Feb. 1983, S. 3.
350 7. Die Auseinandersetzung um M ichael Kühnen (1983) Kräfte führen.123 Der Rechtsradikalismus sei mittlerweile wieder ein Faktor der politischen Kultur geworden und es gebe keine dauerhafte Garantie für dessen Erfolglosigkeit. Dass die von der ANS/NA angekündigten Aktivitäten im Rahmen des Länderspiels der DFB-Auswahl gegen die Türkei ausblieben, wertete die WdA auch keineswegs als Entwarnung: „Wie ein schweres Gewitter, das sich noch einmal verzogen hat, ging der Abend des Fußballländerspiels gegen die Türkei vorüber. Keine neofaschistischen Krawalle im Stadion und auf den Straßen. Ist damit wieder alles paletti? Kaum anzunehmen, denn die Ursachen bleiben.“124
In einer Broschüre von Walter Haas und dem DGB-Landesbezirk Nordrhein-Westfalen findet sich ein Artikel von Hans-Gerd Jaschke, der erklärte, dass wir „faktisch auf einem sozialen Sprengsatz rechtsgerichteter Disponiertheit [leben], von dem wir nicht wissen, ob und wann er gezündet wird.“125 Jaschke argumentierte, dass Rechtsradikalismus kein Problem von Zahlen sei und dass Wahlergebnisse oder die reine Anzahl von Straftaten nur eine untergeordnete Rolle für die Bedrohungspotenziale spielten.126 Quantitativ sei der Rechtsradi kalismus sicherlich noch keine Gefahr für die demokratische Ordnung der Bundesrepublik, aber die dahinterstehende Gesamtentwicklung weise auf eine Radikalisierung und Ausbreitung hin. Rechtsradikale hätten die aktuellen sozio-ökonomischen Probleme zur Mobilisierung genutzt. Diese Anknüpfungsfähigkeit an die gesamtgesellschaftliche Debatte sei die eigentliche Gefahr,127 da über das Migrationsthema auch Menschen erreicht werden könnten, die bisher Distanz zum Rechtsradikalismus gewahrt hätten. Nicht nur angesichts des fünfzigsten Jahrestages der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde der Rechtsradikalismus in gewerkschaftlichen Publikationen weiterhin als ernste Gefahr dargestellt.128
123 Die Quelle 5 (1983), Ernst Breit. Wir lassen uns geschichtliche Wahrheit nicht aufzwingen (Auszüge aus einer Rede), S. 279–281, hier S. 281; Die Quelle 6 (1983), Unsere Zeit birgt neue Gefährdungen für die Demokratie, S. 334–336, hier S. 336; GMH 4/5 (1983), Der DGB stellt sich der Geschichte, S. 193–202, hier S. 199. 124 WdA, Nazis, 3.11.1983, S. 9. In Zusammenhang mit einem Fußball-Länderspiel der Bundesrepublik gegen die Türkei im Oktober 1983 rief Kühnen zu ausländerfeindlichen Aktionen auf und organisierte eine Pressekonferenz, bei der er via Telefon eine Rede zum Thema Überfremdung hielt. Für Details siehe Kniest, S. 204. 125 Hans-Gerd Jaschke, Der Rechtsextremismus nach 1945 bis heute, in: Walter Haas / DGB-Landesbezirk Nordrhein-Westfalen (Hg.), Rechtsextremismus, Düsseldorf 1983, S. 33–48, hier S. 47. 126 So auch WdA, Warnung, 17.11.1983, S. 8. 127 Auch die WdA zitierte Kühnen dementsprechend: „Das Heer der Unzufriedenen ist unsere Zielgruppe.“ Vgl. WdA, Nazis, 3.11.1983, S. 9. 128 WdA, DGB warnt vor Neo-Nazis, 10.11.1983, S. 8; WdA, Warnung, 17.11.1983, S. 8.
7.2. Quo vadis Bundesrepublik?
351
Vielfach betonten die Berichte aber zugleich, dass die Bundesrepublik auf wesentlich sicheren Fundamenten gebaut sei als die Weimarer Republik und dass es trotz regelmäßiger rechtsradikaler Skandale abwegig sei, einen drohenden Faschismus an die Wand zu malen.129 Die WdA titelte: „1933 wiederholt sich nicht“ und zitierte Ernst Breit, den Vorsitzenden des DGB, mit dem Hinweis: „Es droht kein Faschismus“.130 Dennoch zeigt sich erneut die deutliche Ambivalenz in der gewerkschaftlichen Darstellung von rechtsradikalen Bedrohungspotenzialen. Obwohl es eigentlich keine gebe, wären sie latent stets vorhanden. Die Verschiebung in die Latenz war insofern nützlich, als der Rechtsradikalismus trotz der grundlegenden Akzeptanz der bundesdeutschen Stabilität nun auch zu einem Argument gegen jene marktradikale Wende wurde, welche nicht nur die BDA einforderte. Die Gewerkschaftspresse zielte darauf, aktuelle politische Entwicklungen und insbesondere den Rückbau der Sozialsysteme zu diskreditieren: „Für die Arbeitnehmer ist eine im geschichtlichen Vergleich wohl einzigartige gesellschaftliche und über lange Strecken auch ökonomische und soziale Sicherheit erreicht worden. Dies alles wiederum war eine der zentralen Voraussetzungen für die unvergleichbare Stabilität von Staat und Gesellschaft. Wir wissen, was auf dem Spiel steht, wenn an dieser Voraussetzung gerüttelt wird und wir wissen, wie kurz dann der Weg in den Abgrund sein kann.“131
Bereits seit den frühen achtziger Jahren war der Glaube an das Erfolgsmodell Bundesrepublik immer weniger ausgeprägt.132 Wahrscheinlich verstärkte dies die angesichts des 50. Jahrestages des Beginns der NS-Diktatur ohnehin vorhandene Bereitschaft zu steigender Bedrohungsartikulation. Diese Alarmierung diente im Angesicht des Scheiterns der Gewerkschaften 1933 nach wie vor auch der Selbstdarstellung als Stütze der Demokratie: „Wir heute, wir wissen, was die Folgen des 30. Januar waren. Wir können uns nicht herausreden, wenn es um Neofaschismus und um Schwächung demokratischen Bewußtseins geht und um leichtfertigen Umgang mit Parlamentarismus und Demokratie, um eine fatalistische Haltung gegenüber der Arbeitslosigkeit, um Ausländerfeindlichkeit: Wir sind aufgerufen, gerade aus der Selbstkritik heraus, was die Geschichte der Gewerkschaft angeht, wachsam zu sein und auch den kleinen Anfängen selbstbewußt und entschlossen zu begegnen.“133 129 Die Quelle 2 (1983), Die Gewerkschaften und Hitlers Marsch an die Macht, S. 96– 106; Die Quelle 5 (1983), Wahrheit, S. 279–281; Die Quelle 6 (1983), Aufpassen hat noch nie geschadet, S. 337f., hier S. 338; GMH 4/5 (1983), Geschichte, S. 201; Brusis / DGB-Bundesvorstand, S. 10, 105. 130 WdA, 1933 wiederholt sich nicht, 5.5.1983, S. 1. 131 Vgl. Brusis / DGB-Bundesvorstand, S. 105–109. 132 Vgl. Klaus Schönhoven, Die Gewerkschaften und ihre Geschichtsschreibung, Düsseldorf 1987, S. 233. 133 GMH 4/5 (1983), Gab sich die Weimarer Republik auf?, S. 218–227, hier S. 227.
352 7. Die Auseinandersetzung um M ichael Kühnen (1983) Angesichts der ökonomischen Probleme und der ideologischen Veränderungen gerieten die Gewerkschaften politisch in die Defensive. In fast allen weiteren Artikeln wurde daher konsequenterweise die besondere Rolle der Gewerkschaften im Aufbau demokratischer Strukturen betont. Ohne die Einheitsgewerkschaft, hieß es, „wäre auch die zweite Republik am Ende“.134 Wie in den fünfziger Jahren betonten einige Artikel, dass antigewerkschaftliche Politik politische Radikalisierung provoziere.135 Die Gewerkschaftsidee wurde hingegen als zentraler Sperrriegel gegen den Rechtsradikalismus dargestellt: „Die erfolgreichste antifaschistische Politik ist immer noch die, die Jugendlichen ihre Interessenslage als Arbeitnehmer bewußt macht und sie in der praktischen Arbeit im Betrieb davon überzeugt, daß zur aktiven und solidarischen Durchsetzung ihrer Interessen eine gewerkschaftliche Orientierung und Organisierung unumgänglich ist.“136
Gerade in der Betonung der gewerkschaftlichen Rolle in der Stabilisierung der Demokratie zeigt sich eine interessante Parallele zum Zentralrat der Juden, der sich in der „Allgemeinen“ ebenfalls weiterhin als Motor der Demokratisierung und als Stütze der Gesellschaft darstellte. Es seien die jüdischen Gemeinden gewesen, die nach außen hin wieder Vertrauen in den deutschen Staat ermöglicht hätten. Direkt verbunden wurde dies mit der Kritik, dass die für ein steigendes Vertrauen notwendige Abgrenzung zum rechten Lager nach wie vor nicht konsequent genug sei: „Wir haben uns an diesem Aufbau beteiligt. Wir zeigten Verantwortung, auch diesem Staat gegenüber, dessen Bürger wir wieder geworden sind. […] Trotz dieser im Ganzen positiven und nützlichen Entwicklung müssen wir uns doch immer wieder wundern, daß häufig von prominenten Politikern, in den Medien und in der breiten Öffentlichkeit von dem Verhältnis ‚der Deutschen zu den Juden‘ gesprochen wird.“137
Offenbar verspürten beide Akteure die Notwendigkeit, ihre Darstellung des Rechtsradikalismus mit dem eigenen Engagement für die Gesellschaft zu verbinden, doch speziell die gewerkschaftliche Publizistik ging in ihrer Kritik an der sozio-ökonomischen Situation der Bundesrepublik nun wesentlich weiter als in den bisherigen Fallbeispielen.138 Bisher hatte die Gewerkschaftspresse viel134 Die Quelle 6 (1983), Zeit, S. 335. 135 Die Quelle 2 (1983), Hitlers Marsch, S. 106; GMH 4/5 (1983), Geschichte, S. 198; ÖTV-Magazin, Lehren, Feb. 1983, S. 3. 136 Brusis / DGB-Bundesvorstand, S. 109. 137 Allg. jüd. Wochenztg., Jüdische Verantwortung, 30.9.1983, S. 1f. 138 Die häufige Nennung von sozio-ökonomischen Problemen, insbesondere von Arbeitslosigkeit, ist auffällig. Vereinzelt wurden auch Zukunftsängste und eine fehlende Demokratisierung benannt. Zudem biete die steigende Ausländerfeindlichkeit in der Gesellschaft den Rechtsradikalen Anknüpfungspunkte und helfe, deren politische Isolation zu überwinden.
7.2. Quo vadis Bundesrepublik?
353
fach mit expliziter Kapitalismuskritik gespart und keine direkten Konsequenzen gefordert. Nun aber war der Glaube an eine wirtschaftliche Erholung offenbar kaum mehr vorhanden und nach langen Jahren der Abstinenz rückte ganz explizit „der Kapitalismus“ ins Blickfeld: „Die historische Analyse zeigt, daß zu den entscheidenden gesellschaftlichen Voraussetzungen für den Aufstieg des Nationalsozialismus die Krise des kapitalistischen Systems gehört. […] Das heißt, wer heute für den Erhalt und Ausbau des demokratischen und sozialen Rechtsstaats eintritt […], der tut mehr zur Verhinderung eines neuen Faschismus als diejenigen, die nicht sehen, daß ein kontinuierlicher Abbau des Sozialstaates angesichts einer ökonomischen Dauerkrise demokratiebedrohende Mentalitäten fördert […].“.139
Die alte gewerkschaftliche Interpretation bezüglich der ökonomischen Ursachen des „Faschismus“ wurde just dann wieder kommuniziert, als die marktradikale Wende, wie bereits erwähnt, unter dem Schlagwort des „Neoliberalismus“ immer deutlicher wurde und CDU/CSU zusammen mit der FDP die Regierungsgeschäfte übernommen hatten, auch, um diese in die politische Praxis umzusetzen. Entsprechend warnte ein Bericht in den „Gewerkschaftlichen Monatsheften“: „Sollte uns die gegenwärtige Krise allmählich wieder zurückführen zum wirtschaftsund sozialpolitischen ‚Rette sich wer kann‘, zu Schonung und Subventionierung der Starken und zum Abkassieren bei den Schwachen, dann wird die Gefahr von schwerwiegenden politisch-gesellschaftlichen Begleiterscheinungen ganz groß.“140
Immer offener betonten nun zumindest einige Gewerkschaftsteile, dass sich an den kapitalistischen Grundlagen der Gesellschaft, die für den Aufstieg des Nationalsozialismus ursächlich gewesen seien, nichts geändert habe. So würde man heute noch „beim Betreten einer Fabrik sozusagen den demokratischen Sektor unserer Gesellschaft“ verlassen“.141 Im gleichen Artikel findet sich dann sogar ein Eingeständnis, dass die Entwicklung der Bundesrepublik vor allem in ihren Anfangsjahren nicht den Vorstellungen des DGB entsprochen hätte, da es keinen grundlegenden demokratischen Neuanfang gegeben habe. Zwar führe nicht jede Krise des Kapitalismus automatisch in den „Faschismus“ – hierzu bedürfe es vielmehr spezieller Ursachenkonstellationen, hieß es hier zudem – aber die Bereitschaft, die Krisensymptomatiken der kapitalistischen Gesellschaft auch für den zeitgenössischen Rechtsradikalismus verantwortlich zu machen, stieg deutlich. Diese Interpretation hatte die Gewerkschaftspresse bis auf ganz wenige Ausnahmen in der bisherigen Debattenbeteiligung wohl als Folge der angestrebten Integration in das politisch-soziale System und, um die eigene Legitimation vor 139 Brusis / DGB-Bundesvorstand, S. 105. 140 GMH 4/5 (1983), Geschichte, S. 198f. 141 Brusis / DGB-Bundesvorstand, S. 105.
354 7. Die Auseinandersetzung um M ichael Kühnen (1983) dem Hintergrund des Ost-West-Systemkonfliktes nicht zu gefährden, fast gänzlich ausgelassen.142 Interessanterweise aber spielten Maßnahmen, die diese Missstände beheben könnten, eine erstaunlich geringe Rolle. Darin liegt eine Kontinuität zur bisherigen Berichterstattung der Gewerkschaftspresse. Möglicherweise verzichteten die Veröffentlichungen angesichts der Defensive, in der sich die Gewerkschaften befanden, auf diesbezügliche Forderungen. Zudem waren die deutlich kapitalismuskritischeren Positionen wohl auch intern noch nicht zwangsläufig mehrheitsfähig, sodass Forderungen in diese Richtung zumindest in den untersuchten Publikationen ausblieben. Dafür, dass die Zurückhaltung in Bezug auf sozio-ökonomische Maßnahmen eine bewusste Entscheidung war, spricht die Selbstbezogenheit vieler Berichte. Eine wichtige Forderung der Gewerkschaftspresse ging dahin, sich in ökonomisch schwierigen Zeiten keinesfalls aufspalten zu lassen. Die Spaltung und daraus folgende Schwäche in den Weimarer Jahren müsse stets als Warnung dienen und die arbeitende Bevölkerung müsse sich mit den Arbeitslosen und den Modernisierungsverlierern solidarisch zeigen.143 Dies gelte vor dem Hintergrund steigender Fremdenfeindlichkeit in gleichem Maße für die Solidarität mit den migrantischen Arbeitnehmern, denn dass gewerkschaftliche Kerngruppen immer stärker in den Sog von Fremdenfeindlichkeit und Neonazismus rückten, wurde vonseiten des DGB langsam wahrgenommen.144 Rechtsradikalismus war teilweise nicht mehr nur ein externer Feind, sondern wurde vermehrt auch in den DGB hineingetragen und somit zu einem internen Problem.145
142 Diese neue Konjunktur dürfte auch die Folge generationeller Veränderungen sein. Nun waren diejenigen in einflussreiche Positionen vorgerückt, die sowohl ihre Ausbildung als auch ihre Politisierung in den sechziger Jahren erhalten hatten und deren Blick auf den Rechtsradikalismus auch vom steilen Aufstieg der NPD und den erstmals auftauchenden Zweifeln an der Nachhaltigkeit des Erfolges der Bundesrepublik geprägt wurden. 143 GMH 4/5 (1983), Weimarer Republik, S. 223; WdA, SPD-Genossen im Widerstand, 11.5.1983, S. 10. 144 Brusis / DGB-Bundesvorstand, S. 108. Vgl. zur Thematik auch Stöss, Gewerkschaften, speziell S. 5–10 und 28–41. 145 Vgl. zu Rechtsradikalismus innerhalb der Gewerkschaften neben den bereits erwähnten Büchern von Bodo Zeuner und Klaus Dörre auch Ursula Birsl, Jugendlicher Rechtsextremismus und Gewerkschaften. Lebensverhältnisse und politische Orientierungen von Auszubildenden, Opladen 1995; Claudia Dammann, DGB-Mitgliedschaft – Keine Barriere gegen Rechts. Analyse des rechtsextremen Wählerpotentials unter Gewerkschaftsmitgliedern und ihres Wahlverhaltens bei der Bundestagswahl 1998, in: Jens Mecklenburg (Hg.), Handbuch deutscher Rechtsextremismus, Berlin 1996, S. 201–226; Marcus Meier, „Gewerkschaftsmäßig könnten die sich ja vor allem für Deutsche einsetzen“. Rechte Orientierungen unter jungen Gewerkschaftsmitgliedern, Frankfurt am Main 2010; Klaus Weber, Rechte Männer. Neofaschismus, Rechtsextremismus, Gewerkschaften, Hamburg 2001.
7.2. Quo vadis Bundesrepublik?
355
Die Forderung nach Einheit in der Gewerkschaftsbewegung hatte aber noch einen weiteren Hintergrund. In den letzten Jahren war es zu heftigen Debatten über die Frage gekommen, ob der Ursprung der Einheitsgewerkschaft im gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus oder in den „freiheitlich sozialistischen und christlich-sozialen“ Traditionen der Arbeiterklasse zu finden sei, wie der konservative Flügel argumentierte.146 Obwohl diese Debatte sich im Kern weiterhin um die alte Frage nach der Legitimation kommunistischer Beteiligung im DGB drehte, rückte damit doch gleichzeitig der Rechtsradikalismus als Gegner erneut in den Fokus. Seit den siebziger Jahren waren kapitalismuskritische und marxistische Positionen in der Gewerkschaftsbewegung wieder verbreiteter und nun fürchteten die Konservativen, dass linke Kräfte darauf zielten, den „Antifaschismus“ zum gewerkschaftlichen Leitbild zu erheben.147 Die steigende Rolle dieser Strömungen führte wohl zu der ausgemachten verstärkten Kritik am kapitalistischen System, aber ihr Einfluss war keineswegs so hoch, dass sie die gewerkschaftliche Politik vollständig gestalten konnten. Angesichts der geringen Relevanz kapitalismuskritischer Reaktionsforderungen überwog in der Gewerkschaftspresse weiterhin der Rückgriff auf allgemein kämpferische Floskeln und repressive Maßnahmen gegen den Rechtsradikalismus. Die „Welt der Arbeit“ befasste sich nicht mit der „Kühnen-Gruppe“, forderte aber ein Verbot des Stahlhelms und verwies auf den Berliner DGB-Vorsitzenden Michael Pagels, der sich sehr bestürzt über „reaktionäre und neonazistische Tendenzen in dieser Rechtstruppe“ gezeigt habe.148 Ein Artikel mit dem bezeichnenden Titel „Verbietet die NPD!“ thematisierte Proteste gegen den damaligen Bundesparteitag der NPD in der Lüneburger Heide und beharrte weiterhin auf einem Parteiverbot. Obwohl der Autor des Artikels selber anerkannte, dass es sich um „keine quantitativ bedeutsame Partei“ handele, wurde sie als „ein wesentlicher Bestandteil der Bedrohung unserer Demokratie von rechts“ beschrieben.149 In eine ähnliche Richtung zielte ein Cartoon, der der Bundesregierung und ihren untergeordneten Behörden unterstellte, die Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS e.V. nicht nur ungenügend zu bekämpfen, sondern diese auch noch zu fördern.150 Daher müsse man sich nicht wundern, wenn überall neue Pflanzen mit Blüten in Form von SS-Runen und Hakenkreuzen – im übertragenen Sinne also (neue) rechtsradikale Gruppen – gedeihen. Weiterhin waren vor allem staatliche Stellen Adressaten von Reaktionsforderungen, auch wenn angesichts der stärkeren Präsenz von Neonazis in den Fußballstadien
146 Vgl. Wilke, Einheitsgewerkschaft, S. 12; Deppe, Geschichte, S. 675f. 147 Vgl. Esser, S. 74 bzw. Wilke, Einheitsgewerkschaft, S. 12–19. 148 WdA, Der „Stahlhelm“. Schüsse im Keller, 8.9.1983, S. 7. 149 WdA, NPD, 6.10.1983, S. 4. 150 Die HIAG – symbolisch als Blume dargestellt – wurde von ihr gegossen. Vgl. WdA, Cartoon, 8.9.1983, S. 8.
356 7. Die Auseinandersetzung um M ichael Kühnen (1983) die Sportvereine sowie der Deutsche Fußball-Bund ebenfalls konsequenter gegen rechtsradikale Strukturen in den Fanszenen vorgehen müssten.151 Insgesamt war der Umgang der Gewerkschaftspresse weiterhin sicherheitsorientiert und mehrfach forderte diese repressive Reaktionen auf den Rechtsradikalismus. Die auffällig gestiegene Fokussierung auf sozio-ökonomische Probleme deutet allerdings auf einen gewissen Wandel im Umgang hin. Da dennoch kaum entsprechende Reaktionsforderungen folgten, bezog sich dieser vor allem auf die theoretische Rezeption und weniger auf die konkreten Auseinandersetzungsoptionen. Dennoch war Demokratieschutz weiterhin notwendig und meinte vor allem sicherheitspolitische Zugänge – auch wenn das Verbot der ANS/NA genauso wenig thematisiert wurde wie deren Aktivitäten davor.
7.3. Das Verbot der ANS/NA Michael Kühnen wurde im November 1983 zu einer achtmonatigen Haftstrafe verurteilt, die aber auf Bewährung ausgesetzt wurde. Nur kurze Zeit später verfügte der Bundesinnenminister im Dezember 1983 das Verbot von AAR und ANS/NA. Die AAR ordnete er dabei nicht als politische Partei, sondern als Teilstruktur der „Kühnen-Gruppe“ ein. Die ANS/NA wies zu diesem Zeitpunkt knapp 300 Mitglieder auf.152 Eine besondere Gefährdung lag nicht vor, zumal Kühnen mit ähnlichen Aktivitäten schon seit Jahren in der Öffentlichkeit provozierte. Von den hier untersuchten Akteuren war es neben den allgemeinen gewerkschaftlichen Forderungen vor allem die „Frankfurter Rundschau“, die Repression gegen Kühnen und andere Gruppen anmahnte. Hierzu zählen Einschränkungen der Versammlungs- und Pressefreiheit sowie die Betonung strafrechtlichen Vorgehens. Entscheidungen von Behörden und Gerichten, neonazistische Aktivitäten nicht zu verbieten oder einzuschränken, wurden kritisiert. Ein Bericht über gerichtliche Entscheidungen im Zusammenhang mit rechtsradikalen Vorfällen sollte wie eine Chronik des Justizversagens und der zu weitgehenden Toleranz gegenüber den Neonazis wirken.153 Hier erklärte die Zeitung zudem: „Hinter vorgehaltener Hand hieß es, die Frankfurter Staatsanwälte würden wohl bei der ANS den Gesamtzusammenhang nicht sehen“. Verstärkt wurde der Eindruck in diesem Bericht noch zusätzlich mit dem Verweis auf den hessischen Justizminister Herbert Günther, der im Umgang mit dem Rechtsradikalismus „[j]ede legale Möglichkeit der Bekämpfung“ nutzen wollte. Auch Verbotsforderungen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und von SPD-Politikern wurden ver151 „Staatliche Organe müssen endlich rigoroser gegen rechtsextremistische Gruppen einschreiten […].“ Vgl. WdA, Nazis, 3.11.1983, S. 9. Siehe auch WdA, Nazis, 6.5.1983, S. 9; WdA, Nazis, 1.12.1983, S. 9. 152 Vgl. Grumke / Wagner, S. 353. 153 FR, Alle Möglichkeiten zum Verbot prüfen, 26.4.1983, S. 19.
7.3. Das Verbot der ANS/NA
357
öffentlicht.154 Insgesamt wirkte vor allem die Berichterstattung über das Treffen der ANS/NA in Bad Bergzabern fast wie eine Kampagne zum Verbot dieser Organisation. Weiterhin plädierte die FR dafür, die Handlungsfreiheit von Neonazis in der Öffentlichkeit einzuschränken. Heftig kritisierte sie zum Beispiel, dass die Neonazis, ohne staatliche Reaktionen zu befürchten, öffentlich die Wiederzulassung der NSDAP fordern könnten.155 Über das Verbot der ANS/NA berichtete die FR dann allerdings auffallend sachlich. Dies deutet darauf hin, dass auch diese Zeitung die „Kühnen-Gruppe“ letztlich für wenig relevant hielt. Dass sie hier vor allem ein paar abwegige Spinner erkannte, zeigt die ironische Überschrift: „Verbot der Neonazis kam morgens beim ‚Führer-Nachfolger‘ an.“156 Der dieser Überschrift folgende Artikel blieb der einzige, der die Thematik behandelte. Explizite Meinungsartikel finden sich nicht. Offenbar war die Redaktion der FR mit der staatlichen Reaktion zufrieden und hob positiv hervor, dass der Bundesinnenminister das Verbot durchaus als politisches Zeichen und nicht nur als sicherheitspolitische Maßnahme verstanden wissen wollte. Dies unterstreicht, dass auch die FR hier weniger eine Aktion zur Gefahrenabwehr erkannte, sondern eine Durchsetzung von diskursiven Grenzen und ein Signal. Ein Verbot der ANS/NA beseitige schließlich nicht das Problem des Rechtsradikalismus. Dies bleibe, so zitierte die FR den innenpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Burkhard Hirsch, vielmehr eine „ständige Aufgabe“, die vor allem auch die steigende Ausländerfeindlichkeit in den Blick nehmen müsse.157 Der auf diese als Einleitung formulierten Zeilen folgende Buchbericht fokussierte dann vor allem auf die sozialen Probleme von Jugendlichen wie Arbeitslosigkeit, die diese in die rechtsradikale Ecke treiben würden. Man müsse die Probleme der Jugendlichen, so das Fazit, wesentlich ernster nehmen, die Vermittlung von Wissen über die NS-Jahre stark verbessern und gleichzeitig mit der Lösung aktueller Probleme beginnen. All dies spielte aber nicht die zentrale Rolle wie beispielsweise in der Gewerkschaftspresse. Der „neoliberale“ Umbau der Gesellschaft wurde von der FR zumindest 1983 nicht mit dem Aufstieg des Rechtsradikalismus verbunden. Die Ursachenfrage blieb noch deutlich randständiger als der Rechtsradikalismus insgesamt. In jedem Fall führten weder die weitgehende Marginalisierung der rechtsradikalen Szene noch die bisherigen Erfolge in der Auseinandersetzung mit dieser dazu, dass sich die Zeitung für mehr Toleranz gegenüber dem Rechtsradikalismus engagierte. Bereits das Verbot der VSBD/PdA knapp zwei Jahre zuvor befürwortete die „Frankfurter Rundschau“, obwohl sie diese Gruppierung ebenfalls für wenig relevant hielt und die Berichterstattung dementsprechend knapp war.158 Trotz der als gering 154 FR, Möglichkeiten, 26.4.1983, S. 19; FR, Mainz, 30.4.1983, S. 4. 155 FR, Neonazi-Flugblätter, 9.5.1983, S. 16. 156 FR, Verbot, 8.12.1983, S. 1. 157 FR, System, 10.12.1983, S. 14–16. 158 Vgl. FR, Rechtsextreme Vereinigung der „Volkssozialisten“ verboten, 28.1.1982, S. 4.
358 7. Die Auseinandersetzung um M ichael Kühnen (1983) wahrgenommenen Bedrohung und trotz der Marginalisierung des Rechtsradikalismus blieb der von der FR bevorzugte Umgang sicherheitsorientiert und sollte vor allem eine Grenzmarkierung verdeutlichen. Ursächlich hierfür könnte die als immer schlechter wahrgenommene wirtschaftliche Situation des Landes gewesen sein, welche die Zeitung angesichts der verstärkt auftretenden neonazistischen Gruppierungen als Warnung begriff. Die anderen Publikationen waren in der Verbotsdebatte hingegen kaum engagiert, bewerteten die Verbotsverfügung aber ebenfalls durchweg positiv. Da selbst der Nationalsozialismus einmal klein angefangen habe, war das Verbot der ANS/NA in den Augen der „Allgemeinen jüdischen Wochenzeitung“ nicht nur richtig, sondern zudem notwendig.159 Immer wieder zitierte sie Stimmen, die sich für einen klaren und entschiedenen Kampf gegen den Rechtsradikalismus und speziell den Neonazismus aussprachen.160 Die „Allgemeine“ blieb sicherheitsorientiert und favorisierte repressivere Maßnahmen gegen den Rechtsradikalismus: „Die Aufgabe der Exekutive ist es, im Rahmen der Verfassung und der Gesetze zu handeln und sie im Interesse der Sicherheit des Staates auszuschöpfen“, argumentierte ein Bericht entsprechend.161 Die konsequente Anwendung der „wehrhaften Demokratie“ sei das Ergebnis eines Reifeprozesses der westdeutschen Bevölkerung. Nun müsse diese nachweisen – so der Artikel weiter –, „daß sie fähig [ist] zu handeln, wo es geboten ist, und auf jene Erdstöße reagieren, die Unheil ankündigen, auch wenn es noch nicht sichtbar ist.“ Der im vorherigen Kapitel für möglich gehaltene Wandlungsprozess hin zu einer Position, die weniger Repression im Umgang mit dem Rechtsradikalismus anstrebte, hatte offenbar nicht stattgefunden. Gerade der Hinweis darauf, dass die NSDAP einmal klein angefangen habe, verweist auf deutlich vorhandene Zweifel an der nachhaltigen Demokratisierung der Gesellschaft. Bereits das Verbot der VSBD/PdA im Januar 1982 unterstützte die „Allgemeine“ als eine legitime Maßnahme zum Schutz der Demokratie und beschrieb ausführlich, inwiefern diese Gruppe verfassungswidrig sei und entsprechend gehandelt habe.162
159 Es finden sich einige Verbotsforderungen bzw. Berichte über Verbotsbestrebungen entsprechend engagierter Gruppen und Parteien. Vgl. Allg. jüd. Wochenztg., Die Hessische Landesregierung, 6.5.1983, S. 12; Allg. jüd. Wochenztg., Neonazitreffen, 6.5.1983, S. 12; Allg. jüd. Wochenztg., Kompromisse, 23.9.1983, S. 12. Siehe insbesondere Allg. jüd. Wochenztg., Wachsam, 16.12.1983, S. 1. 160 Allg. jüd. Wochenztg., Beweise, 30.9.1983, S. 12; Allg. jüd. Wochenztg., Ermittlungen, 7.10.1983, S. 3. 161 Allg. jüd. Wochenztg., Wachsam, 16.12.1983, S. 1. 162 Allg. jüd. Wochenztg., Von der NPD zur VSBD, 5.2.1982, S. 3. Auch das damals veröffentlichte Interview mit Bundesinnenminister Baum verdeutlicht die positive Haltung der Allgemeinen jüdischen Wochenzeitung zu dessen Verbotsentschluss und beinhaltet keine kritischen Nachfragen. Vgl. Allg. jüd. Wochenztg., Zeichen entschlossener staatlicher Abwehr, 5.2.1982, S. 3.
7.3. Das Verbot der ANS/NA
359
Anhand der Verbotsbestrebungen gegenüber der ANS/NA und anderer Hintergründe verbreitete die „Allgemeine“ jedoch weiterhin auch den Eindruck, dass sich die staatlichen Stellen in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus durchaus bewähren würden. Speziell Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann wurde positiv gewürdigt und dessen Verbotsentscheidung als Konsequenz einer persönlichen Beschäftigung mit den NS-Jahren dargestellt. Befremdlich sei lediglich, dass zahlreiche linke Gruppen diese nicht bejubeln würden, weil ein CSU-Innenminister sie durchgesetzt habe: „Doch gemessen an den vielfachen und lautstark erhobenen Warnungen vor dem Rechtsextremismus, häufig genug mit dem Vorwurf verknüpft, auf dem rechten Auge blind zu sein und die Linksextremisten zu jagen, mutet die geübte Zurückhaltung der politisch interessierten Öffentlichkeit, […], seltsam an.[…] Manche kommentierende Bemerkung zu dem jetzt erlassenen Verbot erweckt den Eindruck, man müsse sich mit der Zustimmung deshalb zurückhalten, weil die Initiative gerade von diesem Minister ausging […].“163
Auch die FAZ blieb weiterhin eine Befürworterin der „wehrhaften Demokratie“ und der Doktrin der inneren Sicherheit. Dementsprechend positiv wertete sie Aussagen, dass die hessischen „Strafverfolgungsbehörden, aber auch das Landesamt für Verfassungsschutz, die neonazistischen Aktivitäten sehr genau beobachteten und jede legale Möglichkeit ihrer Bekämpfung ausschöpften“.164 „Es gelte“, wurde der hessische Justiz- und Innenminister in demselben Artikel zitiert, „die immer neuen Gründungen von getarnten Nachfolgeorganisationen der Nationalsozialistischen Partei mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu bekämpfen“. Dass Kühnen nachträglich die gute Zusammenarbeit mit der Polizei lobte, stellte die FAZ ebenfalls als kritischen Punkt für vermeintlich zu weitgehende Toleranz heraus.165 Das Verbot eines Aufmarsches zum 60. Jahrestag des Hitlerputsches am 9. November 1983 kritisierte die Zeitung gerade nicht.166 Im hinteren Teil der Zeitung findet sich sogar der Hinweis, dass Toleranz gegenüber neonazistischen Aktivitäten die Akzeptanz von rechtsradikalen Vorstellungen in der Bevölkerung fördere.167 Des Weiteren wurde auch das Verbot der VSBD/PDA im Jahr zuvor von der FAZ positiv beschrieben. Zwar war diese Gruppierung wohl zu irrelevant, um das Verbot zu kommentieren, aber ein längerer Bericht nannte die Entscheidung „nicht überraschend“ und betonte „den gewalttätigen Charakter des Verbandes“.168 Kritik an der Maßnahme veröffentlichte die FAZ zudem auch hier nicht einmal im Ansatz. 163 Allg. jüd. Wochenztg., Wachsam, 16.12.1983, S. 1. 164 FAZ, Gewaltbereitschaft, 27.4.1983, S. 37. 165 FAZ, Möglichkeit, 4.5.1983, S. 4. 166 FAZ, Rechtsradikale, 7.11.1983, S. 5. 167 FAZ, Strafrecht, 20.9.1983, S. 27. 168 FAZ, Ein Sammelbecken der gewalttätigen Rechtsextremisten, 28.1.1982, S. 5. Siehe auch FAZ, Zwei rechtsextremistische Organisationen verboten, 28.1.1982, S. 1.
360 7. Die Auseinandersetzung um M ichael Kühnen (1983) Trotz dieser positiven Sichtweisen auf repressive Reaktionsoptionen machte sich die FAZ die Forderung nach einem Verbot der ANS/NA nicht zu eigen. Erst mit der Verkündung des Verbotsbeschlusses durch Bundesinnenminister Zimmermann am 7. Dezember 1983 rückte diese Option in das Zentrum der Berichterstattung.169 Dass die FAZ diese Entscheidung begrüßte, ergibt sich aufgrund fehlender Kommentare zum Thema – wie schon bei der FR – vor allem aus den zitierten ausnahmslos positiven Wortmeldungen.170 Das Verbot sei schon deshalb begrüßenswert, weil die Polizei nun deren Veranstaltungen nicht mehr schützen müsse, hieß es beispielsweise. Des Weiteren sei diese Verbotsverfügung ein Startschuss für zahlreiche Aktionen der Kriminalpolizei gegen einzelne Mitglieder gewesen, bei denen zusätzliches zum Teil verbotenes Belastungsmaterial gefunden wurde.171 Der Staat habe damit deutlich gemacht, „daß er nicht länger gewillt sei, denen Narrenfreiheit zu gewähren, die ihre Mitbürger mit nationalsozialistischen Parolen provozierten und die freiheitlich demokratische Grundordnung abschaffen wollten“, hieß es mit Verweis auf den hessischen Innenminister Herbert Günther.172 Auch Disziplinarverfahren gegen rechtsradikale Beamte wurden unterstützt, wobei der Artikel ganz im Sinne der positiven Entwicklung der Bundesrepublik betonte, dass derartige Verfahren die Ausnahme blieben.173 Insofern befürwortete die FAZ durchaus repressive Zugänge im Umgang mit der ANS/NA bzw. rechtsradikalen Gruppen. Dennoch sollten unbedeutende Kleinstparteien wie die AAR eher die demokratische Abneigung bei Wahlen verspüren denn repressiv bekämpft werden. Der Rechtsradikalismus wurde in der FAZ keinesfalls zwangsläufig, sondern erst ab einem gewissen Niveau für sanktionswürdig gehalten. Dass die Zeitung auch das Verbot der weitgehend bedeutungslosen ANS/NA für etwas überzogen hielt, zeigt sich in der ironischen Formulierung, nach der das „Vereinsvermögen mit einem Umfang von fünf bis sechs Umzugskartons und einer Mitgliederkartei, Korrespondenz, Propagandamittel und rechter Literatur“ beschlagnahmt wurde.174 169 FAZ, Zimmermann, 8.12.1983, S. 1; FAZ, Bescheid, 8.12.1983, S. 5; FAZ, Durchsuchungen und Beschlagnahmungen, 8.12.1983, S. 5; FAZ, Zimmermann, 8.12.1983, S. 5; FAZ, Wohnungsdurchsuchungen bei führenden Neonazis, 8.12.1983, S. 12. 170 Zimmermann selbst erklärte, er habe ein „unübersehbares Zeichen“ gegen die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der ANS/NA und ihrer Untergliederungen wie der AAR gesetzt. Man habe mit dem Verbot dem Treiben der „Kühnen-Gruppe“ ein Ende bereiten können, wurde auch der Leiter des schleswig-holsteinischen Verfassungsschutzes zitiert. Vgl. FAZ, Strategie, 10.12.1983, S. 4. 171 FAZ, Durchsuchungen, 8.12.1983, S. 5; FAZ, Wohnungsdurchsuchungen, 8.12.1983, S. 12; FAZ, Uniformen, 10.12.1983, S. 50; FAZ, Wegen Verbreitung von NS-Propaganda vor Gericht, 14.12.1983, S. 43; FAZ, Acht Monate mit Bewährung wegen Volksverhetzung, 20.12.1983, S. 26. 172 FAZ, Wohnungsdurchsuchungen, 8.12.1983, S. 12. 173 FAZ, Auf je fünfhundert unbescholtene Beamte kommt ein schwarzes Schaf, 17.5.1983, S. 6. 174 FAZ, Bescheid, 8.12.1983, S. 5.
7.3. Das Verbot der ANS/NA
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Ohnehin rief die FAZ nicht bedingungslos nach der „wehrhaften Demokratie“ und bewahrte sich ihren kritischen Blick vor allem auf deren Nachhaltigkeit. Schließlich wertete sie die repressiven Möglichkeiten in Bezug auf neonazistische Gruppierungen als wenig effektiv: Mit einem Verbot, auch wenn man es grundsätzlich für sinnvoll halte, wäre „der Arbeit der Neonazis nur beschränkt beizukommen“.175 Derselbe Artikel zitierte Kühnens Ankündigung, die politische Arbeit in anderer Form weiterzuführen: „Wir werden uns in den nächsten Wochen ruhig verhalten. Wir werden gegen die Verbotsentscheidung Widerspruch einlegen und werden dann Anfang nächsten Jahres mit einer neuen politischen Konzeption auch wieder an die Öffentlichkeit treten“. Zudem hätten die Aktivisten der ANS/NA ohnehin versucht, die frustrierten Jugendlichen an sich zu binden, ohne sie sofort in die Organisation zu integrieren, was eine neue und vor allem „gefährliche Qualität“ sei.176 Man müsse daher Jugendämter und Schulen deutlich besser für diese Arbeit einspannen, aber „[s]trafrechtliche Mittel und pädagogische Einflußmöglichkeiten reichen dabei allein nicht aus“, hieß es in einem Bericht über rechtsradikale Einstellungen bei Jugendlichen, denn von zentraler Bedeutung sei, dass man „jene Perspektiven berücksichtige[…], die ein Großteil der Jugendlichen habe“.177 Die FAZ nannte explizit die Jugendarbeitslosigkeit und die fehlende Glaubwürdigkeit der Politik, die hier problematische Folgen hätten: „Als ‚Skinhead‘ uniformiert, verschafft sich der Enttäuschte Respekt. Er ist wieder ‚wer‘, er findet Ausgleich für das verlorene Selbstvertrauen“, schlussfolgerte ein Artikel aus dem Regionalteil. Dieser forderte, dass man Wege finden müsse, gerade diese sich selbst ausschließenden Jugendlichen anzusprechen, was alle bisherigen Träger von Schule über Kirchen bis hin zu Behörden überfordert hätte.178 Parallel dürfe die von Bundesinnenminister Zimmermann favorisierte Methode der politischen Auseinandersetzung mit extremistischen Gegnern kein Lippenbekenntnis bleiben.179 Pointiert überspitzt aber dennoch aufschlussreich für die Linie der FAZ ist der Hinweis in einem Artikel zum Auschwitzprozess, der sich zum zwanzigsten Mal jährte: „Der Bericht über die Urteile im Auschwitzprozeß ‚Mulka und andere‘ ist mehr als 900 Seiten stark. Es wäre verdienstvoll, den Bericht drucken zu lassen und ihn den jungen Neonazis, die sich in den nächsten Monaten vor einer Frankfurter Strafkammer verantworten müssen, unter anderem deshalb, weil sie schon wieder von der ‚großen Auschwitzlüge‘ tönen, zur Pflichtlektüre zu machen.“180
175 FAZ, Zimmermann, 8.12.1983, S. 5. 176 FAZ, SS-Runen, 13.12.1983, S. 33. 177 FAZ, Strafrecht, 20.9.1983, S. 27. Vgl auch FAZ, Aggression, 27.9.1983, S. 22; FAZ, SS-Runen, 13.12.1983, S. 33. 178 FAZ, SS-Runen, 13.12.1983, S. 33. 179 FAZ, Verfassungsfreunden, 23.9.1983, S. 1f. 180 FAZ, Das Grauen von Auschwitz kehrte zurück, 20.12.1983, S. 7f.
362 7. Die Auseinandersetzung um M ichael Kühnen (1983) Insofern blieb die FAZ zwar skeptisch bezüglich der Nachhaltigkeit von Verboten, hielt sie aber als Signal dennoch für relevant, um die Grenzen der Toleranz nach rechts zu markieren. Obwohl sie aus eigenem Antrieb keine Repressionen forderte, stimmte sie diesen auch als Zeichen staatlicher Autorität zu und bewertete eine tendenziell repressive Sicherheitspolitik nach wie vor als legitim. Ein demokratisches Dilemma beschrieb die Zeitung – anders als noch in den fünfziger Jahren – allerdings nicht. Ihre Kritik bezog sich vor allem auf die fehlende Nachhaltigkeit repressiver Maßnahmen. Möglicherweise war dies die Folge der seit dem Beginn der Dekade gestiegenen Zweifel an der positiven Entwicklung der Bundesrepublik. Insgesamt aber zeigt sich eine deutliche Kontinuität zur bisherigen Berichterstattung. Gerade im Umgang mit Jugendlichen hielt sie allerdings primär alternative Reaktionsmöglichkeiten für sinnvoll, sodass sie vor allem im hinteren Teil der Zeitung eindeutig liberalere Reaktionsoptionen diskutierte, ohne sich dabei für Toleranz auszusprechen. Nach dem Verbotsbeschluss bezüglich der ANS/NA war es vor allem die liberale „Zeit“, die sich in einem längeren Bericht noch wesentlich deutlicher als die konservative FAZ gegen diese Entscheidung aussprach.181 Zwar akzeptierte die Zeitung, dass das Verbot rechtsstaatlich korrekt zustande gekommen war und auch auf „zutreffende Belege und einleuchtende Beweise“ gestützt wurde, fragte aber bereits im Titel, ob man derart nicht mit „Kanonen auf Spatzen“ schieße? „Die Zeit“ zweifelte nicht die Legitimation der „wehrhaften Demokratie“, wohl aber die politische Sinnhaftigkeit der konkreten Maßnahme an und bewertete diese als wenig verhältnismäßig und sogar kontraproduktiv. Nicht nur gehe von der ANS/NA „keine Gefahr für den Bestand der Bundesrepublik aus“, vielfach hätten Verbote zu einer Radikalisierung der Rechtsradikalen geführt und aufgrund der Verlagerung der Aktivitäten in den Untergrund die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden massiv erschwert. Der Artikel unterstellt des Weiteren, dass diese Maßnahme tagespolitischer Natur war. Da sie gerade nicht auf einer konkreten Bedrohungswahrnehmung beruhte, war sie vor allem als Demonstration dafür gedacht, dass die Bundesregierung nach der Streichung der Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS aus dem Verfassungsschutzbericht auf dem rechten Auge keineswegs blind sei. Auch wenn sich keine Grundsatzkritik an der Möglichkeit findet, Vereine oder gar Parteien zu verbieten, plädierte „Die Zeit“ hier ganz offen für einen liberaleren Umgang mit dem neonazistischen Rechtsradikalismus: „Denn Neonazis wird es, in verschwindend geringer Zahl, immer geben. Grabsteine auf jüdischen Friedhöfen werden auch nach diesem Verbot umgeworfen, die Schmiererei von Hakenkreuzen wird ebenso fortgesetzt werden.“
181 Die Zeit, Kanonen, 9.12.1983.
7.3. Das Verbot der ANS/NA
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Natürlich, so der Bericht weiter, fallen die Neonazis oft auch durch Gewalttaten auf, dafür aber, plädierte „Die Zeit“, reichen „die Strafgesetze aus, um ihnen das Handwerk zu legen.“ Pointiert wird darauf hingewiesen, dass nicht erst Verbote Ordnung und Recht schaffen würden, sondern dass dies gegen den Rechtsradikalismus ständig und sehr erfolgreich läuft. Ähnlich wie „Die Zeit“ damals ist sich die Forschung zu Kühnen heute da rin einig, dass die Behörden bei der Verfolgung seiner Aktivitäten nicht gerade zimperlich und nachsichtig vorgegangen sind.182 Nach Jaschke „habe die Gesellschaft, vier Jahrzehnte nach Hitler, ein Exempel statuieren wollen, gleichsam als Nachweis dafür, dass sie auf dem rechten Auge keinesfalls blind sei. An ihm […] ließ sich zeigen, was für alle gelten soll. Jedes öffentliche Liebäugeln mit dem NS wird unter Strafe gestellt.“183 Eine staatspolitische Gefahr war Kühnen nie und eine Gefährdung der Demokratie ging von seinen Organisationen zu keinem Zeitpunkt aus. Er war vor allem eine Provokation.184 Insgesamt war die ANS/ NA von ihrer Relevanz her keineswegs vergleichbar mit der NPD in den sechziger Jahren oder auch der antisemitischen Schmierwelle. Entsprechend weniger quantitativ war die Berichterstattung. Dennoch war es einzig der „Deutsche Ostdienst“, der sich 1983 mit keinem Bericht dem Rechtsradikalismus widmete. Die im Kapitel zum Rechtsterrorismus des Jahres 1980 getroffenen Feststellungen begründen auch hier, warum der „Deutsche Ostdienst“ weder Kühnen noch die Aktionsfront Nationaler Sozialisten oder andere Gruppen thematisierte. All dies spielte für den BdV keine größere Rolle, da er weder im Verdacht der Zusammenarbeit stand, noch sich auf diesem Gebiet politisch profilieren konnte. Er war, wie auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, kein klassischer Gegner des Rechtsradikalismus, sondern befasste sich publizistisch mit diesem nur aus der bereits beschriebenen spezifischen Notwendigkeit heraus. Dennoch weist die Bereitschaft der BDA, staatliche Eingriffe in die Wirtschaft mit dem Ziel der sozio-ökonomischen Stabilisierung als sinnvoll anzuerkennen, auch hier auf ein gewisses Sicherheitsdenken hin. Trotz des Verbotsbeschlusses konnten weder der Neonazismus noch Michael Kühnen persönlich oder die Aktivitäten seiner Anhänger aufgehalten werden. Da Kühnen schon früh die Möglichkeit administrativen Vorgehens gegen ihn oder die ANS/NA befürchtete, entwickelte er „Organisationsbefehle“, in denen er An-
182 Vgl. di Lorenzo, S. 236. 183 Jaschke, Kühnen, S. 174f. 184 Zu den weiteren Skandalen gehörte ein „Fememord“ an einem Kameraden wegen Homosexualität und Verrat an der ANS im Mai 1981. Für diesen Mord wurden zwei Aktivisten zu lebenslänglicher Haft verurteilt. ANS-Aktivisten waren auch bei der Beerdigung von Karl Dönitz – dem kurzzeitigen Nachfolger Hitlers als Staatsoberhaupt des „Dritten Reiches“ – aktiv und nutzten die Bühne für ihre Propaganda. Vgl. Hofmann, S. 41–46; Stöss, Rechte, S. 169.
364 7. Die Auseinandersetzung um M ichael Kühnen (1983) leitungen für eine konspirative Weiterarbeit verschriftlichte.185 Die Neonazis versuchten in der Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front, im Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Adolf Hitlers / „Europäische Bewegung“ oder auch in der Nationalen Sammlung erneut zusammenzufinden, doch das bewusst aufgebaute Organisationswirrwarr konnte ihnen in diesem Fall nicht mehr helfen. Einzelne Organisationsneugründungen wie die Nationale Sammlung wurden als Nachfolgeorganisation der ANS/NA verboten (Vgl. Kapitel 8.4.). Michael Kühnen floh vorübergehend ins Ausland und die neonazistische Welle ebbte hiernach deutlich ab.186 Ab 1986 entwickelte sich eine Diskussion über seine Homosexualität, welche die Szene spaltete und sich nach dem Bekanntwerden seiner HIV-Infizierung 1987 nochmals intensivierte. Kühnen konnte seine Machtbasis nicht weiter ausbauen und aufgrund eines fast parallelen Verbotes der VSBD/PdA wurden fast alle legalen neonazistischen Strukturen nun massiv eingeschränkt.187 Mit dem Fall der Mauer und der Ausweitung der Strukturen in die ostdeutschen Länder konnte Kühnen noch einige regionale Erfolge verbuchen, bevor er am 25. April 1991 in Folge einer AIDS-Erkrankung verstarb.188 Seine Anhänger aus der ANS/NA sammelten sich Ende der achtziger Jahre in der bis dahin bedeutungslosen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP), die sie zusammen mit Aktivisten der VSBD/PdA gezielt unterwanderten.189 Die FAP wurde nun zu einer neonazistischen Partei, um die sich in der Folge selbst eine Verbotsdiskussion entwickelte.190
185 Vgl. Kniest, S. 49. 186 Vgl. Botsch, S. 85. 187 Vgl. Virchow u.a., Verbote. 188 Für mehr Details siehe Erb, Kühnen, S. 91f.; Rabert, S. 307. 189 Vgl. Wirsching, S. 417; Pfahl-Traughber, S. 56. 190 Vgl. Kapitel 8 zur dritten parteipolitischen Welle des Rechtsradikalismus.
8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) Bis zur Mitte der achtziger Jahre konnten sowohl die rechtsterroristischen Strukturen als auch zahlreiche neonazistische Organisationen administrativ bekämpft und wirksam eingeschränkt werden. Rechtsradikal motivierte Gewaltakte und terroristische Aktionen gingen deutlich zurück, ohne völlig zu verschwinden.1 Nachdem provokante oder gar terroristische Strategien letztlich kaum Erfolge zeigten, setzte in der rechtsradikalen Szene ein gewisses Umdenken ein. Dass Akteure wie Michael Kühnen bereits frühzeitig ihre Strukturen als Parteien tarnen wollten, deutete diese Entwicklung bereits an. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre begann schließlich die sogenannte dritte Erfolgswelle rechtsradikaler Parteien in der Bundesrepublik. Das bestimmende Thema dieser Jahre blieb die vermeintliche „Überfremdung“ beziehungsweise die „Asylfrage“, die den Rechtsradikalen als das geeignete Mittel schien, um vorhandene Ressentiments der westdeutschen Bevölkerung in Wahlstimmen zu verwandeln. Neben alten Bekannten wie der NPD und neueren Gründungen wie der DVU, der Partei Die Republikaner und der FAP waren weiterhin aber auch nicht parteipolitische rechtsradikale Strukturen aktiv. Speziell die Gewaltpotenziale neonazistischer Gruppen und Individuen blieben dabei im Fokus. In diesem Kapitel konnten mit dem Verbot der Nationalen Sammlung – ein spätes Produkt der „Kühnen-Gruppe“ – und einem Teil der Verbotsdebatte bezüglich der FAP auch neonazistische Gruppierungen berücksichtigt werden. Für die Bestimmung des Untersuchungszeitraums aber waren die Wahlerfolge der Deutschen Volksunion 1987 und der Partei Die Republikaner 1989 maßgeblich.2 Der Rechtsradikalismus war für fast alle nicht-staatlichen Akteure weiterhin ein wichtiges Thema. Entsprechend schlug sich zum Beispiel die recht hohe Bedeutung, welche die FAZ dem Rechtsradikalismus Ende der achtziger Jahre zuwies, nicht nur in der Quantität, sondern ebenfalls in der thematischen Breite ihrer Berichte nieder. Zu Beginn des Untersuchungszeitraums beschrieb die FAZ dabei eine rechtsradikale Szene auf dem Vormarsch und zitierte den israelischen Verteidigungsminister Jitzhak Rabin mit dem Hinweis, dass „in unseren Tagen eine neue antisemitische und neonazistische ‚Welle‘ zu beobachten sei“.3 Selbst 1 Für Details siehe Backes, S. 111; Kalinowsky, S. 175; Pfahl-Traughber, S. 75; Rabert, S. 238; Stöss, Rechte, S. 173. 2 Konkret handelt es sich um folgende Ereignisse: (1.) Die Bürgerschaftswahl in Bremen am 13. September 1987 und der erste Einzug eines rechtsradikalen Abgeordneten in ein deutsches Parlament seit 1969. (2.) Die Republikaner erreichen 7,5 Prozent bei den Abgeordnetenhauswahlen in West-Berlin am 29. Januar 1989. 3 FAZ, Rabin warnt in Dachau vor einer neuen Welle des Antisemitismus, 9.9.1987, S. 2.
