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German Pages 240 Year 2014
Petra Dickmann Biosecurity
Für Paula
Petra Dickmann (Dr. med., Dr. phil.) ist Research Fellow an der London School of Economics and Political Science (LSE).
Petra Dickmann
Biosecurity Biomedizinisches Wissen zwischen Sicherheit und Gefährdung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Petra Dickmann Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1920-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Transparenz und Restriktion | 7
Aufbau der Arbeit | 16 Methode | 21 1
Asymmetrische Kommunikation und biologische Bedrohungen | 23
1 2 3 4
Selbstzensurerklärung | 23 Restriktionsfall: Botulinumtoxin in Frischmilch | 41 Wissenskontrolle | 47 Besonderheiten biologischer Bedrohungen | 51
Fallstudie I: Neuere Technologien der Aerosolgeneration und biologischer Waffen | 55
Zur Dual-Use-Problematik ziviler Forschung | 55 1 Wissensgebiet Bioterrorismus und Aerosole | 57 I RIZIN IN BERLIN: DIE BIOTERRORISTISCHE RELEVANZ VON ZIERPFLANZEN | 62 2 Lagerung/Widerstandsfähigkeit. Tenazität – Das Wissen über Leben und Sterben | 68 3 Neuere Entwicklungen der Aerosolgeneration | 72 II ANTHRAX POW(D)ER: DIE BEDEUTUNG VON WISSEN ALS BEDROHUNG | 78 4 Inhalation und die relevanten Parameter der Infektion – Anatomie | 85 5 Prinzipien der Ausbringung – flüssige Aerosole | 88 III SPREADING KNOWL EDGE: AEROGENE KONTROLLE | 92 6 Prinzipien der Ausbringung – trockene Aerosole | 96 IV AIR GUNS: DRY INSULIN UND PARTICLE ENGINEERING ALS MODERNE BEDROHUNGEN | 104 7 Forschungszweige | 107 2 Das Dual-Use-Dilemma | 115
1 Dual-Use | 117
2 Kontrollmechanismen | 126 3 Das Dual-Use-Dilemma und die Steigerung des Möglichkeitssinns | 135 4 Waffe oder Vakzine | 139 Fallstudie II: Die Spanische Grippe als Verständnisschlüssel zur Pathogenese von Pandemieviren und als potente Biowaffe. Beobachtungen zu einer Dual-Use-Bewertung | 143
Etappen einer Bewertung | 143 1 Die Fakten | 145 2 Reaktionen der Fachwelt in Zeiten des Bioterrors | 150 3 Die Spanische Grippe in Zeiten von SARS, Vogelgrippe und Pandemie | 161 3
Biologische Waffen | 165
Der Gedankengang | 165 1 Biologische Waffen – Perspektive des Einsatzes | 168 2 Biologische Waffen – Begrifflichkeiten und historisch gewachsene Regularien | 178 3 Rüstungskontrolle biologischer Waffen zwischen Staaten | 186 4 Biosurety als politische Epidemiologie und soziale Hygiene | 195 4
Sicherheits- und gesellschaftspolitische Perspektiven. Diskussion und Ausblick | 201
Der Gedankengang | 201 1 Neue Kriege. Die Bedeutung der Kommunikation | 207 2 Risikokommunikation als Biodefense. Kommunikation von Risiken und Kommunikation als Risiko | 214 3 Die biopolitische Macht der Kommunikation: Risikokommunikation | 217 Danksagung | 221 Literatur | 223
Transparenz und Restriktion Einleitung
Entscheidend für Wissenschaft und insbesondere die Naturwissenschaften ist Kommunikation, vor allem in Form der Veröffentlichung ihrer Forschungsergebnisse. Innerhalb der letzten 20 Jahre haben entscheidende informationstechnische Veränderungen stattgefunden, die die Wissensgesellschaft und in ihr die Wissenschaften selber neu charakterisieren. Internet und E-Mail haben Kommunikationsformen und -foren geschaffen, die es ermöglichen, leichter und schneller als je zuvor wissenschaftliche Ergebnisse vorzustellen, nachzuvollziehen und zu diskutieren. Bisher wurde die freie Zugänglichkeit von Wissenschaft im Sinne einer Exploration von Wissen weitgehend positiv interpretiert. Seit dem Terrorangriff vom 11. September 2001 hat es jedoch Sicherheitseingriffe in verschiedene staatliche Einrichtungen gegeben (verstärkte Grenzkontrollen, verschärfte Sicherheitsmaßnahmen im militärischen und zivilen Bereich, restriktive Aufenthaltsgenehmigungen, Veränderungen beim Datenschutz etc.). Die Veröffentlichung von möglicherweise sicherheitsgefährdenden Forschungsergebnissen gilt seither als gesellschaftlich riskant. In diesem Kontext haben sich die Herausgeber der großen naturwissenschaftlichen Zeitschriften im Frühjahr 2003 dazu entschlossen, Artikel mit sensiblen Informationen nicht mehr zu publizieren. Mit dieser erklärten Selbstzensur reagierte der Wissenschaftsbetrieb systemintern auf eine Umwelt, die im politischen Bereich schon mit zum Teil erheblichen Restriktionen auf eine wahrgenommene terroristische Bedrohung reagiert hatte. Was auf den ersten Blick möglicherweise einleuchtend erscheint, nämlich: Arti-
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kel zurückzustellen, die eine Anleitung zum Bau biologischer Waffen sind, wird allerdings nicht der Besonderheit biomedizinischer Forschung gerecht. Dort sind die Erkenntnisfortschritte, die auch in die Entwicklung biologischer Waffen einfließen könnten, Ergebnisse von hochangesehenen und wissenschaftlich legitimen Forschungszweigen, wie z.B. der Impfstoffentwicklung, der klinischen Pneumologie, der Wirkstoffausbringung (z.B. Insulin) etc. Diese wissenschaftlichen Entwicklungen betreffen darüber hinaus nicht nur ›materiale‹ Technologien, sondern haben auch einen hohen Anteil an Wissensaspekten, die sich als intangible einer konventionellen Rüstungskontrolle entziehen und ein vorrangiges Thema in der Sicherheitsforschung im biomedizinischen Bereich bilden. Diese sogenannte DualUse-Problematik von biomedizinischer Forschung erstreckt sich deshalb nicht nur auf die Unterscheidung von defensiver vs. offensiver Forschung, sondern betrifft einen Umgang mit Wissen, der sowohl wissenschaftsimmanente als auch vielfältige gesellschafts- und sicherheitspolitische Dimensionen hat. Wissenschaft wurde schon immer kontrolliert. Gesellschaft ist die stärkste Kontrolle dessen, was erdacht, gemacht und angewendet werden durfte. Ein herrschendes Weltbild markiert scharfe Grenzen des Denkbaren und sanktioniert alle Versuche, das Machbare anzuwenden. Die Gentechnikdebatte oder die Diskussionen über Stammzellforschung sind prägnante Beispiele. Was diese Auseinandersetzungen allerdings von der Zensur sensibler Informationen unterscheidet, ist der argumentative Hintergrund. Neu ist eine soziale Dynamik, die eine diffuse, aber strukturelle Ausgrenzung von Personengruppen zum Ziel hat: diejenigen, die das Wissen potenziell missbräuchlich anwenden wollen. Das ist sowohl in der Naturwissenschaft als auch in anderen Wissenschaftsbereichen bisher einmalig. Beim Fortschreiten von wissenschaftlicher Erkenntnis gab es oft ein ethisches und moralisches Innehalten. Im gesellschaftlichen Diskurs wurde vollzogen, dass Forschungen ethisch, moralisch oder aus Gründen der Verantwortung zu weit gehen könnten. Die erklärte Selbstzensur der großen naturwissenschaftlichen Zeitungen hingegen bringt ein anderes Argument: Hier geht die Forschung nicht zu weit, sondern diffundiert in nicht kontrollierbare Kontexte. Befürchtet werden keine Nachteile, die aus den Forschungen für die intendierten Zwecke resultieren, sondern aus einem vermuteten Missbrauchspotenzial durch andere und einer missbräuchlichen Anwendung.
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Dieses Argument formuliert sich aus einer sozialen, gesellschaftlichen und sicherheitspolitischen Dynamik; aus einem politischen Prozess der gesellschaftlichen Verteilung von Informationen, bei der die Generierung von Wissen abgelöst von den Informationen über sie ist. Nicht die Forschungen selber werden zensiert, sondern ihre Ergebnisse werden parteilich gehandhabt. Dabei lässt sich eine neue Form der gesellschaftlichen Mechanismen in Wissensgesellschaften beobachten: Während im Zuge von Bioterrorismus-preparedness die Forschungsanstrengungen intensiviert werden und dadurch ein enormer Wissenszuwachs in gerade diesen sensitiven Bereichen erwartbar ist, werden durch die bisherigen Maßnahmen der Selbstzensur und andere restriktive Maßnahmen im Forschungsbetrieb eine Einschätzung und ein Management von sensitiven Wissensbereichen, z.B. durch ein Peer-Review, unmöglich gemacht. Aus Sicht der Restriktion von Publikationen lässt sich also ein starkes Gefälle zwischen der Intensivierung von sensitiven Forschungsbereichen einerseits und der Restriktion eben dieser Forschungsergebnisse andererseits beobachten. Aus der Differenz, die sich aus dem Leitsatz »Publikation runter und Forschung rauf« ergibt, resultiert eine asymmetrische Kommunikation in der öffentlichen Forschung, die aus zweierlei Gründen eine neue Bedrohung darstellt. Erstens wird dem wissenschaftlichen Prozess ein wesentlicher Bestandteil der Qualitätssicherung und ein wichtiges Regulativ entzogen. Wenn ein breites wissenschaftliches Review fehlt, kann von der wissenschaftlichen Expertise nicht auf ein Gefährdungspotenzial hingewiesen werden. Mit der Restriktion von Publikationen nimmt man der wissenschaftlichen Gemeinschaft die Möglichkeit einer Risikobewertung und einer Diskussion über Bedingungen und Möglichkeiten der Prävention und der Entschärfung von möglichen Gefahren. Mit der Restriktion der Forschungsergebnisse erreicht man daher keine sichere Wissenschaft, sondern – im Gegenteil – unsichere, von der fachkundigen Bewertung durch die Wissenschaftler herausgenommene Forschung, die aufgrund der fehlenden allgemeinen wissenschaftlichen Bewertung erst eine Gefahr darstellen kann. Zweitens wird mit der Intensivierung der Forschung eben jenes sensible Wissen generiert, dessen Missbrauch man fürchtet; zudem in Allianz mit dem militärischen, dem öffentlichen und dem privaten Forschungssektor. Kombiniert mit der fehlenden wissenschaftlichen und wissenschaftsöffentlichen Bewertung werden asymmetrische Wissens- und Kommunikationsstrukturen im öffentlichen Forschungssektor etabliert.
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Mit diesen zum Teil kleinen Veränderungen ändert sich das Gesamtbild. Abseits einer Formulierung des Wissenschaftsbetriebs, der eine Art gesellschaftliche Notwehr und wissenschaftliche Verteidigung darstellt, wird hier ein Moment sichtbar, das gravierend das wissenschaftliche und gesellschaftliche Gefüge bestimmt: Zu beobachten ist eine filigrane Militarisierung des öffentlichen Forschungssektors durch eine asymmetrische Kommunikation verbunden mit einer Umgewichtung von Forschungsgegenständen und -zielen. These Die These dieser Arbeit ist, dass an der Selbstrestriktionserklärung etwas sichtbar wird, was neu und was kennzeichnend ist sowohl für eine Wissenschaft als auch für eine Gesellschaft, in der sie stattfindet.
Um diese Problematik etwas ausführlicher darstellen zu können, soll zunächst aus einer der Naturwissenschaften nahen Perspektive gefragt werden: • • • •
Was sind sensible Informationen? Wie sind die Restriktionen begründet und eingeführt? Sind die Maßnahmen effizient und effektiv? D.h., wird die Sicherheit der Gesellschaft durch diese Maßnahmen tatsächlich erhöht? Und was macht Gesellschaften sicher? Wird der Wissenschaftsbetrieb dadurch maßgeblich beeinträchtigt?
Die Selbstrestriktionserklärung verstehe ich als Trigger, der weitere Fragen provoziert, denen ich in den nächsten Kapiteln nachgehe: •
• •
Was haben wissenschaftliche Entwicklungen, die an prominenter Stelle publiziert werden, mit dem Missbrauch dieses Wissens im Rahmen von Bioterrorismus zu tun? Welche Verbindung gibt es zwischen Bioterrorismus und Kommunikation? Was ist das für ein Wissen, und welche gesellschaftliche Bedeutung hat dieses Wissen, das in politischen Konstellationen die gesellschaftliche Integrität gefährdet?
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Und welche Kontrollmechanismen gab es bisher, gesellschaftlich und sicherheitspolitisch relevantes Wissen zu kontrollieren?
Daran knüpfen sich folgende Fragen an: • • •
Was ist das Neue und Besondere dieses Wissens? Und was sind die angemessenen Formen des gesellschaftlichen Umgangs mit den neuen Herausforderungen der Lebenswissenschaften in globalen Wissens- und Informationsgesellschaften?
Leitend bei der Beantwortung der Fragen zur Selbstrestriktion der naturwissenschaftlichen Zeitschriften sind drei Thesen: 1. These: Das Neue und Besondere der Lebenswissenschaften ist ihre doppelte Informationsbasiertheit. An den selbstrestriktiven Interventionen kristallisiert sich das Neue und Besondere der Lebenswissenschaften in zeitgenössischen Gesellschaften. Lebenswissenschaften, wie die Molekularbiologie und molekulare Medizin, sind weniger material-, sondern vielmehr informationsbasiert. Diese Informationsbasis ist einerseits ein Charakteristikum von Gesellschaften, die sich selber als Informations- und Wissensgesellschaften beschreiben; andererseits ist diese Informationsbasis in den Lebenswissenschaften eine besondere, die sich von anderen zeitgenössischen Wissenschaften absetzt: These Die Informationsbasis bezieht sich nicht nur auf einen Transfer von gegenständlichem Wissen, sondern die Information bezieht sich selber auf Sequenzen von Informationen. Diese Immaterialität stellt eine neue und besondere Herausforderung für die Bewertung des Wissens als Bedrohung und für die Bedrohungsbewertung von biologischen Waffen und deren Kontrolle dar. 2. These: Es muss eine grundsätzliche, methodische Neubewertung biologischer Bedrohungen vorgenommen werden, um eine adäquate wissenschaftliche Grundlage für politische Entscheidungsprozesse zu bieten. Besonders relevant ist die grundsätzliche Umgewichtung der Bedrohungsbewertung von biologischen Waffen: einerseits wegen der Informati-
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onsbasiertheit von Bio- und Lebenswissenschaften, andererseits durch die politischen Konstellationen der Asymmetrie. Im argumentativen Verlauf der Arbeit wird gezeigt, dass und wie sich die politische und naturwissenschaftliche Bedrohungsbewertung von einer Gegenstandsbewertung zu einer systemischen Kontextbewertung entwickeln muss, damit sie eine adäquate Grundlage für gesellschaftspolitische Entscheidungsprozesse sein kann. Das Leitbeispiel hierzu ist das sogenannte Dual-Use-Dilemma. Das Dual-Use-Dilemma wurde bisher als schwierig zu treffende Unterscheidung zwischen defensiver und offensiver Forschung und Entwicklung angesehen. Im Bereich der modernen Bio- und Lebenswissenschaften kommen durch deren spezifische Charakteristiken neue Aspekte hinzu. Daher wird der Dual-Use-Begriff signifikant erweitert. Es wird zum einen zwischen einem material- und einem wissensbasierten Dual-Use unterschieden; außerdem wird noch die Unterscheidung zwischen einem direkten und einem indirektem Dual-Use eingeführt. An zwei Fallstudien wird die Dual-Use-Problematik vorgestellt und diskutiert. In der ersten Fallstudie zu neueren Technologien zur Aerosolgeneration wird das Missbrauchspotenzial, das naturwissenschaftliches Wissen und ihre Anwendungen haben, am Material und an den Forschungsleistungen ausführlich in ihrer Zwiespältigkeit vorgestellt und in Beispielen erläutert. In der zweiten Fallstudie zur Spanischen Grippe kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: Der gesellschaftliche Kontext, in dem wissenschaftliche Forschungen und ihre Produkte bewertet werden, ist selber hochunzuverlässig und schwankend. Die Kriterien, die zur Bewertung herangezogen werden, sprechen von einer ambivalenten Gesellschaft, in der eindeutige wissenschaftliche Bewertungen kaum vollzogen werden können. Sie sprechen auch davon, dass sich zwar das Verständnis von biologischen Waffen an den aktuellen Entwicklungen aus Forschung und Politik orientiert, dass aber die Gefährdungsbewertung und vor allem die Strategien zur Sicherheitspolitik einem Verständnis von biologischen Waffen geschuldet sind, das vormolekular ist und das sowohl durch die wissenschaftlichen als auch die politischen Entwicklungen überholt wurde. Die Maßnahme der Selbstrestriktion scheint eine Gesellschaft eher zu verunsichern, weil sie wissenschaftliche Forschung und Entwicklung von einer fachlichen Expertise und Bewertung ausschließt; ebenso scheinen Regularien der Laborsicherheit die Sicherheit der Gesellschaft z.B. im Kampf gegen globale Seuchen eher zu
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erschweren und damit zu verunsichern. Ein code of conduct, der Wissenschaftlern den verantwortlichen Umgang mit ihrem Wissen vorschreibt, ist hier wenig effektiv. Die Bedrohung durch biologische Waffen formiert sich in einem komplexen Gefüge von politischen, sozialen und wissenschaftlichen Systemen und ist kontextuell geworden: Wissen wird erst in einem bestimmten Zusammenhang und in einer bestimmten Verwendung bedrohlich. Die fehlenden äußeren Einheiten der Rüstungskontrolle – also weder Erreger noch Absicht noch Landesgrenzen – haben zu einer Verinnerlichung der Problematik geführt. Die restriktiven Strukturen werden auf die innere Organisation von Gesellschaften zurückprojiziert und formieren sich in Regularien zur Forschung, zur Personenkontrolle, in Zugangsberechtigungen, in der Zugehörigkeit und der Kommunikation. Biosafety als Laborsicherheit und Biosecurity als politische Sicherheit rücken nah aneinander und erzeugen die Bilder von politischer Epidemiologie und sozialer Hygiene, die sich kulturell unterscheiden. In den USA werden durch die Gesetzgebung in Reaktion auf die Terroranschläge Menschen aufgrund privater Biographie als restricted persons stigmatisiert; in Deutschland werden Ausländer nach Abstammung aussortiert. Diese Biosurety, die sich in der Bewegung von select agents zu restricted persons artikuliert, ist ein folgenschwerer biopolitischer Schritt, der im Zusammenhang mit der gestiegenen Bedrohungswahrnehmung durch Bioterrorismus leicht vollzogen wurde, dem allerdings gewaltige soziale und gesellschaftspolitische Auswirkungen anhaften. So findet hier eine Übertragung von dem infektiösen Agens zu dem Menschen statt, der ihn bearbeitet. Diese metonymische Verschiebung ist eine kulturelle Praktik, die in bestimmten gesellschaftlichen Zusammenhängen Sinn ergibt, aber einen massiven Übergriff auf die Kulturen der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie bedeuten. These Der terroristische Schläfer als metaphorisches Äquivalent zu einem Dual-Use-Dilemma in den modernen Biowissenschaften fordert ein sicherheitspolitisches Umdenken und eine ausführliche Diskussion über die gesellschaftlichen Vorstellungen und Ansprüche an eine innere und äußere Sicherheit und die Methoden der Risikobewertung.
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3. These: Bioterrorismus ist nicht nur eine Kommunikationsstrategie, sondern wird im Medium der Kommunikation selbst ausgetragen und stellt damit eine biopolitische Macht dar. Wissenschaften und Gesellschaften teilen eine Kommunikationsgrundlage, in der Kommunikation gefährlich werden kann. Die ergriffenen Maßnahmen, um dieser Gefährdung zu begegnen (Restriktionen der Publikation, politische und juristische Eingriffe in Wissenschaften etc.), beinträchtigen dabei allerdings substanziell auf das Funktionieren von Gesellschaften, die sich selber als Wissens- und Informationsgesellschaften beschreiben, indem sie eine asymmetrische Kommunikation herbeiführen. Korrespondierend mit dem sicherheitspolitischen Begriff der ›neuen Kriege‹, der asymmetrischen Kriegsführung, ist eine asymmetrische Kommunikationspolitik im öffentlichen Wissenschaftsbereich beobachtbar geworden. Diese Asymmetrie wiegt deswegen so schwer, weil sie in einer Wissens- und Informationsgesellschaft stattfindet und den Gegenstandsbereich der Information selber hat. Kommunikation wirkt und wird dadurch gefährlich. Eine Gesellschaft fühlt sich in diesem Moment durch Kommunikation bedroht. These Eine Bedrohung ist nur dann effektiv, wenn sie Angst erzeugt. Sie übt Macht aus in den Momenten, in denen sie Einfluss nimmt auf die Wahrnehmung, auf die Empfindung, auf das Verhalten und darauf, wie Entscheidungen getroffen werden. Die Restriktion von Kommunikation ist eine biopolitische Macht, die Gesellschaften unsicher macht. Die ›Gegenmacht‹, also die Formate, in denen sich Gegenmaßnahmen formulieren lassen und Wirklichkeit werden, in denen Gesellschaften funktionsfähig bleiben, basieren ebenfalls auf Kommunikation. Kommunikation bietet das Forum, das Format und das Medium an, in denen sich Gesellschaften stärken. Ein vorläufiger Endpunkt der Argumentation wird mit der Diskussion über Risikokommunikation erreicht. Risikokommunikation wird als Möglichkeit verstanden, einen langfristigen, verständnisbildenden Diskurs innerhalb der Gesellschaft über die Möglichkeiten und Gefahren wissenschaftlichen Wissens zu führen. Dieser Diskurs berührt nicht nur die zentralen Inhalte der Wissenschaften, sondern gibt auch Auskunft über die Gesellschaft, in der diese Diskurse so geführt werden, und ermöglicht damit, aus einer reflexiven und reflektierten Position heraus, gesellschaftli-
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chen und sicherheitspolitischen Entscheidungen eine andere Grundlage zu geben.
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A UFBAU
DER
A RBEIT
Im ersten Kapitel wird die Selbstzensurerklärung vorgestellt und die Problematik der Restriktion sensibler Informationen in den Reaktionen der Fachwelt beschrieben. Dass Wissenschaften durch gesellschaftliche Vorgaben eingeschränkt werden, ist kein neues Phänomen – im ersten Kapitel werden wissenschaftsimmanente und wissenschaftsexmanente Mechanismen kursorisch dargestellt. Neu hinzu kommen die Besonderheiten biologischer Bedrohungen, die sich in der neuen Informationsbasis artikulieren, die eine grundlegend neue Distribution und Diffusion ermöglichen. Als zentraler Begriff wird neben der asymmetrischen Kommunikation die DualUse-Problematik eingeführt. Anhand der Fallstudie zu neueren Entwicklungen der Aerosolgeneration und deren Missbrauchspotenzial im Bereich biologischer Waffen wird der gesellschaftlich ambivalente Umgang mit wissenschaftlichem Wissen ausführlicher beschrieben und die faktische Basis dafür gelegt, die Terminologie des material- und wissensbasierten Dual-Use anhand dieser wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen vorzustellen. Im zweiten Kapitel wird die konventionelle Unterscheidung zwischen defensiver und offensiver Forschung, die der Begriff Dual-Use bisher beschrieben hat, umformuliert in einen materialbasierten und einen wissensbasierten Aspekt, der in direkten oder indirekten Übertragungen wissenschaftliches Wissen je nach gesellschaftlichen Kontexten zu Bedrohungen werden lassen kann. Während die konventionelle Beschreibung eines DualUse die Verwendung von Material in unterschiedlich konnotierten Zusammenhängen unterscheidet, die sich in den Oppositionen zivil vs. militärisch oder auch als friedliche vs. feindliche Verwendung niederschlägt, wird diese konventionelle Zuordnung bei den neuen biomedizinischen Entwicklungen durch die neue Informationsbasis noch erschwert. Die Immaterialität, der Intangible-Charakter von biomedizinischen Entwicklungen, erschwert die ohnehin schon schwierige Grenzziehung von zivilen und militärischen, von friedlichen und feindlichen Verwendungen. Der wissensbasierte DualUse wurde von der konventionellen Verwendung noch weiter in einen direkten und einen indirekten wissensbasierten Dual-Use ausdifferenziert. Doch nicht nur die biomedizinische, wissenschaftliche Basis ist ambivalent. Auch die gesellschaftlichen Kriterien zur präzisen Bewertung und zur präzisen Ein- und Ausgrenzung sind nur schwer zu definieren und ändern sich
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je nach Kontext. Die Entwicklung der Biomedizin – und in ihr die Bedrohung durch die missbräuchliche Verwendung wissenschaftlichen Wissens – fordert diese Diskussion in einer besonderen Weise heraus. In der modernen Biomedizin artikulieren sich die aktuellen und akuten Parameter einer gesellschaftlichen Bedrohung durch diese wissenschaftlichen Entwicklungen in einer besonderen Klarheit. Die Information als Rückgrat und substanzieller Baustein dieser Wissenschaften bildet die eigentümliche Resonanz in einer Gesellschaft, die sich selbst als Wissens- und Informationsgesellschaft charakterisiert. Die Fallstudie zur Spanischen Grippe zeigt die wechselnde Bewertung und das soziale framing von Wissenschaften durch gesellschaftliche Zusammenhänge und wird als Argument eingeführt, das eine systemische, kommunikationsbasierte Annäherung zur kontextuellen Bewertung vorschlägt. Das dritte Kapitel beschreibt die Problematik des Bioterrorismus, die sich in Wissensgesellschaften anders artikuliert als im vormolekularen Zeitalter. Hier wird das Argument entwickelt, dass die bisher übliche Risikobewertung, die Agenzien, Akteure und Absichten bewertet, nicht der aktuellen Komplexität und der Informationsbasiertheit biologischer Bedrohungen gewachsen ist. Doch welche Bedeutungen haben diese beschriebenen Charakteristiken von biologischen Entwicklungen und dem gesellschaftlichen Missbrauchspotenzial, das sie stellen, für die gesellschaftliche Gefährdungsbewertung und die sicherheitspolitischen Perspektiven? Um das Neue und Besondere von biologischen Bedrohungen vor dem Hintergrund der Wissensbasiertheit und mit dem neu eingeführten terminologischen Konzept des Dual-Use-Dilemmas heraus zu arbeiten, werden folgende Fragen gestellt: • •
Was ist – insbesondere vor dem Hintergrund der Wissensbasiertheit – eine biologische Waffe? Wer oder was stellt für wen in welchem Zusammenhang wodurch eine Bedrohung dar?
Leitend für die Beantwortung ist die These, dass die Begrifflichkeiten und Denkkonventionen an grundsätzlich anderen Wissenschaften (vormolekular) und grundsätzlich anderen politischen Konstellationen (Welt- bzw. Staatenkriege; Kalter Krieg) erhoben wurden und für die Bewertung von biologischen Bedrohungen in zeitgenössischen Gesellschaften ihre Kontur
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verloren haben. Die Schwierigkeiten der präzisen Ein- und Ausgrenzung werden zunächst anhand einer fokussierten Geschichte des Einsatzes biologischer Waffen skizziert; danach soll ein orientierender Blick auf die schwierige Geschichte der Rüstungskontrolle biologischer Waffen diese Ambivalenzen verdeutlichen. Abschließend werden die kulturellen Reaktionen auf diese Unsicherheiten vorgestellt, die sich mit den Begriffen Biosafety, Biosecurity, Biosurety beschreiben lassen. Biosafety meint den tatsächlichen Umgang und den Einsatz von Krankheitserregern; Biosecurity referiert auf die organisatorisch-regulativen Bemühungen, diesen Unsicherheiten Herr zu werden. Biosurety beschreibt die Komplexe, in denen sich die Kontrollbedürfnisse über diese Unsicherheiten und Gefahren auf die kulturellen Zusammenhänge selber auswirken, und stellt die Narrative, die strukturellen Muster, vor. Die ursprüngliche Fragestellung (»Wer oder was stellt für wen in welchen Zusammenhängen warum eine Bedrohung dar?«) wurde hier verschoben: • •
Was macht eine Gesellschaft sicher? Und was verunsichert eine Gesellschaft?
Die Komplexität der Problematik wird hier mehr und mehr deutlich; und diese Komplexität lässt auch keine einfachen, d.h. eindimensionalen Lösungen zu. Das Aussortieren von Ausländern oder eine Zugangsbeschränkung zu Hochsicherheitslaboren sind Zeichen dafür, wie ziellos sich Abwehrmaßnahmen auf das Innere von Gesellschaften fokussieren, die schon lange von innen porös, permeabel und vielschichtig geworden sind. In diesem Zusammenhang wird ein strukturell anderes Vorgehen vorgeschlagen, das sowohl dem Dual-Use-Aspekt von wissenschaftlichem Wissen als auch der sozialen Kontextualisierung von Wissen Rechnung trägt. Im vierten Kapitel werden mit einer sicherheitspolitischen Perspektive die Problematik von biologischen Bedrohungen und die Restriktion von wissenschaftlichen Publikationen beschrieben und erneut die Frage danach gestellt, was eine Gesellschaft stabilisiert und was sie verunsichert. In diesem ausblickenden Abschlusskapitel werden zwei Perspektiven beschrieben, die bei der Beantwortung weiterhelfen: •
das Phänomen, dass Gesundheit bzw. biomedizinische Forschung und innere Sicherheit zusammengerückt sind, sowie
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die Beobachtung, dass Wissenschaften und Gesellschaften eine Kommunikationsgrundlage teilen, die Kommunikation teils als gefährlich und bedrohlich erscheinen lassen.
Das Zusammenrücken von Gesundheit/medizinischer Forschung und innerer Sicherheit bildet hier eine Formation, die einen interessanten Verweis auf die aktuelle Sicherheitspolitik zulässt. Was in der Bedrohung durch biologische Waffen deutlich wird, scheint auch ein Kennzeichen von sogenannten neuen Kriegen zu sein. Hier treffen zwei Entwicklungen aufeinander, die gemeinsam relevante Merkmale beschreiben. Die ›neuen Kriege‹ und die Bedrohung durch biologische Waffen kann man beide mit gemeinsamen Merkmalen beschreiben; doch in den Beobachtungen zu biologischen Waffen kommt noch eine Dimension dazu: Terrorismus ist nicht nur eine Kommunikationsstrategie, sondern wird im Medium der Kommunikation selbst ausgetragen. Dieser Gedankengang leitet zur zweiten Perspektive über: der Beobachtung, dass Wissenschaften und Gesellschaften eine Kommunikationsgrundlage teilen, in der Kommunikation gefährlich werden kann. Die ergriffenen Maßnahmen, um dieser Gefährdung zu begegnen (Restriktionen der Publikation, politische und juristische Eingriffe in Wissenschaften etc.), beeinträchtigen allerdings maßgeblich das Funktionieren von Gesellschaften, indem sie eine asymmetrische Kommunikation herbeiführen. Eine Gesellschaft fühlt sich in diesem Moment durch Kommunikation bedroht. Als Ausblick soll die Rolle der Kommunikation in Gesellschaften beschrieben werden: Welche Bedeutung kommt der Kommunikation und insbesondere der Kommunikation von Risiken nun zu? In diesem letzten Argumentationsschritt werden ausblickend und sehr tentativ die Etappen von Kommunikation (Kommunikation von Risiken, Kommunikation als Risiko und Risikokommunikation) vor dem Hintergrund beschrieben, dass die Restriktion von Kommunikation eine biopolitische Macht ist, die Gesellschaften unsicher macht. Daher setzen effektive und effiziente gesellschaftliche Stabilisierungsmaßnahmen bei einer Risikokommunikation an, die langfristig und nachhaltig Gesellschaften sichert. Risikokommunikation wird als Möglichkeit verstanden, einen Diskurs innerhalb der Gesellschaft über die Möglichkeiten und Gefahren wissenschaftlichen Wissens zu führen. Dieser Diskurs berührt nicht nur die zentralen Inhalte der Wissenschaften, sondern gibt auch über die Gesellschaft Auskunft, in der diese Diskurse so geführt
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werden, und ermöglicht damit, aus einer reflexiven und reflektierten Position heraus, gesellschaftlichen und sicherheitspolitischen Entscheidungen eine andere Grundlage zu geben.
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M ETHODE Dieses Buch vereint mehrere methodische Zugänge zu unterschiedlichen Forschungsgebieten und ist in diesem Sinne interdisziplinär. Neben Literaturrecherchen und Analysen der Sekundärliteratur werden auch primäre Quellen, informelle Hintergrundgespräche mit Fachleuten und Experten sowie Resultate aus Diskussionen in verschiedenen nationalen und internationalen Arbeitskreisen verwendet. Ausgang nimmt die Argumentation dieses Buches bei der Selbstrestriktionserklärung der Herausgeber und verfolgt, beschreibt und diskutiert die Wogen, die diese Erklärung in der Fachwelt, aber auch in der Öffentlichkeit geschlagen hat. Das erste Kapitel widmet sich dieser Thematik mit der Analyse sowohl der primären Quellen der Erklärung und der Forschungen, auf die sich diese Erklärung bezieht, als auch der Kommentare der Wissenschaftler und Entscheidungsträger, die diese Debatte mit geführt und geprägt haben. Die Fallstudie zum Stand der Aerosolforschung und -herstellung ist zunächst geschrieben aus der naturwissenschaftlich-medizinischen Perspektive. Hier werden Partikelgrößen und Aerodynamik, Inhalationsparameter und letale Dosis, Wirkstoff und Ausbringungsmodi beschrieben. In diese naturwissenschaftliche Darstellung des Forschungsstandes werden die sicherheitspolitischen und kulturwissenschaftlichen Bedenken und Argumente in Unterkaptiteln kommentarartig eingeflochten. Damit bekommt der naturwissenschaftliche Forschungsgegenstand seinen Kontext und seine Bedeutung. Neben dem ausführlichen Studium der naturwissenschaftlichen Forschungsliteratur haben informelle Hintergrundgespräche mit Wissenschaftlern und Technikern geholfen, die Problematik der Aerosole für den Bereich der biologischen Waffen zu verdeutlichen. Die Kolleginnen und Kollegen der Forschungsstelle Biologische Waffen und Rüstungskontrolle der Universität Hamburg und das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik waren wichtige Gesprächspartner und haben die Studie über Aerosole aus Sicht der Rüstungskontrolle initiiert. Die Dual-Use-Problematik wird zunächst in der Reflektion der Sicherheitspolitik und Rüstungskontrolle in der Literatur beschrieben. Die weitere gedankliche Entwicklung des Dual-Use und die weitere Differenzierung in direkten und indirekten, material- und wissensbasierten Dual-Use findet direkt am Gegenstandsbereiches statt: Anthraxsporen, coating und die Berli-
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ner Botanik verhelfen der Argumentation zur Anschaulichkeit, die in verschiedenen sicherheitspolitischen Arbeitskreisen zum Bioterrorismus beim Berliner Robert Koch-Institut (RKI) oder in Workshops der Global Health Security Initiative (GHSI) diskutiert wurde. Die Fallstudie zur Spanischen Grippe und die wechselnde gesellschaftliche Bewertung des wissenschaftlichen Wissens und der akzeptierten Forschungspraxis werden in der wissenschaftlichen Primärliteratur beschrieben – und dann im Kontext der aktuellen Influenzapandemie 2009 (»Schweinegrippe«) mit Beispielen belegt. Diese Diskussion wurde mit den medizinischen Kollegen1 des Gesundheitsamtes in Frankfurt a.M. und der Uniklinik in Frankfurt a.M. sowie mit den Kollegen des Hochsicherheitslabors in Marburg geführt und die Argumente dort erprobt. Das abschließende Kapitel zur Sicherheitspolitik und Risikokommunikation ist das ›weichste‹: Es stellt den sicherheitspolitischen und kulturwissenschaftlichen Forschungsstand in der Literatur fokussierend dar – betritt aber mit den Ideen zur Risikokommunikation Neuland. Das Forschungsgebiet der Risikokommunikation für den Bereich biologischer oder gesundheitlicher Gefahren ist erst im Entstehen, und das letzte Kapitel umreißt dieses innovative Gebiet nur in den zarten Anfangsideen. Hier wird es in Zukunft darum gehen, Methoden, Forschungsgegenstände und Diskurse zu entwickeln. In der Hoffnung, zu dieser zukünftigen Debatte beizutragen, schließt die Argumentation vorerst ab.
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Mit Nennung der männlichen Funktionsbezeichnung ist in diesem Buch, sofern nicht anders gekennzeichnet, immer auch die weibliche Form mitgemeint.
1 Asymmetrische Kommunikation und biologische Bedrohungen
1 S ELBSTZENSURERKLÄRUNG Im Frühjahr 2003 erklärten die Herausgeber der großen naturwissenschaftlichen Zeitschriften, dass sie Artikel mit sensiblen Informationen nicht mehr publizieren werden (Atlas et al. 2003a, 2003b). Dieser Erklärung ist ein eintägiger Workshop mit Wissenschaftlern und politischen Entscheidungsträgern vorangegangen, den die amerikanische National Academy of Sciences (NAS) gemeinsam mit dem Center for Strategic and International Studies (CSIS) veranstaltet hat und auf dem die Folgen des 11. September 2001 für die Rolle der Lebenswissenschaften diskutiert wurden. Leitend war die Frage, »whether current publication policies and practices in the life sciences could lead to the inadvertent disclosure of ›sensitive‹ information to those who might misuse it« (Cozzarelli 2003, S. 1463). Befürchtet wird also eine unachtsame Aufdeckung von sensiblen Informationen, die zu einer missbräuchlichen Verwendung dieses Wissens führen könnte. Bemerkenswert ist, dass von Beginn der expliziten Diskussion an die Frage nach dem Umgang mit Informationen und Wissen im Vordergrund steht. Dies ist deswegen bemerkenswert, weil die Restriktionsproblematik häufig mit einem einfachen Fehlgebrauch von infektiösen Agenzien gleichgesetzt wird. An dieser Stelle ist es nötig, zwei Begriffe einzuführen, die nicht einfach mit ihrer Bedeutungsextension ins Deutsche übertragen werden können: Biosafety und Biosecurity. Während der Begriff Biosafety als biologische Sicherheit vor allem die Laborsicherheit und den adäquaten Umgang mit infektiösen Krankheitserregern beschreibt, meint
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der Begriff Biosecurity die biologische Sicherheit im Sinne einer politischen Bedrohungsbewertung (Tucker 2007). Bei der Diskussion über die Selbstrestriktion von Publikationen geht es also um Biosecurity – um den prinzipiellen Status von wissenschaftlichen Informationen und die politischen Dimensionen, die dieses naturwissenschaftliche Wissen hat. Doch was sind sensible Informationen? Um dieser Frage nachzugehen, werden drei Artikel etwas ausführlicher besprochen, die im Rahmen des NAS/CSIS-Workshops diskutiert wurden. Sensible Informationen Innerhalb des Workshops wurden drei publizierte Artikel mit sensiblen Informationen diskutiert, die hier detaillierter beschrieben werden sollen. In dem ersten Artikel, »Chemical Synthesis of Poliovirus cDNA: Generation of Infectious Virus in the Absence of Natural Template« (Cello/Paul/Wimmer 2002), wird eine enorme Entwicklung beschrieben: Den Autoren ist es gelungen, ein infektiöses Virus – das Poliovirus, der Erreger der Kinderlähmung – in vitro zu synthetisieren. Dabei haben sie im Handel käufliche Genbausteine (Oligonukleotide) nach dem genetischen Bauplan des Poliovirus zusammengesetzt. Damit haben sie ein infektiöses Virus künstlich im Labor ohne Zuhilfenahme von Mikroorganismen geschaffen. Sensibel ist hieran, dass es allein auf der Datengrundlage des Genoms gelungen ist, mit gebräuchlichen – nicht restringierbaren – Aminosäuren ein infektiöses Virus zu erschaffen (»Lego-Prinzip«). In dem zweiten Artikel, »Expression of Mouse Interleukin-4 by a Recombinant Ectromelia Virus Suppresses Cytolytic Lymphocyte Responses and Overcomes Genetic Resistance to Mousepox« (Jacksonet al. 2001), haben die Autoren gezeigt, wie durch eine geringfügige Änderung des Mäusepockenvirus die Pathogenität des Erregers so erhöht wurde, dass selbst immune Tiere verstarben. Sensibel ist hier das Wissen um eine Modifikation des Virusgenoms, das zur Erhöhung der Pathogenität genutzt wurde und erfolgreiche Immunisierungen wirkungslos macht. Der dritte Artikel, »Variola virus immune evasion design: Expression of a highly efficient inhibitor of human complement« (Rosengard et al. 2002), beschreibt wie die humane Immunabwehr durch Veränderungen des Virusgenoms geschwächt wird.
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Alle drei Artikel stellen zunächst eine doppelte Verwendung dar: Sie dienen einerseits dem Erkenntnisfortschritt in den Wissenschaften, der über das Grundlagenverständnis hinaus mögliche Verbesserungen der medizinischen Behandlung in Aussicht stellt; andererseits könnten sie ein Missbrauchspotenzial für terroristische Zwecke darstellen. Alle Informationen referieren auf einen Bereich des intangible. Sie berühren alle den Bereich eines Nichtmaterialen: Sie besprechen nicht, was man braucht, sondern wie man Modifikationen am Vorhandenen vornimmt, die die Eigenschaften gravierend ändern: • •
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Aus einer losen Folge von Oligonukleotiden wird ein infektiöses Virus, durch eine Veränderung der Aminosäureketten wird aus einem mäßig pathogenen ein hochpathogenes Virus, das damit die bisherige Immunisierungsstrategie unterläuft, und durch eine Veränderung an der Proteinstruktur wird das humane Immunsystem überlistet.
Sensible Informationen haben also folgende Eigenschaften: •
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Sie stellen eine doppelte Verwendungsmöglichkeit dar: Sie sind Erkenntnisfortschritt für die Lebenswissenschaften einerseits, und sie haben Missbrauchspotenzial für terroristische Zwecke andererseits. Sie bieten eine materialunabhängige, intangible Verwendung an: es geht um ein Wissen, das nicht in der gleichen Weise kontrolliert werden kann wie z.B. Material (z.B. infektiöse Agenzien).
Dabei werden drei Strategien genannt, Krankheitserreger herzustellen und die Gefährlichkeit von Krankheitserregern zu modifizieren: • • •
Es wird gezeigt, wie man infektiöse Viren künstlich herstellen kann, sie gentechnisch in ihrer Pathogenität verändert und die Immunabwehr des Menschen leichter überwinden kann.
Zu der Zeit, in der diese Artikel publiziert wurden, gab es noch kein etabliertes Begutachtungsverfahren, das sensitive Informationen und einen möglichen Missbrauch aufzeigen konnte. Dennoch wurde innerhalb des wissenschaftlichen Begutachtungsprozesses auf die Sensibilität der Daten
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hingewiesen (Cozzarelli 2003). Obwohl die Autoren, die Gutachter und die Herausgeber die Brisanz dieser Forschungen herausstellten und damit eine große Verantwortung bewiesen haben, sollten formale Kriterien von den Herausgebern und den Wissenschaftlern erarbeitet werden, die ein Monitoring von Artikeln mit sensiblen Informationen ermöglichen. »Although the peer review process worked well on its own […] I felt that an articulated and uniform practice should be established.« (Ebd.) Informelles Beobachten Die Suche nach Kriterien zur Identifizierung und Beobachtung von relevanten Artikeln ist schwierig. Innerhalb des NAS/CSIS-Workshops wurden zwei wenig vielversprechende Möglichkeiten diskutiert: Als erste Näherung wurde vorgeschlagen, Artikel zu sichten, die über Agenzien der CDC-Kategorie A1, wie z.B. Bacillus anthracis oder Botulinumtoxin, berichten. Dieses Verfahren erwies sich als wenig effizient. Innerhalb von zwei Monaten wurden 20 Artikel gekennzeichnet, die diesem Kriterium entsprachen – was ein Prozent der eingereichten Publikationen ausmacht. In keiner dieser Publikationen kam zu es zu Beanstandungen (Cozzarelli 2003). Als weiteres Kriterium wurde der Cookbook-Aspekt erwähnt. Unter Cookbook versteht man eine Art Rezeptbuch, in dem in einfachen Arbeitsschritten beschrieben wird, wie mit öffentlich zugänglichem Material biologische Waffen hergestellt werden können. Diese Cookbook-Artikel seien allerdings – so der Tenor des Workshopgremiums – aufgrund der Einfachheit kaum relevant für Zeitschriften, die in einem Peer-Review-Verfahren die wissenschaftliche Aktualität und Relevanz prüfen (Cozzarelli 2003). Die Kriterien zur Sichtung von Artikeln mit sensiblen Informationen seien schwer zu fassen, so der Tenor des Workshops; als vorläufige Orientierung wird von dem Workshopgremium vorgeschlagen, das Kriterium ›wissenschaftliche Neuheit‹ mit einem möglichen Missbrauchspotenzial abzuwägen. Dazu geben sie ein hypothetisches Beispiel, mit dem eine künf-
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Die Klassifikation der amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) teilt Pathogene nach dem Ausmaß ihrer medizinischen und sozialen Bedeutung in drei Kategorien ein. Die Kategorie A enthält die bedrohlichsten Krankheitserreger. S. ausführlicher dazu Kapitel 2.
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tige Vorgehensweise die eingereichten Artikel erfassen soll: So soll ein Artikel von der Publikation zurückgestellt werden, der zeigt, wie man z.B. Bacillus anthracis gegen das Antibiotikum Ciprofloxacin resistent machen kann. Mit dieser Publikation sei keine wissenschaftliche Neuheit erreicht; man wisse seit Jahrzehnten, wie man Bakterien antibiotikaresistent mache. Die Missbrauchsmöglichkeiten würden den wissenschaftlichen Neuheitswert weit überwiegen. Die Bewertung sähe anders aus, würde ein Artikel die Entwicklung der Antibiotikaresistenz bei der Therapie von Anthrax beschreiben, weil in den USA Ciprofloxacin prophylaktisch eingesetzt werde und daher die Notwendigkeit der Effizienzbewertung gegeben sei. Der Neuheitswert dieser Veröffentlichung sei höher als ihr Missbrauchspotenzial (Cozzarelli 2003). Das Workshopgremium schließt daher mit der Feststellung, dass das Erstellen der Kriterien sehr schwierig sei und es das Ziel sei, den Dialog zwischen Wissenschaften und den nationalen Sicherheitsbehörden zu initiieren. »We must all recognize that protecting our world against both intentional acts of bioterrorism and the scourge of infectious diseases will depend on the effective communication of the science that we need for our common defence.« (Ebd.) Bewertung der Kriteriensuche Die Kriteriensuche gestaltet sich sehr schwierig, weil ganz verschiedene Kriterien miteinander verglichen und ein Konsens gefunden werden muss. Interessant ist der Vorschlag, die Kriterien ›wissenschaftliche Neuheit‹ und ›Missbrauchspotenzial‹ zu balancieren. Hier wird in einem sehr frühen Stadium des Diskurses über die Sensibilität von biomedizinischen Forschungen deutlich, dass schon eine außerwissenschaftliche Sichtweise in die Bewertung von Wissenschaft einbezogen werden soll. Beobachtung Die Berücksichtigung von sozialen, kulturellen und politischen Deutungsmustern ist eine neue Dimension der Bewertung von Wissenschaft, die zwar etablierte Ethikkommissionen als Kontrollinstanzen akzeptiert, bisher aber keine politische Einflussnahme geduldet hat.
Die Suche nach geeigneten Kriterien wird in diesem Workshop vorerst mit dem Blick auf die Ambiguität von Wissen und dem grundsätzlichen Dilemma im Umgang mit sensiblen Informationen abgeschlossen: Alle In-
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formationen, die einen möglichen Wert für Terroristen darstellen, stellen zugleich auch einen Wert für die Terrorbekämpfung dar (»Any work of value to terrorists will also be of value in countering terrorism«, ebd.). Damit wird ein bemerkenswerter Kurzschluss in die Diskussion gebracht: Hier wird deutlich, dass die Problematik der Grenzziehung nicht zwischen wissenschaftlicher Grundlagenforschung und einem möglichen Missbrauch artikuliert wird; auch geht es nicht um den medizinischen Fortschritt und die Freiheit der Forschung: Hier geht es allein um eine wirksame Terrorbekämpfung. Die Frage, die in diesem Workshop also implizit gestellt wurde, lautet: Frage Inwieweit kann es sich eine Gesellschaft erlauben, Publikationen zurückzuhalten und damit ›den Terroristen‹ weniger Ideen und Möglichkeiten zu geben, während der gleichen Gesellschaft mit den Restriktionen auch eine wissenschaftliche Bewertungsbasis und damit die Möglichkeit wissenschaftlicher Defensivmaßnahmen verloren gehen kann?
Vorläufige Richtlinien Im Anschluss an diesen eintägigen Workshop und dessen erfolglose Versuche, eindeutige Kriterien zur Identifizierung und Begutachtung wissenschaftlicher Publikationen zu finden, haben sich die Herausgeber der großen naturwissenschaftlichen Zeitschriften und eine Autorengruppe das Ziel gesetzt, eine vorläufige Richtlinie zur Sichtung und Bewertung von Artikeln mit sensiblen Informationen zu erarbeiten. Einig sind sich die Herausgeber und Autoren, dass Gesundheit bzw. das öffentliche Gesundheitswesen und die innere Sicherheit so weit zusammengerückt sind, dass ein verändertes Vorgehen der wissenschaftlichen Begutachtung gerechtfertigt sei. »The events of September 11 brought a new understanding of the urgency of dealing with terrorism. And the subsequent harmful use of infectious agents brought a new set of issues to the life sciences.« (Atlas et al. 2003b, S. 771) An dieser Stelle wird die grundsätzliche Verbindung zwischen politischem Terrorismus, infektiösen Agenzien und der Notwendigkeit einer Reflexion in den Naturwissenschaften hergestellt. Terrorismus – also der politische Kontext – sowie der in diesem Zusammenhang mögliche Missbrauch von infektiösen Krankheitserregern erfordere eine Neujustierung der Wissenschaftspraxis. Dabei gehe es bei einem modifizierten Umgang nicht
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senschaftspraxis. Dabei gehe es bei einem modifizierten Umgang nicht nur um biologische Agenzien (Viren, Bakterien und Toxine), sondern auch um wissenschaftliches Wissen und die anschließende Frage nach einem verantwortlichen Umgang mit den neuen Informationen, die in den naturwissenschaftlichen Zeitschriften publiziert werden. Problem Die uneingeschränkte Publikation von wissenschaftlichen Artikeln ist gesellschaftlich zu riskant geworden. Das Autoren- und Herausgeberkollektiv hat daher eine Richtlinie vorgeschlagen, mit der wissenschaftliche Artikel im Rahmen der Begutachtung zur Publikation beurteilt werden könnten. Diese Richtlinie enthält vier Punkte: •
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Es ist für die wissenschaftliche Qualität unabdingbar, dass Forschungsereignisse so präzise publiziert werden, dass sie von anderen Wissenschaftlern überprüft werden können. Es wird zu einem verantwortungsvollen Umgang mit den eingereichten Artikeln geraten, die die Fragen der biologischen Sicherheit (Biosafety und Biosecurity) berühren. Die eingereichten Artikel seien wichtig, um mögliche Risiken zu identifizieren und die biologische Sicherheit (Biosecurity) zu stärken. Wissenschaftlern und den wissenschaftlichen Zeitschriften wird geraten, ein Reviewsystem aufzubauen, das mit sicherheitsrelevanten Publikationen umgehen kann. Die Herausgeber werden angehalten, Artikel mit sensiblen Informationen, deren möglicher Missbrauch höher ist als der gesellschaftliche Nutzen, zu verändern oder diese Informationen nicht zu publizieren. Ebenso wird Wissenschaftlern und Journalisten auch für die Teilnahme an Seminaren und Tagungen nahegelegt, sensible Informationen so zu kommunizieren, dass der gesellschaftliche Nutzen einen möglichen Missbrauch überwiege (ebd.).
Diese Richtlinie ist ebenso wie die Workshopdiskussion sehr ungenau und unsicher darüber, wie sie die Verbreitung eines möglicherweise missbräuchlich zu verwendenden Wissens einschränken soll. Einig sind sich beide Gruppen (Autoren und Herausgeber), dass Wissenschaften so präzise
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publiziert werden sollten, dass eine wissenschaftsimmanente Bewertung ermöglicht wird. Ebenso befürworten beide, dass ein wissenschaftliches Peer-Review-Verfahren zwei Aufgaben haben sollte: zum einen die Bewertung der wissenschaftlichen Qualität; zum anderen eine Frühwarnfunktion bei der Identifizierung von sensiblen Publikationen. Die Autoren- und Herausgeberrichtlinie sieht vor, Publikationen, die im Reviewverfahren als sensibel eingestuft wurden, nicht ohne Veränderung zu publizieren bzw. überhaupt nicht zu publizieren. Sie appelliert schon vorab an Wissenschaftler und Journalisten beim Verfassen der Artikel, dieses Vorgehen zu berücksichtigen. Damit spricht sich die wissenschaftliche Gemeinschaft, repräsentiert durch das Autoren- und Herausgeberkollektiv, für eine Selbstrestriktion aus. Wie erfolglos und mühsam diese Sensibilisierung internationaler Journale allerdings ist, zeigt eine aktuelle Studie, die in einer Umfrage herausgefunden hat, dass von 24 international renommierten naturwissenschaftlichen Zeitschriften nur fünf eine Biosecurity policy haben (van Aken/Hunger 2009). Reaktionen der Fachwelt Die direkten Reaktionen der Fachwelt waren ambivalent bis ablehnend. Natürlich spricht sich niemand dafür aus, eine Anleitung für den Bau von biologischen Waffen zu publizieren (Kellman 2003, Rath/Jank/Doblhoff-Dier 2004). Doch sind Eingriffe in den Wissenschaftsbetrieb, auch wenn sie immanent sind, also von der wissenschaftlichen Gemeinschaft selbst vorgenommen werden, massive Eingriffe in gesellschaftliche Systeme, die einer besonderen Rechtfertigung bedürfen (Hirschberg/La/Fauci 2004, Tucker 2006, Wilder 2006). Die Restriktion von Publikationen wird als unterkomplex, als nicht angemessene Reaktion auf eine komplexe Problematik gesehen. Die Kritik der Fachwelt richtete sich daher sowohl auf den Vorgang als auch auf die Annahmen, die diesem Vorgehen zugrunde liegen. Es herrscht in der wissenschaftlichen Gemeinschaft Einigkeit darüber, dass dem Vorgang, Ergebnisse zurückzuhalten, die den Bau biologischer Waffen vereinfachen, prinzipiell zuzustimmen ist. Allerdings ist man uneins darüber, was das für ein Wissen ist, das den Bau biologischer Waffen vereinfacht oder biologische Waffen erst möglich macht (Hirschberg/La/Fauci 2004, Marshall 2004, Yadav/Blaine 2004). Naturwissenschaften sind nicht einfach, sondern in gewissem Sinne ambivalent. Kritisiert wird daher, dass
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die Herausgeber es nicht schaffen, den Gegenstandsbereich zu benennen. So beklagt exemplarisch Falkow, »my quarel is not that the editors have agreed that a course of action was necessary, but rather what they failed to say or do on the subject« (Falkow 2003, S. 738). Er kritisiert weiterhin, dass die Herausgeber auf die genauere Beschreibung von sensiblen Informationen verzichten, und fordert eindeutige Richtlinien. Er rekurriert auf die Konferenz von Asilomar 1975, bei der die damals neue biotechnologische Forschung reglementiert wurde (Berg et al. 1975). Auf der Konferenz in Asilomar wurden für den Umgang mit rekombinanter DNA Richtlinien erstellt, die einen wichtigen Akzent für den gesellschaftlichen Umgang mit wissenschaftlichem Fortschritt und die verantwortungsethische Limitation von Wissenschaft darstellen (Barinaga 2000, Capron/Schapiro 2001, Coulter 2000; Weinberg 1975) – allerdings stand die Wissenschaft 1975 vor einem eindeutigen Wissensgebiet (Berg 2008). Auch die Naivität der Annahme, dass in einer nicht publizierten Forschungsleistung das Wissen, das darin enthalten ist und möglicherweise missbräuchlich verwendet werden könnte, sozusagen aus der Welt sei, wird von der Fachwelt ebenso kritisiert (exemplarisch Petro/Relman 2003) wie die Naivität der Konsequenzen von zurückgehaltenen Forschungsergebnissen. Im Nachgang der Konferenz der NAS und der Selbstrestriktionserklärung wurde ein Komitee von Wissenschaftlern, Politikern und Sicherheitsexperten einberufen, die in einem ausführlichen Bericht der Frage nach der Brisanz von biotechnologischen Entwicklungen und der schwierigen Balance von Transparenz und Restriktion nachgehen sollten. Dieser Bericht mit dem Titel »Biotechnology Research in an Age of Terrorism«, nach dem Hauptautor auch Fink report genannt, erschien im Oktober 2003. In diesem Report wird ein advisory board, ein Beratungsgremium, vorgeschlagen, das einzelfallspezifisch zu den Fragen zur biologischen Sicherheit und der offenen Publikationen Stellung nehmen soll. Dieses National Science Advisory Board for Biosecurity (NSABB) wurde im März 2004 vom USamerikanischen Gesundheitsministerium benannt; sein erstes Zusammentreffen hatte es allerdings erst am 30. Juni 2005, und es brauchte noch einige Zeit, bis das NSABB voll arbeitsfähig war (dazu mehr in Kap. 2). Der Workshop und die Selbstrestriktionserklärung des Autoren- und Herausgeberkollektivs kommen nur zu recht unbefriedigenden Positionen. Während der Workshop vor der ambivalenten Komplexität der Problematik
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zu resignieren scheint, findet das Autoren- und Herausgeberkollektiv in der Selbstrestriktion eine Antwort. Es erscheint wichtig, an dieser Problematik und den unbefriedigenden Antworten zunächst die Narrative zu erläutern und die Annahmen sichtbar zu machen, die diesen Antworten zugrunde liegen. Daher werden die Annahmen und ihre Konsequenzen in den nächsten Seiten ausführlicher dargestellt und diskutiert. Diskussion Während in dem ersten Teil des Kapitels die Problematik der Restriktion von wissenschaftlichen Artikeln mit sensiblen Informationen und die Publikationsrichtlinie kurz vorgestellt und die Frage nach sensiblen Informationen beantwortet wurde, wird auf den nächsten Seiten untersucht, wie die Restriktionen eingeführt und begründet werden. In einem nächsten Schritt sollen die Maßnahmen anhand ihrer Effektivität und Effizienz in Bezug auf eine sichere Gesellschaft einerseits und das Funktionieren des Wissenschaftsbetriebes andererseits bewertet werden. Einführung und Begründung der Maßnahmen Die Restriktionsbemühungen im Wissenschaftsbetrieb werden über drei Argumente eingeführt: Wissenschaft und innere Sicherheit sind zusammengerückt Zunächst werden die Maßnahmen der Restriktion eingeleitet mit einem wissenschaftlich und gesellschaftspolitisch signifikanten Zusammenschluss: Die Lebenswissenschaften, wie z.B. die Molekularbiologie, die molekulare Medizin und andere sind näher an die Fragestellungen zur inneren Sicherheit gerückt. Durch politische Konstellationen, die sich als Bedrohung durch Bioterrorismus zeigen, wird ein Missbrauch von wissenschaftlichem Wissen befürchtet (Malakoff 2004). Daher bemüht sich der Wissenschaftsbetrieb selbst um Maßnahmen, diesem befürchteten Missbrauch von Wissen vorzubeugen (Cook-Deegan et al. 2005, Jones 2003). Diese Restriktionsmaßnahmen sind Selbstrestriktionen des Wissenschaftsbetriebes.
