Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien: Studien zur Wechselwirkung von Zivil- und Prozeßrecht bei der Bewertung und den Rechtsfolgen prozeßerheblichen Parteiverhaltens [1 ed.] 9783428435227, 9783428035229


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German Pages 356 Year 1976

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Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien: Studien zur Wechselwirkung von Zivil- und Prozeßrecht bei der Bewertung und den Rechtsfolgen prozeßerheblichen Parteiverhaltens [1 ed.]
 9783428435227, 9783428035229

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HORST KONZEN

Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien

Schriften zum Prozessrecht

Band 44

Rechtsverhältnisse zwischen ProzeSparteien Stadien zar Wechselwirkung von Zivil· und Prozeßrecht bei der Bewertung und den Rechtsfolgen proze.lierheblichen Parteiverhaltens

Von

Prof. Dr. Horst Konzen

DUNCKER&HUMBLOT/BERLIN

Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1976 bel Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 81 Prlnted ln Germany

© 1978 Duncker

ISBN 3 428 03522 4

Wilhelm Smeuerle gewidmet

Vorwort Fallgestaltungen aus dem Grenzbezirk von Zivil- und Prozeßrecht gehören zu den Stiefkindern der Rechtsdogmatik. Die von der Prozeßtheorie häufig schroff akzentuierte Selbständigkeit des Prozeßrechts und dessen prinzipiell strikte Trennung vom materiellen Recht erschweren die systematische Erfassung von Wechselbeziehungen zwischen beiden Bereichen. Die Prozeßdoktrin sieht sich zwar in einer Reihe von Punkten nicht an Rückgriffen auf materiellrechtliche Vorschriften gehindert; meist bleibt es aber bei kasuistischen Randkorrekturen der Trennungsthese, die den Raum übergreifender Wertungen wenig aufhellen. Eine Skala von abgestimmten Maßstäben für sämtliche Wechselwirkungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht ist bei diesem Befund nicht auf Anhieb zu erwarten, sondern nur als Summe von Teilbetrachtungen denkbar. Eine solche Teilstudie enthält diese Arbeit. Sie befaßt sich mit widerrechtlichem und arglistigem, prozeßerheblichem Verhalten der Parteien des Zivilprozesses und konzentriert sich auf die Verzahnung zivilrechtlicher und prozessualer Normen bei der Bewertung und bei den Rechtsfolgen dieses Parteiverhaltens. Sie möchte mit der Analyse von "Rechtsverhältnissen zwischen Prozeßparteien" einen Baustein für das Dogmengebäude übergreifender Wertungen beitragen. Der Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an der J ohannes Gutenberg-Universität Mainz hat die Arbeit im Sommersemester 1974 als Habilitationsschrift angenommen. Ich schulde dem Mainzer Fachbereich, der meine akademischen Lehrjahre mit viel Wohlwollen begleitet hat, aufrichtigen Dank. Dieser Dank gilt vor allem meinem Lehrer und Mentor, Professor Dr. Wilhelm Scheuerle, dem ich dieses Buch widme. Er hat meine Studien mit Großzügigkeit und Geduld gefördert und mir Jahre freundschaftlichen Vertrauens geschenkt. Zu danken habe ich auch Herrn Professor Dr. Otto Mühl, der die Arbeit als Dekan und Mitberichterstatter betreut hat, sowie Herrn Ministerialrat a. D. Dr. Johannes Broermann für die Aufnahme der Arbeit in seine prozeßrechtliche Schriftenreihe.

Horst Konzen

Inhaltsübersiebt Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

Erster Teil Die Problematik der Rechtsbeziehungen zwisdlen den Partelen des Zivilprozesses § 1 Die Wechselwirkungen von Zivil- und Prozeßrecht in der Kasuistik

24

A. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

I. Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse und prozessuale Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Außerprozessuale Vertrauenstatbestände und prozessuale Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 III. Prozeßverhalten und materiell-rechtliche Sanktionen . . . . . . .

26

B. Systematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

I. Wechselwirkungen in den Beispielsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

II. Vergleich der Eingangsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

C. Interessenlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

D. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

§ 2 Die Rechtsbeziehungen der Prozeßparteien in Doktrin und Praxis . .

42

A. überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

B. Prozeßerhebliche Parteibeziehungen und die Elemente des Trennungsdenkeng . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 I . Abgrenzung von Zivil- und Prozeßrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktionszusammenhang zwischen Zivil- und Prozeßrecht 2. Trennung von materiell-rechtlichen Gesetzen und Verfahrensordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Trennung durch wissenschaftliche Systembildung . . . . . . . . a) Instrumentale Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterscheidung nach Lebensbereichen . . . . . . . . . . . . . . . .

45 45 48 48 48 49

10

Inhaltsübersicht II. Prozeßhandlung und außerprozessuales Parteiverhalten

53

III. Prozeßrechtsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

IV. Pflichten der Prozeßparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliche Partelpflichten und Parteilasten . . . . . . . . . . . . . . a) Dominanz der Parteilasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einheitslasttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einzelne gesetzliche Parteipflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gewillkürte Parteipflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfügungs- und Verpflichtungswirkung bei Verträgen über Prozeßhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Trennung von Verfügungs- und Verpflichtungswirkung aa) Trennungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) MiscJ;lstrukturen .. .. .. . . . . . . .. .. . . . . .. .. . . . .. . . ..