366 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) die Mitgliederzahlen rechtsradikaler Organisationen würden steigen.4 Noch gravierender, so der Artikel weiter, sei aber die weite Verbreitung rechtsradikaler Einstellungen in der Bevölkerung, weil „virulenter Antisemitismus inzwischen auch bei Kindern aus sogenanntem guten Haus beobachtet wird“. Dass es im Vorfeld eines extra auf neutralem Boden ausgetragenen Handball-Europapokalspiels einer russischen und einer israelischen Mannschaft gerade in der Bundesrepublik zu Hakenkreuzschmierereien gekommen sei, wertete sogar der Sportteil der FAZ als besonderes Ärgernis.5 Doch trotz dieser zunächst deutlichen Sensibilisierung für den Rechtsradikalismus wurde jener in der FAZ insgesamt als weitgehend ungefährlich und marginalisiert dargestellt. Dies gilt gleichfalls für die Partei Die Republikaner. Auf der anderen Seite erklärte selbst die FAZ im Januar 1989 in einem Artikel zum Status quo des Rechtsradikalismus, dass dieser in der Bundesrepublik „nach jahrelanger Stagnation […] wieder einen leichten Aufwärtstrend hätte“.6 Außerdem wurden NPD, Neonazismus und die DVU als die drei Hauptströmungen bezeichnet, deren Mitgliederzahlen sich fast wieder denen der späten sechziger Jahre angenähert hätten. Trotz alledem sei allerdings der Linksradikalismus weiterhin wesentlich gefährlicher.7 Letztlich blieb die Darstellung der FAZ insofern ambivalent und pendelte, wie bereits in den Fallbeispielen zuvor deutlich wurde, weiterhin zwischen Alarmierung und Relativierung. Dass der Rechtsradikalismus allgemein auf dem Vormarsch sei und diese Wahrnehmung keinesfalls nur auf die bekanntesten Parteien zu beziehen war, zeigt sich insbesondere in der Darstellung der „Allgemeinen jüdischen Wochenzeitung“. Ohne Frage war der Rechtsradikalismus Ende der achtziger Jahre nach wie vor im Fokus der Zeitung, etwas überraschend spielten aber sowohl die DVU als auch die Republikaner hier keine herausragende Rolle. Beide Parteien wurden keinesfalls außer Acht gelassen, waren aber nur zwei Aspekte von vielen. Die jüdische Zeitung thematisierte zudem vermehrt Gruppierungen und Vorfälle, die ansonsten in der öffentlichen Debatte keine Rolle spielten.8 Allein die 4 FAZ, Antisemitismus in der Bundesrepublik, 10.9.1987, S. 32. 5 FAZ, Hakenkreuze in Wuppertal vor Spiel Moskau gegen Ramat, 25.9.1987, S. 26. 6 FAZ, Aktuelle Stunde zum Rechtsextremismus, 27.1.1989, S. 4. 7 Ebd. 8 Sie berichtete beispielsweise über eine Gemeinschaft Deutscher Osten, die eine immer stärkere Rolle in der rechtsradikalen Szene einnehmen würde. Zwar lehne diese jede Gewalt ab, aber dennoch treffe sie bereits Vorbereitungen für den „Tag X“, warnte die Allgemeine jüdische Wochenzeitung. Zudem wurde die Verbreitung neonazistischer Computerspiele kritisiert und als massive Einflussnahme auf das Denken junger Menschen gewertet. Mithilfe von Software werde versucht, „die Zielgruppe gleichsam spielerisch in die faschistische Gefühls- und Gedankenwelt einzuführen“. Ein Skandal sei ferner, dass an den Universitäten Professoren wirken dürften, die als Vordenker der Neuen Rechten agierten. Vgl. Allg. jüd. Wochenztg., Die Gemeinschaft Deutscher Osten, 28.8.1987, S. 12 bzw. Allg. jüd. Wochenztg., Der programmierte Nazismus, 20.1.1989, S. 1.
8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89)
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Quantität der Berichte zum Rechtsradikalismus verdeutlicht, wie engagiert die „Allgemeine“ ihrem Selbstverständnis als Mahnerin folgte und wie viel Bedeutung sie diesen Entwicklungen zumaß.9 Dass sie in den Berichten zu der Berliner Wahl sogar die gar nicht zugelassene NPD behandelte, verstärkt diesen Eindruck noch zusätzlich.10 Dabei zeigte sich weiterhin die seit den sechziger Jahren gestiegene pessimistische Wahrnehmung der Bundesrepublik. Mehrfach publizierte die „Allgemeine“ Vorfälle, in denen die Gesellschaft, besonders die vermeintlich demokratische „Mitte“, nicht gerade vorbildlich agiert hatte. Deutlichstes Beispiel waren hier, neben der insgesamt weit verbreiteten Indifferenz bezüglich des Rechtsradikalismus und der fehlenden couragierten Reaktionen im öffentlichen Raum,11 die Reaktionen nach dem Tod von Rudolf Heß.12 Hiernach hätten selbst vermeintlich „normale“ Bürger Totenwachen abgehalten. Allerdings dürfe man diese Manifestation rechtsradikalen Denkens nicht bagatellisieren, denn „in Wirklichkeit sind es viele, viele mehr“.13 Da größere Teile der Bevölkerung Heß offenbar positiv gegenüberstehen, fragte die Zeitung provokant, wie groß der rechtsradikale Aufruhr wohl bei einer vorzeitigen Entlassung gewesen wäre. „Wahrscheinlich hätten manche der jetzt schon übersteigerten Reaktionen und ‚Argumentations-‘ oder Statement-Exzesse kaum mehr eine Grenze gefunden“, gab sie die Antwort direkt selbst.14 Zwar finden sich einige Beispiele, die auf ein positives Engagement der Bevölkerung fokussieren,15 diese können aber den ins 9 Allg. jüd. Wochenztg., Erfrischende Klarheit der Gedankenführung, 4.9.1987, S. 12; Allg. jüd. Wochenztg., Beängstigender ist die Indifferenz, 6.1.1989, S. 16. Für weitere Beispiele siehe Allg. jüd. Wochenztg., Schöffe wegen Sieg Heil Rufs zu 6000 Mark verurteilt, 28.8.1987, S. 12; Allg. jüd. Wochenztg., Geplante Silvester-Aktionen der rechtsradikalen Wiking-Jugend in der hessischen Röhn, 6.1.1989, S. 16; Allg. jüd. Wochenztg., Rechtsradikale festgenommen, 6.1.1989, S. 16; Allg. jüd. Wochenztg., Empörung über Schändung dreier Berliner Gedenkstätten, 13.1.1989, S. 1; Allg. jüd. Wochenztg., Wagen Sie keine zweite Kandidatur, 13.1.1989, S. 4; Allg. jüd. Wochenztg., Der Gaskammer-Mythos ist erledigt, 13.1.1989, S. 12. 10 Vgl. Allg. jüd. Wochenztg., Weder links noch rechts, sondern vorn, 27.1.1989, S. 12. 11 Allg. jüd. Wochenztg., Indifferenz, 6.1.1989, S. 16. 12 Allg. jüd. Wochenztg., Für FAP-Verbot, 28.8.1987, S. 3; Allg. jüd. Wochenztg., Tod eines Täters, 4.9.1987, S. 1f. 13 Allg. jüd. Wochenztg., Persönliche Gedanken zu einem aktuellen Problem, 4.9.1987, S. 9. 14 Allg. jüd. Wochenztg., Tod, 4.9.1987, S. 1f. 15 In Nordrhein-Westfalen habe die Bevölkerung spontan gegen die DVU demonstriert und die Gründung eines Landesverbandes durch couragiertes Handeln verhindert. Ein „ermunterndes Beispiel dafür, wie das demokratische Bremen mit den Neonazis Münchener Prägung umzugehen gedenkt“, habe zudem der Bürgermeister abgegeben, als er den DVU-Vertretern den Zutritt zum Rathaus schlicht verwehrte. Zudem hätten sich einige Postboten – wenn auch vergeblich – versucht zu weigern, Postwurfsendungen der DVU zu verteilen. Vgl. Allg. jüd. Wochenztg., Demonstranten verhindern Gründung von DVU-Verband, 27.1.1989, S. 12; Allg. jüd. Wochenztg., Demokratische Selbstreinigung gefragt, 18.9.1987, S. 9; Allg. jüd. Wochenztg., Zweifel an der Neutrali-
368 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) gesamt negativen Gesamteindruck nicht verhindern. Weiterhin begriff die „Allgemeine“ die Entwicklung der westdeutschen Bevölkerung als Auseinandersetzung von progressiven und rückständigen Kräften. Ende der achtziger Jahre sah sie dabei allerdings die rückständigen Kräfte im Aufwind. Trotz dieser deutlich auszumachenden Sensibilisierung für die Thematik beschrieb die Zeitung insgesamt aber nur etwas erhöhte rechtsradikale Bedrohungspotenziale. Vor allem die politischen Parteien (DVU, NPD und REP) wurden als ungefährlich für Staat und Gesellschaft bewertet. Diese seien in erster Linie schädlich für das Ansehen der deutschen Demokratie.16 Mehrfach betonte die Zeitung hingegen, dass nicht nur die Zahl rechtsradikaler Organisationen ansteige, sondern eben auch die (gewalttätigen) Zwischenfälle zunähmen.17 Letztlich erblickte sie Bedrohungspotenziale weiterhin weniger in einzelnen rechtsradikalen Strukturen, sondern vielmehr im allgemeinen Rechtstrend der Gesellschaft. Sowohl in der „Frankfurter Rundschau“ als auch in der Gewerkschaftspresse wurden neonazistische Gruppen und rechtsradikale Parteien zunächst ebenfalls vor allem als gewalttätig und als negativer Einfluss auf das politische Klima der Bundesrepublik beschrieben. Im Januar 1989 war dies dann zumindest in der Gewerkschaftspresse aber ambivalenter. Ein Teil der Artikel beschrieb den Rechtsradikalismus zwar weiterhin als ungefährlich, aber eine fast ebenso große Anzahl sah ihn auf dem Vormarsch und hielt ihn auch mit Blick auf das politische System für potenziell bedrohlich. Letztlich kam es in der Gewerkschaftspresse seit dem Beginn der Dekade zu einer deutlichen Steigerung der Bedrohungsartikulation. Die Berichterstattung der FR hingegen blieb insgesamt sachlich und artikulierte auch weiterhin kaum größere Gefährdungswarnungen. Eine Differenzierung anhand der Akteure und Vorfälle verdeutlicht aber, dass neonazistische Gruppen als etwas gefährlicher eingestuft wurden als rechtsradikale Parteien, weil sie das friedliche Zusammenleben unmittelbarer stören. Interessanterweise finden sich in der „Zeit“ zunächst nur wenige Artikel mit Bezug zum Rechtsradikalismus. Dies änderte sich erst mit der Berliner Wahl. Nun betonte auch die Hamburger Wochenzeitung, „[n]ach dem Sieg der Repu tät der Post, 20.1.1989, S. 12. Siehe auch Allg. jüd. Wochenztg., Anzeige der Grünen wegen DVU-Postwurfsendung, 20.1.1989, S. 12; Allg. jüd. Wochenztg., Brandt und Momper warnen vor Gefahr von rechts, 27.1.1989, S. 12; Allg. jüd. Wochenztg., Leben und Lieben, dem Haß keine Chance, 3.2.1989, S. 5. 16 Dies änderte sich nach der Berliner Wahl in Bezug auf die Republikaner zwar etwas, allerdings nur auf geringem Niveau. Zudem offenbare die Kampagne gegen eine zweite Kandidatur Richard von Weizsäckers Sammlungstendenzen und die Aufbruchsstimmung im rechten Lager. Vgl. Allg. jüd. Wochenztg., Kandidatur, 13.1.1989, S. 4. 17 Explizite Nennungen finden sich hier: Allg. jüd. Wochenztg., Gemeinschaft, 28.8.1987, S. 12; Allg. jüd. Wochenztg., Boeden über starke Zunahme des Rechtsextremismus besorgt, 6.1.1989, S. 5; Allg. jüd. Wochenztg., Indifferenz, 6.1.1989, S. 16; Allg. jüd. Wochenztg., Die Zahl der Rechtsextremisten wächst, 17.2.1989, S. 5.
8.1. Gerhard Frey und die DVU
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blikaner fühlt sich das ganze Spektrum im Aufwind“.18 Zudem, so der Bericht weiter, würden nun auch DVU, die FAP und militante neonazistische Gruppierungen wieder starken Mitgliederzustrom erhalten. Noch nach der Wahl in Bremen aber wurde selbst die DVU, geschweige denn andere Vorfälle, nur sehr randständig behandelt. Gleiches gilt für den „Deutschen Ostdienst“ und die Zeitschrift „Der Arbeitgeber“, die sich allerdings, wie auch „Die Zeit“, zu den Republikanern äußerten und gegen diese positionierten. Dennoch artikulierten deren Berichte aber durchgängig keine besonderen Bedrohungswahrnehmungen.
8.1. Gerhard Frey und die DVU Die Deutsche Volksunion wurde am 16. Januar 1971 – dem Vorabend des hundertsten Jahrestages der Reichsgründung – von Gerhard Frey in München gegründet. Frey nutzte sein Vermögen sowie seine Rolle als Herausgeber nationalistischer Zeitungen wie der „Deutschen National-Zeitung“, um sich Bedeutung zu verschaffen. Er wurde von Annette Linke als „einer der einflussreichsten Demagogen in der rechten Szene“ und ein als „Biedermann getarnter Brandstifter“ beschrieben.19 Mit der DVU zielte er primär auf die älteren Nationalkonservativen, welche die Militanz der jungen Neonazis, die sich in jenen Jahren entwickelte, ablehnten und „eine eher ‚vorpolitische‘, weltanschaulich neue Heimat“ suchten.20 Das Ziel war eine Bündelung aller Kräfte in einer überparteilichen Mitte-Rechts-Koalition, nachdem die NPD dieses mit der Abgrenzung zur Aktion Widerstand aufgegeben hatte.21 Um diesem Anspruch gerecht zu werden, war die DVU ein Verein und nahm zunächst nicht an Wahlen teil.22 Thematischer Fokus blieb fürs Erste die Agitation gegen die sozialliberale Bundesregierung und speziell deren Ostpolitik.23 Über ein eindeutiges politisches Programm verfügte sie hingegen nicht.24 Die DVU entwickelte sich mit etwa 15.000 Sympathisanten schnell zur mitgliederstärksten Organisation des rechtsradikalen Spektrums in den siebziger und achtziger Jahren.25 Sie konnte somit die Rolle als Auffangbecken der Kräfte 18 Die Zeit, Alte Parolen, neue Parteien, 17.2.1989. 19 Linke, S. 8. 20 Schönekäs, S. 286. 21 Vgl. Stöss, Rechtsextremismus 2000, S. 54. 22 Annette Linke vermutet allerdings, dass Frey seit Gründung der DVU darauf hinarbeitete, langfristig eine neue rechtsradikale Partei zu etablieren. Vgl. Linke, S. 158. 23 Anfang März 1971 fand die erste größere Versammlung der DVU unter dem Titel „Abrechnung mit Brandt-Kampf dem Verrat“ in München statt. Vgl. Hertel, S. 5f. 24 Vielmehr schwankte der Verein „zwischen diffusen deutsch-nationalen und national-konservativen Orientierungen, ergänzt um geschichtsrevisionistische und militaristische Auffassungen“. Vgl. Pfahl-Traughber, S. 28. 25 Vgl. Schönekäs, S. 286.
370 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) „rechts von der Union“ teilweise erfüllen. Allerdings beschränkten viele Mitglieder ihr politisches Engagement auf ein Abonnement von Freys Publikationen. Als Helmut Kohl 1982 mit dem Versprechen einer „geistig-moralischen Wende“ antrat, warb Freys Presseimperium für die Unionsparteien. Nationalkonservative sowie Rechtsradikale erhofften sich davon eine neue kulturelle Hegemonie in der Bundesrepublik von rechts – je nach politischer Vorstellungen freilich konservativer oder nationalistischer Natur. Als die „Wende“ nicht so radikal vorangetrieben wurde wie erhofft, gab Frey die Unterstützung für die Unionsparteien auf und empfahl die Wahl der NPD.26 Auch wenn die Rechtsradikalen sich frustriert von der Regierung Kohl abwandten, war es deren neue Geschichtspolitik mit einer verstärkt national-konservativen und revisionistischen Ausrichtung, welche eine wichtige Voraussetzung für die sich nun deutlich verbesserten Entwicklungschancen ihrer Parteien schuf. Der neue geschichtspolitische Ansatz, Teil dieser „geistig-moralischen Wende“, war ein klares Signal dafür, dass sich die politische Kultur nach rechts hin verschoben hatte. Da die NPD in dieser Zeit primär mit sich selbst beschäftigt war und bereits im Laufe der siebziger Jahre mehr als zwei Drittel ihrer Mitglieder verloren hatte,27 reagierte Frey und gründete am 5./6. März 1986 mit dem expliziten Hinweis auf die enttäuschten Erwartungen der „Wende“ in München die Deutsche Liste. Diese wurde dann 1987 in Deutsche Volksunion – Liste D umbenannt und agierte nun offen als politische Partei. Die Deutsche Volksunion blieb weiterhin als nominell überparteilicher Verein bestehen. Um die Chancen auf Wahlerfolge zu erhöhen und um die Konkurrenz innerhalb des rechtsradikalen Lagers zu neutralisieren, begannen DVU und NPD noch 1986 Wahlabsprachen zu treffen und sich gegenseitig zu unterstützen.28 Bereits bei der bayerischen Landtags- und der Bundestagswahl 1987 machte Freys Presseimperium Wahlwerbung für die NPD – und gegen die Republikaner, die Frey als Konkurrenz wahrnahm.29 Zwar konnte die NPD hier nur 0,6 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, aber dies war das beste Ergebnis seit Jahren und eine deutliche Stimmensteigerung. Dank der Wahlkampfkostenrückerstattung konnte die Partei sich finanziell sanieren. Frey hingegen sicherte sich die Bürgerschaftswahlen in Bremen, wo er ohne Hilfe der NPD kaum eine Basis gehabt hätte. Er stellte seiner DVU zwei Millionen
26 Pfahl-Traughber, S. 28f.. Vgl. zur „Wende“ Helmut Wollmann, Vierzig Jahre alte Bundesrepublik zwischen gesellschaftlich-politischem Status quo und Veränderung, in: Bernhard Blanke / Helmut Wollmann (Hg.), Die alte Bundesrepublik. Kontinuität und Wandel. Sonderausgabe der Zeitschrift Leviathan 1991, S. 547–576, hier S. 568. 27 Vgl. Staud, S. 88. 28 Diese Kooperation kam überraschend, da beide Szenegrößen vorher konfrontativ gegeneinander agierten. Sie war insofern auch die Folge der Konkurrenz zu den Republikanern. Vgl. Schönekäs, S. 286. 29 Vgl. Backes / Moreau, S. 23.
8.1. Gerhard Frey und die DVU
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DM für den Wahlkampf zur Verfügung30 und stellte, um Stigmatisierungen zu entgehen, nur unbekannte Kandidaten ohne rechtsradikale Vorgeschichte auf.31 Aus Angst vor Protesten – und sicherlich auch wegen der extrem geringen Personaldecke – verzichtete die DVU zudem auf öffentliche Wahlveranstaltungen.32 Zwar hatte mittlerweile der Verein bundesweit 12.000 und die Partei etwa 2500 Mitglieder – auf eine ernst zu nehmende Mitgliederbasis in Bremen konnte Frey aber nicht zurückgreifen.33 Die bremische Politik reagierte in erster Linie bagatellisierend. Der CDU-Spitzenkandidat Bernd Neumann wies darauf hin, dass die Rechtsradikalen in Bremen keine Chance hätten und eine absolute Mehrheit der Sozialdemokratie die weit größere Gefahr für das Bundesland sei.34 Zumindest dem ersten Teil stimmten auch die untersuchten Publikationen mehr oder weniger eindeutig zu, wobei die Bremer Wahl im Vorfeld insgesamt nur wenig Beachtung fand. Zwar argumentierte die „Frankfurter Rundschau“ bereits 1987 in einem längeren Artikel zur FDP, dass die Tendenz der Unionsparteien zur politischen „Mitte“ die Integration des rechten Randes deutlich erschwere und dass dort in der Folge ein Potenzial für eine neue Rechtspartei entstehe, doch damit zielte die Zeitung vor allem auf die Republikaner, denen sie in Bremen viel eher einen Wahlerfolg zutraute als der DVU-Liste D.35 Ähnlich beiläufig berichtete „Die Zeit“ und konzentrierte sich in ihren Berichten auf die parallele Wahl in Schleswig-Holstein. In Bremen erwartete sie einen ruhigen Wahlkampf, den weder die Republikaner, die DVU noch die FAP nennenswert stören werden.36 Demgegenüber fühlten sich die Gewerkschaften durch die Aktivitäten der DVU an die vergleichbare Strategie der NSDAP erinnert, mit einer groß ange30 Da diese Summe die Ausgaben der anderen Parteien, die eine Wahlkampfkostenbegrenzung vereinbart hatten, deutlich überstieg, spricht Funke von einer „unvergleichbaren Wahlkampfmittelschlacht“. Vgl. Funke, S. 21. Siehe für Details zum Wahlkampf auch Fascher, S. 136; Hertel, S. 10; Linke, S. 32. 31 Der „Spitzenkandidat“ und gelernte Schiffsingenieur Hans Altermann war vor 1987 politisch weder aktiv noch Mitglied der DVU und somit ein wenig angreifbarer Kandidat, der durch eine lange Mitgliedschaft im örtlichen Schützenverein auf eigene Kontakte zurückgreifen konnte. Vgl. Linke, S. 32. 32 Lediglich Zeitungsanzeigen, Wahlplakate und wiederholte Postwurfsendungen sollten die Wählerinnen und Wähler ansprechen. Für nur 300 DM kaufte die Partei die Adressen sämtlicher Jung-/Erstwähler von den Bremer Meldebehörden. Höhepunkt war ein gecharterter Flug über die Stadt, währenddessen Wahlwerbung gezeigt wurde. Vgl. Fascher, S. 136; Linke, S. 32; Schönekäs, S. 286. 33 Vgl. Botsch, S. 90; Hertel, S. 10; Stöss, Rechtsextremismus 2000, S. 54. 34 Vgl. Taler, Skandal, S. 46f. 35 Die DVU sei „trotz ihres Riesenaufwandes an Werbung [eine zu] vernachlässigende Größe“, hieß es deutlich. Vgl. FR, Erste Bewährung für den Genossen Klaus, 8.9.1987, S. 3. Für das größere Potenzial der Republikaner vgl. FR, Die Union riskiert das Entstehen einer neuen rechten Gruppierung, 5.9.1987, S. 12. 36 Die Zeit, Wir wählen den Fisch, 11.9.1987.
372 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) legten Propagandaoffensive in dem winzigen Land Lippe-Detmold zur Wahl anzutreten.37 Auch die Idee, Wahlwerbung mit einem Flugzeug am Himmel zu machen, „haben sie von Hitler“, bemerkte die „Metall“.38 Doch trotz dieser Vergleiche hielt auch die Gewerkschaftspresse die Chancen rechtsradikaler Parteien in Bremen im Vorfeld für nicht allzu hoch. Dies ergibt sich bereits aus der geringen Quantität der publizierten Artikel. Die „Metall“ traute der DVU allein aufgrund der finanziellen Möglichkeiten von Parteichef Frey geringe Erfolge zu. Für die Republikaner spräche lediglich, dass durch Parteiübertritte schon drei Abgeordnete im Parlament säßen und „für diesen bayerischen SS-Mann [gemeint ist Franz Schönhuber] hoch im Norden Republikaner“ spielen.39 Entscheidend, hieß es an gleicher Stelle, sei, dass die Zersplitterung des rechtsradikalen Lagers dessen Chancen deutlich senke: „Sie sind wieder da. Schön, daß es wenigstens drei [DVU, REP, FAP] sind, die sich untereinander bekriegen bis aufs Messer und sich gegenseitig die Stimmen wegnehmen.“ Noch drei Tage vor der Wahl ging die „Welt der Arbeit“ davon aus, dass Republikaner und DVU-Liste D der CDU lediglich einige Stimmen kosten könnten, obwohl die Rechtsradikalen den Bremer Wahlkampf dominierten und beide Städte des Bundeslandes mit rechten Wahlplakaten „zugepflastert“ hätten.40 In der Konsequenz zwar ähnlich wie „Die Zeit“ und die FR, war die Gewerkschaftspresse dennoch etwas alarmierter. Demgegenüber konnte sich die FAZ, da sie zunächst ohnehin von einem allgemeinen Anstieg des Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik ausging, einen Erfolg der DVU in Bremen im Vorfeld durchaus vorstellen: „In einem Wahlkampf, dem das große, emotionalisierende Thema fehlt, sind die Protestwähler besonders wichtig“, so die Warnung.41 Und mit Verweis auf den Spitzenkandidaten der CDU, Reinhard Metz, stellte die Zeitung an gleicher Stelle fest, dass „die Rechten hier ‚abgrasen‘ wollen“. Die genauen Potenziale der DVU seien unklar, sicherlich aber nicht gering, mutmaßte die Zeitung anschließend. Selbst die Republikaner wurden als potenziell erfolgreiche Kraft dargestellt, die optimistisch den Wahltag erwarte.42 Bereits hier interessierte sich auch die FAZ besonders für die nachlassende Fähigkeit der Union, den rechten Rand dauerhaft zu integrieren.43 Dass die FAZ bereits im Vorfeld der Bremer Wahl eine Reihe von Artikeln publizierte, die 37 Hitler konnte auf diesem Weg fast 40 % der Stimmen erhalten und bildete mit seinen Mitstreitern die stärkste Fraktion im Landtag. Vgl. Metall, Sturm von rechts, 4.9.1987, S. 15; WdA, Die Rechte marschiert. Einpeitscher in Bremen, 10.9.1987, S. 7. 38 Metall, Sturm, 4.9.1987, S. 15. 39 Ebd. 40 WdA, Rechte, 10.9.1987, S. 7. 41 FAZ, Die Republikaner wollen die CSU des Nordens sein, 4.9.1987, S. 5. 42 FAZ, Kehrt die FDP in die Landtage zurück?, 12.9.1987, S. 1f. 43 FAZ, Schallende Ohrfeige für alle Vertriebenen, 1.9.1987, S. 4; FAZ, Republikaner, 4.9.1987, S. 5; FAZ, Glotz will der SPD in Südbayern auf die Beine helfen, 8.9.1987, S. 4; FAZ, FDP, 12.9.1987, S. 1f. Dies zeigte sich auch in der Presseschau. Vgl. FAZ, Republikanischer Vormarsch, 2.9.1987, S. 2.
8.1. Gerhard Frey und die DVU
373
sich mit der Partei Die Republikaner befassten, die DVU aber komplett aussparten, ist ein Hinweis darauf, dass sie letztendlich vor allem diesen zutraute, in der näheren Zukunft für Schlagzeilen zu sorgen. Der Fokus der Berichte lag deshalb weniger auf den Resultaten rechtsradikaler beziehungsweise rechts-konservativer Parteien als auf den durch sie schwindenden Möglichkeiten der Union, stabile Regierungsmehrheiten zu finden. Die Bremer CDU, so die FAZ, habe „das Ausfransen der deutschen Parteien, vornehmlich am rechten Rand“, als potenziell bedrohlich beschrieben, denn in Bremen würden DVU-Liste D und Republikaner – die FAZ spricht von den „neuen rechten Gruppierungen“ – mit immensem Aufwand und von den Medien unterstützt, „um politisch enttäuschte Wähler“ werben.44 Erstaunt und etwas schockiert berichtete der gleiche Artikel: „Wahlkampf verkehrt: Während die großen Parteien sich in einem ‚Wahlkampfbegrenzungsabkommen‘ Zurückhaltung auferlegt haben, schöpft die ‚Liste D’ aus dem Vollen. Sie versorgt die Haushalte mit Postwurfsendungen in einer Auflage von mehreren hunderttausend Stück. […] Das finanzielle Engagement kommt nicht von ungefähr. Die Wahl im Stadtstaat Bremen soll – ohne die Organisationsleistung erbringen zu müssen, die in einem Flächenstaat notwendig wäre – das rechte Wählerpotential ausloten und mobilisieren.“
Die Rechten würden sich dabei vor allem auf das von Arbeitslosigkeit und sozialen Problemen frustrierte Spektrum der Bevölkerung stürzen, erklärte der Artikel weiter. Die Berichterstattung der FAZ war hier auffallend umfangreicher und im Vergleich zu den anderen untersuchten Publikationen auch etwas besorgter.45 Der entscheidende taktische Vorteil der DVU in Bremen war die Fokussierung des Wahlkampfes auf Bremerhaven – eine kreisfreie Stadt innerhalb des Bundeslandes –, da eine Partei die Sperrklausel nur in einem der beiden Gebiete zu überwinden braucht, um Vertreter in die Bürgerschaft zu entsenden. So vereinte die DVU insgesamt nur 3,4 Prozent der Stimmen auf sich, konnte aber aufgrund des guten Ergebnisses in Bremerhaven (5,4 Prozent) ihren Kandidaten, Hans Altermann, in die Bremer Bürgerschaft entsenden. Parallel zogen zwei weitere Rechtsradikale in die Stadtverordnetenversammlung von Bremerhaven ein. Zum ersten Mal nach fast zwei Dekaden saß wieder ein rechtsradikaler Politiker in einem deutschen Parlament. Dennoch blieb der Wahlerfolg der DVU in Bremen auch aus nicht-staatlicher Perspektive ein eher randständiges Ereignis und die Publikationen betonten primär dessen relative Irrelevanz.
44 FAZ, Republikaner, 4.9.1987, S. 5. So ähnlich auch FAZ, FDP, 12.9.1987, S. 1f. 45 Möglicherweise ist die vielfach geringe Relevanz der Thematik auch auf den zumindest inhaltlichen Boykott der DVU in fast allen Zeitungen zurückzuführen. Man wollte der Partei schlicht keine weitere Bühne bieten, aber das erklärt kaum die vielfach fehlenden Warnungen, selbst wenn Berichte veröffentlicht wurden. Vgl. zum Boykott Fascher, S. 136; Hertel, S. 13.
374 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) Nach dem Wahlerfolg der DVU in Bremen kommentierte die „Allgemeine jüdische Wochenzeitung“ zwar einerseits, dass die Wahl in Bremen „keine normale Wahl“ gewesen sei, weil derart viele Menschen sich für die FAP oder die DVU entschieden hätten.46 Andererseits betonte der gleiche Kommentar: „[So] schlimm und blamabel dieser Beweis dumpf-faschistischer Tendenz in der Bremer Bevölkerung ist: Panik ist fehl am Platze.“47 Auch die Gewerkschaftspresse reagierte auf das Wahlergebnis zunächst mit Empörung.48 Anschließend aber spielte die DVU in den Publikationen keine Rolle mehr, was darauf hindeutet, dass die Gewerkschaften hier vor allem eine überraschende Ausnahme erkannten. „Die Zeit“ thematisierte das Ergebnis sogar fast überhaupt nicht und fokussierte weiterhin vor allem auf die Stimmenverluste der CDU in Schleswig-Holstein.49 Dass es sich bei dem Wahlergebnis der DVU in Bremen um ein rein regionales Phänomen handele, zweifelte die Zeitung in einem Interview mit Heiner Geißler allerdings an und unterstellte – mit Verweis auf die FAZ –, dass auch die Strategie der CDU, immer mehr auf die politische Mitte zu zielen, ursächlich sei.50 Dennoch sei das Ergebnis „der rechten Splitterparteien“ kein Alarmzeichen, sondern in erster Linie die Folge der ohnehin aussichtslosen Position der Konservativen in Bremen – welche, so die unausgesprochene Erklärung, den Wahlkampf entsprechend ruhig und wenig konfrontativ geführt hätten.51 Als Tageszeitung behandelte die „Frankfurter Rundschau“ die Wahl in Bremen umfangreicher, aber auch hier stand das Resultat der DVU nach der Wahl keineswegs im Mittelpunkt. Es sei zwar eine „politische Sensation“, aber das Debakel der CDU hielt die Zeitung für entscheidender.52 Schließlich dürfe man das Wahlergebnis nicht überbewerten, da das Land Bremen aufgrund seiner geringen Größe mit derart viel Wahlwerbung überschwemmt werden konnte – woanders, so das Argument auch hier, wäre dies unmöglich.53 Letztlich blieb die Berichterstattung der „Rundschau“ aber ambivalent, denn in der gleichen Ausgabe betonte die Zeitung, das Ergebnis dürfe nicht einfach als Schönheitsfehler abgetan werden,54 denn DVU und „Republikaner“ konnten in Bremerhaven schließlich
46 „Mehr als 13.000 also“ warnte die Zeitung, „billigen die Ausländerhetze, den Chauvinismus, die Primitivparolen […].“ Vgl. Allg. jüd. Wochenztg., Selbstreinigung, 18.9.1987, S. 9. 47 Ebd. 48 WdA, Aus meiner Sicht ist die DVU rechtswidrig, 17.9.1987, S. 1. 49 Die Zeit, Alle Parteien im Spagat, 18.9.1987. 50 Die Zeit, Aber was heißt Zeitgeist, 18.9.1987. 51 Die Zeit, Wahlen in Schleswig-Holstein und Bremen. Wechsel in Maßen, Stabilität in Grenzen, 18.9.1987. 52 FR, Trotz starker Wählerbewegungen politisch wenig bewegt, 15.9.1987, S. 4 bzw. FR, Wähler im Wandel, 15.9.1987, S. 3. 53 FR, Rechtes Gespenst, 15.9.1987, S. 3. 54 FR, Rechtsradikale unwillkommen, 15.9.1987, S. 1.
8.1. Gerhard Frey und die DVU
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sieben Prozent der Stimmen auf sich vereinen.55 Nun blickte sie doch etwas skeptischer auf die zukünftige Entwicklung: „Ein Gespenst von gestern taucht wieder auf, die radikale Rechte. 3,4 Prozent in Bremen für die als NPD-Ersatz kandidierende rechtsextreme ‚Deutsche Volksunion‘ DVU, dazu noch einmal 1,2 Prozent für die etwas ‚moderateren‘ Republikaner: In der Hansestadt setzte sich fort, was sich bereits in Bayern und im Hessischen angedeutet hatte. Die extreme Rechte kann wieder hoffen“.56
Die Symbolwirkung, welche die Zeitung diesem Wahlausgang zumaß, zeigt sich zudem in der Rubrik „Im Wortlaut“. Hier wurde der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Heinz Galinski, ausführlich mit sowohl mahnenden als auch kämpferischen Worten zitiert: „Und die Ereignisse der letzten Wochen zwingen mich dazu, lauter zu werden als ich je war, zwingen mich dazu, die Schweigenden und Gleichgültigen wachzurütteln, solange noch Zeit ist. Die Ereignisse der letzten Wochen beweisen es mit erschreckender Deutlichkeit: nicht [sic] nur der Neonazismus, der Nazismus selbst ist aus vielen Köpfen in diesem Lande noch nicht verschwunden“.57
Dass das Wahlergebnis der DVU auch im DOD keine Rolle spielte, überrascht nicht, steht es doch in keinem Zusammenhang mit dem Bund der Vertriebenen und hatte nicht die bundespolitische Relevanz, um einen Interessenverband ohne intrinsische Motivation zur Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus zu einer Stellungnahme zu veranlassen.58 Aber selbst eine grundsätzliche Sensibilität für das Thema „Rechtsradikalismus“ führte nicht zwangsläufig zu einem Aufschrei, wenn eine unbedeutende Partei die Sperrklausel in einem kleinen Land überspringt. Ganz besonders zeigt sich dies in der FAZ, die – wie zu Beginn dieses Kapitels beschrieben wurde – den Rechtsradikalismus durchaus im Blick hatte. Umso verwunderlicher ist die Tatsache, dass der erste Kommentar nach dem Wahlsonntag, der sich dem Land Bremen ohnehin nur kurz widmete, das Ergebnis der DVU nicht erwähnte.59 Sogar in den längeren Berichten wurde diese so weit wie möglich ignoriert. Beispielsweise hieß es ohne explizite Nennung 55 FR, Wähler, 15.9.1987, S. 3; FR, Wählerbewegungen, 15.9.1987, S. 4. Deutlich zeigt sich die Sorge vor einem weiteren Ansteigen auch in einem Leserbrief, der bereits eine engste Zusammenarbeit von DVU, NPD und den Republikanern voraussagte. Vgl. FR, Freie Aussprache, 18.9.1987, S. 4. 56 FR, Gespenst, 15.9.1987, S. 3. 57 FR, Im Wortlaut. Heinz Galinski, 16.9.1987, S. 4. 58 Dies wäre nur bei einer Chronistenpflicht oder einem besonderen Interesses am Rechtsradikalismus der Fall gewesen. Beides war hinsichtlich des Deutschen Ostdienstes nicht vorhanden, solange der BdV nicht in den Verdacht geriet, selbst rechtsradikal zu sein. 59 Der einzige Absatz zur Bremer Wahl lautete: „Nicht so Bremen. Die SPD behält ihre absolute Mehrheit, die CDU hat eine beschämende Niederlage erlitten, die rechten Re-
376 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) der DVU, dass die Republikaner nun keine Gefahr mehr darstellen würden, auch wenn andere rechtsradikale Organisationen davon profitieren könnten.60 Besonders grotesk ist der folgende Abschnitt: „Die Republikaner erhielten 1,2 Prozent Stimmen, alle anderen Parteien erreichten zusammen etwa 5,8 Prozent, davon die rechtsradikale ‚Deutsche Volksunion – Liste D‘ 3,4 Prozent.“61 Dass diese damit, aufgrund der besonderen Rolle Bremerhavens, einen Abgeordneten in die Bürgerschaft entsenden konnte, erwähnte die Zeitung erst einige Sätze später. Die FAZ verweigerte weitestgehend die Thematisierung der Partei.62 Sie ignorierte den eingetretenen Erfolg der DVU-Liste D und stellte den ausgebliebenen Erfolg der Republikaner stattdessen stark in den Vordergrund. Diese Partei hatte sie als eigentliche Gefahr für die demokratische Gesellschaft ausgemacht, denn die insgesamt „[s]chwere Niederlage der CDU im Norden“63 bestätigte die Befürchtung, dass die Union Schwierigkeiten habe, „die ‚rechte Flanke‘ zu sichern“.64 Das Ergebnis der DVU war vor diesem Hintergrund insofern ein „Betriebsunfall“ ohne nachhaltige Wirkung, da ihre Ausgrenzung stabil blieb. Neben den regionalen Besonderheiten, die je nach Standpunkt besonders betont wurden, zielten die untersuchten nicht-staatlichen Akteure in der Ursachenfrage vor allem auf die zahlreichen Krisenmanifestationen im Land. „Die wirtschaftliche Situation Bremens, erklärte „Die Zeit“, „ist aus der Sicht ihrer Bürger denkbar schlecht“.65 Vor allem das Ergebnis in Bremerhaven beruhte auf der desolaten wirtschaftlichen Situation, die von noch höherer Arbeitslosigkeit und dem schlechteren politischen Klima im Vergleich zur Mutterstadt geprägt sei, ergänzte die FR.66 Die Liste D habe selbst von Stimmenabwanderungen der SPD profitieren können und sei gerade in Wahlkreisen mit höherem Arbeiteranteil publikaner sind nichts Rechtes geworden, und die FDP hat nichts von ihrem Erfolg.“ Vgl. FAZ, Labilität in Kiel, 14.9.1987, S. 1. 60 FAZ, Lagertheorie zusammengebrochen, 15.9.1987, S. 2. 61 FAZ, Schwere Niederlagen der CDU im Norden, 14.9.1987, S. 1f. 62 Einzige wirkliche Ausnahmen waren ein kurzer Artikel über die Debatte bezüglich der Teilnahme eines DVU-Vertreters an der Landespresseschau, in dem es heißt, dass alle anderen Parteienvertreter über das DVU-Ergebnis bestürzt seien, sowie ein Artikel, der das Wahlergebnis vor allem in Bezug auf die Bundespolitik analysierte. Daneben findet sich der Wahlanalysebericht des INFAS-Institutes, der auch in der FR gedruckt wurde. Diese drei Artikel können den Gesamteindruck allerdings nicht revidieren, zumal das DVU-Ergebnis auch hier keinesfalls besonders prominent präsentiert wurde. Vgl. FAZ, DVU-Vertreter aus dem Bremer Rathaus gewiesen, 15.9.1987, S. 4 bzw. FAZ, Erfolg der SPD eine Absage an Bonn, 15.9.1987, S. 4; FAZ, Trotz starker Wählerbewegungen hat sich politisch wenig verändert, 15.9.1987, S. 4. 63 FAZ, Niederlagen, 14.9.1987, S. 1f.. Siehe auch FAZ, Wählerbewegungen, 15.9.1987, S. 4. 64 FAZ, Lagertheorie, 15.9.1987, S. 2. So auch FAZ, Die SPD hat sich auf ihre eigene Kraft besonnen, 15.9.1987, S. 3. 65 Die Zeit, Wahlen, 18.9.1987. 66 FR, Wählerbewegungen, 15.9.1987, S. 4.
8.2. Die Republikaner in West-Berlin
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erfolgreich gewesen.67 Ursächlich sei darüber hinaus die schwache Leistung der CDU, die nicht mehr nach rechts integrieren könne, weil sie sich „meilenweit vom Erfolg entfernt“ bewege und völlig profillos sei.68 Auch die „Welt der Arbeit“ führte den Erfolg der DVU in Bremerhaven auf die dortige wirtschaftliche Lage zurück, betonte aber zudem, dass die rechten Parteien mit ihrer fremdenfeindlichen Kampagne durchaus an vorhandene Stimmungen in der Bevölkerung anknüpfen konnten.69 Nun müssten alle demokratischen Parteien nicht nur mit Worten, sondern vor allem mit Taten überzeugen, forderte ein Bericht in der FR.70 Dementsprechend positiv stellte die Zeitung die Reaktion der Bremer Bevölkerung dar, die gegen den Einzug des ersten Rechtsradikalen in ein deutsches Länderparlament seit zwei Dekaden direkt protestiert habe.71 Allerdings konnte die DVU ihre Stellung nicht halten. Bereits bei der Europawahl 1989 konnte sie mit ihrem Spitzenkandidaten Gerhard Frey bundesweit nur 1,6 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Die DVU hatte der Konkurrenz durch die Partei Die Republikaner wenig entgegenzusetzen. Daher wurde vor allem diese zum Symbol der dritten Welle.
8.2. Die Republikaner in West-Berlin Die Gründung der Partei Die Republikaner erfolgte am 27. November 1983 als Rechtsabspaltung von der CSU, nachdem deren Vorsitzender Franz Josef Strauß in jenem Jahr einen Milliardenkredit an die DDR organisiert hatte. Die beiden CSU-Politiker Franz Handlos und Ekkehard Voigt wollten diese Unterstützung für den „kommunistischen Feind“ nicht mittragen. Sie kritisierten zudem die Dominanz des Parteivorsitzenden und taten sich mit dem Fernsehjournalisten Franz Schönhuber zusammen, um das konservative Lager „rechts von der Union“ zu bündeln.72 Schönhuber erlangte bereits vor seiner politischen Karriere als Moderator im „Bayerischen Rundfunk“ Bekanntheit, bis er wegen einer Buchveröffentlichung mit relativierenden Aussagen zur Schuld der Waffen-SS 1981 entlassen wurde.73 Zunächst wurde Handlos zum Parteivorsitzenden gewählt und 67 FR, Wählerbewegungen, 15.9.1987, S. 4. 68 FR, Gespenst, 15.9.1987, S. 3 und FR, Wähler, 15.9.1987, S. 3. 69 WdA, Sicht, 17.9.1987, S. 1. 70 FR, Gespenst, 15.9.1987, S. 3. 71 FR, Rechtsradikale, 15.9.1987, S. 1. Zivilgesellschaftliche Proteste gegen den Rechtsradikalismus beschrieb die FR auch an anderer Stelle wohlwollend. Vgl. FR, Bündnis gegen Rechts nach Vorbild der Friedensbewegung, 19.1.1989, S. 4; FR, Rechte Propaganda bei Alten. 21.1.1989, S. 1; FR, Antifaschisten wollen Haß keine Chance geben, 30.1.1989, S. 4. 72 Für Details siehe Behrend, S. 5–10; Jaschke, Republikaner, S. 75f. 73 Vgl. Pfahl-Traughber, S. 31. Zur SS-Vergangenheit Schönhubers siehe Behrend, S. 36– 38. Siehe zur Biografie Schönhubers auch: ebd. S. 34–50; Leggewie, Republikaner, S. 108–129.
378 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) Schönhuber sein Stellvertreter und Parteisprecher. Voigt wurde ebenfalls stellvertretender Parteivorsitzender und Generalsekretär. Doch nach nur zwei Jahren verließen die beiden Gründungsmitglieder die Partei aus Protest gegen Schönhubers Führungsanspruch. Auf einer Parteiversammlung in Siegburg wurde nun Schönhuber am 16. Juni 1985 zum Bundesvorsitzenden gewählt. Nach ruhigen Anfangsjahren wurden die Republikaner bald zu einem heftig umstrittenen Thema in Politik, Presse, Wissenschaft und politischer Bildung. Die Frage, wie weit nach rechts die Partei reichen solle, war intern außerordentlich umstritten, was extern entsprechend heftig begleitet wurde. Die Frage, ob die Republikaner nun rechtsradikal sind oder gerade nicht, war eine entscheidende Konfliktlinie in der Debatte. In ihrer Selbstwahrnehmung war sie eine unabhängige, liberal-konservative Volkspartei.74 Die Republikaner profitierten ebenfalls vom Ausbleiben der „geistig-politischen Wende“ nach dem Antritt der Regierung Kohl und konnten, indem sie sich als „echte“ Konservative inszenierten, ein entsprechendes Milieu ansprechen. Während Handlos und Voigt eine bundesweit agierende rechtskonservative Partei in Abgrenzung zur CSU bevorzugten, versuchte Schönhuber aber, diese weiter ins modernisierte rechte Lager in Anlehnung an die Neue Rechte zu lenken.75 Sein Vorbild war der französische Front National und seine Vorstellung einer Sammlungspartei beinhaltete auch die Integration eines rechtsradikalen Flügels und damit einhergehend immer wieder eindeutig rechtsradikale Tendenzen.76 Spätestens mit dem Siegburger Manifest 1985 und dem Ausscheiden von Handlos und Voigt aus der Partei im gleichen Jahr muss von einer deutlicheren Wendung hin zum Rechtsradikalismus ausgegangen werden.77 In der zeitgenössischen Perspektive zeigte sich in dieser Frage allerdings eine deutliche Zweiteilung. Auf der einen Seite positionierte sich insbesondere die FAZ ganz deutlich gegen diese Zuschreibung. Bereits während der Wahl in Bremen 1987 hielt sie die Partei zwar für gefährlicher als die DVU, dies aber insbesondere, weil sie die Republikaner gerade nicht als rechtsradikal einordnete. Vielmehr hängen deren Anhänger „einem mal hier, mal da stärker ausgreifenden Populismus mit rechten Parolen an“, erklärte ein längerer Bericht.78 Fast durchgängig nutzte die FAZ bei der Beschreibung der Republikaner deren Eigenbezeichnung „rechts-konser74 Vgl. Krueger, S. 59. 75 Vgl. Pfahl-Traughber, S. 31. 76 Vgl. Stöss, Rechtsextremismus 2000, S. 58. 77 Die Republikaner waren national-chauvinistisch, was sich vor allem in rassistisch aufgeladener, völkischer Heimatideologie zeigte. Im Zentrum aller Wahlkämpfe standen Fremdenfeindlichkeit und die Kritik am Asylprinzip. Hiermit eng verbunden war auch die Ablehnung der europäischen Integration. Begleitet wurde dies regelmäßig mit typisch populistischen Forderungen nach mehr Ehrlichkeit und weniger Korruption in der Politik, konservativer Familienpolitik und einem Ende der „Vergangenheitsbewältigung“. Für Details siehe Botsch, S. 92; Jaschke, Republikaner, S. 78; Salzborn, S. 42. 78 FAZ, Republikaner, 4.9.1987, S. 5.
8.2. Die Republikaner in West-Berlin
379
vativ“.79 Sie beteiligte sich zudem aktiv daran, die Partei aus dem anrüchigen Spektrum der Politik herauszuholen. Aussagen des Vorsitzenden Schönhuber, die Partei stehe „rechts von der konturlosen Berliner CDU“, wurden ohne Kritik und Distanzierung zitiert.80 Auch Schönhuber persönlich sei „kein Rechtsextremist“, behauptete die FAZ, und porträtierte ihn als „das, was mit dem Wort ‚strammer Konservativer‘ belegt werden kann“.81 „Republikaner“ im demokratischen originalen Sinne des Terminus seien diese Leute zwar nicht,82 aber es sei ebenso töricht, die neue „Partei als rechtsextrem hinzustellen […] wie Linkssozialisten als Linksextremisten abzustempeln“.83 Es handele sich um eine Gemeinschaft „tendenziell antidemokratischer, antizivilisatorischer und national gesinnter Provinzspießer, die spätestens nach dem zweiten Bier einen starken Durst auf Kraftmeierei, Politikerschelte und Heimatlieder verspüren“, so das Fazit.84 Ihre Konzeptionen hätten allerdings mit dem Nationalsozialismus nichts gemein, und die Anhänger als „Neo-Faschisten“ zu betiteln, solle vom fehlenden Interesse an der Auseinandersetzung ablenken.85 Konsequenterweise lassen sich in diesem Zusammenhang keine Sympathien der FAZ mit Protesten gegen die Partei ausmachen.86 79 Vgl. FAZ, Pflastersteine krachen gegen das Blech der Polizeifahrzeuge, 20.1.1989, S. 3; FAZ, Ein besorgter Aufruf Diepgens, 27.1.1989, S. 5; FAZ, Schlappe der CDU in Berlin – Die FDP gescheitert, 30.1.1989, S. 1f.; FAZ, Just in Berlin, 31.1.1989, S. 12. In einem Fall wurde sie in der FAZ als „konservative Partei“ bezeichnet. Vgl. FAZ, Berlin, unregierbar, 30.1.1989, S. 1. Lediglich in wenigen Fällen wurde sie in der FAZ indirekt als „rechtsradikal“ bzw. „Gruppierung mit rechtsradikaler Tendenz“ bezeichnet. Vgl. FAZ, Wieder Demonstration gegen Republikaner in Berlin, 4.2.1989, S. 4; FAZ, Ein Schrei aus dem Bauch, 4.2.1989, S. 27; FAZ, Streit in der Union über künftige Strategie, 6.2.1989, S. 2. Einzige wirkliche Ausnahme ist die zitierte Aussage des Generalsekretärs der Berliner CDU, der mit der Einordnung als „extreme rechte Partei“ nach der Berliner Wahl um klare Abgrenzung bemüht war. Vgl. FAZ, Ein erstes gegenseitiges Abtasten in Berlin SPD und CDU. Es war sachlich, 3.2.1989, S. 1f. Explizite Kritik an der Einordnung als konservativ findet sich nur in einem Leserbrief. Vgl. FAZ, Konservativ?, 10.2.1989, S. 10. 80 FAZ, Schlappe, 30.1.1989, S. 1f. 81 FAZ, Ein erster Erfolg, 30.1.1989, S. 2. 82 FAZ, Republikaner, 31.1.1989, S. 27; FAZ, Schönhuber, 2.2.1989, S. 21. 83 FAZ, Beschränkt, 31.1.1989, S. 12. 84 FAZ, Republikaner, 31.1.1989, S. 27. 85 FAZ, Ein Schreckgespenst, 1.2.1989, S. 12; FAZ, Schönhuber. Die Partei der kleinen Leute, 2.2.1989, S. 2. 86 Ausschreitungen bei einer Wahlkampfveranstaltung der Republikaner in Berlin wurden als besonders gewaltbereit und aggressiv dargestellt: „Immer wieder brechen hundert bis zweihundert Mann starke Gruppen aus der sie anfeuernden Menge aus und versuchen, die Polizeiketten zu überwinden. Jedes Mal geht dabei ein regelrechter Hagel von Pflastersteinen und Flaschen auf die Beamten nieder. Getroffen stürzen manche zu Boden. Im grellen Blaulicht bergen Sanitäter Verletzte, während die Sondereinsatzgruppe der Berliner Polizei mit Gummiknüppel und Tränengas die Angreifer
380 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) Auch im „Deutschen Ostdienst“ wurden die Republikaner lediglich als national-konservativ beschrieben. Es sei falsch, diese mit „bislang bestehenden rechtsradikalen Parteien wie SRP, DRP und NPD in einen Topf zu werfen.“87 Dazu passt, dass aus der Berichterstattung im DOD auf die politische Sympathie bezüglich vermeintlich rechts-konservativer Gruppierungen geschlossen werden kann – zumindest für bestimmte Teile der Vertriebenen. Demgegenüber bewerteten „Die Zeit“ und die „Frankfurter Rundschau“ die neue Partei als eindeutig rechtsradikal.88 Nicht nur betitelte die Hamburger Wochenzeitung die Partei explizit als „rechtsextrem“, sondern verpasste Schönhuber, wie bereits die FR vor der Wahl in Bremen, direkt das Etikett „echter SS-Kamerad“.89 Der gleiche Artikel betonte außerdem, dass der Vorwurf, „rechtsextrem“ zu sein, sogar aus den eigenen Reihen geäußert wurde und beschrieb eindeutige Verbindungen des Bundespressesprechers zur DVU und Gerhard Frey. Die neue Partei sei zwar vor allem deshalb gefährlich, weil sie deutliche Distanz zum Nationalsozialismus halte.90 Daher, so der Bericht weiter, wirken die Republikaner wesentlich moderater als die rechtsradikale Konkurrenz, aber letztlich gelte für die Partei, „was das SINUS-Institut schon 1980 als ‚inhaltliches Rückgrat der Rechtsextremen‘ herausgestellt hat: ‚Haß und Abneigung gegen alles Andersartige‘“. Auch die „Allgemeine jüdische Wochenzeitung“ tendierte in diese Richtung. Die Partei sei nicht nur ausländerfeindlich, sondern gegen alles Fremde, befand Galinski mit Blick auf
zurückdrängt“. Außerdem wurde ein Sprecher der CDU zitiert, dass es sich um eine „Straßenschlacht im unseligen Stil der Weimarer Zeit“ gehandelt hätte, für die linksradikale Gruppen verantwortlich seien. Vgl. FAZ, Pflastersteine, 20.1.1989, S. 3 bzw. FAZ, 95 Polizisten bei Demonstration in Berlin verletzt, 20.1.1989, S. 1. Siehe zudem FAZ, Umfragen beunruhigen die Berliner CDU, 26.1.1989, S. 4. Auch die spontan aufkommenden Proteste nach dem Berliner Wahlsonntag wurden negativ dargestellt. Vgl. FAZ, Wer noch konnte, trank Jahrgangssekt, 31.1.1989, S. 3. Siehe auch FAZ, Schreckgespenst, 1.2.1989, S. 12; FAZ, Schrei, 4.2.1989, S. 27; FAZ, Neu oder alt – aber beunruhigend, 8.2.1989, S. 5. 87 DOD, Verwaschenes Partei-Image ist nicht attraktiv, 3.2.198, 1. Siehe auch DOD, Kohl will Abmachung mit Polen über Rechte der Deutschen, 10.2.1989, S. 6 und DOD, Geißler. Schönhubers Wahlhelfer, 10.2.1989, S. 8. 88 Speziell die FR hielt die Republikaner lediglich für „etwas moderater“. Zwar stand die Einordnung der Partei als rechtsradikal in der FR nicht im Mittelpunkt, wurde aber auch zu keinem Zeitpunkt angezweifelt. Vgl. FR, Rechtsextreme spüren nach Krawall Aufwind, 20.1.1989, S. 4; FR, Kurs auf große Koalition, 31.1.1989, S. 1f.; FR, Traurige Zukunft, 2.2.1989, S. 3. Andere Einordnungen finden sich selten und tendieren – wie z. B. „die extrem nationalistischen Republikaner“ – in die gleiche Richtung. Vgl. diesbezüglich FR, Wer die Wahl hat…, 1.2.1989, S. 3. 89 Die Zeit, Wir haben uns entschieden, 27.1.1989 bzw. Die Zeit, Wie ein Messer durch die Butter, 3.2.1989. 90 Die Zeit, Markante Trennlinien und Aufklärung, 24.2.1989.