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Betonung des Wissensaspekts Interessanterweise wird die Selbstrestriktion des Wissenschaftsbetriebes sehr früh auf der Ebene des Wissens und der Information angesiedelt. Bei der Einführung der Restriktionen wird nicht so sehr der Umgang mit z.B. infektiösen Agenzien – wie das die Anthraxbriefe in den USA 2001 nahelegen könnten – thematisiert, sondern vielmehr das Bedrohungspotenzial, das im publizierten Wissen vermutet wird. Damit wird sehr präzise Bezug genommen auf die Besonderheit der Lebenswissenschaften: dass zu dem materialen Aspekt – infektiöser Krankheitserreger – maßgeblich der Wissensaspekt – die Basenfolge, die die Reihenfolge der Oligonukleotide zu einem infektiösen Virus werden lässt – kommt. Kriterien Die Restriktionsbemühungen richten sich daher auch gezielt auf die Publikation von Forschungen und nicht auf die Forschungen selber. Das ist brisant, aber in gewissem Sinne kohärent. Wenn der Wissensaspekt und die Informationsbasiertheit dieser Wissenschaften herausgestellt und deren Missbrauch befürchtet wird, scheint die erste Reaktion nahezuliegen, die eine Distribution des Wissens verhindern will. Bei den Kriterien des Ein- und Ausschlusses gibt es erhebliche Schwierigkeiten. Diese Schwierigkeiten beruhen vor allem darauf, dass die Kriterien der Ausgrenzung nicht aus den wissenschaftlichen Kriterien selber, sondern aufgrund von politischen Konstellationen gewonnen werden. Wie oben dargestellt wird bei der Einführung der Restriktionsmaßnahmen versucht, die Balance zwischen dem Neuheitswert von Publikationen und dem Missbrauchspotenzial, das in diesen Publikationen vermutet wird, zu finden. Dabei ist die Beurteilung auch deswegen so schwierig, weil zwei Kriterien miteinander verrechnet werden, die an sich recht wenig miteinander zu tun haben. Während das Kriterium ›wissenschaftliche Neuheit‹ ein wissenschaftsimmanentes Kriterium ist, beruht das Kriterium eines Missbrauchspotenzials auch auf den politischen Konstellation einer Gesellschaft, in der diese Wissenschaften stattfinden. These Befürchtet wird nicht eine Gefährdung durch den wissenschaftlichen Erkenntnisgehalt selber, sondern durch eine missbräuchliche Verwendung. Hier geht die Forschung nicht verantwortungsethisch zu weit,
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sondern diffundiert in nicht kontrollierbare Kontexte. Befürchtet werden keine Nachteile, die aus den Forschungen für die intendierten Zwecke resultieren, sondern aus einem vermuteten Missbrauchspotenzial durch andere und einer missbräuchlichen Anwendung.
Dieses Argument formuliert sich aus einer sozialen, gesellschaftlichen und sicherheitspolitischen Dynamik; aus einem politischen Prozess der gesellschaftlichen Verteilung von Informationen, bei der die Generierung von Wissen abgelöst von den Informationen über sie ist. Nicht die Forschungen selber werden zensiert, sondern ihre Ergebnisse werden parteilich gehandhabt. Die Nutzen-Schaden-Analyse von Wissenschaften wird daher auch explizit an dem Dilemma des Terrors festgemacht: Ein sensibles wissenschaftliches Wissen habe einerseits ein bioterroristisches Missbrauchspotenzial, zugleich böte aber eben jenes Wissen auch die Möglichkeit, Erkenntnisse für die Terrorbekämpfung zu liefern. Relevant sind nicht die Forschungen selber, sondern die Zugänglichkeit des Wissens, auf das sie referieren. Bewertung der Effizienz und Effektivität Dem selbstrestriktiven Eingriff in den Wissenschaftsbetrieb liegen zwei Annahmen zugrunde, die hier etwas ausführlicher dargestellt werden sollen: 1. Annahme: Wissen wird maßgeblich über die medialen Formate der Fachpublikation kommuniziert. 2. Annahme: Restriktionen von Publikationen behindern nicht wesentlich den Fortschritt der Wissenschaften und die Forschung. Annahme 1: Wissen über mediale Formate In einer ersten Annahme wird davon ausgegangen, dass die Restriktion von Publikationen wirksam sei, weil Wissen maßgeblich über mediale Formate zugänglich gemacht werde. Dieser Annahme wird in der Fachwelt direkt
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widersprochen. So betonen beispielsweise Petro und Relman (Petro/Relman 2003), dass Wissen nicht nur in wissenschaftlichen Publikationen, sondern auch in Symposien, Tagungen, Laborbesuchen etc. transportiert würde: »When specific information was not available in print, al-Qaida scientists apparently took advantage of symposia where they could obtain tips and techniques directly from unsuspecting researchers.« (Ebd. 2003, S. 1898) Dass die Bedrohung bzw. das Missbrauchspotenzial in diesem Zitat von definierten Personengruppen ausgeht, vereinfacht das Problem – und schafft neue (s. dazu Kap. 3). Gegenargumente zur Annahme 1 Soziale Mikrostrukturen einer wissenschaftlichen Publikation Innerhalb von globalen wissenschaftlichen Gemeinschaften wird Wissen nicht ausschließlich über die Fachpublikation kommuniziert. Viel eher stellt die Publikation die Zuordnung von Forschungsleistung zur Forscherperson/Forschungsinstitution her und sichert damit den sozialen Rang im Wissenschaftsbetrieb. Die Publikation in renommierten Journalen, wie Nature oder Science, die die Selbstzensur von Artikeln mit sensitiven Inhalten vorangetrieben hatten, haben im Wissenschaftsbetrieb auch die Aufgabe, das wissenschaftliche Renommee und den sozialen wissenschaftlichen Status von Wissenschaftlern zu ermöglichen und sicherzustellen. Wie Knorr Cetina in Epistemic Cultures herausgearbeitet hat, spielen diese sozialen Mechanismen von wissenschaftlichen Gemeinschaften in Fachjournalen eine Rolle (Knorr Cetina 2000). Eine Publikation in Nature adelt einen Wissenschaftler und sichert das Renommee – sowohl das des Journals als auch das des Wissenschaftlers. Die Einheit dieses Renommees findet sich in impact points oder im impact factor wieder, die auf der Grundlage der Selbstreferentialität, also der Maßgabe, wie oft eine Publikation von anderen Publikationen zitiert wird, bestimmt werden kann. Multimedialität von Informationen Informationen sind immer schneller als die Medien, die sie transportieren. Innerhalb von globalen wissenschaftlichen Gemeinschaften sind Kommunikationsstrukturen etabliert, die abseits von der Publikation in angesehenen Journalen, die Transparenz und den schnellen Austausch von wissen-
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schaftlichen Ergebnissen sicherstellen. Aus der Perspektive einer schnellen und multidirektionalen Kommunikation haben E-Mail und Internet längst eine maßgebliche Bedeutung erlangt. Darüber hinaus findet auf Fachtreffen und Konferenzen ein informeller Austausch von wissenschaftlichen Methoden und Resultaten statt, der gerade aufgrund seines informellen Charakters und der verbalen Dynamik seiner Äußerungen einen hohen kommunikativen Stellenwert hat. Die Mobilität von Wissenschaftlern, der Besuch von Konferenzen und der Austausch in gemeinsamen Tagungen und Forschungsaufenthalten ist ein weiteres wesentliches Moment des Wissenschaftsbetriebs. Dass auch diese Mobilität im Zuge der politischen Biosecurity erschwert wird, dass also nicht nur der Umgang mit Mikroben, sondern auch die Mobilität von Menschen restringiert wird, ist eine Beobachtung, die in Kapitel 3 erläutert wird. Neuheit von Wissen ist nicht gleich Relevanz von Wissen Für den Bereich der biologischen Sicherheit kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: Das ›gefährliche Wissen‹ ist nicht zwangsläufig das Neueste. So ermöglichen auch Archive des Wissens relevanten Zugriff. So sind beispielsweise die Tenazitätsstudien der 20er Jahre hochaufschlussreich für die heutige Gefährdungsbewertung von biologischen Waffen (Dickmann 2011a). Wissenschaftliche Fragestellungen unterliegen in gewisser Weise Moden. Das bedeutet zum Beispiel, dass die Frage, wie lange Bacillus anthracis in der natürlichen Umwelt überlebensfähig ist, in einer Zeit erforscht wurde, die vormolekular diesen Aspekt in den Blick nahm. Im molekularen Zeitalter interessieren dann der molekulare Aufbau, molekulare Wechselwirkungen etc. Erst mit der Präsenz einer akuten bioterroristischen Bedrohung wurde diese ›alte Frage‹ nach der Überlebensfähigkeit, der Tenazität, wieder in der wissenschaftlichen Fragestellung gespiegelt. Auch die Methoden zur Isolation, der Kultivierung, der Identifizierung und Produktion von Bakterien wurden in den Journalen der 50er und 60er Jahren beschrieben (Petro/Carus 2005) und bieten im aktuellen Kontext sensitive Informationen an. Daher ist die Restriktion von neuen Forschungen auch in dieser Hinsicht wenig effektiv. Das Wissen, das benötigt wird, um biomedizinische und biologische Erkenntnisse nachteilig anzuwenden, ist nicht nur aktuell, sondern speist sich auch aus älteren Fragestellungen.
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Resümee Die Annahme, dass mit der Restriktion von Publikationen die Diffusion von Wissen in Bereiche erschwert wird, in denen dieses Wissen missbräuchlich verwendet werden könnte, ist der Auffassung einer Wissenschaftskommunikation geschuldet, die aus einer Vorinformationsgesellschaft stammt und die der aktuellen wissenschaftlichen Gemeinschaft nicht mehr in dieser Weise entspricht.
Annahme 2: Restriktionen behindern nicht die Forschung In einer zweiten Annahme wird davon ausgegangen, dass die Restriktion von sensitivem Wissen den Wissenschaftsbetrieb nicht maßgeblich beeinträchtigt. Direkte Nachteile Dem widersprechen die empirischen Untersuchungen, die bisher zu dieser Problematik erhoben wurden. Sowohl van Aken als auch Smith arbeiten in ihren empirischen Studien heraus, dass sich die Restriktion von Publikationen sowie die Einschränkung des Umgangs mit Agenzien (select agents) und der Zugang von Personen zu Forschungseinrichtungen (restricted persons) nachteilig auf das schnelle und effiziente Funktionieren des Wissenschaftsbetriebs auswirken (van Aken/Johannsen/Kollek 2004, Smith 2004). Besonders nachteilig ist die restriktive Handhabung von Informationen gerade im Bereich der Bekämpfung von globalen Infektionskrankheiten. So wurde die Infektionskrankheit SARS, die 2003 den Globus überzog, nur deswegen so schnell und effizient bekämpft, weil die globale wissenschaftliche Gemeinschaft dezentral auf die entsprechenden Datenbanken zugreifen und ihr Wissen und ihre Arbeitsschritte vernetzen und teilen konnten (Gottschalk/Preiser 2005). Es wird sogar angenommen, dass erst die Zensur der Informationen über das Ausbruchsgeschehen in China 2003 zur Pandemie geführt hat. Indirekte Nachteile Hinzu kommen indirekte Effekte, die von den Naturwissenschaftlern beschrieben werden. Durch die Restriktion von Publikationen bzw. deren Androhung wird eine Umgewichtung der Forschungslandschaft vorgenom-
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men. Möglicherweise könnte das öffentliche Gesundheitswesen von den Forschungsinvestitionen in Bioterrorismus profitieren (Fitch 2005, Gostin 2005). Allerdings werden auch Themen, deren Publikation einen hohen Aufwand darstellt – und deren Arbeitsauflagen im Zuge der select agent rule (s.u.) enorm zugenommen haben –, nicht mehr bearbeitet. So berichten Gaudioso und Salerno, dass die Stanford Universität ihre Forschungen zu Tularämie aufgegeben habe (Gaudioso/Salerno 2004). Andererseits werden gerade zur Erforschung von sensitiven Wissensgebieten enorm hohe Summen zur Verfügung gestellt (McCarthy 2004, McSweegan 2004), die oft nicht der Dramatik ihrer medizinischen Auswirkung entsprechen (Fox 2004, Marris 2005). So kritisieren Wissenschaftler in einem offenen Brief, dass die Forschungsgebiete, die bioterroristisch relevant sind, eine Steigerung des Budgets von bis zu 1500 Prozent erfahren haben, während Bereiche des öffentlichen Gesundheitswesens mit starken Kürzungen umgehen mussten (Altman et al. 2005). Resümee Die Restriktion von Publikationen führt nicht zu den gewünschten Ergebnissen. Viel eher hat man mit direkten und indirekten Folgen in der Umgewichtung der Forschungslandschaft zu kämpfen.
Effekt: Asymmetrische Kommunikation Was macht eine Gesellschaft sicher? Was macht eine Wissenschaft sicher? Die Verhinderung einer Diffusion von Wissen in gesellschaftliche Bereiche, die einen Missbrauch dieses Wissens durch die Restriktion von Publikationen möglich macht, wurde in der Fachwelt als wenig effektiv und effizient beurteilt. Dramatischer als eine möglicherweise ineffiziente Restriktion, sind die Effekte, die als Begleiterscheinungen das gesellschaftliche Bild und das wissenschaftliche Arbeiten prägen. Die Restriktionsankündigung von Publikationen, die sensitives Wissen kommunizieren, wurde noch dadurch verstärkt, dass zugleich die Forschungsanstrengungen auf diesen sensitiven Gebieten aufgrund der gesellschaftspolitischen Lage, in der die Abwehr von Bioterrorismus hohe Priorität hat, enorm intensiviert wurden (McCarthy 2004, McSweegan 2004). Allein im Fiskaljahr 2003 wurde das Budget für die Forschungen in für Bioterrorismus relevanten Gebieten auf 5,9 Milliarden US-Dollar erhöht (Fauci
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2003). Die National Institutes of Health (NIH), die führende Regierungsinstitution im Bereich biomedizinischer Forschungen, hat in diesem Jahr allein 1,75 Milliarden US-Dollar bekommen, was das Achtfache des Vorjahresetats bedeutete. Darüber hinaus ist diese Förderung von für den Bioterrorismus relevanten Forschungsgebieten die Ressource mit dem größten Zuwachs in der Geschichte des NIH. Diese Intensivierung der Forschung wurde aus zwei Gründen kritisch diskutiert: Zum einen geht die Intensivierung der Forschung zu für Bioterrorismus relevanten Gebieten auf Kosten der Forschungen über wichtige Infektionskrankheiten wie AIDS, Malaria und Tuberkulose; hier wurden die Etats dramatisch reduziert (Jaax 2005). Zum anderen hat die plötzliche großzügige Förderung der für den Bioterrorismus relevanten Gebiete zu einer Umgewichtung der Forschungslandschaft geführt (Bhattacharjee 2006b, Smith 2003). So sieht das NIH selbst in seiner Forschungsstrategie drei wichtige Änderungen: •
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Erstens werden die Grundlagenforschungen zu Pathogenen, Mechanismen der Pathogenese, Mechanismen der Wirtsabwehr u.Ä. intensiviert (s.u.). Zweitens werde versucht, neben den Grundlagenforschungen stärker produktorientierte Forschungen zu fördern. Drittens werde man sich mit Biotechnologieunternehmen und pharmazeutischen Konzernen des privaten Forschungssektors zusammentun, um bioterroristisch relevante Produkte schnell marktgängig zu machen.
»Therefore, we can quickly make available effective vaccines and treatments against agents such as Anthrax, Botulinum toxin, Ebola and Plague.« (Fauci 2003) Aus Sicht der Restriktion von Publikationen lässt sich also zwischen der Intensivierung von sensitiven Forschungsbereichen einerseits und der Restriktion eben dieser Forschungsergebnisse andererseits ein starkes Gefälle beobachten. Aus der Relation »Publikation runter und Forschung rauf« resultiert eine asymmetrische Kommunikation in der öffentlichen Forschung, die aus zweierlei Gründen eine neue Bedrohung darstellt. Erstens wird dem wissenschaftlichen Prozess ein wesentlicher Bestandteil der Qualitätssicherung und ein wichtiges Regulativ entzogen. Wenn ein
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breites wissenschaftliches Review fehlt, kann nicht mit wissenschaftlicher Expertise auf ein Gefährdungspotenzial hingewiesen werden (Kahn 2004). Mit der Restriktion von Publikationen nimmt man der wissenschaftlichen Gemeinschaft die Möglichkeit einer Risikobewertung und einer Diskussion über Bedingungen und Möglichkeiten der Prävention und der Entschärfung von möglichen Gefahren. Mit der Restriktion der Forschungsergebnisse erreicht man daher keine ›sichere‹ Wissenschaft, sondern – im Gegenteil – unsichere, von der fachkundigen Bewertung durch die Wissenschaftler ausgeschlossene Forschung, die aufgrund der fehlenden allgemeinen wissenschaftlichen Bewertung erst eine Gefahr darstellen kann. Zweitens wird mit der Intensivierung der Forschung eben jenes sensible Wissen generiert, dessen Missbrauch man fürchtet; zudem in Allianz mit dem militärischen, dem öffentlichen und dem privaten Forschungssektor (Campbell 2006, Steinbrook 2005). Kombiniert mit der fehlenden wissenschaftlichen und wissenschaftsöffentlichen Bewertung werden asymmetrische Wissens- und Kommunikationsstrukturen im öffentlichen Forschungssektor etabliert. Mit diesen zum Teil kleinen Veränderungen ändert sich aber das Gesamtbild. Hier wird ein Moment sichtbar, das gravierend das wissenschaftliche Gefüge bestimmt: Resümee Zu beobachten ist eine filigrane Militarisierung des öffentlichen Forschungssektors durch eine asymmetrische Kommunikation verbunden mit einer Umgewichtung von Forschungsgegenständen und - zielen.
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2 R ESTRIKTIONSFALL : B OTULINUMTOXIN F RISCHMILCH
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Trotz der hohen Aufmerksamkeit, die die Restriktionsmaßnahmen in der Fachwelt erfahren haben, ist es weder zu einer ausführlichen Diskussion noch zu konkreten Maßnahmen, also tatsächlichen Restriktionen von Publikationen gekommen. Die erste Publikation, die nach der erklärten Selbstzensur von der Publikation zunächst zurückgehalten wurde, ist die Publikation »Analyzing a bioterror attack on the food supply: The case of botulinum toxin in milk« von Lawrence Wein and Yifan Liu von der Stanford Universität, die am 12. Juli 2005 in Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erschienen ist (Wein/Liu 2005). Beschreibung des Restriktionsverlaufes Das Manuskript wurde am 16. November 2004 bei der Zeitschrift zur Begutachtung eingereicht und hat zu Bedenken bei den Gutachtern und im wissenschaftlichen Umfeld geführt. Am 20. April 2005 wurde die Publikation jedoch nach ausführlichen Diskussionen bei der Zeitschrift angenommen (approved) und eine Vorab-online-Publikation zum 30. Mai 2005 angestrebt. Redakteuren und Reportern allerdings, die diese Version unter Sperrauflagen vorab zugeschickt bekommen hatten, haben beim Public Health Emergency Preparedness des amerikanischen Gesundheitsministeriums Beschwerde gegen die offene Publikation dieses Artikels eingelegt. Aufgrund dieser Bedenken hat das Gesundheitsministerium die Sperrfrist des Artikels verlängert. Zwischenzeitlich, am 30. Mai 2005, hat die New York Times eine gekürzte Version des Botulinumartikels publiziert. Am 7. Juni 2005 haben Vertreter der NAS und der Zeitschrift PNAS beschlossen, den Artikel von Wein und Liu zu publizieren; gemeinsam mit einer editorischen Erklärung. Dieser Publikationsablauf bildet ein prägnantes Fallbeispiel, in dem die schwierige Balance zwischen wissenschaftlich offenem Publizieren und möglichen Gefährdungen, zwischen offenen und klassifizierten Forschungsergebnissen ebenso sichtbar wird wie die schwierige Arbeit von Gutachterkommissionen auf der Suche nach Kriterien.
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Gegenstand des Artikels – die Fakten Der Artikel von Wein und Liu (ebd.) stellt eine mathematische Berechnung für die Ausbringung von Botulinumtoxin über die Distribution von Frischmilch dar. In dem mathematischen Modell wird die Annahme verfolgt, dass ein Gramm bzw. zehn Gramm Botulinumtoxin in die Produktionskette von Frischmilch eingebracht wird. Berechnet wird, wie viele Vergiftete nach den so weit bekannten bzw. hypothetisch angenommenen Parametern wie z.B. der Dosis-Wirkungs-Beziehung (dose-response), der letalen Dosis (LD50; s. a. Kap. 3) und der Inaktivierung des Toxins durch die Pasteurisierung resultieren würden. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass bei einem Gramm eingebrachtem Botulinumtoxin in die Frischmilchdistribution 100.000 Vergiftete und bei zehn Gramm eingebrachtem Botulinumtoxin 568.000 Vergiftete erwartet werden könnten, von denen per definitionem die Hälfte verstürbe. Wein und Liu unterstreichen mit diesen Berechnungen die Bedeutung der Protektion und der Überwachung der Lebensmittelkette, die für die Ausbringung von biologischen Waffen Angriffspunkte bilden könnten. Begründung der Restriktion Der Hauptvorwurf richtete sich gegen diesen Artikel, weil er möglicherweise eine roadmap (Alberts 2005, Leitenberg/Smith 2005) darstellen könnte. Anhand der gemachten Angaben zur Toxinmenge, zum Verfahren der Frischmilchproduktion und durch die hypothetischen Angaben zu Opferzahlen seien diese Überlegungen nahe an einem terroristischen Szenario und würden möglicherweise diesen bioterroristischen Anschlag motivieren. Kritische Prüfung der Restriktionsmaßnahme Botulinumtoxin ist ein Stoffwechselprodukt des Bakteriums Clostridium botulinum, ein grampositives, stäbchenförmiges, sporenbildendes Bakterium, das ubiquitär, d.h. überall im Boden nachgewiesen werden kann und unter bestimmten Umweltbedingungen Toxine bildet. Dieses Botulinumtoxin gehört zu den stärksten bekannten Giften mit einer geschätzten LD50 von 0,001 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht bei intravenöser, subkutaner oder intraperitonealer Aufnahme. Bei einer aerogenen Verbreitung, also einer Aufnahme über die Lunge, wird die LD50 auf 0,003 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht geschätzt (Russmann 2003). Bo-
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tulinumtoxin führt zu Lähmungen, die zunächst als Seh- und Schluckstörungen auftreten können, die dann die gesamte Muskulatur betreffen und durch die Atemlähmung zum Tod führen kann (ebd.). Botulinumtoxin wird als Therapie bei unkontrollierten Muskelkontraktionen, aber auch in der kosmetischen Chirurgie (»Botox-Stirn«) eingesetzt. Außerdem gehört es zu den Agenzien, denen eine bioterroristische Verwendung zugeordnet wird, und es ist daher in der CDC-Liste als Kategorie-A-Gift (s. Kap. 2) geführt. Die Dosis-Wirkungs-Beziehung ist eine hypothetische Angabe, die in der Forschungspraxis bisher nicht nachvollzogen werden konnte. Einige Hinweise geben in neuerer Zeit Dosierungen und Überdosierungen in der kosmetischen Chirurgie – so wurden 2006 erstmals vier Fälle von iatrogenen Botulismusintoxikationen (Chertow et al. 2006), also einer Vergiftung durch medizinische Behandlung, berichtet. Es ist zu erwarten, dass durch den vermehrten therapeutischen und kosmetischen Gebrauch von Botulinumtoxin in Zukunft genauere Daten erhoben werden können. Die Angaben zur LD50 sind Schätzwerte, die aus Mäuseexperimenten gewonnen und die auf den Menschen übertragen wurden. Diese Angaben sind in der Fachliteratur seit 1951 zugänglich (z.B. Meyer/Eddie 1951) – ebenso wie über eine einfache Recherche im Internet. Auch sind die Angaben zur Pasteurisierung von Milch (75° C für 25-30 Sekunden) in Lexika nachzuschlagen. These Das Neue bzw. Sensible an diesem Artikel sind nicht die einzelnen Angaben zur Pasteurisierung oder zur LD50 u.Ä., sondern vielmehr die Kombination daraus, also das gesamte Szenario.
So ist ein besonders interessanter Punkt bei der Berechnung einer Botulinumdistribution über die Frischmilch, dass das Medium Milch erstmals als Ausbringungsvehikel diskutiert wurde. Botulinumtoxin ist in der natürlichen Umwelt nicht lange stabil. In der Literatur wird eine Abnahme der Aktivität von ein bis vier Prozent pro Stunde diskutiert. Milch bietet allerdings durch den leicht saueren pH-Wert und die proteinreiche Umgebung bessere Bedingungen für das Toxin. Die Pasteurisierung inaktiviert das Toxin nur unvollständig. Botulinumtoxin wird bei 80° C in 30 Minuten und bei 100° C innerhalb weniger Minuten inaktiviert (Dickmann 2011a). Die Pasteurisierung, die nur für 25-30 Sekunden die Milch auf 75° C erhitzt
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(zumindest in Deutschland gemäß Milchverordnung), kann das Toxin nicht komplett inaktivieren. Genauere Daten dazu sind in der Fachliteratur allerdings nicht zugänglich. Hinzu kommt, dass Milch schnell produziert wird, nicht lange gelagert und frisch konsumiert wird. Innerhalb der Inkubationszeit könnte es also zu einer hohen Anzahl von Vergiftungen kommen. Stellungnahme der PNAS-Herausgeber Das Herausgebergremium von PNAS hat gemeinsam mit Vertretern des Gesundheitsministeriums und der Regierung Aspekte herausgehoben, die möglicherweise ein sensibles Wissen darstellen. So nennt Alberts (2005), dass die humane LD50, die Größe von Pasteurisierungstanks und der durchschnittliche Milchverbrauch bioterrorismusrelevantes Wissen darstellen; zugleich betont er, dass dieses Wissen über das Internet leicht verfügbar sei. Als kritische Variable wird die Inaktivierungsrate der Pasteurisierung angesehen; hier habe man allerdings in der Zeit nach den Anthraxbriefen und der zugenommenen Bedrohung durch biologische Waffen einige Arbeit investiert, um diese Ausbringungsmöglichkeit zu erschweren. Insgesamt befürworten die Herausgeber die Publikation des Artikels von Wein und Liu mit folgenden Argumenten: Grundsätzlich seien bioterrorismusrelevante Analysen innerhalb der offenen wissenschaftlichen Literatur wichtig, um die Sicherheit der Gesellschaft zu gewährleisten: In den Reaktionen der wissenschaftlichen Fachwelt seien wichtige Anhaltspunkte für eine bessere Verteidigung der Sicherheit enthalten. Insbesondere die Kreativität und die Lösungsansätze aus unvorhergesehenen Wissensgebieten seien ein guter Beitrag zu einer Diskussion über die Sicherheit und über Abwehrmaßnahmen (ebd.). Außerdem sei es wichtig, in der Fachwelt, in den Regierungskreisen und in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die tatsächlichen Gefahren zu entwickeln. So habe die Publikation von Wein und Liu dazu geführt, dass die Produktionswege der Milchdistribution optimiert worden seien (ebd.). Die Wissenschaft liefere dazu eine zuverlässige Basis, auf deren Grundlage politische Entscheidungen getroffen werden könnten. Diese großen Vorteile des öffentlichen Diskurses seien natürlich gegen die Nachteile der offenen Publikation abzuwägen. Als Kriterium der Begutachtung benennt Albert explizit die Kriterien, die der Fink-Bericht im Zusammenhang mit der Evaluation von Experimenten mit rekombinanter DNA und der Publikation dieser Experimente und pathogenen Agenzien er-
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stellt hat (»Seven experiments of concern«): Experimente bzw. Publikationen sollten besonders begutachtet und möglicherweise zurückgenommen werden, wenn sie zeigen wie • • • • • • •
Impfstoffe unwirksam gemacht werden können, Erreger resistent gemacht werden können gegenüber wichtigen und wirksamen Behandlungen, wie z.B. Antibiotika und Virusstatika, die Virulenz eines Erregers erhöht oder ein nichtpathogener Erreger pathogen gemacht werden kann, die Übertragbarkeit eines Erregers erhöht wird, die Wirtsabwehr gegenüber einem Erreger umgangen werden kann, die diagnostischen Möglichkeiten zum Nachweis des Erregers verändert bzw. verhindert werden oder die Waffenfähigkeit eines Erregers erreicht werden kann (ebd.).
Insgesamt stelle die Publikation von Wein und Liu eine Bereicherung der öffentlichen Diskussion dar, weil sie eine Aufmerksamkeit sowohl für Bioterrorismus aufrechterhalte als auch die Diskussion über sensible Informationen. Im Fall der Botulinumdistribution seien die relevanten, möglicherweise sensiblen Daten über das Internet verfügbar, so dass eine Restriktion keinen Sinn ergebe (Alberts 2005). Resümee Es sind also weniger die einzelnen Fakten, die ein sensibles Wissen darstellen, sondern vielmehr ist es das gesamte Szenario der Botulinumtoxinverbreitung über die Frischmilchversorgung, die zu der Besorgnis geführt hat. Diese Kontextualisierung, dieses framing von biomedizinischem Wissen ist ein Beispiel dafür, wie an sich relativ unsensible biomedizinische Daten in einen Terrorismuszusammenhang gebracht werden können und durch diesen Kontext die biomedizinischen Daten zur Bedrohung werden. Resümee Es ist also vielmehr die Kombination innerhalb eines Kontextes und es sind weniger die medizinisch-naturwissenschaftlichen Daten an sich, die als Bedrohung wahrgenommen werden können. Die Kriterien des Fink reports tragen dem allerdings kaum Rechnung, da diese Kri-
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terien an der Konferenz von Asilomar (1975) orientiert sind und sich ausschließlich auf die mikrobiologische Ebene beziehen. Mit diesen Kriterien ist nur schwer einem gesellschaftlich artikulierten Unbehagen zu begegnen. Hilfreich wäre an dieser Stelle, ein intellektuelles und interdisziplinäres Beratungsgremium einzurichten, das fernab von Restriktionen die relevanten Diskurse gesellschaftlich zulassen, aushalten und führen kann.
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3 W ISSENSKONTROLLE Es ist kein neues Phänomen, dass wissenschaftliche Ergebnisse und Fortschritte kritisch beurteilt werden. Wissenschaft wurde schon immer kontrolliert. Kultur ist sozusagen die stärkste Kontrolle dessen, was erdacht, gemacht und angewendet werden durfte. Ein herrschendes Weltbild markiert scharfe Grenzen des Denkbaren und sanktioniert alle Versuche, das Machbare anzuwenden (Stehr 2003). Mechanismen der Wissenschaftskontrolle Wissenschaft hat bisher zwei Mechanismen der Kontrolle: zum einen eine wissenschaftsimmanente Kontrolle; zum anderen eine außerwissenschaftliche Kontrolle. Immanente Wissenschaftskontrolle Eine wissenschaftsimmanente Kontrolle ist eine Kontrolle, die aus dem wissenschaftlichen Betrieb heraus die Regeln für die jeweiligen Wissenschaften formuliert. Dieser Mechanismus ist in der Entwicklung der Wissenschaften ›mitgewachsen‹. Gab es bis etwa 1960 eine autoritärimmanente Kontrolle, also einen Kontrollstil, der durch Personen, Lehrstuhlinhaber und einzelne herausragende Wissenschaftler dominiert wurde, hat sich ab etwa Mitte der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts eine objektivere Form der immanenten Wissenschaftskontrolle etabliert. So sind z.B. die Regeln zur ›guten wissenschaftlichen Praxis‹ für den Forschungs- und Publikationsbereich gültig, auf die man im öffentlichen Forschungssektor vereidigt wird. In ihnen geht es etwa um die Aspekte der Originalität, der Nachvollziehbarkeit und der Zitierweise. Im Bereich der Laborsicherheit haben sich die Regeln zur ›guten Herstellungspraxis‹ (Good Manufacturing Practice GMP) bzw. der ›guten Laborarbeit‹ (Good Laboratory Practice GLP) durchgesetzt. Auch das Arbeiten mit rekombinanter DNA wurde aus Gründen der Verantwortungsethik wissenschaftlich reglementiert. Ebenso gehört die Einteilung in Biosafety Levels in den Bereich der wissenschaftsimmanenten Regulationen. Im Bereich der wissenschaftsimmanenten Kontrolle sind in den letzten Jahren zwei Entwicklungen in den Vordergrund getreten: zum einen die
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Täuschung; zum anderen die verschärften Bestimmungen zur Laborsicherheit. Die Täuschung hat in den letzten Jahren verstärkt den Fokus auf die gute wissenschaftliche Praxis gelenkt und deren Bedeutung unterstrichen. Interessanterweise ist gerade in dem ethisch umstrittenen Forschungsgebiet des Klonens eine der bisher schwerwiegendsten Fälschungen von Publikationen bekannt geworden. Diese Täuschungen werfen ein Licht auf das wissenschaftliche Gutachterverfahren. So wird in der wissenschaftlichen Gemeinschaft gefordert (s. exemplarisch Meyer 2006), dass gerade die großen naturwissenschaftlichen Zeitschriften wie Nature und Science, die eine wöchentliche Auflage von 250.000 Stück haben, mit ihrem Gutachterverfahren einen regulierenden Prozess ermöglichen sollten und die immanent schwachen Stellen von Wissenschaft noch besser identifizieren können sollten. In den USA wird die gute wissenschaftliche Praxis – neben dem Gutachterverfahren – auch durch die Einrichtung von Büros zur wissenschaftlichen Integrität unterstützt. Diese Einrichtungen sind in Deutschland teilweise angedacht, allerdings ist der Leidensdruck nicht so groß, um diese Infrastruktur flächendeckend in der Forschung zu installieren. Allein der deutsche Fälschungsskandal des Physikers Schön an der Universität Konstanz hat für einige Aufmerksamkeit gesorgt. Das Gutachterverfahren ist ein grundlegendes Element der wissenschaftlichen Forschungspraxis und stellt eine wissenschaftsimmanente Kontrolle dar. Dass man im Zuge der Erfahrung mit Bioterrorismus diese Stellschraube der wissenschaftsimmanenten Kontrolle bedienen wollte, erscheint logisch. Allerdings wurden dabei die Besonderheiten und das Neue biologischer Bedrohungen noch nicht umfassend bearbeitet. Der zweite Aspekt sind die verschärften Bestimmungen zur Laborsicherheit, die im Zuge der Bioterrorismusbekämpfung in den Wissenschaftsbetrieb implementiert wurden. Dieser Aspekt wird ausführlich in Kapitel 3 diskutiert. Exmanente Wissenschaftskontrolle In der exmanenten Wissenschaftskontrolle werden explizit kulturelle und soziale Bewertungsmaßstäbe in den Forschungsprozess integriert. So werden z.B. durch Ethikkommissionen soziale und kulturelle Wertvorstellungen in die Parameter wissenschaftlicher Forschung und Entwicklung implementiert. In diesen Gremien, die gesellschaftlich repräsentativ besetzt
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sein sollten, werden die Fragen nach der ethischen und moralischen Zulässigkeit von wissenschaftlichen Fragestellungen und deren Auswirkungen auf eine Gesellschaft diskutiert. Einige Autoren haben vorgeschlagen, im Kontext bioterroristischer Bedrohungen ähnlich wie im Laborbereich sogenannte Biosecurity Levels (BSL; Gaudioso/Salerno 2004) einzuführen, die die potenzielle Gefährlichkeit von Forschungen für die Sicherheit von Gesellschaften beschreiben können. Die Evaluation der ›Gefährlichkeit‹ von wissenschaftlichen Forschungen ist allerdings aus zwei prominenten Gründen schwierig: •
•
Im Zuge des Bioterrorismus wird ein neues Moment der exmanenten Wissenschaftskontrolle sichtbar: die kulturelle Diffusion von Wissen; und die ambivalente gesellschaftliche Bewertung wissenschaftlichen Wissens.
Probleme der Wissenskontrolle Wenn Wissenschaft exmanent kontrolliert wird, muss deutlich sein, auf welche Kultur und welche kulturellen Wertvorstellungen Bezug genommen wird. National inhomogene Kulturen Die außerwissenschaftliche Kontrolle wird dann schwierig, wenn nicht mehr von einer Kultur oder einem Kulturkreis ausgegangen werden kann. Die kulturelle Homogenität, die die Grundlage für eine externe Kontrolle der Wissenschaft ist, lässt sich weder national noch innerhalb einer wissenschaftlichen Gemeinschaft durchhalten – ganz abgesehen von der Frage, ob dies erstrebenswert ist. Weder sind Nationen kulturell homogen noch sind es Wissenschaften. Die Unwirksamkeit nationaler Beschränkungen ist in den Wissenschaften besonders sichtbar. Wenn bestimmte Forschungen innerhalb der Arbeit zum Beispiel mit embryonalen Stammzellen in Deutschland verboten sind, kann man sie in Israel, auf Island oder im Iran durchführen.
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Globale wissenschaftliche Gemeinschaften Auch differenzieren sich in wissenschaftlichen Gemeinschaften globale Mikrostrukturen aus (Knorr Cetina 2000), die sich als Kennzeichen einer globalisierten Welt identifizieren lassen, denen auf einer kulturellen und politischen Ebene kein Kontrollmechanismus entspricht. Drei Bereiche wissenschaftlicher Forschung Hinzu kommt, dass die Forschungslandschaft weltweit in drei Sektoren eingeteilt ist: den öffentlichen, den privatwirtschaftlichen und den militärischen Forschungsbereich, in denen jeweils unterschiedliche Regeln gelten. Das Problem der asymmetrischen Kommunikation ist auch, dass der öffentliche Forschungssektor von den Regeln der militärischen und privatwirtschaftlichen Forschungssektoren infiltriert wird; dort gehören klassifizierte Forschungsergebnisse zum Normalbetrieb. Begrifflich weist dort auch die ›Spionage‹ auf einen anderen Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen hin. Der öffentliche Forschungssektor ist durch ein anderes Grundverständnis geprägt. So betont das International Council for Science (ICSU), dass der nicht restriktive Informationsfluss ein wesentliches Moment der öffentlichen Forschung ist und zu den herausragenden Errungenschaften von Wissenschaft gehöre (Lubchenco/Rosswall/Warren 2003). Seit der Gründung dieser Institution, die die Rechte der Wissenschaftler im gesellschaftspolitischen Prozess vertritt, steht das ICSU für die Transparenz und Offenheit der wissenschaftlichen Kommunikation, die auch während des Zweiten Weltkrieges, des Kalten Krieges und auch in der Apartheid durchgehalten wurden (ebd.).
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4 B ESONDERHEITEN
BIOLOGISCHER
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B EDROHUNGEN
An den Restriktionsvorhaben von Publikationen mit sensiblen Informationen lassen sich neue Momente im gesellschaftlichen Umgang mit wissenschaftlichem Wissen beobachten, die eine richtungsweisende Signifikanz haben. Dabei wird das Restriktionsvorhaben als Symptom verstanden: An diesem An- und Einhalten des Wissensprozesses werden Strukturen sichtbar, die kennzeichnend für eine Wissenschaft und eine Gesellschaft sind, in der sie stattfinden. Aufgrund der massiv angestiegenen Bedrohungswahrnehmung durch Bioterrorismus und ein dadurch angestoßenes Nachdenken über das Bedrohungspotenzial, das die moderne Biomedizin darstellen kann, formiert sich ein neuer Blick auf die Wissenschaft. Dieser neue Blick stellt auch aufgrund der Schwierigkeiten der Benennung von Kriterien, Definition des Gegenstandsbereich und der Unformulierbarkeit von Richtlinien fest, dass sich die Wissenschaft in einigen Grundsätzen verändert hat. Diesen Veränderungen, diesem Neuen und Besonderen der modernen Biomedizin, und den gesellschaftlichen Strukturen, in denen sie stattfinden, soll nun weiter nachgegangen werden. Um die weitere Argumentation zu stärken, werden noch einmal die Beobachtungen, die an der Selbstrestriktionserklärung gemacht wurden, zusammenfassend wiederholt. Kulturelle Diffusion Beim Fortschreiten von wissenschaftlicher Erkenntnis gab es oft ein ethisches und moralisches Innehalten. Im gesellschaftlichen Diskurs wurde vollzogen, dass Forschungen ethisch, moralisch oder aus Gründen der Verantwortung zu weit gehen könnten. Ethikkommissionen reglementieren die wissenschaftliche Forschung in allen Bereichen. Die Restriktion von Publikationen sensibler Informationen unterscheidet gravierend im Argument. Neu ist hier eine soziale Dynamik, die eine diffuse, aber strukturelle Ausgrenzung von Personengruppen zum Ziel hat; nämlich diejenigen, die das Wissen potenziell missbräuchlich anwenden wollen. Das ist sowohl in der Naturwissenschaft als auch in anderen Wissenschaftsbereichen bisher einmalig. Die Forschung geht nicht ethisch oder moralisch zu weit, sondern diffundiert in nicht kontrollierbare Kontexte. Befürchtet werden keine Nachteile, die aus den Forschungen für die intendierten Zwecke resultieren,
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sondern aus einem vermuteten Missbrauchspotenzial durch andere und einer missbräuchlichen Anwendung. Dieses Argument wird aus einer sozialen, gesellschaftlichen und sicherheitspolitischen Dynamik heraus formuliert; aus einem politischen Prozess der gesellschaftlichen Verteilung von Informationen. Gesellschaftliche Ambivalenzen von Wissenschaften An der Diffusion von Wissen und dessen ambivalenter Verwendung wird auch deutlich, dass die Kriterien, nach denen die Bedrohungen der Gesellschaft durch Wissenschaft bestimmt werden, nicht primär in der Wissenschaft liegen, sondern in dem gesellschaftlichen und sicherheitspolitischen Gefüge. Wissenschaftliche Entwicklungen werden erst in und durch einen politischen Kontext als biologische Bedrohung gewertet. Diese referieren aber nicht auf einen ›einfachen‹ Gegenstandsbereich, sondern Wissenschaft switcht. Die biologische Basis ist ambivalent. Dabei stellt der Kontext, in dem Wissenschaft wahrgenommen wird, bzw. die Dekontextualisierung von Wissenschaft eine Bedrohung dar. Die befürchteten missbräuchlichen Anwendungen von Wissen sind nicht innerhalb der Forschung oder Publikationen zu finden, sondern in den kulturellen, religiösen oder politischen Adaptionen. Daher ist ein code of conduct, der bei Wissenschaftlern ein Gefahrenbewusstsein der eigenen Forschung sensibilisieren möchte (Jones 2003), wenig hilfreich. Nicht die Intensionen der Wissenschaftler sind maßgeblich, sondern die kulturellen, religiösen und politischen Möglichkeiten der Anwendung von Wissen. Aktualität der Kriterien Der Bereich der Biotechnologie wurde schon einmal durch systemimmanente Interventionen der wissenschaftlichen Gemeinschaft reglementiert. So wurden auf der sogenannten Asilomar-Konferenz 1975 Richtlinien zum wissenschaftlichen Arbeiten mit rekombinanter DNA beschlossen, die verhindern sollten, dass die neuen Technologien Schaden verursachten (Berg 2008, Weinberg 1975). Auch die Auseinandersetzung mit der Problematik militärischer Aufrüstung, die durch wissenschaftliche Entwicklung ausgelöst werden könnte, ist nicht neu. So wurde schon 1982 ein Bericht von der NAS vorgelegt, der die Besonderheiten von nationaler Sicherheit und die Entwicklungen der Naturwissenschaften reflektiert. Der Bericht »Scientific Communication
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and National Security« (1982) untersucht die Beziehung zwischen kommunikativer Distribution von wissenschaftlichen Ergebnissen und nationalen Sicherheitsinteressen vor dem wachsenden Verdacht, dass feindliche Staaten eine Aufrüstung ihres Militärs durch den Missbrauch von Wissenschaft anstreben. Dabei waren die Lebenswissenschaften noch nicht ausdrücklich im Fokus dieser Bedenken. Seit diesem Bericht von 1982 haben gewaltige Veränderungen stattgefunden – sowohl im Bereich der Wissenschaft als auch der Kommunikation und der politischen Lage: Die Biologie hat sich zu einer modernen Lebenswissenschaft entwickelt, die von einer materialbasierten Naturwissenschaft zu einer Informationswissenschaft geworden ist. Das Internet hat die Distribution und Zugänglichkeit von Informationen maßgeblich vereinfacht. Und die politische Lage ist nicht mehr durch die Bedrohung militärischer Staatenkriege gekennzeichnet, sondern durch einen diversifizierten politischen Terrorismus. Die Kriterien, die in früheren Berichten und Regularien entworfen wurden, spiegeln eine Gefährdungsbewertung von vormolekularen Wissenschaften wider. Die Wissenschaften, von denen dort die Rede war, waren noch nicht in der Weise wissensbasiert, wie die moderne Biomedizin es ist, und der informationelle Austausch von Information und Wissen fand noch in ganz anderer Weise statt (Campbell 2006, Kun 2002). These Die Schwierigkeiten der aktuellen Wissenschaftsbewertung zeugen davon, dass eine Orientierung an vormolekularen Wissenschaften wenig Sinn hat.
Die politische Bewertung, deren Rationale durch Staatenkriege und die klaren Fronten des Kalten Krieges gekennzeichnet war, spiegelt nicht mehr die aktuelle sicherheitspolitische Lage des 21. Jahrhunderts wider, in der politisch motivierte, terroristische Strukturen deutlich machen, wie porös Gesellschaften und Denkeinheiten geworden sind. Ebenso wie die sicherheitspolitischen Entscheidungen nicht mehr in dem Verständnis des Kalten Krieges funktionieren, hat sich die moderne Biomedizin paradigmatisch entwickelt. Am Problem des Bioterrorismus kommen nun beide Paradigmenwechsel zusammen und lassen dort Beschreibungen, Beobachtungen und Analysen zu, die von dem Neuen und
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schreibungen, Beobachtungen und Analysen zu, die von dem Neuen und Besonderen dieser Entwicklungen sprechen.
A USBLICK Daher geht es in den folgenden Kapiteln um die Besonderheiten von biologischen Bedrohungen in Wissensgesellschaften, die durch molekulare Naturwissenschaften, Informationstechnologien und neue politische Konstellationen charakterisiert sind. Wie eingangs in den Hypothesen aufgeführt, wird dabei fokussiert auf: • • •
das Dual-Use-Dilemma, die Distribution von Wissen und die Information als Einheit.
Im nächsten Kapitel, der Fallstudie zu Aerosoltechnologien und deren Missbrauchspotenzial im Bereich biologischer Waffen, wird die Besonderheit von biologischen Bedrohungen zunächst exemplarisch dargestellt. In Kapitel 2 wird die Dual-Use-Problematik vor diesem Hintergrund neu definiert und in ihren Auswirkungen beschrieben. Das Fallbeispiel zur Bewertungsambivalenz der Forschungen zur Spanischen Grippe zeigt im Detail die Schwierigkeiten der gesellschaftlichen Bewertung wissenschaftlicher Forschung. Kapitel 3 beschreibt die Besonderheiten der Distribution von Wissen im Kontext des Bioterrorismus. Das vierte Kapitel bildet Abschluss und Ausblick auf die Perspektiven, die diese Diskurse in kulturwissenschaftlichen und sicherheitspolitischen Diskussionen nehmen kann.
Fallstudie I: Neuere Technologien der Aerosolgeneration und biologischer Waffen
Z UR D UAL -U SE -P ROBLEMATIK
ZIVILER
F ORSCHUNG
Aufgrund der politischen Lage und der Entwicklungen im Bereich der Biomedizin ist die gesellschaftliche Sensibilität gegenüber der Bedrohung durch die missbräuchliche Anwendung wissenschaftlichen Wissens in einer enormen Weise gestiegen. Wie im ersten Kapitel dargestellt, hat die wissenschaftliche Gemeinschaft darauf mit einer Selbstrestriktionserklärung reagiert, deren Umsetzung sich allerdings als sehr schwierig erwies. These Besonders schwer ist der Widerspruch zwischen einem gewollten wissenschaftlichen Fortschritt und einem ungewollten, befürchteten Missbrauch dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse in gesellschaftlichen Zusammenhängen auszuhalten, die diese Forschungen, Entwicklungen und Erkenntnisse als biologische Bedrohungen erscheinen lassen.
Für das Missbrauchspotenzial von naturwissenschaftlichen und biomedizinischen Forschungen und damit für die bioterroristische Bedrohung durch pathogene Agenzien sind vier Bereiche aus biomedizinischer Sicht relevant, die exemplarisch vorgestellt werden: • •
das Erregerspektrum. die Beschaffung und Anzucht,
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• die Lagerung/Widerstandsfähigkeit des Erregers sowie • die Ausbringung. Der Schwerpunkt liegt in diesem Kapitel auf den neueren Technologien der Aerosolerzeugung, also der Ausbringung, und deren Missbrauchspotenzial im Bereich biologischer Waffen1. Hier werden ausführlich neuere Technologien zur Aerosolgeneration2 vorgestellt, erklärt und in den wissenschaftlichen Kontext gestellt. Dabei wird zunächst das Wissensgebiet systematisch dargestellt. Neben begrifflichen Erläuterungen zu Aerosolen werden die relevanten Parameter der Ausbringung und der Infektion ebenso diskutiert wie die Wirkstoffausbringung, die Geräte der Ausbringung und deren neuere Entwicklungen. Einen Ausblick auf die Bedeutung des Wissensgebietes geben particle engineering sowie neuere Forschungszweige. In einem nächsten Schritt werden diese technologischen Fortschritte in einem Kontext interpretiert, der eine missbräuchliche Verwendung nahelegt. Leitend sind dabei im Wesentlichen zwei Fragen: • •
Wie können pathogene Organismen effektiv ausgebracht werden? Welche Rolle spielen neuere technische Entwicklungen im Bereich der Landwirtschaft, Pharmazie und Medizin?
Um diese Problematik zu verdeutlichen, werden vier Beispiele ausführlicher besprochen: • • • •
Rizin in Berlin. Die bioterroristische Relevanz von Zierpflanzen; Anthrax Pow(d)er: Die Bedeutung von Wissen als Bedrohung; Spreading Knowledge: Aerogene Kontrolle; und Air guns: Dry insulin und particle engineering als moderne Bedrohungen
1
Die Vorarbeiten zu dieser Fallstudie wurden im Rahmen eines Forschungsauftrags der Forschungsstelle Biologische Waffen und Rüstungskontrolle an der Universität Hamburg in Kooperation mit dem Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik erstellt. Ich danke an dieser Stelle Jan van Aken, Iris Hunger, Gunnar Jeremias, Regine Kollek, Christian Mölling und Götz Neuneck für die fruchtbaren Diskussionen.
2
Stand der Darstellung bis einschließlich 2003.
A EROSOLE UND BIOLOGISCHE W AFFEN
1 W ISSENSGEBIET B IOTERRORISMUS
UND
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A EROSOLE
Staaten, Gruppen und nicht staatliche Akteure, die pathogene Agenzien als biologische Waffen nutzen wollen, benötigen Substanzen in den entsprechenden Konzentrationen sowie geeignete Ausbringungsmöglichkeiten. Aus den Anfängen der militärischen Bedrohung durch infektiöse Krankheitserreger gibt es die Einteilung des sogenannten dirty dozen, in dem biowaffenfähige Erreger gelistet werden. Erregerspektrum Die Einteilung des dirty dozen unterscheidet Bakterien, Viren und Toxine, die in einem militärischen Kontext für eine großflächige Verwendung in biologischen Waffen Bedeutung haben: Tabelle 1: Das dirty dozen der biologischen Waffen Bakterien
Viren
Toxine
Bacillus anthracis Milzbrand
Variola virus Pocken
Clostridium botulinum Botulismus
Yersinia pestis Lungenpest
VEE virus Rizin Venezianische Pferdeenzepha- Rizinintoxikation litis
Brucella suis/melit. Brucellose
Hämorrhagische Fieber Viren Marburg Fieber et al.
Coxiella burnettii Q-Fieber Francisella tular.