57 57 59 61 62 65

V. Widerrechtlichkeit und Prozeßrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

1. Entwicklung der Trennungswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Trennungswertung im zivilprozessualen Schrifttum . . . . . . a) Materiell-rechtliche Widerrechtlichkeit und prozessuale Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . b) Prozeßverhalten und materiell-rechtliche Widerrechtlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Theorie der doppelfunktionellen Prozeßhandlungen . . . . . .

71 74

66 67 68 69

75 76 76

VI. Treu und Glauben im Zivilprozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . '19 C. Auswirkungen der Prozeßtheorie auf Fallstrukturen mit Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 I. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Rechtsfolgen 85 1. Pflichten zur Vornahme oder Unterlassung von Parteiprozeßhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2. Vorprozessuale Verhaltenspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 II. Deliktshandlung und prozessuale Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . .

89

III. Außerprozessuale Vertrauenstatbestände und prozessuale Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 IV. Prozeßverhalten und materiell-rechtliche Sanktionen . . . . . . . .

91

D. Vergleich zwischen System und Kasuistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

§ 3 Das Gebot einer theoretischen Präzisierung der Rechtsbeziehungen

zwischen den Prozeßparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

A. Anliegen der weiteren Untersuchung

96

B. Gang der Untersuchung .......... . .

98

C. Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

Inhaltsübersicht

11

Zweiter Teil Das System der Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien des Zivilprozesses 1. Abschnitt: Die Kritik der einzelnen Elemente des Trennungsdenkens

103

§ 4 Die Lehre vom Prozeßrechtsverhältnis ...... ... ...... . . . .. .. .. . .... 104

A. Dogmengeschichtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

I. Trennung von Anspruch und Klage .. ................ .. .... 105 li. Trennung von Zivil- und Prozeßrecht ........ . ....... ... ... 107

B. Prozeßrechtsverhältnis als zivilprozessualer Grundbegriff .. ..... 108 I. Grundzüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1. Entwicklung ..... . ........... .... ........... . . ..... . . . . . 108 2. Modifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 li. Inhalt ......... .. ................................... .. . . ... 110 III. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 § 5 Der Prozeß als Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 A. Entwicklung der Rechtslagedoktrin . . .. . .. ...... . .............. . 114

I. Grundzüge

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

li. Prozessuale Rechtsbetrachtungsweise bei Parteiprozeßhandlungen .......... .... ................................... . ... 115

B. Kritik einzelner Elemente der Rechtslagetheorie . . . . . . . . . . . . . . . . 117 I. Fehlurteil und prozessuale Rechtsbetrachtungsweise ... ...... 117 li. Kluft zwischen prozessualen und zivilrechtliehen Bewertungsmaßstäben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 1. Einheitslasttheorie? ........... .. ....................... . 118 2. Parteiprozeßhandlungen und prozessuale Wertkategorien 119 § 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

A. Entwicklung der doppelfunktionellen Betrachtungsweise . . ..... . 121 I. Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 li. Erweiterung zur Theorie der doppelfunktionellen Prozeßhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fallgruppen . . ... . . . .. . . ....... .. .. . . . ... . .............. 2. Begriffsbildung .. .. .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. .. . . . .. .. . .. .. 3. Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen und doppelfunktionelle Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

123 124 126 128

12

Inhaltsübersicht a) Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen und ihre dogmatische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Doppelfunktionelle Betrachtungsweise .. ... . .. . . ...... aa) Doppelfunktionelle Betrachtungsweise bei doppelfunktionellen Prozeßhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Doppelfunktionelle Betrachtungsweise bei sonstigen Prozeßhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

128 131 131 133

4. Trennungswertung bei vorprozessualem Verhalten ...... . 134 B. Grundsatz der Trennungswertung? ... . . . ............. . . .. .. . ... 135 I. Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 II. Prozessuale Irrelevanz der Widerrechtlichkeit bei prozeßerheblichem Verhalten? ............. .. ................ .. ..... 1. Einzelne Fallgruppen und deren rechtspolitischer Zweck . . a) Widerrechtlich erlangte Beweismittel im Strafprozeß .. b) Widerrechtliche Erzwingung der Anwesenheit im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zeugenaussagen von SchweigepfUchtigen .............. 2. Bedeutung für einen allgemeinen Trennungsgrundsatz ... III. Rechtswidrigkeitsurteil trotz der prozessualen Funktion der Parteiprozeßhandlung'i' . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einzelne Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vollstreckung fehlerhafter Urteile .. . .......... ... .... aa) Rechtswidrigkeit der Vollstreckung? ........... .. . Vollstreckungsantrag des Gläubigers . . . . . . . . . . . bb) Zweck der Gläubigerhaftung bei vorläufig vollstreckbaren Urteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vollstreckung in schuldnerfremde Sachen .......... ... c) Unberechtigte Anfechtungsklage im Genossenschaftsrecht ............. .. ............ . .... .. . ..... ... . . .. . d) Verklagte Schuldner . . .. . ... ........ ................. 2. Bedeutung für einen allgemeinen Trennungsgrundsatz .. . Z~cbenergebnJsse

139 139 139 147 148 152 153 154 154 156 157 158 163 165 166 169 171 172

2. Abschnitt: Die prozessual erheblichen Rechtsverhältni sse zwischen Prozeßpartei en 174

§ 7 Die zivilrechtliehen Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen 176