8.2. Die Republikaner in West-Berlin
381
deren Antisemitismus.91 Dass der Verfassungsschutz sie nicht als rechtsradikal bewerte, würde weniger für die Partei als gegen den Verfassungsschutz sprechen, hieß es lapidar.92 Schönhuber selbst wurde meist abwertend als „bayerischer Alpenwiesenmatador“ oder als ehemaliger SS-Mann bezeichnet.93 In der Gewerkschaftspresse blieb die politische Einordnung der Republikaner hingegen umstritten. Zwar wurde die Partei zumeist als Teil des Rechtsradikalismus wahrgenommen, aber hier verhinderte wohl der überparteiliche Charakter des DGB eine eindeutige Bewertung.94 Trotz der Differenzen wird schnell deutlich, dass die Frage, ob die Klassifizierung als rechtsradikal zutreffend sei, mittlerweile eine große Relevanz entfalten konnte. Wurde dies während der Serie von NPD-Wahlerfolgen in den sechziger Jahren nur in wenigen Außenseiterbeiträgen angezweifelt, war dies nun wesentlich umstrittener. Zwar hatte auch die NPD – wie vor ihr die DRP – versucht, sich nach außen hin möglichst unverdächtig darzustellen und vom Nationalsozialismus abzugrenzen, doch sie entstammte eindeutig dem rechtsradikalen Spektrum. Die Republikaner aber unterschieden sich von den anderen hier untersuchten Parteien, da sie keine originär rechtsradikale Parteigründung waren, sondern ihr Entstehungsort am rechten Rand der Unionsparteien – speziell der CSU – lag. Sie konnten daher für breite Gesellschaftsteile wesentlich glaubhafter rechtspopulistisch agieren und sich rechts-konservativ präsentieren. Letztlich war das 91 Allg. jüd. Wochenztg., Ein Signal, das nicht überhört werden darf, 3.2.1989, S. 1. An anderer Stelle wurden die Republikaner als eine „rechtsextreme Splitterpartei“ beschrieben. Vgl. Allg. jüd. Wochenztg., Weder links noch rechts, 27.1.1989, S. 12. 92 Allg. jüd. Wochenztg., Irrationalismus und Emotionen, 10.2.1989, S. 1f. 93 Allg. jüd. Wochenztg., Weder links noch rechts, 27.1.1989, S. 12 bzw. Allg. jüd. Wochenztg., Irrationalismus, 10.2.1989, S. 1f. 94 In einer Veröffentlichung über „erste Positionen des DGB zu den ‚Republikanern‘“, die der Bundesvorstand am 5. Sep. 1989 zustimmend zur Kenntnis genommen hatte, hieß es, dass diese eine populistische Protestpartei und „rechtsextrem“ sei. Ein Artikel in den GMH beschrieb sie als „postfaschistisch“ und „rechtsextrem-populistische Protestpartei der ‚kleinen Leute‘“. Vgl. ÖTV-Magazin, Intensiv aufklären. Positionen des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu „Republikanern“, Okt. 1989, S. 7; GMH 9 (1989), Die „Republikaner“. Profile einer neuen Partei, S. 537f. Für Jaschke hingegen waren die Republikaner ein Novum, da sie den rechtskonservativen Populismus mit den kommunikativen dichten Beziehungsnetzen und den organisatorischen Infrastrukturen des alten rechten Lagers verbänden, wie er in einem ausführlichen Artikel über die Geschichte der rechtsradikalen Szene ausführte. Vgl. GMH 9 (1989), Verschlungene Traditionen. Zur Geschichte des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, S. 522. In einem Bericht aus dem Jahr zuvor gingen die GMH noch davon aus, dass die Republikaner nicht „rechtsextrem“ im Sinne der Begrifflichkeiten des Verfassungsschutzes seien, nach der damit eine Steigerung von „rechtsradikal“ gemeint sei. Vgl. GMH 10 (1988), Alte Linke und Neue Rechte oder: Wer organisiert die Systemunzufriedenheit, S. 630–643, speziell S. 642f. Siehe auch Metall, Der Brandstifter als Biedermann, 30.6.1989, S. 8f.; ÖTV-Magazin, Votum für rechte Parteien ist ein Alarmsignal, Mai 1989, S. 26f.
382 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) öffentliche Auftreten der Partei „rechtspopulistisch“, die dahinterliegenden Vorstellungen aber oftmals rechtsradikal.95 Aber weil dies eben nicht zwangsläufig eindeutig war, traute die FAZ ihr schon im Herbst 1987 zu, die Tabugrenzen der Gesellschaft zu verschieben und den Unionsparteien entscheidende Prozentpunkte abspenstig zu machen.96 Zunächst lähmte der Konflikt um die Ausrichtung den organisatorischen Ausbau und die Erfolgsaussichten.97 Aber bereits im Oktober 1986 konnten bei der Landtagswahl in Bayern beachtliche Erfolge (3,0 Prozent) erzielt werden. Anschließend wurden bundesweit neue Landesverbände aufgebaut (1986 Nordrhein-Westfalen; 1987 Hessen), aber die Wahlergebnisse blieben ernüchternd. Die Teilnahme an der Hamburger Bürgerschaftswahl im November 1987 und der Bundestagswahl im Januar 1987 mussten mangels Kapazitäten sogar abgesagt werden. In Bremen erhielten die Republikaner 1987 – wie bereits erwähnt – nur 1,2 Prozent der Stimmen und mussten die Vormachtstellung der dortigen DVU zunächst anerkennen. Doch trotz der fehlenden Erfolge begannen sie damit, sich eine gesellschaftliche Basis aufzubauen. Der spätere Mythos der Bundeswehrund Polizistenpartei fand hier seinen Anfang und verlieh den Republikanern den 95 „Rechtspopulistisch“ ist dabei, wie eingangs beschrieben, als politische Strategie zu verstehen. Dieses Etikett sagt hingegen wenig aus über die politischen Positionen und ist keineswegs einfach die moderatere Variante von „rechtsradikal“. „Rechtspopulistisch“ agierende Parteien sind inhaltlich rechtslastige – oftmals auch eindeutig rechtsradikale – Gruppierungen, die sich zur Demokratie bekennen und versuchen, in der Öffentlichkeit gerade nicht als rechtsradikal oder sogar nationalsozialistisch wahrgenommen zu werden. Sie bemühen sich um Abgrenzung, unabhängig davon, ob sie klare personelle und ideologische Übereinstimmungen mit dem Rechtsradikalismus aufweisen. Insofern sind sowohl die DVU von Gerhard Frey als auch die NPD der sechziger Jahre, wie z. B. Die Zeit bemerkte, trotz ihrer vielfach rechtsradikalen Ideologien rechtspopulistische Parteien gewesen – nur entstand dieser Begriff erst später. Zwar kann eine Gruppe oder Partei ohne Frage auch nur teilweise rechtsradikalem Denken anhängen, zum Beispiel wenn nur ein Teil ihrer Mitglieder entsprechend argumentiert, dennoch ist diese dann letztlich ein Teil des rechtsradikalen Spektrums. Entscheidend ist, dass zumindest auch rechtsradikale Ideologieelemente vertreten bzw. entsprechende Argumente genutzt werden und eine Gruppierung somit nach rechts eindeutig offen ist. Vgl. Die Zeit, Trennlinien, 24.2.1989. Zur grundsätzlichen Thematik siehe Botsch, S. 92; Stöss, „Republikaner“, S. 30–33 und insbesondere S. 81–85. Siehe zu den Verbindungen der Partei zu eindeutigen Neonazis bzw. neonazistischen Mitgliedern auch Behrend, S. 3. 96 FAZ, Republikaner, 4.9.1987, S. 5. 97 Noch im März 1984 wurden zwar Landesverbände in Baden-Württemberg und Hamburg aufgebaut, bei den fast zeitgleich stattfindenden Kommunalwahlen in Bayern lautete das offizielle Endergebnis der REP allerdings 0,0 %. Zu Beginn des Jahres 1985 kamen dann Landesverbände in Niedersachsen und Schleswig-Holstein dazu, doch der Großteil der Mitglieder gehörte weiterhin zum bayerischen Landesverband. Vgl. Krueger, S. 61.
8.2. Die Republikaner in West-Berlin
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Anschein von Seriosität und Bürgerlichkeit.98 In den untersuchten Publikationen spielte dies allerdings keine größere Rolle.99 Im September 1987 wurde der Berliner Landesverband gegründet. Zeitgleich forderten immer mehr Stimmen innerhalb der Partei eine Kooperation mit Gerhard Frey und der DVU. Erst 1988 konnte Schönhuber mit Mühe ein Kooperationsverbot durchsetzen, um den offiziellen Abgrenzungskurs zum offenen Rechtsradikalismus beizubehalten. Aber verstärkte Austritte und auch Rücktrittsforderungen an Schönhuber zeigten die Unzufriedenheit zahlreicher Mitglieder. 1988 war ohnehin ein schwieriges Jahr, wie die Ergebnisse der Landtagswahlen in Baden-Württemberg (1,0 Prozent) und Schleswig-Holstein (0,6 Prozent) verdeutlichen, und wenig deutete auf kommende Erfolge. Als die Abgeordnetenhauswahl in West-Berlin im Januar 1989 anstand, war der Rechtsradikalismus in der Stadt allerdings schon länger wieder ein Thema.100 Auch den Wahlkampf der Republikaner prägten trotz der Abgrenzungsbemühungen Ausschreitungen und Proteste.101 Ihnen drohte eine ähnliche Stigmatisierung wie der NPD in den Wahlkämpfen der späten sechziger Jahre. Doch Schönhuber gelang es, diese potenziellen Negativnachrichten ins Positive zu wenden. Durch Darstellung der Proteste als Ausdruck linksradikaler „Pogromstimmung“ diskreditierte er diese erfolgreich. Statt negativer Auswirkungen konnten die Ausschreitungen sogar als Wahlwerbung und Element der Stimmungsmache 98 Vgl. Jaschke, Republikaner, S. 80f. 99 Während die FAZ dafür plädierte, die Republikaner nicht grundsätzlich zu disqualifizieren, sondern diese als „Polizistenpartei“ mit ihren legitimen Ansichten zur Gewaltverbreitung beim Thema „innere Sicherheit“ ernst zu nehmen, kritisierte die Gewerkschaftspresse diese Titulierung deutlich als propagandistischen Schachzug. Vgl. FAZ, Was Berlin jetzt braucht, 31.1.1989, S. 1; FAZ, Schreckgespenst, 1.2.1989, S. 12; Die Quelle 6 (1989), Republikaner haben schon ihr Ermächtigungsgesetz (Interview), S. 329f.; Die Quelle 10 (1989), Die Republikaner sind keine Polizisten-Partei, S. 526f. 100 Schon 1982 hatte eine Studie der Freien Universität Berlin ergeben, dass rechtsradikale Schmierereien und Witze in Schulen alltäglich seien, und damit eine Debatte in der Stadt ausgelöst. Parallel gab es Meldungen über neonazistische und antisemitische Vorfälle auch in anderen Bundesländern. In Berlin sprach Heinz Galinski bereits im Februar 1988 auf einer Sondersitzung des parlamentarischen Schulausschusses im Abgeordnetenhaus über die Problematik und forderte eine bedingungslose Aufklärung der Vorfälle. Die Vizepräsidentin des Bundestages, Annemarie Renger (SPD), wollte wissen, „welches geistige und politische Klima solche Sumpfblüten gedeihen“ lasse, aber eine grundsätzliche Debatte konnte sie damit nicht anregen. Vgl. Kurt Hirsch, Rechts, REPs, rechts. Aktuelles Handbuch zur rechtsextremen Szene, Berlin 1990, S. 10–12, 30; Taler, Skandal, S. 33; Ders., Verharmloser, S. 27–30. 101 Speziell am 18.1.1989 hatte ein Bündnis aus DGB, Alternativer Liste und anderen linken Gruppen zu Protesten gegen eine REP-Wahlveranstaltung aufgerufen und mehr als 10.000 Menschen ließen sich mobilisieren. Medial relevant wurde dieser Tag vor allem durch die mehr als hundert verletzten Menschen in der Folge von Auseinandersetzungen zwischen REP-Gegnern und der Polizei. Vgl. Fascher, S. 115f.
384 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) genutzt werden.102 Den Republikanern hätte geradezu das Herz hüpften müssen, als sie die Kämpfe der Linksradikalen mit der Berliner Polizei sahen, konstatierte die „Frankfurter Rundschau“, denn eine „ordentliche ‚Bambule‘ sorgt noch allemal für eine Erhöhung des Bekanntheitsgrades“.103 Auch die Ausstrahlung eines rassistischen Wahlwerbespots half, die Partei in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Dieser Wahlwerbespot, bei dem aufdringliche türkische Kinder, eine türkische Hochzeit, Herointote, Arbeitslose sowie gewalttätige und vermummte Demonstranten als Beispiele für die Folgen der bisherigen Politik gezeigt wurden, war ein wohlkalkulierter Skandal. Musikalisch unterlegt waren diese Bilder mit der bekannten Titelmelodie aus Sergio Leones Westernfilm „Spiel mir das Lied vom Tod“. Die Ausstrahlung führte zu heftigen Reaktionen und einhelliger Kritik. Der Intendant des „Sender Freies Berlin“ untersagte zunächst eine zweite Ausstrahlung wegen volksverhetzender Inhalte, musste diese Entscheidung aber nach einem Gerichtsbeschluss revidieren.104 Bitter kommentierte „Die Zeit“, dass der Sender „mit Hilfe der Justiz [gezwungen wurde], einen unerträglichen Wahlwerbespot auf die Bildschirme zu übertragen“, der eindeutig volksverhetzend sei.105 Inhaltlich holten die Republikaner ohnehin zum Rundumschlag aus. Neben Forderungen nach repressiver Migrationspolitik und aktivem Eintreten für die deutsche Einheit drehte sich der Wahlkampf aber vorrangig um Recht und Ordnung. Dennoch rechnete niemand mit ihrem Wahlerfolg. In der Gewerkschaftspresse finden sich vor der Wahl kaum Artikel zur Thematik – auch wenn dies vor allem daran gelegen haben dürfte, dass die Gewerkschaftspresse ohne die mittlerweile eingestellte „Welt der Arbeit“ kaum noch tagesaktuell publizierte. Dass aber auch die anderen Publikationen kaum Berichte veröffentlichten, deutet darauf hin, dass kein Erfolg der Republikaner im Vorfeld befürchtet wurde. Die „Allgemeine jüdische Wochenzeitung“ beschrieb diese entsprechend als „Splitterpartei“ und ergänzte, dass die Partei „kaum eine realistische Chance [habe], künftig mit Sitz und Stimme im Berliner Abgeordnetenhaus vertreten zu sein“.106 „Die Zeit“ berichtete hingegen mehrfach über die schlechte Stimmung in West-Berlin und erkannte be-
102 Vgl. Behrend, S. 8–10; Botsch, S. 93. 103 FR, Rechtsextreme, 20.1.1989, S. 4. 104 Vgl. Fascher, S. 115f.; Stöss, Republikaner, S. 41f. 105 Die Zeit, Subtil gehetzt, 27.1.1989. 106 Allg. jüd. Wochenztg., Weder links noch rechts, 27.1.1989, S. 12. So auch Allg. jüd. Wochenztg., Irrationalismus, 10.2.1989, S. 1f. Schon die Quantität der Artikel ist im Vorfeld minimal gewesen. Dass Galinski dies nach der Wahl explizit abstritt, ist unglaubwürdig, sonst wäre vorher mehr über die Republikaner geschrieben worden. Dass er sich bereits vorher vielfach warnend zu Wort meldete und allgemein vor der immer stärkeren Verbreitung rechtsradikaler Vorstellungen warnte, soll damit nicht bestritten werden. Vgl. Allg. jüd. Wochenztg., Signal, 3.2.1989, S. 1.
8.2. Die Republikaner in West-Berlin
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reits im Vorfeld, dass die CDU immer stärker auch von rechts attackiert wurde, dennoch rechnete auch sie nicht mit einem Erfolg der Republikaner.107 Wenngleich die FAZ seit Jahren vor den Erfolgschancen der Republikaner warnte, erklärte auch sie noch kurz vor der Wahl in West-Berlin, dass die Partei den Sprung in das Abgeordnetenhaus wohl nicht schaffen werde.108 Möglicherweise wollte sie derart auch den Eindruck erwecken, dass die Wahl dieser Partei eine verschenkte Stimme wäre und man lieber die CDU wählen solle. Die Spaltung der konservativ-bürgerlichen Wählerschaft vor Augen erklärte die FAZ, „daß jede Stimme für die Republikaner nur SPD und AL zur Macht in West-Berlin verhülfe“.109 Dass der geschasste frühere Innenminister Heinrich Lummer als Repräsentant des rechten Parteiflügels der CDU dazu aufrief, von einer Wahl der Republikaner abzusehen, wurde ebenfalls begrüßt, da es helfe, der Partei die rechten Stimmen zu sichern.110 Wesentlich deutlicher noch artikulierte die „Frankfurter Rundschau“ bereits vor der Wahl, dass die Republikaner auf dem Vormarsch seien und die Tabuschwelle bezüglich rechter Argumentationen gesunken sei.111 Prophetisch endete ein Artikel über die allgemeinen Polarisierungstendenzen und den ausgemachten gesellschaftlichen Rechtsruck: „Es scheint, als werde der West-Berliner Wahlkampf offene gesellschaftspolitische Rechnungen hinterlassen, die irgendwann einmal irgendeiner einlösen muß“.112 Doch trotz dieser Vorahnungen, die deutlich warnender waren als in den anderen Publikationen, sah auch die FR das Resultat in dieser Höhe nicht kommen. Die Befürchtung einer dramatisch niedrigen Wahlbeteiligung war weitaus größer als die eines Wahlerfolges der Republikaner.113 Ohnehin waren Schönhuber und seine Partei nur im Fall von Skandalen oder gewalttätigen Ausschreitungen von Interesse und tauchten ansonsten selbst in der Berichterstattung der FR vor der Wahl kaum auf.114 Es ist allerdings sehr wahrscheinlich, dass die geringe Beachtung auch dem Ziel diente, die allgemeine Empörungsdebatte über die Partei nicht noch zusätzlich anzufachen. Man sollte sie am besten ignorieren, denn sogar Schönhuber bemerkte, dass sich 107 Die Zeit, Wir haben uns entschieden, 27.1.1989. 108 FAZ, Umfragen, 26.1.1989, S. 4; FAZ, Angst kurz davor, 27.1.1989, S. 1; FAZ, Aufruf, 27. 1.1989, S. 5. 109 FAZ, Umfragen, 26.1.1989, S. 4. 110 FAZ, Aufruf, 27.1.1989, S. 5. 111 FR, Rechtsextreme, 20.1.1989, S. 4. 112 FR, Wenn doch einer mal ein Blümchen nähme, 17.1.1989, S. 3. 113 Diese seien „ein völlig unbekannter Faktor“, hieß es noch etwa zehn Tage vor der Wahl. Vgl. ebd.; siehe auch FR, Rechtsextreme, 20.1.1989, S. 4. 114 Neben den eskalierten Protesten gegen eine Wahlveranstaltung der Partei berichtete die FR lediglich kurz über die entstandene Empörung bezüglich des ausländerfeindlichen TV-Wahlwerbespots, den die Mitglieder des Rundfunkrates als „eindeutig volksverhetzend, ekelerregend oder abstoßend“ bezeichneten. Vgl. FR, Rechtsextreme, 20.1.1989, S. 4. So auch FR, Keine Sendezeit für Fremdenhaß, 18.1.1989, S. 4.
386 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) die Früchte des auf Provokation angelegten Wahlkampfes langsam für die Partei auszahlen.115 Vor allem die Medien hätten Schönhubers „Kraftsprüche“ verbreitet und damit erst dessen Aufstieg ermöglicht, argumentierte die Zeitung auch nach der Wahl: „Hätten nicht Bambule und Polizeieinsatz […] diese Splitterpartei erst richtig als Adressaten für Protestwähler ins Licht der Öffentlichkeit gerückt – wer weiß, wie es der REP ergangen wäre“.116 Die geringe Bedeutung der Republikaner im Vorfeld beruhte aber vor allem auf einem nur gering ausgeprägten Problembewusstsein der FR. Trotz beziehungsweise vielleicht gerade wegen der zahlreichen Skandale waren die Republikaner ohne großen Wahlkampf am 29. Januar 1989 in Berlin erfolgreich. Mit 7,5 Prozent erhielten sie aus dem Stand ein außerordentlich gutes Ergebnis und zogen mit elf Abgeordneten ins Abgeordnetenhaus ein. Sie erlangten zudem 36 Mandate in elf von zwölf Berliner Bezirksparlamenten und konnten wegen des besonderen Status West-Berlins zwei Abgeordnete in den Deutschen Bundestag entsenden. Das herausragende Ergebnis intensivierte die Debatte über die Partei, führte zunächst aber auch im nicht-staatlichen Bereich zu vielfach erschrockenen Reaktionen. Spielte die Bremer Wahl für die Gewerkschaftspresse noch eine untergeordnete Rolle, war das West-Berliner Ergebnis der Republikaner ein außerordentlich wichtiges Thema.117 Viele gewerkschaftliche Berichte gaben zu bedenken, deren Ergebnis in Berlin verdeutliche, dass rechtsradikale Wahlerfolge „keine vereinzelte Erscheinung“ seien.118 „Geköchelt hat das braune Gebräu schon lange“, bemerkte die „Metall“.119 An anderer Stelle erklärte die Zeitung, dass die Wahlchancen rechter Parteien so gut wie seit zwei Dekaden nicht mehr seien.120 Der Einbruch rechter Meinungen in größere Teile der Gesellschaft habe die „Büchse der Pandora geöff115 FR, Rechtsextreme, 20.1.1989, S. 4. 116 FR, Nichts ist so alt wie ein Wahlplakat von gestern, 31.1.1989, S. 3. Siehe auch FR, Das ganze Ausländerzeugs und so, 9.2.1989, S. 3. 117 Die diesbezüglich große Anzahl an Publikationsbeiträgen überrascht auch, weil die Welt der Arbeit 1988 eingestellt wurde und somit der bisher ergiebigste Quellenfundort zur Gewerkschaftspresse nicht mehr zur Verfügung stand. Dafür kann das Septemberheft der Gewerkschaftlichen Monatshefte 1989 fast als REP-Sonderausgabe charakterisiert werden. 118 GMH 7 (1989), Zur Ausländerpolitik des DGB, S. 385–393, hier S. 385; GMH 9 (1989), Aktuelle Wahlerfolge kleiner Rechtsparteien in der Bundesrepublik, S. 524– 537, hier S. 524; ÖTV-Magazin, Votum, Mai 1989, S. 26f.; Wolfgang Uellenberg / DGB-Bundesvorstand, Abt. Gewerkschaftliche Bildung (Hg.), Die Republikaner. Eine rechte Partei im Aufwind? Erste Analysen und Positionen, Düsseldorf 1989, S. 2; Dies. (Hg.), Rechtsradikalismus, Rechtsextremismus. Ursachen, Analysen, Problemlösungen, Düsseldorf 1990, S. 36. 119 Metall, Die Braunen sind da, aber wir auch, 24.2.1989, S. 14f. So auch GMH 9 (1989), Traditionen, S. 513. 120 Metall, Rechtsextremisten ins Parlament, 2.6.1989, S. 14.
8.2. Die Republikaner in West-Berlin
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net“, hießt es in einer Einzelveröffentlichung des DGB.121 Fast verzweifelt wirkte da der Appell der „Metall“, man solle darin Trost finden, dass Grüne und SPD mit ihrer Zustimmung zur Gleichberechtigung aller Menschen von einer absoluten Mehrheit der Bürger in West-Berlin gewählt worden seien.122 Da die sogenannte „Ausländerfrage“ zur Mobilisierung über das eigentlich rechtsradikale Potenzial der bundesdeutschen Gesellschaft hinaus tauge, hielt man hier nun auch den Einzug der Republikaner in den nächsten Bundestag für möglich.123 Die Wucht, mit der die Partei in die Öffentlichkeit drängte, führte zu der Erkenntnis, „daß der Rechtsradikalismus erstmals wieder […] Zukunft hat“.124 „Die Zeit“ ergänzte, dass der Schock tief sitze, und erklärte das Resultat zu einer „Schande“.125 Die Zeitung nahm es durchaus als Zensur wahr, dass die rechten Agitatoren nun „zu parlamentarischen Würden gelangt“ seien und somit „jener Ungeist des Hasses und der Niedertracht […], der den Niedergang der ersten deutschen Republik eingeleitet hatte“, wieder darauf verweisen könne, „demokratisch gewählt“ worden zu sein.126 Das Resultat der Republikaner wertete die Zeitung zudem als weitaus gefährlicher als die Erfolge der NPD in den sechziger Jahren, weil die damals noch weitgehenden Tabugrenzen in Bezug auf die NS-Vergangenheit heute längst aufgeweicht seien und nicht mehr als Schutz vor einem weiteren Zuwachs des Rechtsradikalismus fungieren könnten.127 Der jüngste Wahlerfolg werde die Mitgliederzahlen noch zusätzlich steigen lassen.128 Dass die Wahl etwas verändert hatte, zeigt sich auch an den zum Teil sehr langen Berichten zum Status quo des Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik, welche „Die Zeit“ nun veröffentlichte, und die sich neben den Republikanern auch NPD, DVU, FAP sowie neonazistischen Gruppierungen intensiver widmeten.129 Ohne Zweifel, so das bittere Fazit, wirft das Wahlergebnis „ein schlimmes Licht auf den Gesamtzustand unserer Politik“ und provozierte „Die Zeit“ zu einem Weimar-Vergleich, der nach wie vor dann zur Sprache kam, wenn ein Ereignis als besonders einschneidend wahrgenommen wurde.
121 Uellenberg / DGB-Bundesvorstand, Republikaner, S. 36. 122 Metall, Rechtsextreme salonfähig gemacht, 10.2.1989, S. 4. 123 Die Quelle 12 (1989), Unvereinbarkeitsbeschlüsse lösen das Problem nicht, S. 647f.; Uellenberg / DGB-Bundesvorstand, Rechtsradikalismus, S. 4–6. 124 Die Quelle 12 (1989), Unvereinbarkeitsbeschlüsse, S. 647f. 125 Die Zeit, Wenn den Parteien das Rückgrat fehlt, 3.2.1989. 126 Die Zeit, Messer, 3.2.1989. 127 Die Zeit, Parolen, 17.2.1989. 128 Ebd. 129 Vgl. z. B. zur FAP Die Zeit, Biedermann und Brandstifter, 17.2.1989. Für einen Gesamtüberblick zum Rechtsradikalismus siehe Die Zeit, Parolen, 17.2.1989.
388 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) Ganz ähnlich bewertete auch die „Allgemeine jüdische Wochenzeitung“ das Berliner Wahlergebnis als ein „Signal“, welches nicht überhört werden dürfe: „Ernüchterung macht sich breit, Enttäuschung, ja bei vielen Entsetzen. […] Und es ist in der Tat erschütternd feststellen zu müssen, daß in dieser Stadt, der niemand die Weltoffenheit absprechen würde, eine solche Partei auf Anhieb, aus dem Stand, den Einzug in das Abgeordnetenhaus schaffen konnte.“130
Erneut zeigt sich die seit den sechziger Jahren immer deutlicher artikulierte negative Wahrnehmung der westdeutschen Gesellschaft. Nicht nur würde diese rechtsradikale Parteien wählen, sondern dadurch die seit Jahrzehnten beklagte Autoritätsfixierung der Deutschen beweisen.131 Ähnlich wie nach dem Wahlerfolg der DVU 1987 betonte die „Allgemeine“, dass der Einzug in das Abgeordnetenhaus „noch nicht dramatisch“ sei, katastrophal aber wäre es, wenn „diese Sammlungsbewegung primitiver Stammtischbrüder Einfluß auf Herzen und Hirne der Menschen und auf die Politik in diesem Staate nehmen“ könnte.132 Eine besondere Bedrohungswahrnehmung ergibt sich mithin noch nicht, doch dies könne sich angesichts des aktuellen gesellschaftlichen Rechtstrends schnell ändern. Zwiegespalten berichtete auch die „Frankfurter Rundschau“. Einerseits äußerte sie, als das West-Berliner Wahlergebnis bekannt gegeben wurde, deutliche Sorgen und zitierte entsetzte Stimmen aus Politik und Gesellschaft.133 Dass eine radikale Opposition aus dem Stand heraus auf 7,5 Prozent der Stimmen kommen konnte, „ist seit Zeiten der NPD in den späten 60er Jahren nicht mehr geschehen“.134 Es sei „das seltsamste aller denkbaren Ergebnisse“, erklärte die Zeitung und schlussfolgerte: „Nichts geht mehr.“135 Ein auf den ersten Blick pessimistischer Verweis auf Weimar betont dann andererseits das Außergewöhnliche an diesem Wahlergebnis und somit die grundlegende Stabilität der Bundesrepublik: „Um das [Berliner Ergebnis] einzuordnen, muss man nicht gleich panisch gefärbte Parallelen zur Weimarer Republik ziehen. Dennoch: Am Wochenende wurde vorgeführt, daß der gewohnt glatte und meist beruhigende Mechanismus nicht immer funktioniert.“ Allerdings weist diese Aussage deutlich darauf hin, dass die 130 Allg. jüd. Wochenztg., Signal, 3.2.1989, S. 1. 131 Ebd. bzw. Allg. jüd. Wochenztg., Irrationalismus, 10.2.1989, S. 1f. 132 Allg. jüd. Wochenztg., Irrationalismus, 10.2.1989, S. 1f. 133 Vgl. FR, Gefahr für die Demokratie, 31.1.1989, S. 13. „Enttäuscht und schockiert“ sei auch der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, der in der FR betonte, dass das Ergebnis „kein Renommee für das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland“ sei. Vgl. FR, Enttäuscht und schockiert, 31.1.1989, S. 1. So ähnlich („peinlich“) auch FR, Von der Demagogie im Kammerton bis zu markigen Sprüchen, 31.1.1989, S. 3. 134 FR, Wähler ohne Chance für ein konstruktives Mißtrauensvotum, 31.1.1989, S. 4. 135 FR, Wahlplakat, 31.1.1989, S. 3.
8.2. Die Republikaner in West-Berlin
389
Stabilität der Bundesrepublik weitgehend gegeben sei.136 Auffallend ist ohnehin, dass die Zeitung das Ergebnis trotz dieser klaren Unmutsbekundungen, ähnlich wie schon 1987 nach dem Erfolg der DVU in Bremen, keinesfalls als besonders dramatisch beschrieb. Die FR konnte dem Wahlausgang sogar Positives abgewinnen. Dies sei das späte Ende der Nachkriegszeit, denn die Angst vor einem zerklüfteten Parteiensystem sei verschwunden und die Fokussierung auf eine starke Regierung habe abgenommen.137 Ein Artikel, der die Reaktionen in zahlreichen europäischen Ländern auswertete, verwies neben der schädlichen Wirkung für das bundesdeutsche Ansehen sofort auf Stimmen, welche die spontanen Proteste gegen das Wahlergebnis positiv hervorhoben.138 Auch Israels Regierung habe sich zwar besorgt gezeigt, allerdings gleichzeitig betont, dass keine neonazistische Gefahr bevorstehe und sie der Bundesregierung vollständig vertraue.139 Dass die Republikaner in der DDR-Propaganda nun als Begründung für den Fortbestand der Berliner Mauer herangezogen wurden, wirkte für die FR eher wie ein bittersüßes, ironisches Bonbon denn als ernst zu nehmende politische Argumentation.140 Weiterhin schielte die Zeitung nach rechtsradikalen Manifestationen auf die Reaktionen im Ausland, vorbei aber waren die Zeiten, in denen sie dort eine Gefahr für die Legitimität der Bundesrepublik erkannte. Die Schockwirkung des Berliner Ergebnisses war allgemein. Als das Berliner Ergebnis in der Öffentlichkeit bekannt wurde, war dies zunächst auch für die FAZ eine Überraschung.141 Wenige Tage nach der Wahl würde der Schreck langsam nachlassen, der Schock hingegen noch andauern, gab die Zeitung ungeschminkt zu.142 Während linksliberale und jüdische Stimmungen dabei vor einem Rechtsruck der Gesellschaft warnten, sorgte sich die FAZ um eine allgemeine Radikalisierung der Gesellschaft und begann früh mit publizistischen Reparaturarbeiten. Die Republikaner seien die Gewinner der Wahl,143 aber dass gerade die „exponierte und gefährdete Stadt Berlin“ nun unregierbar sei, war in ihren Augen das noch viel wichtigere Ergebnis.144 Die Abwahl der CDU-geführten Regierung sei insofern wesentlich folgenreicher als der Wahlerfolg der Republikaner.145 Ohnehin 136 FR, Was ist in Berlin passiert?, 31.1.1989, S. 3. 137 Ebd. 138 FR, International besorgte Stimmen über den Erfolg der Rechtsaußen, 1.2.1989, S. 4. Diese betonte die FR auch in einem eigenen Artikel. Vgl. FR, Kurs, 31.1.1989, S. 1f. 139 FR, Enttäuscht, 31.1.1989, S. 1. FR, Mauer als Schutzwall gegen Republikaner?, 31.1.1989, S. 4; FR, Stimmen, 140 1.2.1989, S. 4. 141 Vgl. FAZ, Berlin, 30.1.1989, S. 1; FAZ, Lummer eilt unauffällig dem Ausgang zu, 30.1.1989, S. 3; FAZ, Berlin, 31.1.1989, S. 1; FAZ, Schönhuber, 2.2.1989, S. 21. 142 FAZ, Schrei, 4.2.1989, S. 27. 143 FAZ, Erfolg, 30.1.1989, S. 2; FAZ, Berlin, 31.1.1989, S. 1; FAZ, In sieben Bezirken ist jetzt die SPD die stärkste Partei, 31.1.1989, S. 3. 144 FAZ, Berlin. 30.1.1989, S. 1. Siehe auch FAZ, Schrei, 4.2.1989, S. 27. 145 FAZ, Bezirken, 31.1.1989, S. 3.
390 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) könne: „[v]on einer Gefahr des ‚Neo-Faschismus‘ […] in West-Berlin nicht die Rede sein“.146 Den Aussagen des SPD-Spitzenkandidaten Momper, dass der Erfolg der Partei dem Ansehen der Bundesrepublik schade, stimmte die FAZ dennoch zu.147 Es sei peinlich für die Stadt Berlin und den Westen sowie Munition für die DDR-Propaganda.148 Wenngleich die Reaktionen im westeuropäischen Ausland ähnlich kritisch und warnend waren, zeigte sich anhand des zusammenfassenden relativ kurzen Artikels zu diesem Thema, dass diesem Blick nach draußen auch hier nicht mehr die Bedeutung zukam wie in früheren Zeiten.149 Dass die Partei Die Republikaner etwas bewegt hatte, zeigt sich selbst im „Arbeitgeber“. Sah die BDA noch nach dem Erfolg der DVU in Bremen 1987 keinen Anlass für eine Stellungnahme, finden sich in Zusammenhang mit den Erfolgen der Partei gleich mehrere Meinungsäußerungen. Die Republikaner wurden, wie auch die Berliner Alternative Liste, als potenzielle Gefährdung der Gesellschaftsordnung eingeschätzt. Ähnlich wie in der FAZ hieß es in einem Wahlkommentar ironisch: „Der – wenn es denn paßt – vielbeschworene mündige Bürger hat in systemgefährdender Quantität Grüne und Republikaner gewählt.“150 Als der Rechtsradikalismus ein besonders relevantes Niveau erreichte und zu einer Gefährdung der gesellschaftlichen Stabilität hätte führen können, thematisierte ihn auch die Zeitschrift „Der Arbeitgeber“. Dessen Relevanz schien in der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraumes auch für die Arbeitgeberseite wieder zuzunehmen.151
146 FAZ, Schreckgespenst, 1.2.1989, S. 12. Siehe auch FAZ, Neu, 8.2.1989, S. 5. 147 FAZ, Schlappe, 30.1.1989, S. 1f.; FAZ, Beschränkt, 31.1.1989, S. 12. Auch in der FAZ wurde betont, dass die Israelis vollstes Vertrauen in die Bundesregierung hätten. Vgl. FAZ, Besorgnis in Israel über Wahl-Erfolg der Republikaner, 31.1.1989, S. 5. 148 Die Äußerungen der DDR-Presse, dass der „antifaschistische Schutzwall“ in Berlin aufgrund des Ergebnisses der Republikaner weiterhin seine Aktualität habe, wurden auch von der FAZ eher der Vollständigkeit halber veröffentlicht. Vgl. FAZ, Ost-Berliner Kommentare, 31.1.1989, S. 4. Siehe zur Reaktion in der DDR auch FAZ, Die DDR sieht in West-Berlin den Faschismus wieder salonfähig gemacht, 1.2.1989, S. 2. 149 FAZ, Die Abstimmung in Berlin soll warnen, 1.2.1989, S. 2. 150 Der Arbeitgeber 21 (1989), Die Lage war noch nie so kompliziert, S. 760. 151 Dennoch zeigen Artikel zur Berliner Wahl ohne Nennung der Republikaner, dass deren Bedeutung nicht allzu hoch eingeschätzt wurde. Siehe z. B. Der Arbeitgeber 2 (1989), Berliner Wahlforderungen, S. 43. Monate später beschrieb zudem ein Artikel von Golo Mann den Rechtsterrorismus als potenziell bedrohlich, ergänzte aber, dass es absolute Sicherheit ohnehin nicht gebe. Vgl. Der Arbeitgeber 10 (1989), Genuß der Macht durch List und Grausamkeit, S. 392f.
8.3. Die Lehre(n) von Berlin
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8.3. Die Lehre(n) von Berlin Das Berliner Ergebnis hat nicht nur die Debatte über die Republikaner intensiviert, es schien auch der parlamentarische Durchbruch der Partei zu sein, die fortan immer öfter als fester Bestandteil eines neuen Fünf-Parteiensystems gesehen wurde.152 Erneut war bewiesen, dass eine Partei in der Bundesrepublik mit einem dezidiert ausländerfeindlichen Wahlkampf Erfolg erzielen konnte.153 Eng verknüpft war der Erfolg mit dem Zuzug von „Aussiedlern“ aus der Sowjetunion und anderen Staaten des Warschauer Paktes in die Bundesrepublik. „Die Ausländer und die Aussiedler werden besser versorgt als die Einheimischen“, beschreibt „Die Zeit“ die verbreitete Gefühlslage dieser Monate.154 Sie betonte zwar, dass es bis dato unklar bleibe, ob „eine dumpfe unspezifische Ablehnung fremder Kulturen oder Furcht vor unliebsamer Konkurrenz um preiswerten Wohnraum und Arbeitsplätze“ ausschlaggebend für die Hinwendung zu den Republikanern sei, an anderer Stelle erklärte die Zeitung aber, dass es in Bezug auf Einwanderer aus der Türkei wohl reiner Rassismus sei, während die Aussiedler vielmehr „als Konkurrenz angesehen [werden], die Angst macht“.155 Insbesondere die gewerkschaftlichen Publikationsorgane ergriffen Partei für Einwanderung, das Recht auf Asyl und die weitgehende Integration von Migranten in die Gesellschaft.156 Mehrfach betonten die Publikationen, wie wichtig es sei, dass Gewerkschaftsmitglieder in sämtlichen Lebenslagen vom Betrieb bis zum Freundeskreis gegen rechtsradikale Einstellungen vorgingen und die argu-
152 Vgl. Jaschke, Republikaner, S. 105; Stöss, Rechtsextremismus 2000, S. 60. 153 Der Aufstieg des Rechtsradikalismus war allerdings vorher schon zu erkennen. Seit der Veröffentlichung der SINUS-Studie 1980 und den rassistischen Vorfällen in Berlin musste jedem klar sein, dass es ein größeres rechtsradikales Potenzial in der deutschen Bevölkerung gab. Auch die vorherigen Wahlerfolge der Partei und die der rechtsradikalen Konkurrenz waren klare Warnzeichen. 154 Die Zeit, Hat denn niemand etwas gerochen?, 3.2.1989. 155 Die Zeit, Ein Denkzettel für den Senat, 3.2.1989 bzw. Die Zeit, Hat denn niemand etwas gerochen?, 3.2.1989. 156 Als Reaktion auf das Erstarken der rechtsradikalen Kräfte und den Anstieg von Fremdenfeindlichkeit setzte der DGB auf eine Kampagne zur Unterstützung der Menschen mit Migrationshintergrund. Unabhängig von der momentanen Situation sei dies eine moralische Verpflichtung gegenüber den Gewerkschaftern, die der „Vernichtung durch die Nazidiktatur nur durch die Flucht ins Ausland und die Aufnahme als Asylberechtigte entkommen konnten.“ Vgl. GMH 7 (1989), Ausländerpolitik. Siehe auch GMH 7 (1989), Multikulturelle Gesellschaft – Realität heute, S. 443; Metall, Kommunales Wahlrecht für Ausländer, 10.2.1989, S. 3; Metall, Die Zukunft gestalten. Grundsatzreferat, Anträge und Entschließungen. 16. ordentlicher Gewerkschaftstag der IG Metall in Berlin und Frankfurt Okt./Nov. 1989. Sonderdruck zu Metall 2 (1990), S. 112.
392 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) mentative Auseinandersetzung im Alltag führten.157 Dennoch argumentierte ein Artikel in den GMH, dass die Einwanderung mit Rücksicht auf die prekäre Stimmungslage „behutsam gesteuert“ werden und somit im Sinne der fremdenfeindlichen Agitation reguliert werden müsse.158 Dies war sicherlich auch eine Reaktion auf die innergewerkschaftlichen Befürchtungen hinsichtlich der steigenden Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Dass die offizielle Ausländerpolitik der Gewerkschaften im Widerspruch zu Teilen der eigenen Klientel stand,159 führte zu gewissen Relativierungen. Insofern rekurrierte die gewerkschaftliche Argumentation, dass die bundesdeutsche Fremdenfeindlichkeit nicht rassistisch sei, sondern in erster Linie kapitalismuskritisch die Verteilungsgerechtigkeit infrage stelle, offensichtlich nicht nur auf dem Wunsch, das deutsche Image zu schonen, sondern insbesondere die eigene Klientel.160 Dass die Gewerkschaften auf das Berliner Ergebnis schockiert reagierten, war nämlich nicht nur eine Folge der allgemeinen Bestürztheit über rechte Wahlerfolge, sondern beruhte darüber hinaus auf der Tatsache, dass die Republikaner in der gewerkschaftlichen Klientel erfolgreich Stimmen mobilisieren konnten.161 Ein Bericht in den „Gewerkschaftlichen Monatsheften“ konstatierte, „daß es einer rechtsextremistischen Partei nach 1945 erstmals zu gelingen scheint, traditionelle, generationelle und soziologische Immunitätsbarrieren zu überwinden, die gestern noch dem Angriff von Rechtsaußen standhielten.“162 Auch „Die Quelle“ bemerkte, dass keiner mehr glaube, dass „die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft gegen ‚Republikaner‘ immun macht“.163 Be157 Die Quelle 12 (1989), Unvereinbarkeitsbeschlüsse, S. 647f.; ÖTV-Magazin, Intensiv, Okt. 1989, S. 7; Uellenberg / DGB-Bundesvorstand, Republikaner, S. 3. 158 Hier heißt es weiter: „Was die Grünen unter dem Stichwort ‚multikulturelle Gesellschaft‘ verstehen, nämlich ein Aufenthaltsrecht für die 4 Milliarden Menschen der Weltbevölkerung bei uns, erzeugt erst Überfremdungsängste. Das ist nicht unsere Vorstellung von Gesellschaft.“ Vgl. GMH 7 (1989), Gesellschaft, S. 446f. 159 Diesbezügliche Umfragen gibt es zwar erst seit den neunziger Jahren, doch deren eindeutige Ergebnisse dürften auch für die späten achtziger Jahre gelten. So waren stets rund elf Prozent der gewerkschaftlich Organisierten für rechtsextremes Denken anfällig. Zudem erwog rund ein Drittel der jungen Gewerkschafter zwischen 18 und 24 Jahren die Wahl einer rechtsradikalen Partei. Vgl. Dammann. Siehe auch Meier, Gewerkschaftsmäßig. 160 Vgl. diesbezüglich GMH 9 (1989), Wahlerfolge, S. 535. 161 GMH 9 (1989), Gewerkschaften und Rechtsextremismus, S. 577–584, hier S. 577. 162 GMH 9 (1989), Profile, S. 544. 163 Die Quelle 10 (1989), Republikaner, S. 526f.. So auch Uellenberg / DGB-Bundesvorstand, Republikaner, S. 2. Die Frage, ob Neonazis mehr oder weniger unerkannt Mitglieder einer DGB-Gewerkschaft sein könnten, schlug hohe Wellen. Während die einen davon ausgingen, dass definitiv Neonazis in der eigenen Organisation zu finden seien, stritten andere dies vehement ab. Zwar solle es weiterhin beim Eintritt „keine Gesinnungsprüfung“ geben, aber sobald „sich ein Neonazi in einer DGB-Gewerkschaft zu erkennen gibt, fliegt der sofort raus“, erklärte der Vorsitzende des DGB-Kreises Essen, Johannes Gorlas, der Welt der Arbeit bereits knappe eineinhalb
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reits 1988 konstatierte ein Bericht, der Einbruch rechtsradikaler Einstellungen in gewerkschaftlich organisierte Milieus sei zu lange ignoriert worden.164 Dass sich auch ein Artikel im „Arbeitgeber“ an der Diskussion bezüglich der Aufnahme der Spätaussiedler beteiligte und hier zu einem eindeutig positiven Fazit kam,165 war angesichts der migrationsfeindlichen Beschlüsse der BDA von 1983 überraschend.166 Allerdings blieb die Zeitung gegenüber der Einwanderung auch in den neunziger Jahren aufgeschlossen und verteidigte diese als ökonomischen Gewinn.167 Des Weiteren beteiligte sich nun auch der Bund der Vertriebenen an der Debatte, der seit den frühen siebziger Jahren seine Einflussoptionen auf die Gesellschaft deutlich eingebüßt hatte und in der Debatte über den Umgang mit dem Rechtsradikalismus vor allem durch Abwesenheit aufgefallen war. Mit dem verstärkten Zuzug der „Aussiedler“ aber versuchte der BdV, sich als deren logischer Verbündeter darzustellen, und beteiligte sich zum Teil in persönlichem Engagement der Funktionäre an der Eingliederung der Neuankömmlinge. In seiner Publizistik vertrat er entsprechend eine explizit zustimmende Haltung zur Aussiedlerimmigration. Diese habe positive Effekte auf die Demografie und bringe keine unlösbaren Probleme mit sich: „Die neuen Mitbürger [ein Satz vorher explizit als Deutsche bezeichnet] werden sich voll integrieren. […] Fremdenangst ist unangebracht.“168 Insofern gab es durchaus einflussreiche positive Stimmen zur Einwanderung. Ohnehin taugt Rassismus allein nicht als Erklärung für den Wahlerfolg der ausländerfeindlichen Republikaner. Vielmehr kristallisierte sich im Laufe der Zeit ein Ursachenbündel heraus, welches auch in der nicht-staatlichen Debatte relativ konsensual behandelt wurde und nur im Detail spezifische Konturen aufwies.169 Ein grundlegender Punkt war zunächst, dass DVU und NPD aufgrund alliierter Einschränkungen in Berlin nicht antreten durften und die Republikaner somit konkurrenzlos im rechtsradikalen Lager waren. Daher konstatierte „Die Zeit“ Jahre vor der Berliner Wahl. Vgl. WdA, Ausländerhetze – DGB. Frechheit, 24.9.1987, S. 8. 164 Vgl. GMH 10 (1988), Systemunzufriedenheit, S. 637, 640. 165 Der Arbeitgeber 4 (1989), Ein Gewinn für die Bundesrepublik, S. 135. 166 Der Bundesvorstand der BDA veröffentlichte hier seine Grundpositionen. Die Bundesrepublik sei kein Einwanderungsland und die „Anwesenheit der Ausländer in Deutschland [sei] längst über die arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Bezüge hinaus zu einem bedeutenden gesellschaftspolitischen Problem geworden“, sodass „die Grenzen der Aufnahmefähigkeit für Ausländer erreicht sind“. Vgl. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Das Ausländerproblem. Die Grundauffassung der Arbeitgeber. Verabschiedet vom Vorstand der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Köln 1983. 167 Vgl. z. B. die Ausgaben 23 (S. 924), 44 (S. 1000–1004) des Jahres 1992 in der Zeitschrift Der Arbeitgeber. 168 DOD, Keine unlösbaren Probleme bei der Eingliederung, 10.2.1989, S. 7. 169 Für einen ersten Überblick über die multikausalen Ursachen siehe Behrend, S. 15–20; Leggewie, Republikaner, S. 17–28.
394 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) zwar eine regionale Besonderheit, kam aber zu dem Schluss, dass sich dies schnell ändern könne, sobald ähnliche Bedingungen vorgefunden werden. „Deswegen“, so das Fazit der Zeitung, „wäre es fatal, die Erfolge der Republikaner als singuläres Ereignis der ‚Insel‘ Berlin abzutun.“170 Neben der ausländerfeindlichen Komponente waren die europaweiten Wahlerfolge rechtskonservativer bis nationalistischer Parteien dieser Jahre vor allem auch das Resultat tiefgreifender sozio-kultureller Veränderungen im gesamten westeuropäischen Raum.171 Die traditionellen Milieus hatten sich aufgelöst und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten einem Teil der Gesellschaft Abstiegsperspektiven verdeutlicht. Entsprechend rückten auch in den Publikationen die sozialen Probleme der Bundesrepublik und speziell West-Berlins in den Fokus. Die FAZ bemerkte zum Beispiel, hinter dem Wahlerfolg stünden „weithin materielle Motive [und bei] dieser Motivlage haben Randparteien wie die Republikaner, die dazu mit fremdenfeindlichen Parolen operieren, leichtes Spiel“.172 Nach dem überraschend guten Wahlerfolg der Republikaner fokussierte auch die „Frankfurter Rundschau“, nachdem dies noch 1983 sowie nach dem DVU-Ergebnis in Bremen keine besondere Rolle gespielt hatte, verstärkt auf soziale Probleme: „Wo die Wohnungen in West-Berlin am umstrittensten sind“, schrieb sie zwei Tage nach dem Wahlsonntag, „haben die Republikaner jedenfalls die größten Erfolge erzielt“.173 Vor allem in der unteren Mittelschicht sei akute Angst vor dem sozialen Absturz vorhanden, hieß es anschließend. „Die Zeit“ ergänzte, dass es in „Wirklichkeit […] um eine unumgängliche Modernisierungskrise“ gehe: „Die Renovierung unserer Sozialsysteme rührt an vertraute Besitzstände. Eine Öffnung der Gesellschaft nach außen verlangt einen Wandel unserer inneren Gewohnheiten. Der internationale Wettbewerbsdruck zwingt zur Preisgabe verfestigter Sicherheiten. Die ökologischen Probleme nötigen zur Änderung unsere Produktionsstrukturen.“174
Zudem nannte „Die Zeit“ vielfach konkrete Beispiele oder beschrieb Gespräche mit potenziellen Modernisierungsverlierern, um die negative Stimmung in der 170 Die Zeit, Denkzettel, 3.2.1989. 171 Vgl. Wirsching, S. 416. 172 FAZ, Wo es bröckelt, 6.2.1989, S. 12. Siehe auch FAZ, Schnell leert sich in Bonn das Thomas-Dehler-Haus, 30.1.1989, S. 3; FAZ, CDU und FDP nach Berlin tief besorgt. Auch bei der SPD kommt Freude nicht auf, 31.1.1989, S. 1f.; FAZ, Kohl und Diepgen sehen keinen Anlaß für eine Kursänderung, 31.1.1989, S. 5; FAZ, Nach dem Berliner Debakel gehen die Bonner Koalitionspartner schonend miteinander um, 1.2.1989, S. 2; FAZ, Geißler warnt die CSU vor schlechter Gesellschaft, 2.2.1989, S. 3; FAZ, Dregger. Die CDU muß ihr Gesamtprofil deutlich machen, 3.2.1989, S. 2. 173 FR, Wahlplakat, 31.1.1989, S. 3. Siehe z. B. auch FR, Bonn reagiert auf Wahlschlappe, 1.2.1989, S. 1f.; FR, Brück will Konsequenzen aus Berliner Wahl ziehen, 1.2.1989, S. 16; FR, Stimmung gegen Fremde, 3.2.1989, S. 3; FR, Berlins SPD braucht Mut, 3.2.1989, S. 4. 174 Die Zeit, Parteien, 3.2.1989.