Staph.-Enterotoxin B SEB-Intoxikation
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Tularämie Burkholderia mallei Meliodosis Diese Einteilung wurde unter dem Eindruck der Weltkriege und während des Kalten Krieges weiterentwickelt und stellt eine erregerbasierte Klassifikation dar, wie sie für militärische Zwecke verwendet wurde. Mittlerweile wurde diese Einteilung durch eine Klassifikation der amerikanischen CDC abgelöst. Diese CDC-Klassifikation beschreibt nun nicht mehr ein militärisches Erregerspektrum, sondern unterscheidet bioterroristisch relevante Erreger, die abgestuft nach Eignung Erreger in drei Kategorien (A, B und C) charakterisiert. Bei dieser CDC-Klassifikation lässt sich sehr prägnant die Verbindung zwischen Gesundheit, Sicherheit und Politik verdeutlichen. So sind Erreger der höchsten Kategorie A nicht ausschließlich – wie man das vielleicht erwartet – die hochpathogenen Krankheitserreger, die eine meist tödlich verlaufende Krankheit übertragen. Die Klassifikation der CDC bezieht ausdrücklich die Auswirkungen auf die Öffentlichkeit und das öffentliche Gesundheitssystem mit ein und berücksichtigt dabei außerdem, wie ›handhabbar‹ Erreger sind. Tabelle 2: Eigenschaften und Erreger der CDC-Kategorien Kategorie Eigenschaften
Erreger
A
Bacillus anthracis: Anthrax Clostridium botulinum: Botulismus Yersinia pestis: Pest Variola major: Pocken Francisella tularensis: Tularämie Hämorrhagische Fieberviren: Ebola, Marburg
- leichte Verbreitung oder Mensch-zu-MenschÜbertragung - hohe Morbidität und Mortalität und damit großer Einfluss auf das Gesundheitssystem - hohes Panik- und Verunsicherungspotenzial - erfordern spezielle Bereitschaft des Gesundheitswesens
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3
B
- relativ einfache Verbreitung - weisen eine moderate Krankheits- und Sterblichkeitsrate auf - erfordern spezielle Diagnostik- und Surveillancemethoden
C
- allgemeine Verfügbarkeit Emerging infectious di- leichte Produktion und seases: Nipah Virus, Verbreitung Hanta Virus et al.3 - Potenzial, eine hohe Krankheits- und Sterblichkeitsrate mit einem großen Einfluss auf das öffentliche Gesundheitssystem zu verursachen
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Brucella sp.: Brucellose Clostridium perfringens: Epsilon Toxin Salmonella sp., Escherichia coli et al.: Lebensmittelvergiftungen Burkholderia mallei: Rotz Chlamydia psittaci: Psittacosis Coxiella brunetii: QFieber Ricinus communis: Rizinintoxikation Staph.-Enterotoxin B Rickettsia prowazekii Alphavirus: Virale Enzephalitiden Vibro cholerae, Cryptosporidium parvum: Trinkwasservergiftungen
http://www.bt.cdc.gov/agent/agentlist-category.asp
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These Zu der rein medizinischen und epidemiologischen Bewertung eines Erregers werden die sozialen Auswirkungen – das hohe Panik- und Verunsicherungspotenzial – sowie die Anforderungen des Krisenmanagements im öffentlichen Gesundheitsdienst hinzugezogen.
Dass zu der Gefährlichkeit eines Erregers nicht nur die Pathogenität des Agens, sondern auch die sozialen Handlungsmöglichkeiten zählen, ist einer der Stärken der CDC-Einteilung, die nicht unumstritten ist (s.u.). Interessant ist in dem Zusammenhang der Aerosolisierung von humanpathogenen Krankheitserregern vor allem die Frage, welche Erreger solche Eigenschaften mitbringen, dass sie unbeschadet als Aerosol verbreitet werden können, und welche Erreger so verfügbar sind, dass eine Beschaffung und Anzucht möglich ist. Aerosole Erreger der Kategorie A, von denen angenommen wird, dass sie als Aerosol versprüht das Potenzial haben, eine Massenvernichtungswaffe zu sein4, sind: • • • • •
Variola major (Pocken), Bacillus anthracis (Anthrax), Yersinia pestis (Pest), Francisella tularensis (Tularämie) sowie Filoviren, Arenaviren, Rift Valley Virus (virale hämorrhagische Fieber).
Natürlich vorkommende Agenzien der Kategorie A Während die Pocken weltweit ausgerottet wurden und lediglich in zwei Laboratorien der Welt aufbewahrt werden (USAMRIID/CDC in den USA; BIOPRET in Russland) sind drei Erreger der Kategorie A natürlich vorkommende humanpathogene Mikroorganismen: Anthraxsporen, die ubiqui-
4
»Some diseases and their causative agents considered to be aerosol biological warfare threats capable of causing mass casualties« (Peters/Spertzel/Patrick 2002, S. 70)
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tär sind und jahrzehntelang im Boden überdauern, Tularämie und die viralen hämorrhagischen Fieber, die jährlich regionale Krankheitsausbrüche verursachen. Beschaffung/Anzucht Die Gültigkeit der Klassifikation der CDC-Liste ist teilweise umstritten. Wesentlicher Kritikpunkt ist, dass ein militärisch relevantes Erregerspektrum aus dem Kalten Krieg übernommen wurde und in ein bioterroristisches Klassifikationssystem umgeformt wurde, ohne dass die Besonderheit der molekularbiologischen Forschung und des technischen Entwicklungsstandes berücksichtigt wurde. Auch wurde die Verfügbarkeit von wirksamen Medikamenten zur Behandlung der Erkrankung oder der Vorbeugung nicht in diese Klassifikation miteinbezogen. Nach neueren Bedrohungsanalysen sind jedoch auch Toxine sehr gut in einem bioterroristischen Szenario vorstellbar. Dabei ist sowohl die Kontamination von Lebensmitteln durch Toxine angedacht (s. dazu Kap. 1) als auch die Aerosolisierung von Toxinen. Dazu ist – neben seiner Toxizität – auch die relativ leichte Verfügbarkeit und Stabilität von einigen Toxinen von Bedeutung. Am Beispiel des Toxins Rizin soll diese Problematik erläutert werden.5 Obwohl Rizin in der Kategorie B gelistet wird, weil es nicht ganz so giftig ist wie Botulinumtoxin (Rizin LD50>2,5 g/kg; Botulinum LD50>0,001 g/kg), steht für ein e Rizinintoxikation kein Antidot zur Verfügung, wie es das für eine Botulinumintoxikation gibt. Daher ist Rizin von einer besonderen Bedeutung im Spektrum von humanpathogenen Agenzien.
5
Für die bei mir geweckte Begeisterung für Rizin möchte ich mich bei meinem Kollegen Dr. Uwe Kaiser (RKI) bedanken. Von ihm – sowie von Dr. Cornelius Bartels (RKI) – stammen auch die Rizinbilder.
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I R IZIN IN B ERLIN : D IE BIOTERRORISTISCHE R ELEVANZ VON Z IERPFLANZEN Rizin wird von dem Wunderbaum Rizinus communis produziert. Die Pflanze war ursprünglich im tropischen Afrika endemisch, wird jedoch inzwischen weltweit in großen Mengen in tropischem und gemäßigtem Klima zur Gewinnung von Rizinusöl genutzt, die in tropischen und subtropischen Gebieten einen wichtigen Wirtschaftszweig darstellt (Russmann 2003). Die Pflanze findet auch als Zierpflanze ihre Verwendung. Alle Teile der Pflanze sind giftig, wobei der Rizingehalt des Pressrückstands der Samen mit etwa drei bis fünf Prozent am höchsten ist. Rizin wird von einer Pflanze produziert, die auch problemlos auf dem kargen Boden in der Nähe des deutschen Bundesministeriums des Inneren wächst. Abbildung 1: Rizinstrauch in Berliner Alt-Moabit
Quelle: Dr. Uwe Kaiser (RKI)
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Bei einer stichprobenartigen Ernte vor dem Bundesministerium des Inneren im Berliner Stadtteil Moabit (›Alt-Moabit‹) wurden etwa 50 Castorbohnen (etwa 750 g) gesammelt. Die stacheligen Früchte enthalten drei bohnengroße, bunt gefleckte oder marmorierte Samen. Abbildung 2: Rizinfrüchte
Quelle: Dr. Cornelius Bartels (RKI)
Rizin wird nach Auspressen des Öls aus dem Rückstand der Samen durch Extraktion in wässriger Lösung isoliert. Die Reinsubstanz ist farb- und geruchlos und in Wasser gelöst bei Raumtemperatur lange stabil. Rizinusöl wird in einem industriellen Maßstab hergestellt, der als Abfall diese toxischen Pressrückstände enthält. Bei der Entsorgung wird das toxische Material in den Pressrückständen durch Hitze inaktiviert und die nun nicht mehr toxischen Abfälle werden als biologischer Dünger verkauft. Bisher ist nur ein Fall6 bekannt geworden, bei dem zwei Hunde von einem nicht vollstän-
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Den Hinweis und die Recherche dieses Falles verdanke ich ebenfalls meinem Kollegen Dr. Uwe Kaiser (RKI).
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dig inaktivierten Dünger gefressen haben und daran verstorben sind. Das Missbrauchspotenzial ist aufgrund der leichten Verfügbarkeit in einem großen Maßstab – insbesondere durch die industrielle Produktion, in der das Toxin als zu entsorgender Abfall vorgefunden werden kann – relativ hoch. Eine aktuelle Risikobewertung legt die Ausbringung von Toxinen in Frischmilch nahe (s. dazu das Restriktionsbeispiel Botulinumtoxin in Kap. 1). In dem leicht sauren Milieu haben die Toxine als Proteine sehr gute Umweltbedingungen. Außerdem ermöglicht die Distribution von Frischmilch eine schnelle, umfangreiche Verteilung in viele Bevölkerungsschichten. Die Bedeutung von Rizin für bioterroristische Anschläge ist eng verknüpft mit: • • • • •
seiner Toxizität, seinem Vorkommen und der Verfügbarkeit, seiner Stabilität, der schwierigen Detektion und den therapeutischen Maßnahmen.
Als humantoxisch wird aus tierexperimentellen Untersuchungen eine Konzentration bei Aerosolexposition von drei Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht abgeleitet, eine im Vergleich zu Botulinum- (0,001 g/kg) oder Shigatoxin (0,002 g/kg) hohe Dosis. Damit ist Rizin zwar nur mäßig toxisch (LD50>2,5 g/kg), doch das ubiquitäre Vorkommen – selbst vor dem Bundesministerium des Inneren (BMI) in Berlin – macht Rizin zu einem extrem leicht verfügbaren humanpathogenen Agens. Außerdem ist es relativ einfach und mit geringem Kostenaufwand in großen Mengen zu isolieren. Das Toxin ist stabil und als Aerosol gut zu verbreiten. Hinzu kommt, dass es im Gegensatz zu mikrobiellen Erregern keine Chemoprophylaxe gibt. »Eine Chemotherapie und eine Impfung existieren zurzeit nur für Botulinumtoxine« (Russmann 2003). Die therapeutischen Maßnahmen bei einer Rizinintoxikation sind allenfalls symptomatisch und sehr begrenzt. Verlässliche Nachweisverfahren mit einer ausreichenden Sensitivität und Spezifität stehen zur Zeit nicht zur Verfügung.
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Rizin »Alt-Moabit« in Milch – ein Rechenbeispiel Aus zehn Samen von Rizinus communis »Alt-Moabit« (entspricht fünf g Rohmaterial Samen ohne harte Schale) sollte man etwa fünf Prozent der wässrigen Phase RCA60, also 250 Milligramm erhalten. Nach Aufreinigung ist eine Menge von drei Milligramm reinem Rizin aus zehn Samen (B. Dorner, RKI, persönliche Mitteilung7) realistisch und mit einer Laborausrüstung des BSL 2 herzustellen. Die Toxizität (LD50) liegt – wie oben angegeben – bei 2,5 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht (KG). Um das Szenario etwas realistischer durchzurechnen, wird ein durchschnittlicher Milchtrinker mit 20 Kilogramm KG angenommen und kein Durchschnittssoldat von 80 Kilogramm KG – für Kinder ist Milch eine wesentliche Nahrungsquelle, während im Erwachsenenalter – teilweise bedingt durch eine im Alter zunehmende Laktoseintoleranz – der Milchkonsum zurückgeht. Für einen Milchtrinker zwischen drei und fünf Jahren (etwa 20 kg schwer) reichen in einem Glas Milch (200 ml) 60 Mikrogramm Rizin, um die LD50 zu erreichen. D.h. in einem Liter Milch sind 300 Mikrogramm Rizin. Die zehn Samen, die in den Ausgangsüberlegungen angenommen wurden, würden in dieser Gewichtskohorte (20 kg KG) zehn Liter Milch vergiften. Die Hälfte der 50 Kinder, die ein Glas (200 ml) davon trinken würden, stürbe – ohne therapeutische Interventionsmöglichkeiten. Eine Behandlung ist allenfalls symptomatisch möglich; im Gegensatz zum Botulismus, bei dem therapeutische Optionen bestehen (s. auch Kap. 4).
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»Aus zehn Samen R. communis bekommt man ca. 5 g Rohmaterial (Samen ohne harte Schale) für die Aufarbeitung, das man mit Puffer zermahlen würde, so dass man dann eine ölig/wässrige Schlempe erhält, die organisch extrahiert, gefällt und über diverse Säulen zu reinigen wäre. Man sagt, bis zu 5 % der wässrigen Phase sollen RCA60 sein (also in unserem Rechenexempel maximal 0,25 g). Nach einer umfassenden Aufarbeitung erhalten wir allerdings nur einen kleinen Bruchteil davon im unteren mg-Bereich, z.B. 3 mg reines Rizin aus 10 Samen. Ein ›böser‹ Mensch würde sich aber sicher nicht die Mühe der Aufarbeitung machen, sondern eher mit dem kruden Rohmaterial arbeiten, also geht man mit der obigen Zahl eher auf Nummer sicher.« Dr. Brigitte Dorner (RKI), persönliche E-Mail vom 18. Mai 2006, mit Erlaubnis hier zitiert.
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Bei den älteren Kindern zwischen fünf und acht Jahren (etwa 30 kg KG) liegt die LD50 bei 90 Mikrogramm pro Glas (200 ml). Die zehn Samen vergiften sechs Liter Milch; von 30 Kindern in dieser Gewichtskohorte, die je ein Glas von dieser Milch trinken würden, stürben 15. Aus der Stichprobenernte am BMI 2005 wurden etwa 150 Samen geerntet. Diese 150 Samen (45 mg Rizin) vergiften 150 Liter Milch (bei LD50 für 20 kg KG). 30.000 Kinder im Alter zwischen drei und fünf Jahren (20 kg) würden 150 Liter Milch trinken, davon 50 Prozent sterben, das sind 15.000 Tote (drei bis fünf Jahre alte Kinder) mit den stichprobenartig gesammelten 150 Samen. Bei den älteren Kindern (fünf bis sieben Jahre und 30 kg schwer) reichen 150 Samen für 90 LIter Milch. Wenn 18.000 Kinder von dieser Milch trinken, stürben 9000. Nun ist im Produktionsablauf der Frischmilchzubereitung die Pasteurisierung zwischengeschaltet, mit der schädliche Organismen abgetötet werden können. Bei der Pasteurisierung wird die Milch 30 Sekunden bei 75° C erhitzt. Rizin ist relativ hitzeresistent. Rizin wird bei 80° C in zehn Minuten inaktiviert, bei 50° C sind über 60 Minuten nötig. Über die genaue Inaktivierungskinetik weiß man wenig; man nimmt an, dass die Inaktivierung in etwa linear verläuft. Unwahrscheinlich ist, dass das Toxin innerhalb der ersten 30 Sekunden zu einem großen Teil inaktiviert wird. Daher kann die Pasteurisierung zur Inaktivierung von Rizin kaum beitragen. Wenn man dennoch annimmt, dass innerhalb des Produktionsprozesses 50 Prozent des Rizins inaktiviert würden, würden die 150 Samen bei den drei bis fünf Jahre alten Kindern immer noch 7500 Tote, bei den fünf bis acht Jahre alten Kindern 4500 Tote verursachen. Das sind natürlich hypothetische Annahmen, die allerdings auf den aktuellen Daten zur Verfügbarkeit, der Toxizität und anderen Fakten beruhen.
Dual-Use Wenn man von biologischen Waffen spricht, hat man zunächst keinen synthetischen Killervirus oder ein Horrorbakterium vor Augen. Die meisten Erreger sind in der Natur vorkommende, in manchen Regionen endemische Infektionskranken, oft Zoonosen. Auch ist die Art der Verfügbarkeit eine andere, als man dies aus den Diskursen zur nuklearen oder radiologischen
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Bedrohung kennt. Hier geht es nicht um einen geheimen Schmuggel von angereichertem Uran oder ähnlichem Material. Das Material, aus denen biologische Waffen ›gebaut‹ werden können, ist zum Teil frei verfügbar. Im Fall von Rizin, aber auch bei Botulinumtoxin, werden diese humanpathogenen Agenzien im industriellen Maßstab für therapeutische Zwecke gefertigt. Im Kontext von biologischen Waffen stellt sich die Frage nach dem Dual-Use von Agenzien und Produktionsvorgängen in einer anderen Weise als in den Rüstungs- und Bedrohungsanalysen zu nuklearen oder radiologischen Gefahren. So steht auch – außerhalb der Erregerliste der CDC – die Impfstoffproduktion auf dem schmalen Grad des Dual-Use (s. dazu Kap. 1 und 4). Die Possession, das Verfügen über einen Erreger hat nicht den Stellenwert, wie dies bei nuklearen, radiologischen und selbst chemischen Bedrohungen artikuliert, kontrolliert und restringiert wurde, was natürlich massive Konsequenzen in der Nichtverbreitung (Nonproliferation) und der Rüstungskontrolle nach sich ziehen muss (s. ausführlich zur Dual-UseProblematik Kap. 2).
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2 L AGERUNG /W IDERSTANDSFÄHIGKEIT . T ENAZITÄT – D AS W ISSEN ÜBER L EBEN S TERBEN
UND
In Szenarien, die versuchen, die bioterroristischen Aspekte von Agenzien zu bewerten, wird die Widerstandsfähigkeit von Erregern, die sogenannte Tenazität, als einer der entscheidenden Faktoren für die Waffenfähigkeit dieser Erreger angeführt. Dabei meint die Widerstandsfähigkeit sowohl die Toleranz von Erregern, längere Lagerungszeiten unter nicht immer optimalen Bedingungen zu überstehen und infektiös zu bleiben, als auch die Prozesse, die während und nach der Ausbringung auf den Erreger einwirken und ihn möglicherweise dergestalt schädigen, dass er seine Pathogenität einbüßt. Besondere Aufmerksamkeit kommt der Ausbringung von biologischen Waffen als Aerosol zu (Alibek/Bailey 2004, Dando 2001). Die Erfahrungen aus den offensiven Biowaffenprogrammen (USA, UdSSR, Südafrika etc.) lassen die Ausbringung als Aerosol als weapons of mass destruction (WMD) am effektivsten erscheinen (Greenfield, Brown et al. 2002). Entscheidend für die Effektivität und die Effizienz ist das Maß der Überlebensfähigkeit bzw. der Stabilität in der Umwelt. Deswegen erstaunt es kaum, dass die Daten zur Überlebensfähigkeit von Erregern in der Umwelt – vielleicht mit Ausnahme von Tularämie8 – sehr spärlich sind – zumindest in der öffentlich zugänglichen Literatur.
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»Tularemia would be an excellent example because extensive information is available in the published literature, congressional hearings, and popular press. From the initial isolation of the organism by Francis and coworkers, it was notorious for causing infections in the laboratory, a frequent hallmark of aerosol infectivity. The aerosol properties were intensively studied and methods were found to enhance its stability in storage and in aerosols. Animals and later humans were challenged with graded doses of the bacterium delivered in different particle sizes to establish the quantitative properties of these aerosols […] Thus, there is little doubt that large numbers of human casualties could be caused by efficiently weaponized organisms readily available from nature.« Peters/Spertzel/Patrick 2002, S. 69.
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Das Wissen von der Überlebensfähigkeit humanpathogener Erreger und Toxine ist im Kontext bioterroristischer Gefahrenlagen in einer besonderen Weise relevant9: Ein profundes und detailliertes Wissen über die Rahmenbedingungen pathogener und virulenter Wirkungsmechanismen ermöglicht eine adäquate und präzise Risikobewertung und ist eine Voraussetzung für die Abschätzung der Notwendigkeit weiterer Maßnahmen wie z.B. einer Dekontamination. Im Laborbereich spielt die Dekontamination und Desinfektion humanpathogener Erreger eine beinahe alltägliche Rolle. Für Feuerwehren ist das Wissen um die Überlebensfähigkeit von Erregern eine eher neuere Konfrontation, die in der Folge der Anthraxbriefe und der unzähligen Anthraxverdachtsfälle in das Bewusstsein und vor allem in die Praxis gerückt ist. Über die Überlebensfähigkeit bzw. Virulenz, Pathogenität und Infektiösität relevanter humanpathogener Erreger wie beispielsweise Anthraxsporen und Botulinumtoxine steht nur wenig Literatur zur Verfügung. Der Wissensumfang über die exakten Bedingungen von Leben und Sterben, von Aktivierung und Inaktivierung steht in einem großen Widerspruch zu der Relevanz dieses Wissens. Dennoch ist das geforderte Wissen nicht ›einfach‹, sondern auch in gewisser Weise ›Dual-Use‹: Das Wissen über die Widerstandsfähigkeit von Erregern ermöglicht auch neue Ausbringungsmöglichkeiten und damit erweiterte Optionen einer bioterroristischen Gefährdung. Das jüngste Beispiel für die Problematik dieses Wissensgebietes liefert die Publikation des Stanford-Ökonomen Lawrence Wein in PNAS (Wein/Liu 2005). Wein hat ein mathematisches Modell zur Ausbringung von Botulinumtoxinen in Frischmilch mit dem Hinweis publiziert, dass Milch aufgrund seines leicht aziden pH-Werts und der proteinreichen Umgebung vielen Toxinen optimale Umweltbedingungen bieten kann. Damit hat Wein die Diskussionen über den Umgang mit sensiblen Informationen, wie letale Konzentration, Überlebensfähigkeit bzw. optimale Umweltbedingungen, erneut angefacht (Wein 2003). Die Tenazität von Bakterien, Viren und Toxinen ist sehr heterogen. Allgemeine Aussagen zur Tenazität lassen sich nur schwer oder gar nicht treffen. Allenfalls annäherungsweise kann man sagen, dass grampositive
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Teile dieses Textes wurden in dem Aufsatz zur Tenazität (Dickmann 2011a) verwendet.
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Bakterien widerstandsfähiger sind als gramnegative (Mitscherlich/Marth 1984). Auch ist die Kategorienbildung schwierig, weil sie – vermutlich – nicht entlang der gebräuchlichen Unterscheidungen von Bakterien verlaufen, wie z.B. grampositiv/gramnegativ, stäbchen-/kugelförmig, begeiselt/unbegeiselt (Dickmann 2011a). Ebenso schwierig sind Aussagen zur Aerosolisierung von Agenzien. Zwar wird die Aerosolisierung von pathogenen Mikroorganismen und Toxinen unter den Experten als wirksamste Ausbringung von biologischen Waffen angesehen. Doch bei der Aerosolisierung kommen mehrere Wissensgebiete zusammen: die Strömungslehre, die das Verhalten von Partikeln in der Luft beschreibt; das Engineering, das die Dissemination von trockenen und flüssigen Aerosolen beschreibt; und die Mikrobiologie, die das Verhalten von Mikroorganismen in ihrer Umgebung beschreibt. Damit soll deutlich werden, dass die Aerosolisierung von Mikroorganismen ein komplexes System an Wissenskoordinaten erfordert. Das ist natürlich im praktischen Bereich (wie z.B. Arbeiten im Labor) schlecht handhabbar, da dort ein ›absolutes‹ Wissen standardisierte Bedingungen schafft, die Grundlage der Arbeit sind. Beobachtung Dieses erforderliche komplexe Wissen birgt allerdings auch einen ›Nonproliferationsvorteil‹: dass nämlich mit und durch das Wissen um einen Themenkomplex nicht auf andere damit komplex verbundene Themen geschlossen werden kann. Auch ist nicht klar, ob die Summe der addierten Wissenskoordinaten mit den tatsächlichen komplexen Anforderungen des Szenarios übereinstimmen. Viel eher scheint es so zu sein, dass man es mit einem systemischen ›Pythagoreischen Komma‹ zu tun hat: mit einer systemischen Wissenslücke, die nur das tatsächliche Experiment und evidenzbasierte Daten schließen können.
Problematisch ist auch die Übertragbarkeit der gewonnen Daten: So sind die vorhandenen Daten zumeist aus Tierexperimenten gewonnen worden, und die prinzipielle Übertragbarkeit auf den Menschen ist immer zu hinterfragen. Auch lassen die Aussagen, die über Wachstumsbedingungen getroffen wurden, keinen Umkehrschluss zu: Die Beobachtung, dass Bakterien unter einer gegebenen Bedingung wachsen, bedeutet nicht, dass sie unter anderen
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Bedingungen nicht wachsen. Die Extensionen einer Aussage sind also sehr limitiert. Das gilt sowohl für die Überlebensfähigkeit von Erregern in Aerosolen wie auch in anderen Ausbringungsarten. Ausbringung: Aerosole Die Ausbringung von humanpathogenen Erregern als Aerosol wird als effektivste Variante angesehen, verlangt allerdings auch einen Grad an technischer Expertise und Erfahrung, die die gelingende Aerosolisierung von Viren, Bakterien und Toxinen zum bestgehütetsten Geheimnisse der alten Biowaffenforscher macht (Cox 1987). Auf der anderen Seite hat sich gerade diese technische Seite in den letzten zehn Jahren zu einem Forschungsbereich entwickelt, in dem enorme Innovationen stattgefunden haben (Basu 2003). Ebenso wie in der Landwirtschaft, die sich in der Ausbringung von Pestiziden um sparsame, wirksame und ökonomischen Parameter bemüht, ist auch in der Pharmakologie der Trend zu hochwirksamen Medikamenten, die inhalativ über die Schleimhäute aufgenommen werden, zu verzeichnen (Hickey 1996).
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3 N EUERE E NTWICKLUNGEN A EROSOLGENERATION
DER
Aerosoltechnologien sind im Fokus eines wachsenden Interesses in den Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen der Landwirtschaft und der Pharmazie (Chan/Chew 2003). Besonders präsent ist die Entwicklung inhalierbaren Insulins (s.u.). Aber auch neue Wirkstoffausbringungen (novel drug delivery) erlauben die systemische Ausbringung von Proteinen und anderen Makromolekülen (Courrier/Butz/Vandamme 2002). Als neueste – und auch umstrittene – Entwicklung gelten Nanopartikel, die einmal als Verpackung oder als Transportvehikel neue Möglichkeiten der Wirkstoffausbringung bieten werden (Rau 2005b). Was ist ein Aerosol Eine terminologische Fixierung von Aerosolen ist nicht einfach. In der begrifflichen Welt der Physik spricht man allgemein von einem Aerosol als »a collection of solid or liquid particles suspended in a gas. Aerosols are two-phase systems, consisting of the particles and the gas in which they are suspended.« (Hinds 1999, S. 1) Aerosole sind flüssige oder feste Partikel, die in einem Gas oder in Flüssigkeiten suspendiert sind. Es gibt sogenannte flüssige (liquid) und trockene (dry) Aerosole. Wenn flüssige Partikel (liquide particles) in einem Gas suspendiert sind, nennt man es auch Nebel oder Spray (fog, mist, spray). Wenn feste bzw. trockene Partikel in einem Gas suspendiert sind, spricht man von Rauch (fume, dust). Flüssige Partikel innerhalb einer heterogenen Flüssigkeit werden Emulsionen genannt, während feste Partikel in einer Flüssigkeit Suspensionen sind. Dabei ist die begriffliche Unterscheidung zu Nebel (liquid) und Rauch (dry) immer noch schwierig. Meist wird aufgrund der Partikelgröße ein Aerosol von anderen suspendierten Partikeln in Gas unterschieden. Die Partikelgröße von Aerosolen liegt zwischen 0,002 Mikrometern und bis zu 100 Mikrometern. Im Unterschied zu Nebel oder Rauch sind das Charakterisierende von Aerosolen ihre aerodynamischen Eigenschaften. Aerosole schweben: Die brownsche Molekularbewegung hebt den Schwerkraftein-
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fluss auf. Daher haben Aerosole eine geringe Sedimentationsgeschwindigkeit. Dadurch haben sie hervorragende Eigenschaften für eine effektive Ausbringung. Diese geringe Größe und die Lücken in der Beschreibung durch physikalische Gesetze (Schwerkraft, Trägheit) machen Aerosole zu einem sehr schwierigen, aber auch hochinteressanten Forschungsgebiet. Diese begriffliche Abgrenzung ist nach wie vor schwierig und wird in der Fachwelt auch nicht einheitlich gehandhabt. Ebenso schwierig und uneinheitlich ist die englische und – auch durch die Übersetzung – deutsche Terminologie. Partikel/Tröpfchen/Tröpfchenkerne/Aerosol Sprachlich wird uneinheitlich von Tröpfchen (droplets), Tröpfchenkernen (droplet nucleis), Partikeln (particles) und Aerosolen (aerosols) gesprochen. Aus der Literatur lässt sich der sprachliche Konsens folgendermaßen beschreiben: »Erreger kommen an Tröpfchen und an Tröpfchenkerne gebunden vor. In Tröpfchen sind infektiöse virale, bakterielle und pilzliche Partikel enthalten, umgeben von einer Wasserhülle mit einem Durchmesser von > 10 µm. Solange das infektiöse Partikel von einer Wasserhülle umgeben ist, sedimentiert es schnell aus der Luft auf den Boden. Da die Wasserhülle jedoch in kurzer Zeit verdunsten kann, entsteht aus dem Tröpfchen ein Tröpfchenkern ohne Wasserhülle mit einem Durchmesser von < 10 m. Dieser verbleibt aufgrund seiner geringen Sedimentationsgeschwindigkeit längere Zeit in der Luft.« (Dreller et al. 2006, S. 15)
Partikel sind in diesem Zusammenhang infektiöse Teilchen (Viren, Bakterien, Pilze), als Aerosol haben sie eine Größe von bis zu zehn Mikrometer. Tröpfchen sind flüssige Aerosole, während Tröpfchenkerne trocken sind. In der Diskussion über Infektionswege und entsprechende Atemschutzmaßnahmen zur Infektionsprophylaxe wird diese Problematik noch einmal aufgenommen (s.u.). Agenzien und die relevanten Parameter der Ausbringung In der Folge werden einige wichtige Parameter für die Beschreibung eines Aerosols beschrieben.
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Partikelgröße Die Partikelgröße ist eine zentrale Angabe, die die Wirkungsart und den Wirkungsort beschreibt. Die Größenangabe bezieht sich auf den Durchmesser (und nicht auf den Radius) und wird in Mikrometern (m) angegeben. Umfang Man unterscheidet zwischen sphärischem und komplexem Umfang. Während flüssige Aerosole eher sphärischen Umfang und damit bessere aerodynamische Werte haben, sind feste Aerosole in ihrem Umfang komplex, da sie feste Formen haben. Dichte Die Partikeldichte bezieht sich auf die Masse pro Einheit des Partikels (und nicht des kompletten Aerosols) und wird in Kilogramm pro Kubikmeter (kg/m3) oder Gramm pro Kubikzentimeter (g/cm) angegeben. Konzentration Die Konzentration eines Aerosols ist definiert als Quotient der Masse des Stoffes und des Volumens des Aerosols (g/m3 oder mg/m3). Die Konzentration von Bioaerosolen wird normalerweise angegeben mit der Zahl der Partikel pro Volumen (number/cm3 oder colony forming unit – CFU/m3). Die Konzentration ist ein wesentlicher Parameter der Infektiosität und Letalität des Agens. Dosis Im Unterschied zur Konzentration, die als Stoffmenge einer Substanz bezogen auf ein Volumen definiert wird, ist Dosis die Stoffmenge, die vom Körper aufgenommen wird und pharmakodynamische Wirkungen erzielt. Dabei wird häufig mit zwei Angaben gearbeitet: • •
ID50 als infektiöse Dosis 50 bezeichnet die Dosis eines Agens, mit der die Hälfte der exponierten Population infiziert wird. LD50 bezeichnet die Dosis eines Agens, mit der die Hälfte der exponierten Population getötet wird.
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Die Angaben unterscheiden sich von Pathogen zu Pathogen und gehören – als Aussagen zu potenziellen biologischen Kampfstoffen – zu den sehr sensiblen Bereichen der Forschung in Hinblick auf ihren Missbrauch als biologische Waffen (s. Kap. 1). So wird bei Francisella tularensis, dem Erreger der Tularämie (›Hasenpest‹), eine ID50 von zehn inhalierten Partikeln angegeben (Greenfield, Drevets et al. 2002, Horn 2003), während die LD50 von Bacillus-anthracis-Sporen (Anthrax) bei Affen in einem Bereich zwischen 4000 (World Health Organisation [WHO], 1970) und 10.000 Sporen vermutet wird (Horn 2003). Andere Autoren geben eine ID50 für Menschen von 8000 bis 40.000 Sporen an (Peters/Spertzel/Patrick 2002), wobei die minimale infektiöse Dosis nicht bekannt ist (Greenfield, Brown et al. 2002). Insbesondere im Bereich bioterroristischer Agenzien sind diese Angaben stark fehlerbehaftet, denn es sind meistens Schätzungen, die sich auf eine nur begrenzte Anzahl von Versuchen beziehen. Diese Daten sind aus Tierexperimenten gewonnen, und die prinzipielle Übertragbarkeit gerade bei diesen kleinen Amplituden ist fraglich. Außerdem hängt die Wirksamkeit einer dispergierten Menge auch von der Empfänglichkeit des Organismus ab, den sie potenziell schädigt. Diese Suszeptibilität des Organismus hängt wiederum von den individuellen Atemparametern, dem aktuellen Immunstatus und der genetischen Disposition der Person ab. Aerodynamischer Durchmesser Der aerodynamische Durchmesser spielt als Schlüsselparameter für die respiratorische Deposition eine große Rolle in der Aerosoltechnologie. Die Deposition von Partikeln in der Lunge hängt ihrerseits von einer Vielzahl von Parametern ab, wie z.B. von den Schwerkraft-, Trägheits- oder Adhäsionskräften. Nur sehr kleine Partikel können die Alveolarregion der Lunge erreichen und damit eine systemische Wirkung erzielen. Diese geringe Partikelgröße des Aerosols ist erforderlich, um einen Mikroorganismus oder einen Wirkstoff effektiv und effizient in die unteren Atemwege einzubringen. Aber die Partikelgröße eines Aerosols ist hier mit einem aerodynamischen Durchmesser (AD) angegeben. Der AD bezieht sich auf den geometrischen Umfang eines sphärischen Partikels (dg) und dessen Dichte. Diese Größen beschreiben, wie gut und wie schnell ein Aerosol die unteren Atemwege erreichen kann (Edwards 2002, Hinds 1999). Nur Partikel mit einem AD von bis zu fünf Mikrometer erreichen den Alveolartrakt und
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können in der systemischen Zirkulation eine Wirkung entfalten. Neben der Partikelgröße hängt die Deposition von Aerosolen in den Lungen noch von einer komplexen Vielzahl anderer Faktoren ab, wie beispielsweise der individuellen Anatomie, der individuellen Atemparameter u.Ä. (s.u.). Zusätzlich treten drei Probleme auf, die die Dispersionseigenschaften von Aerosolen beinträchtigen: Adhäsion, Aggregation und elektrische Ladung. Adhäsion, Aggregation und elektrische Ladung Das zentrale Problem der effektiven Ausbringung ist die Balance zwischen Partikelgröße und interpartikularen Kräften (Martonen et al. 2005). Eine Partikelgröße zwischen einem und fünf Mikrometer ist ideal für die Ausbringung. In dieser Partikelgröße können Aerosole in den unteren Alveolartrakt und damit in die systemische Zirkulation eindringen und wirksam werden. Doch gerade Partikel in dieser Größenordnung neigen durch eine Vielzahl physikalischer Kräfte wie Van-der-Waals-, elektrostatischer, kapillarer und mechanischer Kräfte und weiteren Interaktionen dazu, sich zu größeren Partikeln zusammenzulagern (Rau 2005a). Zur Rekapitulation: • • •
•
Van-der-Waals-Kräfte beruhen auf der ungleichen Verteilung von Elektronen der Molekülorbitale und erzeugen einen dipolaren Charakter. Elektrostatische Kräfte beruhen auf dem Transfer von Elektronen und Ionen. Kapillarkräfte entstehen, wenn Wassermoleküle an festen Zwischenräumen kondensieren. Diese Kraft ist proportional zur Oberflächenspannung. Mechanische Interaktionen entstehen bei polydispersen (in der Partikelgröße unterschiedlichen) Verteilungen.
Alle diese physikalischen Kräfte und Einflüsse resultieren in verklumpten Partikeln, die damit zu groß sind, um effektiv in die unteren Atemwege zu gelangen. Hinzu kommen Einflussfaktoren wie die relative Luftfeuchtigkeit, Temperatur und auch Materialeigenschaften, die diesen Bereich der Aerosolforschung sehr schwierig machen.
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»Despite its importance, particle adhesion is poorly understood and its description is partly qualitative. Because it is such a complicated phenomenon, no complete theory accounts for all the factors that influence adhesion. Much of the experimental work on particle adhesion has been conducted with ideal surfaces under special conditions, such as a high vacuum, that have little relevance to real surfaces of practical interest.« (Hinds 1999, S. 141)
Daher ist die wissenschaftliche Forschung und Entwicklung bemüht, durch angemessene Formulierung und particle engineering ihre Performanz in der Anwendung zu steigern.
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II A NTHRAX P OW ( D ) ER : D IE B EDEUTUNG W ISSEN ALS B EDROHUNG
VON
In seinem vielbeachteten Artikel »Anthrax Powder: State of the Art?« untersucht Gary Matsumoto (Matsumoto 2003) die Herkunft, die Qualität und die Berichterstattung über das Anthraxpulver, das im Herbst 2001 an die amerikanischen Senatoren Thomas Daschle und Patrick Leahy geschickt wurde. Bei der Qualität des versendeten Anthraxpulvers gingen anfangs – so Matsumoto – die Einschätzungen auseinander. Auf der einen Seite habe eine Gruppe von Mikro- und Molekularbiologen das Pulver als Do-ityourself-Job eingeschätzt, das zur Herstellung zwar ein bestimmtes Wissen, allerdings keine besonders aufwendige Laboreinrichtung benötige. Ken Alibek sei der prominenteste Vertreter dieser Auffassung. Auf der anderen Seite argumentierten Wissenschaftler, die in verschiedenen, auch staatlichen Einrichtungen an der biologischen Sicherheit (biodefense) und im pharmazeutischen Bereich arbeiten und forschen, dass dieses an den Senat geschickte Anthraxpulver »a diabolical advance in biological weapons technology« (ebd., S. 1493) sei. In dieser frühen Phase der Ermittlungen habe das FBI, dass die Aufklärungsuntersuchungen durchführte, die Auffassung vertreten, dass nur ein besonders hochwertig ausgerüstetes Labor in der Lage gewesen sein könne, ein Material, wie das an den Senat verschickte, herzustellen. Diese Auffassung wurde im Mai 2002 von den beteiligten Wissenschaftlern im Journal of the American Medical Association (JAMA) publiziert. In diesem Artikel unterstreichen die Autoren die besondere Waffenfähigkeit des Pulvers und seine besonderen Eigenschaften durch »high spore concentration, uniform particle size, low electrostatic charge, treated to reduce clumping« (Inglesby et al. 2002, S. 2237). Die Sporenkonzentration wird an anderer Stelle mit 1012 pro Gramm angegeben (»[s]ubsequent examination of the powder showed it to have a very high concentration of anthrax spores (reportedly 1012/g), finely dispersed particles«, Peters, Spertzel, Patrick 2002, S. 71). Im Zuge der Ermittlungen wurde der USAMRIID-Virologe Hatfill verdächtigt, ein Pulver dieser besonderen Qualität herstellen zu können, während Hatfill seine Beteiligung an den Anthraxbriefen bestritt. Natürlich ist es politisch von besonderer Brisanz, ob die Bedrohung in einem amerikanischen oder einem ausländischen Labor und durch amerikanisches oder ausländisches Wissen erzeugt wurde.
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Und da das Pulver eine besondere Qualität habe, sei es naheliegend, dass es amerikanischen – möglicherweise sogar regierungsnahen – Ursprungs sei (Matsumoto 2003). »They (erfahrene Wissenschaftler; Anm. P.D.) argue that the most striking qualities of the Senate powder do not concern the anthrax spores but the way they were processed – specifically, how they were given an electronic charge and unusual surface properties.« (ebd., S. 1492) Hier stellt sich der wissensbasierte Aspekt der Bedrohung durch biologische Waffen in einer besonders deutlichen Weise dar. Nicht die Anthraxsporen selber, sondern die Art ihrer Bearbeitung ist der besonders bedrohliche Aspekt. Dass diese Bedrohung in dem etwas altertümlichen medialen Format eines Briefes den Senat erreicht, scheint ein ironisches Augenzwinkern des Informationszeitalters, in dem die Viren mit der E-Mail und Bakterien und Sporen per Brief den Adressaten zu erreichen scheinen. Wenn dieses Material nicht so offensichtlich ausgebracht worden wäre, hätte es möglicherweise eine viel höhere Opferzahl gegeben. »Had this material been introduced clandestinely into the air conditioning intake, there would have been no warning until the first cases were recognised, perhaps too late for therapy.« (Peters, Spertzel, Patrick 2002, S. 71) Doch zurück zum Anthraxbriefpulver. Matsumoto stellt fest, dass dieses Pulver »exceptionally pure and highly concentrated« (Matsumoto 2003, S. 1493) sei; außerdem wurde der Ames-Stamm verwendet, der zu den virulenten Anthraxstämmen gehört. Doch das Aufsehen erregende sei die »conversion into a cutting-edge aerosol« (Matsumoto 2003, S. 1493) gewesen. Wie auf den vorangegangen Seiten beschrieben, ist die Dissemination von Partikeln deswegen so schwierig, weil die Partikel hinreichend klein sein müssen (ein bis fünf m), um den Alveolartrakt der Lunge zu erre ichen und dort systemisch wirksam zu werden. Je kleiner Partikel allerdings sind, desto schwieriger wird es, ihre aerodynamischen Eigenschaften zu bestimmen. Außerdem neigen gerade kleine Partikel dazu, aufgrund verschiedener physikalischer und chemischer Faktoren an Oberflächen haften zu bleiben und sich zu Agglomeraten zu verklumpen. Damit verlieren sie die Eigenschaften, die sie zur effektiven Wirkstoffausbringung prädestiniert hatten: Wenn die Partikel verklumpen, sind sie zu schwer, um schwebend zu bleiben, und zu groß, um in die unteren Atemwege vorzudringen.
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Eine Möglichkeit, um das Verklumpen zu verhindern, so referiert Matsumoto das Wissen von früheren Biowaffenprogrammen der USA und der Sowjetunion, besteht darin, die Partikel mit sogenannten spacern zu ummanteln. Die spacer bestanden aus Kieselsäurepulver, die mit Partikeln im Nanometerbereich den Agenzien hinzugefügt waren. Durch die Ummantelung wurde ein Abstand zwischen den Partikeln geschaffen, so dass sie nicht mehr so leicht verklumpten und besser zur Ausbringung geeignet waren. Matsumoto erwähnt noch eine zweite Methode, die vor allem in der pharmazeutischen Industrie in den 90er Jahren angewendet wurde, um das Verklumpen der Partikel zu verhindern. In dieser Arbeitsweise wurde eine elektrostatische Energie den Partikeln zugeführt. Dadurch stoßen sich die Partikeln voneinander ab und entwickeln eine Art »›energetic‹ or selfdispersing powder« (ebd., S. 1493). Das Bemerkenswerte des Anthraxpulvers, das an die Senatoren geschickt wurde, war allerdings eine besondere Technik, mit der die Kieselsäure-Nanopartikel an die Oberfläche der Sporen verankert waren. Diese Bindung zwischen Nanopartikel und Spore wurde durch »polymerisiertes Glas« hergestellt. Das ist eine ungewöhnliche Technik – zumal in der Inhalationstechnologie. »›Coupling agents‹ such as polymerized glass are not part of the usual tool kit of scientists and engineers making powders designed for human inhalation.« (ebd., S. 1493) Das Erstaunliche an diesem Anthraxpulver war einerseits die KieselsäureNanobeschichtung, andererseits die Technik, mit der diese Nanopartikel an den Sporen verankert war. Polymerisiertes Glas ist als Silan- oder Siloxankomponente kommerziell verfügbar und wird zur Verbesserung der Dispersion von Farben eingesetzt. Mit Kieselsäure wurde in den früheren offensiven Biowaffenprogrammen der Sowjetunion und der USA gearbeitet. Die Sowjetunion – so Matsumoto – habe einen Kieselsäurenebel verwendet, der Aerosil heißt. In den US-Laboratorien sei die Aerosilvariante Cab-O-Sil verwendet worden. Matsumoto zitiert einen amerikanischen Geheimdienstbericht, nach dem »Iraq’s chemical and biological warfare labs imported tons of both Cab-OSil and Aerosil, also known as ›solid smoke‹, in the 1980s« (ebd., S. 1494). Hier wurde also ein Wissens- und Erfahrungstransfer aus früheren – offensiven – Biowaffenprogrammen geleistet, die die Verwendung von Kie-
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selsäure zur Beschichtung erprobten. Außerdem wurde mit der polymerisierten Glasverankerung der Partikel an den Sporen in dem Senatspulver ein Transfer aus Wissens- und Technologiegebieten realisiert, das nicht primär in einem Zusammenhang mit pharmazeutischen Techniken der Bereitung von Inhalativa steht. Diese Technik scheint aus dem industriellen Zusammenhang der verbesserten Dispersion von Pulvern und Farben abgeleitet zu sein. Durch die exotische Verwendung von polymerisiertem Glas und der Verwendung einer herausfordernden Nanotechnologie sei auch der Kreis der möglichen Absender sehr eng geworden. Nach dem Aufgreifen dieser Ergebnisse in den Medien im März 2002 habe sich die Informationslage des FBI verändert. Im Herbst 2002 berichtete das FBI, das »no additive« (ebd., S. 1495) in dem Senatspulver gewesen sei. Außerdem ließen sie in verschiedenen Laboratorien ein Anthraxpulver ohne Additive nachbauen, das natürlich längst nicht die aerodynamischen Eigenschaften aufwies, wie das Senatspulver. Mit der Behauptung, dass dem Senatspulver kein Additiv beigefügt worden sei, wurde zugleich die These vertreten, dass »a low-budget amateur operation could have produced a ›weaponized‹ form of anthrax powder without a sophisticated additive« (ebd., S. 1495). Über diese Informationspolitik ist viel spekuliert worden. Tatsache ist, dass bislang kein Absender identifiziert worden ist. Diskussion Doch was bedeuten diese Anthraxsporen? Zunächst markieren sie – wie schon angedeutet – eine Grenze, eine Differenz zur nuklearen, radiologischen und auch chemischen Aufrüstung. Bei der biologischen Bedrohung steht ein Wissensaspekt im Vordergrund. Das, was an den Sporen besonders ängstigt, ist nicht, dass mit Anthraxsporen gedroht wurde, sondern dass sie mit dieser hochkomplexen Cutting-edge-Technologie gefertigt wurden. Da ist ein Wissen in die Sporenmatrix geflossen, das in seiner Bedrohung weit über die Grenzen des einfachen Materials hinausgeht. Auf diesen wissensbasierten Bedrohungsaspekt hat auch die Australische Gruppe reagiert. Die Australische Gruppe ist eine internationale Kooperation von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, die sich der biologischen Rüstungskontrolle auf einer multilateralen Ebene widmet; sie unterstützen nationale Regierungen mit ihrer internationalen Expertise, in-
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dem sie z.B. Listen der bedenklichen Ein- und Ausfuhren erstellen. In die Liste des Import-Export-Monitoring wurde 2002 ein intangible aufgenommen. Beobachtung Das ist ein signifikanter Schritt, denn ein intangible markiert in seiner materialen Unfassbarkeit den Übergang von einem Industrie- und Materialzeitalter zu einem Informationszeitalter. Besonders bemerkenswert ist auch die weite Amplitude des geborgten und verwendeten Wissens. Hier wurde nicht nur eine besondere Spielart innerhalb einer Disziplin gewählt (wie z.B. die Verwendung von Nanopartikeln), sondern es wurde zu Bereichen transferiert, die wenig mit therapeutischen Inhalativa zu tun haben.
Dass diese Sporen per Brief in den Senat eingebracht wurden, irritierte alle Entwickler von Bedrohungsszenarien, die sich immer wieder vergeblich in die ›Terrormentalität‹ einzudenken versuchen und mögliche Ausbringungsarten diskutieren – mit z.T. paranoiden Tendenzen. Es torpediert die Versuche, das ›Undenkbare‹ und ›Unfassbare‹ in die eigenen Grenzen der Rationalität zu bringen. Denn das sind die Attribute, mit denen die Anschläge vom 11. September 2001 meistens beschrieben wurden, und das ist auch ein Aspekt, der diese Anschläge von denjenigen in Madrid und London unterscheidet. Schwierig ist in diesem Zusammenhang die Verwendung von Nanopartikeln, die in einem völlig legitimen, zivilen Nutzungszusammenhang stehen. Die Firma Degussa stellt Aerosil her – und nicht nur die USamerikanischen und sowjetischen Biowaffenprogramme und – wie Matsumoto berichtet – der Irak haben mit diesen Substanzen gearbeitet. Es arbeiten ganze Forschungs- und Industriezweige mit Aerosil und anderen Siloxanen oder Silanproduktreihen10. Aus dem Import und der Verwendung
10 Degussa kam mit einem ähnlichen Produkt vor drei Jahren – zumindest in Deutschland – in die Schlagzeilen. Als das Berliner Mahnmal zur Ermordung der Europäischen Juden 2003/2004 gebaut wurde, sollten die Stehlen vor Graffitis durch eine Beschichtung geschützt werden, die im Aufbau ähnlich wie Aerosil auf Antihaftbeschichtung beruht. Da die Firma Degussa bzw. ihre damalige Tochter, die Degesch, allerdings das Zyklon B herstellte, das zu der Ermordung
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dieser Produkte lässt sich eigentlich noch kein Absenderkreis herauskristallisieren – so wie das Matsumoto nahelegt. Hier ist eher das Problem von biologischer Rüstungskontrolle angesprochen: Es ist nicht nur so, dass die pathogenen Agenzien zum Teil in der Natur vorkommen, in manchen Regionen endemisch sind und keine besonders hohen Anforderungen an die Beschaffung stellen. Auch der materiale Aspekt, eine Cutting-edge-Technologie daraus zu machen, ist minimal. Wesentlich ist der Wissensaspekt – Wissen, dass es geht, und Wissen, wie man es macht. Neben einem abstrakten Transferwissen ist auch ein Erfahrungswissen – eine hands-on research – erforderlich, dass das Möglichkeitswissen zu einem Wirklichkeitswissen macht. Zusammenfassung Mit dem Anthraxpulver, das in den Briefen im September 2001 versendet wurde, lassen sich sehr präzise die Schwierigkeiten der eindeutigen Zuordnung in der Bewertung von wissenschaftlichen Entwicklungen beschreiben. Alle technischen Entwicklungen, die das Anthraxpulver zu einer besonderen Bedrohung gemacht haben, sind Entwicklungen in gesellschaftlich legitimen Forschungs- und Entwicklungszweigen mit einer großflächigen Verbreitung. Eine Restriktion dieses Wissens wäre weder möglich noch sinnvoll gewesen. Hinzu kommt in diesem Beispiel allerdings noch ein neuer Aspekt: Beängstigend waren nicht so sehr Anthraxsporen, sondern die besondere Verarbeitung dieser Anthraxsporen. Das biologische Material ist nicht schwer zu beschaffen. Wie schon beschrieben ist Milzbrand eine Erkrankung, die in fast allen Regionen der Erde endemisch ist. Die Sporen können Jahrzehnte im Boden verbleiben – wie es im Fall der Insel Gruinard und der schwierigen Dekontamination ansichtig wurde (Manchee/Stewart 1988). Hier ist nicht das Material als solches, sondern die besondere Präparation des Materials signifikant. Denn mit der Kieselsäure-Nanobeschichtung und deren außergewöhnlicher Verankerung am Partikel über polymerisiertes Glas ist ein Wissen bedrohlich geworden, das aus anderen, völlig legitimen
der Juden eingesetzt wurde, hielt man es für politisch unangebracht, die Mahnmalstehlen mit Degussaprodukten einzusprühen.
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zivilen Forschungs- und Anwendungsgebieten stammt. Das oben beschriebene Dual-Use-Dilemma, also die Schwierigkeit der eindeutigen Zuordnung, problematisiert nicht nur die unscharfe Grenze zwischen offensiver und defensiver Forschung und Anwendung. Sie ist von dem materialen Aspekt auf einen Wissensaspekt erweitert. Damit hat man einen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Grenzbereich erreicht. Wie soll mit einem Wissen umgegangen werden, das solcherart zur Bedrohung werden kann? Und welche sicherheitspolitischen Maßnahmen können vor diesem Hintergrund effektiv und effizient angewendet werden? Diese Fragen werden in den Kapitel 2 und 3 aufgegriffen und bearbeitet.
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4 I NHALATION UND DIE RELEVANTEN P ARAMETER I NFEKTION – A NATOMIE
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DER
Der Respirationstrakt wird eingeteilt in die oberen und unteren Atemwege. Die oberen Atemwege umfassen Nase und Rachen und werden auch als nasopharyngaler Bereich bezeichnet. Die unteren Atemwege unterteilen sich in den tracheobronchialen Bereich mit Kehlkopf und Bronchien und den Alveolartrakt mit den Alveolen. Die Zielregion der pulmonalen Ausbringung ist der Alveolartrakt, der durchschnittlich eine Oberfläche von 75 Quadratmetern zur Resorption bietet. Außerdem ist die mukoziliäre Clearance in dieser Atemwegregion kaum ausgeprägt, so dass Partikel und andere eingedrungene Fremdkörper nicht abgefangen und wegtransportiert werden. Die Zellbarriere ist in dieser Region mit etwa 0,1 Millimeter sehr gering, so dass der Übergang in die systemische Zirkulation gut erreicht werden kann. Je tiefer Partikel also in die Lunge eindringen, desto effektiver kann der Wirkstoff aufgenommen werden (Martonen et al. 2005). Partikelgrößen Partikel, die kleiner als zehn Mikrometer sind, gelangen durch den nasopharyngalen Bereich (Nase, Rachen). Partikel zwischen fünf und zehn Mikrometer können den tracheobronchialen Bereich passieren. Nur die Partikel, die kleiner als fünf Mikrometer sind, gelangen in die Alveolen und damit in den Bereich der systemischen Zirkulation. Partikel, die größer oder kleiner sind, werden wieder ausgeatmet oder von den körpereigenen Reinigungssystemen (Clearance) abgefangen und erreichen nicht die Alveolen, um dort wirksam zu werden. Die Inhalationsparameter sind relativ gut bekannt, doch gibt es große Unterschiede, die durch die individuellen Parameter und die Situationsgebundenheit der Atmung bedingt sind. Infektionstermini: direkt/indirekt/Tröpfchenübertragung Bei den Übertragungswegen von Infektionen werden – entsprechend der Partikelgröße – verschiedene Infektionswege beschrieben. Unter einer Infektion versteht man das Eindringen und die Vermehrung von Infektionserregern in einen Körper (Dreller et al. 2006). Mit Infektiosi-
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tät wird die Fähigkeit eines Erregers verstanden, bei einem empfänglichen Wirt eine Infektion hervorzurufen. Dies ist allerdings noch nicht gleichbedeutend mit einer Erkrankung des Individuums. Die wichtigste und häufigste Übertragungsart von Infektionen ist die Kontaktübertragung. Die Kontaktübertragung differenziert sich in eine direkte und eine indirekte Kontaktübertragung. Mit einer direkten Kontaktübertragung ist ein direkter Kontakt von Körperoberfläche zu Körperoberfläche gemeint. Die indirekte Kontaktübertragung kann zwischen einem empfänglichen Wirt mit einem kontaminierten Gegenstand zustande kommen. Die Tröpfcheninfektion ist – theoretisch – eine Form der Kontaktübertragung, allerdings ist der Mechanismus der Übertragung ein anderer. Beim Husten, Niesen oder Sprechen werden Tröpfchen in der Größenordnung von zehn bis 100 Mikrometer erzeugt. Wenn diese Tröpfchen Mikroorganismen enthalten, die auf die Konjunktiven, die nasale Mukosa oder den Mund treffen, kann eine Infektion zustande kommen. Da die Tröpfchen wegen ihrer Größe nicht suspendiert in der Luft bleiben, sondern allenfalls ein bis zwei Meter Flugweite erreichen, können durch einfache Infektionsschutzmaßnahmen Infektionen verhindert werden. Bei der aerogenen Übertragung sind die Partikel kleiner (ein bis fünf m), so dass sie lange in der Luft schweben und sich großflächig verteilen. Eine Ansteckung kann über weite Distanzen und lange Zeiträume erfolgen. Hier sind besondere Infektionsschutzmaßnahmen erforderlich (Unterdruck, Filter, höherwertige Masken wie z.B. FFP2 oder 3; s.u.). Was für die Wirkstoffausbringung als Aerosol allgemein gilt, bekommt bei infektiösen Partikeln noch eine zusätzliche Relevanz, weil Schutzmaßnahmen in Relation zur Gefährdung notwendig sind. Die Krankheitsübertragung über Vektoren (z.B. Mücken, Zecken) spielt bei der Aerosolisierung von Erregern keine Rolle. Infektionserreger kommen an Partikel gebunden vor, d.h. an »Tröpfchen gebundene Viren, Bakterien und Pilze; auch an Staubpartikeln gebundene Infektionserreger, […] selten: freie, d.h. nicht an andere Partikel gebundene Infektionserreger, deren Größenverteilung einen lungen- bzw. alveolengängigen Anteil umfasst (Partikeldurchmesser < 5m)« (Dreller et al. 2006, S. 15).