A. Prozessualer Bereich und außerprozessuale Rechtsbeziehungen . . 176 B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen .. .. 183 I. Pflichten zur Vomahme oder Unterlassung von Prozeßhandlungen . ... . .... ...... .. . ........ . ........ . .. . ...... . ...... 183 1. Prozeßvereinbarungen als Richtschnur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 a) Zulässigkeit von Prozeßvereinbarungen . .. . . .. ..... . . . 188

Inhaltsübersicht aa) Prozeßvereinbarungen mit prozessualen Rechtsfolgen .............................................. cx) Prozeßvereinbarungen mit Verfügungswirkung ß> Prozeßvereinbarungen mit Verpflichtungswirkung ......................................... bb) Prozeßvereinbarungen mit zivilrechtlicher Wirkung cx) Erfüllungsansprüche? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ß> Schadensersatzansprüche .............. ... ..... cc) Prozeßvereinbarungen mit Doppelwirkung . . . . . . . cx) Schadensersatz neben prozessualen Rechtsfolgen ß> Zivilrechtliche Ansprüche anstelle prozessualer Wirkungen? .......................... . .. . . . .. b) Einzelne Wirksamkeitsvoraussetzungen bei Prozeßvereinbarungen . ................................... . .... 2. Folgerungen für zivilrechtliche Vertragspflichten über Parteiprozeßhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Parallelität zu verpflichtenden Prozeßvereinbarungen . . b) Umdeutung der Vertragspflicht in eine Pflicht zur redlichen Prozeßführung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . .. . c) Notwendige Streitgenossenschaft und vertragswidrige Klagerücknahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 189 189 192 198 199 204 209 209 215 216 218 218 220 222

II. Vorprozessuale Vertragspflichtverletzungen und prozessuale Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fallgruppen der Beweisvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Problem der Beweisvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beweisvereitelung und Beweisnachteil ............... . ... a) Beweisvereitelung in Prozeßrechtsnormen . . .... .. . . . . b) Erweiterung des prozessualen Normenkomplexes ... .. . aa) Prozessuale Mitwirkungspflicht? ............... . .. bb) venire contra factum proprium? . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Analogien zu § 444 ZPO . . .. . .. . . .. . .. . .. . .. . . . .. . c) Zivilrechtliche Tatbestände und fahrlässige Beweisvereitelung . . ....... . .. ... ......... .. ................... aa) Vertragliche Nebenpflichten ............ ... . . . . . .. cx) Nichtvorlage von Beweismitteln . . . . . . . . . . . . . . . ß> Vorprozessuale Pflichtverletzungen ....... ... .. bb) Sonstige Fälle .............. .. ...................

241 241 241 241 242

C. Deliktsverhalten der Prozeßpartei bei der Erlangung von Beweismitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Meinungsstand II. Vorprozessuales Deliktsverhalten und Prozeßrecht .......... 1. Zweckbeziehung von Zivil- und Prozeßrecht ...... .. ..... 2. Ausschluß der Deliktssanktion durch prozessuale Zwecke? a) Durchsetzung der Wahrheitspflicht? ........ .. . .... ... b) Prozeßbeschleunigung? ........ . .................... .. c) Grenzen der Wahrheitsermittlung im Rechtsstreit . .... aa) Prozeßrechtliche Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Widerrechtlich erlangte Beweismittel ......... .. ..

242 243 244 244 245 245 246 246 246 247

227 229 230 231 232 232 234 234 239 240

14

Inhaltsübersicht

§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien

250

A. Der Prozeß als Rechtsausübung gegenüber dem Prozeßgegner .... 250 B. Materiell-rechtliche Schranken der prozessualen Rechtsausübung 252 I. Problempräzisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 II. Verwirkung prozessualer Befugnisse .. .. .................... 254 1. Prozessuale Verwirkungstatbestände und verwandte Institute ................................ . ................... 2. Materiell-rechtliche Verwirkungsmaßstäbe im Prozeßrecht a) Innerprozessualer Vertrauensschutz? .................. b) Außerprozessuale Vertrauenstatbestände ......... . ... aa) Verwirkung von Klagen ... ... .................... ·tx) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . P> Vertraglicher Klageverzicht ................... y) Vertrauensschutz des Prozeßgegners gegenüber Klagen .............. .... .................. .. . bb) Verwirkung sonstiger prozessualer Befugnisse . . ...

258 257 257 257 258 258 262 265 268

III. Mißbrauch prozessualer Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 C. Verhaltenspflichten der Parteien im Zivilprozeß ......... . ....... 273 I. Problem der Außenwirkung von Parteipflichten ........ . ... 1. Verstoß gegen Parteipflichten als Haftungsgrundlage? . ... 2. Verstoß gegen Parteipflichten als Haftungsgrenze? ..... ... 3. Ausschluß der Haftungsmilderung bei Verstoß gegen Parteipflichten? ..................... ... ........... . ..... .. . 4. lJntersuchungsgang ............. .. ................ .. .... II. Katalog der