8.3. Die Lehre(n) von Berlin
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Stadt zu verdeutlichen.175 Die vielfachen Modernisierungsprozesse waren keine Zeichen von Stolz und Zukunftszuversicht mehr, sondern wurden eher als Vorboten einer allumfassenden Katastrophe begriffen. Auch die Gewerkschaftspresse wertete das Berliner Ergebnis als eine Antwort auf die zahlreichen Krisen der Stadt.176 Hier findet sich nun eine tiefgehende Analyse der aktuellen Situation, welche sich aber nicht auf den parteipolitischen Rechtsradikalismus begrenzte. Die bereits 1983 intensivierte Thematisierung der Ursachenfragen rückte auch jetzt die Verantwortung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung für das Weiterbestehen des Rechtsradikalismus in den Mittelpunkt der gewerkschaftlichen Debatte.177 Schließlich habe erst die Krisenerfahrung die Attraktivität rechtsradikaler Strukturen produziert, denn sich verschärfende Problemlagen wie Massenarbeitslosigkeit und fehlende Zukunftsperspektiven würden einen idealen Nährboden für rechtsradikale Ideologien und Fremdenfeindlichkeit bilden.178 In Krisenzeiten könne der Rechtsradikalismus daher an „dumpfe antikapitalistische Sehnsüchte“ anknüpfen und diejenigen Menschen ansprechen, die sich durch die jüngsten Entwicklungen abgehängt fühlten oder subjektive Zukunftsängste entwickelten.179 Speziell die Auflösung klassischer Milieus sowie das „Kollektivschicksal der Vereinzelung“, wie Wilhelm Heitmeyer in einem Artikel der GMH betonte, sorgen dafür, dass jeder einzelne dem Modernisierungsprozess schutzlos gegenüber stehe.180 Es sind die „Defizite
175 Siehe z. B. Die Zeit, Hat denn niemand etwas gerochen?, 3.2.1989; Die Zeit, Denkzettel, 3.2.1989; Die Zeit, Parolen, 17.2.1989. 176 Vgl. z. B. Uellenberg / DGB-Bundesvorstand, Republikaner, S. 35. 177 Vgl. Die Quelle 12 (1989), Unvereinbarkeitsbeschlüsse, S. 647f.; GMH 10 (1988), Systemunzufriedenheit, S. 632; GMH 3 (1989), Solidarität 2000, S. 137–151, hier S. 146; GMH 9 (1989), Traditionen. 1989, S. 521; GMH 10 (1989), Kein Binnenmarkt ohne soziale Dimension, S. 638–646, hier S. 640; Metall, Rechtsextreme, 10.2.1989, S. 4; Metall, Zukunft, S. 111; ÖTV-Magazin, Votum, Mai 1989, S. 26f.; Uellenberg / DGB-Bundesvorstand, Rechtsradikalismus, S. 4–6. 178 GMH 7 (1989), Ausländerfeindlichkeit – Woher sie kommt und was man dagegen tun kann, S. 404–414, hier S. 406; GMH 9 (1989), Profile, S. 538; Wilhelm Heitmeyer, Rechtsextremistische Orientierungen bei Jugendlichen, in: DGB-Landesbezirk NRW, Abteilung Jugend (Hg.), Zukunft der gewerkschaftlichen Jugendarbeit. Dokumentation – Hattinger Forum zum Thema Rechtsextremismus, Düsseldorf 1988, S. 13; Klaus Mertsching / Hannelore Renners, Dokumentation des DGB-Kreises Hannover zum Rechtsradikalismus, Hannover 1988, S. 27–29. 179 Die Quelle 12 (1989), Unvereinbarkeitsbeschlüsse, S. 647f.; GMH 10 (1988), Systemunzufriedenheit, S. 632. Siehe auch GMH 7 (1989), Ausländerfeindlichkeit, S. 412f.; GMH 9 (1989), Profile. 1989, S. 545, 548; GMH 9 (1989), Mit alten Rezepten zu neuen Ufern. Anmerkungen zu den wirtschafts- und sozialpolitischen Aussagen der „Republikaner“, S. 571–577, hier S. 573; Metall, Wahlrecht, 10.2.1989, S. 3. 180 GMH 9 (1989), Jugend auf dem Weg nach rechts?, S. 549–560, hier S. 555.
396 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) der Gesellschaft [...], an denen sich rechtsextreme Protestformen entzünden.“181 Nicht nur gebe es ein größeres latent rechtsradikales Potenzial in der bundesdeutschen Bevölkerung, sondern auch eine bewusst in Kauf genommene Entwicklung hin zu einer „Zweidrittelgesellschaft“, die dieses Potenzial aktivieren helfe, klagte ein Bericht in der Zeitschrift „Die Quelle“.182 Nun wurde sogar explizit auf das berühmte Postulat Max Horkheimers verwiesen, dass, wer vom Kapitalismus nicht reden wolle, vom Faschismus schweigen solle.183 Obwohl auch andere Publikationen die sozio-ökonomischen Aspekte in der Ursachendiskussion berücksichtigten, waren diese in der Gewerkschaftspresse mit Abstand am dominantesten und verdeutlichen deren sorgenvolle Zukunftsbetrachtung. Weiterhin sahen die Gewerkschaften allerdings nicht nach jeder kapitalistischen Krise eine rechtsradikale Machtübernahme aufziehen. Dafür bedürfe es in allererster Linie noch der direkten Kooperation mit entscheidenden Teilen der politischen, juristischen und gesellschaftlichen Elite. Diese hätte die politische Demokratie (in Abgrenzung zur sozialen Demokratie) allerdings unterstützt und somit die Republik nachhaltig stabilisiert.184 Letztlich erfolgreich könnten die Rechtsradikalen nur dann sein, „wenn gesellschaftliche, ökonomische und politische Konstellationen eintreten, die das bestehende Ordnungs- und Konfliktregulierungssystem infrage stellen.“185 Dies war eine Position, die einerseits die Stabilität der bundesdeutschen Demokratie anerkannte, andererseits aber gleichzeitig deren sozio-ökonomische Situation als potenziell anfällig für rechtsradikale Agitation beschrieb. Bereits die DVU profitierte in Bremen beziehungsweise Bremerhaven von dieser großen Unzufriedenheit, insbesondere die Republikaner konnten sich dann aber „zum Hoffnungsträger der Modernisierungsverlierer […] stilisieren“.186 Schließlich wurden die ohnehin sorgenvollen Stimmungen noch intensiviert durch das fast vollständige Fehlen positiver politischer Utopien, wie sie noch in den siebziger Jahren vielfach vertreten wurden. Die europäische Integration und die Globalisierung wurden mittlerweile eher als problematisch begriffen. Vor dem Hintergrund der europäischen Integration hätten sich schließlich Ängste 181 GMH 9 (1989), Traditionen, S. 514; Uellenberg / DGB-Bundesvorstand, Rechtsradikalismus, S. 4–6. 182 Die Quelle 10 (1989), Republikaner, S. 526f. 183 GMH 10 (1988), Systemunzufriedenheit, S. 631. Für das Originalzitat vgl. Max Horkheimer, Die Juden und Europa, in: Gesammelte Werke, Bd. 4, Frankfurt am Main 1988, S. 308f. 184 Ebd., S. 633. 185 Willi Brase, Rechtsextremismus. Eine Herausforderung für die gewerkschaftliche Jugend und Jugendbildungsarbeit, in: DGB-Landesbezirk NRW, Abteilung Jugend (Hg.), Zukunft der gewerkschaftlichen Jugendarbeit. Dokumentation – Hattinger Forum zum Thema Rechtsextremismus, 16.–17. Januar 1988, Düsseldorf 1988, S. 17– 29, hier S. 19. 186 Wirsching, S. 416.
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vor dem Absenken der sozialen Standards mit nationalistischen und vor allem chauvinistischen Positionen vermischt, betonte die gewerkschaftliche Zeitschrift „Die Quelle“.187 Gleichzeitig spielten Begriffe wie „Nation“ und „Identität“ wieder eine stärkere Rolle.188 Gerade die Identitätsdebatte und die Auseinandersetzungen um die Deutung der deutschen Geschichte sind hier zentral und öffneten den Republikanern schon früh die Tore – die Versuche der Neuen Rechten seit den siebziger Jahren, die politische Hegemonie der gesellschaftlichen Linken anzugreifen, zeigten langsam Erfolge. Die stetige Internationalisierung schuf die Voraussetzungen dafür, dass Fragen der Identität prominenter werden konnten und sich immer mehr Menschen für Nationalismus und gegen eine Europäisierung aussprachen.189 Pessimismus machte sich breit und politische Strömungen, die eine feste Identität und die vermeintliche Rückkehr zu „alten Werten“ anboten, stießen vermehrt auf Resonanz.190 Hier, konstatierte die jüdische „Allgemeine“, habe die „Wiederbelebung des ethnischen Deutschtums“ in Folge der Migrations- und Identitätsdebatten der achtziger Jahre eine fatale Wirkung entfaltet.191 Darüber hinaus hätten vielfache Relativierungen im Umgang mit der Vergangenheit, speziell der „Historikerstreit“ um die Positionen Ernst Noltes, der jungen Generation die Orientierung geraubt, so die jüdische Zeitung.192 Insgesamt könnten aus Angst, Unsicherheit und Orientierungslosigkeit rechtsradikale Vorstellungen von Nation und Volk die Rolle von Ersatzsicherheiten einnehmen, lautete auch das gewerkschaftliche Fazit.193 Deswegen sei der Erfolg der Republikaner auch eine Folge der fehlenden politisch-positiven Alternativutopien aufseiten der Linken und der mangelnden Krisenlösungskompetenz von SPD und Gewerkschaften, übten die Gewerkschaften deutliche Selbstkritik.194 187 Die Quelle 12 (1989), Unvereinbarkeitsbeschlüsse, S. 647f. 188 Vgl. Wolfrum, Geschichtspolitik, S. 304–316. 189 Die guten Ergebnisse des Vlaams Blok in Belgien, des Front National in Frankreich, der Lega Nord in Italien sowie der FPÖ in Österreich berechtigen dazu, hier von einem westeuropäischen Rechtsruck zu sprechen. Vgl. Backes / Moreau, S. 241ff. 190 Dies wurde auch im konservativ-bürgerlichen Spektrum versucht, aber die rechtsradikalen Parteien hatten den Vorteil, ihre Aussagen nicht mit realer Politik unterfüttern zu müssen. Sie konnten mehr versprechen und schafften es, einen Teil der enttäuschten unteren Mittel- und alten Arbeiterschicht zu mobilisieren. Vgl. Conze, Suche, S. 609. 191 Allg. jüd. Wochenztg., Indifferenz, 6.1.1989, S. 16. 192 Allg. jüd. Wochenztg., Gedanken, 4.9.1987, S. 9. 193 Wie Heitmeyer 1988 auf einer DGB-Konferenz zum Thema Rechtsradikalismus ausführte, reagieren Jugendliche auf soziale Ausgrenzung und Verunsicherung durch die Mehrheitsgesellschaft und suchen sich alternative Orientierungen. Vgl. Heitmeyer, Orientierungen, S. 13. Siehe auch GMH 7 (1989), Gesellschaft, S. 444; GMH 9 (1989), Profile, S. 540; GMH 9 (1989), Jugend, S. 556. 194 Die Quelle 12 (1989), Unvereinbarkeitsbeschlüsse, S. 647f.; GMH 10 (1988), Systemunzufriedenheit, S. 643; GMH 3 (1989), Solidarität, S. 146f.; GMH 9 (1989), Wahlerfolge, S. 526f.; Uellenberg / DGB-Bundesvorstand, Rechtsradikalismus, S. 4–6.
398 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) Zwar wurde angesichts der eher pessimistischen Wahrnehmungen der Realität erneut auf die zentrale Rolle der Gewerkschaften in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus und der Fremdenfeindlichkeit hingewiesen,195 aber die Defizite im eigenen Umgang mit dem Rechtsradikalismus gerieten in diesen Jahren immer stärker in den Blick. Dementsprechend bemerkte die „Welt der Arbeit“ bereits 1987, dass die eigenen Aktivitäten gegen den Rechtsradikalismus bisher nicht erfolgreich genug gewesen seien.196 Speziell der DGB zeigte sich insgesamt eher abwartend und betrieb eine Politik der inhaltlichen Auseinandersetzung. So hieß es bezüglich der vielfach geforderten Unvereinbarkeitsbeschlüsse, dass diese das Problem nicht lösen würden, da man die Anhänger der Republikaner auf diese Weise eher verstoße als sie zurückgewinne.197 Dennoch erklärte die IG Metall diese früh zur „gegnerischen Organisation“198 und die „Metall“ druckte die kämpferischste Ankündigung dieser Monate: „Vom Flugblatt bis zur Demonstration, von der Übernahme einer Patenschaft für ausländische Kolleginnen und Kollegen bis zum Solidaritätsfest mit Gastarbeitern, von Diskussionen über den Faschismus bis zu Straßenblockaden von Nazi-Treffen spannt sich der Wille von Metallerinnen und Metallern, den rechten Vormarsch zu stoppen. Manchmal braucht man nur zum Vorschlaghammer zu greifen, und die Terroristen in den Bomberjacken ziehen Leine.“199
Zur Beantwortung der Frage, warum die Republikaner erfolgreich sein konnten, zählt auch die allgemeine Politikverdrossenheit dieser Jahre. Zunächst hatten viele politische Skandale um Korruption, Parteienfinanzierung, Diäten und Affären wie im „Fall Barschel“ oder Flick zu weitverbreiteter Frustration geführt, die auf konservativer Seite und in abgehängten Schichten den Blick nach rechts öffnete.200 Es sei „ein grundlegendes Gefühl der Sinn- und Orientierungslosigkeit“ entstanden, erklärte die FR,201 weswegen die politischen Konzepte zur Überwindung der Situation immer weniger hätten überzeugen können. Auf diesen allgemeinen Politik- und Parteienfrust deute auch die geringe Wahlbeteiligung hin.202 195 So versuchte der DGB, ein Aktionsbündnis zusammen mit anderen demokratischen Kräften gegen die junge Partei aufzubauen. Vgl. ÖTV-Magazin, Intensiv, Okt. 1989, S. 7; Metall, Bildunterschrift, 23.3.1989, S. 4; Uellenberg / DGB-Bundesvorstand, Republikaner, S. 58. 196 WdA, Sicht, 17.9.1987, S. 1. 197 Die Quelle 6 (1989), Ermächtigungsgesetz; ÖTV-Magazin, Intensiv, Okt. 1989, S. 7; Uellenberg / DGB-Bundesvorstand, Republikaner. 1989, S. 60. Für Details bezüglich der jeweiligen Reaktionen der Einzelgewerkschaften innerhalb des DGB siehe Hirsch, Rechts, S. 54–58. 198 Metall, Zukunft, S. 112. 199 Metall, Braunen, 24.2.1989, S. 14f. 200 Vgl. für Details Krueger, S. 17; Schönekäs, S. 287. 201 FR, Antifaschisten, 30.1.1989, S. 4. 202 FR, Berlin, 31.1.1989, S. 3.
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Dass keiner ein derartiges Ergebnis vorhergesehen habe, zeige, wie wählerfern die Berliner Politik mittlerweile sei.203 Daneben sei die Unzufriedenheit über die Bundespolitik – speziell bezogen auf die Sozialpolitik – entscheidend gewesen, betonte die FR.204 „Schuld an dem Desaster“, betonte auch „Die Zeit“, „sind unsere demokratischen Parteien“, da diese ohne spezifische Konturen und wenig angriffslustig agieren würden.205 Entsprechend käme der Zuspruch für die Republikaner aus allen politischen Lagern.206 Selbst „Der Arbeitgeber“ kritisierte, dass die großen Parteien sich immer ähnlicher würden und eine Politik, welche die Sorgen der Leute ignoriere, erzeuge Frust.207 Zugleich beschrieb „Der Arbeitgeber“ die immer stärkere Verbreitung populistischer Forderungen als bedrohlich, da realistische Erwartungshorizonte in Bezug auf politische Veränderungen immer unmöglicher würden.208 Links- und Rechtspopulismus müsse zur Stabilisierung der Gesellschaft energischer die Stirn geboten werden und eine Fokussierung auf die Machbarkeit politischer Ideen erfolgen.209 Das Wichtigste wäre nun die nachträgliche Durchführung einer tatsächlichen „Wende“-Politik, die die Themen Natur, Nation und Europa wieder in den Fokus rücke.210 Bezeichnenderweise fokussierte „Der Arbeitgeber“ in der Ursachenfrage ohnehin weniger auf die ökonomischen als auf die politischen Krisenmanifestationen. Verantwortlich für die Radikalisierung am rechten und linken Rand sei daher die Politik und nicht das sozio-ökonomische System der Bundesrepublik. Die „Allgemeine jüdische Wochenzeitung“ ergänzte: „[W]enn heutzutage rechtsextremistische Demagogen unter lautem Beifall in den Saal rufen könnten ‚Die Parteien haben unsere Ideale verraten‘, dann“, so wurde der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Gerhard Boeden, zitiert, „hätten in der Tat demokratische Politiker Versäumnisse begangen“.211 Die demokratischen Parteien würden allesamt an der „Auszehrung ihrer politischen Autorität“ kranken.212 Die Wahl der Republikaner sei daher „nicht unbedingt Ausdruck für die Sehnsucht nach einer Wiederkehr des Nazismus“, sondern vielmehr ein „Protest gegen die Unfähigkeit unserer herkömmlichen Parteien, plausible politische Konzeptionen zu entwickeln und diese dann auch noch den Bürgern zu erklären“, hieß es hier weiter. Von einer Protestwahl aber sprachen nicht nur die „Allgemeine“ und der 203 FR, Wahl, 1.2.1989, S. 3. 204 FR, Wähler, 31.1.1989, S. 4. 205 Die Zeit, Parteien, 3.2.1989. 206 Die Zeit, Hat denn niemand etwas gerochen?, 3.2.1989. 207 Der Arbeitgeber 21 (1989), Lage, S. 760. 208 Der Arbeitgeber 11 (1989), Das Unbehagen an den Parteien, S. 400. 209 Ebd.; Der Arbeitgeber 21 (1989), Lage, S. 760. 210 Der Arbeitgeber 21 (1989), Lage, S. 760. 211 Allg. jüd. Wochenztg., Boeden, 6.1.1989, S. 5. Siehe auch Allg. jüd. Wochenztg., Signal, 3.2.1989, S. 1. 212 Allg. jüd. Wochenztg., Irrationalismus, 10.2.1989, S. 1f.
400 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) „Arbeitgeber“,213 sondern alle Publikationen. Die hohen Stimmenprozente für die Republikaner sowie die Alternative Liste ließen auch bei der FR den Eindruck entstehen, dass viele Wählerinnen und Wähler diese Parteien nur als Denkzettel gewählt hätten und es sich somit um eine reine Protestwahl ohne nachhaltiges politisches Statement gehandelt habe.214 Die Berliner Bevölkerung wollte die alte CDU/FDP-Regierung loswerden, aber da die SPD sich kaum als Alternative anbot, habe es keine wirkliche Option für ein konstruktives Misstrauensvotum gegeben, zitierte die FR eine INFAS-Analyse.215 Derart versuchte auch die „Frankfurter Rundschau“, die Wahlentscheidung zu entskandalisieren und weniger als positive Entscheidung für die Republikaner denn als Absage sowie Warnsignal an die anderen Parteien darzustellen: „Die Hälfte der West-Berliner hat zu überhaupt keiner der Parteien mehr Vertrauen, und die Wut über die Etablierten ist derartig groß, daß 15 Prozent der Bürger den Abgeordnetenhaus-Parteien die Republikaner geradezu auf den Hals gewünscht haben, obwohl nicht einmal drei Prozent deren Ziele teilen.“216
„Bei der Wähler- und Anhängerschaft“ handele es sich, führte auch der „Deutsche Ostdienst“ aus, „um ‚vergrätzte Konservative‘“.217 Ganz ähnlich argumentierte die FAZ. Ursächlich für die Wahlentscheidung zugunsten der Republikaner sei schließlich kein politischer „Extremismus“. Stattdessen wären diffuse Ängste und der fehlende Glaube an die Lösungsfähigkeiten der Parteien zusammengekommen.218 Insofern postulierte die FAZ, dass „[s]o manche Wähler dieser Partei […] das Ergebnis nicht gewollt haben“.219 Die Wahl dieser Partei sei daher keine Manifestation des Rechtsradikalismus, sondern lediglich ein „Schrei“ der
213 Der Arbeitgeber 21 (1989), Lage, S. 760. 214 Diese Deutung findet sich in vielen Artikeln der FR. Vgl. FR, Wahlplakat, 31.1.1989, S. 3; FR, Berlin, 31.1.1989, S. 3; FR, Wähler, 31.1.1989, S. 4; FR, Wahl, 1.2.1989, S. 3; FR, Berlin gibt im Römer zu denken, 1.2.1989, S. 16; FR, Zimmermanns Kurs verprellt die FDP, 3.2.1989, S. 1; FR, SPD, 3.2.1989, S. 4. 215 FR, Wähler, 31.1.1989, S. 4. Siehe auch FR, Wahl, 1.2.1989, S. 3. 216 FR, Wahlplakat, 31.1.1989, S. 3. Für Beispiele zur Trennung zwischen den „richtigen“ Republikanern und denjenigen, die sie nur aus Frust gewählt hätten, siehe auch FR, Wahl, 1.2.1989, S. 3; FR, Kurs, 3.2.1989, S. 1. 217 DOD, Partei-Image, 3.2.1989, S. 1. 218 FAZ, Republikaner, 31.1.1989, S. 27; FAZ, Vor allem alte Berliner sind böse, 11.2.1989, S. 10; FAZ, Berlin, 31.1.1989, S. 1; FAZ, Die CDU hat ihre Niederlage trotz Diepgen erlitten, 31.1.1989, S. 3; FAZ, Debakel, 1.2.1989, S. 2; FAZ, Schreckgespenst, 1.2.1989, S. 12; FAZ, Geißler, 2.2.1989, S. 3; FAZ, Abtasten, 3.2.1989, S. 1f.; FAZ, Schrei, 4.2.1989, S. 27; FAZ, Neu, 8.2.1989, S. 5. 219 FAZ, Berlin, 30.1.1989, S. 1. Siehe auch FAZ, CDU, 31.1.1989, S. 3; FAZ, Achselzucken ist in Berlin die häufigste Antwort, 1.2.1989, S. 3; FAZ, Abtasten, 3.2.1989, S. 1f.; FAZ, Dregger, 3.2.1989, S. 2; FAZ, Schrei, 4.2.1989, S. 27; FAZ, Berliner, 11.2.1989, S. 10.
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unterprivilegierten Bevölkerungsschichten.220 Daher, konstatierte die FAZ, sei es falsch, Berlin nun in ein rechtsradikales Licht zu rücken.221 Die Sympathisanten der Republikaner seien „kleine Leute“, die unter Willy Brandt SPD und anschließend die CDU Weizsäckers und Diepgens gewählt hätten.222 Diese Differenzierung war wichtig, um den eigenen Anspruch, diese Personen wieder in das Lager der Unionsparteien zu ziehen, politisch zu legitimieren: „Die Wahlforscher suggerieren […], daß SPD und Grün/Alternative ihre Wähler aus demselben ‚Lager‘ musterten. Das hat zur Folge, daß nicht nur die Wähler der Grünen, sondern auch die grün/alternative Partei selbst mit Samthandschuhen angefaßt werden. Umgekehrt werde es der Union dadurch erschwert, ihre nach rechts abgewanderten Wähler zurückzugewinnen, daß Politiker und Journalisten nicht nur die Republikaner, sondern auch deren Wähler undifferenziert als Rechtsradikale hinstellen.“223
An anderer Stelle beklagte die FAZ, dass es etwas „von Heuchelei [habe,] Extremismus jeweils auf der Gegenseite zu entdecken“.224 Da nicht nur die Republikaner, sondern gleichfalls die Alternative Liste deutliche Zuwächse verzeichnen konnten, sei es falsch, dass allein Erstere dem Ansehen Berlins schadeten, hieß es in einem Kommentar, der vor allem auf das linke Bedrohungspotenzial fokussierte.225 Insgesamt entsteht der Eindruck, das Wahlergebnis der Alternativen Liste sei weit schlimmer.226 Wichtigstes kurzfristiges Ziel der FAZ war daher nicht die Auseinandersetzung mit den Republikanern, sondern die Verhinderung einer rot-grün/alternativen Koalition in Berlin.227 Wie engagiert die Zeitung in der Diffamierung linker Gegner war, offenbart die Bereitschaft, trotz direkter Distanzierung die absurde Theorie aufzustellen, dass linksradikale Kräfte zur Stärkung der Republikaner und gleichzeitigen Schwächung der CDU die Proteste absichtlich eskalieren lassen würden.228 Und gerade diese Proteste hätten den Republikanern sehr geholfen:
220 FAZ, Schrei, 4.2.1989, S. 27. 221 FAZ, Schlappe, 30.1.1989, S. 1f. 222 FAZ, Schreckgespenst, 1.2.1989, S. 12. Siehe auch FAZ, Schönhuber, 2.2.1989, S. 2. 223 FAZ, CDU, 31.1.1989, S. 3. 224 FAZ, Beschränkt, 31.1.1989, S. 12. 225 Ebd.. Siehe auch FAZ, Thomas-Dehler-Haus, 30.1.1989, S. 3; FAZ, CDU, 31.1.1989, S. 1f. 226 Vgl. z. B. FAZ, Berlin, 30.1.1989, S. 1; FAZ, Berlin, 31.1.1989, S. 1; FAZ, Abtasten, 3.2.1989, S. 1f. Die einzig zumindest angedeutete Ausnahme findet sich im Regionalteil. Vgl. FAZ, Schrei, 4.2.1989, S. 27. 227 Daher hieß es z. B., eine Große Koalition sei „angesichts der Situation in der Stadt eine politische Notwendigkeit“. Vgl. FAZ, Berlin, 31.1.1989, S. 1. Siehe auch FAZ, Nach der Niederlage plädiert Diepgen für eine Zusammenarbeit der beiden großen demokratischen Parteien, 31.1.1989, S. 4; FAZ, Schrei, 4.2.1989, S. 27. 228 FAZ, Angst, 27.1.1989, S. 1. Siehe auch FAZ, Aufruf, 27.1.1989, S. 5.
402 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) „Während sich einerseits der ‚Widerstand‘ gegen sie, das heißt das ‚antifaschistische Aktionsbündnis‘, weiter formierte, bescherten andererseits die Ausschreitungen derer, die unter roten Fahnen als ‚Demokratie-Wächter‘ marschierten, der bislang kaum gekannten Partei Sympathie. Die Angst vor dem linken Schlägertrupp, die Furcht vor Überfremdung und vor allem die Unzufriedenheit mit den großen Parteien, allen voran mit der CDU, brachte schließlich denjenigen Wähler, die versprechen, für Recht und Ordnung zu sorgen. Für die Drahtzieher des ‚antifaschistischen Widerstands‘ ist das wiederum der Beweis für die Gefahr einer Wiederholung des schon einmal Dagewesenen. Die gewollte Polarisierung, die Konfrontation weniger mit den Republikanern selbst als mit den Sicherungskräften des demokratischen Rechtsstaates, schreitet voran.“229
Mit einer ganz anderen Zielrichtung kritisierte die „Allgemeine“, trotz der auch hier dominanten Deutung einer „Protestwahl“, dass die westdeutsche Gesellschaft in der Ausbildung einer demokratischen Grundprägung offenbar keinen vollen Erfolg erzielt habe. Dies führe zusammen mit den anderen bereits genannten Problemen zu einer Melange, die ein entschiedenes Handeln der Mehrheitsgesellschaft für die Demokratie verhindert habe und dazu führte, dass diese dem Vormarsch des Rechtsradikalismus zu wenig entgegensetze: „Es gehört zu den Absurditäten der heutigen Tage, daß die Neonazis während ihrer Veranstaltungen polizeilichen Schutz genießen, während ihre Gegner oft Polizeimaßnahmen ausgesetzt werden“, klagte die jüdische Zeitung.230 Wenn das demokratische Bewusstsein in weiten Teilen der Gesellschaft nicht entsprechend hoch ausgeprägt ist, nützten keine Bildungsanstrengungen. Ganz grundsätzlich kritisierte die Zeitung, dass man letztlich zu tolerant gegenüber dem Rechtsradikalismus in seinen verschiedenen Manifestationen gewesen wäre und es nicht verstanden hätte, umfassende Kenntnisse über die NS-Zeit in den Köpfen der jungen Menschen zu verankern: „Unterhält man sich dieser Tage mit Schülerinnen und Schülern, so kann man oft hören, daß sie bis zum Überdruß mit Informationen über die NS-Vergangenheit konfrontiert worden seien. Entsprechende Nachfragen weisen freilich nicht immer auf jene Kenntnisse hin, die nun zu erwarten wären.“231
Auch in der Gewerkschaftspresse tauchten erneut Vorstellungen von einer autoritären politischen Kultur und Tradition auf, die durch entsprechende Erziehung 229 FAZ, Schreckgespenst, 1.2.1989, S. 12. Siehe auch FAZ, Umfragen, 26.1.1989, S. 4. Siehe zur Bedeutung der Diskussion über den Wahlwerbespot FAZ, Achselzucken, 1.2.1989, S. 3; FAZ, Lehren, 10.2.1989, S. 43. 230 Allg. jüd. Wochenztg., Gedanken, 4.9.1987, S. 9. 231 Allg. jüd. Wochenztg., Die historische Hypothek, 13.1.1989, S. 1,4. Siehe auch Allg. jüd. Wochenztg., Nazismus, 20.1.1989, S. 1. Zur vermeintlichen Verhinderung der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit siehe zudem Allg. jüd. Wochenztg., Schulfeier mit dem Horst-Wessel-Lied, 20.1.1989, S. 12.
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und Bildung angegangen werden müssten.232 Dass Jugendliche nun vermehrt ebenfalls rechtsradikalen Meinungen anhingen und öffentlich in Erscheinung traten, führte hier zu einer Diskussion über Jugend und Rechtsradikalismus,233 die auch in den neunziger Jahren intensiv weitergeführt wurde. Hilfreich für den Aufstieg der Republikaner war somit vor allem, dass die alte Sorge vor einer Partei rechts von der Union ihren Schrecken weitestgehend verloren hatte. Aber auch die Person Schönhubers ist von Bedeutung, da es dem geschickten Rhetoriker in den für die Partei relevanten Teilen der Öffentlichkeit gelang, als seriöser und bürgerlich-konservativer Politiker zu erscheinen.234 Pointiert merkte „Die Zeit“ an, dass Schönhuber zwar nicht mit Neonazis oder Faschisten verglichen werden wolle, aber „[w]er sich so um Trennschärfe bemüht, muss einen guten Grund dazu haben.“235 Der Stigmatisierung als „rechtsradikal“ konnten die Republikaner dennoch erfolgreich entgegentreten. Hier spielte sicherlich die kluge Namenswahl eine Rolle, die keine nationalistischen Assoziationen erweckte236 – aber doch keineswegs überall akzeptiert wurde. Um die Okkupierung dieses „ehrwürdigen, eigentlich vertrauensfördernden Titels“ zu verdeutlichen, findet sich dieser in der „Frankfurter Rundschau“ daher auch fast immer in Anführungszeichen.237 Nach der Wahl intensivierten vor allem konservative Akteure ihre Strategie der Begriffsdifferenzierung. Während NPD und DVU als rechtsradikal eindeutig abgelehnt wurden, stellten sie die Republikaner weiterhin als rechtskonservativ dar. Sie bezeichneten deren Existenz als Anpassung an die westeuropäische Norm und differenzierten zwischen Partei(-führung) und deren Wählerinnen und Wählern. Von den hier untersuchten Akteuren beteiligte sich vor allem die FAZ nach der Berliner Wahl weiterhin aktiv daran, die Republikaner als harmlose, keineswegs rechtsradikale Partei darzustellen.238 Schönhuber selbst sei zwar kein politisch weitblickender oder strategischer Typ, vielmehr „genießt [er] den Erfolg des Tages, fragt nicht viel nach den Folgen“, hieß es einerseits abschätzig.239 Doch trotz Zweifeln an seiner Eignung als Politiker verteufelte sie diesen „Abenteurer“ andererseits keineswegs.240 Seine SS-Vergangenheit wurde nicht verschwiegen, 232 GMH 7 (1989), Ausländerfeindlichkeit, S. 414. 233 Vgl. Die Quelle 12 (1989), Unvereinbarkeitsbeschlüsse, S. 647f.; GMH 9 (1989), Jugend, S. 549; GMH 10 (1988), Systemunzufriedenheit, S. 635 bzw. 637. 234 Vgl. Herz, S. 239. 235 Die Zeit, Messer, 3.2.1989. 236 Sie verzichteten auf einen „nationalen“ Namen und nutzten den positiven Republikanismusbegriff, der auch durch die Republican Party der USA in der Bundesrepublik bekannt war und eine gewisse Seriosität suggerierte. 237 Siehe z. B. FR, Demagogie, 31.1.1989, S. 3. 238 Dies änderte sich auch in den neunziger Jahren nicht. Vgl. diesbezüglich Albes, S. 45f. 239 FAZ, Erfolg, 30.1.1989, S. 2. 240 FAZ, Berlin, 31.1.1989, S. 12.
404 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) jedoch weiterhin kaum gegen ihn in Stellung gebracht.241 Obwohl er seine Zeit in der Waffen-SS vor allem mit Blick auf die angebliche Kameradschaft heute noch glorifiziere, sei es töricht, ihn einen „Nazi“ zu nennen.242 Im Gegenteil lässt die FAZ ihn fragen, ob er es nicht verdiene, statt der Bezeichnung „alter SS-Mann“ nach vierzig Jahren Arbeit in der Demokratie den Namen „alter Demokrat“ zu führen.243 Zwar stand sie dem populistischen Aspekt der Partei und ihres Vorsitzenden sehr skeptisch gegenüber – Schönhuber-Imitatoren sollte es in der Union nicht geben244 –, aber eine eindeutige Positionierung als politischer Gegner findet sich weiterhin nicht. Die FAZ kritisierte – die mögliche Spaltung des konservativen Wählerpotenzials stets vor Augen – mehr den Stil denn die eigentlichen Inhalte. Viele Vorstellungen seien schlicht konventioneller Natur: „Manches im Programm ist angreifbar, vieles ist politisches Gemeingut [und der] Schluß, ein harmloses Programm beweise die Gefährlichkeit der Partei“, sei, so die Botschaft, absurd.245 Stattdessen liest man, dass die Republikaner ein „nicht zu unterschätzendes Empfinden in diesem Lande ansprechen“.246 Die FAZ betonte, dass es eine grundsätzliche Berechtigung für die Themen und Forderungen dieser Partei gebe, nur wollte sie diese vor allem von den Unionsparteien vertreten sehen. Deshalb sei es, wiederum mit dem Blick auch nach links, wichtiger, „die Ursachen allen irrationalen Aufbegehrens soweit wie möglich zu beseitigen“ als lediglich die Republikaner zu dämonisieren.247 In der „Frankfurter Rundschau“ hingegen ging die nach dem Wahlergebnis nun deutlich verstärkte Thematisierung der Republikaner mit intensiver Diffamierung einher.248 Schönhuber wurde als größenwahnsinniger Selbstdarsteller und vorlauter Demagoge präsentiert, der das „eine Spur zu große Wort“ nicht scheue, bedenkenlos an „Emotionen und Ressentiments“ appelliere und sich 241 Vgl. FAZ, Republikaner, 31.1.1989, S. 27; FAZ, Schönhuber, 2.2.1989, S. 2; FAZ, Schrei, 4.2.1989, S. 27; FAZ, Schönhuber bekräftigt Ablehnung der EG, 9.2.1989, S. 2. 242 FAZ, Schönhuber, 2.2.1989, S. 21; FAZ, Republikaner, 31.1.1989, S. 27. 243 FAZ, Berlin, 31.1.1989, S. 12. 244 FAZ, Fundsachen, 31.1.1989, S. 3. Siehe diesbezüglich auch die zitierte Aussage von Hans-Dietrich Genscher. Vgl. FAZ, Kohl. CDU bleibt Volkspartei der Mitte, 4.2.1989, S. 2. 245 FAZ, Neu, 8.2.1989, S. 5. 246 FAZ, Wahnvorstellungen, 31.1.1989, S. 13. Siehe auch FAZ, In einem Punkte einig, 8.2.1989, S. 10; FAZ, Neu, 8.2.1989, S. 5; FAZ, Schönhuber, 9.2.1989, S. 2. 247 FAZ, Republikaner, 31.1.1989, S. 27. 248 So finden sich viele Artikel, die eine Politikunfähigkeit der meisten Mitglieder unterstellten oder diese als wenig vertrauenswürdige, ihren eigenen Aussagen von Sicherheit und Ordnung zuwider handelnde Opportunisten bis hin zu Straftätern darstellten. Auch über zahlreiche Disziplinarverfahren gegen den Berliner Parteivorsitzenden, den Polizeibeamten Bernhard Andres, wurde mehrfach berichtet. Vgl. FR, Wahlplakat, 31.1.1989, S. 3; FR, Saubere Leute, die Berliner Republikaner, 2.2.1989, S. 4; FR, Schock für türkische Nachbarn, 3.2.1989, S. 4.
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antisemitisch äußere.249 „Die schlechtesten Deutschen waren immer die, die sich für die besten Deutschen hielten. Das ist auch diesmal nicht anders“ konstatierte ein kurzer Kommentar.250 Die Partei habe mit ihrem „deutschtümelnde[n] Pathos“ nicht einmal ein Programm,251 und ihre politischen Vorstellungen seien „ein Sammelsurium von rechtsradikalen Stammtischsprüchen“.252 Insofern folgte dem Berliner Wahlergebnis mit Blick auf alle Akteure sowohl ein Aufschrei als auch der Versuch der Relativierung. Entscheidend war, dass die Republikaner keineswegs von allen politischen Lagern angefeindet und ihre Anliegen durchaus von Teilen der Gesellschaft als legitim erachtet wurden. Erneut rückte daher das Problem der fehlenden Abgrenzung zwischen dem rechtsradikalen und dem rechtskonservativen Milieu in den Fokus: „Dieses Alleingelassenwerden“, wurde ein Teilnehmer einer Diskussionsrunde zum Antisemitismus in der jüdischen „Allgemeinen“ zitiert, „hat bei den meisten Juden zu einem tiefen Mißtrauen geführt“.253 Zudem beklagte ein Kommentar die demagogischen Erklärungen einiger namhafter konservativer Politiker.254 „Die Gefahr ist groß, daß die Wähler kopflos werden“, warnte auch „Die Zeit“ und ergänzte: „Noch größer ist die Gefahr, daß es die Politiker ihnen darin gleichtun, anstatt Rückgrat zu zeigen“. Dies sei unabdingbar, so der Artikel weiter, denn „der Rückzug ins dumpfe Ressentiment, das sollte uns die Geschichte lehren, führt ins Verderben.“255 Es gehöre zur Wahrheit, dass die Republikaner gerade nicht wegen der „Vernachlässigung rechter Themen“ durch andere Parteien erfolgreich seien, sondern im Gegenteil gerade weil diese mittlerweile auch im konservativen Spektrum vertreten werden.256 „Notwendig“, so der Appell der „Zeit“ im Anschluss, „sind markante Trennlinien“ und das Einhalten klarer Diskursregeln – vor allem durch CDU und CSU. Klare Trennlinien seien unabdingbar, wenn Jugendliche gegen rechtsradikale Meinungen und Positionen immunisiert werden sollten, lautete auch das gewerkschaftliche Fazit.257 Ohne Frage waren die Erfolge rechtsradikaler Parteien Ende der achtziger Jahre eng mit dem Agieren der Unionsparteien verbunden. Nicht zufällig fallen fast alle Erfolge rechtsradikaler Parteien der Bundesrepublik in Zeiten unionsgeführ-
249 FR, Demagogie, 31.1.1989, S. 3; FR, Medienrummel um Schönhuber, 2.2.1989, S. 3; FR, Ausländerzeugs, 9.2.1989, S. 3. 250 FR, Zukunft, 2.2.1989, S. 3. 251 FR, Wahl, 1.2.1989, S. 3. 252 FR, SPD, 3.2.1989, S. 4. 253 Allg. jüd. Wochenztg., Indifferenz, 6.1.1989, S. 16. Siehe auch Allg. jüd. Wochenztg., Irrationalismus, 10.2.1989, S. 1f. 254 Allg. jüd. Wochenztg., Gedanken, 4.9.1987, S. 9. 255 Die Zeit, Parteien, 2.3.1989. 256 Die Zeit, Trennlinien, 24.2.1989. Siehe auch Die Zeit, Parolen, 17.2.1989. 257 Brase, S. 18.
406 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) ter Bundesregierungen.258 Die häufig geringere Radikalität einer Regierungspartei sorgte im Fall der Union oftmals für ein „Abschmelzen der Integrations- und Brückenfunktion nach rechts“.259 Daher folgte dem Berliner Wahlergebnis nun eine Debatte darüber, inwiefern CDU und CSU die vermeintlichen Protestwählerinnen und -wähler durch entsprechende Politikangebote integrieren sollten. Das bürgerlich-konservative Lager forcierte eine Doppelstrategie, tendierte aber immer stärker dazu, die Abgrenzung aufzuweichen.260 Dass es eine gesamtgesellschaftlich relevante Frage war, wie Konservative und insbesondere die Unionsparteien auf rechtspopulistische Parteien beziehungsweise Gruppierungen reagieren sollten und ob dies die Bedrohungspotenziale des Rechtsradikalismus senken könne, zeigt sich sowohl an der Quantität der diesbezüglichen Beiträge als auch daran, dass alle untersuchten Publikationen dazu wiederholt Stellung bezogen. So nutzte der Bund der Vertriebenen, wie eingangs erwähnt, die Chance, sich in der „Aussiedlerdebatte“ erneut zu profilieren. Vor diesem Hintergrund war die Partei Die Republikaner mit ihren dezidiert rassistischen und einwanderungsfeindlichen Positionen in eine gewisse Gegnerschaft zum BdV geraten. Dennoch begann die Auseinandersetzung des „Deutschen Ostdienstes“ mit dieser Partei auf geringem Niveau erst nach der Verkündung des Wahlergebnisses, als zumindest deren längerfristige Etablierung befürchtet wurde. Eine deutliche Distanzierung des BdV findet sich aber nicht.261 Auch der zitierte Hinweis des bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl, dass, wer die Republikaner wähle, letztlich nur das sozialistische Lager stärke, ist allenfalls ein schwacher Hinweis auf politische Distanz.262 Die Gegnerschaft des BdV zu den Republikanern ergibt sich vor allem indirekt. Im „Deutschen Ostdienst“ war der Umgang mit ihnen nämlich in erster Linie Teil der Auseinandersetzung mit den Unionsparteien. Dies zeigt sich vor allem durch die Beteiligung an deren Richtungsdiskussion, insbesondere durch Kritik an der Strategie von CDU-Generalsekretär Heiner Geißler, verstärkt die politische Mitte anzusprechen: „Wir haben lange gewarnt!“, erklärte ein Artikel: „Geißler und sein Gefolge drohen
258 Auch wenn diese Aussage für die frühen fünfziger Jahre aufgrund der besonderen Situation und der viel stärkeren regionalen Zersplitterung vielleicht etwas relativiert werden muss. 259 Jaschke, Republikaner, S. 51. 260 Am 4.7.1987 beschloss die CDU in einem Präsidiumsbeschluss ein offizielles Kooperationsverbot. Auch die CSU verabschiedete einen Unvereinbarkeitsbeschluss. Pa rallel gab es in der CSU viele Vertreter, die einen klaren Integrationskurs zu forcieren versuchten, was letztlich von der CDU übernommen wurde. Teilweise wurden hier neue Koalitionsmöglichkeiten im bürgerlichen Lager gesehen. Vgl. Conze, Suche, S. 610. 261 DOD, Sind Geißler und die CDU lernfähig?, 3.2.1989, S. 3. 262 DOD, Deutschlandpolitische Signale aus Passau, 10.2.1989, S. 8.
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uns unregierbar zu machen“.263 Nur eine Woche später wurde Geißler direkt als „Schönhubers bester Wahlhelfer“ bezeichnet.264 Die wichtigsten Ursachen des Wahlerfolges der Republikaner sah der DOD daher im Protest gegen die herrschenden politischen Zustände und die vermeintlich linke Politik der Unionsparteien.265 „Durch gezielte und bewußte Vernachlässigung bürgerlich-konservativer Stammwähler“, so der direkte Vorwurf an Geißler, habe dieser „einer neuen Rechtspartei den Einzug in ein deutsches Parlament ermöglicht.“266 Mit Rückgriff auf die seit den späten siebziger Jahren intensiv geführte Identitätsdebatte forderte der DOD, die Unionsparteien mögen sich wieder verstärkt auf die national-konservative Wählerschaft konzentrieren: „Die CDU sollte erkennen, daß sich die Deutschen – hüben wie drüben – vier Jahrzehnte nach dem totalen Zusammenbruch wieder daran machen, ihre Identität als Deutsche zu suchen.“267 Der Generalsekretär des BdV, Hartmut Koschyk, forderte im Anschluss an diese Aussage daher eine stärkere Fokussierung auf die „nationale Frage“ in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus. Wichtigste Aktion gegen die Republikaner sei daher ein inhaltlicher „Rechtsschwenk“ der CDU, welcher die politisch Frustrierten vor allem durch eine neue Deutschlandpolitik ansprechen solle.268 Dies zielte dabei aber nur sekundär auf eine Strategie gegen die Republikaner – denn diese waren nicht das eigentliche Problem –, sondern war vor allem ein Argument für eine Rejustierung konservativer Politik im Sinne des Bundes der Vertriebenen. Dort hoffte man, durch die Betonung einer deutschen Identität und einer Neujustierung der Deutschlandpolitik auch den eigenen Einfluss wieder ausweiten zu können. Ähnliche Aussagen veröffentlichte die FAZ. Da die Zeitung gerade nicht die Republikaner als das Problem definierte, befasste sich die Reaktionsdiskussion nach der Berliner Wahl weniger mit dieser Partei. Diese war auch hier vor allem eine Auseinandersetzung mit der CDU – weniger der CSU, denn dort hüte man ohnehin „das Feuer der reinen Unions-Lehre und des Widerspruchs gegen Geißler“, wie „Die Zeit“ konstatierte.269 Wie die Vertriebenen kritisierte die FAZ insbesondere die angeblich verheerende Strategie der Mitte des CDU-General263 DOD, Mindestkonsens in Sachen Deutschland gefordert, 3.2.1989, S. 1. Siehe auch die im DOD ausschließliche Nennung von Stimmen gegen den politischen Kurs Geißlers. Vgl. DOD, Partei-Image, 3.2.1989, S. 1; DOD, Geißler, 3.2.1989; DOD, CSU-Sprecher beharren auf Strategiediskussion, 17.2.1989, S. 5. 264 DOD, Geißler, 10.2.1989, S. 8. 265 Ebd.; DOD, Partei-Image, 3.2.1989, S. 1; DOD, Mindestkonsens, 3.2.1989, S. 1; DOD, Geißler, 3.2.1989, S. 3; DOD, Kohl, 10.2.1989, S. 6. 266 DOD, Partei-Image, 3.2.1989, S. 1. 267 DOD, Geißler, 3.2.1989, S. 3. Zur Identitätsdebatte siehe Wolfrum, Geschichtspolitik, S. 304–307. 268 DOD, Partei-Image, 3.2.1989, S. 1; DOD, Mindestkonsens, 3.2.1989, S. 1; DOD, Geißler, 3.2.1989, S. 3; DOD, Geißler, 10.2.1989, S. 8; DOD, CSU-Sprecher, 17.2.1989, S. 5. 269 Die Zeit, Haare auf dem Hund, 17.2.1989.
408 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) sekretärs: „Nach den dramatischen Stimmenverlusten in Berlin müssen“ CDU und FDP überlegen, „ob nicht ihr ganzes Konzept falsch sei, ob Strategie und Taktik stimmen, […] und ob man alle erreichbaren Wähler wirklich anspreche.“270 „Diepgen habe an diesem Abend eine Schlacht verloren, Heiner Geißler ein strategisches Konzept“, bilanzierte die Zeitung.271 Sogar Schönhuber wurde dahingehend zitiert, dass Geißler ein „phantastischer Wahlhelfer“ gewesen sei.272 Während Geißler und seine Verbündeten nur wenig Raum in der Berichterstattung der FAZ bekamen, wurden vor allem die einen Rechtsruck fordernden Stimmen aus der CSU oft und ausführlich präsentiert.273 Um wieder mehrheitsfähig zu werden, müsse die Union nun ihr gesamtes politisches Profil überarbeiten.274 Speziell die CDU müsse sich entscheiden: „Ächtung der Republikaner und ihrer politischen Ziele mit dem Verdikt, dies sei eine beinahe verfassungswidrige Partei, oder Berücksichtigung ihrer politischen Ziele […] Beides hat aus der Sicht der CDU den gleichen Zweck: die politische Liquidierung dieser Gefahr für die eigene Macht.“275
Machterhalt für das konservativ-bürgerliche Lager war allerdings nicht nur das Ziel der Unionsparteien, sondern auch der FAZ. Während soziale Maßnahmen nur am Rande diskutiert wurden, forderte sie daher eine deutliche Verschärfung der Asyl- und Ausländerpolitik als wichtigstes Mittel zur Sicherung der politischen Hegemonie.276 Die Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus könne vor dem Hintergrund stark verbreiteter Fremdenfeindlichkeit nur über weniger Zuzüge aus dem Ausland geführt werden, lautete das Fazit der FAZ. Punktuelle Korrekturen in der Ausländerpolitik würden in keinem Fall ausreichen, und auch wenn eine radikale Ausländerpolitik in der Praxis nicht realis-
270 FAZ, CDU, 31.1.1989, S. 3. So auch FAZ, Schlappe, 30.1.1989, S. 1f.; FAZ, Thomas-Dehler-Haus, 30.1.1989, S. 3; FAZ, CDU, 31.1.1989, S. 1f.; FAZ, Kursänderung, 31.1.1989, S. 5; FAZ, Achselzucken, 1.2.1989, S. 3; FAZ, Geißler, 2.2.1989, S. 3; FAZ, CDU – was nun?, 3.2.1989, S. 1; FAZ, Punkte, 8.2.1989, S. 10; FAZ, Berliner, 11.2.1989, S. 10. Bereits vor der Wahl hatte die FAZ politische Strategiefehler der bürgerlichen Koalition auf Bundesebene als Hauptgrund für die drohende Niederlage der CDU ausgemacht. Vgl. FAZ, Angst, 27.1.1989, S. 1. 271 FAZ, Der Wahlstratege Geißler – ratlos, 30.1.1989, S. 3. Siehe auch FAZ, CDU, 3.2.1989, S. 1; FAZ, Kohl, 4.2.1989, S. 2; FAZ, Volksparteien in Not, 7.2.1989, S. 1. 272 FAZ, Partei, 2.2.1989, S. 2. Siehe auch FAZ, Schönhuber, 9.2.1989, S. 2. 273 FAZ, Schlappe, 30.1.1989, S. 1f.; FAZ, CSU. Katastrophales Ergebnis, 31.1.1989, S. 5; FAZ, Kursänderung, 31.1.1989, S. 5. 274 FAZ, CDU, 3.2.1989, S. 1. Siehe auch FAZ, Dregger, 3.2.1989, S. 2; FAZ, Punkte, 8.2.1989, S. 10. 275 FAZ, CDU, 3.2.1989, S. 1. 276 FAZ, Debakel, 1.2.1989, S. 2; FAZ, Geißler, 2.2.1989, S. 3; FAZ, Dregger, 3.2.1989, S. 2; FAZ, Streit, 6.2.1989, S. 2.
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tisch sei, stehe dies einer verbalen Verschärfung nicht im Wege.277 „Änderung des Asyl-Artikels im Grundgesetz, Beschleunigung der Asylverfahren, verschärfte Restriktionen beim Ausländerrecht, Nachdruck bei den Sicherheitsgesetzen“, beschrieb „Die Zeit“ die Vorstellungen der CSU – die auch für die FAZ gelten. Vor allem konservative und politisch rechts stehende Stimmen kritisierten, dass die CDU durch ihren Kurs der politischen „Mitte“ den rechten Rand freigemacht habe. Zwar war das Debakel der CDU/FDP-Koalition in Berlin auch für die „Frankfurter Rundschau“ eindeutig wichtiger als der Erfolg der Republikaner, aber dieser Interpretation konnte sie ebenfalls zustimmen.278 Allerdings zog sie daraus gegenteilige Schlüsse.279 Einen Rechtsruck mit dem Ziel der Integration rechter Kräfte in die Unionsparteien lehnte die Zeitung mit Blick auf die politische Kultur und die diskursiven Brandmauern ab.280 Dennoch richtete sie zentrale Reaktionsforderungen nach der Berliner Wahl an die Unionsparteien. Wie in der „Allgemeinen“, der „Zeit“ und den gewerkschaftlichen Berichten stand auch in der FR besonders deren Abgrenzung zum Rechtsradikalismus im Mittelpunkt. Hinweise auf die ideologische und politische Nähe der Unionsparteien zu den Republikanern wurden oft dokumentiert.281 Dass speziell die CSU „mit einer massiven Asyl- und Ausländerkampagne den ‚Republikanern‘ erst die Wähler zugetrieben […] haben könnte, dieser Überlegung ist man bei der CSU absolut unzugänglich“, so die deutliche Kritik.282 Ohne eine klare Abgrenzung zum Rechtsradikalismus würden die Tabuisierung derartiger Positionen und die diskursiven Grenzen der Bundesrepublik kaum 277 FAZ, CDU, 3.2.1989, S. 1. 278 Auch die Rundschau konstatierte, dass der Erfolg der Republikaner das Produkt der strategischen Entscheidung der CDU war, sich verstärkt auf die politische „Mitte“ zu konzentrieren. So habe man den national-konservativen Rand freigegeben. Vgl. FR, Kurs, 31.1.1989, S. 1f. Siehe auch FR, Berlin, 31.1.1989, S. 3; FR, Wahlplakat, 31.1.1989, S. 3; FR, Stammwähler und Geißler-Schneise, 31.1.1989, S. 3. 279 Diese Aussagen täuschen allerdings darüber hinweg, dass sich in der FR speziell zu den Republikanern nach der Wahl überraschend wenige Artikel und zunächst keine Kommentare finden. Diese tauchten in der Berichterstattung über den Wahlausgang zwar häufig auf, dies beruhte aber vor allem auf dem Zusammenhang ihres Ergebnisses mit der Niederlage der CDU. 280 So artikulierte die FR in zahlreichen Berichten ihre Befürchtung, dass CDU und CSU nun mit einer Rechtswende versuchen würden, die zu den Republikanern abgewanderten Wähler zurückzugewinnen. Vgl. insbesondere FR, Enttäuscht, 31.1.1989, S. 1; FR, Kurs, 31.1.1989, S. 1f.; FR, Stammwähler, 31.1.1989, S. 3; FR, Demagogie, 31.1.1989, S. 3; FR, Berlin, 31.1.1989, S. 3; FR, Hessen soll Asylpolitik jetzt nicht verschärfen, 31.1.1989, S. 13; FR, Wahlschlappe, 1.2.1989, S. 1f.; FR, Berlin, 1.2.1989, S. 16; FR, Brück, 1.2.1989, S. 16; FR, Erfolg der Rechten facht Asylstreit an, 2.2.1989, S. 1f.; FR, Stimmung, 3.2.1989, S. 3; FR, Kraftmeiereien, 9.2.1989, S. 3. 281 Vergleiche z. B. FR, Rechtsextreme, 20.1.1989, S. 4; FR, Berlin, 31.1.1989, S. 3; FR, Medienrummel, 2.2.1989, S. 3; FR, Leute, 2.2.1989, S. 4; FR, Momper und Diepgen berieten, 3.2.1989, S. 1f.; FR, Kurs, 3.2.1989, S. 1; FR, Stimmung, 3.2.1989, S. 3. 282 FR, Demagogie, 31.1.1989, S. 3.