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In ihrem strömungsmechanischen Verhalten sind Aerosole infektiöser Partikel vergleichbar mit Aerosolen unbelebter bzw. nicht infektiöser Partikel. Dabei ist insbesondere die aerogene Übertragung von Infektionen interessant. Erreger kommen an Tröpfchen und an Tröpfchenkerne gebunden vor (Köhler 2001). Allerdings gibt es ein frappierendes Missverhältnis zwischen der Relevanz im Infektionsgeschehen und dem Wissen über die genauen Mechanismen und Schutzmaßnahmen. »Sofern ein infektiöses Partikel als Tröpfchen vorliegt, ist eine Übertragung über eine Distanz von 3 m beschrieben« (Olsen et al. 2003, S. 2421). Handelt es sich um einen Tröpfchenkern, sind keine Angaben zur Übertragungsentfernung bekannt (Dreller et al. 2006). Das ist insofern irritierend, weil dieser Partikelbereich für die aerogene Übertragung besonders in Frage kommt. Die Atemschutzmasken, die zum Schutz vor Infektionen empfohlen werden, werden in die sogenannte Klassen P1 bis P3 unterschieden, die sich in ihrer Durchlässigkeit als Barriere unterscheiden. Bei Atemschutzmasken der Stufe 1 (FFP1) werden mindestens 80 Prozent der Partikel von Gefahrstoffen aus der Umgebungsluft herausgefiltert; eine FFP2-Maske muss für mindestens 94 Prozent und eine FFP3-Maske mindestens 99 Prozent der festen Partikel und flüssigen Tröpfchen eine Barriere bieten. Die Prüfung von Schutzmasken erfolgt mit chemischen Testaerosolen, von denen angenommen wird, dass aufgrund ihrer Größenverteilung das Abscheideverhalten von biologischen Stoffen, wie Viren, Bakterien und Pilzen, mit eingeschlossen wird. Allerdings gibt es keine epidemiologische Studie in nationalen und internationalen Peer-Review-Journalen zu FFPMasken bei biologischen und infektiösen Partikeln. Hier besteht noch ein wesentlicher Forschungsbedarf zur Verhinderung der Übertragung von humanpathogenen Erregern.
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5 P RINZIPIEN A EROSOLE
DER
A USBRINGUNG – FLÜSSIGE
Aerosole können flüssig oder trocken sein. Die Erzeugung von flüssigen Aerosolen erfordert eine andere Technologie bei den Produktionsprozessen als die Herstellung von trockenen Aerosolen. Das flüssige Aerosol wird erst während des Sprühvorganges, der Aerosolisierung, in der entsprechenden Partikelgrößenverteilung erzeugt. Bei trockenen Aerosolen hingegen sind die Vorgänge und Abläufe vor und nach der Ausbringung besonders anspruchsvoll. Für die Ausbringung von hochwertigen pre-sized und speziell behandelten (pre-treated) trockenen Aerosolen ist ein Ausbringungsgerät nicht so essenziell wie bei den flüssigen Aerosolen. Doch auch in diesem Gebiet gerade im pharmazeutischen Bereich wurden Entwicklungen gemacht, die im Sinne einer Bioterrorrelevanz vorgestellt und diskutiert werden. Inhaliert wurde schon zu antiken Zeiten. Auch der Rauch der Indianerpfeife, orientalische Wasserpfeifen und Inhalationspraktiken der chinesischen Medizin haben eine lange kulturelle Tradition. Flüssigkeiten wurden erst Mitte des 19. Jahrhunderts zuerst in Frankreich in seiner Parfumindustrie an den Körper versprüht und – als Modeerscheinung – mit der Inhalation von Kurwasser in den Körper eingeführt. Die heutigen Anwendungsgebiete flüssiger Aerosole sind in der Landwirtschaft, der Industrie, in der Kosmetikindustrie (Haarspray, Parfum) und in einigen pharmazeutischen Applikationen (Anderson 2005) zu finden. In der Industrie und der Pharmazie gibt es prinzipiell zwei Gerätearten, mit denen man flüssige Aerosole ausbringen kann: sogenannte Vernebler (nebulizer) und Zerstäuber11 (atomizer). Beide Gerätearten werden unter dem Namen Sprühgeräte (spraying devices) zusammengefasst. Die Unterscheidung der beiden Gerätearten wird oft nicht einheitlich gehandhabt und kann zu Irritationen führen.
11 Die deutsche Sprache ist hier sehr ungenau: Auch wenn im Wort Zerstäuber der – trockene – Staub anklingt, handelt es sich bei Zerstäubern um Geräte zur Erzeugung flüssiger Aerosole.
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Atomizer Die Produktion von Tröpfchen aus einer Flüssigkeit wird Atomisation genannt. Sie beruht auf dem Prinzip, dass Druck Flüssigkeit durch eine Düse treibt, so dass die Flüssigkeit in kleine Tröpfchen desintegriert wird. Abhängig von der Art der Druckerzeugung unterscheidet man Druck- (pressure-atomizer) und pneumatische Zerstäuber. Bei dem Druckzerstäuber wird entweder durch Treibgas oder durch eine weitere Flüssigkeit die Energie erzeugt, die für die Erzeugung von kleinen Partikeln nötig ist. Bei der pneumatischen Atomisation desintegriert ein Luftstrom (compressed air) die Flüssigkeit in Aerosole. Die Größenordnung der Tröpfchen variiert mit dem Druck und der Geschwindigkeit und kann über verschiedene Parameter – wie z.B. Druck, Düsenöffnung, Flüssigkeitsmenge etc. – justiert werden. Die Partikelgröße nimmt bei zunehmenden Druck (bzw. bei zunehmender Geschwindigkeit, mit der die Flüssigkeit durch die Düse gepresst wird), kleiner werdender Düsenöffnung und bei abnehmender Viskosität der Flüssigkeit und deren Oberflächenspannung ab (Rau 2005b). Industrieller Gebrauch Im industriellen Gebrauch werden Zerstäuber hauptsächlich gebraucht, um Filter zu testen, Instrumente zu kalibrieren sowie Luftreiniger (aircleaners) oder Sprühtrockner zu testen. Eine große Palette an Geräten steht einem weltweiten Markt der Industrie, aber auch der Wissenschaft und Forschung zur Verfügung, die Inhalationsstudien erheben und Umweltschutzoder toxikologischen Fragestellungen nachgehen. Viele der Unternehmen, die Zerstäuber verkaufen, bieten auch Schulungen und E-Learning-Material an, um den Wirkungsgrad der Aerosolerzeugung zu verbessern. Pharmazeutische Industrie Für den individuellen Gebrauch stehen in der medizinisch-therapeutischen Anwendung sogenannte metered dose inhaler (MDI) zur Verfügung. Als Asthmasprayer sind diese Geräte im weltweiten Gebrauch. Diese Geräte dosieren durch den Sprühstoß ein Therapeutikum, das der Patient inhaliert. Eine Packung enthält zwischen 140 und 750 Milliliter der Flüssigkeit, die außer dem Wirkstoff noch ein Treibgas, Konservierungsstoffe, Lösungsmittel und Stabilisatoren sowie Geschmacksstoffe enthält. Das Treibgas erzeugt den Druck in dem Behälter so, dass bei Öffnung eines Ventils die
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Flüssigkeit durch eine Düse gepresst wird und ein Aerosol in der Partikelgröße zwischen einem und 100 Mikrometern erzeugt. In der derzeitigen Forschung und Entwicklung unterliegt nicht so sehr das Gerät der Veränderung; vielmehr wird an der Flüssigkeit und ihrer Zusammensetzung gearbeitet (Bendstrup 1999, Cheng 2003, Courrier/Butz/Vandamme 2002, Regele 2002, Steckel/Eskandar/Witthohn 2003). Nebulizer Bei einem Vernebler wird grundsätzlich das gleiche Prinzip angewendet wie bei der oben beschriebenen Erzeugung kleiner Tröpfchen. Im Unterschied zum Zerstäuber wird allerdings noch eine Fläche vorgeschaltet, die große bzw. abweichende Partikel abhält und so eine einheitliche Partikelgröße ermöglicht. So wird gerade der Bereich der Partikelgrößen von einem bis zehn Mikrometer optimiert. Vernebler werden in der Landwirtschaft, der Industrie und für den individuellen Einsatz vergleichbar wie Zerstäuber verwendet (Bendstrup 1999, Corcoran et al. 2002, Steckel/ Eskandar/Witthohn 2003). BANG – der BioAerosol Nebulizing Generator Der BioAerosol Nebulizing Generator (BANG) ist von besonderem Interesse für Biosecurity, weil BANG eigens dazu konstruiert wurde, Bioaerosole herzustellen. BANG produziert ein infektiöses mikrobielles Aerosol in der Partikelgröße von etwa 0,5 bis 1,5 Mikrometern12. Die Erzeugung von Bioaerosolen muss bestimmte Kriterien erfüllen, und BANG scheint diese Voraussetzung sehr gut umzusetzen, so nutzt er z.B. einen geringen Druck (und eine geringe Geschwindigkeit) zur Produktion kleiner Partikel. In Abhängigkeit von dem angelegten Druck, können vier bis sechs Liter pro Minute versprüht werden. Der Hersteller betont in einer persönlichen Kommunikation, dass Bakterien und Viren in ausreichender Konzentration versprüht werden können, trotz einer – mit steigender Konzentration – zunehmenden Viskosität. Toxikologen nutzen dieses Gerät in Inhalationsstudien, und BANG wird in verschiedenen Einrichtungen zur Biodefense, wie dem USAMRIID in den USA, genutzt.
12 http://www.inhalation.net; Inhalation Toxicolgy and Respiratory Biology Newsletter, August 2002; http://www.inhalation.net/instructionsbang.htm.
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Diskussion Bei diesen drei Gerätearten (atomizer, nebulizer, BANG) werden im Sinne einer Bioterrorrelevanz zwei Anforderungen diskutiert: Zum einen weiß man aus der Praxis, dass die Düse relativ häufig verstopft. Und gerade wenn man mit Bakteriensuspensionen arbeitet, die – um in einer hinreichend infektiösen Konzentration vorzuliegen – relativ viskös sind, erfordert es viel Geschick und Erfahrung, die Ausbringung effektiv zu gestalten. Außerdem ist es bei einer Bakteriensuspension auch fraglich, ob mit dem Druck und der Geschwindigkeit, die erforderlich sind, um lungengängige Tröpfchen zu erhalten, die lebenden Erreger nicht zerstört werden. Zudem ist es unklar, ob die in dieser Art versprühten Erreger ausreichend umweltresistent sind, um infektiös zu bleiben, und ob sie ihre Pathogenität und Virulenz bei der Aerosolisierung oder als Aerosol in der Luft (oder den Atemwegen) nicht einbüßen. Flüssige Aerosole sind während des Sprühvorgangs physikalisch aufwendiger als trockene Aerosole, weil die Tröpfchen beim Sprühen geformt werden. Die derzeitigen Forschungsinteressen und Entwicklungen richten sich im Bereich flüssiger Aerosole auf zwei Bereiche: zum einen auf die Präparation und Optimierung der Flüssigkeit (mit Stabilisatoren et al.), zum anderen auf die Optimierung der Ausbringung, die durch den Umstieg von Treibgas auf Pumpsprays umweltpolitisch erwirkt wurde und nun als Forschungsmotor die Entwicklungen vorantreibt (s.u.).
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III S PREADING K NOWLEDGE : A EROGENE K ONTROLLE Die Insektenbekämpfung mit aerogen ausgebrachten Pestiziden ist seit einiger Zeit im Fokus der Debatte über eine bioterroristische Bedrohung und die geeigneten Schutzmaßnahmen. Denn in diesem Gebiet kann man von den praktischen Erfahrungen, die dort täglich in einem großen Umfang gemacht werden, profitieren. Das betrifft Fragen der effektiven Ausbringung ebenso wie die Stabilität des ausgebrachten Organismus sowie mögliche Schutzmaßnahmen. »Agricultural research of biological pesticides, such as the insect-killing bacterium Bacillus thuringiensis, has provided much information on methods for stabilizing bacterial agents in the field. For example, new formulations of B. thuringiensis have been developed that extend the life of the disseminated bacteria by means of ultraviolet protectants and other additives that ensure compatibility with existing agricultural sprayers.« (Office of Technology Assessment [OTA], 1993, S. 93)
Die Erfahrungen mit Bacillus thuringiensis sind deswegen so interessant, weil Bacillus thuringiensis sozusagen ein ›close cousin‹ von Bacillus anthracis ist, dem Erreger von Anthrax. Daher werden Erfahrung und Experimente mit Bacillus thuringiensis als Modelorganismusversuche gewertet, die man auf die Ausbringungsparameter von Bacillus anthracis übertragen kann. Die Anthraxbriefe im September 2001 haben die Frage nach der ›Waffenfähigkeit‹ von Infektionserregern und deren großflächiger Ausbringung als Aerosol über öffentlichen Plätzen, Gebäuden oder in Verkehrsmitteln erneut gestellt (Kennedy/Hinds 2004). Die Expertengruppen, die in verschiedenen Szenarien über diese Möglichkeiten diskutieren, kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Einig sind sie sich in der spärlichen empirischen Ausgangslage, nach denen die Ausbringung von Infektionserregern als Aerosol evidenzbasiert kaum bzw. gar nicht öffentlich dokumentiert wird. Eine Studie der WHO aus den 70er Jahren schätzt, dass 50 Kilogramm Bacillus anthracis über einer Großstadt als Aerosol ausgebracht, zu fünf Millionen Kranken und 100.000 Toten führen würde (WHO 1970). Die Studie des Office of Technology Assessment (OTA) von 1993 rechnet bei einer Freisetzung von 100 Kilogramm Bacillus anthracis mit 130.000 bis drei Millionen Toten (OTA 1993). Die empirischen Daten zur Aerosoli-
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sierung und Ausbringung sind innerhalb der offensiven Biowaffenprogramme der USA, der Sowjetunion und auch des Irak erhoben worden und sind klassifiziert. Für den zivilen Bereich gibt es keine Daten, auf die zurückgegriffen werden kann13). Allein aus den akzidentiellen Zwischenfällen wie in Swerdlowsk bei einem Unfall in einer militärischen Einrichtung in der früheren Sowjetunion (Meselson et al. 1994) lassen sich sporadisch Daten erheben. In der Diskussion um die Anthraxbriefe und die Waffenfähigkeit von Aerosolen hat sich in der Biowaffenexpertise die Tendenz verfestigt, dass biologische Waffen eher in dem Bereich hochelaborierter, hochkonzentrierter, elektrostatisch ausbalancierter, nicht verklumpender Cutting-edgePulver anzusiedeln sei; in diesem Zusammenhang wird auch die Überzeugung vertreten, dass flüssige Aerosole wegen verstopfender Düsen und hoher Scherkräfte (s.o.) wohl kaum effektiv auszubringen sind. Umso interessanter ist ein Beitrag von David Levin, der mit seinen Kollegen in Ermangelung empirischer Daten zur Aerosolisierung von Bacillus anthracis mit dessen ›close cousin‹ Bacillus thuringiensis, einem ebenso populären wie nicht humanpathogenen Mittel zur Insektenbekämpfung, Sprühversuche gemacht hat (Levin/Valadares de Amorim 2003). Zur Bekämpfung der Zigeunermotte wurde in Kanada ein Sprühversuch mit Bacillus thuringiensis als flüssigem Aerosol mit der üblichen Infrastruktur und den üblichen Geräten zur Insektenbekämpfung durchgeführt und dokumentiert. Dabei kommt Levin zu zwei interessanten Ergebnissen: 1. Levin und seine Kollegen haben beobachtet, dass eine Dissemination von Aerosolen aus einem gewöhnlichen Sprühflugzeug heraus die Partikelgröße maßgeblich beeinflusst. So resultiert aus dem aerogenen Versprühen eines Aerosols in der Partikelgröße zwischen 120 und 130 Mikrometern bei bekannten Parametern wie Höhe, Fluggeschwindigkeit, Windrichtung, Volumen und Konzentration eine Partikelverteilung von einem bis 20 Mikrometern am Boden. Damit wurden flüssige Aerosole im gängigen Verfahren zur Insektenbekämpfung erzeugt, die lungengängig sind. Da die Wirkstoffe
13 »[T]here are no known unclassified data on human exposure to large-scale aerosol releases of biological weapons«, Levin/Valadares de Amorim 2003, S. 37.
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bzw. Erreger in die systemische Zirkulation der exponierten Personen eindringen können, hat diese Ausbringungsart – wie Levin zeigt – bioterroristische Relevanz. Die Größenreduktion der ausgebrachten Partikel ist bisher nicht erklärt. In einer persönlichen Kommunikation hat Levin als Erklärung eine Dehydrierung der Partikel oder eine Teilung der Partikel (ohne Wirkungsverlust) vorgeschlagen. Weitere Sprühversuche hat Levin für den Herbst 2004 beantragt; diese Forschungsanträge sind allerdings nicht bewilligt worden – und dass, obwohl Levins Beitrag in der kontroversen Debatte um die Bioterrorrelevanz von konventionellen Sprühgeräten einen wichtigen Beitrag geliefert hat, der entsprechend diskutiert wurde (z.B. Peters, Spertzel, Patrick 2003). Denn mit Levins Ergebnissen lässt sich ein gewichtiges Argument in der Risikobewertung von flüssigen Aerosolen widerlegen: Selbst wenn die Partikelgröße, mit der die konventionelle Insektenbekämpfung arbeitet, zunächst zu groß für eine Lungenpenetration ist, so resultieren diese ›zu großen‹ Partikel bei einer Dispersion aus einer bestimmten (und berechenbaren) Höhe und einer relativen Freisetzungsgeschwindigkeit in lungengängigen Partikeln. Die Beobachtung von Levin weist auch auf die Lücken in der bisherigen Betrachtung von Aerosolisierung: Allein die Ausweitung der Beobachtung von der Partikelgröße an der Düse auf die Beobachtung des tatsächlichen Resultats am Boden nach dem aerogenen Versprühen lässt die Risikobewertung ganz anders ausfallen. 2. Die zweite Beobachtung von Levin war die erstaunliche Mobilität der dispergierten Partikel. Nasen- und Rachenabstriche von Personen, die sich in dem besprühten Gebiet in geschlossenen Räumen aufgehalten haben, zeigen eine Aerosolkonzentration von etwa 245 colony forming units (CFU) pro Kubikmeter (ein CFU entspricht etwa einer Spore). Gemäß den Atemparametern eines erwachsenen Menschen bedeutet das die Inhalation von 200 Sporen in der Stunde. In einem Kommentar von Peters und Hartley (Peters, Spertzel, Patrick 2003) werden diese Daten einer Berechnung zur Aufnahme von Anthraxsporen zugrunde gelegt. Peters und Hartley errechnen bei einer LD50 von Bacillus anthracis mit etwa 8000 Sporen eine LD14-19 bei einer Ausbringung mit diesen Geräten unter den angegebenen Parametern; d.h. bei einer Ausbringung mit Bacillus anthracis in diesen Koordinaten würden von 100 exponierten Personen etwa 14 bis 19 erwachsene Menschen sterben. Auch wenn diese Ausbringung keine hundertprozentige Letalität erreicht, ist es doch ein ernstzunehmendes Szenario, das
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für die Bioterrorismusbekämpfung relevant ist. Anders als bei rein militärischen Zwecken, in denen die Effektivität einer Maßnahme mit einer LD1419 eher gering eingeschätzt würde, ist der Effekt für nicht staatliche Akteure, die neben der tatsächlichen Tötung von Menschen insbesondere auf die Zerrütung von staatlichen Ordnungen und die Zerstörung oder Destabilisierung von Gesellschaften abzielen, bemerkenswert, wie die fünf Anthraxtoten 2001 eindrücklich zeigten. Diskussion Wenn man Levins Daten ernst nimmt, stehen die BiowaffenKontrollmaßnahmen vor ihrem strukturellen Aus. Denn nach dem, was Levin zeigt, ist es mit einer herkömmlichen zivilen Infrastruktur zur Ausbringung von Pestiziden, die weltweit in einem großen Maßstab praktiziert wird14, möglich, waffenfähiges, d.h. lungengängiges Aerosol zu versprühen. Die materialen Voraussetzungen für ein großflächiges Versprühen von lungengängigen Aerosolen sind also schon lange gegeben. So ist ein Fokus der Rüstungskontrolle auf die materialen Bedingungen zwar gut gemeint, aber angesichts der alltäglichen, großflächigen und zivilen Nutzung dieser Infrastruktur kaum griffig. Viel eher wird es in einer künftigen adäquaten Rüstungskontrolle, die den komplexen Herausforderungen der modernen Biomedizin gewachsen ist, darum gehen, einen systemischen, wissensbasierten Ansatz zu entwickeln (s. Kap. 4).
14 Die Mückenkontrollen im Rahmen der West-Nil-Erkrankungen arbeiten schon mit einer Sprühgröße von zehn Mikrometern (http://westnile.ca.gov/facts.htm).
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6 P RINZIPIEN A EROSOLE
DER
A USBRINGUNG –
TROCKENE
Die Aerosolisierung von trockenen Substanzen ist eine gebräuchliche und weit verbreitete Applikationsart – in der Pharmazie ebenso wie in der Landwirtschaft. Während bei der Erzeugung flüssiger Aerosole die Schwierigkeit darin besteht, Partikel in der richtigen Größenverteilung während des Sprühvorganges zu generieren, ist der Prozess der Aerosolisierung von trockenem, vorbehandelten und pre-sized Material mit relativ einfachen Applikationsgeräten zu bewältigen. Bei der Dispersion trockener Aerosole liegen die Schwierigkeiten eher in der Phase vor der Aerosolisierung, nämlich in der Herstellung von lungengängigem Pulver, das nicht verklumpt und elektrostatisch ausgeglichen ist (Atkins 2005, Hess 2005). Aus der Perspektive einer Rüstungskontrolle biologischer Waffen liegen im Bereich trockener Aerosole die Interessen nicht auf den Apparaten der Ausbringung, obwohl diese in den letzten Jahren sehr komfortabel und effizient geworden sind, sondern eher auf der Technologie des particle engineering, die durch eine verbesserte Performanz des Pulvers die Ausbringung von Erregern waffenfähig machen könnte (Fiegel/Clarke/Edwards 2006, Rengasamy/Zhuang/Berryann 2004b). Trockene Aerosole in der Pharmazie Dry powder inhalers (DPI) sind Apparate, die einen trockenen Wirkstoff über die Inspiration des Patienten in die systemische Zirkulation einbringen. Man unterscheidet aktive und passive Apparate; das meint: Bei der aktiven Administration wird das Pulver während der Inspiration des Patienten durch komprimierte Luft (compressed air) in die Atemwege gesprüht; bei der passiven Applikation ist der Inspirationszug des Patienten der auslösende Moment der Dispersion (Cheng 2003). In den neueren Entwicklungen wird vor allem die Koordination zwischen Inspiration und Applikation optimiert (Newman 2004). Um die adäquate Dosierung für die Medikamente zu errechnen und zu applizieren, gibt es neben den In-vitro- und In-vivo-Experimenten auch einen Forschungszweig, der als in-silico die Applikation über mathematische Simulationen in Computerprogrammen realisiert.
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Modelliert werden die extrathorakale Region (nasal, oral, pharyngeal, laryngeal) als obere Atemwege sowie die unteren Atemwege, die für die Administration von Wirkstoffen maßgeblich sind. In den passiven DPI wird durch die Inspiration des Patienten die Dispersion des Pulvers ausgelöst und gesteuert. Die Inhalation beruht auf individuellen Parametern, die die Anatomie und Gewohnheit des Patienten beinhaltet, wie zum Beispiel: • • •
morphologische Bedingungen, Aerosolcharakteristik oder Atembedingungen (z.B. Atemzugvolumen, Atemwegswiderstand, Atemfrequenz).
Die Administration kann durch mathematische Simulationen optimiert werden. Es ist allerdings immer noch so, dass trotz aller Berechnung und Simulation ein Großteil des Wirkstoffes in dem Gerät verbleibt, so dass man die device resistance zur Berechnung dieser Störgröße des Gerätes eingeführt hat (s.u. den Abschnitt »Forschungszweige«). Wirkstoffausbringung – Bemerkungen über die Entwicklung des Wissensgebietes Die Popularisierung des Forschungsgebietes zu Aerosolen ist aus zwei Bewegungen entstanden. Ein wesentlicher Forschungsmotor für den therapeutischen Einsatz und die Weiterentwicklung von Inhalativa ist die Umweltbewegung. Im Zusammenhang mit dem Montrealabkommen (Laube 2005) und dem Bann von Treibgasen auf der Basis von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) ist die Notwendigkeit entstanden, über alternative Treibgase bzw. alternative Aerosolerzeugungsenergien nachzudenken. Hinzu kam ein immer stärker artikulierter Wunsch, eine compliance fördernde Alternative zur Injektion von Wirkstoffen zu finden. Seit Mitte der 90er Jahre wurde aus den Desideraten von zwei verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen die Entwicklung von pulmonalen Administrationsrouten zu therapeutischen Zwecken wie etwa zur Behandlung von Asthma, Diabetes und zystischen Fibrose vorangetrieben. Politischer Wille, verbunden mit medizinischem Fortschritt, haben dieses Forschungsgebiet sehr disparat geprägt.
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Das Wissen über Aerosole, Bioaerosole und Tröpfchen und Stäube ist gering, weil der Forschungszweig zugleich sehr alt und sehr neu ist. Um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert haben wissenschaftliche Entdeckung die materiale Seite von Infektionskrankheiten (Bakterien, Viren, Toxine, Pilze) von den Mechanismen ihrer Pathogenität trennen können. Die Erforschung des Materials (des Bakteriums) mit seiner Lagerungsund Dispersionsfähigkeit war ein Forschungsgebiet des frühen 20. Jahrhunderts. In den folgenden Jahrzehnten ging die wissenschaftliche Entwicklung eher in den Mikro- und dann den Nanobereich. Im Kleinen und Kleinsten wurde versucht, die Prinzipien der Infektiosität mit den strukturellen morphologischen Eigenschaften zur Deckung zu bringen. Schwierigkeiten Durch die anfänglichen Applikationsschwierigkeiten ist die aerogene Administration bislang keine Erfolgsgeschichte. Es gibt mehrere Unsicherheiten bei der Applikation von Wirkstoffen: Atemparameter oder Probleme der Dosierung. Bei der Ausbringung von infektiösen Bioaerosolen kommen noch die offenen Fragen zur Aufreinigung, Trocknung, Lagerung und Konzentrierung hinzu. Außerdem ist für diesen Anwendungsbereich die Balance von widerstrebenden Kräften noch nicht geklärt: z.B. die Balance zwischen Schwer- und Scherkräften. Durch den Druck und die Geschwindigkeit der Ausbringung werden Partikel so klein gemacht, dass sie lungengängig werden; zugleich besteht aber die Gefahr, dass sie durch den Druck und die Strömungsgeschwindigkeit zerstört werden. Zudem gibt es kaum Informationen über andere Umwelteinflüsse: Es gibt kaum verfügbares und belastbares Wissen darüber, wie die Erreger sich in der Luft verhalten, wie sie Trocknung und Lagerung überstehen, wie lange sie in Raumluft bei UVEinstrahlung, bestimmter Temperatur und relativer Luftfeuchtigkeit infektiös bleiben (Bosquillon 2001, Cheng 2003). Ein weiteres Problem bei den DPI ist, dass das trockene Pulver bei der Inhalation einer physiologischen feuchten Umgebung mit schwankenden pH-Werten ausgesetzt ist (Chew 2002, Shekunov 2003). Die Datenlage ist sehr also dünn. Das liegt nicht nur an dem wenig erforschten Gebiet, sondern trägt auch der Tatsache Rechnung, dass die Prinzipien nicht so weit verstanden sind, um abstrahieren zu können und Einheiten zu bilden, wie etwa die Erklärung des unterschiedlichen Verhaltens von grampositiven und gramnegativen Bakterien. Bei Viren ist dies wesentlich einfacher; dort lässt sich aufgrund
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der Hülle die Sensitivität gegenüber Umwelteinflüssen erklären; so lassen sich alle behüllten Viren durch Detergentien leicht inaktivieren, weil sie deren Hülle zerstören. An der Entwicklung der DPI lassen sich diese Aspekte sehr gut ablesen. Die Weiterentwicklung der DPI vollzieht sich seit Anfang der 70er Jahre in Deutschland, aber auch weltweit. Motor dieser Entwicklung ist auch hier das Montrealabkommen und der FCKW-Bann (Martonen et al. 2005). Die Weiterentwicklung fand mit drei Ansätzen statt: an den Geräten, an den Pulvern und Wirkstoffen und an dem Verständnis zur inhalativen Aufnahme von Wirkstoffen beim Menschen. Die Geräte zur Ausbringung wurden schrittweise verbessert. Allerdings sind DPI bis heute noch nicht so effektiv wie MDI (ebd.), weil eine effiziente Ausbringung ausreichend Energie für die Dispersion und die Deaggregation von kohäsiven Teilchen benötigt. Daher verfolgt man das sogenannte active inhaler design, bei dem die Pulver aktiv appliziert werden. Ebenso geht die Entwicklung der Wirkstoffe zu den new potent active drug compounds, die auch durch eine Veränderung der Rezeptur – Wirkstoff und Carrier – die bisherigen Schwächen der Anwendung dezimieren sollen. Die Fortschritte im Verständnis des Mechanismus der Dispersion von Pulvern und der Deposition in den Atemwegen bzw. der Lunge sind dabei leitend (Chew 2001). Zusammenfassung Partikel flüssiger Aerosole, ausgebracht mit Zerstäubern und Verneblern (atomizer, nebulizer) in MDI, haben etwa einen Durchmesser von einem bis 250 Mikrometern. In diesem Anwendungsbereich gab es nur graduelle Entwicklungen, die maßgeblich zur Verbesserung in der Handhabung beitrugen und die eine hohe Variation in der Effektivität und Effizienz hat. Bei den trockenen Aerosolen, die mit DPI verabreicht werden, stehen sehr hohe Anforderungen an den Trocknungsprozess, die Vorbehandlung und die Rezeptur der Pulver (Pulverperformanz kombiniert mit Carriern) im Vordergrund. Die Weiterentwicklung der Applikationsgeräte stellt nach wie vor eine große Hürde dar, weil immer noch ein Großteil des Pulvers (und damit des Wirkstoffes) in den Geräten, als device resistence, verbleibt. Bei der Pulverentwicklung haben beachtliche Entwicklungen stattgefunden, die – getriggert durch therapeutische Maßnahmen wie etwa beim dry insulin – hochinteressante und zukunftsweisende Technologien ange-
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stoßen haben (Anderson 2005, Atkins 2005 Laube 2005 Martonen et al. 2005). Diese beachtlichen Entwicklungen in der Partikelpräparation werden nun etwas ausdifferenziert und erläutert. Particle engineering Das particle engineering ist ein relativ neues Forschungs- und Entwicklungsgebiet. Während in den 50er und 60er Jahren die Applikation von Therapeutika sehr selten war und insbesondere an der Geräten der Administration geforscht und entwickelt wurde, setzt seit den 90er Jahren das sogenannte therapeutische Aerosol-Bioengineering (TAB) ein. In diesem Forschungszweig wird neben einer stetigen Verbesserung der Applikationsgeräte vor allem an der Optimierung der Aerosolperformanz der Partikel gearbeitet, wie z.B. die Herstellung von Antiagglomeraten, der Mikro- und Nanoeinkapselung sowie die Entwicklung von sogenannten large porous particle (LPP). Antiagglomerate Aerosole müssen – damit sie lungengängig sind und pulmonal in die systemische Zirkulation eingebracht werden können – klein sein. Man geht von einem Teilchendurchmesser von einem bis fünf Mikrometern für die optimale Administration aus. Wenn die Teilchen aber so klein sind, haben sie aufgrund der interpartikularen Kräfte die Tendenz, sich zu größeren Partikeln zusammenzuklumpen, zu agglomerieren. Wenn es sich bei den Aerosolpartikeln um Proteine handelt, die durch ihre Eiweißstruktur regelrecht ›klebrig‹ sind, ist die Verklumpung sehr hoch. Dadurch werden Aerosole weniger lungengängig und Wirkstoffe können weniger effektiv ausgebracht werden (Chew/Chan 2002). Eine Möglichkeit ist es, regelrechte Abstandhalter an die Partikeln anzulagern, die eine Agglomeration verhindern. Am Beispiel der Anthraxbriefe in den USA (Matsumoto 2003, s.o.) wurde schon eine wesentliche Entwicklung dargestellt. Dort wurden bei Anthraxsporen Kieselsäure (Silica) mit Silan-Siloxan-Komponenten an den Partikeln verankert, um die Agglomerisation zu verhindern. Mikro- und Nanoeinkapselung Anthrax wird unter anderem deswegen als eine besonders relevante Erkrankung im Zusammenhang mit einer bioterroristischen Bedrohung ange-
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sehen, weil das Bakterium Bacillus anthracis zu den Sporenbildern gehört. Sporen sind metabolisch inaktive Vegetationsformen von Bakterien, die unter extrem unwirtlichen Lebensbedingungen gebildet werden und diese auch unbeschadet überdauern können. Diese Umweltresistenz der Überdauerungsformen – insbesondere die gegen Hitze – wird auf die dicke Sporenwand und den dehydrierten Zustand der Spore zurückgeführt. Wenn die Umweltbedingungen es zulassen, keimen die Sporen wieder zu vegetativ aktiven Zellen aus, die sich vermehren können und im Fall von Anthrax den Anthrax-Toxin-Komplex bilden, der zu dem Krankheitsbild Milzbrand führt. Im Erregerspektrum biologischer Gefährdungen sind nur die Bacillus- und Clostridium-Bakterien Sporenbildner, alle anderen angeführten Bakterien sind zumeist empfindlich gegenüber Umweltbedingungen wie zum Beispiel UV-Strahlen, Luftfeuchtigkeit oder auch mechanischem Stress. Bei der Mikro- und Nanoeinkapselung wird versucht, diese schützende und resistente Sporenform – beinahe bionisch – zu imitieren (Jeffrey 2004). Bei der Mikroeinkapselung wird versucht, die »natural spore formation by coating of pathogens or particles of toxins with a thin coat of gelatine, sodium alginate, cellulose, or some other protective material« nachzumachen (OTA 1993, S. 94). Ein protektives Polymer kann auch dazu genutzt werden, die Agglomeratbildung von Partikeln zu reduzieren und damit die Dispersionseigenschaften zu verbessern (Brach 2000, Cheng 2002 Ibrahim 2003). Die Mikroeinkapselung kann bei Partikeln mit einem Durchmesser von fünf bis zehn Mikrometern verwendet werden. Bei kleineren Partikeln (< 5 m) wird mit polymeren Nanopartikeln gearbeitet (Dickinson 2001 Yang 2000), die sehr gute Resultate erzielen (Eerikainen et al.2003, Hans 2002). Für die Verwendung bei therapeutischer Applikation wurde diese Technik mit verschiedenen Verneblern getestet (Dailey 2003) und insbesondere die verbesserte Pharmakokinetik ist für die zukünftige Entwicklung interessant. Das Prinzip der Einkapselung hat zwei Effekte: zum einen den Schutz des Wirkstoffes vor schädigenden Umwelteinflüssen, zum anderen die verbesserte, zielgenauere und erweiterte Ausbringungsmöglichkeit. Eingekapselte Wirkstoffe können gezielter in den Körper eingebracht werden (targeted drug delivery). So dienen Nanopartikel auch dazu, als Carrier die Administration in ansonsten kaum erreichbare Räume des Körpers zu ermöglichen. Die Wirkstoffausbringung im Nanobereich kann in verschiedener
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Weise in die pulmonale Ausbringung implementiert werden, z.B. als Vektoren bei der Gentherapie, bei der Stabilisierung der Wirkstoffe im Aerosol oder als Carrier, der die Toxizität des Stoffes herabsetzt. Ziel ist es, die Bioverfügbarkeit auch bei zeitlich verzögerter Freisetzung von Wirkstoffen zu erhöhen und die Präzision der Wirkstoffausbringung zu verbessern. Dazu sind verschiedene Faktoren maßgeblich: Einerseits muss versucht werden, die Makrophagen-Clearance der Lunge zu umgehen und die Wirkstoffe zielgenau angepasst an die Lungenanatomie zu platzieren, andererseits wird an der Stabilität von Aerosolen bei Raumtemperatur gearbeitet ebenso wie an der Erhöhung der Wirkstoffmenge pro Atemzug. Schließlich trägt eine gesteigerte Permeabilität des Lungenepithels dazu bei, die Blutabsorption und damit die Bioverfügbarkeit zu erhöhen (Edwards/Dunbar 2002). Mit den Wirkstoffträgersystemen im Mikro- und Nanometerbereich erreicht man also dreierlei: Eine verbesserte Administration mit einem gezielten, geschützten Transport, eine verbesserte Aufnahme, und es werden andere Wirkstoffbereiche – wie z.B. Peptide – für die Ausbringung in einer neuen Weise relevant. Auch Liposome (Desai 2002) eignen sich als Carrier, die mit ihrer lipophilen Hülle hydrophile Substanzen umschließen und an einen Wirkort transportieren können, zu dem sie aufgrund ihrer hydrophilen Eigenschaften nicht würden vordringen können (Dickmann/Kernchen 2005). Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Fragestellung auch sozusagen vice versa gedacht werden kann. So beschäftigt sich Edwards nicht nur mit der Frage, wie die Aufnahme von Wirkstoffen als Aerosol verbessert werden kann (Edwards/Dunbar 2002, Edwards 1998), sondern auch, wie die Abgabe von infektiösen Aerosolen über die Ausatmung reduziert werden kann (Edwards et al. 2004). Es gibt Menschen, die atmen mehr infektiöse Bioaerosole aus als andere Menschen (mit vergleichbaren Atemparametern, einer vergleichbaren Virenlast etc.). Diese sogenannten Superspreader werden in der epidemiologischen Beobachtung oft bestätigt, aber bisher ist noch nicht geklärt, wieso manche Menschen ansteckender sind als andere. Edwards schlägt hier die Inhalation von nicht toxischen Aerosolen auf isotonischer Kochsalzbasis (Saline) vor, die die Ausatmung von infektiösen Bioaerosolen in einer signifikanten Weise verringert (ebd., Fiegel/Clarke/Edwards 2006). Damit erklärt er das Phänomen der Superspreader zwar nicht, dennoch ist an dieser Stelle interessant, dass die Effektivität
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von inhalierten Aerosolen nicht nur die Aufnahme in den Körper, sondern auch die Abgabe von Bioaerosolen beeinflussen kann. LPP-Design Ein wesentlicher Parameter für die effektive und effiziente Wirkstoffausbringung ist die Teilchengröße des Aerosols. Wie oben schon beschrieben benötigt man für die optimale Lungengängigkeit einen Durchmesser von etwa einem bis fünf Mikrometern. Da Teilchen in dieser Größenordnung die Tendenz haben, sich zu größeren Agglomeraten zu verklumpen, ist diese Ausbringung heikel und schwierig. Eine clevere Balance bietet die Erzeugung sogenannter LPP (Edwards 1998, Tsapis 2002). Bei dieser Technologie setzt man an dem Hauptparameter der Deposition an und arbeitet mit dem AD des Teilchens. Der geometrische Durchmesser des Teilchens wird vergrößert, indem man das konsistente Teilchen ›löchert‹, auflockert, porös macht, ohne es zu zerstören. Durch diese ›Auflockerung‹ verringert sich automatisch die Dichte. Der AD – als Einheit des geometrischen Durchmessers durch die Dichte (s.o.) – bleibt so klein. Mit diesem Prozedere profitiert man von der besseren Lungengängigkeit kleiner Teilchen, gepaart mit der besseren Dispersion großer Teilchen. Zusammenfassung Diese drei ausgewählten biotechnologischen Disziplinen tragen in einem erheblichen Maße zur Stabilisation, Protektion und Verbesserung der Wirkstoffausbringung bei. Es sind auch Wirtschaftsbereiche, die ein enormes Wachstumspotenzial haben. In Hinblick auf die Gefährdungen durch biologische Waffen scheinen diese Forschungs- und Entwicklungsbereiche von einem besonderen Interesse zu sein. Die Technologien, die hier unter einer politisch gewollten, medizinisch notwendigen und wissenschaftlich fortschrittlichen und zukunftsweisenden Direktive laufen, sind legitime zivile Entwicklungen, die über einen Wissens- und Technologietransfer auf die Herstellung und Optimierung von biologischen Waffen übertragen werden könnten.
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IV A IR
GUNS : D RY I NSULIN UND PARTICLE ENGINEERING ALS MODERNE B EDROHUNGEN
»Inhaled aerosols as vehicles for delivering biological agents have attracted broad national attention since the death of Bob Stevens on October 5, 2001 at American Media Inc. in Florida by inhaled Bacillus anthracis, the bacteria that cause the disease anthrax.« (Edwards 2002, S. 2) Mit diesen Worten beginnt David Edwards seinen Artikel »The Delivery of Biological Agents by Aerosols« (Edwards 2002), und hier stellt er eine direkte Verbindung zwischen der Bedrohung durch biologische Waffen und den Fortschritten des TAB her (Paddle 2003). Der Artikel überrascht, weil er den Transfer explizit zwischen zwei Forschungsgebieten herstellt, deren Interdependenzen immer wieder – mehr oder weniger laut – vermutet werden, in der Deutlichkeit und Prägnanz aber selten sind. Edwards ist Naturwissenschaftler und Ingenieur und vertritt sowohl die Harvard Universität in dem Bereich Engineering and Applied Sciences wie auch als Mitbegründer und Mitinhaber die Firma Alkermes, die bei der Entwicklung von inhalierbarem Insulin eine Schlüsselposition innehat. Er ist weder Mikrobiologie noch Politik- oder Friedensforscher, aus deren Bereichen üblicherweise Beiträge zur biologischen Bedrohung rekrutiert sind, und er stellt auch in der Art, wie er denkt und argumentiert, andere Zusammenhänge her. Während man aus der Mikrobiologie und Nonproliferationsdebatte Artikel bekommt, die Szenarien biologischer Bedrohungen simulieren, die mathematische Modellierung zur letalen Dosierung von den üblichen verdächtigen Erregern liefern oder die auf die Vergeblichkeit der bisherigen Versuche biologischer Rüstungskontrollen hinweisen, argumentiert Edwards in einer anderen Weise mit einem anderen Material. Er stellt als ausgewiesener Kenner dieses Forschungszweiges die neueren Entwicklungen im Bereich der Inhalativa in einen Zusammenhang mit biologischen Bedrohungen. In diesem Zusammenhang erläutert er die Entwicklungen von LPP (s.o.) und die Fortschritte der Aerosoltherapie am Beispiel der Anwendung inhalativen Insulins. Die Fortschritte auf diesem Gebiet könnten natürlich missbräuchlich genutzt werden. Unter der Zwischenüberschrift »Inhaled Pathogen Threat« resümiert Edwards: »In the same way that inhaled aerosols can be used to effectively administer a drug for human therapy, they can serve as frighteningly effective carriers of human disea-
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se. Inhaled aerosols can transmit, e.g. (NRC Committee 1999), the pathogens for anthrax, pneumonic plague, tularaemia, Q fever, smallpox, viral encephalitides, viral hemorrhagic fevers, botulism, and staphylococcal enterotoxin B (SEB), among others. Inhalation is often the most effective route these pathogens can follow to enter the body.« (Edwards 2002, S. 4).
Edwards – als Geschäftsmann wohl nicht untüchtig – folgert aus der bedrohlichen Beobachtung eine ganz andere Konsequenz: Er stellt die Bedeutung von inhalierbaren Substanzen zur therapeutischen oder prophylaktischen Behandlung von möglicherweise bioterroristisch ausgesetzten Erregern heraus. Bedrohung und Nutzen in einem Geschäftszweig: »At the same time, new inhalation technology might also lead to new therapies for treating symptoms of biological terror.« (ebd., S. 5). Statt also den Restriktionsreflex auszulösen und dazu aufzurufen, diese Entwicklungen zu restringieren, Mitarbeiter durch code of conducts auf die Gefährlichkeit ihrer Forschungen hinzuweisen etc., betont er, welche Möglichkeiten diese expandierende Industrie durch ihre Forschungen und Entwicklungen als Protektionsmaßnahmen zum Schutz vor biologischen Bedrohungen bieten. Und die derzeitigen Entwicklungen zu Impfungen als Aerosol (Rengasamy/Zhuang/Berryann 2004), insbesondere die Impfungen gegen Anthrax, scheinen Edwards in seiner Einstellung recht zu geben. Das ist möglicherweise eine Position, die es sich einfach macht, allerdings auch eine Position, die sich dem Dual-Use-Charakter der eigenen Forschungen in einer sehr ehrlichen Weise stellt. Die Entwicklungen, die in diesem Forschungs- und Entwicklungsbereich gemacht werden, sind ökonomisch vielversprechend (in Anbetracht der Zahl insulinabhängiger Diabetiker weltweit) und durch Befürchtungen eines möglichen bioterroristischen Missbrauchs wohl kaum argumentativ zu stoppen oder zu limitieren. An dieser Position kann man erkennen, dass in einer globalisierten Welt die ökonomische Makrostruktur viel selbstverständlicher, leiser, präziser und in gewisser Weise ›mächtiger‹ operiert als eine politische oder ideologische. Was sonst die ökonomische Selbstverständlichkeit der Rüstungsindustrie anschaulich macht, bekommt vor dem Hintergrund der Frage nach dem Dual-Use-Charakter von Wissen und legitimen Technologien eine andere Schattierung. Wissensrestriktionen funktionieren in dieser Sichtweise nur bis zur Patentierung von Entwicklungen. So hat Edwards neben vielen
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anderen Patenten das Patent auf die Herstellung von LPP (Edwards 1998). Alle anderen Argumente zur Restriktion von Wissen und Technologien scheinen in diesem gesellschaftlichen Bereich keine Geltung zu haben (Basu 2003). Mit der Patentierung scheint die Schwelle übersprungen, Entwicklungen progressiv und nicht restriktiv zu behandeln. Edwards Position wirft damit noch einmal ein Licht auf die Frage nach den internen und externen Kontrollmechanismen von gesellschaftlichen Subsystemen (s. dazu Kap. 1). Diese Leichtfertigkeit in der Akzeptanz von konfliktreichen Auseinandersetzungen kann man auch an den durchscheinenden Schwachstellen seiner Metaphorik ablesen: Er spricht eine Angriffs- und Verteidigungssprache der kriegerischen Auseinandersetzung15: Diese Terminologie bekommt vor dem Hintergrund einer bioterroristischen Gefährdung noch andere Schattierungen. So spricht Edwards bei den Applikationsgeräten zur Inhalation von trockenem Insulin in Analogie von air guns (Edwards/Dunbar 2002 und Edwards 2002), mit denen die Patienten – in einer in gewissem Sinn suizidalen Versuchsanordnung – das Pulver in einen Behälter schießen und einatmen. »The patient pumps the inhaler, ›shoots‹ the powder […] and then inhales the standing insulin-particle cloud though one or more slow deep breaths.« (Edwards/Dunbar 2002, S. 98)
15 Zur Kriegsmetaphorik in der Immunologie s. Sarasin 2004.
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7 F ORSCHUNGSZWEIGE Die Weiterentwicklung des therapeutischen Einsatzes von Aerosolen wurde – wie oben beschrieben – durch einen politischen Willen der Verwendung von FCKW-Alternativen und ein biomedizinisches Bemühen um Administrationsalternativen vorangetrieben. Dabei kristallisieren sich drei Schwerpunkte für den Entwicklungs- und Anwendungsbedarf: • • •
systemische Wirkstoffausbringung, Gentherapie sowie Impfungen.
Systemische Wirkstoffausbringung: Insulin Der Vorteil der systemischen Wirkstoffausbringung im Gegensatz zur oralen Aufnahme ist die hohe Absorption über die Lunge (mit etwa 75 m2). Außerdem umgeht diese Applikationsroute den Gastrointestinaltrakt und die Leber, so dass kein First-pass-Effekt, also der schnelle Abbau von Substanzen bereits bei der ersten Leberpassage, die Wirkstoffkonzentration minimiert. Des Weiteren ist über diesen Weg eine höhere Bioverfügbarkeit für höhermolekulare Stoffe (Peptide) als durch den Dünndarm gegeben. Im Gegensatz zur Injektion ist die Aufnahme von Inhalativa nicht mit einer Verletzung verbunden und die compliance insbesondere bei chronischen Krankheiten ist viel höher, was eine therapeutische Verbesserung zur Behandlung vor allem von chronischen Krankheiten bedeutet. Wirkstoffe in der Entwicklung Die sichtbarste Entwicklung in den letzten Jahren ist die Entwicklung von inhalierbarem Insulin zur Therapie des Diabetes mellitus (Belmin 2003). Angestoßen durch diese manifeste Entwicklung wird auch über die Administration von anderen Proteinen und Peptiden als Inhalativa nachgedacht (Chan/Chew 2003, Sethuraman/Hickey 2002). Die Wirkstoffaufnahme über die Lunge bietet eine schnelle Absorptionskinetik, so dass auch kleine Moleküle von der pulmonalen Applikation profitieren können: z.B. Morphine und Morphinanaloga zur Schmerzthera-
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pie, Dihydroergotamin zur Migränebehandlung, verschiedene Hormone, Heparine et al. (Laube 2005). Insulin Die Wirksamkeit von Insulin als Inhalativum wird seit den 90er Jahren stetig verbessert. Inhalatives Insulin musste bisher immer höher dosiert werden als bei der subkutanen Applikation, um die gleichen Effekte in der systemischen Zirkulation zu haben – doch die Entwicklung ist vielversprechend (Courrier/Butz/Vandamme 2002). Die in den 90er Jahren zur Verfügung stehenden Geräte waren nicht darauf ausgerichtet, größere Dosen effektiv zu verabreichen. Viel Wirkstoff blieb im Gerät regelrecht hängen, so dass bei der Berechnung der Dosierung die device resistance mitberücksichtigt werden musste (Martonen 2005). Durch die Größe der Partikel war auch viel Schwund im Oropharyngealtrakt zu verzeichnen. Die Geräte zu Beginn der 90er Jahre benötigten Kompressoren und externe Stromquellen, um Aerosolpartikel zu erzeugen, so dass die Inhalation durch diese schwerfälligen und umständlichen Standgeräte sehr eingeschränkt war. Der Bedarf an kleinen, praktikablen und tragbaren Geräten mit unabhängiger oder verzichtbarer Stromquelle war groß; ebenso wie eine bessere Wirkstoffzusammensetzung und ein profunderes Wissen über die komplexen Interaktionen eines Wirkstoffes auf dem Weg in den Blutkreislauf über die menschliche Lunge (Chan 2003b). Geräte der ersten Generation Es gibt in der ersten Generation drei Geräte zur Insulinapplikation, die alle Aerosole im Bereich von einem bis drei Mikrometern produzieren können: 1. Nektar, 2. Aradigm und 3. Aerogen. 1. Nektar benutzt komprimierte Luft, um Insulinpulver in einen Behälter zu sprühen. Diese ›Wolke‹ kann dann eingeatmet werden. Insulin wird mit diesem Gerät als trockenes, nicht poröses Pulver verabreicht, das etwa zehn bis 15 Prozent der Bioverfügbarkeit im Vergleich zur subkutanen Applikation hat (Skyler et al. 2001). 2. Aradigm benutzt flüssiges Aerosol, das elektronisch – durch die Inspiration des Benutzers aktiviert – Partikel erzeugt. Diese flüssigen Partikel ha-
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ben ebenfalls etwa zehn bis 16 Prozent der Bioverfügbarkeit im Vergleich zur subkutanen Applikation (Farr et al. 2000). 3. Aerogen beruht ebenfalls auf dem Prinzip der inspirationsaktivierenden Erzeugung flüssiger Partikel aus einer Suspension. Mit dieser Applikation erreicht man etwa 18 bis 22 Prozent der Bioverfügbarkeit im Vergleich zur subkutanen Applikation (Kim et al. 2003). Nektar ist in der Marktzulassungsentwicklung am weitesten. Die Phase III der klinischen Prüfung ist bewältigt, und die Zulassung bei der zuständigen Behörde ist beantragt (Stand 2006). Aradigm ist in der frühen Phase III, Aerogen in Phase II der klinischen Prüfung. Bioverfügbarkeit Das große Problem bei der inhalativen Applikation in den systemischen Kreislauf ist die geringe Bioverfügbarkeit des Wirkstoffes. Selbst wenn heute sehr effiziente Geräte zur Verfügung stehen, die hohe Konzentrationen von sowohl trockenem als auch flüssigem aerosolisiertem Insulin in den Alveolartrakt bringen, ist die Bioverfügbarkeit immer noch gering (flüssig: zehn bis 16 % bei Aradigm und 18-22 % bei Aerogen; trocken: zehn bis 15 % bei Nektar). Die geringe Bioverfügbarkeit wird im Zusammenhang mit der hohen Molekularmasse des Proteins Insulin gesehen (5000 g/mol). Durch die Größe des Proteins arbeiten die Peptidasen und Proteasen der Atemwege sowie die Phagozytose der Alveolarmakrophagen sehr effizient – indem sie das Protein als ›Fremdkörper‹ abbauen bzw. zerstören. Substanzen mit einer niedrigeren Molekularmasse zeigen entsprechend eine höhere Bioverfügbarkeit, ebenso wie lipophile Substanzen (s. dazu auch o. die Einkapselung mit Liposomen). Die schlechte Bioverfügbarkeit des inhalierten Insulins macht hohe Dosierungen des Aerosols erforderlich, was unter ökonomischen Gesichtspunkten verbesserungswürdig ist. Die zweite Generation der Insulinsprüher wurde mit dem Ziel entwickelt, die Bioverfügbarkeit des Insulins zu erhöhen (Laube 2005). Geräte der zweiten Generation 1. Alliance Pharmaceutical: Bei diesem Gerät (Pulmospheres) werden trockene, poröse Partikel in einer Suspension mit einem MDI ausgebracht.