Partei~flichten

274 274 276 280 281

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282

III. Außenwirkung von Parteipflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Parteipflichten als materielle Schutzordnung . . . . . . . . . . . . . a) Pflichten aus Prozeßvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzliche Parteipflichten ........................... aa) Schutzzweck einzelner Parteipflichten . . . . . . . . . . . . a) Wahrheitspflicht ......................... . . . .. P> Verbot der Prozeßverschleppung ........... .. . bb) Haftungsfolgen . .. .. . .. . . . . .. . . .. . . .. . . . . .. .. .. .. 2. Positivierte Pflichtmaßstäbe und materieller Rechtsgüterschutz .......... .. ...................................... a) Verkehrsrichtiges Verhalten und deliktischer Hechtsgüterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prozeßordnungsgemäßes Verhalten und materieller Rechtsgüterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtfertigungsgrund der gerichtlichen Inanspruchnahme? .......................................... .tx) Schutzbereich der Prozeßrechtsnormen . . . . . . . . P> Zivilrechtliche Wirkung der Rechtsschutzgarantien? ................. .. ....................... bb) Stellenwert der Prozeßpflichten im Haftungssystem

283 283 283 283 283 284 286 288 290 293 296 296 296 297 298

Inhaltsübersicht

15

§ 9 Die materiell-rechtlichen Rechtsfolgen aus prozessualem Verhalten . . 299

A. Prozessuale Parteipflichten und Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 B. Einfluß prozessualer Zwecke auf zivilrechtliche Verhaltensmaßstäbe . .................. . ................................. .... . 299 I. Problem und Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Problemaufriß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ehrverletzender Parteivortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonstige Rechtsverletzungen durch Parteiprozeßhandlungen ..... ... ............. . ..................... .. .. c) Schutzrechtsberühmungen ..... . ................ . .. . .. 4. Präzisierung der Aufgabenstellung .............. .. .... .. a) Bedeutung von Verhaltens- und Erfolgsunrecht? ..... . b) llntersuchungsrahr.nen ...... . . ... .................. .. II. Deliktshaftung und negatorischer Rechtsschutz bei Parteiprozeßhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prozeßordnungsgemäßes Parteiverhalten ........ .. .. . .... a) Ehrverletzender Parteivortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Megatorischer Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Deliktshaftung ............................ . ...... b) Beeinträchtigung von Rahmenrechten und Verursachung von Gesundheitsschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bestreiten oder Anmaßung absoluter Rechte . . .. .. . .. . d) Schutzrechtsberühmungen .. ..... . . . .. ..... . .......... 2. Verstoß gegen prozessuale Parteipflichten .............. . .

299 299 301 302 302 304 308 310 312 315 316 316 316 316 322 322 323 325 327

Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Schrifttumsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . 351

Abkürzungen a.A. AcP a.E. a.F. AktG AnfG Anm. AnwBl.

ArbGG BAG BayOblG BayVerfGH BGB BGH BGHSt. BGHZ BSG BSGE BVerfG BVerwG BVerwGE Diss. DJT DJZ DR DRiZ DVBl. EGZPO EheG Einl. FGO FN GenG

anderer Ansicht Archiv für die civilistische Praxis am Ende alter Fassung Aktiengesetz Gesetz betreffend die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des Konkursverfahrens Anmerkung Anwaltsblatt, Nachrichten für die Mitglieder des Deutschen Anwaltvereins Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts; Arbeitsrechtliche Praxis Arbeitsgerichtsgesetz Bundesarbeitsgericht Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerischer Verfassungsgerichtshof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Juristen-Zeitung Deutsches Recht Deutsche Richterzeitung, Organ des deutschen Richterbundes Deutsches Verwaltungsblatt Einführungsgesetz zur Zivilprozeßordnung Ehegesetz Einleitung Finanzgerichtsordnung Fußnote Gesetz, betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften

Abkürzungen

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Der Gerichtssaal, Zeitschrift für Zivil- und Militär-Strafrecht sowie der ergänzenden Disziplinen Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland GG GmbHG Gesetz, betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GrünhutsZ Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, herausgegeben von Grünhut Grundzüge Grundz. GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht Gerichtsverfassungsgesetz GVG Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen GWB HGB Handelsgesetzbuch h.M. herrschende Meinung IheringJb. Iherings Jahrbücher der Dogmatik des bürgerlichen Rechts JR Juristische Rundschau Juristische Schulung JuS Juristische Wochenschrift JW Juristenzeitung JZ Kammergericht (Berlin) KG Konkursordnung KO Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, herausgegeben von LM Lindenmaier, Möhring u. a. MDR Monatsschrift für Deutsches Recht m.w.N. mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift NJW PatG Patentgesetz OGHZ Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die britische Zone in Zivilsachen Offene Handelsgesellschaft OHG Oberlandesgericht OLG RAG Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts RdA Recht der Arbeit, Zeitschrift für die Wissenschaft und Praxis des gesamten Arbeitsrechts Rdnr. Randnummer Rechtstheorie Rechtstheorie, Zeitschrift für Logik, Methodenlehre, Kybernetik und Soziologie des Rechts RGBl. Reichsgesetzblatt SchlHA Schleswig-Holsteinische Anzeigen SchweizJZ Schweizerische Juristen-Zeitung Sozialgerichtsgesetz SGG Strafgesetzbuch StGB Strafprozeßordnung StPO Stud. Gen. Studium Generale GerS

2 Konzen

18 StVO u.a. 'Obers. VersR VVG

VwGO WarnRspr.