410 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) aufrechtzuhalten sein. Die Hinweise der FR, dass neben vielen Christdemokraten einige alte NPD-Mitglieder – „darunter ein ehemaliger Landesvorsitzender“ – zu den Republikanern gewechselt seien, dienten wohl ebenfalls dem Ziel, deren Nähe zum Rechtsradikalismus zu untermauern.283 Federführend in der Kritik an der Integrationsstrategie von CDU/CSU waren allerdings die Gewerkschaften.284 Die christsozialen Strategien der Entpolitisierung, so der Vorwurf, hätten dazu geführt, dass der rechtsradikalen Szene sowie einer schleichenden Unterhöhlung der Demokratie nicht wirksam entgegengetreten werden konnte.285 Vor allem Politiker der Unionsparteien – namentlich genannt wurden der damalige Bundesverkehrsminister Friedrich Zimmermann, der frühere Berliner Innensenator Heinrich Lummer und der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Alfred Dregger – „haben gewollt oder ungewollt dazu beigetragen, eine nationalistische und fremdenfeindliche Politik in der Bundesrepublik hoffähig zu machen“286. Es sei beschämend, lautete die Kritik, wenn sich die Unionsparteien mit NPD, Republikanern und DVU um das Copyright für eine fremdenfeindliche Politik streiten.287 Die Union habe mit ihrer „das-Boot-ist-voll“-Rhetorik und der relativistischen Geschichtspolitik die Tabuschwelle gesenkt und zu einer Normalität von rechtsradikalem Gedankengut beigetragen.288 Rassismus sei nur die Konsequenz dessen, was der rechte Unionsflügel zuvor gefordert habe, klagten die Gewerkschaften.289 Es sei kein Zufall, dass ausgerechnet die Republikaner den Konkurrenzkampf mit der DVU, der FAP und der NPD beherrschen würden. Sie hätten es geschafft, den Rechtsradikalismus „sozial akzeptabel und politisch hoffähig zu machen [sowie] ihn von dem stigmatisierenden Schatten Hitlers zu befreien“290. Nun müsse man nicht mehr 283 FR, Wahlplakat, 31.1.1989, S. 3; FR, Medienrummel, 2.2.1989, S. 3; FR, Leute, 2.2.1989, S. 4. 284 GMH 7 (1989), Ausländerfeindlichkeit, S. 414; GMH 9 (1989), Traditionen, S. 521; GMH 9 (1989), Wahlerfolge, S. 537; GMH 9 (1989), Profile, S. 547f.; GMH 9 (1989), Jugend, S. 553f.. Kritischer, aber nicht vollständig ablehnend dazu GMH 9 (1989), Konservatismus und Rechtsextremismus. Nähen und Distanzen, S. 561–570, hier S. 569; Metall, Rechtsextreme, 10.2.1989, S. 4; Metall, Am Computer juckt die Lederhose, 30.6.1989, S. 9. 285 GMH 9 (1989), Traditionen. 1989, S. 521; Mertsching / Renners, S. 9f. 286 GMH 7 (1989), Ausländerpolitik, S. 386. So auch Metall, Rechtsextreme, 10.2.1989, S. 4; Uellenberg / DGB-Bundesvorstand, Rechtsradikalismus, S. 4–6. 287 GMH 7 (1989), Ausländerpolitik, S. 386. Auch schon während der Bremer Wahl kritisierte die Metall, dass sich die CDU nicht zu schade dafür gewesen sei, in einer ihr gehörenden Druckerei die rassistische Wahlwerbung der DVU zu drucken. Vgl. Metall, Sturm, 4.9.1987, S. 15. 288 GMH 9 (1989), Profile, S. 547; GMH 9 (1989), Jugend, S. 554. 289 GMH 9 (1989), Traditionen, S. 522f. 290 GMH 9 (1989), Profile. 1989, S. 537. Siehe auch GMH 9 (1989), Wahlerfolge, S. 530; Metall, Brandstifter, 30.6.1989, S. 8f.; Uellenberg / DGB-Bundesvorstand, Republikaner, S. 2.
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mit dem sozialen Umfeld brechen, um eine rechtsradikale Partei zu unterstützen, lautete die bittere Erkenntnis. Mit zweifelhafter Wortwahl erklärte ein Artikel zudem, dass die Rechtsradikalen derart das Ghetto der öffentlichen Tabuisierung und Stigmatisierung hätten verlassen können.291 Angesichts der herrschenden konservativen Hegemonie zielte die (links-)liberale Presse darauf, eine Ausweitung der Grenzen der Sagbarkeit zu verhindern. Ein Rechtsruck würde genau das falsche Signal aussenden und den Republikanern nachträglich recht geben, zitierte die FR den FDP-Vorsitzenden Gerhard Baum.292 Auch „Die Zeit“ betonte, dass eine inhaltliche Anpassung an die Republikaner diese „erst wirklich hoffähig“ mache.293 Sie appellierte: „Nur wenn die Konservativen die reinigende Aufgabe übernehmen, den Reaktionären zu widersprechen, läßt sich denen das Wasser abgraben. […] Eilfertige Anpassungsstrategien gegen den Rivalen signalisierten ihnen und den Zweiflern bloß, sie hätten im Grunde ja recht.“294 Die „Frankfurter Rundschau“ ergänzte, dass es nun wichtig sei, Geißler in dieser Situation zu stärken, da alles andere als „Anbiederung an die Republikaner“ verstanden würde.295 Dessen Warnungen vor einer Anpassung an deren Positionen wurden entsprechend oft in der Berichterstattung aufgegriffen.296 Fast wirkt es so, als ob die FR auf Geißlers Seite in die Diskussion eingreifen wollte. Sie zielte darauf ab, diejenigen Kräfte in der Union zu unterstützen, die sich eindeutig von rechtsradikalen Positionen abgrenzten. Die geplante Verschärfung der Ausländerpolitik durch die Regierung Kohl und andere Länderregierungen mit CDU/CSU-Beteiligung sowie ganz grundsätzlich die Rückkehr dieses emotionsgeladenen Reizthemas sei nichts weiter als ein „Pawlowscher Reflex“.297 Sogar der Bundeskanzler wisse sehr genau, dass Europa und der europäische Binnenmarkt „keine regierende Partei in Deutschland [vertragen], die im Ruche deutschnationaler Politik steht“.298 Es wäre für „unsere Zukunft als ein in der Welt geachteter Staat verheerend, wenn etablierte Parteien, wie etwa die 291 Vgl. GMH 10 (1988), Systemunzufriedenheit, S. 641. Siehe auch GMH 9 (1989), Traditionen. 1989, S. 513. 292 FR, Kurs, 3.2.1989, S. 1. 293 Die Zeit, Viel Asche, doch keine Buße, 10.2.1989. 294 Die Zeit, Parteien, 2.3.1989. 295 FR, Stammwähler, 31.1.1989, S. 3. 296 FR, Wahlschlappe, 1.2.1989, S. 1f. 297 Vgl. FR, Stimmung, 3.2.1989, S. 3. Im Gegensatz zu vielen anderen Medien und Akteuren betonte die FR daher, dass Ausländerfeindlichkeit keine besondere Wirkung auf das Wahlergebnis gehabt habe und versuchte, eine Verschärfung der Ausländerpolitik als unsinnig und überflüssig zu beschreiben. Die weniger radikalen Aussagen der FDP zu diesem Streitthema behagten der FR dabei wesentlich mehr und wurden als positives Gegenbeispiel präsentiert. Vgl. FR, Wahlplakat, 31.1.1989, S. 3; FR, Kurs, 31.1.1989, S. 1f.; FR, Hessen, 31.1.1989, S. 13; FR, Wahlschlappe, 1.2.1989, S. 1f.; FR, Berlin, 1.2.1989, S. 16; FR, Kurs, 3.2.1989, S. 1. Siehe zur Kritik an der Verschärfung der Ausländerpolitik auch FR, Erfolg, 2.2.1989, S. 1f. 298 FR, Stammwähler, 31.1.1989, S. 3.
412 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) CSU, das ‚national-konservative Vakuum‘ dadurch füllen wollten, daß sie es mit ‚republikanischem‘ Müll vollstopfen“.299
8.4. Hessen und die „wehrhafte Demokratie“ Bei der hessischen Kommunalwahl, die knapp zwei Wochen nach dem Berliner Wahlsonntag stattfand, zeigte sich die neue Integrationsstrategie der CDU bereits deutlich, als die Landespartei mit rechtslastigen Aussagen zum Asylmissbrauch auf Wählerfang ging.300 Dennoch bemerkte „Die Zeit“, die „hessischen Kommunalwahlen mit der Symbolstadt Frankfurt stehen kurz bevor“ und die Vorzeichen für die CDU seien hier keineswegs positiv.301 Sofort nach der Berliner Wahl richteten sich auch die Blicke der „Frankfurter Rundschau“ ins heimische Hessen.302 Ohne Frage hatte das Berliner Wahlergebnis ein Unsicherheitsgefühl bezüglich der weiteren Entwicklungen hinterlassen.303 So wenig bedrohlich die Republikaner als Manifestation des Frustrationspotenzials der Gesellschaft sein mochten, sie waren doch ein Symbol für den Rechtsruck und haben bereits vorhandene Sorgen der Zeitung bezüglich der weiteren Entwicklung noch verstärkt. Entsprechend wurde der Rechtsradikalismus allgemein in der FR mehrfach thematisiert. Neben der NPD berichtete die Zeitung speziell über die Versuche Michael Kühnens und seiner Liste Ausländer Raus – Nationale Sammlung, in Frankfurt am Main sowie der Stadt Langen im Kreis Offenbach Wahlkampf zu führen. Während Frankfurt nur der Medienwirksamkeit wegen ausgewählt wurde, sei die Stadt Langen mit ihrem begrenzten Gebiet und der vorhandenen rechtsradikalen Infrastruktur das eigentliche Ziel der etwa 25 bis 30 jungen Neonazis. Hier wolle die Gruppe die erste ausländerfreie Stadt schaffen, mutmaßte die FR.304 299 FR, Zukunft, 2.2.1989, S. 3. 300 Die Ablösung Heiner Geißlers als CDU-Generalsekretär im September 1989 symbolisierte dann endgültig die inhaltliche Wende. Vgl. Elmar Wiesendahl, Verwirrung und Verschleiß der Mitte. Zum Umgang des etablierten Politikbetriebs mit der rechtsextremistischen Herausforderung, in: Wilhelm Heitmeyer, Das Gewalt-Dilemma. Gesellschaftliche Reaktionen auf fremdenfeindliche Gewalt und Rechtsextremismus, Frankfurt am Main 1994, S. 115–137, hier S. 125. 301 Die Zeit, Asche, 10.2.1989. 302 Bange Blicke der FR richteten sich immer wieder auf die eingereichten Wahlunterlagen und die Frage, ob die Republikaner auch hier antreten werden. Vgl. FR, Berlin, 1.2.1989, S. 16; FR, Zur Kommunalwahl haben sich die Republikaner noch nicht angemeldet, 1.2.1989, S. 16. 303 „Jetzt müsse auch in Hessen jeder begreifen, daß es fünf vor zwölf ist“ zitierte die Zeitung eine Erklärung der CDU. Vgl. FR, Kurs, 31.1.1989, S. 1f. Siehe auch FR, Eine Stadt legt sich mit den Neonazis an, 31.1.1989, S. 13; FR, Berlin, 1.2.1989, S. 16. 304 FR, Vorläufiges Aus für Kühnen, 10.2.1989, S. 3.
8.4. Hessen und die „wehrhafte Demokratie“
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Neben der Nationalen Sammlung versuchten weitere neonazistische Gruppierungen wie die FAP, von der Aufbruchsstimmung im rechten Lager zu profitieren. Die FAP wurde bereits 1979 vom ehemaligen HJ-Führer Martin Pape gegründet. Sie war zunächst lediglich bieder, militaristisch und ausländerfeindlich. Erst als nach dem Verbot der ANS/NA deren Aktivisten zuhauf in die Partei eintraten, wurde sie eindeutig neonazistisch.305 Zudem war die FAP wie keine andere rechtsradikale Partei mit der Hooligan- und Skinheadszene verbunden. In dieser Partei war Michael Kühnen ebenfalls relativ einflussreich. Um sie aber davor zu bewahren, als Nachfolgeorganisation der ANS/NA verboten zu werden, trat er ihr offiziell nicht bei. Als die FAP sich anhand der Homosexuellenfrage spaltete, verringerte sich der Einfluss Kühnens, dessen Homosexualität der Stein des Anstoßes war. Als Ersatz gründete er 1988 die Nationale Sammlung. Die FAP hingegen beteiligte sich unter der Führung des Rechtsterroristen Friedhelm Busse 1987 an der Bundestags- und 1989 an der Europawahl und hoffte, derart vor allem einem Verbot durch das Parteienprivileg zu entkommen. 1989 hoffte auch Kühnen auf die Beteiligung der Nationalen Sammlung an der hessischen Kommunalwahl. In der „Frankfurter Rundschau“ wurden die bundesweit etwa 170 jungen Mitglieder als sozial benachteiligte, wenig qualifizierte „Randfiguren“ beschrieben, die ohne Kühnen kaum etwas organisieren könnten.306 Dass diesem „aggressivem Häuflein“ der Einzug in die kommunalen Vertretungen gelingen würde, war unwahrscheinlich, aber die FR behauptete, dass den hessischen Kommunen „Ähnliches blühen“ könnte wie den West-Berlinern.307 Dabei helfen könnte den Neonazis wie im Fall der Republikaner der Protest linker Gegner, las man nun auch in der FR.308 Daher rief die Zeitung zumindest indirekt dazu auf, die erwünschten Proteste keinesfalls eskalieren zu lassen, um der Nationalen Sammlung die politische Bühne zu nehmen.
305 Für weitere Informationen zur FAP siehe Fromm, Rand, S. 81–84. Siehe auch das Buch von Georg Christians zur FAP. 306 „Wenn der nicht da ist, sind die lethargisch […] Die saufen lieber Bier und singen“, zitierte die Frankfurter Rundschau eine unbekannte Quelle. Vgl. FR, Stadt, 31.1.1989, S. 13. Ansonsten spielten die Ursachen des Neonazismus nicht einmal eine Nebenrolle. Nur noch ein weiterer Artikel verweist in der FR indirekt auf die Sorge, was in einem Ort passiere, wo ohnehin viele NPD wählen, wenn der wichtigste örtliche Arbeitgeber – das Braunkohle-Kraftwerk – schließe. Vgl. FR, Rechtsradikale, jede Menge Müll und streitbare Genossen, 10.2.1989, S. 18. 307 Dies bezog sich explizit auf die Nationale Sammlung. Vgl. FR, Stadt, 31.1.1989, S. 13. 308 Die FR schrieb: „Publizität erhofft sich Kühnen auch noch durch direkte Konfrontationen mit den recht starken Linksgruppierungen und dem örtlichen ‚Antifaschistischen Aktionsbündnis‘. Beim Verfassungsschutz spricht man von ‚Reibungsfläche, die er braucht‘, und der Politologe Eike Henning vom ‚Roten Stachel‘, welcher dem ‚N.S.‘ eine gute Chance böte, sich in der Öffentlichkeit darzustellen“. Vgl. ebd.
414 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) Es ist davon auszugehen, dass die „Rundschau“ mittlerweile für den Neonazismus wesentlich sensibilisierter war als noch zu Zeiten der ANS/NA sechs Jahre zuvor, als sie die vergleichbar irrelevante Aktion Ausländerrückführung während der damaligen hessischen Kommunalwahlen kaum thematisierte. Dies war sicherlich eine Folge der mittlerweile allgemein wahrgenommenen Mobilisierung der Rechten in der Bundesrepublik und insofern auch eine Reaktion auf das Berliner Wahlergebnis. Selbst der für Hessen zuständige Regionalteil der FAZ erklärte, dass das Berliner Ergebnis einen Schock hinterlassen habe, und zitierte zunächst die Aussage des hessischen CDU-Generalsekretärs, dass Frankfurt „auf dem Spiel steht“.309 Bevor sich abzeichnete, dass die Republikaner bei der hessischen Kommunalwahl nur in zwei Wahlkreisen antreten werden, betonte die FAZ, dass eine Denkzettel-Wahlentscheidung zugunsten der Republikaner wie in Berlin zu „katastrophalen Ergebnissen, zur Unregierbarkeit und dem Ende erfolgreicher Kommunalarbeit“ führe.310 Konsequent appellierte die Zeitung Ende der achtziger Jahre – auch an die eigene Leserschaft –, bei kommenden Wahlen wieder CDU beziehungsweise CSU zu wählen. Wie schon im Vorfeld der Berliner Wahl versuchte die Zeitung ihren Teil dazu beizutragen, die Vormachtstellung der Unionsparteien zu wahren. Inhaltliche Kritik an den Republikanern veröffentlichte die FAZ aber weiterhin nicht, weil sie viele Positionen der Partei durchaus teilte. In Bezug auf Gruppierungen, welche die FAZ als eindeutig rechtsradikal wahrnahm, war ihre Berichterstattung – vor allem im Regionalteil – allerdings sicherheitsorientierter.311 Die vielen Berichte über die NPD und die Nationale Sammlung während der hessischen Kommunalwahl beruhten neben der geografischen Relevanz für eine Frankfurter Zeitung auf der besonderen Bedeutung, welche die FAZ dem Neonazismus mittlerweile zugestand.312 Bereits der Umstand, dass die Nationale Sammlung genug Unterschriften zusammen bekommen habe, um 309 FAZ, Frankfurt steht auf dem Spiel, 31.1.1989, S. 33. Es wäre laut FAZ zudem eine bange Frage, ob die Republikaner tatsächlich noch zur Kommunalwahl antreten. Vgl. FAZ, Bisher keine Republikaner, 31.1.1989, S. 34; FAZ, Landrat fordert den Konsens, 1.2.1989, S. 38. 310 FAZ, Frankfurt, 31.1.1989, S. 33. 311 Es ist bereits im vorherigen Fallbeispiel deutlich geworden, dass der Regionalteil für Hessen und Frankfurt am Main mitunter sensibilisierter für den Rechtsradikalismus war und alarmierter berichtete. Insofern ist es zwar möglich, dass die nun im Umgang mit dem hessischen Neonazismus auftretende stärkere Bedeutung des Sicherheitsdenkens eine Folge der spezifischen Bearbeitung durch die Regionalredaktion war. Dies ist allerdings wenig wahrscheinlich, weil sich eine derartige Einordnung zumindest implizit auch aus dem Bericht zum Verbot der Nationalen Sammlung im politischen Hauptteil der Zeitung ergibt. Für die Allgemeingültigkeit dieser Befunde spricht überdies, dass auch die regionalen Berichte von einem der Herausgeber abgenommen werden mussten. 312 Dies zeigt sich auch in der weiteren Berichterstattung über Aktivitäten der NPD. Vgl. FAZ, Oberverwaltungsgericht Münster läßt NPD-Parteitag zu, 11.2.1989, S. 4.
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antreten zu können, war eine wichtige Nachricht.313 Mehrfach beschrieb die FAZ daneben Veranstaltungsverbote und die erfolgreiche Verhinderung von spontanen Ersatzdemonstrationen durch die hessische Polizei.314 In diesem Fall wurden die Gegenproteste dann auch positiv dargestellt, was wohl nicht nur an deren friedlicheren Natur gelegen haben mag, sondern auch an der eindeutigen Ablehnung der Neonazis durch die FAZ.315 Sogar über die Besetzung des Büros der Deutschen Städtereklame in Frankfurt am Main, die der NPD Werbeflächen vermietet hatte, wurde kritiklos berichtet.316 Was die hessische Kommunalwahl für diese Studie relevant macht, ist dann aber das Verbot der Nationalen Sammlung am 9. Februar 1989 durch den Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann – wenige Tage vor dem Wahltermin.317 Auch wenn die FAZ dieses im Vorfeld nicht selbst gefordert hatte, begrüßte sie die Entscheidung. Ausführlich zitierte sie die Erklärung Zimmermanns und offenbarte auf diese Weise ihre Zustimmung. So sei es wichtig gewesen, dafür zu sorgen, dass die Neonazis keine Vereinigung aufbauen konnten, die sich „im Laufe der Zeit zu einer Partei verfestigt“.318 Kritik findet sich nur in Bezug auf die vermeintlich langatmige Durchsetzung: „Wusste die Polizei etwa nicht, wo die Extremisten wohnen […]?“, fragte ein Kommentar aus dem politischen Hauptteil der Zeitung.319 Der Regionalteil argumentierte, das Verbot sei „gerade noch rechtzeitig“ erfolgt und habe der Stadt Langen einiges erspart.320 Dennoch betonte die FAZ, dass das Verbot der Nationalen Sammlung leider nichts daran ändere, dass mit der NPD weiterhin Rechtsradikale an der Wahl teilnehmen und ihre Gesinnung verbreiten könnten.321 Während diese repressive Reaktion insofern positiv beurteilt wurde, lehnte ein Bericht ein Verbotsverfahren gegen die FAP ab, weil die „Beweislage nicht befriedigend“ sei und diese ein Verfahren zu ihren Gunsten hätte propagandistisch nutzen können.322 In diesem Fall war die Argumentation allerdings keinesfalls grundsätzlich. Trotz Zweifeln unterstützte die Zeitung nach wie vor die „wehrhafte Demokratie“ im Umgang mit neonazis313 FAZ, Reges Interesse kleinerer Parteien, 7.2.1989, S. 27. 314 FAZ, Gericht bestätigt Verbotsverfügung, 21.1.1989, S. 47; FAZ, Polizei verhindert Kundgebung der NS, 23.1.1989, S. 28; FAZ, Landrat, 1.2.1989, S. 38; FAZ, Brück verbietet Kundgebung, 3.2.1989, S. 39; FAZ, Gericht bestätigt Verbot rechtsextremer Kundgebung, 4.2.1989, S. 41; FAZ, Interesse, 7.2.1989, S. 27; FAZ, Parteitag der NPD bei Minden von örtlichen Behörden untersagt, 10.2.1989, S. 2. 315 Ebd.; Vgl. auch FAZ, Grüne wollen Rechtsradikale phantasievoll bekämpfen, 8.2.1989, S. 33. 316 FAZ, Protest gegen Plakate der NPD, 31.1.1989, S. 34. 317 Vgl. Botsch, S. 99; Fromm, Rand, S. 91–96. 318 FAZ, Zimmermann verbietet neonazistische Organisation, 10.2.1989, S. 2. 319 FAZ, Gelobt, gescholten, 10.2.1989, S. 12. 320 FAZ, Lehren, 10.2.1989, S. 43. 321 Ebd. bzw. FAZ, Nazi-Embleme im Führerhauptquartier, 10.2.1989, S. 43f. 322 FAZ, Zimmermann, 10.2.1989, S. 2.
416 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) tischen Gruppen vor allem aus Rücksicht auf die bundesdeutsche Außenwirkung und als Grenzmarkierung.323 Bezüglich der Nationalen Sammlung befürwortete die FAZ zudem die Beobachtung durch den Verfassungsschutz, die sie für die Republikaner stets ablehnte.324 In der „Frankfurter Rundschau“ finden sich bereits kurz vor dem Wahlgang in Hessen Verbotsforderungen sowohl bezüglich der Nationalen Sammlung als auch der FAP.325 Daneben wurden Versammlungsverbotsforderungen für als Wahlkampf gedachte Demonstrationen aufgegriffen und verbreitet.326 Wenig überraschend begrüßte die FR dann auch, dass sich Bundesinnenminister Zimmermann „rechtzeitig vor den hessischen Kommunalwahlen“ für ein Verbot dieses jüngsten Sprosses der „Kühnen-Gruppe“ entschloss.327 Diese Entscheidung, so der Kommentar weiter, „verdient uneingeschränktes Lob“, da es keinen Sinn mache, sich mit „diesen Leuten in der Sache auseinanderzusetzen“. Nun bliebe dem Wahlausschuss der Stadt Langen zudem die peinliche Situation erspart, die Neonazis zur Wahl zulassen zu müssen.328 Lediglich die Entscheidung, nicht parallel das Verbot der FAP anzustreben, wurde bemängelt.329 Doch trotz des Verbotes sei das Problem des Neonazismus keineswegs gelöst, prophezeite auch die FR. Ein Artikel betonte, dass dieser Bazillus resident sei und seine Träger „wieder an die Oberfläche kommen“ werden.330 Ein repressiver Umgang mit dem Rechtsradikalismus sei schließlich wenig nachhaltig, weil man mit einem Verbot keine Gesinnung verändere. Dennoch sei ein solcher zuweilen durchaus legitim und hilfreich: „Was denn sonst?“ – fragte die „Rundschau“ und bewies damit erneut ihre grundsätzliche Zustimmung zur „wehrhaften Demokratie“ im Umgang mit dem Rechtsradikalismus.331 Gerade die Sicherheitsorientierung im Umgang mit neonazistischen Gruppen verdeutlicht, dass repressives Vorgehen bei etwas 323 FAZ, Bonn verbietet neonazistische Vereinigung, 10.2.1989, S. 1. 324 FAZ, Zimmermann, 10.2.1989, S. 2 bzw. FAZ, Neu, 8.2.1989, S. 5. 325 Auch über eine Strafanzeige der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes gegen die vermeintliche Dachorganisation der Nationalen Sammlung, die FAP, wurde berichtet und direkt damit verknüpft, dass dies ein Antreten der Nationalen Sammlung nicht verhindere. Die darauf folgende Erklärung, dass nur eine verbotene Partei von der Wahl ausgeschlossen werden könne, ist durchaus als impliziter Versuch zu werten, ein solches in die Diskussion zu tragen. Vgl. FR, Kommunalwahl, 1.2.1989, S. 16. Siehe für explizite Forderungen auch FR, Neonazi-Demonstration verboten, 4.2.1989, S. 13. Zudem zitierte die FR die Forderung des hessischen DGB-Vorsitzenden nach einem Verbot aller rechtsradikalen Organisationen. Vgl. FR, Momper, 3.2.1989, S. 1f. 326 FR, Neonazis planen drei Demonstrationen, 1.2.1989, S. 16. 327 FR, Aufreizend, 10.2.1989, S. 3. Siehe auch FR, Neonazi-Partei vor Wahl verboten, 10.2.1989, S. 1f. 328 FR, Aus für Kühnen, 10.2.1989, S. 3; FR, Goebbels- und Hitlerreden dröhnen oft durch die Nachbarschaft, 11.2.1989, S. 13. 329 Vgl. FR, Neonazi-Partei, 10.2.1989, S. 1f.; FR, Aus für Kühnen, 10.2.1989, S. 3. 330 FR, Aufreizend, 10.2.1989, S. 3. 331 FR, Aus für Kühnen, 10.2.1989, S. 3.
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gestiegener Bedrohungswahrnehmung nach wie vor bejaht wurde, wenngleich die Nationale Sammlung auch in der Wahrnehmung der zeitgenössischen Beobachter völlig ungefährlich war. Dies deutet darauf hin, dass die FR das Verbot – gerade in diesen Zeiten des gesellschaftlichen Rechtsruckes und der zahlreichen Krisenmanifestationen – ebenfalls als ein Zeichen der Grenzmarkierung und als Symbol der nach wie vor möglichen Wehrhaftigkeit begrüßte. Insofern hatte die Zeitung ihre grundsätzlich positive Haltung zur „wehrhaften Demokratie“ keineswegs aufgegeben und Zweifel in Bezug auf die demokratische Legitimation dieses Staatsschutzkonzeptes finden sich weiterhin nicht. Im Umgang mit der DVU und insbesondere den Republikanern ist zwar ein Wandel weg von einer primär auf Sicherheitspolitik zielenden Berichterstattung auszumachen, aber dieser Befund gilt nicht für neonazistische Gruppen und Parteien. Auch das Verbot der Nationalistischen Front (NF) gut zwei Jahre später bewertete die Zeitung zum Beispiel positiv: „Mag die Geschichte dieses Landes alles in allem auch positiv vom vorsichtigen Gebrauch der Waffe ‚Verbot‘ geprägt sein, so gibt es objektive Grenzen für den weiteren Verzicht auf ein aktives Bekenntnis zur wehrhaften Demokratie. An dieser Grenze stehen wir. […] Zur Hygiene dieser Demokratie – sie ist das logische Gegenmodell zum Dritten Reich – gehört die dauerhafte, konsequente Ächtung der nationalsozialistischen Ideologie und ihrer Symbole: Deshalb ist es gut, daß die ‚Nationalistische Front‘ verboten wurde.“332
Die Verbote der FAP und der von Kühnen gegründeten Nationalen Liste (NL) 1995 stellte die FR ebenfalls als legitime und sinnvolle Maßnahmen dar: „Wo eine politische Auseinandersetzung […] unmöglich sei, müsse die Grundordnung mit Verboten geschützt werden“, zitierte die FR Bundesinnenminister Kanther und kommentierte: „Es ist ein guter Tage für die Demokratie“.333 Dem Argument, dass ein Verbot gewaltbereite Neonazis in den Untergrund dränge, entgegnete die Zeitung, dass diese ohnehin schon von dort agieren würden. Eine zusätzliche Grafik listet zahlreiche rechtsradikale Gruppierungen auf, von denen die Hälfte bereits verboten war, und forderte auf diese Weise implizit Verbote von NPD, DVU und – in der Mitte der neunziger Jahre – auch den Republikanern.334 Ein kursorischer Blick auf die NPD-Verbotsdebatten im neuen Jahrtausend bestätigt gleichfalls, dass in der FR in Bezug auf Sicherheit und Freiheit im Umgang mit dem Rechtsradikalismus ein grundlegender Wandel nicht stattfand.335 Da die 332 FR, Das Maß ist voll, 28.11.1992, S. 3. Siehe auch FR, Nationalistische Front verboten, 28.11.1992, S. 1; FR, Bonner Verbot gegen ND, 28.11.1992, S. 4. 333 FR, Kanther verbietet Neonazi-Gruppe FAP, 25.2.1995, S. 1. bzw. FR, Schnell, aber zu spät, 25.2.1995, S. 3. 334 Vgl. FR, Rechte Gruppierungen, 25.2.1995, S. 4. 335 Hier plädierte die FR weiterhin für ein NPD-Verbot. Vgl. z. B. FR, Eine Frage des Wollens, 3.8.2000, S. 3; FR, Zeit für ein NPD-Verbot, 4.8. 2000, S. 3; FR, Gegen Rechtsextreme hilft nicht warm duschen, 9.8.2000, S. 4.
418 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) Zeitung hier mehrfach ein Verbot der NPD forderte, ist eher von einem speziellen Umgang mit rechtspopulistisch agierenden Parteien auszugehen, der andere rechtsradikale Strukturen weit weniger betraf. Auch die NPD war im neuen Jahrtausend immer weniger rechtspopulistisch aktiv, sondern bekannte sich immer offener zum Nationalsozialismus. Da die „Frankfurter Rundschau“ im eigentlichen Untersuchungszeitraum weiterhin eine Überwachung durch die Verfassungsschutzbehörden und Berufsverbote für Anhänger der Republikaner forderte,336 ist offensichtlich, dass die Zeitung gegenüber dem Rechtspopulismus zwar weniger auf Verbote setzte, sich aber dennoch keineswegs für Toleranz aussprach. Schließlich sind dies klassische sicherheitspolitische Maßnahmen und speziell der Verfassungsschutz wird als „Frühwarnsystem“ der Demokratie wahrgenommen, weil er viel weiter im Vorfeld einer konkreten Gefahr tätig werden darf als zum Beispiel die Polizei. Dass tolerantes Gewährenlassen selbst gegenüber der marginalisierten DVU auch 1989 kein Ziel der Zeitung war, zeigen zudem die Berichte über postalische Zusendung von Wahlwerbung mit ausländerfeindlichen Aussagen an zahlreiche Haushalte beziehungsweise kostenfreie Exemplare der „Deutschen Wochenzeitung“ an Alten- und Pflegeheime im Januar 1989.337 Verärgerten Empfängern empfahl die Zeitung mit Verweis auf die Postgewerkschaft, die Briefe mit dem Vermerk „Annahme verweigert“ wieder in die Briefkästen zu werfen,338 vor allem aber skandalisierte die FR die fehlende Bereitschaft der Bundesregierung, trotz vielfacher Forderungen aus Opposition, Gewerkschaften und den Briefträgern selber die gesetzlichen Möglichkeiten zu schaffen, derartige postalische „Provokation“ zu verhindern.339 Dass die DVU derartige Aktionen durchführe, rüttele „zwar nicht unbedingt an den Grundpfeilern unserer demokratischen Ordnung, aber immerhin“, kommentierte die FR, wittern „die Rechtsextremisten […] offensichtlich Morgenluft“.340 Sie hätten ihre organisatorische Spaltung überwunden und immer stärkeren Zulauf.341 Dies sei ein „Zeichen für ein ver336 FR, Bonn hält Republikaner nicht für extremistisch, 2.2.1989, S. 4; FR, Berufsverbot für Republikaner?, 3.2.1989, S. 4. 337 FR, Rechtsextreme Parteiwerbung per Post, 14.1.1989, S. 1; FR, Bündnis, 19.1.1989, S. 4; FR, Rechte Propaganda macht Post doppelte Arbeit, 19.1.1989, S. 4; FR, Propaganda, 21.1.1989, S. 1. 338 FR, Parteiwerbung, 14.1.1989, S. 1; FR, Propaganda, 19.1.1989, S. 4. 339 Dort würde man eher auf die Einnahmen von etwa 3 Millionen DM schielen. Sie beschrieb nicht nur die Empörung der Adressaten, sondern auch der Postzustellenden, die sich kaum gegen diese Aufgabe wehren könnten und von Kunden teilweise als „Nazischweine“ oder als „Handlanger einer rechtsextremen Partei“ beschimpft würden. Vgl. FR, Parteiwerbung, 14.1.1989, S. 1; FR, Propaganda, 19.1.1989, S. 4; FR, Empörend, 21.1.1989, S. 3; FR, Keine Volksverhetzung bei DVU?, 24.1.1989, S. 4. 340 FR, Empörend, 21.1.1989, S. 3. 341 FR, Antifaschisten, 30.1.1989, S. 4 bzw. FR, Zulauf für Rechtsextremisten, 6.2.1989, S. 1.
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ändertes politisches Klima“, welches – so die implizierte Schlussfolgerung – nach rechts gerückt sei.342 Daher seien auch symbolträchtige Aktionen unabhängig von der konkreten Bedrohungssituation ein wichtiges Mittel in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus. Auf der anderen Seite hielt die FR es nach wie vor für entscheidend, dass Parteien, die über deutlich größeren Einfluss als die Republikaner verfügten, sich nicht in deren Fahrwasser begeben. Ansonsten „könnte die neue extreme Rechte sehr wohl eine für das ganze Gemeinwesen traurige Zukunft bekommen“.343 Schlimmstenfalls könnten diese die Rolle des Katalysators für einen noch weitergehenden Rechtsruck der Gesellschaft einnehmen. Deshalb sei in diesem konkreten Fall die Abgrenzungsfrage viel entscheidender als eine massivrepressive Reaktion. Zudem müssten vor allem die sozio-ökonomischen Probleme angegangen werden, um die verbreiteten Frustrationspotenziale abzubauen. Zumindest in Bezug auf die rechtspopulistischen Republikaner hatte sich die Berichterstattung der FR verändert. So erklärte ein Kommentar, dass der Erfolg der Republikaner, obwohl die Entscheidung zu deren Wahl sicher nicht aus Vernunft getroffen wurde, zur Demokratie dazugehöre.344 Anders als während der Erfolgsphasen von SRP in den fünfziger und NPD in den sechziger Jahren hielt es die FR allerdings für nahezu ausgeschlossen, dass die Republikaner weitere größere Erfolge erzielen könnten. Diese traute sie der Partei nur dort zu, wo es, wie auf kommunaler Ebene, keine Fünfprozenthürde gebe.345 Neben der fehlenden Bedrohungswahrnehmung beruhte die Abkehr der FR von einem deutlich sicherheitsorientierten, primär auf Verbote setzenden Umgang mit den rechtspopulistisch agierenden Republikanern aber auch auf der Erkenntnis, dass die konservative Hegemonie dieser Jahre das eigentliche Problem sei. In dieser Deutung sind jene lediglich ein Symptom, während CDU und CSU die Hauptgegner der „Frankfurter Rundschau“ blieben. Zudem ist es sehr wahrscheinlich, dass diese tolerantere Haltung gegenüber den Republikanern auch auf strategischen Überlegungen beruhte. Entsprechend bewertete die FR die Partei, wie schon in den fünfziger Jahren die SRP, wohl als Schwächung der Unionsparteien beziehungsweise der schwarz-gelben Koalition – was sich in Berlin mit der Koalition von SPD und Alternativer Liste direkt bestätigte. So verstanden, eröffneten die Republikaner linksalternativer Politik verbesserte Chancen zur Mehrheitsbildung, weil sie in Zukunft vor allem den Unionsparteien „empfindliche Einbußen bereiten“ werden.346 Für diese Deutung spricht, dass die FAZ, wie in den 342 FR, Empörend, 21.1.1989, S. 3. 343 FR, Zukunft, 2.2.1989, S. 3. 344 FR, Wahl, 1.2.1989, S. 3. 345 FR, Demagogie, 31.1.1989, S. 3. Vgl. für skeptischere Prognosen FR, Antifaschisten, 30.1.1989, S. 4. 346 Vgl. FR, Stammwähler, 31.1.1989, S. 3. So auch FR, Berlin, 31.1.1989, S. 3; FR, Medienrummel, 2.2.1989, S. 3.
420 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) bisherigen Ausführungen mehrfach erwähnt wurde, gewissermaßen als Gegenstück gerade diese schwindenden Regierungsoptionen für bürgerliche Parteien explizit problematisierte. Mit Bezug auf die sechziger Jahre erklärte auch „Die Zeit“, dass „Stimmen für die NPD […] eine Mehrheit gegen die Union“ ermöglicht hätten.347 Insofern bewegte sich die Berichterstattung der FR insgesamt in ähnlichen Bahnen wie in den frühen fünfziger und den späten sechziger Jahren, als ebenfalls CDU, CSU und damals gleichfalls FDP und die Deutsche Partei in den Fokus der Kritik rückten. Den Rechtsradikalismus behandelte die „Frankfurter Rundschau“ stets in seiner Interaktion mit dem konservativen Spektrum der Gesellschaft, agierte er rechtspopulistisch und grenzte sich entschieden zum Nationalsozialismus ab, forderte die Zeitung aber weniger Repression ein als gegen neonazistische Gruppen. „Die Zeit“ tendierte in eine ganz ähnliche Richtung und argumentierte keineswegs grundsätzlich gegen die „wehrhafte Demokratie“ und speziell Verbote gegen rechtsradikale Gruppen. Entscheidend sei in dieser Frage aber eben die klare Beschränkung auf offen rechtsradikale Strukturen. Speziell Parteien wie Die Republikaner, aber auch DVU und NPD, müssten hingegen anders angegangen werden. Wenn Parteien zwar rechtsradikale Meinungen vertreten, in der Öffentlichkeit aber rechtspopulistisch auftreten und sich an die Gesetze der Bundesrepublik weitgehend halten, verfangen Verbote beziehungsweise die Androhung von Verboten „als traditionelle Methode gegenüber rechtsextremen Parteien“ nicht mehr.348 Gerade deren rechtspopulistische Strategie mache Verbotsbemühungen „juristisch ziemlich aussichtslos“, führt der Artikel weiter aus. Ohnehin bleibe „das Potenzial für eine rechtsextreme Partei“ trotz administrativer Sicherheitspolitik existent. Und selbst wenn der Rechtsradikalismus bald politisch wieder halbwegs marginalisiert werden könne, bleibt „Gefährlichkeit […] ein Begriff für sich“, zitiert „Die Zeit“ einen Hamburger Verfassungsschützer, da selbst die kleinste und isolierteste Zelle, wie im Fall des Oktoberfestattentates, massive Gewalt ausüben könne. Daher müssen auch diese Kleinststrukturen im Blick behalten werden. Im Gegensatz zu den anderen Publikationen finden sich in der „Zeit“ zudem mehr Informationen zur FAP und anderen neonazistischen Aktivitäten.349 Hier zeigt sich, dass die Zeitung dem Einsatz der „wehrhaften Demokratie“ gegen offen rechtsradikale Vereine, zumal wenn diese sich auf den historischen Nationalsozialismus berufen, eher zustimmte. So hieß es zwar einerseits in Bezug auf die FAP, dass diese sich unter der Führung von Friedhelm Busse immer unauffälliger präsentiere und daher zwar gefährlich sei, aber gleichzeitig ein Verbot immer unrealistischer werde: „Die Organisationsstruktur der Partei 347 Die Zeit, Trennlinien, 24.2.1989. 348 Ebd. 349 Nicht nur thematisierte Die Zeit Gewalttaten von Aktivisten, auch setzte sie sich mit deren ideologischen Grundlagen auseinander. Vgl. Die Zeit, Biedermann, 17.2.1989; Die Zeit, Parolen, 17.2.1989.
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ist bundesweit gefestigt, ihr Programm bekennt sich zu Parlamentarismus, Wahlen, Gewaltfreiheit. Das historisch und menschlich Unerträgliche einer Ideologie“, so das Argument der „Zeit“, sei hingegen „kein staatsrechtlicher Grund, sie zu verbieten.“350 Die von ihren Aktivisten ausgehende Gewalt müsse mithilfe der Strafverfolgungsbehörden angegangen werden und nicht mithilfe des Bundesverfassungsgerichtes. Andererseits kritisierte der gleiche Artikel das Verbot der Nationalen Sammlung aber mit keinem Wort. Stattdessen bemerkte dieser, dass es „im letzten Moment gekommen“ sei, bevor diese zur Wahl hätte zugelassen werden müssen. Anschließend beschrieb „Die Zeit“ den ohne das Verbot zu erwartenden Erfolg der Nationalen Sammlung in der hessischen Stadt Langen bei der Kommunalwahl, was wie eine Rechtfertigung der Verbotsverfügung wirkt. „Wir fühlen uns erleichtert“, zitierte sie entsprechend den SPD-Bürgermeister der Stadt. Das Verbot habe den erwarteten Erfolg der Neonazis zunichte gemacht, lautete das positive Fazit der Zeitung. Auch „Die Zeit“ positionierte sich insofern keineswegs gegen die „wehrhafte Demokratie“, sah aber vor allem deren fehlende Legitimation gegen öffentlich auf Abgrenzung bestrebte Strukturen – unabhängig von deren teilweise unbestreitbaren rechtsradikalen Einstellungen. „Die Auseinandersetzung“ mit rechtspopulistisch agierenden Parteien bleibe daher „ein schwieriges Unternehmen mit ungewissem Ausgang“.351 Das kurzfristige Ziel, so der Bericht weiter, könne nur sein, die Republikaner unter die Sperrklausel zu drücken, um sie ähnlich uninteressant und damit irrelevant zu machen wie die NPD nach der Niederlage 1969. Dabei würden vor allem klare politische Auseinandersetzungen und nachhaltige Lösungen für aktuelle Probleme helfen: „Eine Union in der Opposition schluckt in der Regel ihren Protest. Wirtschaftliche Prosperität entzieht ihnen den Nährboden [...] Politische Polarisierung zwischen den Großparteien drückt sie meist an den Rand. Erkennbar knappe Mehrheitsentscheidungen erschweren ihren Erfolg. Eine erfolgreiche Regierung, die überdies deutlich macht, daß sie sich ernsthaft mit den aktuellen Problemen beschäftigt, dämpft ihren Protest.“352
Auch der Zentralrat und somit die „Allgemeine jüdische Wochenzeitung“ hatten ihre grundsätzliche Zustimmung zur „wehrhaften Demokratie“ als Instrument gegen den Rechtsradikalismus zu keinem Zeitpunkt aufgegeben. Dies zeigen die hier publizierten Verbotsforderungen bezüglich der neonazistischen FAP oder der positive Bericht zum Verbot der Nationalen Sammlung.353 Galinski nannte es zudem einen Skandal, dass „heute noch und schon wieder Parteien und Orga350 Die Zeit, Parolen, 17.2.1989. 351 Die Zeit, Trennlinien, 24.2.1989. 352 Ebd. 353 Allg. jüd. Wochenztg., FAP-Verbot, 28.8.1987, S. 3; Allg. jüd. Wochenztg., Neonazistische Nationale Sammlung verboten, 17.2.1989, S. 5.
422 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) nisationen bestehen können, die nicht das Geringste aus der Geschichte gelernt haben“.354 Dennoch beschrieb die „Allgemeine“ ebenfalls die Grenzen staatlicher Wehrhaftigkeit: „Niemand braucht sich der Illusion hinzugeben, daß mit drastischeren Strafen, strengeren Kontrollen, häufigeren Indizierungen und anderen juristisch-administrativen Eingriffen nachhaltige Erfolge zu erzielen wären. Im Gegenteil ist zu befürchten, daß, wie beim Rauschgift oder früher bei der Pornographie, das Interesse eines ohnehin anfälligen Personenkreises durch Verbote und Sanktionsandrohungen erst recht gefördert würde.“355
Allerdings lässt sich nirgends ein Bewusstsein für das demokratische Dilemma finden. Die Legitimation des westdeutschen Staatsschutzes stand weiterhin außer Frage. Zweifel beruhten insofern nicht auf grundlegendem Misstrauen, sondern lediglich auf der im Einzelfall fehlenden Wirksamkeit. Im Umgang mit dem nicht neonazistischen parteipolitischen Rechtsradikalismus forderte die „Allgemeine jüdische Wochenzeitung“ allerdings kaum repressive Schritte. Ganz im Gegenteil setzte die Zeitung im Fall der DVU in Bremen auf die demokratischen Selbstheilungskräfte und die Unfähigkeit der Rechten, vernünftige politische Arbeit abzuliefern: „Bis zur nächsten Bürgerschaftswahl haben dann hoffentlich auch die 13.000 begriffen, wem sie Vertrauen gegeben haben“.356 Gegen die Republikaner forderte vor allem Heinz Galinski mehrfach einen „Konsens aller Demokraten“357 und koordinierte sich mit allen demokratischen Parteien Berlins – inklusive der Alternativen Liste –, um diesen voranzutreiben. Er drängte ohnehin verstärkt in die Öffentlichkeit.358 Nach dem Tod von Rudolf Heß verkündete er, „aus der Verantwortung und der Verpflichtung heraus“ vielfach das Wort zu ergreifen, da die „Begleitumstände es nicht mehr zulassen zu schweigen“.359 Galinski stellte sich und die jüdischen Strukturen als stabilisierende Stütze und Verteidiger der Demokratie dar und betonte, bereits seit Langem vor einem Vormarsch der
354 Allg. jüd. Wochenztg., Gedanken, 4.9.1987, S. 9. 355 Allg. jüd. Wochenztg., Nazismus, 20.1.1989, S. 1. 356 Allg. jüd. Wochenztg., Selbstreinigung, 18.9.1987, S. 9. 357 Allg. jüd. Wochenztg., Signal, 3.2.1989, S. 1; Allg. jüd. Wochenztg., Heinz Galinski für Konsens aller demokratischen Kräfte, 10.2.1989, S. 1; Allg. jüd. Wochenztg., Konsens der Demokraten dringend erforderlich, 17.2.1989, S. 5. Die Forderung nach einem demokratischen Konsens findet sich in der Zeitung auch unabhängig von Heinz Galinski. Vgl. Allg. jüd. Wochenztg., Leben, 3.2.1989, S. 5. 358 Deutlich zeigt sich dies auch an den zahlreichen Interviews und Berichten in den anderen untersuchten Publikationen. Die erwähnte Bildung eines demokratischen Konsenses entsprang ebenfalls seinem Verantwortungsgefühl. Vgl. Allg. jüd. Wochenztg., Galinski, 10.2.1989, S. 1. 359 Allg. jüd. Wochenztg., Gedanken, 4.9.1987, S. 9.
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Rechtsradikalen gewarnt zu haben.360 Speziell die Jüdische Gemeinde zu Berlin habe versucht, im Rundfunkrat des „Senders Freies Berlin“ die Ausstrahlung des Wahlwerbespots der Republikaner zu verhindern, was allerdings auch im Fall des Rechtspopulismus eine gewisse Priorisierung von Sicherheits- gegenüber Freiheitsdenken aufzeigt.361 Explizit nutzte Galinski erneut die Entscheidung jüdischer Menschen für einen Verbleib in der Bundesrepublik als Beweis für deren entscheidende Rolle für Demokratisierung und Normalisierung: „Ich stehe zu all dem, was wir in den letzten vierzig Jahren getan haben – die Rückkehr, der Wiederaufbau der jüdischen Gemeinden, die Bemühungen um ein neues Zusammenleben und das uneingeschränkte Wirken für Verständigung. Aber man kann angesichts der Atmosphäre in den letzten Tagen nicht Gedanken darüber verjagen, daß uns auch andere Wege offen standen. Dabei kann nicht genug betont werden, daß wir es waren und unser Entschluß zum Wiederaufbau, die Deutschland den Weg zurück in die Völkerfamilie erleichtert hatten.“362
Betont wurde hier zudem, dass Rechtsradikalismus und Antisemitismus kein speziell jüdisches Problem seien, sondern eines der gesamten Gegenwartsgesellschaft.363 Derart zeigte sich eine deutliche Positionierung des Zentralrates in der Öffentlichkeit.364 Aber gerade deshalb verwundert es, dass jüdische Stimmen – oft Galinski persönlich – zwar mit der Forderung nach energischen Maßnahmen im Kampf gegen den Rechtsradikalismus zitiert wurden, aber nur in den seltensten Fällen eine weitere Konkretisierung erfolgte.365 Dies war wahrscheinlich die Folge einer gewissen Ratlosigkeit. Da man die Möglichkeiten der „wehrhaften Demokratie“ zwar für legitim, aber nicht immer für erfolgversprechend hielt und davon ausging, dass die stets geforderten und betriebenen Bildungsanstrengungen offenbar nur begrenzten Einfluss haben konnten, gingen dem Zentralrat langsam die erfolgversprechenden Strategien aus:
360 Allg. jüd. Wochenztg., Signal, 3.2.1989, S. 1. 361 Allg. jüd. Wochenztg., Demokratische Rechte zum Schutz der Antidemokraten, 3.2.1989, S. 12. 362 Allg. jüd. Wochenztg., Gedanken, 4.9.1987, S. 9. 363 Allg. jüd. Wochenztg., Indifferenz, 6.1.1989, S. 16. 364 Auch hier muss der These von Schönborn, dass der Zentralrat – und in der Folge auch die Allgemeine jüdische Wochenzeitung –, in den achtziger Jahren aus Sorge, zum Ziel von offenen antisemitischen Angriffen zu werden, versuchten, möglichst wenig Aufmerksamkeit in der (nichtjüdischen) Öffentlichkeit zu erregen, letztlich widersprochen werden, was sich schon im vorherigen Kapitel angedeutet hatte. Vgl. Schönborn, S. 240. 365 Siehe etwa Allg. jüd. Wochenztg., Empörung, 13.1.1989, S. 1; Allg. jüd. Wochenztg., Signal, 3.2.1989, S. 1.
424 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) „So bleibt dann im Grunde genommen nur der immer und immer wieder bis zur pädagogischen Ermüdung zu machende Versuch, den Kreis der betroffenen oder potentiell anfälligen Jugendlichen auf dem Wege der Aufklärung zu erreichen. Auch auf diesem Wege türmen sich viele Hindernisse auf. Es können nur diejenigen erreicht werden, die sich noch einen Rest von Ansprechbarkeit bewahrt haben. Wer sich bereits festungsartig in dem hermetisch abgedichteten braunen Ideologie-Bunker eingeschlossen hat, ist für solches Bemühen gewiß erst einmal verloren. […] In der Praxis freilich heißt das, daß vor allem die Institutionen tätig werden müssen, die ohnehin bei der Beschäftigung mit der deutschen Geschichte entweder überfordert sind oder auch partiell versagt haben: Elternhaus und Schule.“366
Insgesamt weist der Umgang der Zeitung mit dem Rechtsradikalismus Ende der achtziger Jahre nur noch eine leichte Sicherheitsorientierung auf, die allerdings 1987 noch etwas stärker ausgeprägt war. Es finden sich viel weniger repressive Umgangsvorstellungen, aber mit Ausnahme der Bildungsanstrengungen bezogen sich diese vor allem auf parteipolitische Manifestationen ohne neonazistischen Bezug. Daher lässt sich ein Wandel in der jüdischen „Allgemeinen“ ebenfalls nur bezüglich rechtspopulistischer, nicht aber neonazistischer Parteien und Gruppen feststellen. Da dieser aber insgesamt betrachtet nur partiell erfolgte, war er wohl weniger das Produkt veränderter Prioritäten im Spannungsverhältnis der Werte Sicherheit und Freiheit, sondern eher die Folge der wahrgenommenen Belanglosigkeit des parteipolitischen Rechtsradikalismus sowie der geringen Wirkungspotenziale der „wehrhaften Demokratie“ gegen den allgemeinen Rechtsruck. Dieser war nicht nur für die „Frankfurter Rundschau“, sondern auch für die „Allgemeine jüdische Wochenzeitung“ das eigentliche Problem. Neonazistische Organisationen wie die Nationale Sammlung und die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei sahen sich weiterhin deutlich repressiveren Reaktionsforderungen, meistens in Form von Organisationsverboten, ausgesetzt. Zwar betonte die „Allgemeine“ auch 1992, dass Verbote kaum gegen den Vormarsch des Rechtsradikalismus helfen, sondern dies eine allgemeine gesellschaftliche Aufgabe sei, aber schon eine Woche später wurden die Verbotsbestrebungen der Innenminister gegen die Nationalistische Front als wertvolles Zeichen dafür gesehen, dass die Gesellschaft endlich reagiere.367 Die FAZ verweigerte nach dem Wahlerfolg der DVU in Bremerhaven zunächst die Thematisierung. Die einzig aufzufindende Handlungsempfehlung war mit Verweis auf den Bremer Bürgermeister Klaus Wedemeier von der SPD, dass alle Parteien, Gewerkschaften sowie die Kirchen „über die Gefahr des Rechtsex tremismus ‚nach[…]denken‘“ sollten.368 Gegen die DVU hielt die FAZ eigentlich gar keine Reaktion für notwendig und ging fest von der regionalen Besonderheit 366 Allg. jüd. Wochenztg., Nazismus, 20.1.1989, S. 1. 367 Vgl. Allg. jüd. Wochenztg., Mölln mahnt nicht nur den Staat, 26.11.1992, S. 2 bzw. Allg. jüd. Wochenztg., Endlich ein Ruck – nur ohne Führung?, 3.12.1992, S. 1. 368 FAZ, Niederlagen, 14.9.1987, S. 1f.