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Die Partikel haben eine lipophile Basis mit extrem geringer Dichte und eine Größe von einem bis drei Mikrometern. 2. Elan erzeugt mikronisierte Insulinkristalle im Nanometerbereich (etwa 100 nm). 3. Alkermes ist ein inspirationsaktiviertes Gerät (DPI), das trockene poröse Insulinpartikel versprüht. Wie die Partikel von PulmoSpheres sind sie lipophil mit einer geringen Dichte. Diese Partikel haben aber einen geometrisch großen Umfang (zehn bis 15 µm), so dass sie verbesserte Schwebeeigenschaften haben und nicht so leicht – wie kleinere Partikel – verklumpen. Durch die geringe Dichte haben sie einen AD von etwa einem bis drei Mikrometern, so dass sie die Alveolarregion erreichen und dort wirksam werden können. Dennoch beträgt die Bioverfügbarkeit nur etwa 16 Prozent im Vergleich zur subkutanen Applikation. 4. MannKind arbeitet mit einer Kristallgitteranordnung, die bei einem niedrigen pH-Wert das Insulin vor dem enzymatischen Abbau durch Proteasen schützt, indem es das Protein einkapselt. Im Alveolartrakt – bei neutralem pH-Wert – wird das Insulin zur Absorption freigesetzt. Mit dieser Einkapselung erreicht man eine Bioverfügbarkeit von 26 Prozent im Vergleich zur subkutanen Applikation (ebd.). Die Anwendungssicherheit wurde bei Nektar und Aradigm über längere Zeiträume getestet (Monate bis Jahre) und die Unbedenklichkeit nachgewiesen. Es wurde herausgearbeitet, dass Raucher eine bessere inhalative Aufnahme von Aerosolen haben, da durch die Zerstörung der Abwehrkräfte durch das Rauchen die Alveolar-clearance beeinträchtigt ist (Himmelmann et al. 2003). Menschen mit Lungenerkrankungen nehmen inhalative Medikamente schlechter auf, weil sie insgesamt eine schlechte Ventilation der Lunge und verdickte Alveolarwände haben (Henry et al. 2003). Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) meldete am 1. Februar 2006 unter der Überschrift »Lungenzug gegen Diabetes« die Zulassung von inhalierbarem Insulin (o.V. 2006). Die Markteinführung wurde auch dort relativ kritisch gesehen. Es muss nach wie vor von einer geringen Bioverfügbarkeit des inhalierbaren Insulins ausgegangen werden. Dadurch müssten höhere Dosen appliziert werden und die Kosten würden dadurch erheblich steigen. Auch sei die Reizung der Lunge durch die lungengängigen Partikel
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nicht hinreichend geprüft. In der Tat gibt es kaum klinische Studien zur Reizung der Lunge. Nur zehn Prozent des im Pulver verfügbaren Insulins geht ins Blut. Ein Drittel des Wirkstoffs verbleibt im Inhalator, der Rest wird im Rachenraum und den Atemwegen abgebaut. Gentherapie Der Vorteil der Gentherapie gegenüber aerosolisierter Medikation ist – ähnlich wie bei der Applikation von inhalierbarem Insulin – die direkte, nicht invasive gezielte Ausbringung des Wirkstoffes in die verschiedenen Regionen der Lunge. Dabei ist es auch möglich, relativ hohe Dosen zu applizieren, die weniger Nebenwirkungen haben als die intravenöse Administration (Laube 2005). Die prägnanteste Formulierung dieses neuen Forschungszweiges ist die Entwicklung komplementärer DNA zur Therapie der zystischen Fibrose (Stribling 1992). Die zystische Fibrose (CF) ist eine autosomal-rezessive Erkrankung, die durch eine Mutation am Chromosom 7 Defekte am Chloridkanal des respiratorischen Epithels bewirkt. Ziel der Gentherapie ist es, die Defekte an den Ionenkanälen durch gezielte Exprimierung komplementärer DNA zu erreichen. Dabei wird durch drei therapeutische Schritte ein Gentransfer eingeleitet: Adenovirus, adeno-assoziiertes Virus 2 und kationische Liposomen (Rosenfeld 1992). Diese Idee ist faszinierend, doch hat die Gentherapie bisher eher ihr Ziel nicht erreicht und ist durch Rückschläge geprägt: 1999 starb der 19jährige Jesse Gelsinger während einer Gentherapie. Und auch die Versuche, CF mit Gentherapie zu heilen, haben eine bedeutende Nebenwirkung: Der virale Vektor, der zur Ausbringung genutzt wurde, hat das Potenzial, in Krebsgene zu switchen (Basu 2003). Impfstoffe Die Vorteile bei der Verabreichung von Impfstoffen als Aerosol gehen im Wesentlichen auf die Impfkampagnen in den Schwellenländern zurück, wie beispielsweise die Masernimpfungen in Mexiko in den 80er Jahren. Der Vorteil einer inhalativen Vakzinierung ist zunächst ein logistischer gewesen. Vor dem Problem, eine große Menge an sterilen Nadeln zu bevorraten, zu verwenden und fachgerecht zu entsorgen, ist die Inhalation von
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Impfstoffen in Ländern der sich entwickelnden Regionen eine einfache Lösung. Mit der Vermeidung von Nadeln werden auch Infektionswege über hämatogen übertragbare Krankheiten, wie das HI-Virus, unterbrochen. Das ist gerade in Situationen und Regionen von Vorteil, in denen die hygienischen Maßnahmen nicht immer den empfohlenen Standards entsprechen. Im Falle der Masernimpfung hat sich herausgestellt, dass Kinder eine gute Aufnahme von inhalativen Medikamenten zeigen, so dass eine Impfung, die bevorzugt an Kindern und Jugendlichen vorgenommen wird, als Aerosol gut wirksam ist. In jüngster Zeit wird die inhalative Impfung gegen Erkrankungen mit einem bioterroristischen Hintergrund erwogen (Laube 2005). In der ehemaligen Sowjetunion wurden Menschen mit lebenden, aber attenuierten Erregern von Anthrax, Pest, Tularämie und Pocken geimpft. Damit schließt sich in einer merkwürdigen Weise der Gedankengang, der mit der Erzeugung von Aerosolen und deren Missbrauchspotenzial im Bereich biologischer Waffen seinen Anfang hatte und nun in einer Impfapplikation gegen biologische Bedrohungen im Aerosol münden (Koblentz 2003). Diese Strategie – Impfungen als Aerosol – scheint recht effektiv. Bei der inhalativen Vakzination sind drei Bereiche zu beachten: • • •
Sicherheit, Wahl der Wirkstoffzusammensetzung sowie Ausbringungsart.
Sicherheit Bei nasaler Inhalation besteht insbesondere bei kleineren Partikeln die Gefahr, dass Substanzen über die Lamina cribrosa ins Gehirn vordringen könnten. Wahl der Wirkstoffe Ein Influenzaimpfstoff für die intranasale Applikation fand in der Schweiz in den Jahren 2000 und 2001 Anwendung. Die attenuierten Stämme von Influenza A (H1N1), A (H3N2) und B sind als Aerosol temperaturempfindlich. Die Replikation ist limitiert bei 37° C für Influenza B, bei 39° C bei Influenza A. Das Optimum der Repli-
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kation liegt bei diesen kälteadaptierten Substanzen bei 25° C, so dass eine Administration nur über den Nasopharyngealtrakt erfolgen kann. Ausbringungsart Die WHO hat zur Massenvakzination den inhalativen Masernimpfstoff empfohlen. Dieser flüssige Impfstoff wird ebenso zur subkutanen Injektion verwendet und benötigt zur Aerosolisierung keine Veränderungen. Eine Ausbringung von Pulver ist für die nächsten Jahre geplant. Impfstoffe gegen bioterroristisch genutzte Erreger wie Bacillus anthracis oder gegen Francisella tularensis sind in der Entwicklung (Dhand 2001). Zusammenfassung Forschungszweige Die biotechnologische Entwicklung ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass sich Biotechfirmen auf die Suche gemacht haben, Proteine und Peptide über die Lunge in den Blutkreislauf zu bringen. Bisher war die Applikation über die Lunge nur auf die lokale Therapie von Atemwegserkrankungen (Asthma bronchiale, chronischen obstruktiven Lungenerkrankungen [COPD]) beschränkt. Die Nachteile sind, dass die Medikamente in den 90er Jahren teuer waren und die Effizienz in einem geringen Wirkungsbereich lag. Also musste an der Effizienz und der Reproduzierbarkeit gearbeitet werden. Medikamente zur Therapie von Asthma und COPD waren keine gut dosierbaren Substanzen. Geräte Bei den Sprühgeräten gibt es graduelle Entwicklungen, die zur Verbesserung der Effizienz führen. Die grundsätzliche Machbarkeit der Ausbringung von pathogenen Agenzien scheint realisierbar – auch mit frei verfügbaren Geräten.
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Resümee Die vorgestellten neueren Technologien zur Partikelpräparation scheinen einen hohen – bislang wenig beachteten – Einfluss auf die Möglichkeiten biologischer Waffen zu haben. Diese Technologien sind Dual-Use und bieten im Wissens- und Technologietransfer ein bedenkliches Missbrauchspotenzial für unterschiedliche Akteure auf unterschiedlichen Ebenen (Individuen, Gruppen, Staaten) mit zunehmender Effizienz16.
Ausblick Zur Präzisierung einer biologischen Bedrohung wird das sogenannte DualUse-Dilemma (s. Kap. 2) ausdifferenziert und der Begriff des indirekten, wissensbasierten Dual-Use eingeführt, auf den sich die Restriktion von Publikationen bezieht. In einem zweiten Schritt wird die bioterroristische Relevanz dieses Wissensgebietes überprüft (Kap. 3). Hier werden Fragestellungen erarbeitet, die die naturwissenschaftlichen im Unterschied zu den sozialen Kontexten darstellen. Hier soll gezeigt werden, wie zum einen die Erreger und die Proliferation von Agenzien zu einer Bedrohung werden, und wie sich zum anderen das Wissen und die Proliferation von Wissen als Bedrohung darstellen.
16 Die Verbindung zwischen Aerosoltechnologien und bioterroristischen Bedrohungen wurde von der amerikanischen Vereinigung von (kritischen) Naturwissenschaftlern, der Federal Association of Scientists (FAS), 2006 in einem Trainingsmodul
aufgegriffen,
das
online
zur
Verfügung
steht: http://
www.fas.org/biosecurity/education/dualuse/FAS_Edwards/index.html; Aerosol Delivery Case Study (June 2006).
2 Das Dual-Use-Dilemma
Die Selbstrestriktionserklärung der Wissenschaftler- und Herausgebergruppe wurde im ersten Kapitel als Symptom interpretiert; als signifikantes Anhalten von Prozessen, durch den die Prozesse erst und in einer neuen Weise sichtbar werden – ähnlich wie ein Filmriss das Medium der Illusion verdeutlicht, durch die Filme als kohärent und narrativ wahrgenommen werden (Luhmann 1995; Paech 1988). Problematisch wurde ein Wissen – oder genauer – die Übertragbarkeit von Wissen in Kontexte, in denen dieses Wissen gesellschaftlich nachteilig angewendet werden könnte. Dass diese Selbstrestriktion, dieses Unbehagen, im Bereich der Biomedizin artikuliert wurde, verdeutlicht, dass es hier um ein komplexes Problem geht, das nicht nur durch ein ambivalentes biologisches Material, sondern auch durch ein ambivalentes Wissen gekennzeichnet ist. Das Kapitel 1 hat gezeigt, dass die Restriktion von Publikationen nur sehr schwer in Kriterien zu fassen und kaum zielführend ist. Die biologischen Materialien, die oft in der Natur vorkommen und deren Gebrauch in der zivilen und legitimen Forschung liegt, sind selbst ambivalent: Einem Erreger ist – überspitzt formuliert – nicht anzusehen, ob er Waffe ist oder als Vakzine geeignet ist. Der materiale biologische Bereich ist darüber hinaus von einer Immaterialität gekennzeichnet, die sich in der digitalen genetischen Information ausprägt. Diese Informationen können – ebenso wie das Material – als Wissen missbräuchlich verwendet werden. Dies beschreibt die Fallstudie I: Hier wurde gezeigt, wie aus dem Wissensgebiet der Aerosole Missbrauchspotenziale durch legitime, zivile Forschungserfolge entstehen können. Fallstudie I beschreibt die Momente, in denen Wissen ›switcht‹. Sie zeigt auch, dass wissenschaftliche Entwicklungen mit ihrer Verwurzelung in den legitimen, zivilen Wissenschaften einer-
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seits kaum Restriktionsmöglichkeiten bieten und andererseits sehr leicht in missbräuchlicher Anwendung eingesetzt werden können. Diese Ambivalenz, diese Uneindeutigkeit, bezeichnet man in sicherheitspolitischen Debatten als Dual-Use-Problem. Um die Ambivalenzen und Schwierigkeiten klarer sehen zu können, werden in diesem Kapitel nun neue Unterscheidungen eingeführt bzw. bekannte Begriffe mit einer präziseren Bedeutung belegt. Das, was in den vorangegangenen Seiten (Kap. 1 und Fallstudie I) vorgestellt wurde, wird nun noch einmal mit neuen Begriffen und präziseren Begriffsbelegungen beschrieben, damit sich daraus innerhalb der nächsten Fallstudie und den folgenden Kapiteln ein Argument entwickeln kann.
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Der Dual-Use-Begriff markiert in der traditionellen sicherheitspolitischen Debatte (Beck 2003) eine schwierige Unterscheidbarkeit. Diese schwierige Unterscheidbarkeit bezieht sich auf die Opposition zivil vs. militärisch oder defensiv vs. offensiv und beschreibt die Tatsache, dass Dinge, also Technik, Maschinen oder Apparate, sowohl in einem zivilen Kontext betrieben werden, sie aber ebenso zur Aufrüstung in einer militärischen Hinsicht nutzbar sind. Diese begriffliche Unterscheidung wurde in den Zeiten des Kalten Krieges etabliert und bezog sich zunächst auf den atomaren und den chemischen Bereich. Dort ist die Unterscheidung zwar auch nicht leicht – aber viel leichter als im biologischen Bereich. Während man zum Beispiel im nuklearen Bereich relativ präzise – zumindest in Relation zur biologischen Gefährdung – zwischen einer zivilen Nutzung der Kernenergie und deren missbräuchlichen Verwendung in Atombomben oder in einer abgeschwächten Form in sogenannten schmutzigen Bomben mit radioaktivem Material unterscheiden kann, gestaltet sich der Konflikt und die Problematik biologischer Gefährdungen viel komplexer: Hier ist es nicht nur das biologische Material, das der uneindeutigen Verwendung unterliegt, sondern ein in einer besonderen Weise verwendetes Wissen (Selgelid 2009). Auch wenn bekannt ist, wie Uran angereichert werden muss, bedarf es besonderen technischen Materials und einer besonderen technischen Infrastruktur, um dies zu tun; dies ist in der Biologie nicht mehr so. Cello hat gezeigt, wie man aus frei verfügbaren Aminosäuren ein infektiöses Poliovirus zusammenstellen kann (Cello/Paul/Wimmer 2002). Biologische Laboratorien gibt es genug – ebenso wie den Handel mit Aminosäuren. Das ist ein normales, nicht sensitives Forschungs- und Arbeitsfeld. An dieser Stelle wird deutlich, dass der Dual-Use-Begriff aus zwei Gründen nicht mehr für die moderne Biomedizin ausreicht: 1. Die biologische Basis ist ambivalent: Zum einen kann die zivile Forschung beispielsweise zu einem verbesserten Impfstoff in nur wenigen Arbeitsschritten in ein offensives Programm konvertieren. Zum anderen kann sich ein Wissen über bestimmte biomedizinische Wirkungsmechanismen
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oder biotechnologische Arbeitsweisen je nach Kontext als biologische Bedrohung artikulieren. 2. Die moderne Biomedizin basiert selber auf Informationen. Die Weitergabe und Verwendung von Informationen lässt sich weitaus schwieriger beurteilen – und beschränken – als die Weitergabe und Verwendung von Dingen. Daher wird auf den nächsten Seiten der Dual-Use-Begriff in seiner Verwendung präzisiert, und es werden neue Binnenunterscheidungen eingeführt. Ich unterscheide zwischen einem materialbasierten Dual-Use und einem wissensbasierten Dual-Use, der wiederum einen direkten und einen indirekten Transfer darstellen kann. Materialbasierter Dual-Use Das duale biologische Material reicht von infektiösen Krankheitserregern über Laborausrüstungen zu Ausbringungsinfrastrukturen. So kann ein hochpathogener Erreger, der in einem Labor gezüchtet und isoliert wurde, in einer doppelten Weise verwendet werden. Zum einen ist er ein Bestandteil z.B. in einem Produktionsablauf zur Impfstoffentwicklung. Hier ist seine Verwendung auf den ersten Blick eine legitime zivile Forschungs- und Produktionsarbeit. Den gleichen Erreger kann man allerdings auch für eine schädigende Absicht verwenden. Der Erreger und die Produktionsschritte sind bis auf wenige Unterschiede – z.B. in einem der letzten Schritte, wenn der Erreger attenuiert, also abgeschwächt wird – die gleichen. Die Materialbasis bezieht sich hier auf ein infektiöses Material, das je nach Arbeitszusammenhang mehr oder weniger in seiner Gefährdungsbewertung wechselt. Auch die Ausbringungsinfrastruktur im zivilen pharmazeutischen oder landwirtschaftlichen Bereich kann zu missbräuchlichen Zwecken verwendet werden. Die Materialbasis eines Dual-Use beginnt also bei einer legitimen, zivilen Ausbringungsinfrastruktur und reicht bis zur Herstellung besonders geeigneter Erreger. Erreger Die Materialbasiertheit der Erreger ist in unterschiedlicher Weise durch die Verfügbarkeit der industriellen Produktion von einem Dual-Use geprägt. In
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verschiedenen industriellen Vorgängen, die für die legitime zivile Nutzung eingesetzt werden, werden Erreger in einer Menge hergestellt oder verwendet, die aufgrund der Eigenschaften und der Mengenverfügbarkeit auch nachteilig eingesetzt werden könnten. Hierzu drei Beispiele: Rizin, Botulimun und Anthrax. Rizin So hinterlässt die industrielle Produktion von Rizinusöl Pressrückstände, die hochtoxisch sind. Erst eine Hitzeinaktivierung zerstört das im Pressrückstand enthaltende Toxin Rizin. Dieser inaktivierte Pressrückstand wird als Biodünger weiterverkauft. In einem einzigen Fall ist es bisher zu einem tödlichen Zwischenfall gekommen. Im Jahr 2004 enthielt der Biodünger aufgrund einer fehlerhaften Inaktivierung das Toxin Rizin in einer – zumindest für Hunde – tödlichen Dosis. Zwei Hunde, die von dem Dünger fraßen, verstarben (s. Fallstudie I). Es ist bisher kein weiterer Fall bekannt geworden, in dem eine fehlerhafte Inaktivierung des Düngers die Ursache einer Rizinvergiftung war. Jährlich gibt es jedoch Rizinintoxikationen im unteren einstelligen Bereich (Auskunft der Giftnotrufzentrale Nord aus dem Jahr 2006). Botulinum Die industrielle Produktion von Botulinumtoxin nimmt eine besondere Stellung ein, auch weil Botulinumtoxin das stärkste menschliche Gift ist und von den amerikanischen CDC als Agens der höchsten Bedrohungsstufe (Kategorie A, s. Fallstudie I) klassifiziert wird. Botulinumtoxin wird sowohl medizinisch als Therapeutikum als auch in der Kosmetik verwendet. Daher ist die Menge des – ohnehin endemischen – Erregers sehr hoch. In manchen Risikobewertungen wird deshalb die Jahresproduktion von Botulinumtoxin als bedenklich in Hinblick auf eine missbräuchliche Verwendung angesehen (Arnon et al. 2001, Chertow et al. 2006). Anthrax Auch bei der industriellen Produktion von Impfstoffen werden zunächst größere Mengen des Erregers hergestellt, gegen den der Impfstoff gerichtet ist. So werden bei der Herstellung von Impfstoffen gegen Anthrax größere Mengen von Anthraxerregern in einem industriellen Maßstab hergestellt, die erst in einem der letzten Arbeitsschritte durch Bestrahlung attenuiert
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und größtenteils zerstört werden (Hanson 2004). Dies birgt durch die Menge des hochreinen Erregers natürlich Risiken, die mit entsprechend Regularien zur Laborsicherheit beantwortet werden (s. dazu Kap. 3). Ausbringungsinfrastruktur Die Ausbringungsinfrastruktur ist sowohl im landwirtschaftlichen Bereich als auch im pharmazeutischen Bereich von einem materialbasierten DualUse geprägt: Landwirtschaft So ist das Ausbringungsszenario von Bacillus thuringiensis, das Levin (Levin/Valadares de Amorim 2003) beschreibt (s. Fallstudie I), ein gutes Beispiel: Levin weist nach, dass man mit einer gebräuchlichen Sprühinfrastruktur zur Insektenbekämpfung auch andere, biowaffenrelevante Inhaltsstoffe effektiv versprühen kann. Die Bedenken, die gegen den Einsatz gebräuchlicher Sprühinfrastruktur vorgebracht werden, beziehen sich oft auf die Partikelgröße, die als zu groß angesehen wird. Wie Levin (ebd.) gezeigt hat, verändern sich Partikel, die mit einer Größe von etwa 100 Mikrometer versprüht werden, im Verlauf ihrer Ausbringung, so dass auch eine hinreichende Zahl lungengängiger Partikel entstehen. Auch die Bekämpfung des West-Nil-Virus im Süden der USA zeigt den weit verbreiteten Einsatz von gebräuchlicher Infrastruktur, der sich für den schädigenden Umgang anbieten würde. So werden im Süden der USA die Moskitos, die das West-NilVirus übertragen, mit einer Infrastruktur besprüht, die eine großflächige, kommerzielle Nutzung im Zehn-Mikrometer-Bereich dokumentiert (http://www.west-nile.ca). Mit zehn Mikrometer Partikelgröße erreicht man die Alveolen humaner Lungen. So gibt es im landwirtschaftlichen Bereich eine Infrastruktur zur Ausbringung von potenziell humanschädigenden Erregern, die frei verkäuflich ist. Ob die ausgebrachten Erreger allerdings in dieser Weise infektiös bleiben, ist fraglich. Die Aerosolisierung ist – wie oben schon ausgeführt – eine multifaktorielle, komplexe Angelegenheit. UV-Bestrahlung, relative Luftfeuchtigkeit, Temperaturschwankungen und andere physikalische und chemische Größen sind Parameter, die die Tenazität des Erregers oder die Widerstandsfähigkeit von Toxinen zum Teil negativ beeinflussen. Dass die Partikelgröße allein noch nicht ausreicht, um infektiöse Erreger als biologische Waffe einzusetzen, ist bekannt. Hinzu kommen wie schon beschrieben die Angaben zur Tenazität und Wider-
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standsfähigkeit, die Konditionen der Ausbringung, die Konzentration und die Menge des Aerosols, sowie physikalische und chemische Kräfte u.Ä. (s. dazu Fallstudie I), die den Einsatz als biologische Waffe mit prädestinieren. Pharmazie Wie in der Landwirtschaft gibt es auch im pharmazeutischen Bereich eine Infrastruktur, die im Sinne eines materialbasierten Dual-Use zur Ausbringung von infektiösen Erregern genutzt werden kann. Als würde der DualUse-Aspekt des Applikationsgerätes vorweggenommen werden, spricht David Edwards bei der Beschreibung der Geräte zur Inhalation trockenen Insulins von »air guns« (Edwards/Dunbar 2002, Edwards 2002). Bei diesem Applikationsgerät schießen Patienten das Pulver in einen Behälter und sollen mit tiefen Atemzügen den Wirkstoff inhalieren. »The patient pumps the inhaler, ›shoots‹ the powder […] and then inhales the standing insulinparticle cloud though one or more slow deep breaths.« (Edwards/Dunbar 2002, S. 98). Diese Beschreibung kann einerseits natürlich von einer professionellen Unbekümmertheit sprechen; andererseits wird hier im symbolischen Sprechen eine Bedeutung erreicht, die die Wirklichkeit einholen könnte. Das Imaginäre als Einbruch in die Wirklichkeit, so beschreibt Sarasin (Sarasin 2004) im Rekurs auf Zizek das Einstürzen der beiden Türme am 11. September. Und die air guns sind die kleinen Momente, die Zwischentöne und Zwischenbilder, die in dem Zusammenhang einer möglichen Bedrohung Sinn ergeben könnten. Hier eröffnet das symbolische Sprechen von air guns im Zusammenhang des Missbrauchs von ziviler pharmazeutischer Ausbringung in bioterroristischen Szenarien einen neuen Bedeutungszusammenhang. Wissensbasierter Dual-Use Bei der Bewertung biologischer Gefährdungen lässt sich eine paradigmatische Änderung beobachten. Bei biologischen Gefährdungen markiert die Leitdifferenz nicht mehr zwischen Haben und Nichthaben, sondern auch und viel eher zwischen Wissen und Nichtwissen und – in einer potenzierten Weise – in Zugang haben und keinen Zugang haben1.
1
Die deutsche Sprache ist hier möglicherweise konzeptionell weiter, als es auf den ersten Blick scheint. Hier ist die Possession (Haben) nicht auf einen Gegen-
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Neu eingeführt wird bei dem wissensbasierten Dual-Use die Unterscheidung in einen direkten wissensbasierten Dual-Use – wie z.B. ein Wissen darüber, wie ein Virus synthetisch gebaut werden kann und dessen Eigenschaften wie Pathogenität, Letalität etc. missbräuchlich moduliert werden können (Polio-Debatte, s. Kap. 1) – und einen indirekten wissensbasierten Dual-Use – wie beispielsweise aus der legitimen pharmazeutischen Entwicklung von Inhalativa eine verbesserte Ausbringung von biologischen Waffen als Aerosol resultieren kann (s. Fallstudie I). Direkter wissensbasierter Dual-Use In der Risikobewertung zur biologischen Gefährdung werden verschiedene Wissensformationen angesprochen: So geht es zunächst um das Wissen bzw. das erweiterte und instrumentalisierbare Wissen • • • •
über den Erreger, über das Immunsystem des Wirtes und die verschiedenen Interaktionen bei der Infektion, über die Methodik wie z.B. gentechnisches Arbeiten und über verbesserte Ausbringungsmöglichkeiten.
In der Risikobewertung wird der Modulation von Erregereigenschaften, wie z.B. Pathogenität, UV-Stabilität, Antibiotikaresistenz u.Ä. ein hoher Stellenwert beigemessen (Nixdorf 2002). Die Konfektionierung von Erregern für spezifische Auseinandersetzung wird als eine Möglichkeit gesehen, Erreger für kriegerische Auseinandersetzung zu nutzen. Bisher – so artikuliert es ein Szenario – richten sich die Erreger unspezifisch gegen Nichtimmune und nicht entsprechend der Auseinandersetzung analog der Grenzen zwischen Freund und Feind. Diese Unterscheidung immun vs. nichtimmun aufzuheben bzw. zielgerichteter z.B. zwischen Ethnien und Bevölkerungsgruppen (Dando 2001) oder eben
stand gerichtet, sondern auf die strukturellen Möglichkeiten des Zuganges zu einem Gegenstandsbereich. Es stellt – insbesondere für Wissensgesellschaften – einen ernormen Schritt in der Ordnung des Wissens dar, wenn der Fokus nicht mehr auf den Gegenstand, sondern in einer zweiten Abstraktionsstufe auf die Bedingungen und Möglichkeiten des Zugangs zu Gegenständen gerichtet ist und dies kulturell reflektiert wird.
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zwischen Freund und Feind zu treffen, wird als eine Möglichkeit angesehen, Erreger waffentauglicher zu machen. In diesem Bereich regen Beispiele wie die synthetische Fabrikation des Poliovirus oder die Modulierung der Pathogenität von Mäusepockenviren die öffentliche Debatte an (Tucker 2006). Ebenso werden Erkenntnisfortschritte in der Immunologie, die die Interaktionen zwischen Erreger und Wirt bei der Infektion besser verstehen lassen, als relevant eingestuft. Unter dem Begriff Systems Biology wird eine systematische Denkweise über die komplexen Prozesse des Körpers implementiert, deren Resultate biologische Gefährdungen promovieren könnten (Nixdorf 2005). Auf den Handlungsbereich der Gentechnik wird immer wieder hingewiesen. Insbesondere die Übertragung von Antibiotikaresistenzen, die Modifikation der Antigendomänen sowie die Optimierung der Stabilität und eine Verschärfung der pathogenen Eigenschaften von Mikroorganismen werden als Bedrohungspotenzial im Bereich biologischer Waffen angesehen (Fuhr et al. 2003, Nixdorf 2005). Die Konfektionierung von Agenzien für bestimmte Zwecke stellt einen wissensbasierten Dual-Use dar.
»We have this anthrax« – indirekter wissensbasierter Dual- Use Im Bereich der Aerosolisierung stehen zum einen die Optimierung des Erregers und seiner Ausbringung (drug delivery) und zum anderen die zielgenauere Applikation des Wirkstoffes (drug targeting) in den Blutkreislauf des Menschen im Vordergrund. Doch kommt hier ein neuer Aspekt hinzu. Während die Modulierung von Pathogenität und Antibiotikaresistenzen ein Wissen darstellen, das sozusagen direkt am Erreger gewonnen wird, kommen bei der Aerosolisierung einige Aspekte hinzu, die aufgrund von Transferleistungen aus anderen Wissensgebieten die Optimierung der Ausbringung erhöhen und im Fall einer missbräuchlichen Anwendung die Waffentauglichkeit verschärfen würden. Beobachtung Ein indirekter wissensbasierter Dual-Use ist also die doppelte Verwendung von wissenschaftlichen Transfer- und Kombinationsleistungen in missbräuchlicher Absicht.
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Abbildung 1: Anthrax Brief
Quelle: in gewissem Sinn unbekannt; Bild: FBI
Mit »We have this anthrax« (Quelle in gewissem Sinne unbekannt) wurde der Brief mit dem Anthraxpulver am 9. Oktober 2001 an US-Senator Daschle gesendet. Neben dem Hinweis, dass es sich bei dem Pulver um Anthrax handelt – was ja die Diagnostik erleichterte und die Gegenmaßnahmen beschleunigte –, betont das Schreiben, dass sie dieses Anthrax haben. Und hier kommen die beiden Aspekte des Dual-Use zum Tragen: Zum einen haben sie dieses Anthraxpulver. Es wird also ein Material, die Possession eines Materials – ähnlich wie beim atomaren Wettrüsten – herausgestellt. Allerdings haben sie dieses Anthrax, ein besonders gefertigtes Anthraxpulver. Damit kommt der zweite, wissensbasierte Aspekt hinzu. In der ersten Fallstudie berichtet der zweite Einschub (s. II. Anthrax Pow[d])er) von der besonderen technischen und wissenschaftlichen Qualität und Originalität des Pulvers. Die besondere Waffenfähigkeit des Pulvers und seine besonderen Eigenschaften seien durch »high spore concentration, uniform particle size, low electrostatic charge, treated to reduce clumping« (Inglesby et al. 2002) belegt. Matsumoto bekräftigt noch einmal, »that the most striking qualities of the Senate powder do not concern the anthrax spores but the way they were processed – specifically, how they were given an electronic charge and unusual surface properties« (Matsumoto 2003, S. 1492).
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Hier stellt sich der wissensbasierte Aspekt der Bedrohung durch biologische Waffen in einer besonders deutlichen Weise dar. Nicht die Anthraxsporen selber, sondern die Art ihrer Bearbeitung ist der besonders bedrohliche Aspekt. Das Aufsehen erregende sei die »conversion into a cutting-edge aerosol« (ebd., S. 1493) gewesen. Der indirekte, wissensbasierte Dual-Use lässt sich an dem verschickten Anthraxpulver sehr gut festmachen: So ist das Erstaunliche an diesem Anthraxpulver einerseits die Kieselsäure-Nanobeschichtung, andererseits die Technik, mit der diese Nanopartikel an den Sporen verankert sind. Polymerisiertes Glas ist als Silan- oder Siloxankomponente kommerziell verfügbar und wird für eine verbesserte Dispersion von Farbe eingesetzt. Hier erhält auf eine dramatische Weise ein Wissenstransfer Einzug, der sich in der bemerkenswerten Qualität des Anthraxpulvers manifestiert. Diese Beschichtung, ebenso wie das LPP-Design, tragen zur Verbesserung der Disseminationseigenschaften des Aerosols bei. Im Unterschied zu den Errungenschaften des direkten wissensbasierten Dual-Use stammen sie aus einem sehr weit entfernten Wissens- und Anwendungsbereich – sind also nicht ›direkt am Erreger entstanden‹. Neben der Verbesserung der Flugeigenschaften wird die Ausbringung von Aerosolen durch das sogenannte drug targeting, also den Überlegungen und Technologien zur gezielten Wirkstoffausbringung, verbessert. In der ersten Fallstudie wurde die Nanoeinkapselung oder auch die Ausbringung mit Liposomen beschrieben. Die Entwicklungen im Bereich der Aerosolisierung, die an verschiedenen legitimen und zivilen Forschungs- und Entwicklungsprojekten geleistet werden, tragen – indirekt – zu einer Vergrößerung von Wissen bei, das auch missbräuchlich verwendet werden kann. Während es intuitiv richtig erscheint, Forschungen unterbinden zu wollen, die in direkter Weise z.B. die Pathogenität von Erregern modulieren, ist hier der Kontrollimpuls sehr disparat (s. dazu Kap. 3 und 4).
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2 K ONTROLLMECHANISMEN Das Dual-Use-Dilemma, das in seiner Grundzwiespältigkeit natürlich ein antikes ist, wurde politisch seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges strategisch entwickelt – zunächst natürlich im Sinne einer Exportkontrolle von besonderen Gütern. Materialkontrollorgane CoCom Im Jahr 1950 wurde auf Initiative der USA ein Coordinating Committee on Multilateral Export Controls (CoCom) gegründet, das mit Sitz in Paris die Länder des Ostblocks (inklusive China) von der modernen westlichen Technologie durch Exportverbote ausschloss. Die westlichen Mitgliedsländer haben in Exportverbotslisten Waffen, Rüstungsgüter (Kernenergie) und Industrieanlagen mit Embargos für bestimmte Länder aufgeführt. Obwohl die CoCom nach dem Ende des Kalten Krieges 1994 aufgelöst wurde, wurden die Exportkontrolllisten weitergeführt. BAFA Das Bundesausfuhramt (BAW) wurde 1992 vor dem Hintergrund wachsender Proliferationsgefahren als nationale Exportkontrolle gegründet und mit dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zusammengelegt. Schwerpunkte des BAFA sind die Wirtschaftsförderung, Maßnahmen zur Energie und zum Klimaschutz und die Außenwirtschaft. In der Außenwirtschaft ist das BAFA die Kontrollinstanz für die nationale Exportkontrolle; in diesem Zusammenhang prüft das BAFA, ob Güter Genehmigungen für den Export bedürfen. Die Güter sind Rüstungsgüter und Güter mit doppeltem Verwendungszweck, also Dual-Use-Güter. Die sogenannte EGDual-Use-Verordnung2 hat zwei Teile: In einem ersten Teil benennt sie Güter, (Waren, Software und Technologien) für die Beschränkungen gelten; in
2
http://www ausfuhrkontrole.info/ausfuhrkontrolle/de/gueterlisten/ anhaenge_egdualusevo/index.html.
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einem zweiten Teil listet sie Waren pflanzlichen Ursprungs. Dieser zweite Teil enthält neun Kategorien, die umfangreiche Arsenale der pflanzlichen Waren reproduzieren – allerdings in Hinblick auf die »Kriegsfähigkeit«. Diese gleichsam systematisch botanisierende Anordnung aller Dinge schließt pharmazeutische Zubereitungen und medizinische Produkte aus dem Exportverbot aus – also Botulinumtoxin als Therapeutikum darf ohne Genehmigung des BAFA ausgeführt werden3 – ebenso wie Impfstoffe oder Immunotoxine (allerdings greifen für Medizinprodukte etc. andere Genehmigungsverfahren). Das BAFA koordiniert und überprüft das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Chemiewaffenverbot (zum Problem Biowaffenverbot s. Kap. 3). Wassenaar-Abkommen Das Wassenaar-Abkommen wurde 1996 als Nachfolge des CoCom gegründet – allerdings gehörten ihm auch ehemalige Ostblockstaaten und Russland an. Das Wassenaar-Abkommen für Exportkontrollen von konventionellen Waffen und doppelverwendungsfähigen Gütern und Technologien verfügt mittlerweile über 40 Mitgliedsländer, die an einem Sitz in Wien Listen von rüstungsrelevanten Gütern pflegen und nationale Entscheidungen zum Export treffen, die in Wien koordiniert werden. Diese drei internationalen bzw. nationalen Gremien fokussieren das Problem des Dual-Use in Bezug auf die wirtschaftlichen Zusammenhänge und haben Exportkontrollen etabliert. Diese kommen aus der Tradition der Außen- und Wirtschaftspolitik. Eine Gruppe, die sich sicherheitspolitisch formiert hat, ist die sogenannte Australische Gruppe, die in der Fallstudie I kurz gestreift wurde und etwas ausführlicher vorgestellt wird. Die Australische Gruppe Die Australische Gruppe kommt nicht aus der Tradition des Technologieboykotts, sondern aus der Tradition der Proliferationsdebatte und der politischen Initiative zur Nichtverbreitung von chemischen und biologischen Waffen. Die Australische Gruppe wurde 1985 als informelles Forum von Ländern gegründet, die eine Harmonisierung von Exportkontrollen mit dem Ziel anstreben, Exporte, die zur Verwendung von chemischen oder biologi-
3
http://www.ausfuhrkontrolle.info.
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schen Waffen beitragen, zu unterbinden4. Die Australische Gruppe möchte als beratendes Gremium die nationalen Verpflichtungen des Chemiewaffen- (CWÜ) und des Biowaffenübereinkommens (BWÜ) unterstützen und stärken. Die unterstützenden und empfehlenden Maßnahmen basieren auf folgenden Grundsätzen: »[D]ie Maßnahmen sollen die Herstellung chemischer und biologischer Waffen so wirksam wie möglich verhindern; sie sollen möglichst leicht umsetzbar und praktisch durchführbar sein; sie sollen nicht den gewöhnlichen Handel mit Stoffen und Ausrüstung behindern, die für rechtmäßige Zwecke verwendet werden«5.
Die Gruppe formierte sich unter dem Eindruck des Iran-Irak-Krieges, bei dem chemische Waffen zum Einsatz kamen, was einen schwerwiegenden Verstoß gegen das Genfer Protokoll von 1925 (s. dazu Kap. 3) darstellt. Es wurde bei dem Einsatz dieser Waffen deutlich, dass der Irak viele Stoffe für sein Chemiewaffenprogramm von der internationalen chemischen Industrie bezog. Die Australische Gruppe möchte verhindern, dass internationale Industrien wissentlich oder unwissentlich dazu beitragen, dass chemische Waffen hergestellt werden können, und hat dazu Exportlisten erstellt, die in die nationalen Außenhandelsgesetzgebungen einfließen können. Der ursprüngliche Gründungsgedanke – die Verhinderung der internationalen industriellen Teilnahme an Chemiewaffenprogrammen – wurde zu Beginn der 90er Jahre um die Bedeutung biologischer Waffen erweitert. Mit der Aufnahme der Exportkontrollen biologischer Waffen hat die DualUse-Problematik auch Einzug in die Australische Gruppe erhalten. Während Chemikalien leichter einer Verwendung zugeordnet werden können als biologische Agenzien, hat die Gruppe versucht, Mehrzweckgüter (DualUse-Material) im Bereich biologischer Waffen zu definieren6. Diese Listen haben Eingang gefunden in die nationalen Exportkontrollen (s. dazu die Dual-Use-Listen des BAFA).
4
http://www.australiagroup.net/de/index.html.
5
http://www.australiagroup.net/de/uberblick.html.
6
http://www.australiagroup.net/de/entstehung.html
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Resümee Die hier vorgestellten drei außen- und wirtschaftspolitischen Gremien und die sicherheitspolitische Australische Gruppe kommen alle aus der Tradition der sogenannten ABC-Problematik (englisch: CBRN-Threats: chemical, biological, radiologic and nuclear), die also die atomaren, chemischen und biologischen Gefährdungen reflektieren. Bei allen Gruppierungen und Vereinbarungen hört man die Dominanz des – ich nenne es – atomaren Denkens heraus. Damit meine ich die Überzeugung, dass es aufgrund von radiologischen Substanzen und deren Kontrolle möglich ist, eine Klarheit herzustellen: im Wettrüsten während des Kalten Krieges und in der Exportkontrolle. Alles, was den Geigerzähler ausschlagen lässt, kann kontrolliert werden – dies ist die Ratio der Kontrollhandlungen. Hinzu kommt, dass die radiologischen und nuklearen Güter relativ gut zu benennen sind. So wird die Urananreicherung in einem sehr definierten und überschaubaren Rahmen für die zivile Nutzung zugelassen und streng kontrolliert. Für den Bereich der chemischen Bedrohungen lässt sich dies vergleichbar gut nachvollziehen. Der Bereich der biologischen Bedrohungen lässt die Zuordnung und damit die Exportkontrolle komplex werden. Hier lassen sich die Substanzen nicht per Geigerzähler detektieren, und die dazugehörenden Güter dienen beinah ausschließlich zivilen, medizinischen oder pharmazeutischen Anwendungen. Die materialbasierten Kontrollen, auf der die außenwirtschaftlichen Exportlisten beruhen, greifen möglicherweise für den atomaren und chemischen Bereich, sind aber in der modernen Biomedizin haltlos geworden. Wissensorientierte Kontrollen Daher wurde versucht, im Zuge der Bedrohung durch Bioterrorismus und der gestiegenen Aufmerksamkeit gegenüber dem Bedrohungspotenzial durch biologische Agenzien, Verfahrensweisen und Technologien, der Dual-Use-Problematik durch die informelle Kontrolle der Wissenskulturen beizukommen. Ich möchte nun ein Gremium vorstellen, das den Anspruch erhebt, dem wissensbasierten Dual-Use adäquater begegnen zu können.
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National Science Advisory Board for Biosecurity (NSABB) Das NSAAB wurde 2005 von der amerikanischen Regierung initiiert, um der gestiegenen Bedrohung durch Bioterrorismus und einem möglichen Missbrauch von biomedizinischen Forschungs- und Entwicklungsleistungen adäquater zu begegnen (Bhattacharjee 2006a; Towards better biosecurity 2006). Ziel dieses Gremiums ist es, Strategien zu entwickeln und einen wissenschaftlichen und politischen Rahmen zu bilden, in dem die Generierung und Kommunikation von Informationen und neuen Technologien aus den Lebenswissenschaften reflektiert und adäquate Formen des wissenschaftlichen und sicherheitspolitischen Umgangs mit Dual-Use-Wissen und -Technologien empfohlen werden (Cook-Deegan et al. 2005, Kaiser 2005). Dieses Gremium setzt sich zusammen aus 25 Mitgliedern mit einem breiten Spektrum an relevanten Disziplinen – angefangen von der Molekularbiologie, dem öffentlichen Gesundheitswesen und der Pharmazie über die Veterinärmedizin, Bioethik und die nationale Sicherheit bis zum Militär, dem Recht und die Publikations- und Öffentlichkeitsarbeit. Dieses Gremium der stimmberechtigten Mitglieder wird ergänzt durch Repräsentanten der involvierten Bundesbehörden und Ministerien: vom executive office of the president und der homeland security bis zum Gesundheits-, Energie-, Verteidigungs-, Rechts-, Wirtschafts- und Innenministerium sowie dem Nachrichtendienst, der Luft- und Raumfahrtbehörde et al. Angesiedelt beim Nationalen Gesundheitsdienst (National Institute of Health) trifft sich das Gremium zweimal jährlich, um die Richtlinien weiterzuentwickeln und zu bearbeiten. Ebenso kann das Gremium zur Beratung zusammengerufen werden. Rechtliche Bindung an die Empfehlung des NSABB besteht nicht. Mit dem NSABB wurde also ein hochrangig besetztes und hochaufwendiges Gremium geschaffen, das sich mit der Dual-Use-Problematik aus wissenschaftlicher und politischer Sicht auseinandersetzt. Das NSABB hat dabei die Absicht, die US-amerikanische Regierung bei Strategien zu beraten und die Risiken und Schäden zu minimieren, die durch den missbräuchlichen Einsatz von Informationen aus legitimen Forschungszweigen entstehen könnten. Außerdem treibt das Gremium die Entwicklung von institutionellen Richtlinien voran und versucht, die wissenschaftliche Gemeinschaft für die Problematik zu sensibilisieren. Auch soll es die internationale Zusammenarbeit der Dual-Use-Forschung stärken (http://oba.od.nih.gov/biosecurity/biosecurity.html).
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Die ursprüngliche Aufgabe des NSABB war es, Kriterien zu entwickeln, die Dual-Use-Forschung identifizierte, und Kommunikationsmöglichkeiten zu entwickeln, mit denen man diese Forschungen adäquat kommunizieren kann, um einen Verhaltenscodex zu erstellen, durch den Wissenschaftler und Laborangestellte zu einer verantwortlichen Haltung gegenüber einer möglichen missbräuchlichen Verwendung veranlasst werden. Die besondere Aufgabe des NSABB besteht dabei mittlerweile darin, ein Begutachtungssystem zu entwickeln, das die wissenschaftliche Entwicklung nicht hemmt und zugleich die gesellschaftlichen Risiken, die diese wissenschaftlichen Resultate haben könnten, angemessen berücksichtigt. Außerdem soll das NSABB Lehrmaterial für die Ausbildung der Wissenschaftler in Fragen des Dual-Use und des Risikomanagements erarbeiten und zur Verfügung stellen. Das NSABB stellt kein Begutachtungsgremium dar, das Dual-UseForschung oder -Publikationen beurteilt, sondern es hat einen beratenden Charakter und entwickelt Vorschläge, Empfehlungen und Rahmenkonzepte. Es wird immer wieder betont, dass das NSABB keine Richtlinien (guidelines) veröffentlicht, sondern einen framework for oversight, also ein Rahmenkonzept für eine Übersicht im Sinne von einer surveillance7. Dokumente Das NSABB hat relativ langsam seine Arbeit aufgenommen. Initiiert wurde es 2005 von der amerikanischen Regierung, und es hat 2005 zweimal getagt. Zwischen 2006 und 2009 hat das Gremium dreimal getagt (2008 zweimal) und das erste Dokument im Dezember 2006 veröffentlicht. Das NSABB hat bislang folgende Dokumente veröffentlicht: 2006: »Addressing Biosecurity Converns Related to the Synthesis of Select Agents« (NSABB 2006). In diesem Dokument gibt das NSABB Empfehlungen zum Umgang mit synthetischen Nukleotiden.
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Interessant ist, dass der Begriff oversight gewählt wurde. Oversight bedeutet im Englischen sowohl die formale Übersicht im Sinne einer Surveillance, aber auch ein Versehen oder eine grobe Vereinfachung (PONS). Im Deutschen gibt es eine ähnliche semantische Nähe zwischen der Übersicht und dem Übersehen. Es scheint so, als habe man der inhaltlichen Ambivalenz der Dual-Use-Bewertung eine semantisch äquivalente Zweideutigkeit gegeben.
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2007: »Proposed Framework for the Oversight of Dual Use Life Sciences Research: Strategies fot Minimizing the Potential Misuse of Research Information« (NSABB 2007). Dieses Dokument enthält die Empfehlungen zum Umgang mit Dual-Use-Forschung. 2008: »Strategic Plan for the Outreach and Education on Dual Use Research Issues« (NSABB 2008). In diesem Dokument gibt das Gremium Empfehlungen für Ausbildungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen für Wissenschaftler und Laborangestellte. 2009: »Enhancing Personnel Reliability Among Individuals with Access to Select Agents« (NSABB 2009). Dieses Dokument veröffentlicht die Empfehlungen des NSABB in Bezug auf die individuelle Sicherheitsüberprüfung und die Reliabilität der Wissenschaftler. Die thematische Schwerpunktsetzung, die sich anhand dieser Dokumente ablesen lässt, ist eine sehr bedenkliche: Zunächst knüpft das Gremium an die Tradition der Konferenz von Asimolar von 1975 (s. Kap. 1) an und veröffentlicht ihr erstes Richtlinien- bzw. Konzeptpapier in der Tradition des erregerbasierten Denkens; Biosecurity wird hier noch verstanden unter dem Gesichtspunkt des Arbeitens an dem Erreger – der Biosafety. Dabei bleibt das Gremium zunächst einem traditionellen Denken verhaftet, das biologische Gefahren als Modifikationen von und an Erregern sieht. In ihrem zweiten Dokument veröffentlicht das NSABB die Leitgedanken zum Dual-Use von Informationen – worauf ich gleich näher eingehen möchte. Das dritte Dokument ist sozusagen die erste Hinführung zu einer Beantwortung der Dual-Use-Problematik in der Deutung des NSABB, nämlich die Ausbildung des individuellen Wissenschaftlers und die Sensibilisierung für die Problematik. Eine gestiegene Sensibilisierung der Wissenschaftler für das Missbrauchspotenzial der eigenen Forschung ist mit Sicherheit eine positive Entwicklung. Die Lösung der Dual-Use-Problematik in dem Verhalten und der Absicht des einzelnen Wissenschaftlers zu sehen, ist allerdings zu kurz gedacht.
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Beobachtung Hier wird eine Denkbewegung deutlich, die das DualUse-Problem auf individuelles Fehlverhalten reduziert.
Das Problem des Dual-Use artikuliert sich allerdings unabhängig von den Intentionen und Absichten der Wissenschaftler. Problematisch ist ja gerade die Verwendung in Zusammenhängen, die nicht der Absicht der ursprünglichen Forschung entspricht. Ein Missbrauch von Forschung passiert durch eine Dekontextualisierung; dadurch, dass wissenschaftliche Informationen und Technologien in anderen Zusammenhängen eingesetzt werden. DualUse passiert eben nicht durch die Intentionen von einzelnen Wissenschaftlern. Die Weiterführung dieser Verkürzung der Problematik durch das NSABB lässt sich durch ihren aktuellen Beitrag ablesen: Die Ausbildungsbzw. Weiterbildungsmaßnahmen für Wissenschaftler werden nun verkehrt in die Überprüfung der Mitarbeiter: Reflektiert wird in der aktuellen Publikation des NSABB die Reliabilitätsprüfung der Wissenschaftler, die neben einer Sicherheitsüberprüfung auch eine psychologische Überprüfung beinhaltet. Die Bedrohung kommt – in der Wahrnehmung aus dem Jahre 2009 – von innen: vom sogenannten insider threat. Was man als strafbares Verhalten aus der Finanzwelt der Börse als Insiderinformation kennt, wird auf die Situation von Lebenswissenschaften übertragen. Von der diffus wahrgenommen Bedrohung von außen durch die missbräuchliche Verwendung legitimen lebenswissenschaftlichen Wissens ist die Wendung nach innen gegangen: Der Feind sitzt in den im Rahmen der biodefense gut ausgestatteten Laboren der staatlichen Abwehrforschung. Diese Biosurety werde ich in Kapitel 3 ausführlicher diskutieren. These Das Bemühen, der Dual-Use-Problematik ein intellektuelles und administratives Rückgrat zu geben, wird durch die thematische Ausgestaltung dieses Gremiums erschwert. An der Publikationsentwicklung 2005-2009 mit den Leitgedanken Biosafety – Biosecurity – Biosurety lässt sich einerseits die nicht erfolgversprechende Anknüpfung an das traditionelle, erregerbasierte Denken erkennen; andererseits ist die Bewegung der Reduzierung der komplexen Problematik auf das Individuum, den einzelnen Wissenschaftler, in der sensibilisierenden Erziehung und der psychologischen und sicherheitsüberprüfenden Belastbar-
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keit nicht geeignet, den komplexen Gefährdungen der missbräuchlichen Verwendung von Wissen durch Dekontextualisierung adäquat zu begegnen. Die Tendenz zur Individualisierung von komplexen gesellschaftsund sicherheitspolitischen Problemen ist keine adäquate Antwort.
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3 D AS D UAL -U SE -D ILEMMA DES M ÖGLICHKEITSSINNS
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S TEIGERUNG
In ihrer Publikation »Proposed Framework for the Oversight of Dual Use Life Sciences Research: Strategies fot Minimizing the Potential Misuse of Research Information« (NSABB 2007) entwickelt das NSABB ein Rahmenkonzept, wie dem Problem des Missbrauchs von wissenschaftlichem Wissen entgegengewirkt werden kann. Dieses Konzept beinhaltet die Identifikation von Dual-Use-Wissen, die Begutachtung und Durchführung der Forschung und der Publikationen sowie die adäquate Kommunikation. Außerdem beschreibt diese Publikation die Maßnahme eines Verhaltenscodexes für Wissenschaftler und Ausbildungsziele. Getragen ist dieses Konzept von dem Grundsatz der Balance zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Der freie und offene Austausch von Informationen gehört als Herzstück zum Fortschritt der Wissenschaften, der gestärkt werden soll. Gleichzeitig gilt es, die Aufmerksamkeit und die Kultur des Umgangs mit Widersprüchen zu stärken. Hier wird also versucht, keine Restriktion von wissenschaftlichen Forschungsleistungen anzustrengen, sondern eine adäquate und verantwortungsvolle Kommunikation über diese Balance und über dieses Dilemma vorzustellen. Das Gremium beginnt sein Konzept programmatisch mit der Definition des Begriffes Dual-Use. Unter Dual-Use-Forschung wird eine lebenswissenschaftliche Forschung mit der Entwicklung von neuen Technologien und Informationen verstanden, die das Potenzial hat, sowohl in wohlwollender wie auch in übelwollender Absicht eingesetzt zu werden. »The development of new technologies and the generation of information with the potential for benevolent and malevolent purposes are referred to in this report as ›dual use research‹.« (NSABB 2007, S. 2) Besonders interessant an diesem Dual-Use-Begriff ist die Terminologie des benevolent und malevolent (lat. gut wollen bzw. schlecht wollen). Absicht und Wille sind schon in die Definition eingegangen! Ein Dual-Use ist also durch eine Absicht charakterisiert. Mit dieser begrifflichen Präzisierung wird die Schwelle von den wissenschaftlichen Ergebnissen zu den individuellen Absichten überschritten; die Beurteilung eines Dual-Use basiert nun nicht mehr allein auf der Einschätzung der wissenschaftlichen Forschung und auch nicht auf der
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Bewertung der Verwendung, sondern auf der Absicht der Verwendung. Dies ist eine Steigerung der bisherigen Bewertungskriterien des Dual-Use. Das Gremium unterscheidet aber noch weiter, indem es eine zweite Begrifflichkeit einführt: die bedenkliche Dual-Use-Forschung (dual use research of concern). Darunter versteht das Gremium eine Forschung aus dem Bereich der Lebenswissenschaften, die ein beachtliches Potenzial hat, ein Wissen zu generieren, das missbraucht werden kann. »[D]ual use research with significant potential for generating information that could be misused – referred to us as ›dual use research of concern‹« (NSABB 2007, S. 2). Mit dieser Unterscheidung geht das NSABB also noch einen Schritt weiter als in ihrer Definition des ›einfachen‹ Dual-Use-Begriffes. Beobachtung Beim einfachen Dual-Use-Begriff bezieht sich das Missbrauchspotenzial auf die Produkte und Ergebnisse faktischer Forschung; er beschreibt also die Wahrscheinlichkeit eines Indikativs, der je nach individueller Absicht nachteilig verwendet werden kann. Mit dem bedenklichen Dual-Use-Begriff wird eine künftige Entwicklung, eine Möglichkeit, ein Konjunktiv, gesteigert. Damit wird der Dual-Use-Begriff ein zweites Mal progredient verstärkt. War es beim einfachen Dual-Use die individuelle Absicht, ist es beim bedenklichen Dual-Use eine noch nicht faktische Möglichkeit. Der Dual-Use wird also verinnerlicht und mit der Steigerung der Möglichkeiten versehen. Damit ist der Dual-Use in den Bereich des Imaginären vorgedrungen. Die Gedanken werden beim Denken schon patrouilliert.
Als Richtlinien zum Umgang mit der einfachen Dual-Use-Forschung empfiehlt das NSABB vor allem die Ausbildung und Sensibilisierung von Wissenschaftlern und eine adäquate Kommunikation der betreffenden Forschung. Die Kriterien der bedenklichen Dual-Use-Forschung beschreibt das NSABB etwas genauer. Zur Identifizierung der bedenklichen Dual-UseForschung schlägt das Gremium folgende Kriterien vor: eine Forschung, von der nach aktuellem Wissen vorhergesagt werden kann, dass sie Wissen, Produkte oder Technologien entwickeln wird, die in einer direkten Weise so angewendet werden können, dass die nationale Sicherheit und Gesundheit, die Landwirtschaft, Tiere und Umwelt oder Material bedroht wird.
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»Research that, based on current understanding, can be reasonably anticipated to provide knowledge, products, or technologies that could be directly misapplied by others to pose a threat to public health and safety, agricultural crops and other plants, animals, the environment, or material.« (NSABB 2007, S. 17)
Da die meisten Forschungen die Eventualität eines möglichen, künftigen Missbrauchs in sich tragen, verstärkt das NSABB diese Identifizierung mit den Zusätzen »nach aktuellem Wissen« und der »direkten Übertragbarkeit« des Wissens. Die Unterscheidung zwischen bedenklicher Dual-UseForschung und normaler lebenswissenschaftlicher Forschung ist eine graduelle: Eine Forschung wird zur Dual-Use-Forschung, indem sie nach aktueller Einschätzung die Wahrscheinlichkeit erhöht, direkt missbräuchlich verwendet zu werden. Um dieses Kriterium zu verdeutlichen, listet das Gremium Wissen, Produkte und Technologien, deren Inhalte bedenklichen Dual-Use in sich tragen. Dies sind zum Beispiel Wissen, Produkte und Technologien, die • • • • • • •
die schädigenden Konsequenzen von biologischen Agenzien (Bakterien, Viren, Pilze) und Toxinen verstärken, die Immunität schädigen oder die Effektivität von Immunisierungsmaßnahmen herabsetzen, ein biologisches Agens oder Toxin resistent machen oder schwerer detektierbar, die Stabilität, Übertragbarkeit oder Ausbringungsfähigkeit eines biologischen Agens oder Toxins erhöhen bzw. verbessern, die Wirtsfähigkeit und Angriffsfläche eines biologischen Agens verbessern bzw. erhöhen, die Empfänglichkeit des Wirtes erhöhen oder ein neues Agens herstellen oder ein ausgerottetes Agens wiederherstellen können.