ZHR

ZPO ZRP ZStrW ZVG ZZP

Abkürzungen Straßenverkehrsordnung unter anderem übersieht Versicherungsrecht, Juristische Rundschau für die Individualversicherung Gesetz über den Versicherungsvertrag Verwaltungsgerichtsordnung Die Rechtsprechung des Reichsgerichts auf dem Gebiete des Zivilrechts, soweit sie nicht in der amtlichen Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts abgedruckt ist; herausgegeben von Dr. Otto Warneyer. Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Gesetz über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung Zeitschrift für Zivilprozeß

Einführung Seit Windscheid im Jahr 1856 den Anspruch als materiellrechtliches Element aus der actio herausgeschält1 und ein Jahr später in seiner Abwehrschrift gegen Muther ein Klagerecht auf "Hülfe des Staates" konzediert und in das Prozeßrecht verwiesen hat2, ist die deutsche Prozeßrechtstheorie im Grundsatz auf die scharfe Trennung von Zivil- und Prozeßrecht festgelegt. Die Emanzipation des Prozeßrechts aus den Fesseln des zivilistischen Denkensa rückte von Anfang an in das wissenschaftliche Blickfeld. Die öffentlich-rechtlichen Komponenten des Prozeßrechts, sporadisch auch eine eigene, spezifisch prozessuale Rechtsbetrachtungsweise wurden und werden betont. Diese Entwicklung begann mit der von Bülow eingeleiteten, sogenannten "modernen konstruktiven Epoche der deutschen Prozeßrechtswissenschaft"'· Die Triebfedern waren zuerst das begriffsjuristisch geprägte Ziel, den vom Zivilrecht abgespaltenen Freiraum zu einem selbständigen, prozessualen Begriffssystem zu formen, später auch die Abkehr von der durch die Rechtsschutzlehre symbolisierten liberalen Prozeßbetrachtung und die Hinwendung zum Ordnungsstaat, vorübergehend weiterhin der in der nationalsozialistischen Periode unterstrichene Vorrang der Volksgemeinschaft vor dem Individuum. Mit der bereits von Bülow kreierten Figur des öffentlich-rechtlichen Prozeßrechtsverhältnisses5 erhielt das Prozeßrecht seine publizistische Substanz. Sowohl der Entstehungsgrund für das Prozeßrechtsverhältnis als auch sein Inhalt wurden unter Abkehr vom Zivilrecht gedeutet. Vorprozessual begründete prozessuale Befugnisse erschienen als Anomalien'. Prozessuale Pflichten der Parteien wurden, soweit man sie nicht generell leugnete, primär auf das Gericht oder den Staat projiziert. Dadurch entstand zwischen Prozeßverstößen und der materiellen Widerrechtlichkeit eines Parteiverhaltens eine unüberbrückbare Kluft. Zivilrechtliche Wertmaßstäbe sollten allenfalls als allgemeine Rechtsgrund1 Windscheid, Actio, 3 -7, 32, 148, 229, 230. z Windscheid, Abwehr, 26. a Jauernig, Zivilurteil, 1. ' Vgl. etwa Goldschmidt, Prozeß, 1; kritisch dazu von Hippel, ZZP 65, 462, 463. 6 Bülow, Prozeßeinreden, 1 - 4. • Bülow, ZZP 31, 218; dagegen etwa Wach, ZZP 32, 20.

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sätze zur Lückenausfüllung des Prozeßrechts verwendet werden7• Im Prinzip blieb es bei einem schroffen Trennungsdenken, zumal dieses die Einsicht in die prozessualen Vorgänge nachhaltig erleichterte8 • Das Trennungsdogma wurde noch verschärft, als Goldschmidt, gestützt auf Resultate Bülows und Kohlers, das Prozeßrecht von den Schlacken des Prozeßrechtsverhältnisses zu befreien suchte und den Prozeß als Rechtslage charakterisierte9• Mit dem von ihm postulierten Gegensatz zwischen der dynamischen Rechtsbetrachtungsweise des Prozeßrechts und der statischen Betrachtungsweise des materiellen Rechts erhärtete Goldschmidt nicht nur die interne Rechtsvergleichung zwischen den einzelnen Verfahrensordnungen - die allgemeine Prozeßrechtslehre10 -, sondern verbannte Rechte und Pflichten der Prozeßparteien und die Kategorie der Rechtswidrigkeit nachdrücklich aus dem Verfahrensrecht. Doktrin und Praxis haben Goldschmidts Prozeßtheorie zwar nur selten global akzeptiert; doch wurden, indem seine zugespitzte Antithese zum überkommenen öffentlich-rechtlichen Prozeßrechtsverständnis vernachlässigt blieb, wesentliche Teileinsichten in das traditionelle Dogmengebäude eingefügt. In diesem Konglomerat war und ist für isolierte Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien und für übergreifende Wertungen zwlschen Zivil- und Prozeßrecht wenig Raum. Auch die Erkenntnis, daß Prozeßhandlungen bisweilen materiellrechtliche Wirkungen zeitigen, konnte die Abkehr des Prozeßrechts vom materiellen Recht nicht lockern. Sie führte im Gegenteil zur Rechtsfigur der doppelfunktionellen Prozeßhandlungen, mit denen vor allem Niese nach dem zweiten Weltkrieg nachweisbare Überschneidungen zwischen dem Verfahrens- und dem materiellen Recht als Ausnahme deklariert und damit die Trennungsthese noch weiter profiliert hat11 • Das Trennungsdenken prägt im Prinzip auch das moderne Prozeßrechtsverständnis12. Allerdings wird es im Detail bisweilen durchbrochen und im Grundsatz weniger starr formuliert. Der frühere Zentralbegriff des Prozeßrechtsverhältnisses gilt heute als systematisches Gebilde ohne nennenswerten praktischen Sinn. Nachweisbare Verbindungslinien zwischen Prozeßrecht und materiellem Recht haben die- schon früher bezweifelte13 - präzise theoretische Scheidung beider Disziplinen verKonrad Hellwig, System I, § 145 III (S. 427). s Arens, AcP 173, 250. t Goldschmidt, Prozeß, 136, FN 750 und 253. 10 Darin lag schon vorher ein Hauptanliegen Sauers; vgl. Sauer, Grundlagen, Vorwort; weiterhin auch Sauer, Prozeßrechtslehre, passim sowie neuerdings Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts. u Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 47 ff.; 107 ff. u Vgl. aber dagegen Henckel, Gerechtigkeitswert, 12 und Prozeßrecht, passim. 7