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des Wahlerfolges aus. Auch in Bezug auf die Republikaner finden sich keine sicherheitsorientierten Umgangsforderungen. Trotz aller Kritik war das Entstehen der Partei für die FAZ angesichts der Wählerspaltung zugunsten der SPD vielleicht nicht sinnvoll, aufgrund der fehlerhaften Strategie insbesondere der CDU aber nachvollziehbar. Der Umgang mit rechtspopulistischen Parteien war in diesen Fällen daher an niedrigschwelligen Reaktionen abseits der Möglichkeiten der „wehrhaften Demokratie“ ausgerichtet und teilweise durchaus dem Gedanken der Toleranz verpflichtet. So findet sich singulär und weit hinten in der Zeitung der Appell, radikale Parteien einfach in Ruhe zu lassen: „Die Kandidatur von Rechts- wie Linksradikalen ist wohl der Preis für eine funktionierende Demokratie: Wer nicht verboten ist, kann sich dem Wählervotum stellen. […] Selbstverständlich gibt es auch besorgte Demokraten, die es für ihre Bürgerpflicht halten, alte und neue Nazis gewaltlos zu bekämpfen. Sie sollten aber die Erfahrungen der sechziger Jahre bedenken. Auf dem Höhepunkt von Protesten gegen die damals neu auftretende NPD schaffte diese Truppe der Namenlosen mit ihren dumpfen Parolen den Einzug in die meisten Landesparlamente und in viele kommunale Vertretungen. Wenige Jahre später – als sich niemand mehr für die NPD interessierte und keiner gegen sie demonstrierte – flog diese Partei aus allen Parlamenten hinaus. Geschichte wiederholt sich nicht zwangsläufig. Doch wer will, kann aus ihr lernen.“369
Der Umgang der FAZ mit dem Rechtsradikalismus differenzierte allerdings deutlich anhand der jeweils zu berücksichtigenden Ziele der Zeitung. Während sie die Republikaner nur als geringes Problem beschrieb und darauf zielte, dass die Union deren Themen aufnimmt, veröffentlichte sie gegenüber repressiven Reaktionen auf den Neonazismus zumindest keine Einwände. Dass hier aber auch der geringere Schutzstatus der vielfach in Vereinen organisierten Neonazis eine Rolle gespielt hat, zeigt die Ablehnung eines FAP-Verbotes, welches aufgrund der zunächst erwarteten deutlich höheren Schutzwirkung für politische Parteien viel leichter scheitern könnte.370 Es dürfte hier zudem eine Rolle gespielt haben, dass die Neonazis der Nationalen Sammlung verstärkt in der Öffentlichkeit auftraten, während die FAP ein Schattendasein führte. Mithin knüpfte die FAZ ein repressives Vorgehen im Rahmen der „wehrhaften Demokratie“ nicht nur an eine erhöhte Bedrohung für die innere Sicherheit, sondern auch an die Relevanz der Gruppe in der Öffentlichkeit und der Gefährdungspotenziale für die bundesdeutsche Außenwirkung. Die Zeitung ist ihrer keineswegs ablehnenden, aber sehr vorsichtigen Zustimmung zum westdeutschen Staatsschutzkonzept insofern kontinuierlich treu geblieben, wie auch die Berichterstattung zu den Verboten gegen die Nationalistische Front (1992), die Wiking-Jugend (1994) sowie NL und
369 FAZ, Lehren, 10.2.1989, S. 43. 370 Erst 1994 wurde der Gruppe der Status einer Partei durch das Bundesverfassungsgericht abgesprochen.
426 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) FAP (1995) zeigen.371 Letzteres wurde dabei mittlerweile auch in der FAZ positiv kommentiert: „Man mag das Gefasel der FAP von der bevorstehenden Machtergreifung und den dann zu erschießenden politischen Gegnern lächerlich finden. Doch sollte man nicht die Bedeutung unterschätzen, die legale Organisationen für das rechtsextremistische Netzwerk insgesamt haben. Dieses Netzwerk wird durch Vereinsverbote nicht zerrissen, immerhin aber empfindlich getroffen. Die Drahtzieher werden neue Fäden spinnen. Aber sie sollen sich nicht der Illusion hingeben, das bleibe unbemerkt und ungeahndet.“.372
Nach der Entscheidung zum Verbot der Nationalistischen Front griff die FAZ sogar die Debatte über die Implementierung der Grundrechtsverwirkung gegen führende Neonazis auf.373 Deutlich zeigte sich ihre Sicherheitsorientierung in besonderen Situationen daran, dass sie auch hier keine Kritik veröffentlichte. Auch der Bund der Vertriebenen zielte im „Deutschen Ostdienst“ keineswegs auf Repression gegenüber den Republikanern. Dies war aber wohl nicht nur eine Folge der fehlenden Bedrohungswahrnehmung374, sondern zugleich der inhaltlichen Nähe. Aber auch allgemein hatte der BdV weiterhin kein intrinsisches Interesse, die Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus zu führen. Es deutet nichts darauf hin, dass der BdV im Umgang mit Andersdenkenden, insbesondere linken Gegnern revisionistischer Vertriebenenpolitik, zu einem toleranten Denken neigte. Passenderweise bemerkte „Die Zeit“, dass der örtliche Vorsitzende des BdV in Hessen sich dafür ausgesprochen hatte, die neonazistische Nationale Sammlung zu wählen.375 Eine fehlende Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus lässt sich zudem für den „Arbeitgeber“ feststellen. Wichtigstes Interesse der BdA blieb die Stabilisierung des politischen und wirtschaftlichen Systems gegen Populismus und Radikale von links und rechts. Die Interessen der Mitgliedsverbände wurden dabei gut „verpackt“ als Maßnahmen gegen den politischen Extremismus in Stellung gebracht. Insgesamt betrachtet hat es einen auffallenden Wandel in der Berichterstattung vor allem in Bezug auf die rechtspopulistisch agierenden Republikaner gegeben. 371 Vgl. zum Verbot der Wiking-Jugend z. B. FAZ, Polizei geht gegen Wiking-Jugend vor, 11.11.1994, S. 5. 372 Vgl. FAZ, Ein Exempel, 25.2.1995, S. 10. Siehe auch FAZ, Innenminister Kanther verbietet die ‚Freiheitlich Deutsche Arbeiterpartei‘, 25.2.1995, S. 2; FAZ, Nach FAP-Verbot. Polizei durchsucht Wohnungen, 25.2.1995, S. 43. 373 Vgl. FAZ, Ruf nach härteren Strafen, 29.11.1992, S. 1; FAZ, Seiters kündigt weitere Schritte gegen Rechtsextremisten an, 30.11.1992, S. 1f. 374 Die einzige Ausnahme war taktischer Natur, weil hier mit einem für den BdV fast einmaligen Weimar-Vergleich gearbeitet wurde, der der Mobilisierung der vermeintlich politischen „Mitte“ diente. Vgl. DOD, Mindestkonsens, 3.2.1989. 375 Die Zeit, Parolen, 17.2.1989.
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Auch von nicht-staatlicher Seite folgten weniger Forderungen nach staatlicher Repression. Parallel existierte keine gemeinsame nicht-staatliche Abwehrfront gegen den Rechtspopulismus. Die dort genutzte Strategie der Abgrenzung zum eindeutig auftretenden Rechtsradikalismus, speziell zum Neonazismus, schien aufzugehen. Auf der anderen Seiten wurde die Debatte in Bezug auf den klassischen Rechtsradikalismus bzw. insbesondere den Neonazismus weiterhin in den bekannten Bahnen geführt, sodass hier von einer gewissen Aufspaltung der Diskussion auszugehen ist. Eine entsprechende Veränderung lässt sich auch in der Gewerkschaftspresse ausmachen, auch wenn der Wandel hier noch etwas weiter geht. Die dritte parteipolitische Welle des Rechtsradikalismus wurde von den Gewerkschaften mit großer Sorge gesehen. Dennoch war der Umgang hier insgesamt deutlich liberaler, selbst wenn nach der Bremer Wahl noch klassisch sicherheitsorientiert reagiert wurde. Mit Blick auf das Ergebnis forderte die WdA damals direkt ein Verbot der DVU.376 Bereits vor der Wahl forderte der damalige niedersächsische SPD-Fraktionsvorsitzende Gerhard Schröder in einem Interview mit der „Metall“ zudem das Verbot der FAP.377 Dies sei ein wirksames Mittel, um die Rechtsradikalen voneinander zu trennen und deren Aktionsfähigkeit einzuschränken, führte er aus. Dass hier bisher nichts unternommen wurde, führte die „Metall“ darauf zurück, dass die Strafverfolgungsbehörden auf dem rechten Auge blind seien und linke Aktivisten kriminalisierten, während rechte Gewalttäter verharmlost würden. Die FAP sei eine terroristische Vereinigung, die nur legal arbeiten dürfe, weil der Generalbundesanwalt und der Bundesinnenminister „Fememörder für harmlose Randalierer halten“.378 Während der Wahl in Bremen setzten die Gewerkschaften noch auf die „wehrhafte Demokratie“ auch gegen die DVU, aber bereits hier konnte nicht mehr von einer vollständigen Dominanz des Sicherheitsdenkens gesprochen werden. Die vorgeschlagenen Reaktionsmöglichkeiten differenzierten stark und waren keineswegs durchgängig repressiver Natur. Zudem wurde auch hier mehrfach betont, dass Verbote selten ausreichen würden, um die rechtsradikale Szene wirksam einzugrenzen.379 Dann tauchten vermehrt deutliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Sicherheitspolitik auf, wie folgendes Statement von Karlheinz Maldaner beim Hattinger Forum des nordrhein-westfälischen DGB zum Rechtsradikalismus 1988 verdeutlicht: 376 WdA, Sicht, 17.9.1987, S. 1. 377 Metall, Für Verbot der FAP. Gerhard Schröder über einen Neonazi-Mord, 21.8.1987, S. 7. 378 Metall, Sturm, 4.9.1987, S. 15. 379 Vgl. Brase, S. 19; Mertsching / Renners, S. 1; Nikolaus Simon, Der Aberglaube von der besonderen Lernfähigkeit der Deutschen, in: DGB-Landesbezirk NRW, Abteilung Jugend (Hg.), Zukunft der gewerkschaftlichen Jugendarbeit. Dokumentation – Hattinger Forum zum Thema Rechtsextremismus, 16.–17. Januar 1988, Düsseldorf 1988, S. 33f.
428 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) „Es gibt diese Debatte ‚Organisationen verbieten oder nicht verbieten‘. Ich habe da keine gradlinige Lösung. Und zwar deshalb nicht, weil ich auf der einen Seite ganz strikt der Überzeugung bin, daß es unbedingt wichtig ist, daß Demokraten und Linke sich mit politischen Weltanschauungen diskutierend, ggf. auch scharf kritisierend, meinetwegen auch mal ‚niedermachend‘, aber eben mit Worten, auseinandersetzen. Und insofern ist ein Organisationsverbot immer hinderlich. Auf der anderen Seite sind im rechtsextremen Feld ja nun nicht nur liebe, nette Leute, die bloß diskutieren wollen, sondern da sind auch Gewalttäter drunter […] Und genauso wie ich dafür bin, daß bestimmte religiöse Sekten, die Leute mit Psychoterror umbringen, verboten werden, bin ich natürlich auch in solchen Fällen dafür, daß man die nicht einfach gewähren läßt. Im Zweifel heißt das, man muss den Einzelfall prüfen.“380
Eine grundlegende Ablehnung der „wehrhaften Demokratie“ ist auch dies nicht. Die Gewerkschaftsbewegung blieb in dieser Frage zu diesem Zeitpunkt gespalten.381 Während der Berliner Wahl blieben Forderungen nach Parteien- und Vereinsverboten dennoch auch hier fast vernachlässigbare Einzelmeinungen. Die häufigsten Nennungen finden sich nun im Bereich der sozio-ökonomischen Maßnahmen, der politischen Auseinandersetzung, der besseren Integration von Migranten einschließlich des kommunalen Wahlrechts, der Positionsbeziehung gegen rechts und der politischen Reformen. Daneben rückten Bildung und Jugendarbeit aufgrund des oft geringen Alters der rechtsradikalen Täter noch stärker in den Vordergrund.382 Denn auch der DGB und die Einzelgewerkschaften nahmen zur Kenntnis, dass die parteiunabhängigen rechtsradikalen Strukturen ausgebaut wurden und sich die Zahl der Straftaten stetig erhöhte.383 Neben der Ursachenbekämpfung verfolgte die Gewerkschaftspresse besonders gegen die Republikaner die argumentative Auseinandersetzung.384 Aber politische Refor380 Karlheinz Maldaner, Rechtsextremismus und Reformpolitik, in: DGB-Landesbezirk NRW, Abteilung Jugend (Hg.), Zukunft der gewerkschaftlichen Jugendarbeit. Dokumentation – Hattinger Forum zum Thema Rechtsextremismus, 16.–17. Januar 1988, Düsseldorf 1988, S. 39. 381 Dies stellten Günter Schneider und Karsten Rothe bereits 1988 fest. Vgl. Dies., Schlußbemerkungen, in: DGB-Landesbezirk NRW, Abteilung Jugend (Hg.), Zukunft der gewerkschaftlichen Jugendarbeit. Dokumentation – Hattinger Forum zum Thema Rechtsextremismus, 16.–17. Januar 1988, Düsseldorf 1988, S. 41. 382 Mertsching / Renners, S. 19. 383 Walter Haas, Einführungsreferat auf dem „Hattinger Forum“ am 16./17. Januar 1988 in Hattingen, in: DGB-Landesbezirk NRW, Abteilung Jugend (Hg.), Zukunft der gewerkschaftlichen Jugendarbeit. Dokumentation – Hattinger Forum zum Thema Rechtsextremismus, 16.–17. Januar 1988, Düsseldorf 1988, S. 5f. 384 Der DGB werde „auf allen Ebenen mit Sachargumenten die gefährliche und undemokratische Politik der ‚Republikaner‘ bekämpfen“, erklärte ein Beschluss des Bundesvorstandes. Vgl. ÖTV-Magazin, Intensiv, Okt. 1989, S. 7; Uellenberg / DGB-Bundesvorstand, Republikaner, S. 58. Eine solche forderte auch Hermann Lutz, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei. Vgl. Die Quelle 6 (1989), Ermächtigungsgesetz. Entsprechend setzten sich einige Artikel kritisch mit der Programmatik der
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men und eine nachhaltige Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit und andere Missstände blieben grundlegend, damit andere Mechanismen überhaupt wirken könnten.385 Nun am Ende der achtziger Jahre konnten in der Gewerkschaftspresse vereinzelt sogar eindeutig tolerante Argumentationen aufgefunden werden. Entsprechend der erwähnten Selbstkritik forderte Maldaner, den Umgang mit dem Rechtsradikalismus in erster Linie auf konkreten Fortschritts- und Optimismusbegriffen aufzubauen.386 Die Gewerkschaften müssten wieder „gesellschaftspolitische Sinnstiftungsfunktionen“ übernehmen und sich zu „Trägern positiver Zukunftsvorstellungen und glaubwürdiger Utopien“ entwickeln.387 Wolfgang Gessenharter ergänzte in den GMH, dass es darauf ankomme, ein „Sprachmilieu voranzutreiben, das sich eindeutig freiheitlichen, demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Grundsätzen verpflichtet weiß.“388 Noch eindeutiger plädierte Nikolaus Simon beim Hattinger Forum dafür, schlichtweg die Realitäten anzuerkennen: „Ich bin strikt dagegen, daß Antifaschisten sich damit zufrieden geben könnten, jetzt und die nächsten 15 Jahre sich in Haltung voll Selbstmitleid zu bestätigen, wonach deutsche Polizisten Faschisten schützen. Wir müssen akzeptieren, daß die NPD eine Partei ist, die nicht von den zuständigen Gerichten verboten wird. Folglich müssen wir akzeptieren, daß die Polizei Versammlungen dieser Partei gewährleistet.“389
Auch wenn Simon sich hier nur auf die NPD bezog, ist davon auszugehen, dass er in Bezug auf die ähnlich unbedeutende DVU sowie die Republikaner ähnlich dachte. Die Gewerkschaften berücksichtigten nun verstärkt die Stabilität Partei Die Republikaner auseinander. Vgl. GMH 9 (1989), Rezepten; GMH 9 (1989), Gewerkschaften, S. 582. Andere fokussierten auf die Problematik der Ausländerfeindlichkeit und setzten sich diesbezüglich mit rechten Argumentationen auseinander. Vgl. GMH 7 (1989), Ausländerpolitik, S. 391; GMH 7 (1989), Ausländerfeindlichkeit. Ergänzend zur inhaltlichen Auseinandersetzung wurden andere Möglichkeiten vorgeschlagen: „Die Desavouierung der ‚Republikaner‘ als politische Kraft ist nur eine Anforderung in der politisch-kulturellen Auseinandersetzung mit dem ‚rechten Fundamentalismus‘“. Vgl. GMH 9 (1989), Rezepten, S. 571f., 576. Die stigmatisierenden NS-Vergleiche und die Beschreibung der Republikaner als gewerkschaftsfeindlich finden sich auch in diesem Fallbeispiel. Vgl. ebd., S. 571f., 575; GMH 9 (1989), Profile, S. 540–544; GMH 9 (1989), Gewerkschaften, S. 584; Metall, Brandstifter, 30.6.1989, S. 8f.; ÖTV-Magazin, Votum, Mai 1989, S. 26f.; ÖTV-Magazin, Intensiv, Okt. 1989, S. 7. 385 GMH 9 (1989), Rezepten, S. 577; GMH 9 (1989), Gewerkschaften, S. 584; Die Quelle 10 (1989), Republikaner, S. 526f. 386 Maldaner, S. 39. 387 GMH 3 (1989), Solidarität, S. 146. So auch u.a. Uellenberg / DGB-Bundesvorstand, Republikaner, S. 3. 388 GMH 9 (1989), Konservatismus, S. 570. 389 Simon, S. 31.
430 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) der Bundesrepublik und die trotz episodenhafter Auferstehung mittlerweile sehr geringe Bedrohung durch den Rechtsradikalismus. Sie lehnten die klassischen Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ zwar weiterhin nicht grundsätzlich ab, wie die noch 1989 aufzufindenden Verbotsforderungen bezüglich der FAP aufzeigen, hielten diese aber nicht nur im Fall der Republikaner für weitgehend wirkungslos.390 Man müsse die Ursachen, nicht die Symptome bekämpfen, forderte die „Metall“ entsprechend.391 Auch Heitmeyer betonte in den „Gewerkschaftlichen Monatsheften“: „Nicht die rechtsextremistischen Gruppen haben eine besondere eigene Attraktivität, sondern soziale Ausgrenzung und vor allem eine breiter werdende soziale Verunsicherung, die weit über die real erfahrene Arbeitslosigkeit hinausgeht, produzieren erst diese Attraktivität. […] Die Ursachen liegen also nicht […] am Rande der Gesellschaft, sondern in deren Zentrum. Die alleinige Bekämpfung rechtsextremistischer Organisationen durch Verbote etc. ist […] nichts anderes als die Bekämpfung eines schlechten Gewissens. Die Situation wird nicht verändert – allenfalls verdrängt. Aber was verdrängt wird, tritt immer wieder auf “.392
Explizit wurde nun kritisiert, dass die Gewerkschaften ihre bisher zumeist hilflosen und hektischen antifaschistischen Maßnahmen zu keinem Zeitpunkt an die methodische und theoretische Modernisierung im rechtsradikalen Lager angepasst hätten.393 Noch so machtvolle Demonstrationen würden nur die ohnehin Gleichgesinnten, aber nicht die Schwankenden beziehungsweise die Sympathisanten der Rechtsradikalen erreichen, lautete die Kritik.394 Mit kleinlichen Diskussionen über die tatsächlichen Möglichkeiten rechtsradikaler Stimmenmobilisierung und der Frage eines Unvereinbarkeitsbeschlusses hätten die Gewerkschaften viel Zeit verloren, anstatt sich mit dem eigentlichen Problem zu beschäftigen.395 Zumindest der publizistische Umgang der Gewerkschaften mit der rechten Szene hatte sich offenbar gewandelt. Da aber der Neonazismus, speziell die Nationale Sammlung und das Verbot dieser Gruppierung, in der Gewerkschaftspresse keine Rolle spielten, kann dieser Befund letztlich auch hier nur für rechtspopulistische Parteien gelten. Die Verbotsforderung bezüglich der FAP deutet ferner darauf hin, dass die Auseinandersetzung mit dem Neonazismus wohl weiterhin zumindest auch repressiv gedacht wurde. Verstärkt berück390 Vgl. Metall, Braunen, 24.2.1989, S. 14f.; Metall, Zukunft, S. 112. Zur fehlenden Wirkung siehe Die Quelle 12 (1989), Unvereinbarkeitsbeschlüsse, S. 647f.; GMH 9 (1989), Traditionen, S. 518; GMH 9 (1989), Profile, S. 538; GMH 9 (1989), Jugend, S. 554, Metall, Zukunft, S. 111. 391 Metall, Computer, 30.6.1989, S. 9. 392 GMH 9 (1989), Jugend, S. 560. 393 Ebd., S. 552; GMH 9 (1989), Traditionen. 1989, S. 514, 520; Die Quelle 12 (1989), Unvereinbarkeitsbeschlüsse. 1989, S. 647f. 394 Uellenberg / DGB-Bundesvorstand, Republikaner, S. 3. 395 GMH 9 (1989), Gewerkschaften, S. 579.
8.4. Hessen und die „wehrhafte Demokratie“
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sichtigten die Gewerkschafter bei ihren Reaktionsforderungen die unzweifelhafte Stabilität der Bundesrepublik, aber ihr sicherheitsorientiertes Denken legten sie keineswegs dauerhaft ab. Dieses blieb reaktivierbar. Dennoch ist auffällig, dass Verbotsforderungen zum Beispiel in den vielfachen Beiträgen der „Gewerkschaftlichen Monatshefte“ und der „Quelle“ zum Rechtsradikalismus nach 1990 kaum Erwähnung finden.396 Dass es eine Erweiterung, aber keinen grundlegenden Wandel im Denken gegeben hat, verdeutlicht allerdings das nach der Jahrtausendwende auch von Gewerkschaftsseite vielfach geforderte Verbot der NPD.397 Daher zeigt sich auch hier weniger ein grundsätzlicher Wandel in der Priorisierung zwischen Sicherheit und Freiheit, sondern, wie schon in den anderen Publikationen, vielmehr eine Aufspaltung des Umgangs. Grundsätzlich gilt für fast alle nicht-staatlichen Akteure am Ende der achtziger Jahre: Sicherheitsorientiert gegen den gewaltbereiten, die innere Sicherheit bedrohenden Neonazismus, aber toleranter gegen die rechtspopulistisch auftretenden und, trotz einiger Erfolge weitgehend marginalisierten, rechtsradikalen Parteien. Dass die Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ hier ohnehin kaum weiterhelfen, wurde auch von nicht-staatlicher Seite gesehen. Gerade im Umgang mit den Republikanern waren Forderungen nach administrativen Maßnahmen daher weit weniger präsent als in den vorherigen Dekaden oder im Vergleich zu anderen rechtsradikalen Strukturen.398 Auch die nicht-staatlichen Akteure, die in der Vergangenheit vielfach Verbote oder andere repressive Reaktionen gefordert und unterstützt hatten – und diese in Zusammenhang mit dem eindeutig neonazistischen Spektrum weiterhin befürworteten –, hielten sich in Bezug auf die Republikaner nun zurück. Insofern ist der Umgang in diesem konkreten Fall nur noch zum Teil anhand eines Spannungsverhältnisses zwischen Sicherheit und Freiheit analysierbar, da in der Debatte zwar durchaus noch über sicherheitspolitische Maßnahmen wie die Überwachung durch den Verfassungsschutz diskutiert wurde, die klassischen Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ aber spielten keine Rolle mehr im Umgang mit dem Rechtspopulismus. Dass der hier gewählte Zugang dennoch auch weiterhin fruchtbare Ergebnisse verspricht, darauf weisen nicht nur die Verbotsforderungen bezüglich der DVU und der FAP am Ende der achtziger Jahre sowie die Verbotsdebatte bezogen auf die NPD auch nach der Jahrtausendwende, sondern eben speziell das 396 Vgl. z. B. GMH, 9/1992, S. 550–561; 10/1992, S. 620–633; 4/1993, S. 203–212; 8/1995, S. 474–497 und die Sonderausgaben zum Rechtsradikalismus 8/1993; 11/2000. Die Quelle 10 (1992), Der Steuerlüge folgt die Asyllüge, S. 3; Die Quelle 10 (1992), „War das wahr?“, S. 7f.; Die Quelle 10 (1992), Aufgewacht, S. 9; Die Quelle 11 (1995), Aufruf des Deutschen Gewerkschaftsbundes gegen die Fremdenfeindlichkeit, S. 15. 397 Vgl. z. B. die Pressemitteilungen des DGB-Bundesvorstandes: PM 196, 14.11.2011; PM 210, 6.12.2012. 398 Dazu passte, dass nur Hamburg und Nordrhein-Westfalen die Partei Die Republikaner seit September 1987 mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten ließen. Vgl. Jaschke, Republikaner, S. 142.
432 8. Die DVU, die Republikaner und die dritte rechtsradikale Welle (1987/89) Verbot der Nationalen Sammlung 1989 hin. Zwar war die Intensität der Debatte über diese neonazistische Gruppierung mit derjenigen bezogen auf die SRP oder die NPD der sechziger Jahre keineswegs vergleichbar und das Verbot selbst ein weit weniger relevantes Ereignis, aber nichtsdestotrotz hilfreich für die These dieser Studie bezüglich der grundlegenden Diskurskontinuität. Gerade die Debatten über die rechtspopulistische AfD und die parallel immer weniger rechtspopulistisch agierende NPD nach der Jahrtausendwende weisen ebenfalls in diese Richtung. Während gegen Letztere gleich mehrfach ein Verbotsverfahren angestrengt wurde, blieb Erstere von einer Verbotsdebatte weitgehend verschont, gerade weil die Bewertung als rechtsradikal umstritten blieb. Da die Republikaner sich insofern kaum gegen Verbotsforderungen aus dem nicht-staatlichen Bereich wehren mussten, und von exekutiver Seite her nicht beschränkt wurden, konnten sie in der Folgezeit politisch aktiv bleiben. Nach den Erfolgen in Berlin erzielten sie bei mehreren Kommunal- sowie den Europawahlen im gleichen Jahr mit 7,1 Prozent erneut gute Ergebnisse. Zum ersten Mal seit 1945 konnte eine Partei „rechts von der Union“ bundesweit die Sperrklausel überwinden. Obwohl die Europawahl als klassische „Protestwahl“ gelten muss, waren über zwei Millionen Stimmen und sechs Abgeordnete im Europäischen Parlament ein beachtliches Resultat. Danach jedoch begann eine Phase der Niederlagen. Die Abgrenzung zur rechtsradikalen Szene gelang immer schlechter, unter anderem, weil regelmäßig fähige Funktionäre durch unerfahrene und inkompetente Aktivisten ersetzt werden mussten. Entsprechend wurden die Republikaner Mitte der neunziger Jahren selbst von der FAZ als rechtsradikal bezeichnet.399 Der Niedergang ist auch vor dem Hintergrund des deutschen Einheitsprozesses zu sehen, der das Moment des Handelns zunächst zu den Unionsparteien zurückverlagerte. Doch seit den frühen neunziger Jahren waren die rechtsradikalen Parteien und auch neonazistische Gruppen wieder deutlich präsenter. Rassismus und Gewalt wurden jetzt noch weiter auf die Spitze getrieben und die Rolle der Republikaner als politischer Wegbereiter ist in dieser längeren Phase der Gewalteskalation nicht zu vernachlässigen. Gerade die Erfahrungen nach 1990 und der deutschen Einheit verdeutlichen, dass der Rechtsradikalismus weiterhin ein großes Problem in der Bundesrepublik blieb. Natürlich haben der deutsche Einheitsprozess und die spezifischen Erfahrungen in Ostdeutschland sich hier ausgewirkt, es ist aber falsch zu behaupten, dass es ohne die deutsche Einheit nicht zu den Gewaltexzessen von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen gekommen wäre. Die rechtsradikale Welle dieser Jahre begann eben schon in der „alten“ Bundesrepublik – lange vor dem Fall der Mauer in Berlin am 9. November 1989. Insofern konnte der Um399 So hieß es 2005 nach dem Tod von Franz Schönhuber: „Der Gründer der rechtsradikalen Partei Die Republikaner […] ist […] gestorben.“ Auch explizit in Bezug auf die West-Berliner Wahl 1989 wurde die Partei als „rechtsradikal“ bezeichnet. Vgl. FAZ, Franz Schönhuber gestorben, 28.11.2005.
8.4. Hessen und die „wehrhafte Demokratie“
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gang mit dem Rechtsradikalismus diesen zwar beschränken und immer wieder marginalisieren, dauerhaft bekämpfen konnte er ihn nicht. Darauf deuten auch die kontinuierlichen Umfragewerte hin, die, unabhängig davon, ob sie von alliierter Seite in den Nachkriegsjahren und/oder von bundesdeutscher Seite in den Dekaden danach geführt wurden, immer ein rechtsradikales Potenzial von etwa zehn bis maximal etwas unter zwanzig Prozent in der westdeutschen Bevölkerung feststellten – ein Wert, der sich bis heute nicht verändert hat und somit zu den zentralen Kontinuitätslinien der Bundesrepublik (West- und Gesamtdeutschland) zu zählen ist.
9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen Diese Studie untersucht, wie ausgewählte westdeutsche Medien und weitere nicht-staatliche Akteure sich von 1951 bis 1989 publizistisch mit dem bundesdeutschen Rechtsradikalismus auseinandergesetzt haben. Der besondere Fokus lag dabei auf dem Spannungsverhältnis der Werte Sicherheit und Freiheit und mithin auf dem Konzept der „wehrhaften Demokratie“. Daher war die Frage, welche Ansätze diese in der Auseinandersetzung für angemessen hielten, ob diese eher repressiv oder vielmehr dem Gedanken der Toleranz verpflichtet waren sowie ob sich dies mit der Zeit veränderte, von besonderem Interesse. Relevant war in diesem Zusammenhang zudem die artikulierte Bedrohungswahrnehmung sowie die Frage, was neben dem jeweils aktuellen Rechtsradikalismus die Berichterstattung zusätzlich beeinflusste. Entstanden ist dabei eine Diskursgeschichte, die sich speziell dem vielfach weniger beachteten nicht-staatlichen Bereich widmet und insbesondere die Kontinuitäten der Debatte bis in die heutige Zeit aufzeigt. Zwar hat sich der Umgang mit dem Rechtsradikalismus durchaus verändert und speziell die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts haben deutliche Neuerungen gebracht, an der grundlegenden Charakteristik änderte sich aber nur wenig. Daher ist ein Verzicht auf ein spezifisches Phasenmodell anhand der hier untersuchten Thematik nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig. Insgesamt ist von einer vielfach erhöhten Interessenlage auszugehen. Während dies für die Verbandspublikationen von Arbeitgebern und Vertriebenen nur eingeschränkt gilt, begleiteten die Tages- und Wochenzeitungen sowie die gewerkschaftlichen Publikationen die Debatte fast durchgehend. Vor allem diese veröffentlichten vielfach Vorstellungen darüber, wie die Gesellschaft zu handeln und sich vor dem Rechtsradikalismus zu schützen habe. Allerdings wurden in dieser Studie lediglich die letztlich veröffentlichten Endprodukte untersucht, sodass sich die gewonnenen Erkenntnisse auch nur auf diese beziehen können. Weitere Primärquellen, zum Beispiel aus den jeweiligen Redaktionen oder aus den Gremien, die den Vereinen oder Organisationen vorstanden, wurden bewusst weggelassen, um die Wirkung der Publikationen selbst in den Vordergrund zu stellen und um die Frage zu beantworten, wie ein Akteur in die Debatte eingriff beziehungsweise welche Deutungen in der Öffentlichkeit vorangebracht werden sollten. Ob die Befunde für die veröffentlichten Produkte den intern diskutierten Feststellungen und Vorschlägen entsprachen, war für diese Arbeit daher zweitrangig. Teilweise musste, aufgrund der Fokussierung auf für die Öffentlichkeit bestimmte Publikationen, allerdings mit Plausibilitätsannahmen gearbeitet werden, um zu erklären, warum die Akteure in einer bestimmten Art und Weise berichteten beziehungsweise um zu verstehen, warum beispielsweise gewisse Deutungen verstärkt und andere demgegenüber weggelassen wurden. Dennoch ist diese Studie sowohl ein
9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen
435
Beitrag zur Wahrnehmungsgeschichte des Rechtsradikalismus als auch zur Frage nach dem Umgang mit diesem. Sie behandelt dabei die Vorgeschichte der auch heute noch aktuellen Debatte und kann aufzeigen, dass diese in den ersten vierzig Jahren der Bundesrepublik mit ganz ähnlichen Argumenten und Vorstellungen geführt wurde. Die Parallelen innerhalb der Fallbeispiele und auch zu heutigen Debatten in Bezug auf die AfD, die NPD oder den Rechtsterrorismus sind offensichtlich. Dass sich die Diskussion über den sogenannten „Rechtspopulismus“ teilweise vom Diskurs über den eindeutigen Rechtsradikalismus abkoppelte – freilich ohne die Debatte ansonsten grundsätzlich zu verändern – konnte speziell im letzten Fallbeispiel herausgearbeitet werden. Da diese Studie die jeweiligen Publikationen als einen Akteur behandelte, wurden die vorhandenen Widersprüche und Wandlungen der Berichterstattung herausgearbeitet, dabei aber deren Verbindungen zu einzelnen Personen oder Strömungen innerhalb der Redaktionen nicht thematisiert. Auch namhafte Journalistinnen und Journalisten wurden nur in Einzelfällen benannt, um ihre Beiträge nicht persönlich aufzuwerten. Des Weiteren wurde die oftmals enge Verknüpfung zur Debatte bezüglich des Linksradikalismus und Linksterrorismus so weit wie möglich ausgeklammert. Links- und Rechtsradikalismus wurden in der Realität vielfach zwar durchaus verschränkt behandelt – was in dieser Studie dann auch entsprechend angemerkt wurde –, im Mittelpunkt der Untersuchung stand jedoch keineswegs ein vermeintlicher „Extremismus“, sondern einzig der Rechtsradikalismus in seinen verschiedensten Ausprägungen. Die Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus zwischen „Sicherheit“ und „Freiheit“ Die jeweils geforderten Reaktionsformen waren divers und beinhalteten stets mehrere Zugänge. Alle Akteure hielten unterschiedlich zusammengesetzte, mehrdimensionale Reaktionsformen für sinnvoll. Einige, wie die argumentative Auseinandersetzung, konnten sie dabei selbst ausführen. Andere, wie zum Beispiel das Verbot einer Gruppe, konnten sie hingegen nur fordern beziehungsweise deren Legitimation und Sinnhaftigkeit publizistisch begründen. Der Umgang der eher konservativen Veröffentlichungen war im Vergleich weniger sicherheitsorientiert. Entsprechend wies die Berichterstattung der FAZ insgesamt eine ganz leichte Sicherheitsorientierung auf, die aber keineswegs durchgängig ausgemacht werden konnte. Auf der anderen Seite war die Zustimmung zu verstärkter Sicherheitspolitik umso deutlicher, je stärker die untersuchten Publikationen zum linken Spektrum gehörten, oder mit einer Gruppe verbunden waren, die im Nationalsozialismus verfolgt wurde. Dies gilt zum einen für die Gewerkschaftspresse und in ganz besonderem Maße für die Vorgänger der „Jüdischen Allgemeinen“. Auch die Berichterstattung der „Frankfurter Rundschau“ war – von einigen Ausschlägen abgesehen – fast durchgängig sicherheitsorien-
436 9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen tiert. Vor allem diese drei forderten oft Verbote von Parteien und Vereinen sowie die Einschränkung von politischen Freiheiten oder rechtfertigten entsprechende Maßnahmen. Die zunächst sehr national positionierte, ab etwa 1957 dann aber eindeutig liberale Wochenzeitung „Die Zeit“ hingegen betonte von Anfang an die Notwendigkeit eindeutiger rechtsstaatlicher Regelungen und positionierte sich wesentlich deutlicher auch als die FAZ zunehmend kritischer zu einer primär auf Sicherheit und Repression zielenden Politik gegenüber dem Rechtsradikalismus. Ausschlaggebend für die positive Beurteilung von Verbotsanträgen beziehungsweise -verfügungen war neben einer erhöhten Gefährdungswahrnehmung oder grundsätzlichen Gegnerschaft zum Rechtsradikalismus oft auch deren vermutete positive Wirkung auf die internationale Wahrnehmung der Verteidigungsbereitschaft der Bundesrepublik und mithin ihres Ansehens. Ein wenig toleranter, vor allem sicherheitspolitischer Umgang wurde auch in der FAZ als Zeichen der Stärke dargestellt und als Beweis dafür gewertet, dass man die vermeintlichen Fehler der Vergangenheit nicht wiederhole. Im Gegensatz zur „Zeit“ kritisierte die FAZ ein Vorgehen mit den Möglichkeiten der „wehrhaften Demokratie“ daher auch dann nicht, wenn sie es für wenig notwendig erachtete. Dass Verbote, sowohl von Gruppen oder Parteien als auch von politischen Veranstaltungen, oft auch als symbolhafte Maßnahme zur Manifestierung diskursiver Grenzen genutzt wurden, hat ebenfalls dazu beigetragen, dass diese vielfach aus allen politischen Lagern Unterstützung erfuhren. Alle Publikationen bewerteten die „wehrhafte Demokratie“ als legitimes Mittel zur Wahrung von Sicherheit und Freiheit. Zwar hielten die untersuchten Akteure deren Instrumente nicht immer für die sinnvollste Lösung im Umgang mit dem Rechtsradikalismus, aber grundsätzliche Ablehnung erfuhr das Konzept nicht. Repressives Vorgehen wurde nur in wenigen Ausnahmefällen aufgrund der fehlenden demokratischen Legitimation und auch ansonsten höchstens wegen der fehlenden Nachhaltigkeit kritisiert. Parteien- oder Vereinsverbote waren zu jedem Zeitpunkt in der Sichtweise der hier untersuchten Presseerzeugnisse eine mögliche Reaktionsform, die aus politischen Erwägungen mitunter abgelehnt, jedoch nicht grundsätzlich infrage gestellt wurde. Deutliche Kritik am staatlichen Umgang mit dem Rechtsradikalismus artikulierten die Publikationen in den allermeisten Fällen nur dann, wenn sie diesen als nicht drastisch genug beziehungsweise als zu zögerlich bewerteten. Aufgrund fehlender Quellen war es mitunter schwierig, den „Arbeitgeber“ und den „Deutschen Ostdienst“ durchgehend zu bewerten. Alle Befunde deuten aber darauf hin, dass die dahinterstehenden Organisationen keine Notwendigkeit erkannten, dem Rechtsradikalismus in erster Linie mit den Instrumenten der „wehrhaften Demokratie“ zu begegnen. Der Umgang des Bundes der Vertriebenen mit dem Rechtsradikalismus war vor allem von einem Bemühen um Abgren-
9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen
437
zung geprägt, was sich auch nach 1990 deutlich zeigt.1 In der Berichterstattung der Zeitschrift „Der Arbeitgeber“ kann hingegen kaum von einer Thematisierung des Rechtsradikalismus und insofern auch nicht von einem Umgang mit diesem gesprochen werden.2 Beide Publikationen beteiligten sich nur zum Teil an der Debatte. Als Verbandspublikationen ohne intrinsische Motivation an der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus war ihre Berichterstattung zudem weit weniger fordernd. Sie war ohnehin vor allem auf die eigene Organisation und weniger auf den Rechtsradikalismus bezogen. Dennoch war die Berücksichtigung dieser Publikationen gewinnbringend, weil derart manifest wurde, dass die Auseinandersetzung mit diesem auch im nicht-staatlichen Bereich keineswegs allumfassend und vielfach abhängig von speziellen Interessen der Akteure war. Insgesamt war der Umgang mit dem Rechtsradikalismus zwischen 1951 und 1989 von grundlegender Kontinuität geprägt. Obwohl es im Detail stets temporäre Veränderungen gab, blieben die Akteure ihren favorisierten Reaktionsformen über den gesamten Untersuchungszeitraum von vierzig Jahren hinweg weitgehend treu. Tendierte ein Akteur, wie die FAZ, bereits in den fünfziger Jahren – oder etwas später auch „Die Zeit“ – zu einer weniger repressiven Reaktion und äußerte vorsichtige Zweifel an der Legitimität eines vor allem repressiven Umgangs, so blieb diese grundlegende Prägung im gesamten Untersuchungszeitraum gültig. Zwar zeigt sich auch in der „Allgemeinen“, der „Frankfurter Rundschau“ sowie der Gewerkschaftspresse ein Wandel hin zu einer weniger auf Repression zielenden Berichterstattung, dieser blieb dabei aber partiell und war vor allem in Bezug auf rechtspopulistisch agierende rechtsradikale Parteien in den achtziger Jahren auszumachen, während diese Akteure selbst in den achtziger und neunziger Jahren weiterhin sicherheitspolitische Maßnahmen gegen eindeutig rechtsradikale bzw. neonazistische Gruppierungen forderten. Die in fast allen Publikationen abnehmende Fokussierung auf repressive Umgangsformen mit dem Rechtsradikalismus beruhte zudem vielfach weniger auf einem Wandel in Bezug auf das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit oder einer veränderten Bewertung des demokratischen Dilemmas – dieser Terminus verweist auf die Unmöglichkeit einer parallelen Existenz maximaler (politischer) Freiheit des Individuums bei einem gleichzeitigen Maximum an Sicherheit für alle –, sondern vor allem auf den unterschiedlichen Manifestationen des Rechtsradikalismus. Dementsprechend favorisierten die jeweiligen Publikationen zum Beispiel andere Reaktionen auf rechtsterroristische Gruppen als auf rechtspopu1 Vgl. z. B. DOD, BdV lehnt extremistische Gewaltakte mit aller Schärfe ab, 27.11.1992, S. 2; DOD, Schlesier gegen importierte Neonazis, 11.12.1992, S. 4; DOD, Keine Neigung zum Rechtsradikalismus, 5.1.2001, S. 7. 2 Allerdings kann aus den parallelen Veröffentlichungen zum Linksradikalismus auf eine grundsätzliche Zustimmung zur „wehrhaften Demokratie“ geschlossen werden. Vgl. diesbezüglich vor allem Kapitel 4.1.
438 9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen listisch agierende rechtsradikale Parteien. Verbotsforderungen bezogen sich dabei zwangsläufig nur auf Parteien und andere organisierte Strukturen, Strafforderungen in erster Linie auf Gewalttäter. Die argumentative Auseinandersetzung wiederum wurde hauptsächlich vor Wahlen gegen rechtsradikale Parteien geführt. Die Forderung nach verbesserter Bildung und der Auseinandersetzung mit sozio-ökonomischer Krisenwahrnehmung, zum Beispiel in Form von Zukunftsängsten oder Sorgen um den Verlust des Arbeitsplatzes, richtete sich grundsätzlich gegen fast alle Manifestationen des Rechtsradikalismus, obgleich deren Auswirkungen auf Rechtsterroristen stark begrenzt sind. Innerhalb dieser verschiedenen Teilbereiche blieb der Umgang wiederum weitgehend konstant. Wäre diese Studie auf rechtsradikale Vereine beschränkt worden, hätte die Kontinuität der Debatte noch deutlicher aufgezeigt werden können. Schließlich gab es nach 1969 bis zum Ende der achtziger Jahre keine Partei, die qua Erfolg oder Auftreten eine Verbotsdebatte hätte begründen können. Auch hier hätte eine stärkere Rolle einer solchen Partei in der Öffentlichkeit die Kontinuität der Debatte sicherlich bestätigt – darauf deuten sporadische Forderungen nach einem Verbot der NPD hin. Veränderungen in der Debatten beruhen insofern oftmals weniger auf gesellschaftlichen Anpassungen, sondern vielmehr auf den jeweils spezifischen Manifestationen des Rechtsradikalismus. Insofern hätte auch ein Auslassen des Rechtspopulismus in dieser Studie die Kontinuität der Debatte noch stärker betont. So deuten nämlich die Ergebnisse der Fallstudie zu dem Umgang mit der Partei Die Republikaner am Ende der achtziger Jahre auf eine allgemeine Liberalisierung der Debatte hin. Wie parallele Verbotsforderungen gegen die Nationale Sammlung und die FAP zeigen, fand selbst hier allerdings kein grundsätzlicher Wandel statt. Es hatte sich vor allem der Umgangsgegenstand verändert und es zeigte sich der Erfolg der rechtspopulistischen Strategie. Für „Die Zeit“, die „Frankfurter Rundschau“ sowie die Gewerkschaftspresse lässt sich Ähnliches auch schon in den fünfziger Jahren im Umgang mit der nicht ausgegrenzten Deutschen Partei sowie der noch vielfach nationalen FDP finden, welche zumindest teilweise dem Rechtsradikalismus zugeordnet wurden. Der sogenannte „Graubereich“ zwischen dem Rechtsradikalismus und dem demokratischen Konservatismus war ohnehin durchgehend ein zentraler Teil der Debatte und wurde zwar durchaus aktiv bekämpft, aber von Anfang an spielten die Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ in dieser Teildebatte keine Rolle, weil die Parteien eben gerade nicht ausgegrenzt und durchgängig als rechtsradikal gebrandmarkt wurden. Dieser Teildiskurs wurde nun seit den späten achtziger Jahren immer eigenständiger und musste die besondere Spezifik berücksichtigen. Dass rechtspopulistische Parteien seit den achtziger Jahren für wesentlich gefährlicher gehalten wurden und diese somit die Diskussion über den Umgang dominierten, hat dazu geführt, dass sich die Debatte insgesamt weniger um repressive Maßnahmen zur Bekämpfung drehte. Aufgrund der Erkenntnis, dass man die Republikaner nicht einfach verbieten
9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen
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könne, wurden differenziertere Umgangsformen hier alternativlos und waren in der Debatte entsprechend dominant. Das heißt aber nicht, dass die „wehrhafte Demokratie“ zu diesem Zeitpunkt ihre Relevanz eingebüßt hatte. Wurde eine Partei oder Gruppierung als bedrohlich, insbesondere für die innere Sicherheit beziehungsweise als Gefahr für die Außenwirkung, wahrgenommen und dem eindeutigen Rechtsradikalismus zugeordnet, bewerteten die Akteure – teilweise mit Ausnahme der „Zeit“ – repressives Vorgehen auch in den achtziger Jahren noch weitgehend positiv. In Bezug auf die neonazistische Nationale Sammlung blieb die Debatte insofern sicherheitsorientierter. Wäre der Untersuchungszeitraum noch verlängert worden und hätte die rechtsradikale Gewalteskalation der frühen neunziger Jahre, die Verbote der Nationalistischen Front (1992), der FAP (1995) oder die NPD-Verbotsdebatten nicht nur kursorisch eingeschlossen, wäre die Kontinuität auch über das Jahr 1989 hinaus noch deutlicher ausgefallen. Diese wurden allerdings aufgrund der besonderen Situation der deutschen Einheit nur am Rande berücksichtigt. Auch die im Laufe der Jahre seltener aufzufindenden Verbotsforderungen in der „Frankfurter Rundschau“ bedeuteten keine dauerhafte Abkehr von der Sicherheitsorientierung. Die Zeitung blieb, wie auch ein erster Blick in die Berichterstattung während der NPD-Verbotsdebatten seit der Jahrtausendwende verdeutlicht, diesem Instrument nicht nur zugeneigt, sondern forderte es auch weiterhin explizit.3 Ohnehin bestätigte die kursorische Recherche der hier untersuchten Publikationen während der NPD-Verbotsdebatten nach der Jahrtausendwende beziehungsweise in der ersten Hälfte der neunziger Jahre – sofern diese noch existierten –, dass nicht nur die FR, sondern auch die „Allgemeine“ und die Gewerkschaften weiterhin Verbote forderten.4 Auch in der „Zeit“, de3 Vgl. Kapitel 8.4. bzw. FR, Frage, 3.8.2000, S. 3; FR, Zeit, 4.8.2000, S. 3; FR, Rechts extreme, 9.8.2000, S. 4. 4 Vgl. neben den bereits genannten Artikeln aus der FR z. B. Jüd. Allg., Mit Recht gegen Rechts, 18.12.2008; Jüd. Allg., Nach den Morden, 24.11. 2011; Jüd. Allg., Fehler im System, 17.11.2011; Jüd. Allg., Länder für NPD-Verbot, 6.12.2012; Jüd. Allg., Konsequentes Zögern, 13.12.2012; Jüd. Allg., Kein Freiraum für Neonazis, 13.12.2012; Jüd. Allg., Bundestag stellt keinen NPD-Verbotsantrag, 25.04.2013; Jüd. Allg., Unterwegs zu falschen Zielen, 3.05.2013. (Alle online eingesehen am 28. Juli 2017). Die Beiträge in den GMH behandelten repressives Vorgehen zwar nicht (Vgl. z. B. GMH 9 (1992), Zwischen Rosenheim und Rostock. Zur neuen Qualität des Rechtsextremismus im vereinten Deutschland, S. 550–560; GMH 11 (2000), Die extreme Rechte und ihr gesellschaftlicher Rückhalt, S. 601–607), doch der DGB sprach sich immer wieder für ein Verbot der NPD aus. Vor allem die FAZ positionierte sich – in den Jahren 2011/12 noch deutlicher als 2000 bis 2003 – weiterhin primär gegen einen Verbotsantrag. Ihre Kritik bezog sich aber kaum auf die Frage der demokratischen Legitimität eines NPD-Verbotes, sondern primär auf die Sinnhaftigkeit und die potenziellen Gefahren. Ein Scheitern, so die gängige Warnung, ist nicht unwahrscheinlich und würde die NPD stärken. Vgl. z. B. FAZ, Aktionismus, 3.8.2000, S. 1; FAZ, Nicht überstürzen, 16.12.2008, S. 1; FAZ, Doppelte Aufklärung, 19.11.2011, S. 1; FAZ, Kuhfladen, 25.11.2011, S. 1; FAZ, Murks,
440 9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen ren Berichterstattung im Untersuchungszeitraum von einer vorsichtig positiven zu einer immer kritischeren Position gegenüber einem primär auf Sicherheitspolitik setzenden Umgang tendierte, hat es keinen grundlegenden Wandel gegeben. Zwar argumentierte die Zeitung 2016 eindeutig gegen ein Verbot der ungefährlichen NPD, noch 2012 war dies aber angesichts der NSU-Enthüllungen deutlich umstrittener und die Zeitung veröffentlichte pro- und contra-Verbotsberichte.5 Dass auch „Die Zeit“ nach einschneidenden Ereignissen zu einer sicherheitsorientierten Berichterstattung zurückfand, verdeutlicht ein Bericht von 1992, der während der pogromartigen rechtsradikalen Eskalation dieser Jahre entstand. Hier wurden sowohl die Indizierung neonazistischer Symbole als auch insbesondere das Verbot der Nationalistischen Front als „überfällige Signale“ bezeichnet.6 Auch die ansonsten weniger sicherheitsorientierte FAZ plädierte nicht nur nach den Verboten von FAP und Nationalistischer Front, sondern auch im Jahr 2000 eindeutig für die „wehrhafte Demokratie“: „Allzuschlecht waren die Erfahrungen mit den beiden früheren Parteiverboten nicht: die [sic] Rechtsextremisten waren für anderthalb Jahrzehnte (bis zum Aufkommen der NPD) als Sektierer isoliert […]. Die Extremisten von einst waren aber so weit erzogen, daß sie die demokratische Grundordnung nicht prinzipiell in Frage stellten. Für die Generation, die keine der Diktaturen mehr ausreichend bewußt erlebt hat und die Freiheit – im Sinne der Freiheit des anderen – nicht zu schätzen gelernt hat, ist offenbar eine Lektion in wehrhafter Demokratie fällig.“7
Die FAZ stand den Instrumenten der „wehrhaften Demokratie“ auch im Untersuchungszeitraum positiver gegenüber, sobald diese gegen neonazistische Strukturen wie die ANS/NA und die Nationale Sammlung gerichtet werden sollten. Insofern waren alle Akteure beziehungsweise Medien einem sicherheitsorientierten Handeln zumindest temporär zugeneigt. Der Umgang im Rahmen der „wehrhaften Demokratie“ blieb stets eine Option. Sobald die eigene Bedrohungswahrnehmung stieg, ein deutliches Signal zur Grenzmarkierung notwendig schien oder administrative Schritte einen Gewinn an außenpolitischem Prestige versprachen, tendierten alle Publikationen verstärkt zu einem repressiveren Vorgehen. Sofern sie sich äußerten, bewerteten alle Presseerzeugnisse entsprechende Entscheidungen von Politik und Strafverfolgungsbehörden ohnehin durchgängig 7.12.2012, S. 1; FAZ, Erwachsene Demokratie, 8.12.2012, S. 1; FAS, Nicht mit Gewalt, 6.8.2000, S. 4. Der Deutsche Ostdienst und Der Arbeitgeber haben sich, entsprechend der hier vertretenen These, an der Debatte hingegen nicht beteiligt. 5 Vgl. Die Zeit, Die NPD verbieten?, 6.12.2012; Die Zeit, Nur jämmerlich, 3.3.2016. 6 Die Zeit, Ein schneller Schlag, 4.12.1992. 7 FAZ, Wehrhafte Demokratie, 7.8.2000, S. 1. Bezüglich positiver Sichtweisen auf die Verbote von NF und FAP siehe FAZ, Es stimmt was nicht in diesem Land, 29.11.1992, S. 4; FAZ, Ein Exempel, 25.2.1995, S. 10.