Die Kriterien zur Beurteilung des potenziellen Dual-Use erinnert an die Vorgaben des Autoren- und Herausgeberkollektivs, die die Restriktion von Publikationen solcher Forschungen empfohlen hatte (s. Kap. 1). Die Kriterien sind beinahe gleich – was sich verändert hat, ist der Umgang mit ihnen. Das NSABB identifiziert mit den gleichen Kriterien Forschungen, die nun
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nicht mehr restringiert, sondern adäquater kommuniziert werden sollen. Das Gremium geht einen sinnvollen Schritt, indem es auf und in der Kommunikationsbasis der Wissenschaft und der Gesellschaft reagiert. Das ist ein entscheidender Schritt in der Bewertung des Dual-Use. Die Konsequenzen der Dual-Use-Forschung sollen kommunikativ besser vermittelt und eine adäquate und verantwortungsvolle Kommunikation betrieben werden. Den Vorschlag zu einer adäquateren Kommunikation werde ich in Kapitel 4 aufgreifen und diskutieren. Zunächst möchte ich mit zwei Beispielen die Problematik illustrieren, die die Bewertung der Forschung basierend auf der aktuellen gesellschaftspolitischen Situation nach sich zieht. Diesen gesellschaftlichen Bewertungs-›Switch‹ stelle ich in der Fallstudie II zur Spanischen Grippe ausführlich vor. Das zweite Beispiel ist der Zwiespalt der Kommunikation, die zwischen den Polen Transparenz und Restriktion die Balance zu halten versucht, zwischen einer Transparenz, die grundlegend für die wissenschaftliche Arbeitsweise und Nachvollziehbarkeit ist, und einer Restriktion, die aufgrund der Sorge des Missbrauchs dieser transparenten Informationen auferlegt wird. Mit diesem zweiten, kürzeren Bespiel, das die wissenschaftliche Ambivalenz oder anders formuliert: den wissenschaftlichen Bewertungs-›Switch‹ beschreibt, mit der wissenschaftliche Forschungen kommuniziert werden, möchte ich das Kapitel 2 abschließen.
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Das Dilemma zwischen einer offenen und transparenten Kommunikation wissenschaftlicher Forschung und einer restriktiven Haltung, die der Sorge Ausdruck verleiht, dass eben diese transparente Kommunikation ein Gefährdungspotenzial darstellt, möchte ich an einem kurzen Beispiel erläutern. In einem Backgrounder der Nichtregierungsorganisation Sunshine Project mit dem Titel »Biologische Waffen. Forschungsprojekte der Bundeswehr«8 wird die Impfstoffproduktion zu Botulinumtoxin in einer besonderen Weise kritisiert. Vor dem Hintergrund einer uneindeutigen Einteilung in offensive und defensive Forschung kritisiert die Studie die präzise Schilderung der Impfstoffproduktion. Das Forschungsinstitut, das im Auftrag des Bundesministeriums für Verteidigung (BMVg), Impfstoff gegen Botulinumtoxin hergestellt habe, schildere zu detailliert, »wie die verschiedenen Varianten des Botulinumtoxins effektiv produziert werden können. Damit wurde im Rahmen der Defensivforschung ein eindeutig offensives Potential geschaffen.« (http://www.sunshine-project.de) Kritisiert wird hier also die große Detailliertheit, mit der Wissen kommuniziert wird; diese Transparenz sei deswegen so bedenklich, weil dieses Wissen, das im Zusammenhang der Impfstoffproduktion berichtet wird, ebenso in offensiver, missbräuchlicher Absicht verwendet werden könne. Schwierig ist diese Position, weil sie ein Dilemma zum Ausdruck bringt: Das Dilemma besteht darin, dass einerseits eine Transparenz insbesondere gegenüber einer Forschung gefordert wird, die zwischen einer defensiven Forschung an Impfstoffen und einem möglichen Missbrauch dieser Forschung als Kampfstoffproduktion oszilliert. Diese Forderung nach Transparenz wird vor einem gesellschaftlichen, politischen, insbesondere aber vor einem wissenschaftsinternen Hintergrund gestellt: Daten und Projekte müssen nachvollziehbar und gesellschaftspolitisch legitimiert sein. Diese Forderung gilt für alle wissenschaftlichen Projekte, aber insbesondere politischen oder regierungsnahen Instituten und Projekten wird im Rahmen einer berechtigten gesellschaftlichen Kontrolle eine Transparenz abverlangt. Gleichzeitig wird diese geforderte
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http://www.sunshine-project.de vom Juni 2001.
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Transparenz nun andererseits kritisiert, weil die transparente Kommunikation der wissenschaftlichen Daten ein Missbrauchspotenzial darstelle. Resümee Das Dilemma zwischen Transparenz und Restriktion führt zu Fragestellungen, die in der Diskussion um die Gefährdung durch biologische Forschungen eine große Rolle spielen: •
• •
Inwieweit ist nicht nur das Material zweckentfremdet in einer missbräuchlichen Verwendung einsetzbar, sondern inwieweit ist auch das publizierte Wissen um die Produktionsschritte und die Protokollierung der Technologien als biologische Gefährdung anzusehen? Und weiter: Inwieweit befähigt ein Wissen um die Möglichkeit auch die Kompetenz für die Wirklichkeit? Und: Wie kann das Dilemma zwischen Transparenz und Restriktion aufgelöst werden?
Diese Fragen möchte ich in Kapitel 4 weiter diskutieren. Nach dieser kurzen Vorstellung der ambivalenten Bewertung der wissenschaftlichen Publikation von Forschungen möchte ich nun in der folgenden Fallstudie die schwierige Balance bei der gesellschaftlichen Bewertung von legitimen Forschungsprojekten beschreiben. Damit gehe ich auf den letzten Punkts des Kriteriums ›bedenklicher Dual-Use‹ ein, der beschreibt, dass es zum bedenklichen Dual-Use gehört, wenn an bereits nicht mehr zirkulierenden gefährlichen Erregern geforscht wird. Zusammenfassung Das Dual-Use-Dilemma wurde anhand eines modifizierten Dual-UseBegriffes eingeführt, der nicht nur die Ambivalenzen zwischen offensiver und defensiver Forschung beschreibt, sondern sich auch der Ambiguität eines materialbasierten und eines wissensbasierten Dual-Use öffnet. Während der materialbasierte Dual-Use – in Anlehnung an die Unterscheidung des Kalten Krieges – auf den Gebrauch von relevantem Material (Erreger, Ausbringungsinfrastruktur etc.) in der Absicht einer missbräuchlichen Verwendung abzielt, weist der wissensbasierte Dual-Use auf eine veränderte Funk-
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tion von wissenschaftlichem Wissen hin. Ein wissensbasierter Dual-Use kann sowohl direkt – über die Integration von Wissen, das ›direkt am Erreger‹ generiert wird – als auch indirekt als Transferleistung aus anderen Wissensgebieten und Technologien Wissen und Erfahrungen gewinnen, die die Amplituden biologischer Gefährdungen erhöhen. Entlang dieser begrifflichen Präzisierungen wurden die gesellschaftspolitischen Kontrollgremien vorgestellt. Während die frühen gesellschaftspolitischen Vereinbarungen die materialbasierte Exportkontrolle von Gütern mit doppelten Verwendungen regelte, wurde im Zuge der Bedrohung durch Bioterrorismus und des verbesserten Verständnisses der Besonderheiten der lebenswissenschaftlichen Forschung ein Gremium vorgestellt, dass den wissensbasierten Dual-Use reflektiert. Mit einem kurzem Beispiel zu der schwierigen Balance zwischen Transparenz und Restriktion wurde dieses Kapitel abgeschlossen.
Fallstudie II: Die Spanische Grippe als Verständnisschlüssel zur Pathogenese von Pandemieviren und als potente Biowaffe. Beobachtungen zu einer Dual-Use-Bewertung
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Bedenkliche Dual-Use-Forschung (dual use research of concern) – so das NSABB – berge ein hohes Potenzial in sich, dass die Ergebnisse dieser Forschungen missbräuchlich verwendet werden könnten (s. dazu ausführlich Kap. 2). Als Kriterium für die bedenkliche Dual-UseForschung benennt das Gremium unter anderem die Tatsache, dass mit Erregern gearbeitet werde, die nicht mehr natürlich vorkommen und die in der Vergangenheit eine dramatische Morbidität und Mortalität verursacht haben. Kriterium für die Bewertung der Forschung als Dual-Use sei das aktuelle Verständnis vom Gefährdungspotenzial einer direkten Verwendung dieser Forschungsresultate. Ein Beispiel dieser – nach den Kriterien des NSABB – bedenklichen Dual-Use-Forschung ist die Erforschung des Erregers der sogenannten Spanischen Grippe, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts die schwerste Pandemie der letzten Jahrhunderte verursacht hat. In dieser Fallstudie möchte ich zeigen, wie schwierig und wie ambivalent die jeweils aktuelle gesellschaftliche Bewertung einer Forschung ist – und wie sie sich je nach gesellschaftlichem Kontext verändert. Am Beispiel der Erforschung der Spanischen Grippe zeige ich die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bewertungen der Forschung und der Forschungsresultate zunächst unter dem Eindruck von Bioterrorismus, dann in Zeiten der Vo-
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gelgrippe und schließlich während der zweiten Pandemie dieses Jahrhunderts, die vom gleichen Virustyp wie die Spanische Grippe (Influenza A/H1N1 – »Schweinegrippe« oder »Neue Influenza« genannt) verursacht wurde. These Bei der Forschungsbewertung wird man nicht nur mit der Möglichkeit unerwarteter Forschungsergebnisse, sondern auch mit unerwarteten Lebenswelten und Wirklichkeiten konfrontiert, die eine Bewertung nach aktuell gesellschaftlichen Bedürfnissen als nicht adäquat erscheinen lassen.
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1 D IE F AKTEN Am 6. Oktober 2005 veröffentlichen Jeffrey Taubenberger und seine Kollegen vom Department of Molecular Pathology am Armed Forces Institute of Pathology in Rockville, Maryville (USA), einen Aufsehen erregenden Beitrag in der Zeitschrift Nature. Mit ihrem Beitrag »Characterization of the 1918 influenza virus polymerase genes« publizieren sie die komplette Sequenz des hochvirulenten Influenza-A-Virus von 1918 (Taubenberger et al. 2005). Dieser hochvirulente Stamm hat als sogenannte Spanische Grippe in der Zeit von 1918-1919 etwa 50 Millionen Menschen (Johnson/Mueller 2002) weltweit getötet. Taubenberger und Kollegen konnten aus dem humanen Gewebe einer Toten, die jahrzehntelang konserviert im ewigen Eis in der Nähe des Nordpols gefunden wurde, das Virus von 1918 isolieren und sequenzieren. Durch die Analyse der Polymerase-Proteinsequenzen haben Taubenberger und Kollegen nachgewiesen, dass der hochvirulente Influenzastamm von 1918 kein reassortierter Virusstamm (s.u.) war wie in den Pandemien von 1957 und 1968, sondern ein adaptierter, aviärer Influenzastamm. Dieses Resultat hat weitreichende Konsequenzen für das Verständnis zur Entstehung von Grippepandemien. Influenza und Pandemien – einige Grundlagen Influenzaviren stammen aus der Familie der Orthomoxyviren und werden in die Typen A, B und C eingeteilt. Es gibt humanpathogene und tierpathogene Influenzatypen. Die Hämagglutinin- (HA) und Neuroaminidaserezeptoren (NA) sind Oberflächenproteine des Virus. Hämagglutinin ist wichtig für die Anlagerung des Virus an den zellulären Rezeptor. Die Neuroaminidase spielt eine Rolle bei der Virusablösung von der infizierten Zelle. Bei Influenza-AViren werden verschiedene Hämagglutinintypen (H1-16) und Neuroaminidasetypen (N1-9) unterschieden – diese führen zu der Benennung des Influenzavirus, z.B. in Influenza A/H3N2. Bei der Vermehrung des Virus kommt es beständig zu antigenen Veränderungen – dem sogenannten antigenen drift –, die für die saisonalen Influenzawellen verantwortlich sind. Wenn ganze Genomänderungen am HA
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oder NA durch Reassortierung stattfinden, spricht man von einem antigenen shift. Unter einem Reassortment versteht man den Segmenttausch zwischen verschiedenen Viren in infizierten Wirten. So sind immer wieder genetische Neukombinationen möglich (Kayser/Boettger/Zinkernagel 2005). Im Unterschied zur jährlichen Grippewelle, deren Variabilität also einem Antigendrift zugrunde liegt, ist ein Pandemievirus durch einen Antigenshift, also eine genetische Neukombination, entstanden. Dadurch erklären sich die Besonderheiten, durch die sich eine Pandemie von der jährlichen Grippewelle unterscheidet. Epidemie – Pandemie Unter einer Pandemie wird eine Infektionserkrankung verstanden, die sich in einem gewissen Zeitfenster ohne regionale Begrenzung, also global, und in zunehmender Weise durch Mensch-zu-Mensch-Übertragungen ausbreitet und sowohl eine hohe Erkrankungsrate als auch eine hohe Sterblichkeit verursacht. Eine Pandemie wird von der WHO dann ausgerufen, wenn eine Infektionserkrankung sich auf mindestens zwei WHO-Regionen (Amerika, Europa, Südostasien, westlicher Pazifik, östliches Mittelmeer) ausgebreitet hat. Diese Definition der Pandemie wurde 2009 unter dem Eindruck der sogenannten Neuen Influenza oder »Schweinegrippe« A/H1N1 präzisiert. Als weiteres Kriterium zur Definition der Pandemie ist neben der örtlichen und zeitlichen Ausbreitung die hohe Morbidität und die Mortalität gekommen. Im Unterschied zu einer Pandemie breitet sich die Epidemie örtlich begrenzt aus, ist nicht hochansteckend und hat keine hohen Sterblichkeitsraten. Die Definition einer Pandemie gilt für alle Infektionserkrankungen; so waren große Pandemien der letzten Jahrhunderte die »Antoninische Pest« (165-180), die wohl weniger eine Pesterkrankung als vielmehr eine Pockenerkrankung war, die drei großen Pestpandemien (1. »Justinianische Pest« 541ff., 2. »Schwarzer Tod« 1347-1352, 3. 1896-1945). Beobachtung Während in früheren Jahrhunderten unter einer Pandemie die Ausbreitung der Pest (Yersinia pestis) verstanden wurde, hat im letzten Jahrhundert ein semantischer Bedeutungswandel stattgefunden: Seit
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dem 20. Jahrhundert meint man Influenza, wenn man von einer Pandemie spricht, und nicht mehr Pest.
Periodisch treten hochvirulente und hochpathogene Virenstämme beim Menschen auf, die globale Grippepandemien verursachen. 1918 wütete die Spanische Grippe, die weltweit etwa 50 Millionen zumeist jüngere Menschen (zwischen 18 und 40 Jahren) tötete. Dieser Virusstamm ist wie der Stamm der Neuen Influenza A/H1N1 2009 ein H1N1-Stamm. Die Grippepandemien von 1957 (»Asiatische Grippe«, H2N2) und 1968 (»HongkongGrippe«, H3N2) waren nicht annähernd so heftig. Die Frage, wie sich die saisonalen Influenzastämme von pandemischen unterscheiden und aufgrund welcher Mechanismen pandemische Stämme entstehen, ist eine zentrale Frage in der Virologie. Sequenzierung Bei dem Influenza-A-Virus von 1918 haben Taubenberger und Kollegen drei Polymerasekomplexe untersucht, die eine zentrale Rolle bei der Replikation des Virus im Wirt und bei den Interaktionen mit Wirtsfaktoren spielen. Diese Polymerasekomplexe sind wichtig für die Wirtsspezifität; also dafür, dass es humane Stämme gibt, an denen Menschen erkranken, und dass es aviäre Influenzastämme gibt, an denen Geflügel und andere Tiere erkranken. In seltenen Fällen kommt es allerdings vor, dass Menschen an aviären Influenzastämmen schwer erkranken – wie dies bei der sogenannten Vogelgrippe (H5N1) im asiatischen Raum beobachtet wird (s.u.). Taubenberger und Kollegen konnten zeigen, dass sich der Stamm von 1918 nur in wenigen Aminosäuren von einem aviären Stamm unterscheidet. Die Vermutung lag nahe, dass sich das Virus von einem aviären Stamm zu einem humanen pandemischen Influenzastamm entwickelte. Und die Analyse der Polymerase-Proteinsequenzen hat die Hypothese untermauert: Das Virus von 1918 ist kein reassortierter Virus – also kein Virus, das sich bei einer Doppelinfektion in einem Wirt aus den verschiedenen Gensegmenten neu zusammengesetzt hat, wie das bei der Pandemie von 1957 (H2N2), der Asiatischen Grippe, oder auch der Pandemie von 1968 (H3N2), der Hongkong-Grippe, der Fall war.
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Das Virus von 1918 ist – so wurde in der Genanalyse herausgearbeitet – ein human adaptierter, aviärer Influenzastamm, der sich nur in zehn Aminosäuren von einem reinen aviären Influenzastamm unterscheidet. Das ist – infektiologisch und evolutionär gesprochen – kein sicherer Abstand, insbesondere weil in dem 2006 in Asien (und in der Folge auch in Europa) kursierenden hochpathogenen aviären Influenzastamm H5N1/Asia vergleichbare Sequenzänderungen beobachtet werden. Diesem aviären Stamm wurde das Potenzial zugesprochen, ein möglicher Kandidat für die nächste Influenzapandemie zu sein. Dass dies mit der Schweinegrippe erneut ein H1N1-Stamm wurde, hat auch die Experten überrascht. Das Ziel der Forschungen von Taubenberger ist es, mit einem besseren Wissen über die Adaptionsmechanismen, über die Ursachen der hohen Pathogenität und die Virulenz künftige, potenziell pandemische Stämme besser zu prognostizieren und zu verstehen und ihnen adäquater begegnen zu können. Rekonstruktion Parallel zum Erscheinen der Sequenzen haben Terrence Tumpey und seine Kollegen von den CDC in Atlanta (USA) Taubenbergers Sequenz genutzt, um ein komplettes Influenzavirus von 1918 herzustellen und die Pathogenität und Letalität an Mäusen zu testen (Tumpey 2005). In der Zeitschrift Science publiziert Tumpey seine Ergebnisse und zeigt sich selber überrascht von dem Experiment: »I didn’t expect it to be as lethal as it was.« (ebd.). Die Virulenz und Pathogenität des Stammes ist in der Tat beeindruckend: •
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Der Virusstamm von 1918 produziert nach einem Tag 50 Mal mehr Viruspartikel in einer infizierten humanen Lungenzelle als durch eine Exposition mit einem zeitgenössischen Stamm (Texas-Stamm). 39.000 Mal mehr Virenpartikel finden sich nach vier Tagen in dem Lungengewebe der Mäuse als bei einer Infektion mit dem TexasStamm. Alle mit dem Influenzastamm von 1918 infizierten Mäuse sterben innerhalb von sechs Tagen; keine stirbt am Texas-Stamm.
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Dieses Experiment unterstreicht zweierlei: zum einen die Gefährlichkeit des Influenzavirus von 1918; zum anderen demonstriert es die Möglichkeit, aufgrund der vorhandenen, publizierten und über Datenbanken abfragbaren Informationen das Virus auf der Grundlage von Sequenzinformationen zu rekonstruieren. These Aus der Sequenz – also dem Wissen über den Bau des Virus – wird eine Rekonstruktion – also ein Können – demonstriert. Das berührt die zentralen Fragen des oben skizzierten Dual-Use-Dilemmas.
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Z EITEN
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Die Forschungen von Taubenberger und Kollegen wurden vor zehn Jahren genehmigt, 1995 begonnen und 2005 von dem NSABB (s. Kap. 2) erneut bewertet und zur Publikation in Nature freigegeben. Die Publikation der kompletten Sequenzen des hochvirulenten pandemischen Influenzastammes von 1918 durch Taubenberger wurde ebenso wie die Rekonstruktion des Virus durch Tumpey schon beim Erscheinen 2005 kontrovers diskutiert. Die Kritik an diesen Publikationen richtete sich nicht nur gegen die Veröffentlichung der Gensequenzen und der angewendeten Methoden zur Rekonstruktion, sondern auch gegen den Stellenwert und die Notwendigkeit der Forschung selber sowie die Risiko-NutzenBilanz, die der wissenschaftlichen Bewertung zugrunde lag. Ich stelle nun paradigmatisch zwei Positionen vor, die ich anschließend kommentierend in den Kontext dieser Arbeit stellen möchte. Erste Position: Der Nutzen der Forschung überwiegt die Nachteile Andreas von Bubnoff kommentiert in der gleichen Nature-Ausgabe wie Taubenbergers 1918-Sequenzen die Risiko-Nutzen-Bilanz (von Bubnoff 2005b) dieser Forschung. Ein Teil der Wissenschaftler sei begeistert: Die Sequenzierung und die Rekonstruktion ermöglichten neue Einblicke in die Mechanismen von Pathogenität und Virulenz und eröffneten damit einen adäquateren Umgang mit einem künftigen pandemischen Influenzastamm. Außerdem hoffe man, dass diese Forschung wichtige Impulse für die Impfstoff- und die Therapieentwicklungen von Influenzaerkrankungen liefere. Die positiven Aspekten seien also, dass diese Forschungen für ein Grundlagenverständnis wichtig seien und verbesserte therapeutische (Medikamente) und verbesserte prophylaktische Maßnahmen (Impfungen) nach sich ziehen könnten. Allerdings zitiert von Bubnoff auch Wissenschaftler, die Bedenken dagegen äußeren, dass man mit dem Virus von 1918 eine massive Gefährdung auftaue, von dem man sehr froh sei, dass sie nicht mehr zirkuliere. Außer-
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dem halten kritische Wissenschaftler es für bedenklich, dass es durch die Publikation der kompletten Sequenz für jeden möglich sei, dieses Virus zu rekonstruieren. Und nicht nur dieses Virus: Es sei zudem auch möglich, andere – für eine prognostizierte Verwendung möglicherweise besser konfektionierte – Erreger zu synthetisieren. Eine missbräuchliche Verwendung dieses Wissens beispielsweise durch bioterroristische Gruppen sei ein enormes Gefährdungspotenzial. »Tumpey et al. have constructed, and provided procedures for others to construct, a virus that represents perhaps the most effective bioweapon now known.« (von Bubnoff 2005a, S. 1130). Befürchtet wird – neben der missbräuchlichen Verwendung der Sequenzinformationen – auch die unbeabsichtigte Freisetzung von dem hochvirulenten Stamm während der Arbeiten im Labor. So sei eine Höherstufung der Laborsicherheit (BSL) von Stufe 3 auf die höchste Stufe 4 zu bedenken. Tumpey, der das Virus im Labor rekonstruiert hat, hält hingegen die Sicherheitsstufe 3 für ausreichend, weil die Mitarbeiter sehr gut geschult und außerdem sicherheitsüberprüft seien1. Außerdem, so fügt Tumpey hinzu, selbst wenn das Virus freigesetzt würde, wären die Konsequenzen sicherlich nicht so schlimm wie 1918, weil ein besserer Immunstatus der Bevölkerung sowie bessere therapeutische Möglichkeiten bestünden (von Bubnoff 2005b). Die negativen Aspekte seien also die Wiederbelebung vergangener Gefahren, die Rekonstruktionsmöglichkeiten und die besseren Konfektionierungsmöglichkeiten, die eine intentionale Freisetzung im Sinne von Bioterrorismus erleichtern; außer der intentionalen Freisetzung sei die nicht beabsichtigte Freisetzung, z.B. durch Laborunfälle, möglich. Im Versuch dieses Dilemma zwischen Forschungsfreiheit und möglichen Gefahren der Forschungen zu lösen, gibt von Bubnoff zweierlei zu bedenken: Zum einen haben das NSABB diese Veröffentlichung befürwortet mit der Auflage eine Erklärung zur Relevanz der Forschungen für die öffentliche Gesundheit hinzuzufügen; zum anderen, sei die Natur der beste ›Bioterrorist‹: »We are aware that all technological advances could be misused. But what we are trying to understand is what happened in nature and how to prevent another pandemic. In this case, nature is the bioterrorist.«
1
In ein amerikanisches Labor der Sicherheitsstufe 3 kommen Mitarbeiter nur nach umfangreichen Sicherheitsüberprüfungen und dann auch nur mit einer permanenten Fingerabdruck- und Irisidentifizierung.
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(ebd., S. 795) Ingesamt urteilt von Bubnoff, dass die Vorteile der Forschungen die Nachteile eines freigesetzten, unkontrollierten und potenziell gefährlichen Wissens überwiegen. Zweite Position: Risiken überwiegen den Nutzen Jan van Aken kommt in der Risiko-Nutzen-Bilanz der Forschung zur Sequenzierung und Rekonstruktion des Influenzavirus von 1918 zu einem anderen Ergebnis. Er sieht in den Forschungen von Taubenberger und Tumpey zur Influenza von 1918, dass die Risiken den Nutzen weit überwiegen, und fordert eine stärke Bilanzierung von Dual-Use-Forschung und legal bindende Rechte für Biosecurity (van Aken 2006). Während sich unter dem Eindruck der Anthraxbriefe im September 2001 die großen naturwissenschaftlichen Zeitschriften zu einer Selbstzensur von Artikeln mit sensitiven Informationen entschlossen haben (s. dazu ausführlich Kap. 1), kritisiert van Aken nicht die Publikationspraxis, sondern die Bewilligung der Forschung selber. Die freie Publikation von wissenschaftlichen Fachartikeln sei, so van Aken, ein wesentliches Moment einer kritischen Bewertung der biologischen Sicherheit, die auf ein transparentes Peer-Review-Verfahren setzt. »As trust and confidence are key elements of international cooperation in the area of arms control and security, only a high level of transparency will allow nations to better determine the intentions of others (…). Withholding critical information on dualuse research in any one country would therefore undermine arms-control efforts.« (Ebd., S. 11; s. dazu ausführlich Kap. 3)
Statt der Einschränkung von Publikationen fordert er eine transparente Publikationspraxis und eine Einschränkung der Forschungen selber. Dabei müsse eine wissenschaftlich fundierte Bewertungsmatrix die RisikoNutzen-Bilanzen abschätzen können. Natürlich sei es schwer, gerade bei naturwissenschaftlichen Forschungen im Vorhinein Nutzen und Risiken miteinander und gegeneinander abzuwägen, da gerade in diesen Forschungsgebieten zum einen ein Grundlagenverständnis erweitert würde, deren konkrete Realisierung noch nicht mitgedacht werde; zum anderen, weil es in diesen Forschungsgebieten einige prominente Neben- und Überraschungsentwicklungen gebe (van Aken 2006).
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Leitend für die Risikobewertung sollen daher Fragen sein, die sich dem Missbrauchspotenzial der Forschung stellen. So nennt van Aken drei Aspekte, die sich auf den militärischen Missbrauch wissenschaftlicher Forschung beziehen: • • •
Welche Teile der Forschung können in eine militärische oder terroristische Anwendung transponiert werden? Welches neue Bedrohungspotenzial hat die militärische Anwendung der Forschung? Was sind die technischen Voraussetzungen für die Übertragbarkeit dieser Forschungen in andere Lebensbereiche wie z.B. militärische Entwicklungen oder terroristische Szenarien?
Neben diesem Schwerpunkt der Risikobewertung auf der militärischen Verwendung öffentlicher Forschung erwähnt van Aken auch die Notwendigkeit eines Risikomanagements, das über effektive Möglichkeiten der Waffenkontrolle verfüge und eine klare Unterscheidung zwischen Gebrauch und Missbrauch der Forschung operativ einsetzen könne (ebd.). Für die konkrete Erforschung des Influenzastammes von 1918 sei die Risikobewertung sehr einfach und einstimmig: Mit der Sequenzierung und der dokumentierten Rekonstruktion des Virus hat man eines der potentesten biologischen Agenzien in der Hand, das effizient und effektiv als biologische Waffe in zwischenstaatlichen, aber auch in terroristischen Szenarien eingesetzt werden könnte. Viel schwieriger sei es, den Nutzen der Forschungen über den Influenzastamm von 1918 zu sehen. So sei beinahe jede Forschung in der Biomedizin eine Bereicherung in der Grundlagenforschung und schenke neue Einsichten in die Mechanismen der Entstehung von Krankheiten. Gerade die Argumentation über die Aussicht auf das Heilen von Krankheiten würde zu einer unkritischen Sichtweise in der Nutzenanalyse führen. »Today, promises are the major currency in the life sciences: as soon as hopes for a cure for a life-threatening disease are invoked – however putative, remote or hypothetical – scientific research is deemed to be justified.« (ebd., S. 13) Viel eher müsse gefragt werden, welche wichtigen Gesundheits- und humanitären Probleme mit der Forschung gelöst werden und welche Alternativen sich böten, um zu den Lösungen zu gelangen. So sieht van Aken in der Erforschung des Stammes von 1918 eine gefährliche Redundanz: Die
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Erkenntnisse, die man gewinnen möchte, kann man mit allen derzeit verfügbaren Gensequenzen, die innerhalb des Influenza Genome Sequencing Projects gewonnen wurden, ebenso erreichen. Mit dem Influenzastamm von 1918 würde man eine erhebliche Gefährdung in Kauf nehmen für einen Nutzen, der auf anderen, ungefährlicheren Wege ebenso gezogen werden könne. Kommentar Es ist eine schwierige Balance, die zwischen den Positionen zur Forschungsfreiheit und der Einschränkung von Forschung auszuhalten ist. Und es gibt sicherlich keine einfache Lösung, die sich für die eine oder die andere Polarität entscheidet. An dieser Stelle der Argumentation möchte ich keine Position programmatisch beziehen, sondern vielmehr zeigen, wie argumentiert wird und wie aufgrund einer aktuellen gesellschaftspolitischen Lage Grundlagenentscheidungen über die Forschungsentwicklungen der nächsten Jahre diskutiert werden. Kommentar zur ersten Position Von Bubnoff folgt mit seiner Argumentation einem bekannten Muster: Dieses Muster orientiert sich an der Polarität Grundlagenforschung vs. Risiken der Forschungen. Von Bubnoff argumentiert, dass die Sequenzierung und Rekonstruktion von Krankheitserregern Grundlagenforschung sei, die wertvolle Einsichten in künftige therapeutische und prophylaktische Entwicklungen schenke. Dieses Argument ist in gewissem Sinne ein ›Totschlagargument‹, das oft dann eingesetzt wird, wenn die konkreten positiven Aspekte – noch – nicht sichtbar sind. Dabei besteht grundsätzlich ja kein Dissenz über den Wert von Grundlagenforschung. Die Problematik an der Sequenzierung und Rekonstruktion besteht ja gerade in der möglichen Anwendbarkeit der Forschung. Diese Anwendbarkeit in gesellschaftlich nachteiligen Kontexten wird ja gerade kritisiert! Problematisch an der Argumentation von Bubnoffs ist, dass er die Kritik an der gesellschaftlich nachteiligen Anwendbarkeit nicht ernst nimmt bzw. sie mit dem Verweis auf den Wert der Grundlagenforschung abtut. Dabei sind sowohl die Wiederbelebung vergangener Gefahren infektiologisch hochrelevant als auch die Rekonstruktion und Konfektion im Zusammenhang mit einer beabsichtigten oder unbeabsichtigten Freisetzung.
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Die Wiederbelebung von vergangenen Gefahren über eine beabsichtigte oder unbeabsichtigte Freisetzung hat hohe Relevanz, weil die Bevölkerung mit ihrem Immunsystem nicht mehr mit solchen Erregern vertraut und damit erhöht suszeptibel ist. Es ist natürlich richtig, dass wir heute in anderen hygienischen Verhältnissen leben als zu Beginn des letzten Jahrhunderts – zumindest was die sogenannten entwickelten Länder angeht –, doch spielt die Hygiene bei der Infektiosität von Erregern eine zwar wichtige, doch nicht relevante Rolle. Mit Maßnahmen der allgemeinen Hygiene ist es zwar möglich, die Ausbreitung einer Erkrankung einzudämmen, doch was bei der Exposition mit neuen oder reaktivierten Erregern eine Rolle spielt, ist das Immunsystem der Bevölkerung und die Frage, ob ähnliche Erreger schon einen Immunschutz haben aufbauen lassen. Die aktuellen Erfahrungen mit der Schweinegrippepandemie haben genau diese Problematik aufgezeigt: Menschen über 65 Jahren, die durch frühere Pandemien einen gewissen Immunschutz aufbauen konnten, waren nicht so stark von der Pandemie betroffen wie junge, gesunde Erwachsene und Kinder – trotz des gleichen hohen Hygienestandards. Diese unterschiedliche Suszeptibilität hat zu Risikogruppen geführt, die ökonomisch und gesellschaftspolitisch hochrelevant sind: Während bei den saisonalen Influenzawellen vor allem die ältere Generation, die Multimorbiden und die Patienten mit chronischen Vorerkrankungen betroffen waren, waren es bei der Schweinegrippepandemie vor allem die Kinder und junge, gesunde Erwachsene, bei denen die Krankheit überproportional häufig schwer verlief und sogar zu hohen Todesraten geführt hat. Die unbeabsichtigte Exposition mit Krankheitserregern ist sehr wohl eine ernst zu nehmende Problematik, sowohl die individuelle Exposition als auch die allgemeine. Hierzu drei Beispiele. Das erste Beispiel der unbeabsichtigten individuellen Exposition ist das Problem der Nadelstichverletzung. Nadelstichverletzungen sind Verletzungen der Haut mit spitzen oder scharfen Gegenständen, die mit Blut oder anderen infektiösen Stoffen verunreinigt sind und die so zu Infektionen führen können. Nadelstichverletzungen sind die häufigsten Arbeitsunfälle bei Mitarbeitern im Gesundheitswesen und stellen ein erhebliches Gefährdungspotenzial dar.2 Der Laborunfall im Hochsichersicherheitslabor des BernhardNocht-Instituts in Hamburg im März 2009 unterstreicht diese Problematik:
2
http://www.nadelstichverletzung.de/content/home.html
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Trotz hervorragender Ausbildung, neuester Ausrüstung und langjähriger Erfahrung kann es dennoch zu Unfällen kommen. Im März 2009 hatte sich eine Mitarbeiterin des BSL-4-Labors in Hamburg an einer Probe des hochpathogenen Ebolavirus gestochen und wurde prophylaktisch intensivmedizinisch behandelt; glücklicherweise kam es weder zur Infektion noch zur Ausbreitung des Virus.3 Das zweite Beispiel betrifft die allgemeine Exposition durch Laborunfälle. Im Hochsicherheitslabor des Institute of Animal Health in Pirbright, UK, ist es im August 2007 im Umkreis des Labors zu einem Ausbruch der Maul- und Klauenseuche gekommen, der nach umfänglichen Recherchen auf ein Leck in der Abwasserversorgung des Hochsicherheitslabors zurückgeführt werden konnte.4 Das letzte Beispiel zur Relevanz der unbeabsichtigten Freisetzung hochpathogener Krankheitserreger ist ein Zwischenfall während der Qualitätssicherungen (!) der Referenzlaboratorien im Sommer 2005 (Schrauder et al. 2006). Referenzlaboratorien, aber auch Labore, die aufgrund verschiedener vertraglicher Bindungen zu bestimmten Dienstleistungen herangezogen werden, werden im Zuge einer Qualitätssicherung in unregelmäßigen Abständen ›blind‹ getestet. So werden an die Influenzalabore routinemäßig Proben geschickt, die diese identifizieren und charakterisieren müssen. So werden Angaben zum Influenzatyp (A, B oder C) sowie die Subtypisierung von Hämagglutinin und Neuroaminidase in HxNx erwartet. Im Sommer 2005 kann es zu einem bedenklichen Zwischenfall: Während in den Routinesendungen im Zuge der Qualitätssicherungen attenuierte Stämme verschickt werden, also Stämme, die bei einer unbeabsichtigten Freisetzung keinen gravierenden Schaden anrichten sollten, wurde im Sommer 2005 von einem kanadischen Institut ein hochvirulenter, hochpathogener Influenzastamm als Referenzprobe im Zuge der Qualitätssicherung an die entsprechenden Labore weltweit zur Testdiagnostik geschickt. Dieses Versehen wurde erst durch eine journalistische Nachfrage bei den Laboren bestätigt, nachdem Irritationen aus den Laboren zunächst leise bekundet wurden. Es folgten eine genauere Dokumentation der Versendung,
3
http://www.aerzteblatt.de/v4/news/news.asp?id=35865
4
http://news.hse.gov.uk/2007/09/07/final-report-potential-biosecurity-breachesat-pirbright/
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der Reaktionen in den getesteten Laboren (und den Reaktionen der Mitarbeiter) und nachfolgend verschärfte Maßnahmen der Versendung. Insgesamt war diese Versendung ein gelungener Warnschuss: Alle Proben wurden richtig typisiert und subtypisiert. Die Qualität der getesteten Labore ist also gut in der Diagnostik. Im Verlauf und auf Druck des journalistischen und öffentlichen Interesses wurde dieser Zwischenfall in die internationalen Leitlinien zur Qualitätskontrolle aufgenommen und bearbeitet. Durch das öffentliche Interesse bei der nicht deklarierten Versendung hochinfektiösen Materials ist bei den zuständigen Behörden und Mitarbeitern zudem ein gestiegenes Bewusstsein für die Relevanz der Integration ihrer Ergebnisse in eine allgemeine Bedrohungswahrnehmung erreicht worden. In seiner Schlussaussage, dass die Natur sowieso der größte Bioterrorist sei und man sich damit nicht mehr weiter über die intentionale oder akzidentielle Freisetzung Gedanken machen müsste, unterläuft von Bubnoff die ernst zu nehmende Sorge über das In-der-Welt-Sein von hochpathogenen Krankheitserregern. Zusammengefasst bedeutet dies also, dass die gesellschaftlichen Auswirkungen der Rekonstruktion und Sequenzierung beträchtlich sind und dass es nicht angemessen ist, diese Auswirkungen zu bagatellisieren und die Bedeutung der Grundlagenforschungen, die überhaupt nicht in Frage gestellt wurde, zu betonen. Viel eher sollte ein expertengetragener, öffentlicher Diskurs über diese Fragestellungen möglich sein, in dem diese wichtigen Aspekte in ihren Hintergründen und komplexen Auswirkungen langfristig diskutiert werden können. Kommentar zur zweiten Position Auch van Aken nimmt die Polarisierung von naturwissenschaftlicher Grundlagenforschung gegenüber der Gefährdung durch die Anwendung dieses Wissens in biologischen Waffen auf. Doch sind die polaren Einheiten, die hier gezogen werden, orientiert an denen des Kalten Krieges und der eher konventionellen Zuordnung, dass ziviles Wissen militärisch missbraucht werden könne. Mit diesen Einheiten wird man nicht mehr der komplexen Gefährdungslage durch biomedizinisches Wissen gerecht, das sich in den letzten Jahren in einer wissens- und informationsorientierten Gesellschaft konfiguriert hat. Die Gefährdungspositionen sind nicht mehr zwischen einem militärischen
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und einem zivilen Wissen aufgeteilt, so dass die Frage nach einem militärischen Missbrauchspotenzial von ziviler Forschung zu kurz greift. Vielmehr stellt die zivile öffentliche Forschung einen umfangreichen Wissenspool bereit, an dem sich alle gesellschaftlichen Gruppen – gleich welcher Gesinnung – bedienen können. Zivile Forschung ist plakativ gesagt nicht mehr nur die gute – ebenso wie militärische oder industrielle nicht mehr nur die gefährliche und ›unmoralische‹ Forschung ist. Die klaren Trennlinien zwischen den drei Sektoren des Wissenschaftsbetriebes, dem öffentlichen, dem militärischen und dem wirtschaftlichen, können nicht mehr eindeutig gezogen werden. Die Ausgangsfrage, inwieweit zivile Forschung zu missbräuchlichen Anwendungen befähigt, legt dabei allerdings eine militante Matrix nahe. So ›passiert‹ eine Militarisierung der öffentlichen Forschung in zweierlei Hinsicht: Zum einen muss sich jede öffentliche Forschung bei der Bewilligung, der Bewertung und der Publikation fragen lassen, inwieweit sie ein Missbrauchspotenzial in sich birgt. Damit öffnet sich öffentliche Forschung militärischen Interventionen und ihren Griffen ins kulturell Imaginäre. Zum anderen wird öffentliche Forschung durch ein gestiegenes Sicherheitsbewusstsein sowohl in der thematischen Ausrichtung als auch in den Modalitäten der Forschung militarisiert. Viel eher, als ein Missbrauchspotenzial ziviler Forschung zu vermuten, müsste man die Frage stellen, inwieweit die öffentliche und zivile Forschung durch verschiedene Sicherheitsforschungsinitiativen ›militarisiert‹ wird, die nicht nur im amerikanischen Raum, sondern auch auf europäischer (wie z.B. das 7. Sicherheitsforschungsrahmenprogramm der EU) und auf nationaler Ebene (Sicherheitsforschung des BMBF) die Forschung durch Förderung formt. Van Aken betont die kritische Stellungnahme nicht gegenüber der Publikation, sondern vor allem gegenüber der Forschung selber. Das ist zwar ein wichtiger Akzent, aber dies erfordert mehr Weitblick und Strategie, als dies durch tagespolitisch aktuelle Fragen zu erreichen ist. Auch für diese Position ist es deshalb wichtig, ein interdisziplinär ausgerichtetes Gremium zu haben, das diese Fragen unabhängig von eigenen Interessen und der Tagespolitik kontrovers austragen und die politischen Interventionen in den Wissenschaftsbetrieb in ihren gesellschaftspolitischen Dimensionen in Frage stellen kann.
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Reviewsystem und die öffentlich-intellektuelle Auseinandersetzung Mit dem NSABB wurde 2003 unter dem Eindruck einer gewachsenen Wahrnehmung der Gefährdung durch Bioterrorismus von der amerikanischen Regierung ein Gremium gegründet, das den Ansprüchen einer interdisziplinären Diskussion über die gesellschaftspolitische Bedeutung von Wissenschaften besser gerecht werden sollte (s. Kap. 2). Diesem Gremium wurde auch der Influenzaartikel von Taubenberger vorgelegt – allerdings erst einen Tag, bevor der Artikel in Science erscheinen sollte, wie der verantwortliche Science-Herausgeber Donald Kennedy beschreibt. Diese Begutachtung wurde von dem US-Department of Homeland Security angeordnet (Kennedy 2005). Dass das frisch gegründete und zusammengesetzte Gremium möglicherweise Schwierigkeiten hatte, einen Artikel innerhalb eines Tages zu bewerten, scheint verständlich. Das NSABB hat empfohlen, dem Artikel als note added in proof einen Hinweis auf die Nutzen für das Gesundheitssystem hinzuzufügen. Diese Erklärung soll die Publikation in ihren Vor- und Nachteilen kurz einer Öffentlichkeit erläutern und die öffentliche Zugänglichkeit der Daten und Forschungen legitimieren. Damit habe das NSABB statt eines kritischen Assessments eine Expost-Rechtfertigung erteilt, urteilt van Aken (van Aken 2006). Nun ist das NSABB allerdings nicht in der Position, rechtlich bindend die Publikation eines Artikels zu verhindern. Die Bewertungen des Beratungsgremiums haben empfehlenden Charakter im Sinne einer Politikberatung für die amerikanische Regierung. Diese interdisziplinäre Begleitung und das vorsichtige Herantasten an eine neue Problematik sind in diesem Zusammenhang der gesellschaftlichen Ambivalenz gegenüber einer neuen biomedizinischen Forschung sinnvoll. Allerdings muss eine Gesellschaft diese Ambivalenzen, diese Spannungen und Widersprüche erst einmal aushalten. Interessant an der Diskussion über Nutzen und Risiko von Forschungen ist der Blick auf die Publikationspraxis. Hier liefern sich zwei wissenschaftlich hochrenommierte Journale, die sich vor einiger Zeit zu einer Selbstzensur von Manuskripten mit sensitiven Inhalten entschlossen haben, einen Wettbewerb in der Publikation mit hochsensitivem Wissen. Während die Sequenzierung – also sozusagen das Wissen – im Journal Nature platziert
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ist, rundet die Rekonstruktion – das Können – im Journal Science das zusammengesetzte sensitive Wissen ab. Durch die Besonderheit biologischer Gefährdungen wie z.B. die Synthetisierbarkeit von Erregern durch Informationen ist der Umgang mit Wissen in einer besonderen Weise relevant.
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3 D IE S PANISCHE G RIPPE IN Z EITEN V OGELGRIPPE UND P ANDEMIE
VON
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SARS,
Die Debatte über die Legitimation von sensitivem wissenschaftlichem Wissen und seiner gesellschaftlichen Verbreitung macht die Besonderheit von biologischen Gefährdungen sichtbar: Die Bio- oder Lebenswissenschaften scheinen die paradigmatischen Wissenschaften des Informationszeitalters zu sein. Denn in ihnen ist das Kernstück, die Währung, die Information als genetischer Code, handhabbar geworden (Tucker 2006). Was bei der Bekämpfung von globalen Infektionskrankheiten, wie z.B. bei SARS, ein Schlüsselelement des erfolgreichen Managements ist, nämlich der schnelle und dezentrale Zugriff auf Datenbanken mit den entsprechenden genetischen Informationen, stellt in Zeiten bioterroristischer Gefährdung auch die Schwächen heraus. Die Informationen, die dort abgerufen werden können, sind nicht nur Informationen über den Erreger, sondern zugleich auch über seine Bestandteile. Durch die Abrufbarkeit von Informationen ist nicht nur sozusagen der Bauplan ersichtlich, sondern mit diesen Informationen wird alles mitgeliefert, was man existenziell braucht, um einen Erreger synthetisch herzustellen. Damit birgt dieses Wissen ein besonderes Potenzial: dass aus der Virtualität eine Realität wird. Soziale Kontexte der Bewertung Die Forschungen, die Taubenberger 1995 – vor nun über 15 Jahren – zur Bewilligung einreichte, wurden zum damaligen Zeitpunkt nicht in der Polarität Grundlagenforschung vs. Biowaffe diskutiert; vielmehr ging es in den Diskussionen Mitte der 90er Jahre in der Biomedizin um die Problematik von gentechnischen Interventionen, um die künstliche Schöpfung von Leben etc. Die Beantragung einer Publikation war also in ganz anderen Diskursen angesiedelt, als es diejenigen sind, die seit dem 11. September und den Anthraxbriefen vorgebracht werden. Seit 2001 wird insbesondere die biomedizinische Forschung – völlig zu Recht – in Hinblick auf ihr Missbrauchspotenzial kritisch geprüft. Daher werden nun die Forschungen von Taubenberger neu und anders beleuchtet.
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Jede Bewertungsposition priorisiert einen Aspekt aus der Polarisierung: Doch was sind eigentlich die sozialen Kontexte, in denen Forschung zur Bedrohung oder zum Nutzen wird? Die Reflexionen auf die Bewertungsmatrix, die der Gefährdungsanalyse und der Risiko-Nutzen-Analyse zugrunde liegen, deuten auf die sozialen Kontexte, in denen Wissenschaften beantragt, beforscht und bewertet werden. Das zeigt sich insbesondere nach zwei Ereignissen: dem Ausbruch der Lungenerkrankung SARS im Frühjahr 2003 und dem Ausbruch der Vogelgrippe im Frühjahr 2006. SARS Im Frühjahr 2003 kam es in Asien zu einem Ausbruch einer schweren, atypischen Lungenentzündung, die von einem bisher unbekannten Erreger verursacht wurde. Diese schwere akute respiratorische Erkrankung (SARS) breitete sich innerhalb kürzester Zeit um den Globus aus (Gottschalk 2005), wurde zur ersten Pandemie des Jahrtausends und verursachte dramatische ökonomische Einbußen weltweit. Die Erkrankung war hochansteckend und hatte eine hohe Mortalität; spezifische Therapien standen (und stehen bis heute noch) nicht zur Verfügung. Diese Erkrankung wurde mit den Maßnahmen der öffentlichen Gesundheitsdienste und aufgrund deren weltweiter Vernetzung erfolgreich bekämpft. Ebenso wurde in einer beispiellosen internationalen Zusammenarbeit der Laboratorien der Erreger identifiziert; es handelt sich bei SARS um ein bis damals unbekanntes Coronavirus. Nur durch den schnellen und unbürokratischen Zugriff auf die Datenbanken konnten die genetischen Analysen, die zur Identifizierung des Erregers führten, erfolgreich durchgeführt werden. Ich erwähne nur kurz das Beispiel SARS, um deutlich zu machen, dass es – nur zwei Jahre nach den Anthraxbriefen – möglich war, in einer internationalen Kooperation wissenschaftlich und politisch hochsensitive Daten in der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu teilen. Was in den Zeiten des Bioterrorismus diskutiert wird – nämlich die Zugänglichkeit von biomedizinischen Daten und der Grundlagenforschung – wurde 2003 sehr erfolgreich zur Seuchenbekämpfung eingesetzt. Vogelgrippe Die aviäre Influenza (Influenza A/H5N1 Asia) kursierte seit 2004 in Asien und tötete neben Geflügel auch vereinzelt Menschen. Im Winter 2005 und
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im folgenden Frühjahr drang die Vogelgrippe auch auf die europäischen Gebiete vor. Die Angst vor dem pandemischen Potenzial dieses Erregers lassen die Risiko-Nutzen-Analyse von Taubenbergers Forschungen noch einmal ganz anders aussehen: Nun steht die Rechtfertigung der Forschung zur pandemischen Influenza kaum noch zur Disposition. Im Gegenteil: Auf der Grundlage dieser Forschungen und in Verwendung der Informationen der Datenbanken werden Impfstoffe und Therapeutika entwickelt. In zum Teil Aufsehen erregenden Experimenten werden synthetisch assortierte H5- und H3-Stämme erzeugt, um zu überprüfen, ob man so tatsächlich ein Supervirus schaffen kann, wie es in der Risikobewertung zur Vogelgrippe und deren Einschätzung zur Gefährdung des Menschen vermutet wird – und im Angesicht der drohenden Vogelgrippe scheinen alle Bedenken, die noch vor einigen Monaten zu den Grundlagenforschungen Taubenbergers zu hören waren, sehr, sehr leise geworden. Schweinegrippe-Pandemie Ende April 2009 bricht in Mexiko ein neues Influenzavirus aus, das besondere Eigenschaften hat: Es ist hochansteckend und verbreitet sich von Mensch zu Mensch; es lassen sich schwere Verläufe bei Kindern und jungen Erwachsenen beobachten; und die ersten genetischen Analysen ergeben, dass dieses Virus nicht nur humane Influenzaerbanlagen enthält, sondern auch aviäre und procine. Damit enthält es besonders pathogenes Potenzial. Diese Erkrankung breitet sich von Mexiko schnell in die USA, Kanada und Großbritannien aus und führt dazu, dass die WHO im Juni 2009 die höchste Pandemiestufe deklariert und damit offiziell die Pandemie ausruft. Der Erreger: ein alter Bekannter im neuen Gewand. Wie bei der Spanische Grippe ist auch das Schweinegrippevirus ein H1N1-Virus, und die Sorgen, dass sich diese Pandemie wie die Spanische Grippe verhält und verheerenden Schaden anrichtet, sind groß. Der nationale und internationale Gesundheitsdienst arbeiten unter Hochdruck an der Eindämmung der Erkrankung, und nach einer ersten Welle im Sommer klingt die Schweinegrippe zum Jahresende 2009 ab – allerdings ist ungewiss, ob es zu weiteren Wellen kommen wird. Die Kritik an der Forschung von Taubenberger ist verschwunden. Durch die Ausbrüche von SARS, der Vogelgrippe und schließlich der Schweinegrippe ist die Etablierung von internationalen Netzwerken, die die
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Informationen der Labordatenbanken koordinieren, die surveillance von Ausbruchsherden kommunizieren und die nationale und internationale Seuchenbekämpfung stärken, ein integraler Bestandteil von public health geworden. Nur eine Publikation fragt im Sommer: »From where did the 2009 ›swine origin‹ influenza A virus (H1N1) emerge?« (Gibbs/ Armstrong/Downie 2009) und vermutet einen Laborunfall als Ausbruchsursache. Doch dieses Szenario wird international schnell verworfen.
Resümee Durch Sequenz und Rekonstruktion wurden ein Wissen und ein Können demonstriert – und allein die Kontexte dieser Anwendungen sind es, die darüber ein Urteil zulassen, ob die Forschung und Anwendung und deren Publikation rechtens sind. Und diese sozialen, gesellschaftlichen und politischen Kontexte sind es, die die Grundlage einer Bewertungsmatrix stellen. Daher kommen zu den Argumenten von Erregern, Akteuren und Absichten auch die Kontexte, die Gefährdungen darstellen.
3 Biologische Waffen
D ER G EDANKENGANG Begonnen hatten die Überlegungen zur Sensibilität biomedizinischer Entwicklungen und zu den Besonderheiten biologischer Bedrohungen mit der Selbstrestriktionserklärung naturwissenschaftlicher Zeitschriften. Anhand dieses Eingriffes in den Wissenschaftsbetrieb wurde die Schwierigkeit dargestellt, eine eindeutige gesellschaftliche und politische Bewertung der Gefährdung durch wissenschaftliche Entwicklungen zu vollziehen. Die neuartige Wissensbasiertheit von biomedizinischen Arbeiten beruht – so wurde in den Kapiteln 1 und 2 ausgeführt – auf einer beinahe digitalen Informationslogik: Der genetische Code, das molekularbiologische Arbeiten, die Vernetzung von Datenbanken in globalen Wissensgemeinschaften, dies alles waren Anhaltspunkte, um in einer anderen Weise über biologische Bedrohungen nachzudenken. These Neu an dieser Perspektive ist nicht die Beobachtung, dass Wissenschaften und der Wissenschaftsbetrieb durch die Informationstechnologien beschleunigt und global werden. Das Neue und Besondere ist vielmehr, dass die beschriebenen Wissenschaften selber auf einer Informationsbasiertheit beruhen, die eine neue Herausforderung für den gesellschaftlichen Umgang mit Wissen darstellen und auch zu sicherheitspolitischen Überlegungen der Bedrohungsbewertung biomedizinischer Forschung und Entwicklung führen.