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hindert. Dennoch hat das Trennungsdogma deutliche Spuren hinterlassen. Sie finden sich namentlich auf dem Sektor des pflichtwidrigen und deliktischen Parteiverhaltens. "Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien" und die bei ihnen auftauchenden Wechselwirkungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht haben keinen wesentlichen dogmatischen Stellenwert. Die wenigen gesetzlichen Parteipflichten werden primär auf das Gericht bezogen. Ihre Integration in die Prozeßrechtssystematik ist nicht vollends geglückt14 • Gewillkürte Parteipflichten werden allenfalls bei verpflichtenden "Prozeßvereinbarungen" anerkannt, die jedoch nicht selten als systemwidrig empfunden und dem Zivilrecht zugeordnet werden. Der Wertmaßstab der Rechtswidrigkeit fehlt bei der Dogmatik der Parteiprozeßhandlungen. Der Fortbestand zivilrechtlicher Rechtsbeziehungen zwischen den Streitparteien wird zwar nicht gänzlich bestritten15; doch wird die prozessuale Relevanz übersehen. Daraus resultieren dann - etwa bei einzelnen Fallgruppen der Beweisvereitelung und bei widerrechtlich erlangten Beweismitteln - Transformationsschwierigkeiten, wenn aus zivilrechtliehen Wertungen prozessuale Sanktionen abgeleitet werden. Der für den prozessualen Bereich hauptsächlich von Baumgärtel und Zeiss konkretisierte Grundsatz von Treu und Glauben hat zwar inzwischen einen gesicherten Standort18 ; doch errichtet dasan diesem Punkt praktisch oft vernachlässigte - Trennungsdenken sogleich Hürden, wenn es um die außerprozessuale Verwirkung prozessualer Befugnisse gegenüber dem Prozeßgegner geht17• Andererseits stimmt bei den erst kürzlich näher untersuchten deliktischen Rechtsverletzungen durch Klagen und andere Prozeßhandlungen die im Schrifttum verfolgte Tendenz zur Privilegierung des Prozeßverhaltens schwerlich mit der Trennungsthese überein. Auch wenn solche Konsequenzen im Einzelfall häufig durch Kunstgriffe umgangen werden, fehlt doch eine Integration der Kasuistik in das Prozeßrechtssystem. In Wahrheit eröffnet erst die Anerkennung von prozeßerheblichen Rechtsbeziehungen unter den Parteien des Zivilprozesses den Zugang 1a Den nachhaltigen Beweis liefern Goldschmidt und de Boor mit der Konstruktion eines Zwischenbereichs zwischen Prozeßrecht und materiellem REcht. Damit sollten die Verbindungslinien zwischen beiden Bereichen einer Sonderdisziplin zugeordnet werden, die Goldschmidt materielles (Zivil-) Justizrecht, de Boor schlicht Zwischengebiet nennt. Vgl. Goldschmidt, Justizrecht, passim und Festschrift für Brunner, 109 ff. sowie de Boor, Gerichtsschutz, 5. 14 Henckel, Prozeßrecht, 13. 15 Gaul, AcP 168, 31 FN 23. 18 Vgl. Baumgärtel, ZZP 67, 423" ZZP 69, 89 und ZZP 75, 385; vor allem Zeiss, Prozeßpartei, passim. 17 Vgl. etwa Dütz, NJW 1972, 1027 bei seiner Kritik an BVerfG NJW 1972, 675; einer seiner Einwände gegen die Verwirkbarkeit der Klage besteht darin, daß er einen Vertrauenstatbestand für den Prozeßgegner als unbeachtlich erklärt.