9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen
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positiv und stimmten diesen zu, auch wenn sie diese vorher nicht unbedingt aktiv eingefordert hatten. Einzig „Die Zeit“ artikulierte, ausgehend von ihrer ohnehin kritischen aber positiven Position zur „wehrhaften Demokratie“, verstärkt Zweifel an diesem Konzept und lehnte das Verbot der ANS/NA explizit ab. Dies war aber keine grundsätzliche Positionsverschiebung, sondern beruhte auf der in diesem Fall nicht vorhandenen Bedrohungswahrnehmung, welche ein Verbot als Ultima Ratio-Maßnahme gerade nicht erforderte. Eine Terminierung des „Durchbruchs zur modernen Zivilgesellschaft“, welcher laut Konrad Jarausch in den sechziger Jahren deutlich wurde,8 ist anhand der hier untersuchten Thematik kaum möglich. Zwar wurden niedrigschwelligere und insbesondere zivilgesellschaftliche Umgangsformen spätestens in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre immer populärer; sie waren aber schon vorher in der Berichterstattung stets präsent. Insgesamt verdrängte die Forderung nach zivilgesellschaftlicher Gegenwehr oder auch sozio-ökonomischer Maßnahmen nicht die Relevanz repressiverer Reaktionsmöglichkeiten. Insofern geriet die „wehrhafte Demokratie“ parallel keineswegs verstärkt in die Kritik. Die Veränderungen innerhalb des Rechtsradikalismus führten zu einer Diversifizierung der Reaktionsmöglichkeiten, allerdings ohne die grundlegenden Prägungen der Publikationen bezüglich der Priorisierung im Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit zu beeinflussen. Als das Bewusstsein reifte, dass die breite Gesellschaft selbst teilweise rechtsradikale Ideologien inkludierte – so zum Beispiel in der gestiegenen Rolle rechtsradikaler Personen in der Gewerkschaftsbewegung oder generell bei den Einstellungen Jugendlicher spätestens in den achtziger Jahren –, mussten Lösungen gefunden werden, die diese spezifische Entwicklung berücksichtigten und wurden entsprechend auch von nicht-staatlicher Seite thematisiert. Die Herausbildung dieser zweiten Säule im Umgang mit dem Rechtsradikalismus ist daher nicht zwangsläufig ein Zeichen für einen Liberalisierungsschub, sondern auch eine Reaktion auf die gewandelte Realität und mithin auf eine spezifische Ausprägung des Rechtsradikalismus. Es verbreitete sich vor allem das Arsenal der Gegner des Rechtsradikalismus, während sich weder das Ziel, diesen wirksam und nachhaltig einzugrenzen, noch die Zustimmung, im Bedarfsfall auch mit sicherheitspolitischen Maßnahmen vorzugehen, wandelte. Während die Berichte in der „Zeit“ sich immer deutlicher gegen Verbote von rechtsradikalen Gruppen aussprachen – ohne nennenswert Alternativen zu skizzieren –, trat speziell die FAZ schon früh für eine Mischform im Umgang mit dem Rechtsradikalismus ein, wobei gesellschaftliches Engagement zumindest theoretisch permanent erfolgen und staatliches Handeln im Rahmen der „wehrhaften Demokratie“ nur die letzte Stufe im Umgang sein sollte. Für die FAZ war speziell die argumentative Auseinandersetzung vor allem mit rechtsradikalen Protestwählerinnen und Protestwählern zentral. Ihr Ziel blieb zwar nicht die 8 Vgl. Jarausch, S. 29.
442 9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen Normalisierung des Rechtsradikalismus, aber doch eine gewisse Normalisierung im Umgang, sofern dieser parteipolitisch auftrat und die Tabugrenzen der bundesrepublikanischen Gesellschaft weitgehend einhielt. Sie zielte nicht nur auf die repressive Niederhaltung, sondern zunächst auch auf die demokratisch-argumentative Ausschaltung. Schon die SRP hätte sie lieber an der Wahlurne besiegt denn administrativ verboten gesehen. Als einziges Presseorgan zielte die FAZ früh – freilich ohne den Terminus zu benutzen – auf den Ausbau einer Zivilgesellschaft, welche die Stabilität des Staates gegenüber Radikalen von allen Seiten (friedlich) verteidigen sollte. Die anderen Medien standen gesellschaftlichem Engagement zwar ebenfalls positiv gegenüber, forderten es aber auf deutlich geringerem Niveau. Speziell die „Frankfurter Rundschau“, die Gewerkschaftspresse und die jüdische „Allgemeine“ fokussierten wesentlich länger auf staatliche Sicherheitspolitik als bevorzugte Option. Für sie waren alternative Reaktionsoptionen vielfach nur behelfsmäßig oder ergänzend relevant, so lange keine Verbote erwirkt werden konnten. Fast durchgängig wurde die Berichterstattung zudem von dem Wunsch beherrscht, die Bundesrepublik und ihre Bevölkerung als demokratiefähig und lernbereit darzustellen. Insofern wurde die Darstellung von gesellschaftlichem Engagement dazu genutzt, deren Demokratisierung zu unterstreichen und der erwarteten Kritik frühzeitig etwas entgegenzusetzen. Entsprechend versuchten alle Publikationen, insbesondere aber die FAZ und die jüdische „Allgemeine“, mit ihrer Berichterstattung stets die grundsätzlich positive Entwicklung abzubilden. Sie berichteten vor allem dann verstärkt über gesellschaftliches Engagement, wenn der Erfolg der Demokratisierung von außen angezweifelt werden konnte. Darüber hinaus verwiesen die Publikationen regelmäßig auf die hohe Bedeutung von Wahlentscheidungen und versuchten dazu beizutragen, dass potenzielle Wählerinnen und Wähler rechtsradikaler Parteien umgestimmt wurden. Vor allem die FAZ – und auf geringem Niveau die Vertriebenenpublikationen – blickten in ihren diesbezüglichen Aufrufen zumindest teilweise auf die eigene national-konservative Klientel. Dass die gewerkschaftlichen Publikationen und speziell der DGB in einer Sonderbeilage, die vor allem die eigenen Mitglieder erreichte, ganz besonders in den Wochen vor der Bundestagswahl 1969 dazu aufriefen, die NPD nicht zu wählen, offenbart, wie frühzeitig man hier Stimmenabgaben aus der eigenen Klientel befürchtete. Viel wichtiger für alle Publikationen war allerdings die Mobilisierung der eigenen Leserschaft für die demokratischen Parteien. Dies verringert die Wahlchancen der Rechtsradikalen, war aber zugleich ein wichtiges Zeichen für eine erfolgreiche Demokratisierung der Bundesrepublik. Des Weiteren war der Umgang vor allem der Tages- und Wochenpresse trotz vereinzelter Bemühungen um inhaltliche Argumente gegen rechtsradikale Vorstellungen, Parteiprogramme und ausgeführte Erklärungen in den meisten Fällen von einer moralisch überhöhten Ausgrenzungsstrategie und Diffamierungskam-
9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen
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pagne geprägt. Sie sorgte dafür, dass der Rechtsradikalismus nicht als „normaler Akteur“ wahrgenommen wurde. Als Ausnahme sind hier lediglich die FAZ 1989 in Bezug auf die Republikaner und auf weitaus geringerem Niveau „Der Arbeitgeber“ in Bezug auf die NPD in den sechziger Jahren zu nennen. Zudem zielte speziell die FAZ in mehreren Fällen, in denen es sich um rechtsradikale Gewalttaten, rechtsterroristische Anschläge oder antisemitische Taten handelte, darauf, einen politischen Hintergrund möglichst zu verneinen. Auffallend selten finden sich tiefergehende Darstellungen über die Wählerschaft rechtsradikaler Parteien. Dies wurde oftmals direkt durch die Deutung eines hohen rechtsradikalen Wahlergebnisses als Protestwahl unterbunden. Weitgehend unterschlagen wurde dabei, dass auch Protestwählerinnen und -wähler nur dann einer rechtsradikalen Partei aus Protest ihre Stimme geben, wenn sie Anknüpfungspunkte und Affinitäten zu deren politischen Argumenten aufweisen.9 Stattdessen zielten die Darstellungen insbesondere auf Krisensymptomatiken wie Arbeitslosigkeit und Zukunftsangst, um deren Wahlentscheidung zu erklären. Von größerer Bedeutung war insofern oftmals die Forderung, sozio-ökonomische Krisenwahrnehmungen zu lindern. Allerdings folgte daraus, obwohl alle Publikationen – mit Ausnahme des „Arbeitgebers“, der mit seiner Fokussierung auf den Status quo des Wirtschaftssystems eine diesbezüglich besondere Schutzfunktion einnahm – immer wieder auf die sozio-ökonomischen Ursachen des Rechtsradikalismus zurückkamen, bis in die (späten) achtziger Jahre in keinem Medium eine besondere Schwerpunktsetzung. Die Ursachenfrage wurde zwar regelmäßig thematisiert, oftmals erfolgte eine etwas ausführlichere Beschäftigung mit der Thematik aber lediglich in den Tageszeitungen, und auch nur dann, wenn ein rechtsradikales Wahlergebnis erklärt werden musste. Vielfach entstand der Eindruck, dass es primär um eine Entschuldigung der Vorfälle nach außen ging. Sogar die gewerkschaftlichen Erörterungen zur Ursachenfrage waren bis in die achtziger Jahre oft unspezifisch und kaum systematisch erarbeitet. Dies entsprach dem Interesse der Gewerkschaften, in der Bundesrepublik zwar als kritisch begleitende Akteure wahrgenommen zu werden, aber die grundsätzlichen Entscheidungen und Entwicklungen nicht infrage zu stellen. Dass die Gewerkschafter oftmals „von einem Moment der Systemfeindschaft [und] der Ablehnung des
9 Vgl. diesbezüglich Jürgen W. Falter, Wer wählt rechts? Die Wähler und Anhänger rechtsextremistischer Parteien im vereinigten Deutschland, München 1994, S. 155f.; Pfahl-Traughber, S. 79. Dass Wähler rechtsradikaler Parteien stets zu entsprechenden Einstellungen neigen und dies sogar oft selbst so wahrnehmen, findet sich auch in Veröffentlichungen des Bundesministeriums des Innern. Vgl. Kai Arzheimer, Wahlen und Rechtsextremismus, in: Bundesministerium des Innern (Hg.), Extremismus 2004, S. 56–81, hier S. 75–79.
444 9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen kapitalistischen Systems und seiner Vertreter in Wirtschaft und Staat bestimmt“10 waren, findet sich daher in den Artikeln zum Rechtsradikalismus kaum wieder. Dies unterstützt zunächst die These von Helmut Wiesenthal und Ralf Clasen, dass „die antikapitalistische Rhetorik das praktische Handeln weniger bestimmte als manche zum Ritual gewordene ‚Forderungen‘ suggerieren“.11 In den achtziger Jahren aber entwickelte sich speziell in der gewerkschaftlichen Publizistik eine neue theoretische und kapitalismuskritische Diskussion über die Ursachen von Rechtsradikalismus, die dann auch in den Jahren danach weiterhin intensiv geführt wurde. Eine Systemkonfrontation ist weiterhin nicht auszumachen, dennoch wirkte sich dieser Wandel deutlich auf den Umgang mit dem Rechtsradikalismus aus, der verstärkt die Beseitigung von Krisenwahrnehmungen forderte und das Fehlen alternativer positiver Utopien kritisierte. Für die Gewerkschaftspresse wurde es nun wieder wichtiger, die vermeintlichen Ursachen der konservativen Hegemonie und des wahrgenommenen Rechtsruckes der Gesellschaft abzustellen, als die Symptome dieser Entwicklungen repressiv zu bekämpfen.12 Mithin rückten die Frustrationspotenziale, die sich mit dem als „neoliberal“ bezeichneten Paradigmenwechsel verbanden, in den Fokus und die Bedeutung der „wehrhaften Demokratie“ nahm im konkreten Umgang mit dem Rechtsradikalismus deutlich ab – ohne dass ihre grundsätzliche Legitimation zum Schutz der Demokratie infrage gestellt wurde. Auch in den anderen Publikationen besaß die Ursachenfrage spätestens nach dem Wahlerfolg der Partei Die Republikaner in West-Berlin eine deutlich gestiegene Relevanz. Sogar „Der Arbeitgeber“ erkannte 1983 an, dass Arbeitslosigkeit und verbreitete Krisenwahrnehmungen zur rechtsradikalen Mobilisierung in den achtziger Jahren beigetragen hatten. Die Zeitschrift zielte mit diesen Aussagen allerdings weniger auf eine Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem als auf die Forcierung der „neoliberalen“ Umbaupolitik, von der die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sich deutliche Impulse für die bundesdeutsche Wirtschaft und somit verringerte Frustrationspotenziale in der Gesellschaft ver10 Helmut Wiesenthal / Ralf Clasen, Gewerkschaften in Politik und Gesellschaft. Von der Gestaltungsmacht zum Traditionswächter?, in: Wolfgang Schroeder / Bernhard Weßels (Hg.), Die Gewerkschaften in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland. Ein Handbuch, Wiesbaden 2003, S. 296–322, hier S. 301. 11 Ebd., S. 302. Auch Frank Deppe argumentierte, dass der Umgang des DGB mit dem Rechtsradikalismus immer mehr von der Totalitarismustheorie und weniger von der Erkenntnis des notwendigen Zusammenhangs von Kapitalismus und Faschismus geleitet wurde. Vgl. Deppe, Geschichte, S. 484. 12 Ob der Umgang auch 1989 sicherheitsorientierter gewesen wäre, wenn die gewerkschaftliche Publizistik den Neonazismus nicht völlig außen vor gelassen hätte, konnte leider nicht geprüft werden, ist allerdings angesichts der auch in den neunziger Jahren ausgeprägten Zustimmung zu Partei- und Vereinsverboten wahrscheinlich. Dennoch bezieht sich dieser Befund nur auf den Umgang mit dem parteipolitischen Rechtsradikalismus.
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sprach. Trotz dieser Veränderungen fokussierte der „Arbeitgeber“ weiterhin vor allem auf originär politische Krisenperzeptionen. Kritik an der politischen Kultur der Bundesrepublik findet sich in allen Publikationen vielfach. Hier wurden in Zusammenhang mit rechtsradikalen Wahlerfolgen zum Beispiel die Bildung Großer Koalitionen und die damit verbundene zu geringe parlamentarische Oppositionsmöglichkeit betont. Vor allem in der Gründungsphase der Bundesrepublik und dann verstärkt in den achtziger Jahren wurde der allgemeine Politikfrust, bezogen auf die politischen Parteien, sowie die Reformunfähigkeit des politischen Systems verantwortlich gemacht. Kritik an einer vermeintlich zu geringen Demokratisierung wurde hingegen verhältnismäßig selten – vor allem in den gewerkschaftlichen Veröffentlichungen, der „Allgemeinen“ und der FR – vorgebracht. Daneben kritisierten fast alle Publikationen immer wieder, dass linke Akteure durch ihr Protestverhalten zur Mobilisierung des Rechtsradikalismus beigetragen hätten. Ein Aspekt in Zusammenhang mit der politischen Kultur, der immer wieder auftauchte und von fast allen Medien auf die eine oder andere Art thematisiert wurde, ist die Frage nach dem sogenannten „Graubereich“ und der Abgrenzung des konservativen Spektrums zum Rechtsradikalismus. Vor allem die „Allgemeine“, „Die Zeit“, die gewerkschaftlichen Publikationen und die „Frankfurter Rundschau“ zielten damit auf die dauerhafte Ausgrenzung des Rechtsradikalismus aus der politischen Kultur. Sei es die inkonsequente Entnazifizierung beziehungsweise Renazifizierung der frühen fünfziger Jahre, die Bagatellisierung von antisemitischen und rechtsradikalen Manifestationen durch ähnliche Meinungsäußerungen aus dem konservativen Spektrum oder die mal mehr mal weniger intensive Zusammenarbeit rechts-konservativer Kreise mit eindeutig rechtsradikalen Akteuren – wichtig war ihnen das starre Festhalten an den diskursiven Brandmauern der normativen Abgrenzung. Einer eventuellen Zusammenarbeit oder gar Koalitionsoption konservativer Parteien sollte auf diese Weise entgegengewirkt werden. Entsprechende Vorfälle wurden regelmäßig gegen CDU und CSU, in den jungen Jahren der Bundesrepublik auch gegen die FDP und die Deutsche Partei, in Stellung gebracht. Die FAZ verlangte ebenfalls teilweise eine konsequente Abgrenzung nach rechts. Dies war insofern widersprüchlich, als die Zeitung andererseits forderte, dass die Unionsparteien nach rechts integrativ wirken sollten. Demgegenüber war der Bund der Vertriebenen, wie bereits erwähnt, aufgrund seiner besonderen Diskursposition stets darauf fokussiert, sich selbst öffentlich zum Rechtsradikalismus abzugrenzen. Der Umgang mit dem Rechtsradikalismus veränderte sich insofern durchaus und passte sich an die immer neuen Gegebenheiten an. Dennoch ist dieser Wandel gerade in der Priorisierung von Sicherheit und Freiheit im gesamten Untersuchungszeitraum gering geblieben. Die langjährige Kontinuität deutet darauf hin, dass der Umgang mit dem Rechtsradikalismus vor allem auf einer grundsätzlichen Ebene gestaltet und von tief liegenden Wirklichkeitsinterpretationen
446 9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen geprägt wurde. Die jeweiligen politischen Erfahrungen und der stete Demokratisierungsprozess in der Bundesrepublik ergänzten diesen, beeinflussten ihn aber dennoch nur wenig. Eine stärkere Betonung von Freiheit im Gegensatz zu Sicherheit hat es im Umgang mit dem Rechtsradikalismus nicht gegeben. Die dargestellten Veränderungen waren dafür zu gering und ohnehin nicht gradlinig, sodass die Berichterstattung der Akteure teilweise nach liberaleren Phasen mehrfach zur besonderen Relevanz sicherheitspolitischer Maßnahmen zurückkehrte. Für die Wirkungsmächtigkeit des Sicherheitsprimates spricht zudem, dass die Forderung nach Toleranz gegenüber dem Rechtsradikalismus expressis verbis nur in wenigen Einzelfällen ausgemacht werden konnte. Selbst dann, wenn den Publikationen keine sicherheitsorientierte Darstellung nachgewiesen wurde, war der von ihnen bevorzugte Umgang nicht dem Gedanken der Toleranz verpflichtet. Alle Presseerzeugnisse versuchten, auf den Rechtsradikalismus in unterschiedlicher Intensität mit ihren jeweiligen Mitteln zu reagieren und am politischen Erfolg zu hindern. Auch der „Deutsche Ostdienst“ und „Der Arbeitgeber“, die den Rechtsradikalismus teilweise gar nicht oder nur auf geringem Niveau thematisierten, waren grundsätzlich davon überzeugt, dass man diesem entgegentreten müsse. Gerade in Bezug auf den Rechtsradikalismus – hier zeigte sich die Abtrennung der Debatte über den „Rechtspopulismus“ sehr deutlich – spielte die Meinungsfreiheit oder die Freiheit zur politischen Betätigung keine Rolle. Eindeutig rechtsradikale Ideen und Strukturen wurden in keinem Fall als legitimer Teil des politischen Spektrums einer Demokratie bewertet. Auch die Forderung, die Rechtsradikalen schlichtweg zu ignorieren, findet sich nur selten und folgte dabei weniger dem Gedanken der Toleranz, sondern vielmehr dem Ziel, diese weder aufzuwerten noch durch Protestaktionen deren Bekanntheitsgrad zu steigern. Die verstärkte Thematisierung alternativer Umgangsformen beruhte ohnehin vielfach auf der Erkenntnis, dass eine repressive Reaktion von den zuständigen staatlichen Stellen nicht zu erwarten war. Die somit notwendigen Alternativen in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus wurden daher in der Berichterstattung zwar durchaus prominenter, dies folgte aber gerade keinem grundsätzlichen Bewusstseinswandel in Bezug auf das demokratische Dilemma. Lediglich die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und „Die Zeit“ problematisierten ein solches. Dennoch kritisierten auch sie zuweilen die zögerliche Umsetzung von repressiven Maßnahmen gegenüber rechtsradikalen Organisationen und Individuen. Ihre Prioritäten lagen keineswegs in der Betonung von Freiheitsrechten für rechtsradikale Individuen. Insofern verliefen die diskursiven Grenzen der Debatte nicht am Rande des vorstellbaren Argumentationsspielraumes, sondern waren noch deutlich stärker als heute durchgängig in Richtung Sicherheit verschoben. Insgesamt tauchte das Spannungsverhältnis zwischen den Werten „Sicherheit“ und „Freiheit“ als spezifische Thematik in den Debatten über den Umgang mit dem Rechtsradikalismus allerdings kaum auf. Als semantische Felder waren
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„Freiheit“ und noch viel mehr „Sicherheit“ in der Debatte dennoch durchgängig präsent und die Problematik wurde implizit vielfach doch zum Thema erhoben. Was genau die Akteure unter „Freiheit“ und „Sicherheit“ verstanden, kann mangels aufgefundener Aussagen in Zusammenhang mit dem Rechtsradikalismus nicht präzise beantwortet werden. Sicher sagen lässt sich aber, dass ihr Verständnis von Sicherheit in erster Linie auf die Stabilität des politischen Systems und das friedliche Zusammenleben in der Bundesrepublik zielte.13 Sicherheit bedeutet insofern stets auch Schutz der Freiheit und insbesondere die weitgehende Marginalisierung von Rechtsradikalismus in jeglicher Manifestation. Das semantische Feld der „Freiheit“ war zumindest implizit sowohl in Form der Meinungs- oder der Vereinigungsfreiheit auf das Individuum bezogen als auch gesamtgesellschaftlich gedacht als Abwesenheit von totalitärer Diktatur präsent. In den Artikeln mit eindeutigem Fokus auf den Rechtsradikalismus spielte dabei vor allem die Sicherheit eine entscheidende Rolle. Der Begriff der Freiheit wurde hier in seiner individuellen Richtung nur sehr randständig und in seiner gesellschaftlichen Variante weitgehend implizit thematisiert. Dass die vielfach geforderte oder von staatlicher Seite umgesetzte Repression gegen rechtsradikale Akteure sowohl freiheitsbegrenzend ist als auch gleichzeitig die Freiheit der demokratischen Gesellschaft schütze solle, war bei allen Akteuren präsent, wurde aber ebenfalls nur selten zum Thema erhoben. Diese Studie auch anhand des Spannungsverhältnisses von Sicherheit und Freiheit zu konzipieren war dennoch fruchtbar. Es war zwar schwierig darzustellen, was genau die Akteure jeweils damit verbanden, aber die grundlegenden Prägungen und „Frames“ sind dennoch deutlich geworden. Um diese Thematik spezifischer zu untersuchen, hätte man, statt der empirischen Untersuchung in Bezug auf den Rechtsradikalismus, direkt nach einschlägigen Artikeln suchen können. Dies ist aber schon aufgrund der schwierigen Suchoptionen und der Frage nach der Begrenzung der potenziellen Quellenmenge sehr viel schwieriger, als dies anhand einer konkreten Thematik zu leisten. Außerdem war das Ziel dieser Studie nicht die eher theoretische Frage nach den semantischen Feldern von Sicherheit und Freiheit, sondern gerade die konkrete Lösung dieses Spannungsverhältnisses in Bezug auf den Rechtsradikalismus. Insofern half diese Konzeption vor allem bei der Strukturierung der Thematik, da beide Felder als Raster zur Einordnung dienten. Parallel macht es die Arbeit durchaus vergleichbar und ähnliche Studien zu anderen Themenbereichen oder auch anderen Gesellschaften sind möglich.
13 Vgl. zu diesem Sicherheitsbegriff Glaeßner, Sicherheit, S. 18ff. Dass diese Definition aufgrund der autoritären Richtung demokratietheoretisch mitunter problematisch sein mag, problematisierten die Publikationen nicht. Siehe diesbezüglich auch Oliver Lepsius, Freiheit, Sicherheit und Terror. Die Rechtslage in Deutschland, in: Leviathan 32 (2004), S. 64–88, hier S. 83–88.
448 9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen Gerade in Bezug auf die Instrumente der „wehrhaften Demokratie“ ist das analytische Potenzial des Spannungsverhältnisses von Sicherheit und Freiheit offensichtlich. Da es in der Debatte aber selten allein um die Frage ging, ob man eine Gruppierung verbieten solle oder nicht, muss eine Untersuchung der Debatte über den Umgang mit dem Rechtsradikalismus vielschichtiger arbeiten und neben Umgangsformen abseits der „wehrhaften Demokratie“ auch die Ursachenfrage und die Bedrohungswahrnehmung berücksichtigen. Hier ist das analytische Potenzial des Spannungsverhältnisses von Sicherheit und Freiheit nicht unmittelbar offensichtlich, aber dennoch hilfreich, schließlich sind diese Fragen allesamt eng verbunden und nicht losgelöst voneinander zu behandeln.14 Die Forderung eines Verbots einer als äußerst gefährlich wahrgenommenen Gruppe ist insofern anders zu bewerten als die gleiche Forderung in Zusammenhang mit einer belanglosen Gruppierung – wobei hier nicht nur die Frage nach der Bedrohung für die staatliche Stabilität, sondern auch die des friedlichen Zusammenlebens relevant ist. Zudem ergeben sich andere Schlussfolgerungen in dieser Frage und alternative Reaktionsoptionen können sinnvoll erscheinen, je nachdem wie die Ursachenfrage beantwortet wird. Und selbst wenn die Debatte über rechtspopulistisch agierende Gruppen oder Parteien vordergründig nicht mehr anhand der Frage nach einem Verbot geführt wird, spielen hier sicherheitspolitische Maßnahmen, wie die Überwachung durch den Verfassungsschutz, etwaige Berufsverbote oder die Frage nach dem freien Demonstrationsrecht nach wie vor eine zentrale Rolle, die ebenfalls unmittelbar auf das Spannungsverhältnis von Sicherheit und Freiheit verweisen. Wichtig ist dabei aber stets zu berücksichtigen, dass Freiheitsdenken nur in ganz seltenen Fällen auf die volle Toleranz des Rechtsradikalismus zielte, sondern eher auf die Wahl liberalerer Mittel. Insofern untersuchte diese Studie zwangsläufig vor allem eher die Einstellungen gegenüber staatlicher Sicherheitspolitik, denn zu Toleranz und Freiheitsrechten. Nationalsozialismus und Weimarer Republik als Handlungshintergrund Insgesamt waren der Nationalsozialismus und das Ende der Weimarer Republik in allen Presseerzeugnissen als Negativfolie durchgehend präsent. Gerade in den ersten beiden Fallbeispielen zur SRP, dem Technischen Dienst und der antisemitischen „Schmierwelle“ war die direkte Verbindungslinie zum Nationalsozialismus noch deutlich aus der Berichterstattung herauszulesen. Auch danach wurden Verweise auf die NSDAP und andere nationalsozialistische Organisationen aber in erster Linie als Instrument zur Stigmatisierung rechtsradikaler Gruppen und Parteien genutzt. Insbesondere in den gewerkschaftlichen Publikationen dienten Verweise auf die politischen Entwicklungen in den Weimarer Jahren und der NS-Zeit wesentlich länger als Kontrastfolien und wurden bewusst als Mahnung in der Debatte über den Umgang mit dem zeitgenössischen Rechtsradikalismus 14 Vgl. wie in der Einleitung bereits erwähnt Conze, Geschichte, S. 123–125.
9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen
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veröffentlicht. Für die FAZ und in den ersten beiden Fallbeispielen die „Allgemeine“ gilt, dass Vergleiche mit der Weimarer Republik wahrscheinlich mit dem Ziel einer möglichst undramatischen Darstellung als kontraproduktive Assoziationspunkte weitgehend weggelassen wurden. Der Rückgriff auf diese Vergleiche und die damit erzeugten Bilder war abhängig von dem Wunsch, die jeweiligen Ereignisse zu relativieren oder aber deren Bedrohungspotenziale zu betonen.15 In den ersten Jahrzehnten spielte speziell in der „Frankfurter Rundschau“, der jüdischen „Allgemeinen“ und den gewerkschaftlichen Publikationen die starke Präsenz NS-belasteter Personen in Bildungseinrichtungen und Verwaltung eine große Rolle und wurde zusammen mit der vermeintlich ungenügenden Demokratisierung in allen Gesellschaftsbereichen als ursächlich für die Weiterexistenz rechtsradikaler Vorstellungen angesehen. Insbesondere in der „Allgemeinen“ blieben Ursachenbestimmungen, die sich aus der NS-Vergangenheit ergaben, lange Zeit dominierend. Davon abgesehen fanden sich kaum Hinweise darauf, dass sich Veränderungen in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im Laufe der Jahre auf die nicht-staatlichen Beiträge zum Umgang mit dem Rechtsradikalismus auswirkten, obwohl besondere Bezüge wie Jahrestage mitunter zu einer verstärkten Thematisierung des aktuellen Rechtsradikalismus führten. Insofern ist davon auszugehen, dass die jeweils auf das Ende der Weimarer Republik und die nationalsozialistische Terrorherrschaft bezogenen Erfahrungen und Deutungen im Gegenteil vor allem die grundlegende Prägung begünstigten, die auch im nicht-staatlichen Bereich vielfach zu einer weitgehend konstanten Sicherheitsorientierung führten und vermehrte Toleranz gegenüber dem weitgehend marginalisierten Rechtsradikalismus verhinderten. Selbst Forderungen nach intensiverer Vermittlung von Kenntnissen über die NS-Verbrechen der Jahre zwischen 1933 und 1945 sowie nach verstärkter Förderung eines demokratischen Bewusstseins in den Bildungseinrichtungen tauchten regelmäßig auf, hatten aber – abgesehen von der „Allgemeinen“ – meistens lediglich eine nachrangige Bedeutung.16 Derart offenbarten die Publikationen, dass sie immer weniger davon überzeugt waren, dass rechtsradikale Einstellungen eine Folge von unzureichendem Wissen über die Verbrechen der Hitler-Jahre waren. Die Bedrohungspotenziale des Rechtsradikalismus Die Bewertung der rechtsradikalen Bedrohungspotenziale war, oft auch in Zusammenhang mit der Frage nach dem rechtsradikalen Einstellungspotenzial in der Bundesrepublik, stark abhängig von den jeweiligen politischen Wirklichkeitsdeutungen und entsprechend divers beziehungsweise umstritten. Die Unter15 Vgl. Ullrich, S. 13, 620. 16 Lediglich die FAZ zielte nach den antisemitischen Schmierereien am Jahresbeginn 1960 neben harten Strafen auch verstärkt auf die Kenntnisvermittlung zu den NS-Verbrechen.
450 9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen suchung bestätigte zunächst die Zusammenhänge zwischen einer linksliberalen Verortung im politischen Spektrum sowie eines speziellen Opferhintergrundes und einer stärkeren Fokussierung auf die Gefährdungspotenziale des Rechtsradikalismus. Insgesamt aber erkannten alle Publikationen keine dramatische Gefahr für Staat und Gesellschaft. Zwar artikulierten vor allem die „Frankfurter Rundschau“, die Gewerkschaftspresse, „Die Zeit“ und die jüdische „Allgemeine“ öfter erhöhte Bedrohungswahrnehmungen, eine besondere machtpolitische Gefahr beschrieben sie aber nur am Anfang der fünfziger Jahre nach dem Erfolg der SRP in Niedersachsen beziehungsweise die beiden Erstgenannten auch nach der Enttarnung des Technischen Dienstes. In diesen Jahren war die zukünftige Entwicklung der Bundesrepublik noch keinesfalls absehbar und erfüllte fast alle Publikationen mit Sorge, aber bereits hier gingen diese nur noch vereinzelt von der Möglichkeit einer nationalsozialistischen Restauration aus. Spätestens am Ende jener Dekade erwarteten alle, dass die Bundesrepublik einen erfolgreicheren Weg einschlagen werde als die Weimarer Republik. Die Resultate der NPD in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre ließen noch einmal daran zweifeln, aber letztlich war der parteipolitische Rechtsradikalismus in der medialen Darstellung nun in erster Linie eine Gefahr für die bundesdeutsche Außenwirkung beziehungsweise Außenpolitik. Befürchtungen bezüglich negativer Auswirkungen auf den Normalisierungsprozess formulierten alle Publikationen. Diese verloren erst in den achtziger Jahren an Relevanz – ohne vollständig zu verstummen. Ansonsten erkannten die Publikationen vielfach die eigentliche Bedrohung für die Gesellschaft in der zu wenig demokratischen politischen Kultur. Je nach eigener Prägung kritisierten sie hier beispielsweise eine vermeintlich zu geringe Abgrenzung nach rechts oder zu tolerante Haltung gegenüber Gewalt und Terror. Dass die Wahrnehmung von erhöhten Gefährdungspotenzialen trotz der nicht vorhandenen machtpolitischen Bedrohung durch den Rechtsradikalismus weiterhin aufzufinden war und zum Beispiel in der FAZ insgesamt sogar zunahm, lag vor allem an einer Verschiebung der Bewertungsgrundlage. Seit der Niederlage der NPD bei den Bundestagswahlen 1969 und der mittlerweile deutlich wahrnehmbaren Stabilität des Staates fokussierte die Berichterstattung weniger auf Gefährdungen für die staatliche Ordnung oder den demokratischen Aufbau, sondern aufgrund der gestiegenen Gewaltfälle vor allem auf die innere Sicherheit. Die artikulierte Bedrohungswahrnehmung blieb dadurch oftmals erhöht, bewegte sich aber insgesamt auf einem deutlich geringeren Niveau als 1951 und bezog sich nicht mehr auf machtpolitische Aspekte. Verändert hatte sich vor allem der Sicherheitsbegriff. Zwar fiel ein sicherheitsorientierter Umgang mit dem Rechtsradikalismus auch danach mit einer höheren Bedrohungsartikulation zusammen, aber diese war eben deutlich geringer als zu Beginn der fünfziger Jahre und bewegte sich, wenn man die Skalenverschiebung berücksichtig, absolut gesehen im niedrigen Bereich. Gerade die vor allem von der „Frankfurter Rundschau“, der Gewerk-
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schaftspresse und der „Allgemeinen“ regelmäßig geforderten Verbote – bezogen auf die weitgehend marginalisierten rechtsradikalen Parteien oder Gruppen – deuten darauf hin, dass der Umgang hier ohne die zeitgleichen neonazistischen Gewalttaten und rechtsterroristischen Anschläge, die die Bedrohungswahrnehmung insgesamt erhöhten, in der Bewertung unverhältnismäßiger gewesen wäre. Doch sogar, wenn die Verbotsforderungen bezogen auf eine Partei in keinem Zusammenhang mit Gewaltvorfällen des neonazistischen Spektrums standen, wurden Letztere als Argument für sicherheitspolitische Maßnahmen genutzt. Die in dieser Studie insgesamt konstatierte lediglich leicht abnehmende Sicherheitsorientierung muss also zu der insgesamt niedrigen und nur durch die Verschiebung der Bewertungsgrundlage auf ähnlichem Niveau verbleibenden Bedrohungswahrnehmung in Relation gesetzt werden. Daraus folgt, dass die Sicherheitsorientierung – relativ gesehen – noch weniger sank, als dies zunächst den Anschein hatte. Anders ausgedrückt folgte einer insgesamt deutlich gesunkenen Gefahrenartikulation kein Anstieg im Bereich der Toleranz, was ebenfalls für eine Kontinuität des Sicherheitsprimats im Umgang mit dem Rechtsradikalismus spricht. Dafür spricht zudem, dass parteipolitische Entwicklungen in den Veröffentlichungen meistens eine deutlich gewichtigere Rolle spielten als neonazistische oder terroristische Aktivitäten.17 Diese wurden im Untersuchungszeitraum für wesentlich bedeutsamer für die demokratische Entwicklung der Bundesrepublik gehalten und begründeten vielfach intensivere Debatten als neonazistische Gewaltvorfälle. Auch deren Relevanz für die Außenwahrnehmung wurde als gravierender eingeschätzt. Parallel war die Zustimmung zu einem repressiven Vorgehen gegen neonazistische und rechtsterroristische Vorfälle meist ausgeprägter und selbst in der FAZ unumstrittener. Eine Ursache dieser Diskrepanz könnte in der mit Rücksicht auf die Außenwirkung teilweise bewusst beschönigenden Darstellung des parteipolitischen Rechtsradikalismus liegen. Vor allem im ersten Beispiel zur SRP betonten alle sich äußernden Publikationen, dass man den Rechtsradikalismus keinesfalls dramatisieren sollte. Aber auch danach wurden Erfolge rechtsradikaler Parteien vielfach als Protestwahl dargestellt und darauf hingewiesen, dass die Wählerinnen und Wähler keinem rechtsradikalen Weltbild anhingen, ohne auf die Anfälligkeit größerer Bevölkerungsteile für den Rechtsradikalismus hinzuweisen. Passenderweise wurde regelmäßig zwischen „echten“ Nazis mit einem vermeintlich geschlossenen Weltbild und Protestwählerinnen und -wählern unterschieden, die man nicht nur durch Stigmatisierung und repressive Unterdrückung der jeweiligen rechtsradikalen Strukturen abschrecken, sondern gleichfalls argumentativ oder mit vermeintlich „besserer“ Politik überzeugen sollte. Nach den Erfolgen der SRP, der NPD und später dann der Repu 17 Einzige Ausnahme bildete die antisemitische „Schmierwelle“ um die Jahreswende 1959/60, was wenig verwundert, wenn man deren sowohl von den Zeitgenossen als auch der Geschichtswissenschaft erkannte zentrale Rolle für die Entwicklung der Demokratie in der Bundesrepublik berücksichtigt.
452 9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen blikaner war dies eine der wichtigsten Abwehrstrategien. Mithilfe dieser Deutung konnte die Bundesrepublik vor dem Vorwurf geschützt werden, dass es ein größeres rechtsradikales Potenzial gebe, denn vermeintliche Proteststimmen könne man grundsätzlich noch zum demokratischen Spektrum der Gesellschaft zählen. Neben der verharmlosenden Darstellung nach außen hin wurde die Protestwahlthese dafür genutzt, um demokratische Parteien – insbesondere SPD und CDU – in ganz verschiedenen Situationen zum Umdenken zu bewegen. Dies konnte sich beispielsweise auf die Kritik an Großen Koalitionen, auf eine vermeintliche Linkswendung der Unionsparteien oder im Fall des BdV auf die Ostpolitik der Sozialdemokratie seit den späten sechziger Jahren beziehen. Die vermeintliche Protestwahl wurde hier zu einem Argument in der innenpolitischen Diskussion, während der rechtsradikale Hintergrund nur eine Nebenrolle spielte. Ebenfalls relativierend wirkte die Entpolitisierung Rechtsradikaler als vermeintlich unreife Personen, die lediglich indoktriniert und instrumentalisiert worden seien. Diese Strategie wurde vor allem in den ersten beiden Fallbeispielen bemüht, um den Normalisierungsprozess nicht zu gefährden. Erst in den achtziger Jahren, als kaum noch NS-Zeitgenossen am Leben waren, folgte eine stärkere Fokussierung auf die gesellschaftlichen Problemlagen, die dem Rechtsradikalismus die stete Reproduktion erlaubten, und jugendlicher Rechtsradikalismus fand größere Beachtung. Zwar gab es, wie beispielsweise nach dem Einzug eines DVU-Politikers in die Bremer Bürgerschaft, weiterhin Bestrebungen, diesen zu bagatellisieren, jedoch hatte hier ein gewisser Wandel stattgefunden, zumindest sofern die Täter oder die Strukturen klar dem Spektrum des Neonazismus zuzuordnen waren. Interessant ist zudem, dass speziell das gesteigerte Auftreten rechtsterroristischer Vorfälle vielfach als ein Zeichen der Marginalisierung des Rechtsradikalismus interpretiert wurde. Da die Demokratisierung der Bevölkerung und mithin die Absage an rechtsradikale Ideen weit fortgeschritten sei, bleibe der Szene nur die Gewalt, um Aufmerksamkeit zu generieren. Anschläge sind in dieser Deutung zwar schreckliche Vorfälle, offenbaren aber parallel Positives. Die allgemein geringe Betonung von Bedrohungspotenzialen führte dazu, dass von Panik oder zumindest größeren Sorgen in den untersuchten Veröffentlichungen keine Rede sein kann. Nach entsprechenden Vorfällen äußerten diese zwar oftmals Entsetzen und Abscheu, aber dennoch blieb die Berichterstattung weitgehend sachlich oder eben relativierend. Mehrfach opferten alle Presseerzeugnisse dem vordergründigen Ziel des Aufbaus einer demokratischen Gesellschaft und der (auch ideellen) Aufnahme in das westliche Staatenbündnis einen detaillierten und kritischen Blick. Priorität hatte nicht immer die Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus, sondern auch im nicht-staatlichen Bereich oftmals der gewünschte Normalisierungsprozess beziehungsweise die Außenwirkung. So agierten alle Akteure in ihrem Bereich und anhand ihrer politischen Überzeugungen einerseits als Verteidiger der Gesellschaft und andererseits als Stütze des demokratischen Aufbaus. Besonders die originären Presseerzeugnisse blickten nach rechts-
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radikalen Wahlerfolgen vielfach auf die internationalen Reaktionen und versuchten, den von dort erwarteten Deutungen ein harmloseres Bild entgegenzusetzen. Sie beteiligten sich aktiv an der Gesundschreibung der bundesdeutschen Bevölkerung, obwohl parallel teilweise deutliche Kritik an der Entwicklung der Bundesrepublik artikuliert wurde. Zugleich kann festgehalten werden, dass nicht-staatliche Zustimmung zu staatlicher Sicherheitspolitik oftmals nicht auf einer konkreten sehr hohen Bedrohung für die Gesellschaft beruhte. Dass diese oftmals vielmehr auch Symbolpolitik war, wurde insofern wahrgenommen und unterstützt. Interessengeleiteter Umgang mit dem Rechtsradikalismus Neben der Berücksichtigung der Außenwirkung wirkten stets besondere politische Interessen in den Umgang mit dem Rechtsradikalismus hinein. Gemeint sind hier nicht nur die politischen Überzeugungen und ideologischen Grundannahmen der Journalistinnen und Journalisten, sondern auch mehr oder weniger themenfremde Ziele, die lediglich mittelbar mit dem Rechtsradikalismus zusammenhängen, aber anhand der Debatte über diesen vorangebracht werden sollten. Fast allen Akteuren ist durchgängig ein genuines Interesse an der Kleinhaltung des Rechtsradikalismus gemein, dennoch wurde ihre Darstellung auch von anderen Aspekten geprägt. Zum Beispiel wurde die spezielle Gegnerschaft der „Zeit“ zu den alliierten Besatzungsbehörden angesprochen. Des Weiteren ist das Interesse der „Allgemeinen“ zu nennen, die Entscheidung vieler Juden für Deutschland als Wahlheimat zu legitimieren. Daraus folgte vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren eine zwar nicht unkritische, aber doch sehr positive Darstellung der Demokratisierung der Gesellschaft, eine optimistische Beschreibung der zivilgesellschaftlichen Gegenwehr sowie eine deutliche Relativierung des Rechtsradikalismus. Der publizistische Umgang des Bundes der Vertriebenen mit dem Rechtsradikalismus war hingegen lediglich funktional, um die eigene offizielle Abgrenzung zum Rechtsradikalismus zu unterfüttern. Vor allem in den ersten beiden Dekaden der jungen Bundesrepublik suchte der BdV zudem durch eine eindeutig antitotalitäre Positionierung den Anschluss an den Grundkonsens, denn nur eine glaubhaft demokratische Diskursposition erlaubte revanchistische Forderungen, ohne eine Stigmatisierung befürchten zu müssen. Für die eigene Verbalradikalität wurde der Umgang mit dem Rechtsradikalismus insofern in erster Linie diskurstaktisch genutzt. Entsprechend forderte der BdV im Umgang mit dem Rechtsradikalismus kaum bestimmte Maßnahmen. Er sah es nicht als eigene Aufgabe an, sich aktiv gegen den Rechtsradikalismus zu engagieren, es sei denn, die eigene Reputation stand auf dem Spiel. Im „Deutschen Ostdienst“ wurde stattdessen vor allem die vermeintlich fehlende Vertriebenenpolitik kritisiert. Die angeblich zu geringe Berücksichtigung des „Heimatrechtes“ sei ein entscheidender Grund dafür, dass Vertriebene sich zu rechtsradikalen Parteien überhaupt hingezogen fühlten.
454 9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände kommentierte politische Entwicklungen sowie die politischen Programme von Parteien und großen Verbänden im „Arbeitgeber“ in fast jeder Ausgabe. Rechtsradikale Gruppierungen und Manifestationen wurden dagegen kaum beachtet und nur in wenigen Ausnahmefällen, vor allem in Zusammenhang mit Wahlerfolgen, überhaupt thematisiert. Dass dies die Folge einer bewussten Entscheidung war, zeigen die ungleich zahlreicheren Wortmeldungen zu anderen politischen Gruppierungen, allen voran dem SDS in den sechziger Jahren. Ziel der BDA war vor allem der Bestand der sozio-ökonomischen Ordnung der Bundesrepublik. Der Feind stand in ihrer Wahrnehmung im Untersuchungszeitraum eindeutig „links“ und ihr Umgang mit dem Rechtsradikalismus war von dem Interesse gesteuert, das bundesdeutsche Wirtschaftssystem zu verteidigen. An die bereits erwähnte Forderung „Wer vom Kapitalismus nicht reden wolle, solle vom Faschismus schweigen“18 hielt sich die Bundesvereinigung fast durchgängig – obwohl das natürlich eine Interpretation ist, welche „Der Arbeitgeber“ zu keinem Zeitpunkt selbst vertrat. Auch der gewerkschaftliche Umgang mit dem Rechtsradikalismus wurde durch besondere Zielsetzungen geprägt. So diente die stete Verschiebung der Bedrohung in die Zukunft dem Zweck, den Antifaschismus als wichtige ideologische Klammer der Einheitsgewerkschaft zu erhalten. Die „Einheit in der Feindschaft“ war deren Grundlage nach 1945 und sollte im Untersuchungszeitraum die Aufgabe als symbolisches Bindeglied zwischen den zahlreichen Strömungen nicht verlieren.19 Auch der Konflikt über die Zusammenarbeit mit kommunistischen Gruppen im DGB, der immer wieder aufflammte, wurde zeitweilig anhand des Widerstandes gegen die Nationalsozialisten und am Begriff des Antifaschismus geführt.20 Die Gegnerschaft zum Rechtsradikalismus erfolgte zwar primär zum Schutz von Demokratie und Gesellschaft sowie der gewerkschaftlichen Errungenschaften, er war aber darüber hinaus hilfreich, um die Einheitsgewerkschaft in kritischen Phasen zusammenzuhalten. Gleichzeitig verhinderte die Struktur der Einheitsgewerkschaft eine tief gehende theoretische Auseinandersetzung vor allem mit der Ursachenfrage, was den Umgang mit dem Rechtsradikalismus bis in die achtziger Jahre weitgehend auf repressive Forderungen beschränkte.21 Die 18 Vgl. Horkheimer, S. 308f. 19 Wilke, Einheitsgewerkschaft, S. 79. Siehe diesbezüglich auch den Hinweis Pirkers, dass der Rechtsradikalismus „für die Gewerkschaften in der Bundesrepublik eine ähnliche Rolle [spielt], wie sie der Slogan ‚Die Republik ist in Gefahr!‘ für die französischen Sozialisten und Gewerkschafter gespielt hat.“ Vgl. Theo Pirker, Die blinde Macht, Bd. 2, 1953–1960. Weg und Rolle der Gewerkschaften im neuen Kapitalismus, München 1960, S. 37. 20 Vgl. diesbezüglich die Debattenanalyse zum Einheitsbegriff bei Wilke, Einheitsgewerkschaft. 21 Laut Eberhardt Schmidt ist dies ein grundsätzliches Problem bundesdeutscher Gewerkschaften. Vgl. Schmidt, Ordnungsfaktor, S. 6. Vgl. zur Argumentation auch Raehlmann, S. 165f.; Schneider, S. 285f.
9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen
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Gewerkschaften übernahmen den Antitotalitarismus – das Ziel der Immunisierung der Arbeiter gegen den Kommunismus war mindestens ebenbürtig – und unterstützten, trotz verbaler Radikalität, genau die Politik der Restauration, die sie eigentlich als Ursache für das erneute rechtsradikale Erstarken kritisierten. Zudem waren die gewerkschaftlichen Neuordnungsversuche schon früh gescheitert und der Wunsch nach Integration war bald zentraler als das wirtschafts- und staatsgefährdende Störungspotenzial.22 Mit dem Ziel, als Sozialpartner anerkannt zu werden, verzichteten sie lange Jahre auf deutliche Systemkritik in den Debatten über den Umgang mit dem Rechtsradikalismus.23 Obwohl sie nicht nur die Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus, sondern auch ihre antikapitalistische Haltung seit Mitte der fünfziger Jahre der Integration in das politische System Bundesrepublik unterordneten, konnten die Gewerkschaften auch in ihren Publikationen gegenüber dem Rechtsradikalismus dennoch Radikalität suggerieren. Der vielfach vorhandene Pragmatismus sowie die geringe theoretische Auseinandersetzung mit der Thematik wurden verbalradikal ausgeglichen.24 Es ist unbestreitbar, dass die Gewerkschaften in der aktionsorientierten Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus zum Beispiel in Form von Demonstrationen sehr engagiert waren, inhaltlich und theoretisch blieb der DGB aber auch in Bezug auf den Rechtsradikalismus lange ein „Koloss auf tönernen Füßen, der keinen Gebrauch von seinen Kräften machen konnte, weil er jede Machtprobe gescheut […] hatte“.25 In den achtziger Jahren versuchte die Gewerkschaftspresse den wahrgenommenen Vormarsch des Rechtsradikalismus dann als Argument gegen den als „neoliberal“ bezeichneten Paradigmenwechsel in Stellung zu bringen. Nun mussten die Gewerkschaften sich zudem um den Spagat zwischen den eigenen Positionen gegen den Rechtsradikalismus und der verstärkten diesbezüglichen Prägung ihrer Mitglieder kümmern. Sie führten gewissermaßen einen Zweifrontenkampf gegen den Neoliberalismus und gegen rechtsradikale Einstellungen, die sich zunehmend in der gewerkschaftsaffinen Klientel ausbreiteten. Hier zeigte sich letztlich, dass die fehlende theoretische Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus und die Strategie einer gesellschaftlich integrierten Einheitsgewerkschaft eine erfolgreiche interne Auseinandersetzung mit diesem für lange Zeit bremsten. Zudem deutet die Tatsache, dass die gewerkschaftlichen Publikationen 1980 kaum über den Anschlag auf das Münchener Oktoberfest berichteten, 22 Vgl. Esser, S. 70. 23 Dies gilt laut Markovits auch in allen anderen Bereichen gewerkschaftlicher Politik. Vgl. Markovits, S. 30. 24 Vgl. zur These auch Schmidt, Ordnungsfaktor, S. 5. 25 Ebd., S. 27. Auch Arbeiten, welche die Rolle der Gewerkschaften insgesamt positiv bewerten, kommen zu dem Schluss, dass diese „ihre Handlungsspielräume lange Zeit nicht voll ausnutzten“. Vgl. Bernd Stöver, Die Bundesrepublik Deutschland, Darmstadt 2002, S. 57.
456 9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen darauf hin, dass es für die Gewerkschaften zu diesem Zeitpunkt wichtiger war, parteipolitisch neutral aufzutreten, als die vorherrschenden Deutungen zu hinterfragen beziehungsweise eigene zu platzieren. Dass zu diesem einschneidenden Ereignis nur sehr wenig veröffentlicht wurde, bleibt aber dennoch ein Stück weit überraschend und rätselhaft. Wohl am prägnantesten zeigte sich die mediale Vorstellung, als Säule der demokratischen Gesellschaft zu agieren, in der Berichterstattung der FAZ. Zunächst war der Umgang mit dem Rechtsradikalismus der Integration und dem Aufbau stabiler Strukturen weitgehend untergeordnet. Nachrichten über den Rechtsradikalismus waren möglichst harmlos aufgemacht, um die Rückkehr der Bundesrepublik auf die internationale Bühne zu unterstützen. Früh zielte die FAZ, wie bereits erwähnt, zudem auf die Herausbildung einer Zivilgesellschaft und meinte damit vor allem eine politische „Mitte“ gegen die „Extreme“. Seit den späten sechziger Jahren fürchtete die Zeitung nichts mehr als eine immer mehr von Gewalt geprägte politische Kultur in diesen Zeiten des Übergangs und der verstärkten Polarisierung. Konsequent forderte sie die Abkehr von Gewalt, die Rückkehr zur politischen Debatte und versuchte, sich durchgängig für eine gemäßigte politische Kultur einzusetzen. Auch die verstärkte Sicherheitsorientierung der FAZ im Umgang mit neonazistischen Strukturen und der Ausbreitung von Rechtsterrorismus und rechtspolitisch motivierter Kriminalität muss vor diesem Hintergrund eingeordnet werden. Darüber hinaus finden sich immer wieder Hinweise darauf, dass die eigentliche Gefahr von Linksradikalen ausgehe. Der Umgang der FAZ mit der NPD war somit parallel eine Auseinandersetzung mit der (radikalen) Linken. Daneben war der Umgang der FAZ mit dem parteipolitischen Rechtsradikalismus von der Frage geprägt, ob dieser in der Lage war, stabile Regierungen unter konservativer Regie zu stören oder gar zu verhindern. Um konservative Regierungsmehrheiten zu ermöglichen und das Parteienspektrum im Interesse stabiler Verhältnisse im Parlament zu beschränken, rief die FAZ immer wieder dazu auf, bei Wahlen die Stimme abzugeben und radikalen Parteien somit das Überschreiten der Sperrklausel zu erschweren. Der Aufstieg der Partei Die Republikaner wurde gerade nicht wegen deren Nähe zum Rechtsradikalismus für problematisch gehalten, sondern weil diese Partei die Chancen für unionsgeführte Regierungsoptionen minimierte. Daher war der Umgang mit ihnen in der FAZ eher ein Umgang mit der CDU, denn ihr wichtigstes Ziel war nicht die Auseinandersetzung mit den Republikanern, deren politische Ziele sie teilweise durchaus teilte, sondern die Verhinderung einer rot-grün/alternativen Koalition in Berlin. Ähnliches – freilich ohne die politische Nähe – findet sich schon im ersten Fallbeispiel, als die FAZ kritisierte, dass die sozialdemokratische Regierung in Niedersachsen kein Verbot der SRP anstrebte, um die rechts-konservative Wahlklientel zu spalten.