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Die im ersten Kapitel beschriebene beinah digital-binäre Informationslogik konterkariert allerdings die gesellschaftliche Ambivalenz, um diese Forschungen eindeutig zu bewerten. Was ist an diesem Wissen gefährlich, und wodurch stellt es ein Sicherheitsrisiko für Gesellschaften dar? Zum einen stellt die Distribution und – durch die Informationsbasiertheit – leichtere Übertrag- und Anwendbarkeit von Wissen in nicht mehr kontrollierbaren und in gesellschaftlich nachteiligen Kontexten eine Bedrohung dar. Dieser Aspekt wurde in der Fallstudie I in den Ausführungen zum technischen Stand der Aerosole und deren Missbrauchspotenzial ausgeführt. Zum anderen ist die biologische, wissenschaftliche Basis dual, ambivalent und switcht je nach Kontext; an diesem Argumentationsschritt wurde der Dual-UseBegriff in Kapitel 2 eingeführt und in seiner Bedeutung von seiner konventionellen Verwendung abgelöst: Während die konventionelle Beschreibung eines Dual-Use die Verwendung von Material in unterschiedlich konnotierten Zusammenhängen beschreibt, die sich in den Oppositionen zivil vs. militärisch oder auch als friedliche vs. feindliche Verwendung fasst, ist diese konventionelle Zuordnung bei den neuen biomedizinischen Entwicklungen durch die neue Informationsbasis noch erschwert. Die Immaterialität, der Intangible-Charakter von biomedizinischen Entwicklungen erschwert die ohnehin schon schwierige Grenzziehung von zivilen und militärischen, von friedlichen und feindlichen Verwendungen. Der wissensbasierte Dual-Use wurde von der konventionellen Verwendung noch weiter in einen direkten und einen indirekten wissensbasierten Dual-Use ausdifferenziert. Doch nicht nur die wissenschaftliche, biomedizinische Basis ist ambivalent. Auch die gesellschaftlichen Kriterien zur präzisen Bewertung und zur präzisen Ein- und Ausgrenzung sind nur schwer zu definieren und ändern sich je nach Kontext. Die Fallstudie II zur Spanischen Grippe und gesellschaftlichen Bewertung der Legitimation von Forschung erläutert diese Problematik an der wechselnden Relevanz der Forschungen zur pandemischen Influenza. Doch welche Bedeutungen haben diese beschriebenen Charakteristiken von biologischen Entwicklungen und dem gesellschaftlichen Missbrauchspotenzial für die gesellschaftliche Gefährdungsbewertung und die sicherheitspolitischen Perspektiven? Das Neue und Besondere von biologischen Bedrohungen soll in diesem Kapitel vor dem Hintergrund der dargestellten Problematik der Wissensba-
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siertheit und mit dem neu eingeführten terminologischen Konzept des Dual-Use-Dilemmas folgenden Fragen nachgehen: • •
Was ist insbesondere vor dem Hintergrund der Wissensbasiertheit eine biologische Waffe? Wer oder was stellt für wen in welchem Zusammenhang wodurch eine Bedrohung dar? These Die Begrifflichkeiten und Denkkonventionen wurden mit grundsätzlich anderen, vormolekularen Wissenschaften und in grundsätzlich anderen politischen Konstellationen (Welt- bzw. Staatenkriege, Kalter Krieg) erhoben und haben für die Bewertung von biologischen Bedrohungen in zeitgenössischen Gesellschaften ihre Kontur und Bedeutung verloren.
Die Schwierigkeiten der präzisen Ein- und Ausgrenzung werden in diesem Kapitel zunächst anhand einer fokussierten Geschichte des Einsatzes biologischer Waffen skizziert; danach soll ein orientierender Blick auf die schwierige Geschichte der Rüstungskontrolle biologischer Waffen diese Ambivalenzen verdeutlichen. Abschließend werden die kulturellen Reaktionen auf diese Unsicherheiten vorgestellt. Damit folgt dieses Kapitel einer inneren Logik, die in Kapitel 2 vorgestellt wurde: Biosafety, Biosecurity, Biosurety. Biosafety meint in diesem Zusammenhang den tatsächlichen Umgang und den Einsatz von Krankheitserregern; Biosecurity referiert auf die organisatorisch-regulativen Bemühungen, diesen Unsicherheiten Herr zu werden. Biosurety beschreibt die Komplexe, in denen sich die Kontrollbedürfnisse über diese Unsicherheiten und Gefahren auf die kulturellen Zusammenhänge selber auswirken, und stellt die Narrative, die strukturellen Muster, vor.
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1 B IOLOGISCHE W AFFEN – P ERSPEKTIVE E INSATZES
DES
Das Verständnis und die politische Dimension von biologischen Waffen ist eng mit der Geschichte der Naturwissenschaften, der Mikrobiologie und Virologie, sowie mit den kulturellen Praktiken verbunden, mit denen ›Krankmacher‹ zunächst ohne Kenntnis der pathophysiologischen Mechanismen politisch eingesetzt wurden. Biologische Waffen sind in einer doppelten Weise mit Leben verbunden. Kristallisiert am Begriff Bios (griechisch: Leben) verweisen sie zum einen darauf, dass mit lebenden Erregern umgegangen wird. Der Begriff hat insbesondere Bakterien und deren giftige Stoffwechselprodukte wie bakterielle Toxine (Rizin, Botulinumtoxin) und Pilze im Blick; doch auch die streng genommen nicht außerhalb eines Organismus lebensfähigen Viren werden unter biologischen Waffen subsumiert. Zum anderen verweisen biologische Waffen auf eine Verwendung und auf ein Auftreten. Sie sind von einem Einsatzort her gedacht. These Biologische Waffen bergen ein intrinsisches Dual-Use: Infektionserreger sind an und für sich noch keine Waffe. Ob ein Erreger eine biologische Waffe ist, entscheidet seine Verwendung.
Botulinumtoxin ist beispielsweise eines der potentesten und bedrohlichsten Agenzien auf der Liste der biologischen Waffen; doch wird es mittlerweile in einem großen Maßstab in der Kosmetikindustrie und in medizinischen Indikationen verwendet. Das ist bei Chemiewaffen anders: Vx ist immer Vx; es ist immer ein Kampfgas – egal, wo es gelagert und eingesetzt wird. Bei biologischen Waffen ist es viel schwieriger, genau festzustellen, ob in einer Produktionsstätte Impfstoffe oder biologische Waffen hergestellt werden. Die Unterscheidung kann nur selten eindeutig vorgenommen werden. Nur wenn z.B. die Agenzien in einer Weise bearbeitet werden, die die Verwendung als Waffe nahelegt: Wenn sie bestimmte Konzentrationsprozesse durchlaufen haben oder mit Stabilisatoren und anderen Zusätzen behandelt worden und sie sozusagen ›abschussbereit‹ in Sprayern oder anderen Dispersionsgeräten gelagert sind, ist die Abgrenzung möglich (Friesec-
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ke 2007). Viel eher ist es die Analyse der politischen und kulturellen Begleitumstände, die die Existenz von infektiösen Krankheitserregern als biologische Waffe nahelegen (s.u. UN-Inspektion im Irak). Und: Biologische Waffen unterscheiden sich von anderen Waffen eindeutig in ihrem zivilen Vorkommen. Krankheitserreger kommen bei der zivilen Impfstoffproduktion vor, oder sie können in der natürlichen Umwelt gewonnen werden; sie können in Abstrichen von kranken Hälsen isoliert oder sogar in ihren Bausteinen gekauft und im Labor zusammengesetzt werden (s. Kap. 1). Historische Dimensionen: Biologische Kriegsführung zwischen Staaten Die biologische Kriegsführung als Auseinandersetzung zwischen Staaten reicht zurück bis in die Antike. So wird berichtet, dass Hannibal 184 v. Chr. Schlangen in Töpfen versteckt haben soll, die die Feinde bedroht und getötet haben sollen (Sidell/Franz 1997). Das ist natürlich eine weite Fassung von biologischen Bedrohungen. Etwas präziser wird es, wenn gezielt Infektionskrankheiten – auch noch ohne Wissen ihres Ursprungs, ihrer Pathogenese, ihrer Infektiosität und auch ohne Wissen über das Funktionieren von einem humanen Immunsystem – als Waffe eingesetzt wurden. So wurden Leichen oder Tierkadaver, die an Infektionskrankheiten verstarben, als ›Munition‹ über Stadtgrenzen und Feindeslinien katapultiert. Im Medium des toten Körpers wurden ›gezielt‹ Krankheiten und Unheil über Feinde gebracht. So wird berichtet, dass schon in der Antike Brunnen von Feinden mit den Leichen von Infektionstoten ›vergiftet‹ wurden. Etwas genauer wird es um 1346, als die Tataren die Bevölkerung der Stadt Kafa mit Pestleichen beschossen haben, indem sie die infektiösen Toten über die Stadtmauern katapultierten (ebd.). Möglicherweise hatte diese Strategie die Ausbreitung der Pest zur Pestpandemie des 14. Jahrhunderts zu verantworten. Auch sollen 1422, während der Zeit des Schwarzen Todes, Pestleichen bei Carolstein eingesetzt worden sein. Die gleiche Strategie sollen die Russen 1710 gegen die Schweden eingesetzt haben (British Medical Association 1999, Sidell/Franz 1997). Im 18. Jahrhundert wurden die Pocken in der biologischen Kriegsführung verwendet: gegen Südamerikaner und gegen Indianer im sogenannten Französisch-Indischen Krieg (1754-1767), diesmal nicht nur durch infizier-
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te Leichen, sondern – sozusagen eine Spur abstrakter – in Form von pockenverseuchten Decken, die den Anführern und Häuptlingen als Geschenk überreicht wurden. Während in der Antike und im Mittelalter mit der Pest im Medium des infizierten Körpers – als Leiche – biologische Kriegsführung praktiziert wurde, trägt die Strategie der verseuchten Decken schon einen entscheidenden Abstraktionsschritt: Mit der Entdeckung, dass die Infektion nicht nur durch direkten Körperkontakt – durch den lebenden oder den toten Körper – zustande kommt, sondern auch durch eine indirekte Übertragung über kontaminierte Decken möglich ist, gibt diese Kriegsführung schon Hinweise auf die Mechanismen der Übertragung von Krankheitserregern. Dass die kontaminierten Decken als Geschenke sozusagen eine camouflierte BioAttacke waren, ist eine erstaunliche Finesse – und legt in die Geschichte der biologischen Waffen die Camouflage und mit ihr: den Verdacht. Hier lässt sich also eine progrediente Abstraktion beobachten, die sich immer weiter von ihrem Gegenstand, ihrem Signifikat, löst. Im Zuge der wissenschaftlichen Entdeckung von Bakterien und Viren als Krankheitsüberträgern wurde der Einsatz von Infektionskrankheiten in kriegerischen Auseinandersetzungen noch subtiler und anspruchsvoller, aber zugleich in gewissem Sinne ineffektiver: Während des Ersten Weltkrieges gab es Gerüchte, dass Deutschland Versuche mit Bacillus anthracis sowie mit Pseudomonas-Bakterien unternehmen würde (ebd.). Andere Vorwürfe verdächtigten Deutschland, für den Choleraausbruch in Italien und den Pestausbruch in St. Petersburg verantwortlich zu sein. Den Deutschen wurde vorgeworfen, verseuchte Lebensmittel aus Flugzeugen abgeworfen zu haben. Deutschland hat die Vorwürfe immer bestritten. Im Gegensatz zu Chemiewaffen habe es keinen Einsatz biologischer Waffen im Ersten Weltkrieg gegeben. Zentrales Moment des Einsatzes von biologischen Waffen scheint im Ersten Weltkrieg – wie schon im 18. Jahrhundert angekündigt – der Verdacht und die Beschuldigung zu sein. In dieser frühen Phase des letzten Jahrhunderts kündigt sich schon eine interessante Entwicklung im Einsatz biologischer Waffen an: Beobachtung Von infizierten Menschen, Infektionstoten, die über die Grenze zwischen Freund und Feind katapultiert werden, hin zu kontami-
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nierten Decken, die als Geschenke getarnt Krankheit und Tod bringen, nistet sich die Infektion im Medium der Kommunikation ein.
Als Gerücht und Verdächtigung, deren politische Ausmaße – nach wie vor – beträchtlich sind, funktionieren die Erreger beinah effizienter als in der tatsächlichen Infektion. Diese Eskalationsstufe der Abstraktion und des Imaginären setzt sich weiter fort – und an dieser Stelle wirkt es quasi logisch, dass im Zuge der Wahrnehmung biologischer Bedrohungen – wie in Kapitel 1 beschrieben – die Kommunikation restringiert werden soll. Im Zweiten Weltkrieg hat Großbritannien – so wird berichtet – auf die Gerüchte, dass Deutschland und Japan biologische Waffen entwickeln, gezielte Versuche mit infektiösen Erregern vorgenommen: So wurde auf Betreiben Churchills die Insel Gruinard mit Milzbrandsporen kontaminiert – und wurde damit die nächsten Jahrzehnte unbewohnbar. Deutschland war hingegen an der Entwicklung von biologischen Waffen im Zweiten Weltkrieg nicht recht interessiert – eher wurden Chemiewaffen entwickelt und verwendet1. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Japaner beschuldigt, biologische Agenzien 1939 in der Sowjetunion und der Mongolei sowie von 1940-44 gegen die chinesische Bevölkerung und 1942 gegen das chinesische Militär eingesetzt zu haben (ebd.). Diese Beschuldigungen konnten nachgewiesen werden. Japan hat in China mit der Einheit 731 konkrete Forschungen und Einsätze mit biologischen Waffen betrieben. Es wurden Versuche an chinesischen Kriegsgefangenen unternommen. Außerdem sollen mit Pest infizierte Flöhe über China abgeworfen worden sein. Dadurch soll es zu einer Pestepidemie auch in Japan gekommen sein – und der Einsatz biologischer Waffen als ineffizient eingestellt worden sein. Die zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen mit biologischen Waffen im Zweiten Weltkrieg sind durch drei Momente gekennzeichnet:
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Eine ›Anekdote‹ beschreibt Adolf Hitler als Infektionshysteriker, der – zynisch formuliert – nicht nur Rassenhygiene betrieb, sondern auch die allgemeine Hygiene stark schätzte. So heißt es immer wieder, dass es unwahrscheinlich sei, dass Deutschland unter Hitler, dem Bazillenparanoiker, an biologischen Waffen arbeitete. Quelle: persönliche Kommunikation.
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Erstens werden ein Verhalten und eine Handlung als Reaktion auf ein Gerücht beobachtbar: Die verseuchte Insel Gruinard ist die Antwort auf eine wahrgenommene Bedrohung, die sich im Nachhinein als nicht adäquat herausgestellt hat. Zweitens wird während des Zweiten Weltkrieges – erstmalig – bewusst eine Infektion über einen Vektor initialisiert und ausgebracht. Die abgeworfenen Pestflöhe über China stellen in gewissem Sinne eine infektiologische Transferleistung der besonderen Art dar. Zugleich hat drittens diese Ausbringung die großen Schwächen des Einsatzes mit biologischen Waffen aufgezeigt: die Infektion in den eigenen Reihen. Die mangelnde Spezifität, die Indifferenz der Waffe zwischen Freund und Feind, zwischen Freundesland und Feindesland ist ein Manko, das den Einsatz biologischer Waffen in zwischenstaatlichen Konflikten nach wie vor maßgeblich hemmt.
Während des Kalten Krieges wurde von der DDR das Gerücht lanciert, dass die Kartoffelkäferplage, die zu Beginn der 50er Jahre die Erntebestände dezimierte, eine biologische Attacke der USA sei – was sich als antikapitalistische Propaganda herausstellte. Doch zeigt auch diese Strategie die wesentlichen Momente biologischer Kriegsführung: Während der tatsächliche Einsatz humanpathogener Krankheitserreger schnell ›nach hinten losgeht‹ und sich gegen die eigenen Leute richtet und sie krank macht, ist das Gerücht wesentlich zielgenauer und damit eine effizientere Waffe, die sich nicht der immunologischen Ununterscheidbarkeit zwischen Freund und Feind, der infektiologischen Nichtakzeptanz der Staatsgrenzen stellen muss. Beobachtung Zum einen wird die biologische Bedrohung immer stärker in den Bereich des Symbolischen verlagert: Nicht mehr der Erreger selber in der direkten Infektion, sondern die indirekte Übertragung – zuletzt über Vektoren – stellt ein Medium für biologische Waffen bereit. Zum anderen wird biologische Bedrohung immer stärker kommunikativ präzisiert, um so der mikrobiologischen oder virologischen Unspezifität des Erregers kompensatorisch zu begegnen.
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Offensive Biowaffenprogramme Obwohl Herstellung, Besitz und Lagerung durch die Genfer Konvention von 1925 bzw. 1972 verboten sind, hatten mehrere Länder große offensive Biowaffenprogramme, wie z.B. die Sowjetunion, Südafrika, die USA, Irak2. Trotz der Dominanz der nuklearen Bedrohung und des atomaren Wettrüstens haben sich offensive Forschungsprogramme mit dem Einsatz von biologischen Waffen beschäftigt. Sowjetunion Als am 3. April 1979 eine Explosion im sowjetischen Institut für Mikrobiologie und Virologie in Swerdlowsk 66 Menschen – Zivilisten – tötete und eine Vielzahl mit Milzbrand infizierte, versuchte die sowjetische Führung, diesen Unfall als Zwischenfall mit infizierten Tierprodukten zu deklarieren (ebd.). Doch es konnte nicht lange verheimlicht werden, dass die Sowjetunion ein umfangreiches Programm zum offensiven Einsatz biologischer Waffen unterhielt, und die Auflösung der Sowjetunion führte auch zu einer Destabilisierung der Biowaffenprogramme. Die sowjetische Expertise in der Repräsentanz von abgeworbenen Wissenschaftlern wird in der internationalen Sicherheitspolitik mit Sorge beobachtet. Irak Auch im Irak wurde an dem offensiven Einsatz von biologischen Erregern gearbeitet. Auch hier führte eine Aufweichung des politischen Systems und mit ihr seine Enttarnung, gekoppelt mit den beiden Inspektionen durch die UNO – die United Nations Special Commission (UN-SCOM) und die United Nations Monitoring, Verification and Inspection Commission (UNMOVIC) – nach dem ersten und zweiten Golfkrieg zur Enttarnung und Zerstörung der Anlagen (Barton 1998, Heden 1992). Die Produktionsanlagen im Irak waren als zivile Einrichtungen getarnt. Allein: Die Sicherheitsvorkehrungen, die um eine Hühnerfarm in Al Hakam installiert wurden, um sie vor unberechtigtem Zutritt zu schützen, haben
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Im Rahmen dieser Arbeit möchte ich – wie eingangs angesprochen – nur eine fokussierte Perspektive im Rahmen meiner Argumentation vorstellen. Für die Geschichte der offensiven Biowaffenprogramme s. ausführlich Geißler 1999 und 2003.
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den Inspektoren den entscheidenden Hinweis gegeben, dass dort nicht nur das produziert wurde, was deklariert wurde. »The layout of Al Hakam and the security arrangement at that facility were more consistent with a military facility or a facility to produce toxic or pathogenic materials than with a commercial SCP plan [Single Cell Protein]« (Atlas/Dando 2006, S. 279). Die Luftreinigung über HEPA-Filter für die Zu- und Abluft charakterisieren keine zivile Tierhaltung! Ebenso hat die Größe eines in der Schweiz bestellten Fermenters Sorge bereitet, und die Lieferung wurde auf Drängen der westlichen Welt 1989 von der Schweiz annulliert. Der Irak hat daraufhin aus einer veterinärmedizinischen Einrichtung den entsprechenden Fermenter nach Al Hakam transferiert, um dort Botulinumtoxin herzustellen – neben den Anthraxbeständen, die der Irak aus den USA und aus Europa erhielt. Signifikant an der Enttarnung des irakischen Programms ist, dass es auch hier keine ›handfesten‹ und eindeutigen Beweise gab, die dem Irak eine offensive Forschung und Entwicklung nachweisen konnten. Vielmehr wurde aufgrund von Inkohärenzen, von Abweichungen vom Bild, geurteilt. Die Irakis haben einfach nicht gut genug gelogen und sich in Widersprüche verstrickt, daher sei das Programm aufgeflogen (Atlas/Dando 2006). Ob diese Enttarnungsstrategie für die Effizienz und Effektivität von UNInspektionen steht, sei zunächst dahingestellt. Beobachtung Hier geht es um den sozialen und kulturellen Zusammenhang. In der Kohärenzprüfung der Geschichten, die erzählt werden, greift die Rüstungskontrolle in das Imaginäre. Die sicherheitspolitischen Kontrollbemühungen werden damit selbst transferiert in die Welt der Symbolik.
Südafrika Das südafrikanische offensive Programm Project Coast war wesentlich kleiner als das irakische Programm. Auch hier wurde das offensive Programm als research and production facility, als eine wirtschaftliche Forschungs- und Entwicklungseinrichtung getarnt.
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Mit der zivilen Tarnung und der bewussten Ausnutzung des Dual-Use ist eine tatsächliche Anwendung nur schwer zu enttarnen. Die Verstrickungen zwischen zivilen und militärischen Einrichtungen und die Ununterscheidbarkeit der Zielsetzung in Forschung und Entwicklung deuten nicht nur auf die Indifferenz der Erreger zwischen Freund und Feind in der strategischen Art der bipolaren Kriege, sie deuten auch auf die Ineffizienz der Rüstungskontrolle – und die neuen Möglichkeiten der Militarisierung. These Die Unterscheidung, ob eine Einrichtung, ein Forschungsprogramm oder eine Produktionsstätte für friedliche oder militärische Zwecke genutzt wird, macht sich an dem Zusammenhang fest, in dem die sicherheits- und gesellschaftspolitische Bewertung stattfindet. Der Zusammenhang und nicht die ›Sache selbst‹ macht einen Erreger zu einer biologischen Waffe.
Bioterror – die Eskalationsstufen des Imaginären In zwischenstaatlichen Konflikten wurden biologische Waffen zwar in offensiven Programmen – trotz des Genfer Protokolls – produziert, aber ein Einsatz mit biologischen Erregern wurde bisher nicht ausgeführt. Die mangelnde Spezifität des Erregers, seine schwierige mikrobiologische Handhabung und Präparierung standen und stehen dem großflächigen Einsatz in kriegerischen Zusammenhängen wohl im Weg. Bei den Auseinandersetzungen zwischen Gruppen und Staaten oder Gruppen bekamen biologischen Waffen allerdings eine politische Dimensionen. Die Sekte des Rajneesch Cults verübte einen Anschlag mit Salmonellen, bei dem es zu 750 Erkrankungen kam. Eine Krankenschwester hatte ihre Zugangsberechtigung zu den Labors der Klinik genutzt, Erreger entwendet und ausgebracht (Sidell/Franz 1997). Erst ihr Geständnis konnte die Unterscheidung zwischen einem Anschlag und einem natürlichen Seuchengeschehen treffen. Die japanische Aum-Shinrikyo-Sekte hat mit Anthrax und Botulinumtoxin experimentiert. Das fiel so lange nicht auf, bis die Gruppe mit dem Sarinanschlag auf die Tokioter U-Bahn in die Öffentlichkeit getreten war (Takahashi et al. 2004).
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Die schwierige Unterscheidbarkeit (Anschlag vs. natürliches Seuchengeschehen) und die fehlende Detektierbarkeit machen biologische Waffen für einen Konflikt geeigneter, der nicht nur den tatsächlichen Schaden anrichtet, sondern auch die Destablisierung und Verunsicherung der Bevölkerung im Blick hat (Schneckener 2006). Terrorismus als neue Form der politischen Auseinandersetzung ist spätestens seit den Anschlägen auf das World Trade Center vom 11. September 2001 ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Die Anthraxbriefe an die USSenatoren im Herbst 2001 haben den politischen Terrorismus in einen Bioterror als politische Strategie konvertieren lassen (s. Kap. 2 und Sarasin et al. 2004). Unter dem Begriff Signifikantenkopplung analysieren Sarasin et al., wie die einstürzenden Hochhäuser, die Anthraxbriefe und die Suche nach biologischen Massenvernichtungswaffen ineinander greifen und ein gesellschaftliches Phantasma formieren, durch das eine offensive Politik einen ›war on terror‹ in demokratischen Staaten akzeptabel und notwendig erscheinen lassen (s. dazu weiterführend ebd. sowie für die Neubestimmung des transnationalen Terrorismus Schneckener 2006). Während Schneckener die Charakteristik des asymmetrischen, transnationalen Terrorismus mit vier neuen Trends – »das wachsende Zerstörungspotential, die medial gesteigerten Schockeffekte, die zunehmende Fähigkeit zur Planung komplexer Operationen und der Westen bzw. die USA als Feindbild« (ebd., S. 18) – beschreibt, kommt für den biologischen Terrorismus noch ein Aspekt hinzu: Beobachtung In dem Begriff der Übertragung, der Infektion mit pathogenen Erregern, ist noch ein weiteres semantisches Moment aufgenommen: Die physische Übertragung wird erweitert in den Bereich des Imaginären und beschreibt eine Übertragung psychischer und sozialer Ereignisse, die kulturell und sicherheitspolitisch beantwortet werden.
Biologische Kriminalität – Politische Morde an Einzelpersonen Während biologischer Terrorismus mit der Breitenwirkung als weapon of mass disruption spielt, funktioniert biologische Kriminalität individuell, wenn auch politisch motiviert. Biologische Kriminalität hat bisher drei
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prominente Opfer aufzuweisen, die eher im Bereich politischer Morde mit biologischen Agenzien bzw. radiologischen Substanzen anzusiedeln sind. Das kommunistische Regime in Bulgarien hat einen Dissidenten, Georgi Markov, 1978 mit Rizin getötet. Dieser ›Regenschirmmord‹ hat durch den James-Bond-Charakter beinahe Berühmtheit erlangt (s. ausführlich Sidell/Franz 1997). Nur zehn Tage vor dem Markov-Anschlag wurde ebenfalls ein bulgarischer Dissident mit einer Rizinkugel beschossen, bei der das Rizin allerdings nicht – wie bei Markov – freigesetzt wurde und Vladimir Kostov den Anschlag überlebte (s. ausführlich Sidell/Franz 1997). Die Vergiftung von Alexander Litvinenko mit Polonium-210 im November 2006 ist ein weiteres Beispiel (Rubin et al. 2007) für einen politischen Mord mit radiologischem Material. Die biologische Kriminalität hat im Gegensatz zum biologischen Terrorismus nur eine lokale Ausbreitung, eine lokale Dimension. Sowohl das Toxin Rizin wie auch die radioaktive Substanz Polonium-210 wirken nur inkorporiert als tödliche Substanzen und sind keine Substanzen, die von Mensch-zu-Mensch übertragbar sind. Damit fehlt ihnen das sozial bedrohliche und gesellschaftlich destabilisierende Moment der Ansteckung an anderen. Die damit verübten Anschläge ließen sich zielgenau taillieren und hatten keine Breitenwirkung. Dass Bacillus anthracis ebenfalls zu den nicht von Mensch-zu-Mensch übertragbaren Krankheitserregern gehört, es aber eine so signifikante Veränderung der gesellschaftlichen Wahrnehmung erreichen konnte, wurde durch das erreicht, was ›Anthrax‹ als gesellschaftliches Phantasma und terroristisches Potenzial repräsentiert (s. Fallstudie I und Kap. 2).
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2 B IOLOGISCHE W AFFEN – B EGRIFFLICHKEITEN UND HISTORISCHE V ERSTÄNDNISSE IN DEN R EGULARIEN DER POLITISCHEN O RDNUNGEN Es gibt mehrere historisch gewachsene und kulturell verankerte Verständnisse von biologischen Waffen; gemeinsam mit der schwierigen Abgrenzung zum natürlichen Auftreten und zur zivilen Nutzung von Agenzien ist dies ein Grund, wieso man auf keine griffige, allgemeingültige Definition von biologischen Waffen zurückgreifen und sie zur Grundlage von Verboten machen kann. Es gibt keine einheitliche und universell brauchbare Definition von biologischen Waffen. Das hat nichts damit zu tun, dass man konzeptionell unsauber gearbeitet hat, sondern ist mit den Besonderheiten von biologischen Waffen verknüpft. Die verschiedenen kulturell und historisch gewachsenen Verständnissen von biologischen Waffen werden im Folgenden vorgestellt: • • •
erregerbasierter Begriff biologischer Waffen, Erreger und Absicht sowie Erreger und Absicht und das nationale Sicherheitsrisiko.
Diese verschiedenen Verständnisse und die Entwicklung der Definitionen biologischer Waffen werden hier nur gestreift (ausführlich zur Geschichte biologischer Waffen s. Guillemin 2006). Wichtig an diesem Argumentationsschritt ist folgende Entwicklung des Verständnisses von biologischen Waffen, die sich in den unterschiedlichen begrifflichen Fassungen zeigt: Beobachtung Biologische Waffen werden im aktuellen Verständnis immer weniger erregerbasiert gedacht.
Die Mikrobiologie oder die virologische Basis des einzelnen Krankheitserregers spielen immer weniger eine ausschlaggebende Rolle. Natürlich sind es bestimmte – mikrobiologische oder virologische – Eigenschaften, die dazu führen, dass der eine Erreger als relevanter eingestuft wird als ein anderer. Zum Verständnis von biologischen Waffen kamen innerhalb der letz-
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ten 80 Jahre vor allem pragmatische, technisch-wissenschaftliche, epidemiologische und politische Parameter. Diese Entwicklung ist deswegen interessant, weil hieran gezeigt werden kann, dass sich zwar das Verständnis biologischer Waffen enorm an den aktuellen Entwicklungen aus Forschung und Politik orientiert, dass aber dennoch die Gefährdungsbewertung und vor allem die Strategien zur Sicherheitspolitik noch einem Verständnis von biologischen Waffen geschuldet sind, das durch wissenschaftliche und politische Entwicklungen längst überholt wurde. So ist eine erregerbasierte Sicherheitspolitik, die zwischenstaatliche Konflikte nach dem Muster des Kalten Krieges und dessen eindeutiger Grenzziehung verstehen und lösen möchte, nicht mehr adäquat. Ebenso wenig können ›reine‹ Erregerlisten mit Gefährlichkeitskategorien in der Sicherheitspolitik und Rüstungskontrolle weiterhelfen; hier sollen nun die verschiedenen Auffassungen von biologischen Waffen und ihrem Gefährdungspotenzial konzeptionell vorgestellt werden. Diese konzeptionellen Überlegungen bilden eine Grundlage, anders über das Bedrohungspotenzial und die politischen Konsequenzen von biologischen Waffen nachzudenken. »Bacteriological Methods of Warfare« Biowaffenverbot 1925 Die erste begriffliche Fassung von biologischen Waffen formuliert sich als Verbot, als Negation. Sie geschieht lange, nachdem der Einsatz von Krankheitserregern in konfliktreichen Auseinandersetzungen Anwendung gefunden hat; und sie geschieht zunächst in der Abgrenzung zu den Chemiewaffen, die eine längere und vor allem griffigere Geschichte der kriegerischen Auseinandersetzung haben. In dem ersten Verbot der Verwendung von biologischen Waffen taucht der Begriff explizit eigentlich noch gar nicht auf: In dem Genfer Protokoll von 1925 regelt die internationale Gemeinschaft noch unter dem Eindruck der Giftgaseinsätze des Ersten Weltkrieges das Verbot des Gebrauches von Chemie und bakteriologischen Methoden. Das Protocol for the Prohibition of the Use in War of Asphyxiating, Poisonous or Other Gases, and of Bac-
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teriological Methods of Warfare wurde am 17. Juni 1925 in Genf unterzeichnet, trat 1928 in Kraft3 und wurde erst 1975 in den USA ratifiziert. Dieses Abkommen verbietet »the use in war of asphyxiating, poisonous or other gases, and of all analogous liquids, materials or devices, has been justly condemned by the general opinion of the civilized world«4. Dieses Abkommen war von Beginn an von drei großen Schwierigkeiten begleitet: • • •
den wissenschaftlichen Grundlagen, den Verbotslimitationen und der gesellschaftlichen Wahrnehmung.
Wissenschaftliche Grundlagen Das Wissen über das, was heute Grundlagenwissen in der Mikrobiologie und der Virologie ist, war noch kaum vorhanden bzw. umstritten. Medizinische Mikrobiologie und Virologie waren junge Disziplinen. Es war also noch gar nicht richtig klar, worauf sich biologische Waffen genau beziehen. Bakterien, Viren, Pilze und Toxine waren noch kaum entdeckt und klassifiziert. Zu der Zeit, als das Genfer Protokoll den Gebrauch bakteriologischer Methoden im Krieg verbietet, wird der Wettstreit zwischen den Disziplinen der Hygiene und der Bakteriologie erst ausgetragen (Sarasin et al. 2007). Hier kann also noch nicht auf eine schon etablierte Wissenschaft der Bakteriologie oder gar der Mikrobiologie zurückgegriffen werden. Das, was einmal die Mikrobiologie als Fachdisziplin – und auch als wissenschaftlicher Ratgeber für politische Entscheidung – werden wird, ist zu dieser Zeit noch nicht unumstritten. Sie löst sich erst aus den Vorstellungen heraus, die von der Hygiene und ihren Anhängern der Miasmentheorien geprägt wurde. Die
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Signed at Geneva June 17, 1925; entered into force February 8, 1928; signed 1972 »Biological and Toxin Weapons Convention« (BTWC); ratification advised by the U.S. Senate December 16, 1974; ratified by U.S. President January 22, 1975; U.S. ratification deposited with the Government of France April 10, 1975; proclaimed by U.S. President April 29, 1975.
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http://www.nti.org/e_research/official_docs/inventory/pdfs/genev.pdf; http://www.icrc.org/ihl.nsf/FULL/280?OpenDocument.
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Hygieniker – allen voran Louis Pasteur in Frankreich – und die Bakteriologen mit ihrem Protagonisten Robert Koch in Deutschland stritten im ausgehenden 19. Jahrhundert um die Frage, was denn die Ursache einer Erkrankung sei: die schlechte Luft (Hygiene) oder die – gerade neu entdeckten – Bakterien (Bakteriologie) (s. dazu Ackerknecht 2007 und Latour 2007). Aus diesem Wettstreit divergierender Anschauungen wird die medizinische Bakteriologie als Siegerin hervorgehen. Anthrax nimmt auch hier eine besondere Position ein. Die Geschichte der medizinischen Bakteriologie beginnt mit Anthrax: 1876 gelingt Robert Koch der Nachweis, dass Milzbrand durch »Besiedlung des Organismus mit einer besonderen Bakterienspezies entsteht« (Klein 2001, S. 6). An der übertragbaren Erkrankung Milzbrand konnte gezeigt werden, dass eine Kausalbeziehung besteht zwischen Bakterium und Erkrankung. Diese Kausalitätsbeziehungen zwischen Erreger und Erkrankungen werden in den sogenannten Koch-Henle-Postulaten ausformuliert. Diese monokausale Erklärung in der Ätiologie, die in ihrer Sichtbarmachung der Bakterien im Mikroskop den wissenschaftstechnischen Fortschritt spiegelt, bildet den ersten entscheidenden Schritt in das Paradigma der Bakteriologie, das ganze Generationen von Wissenschaftlern in ihrem Denken prägen wird. Die KochHenle-Postulate markieren also nicht nur einen Sieg über die Hygieniker und deren Erklärungsversuche, sondern zeigen auch den erfolgreichen Weg der monokausalen Erklärungen und der Sichtbarkeit als Beweis. Verbotslimitation Die zweite Schwierigkeit besteht darin, dass das Verbot des Gebrauchs von biologischen Waffen im Krieg nicht die Produktion, die Lagerung und den Transfer biologischer Waffen miteinschließt5. Dieses Verbot verbietet nicht die Produktion und Erforschung; es untersagt nicht die Beschäftigung mit biologischen Waffen in Friedenszeiten, sondern nur »the use in war«. Der Passus des Gebrauchsverbots wurde ausgelegt als Verbot des Erstgebrauches (first use), also des Angriffes mit biologischen Waffen. Dass biologische Waffen aber zur Verteidigung und zur Reaktion auf einen Angriff verwendet werden können, begründet den schwierigen Umgang, der schon von Beginn an mit der Unterscheidung von defensiver und offensiver Nutzung diesem Verbot eingeschrieben ist, dies nicht ganz unbeabsichtigt. Als
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http://www.icrc.org/ihl.nsf/FULL/280?OpenDocument
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1925 das Genfer Protokoll von den Vertragsstaaten unterzeichnet wurde, hatte Frankreich gerade ein eigenes Biowaffenprogramm initiiert und erwirkte diesen First-use-Passus. Damit verschob Frankreich die internationale Norm von der Ächtung jeglicher Form von biologischen Waffen hin zu einer Defensivnutzung (Guillemin 2006). Während der Streit zwischen den Hygienikern in Frankreich und den Bakteriologen in Deutschland zugunsten Deutschlands ausgelegt wurde (Latour 2007), scheint also mit einer politischen Finesse Frankreichs dieser Verlust ausgeglichen worden zu sein. Die tolerierte Defensivnutzung haben sich in der Folge auch andere Staaten zunutze gemacht, die ihre offensive Biowaffenforschung, als Defensivforschung tituliert, vor der internationalen Gemeinschaft gerechtfertigt haben (s.o.). Das Verbot des Gebrauches verbot also nicht die Produktion, Erforschung und Lagerung; hier wird die defensiv legitimierte Nutzung mit ihrer schwierigen Unterscheidbarkeit der gesamten Problematik schon eingeschrieben. Diesen Schwierigkeiten wurde bei der Fassung von 1972 durch begriffliche Präzisierungen begegnet; allerdings findet auch dort keine exakte Definition von biologischen Waffen insbesondere in Abgrenzung zur friedlichen ›Nutzung‹ von Krankheitserregern ihren Platz (Becker 2007). Gesellschaftliche Wahrnehmung Epidemische Infektionskrankheiten, Seuchen in der Bevölkerung und Wundinfektionen waren die medizinischen Kernprobleme, die die Kampfund Verteidigungsfähigkeit eines Landes stark beeinträchtigt haben. Beobachtung Infektionserreger waren zu der Zeit des Genfer Protokolls von 1925 noch nicht Agens oder Leitgedanke einer strategischen Kriegsführung, sondern vielmehr ein logistisches Problem von Truppenstärke und Kampffähigkeit. Was später als Strategie des totalen Krieges bezeichnet wird, lässt sich mit dem Fokus auf Infektionserkrankungen hier schon ablesen: der Übergriff auf die zivilen Strukturen, die infrastrukturelle und logistische Probleme nach sich ziehen, die die militärischen Strukturen sozusagen von innen schwächen.
Das erste Verbot von biologischen Waffen bezieht sich also noch nicht explizit auf einzelne Erreger, noch nicht auf die Disziplin der medizinischen
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Mikrobiologie, die sich erst in den Folgejahrzehnten entwickelt. Doch werden zu diesem frühen Beginn des politischen Prozesses um die Ächtung von biologischen Waffen schon entscheidende Weichen gestellt: die Defensivnutzung vor dem Hintergrund einer ohnehin schon schwierigen Unterscheidung von natürlich vorkommenden Erkrankungen, von ziviler Nutzung und militärischem Missbrauch. Vor allem aber kündigt sich eine entscheidende konzeptionelle Schwierigkeit im Denken an: die Orientierung am Paradigma der bakteriologischen Monokausalität. Die Sicherheitspolitik des 20. Jahrhunderts orientiert sich in ihren Paradigmen an denen der Bakteriologen, die überzeugt waren, dass die »Infektion einzig und allein auf diesen lebenden, aktiven Organismus zurückgeführt werden kann. Erst dieses Postulat hat das bakteriologische Dogma der Monokausalität und der Kontrollierbarkeit von Infektionserkrankungen wirklich begründet: Jede Infektionskrankheit ist von einem spezifischen Agens, von einem Krankheitserreger, verursacht und lässt sich kontrollieren, sobald man dieses Agens isoliert hat.« (Sarasin et al. 2007, S. 19)
Die Sicherheitspolitik folgt in der Konzentration auf den Erreger bzw. auf relevante Erregerlisten genau dieser monokausalen erregerbasierten Logik. Ob dies allerdings bei der Bewältigung von komplexen interdependenten Problemen hilfreich ist, ist zu bezweifeln. Erreger und Absicht – Genfer Protokoll 1972 Das Genfer Protokoll trat zwar 1928 in Kraft, bedurfte aber erheblicher Präzisierungen und politischer Verifizierungsmöglichkeiten. Die Überarbeitung von 1972 schließt einige signifikante Erweiterungen ein. So verbietet sie ausdrücklich und unter allen Umständen die Entwicklung, Produktion, Lagerung oder Aufbewahrung (»never in any circumstances to develop, produce, stockpile or otherwise acquire or retain« BWC 19726, ohne Seitenangabe) von: »microbial or other biological agents, or toxins whatever their origin or method of production, of types and in quantities that have no justification for prophylactic, pro-
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http://www.worldinbalance.net/pdf/1972-conventionbweapons.pdf
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tective or other peaceful purposes; weapons, equipment or means of delivery designed to use such agents or toxins for hostile purposes or in armed conflict« (ebd., ohne Seitenangabe. Herv. P.D.)
Hier fett gedruckt ist die Absicht. Die Absicht bzw. die Verwendung von biologischen Erregern in Zusammenhängen, die keine Begründung in der Prophylaxe, der Defensivforschung oder anderen friedlichen Absichten findet, beschreibt einen Krankheitserreger als biologische Waffe. Das ist schon ein entscheidender Schritt weg von bloßen Erregerlisten und der Versuch, die definitorischen Unschärfen mit und in der Verwendung zu präzisieren. Erreger und Wissen und das nationale Sicherheitsrisiko Noch einen Schritt weiter gehen die zeitgenössischen Definitionen von biologischen Waffen, die die Verwendung in Hinblick auf das multilaterale nationale Sicherheitsrisiko sehen. Die Erregerlisten, die die CDC erstellt haben (s. dazu Fallstudie I), nehmen ausdrücklich in ihre Definition und Gefährdungsbeurteilung den gesellschaftlichen Kontext mit auf, in dem Erreger erforscht, besessen und als Forschungsgegenstand verwendet werden. Die Erreger der CDC-Kategorie A stellen ein nationales Sicherheitsrisiko dar, weil sie leicht verbreitet werden können oder eine Mensch-zuMensch-Übertragung ermöglichen, eine hohe Morbidität und Mortalität haben und damit großen Einfluss auf das Gesundheitssystem darstellen, ein hohes Panik- und Verunsicherungspotenzial haben und eine spezielle Bereitschaft des Gesundheitswesens erfordern. Die Kategorie B listet Erreger, die relativ einfach zu verbreiten sind, eine moderate Krankheits- und Sterblichkeitsrate verursachen und spezielle Diagnostik- und Surveillance-Methoden erfordern. In der Kategorie C sind Erreger gelistet, die zukünftig für eine großflächige Verbreitung eingesetzt werden könnten. Diese sind charakterisiert durch eine allgemeine Verfügbarkeit, leichte Produktion und Verbreitung und das Potenzial für eine hohe Krankheits- und Sterblichkeitsrate mit einem großen Einfluss auf das öffentliche Gesundheitssystem. Zu der rein medizinischen und epidemiologischen Bewertung eines Erregers werden also die sozialen Auswirkungen, das hohe Panik- und Verunsicherungspotenzial sowie die Anforderungen des Krisenmanagements im
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öffentlichen Gesundheitsdienst hinzugezogen. Dass zu der Gefährlichkeit eines Erregers nicht nur die Pathogenität des Agens, sondern auch die sozialen Handlungsmöglichkeiten zählen, ist einer der Stärken der CDCEinteilung; dennoch ist das, was wie eine Präzisierung aussieht, eine Erweiterung und Aufweichung der Kriterien. These Biologische Waffen sind kontextuelle Formationen, die sich in gesellschaftlichen Kontexten zusammenfügen. Neben die Absicht ist nun der gesellschaftliche und vor allem der sicherheitspolitische Kontext getreten. Dies macht eine Rüstungskontrolle natürlich nicht einfacher.
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3 R ÜSTUNGSKONTROLLE ZWISCHEN S TAATEN
BIOLOGISCHER
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Die biologische Rüstungskontrolle zwischen Staaten hat ihre Schwächen, die sich nicht nur in dem politischen Ringen um die Ratifizierung der Verifikation des Biowaffenübereinkommens äußern. Auch andere multilaterale Vereinbarungen sind innerhalb des aktuellen Stands der biomedizinischen Forschung und ihrer kulturellen Einbettung in eine Informationsgesellschaft mit dem Neuen und Besonderen von biologischen Bedrohungen stark gefordert. Neben den offiziellen ministeriellen Initiativen, arbeiten auch verschiedene multinationale Gruppen an einer zwischenstaatlichen Rüstungskontrolle. So setzt sich das multilaterale Wassenaar Arrangement dafür ein, die Transparenz und die Verantwortung im Umgang mit Dual-Use-relevanten Gütern zu erhöhen und auf ein militärisches Missbrauchspotenzial hinzuweisen. Auch die internationale Australische Gruppe betreibt eine informelle Vereinbarung, die mittlerweile 51 humanpathogene Erreger, 18 Tierpathogene, 13 Pflanzen, 19 Toxine listet und mit ihnen verschiedene sensitive Technologien, die aber ohne legale Bindungen auskommen müssen (s. dazu Kap. 2). Die bisherige Rüstungskontrolle mittels einer Ein- und Ausfuhrkontrolle und Inspektionsteams ist nicht so erfolgversprechend, wie es politisch gewünscht ist (Becker 2007, Lange/Thränert 2006). Inspektionen waren bisher in der Verifikation und der Falsifikation mehr oder weniger wirkungslos und auf die Kohärenzprüfung von Geschichten und auf die Hinweise von Überläufern angewiesen: Weder konnten sie definitiv zeigen, dass etwas ist, noch, dass etwas war; auch nicht, dass nichts ist oder nichts war. Das liegt – wie schon beschrieben – an dem Dual-Use-Charakter des Gegenstandsbereiches: Eine ›defensive‹ zivile Impfstofffabrik kann relativ leicht in eine offensive Produktionsstätte für biologische Kampfstoffe konvertieren – ein Gesichtspunkt, der im Zuge der Hochregulierung der Impfstoffproduktion im Management von Infektionskrankheiten (z.B. Influenza) mit einem kritischen Blick betrachtet werden sollte. So beschreiben Atlas und Dando (Atlas/Dando 2006) die privatwirtschaftlichen und öffentlichen Verflechtungen mit offensiven Biowaffenprogrammen.
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»The anti-plague research institutions and field monitoring stations, which had legitimate public health functions, also carried out research that supported the biological weapons programs, including providing of agents for biological weapons development. Thus, there was a highly integrated system of military, civilian biotechnology, and health institutes that comprised the facilities of the overall covert biological weapons program of the former Soviet Union« (ebd., S. 278).
Die effektive Enttarnung dieses Netzwerkes konnte nur durch Insiderinformationen geleistet werden – und durch die Hinweise auf die Inkonsistenzen von Produktionsumfang, Sicherheitsvorkehrungen etc. Auch die Hinweise auf eine missbräuchliche Verwendung, die sogenannten Schurkenstaaten unterstellt wird, stellen eine fragile Zuordnung dar, die zwar die Bedrohungen aufgrund der politischen Kontexte charakterisieren, aber auch hier gravierenden Inkonsistenzen ausgesetzt sind. Warum dürfen Schweden, Deutschland und die USA eine Infrastruktur und ein Wissen etablieren, das im Iran, im Irak oder im Libanon nicht erlaubt ist, das aber gleichzeitig durch die globalen wissenschaftlichen Gemeinschaften ›sickert‹ und die globalen Präventionsprogramme ausmacht? Und was ist mit der Distribution der Wissenschaftler, die im Rahmen der offensiven Programme gearbeitet haben und nun eine neue – adäquate – wissenschaftliche Anstellung suchen? Beobachtung Hier wird deutlich, dass die Muster fehlen, an denen man sich bei der Rüstungskontrolle orientieren kann: Weder der Erreger selber noch die Absicht oder die Nation lassen eine eindeutige Konnotation zu.
Die etablierten materialen Einheiten (Erreger, Landesgrenzen etc.) stimmen nicht mit den Einheiten überein, in denen biologische Waffen und ihre Rüstungskontrolle funktionieren (Habegger 2006). Bei der Suche nach Mustern und Unterscheidungsmerkmalen von biologischen Bedrohungen verlieren die territorialen, nationalen Grenzen jedoch zunehmend ihre Bedeutung. Viel eher sind es politische und kulturelle Binnendifferenzen, die die Bedrohung konturieren – die gleichzeitig allerdings eine tatsächliche biologische Attacke zwischen Staaten denkbar ungeeignet erscheinen lassen. Und mit ihnen die Ein- und Ausfuhrkontrollen, die an den Wirtschaftsgren-
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zen die Bewegungen registrieren: Sie erfassen keine innerstaatlichen Bewegungen, die vermutlich die ›neuen Kriege‹ (Münkler 2002b) kennzeichnen. Was sind also die Narrative, in denen sich das Wer oder Was der biologischen Bedrohung artikuliert? Innerstaatliche Rüstungskontrolle – kulturelle ›Reflexe‹ Die innerstaatliche Rüstungskontrolle ist besonders schwierig, weil sie kein griffiges Raster ausbilden kann. Weder Nationengrenzen noch Religion noch Kultur oder politischer Hintergrund sind hinreichende Kriterien, um biologische Bedrohungen zu bannen. Wie im Kapitel 2 beim Dual-Use beschrieben, haben verschiedene Kontrollvereinbarungen versucht, die Transparenz der Transfers von pathogenen Erregern und sensitiver Infrastruktur über Länder- und Wirtschaftsgrenzen hinweg zu registrieren und entsprechend in ein Bedrohungsszenario zwischenstaatlicher Konflikte zu übersetzen. Die innerstaatliche Rüstungskontrolle hat bisher verschiedene nationale Schritte eingeleitet, mit denen die Verbreitung von Erregern und die Proliferation von biologischen Bedrohungen verhindert werden sollen und die als kulturelle first response auf die Neuartigkeit biologischer Bedrohungen gelesen werden kann. Gesetzgebung USA In den USA wurde unter dem Eindruck des Anschlages auf das World Trade Center von 1993 sowie dem Saringasanschlag auf die Tokioter U-Bahn und dem Bombenanschlag auf die Stadt Oklahoma eine verstärkte terroristische Bedrohung durch sogenannte nicht staatliche Akteure wahrgenommen und mit einer neuen Gesetzgebung beantwortet. Der Antiterrorism and Effective Death Penality Act vom 4. April 1996 erweitert die Definition von biologischen Waffen, selbst das Drohen mit humanpathogenen Agenzien – und nicht nur die tatsächliche Verwendung – ist darin ein Straftatbestand (Fischer 2006). In dieser Folge wurden Erreger gelistet, deren Besitz und Bearbeitung in der Select Agent Rule registriert wurden und von den amerikanischen CDC verwaltet wird. »By 1999, CDC had established a list of about 40 bacteria, viruses, rickettsieae, fungi, and toxins ›with the potential
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to cause substantial harm to human health‹, and the agency registered 123 facilities that planned to ship or receive those agents.« (ebd., S. 20) Nach den Anthraxanschlägen wurde im USA PATRIOT Act (The Uniting and Strengthening America by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism Act) von 2001 die ohnehin schon strenge Gesetzgebung von 1996 weiter verschärft. Straftatbestand ist nun der Besitz von »any biological agent, toxin, or delivery system of a type or in a quantity that, under the circumstances, is not reasonably justified by a prophylactic, protective, bona fide research, or other peaceful purpose« (USA PATRIOT Act 2001). Außerdem wurde eine Klasse von »restricted persons« (ebd., S. 20) geschaffen, denen es nicht erlaubt ist, ausgewählte Agenzien (»select agents«, ebd., S. 20) zu besitzen, zu transportieren oder zu verschicken (Fischer 2006). Unter restricted persons fallen laut USA PATRIOT Act alle Individuen, die rechtskräftig angeklagt und mit mehr als einem Jahr Gefängnis verurteilt wurden, Justizflüchtlinge, illegale Ausländer, unehrenhaft aus dem Militär Entlassene sowie alle nicht rechtmäßigen Benutzer von kontrollierten Substanzen. Zu den restricted persons gehören auch Menschen, die psychische Erkrankungen hatten und in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen wurden. »Individuals indicted or convicted of crimes punishable by imprisonment for more than one year, fugitives from justice, illegal aliens, dishonorably discharged service members, any ›unlawful user of any controlled substance‹, and anyone who has been ›adjudicated as a mental defective‹ or committed to any mental institution.« (USA PATRIOT Act, zitiert nach Fischer 2006, S. 20)
These Von select agents zu restricted persons ist es nur ein kleiner biopolitischer Schritt, der im Zusammenhang mit der gestiegenen Bedrohungswahrnehmung durch Bioterrorismus leicht vollzogen wurde, dem allerdings gewaltige soziale und gesellschaftspolitische Auswirkungen anhaften. So findet hier eine Übertragung von dem infektiösen Agens zu dem Menschen statt, der ihn bearbeitet. Diese metonymische Verschiebung ist eine kulturelle Praktik, die in bestimmten gesellschaftlichen Zu-
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sammenhängen Sinn ergibt, aber einen massiven Übergriff auf die Kulturen der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie bedeutet. Mit dem Public Health Security and Bioterrorism Preparedness and Response Act von 2002 wurden die Bestimmungen des USA PATRIOT Act in die tägliche Arbeit des Gesundheitswesens und der Landwirtschaft implementiert. Der Bioterrorism Preparedness Act schreibt dem HHS (Human Health Service) und dem Landwirtschaftsministerium vor: • • • • •
• •
die Liste der ausgewählten Agenzien regelmäßig zu überprüfen und zu aktualisieren, Laborsicherheit, Sicherheitstrainings und Sicherheitsmaßnahmen in die tägliche Arbeit zu implementieren, sowohl Labors wie auch Personen zu registrieren, die mit ausgewählten Agenzien arbeiten oder sie besitzen, eine Inventarisierung von biologischen Agenzien vorzunehmen (›Kühlschrank aufräumen‹), ein System zu erschaffen, dass die Personen identifiziert, die in die Kategorie der restricted persons laut USA PATRIOT Act fallen oder die verdächtigt werden, in der Terrorismusplanung involviert zu sein, oder die ein Mitglied eines ausländischen Geheimdienstes sind, eine Zugangsverweigerung für restricted persons zu erlassen sowie Laborinspektionen zu betreiben und die Sicherheitsmaßnahmen durch Sicherheitspersonal (»adequate physical safeguards«) sicherzustellen. (Bioterrorism Preparedness Act 2002, zitiert nach Fischer 2006)
Die CDC der USA haben dann als Implementierung des Bioterrorism Preparedness Act in ihren Arbeitsanweisungen das Biosafety in Biomedical and Microbiological Laboratories Manuel installiert, das vor allem die Sicherheitsvorschriften und Zugangsberechtigungen zu den Laborbereichen der höheren Sicherheitsstufe regelt. Neben diesen Gesetzen und ihren Umsetzungen, die Agenzien, Zugangsberechtigungen zu Labors und Personen mit ihren privaten Biographien registrieren und reglementieren, entwickelte sich im Zuge der Sicherheits- und Verdachtsmentalität eine Strömung, die auch die Forschung und die Transparenz von Forschungsergebnissen einschränken möchte (Gonder 2005, Relman 2006, Rindskopf Parker 2003).
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Im sogenannten Fink report, Biotechnology in an Age of Terrorism (2001), hört man diesen Tenor stark heraus: Auch die Forschung, nicht nur die Laborsicherheit soll verstärkt überwacht werden. Auch das NSABB empfiehlt eine wissenschaftliche self-governance mit staatlichen Eingriffsmöglichkeiten (s. Kap. 2). Die offensiven Biowaffenprogramme im Irak und in Südafrika haben schließlich gezeigt, dass allein mit öffentlich zugänglicher Literatur Forschungsprogramme etabliert werden können (Atlas/Dando 2006). Daher sei insbesondere die self-governance der Publikationspraxis angemessen. Und an dieser Stelle scheint die Diskussion wieder an die Frage anschlussfähig, mit der diese Arbeit begonnen hatte: Wie kommt es, dass im Zuge von Bioterrorismus nun Artikel mit sogenannten sensitiven Informationen nicht mehr publiziert werden sollen? Aber nicht nur in der Wissenschaft, auch gesellschaftliche Institutionen empfehlen – der Logik der Metonymie folgend – weitere Einschnitte in die gesellschaftlichen Strukturen des Zusammenlebens: Der Lemon report, Globalization, Biosecurity, and the Future of the Life Sciences, kommt zu einem ähnlichen Ergebnis und möchte die restriktiven Maßnahmen nicht nur auf Pathogene und Toxine beschränken, sondern insgesamt ein biochemical threat spectrum schaffen, das wie ein Foucaultisches Panoptikum ein Gesamtspektrum der Bedrohung beobachten möchte, dass also nicht nur die physische Welt im Blick hat, sondern auch Einblick nehmen möchte in die psychischen Strukturen der Akteure. Deutschland In Deutschland lässt sich eine andere Entwicklung beobachten. Hier gibt es zwar auch auf der Ebene der Laborsicherheit (Biosafety) einige Änderungen. Doch wurde mit dem Seuchenrechtsneuordnungsgesetz (SeuchRNeuG), dem Gesetz zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften vom 20. Juli 2000, eine umfassende Modernisierung des deutschen Seuchenrechtes verwirklicht (Gottschalk 2006), die nicht ins Imaginäre greift, sondern eher die Eigenverantwortung stärken möchte. In Artikel 1 des SeuchRNeuG ist das Infektionsschutzgesetz (IfSG), das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (BGBL 2000, Teil I, Nr. 33, S. 1045-1077), enthalten, das das juristische Fundament für den öffentlichen Gesundheitsdiensts darstellt. In ihm sind der Umgang mit humanpathogenen Agenzien und das länderübergreifende Ma-
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nagement von Infektionskrankheiten geregelt. Im IfSG wurden Vorschriften für den Umgang mit Erregern verschärft und die Zulassung nur auf autorisierte Individuen beschränkt. Außerdem wird infektionspräventiven Maßnahmen eine größere Bedeutung beigemessen: Infektionsschutz soll durch frühzeitige Maßnahmen an Erkrankten, Krankheitsverdächtigen und/oder Kontaktpersonen erfolgen. Dabei ist es bemerkenswert, dass nicht die staatlichen Zugriffsstrukturen gestärkt, sondern – im Gegenteil – die Eigenverantwortlichkeit und Mündigkeit des Individuums geschützt und gefördert wird. »Ein Leitgedanke des Seuchenrechtsneuordnungsgesetzes ist es, die Eigenverantwortung der Träger und Leiter von Gemeinschaftseinrichtungen, Lebensmittelbetrieben, Gesundheitseinrichtungen sowie des Einzelnen bei der Prävention übertragbarer Krankheiten zu fördern.« (ebd., S. 645) Während der Infektionsschutz in Deutschland im 18. Jahrhundert als allgemeine Gefahrenabwehr Aufgabe der Polizei war, wurde im 19. Jahrhundert in den ersten Gesundheitsgesetzen in Bayern und Preußen die Aufgabe des Infektionsschutzes den Gesundheitsdiensten übertragen (Gottschalk 2006). »Mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Papageienkrankheit konnte 1934 die Voraussetzung für eine reichseinheitliche Gesetzesgrundlage geschaffen werden.« (ebd., S. 645) Beobachtung Im Zuge einer wahrgenommenen bioterroristischen Bedrohung artikulieren sich allerdings die öffentliche Gesundheitssicherstellung und die präventiven Infektionsschutzmaßnahmen erneut als Aufgabe der inneren Sicherheit. Öffentliche Gesundheit und innere Sicherheit sind nun stärker zusammengerückt.