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zu Fallgestaltungen, wie sie durch das praktisch wichtige Feld der prozessualen Arglist, durch verstreute Fallgruppen vertragswidrigen oder deliktischen Parteiverhaltens mit prozessualen Rechtsfolgen sowie umgekehrt durch die Problematik der Ersatzpflicht aus prozessualen Verhalten repräsentiert werden. Derartige Fallgruppen umreißen einen Grenzbezirk zwischen Zivilund Prozeßrecht, der durch die Überlagerung des Prozeßrechts mit zivilrechtliehen Wertungen, teilweise auch durch die zivilrechtliche Anknüpfung an prozeßrechtliche Institute oder durch die Modiftzierung zivilrechtlicher Maßstäbe bei prozessualen Erscheinungen gekennzeichnet wird. Solche Mischstrukturen sind systematisch zu analysieren und mit der modernen Prozeßrechtsdogmatik zu konfrontieren. Erst die ergänzende und korrigierende Anpassung der Dogmatik ermöglicht, vorprozessuale sowie im Prozeß selbst begründete Parteipflichten zu umreißen, die Rechtsfolgen widerrechtlichen Parteiverhaltens zu bestimmen, dabei Wechselwirkungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht zu präzisieren und damit "Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien" nachzuweisen. Diese Zielsetzu..-·1g bedeutet weder einen Rückfall in aktionenrechtliches Denken1B, noch ist mit ihr eine Abkehr von öffentlichrechtlichen Elementen des Prozeßrechts verknüpft. Die Trennung beider Rechtsdisziplinen wird nicht eliminiert, sondern nur an einer weiteren Stelle durch den Nachweis übergreifender Wertungen gemildert. Der Akzent liegt daher, um eine Wendung Böttichers aufzugreifen, auf der "erneuten Verfestigung der rückwärtigen Verbindungslinien des Zivilprozeßrechts mit dem materiellen Privatrecht" 11• Wertvolle Impulse für diesen Themenkreis enthalten im theoretischen Ansatz vor allem die Monographien von Baumgärtel über "Wesen und Begriff der Prozeßhandlung einer Partei im Zivilprozeß" und von Renekel über "Prozeßrecht und materielles Recht". Renekel hat vor kurzem den Grenzbereich beider Disziplinen anhand einer Vielzahl unterschiedlicher Vorgänge des Erkenntnisverfahrens und der Zwangsvollstreckung beleuchtet, Baumgärtel vor Jahren eine funktionale Betrachtung der Parteiprozeßhandlungen angestellt und eine ganze Reihe von diesen auf die Anwendbarkeit materiellrechtlicher Normierungen überprüft. Die vorliegende Studie profitiert von mancherlei Ansätzen und Ergebnissen dieser Vorarbeiten. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Analyse von übergreifenden Wertungen bei Rechtsbeziehungen zwischen Prozeßparteien. Dabei werden Verästelungen, wie beispielsweise die reichlich erörterten zivilrechtliehen Wirksamkeitsvoraussetzungen 18 Dieses Schlagwort wird im Schrifttum als häufig wiederholter Vorwurf verwendet. 19 Bötticher, ZZP 85, 2.

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bei Parteiprozeßhandlungen20, allenfalls gestreift. Das Ziel ist nicht ein umfassendes System der Wechselwirkungen. Nur Studien über diese sind bezweckt. Prozessuales und außerprozessuales, aber prozeßerhebliches Parteiverhalten - d. h. Verhaltensweisen, die nach ihrer typischen Funktion auf das Erkenntnisverfahren abzielen oder doch mittelbar auf den Prozeß einwirken21 - soll an den außerprozessualen und den im Prozeß entstehenden Parteipflichten sowie an den allgemeinen Schranken der Rechtsausübung und den vom Deliktsrecht geprägten Maßstäben widerrechtlichen Verhaltens gemessen werden. Daraus ergibt sich für die "Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien" ein Gefüge ineinandergreifender Wertungen, das erst durch eine Teilkorrektur des überkommenen Trennungsdenkens möglich wird. Im Grundanliegen trifft sich die Arbeit mit der in neuer Zeit vorwiegend von Renekel verfolgten Tendenz, die Kasuistik der Wechselwirkungen von Zivil- und Prozeßrecht in eine verfeinerte Prozeßrechtsdogmatik einzugliedern.

zo Vgl. über die Grundsätze neuerdings Henckel, Prozeßrecht, 65 ff. und unten '§ 7 B I 1 b (S. 216- 217). 21 Vgl. die systematische Gruppierung unter § 2 C (S. 84 f.).

Erster Teil

Die Problematik der Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien des Zivilprozesses

§ 1 Die Wechselwirkung von Zivil- und Prozeßrecht in der Kasuistik A. Fallgruppen Vor dem Hintergrund des skizzierten1 Trennungsdenkens wirft der folgende Fallkatalog schwierige Rechtsprobleme auf: I. Zivilrechtuche Rechtsverhältnisse und prozessuale Rechtsfolgen 1. Beispiel 1:

Ein Lizenznehmer erhebt gegen den Patentinhaber eine Patentnichtigkeitsklage nach §§ 13, 37 PatG. Der Lizenznehmer hatte die Lizenz als Gegenleistung für die Zurücknahme einer vorhergehenden Nichtigkeitsklage erhalten. Die Parteien hatten sich im Lizenzvertrag zum Austausch weiterer Konstruktionszeichnungen, zu gegenseitigen Mitteilungen von Verbesserungen und zur Ausnutzung der Erfindung auf gemeinsame Rechnung verpflichtet. Kann sich der Patentinhaber auf eine konkludente Nichtangriffsabrede berufen, und folgt daraus die Unzulässigkeit der Klage2 ? 2. Beispiel 2:

Drei Gesellschafter einer vierköpfigen OHG haben gemeinsam gegen den vierten nach § 140 HGB wegen begangener Unterschlagungen Klage auf Ausschluß erhoben. Unter Einwilligung des Prozeßgegners nimmt später einer der Kläger die Klage gemäß § 271 ZPO zurück. Verstößt er damit gegen eine gesellschaftsvertragliche Mitwirkungspflicht zur Erhebung der Ausschließungsklage, und ist die Klagerücknahme deshalb unwirksam3 ? Einführung vor § 1 (S. 19 - 23). BGH GRUR 1958, 177; Schippel, GRUR 1955, 327. s Sticker, JZ 1967, 51.