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Auch die „Frankfurter Rundschau“ verfolgte mit ihrer Berichterstattung zum Rechtsradikalismus anderweitige Ziele. Im Gegensatz zur FAZ beruhte ihre relativ harmlose Darstellung der SRP in Niedersachsen 1951, inklusive des Verzichts auf die Forderung nach ihrem Verbot, sowie der Republikaner in Berlin 1989 auf der Kalkulation, dass einige Prozentpunkte für die Rechtsradikalen eine (stabilere) sozialdemokratisch geführte Regierung ermöglichen würden. Deren Wahlchancen galt es, gegen die Unionsparteien – beziehungsweise in den frühen Jahren der Bundesrepublik auch gegen die als rechtsradikal wahrgenommene Deutsche Partei, die als Teil der Bundesregierung entsprechenden Einfluss hatte – zu unterstützen, um die Verwirklichung einer sozialen Demokratie voranzutreiben. War die Berichterstattung zur SRP teilweise eher eine Kampagne gegen die Deutsche Partei, richteten sich die Artikel über die Republikaner primär gegen die Unionsparteien. Zudem betrieb die FR, wie auch „Die Zeit“, nach dem Oktoberfest-Attentat eine Kampagne gegen Franz Josef Strauß, den Kanzlerkandidaten der Unionsparteien. Auch im Fallbeispiel zur Aktion Widerstand wurde deutlich, dass die Zeitung darauf abzielte, den nach der Wahlniederlage eingetretenen Rechtsruck der Unionsparteien und deren fehlende Abgrenzung zum Rechtsradikalismus zu kritisieren. Insofern war der Umgang der „Rundschau“ mit dem Rechtsradikalismus teilweise eher eine Auseinandersetzung mit dem bürgerlichen Konservatismus. Da die FR in Teilen der radikalen studentischen Linken gelesen wurde, nutzte sie die steigende Popularität der NPD und die Berichterstattung über das Attentat auf Rudi Dutschke allerdings auch, um für eine Mäßigung der APO und sympathisierender Gruppen zu werben. Wie die FAZ zielte sie auf eine politische Kultur der Debatte, war dabei aber weniger kritisch gegenüber den Gegnern der Rechtsradikalen und erkannte hier, abgesehen von einigen extremen Vorfällen, vor allem eine erfolgreiche Demokratisierung. Fazit und Ausblick Alle hier untersuchten nicht-staatlichen Akteure positionierten sich als Unterstützer der Bundesrepublik und ihrer demokratischen Gesellschaft. Mit Ausnahme des Bundes der Vertriebenen und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände beinhaltete ihr Selbstverständnis die durchgängige Gegnerschaft zum Rechtsradikalismus. Auch BDA und BdV erkannten zumindest eine Belastung der westdeutschen Demokratie durch den Rechtsradikalismus und waren letztlich dessen Gegner, zielten aber zumindest publizistisch nicht, wie die anderen, mit ihren jeweils vorhandenen Möglichkeiten durchgehend auf dessen Bekämpfung. Eine allgemeine Abwehrfront hat es im nicht-staatlichen Bereich insofern nicht gegeben.26 26 Hier muss natürlich die andersartige Aufgabe der abhängigen Publikationen (Deutscher Ostdienst, Der Arbeitgeber sowie zum Teil die jüdische „Allgemeine“ und die Gewerkschaftspresse) berücksichtigt werden. Diese dienten verstärkt anderen Zwe-
458 9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen Vor allem „Die Zeit“, die Vorgänger der „Jüdischen Allgemeinen“, die Frankfurter Tageszeitungen sowie die Gewerkschaftspresse berichteten oftmals umfassend und beteiligten sich von ihrem jeweiligen Deutungshorizont ausgehend und entsprechend der eigenen politischen Interessen dauerhaft an der Debatte über den Rechtsradikalismus.27 Sie trugen ihren Teil zur Auseinandersetzung mit Rechtsradikalismus, Nationalismus und Antisemitismus bei. Deutlich wurde aber, dass die Publikationen sich kaum durchsetzen konnten, sofern ihre öffentlich artikulierten Reaktionsforderungen nicht denen des politischen Systems entsprachen. Ein eindeutig aus dem nicht-staatlichen Bereich angestoßener Meinungsumschwung im politischen System konnte nicht festgestellt werden. Die Tatsache, dass wir auch heute noch über ganz ähnliche Themen und Probleme im Umgang mit dem Rechtsradikalismus diskutieren, führt zu der Vermutung, dass sich die Argumente und Positionen der nicht-staatlichen Akteure sicherlich im Denken vielfach manifestiert haben. Da sie aber selbst keineswegs immer einer Meinung waren, konnte sich auch kein gesamtgesellschaftlicher Konsens und darauf aufbauend eine deutliche Dynamik in eine bestimmte Richtung bilden. Das, was die Akteure in ihren Publikationen forderten, wurde insofern nicht direkt realitätsbildend, wohl aber beeinflusste es das Meinungsklima. Wie groß ihr Einfluss in der öffentlichen Debatte aber letztlich war, ist kaum messbar.28 Alle Publikationen interpretierten und reagierten anhand ihrer politischen Überzeugungen und mit Rücksicht auf die eigenen Interessen, unabhängig davon, ob diese mit dem Rechtsradikalismus in irgendeiner Verbindung standen oder nicht. Vor allem die originären Presse- und gewerkschaftlichen Publikationen begleiteten den Aufbau einer demokratischen Öffentlichkeit und einer pluralistischen Gesellschaft wohlwollend. Fast alle – insbesondere aber die FAZ – strebten durchgängig den Aufbau einer abwehrbereiten und demokratischen Zivilgesellschaft an. Ihrem Selbstverständnis nach agierten alle Publikationen als Stütze der demokratischen Gesellschaft. Sie sahen es unter anderem als ihre Aufgabe an, sich mit ihren jeweiligen Möglichkeiten und auf ihrem spezifischen Gebiet für eine ercken wie der internen Kommunikation und waren in ihrer Themenauswahl deutlich beschränkter. Der Umgang der abhängigen Publikationen war insofern interessengeleiteter als derjenige von Zeitungen, die auch einer Chronistenpflicht unterliegen. 27 Auffallend ist allerdings, dass die Artikel der Gewerkschaftspresse wesentlich meinungsstärker waren als die der Tages- bzw. Wochenzeitungen. Fast jeder Artikel wäre in einer Tageszeitung als Kommentar zu kategorisieren gewesen. Die beiden hier ebenfalls mit einbezogenen Einzelgewerkschaften unterstützten weitgehend die Politik des Dachverbandes. Dass es hier und da zu abweichenden Deutungen und Forderungen kam, schließt diesen Befund nicht aus. Die IG Metall trat dabei etwas energischer und teilweise radikaler in ihren Forderungen auf. Die Publikationen der ÖTV hingegen erwecken einen etwas desinteressierteren Eindruck. Hier wurden viele Aspekte und Ereignisse nicht thematisiert, die ansonsten eine wichtige Rolle einnahmen. 28 Vgl. zur Thematik Kepplinger, Wirkung, S. 653–671; Meyn, Massenmedien 2004, S. 199; Schönbach / Eichhorn, S. 121.
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folgreiche Demokratisierung und Stabilisierung der Bundesrepublik einzusetzen. Vielfach übernahmen sie dabei früh das Narrativ des antitotalitären Grundkonsenses. Vor allem konservative Akteure wie die BDA und die FAZ betonten stets die von links ausgehende Gefahr für Staat und Gesellschaft und werteten ein Erstarken des Rechtsradikalismus auch als eine Reaktion auf linken „Extremismus“. Derartige Deutungen stützten die mitunter verharmlosende Berichterstattung und beeinträchtigten den Umgang. Zunächst ebenfalls Teil des antitotalitären Grundkonsenses, verabschiedeten sich die „Frankfurter Rundschau“ sowie die Gewerkschaftspresse ab den frühen siebziger Jahren, nachdem dieses grundlegende Narrativ der jungen Bundesrepublik seit den sechziger Jahren ohnehin immer stärker in die Kritik geraten war,29 verstärkt von diesem. Einzig die „Allgemeine“ kämpfte schon früh gegen eine totalitarismustheoretische Gleichsetzung linker und rechter politischer Konzeptionen, war aber selbst nicht gänzlich frei von diesem Denken. Die vielfach dominierende Sicherheitsorientierung in den Publikationen offenbarte eine Permanenz, die sich nur vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus in Deutschland verstehen lässt und die – mit Ausnahme der frühen fünfziger Jahre – kaum in Zusammenhang mit den Bedrohungspotenzialen des jeweils aktuellen Rechtsradikalismus stand. Diese Untersuchung bestätigt insofern für das Teilgebiet des nicht-staatlichen Umgangs mit dem Rechtsradikalismus die These Conzes, dass die Bundesrepublik bestimmt sei von der Suche nach Sicherheit und dass diese einen umfassenden soziokulturellen Orientierungshorizont der Bundesbürger bildete.30 Ob nicht-staatliche Akteure jedoch die Sicherheit im Umgang mit dem Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik deutlich stärker priorisierten als in anderen westlichen Gesellschaften und es sich somit um einen dezidiert bundesrepublikanischen Umgang mit dem Rechtsradikalismus handelte, muss wegen fehlender Vergleichsstudien an dieser Stelle offenbleiben. Dies ist aufgrund vereinzelter Hinweise in diese Richtung und vor allem der oftmals deutlich liberaleren Gesetzgebung in vergleichbaren Staaten allerdings zumindest im Untersuchungszeitraum wahrscheinlich.31 29 Vgl. Wehler, S. 279. 30 Vgl. Conze, Suche, S. 14 bzw. 17. Siehe auch Hafeneger, S. 13. 31 Vgl. z. B. Bertelsmann Stiftung (Hg.), Strategies for Combating Right-Wing Extremism in Europe, Gütersloh 2009; Canu, insbesondere S. 275; Gereon Flümann, Streitbare Demokratie in Deutschland und den Vereinigten Staaten. Der staatliche Umgang mit nichtgewalttätigem politischem Extremismus im Vergleich, Wiesbaden 2015, insbesondere S. 405f.; Hafeneger; Alexander Molter, Meinungsfreiheit und Neonazismus in Dänemark, in: Leggewie / Meier, Republikschutz, S. 298–307; Ami Pedahzur, The defending democracy and the extreme right. A comparative analysis, in: Roger Eatwell (Hg.), Western democracies and the new extreme right challenge. London 2004, S. 108–132, hier S. 117, 128; Britta Schellenberg, Rechtsextremismus in Europa. Trends, Themen und Gegenstrategien, in: Holger Spöhr / Sarah Kolls (Hg.), Rechts extremismus in Deutschland und Europa. Aktuelle Entwicklungstendenzen im Vergleich, Frankfurt am Main 2010, S. 79–100, hier S. 96.
460 9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen Die bundesdeutsche Gesellschaft hat sich seit den fünfziger Jahren umfassend liberalisiert und gleichzeitig eine demokratische Stabilität erreicht. Dies wirkte sich bis 1989 allerdings nur wenig auf den Umgang mit dem Rechtsradikalismus aus. Weniger repressive Reaktionsoptionen wurden zwar von nicht-staatlicher Seite prominenter eingefordert, aber der Umgang mit dem Rechtsradikalismus wurde konstant zumindest auch repressiv gedacht, wenngleich die repressiven Forderungen seit den späten sechziger Jahren meistens in ein umfassenderes Maßnahmenbündel integriert wurden. Da dieser Wandel kaum auf grundlegend verändertem Denken in Bezug auf das demokratische Dilemma, sondern oftmals vielmehr auf strategischen Überlegungen – wie zum Beispiel der fehlenden Nachhaltigkeit von Repression oder der nicht vorhandenen Motivation zuständiger Stellen bezüglich deren Implementierung – beruhte, ist zwar eine Ausweitung der Reaktionsoptionen festzuhalten, nicht aber von einer grundlegenden Abkehr von Sicherheitsdenken auszugehen. Die Bundesrepublik entwickelte sich zu einer „geglückten“, weil freiheitlichen Demokratie, in der „abweichende Ordnungsvorstellungen“ marginalisiert wurden, aber im Umgang mit dem Rechtsradikalismus spielte dieser Wandel nur eine untergeordnete Rolle. Der Gedanke der Freiheit blieb weitestgehend auf die gesamtgesellschaftliche Freiheit begrenzt und bezog sich auch in den achtziger Jahren nur am Rande auf vermehrte Toleranz für Rechtsradikale. Erfahrungen von politischer Stabilität, der erfolgreichen Verdrängung rechtsradikaler Parteien und vollstreckte Verbotsurteile und -beschlüsse trugen dazu bei, die artikulierten Bedrohungswahrnehmungen deutlich zu senken, der Umgang selber wurde aber weniger stark beeinflusst. Diese Bemerkungen sind dabei keineswegs als Aufforderung zu verstehen, in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus primär auf weniger repressive Umgangsformen zu setzen. Verbote von rechtsradikalen Parteien oder Vereinen sind durchaus legitim, wenn sie notwendig sind, um die Demokratie zu schützen. Zwar hat sich die Gesellschaft wohl mittlerweile darauf geeinigt, dass rechtspopulistisch auftretende Parteien wie die Alternative für Deutschland (AfD) oder nicht parteipolitische Strukturen wie die Bewegung der sogenannten Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes vor allem auf zivilgesellschaftlichem Wege bekämpft werden sollten, aber die jüngsten Debatten über ein Verbot der NPD verweisen weiterhin auf die Grundprägung, den Rechtsradikalismus auch unabhängig von den jeweils aktuellen Bedrohungspotenzialen administrativ bekämpfen zu wollen. Auch die Debatte im Anschluss an die rechte Mobilisierung in Chemnitz im Spätsommer 2018, ob man nicht doch auch die AfD oder zumindest die deutlicher in Richtung eines eindeutigen Rechtsradikalismus tendierenden Teile dieser Partei durch den Verfassungsschutz überwachen sollte, weisen in diese Richtung. Für die hier vertretene These, dass sogar die FAZ nach besonderen Vorfällen eine gesteigerte Sicherheitspoli-
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tik für sinnvoll erachtete, finden sich auch im Jahr 2018 entsprechende Belege.32 Diese Kontinuität ist aber möglicherweise mitverantwortlich dafür, dass sich der Rechtsradikalismus bis in die heutige Zeit immer wieder zumindest reproduzieren, wenn nicht sogar ausbreiten konnte. So hängen Erfolg und Misserfolg des Rechtsradikalismus laut Jaschke „nicht zuletzt davon ab, wie die Gesellschaft und ihre Institutionen mit ihm umgehen, […] welche wirkungsvollen Gegenstrategien sie entwickeln“ und, darauf soll hier vor allem hingewiesen werden, „ob und in welcher Weise sie aus gescheiterten Bemühungen lernen.“33 Repressive Reaktionen entfalten zwar oftmals eine durchaus symbolträchtige Wirkung, aber sie helfen nur kurzfristig weiter und tragen kaum dazu bei, das Problem langfristig zu lösen. Das Verbot einer Partei suggeriert einen umfassenden Erfolg, verändert aber keine rechtsradikale Einstellung. Ein repressiver Umgang sorgt zudem allzu oft dafür, dass die dahinterliegenden Ursachen des Rechtsradikalismus zu schnell aus dem Blickfeld geraten. Es wäre sinnvoll, den kaum zu bestreitenden „Erfolg“ der Bundesrepublik insbesondere in Bezug auf die Demokratisierung weiter Gesellschaftsteile ernst zu nehmen und im Umgang mit dem Rechtsradikalismus zu berücksichtigen. Dieses Plädoyer zielt dabei keineswegs auf Toleranz gegenüber dem Rechtsradikalismus, sondern vielmehr auf die Wahl der Mittel in der Auseinandersetzung, da Nachhaltigkeit und Verhältnismäßigkeit nicht leichtsinnig außer Acht gelassen werden dürfen. Die Verfolgung von Straftaten, insbesondere bei Gewalttaten wie Körperverletzung, bei Hausfriedensbruch, Nötigung und Beleidigung beziehungsweise Volksverhetzung, bleibt dabei ohnehin eine Notwendigkeit. Insofern ist es zwar erforderlich, Gruppierungen, aus denen heraus Gewalttaten oder andere Straftaten begangen werden, zu bekämpfen, dafür reichen aber die Möglichkeiten des Strafrechts oftmals aus.34 Gefahren für die innere Sicherheit, speziell das friedliche Zusammenleben, müssen auch als solche behandelt werden.
32 Hier heißt es in einem Kommentar: „Der Verfassungsschutz hat eine Wirkung auf die AfD wie kaum etwas sonst.“ Bereits die angedrohte Beobachtung führe zu einer deutlich gesteigerten Abgrenzung zum eindeutigen Rechtsradikalismus. Da diese aber lediglich „Kosmetik“ sei, forderte der Kommentar, die „wehrhaften Demokraten“ sollten die AfD „stets im Blick behalten“. Vgl. FAZ, Die Faust von Chemnitz, 1.10.2018, S. 1. 33 Vgl. Hans-Gerd Jaschke, Rechtsstaat und Rechtsextremismus, in: Wilfried Schubarth / Richard Stöss (Hg.), Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz, Opladen 2001, S. 314–332, hier S. 314. 34 Es ist zwar richtig, dass ein Verbot einer nicht parteipolitischen Gruppierung deren Infrastruktur zerstört und somit Organisierung und Mobilisierung ein stückweit beeinträchtigt, diese Effekte sind aber nur temporär, da das eigentliche Problem, insbesondere das Vorhandensein rechtsradikaler Einstellungen und die Ursachen, weswegen sich Menschen in rechtsradikalen Gruppen zusammenschließen, nicht angegangen wird. Seit dem Ausweichen der Neonazis auf sogenannte „Freie Kameradschaften“ hat dieses Mittel ohnehin an Relevanz eingebüßt.
462 9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen Man muss – und sollte – zudem keineswegs einen „Schlussstrich“ unter die Beschäftigung mit der deutschen Vergangenheit ziehen, um deren Auswirkungen auf den Umgang mit dem modernen Rechtsradikalismus zu minimieren. Parallel sollte man keineswegs für die Abschaffung der „wehrhaften Demokratie“ argumentieren, sondern lediglich darauf beharren, dass diese wirklich der letzte Verteidigungsschritt sein sollte, wenn der demokratischen Gesellschaft tatsächlich eine große Gefahr droht. Sie ist nicht zwangsläufig, sondern nur dann undemokratisch, wenn sie weder erforderlich noch geeignet oder angemessen ist. In diesen Fällen allerdings widerspricht ein repressiver Umgang dem Geist der Demokratie. Insofern geht das jüngste, bereits erwähnte Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nach dem Verbotsantrag bezogen auf die NPD aus dem Jahr 2017 in die richtige Richtung. Parteien, deren Überzeugungen eindeutig rechtsradikal sind, sollten vom Staat nicht noch finanziell gefördert werden, ein Antrag auf ein Verbot aber sollte nur dann erwogen werden, wenn die Partei auch in der Lage ist, ihre politischen Überzeugungen in praktische Politik umzusetzen. Wenn von ihr oder gar nur von lose mit ihr verbundenen Strukturen Gewalt ausgeht, muss reagiert werden, ein Verbot hilft dabei aber nicht weiter. Hier sind Polizei, Justiz und die demokratische Mehrheit der Gesellschaft gefragt. Es muss schließlich vermieden werden, dass gesellschaftliche Problemlagen und andere Ursachen für die (Weiter-)Existenz rechtsradikaler Einstellungen in der Gesellschaft durch eine übereilte Forderung nach repressiven Umgangsformen überdeckt werden. Ein Bewusstsein dafür hat sich mittlerweile entwickelt, im Untersuchungszeitraum dieser Studie war dies aber noch keine Selbstverständlichkeit. Eine machtpolitische Gefahr für das politische System der Demokratie war der Rechtsradikalismus spätestens seit den Bundestagswahlen 1953 im allgemeinen Bewusstsein nicht mehr. Auch die AfD mobilisiert bis dato nur die seit Jahrzehnten immer wieder festgestellten rechtsradikalen Potenziale – die freilich in einigen Gebieten höher sind als in anderen und ohnehin stets in einem gewissen Rahmen schwanken.35 Dass die AfD nun im Bundestag sitzt, ist zwar eine deut35 Zur Verbreitung diesbezüglicher Einstellungen siehe z. B. Werner Bergmann, Die Verbreitung antisemitischer Einstellungen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Bundesministerium des Innern (Hg.), Extremismus in Deutschland, Berlin 2004, S. 25–55, zum Argument der Konstanz dieser Einstellungen seit den 1940er Jahren siehe insbesondere S. 25; Falter; Pfahl-Traughber, S. 88–93. 1994; Stöss, Rechte, S. 41–50; Ders., Rechtsextremismus 2000, S. 25–35; Salzborn, S. 68–73. Diese Veröffentlichungen enthalten auch detaillierte Hinweise zu den zugrunde liegenden Studien und Umfragen alliierter und bundesdeutscher Stellen bzw. Institute. Die erste umfassende wissenschaftliche Studie zu rechtsradikalen Einstellungen in der Bundesrepublik war die bereits erwähnte „SINUS-Studie“ mit Daten der Jahre 1979 und 1980. Siehe bezüglich rechtsradikaler Einstellungen in der „Mitte“ der Gesellschaft auch die seit 2002 unter verschiedener Federführung, aber doch regelmäßig durchgeführten „Mitte-Studien“. Vgl. z. B. die letzte Studie vor der Gründung der AfD: Oliver Decker u.a., Die Mitte im Umbruch. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2012, Bonn 2012, speziell
9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen
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liche Veränderung, auf die Verbreitung rechtsradikaler Einstellungen in der Bevölkerung hat sich dies aber bisher nicht ausgewirkt. Liberalität ist die eigentliche Stärke einer Demokratie. Die Gesellschaft der Bundesrepublik ist weitestgehend demokratisch eingestellt und die Zivilgesellschaft stark genug, um dem Rechtsradikalismus wirksam entgegenzutreten.36 Auch die untersuchten Presseerzeugnisse haben dies bereits im Untersuchungszeitraum thematisiert. Allerdings waren sie – vielleicht mit Ausnahme der FAZ – nicht bereit, sich allein auf die Zivilgesellschaft zu verlassen. Den Schutz der demokratischen Gesellschaft weitgehend ihr selber zu überlassen, kann, wie das US-amerikanische oder das britische Modell beweisen, durchaus erfolgreich sein.37 Zwar gibt es auch hier nach wie vor viele rechtsradikale Strukturen und entsprechende Einstellungen sind durchaus verbreitet – gerade der Fall USA führt immer wieder zu heftigen Diskussionen über den Einfluss der radikalen Rechten auf Politik und Gesellschaft –, die staatliche Stabilität war durch Rechtsradikale allerdings zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Und ist der Rechtsradikalismus erst einmal so mächtig, dass er Politik und Gesellschaft massiv beeinflusst, helfen, wie bereits in der Einleitung mit Verweis auf Michael Henkel und Oliver Lembke erwähnt, auch repressive Instrumente kaum mehr weiter: „Entweder sei ein Parteiverbot unnötig, weil die Partei keine Gefährdung für die freiheitlich demokratische Grundordnung darstelle, oder es sei ineffektiv, weil die verfassungswidrige Partei mittlerweile über so viel Zustimmung in der Gesellschaft verfügt, dass durch ein entsprechendes Verbot die eigentliche Gefahr nicht mehr aus der Welt geschaffen werden [könne].“38
S. 28–37. Diese „Mitte“-Studien beschreiben zwar teilweise eine steigende Verbreitung rechtsradikaler Einstellungen, aber in der Ausgabe von 2016 schreiben die Autoren, dass sich speziell rechtspopulistische Einstellungen nicht vermehrt haben, „jedoch sind jene, die sie teilen, lauter geworden“. Trotz der Wahlerfolge der AfD konnte auch bezüglich explizit „rechtsextremer“ Einstellungen nur ein minimaler Anstieg festgestellt werden. Vgl. Andreas Zick u.a., Gespaltene Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2016, Bonn 2016, S. 119, 137. 36 In dieser Hinsicht ist die Bundesrepublik ganz eindeutig ein „Erfolg“, wie am Anfang dieser Studie festgehalten wurde. Vgl. die dort genannte Literatur. Der Erfolg wurde auch schon am Ende des Untersuchungszeitraumes gesehen. Vgl. Greiffenhagen / Greiffenhagen, S. 105–128; Reichel, Kultur, S. 226. 37 Vgl. Nigel Copsey, Anti-fascism in Britain, Basingstoke 2000; Flümann, insbesondere S. 405f.; George Michael, Confronting right-wing extremism and terrorism in the USA, New York 2003; Ders., Right-Wing extremism in the land of the free. Repression and toleration in the USA, in: Roger Eatwell (Hg.), Western democracies and the new extreme right challenge, London 2004, S. 172–192. 38 Zit. nach Weckenbrock, S. 71f.
464 9. Ergebnisse und Schlussbetrachtungen Die Bundesrepublik ist heute keinesfalls stärker durch Rechtsradikalismus gefährdet als Frankreich, die Niederlande, Großbritannien oder die USA. Sie ist diesbezüglich mittlerweile von einer Normalität gekennzeichnet,39 die sich im Umgang mit Andersdenkenden niederschlagen muss. Dies soll keineswegs bedeuten, auf Sicherheitspolitik im Umgang mit dem Rechtsradikalismus zu verzichten, aber ein sicherheitsorientiertes Denken verhinderte einen Wandel der Debatte bis weit in das neue Jahrtausend hinein. Deutlich offenbart diese Studie, dass die heutigen Diskussionen über den Umgang mit dem Rechtsradikalismus denen der Vergangenheit sehr ähnlich, wenn nicht sogar identisch sind. Neu ist zwar, wie Anna Haeming in der „tageszeitung“ richtig herausstellte, dass heutzutage auch die Medien „zugleich Zielscheibe des Objekts ihrer Berichterstattung sind“40, aber die grundlegenden Muster blieben identisch. Sowohl die Gewerkschaften als auch jüdische Strukturen standen ohnehin fast kontinuierlich im Fadenkreuz Rechtsradikaler. Die Kontinuität der Debatte sollte dazu ermutigen, deren Sinnhaftigkeit zu überdenken. Sicherlich sind die meisten Argumente und Deutungen, die aufgeworfen wurden, nicht falsch, wohl aber zeigt die in dieser Studie deutlich gewordene Instrumentalisierung der Diskussion für die jeweils eigenen Interessen, die Streitfragen bezüglich der Ursachen sowie der Abgrenzung oder auch die Frage des Protestwahlcharakters nach rechtsradikalen Wahlerfolgen – mithin also der Frage nach den rechtsradikalen Potenzialen in der bundesdeutschen Bevölkerung –, dass die Auseinandersetzung über den Umgang mit dem Rechtsradikalismus heute oftmals noch genauso wenig zielführend geführt wird wie früher. Dies hat sicherlich dazu beigetragen, dass der Rechtsradikalismus heute wieder eine politische Kraft mit Zukunftspotenzialen ist. Insofern ist die eingangs erwähnte These von Richard Stöss, dass Rechtsradikalismus ein hochpolitisches und emotionsgeladenes Thema sei, über das kaum jemand vernünftig diskutieren könne, zwar überzeichnet, in der Tendenz aber nach wie vor durchaus zutreffend und stets als Warnung zu begreifen.41
39 So seien die Deutschen, laut Edgar Wolfrum, „heute nicht mehr ‚besonders‘, weder im schlechten noch im guten, sondern sie kennzeichnet eine Normalität, die vollkommen unspektakulär ist.“ Vgl. Wolfrum, Demokratie, S. 16. Dass dies keine allzu neue Erkenntnis ist, ergibt sich z. B. aus Greiffenhagen / Greiffenhagen, S. 120. Damit soll keinesfalls die besondere Situation der NS-Vergangenheit in Deutschland relativiert werden. Hier geht es vielmehr um die Ausprägung von Demokratisierung und Liberalisierung, also der politischen Kultur, die mittlerweile denen der europäischen Nachbarn sehr ähnelt. 40 Vgl. Taz, Alltag einer Wanderdüne, 30.6.2018, S. 33. 41 Vgl. Stöss, Erklärungsansätze, S. 25.
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Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland (Allg. Wochenztg. d. Juden in Deutschland): 13.04.1951 bis 18.05.1951 15.02.1952 bis 28.03.1952 03.10.1952 bis 07.11.1952 25.12.1959 bis 29.01.1960
Der Arbeitgeber:
Jg. 1951 (1. April bis 15. Mai) Jg. 1952 (1. Februar bis 15. März und 1. Oktober bis 15. November) Jg. 1959 (20. Dezember) Jg. 1960 (20. Januar bis 5. Februar) Jg. 1968 (5. April bis 20. Mai) Jg. 1969 (1. Juli bis 22. August und 5. September bis 24. Oktober) Jg. 1970 (13. Mai bis 26. Juni und 9. Oktober bis 21. November) Jg. 1980 (1. August bis 26. September und 12. September bis 24. Oktober) Jg. 1983 (15. April bis 27. Mai, 23. September bis 21. Oktober und 4. November bis 16. Dezember) Jg. 1987 (4. September bis 23. Oktober) Jg. 1989 (6. Januar bis 24. Februar) 1 Angegeben werden an dieser Stelle nur die längeren systematischen Untersuchungszeiträume der Untersuchung. Die jeweiligen Titel sowie ergänzende Einzelartikel sind an der jeweiligen Stelle bei erster Nennung vollständig angegeben.
466 Literatur- und Quellenverzeichnis Deutscher Ostdienst (DOD):
Jg. 1959 (Dezember) Jg. 1960 (Januar) Jg. 1968 (April/Mai) Jg. 1969 (Juli/August und September/Oktober) Jg. 1970 (Mai/Juni und Oktober/November) Jg. 1980 (August/September und Oktober/November) Jg. 1983 (April/Mai, September/Oktober und November/Dezember) Jg. 1984 (Januar) Jg. 1987 (September) Jg. 1989 (Januar/Februar)
Die Quelle:
Jg. 1951 – 1953 Jg. 1959/1960 Jg. 1968 – 1971 Jg. 1980/1981 Jg. 1983/1984 Jg. 1987 – 1989
Die Zeit:
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Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ):
Jg. 1951 (18. April bis 20. Mai) Jg. 1952 (20. Februar bis 23. März und 9. Oktober bis 6. November) Jg. 1959 (28. Dezember bis 31. Dezember) Jg. 1960 (2. Januar bis 25. Januar) Jg. 1968 (10. April bis 12. Mai) Jg. 1969 (11. Juli bis 8. August und 10. September bis 11. Oktober) Jg. 1970 (7. Mai bis 4. Juni und 24. Oktober bis 21. November) Jg. 1980 (3. August bis 25. September und 26. September bis 26. Oktober) Jg. 1983 (26. April bis 27. Mai; 12. September bis 1. Oktober und 23. November bis 21. Dezember) Jg. 1987 (30. August bis 26. September) Jg. 1989 (16. Januar bis 11. Februar)
Literatur- und Quellenverzeichnis
467
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468 Literatur- und Quellenverzeichnis Metall:
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Register1 Abgrenzung 60, 66, 75–81, 86, 98, 131, 142–144, 152, 172, 200, 204, 220f., 234, 236, 255–258, 260, 268, 273f., 277f., 285, 287, 291, 315, 322, 331, 343, 352, 379, 405–412, 419, 436f., 445; siehe zur Gegenposition auch Integrationsstrategie Adenauer, Konrad 77, 81, 82, 99f., 111, 122f., 125, 127, 154 Aktion Ausländerrückführung (AAR) 344f., 356, 360 Aktion Widerstand 239, 242–262, 266 Aktionsfront Nationaler Sozialisten / Nationale Aktivisten (ANS/NA) 332, 338–345, 350, 356–364 ANS/NA siehe Aktionsfront Nationaler Sozialisten / Nationale Aktivisten Antisemitismus 52, 76, 79, 102f., 109–134, 137, 140, 142, 146–148, 152–159, 160–162, 165, 171, 218, 286, 365f., 380f., 383, 404f., 423 Ausland siehe Reaktion (westlich-international) oder Rechtsradikalismus (international) Ausländerfeindlichkeit 281–289, 293, 311, 318f., 323, 331, 333f., 344f., 347, 350–352, 357, 365, 374, 378, 380, 385, 387, 391–393, 397, 406, 410, 412f., 428f.; siehe auch Spätaussiedler, Asyldebatte Außenwirkung 48, 58, 61, 63, 66, 72, 82, 89, 93, 96, 108, 115–119, 124–128, 143, 145, 148, 153–156, 159–161, 165, 168f., 172f., 176, 178–183, 193–195, 197, 200, 203f., 233f., 243–246, 248f., 261, 263, 269, 297, 288, 303, 313–315, 319, 325, 327, 340, 342, 344f., 347, 365, 368, 388–390, 401, 415f., 425, 436, 439, 450–454; siehe auch Reaktion (westlich-international), Reaktion (Sowjetunion), Relativierung
Außerparlamentarische Opposition (ApO) 166, 175, 184–186, 193, 198, 204, 209, 213, 223, 225, 231, 276, 454, 457 Asyldebatte 287, 322, 365, 378, 391–393, 408–412; siehe auch Integrations strategie Bad Bergzabern 338–340, 343, 357 Bad Hersfeld 338–340, 342f. Baden-Württemberg 61–66, 94, 174–186, 195, 225, 228f., 282–285 Bamberg 292f. Bagatellisierung siehe Relativierung Baum, Gerhard 279, 299, 301, 306, 308, 322f., 358, 411 Bayern 73, 174, 192, 205, 252–257, 262, 265, 271f., 274, 276f., 285, 290–306, 309f., 310, 314, 319f., 340, 369f. Berlin 118, 136f., 139, 141, 150, 169–172, 226, 236, 260–266, 269, 368, 379, 383–390, 393–395, 400f. BDJ siehe Bund Deutscher Jugend Bildung siehe Ursachendebatte Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) 55f., 59, 62, 79, 106, 145, 165 Bologna siehe Italien Brandt, Willy 180, 194, 201, 241f., 244f., 252, 253, 255, 272f., 275 Bremen 61, 174, 199, 212, 367, 370–377, 382, 389, 422, 424 Bremerhaven siehe Bremen Bund der Vertriebenen – Vereinigte Landsmannschaften und Landesverbände e. V. (BdV) 33–35, 112, 114, 117f., 126, 146, 151f., 165f., 180, 183f., 196, 204–207, 220f., 236f., 252f., 256, 257–260, 262, 266, 270, 291, 375, 380, 393, 406f., 426, 434, 436f., 442, 445, 453, 457
1 Die untersuchten Akteure wurden nur dann in das Register aufgenommen, wenn sie nicht ohnehin auf fast jeder Seite erwähnt werden. Enthalten sind hier daher lediglich die IG Metall, die ÖTV, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sowie der Bund der Vertriebenen mit ihren jeweiligen Publikationen.
486 Bund Deutscher Jugend 66–75, 87, 89 Bund für Gotterkenntnis (L) 132, 134 Bundestagswahl (Allgemein) 19, 49, 99, 125, 130, 174, 266, 370, 382, 387, 413, 462 Bundestagswahl (1969) 166–168, 179, 182, 186, 190–201, 203, 206, 211–219, 227–229, 231f., 235, 265f., 273, 275, 442 Bundestagswahl (1980) 291, 294, 298f., 318 Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. (BDA) 33f., 51f., 65, 83, 129, 163, 165f., 172f., 182, 184, 201, 203, 213, 219, 221, 223f., 237, 250, 277, 291, 348f., 363, 369, 390, 393, 399f., 426, 434, 436f., 440, 443–446, 454, 457, 459 Cantate-Saal 186–189, 207, 209, 212, 226, 230–235 Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) 58, 63, 72, 79, 81, 96f., 114, 145, 166, 173, 185, 197, 203, 216, 220f., 237, 242, 251f., 255–258, 260, 263–265, 268, 274, 276f., 294, 299, 306, 309f., 318, 323, 343, 353, 370–374, 376f., 379, 381f., 384f., 389, 401f., 404–412, 414, 419–421, 425, 432, 445, 452, 456f.; siehe auch Kai-Uwe von Hassel, Integrations strategie, Robert Lehr Christlich Soziale Union (CSU) 195, 203, 221, 251f., 256f., 271, 274, 293, 299–301, 306, 309f., 323, 326, 377, 381, 405–412, 414, 419, 445; siehe auch Franz-Josef Strauß, Gerold Tandler Dam, Hendrik G. van 118, 120, 141, 160 DDR siehe Deutsche Demokratische Republik Dehler, Thomas 68, 77f., 79 Demokratisches Dilemma 13–16, 20–22, 46, 83–85, 87, 90–93, 95f., 135–138, 148, 150f., 225, 233, 268, 273, 276, 323, 326f., 358, 362, 416f., 420–422, 436 Der Arbeitgeber (Zeitschrift) siehe Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. Deutsche Aktionsgruppen 279–293, 318f.; siehe auch Manfred Roeder Deutsche Demokratische Republik (DDR) 17, 19, 112–114, 124–126, 155, 168, 178, 202, 241–249, 255, 261f., 306–308, 389f.; siehe auch Kommunismusthese
Deutsche National-Zeitung 230, 258 Deutsche Partei (DP) 62, 75f., 78–82, 96, 98, 445, 457 Deutsche Reichspartei (DRP) 97, 112, 125, 130–138, 143, 146–151, 162f. Deutsche Volksunion (DVU) 314, 366–378, 382f., 393f., 396, 403, 410, 417f., 422, 424f., 427, 452 Deutsche Volksunion – Liste D siehe Deutsche Volksunion Deutscher Ostdienst siehe Bund der Vertriebenen Die Republikaner (REP) 9f., 334, 366, 370–433, 438f., 443f. DRP siehe Deutsche Reichspartei Dutschke, Rudi 168–172, 178, 185, 189, 213, 263, 457 DVU siehe Deutsche Volksunion Einzeltäterthese 172, 260–263, 295, 300–305, 307, 310f. Entnazifizierung 18, 49f., 60, 76, 87, 101, 104f., 123, 133f., 139–146, 155, 172, 445, 455 Entpolitisierung 116–123, 127–131, 137f., 144, 159, 245, 300, 304, 333, 346, 410, 452; siehe auch Relativierung Erziehung siehe Ursachendebatte Europäische Befreiungsbewegung (EBF) 241f., 250, 270, 274 Extremismusthese siehe Totalitarismusthese FAP siehe Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei Frankfurt am Main 186–189, 207f., 210, 312, 338, 340, 343, 345, 356, 412, 414f. Frankreich 93, 110, 286, 314, 320f., 327, 329 Freie Demokratische Partei (FDP) 68f., 75f., 78f., 80–82, 96–98, 145f., 173, 179, 220f., 251f., 259, 294, 343, 353, 357, 400, 408, 411, 438, 445; siehe auch Gerhard Baum Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) 23, 364, 369, 371–374, 387, 410, 413, 415–417, 420f., 424–427, 431, 440 Frey, Gerhard 24, 149, 171, 226, 230f., 252, 258, 369–372, 377, 380, 382f.; siehe auch Deutsche Volksunion Frustration siehe Ursachendebatte
Fußball(-Fanklubs) 332–334, 350, 413. Galinski, Heinz 144, 147, 155f., 322, 326, 329, 375, 380f., 383f., 388, 421–423 Gedenkstätte Plötzensee 171, 236 Gegenproteste 36, 51, 102, 111, 131, 158, 174f., 177, 179, 186–188, 190, 208–213, 231, 242f., 249f., 252, 254f., 271, 293, 301, 320f., 338f., 343f., 355, 367, 377, 379, 383, 389, 401f., 413, 415, 425, 430, 445; siehe auch Zivilgesellschaft Geheimdienste 112, 114, 279, 302, 306– 308; siehe auch Bund Deutscher Jugend „Geistig-moralische Wende“ 370, 378, 399 Geistig-politische Auseinandersetzung 53f., 101, 165, 201, 213–219, 323, 325, 327, 337, 398, 404f., 414, 428, 435, 438, 441f. Geißler, Heiner 374, 406–412 Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) 50, 54, 56f., 65, 78, 84f., 87, 99, 119, 165, 168, 202, 209, 218f., 221, 295, 332, 349, 352, 381, 386, 392, 395, 398, 428f., 458 Gleichsetzung von „links“ und „rechts“ siehe Totalitarismusthese Goldmann, Nahum 115, 153, 159 Graubereich 75–81, 255f., 438, 445; siehe auch Integrationsstrategie, Abgrenzung Grundrechtsverwirkung 24, 86, 149, 226, 230–231, 426 Hamburg 282, 284–286, 289, 333, 335f. Hassel, Kai-Uwe von 164f. Heß, Rudolf 281, 367, 422 Hessen 72f., 167, 186–191, 199, 201, 207f., 210, 212, 229, 242–250, 256, 258f., 264f., 272, 277, 281, 312, 333, 338–340, 342–345, 356, 359, 412–416 Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS e.V. (HIAG) 158, 355, 362 Hoffmann, Karl-Heinz 301, 303, 305, 307, 331, 333, 334 Hooligans siehe Fußball Industriegewerkschaft Metall 33, 54, 56f., 65f., 77–79, 84–86, 98f., 111, 113, 120, 123f., 127, 132, 140, 143, 148f., 165, 179, 185f., 197, 202, 208f., 218f., 221, 228, 243, 245, 250, 253, 256, 270, 284f.,
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292–295, 320, 329, 372, 381, 386f., 391, 395, 398, 410, 427, 430, 458 Integrationsstrategie 18f., 77–79, 94, 96–98, 101f., 104, 123, 143, 145f., 155, 200, 220f., 237, 260, 371–373, 376f., 385, 404–412, 425; siehe auch Graubereich; zur Kritik an der Integrationsstrategie siehe Abgrenzung Italien 279f., 283, 314, 317, 320f. Junge Union siehe Christlich Demokratische Union Deutschlands Kapitalismuskritik 123f., 176f., 352–355, 395–397, 443–445; siehe auch Ursachendebatte Kassel 190f., 201, 212, 229, 242–250, 256, 258f., 264f., 272, 277, 281 KGB siehe Geheimdienste Köhler, Gundolf 297f., 301–305, 311 Kolley, Klaus 190–192, 263f. Köln 110–112, 130–132, 153f., 157 Kommunismusthese 112–114, 124, 130f., 184f., 306–310; siehe auch Geheimdienste Kühnen, Michael 289, 330–345, 350, 356f., 359, 361, 363f. Langen (Hessen) 412, 415f., 421 Lehr, Robert 53, 55, 61f., 82f., 92 Linksradikalismus siehe Totalitarismusthese Lörrach 282–284 Ludendorff-Bewegung siehe Bund für Gotterkenntnis (L) Lüth, Paul 68, 71, 73f. Metall (Zeitschrift) siehe Industriegewerkschaft Metall Miete siehe Räumlichkeiten Ministerium für Staatssicherheit siehe DDR, Geheimdienste München 290–306, 310, 314, 319f., 340, 369f. Muhr, Gerd 176, 188, 218 Nachhaltigkeit (von Repression) 24, 46, 85f., 95–99, 104, 109, 136, 140f., 145–148, 150f., 225, 227, 235, 268, 273f., 325f., 357, 361–364, 415f., 420, 422, 424, 427, 430–433, 436, 460f., 463 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 22, 34f., 163–169, 171–242,
488 246, 251–253, 263–275, 278, 286–288, 293, 309, 311, 314, 316, 325, 329, 332–334, 343, 355, 366f., 370, 403, 410, 413–415, 417f., 420, 425, 429, 431f., 439f., 442f., 456f. Nationale Liste (NL) 23, 417, 425f. Nationale Sammlung 364, 412–417, 421, 424, 426, 430–432, 439 Nationalistische Front (NF) 417, 424–426 Nationalsozialismus siehe NS-Vergleiche, NS-Kontinuitäten Neonazismus 9, 74, 241, 243, 264, 269, 278f., 289, 292, 301, 310, 312f., 317, 319, 326f., 330–364–366, 368f., 383, 392, 412–418, 420, 424–426, 430–432, 437, 440, 451; siehe auch Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei, Michael Kühnen, Nationale Sammlung, Ordnerdienst Neonazis siehe Neonazismus „Neue Rechte“ 9, 239, 314, 331, 335, 366, 378, 397; siehe auch Rechtspopulismus Niedersachsen 49, 52–61, 79–82, 88f., 92, 94, 96–99, 103–106 NPD siehe Nationaldemokratische Partei Deutschlands NS-Kontinuitäten 21, 35, 54, 57f., 62, 68, 77, 82f., 116, 131, 134, 138f., 142f., 145, 155–158, 180, 240, 250, 280, 284, 338–342, 355, 449; siehe auch Entnazifizierung, Otto Ernst Remer, Fritz Rößler, Sozialistische Reichspartei NS-Vergleiche 50, 53f., 57f., 60, 64, 67f., 70, 84–86, 90, 94, 131, 133, 135, 138, 148, 164, 176, 179f., 189, 219, 256, 275, 328, 331, 337, 339, 340f., 347, 349, 351, 358, 371f., 380, 403f., 448f. NSDAP siehe NS-Kontinuitäten, NS-Vergleiche Nürnberg 192 Oktoberfestattentat 283, 290–311, 314, 317–322, 326 Ordnerdienst der NPD (OD) 186–190, 241 Ostpolitik 34, 173, 181, 183f., 206, 240f., 252f., 255f., 258f., 266, 270, 272, 274f., 278, 369, 452 ÖTV siehe Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr
ÖTV-Publikationen siehe Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr Paramilitär siehe Bund Deutscher Jugend, Ordnerdienst, Wehrsport Polarisierung siehe Politische Kultur Politische Kultur 12–19, 25f., 41, 44f., 65f., 77–79, 81, 103, 136f., 144–147, 169–172, 174–176, 178, 188, 192–194, 208–212, 220f., 231, 263f., 270–276, 278, 286–289, 298f., 321–323, 331, 347, 350, 368, 370, 376, 383, 385f., 398f., 402f., 409–411, 445, 450, 456f.; siehe auch Abgrenzung, Integrationsstrategie, Totalitarismusthese, Zivilgesellschaft Populismus siehe Rechtspopulismus Proteste siehe Gegenproteste Protestwahlthese 101, 175–177, 182f., 194f., 200, 215, 217f., 372, 381, 386, 398–401, 414, 441, 443 Räumlichkeiten 149, 207f., 333, 342f. Reaktion (Sowjetunion) 124f., 178, 180f., 197–199, 202, 247, 313; siehe auch Deutsche Demokratische Republik Reaktion (westlich-international) 56, 59, 64, 74, 81, 83, 93, 102f., 114f., 124–130, 147f., 154–156, 159, 167–169, 178–181, 194, 197–199, 225, 233f., 244, 246, 261, 307, 389f. Rechtspopulismus 9f., 381f., 417–427, 430–432, 435, 438f., 448; siehe auch Die Republikaner Rechtsradikalismus (international) 110, 127–129, 194, 279f., 283, 286, 305f., 312, 314, 317f., 320f., 327–329, 397, 464 Rechtsruck (bei CDU/CSU) siehe Integrationsstrategie Rechtsruck (gesellschaftlich) 58, 78, 180, 268, 366, 368, 385, 388f., 392f., 397, 412, 417–419, 424, 444 Rechtsschwenk (von CDU/CSU) siehe Integrationsstrategie Rechtsterrorismus 9, 21, 70, 187, 189, 191, 241f., 250–254, 260–263, 267, 272, 279–320, 325f., 331f., 336, 346, 365, 427, 451f. Reichsfront 50, 53, 88, 90, 92
Relativierung 19, 55, 57–61, 65, 71–74, 86f., 102f., 115–121, 123f., 127–129, 152–162, 167f., 172, 176–179, 183f., 194, 198, 224, 244–249, 254, 265f., 274–277, 282–285, 293, 295, 299f., 302–311, 313, 319, 326, 328f., 339, 366f., 371, 374–377, 388f., 403–405, 427, 443, 445, 449, 451–453, 456, 459; siehe auch Einzeltäterthese, Entpolitisierung, Kommunismusthese, Protestwahlthese, Totalitarismusthese, Extremismusthese Remer, Otto Ernst 24, 50–52, 61f. REP siehe Die Republikaner Repression siehe Wehrhafte Demokratie Rheinland-Pfalz 133, 137f., 147, 197, 199, 338–340, 343, 357 Richter, Franz siehe Fritz Rößler Roeder, Manfred 280f., 288–290, 318, 333 Rößler, Fritz 62, 69 Schönhuber, Franz 372, 377–381, 383, 385f., 403–405, 408, 432 Schule siehe Ursachendebatte SDS siehe Außerparlamentarische Opposition Sicherheit und Freiheit (allgemein) 12–20, 83–93, 95f., 107, 137, 150, 223, 230–235, 247f., 268, 273, 277f., 323–326, 329, 417, 423f., 431f., 435, 437, 441, 446–448, 460; siehe auch Demokratisches Dilemma, Politische Kultur, Wehrhafte Demokratie Sozialdemokratie 19, 30, 35f., 58, 63–66, 72f., 75, 88f., 94, 102f., 134, 145, 151, 175, 177, 180f., 183, 198, 201, 204, 216, 220, 222f., 236, 242, 249, 254f., 267, 273, 277, 292, 294, 318, 356f., 371, 376f., 385, 397, 400f., 419, 425, 427, 452, 456f.; siehe auch Willy Brandt Sozialdemokratische Partei Deutschland (SPD) siehe Sozialdemokratie Sozialistische Reichspartei (SRP) 49–66, 75f., 78–98, 103–107 Sozialistischer Deutscher Studentenbund siehe Außerparlamentarische Opposition Spätaussiedler 391–393, 406 SRP siehe Sozialistische Reichspartei Stahlhelm 77, 355
489
Strauß, Franz Josef 113f., 169, 221, 256, 257f., 271, 277, 292, 294, 299f., 306, 308–311, 318, 377, 457 Tandler, Gerold 290, 293, 304, 306, 323 Technischer Dienst siehe Bund Deutscher Jugend Terror siehe Rechtsterrorismus Thadden, Adolf von 164, 169, 175, 178, 186, 190f., 194, 197, 201, 227, 266 Totalitarismusthese 20f., 55f., 58, 63, 83, 100f., 108, 111–114, 143, 145, 151, 156f., 167, 172f., 175, 184–186, 191, 193, 204, 213, 223, 225, 231, 237, 243, 244, 246, 270f., 276f., 279, 284, 290, 293, 300, 304, 307–309, 322, 325f., 329, 346, 348, 359, 366, 384, 401f., 404, 413, 425–427, 435, 444f., 454, 456, 459 Ursachendebatte 49f., 98f., 103–107, 119–121, 123, 137, 139–143, 147, 156, 170, 173–179, 184, 194, 200, 209, 234, 274, 295, 298, 300, 302, 304, 306, 311f., 314f., 317, 323, 328f., 347–350–354, 357, 361, 373f., 376f., 393–403, 407, 413, 419, 421, 423f., 430, 438, 443–445, 449, 454f., 461; siehe auch Einzeltäterthese, Geheimdienste, Kapitalismuskritik, Kommunismusthese, Protestwahlthese Verbot (Parteien) 22f., 46, 82–96, 135f., 138f., 150f., 162, 223–229, 233–236, 267f., 270, 273, 329, 355, 415, 425, 428–430 Verbot (Vereine) 23f., 46, 53, 90f., 270, 310, 323, 325, 356–363, 415–418, 420–422, 425–428; siehe auch Aktionsfront Nationaler Sozialisten / Nationale Aktivisten, Nationale Sammlung, Nationalistische Front, Reichsfront, Volkssozialistische Bewegung Deutschlands / Partei der Arbeit, Wehrsport Verfassungsschutz 9, 51, 72f., 134, 151, 180, 279, 284, 296, 302f., 310, 341, 359f., 362, 381, 413, 416, 418, 431, 448, 460f. Vergangenheitspolitik siehe Entnazifizierung, Integrationsstrategie Verharmlosung siehe Relativierung Vermietung siehe Räumlichkeiten Vertriebenen-Korrespondenz (V-K) siehe Zentralverband vertriebener Deutscher
490 Volkssozialistische Bewegung Deutschlands / Partei der Arbeit 338, 357–359, 364 VSBD/PdA siehe Volkssozialistische Bewegung Deutschlands / Partei der Arbeit Wehrhafte Demokratie 13–15, 19–25, 26, 45–48, 50f., 82–96, 98f., 107, 135–140, 144, 147–151, 161f., 208, 219f., 223–237, 267f., 270, 273–275, 322–329, 355–363, 415–422, 424–432, 435–442, 444–446, 461f.; siehe auch Grundrechtsverwirkung, Nachhaltigkeit (von Repression), Verbot (Parteien), Verbot (Vereine) Wehrsport 279, 287, 300–306, 309f., 323–325, 327, 338 Wehrsportgruppe Hoffmann siehe Wehrsport Weil, Ekkehard 260–263, 266, 269 Weimarvergleich 7f., 18, 56f., 67, 69, 87, 95, 121, 144, 148, 170, 181, 191, 193, 210, 212f., 242, 250, 254, 257f., 268f., 272, 346f., 349, 351, 354, 379f., 387f., 426, 448f.
West-Berlin siehe Berlin Wilhelmshaven 96f. Würzburg 252–257, 262, 271f., 274, 276f. Zentralverband vertriebener Deutscher (ZvD) 51, 55, 106f. Zimmermann, Friedrich Walter 346, 359–361, 410, 415f. Zinn, Georg-August 72, 75 Zivilgesellschaft 7f., 25f., 92f., 102, 111, 148, 153, 157f., 160f., 197, 208–213, 217, 228, 231, 249f., 282, 293, 301, 320–322, 334, 338f., 343, 352, 367f., 377, 388f., 398, 441f., 453, 456, 458f.; siehe auch Außerparlamentarische Opposition, Gegenproteste
Danksagungen Zuallererst möchte ich Nele dafür danken, dass sie mich in all den Jahren begleitet, unterstützt, abgelenkt und finanziert hat! Ohne dich wäre es nicht gegangen. Die Nachmittage mit Jonathan und später dann auch mit Lara haben dafür gesorgt, dass ich das Wesentliche im Leben nicht vergesse, und mich zumindest meistens davor bewahrt, zu lange am Schreibtisch zu sitzen oder abends zu arbeiten! Vormittags tief in den Büchern (eigentlich viel öfter Zeitungen), nachmittags dann im Sandkasten oder mit dem Fußball auf der Wiese, das war der perfekte Ausgleich! Gabi und Max möchte ich nicht nur für die ausführliche und wiederholte Lektüre dieses Manuskriptes danken, sondern insbesondere für die lebenslange Unterstützung und das Vertrauen in meinen Weg – dieses Buch ist auch euer Werk! Auch Alex, Anna D., Anna G., Daniel, Fabian, Frida, Lukas, Marten, Nadja, Nelli, Robert P., Robert Z., Silvia und Uwe möchte ich danken – unabhängig davon, ob ihr vor einer gefühlten Ewigkeit die ersten Entwürfe der Einleitung gelesen oder mir erst vor Kurzem wertvolle Hinweise gegeben habt. Speziell in den Tagen vor der Disputation haben Bob und Jens den Haushalt geschmissen und zusammen mit Isa, Nadja und Jenny die Kinder bespaßt. Ihr habt mir den Rücken freigehalten – auch als alle Fieber hatten! Abschließend möchte ich mich bei meinen beiden Gutachtern bedanken. Arnd Bauerkämper bearbeitete selbst die größten Anfragen und Korrekturwünsche unglaublich schnell. Er ermöglichte mir die Promotion und schuf den Rahmen, in dem die Studie entstand. Paul Nolte war speziell in der Abschlussphase eine große Hilfe und half mir dabei, aus dem Manuskript eine „runde Sache“ zu machen!