Als Reaktion auf die Anthraxbriefe vom Herbst 2001 und die Suche nach biologischen Massenvernichtungswaffen sind Gesetzgebungen in Kraft getreten, und es haben sich verschiedene Beratungsgremien konstituiert, die im Wesentlichen die gleichen Ansätze haben: Zum einen empfehlen sie einen verantwortlichen Umgang mit relevanten Erregern im Laborbereich – eine Art code of conduct für Laborarbeiten (Biosafety). Zum anderen sehen sie ein erhebliches Gefährdungspotenzial durch das wissenschaftliche Arbeiten: durch Forschungen Erkenntnisgewinne zu verzeichnen, die publi-
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ziert werden und damit in nicht oder nur schwer kontrollierbare gesellschaftliche Bereiche diffundieren. Daher empfehlen sie auch für den Umgang mit Forschung und Wissen einen – ähnlich wie beim physischen Laborzugang – restriktiven, kontrollierten Umgang (Tucker 2007). Doch greifen diese Maßnahmen mental auf das kulturelle und soziale Miteinander über. Dass die restriktiven Maßnahmen in den wissenschaftlichen Arbeitsbereichen sich möglicherweise negativ auf den Wissenschaftsbetrieb auswirken können, wird durchaus gesehen: »There is growing concern within the scientific community that efforts to increase biosecurity with regard to research, not just physical biosecurity measures, will have unintended consequences – namely, the inhibition of critical biomedical advances and the economic development of biotechnology.« (Atlas/Dando 2006, S. 282) Das deutsche IfSG bildet eine bemerkenswerte Ausnahme: Während in den USA Menschen mit psychischen Erkrankungen die Berufsausübung in mikrobiologischen Laboren verwehrt ist, diskutiert man in Deutschland darüber, ob Quarantänemaßnahmen mit dem im Grundgesetz verankerten Menschenrechten konkurrieren. In Deutschland wird vielmehr die ›Hightechoffensive‹ in der terroristischen Gefahrenabwehr gefeiert nach dem Motto: Wir schaffen die Sicherheitstechnologien. In den Forschungsinitiativen auf europäischer Ebene, wie etwa dem Sicherheitsforschungsrahmenprogramm, oder auch auf nationaler Ebene mit den Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) werden Detektionstechnologien entwickelt, die schon feinste Erregerspuren nachweisen können, mit Kryptographieprogrammen soll Datensicherheit hergestellt werden und – historische Wurzeln – die Vermessung des Körpers, die Physiognomie des Gesichts soll Aufschluss darüber geben können, ob eine Gefährdung vorliegt. Mit einer Videoüberwachung und einer technischen Rasterung soll es möglich werden, ›normabweichendes Verhalten‹ zu identifizieren und mit einer terroristischen Bedrohung zu verrechnen (Protokoll des 2. Brainstorming zur Sicherheitsforschung, Bonn 2006; weiter dazu s.u.).
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These Die fehlenden äußeren Einheiten der Rüstungskontrolle – also weder Erreger noch Absicht noch Landesgrenzen – haben zu einer Verinnerlichung der Problematik geführt. Die restriktiven Strukturen werden – so wurde schlaglichtartig gezeigt – auf die innere Organisation von Gesellschaften zurückprojiziert und formieren sich in Regularien zur Forschung, zur Personenkontrolle, in Zugangsberechtigungen, in der Zugehörigkeit und in der Kommunikation.
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4 B IOSURETY ALS POLITISCHE E PIDEMIOLOGIE SOZIALE H YGIENE
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UND
Nachdem die endgültige Fassung der Select-agent-Regel im Mai 2005 wirksam wurde – nach einer zweijährigen Interimsphase –, formierte sich auch innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaften Widerstand. So wird vor allem der Guard-gates-and-guns-Ansatz kritisiert, der zu stark die physische Sicherheit betone (Fischer 2006). Das Stimson Center hat eine webbasierte E-Mail-Umfrage zu den Sicherheitsbestimmungen in den USA initiiert (ebd.). Die ausgewählten Wissenschaftler, die seit über 15 Jahren Erfahrungen im Umgang mit sicherheits- bzw. infektionsrelevanter Forschung haben, gaben an, dass Vorschriften der CDC und des US-Landwirtschaftsministeriums nur wenig klar und konsistent seien, der Verwaltungsaufwand und die Kosten enorm seien, wobei der Nutzen noch nicht wahrgenommen werden könne. Die physikalischen Sicherheitsmaßnahmen seien eher noch nicht ausreichend (»Twenty of the 26 select agent researchers […] believed that their laboratories required significant physical security upgrades«, ebd., S. 25). Die Mitarbeiter, die Zugang zu den ausgewählten Agenzien haben, werden sicherheitsüberprüft. Im Dezember 2004 wurden von ungefähr 13.000 Bewerbern 72 als restricted persons abgewiesen, von denen allerdings sechs nach erneuter Überprüfung zugelassen wurden. Das sei zwar insgesamt ein niedriger Prozentsatz von restricted persons (Fischer 2006) – aber immer noch bedenklich. Die Auswirkungen, die diese Sicherheitsmaßnahmen auf die Zusammenarbeit mit internationalen Kollegen haben, führen im Austausch von Proben und Informationen zu gravierenden Störungen. »Of 28 senior […] researchers […] all had eliminated or changed one or more of their institutional collaborations in response to the new rules« (ebd., S. 30). Die erschwerte internationale Zusammenarbeit würde damit nicht nur die akademische Welt betreffen, sondern hätte sehr empfindliche Auswirkungen auf die gemeinsame Arbeit der internationalen Bekämpfung von auftretenden Infektionskrankheiten, wie z.B. die Vogelgrippe (Fischer 2006) oder auch die Influenzapandemie 2009/10. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine deutsche Studie, die die Auswirkungen der amerikanischen Verordnungen auf die Arbeit deutscher
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Wissenschaftler untersucht hat. Auch sie stellt fest, dass die Maßnahmen der USA die Arbeit in Deutschland und vor allem die internationale Zusammenarbeit behindern – mit möglicherweise gravierenden Folgen für legitime wissenschaftliche Zusammenarbeit, wie z.B. die Bekämpfung von globalen Infektionskrankheiten (van Aken/Hammond 2003, van Aken/Johannsen/Kolleck 2004). Rasterfahndung Das zentrale Problem ist die fehlende definitorische Schärfe, die sich sowohl auf die Agenzien bezieht als auch auf die Identifizierung der ›falschen Hände‹, in denen die Errungenschaften der modernen Biomedizin missbräuchlich verwendet werden können. Während in den USA der Zugang zu Arbeiten mit eingestuften Erregern im Laborbereich auch über das Privatleben der Wissenschaftler reglementiert wurde, versuchte man in Deutschland, der Terrorgefahr durch die Identifizierung von sogenannten Schläfern in einer Rasterfahndung beizukommen. Auch hier ist es nicht primär der Bereich der Laborsicherheit, der interessiert, sondern die Enttarnung von terroristischen Schläfern, die eine Bedrohung für die Sicherheit in Deutschland darstellen. Mitte September 2002 – fast genau ein Jahr nach den Terrorangriffen in den USA – verpflichten bundesweit die Landeskriminalämter (LKA) – hier exemplarisch das Land Hessen – mit »polizeilichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus aus Anlass der Anschläge in den USA am 11. September 2001« (http://www.cilip.de/terror/lka-hessen.htm) die Hochschulen und andere Behörden und Einrichtungen des Landes zur »Datenübermittlung zum Zwecke des Abgleichs mit anderen Daten gemäß § 26 Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG)« (LKA Hessen) – kurz Rasterfahndung. Ziel ist es, dass die Hochschulen die Datensätze von Männern im Alter zwischen 18 und 40 Jahren, die zwischen 1996 und 2002 an einer deutschen Hochschule in einem technischen oder naturwissenschaftlichen Fach immatrikuliert waren oder sind, an die jeweiligen LKA übermitteln. Eingegrenzt sind diese Angaben auf Studenten, die Staatsangehörige von Ländern des Nahen und Mittleren Ostens7 oder staa-
7
Afghanistan, Ägypten, Algerien, Äthiopien, Bahrain, Bangladesch, Dubai, Eritrea, Indonesien, Irak, Iran, Israel, Jemen, Jordanien, Kuwait, Libanon, Libyen, Marokko, Mauretanien, Oman, Pakistan, Saudi Arabien, Somalia, Sudan, Syri-
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tenlos sind bzw. einen ungeklärten oder unbekannten Status haben »oder deren Geburtsherkunft oder Abstammung auf eines der zuvor angesprochenen Länder hinweist« (http://www.cilip.de/terror/lka-hessen.htm). Die Datensätze müssen den vollständigen Namen, Angaben zum Geburtstag, -ort und -land beinhalten sowie die Staatsangehörigkeit und die aktuelle Adresse in Deutschland. Die Daten sehen keine Angaben zur Religion vor. Abgeglichen werden diese Datensätze mit einem ›vorläufigen Täterprofil‹, dass das Bundeskriminalamt erstellt hat: »Mindestens 18 Jahre und nicht älter als 40 Jahre, islamische Religionszugehörigkeit, Meldeanschrift Bundesland, legaler Aufenthaltsstatus ohne räumliche Beschränkung, keine kriminalpolizeilichen Erkenntnisse, keine eigenen Kinder, finanziell autark (nicht nachvollziehbare, unregelmäßige Zahlungseingänge auf ein Konto)«8. Das Ziel der Rasterfahndung ist es nicht, Straftäter zu finden, sondern Personen von terroristischen Taten abzuhalten. Die Maßnahme der Rasterfahndung wurde heftig debattiert. Seit ihrem Einsatz zur Bekämpfung des Terrorismus in Deutschland in den 70er und 80er Jahren und den Erfahrungen mit der Roten Armee Fraktion (RAF) ist diese Methode umstritten, weil sie unweigerlich eine Vielzahl von Daten über eine beliebige Anzahl von Menschen sammelt, was mit dem gesetzlich verankerten Datenschutz in Konflikt geraten kann. Umstritten war die Maßnahme der Rasterfahndung auch wegen der Auswahl der Kriterien: So sind die Merkmale der finanziellen Unabhängigkeit und der Nichtauffälligkeit im allgemeinen kriminellen Bereich die Voraussetzungen dafür, dass Ausländer überhaupt in Deutschland studieren dürfen. Dass diese legalen Voraussetzungen sozusagen in das Moment der Verdächtigung konvertieren, ist bemerkenswert. Insbesondere der Aspekt der Nichtauffälligkeit bzw. eines komplett legalen Lebenswandels scheint intuitiv im Widerspruch zu einer Rasterfahndung zu stehen, bei der es ja um eine Kombination von Merkmalen und einen Abgleich mit einem Täterprofil geht. Dass Menschen mit einer bestimmten Herkunft und einer vermuteten ›Abstammung‹ einen Verdachts-
en, Tunesien, Vereinigte Arabische Emirate (http://www.cilip.de/terror/lkahessen.htm). 8
Bizer 2001 zitiert AG Wiesbaden, 25. September 2001, unveröffentlichtes Word-Dokument.
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moment darstellen, ist in der deutschen Geschichte mit gewissen Vorbehalten belastet. Die Rasterfahndung erzeugte eine große Anzahl potenziell Terrorverdächtiger, bei denen es aber im Datenabgleich zu keinen signifikanten Verdachtsmomenten kam, die ermittlungstechnisch weiter verfolgt werden konnten. Der entsprechende Bericht des Bundeskriminalamtes ist allerdings als vertraulich eingestuft. Die Rasterfahndung wurde 2006 offiziell ergebnislos eingestellt – kurze Zeit später, im August 2006, wurde von in Deutschland studierenden Männern (Libanesen!) ein Sprengstoffanschlag auf eine Regionalbahn verübt. Schläfer, so scheint es, sind in ihrer Merkmalslosigkeit wohl kaum im Vorhinein durch eine Rasterfahndung zu identifizieren (Daase 2005).
R ESÜMEE These Schläfer sind das soziale und kulturelle metaphorische Äquivalent zu einem Dual-Use im biomedizinischen Bereich.
Es scheint so, als würde ein kultureller Reflex, eine selbstverständliche Verhaltensweise in aktueller Bedrängnis, aktiviert. Und hier ist es interessant zu beobachten, aus welchen kulturellen Erfahrungshorizonten Aktionspotenziale rekrutiert werden: Biosafety als Laborsicherheit und Biosecurity als politische Sicherheit scheinen nah aneinander zu rücken und erzeugen die Bilder von politischer Epidemiologie und sozialer Hygiene, die sich kulturell leicht unterscheiden. In den USA werden durch die Gesetzgebung in Reaktion auf die Terroranschläge Menschen aufgrund privater Biographien als restricted persons stigmatisiert; in Deutschland werden Ausländer nach Abstammung aussortiert. Die Maßnahme der Selbstrestriktion scheint eine Gesellschaft eher zu verunsichern, weil sie wissenschaftliche Forschung und Entwicklung von einer fachlichen Expertise und Bewertung ausschließt. Ebenso scheinen Regularien der Laborsicherheit die Sicherheit einer Gesellschaft z.B. im Kampf gegen globale Seuchen eher zu erschweren und damit zu verunsichern.
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Was hier mehr und mehr deutlich wird, ist die Komplexität der Problematik; und diese Komplexität lässt auch keine einfachen, d.h. eindimensionalen Lösungen zu. Resümee Das Aussortieren von Ausländern, eine Zugangsbeschränkung zu Hochsicherheitslaboren etc. sind Zeichen dafür, wie ziellos Abwehrmaßnahmen ins Innere von Gesellschaften fokussieren, die schon lange von innen porös, permeabel und vielschichtig geworden sind. Die Asymmetrie, die aus dem gewaltigen Zuwachs wissenschaftlich sensitiven Wissens verbunden mit dem Bemühen, gesellschaftlichen Gruppen den Zugang zu eben diesem Wissen vorzuenthalten und die Kommunikation darüber zu erschweren, erwächst, trägt dazu bei, dass eine Gesellschaft, insbesondere eine Informationsgesellschaft, destabilisiert wird. Die Bedrohung biologischer Waffen formiert sich in einem komplexen Gefüge von politischen, sozialen und wissenschaftlichen Systemen und ist kontextuell geworden: Wissen wird in einem bestimmten Zusammenhang und in einer bestimmten Verwendung bedrohlich.
4 Sicherheits- und gesellschaftspolitische Perspektiven. Diskussion und Ausblick
D ER G EDANKENGANG In der ersten Hälfte des dritten Kapitels ging es darum, die bisherigen Definitionen und Herangehensweisen im Umgang mit einer Gefährdung durch biologische Waffen vorzustellen und zu diskutieren. Daran wurde sichtbar, dass die zentralen Fragen, nämlich »Was ist eine biologische Waffe, und wer stellt für wen in welchem Zusammenhang wodurch eine Bedrohung dar?«, kaum eindeutig beantwortet werden können. Zu einem Teil liegen die Schwierigkeiten der eindeutigen Benennung an dem Gegenstandsbereich, den er beschreiben möchte. Weder die Erreger noch die Akteure sind einfach und eindeutig zuordenbar. Bei den Erregern wurde der Dual-UseBegriff in einer doppelten Weise modifiziert: Weder Material noch Wissen sind immer eindeutig einer defensiven oder einer offensiven Verwendung vorbehalten, und insbesondere im Wissensbereich bietet die moderne Biomedizin direkte und indirekte Potenziale dafür, eben dieses Wissen entgegen seiner Entwicklungsintentionen gesellschaftlich nachteilig einzusetzen. Auch der Bereich der Akteure und mit ihnen ihre Intentionen bieten kaum griffige Anhaltspunkte, aktuellen Gefährdungen ihr Bedrohungspotenzial zu nehmen. Weder ›Schurkenstaaten‹ noch Einzelnen einer terroristischen Gruppierung ist mit den Methoden beizukommen, die sicherheitspolitisch in den Zeiten des Kalten Krieges erprobt worden sind. Ambivalenz und Ambiguität stellen strategisch-sicherheitspolitische und zentrale kulturelle Probleme dar.
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These Der terroristische Schläfer als metaphorisches Äquivalent zu einem Dual-Use-Dilemma in den modernen Biowissenschaften fordert auch ein sicherheitspolitisches Umdenken und eine ausführliche Diskussion über die gesellschaftlichen Vorstellungen und Ansprüche an eine innere und äußere Sicherheit und die Methoden der Risikobewertung.
Die Entwicklung der Biomedizin – und in ihr die Bedrohung durch die missbräuchliche Verwendung wissenschaftlichen Wissens – fordert diese Diskussion in einer besonderen Weise heraus. In der modernen Biomedizin artikulieren sich die aktuellen und akuten Parameter einer gesellschaftlichen Bedrohung durch diese wissenschaftlichen Entwicklungen in einer besonderen Klarheit. Die Information als Rückgrat und substanzieller Baustein dieser Wissenschaften bildet die eigentümliche Resonanz in einer Gesellschaft, die sich selbst als Wissens- und Informationsgesellschaft charakterisiert. Die Geschichte biologischer Waffen ist schon früh mit der gesellschaftlichen Angst vor Infektionen und Seuchen verknüpft. Diese gesellschaftliche Angst vor Krankheit, Seuchen und Siechtum trägt seit jeher die biblischen Konnotationen von Plage, Sünde und Rache. Während chemische Waffen in ihrer Performanz sehr eindrucksvoll und zeitnah ihre Schädigung zeigen und auch nukleare Gefahren zum Teil sehr dramatisch nachweisbar sind – neben dem Phantasma der ›Bombe‹ zumindest in einem piependen Geigerzähler und in dem monströsen Bild eines Atomkraftwerkes –, ist biologische Gefährdung und sind biologische Waffen kaum sinnlich perzeptibel und in ihrer Verwendung ambivalent: »Nein, wir entwickeln keine Waffen, wir heilen Krankheiten.« Die Gefährdung durch biologische Waffen wird in einer besonderen Weise durch Verdacht artikuliert; möglicherweise ist eine strategisch eingesetzte Verdächtigung effizienter und effektiver als der tatsächliche Erreger – der sich in seiner Unspezifität auch noch gegen Freund und Feind richten kann und damit einen gezielten Angriff verunmöglicht. Gemeinsam mit ihrem schweren Nachweis bietet der Verdacht im Bereich biologischer Waffen den Eingriff in das kulturell Imaginäre sehr effizient an.
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Beobachtung Das Medium der Kommunikation als Distribution der Gefährdung entwickelt dann sehr effektive Formate, wenn sowohl der Gegenstandsbereich als auch die gesellschaftlichen Kulturen maßgeblich auf Kommunikation und Information gestützt sind. Diese grundlegenden kulturellen und wissenschaftlichen Veränderungen machen die vergeblichen Bemühungen sichtbar, dieser neuen Art der Gefährdung durch Wissen, Information und Kommunikation in den politisch erprobten Modellen aus zwischenstaatlichen Kriegen und binnenstaatlichen Konflikten Herr zu werden.
Um dies zu zeigen, wurde als Ausgangspunkt dieser Untersuchung eine Kommunikationsmaßnahme gewählt: die Selbstrestriktionserklärung der naturwissenschaftlichen Zeitschriften. An diesem Diskurs wurde als Ausgangsargument die These entwickelt, dass durch Restriktionen eine Asymmetrie der Kommunikation hergestellt wird, die hochproblematisch ist in den Effekten, die sie erzeugt. Aus Sicht der Restriktion von Publikationen lässt sich also ein starkes Gefälle zwischen der Intensivierung von sensitiven Forschungsbereichen einerseits und der Restriktion eben dieser Forschungsergebnisse andererseits beobachten. Aus der Differenz »Publikation runter und Forschung rauf« resultiert eine asymmetrische Kommunikation in der öffentlichen Forschung, die – wie in Kapitel 1 vorgestellt – aus zweierlei Gründen eine neue Bedrohung darstellt. Erstens wird dem wissenschaftlichen Prozess ein wesentlicher Bestandteil der Qualitätssicherung und ein wichtiges Regulativ entzogen. Wenn ein breites wissenschaftliches Review fehlt, kann nicht von der wissenschaftlichen Expertise auf ein Gefährdungspotenzial hingewiesen werden. Mit der Restriktion von Publikationen nimmt man der wissenschaftlichen Gemeinschaft die Möglichkeit einer Risikobewertung und führt eine Diskussion über Bedingungen und Möglichkeiten der Prävention und der ›Entschärfung‹ von möglichen Gefahren ad absurdum. Mit der Restriktion der Forschungsergebnisse erreicht man daher keine sichere Wissenschaft, sondern – im Gegenteil – unsichere, von der fachkundigen Bewertung durch die Wissenschaftler herausgenommene Forschungen, die aufgrund der fehlenden allgemeinen wissenschaftlichen Bewertung erst zur Gefahr werden.
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Zweitens wird mit der Intensivierung der Forschung eben jenes sensible Wissen generiert, dessen Missbrauch man fürchtet; zudem in Allianz mit dem militärischen, dem öffentlichen und privaten Forschungssektor. Kombiniert mit der fehlenden breiten wissenschaftlichen und wissenschaftsöffentlichen Bewertung werden asymmetrische Wissens- und Kommunikationsstrukturen im öffentlichen Forschungssektor etabliert. Mit diesen zum Teil kleinen Veränderungen ändert sich das Gesamtbild. Beobachtung Abseits einer Formulierung des Wissenschaftsbetriebs, der eine Art gesellschaftliche Notwehr und wissenschaftliche Verteidigung stellt, wird hier ein Moment sichtbar, das gravierend das wissenschaftliche Gefüge bestimmt: Zu beobachten ist eine filigrane Militarisierung des öffentlichen Forschungssektors durch eine asymmetrische Kommunikation verbunden mit einer Umgewichtung von Forschungsgegenständen und -zielen.
Daran anknüpfend stellen sich erneut die Fragen: • •
Was macht eine Gesellschaft sicher? Und was verunsichert sie?
In diesem ausblickenden Abschlusskapitel werden zwei Perspektiven beschrieben, die bei der Beantwortung weiterhelfen: • •
das Phänomen, dass Gesundheit bzw. biomedizinische Forschung und innere Sicherheit zusammengerückt sind; die Beobachtung, dass Wissenschaften und Gesellschaften eine Kommunikationsgrundlage teilen, die Kommunikation teils als gefährlich und bedrohlich erscheinen lassen.
Das Zusammenrücken von Gesundheit/medizinischer Forschung und innerer Sicherheit bildet hier eine Formation, die einen interessanten Verweis auf aktuelle Sicherheitspolitik zulässt. Was in der Bedrohung durch biologische Waffen deutlich wird, scheint auch ein Kennzeichen von sogenannten neuen Kriegen zu sein. Hier treffen zwei Entwicklungen aufeinander, die gemeinsam relevante Merkmale be-
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schreiben. Die neuen Kriege und die Bedrohung durch biologische Waffen kann man beide mit gemeinsamen Merkmalen beschreiben; doch in den Beobachtungen zu biologischen Waffen kommt noch eine Dimension dazu: Perspektive Terrorismus ist nicht nur eine Kommunikationsstrategie, sondern wird im Medium der Kommunikation selbst ausgetragen.
Dieser Gedankengang leitet zur zweiten Perspektive über: der Beobachtung, dass Wissenschaften und Gesellschaften eine Kommunikationsgrundlage teilen, in der Kommunikation gefährlich werden kann. Die ergriffenen Maßnahmen, um dieser Gefährdung zu begegnen (Restriktionen der Publikation, politische und juristische Eingriffe in Wissenschaften etc.) beeinträchtigen dabei allerdings substanziell das Funktionieren von Gesellschaften, die sich selber als Wissens- und Informationsgesellschaften beschreiben, indem sie eine asymmetrische Kommunikation herbeiführen. Korrespondierend zu dem sicherheitspolitischen Begriff der ›neuen Kriege‹, der asymmetrischen Kriegsführung, ist eine asymmetrische Kommunikationspolitik im öffentlichen Wissenschaftsbereich beobachtbar geworden. Diese Asymmetrie wiegt deswegen so schwer, weil sie in einer Wissens- und Informationsgesellschaft stattfindet und den Gegenstandsbereich der Information selber hat. Kommunikation wirkt und wird gefährlich. Eine Gesellschaft fühlt sich in diesem Moment durch Kommunikation bedroht. Beobachtung Bedrohung ist nur dann effektiv, wenn sie Angst erzeugt. Sie übt Macht in den Momenten aus, in denen sie Einfluss nimmt auf die Wahrnehmung, auf die Empfindung, auf das Verhalten und darauf, wie Entscheidungen getroffen werden. Die Restriktion von Kommunikation ist eine biopolitische Macht, die Gesellschaften unsicher macht.
Die ›Gegenmacht‹, also die Formate, in denen sich Gegenmaßnahmen formulieren lassen und Wirklichkeit werden, in denen Gesellschaften funktionsfähig bleiben, sind – so ist das Argument – ebenfalls Kommunikation. Das NSABB hat diese Tendenz aufgegriffen, die hier abschließend noch stärker formuliert werden soll: Kommunikation bietet das Forum, das Format und das Medium an, in denen sich Gesellschaften stärken.
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Als Ausblick und Fazit soll die Rolle der Kommunikation in Gesellschaften beschrieben werden: Frage Welche Bedeutung kommt der Kommunikation und insbesondere der Kommunikation von Risiken nun zu?
Als Struktur dieses ausblickenden Abschlusskapitels gliedern drei Perspektiven die Argumentation: • • •
neue Kriege – Charakteristik von Gesellschaften und gesellschaftlichen Bedrohungen; Kommunikation als Biodefense: Kommunikation von Risiken und Kommunikation als Risiko; die biopolitische Macht von Kommunikation: Risikokommunikation.
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1 N EUE K RIEGE . D IE B EDEUTUNG K OMMUNIKATION
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DER
Terrorismus als Kommunikationsstrategie Herfried Münkler stellt neue Formen von zeitgenössischer Kriegsführung und der politischen Auseinandersetzungen fest, die als die »neuen Kriege« (Münkler 2002a, b) durch drei Prinzipien charakterisiert sind: • • •
die Entstaatlichung, die Asymmetrisierung und die Autonomisierung (s. zu »neuen Kriegen« auch Daase 2002, Kaldor 2000).
Außerdem beschreibt Münkler den Terrorismus als eine Kommunikationsstrategie, was im Kontext biologischer Bedrohung von besonderem Interesse ist. Zum Prinzip der Entstaatlichung zählt Münkler die Tendenz, kurze Staatenkriege mit langen innergesellschaftlichen Kriegen zu verbinden (Münkler 2002a). Diese Verschiebung ist durch das Ausmaß binnencharakterisiert, mit dem die Zivilbevölkerung sowohl zum direkten als auch zum indirekten Opfer – zum Kollateralschaden – von politischen Auseinandersetzungen werde. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts gehörten in den geführten Kriegen 90 Prozent der Gefallenen und Verwundeten zu den Kombattanten (laut Völkerrecht). In den neuen Kriegen, die in innergesellschaftlichen und transnationalen Kriegen ausgetragen werden, seien 80 Prozent der Getöteten und Verletzten Zivilisten und ›nur‹ 20 Prozent Soldaten. Darüber hinaus seien auch Veränderungen in der Gewaltanwendung zu beobachten. Münkler sieht sowohl eine Sexualisierung der Gewaltanwendung als auch in Vergewaltigungen eine Strategie der Kriegsführung. So sei es sicherer, lebenssicherer, zu den – männlichen – Soldaten zu gehören statt zu der an sich zu schützenden und zu verschonenden Zivilbevölkerung; insbesondere die sexuelle Gewalt gegen die weibliche Zivilbevölkerung habe ein dramatisches strategisches Ausmaß erreicht (ebd.). »Fast alle neuen Kriege sind durch ein spezifisches Angstmanagement [Herv. P.D.] gekennzeichnet, das
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von den Bewaffneten gegen die Unbewaffneten aufgebaut und organisiert wird.« (ebd., S. 24) Diese Entwicklung lässt sich für den Bereich biologischer Waffen sehr deutlich nachzeichnen. Die ›unsichtbare Bedrohung‹ von infektiösen Erregern unterstreicht das Moment des Verdachts und die Kultur der Angst. Bei einem irakischen Anschlag auf Tel Aviv (Israel) 1991 wurde Angst und damit irrationales Verhalten als wesentliche Bedrohung und als ernsthafte Gefährdung des öffentlichen Gesundheitssystems registriert – in einem viel größeren Ausmaß, als dies der Angriff nahegelegt hat. Etwa 75 Prozent der Behandlungsfälle resultierten bei diesem ›konventionellen‹ Angriff mit SCUD-Raketen aus unangemessenem Verhalten, das möglicherweise bei einem biologischen Angriff noch stärker wäre. »Anxiety was listed as the reason for admitting 544 patients and atropine overdose for hospitalization of 230 patients. Clearly, these conventionally armed SCUDs were not effective mass casualty weapons, yet they caused significant disruption to the population of Tel Aviv. Approximately 75 % of the casualties resulted from inappropriate actions or reactions on the part of the victims. Had one of the warheads contained a chemical or biological agent that killed of intoxicated a few people, the ›terror effect‹ would have been even greater.« (Sidell/Franz 1997, S. 6)
Terrorismus in Münklers Sinne ist eine Form der Gewaltanwendung, die wesentlich über die indirekten Effekte der Gewalt Erfolge erringt und die psychischen, aber auch die ökonomischen Konsequenzen, die die Bedrohung nach sich zieht, bewusst kalkuliert (Münkler 2002a). Während in langen Kriegen militärische Gewalt in Verbindung mit Hunger und Seuchen stand, sieht Münkler in der Politik des Wirtschaftsembargos, das innerhalb der neuen Kriegsführung eingesetzt wird, ein weiteres Merkmal der Entstaatlichung. Auch hier seien die Ziele große Teile der Zivilbevölkerung, die unbeteiligten Schwachen: Alte, Kranke, Kinder. Dieses Muster lässt sich auch bei biologischen Bedrohungen beobachten: Das Risiko, bei infektiösen Erregern komplizierte oder gar tödliche Verläufe zu entwickeln, ist auch für diese Gruppen höher. Außerdem habe der neue Krieg seine Kontur verloren und sowohl sein Anfang als auch sein Ende bleiben unklar (ebd.).
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Das zweite wesentliche Element der neuen Kriege sei die Beantwortung der asymmetrischen Macht- und Gewaltkonstellation mit asymmetrischer Kriegsführung (ebd.). Es werde also nicht mehr in – sozusagen – der gleichen Waffengattung gekämpft, sondern es finden empfindliche Umstellungen statt. Münkler beobachtet, dass »der Kampf mit Waffen […] zunehmend durch den Kampf mit Bildern konterkariert [wurde,] und insbesondere terroristische Strategien haben dadurch erheblich an Durchschlagskraft gewonnen« (ebd., S. 52). Krieg werde mit Hilfe der Öffentlichkeit geführt, und daher gewönnen die Medien erheblich an Bedeutung (Shpiro 2001). Diese Umgestaltung des Kampfplatzes bezeichnet Münkler nach den Ereignissen in Mogadischu (Somalia), als amerikanische Soldaten von Aufständigen gefangen und medial gedemütigt wurden, als ›MogadischuEffekt‹ (Münkler 2002a, 50). Die Bilder dieser gedemütigten Soldaten gingen durch die Welt und trugen zu dem erheblichen Einbruch in der gesellschaftlichen Unterstützung des amerikanischen Einsatzes in Mogadischu bei. Diese medialen Effekte würden vor allem die – im Sinne der konventionellen Kriegsführung – schwächeren Staaten und Gruppen nutzen. Insbesondere für den Terrorismus böten sich durch die Kommunikationsmedien erhebliche Vorteile. Die kommunikative Infrastruktur werde bewusst in die terroristische Strategie aufgenommen. »Dabei nutzen Terroristen gezielt die Effekte aus, die eine mediale Verstärkung ihrer Aktionen erzeugt.« (ebd., S. 55) Diese Beobachtung wird in der Medien- und Sozialwissenschaft öfter beschrieben: Realität und mediale Darstellung seien nicht mehr klar voneinander zu unterscheiden. Man verhalte und regiere schon so, wie man es aus den medialen Formaten wie z.B. dem Fernsehen kennt. Daher ist auch die Anschuldigung, dass Medien die Wirklichkeit in ihren medialen Darstellungen verzerren, am Thema vorbeigehend. Die medialen Strukturen sind schon in die Realitätsgestaltung implementiert (Luhmann 1995, 2000). Außerdem würde der Terrorismus in der Umdeutung der zivilen Infrastruktur die im Ausgang schwächere Position zu einer stärkeren machen. »Die offensiven Fähigkeiten der Terroristen beruhen darauf, dass sie stattdessen die zivile Infrastruktur des angegriffenen Landes als logistische Basis nutzen und sie gleichzeitig in eine Waffe umfunktionieren.« (Münkler 2002a, S. 54)
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Hier deutet sich eine neue Begriffsbelegung eines Dual-Use an! Während im Bereich der biologischen Waffen das Missbrauchspotenzial von legaler und ziviler Infrastruktur und legalem und zivilem Wissen diskutiert wurde, operiert Terrorismus – nach Münkler – generell mit der Umdeutung von ziviler Infrastruktur. In dieser Folge sei es auch schwer, eine Festlegung der territorialen Grenzen – also ein Innen und ein Außen – aufrechtzuerhalten (Münkler, 2002a). Ebenso seien die neuen Kriege durch die Schwierigkeiten in der Unterscheidbarkeit zwischen Krieg und Frieden und in der eindeutigen Trennung zwischen Freund und Feind gekennzeichnet (ebd.). Koinzidenzen gibt es im Bereich biologischer Waffen; auch hier hat man in verschiedener Weise mit den Ambiguitäten und Ambivalenzen von Erregern und Akteuren zu kämpfen: der Dual-Use-Begriff mit seiner schwierigen Zuordnung in offensiv und defensiv, aber vor allem seine Verwendung in uneindeutigen Bereichen ziviler und militärischer Forschung und Anwendung. Im Bereich der Mikrobiologie und Biomedizin lassen sich diese Entwicklungen noch in einer ganz anderen Weise beobachten: In der Geschichte des Verhältnisses von Menschen und Mikroben des 20. Jahrhunderts, die eine Geschichte der besiegten Krankheiten, der Ausrottung von Seuchen (zur Kriegsmetaphorik s. Cooper 2006), aber auch von wieder auftretenden Krankheiten in virulenterer oder in multiresistenter Form ist. Die Grenzverwischungen, die Münkler bei der Charakterisierung von Freund und Feind, von Krieg und Frieden und in der Konturierung des Kriegsschauplatzes beschreibt, finden im Bereich der Mikrobiologie um die Jahrtausendwende ihr Pendant: Auch hier ›proliferieren‹ die Pathogene über Grenzen. Die Ländergrenzen stellen im Zuge der zunehmenden Globalisierung und Mobilisierung keine relevanten Schranken mehr dar (prominentes Beispiel ist SARS). Durch den internationalen Flugverkehr wird eine hochansteckende Infektionskrankheit binnen Stunden und weniger Tage über den industrialisierten Erdball verteilt (Gottschalk 2005). Auch die Speziesgrenzen scheinen weicher zu werden: Vor einigen Jahren erschütterte BSE bzw. deren humane ›Adaption‹ als Creutzfeldt-JakobKrankheit die öffentliche Wahrnehmung und die Konsumgewohnheiten. Auch die aviäre Influenza stellt mit ihren seltenen Todesfällen beim Menschen, die in den letzten Jahren sporadisch auftraten, ein Bedrohungspotenzial dar (Cooper 2006).
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Neben Länder- und Speziesgrenzen scheint auch die körpereigene Unterscheidung zwischen eigen und fremd nicht mehr so selbstverständlich zu funktionieren. Die letzten Jahrzehnte sind geprägt von einer massiven Zunahme von Allergien und Autoimmunkrankheiten (ebd.). Wie auch im Bereich biologischer Waffen im Ersten Weltkrieg (Münkler 2002a) beobachtet man die Inkorporierung der zivilen Produktion, die im Terrorismus aufgenommen werde. »Die Verwendung ziviler Infrastruktur für die Zwecke terroristischer Gruppen ist umso leichter möglich und hat umso größere Folgen, je dichter und komplexer die Transport- und Kommunikationssysteme des angegriffenen Landes sind; das beginnt bei der Nutzung des Postverkehrs für die Versendung von Briefbomben und Anthraxbriefen und geht bis zu Angriffen mit Computerviren und anderen Formen des Eindringens in die Informations- und Steuerungssysteme der angegriffenen Macht.« ebd., S. 192)
Die Präsenz und das Ausmaß der Bedrohung finde durch die Präsenz und Dramatik der gesendeten Bilder seine Entsprechung. »In diesem Sinne ist Terrorismus als eine Kommunikationsstrategie bezeichnet worden, durch die auf eine besonders spektakuläre Art und Weise Botschaften verbreitet werden.« (ebd., S. 177) Die Verbreitung von Bildern, in denen die Folgen der Gewaltanwendung unmittelbar sinnlich erfahrbar werden, hat enormen Einfluss. Und hier bietet sich auch die imaginäre Lücke, die fehlende Sinnlichkeit von biologischen Waffen, die durch die Sinnlichkeit der Bilder ersetzt werden kann. Die Macht über die Bilder – so der Tenor Münklers – sei der strategische Vorteil der neuen, asymmetrischen Kriegsführung. »Im asymmetrischen Krieg sind die Medien selbst zu einem Mittel der Kriegsführung geworden.« (ebd., S. 196) Krieg im Medium der Kommunikation: Asymmetrische Kommunikation Hier zeichnet sich allerdings das Moment ab, an dem der Diskurs über biologische Waffen die Ausführungen zum Terrorismus als Kommunikationsstrategie weitertreibt und fortschreibt. Während Münkler den Terrorismus als Kommunikationsstrategie charakterisiert (Münkler 2001), mit der die
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Bilder des terroristischen Krieges und die Botschaften des Terrorismus effizient weltweit versendet werden, findet im Bereich biologischer Waffen eine doppelte Verschärfung statt: Erstens geht es hier nicht darum, eine aufmerksame und kritische Öffentlichkeit zu erreichen. Hier ist das Medium selbst zu einem Teil der Bedrohung geworden: die Transmission von Informationen (in gewissem Sinne: the medium is the message), die mediale Zugänglichkeit von Wissensbeständen, die Information und Baustein der Bedrohung sind. Zweitens: Terrorismus findet nicht nur mit den Mitteln medialer Formaten statt, sondern im Medium der Kommunikation selbst. Die Geschichte der biologischen Waffen ist eng mit einer Geschichte der Angst, des Verdachts, der Propaganda, der Gerüchte und Verleumdungen verknüpft. Krieg arbeitet immer mit einer Asymmetrie: Der Überraschungsangriff, die geheime Strategie, die List arbeiten mit asymmetrischen Wissensbeständen. Neu ist, dass sich diese Asymmetrie als asymmetrische Kommunikation unter die Unterscheidung zivil vs. militärisch, zwischen offensiv und defensiv, zwischen kurativ und aggressiv schiebt. Neu ist, dass diese Praxis Einzug erhält in die Praktiken von Gesellschaft und von Wissenschaft. Das Schlagwort der ›Militarisierung der Gesellschaft‹ spiegelt hier eine neue Dimension. Gemeint ist eine neue Dimension der ›Militarisierung der Gesellschaft‹ an der verletzbaren Stelle der Informations- und Wissensstruktur, die zu den konstituierenden Säulen von Gesellschaften geworden ist. Hier findet eine Diffusion der Militarisierung in den gesellschaftlichen Bereich von Wissenschaften statt. Wissenschaft ist ein kompetitives Geschäft (Knorr Cetina 2000); die erste Publikation, die schnellste Publikation sichert das Renommee des Wissenschaftlers. Und auch hier lässt sich eine Verschiebung beobachten: Während es im Wissenschaftsbetrieb bisher vorrangig darum ging, mit Ideen, Experimenten und Resultaten als Erster aus dem Wettbewerb konkurrierender Wissenschaftler zu gehen, scheint sich im Kontext biologischer Bedrohung eine neue Dynamik abzuzeichnen. Nun geht es nicht mehr nur darum, als schnellste Publikation ›auf dem Markt‹ zu sein, sondern darum, einen asymmetrischen Wissensbestand aufzubauen und zu erhalten. Die Dynamik ist eine der Ausgrenzung gekoppelt mit der Befürchtung der Diffusion von Wissen in nicht kontrollierte gesellschaftliche Bereiche. Daher war eine beobachtbare Antwort die Restriktion von Forschungsergebnissen, in denen möglicherweise sicherheitsrelevantes biomedizini-
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sches Wissen publiziert wird. Hier hatten die Überlegungen ihren Anfang gefunden.
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2 R ISIKOKOMMUNIKATION ALS B IODEFENSE . K OMMUNIKATION VON R ISIKEN UND K OMMUNIKATION ALS R ISIKO Das Dilemma, das sich aus dem Gegensatz zwischen einer offenen und transparenten Kommunikation wissenschaftlicher Forschung und einer restriktiven Haltung ergibt, die der Sorge Ausdruck verleiht, dass eben diese transparente Kommunikation ein Gefährdungspotenzial darstellt, wurde in Kapitel 2 vorgestellt und diskutiert. Dort wurde das Dilemma von Transparenz und Restriktion anhand des Dual-Use-Dilemmas eingeführt, das nicht nur die Ambivalenzen zwischen offensiver und defensiver Forschung beschreibt, sondern das sich auch der Ambiguität eines materialbasierten und eines wissensbasierten Dual-Use öffnet. Während der materialbasierte Dual-Use – in Anlehnung an die Unterscheidung des Kalten Krieges – auf den Gebrauch relevanten Materials (Erreger, Ausbringungsinfrastruktur etc.) in der Absicht einer missbräuchlichen Verwendung abzielt, weist der wissensbasierte Dual-Use auf eine veränderte Funktion von wissenschaftlichem Wissen hin. Ein wissensbasierter Dual-Use kann sowohl direkt – über die Integration von Wissen, das ›direkt am Erreger‹ generiert wird – als auch indirekt als Transferleistung aus anderen Wissensgebieten, Technologien, Wissen und Erfahrungen gewonnen werden und die Amplitude einer biologischen Gefährdung erhöhen. Entlang dieser begrifflichen Präzisierungen wurden in Kapitel 2 die gesellschaftspolitischen Kontrollgremien vorgestellt. Während die frühen gesellschaftspolitischen Vereinbarungen die materialbasierte Exportkontrolle von Gütern mit doppelten Verwendungen regelte, wurde im Zuge der Bedrohung durch Bioterrorismus und des verbesserten Verständnisses der Besonderheiten der lebenswissenschaftlichen Forschung ein Gremium vorgestellt, das den wissensbasierten Dual-Use reflektiert. Das NSABB sieht sich als das Gremium, das die Problematik der Publikation wissenschaftlich sensibler Informationen mit adäquaten Kommunikationsstrategien begleiten möchte und damit – in aller Transparenz – auf die Bedrohung, die das Wissen bekommen kann, hinweisen möchte. In diesem Schlusskapitel soll dieser Gedanke noch etwas eingehender analysiert und entwickelt werden, da er die zentralen Momente der Bedrohung berührt.
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Die asymmetrische Kriegsführung im Medium der Kommunikation bemüht sich, ein Differential aufrechtzuerhalten, durch das Machtverhältnisse stabil bleiben. Eine Biodefense besteht dementsprechend darin, der asymmetrischen Kommunikation eine Kommunikationspolitik entgegenzusetzen, die transparent und proaktiv dieses Kräfteverhältnis außer Kraft setzt. Hier werden nur kursorisch drei Spielarten von Kommunikation tentativ vorgestellt, die im Sinne eines prospektiven Abschlusses des Gedankengangs kurz beschrieben werden. Kommunikation von Risiken Das NSABB schlägt vor, innerhalb und außerhalb von wissenschaftlichen Gremien die Risiken, die wissenschaftliches Wissen haben kann, adäquat zu kommunizieren. Zu diesem Zweck wird versucht, die Gesellschaft im Sinne einer wissenschaftlichen Öffentlichkeitsarbeit auf Risiken und den adäquaten Umgang mit ihnen vorzubereiten, die der wissenschaftliche Fortschritt mit sich bringt. Dieses Verständnis von Risikokommunikation im Sinne der Kommunikation von Risiken hat ihren frühen Ursprung in der Umweltbewegung in den 60er Jahren und der Technikfolgenabschätzung und wird heute noch insbesondere im Umweltbereich betrieben (z.B. APUG Aktionsbündnis Umwelt und Gesundheit, das beim Bundesumweltamt angesiedelt ist, s. http://www.apug.de; ITAS Institut für Technikfolgenabschätzung, s. http://www.itas.de; Forschungszentrum Jülich et al.). Kommunikation als Risiko Dass die Kommunikation von Risiken selber Risiken birgt, ist in der Diskussion um die Publikation sensibler Informationen deutlich geworden (s. auch Bechmann 2000, Weingart/Engels/Pansegrau 2000). Eine andere, recht häufige Vorstellung ist es, dass eine Bevölkerung durch Informationen verunsichert oder gar hysterisch werde. Nach dem Motto »Keine schlafenden Hunde wecken« wurde insbesondere die behördliche Risikokommunikation der letzten Jahrzehnte durch eine reaktive und vorsichtige Informationspolitik bestimmt. Die aktuellen Forschungen zeichnen ein ganz anderes Bild: Die Öffentlichkeit tendiert nicht zu hysterischen oder panischen Reaktionen, solange sie das Gefühl hat, dass sie über die Situation und die aktuellen Entwicklungen informiert wird (Sheppard/Wessely/Wardman 2006).
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Im Zusammenhang mit dem Ausbruch von Infektionserkrankungen hat die frühe und adäquate Information sogar noch eine besondere Rolle: Menschen müssen wissen, wie sie sich zu verhalten haben, um die weitere Ausbreitung zu verhindern! Die Betroffenen und die Besorgten müssen auch wissen, welche Einrichtungen der Gesundheitsversorgung für sie die beste ist. Hier haben Forschungen auf eine direkte Relation hingewiesen: Je besser informiert sich Bevölkerung und Patienten fühlen, desto rationaler und angemessener verhalten sie sich (Dickmann 2011b, Dickmann et al. 2011). Auch hier wird es in Zukunft darum gehen, mit einer angemessenen Risiko- und Krisenkommunikation die Grundlagen für ein erfolgreiches Risikomanagement von Gesundheitsgefahren zu schaffen.
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3 D IE BIOPOLITISCHE M ACHT R ISIKOKOMMUNIKATION
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K OMMUNIKATION :
Die Restriktion von Kommunikation ist eine biopolitische Macht, die Gesellschaften unsicher macht. Die ›Gegenmacht‹, also die Formate, in denen sich Gegenmaßnahmen formulieren lassen und Wirklichkeit werden, die Formate, in denen Gesellschaften funktionsfähig bleiben, sind ebenfalls Kommunikation. Kommunikation bietet also das Forum, das Format und das Medium an, in denen sich Gesellschaften stärken. Ein vorläufiger Endpunkt der Argumentation wird mit dem Verweis auf eine Risikokommunikation erreicht. Risikokommunikation wird dabei als Möglichkeit verstanden, einen langfristigen, verständnisbildenden Diskurs innerhalb der Gesellschaft über die Möglichkeiten und Gefahren wissenschaftlichen Wissens zu führen. Dieser Diskurs berührt nicht nur die zentralen Inhalte der Wissenschaften, sondern gibt auch Auskunft über die Gesellschaft, in der diese Diskurse so geführt werden. Er ermöglicht damit, aus einer reflexiven und reflektierten Position heraus, gesellschaftlichen und sicherheitspolitischen Entscheidungen eine andere Grundlage zu geben. Risikokommunikation – Fazit Die Definition von Risikokommunikation ist schwierig. Daher wird innerhalb dieses Schlusskapitels im Sinne eines Fazits eine Arbeitsdefinition von Risikokommunikation vorgestellt, die an anderer Stelle vertieft werde müsste (für eine weitergehende Beschäftigung, insbesondere in der Problematik des gesellschaftlichen Umgangs mit wissenschaftlichem Wissen, s. Dickmann et al. 2009, Rubin/Dickmann 2010, Sorensen 2004). Risikokommunikation wird hier in Abgrenzung zur Krisenkommunikation verstanden. Der Unterschied zwischen Risiko- und Krisenkommunikation ist zuerst ein zeitlicher: These Risikokommunikation findet vor einer Gefahrenlage statt. Krisenkommunikation hingegen ist jede Kommunikation während einer Gefahrenlage.
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Aufgrund ihrer zeitlichen Möglichkeiten unterscheidet sich Risikokommunikation auch fundamental in der Art und Weise von einer Krisenkommunikation: Risikokommunikation hat Zeit. Sie kann erklären, hat die Zeit, auch komplexere Sachverhalte angemessen darzustellen. Und Risikokommunikation zielt darauf ab, diejenigen, die sie informiert, in die Lage zu versetzen, sich selbständig und adäquat zu verhalten. Krisenkommunikation hingegen steht unter einem erheblichen Zeit- und Leistungsdruck: Aufgrund des plötzlichen Eintritts z.B. einer medizinischen Gefahrenlage ›hinkt‹ sie zwangsläufig der Lage erst einmal hinterher. Oft ist diese selbst unklar, die Gefahr in ihren Auswirkungen noch nicht einzuschätzen, die Verantwortlichen sind noch nicht gefunden bzw. noch nicht fähig, die sofort entstehenden Informationsbedürfnisse zu befriedigen. Krisenkommunikation ist daher zunächst sehr reduziert; in einer knappen Sprache mit befehlsartigem Charakter, ohne große Chance auf Nachfragen. Eine Krise ist daher zunächst eine Kommunikationskrise. Risikokommunikation muss genau auf diese Situationen vorbereiten und Entlastung bieten, indem sie drei verschiedene Inhalte vermittelt: •
•
•
Wissen: Zunächst vermittelt Risikokommunikation Wissen, ›harte‹ Fakten, wie z.B. im Fall von bioterroristischen Agenzien medizinische Steckbriefe zu Infektionserkrankungen oder Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten. Verhalten: Neben medizinischen Informationen ist es wichtig, Verhaltensoptionen anzubieten. Die Bevölkerung oder die Betroffenen müssen nicht nur wissen, worum es sich bei der Gefahrenlage aus medizinischer Sicht handelt, sondern auch, wie sie sich adäquat verhalten können. Hier ist es im Vorfeld schon ungemein wichtig, die grundlegenden Verhaltensmuster zu erläutern und zu üben. Diese unterscheiden sich zwar je nach Art der Gefahrenlage, haben aber ein Basisverhalten gemeinsam, wie z.B. Hygienemaßnahmen im Alltag. Dies kann kommuniziert und geübt werden. Übersicht: Neben der Vermittlung von Wissen und Verhaltensoptionen ist es hilfreich, die Transparenz von Entscheidungen darzustellen und eine Übersicht über die Bedrohung oder den Krisenfall zu geben. Während einer Krise kommt es beinahe zwangsläufig zu Informationsdefiziten (Krise als Kommunikationskrise) und widersprüchlichen Angaben. Darauf reagieren Bevölkerung und Betroffene – in ihrer demokratischen
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Repräsentanz: den Medien – sehr sensibel; hier ist es wichtig und vertrauensbildend, schon im Vorfeld darauf hinzuweisen, dass Informationsdefizite nicht aufgrund einer arglistigen Informationspolitik auftreten, sondern oft unvermeidbar sind; auch, weil es in demokratischen Gesellschaftsstrukturen nicht nur eine Informationshoheit und eine Zentralmeinung gibt. Diese Art von Metainformationen, also Informationen über den Ablauf und die Transparenz des Prozesses selber, helfen, im Krisenfall auf eine vernünftige und kooperative Bevölkerung vertrauen zu können. Die Metainformationsebene ist es auch, auf der die Diskurse darüber geführt werden müssen, was Sicherheit für eine Gesellschaft bedeutet, wie sie geschützt und erhalten werden kann und welcher Art die Bedrohungen sind. Risikokommunikation in diesem Sinne ist also eine erste vorläufige Antwort auf die restriktive Biopolitik, die in diesem Buch vorgestellt wurde. An dieser Stelle schließt die Auseinandersetzung mit der schwierigen Ambivalenz biomedizinischer Forschung vorerst ab. In Zukunft wird es darum gehen, mit erhöhter wissenschaftlicher und gesellschaftspolitischer Aufmerksamkeit eine Risikokommunikation gesellschaftlich voranzutreiben, die diese Ambivalenzen besser aushalten und stärkere Antworten formulieren kann.
Danksagung
Diese Arbeit hat mich mehrere Jahre in meinem Denken und in meinem Beruf begleitet – und mit ihr viele Menschen, die mich unterstützt, motiviert und herausgefordert haben. Besonders danken möchte ich Thomas Macho für seine Begeisterungsfähigkeit und seine motivierende Begleitung auf meiner intellektuellen Reise durch die Dinge. Die inspirierenden Gespräche im Hause Macho, mit Thomas und Annett, haben mich öfter den entscheidenden Schritt im Denken und Schreiben weitergebracht. Danken möchte ich auch Andreas Wenger, der sich in seiner intellektuellen Offenheit auf eine interdisziplinäre Arbeit eingelassen hat und mir eine wertvolle Hilfe dabei war, die konzeptionellen Strukturen im Denken schärfer zu ziehen und in der Arbeit präziser zu artikulieren. Walter Biederbick hat mir die Gelegenheiten anvertraut, meine Überlegungen an exponierter Stelle in der Praxis zu testen. Dies habe ich als enormes Privileg mit großer Dankbarkeit wahrgenommen. Meine Kollegen vom Robert Koch-Institut waren tägliche Begleiter, die mich mit Material, Ideen und Kritik versorgt haben: allen voran Uwe Kaiser. Den Einstieg in die Beschäftigung mit biologischen Waffen verdanke ich Jan van Aken und den Kollegen von der Forschungsstelle Biologische Waffen und Rüstungskontrolle der Universität Hamburg sowie dem Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Der initiale Forschungsauftrag zu Aerosoltechnologien hat in dieser Arbeit noch einmal einen anderen Rahmen bekommen. Das ganz besondere Dankeschön geht – wie immer – an René. Er hat mich und meine Arbeit mit Liebe unterstützt, mit Humor kritisiert und mit endloser Geduld Moskitolungen und Schreibfehler eliminiert. Er ist über dem Text verzweifelt, in die Abgründe der Argumentation gestürzt und hat
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mich dennoch motiviert und angehalten, die Gedanken zu einem Abschluss zu bringen.
Literatur
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Enrique Fernández Darraz, Gero Lenhardt, Robert D. Reisz, Manfred Stock Hochschulprivatisierung und akademische Freiheit Jenseits von Markt und Staat: Hochschulen in der Weltgesellschaft
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