1 2

A. Fallgruppen

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3. Beispiel 3: Der beklagte Arzt hatte bei einer Operation einen Tupfer in der Wunde vergessen. Bei einer notwendigen Zweitoperation holte er den Tupfer heraus und warf ihn weg, ohne Art, Größe und Beschaffenheit festzustellen. Auf diese Merkmale kommt es für die Frage des Verschuldens bei der Erstoperation an. Darf das Prozeßgericht diese "Beweisvereitelung" im Wege der Beweiswürdigung oder der Beweislastumkehr zuungunsten des Arztes berücksichtigen'? Gilt das gleiche, wenn ein Arzt einen Beweis vereitelt, indem er schuldhaft unterlassen hat, eine Röntgenaufnahme anzufertigen, oder die Vorlage eines Krankenblattes verweigert5 ?

4. Beispiel 4: Die Klägerin hatte der Beklagten während des Krieges ein Paket Geldscheine zur Aufbewahrung übergeben. Der Aufbewahrungsvertrag war nach damaligem Recht nichtig. Die Beklagte hatte über einen Teil des Geldes verfügt und den Rest der Geldscheine nicht mehr herausgegeben, so daß diese mit der Währungsreform des Jahres 1948 wertlos geworden waren. Die Klägerin klagt auf Schadenersatz. Sie kann infolge der Nichtherausgabe der Geldscheine nicht öeweisen, wieviele Geldscheine zum Zeitpunkt der Übergabe noch als Zahlungsmittel brauchbar waren. Darf das Gericht die Beweisvereitelung im Wege der Beweiswürdigung oder der Beweislastumkehr zum Nachteil der Beklagten berücksichtigen und sich dabei unter anderem auf ein deliktisches Verhalten der Beklagten stützen8 ?

5. Beispiel 5: Eine Ehefrau hatte ihren Ehemann wiederholt beschimpft und dabei geäußert, sie werde vor Gericht alles abstreiten. Der Ehemann machte daraufhin heimlich Tonbandaufnahmen von den Beschimpfungen und legte sie im Scheidungsprozeß vor. Besteht ein Beweis- und Verwertungsverbot, weil die heimliche Tonbandaufnahme das Persönlichkeitsrecht der Ehefrau verletzt und deshalb einen Deliktstatbestand nach § 823 Abs.l BGB erfüllt7? Gilt das gleiche, wenn eine Prozeßpartei im Scheidungsprozeß sonstige widerrechtlich erlangte Beweismittel vorlegt; etwa entwendete Photografien, die dem Prozeßgegner gehören, oder an diesen adressierte Liebesbriefe8 ? • BGH VersR 1955, 344; Gerhardt, AcP 169, 291. s BGH NJW 1963, 369; Gerhardt, AcP 169, 291, 292. e BGH NJW 1951, 643 ; Arwed Blomeyer, AcP 158, 101. 7 KG NJW 1956, 26; Pleyer, ZZP 69, 333. s Egbert Peters, ZZP 76, 152.

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§ 1 Die Wechselwirkung von Zivil- und Prozeßrecht in der Kasuistik

D. Außerprozessuale Vertrauenstatbestinde und prozessuale Rechtsfolgen

1. Beispiel 6: Ein Kläger trägt im Rahmen einer Patentnichtigkeitsklage nach §§ 13, 37 PatG vor, der wesentliche Inhalt der Patentanmeldung des Beklagten beruhe auf seinen, des Klägers, Modellen und Einrichtungen. Der Patentinhaber wendet ein, der Kläger habe ihm diese Modelle und Einrichtungen zuvor abgeschwindelt. Darf der Patentinhaber gemäß § 242 BGB darauf vertrauen, daß der Prozeßgegner aus seinem früheren unrechtmäßigen Verhalten keine Rechte herleiten wird, und ist deshalb die Patentnichtigkeitsklage unzulässig? Gilt das gleiche, wenn der Patentnichtigkeitskläger den Patentinhaber zur Patentierung einer gemäß §§ 1, 2 PatG nicht schutzfähigen Erfindung veranlaßt hat9?

2. Beispiel 7: Eine Ehe wurde im Jahre 1944 geschieden. Der beklagte Ehemann legte dagegen Berufung ein, über die infolge der Kriegswirren nicht mehr verhandelt werden konnte. Die Prozeßparteien flüchteten dann gemeinsam aus ihrer schlesischen Heimat nach Bayern und lebten bis zum Jahre 1954 in ehelicher Gemeinschaft. Nachdem der Ehemann eine Geliebte hatte und deshalb die Trennung von seiner Frau wollte, führte er im Jahr 1955 den Scheidungsrechtsstreit vor dem nunmehr zuständigen Gericht fort. Er nahm die Berufung zurück, um das Scheidungsurteil rechtskräftig werden zu lassen. Durfte die Ehefrau infolge der Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft gemäß § 242 BGB darauf vertrauen, daß der Ehemann den Scheidungsrechtsstreit nicht fortsetzt, und sind deshalb die Aufnahme des Rechtsstreites und die Zurücknahme der Berufung unwirksam10? lU. Prozeßverhalten und materlell-recbtllche Sanktionen

1. Beispiel 8: Die Parteien eines Zivilrechtsstreits einigen sich außergerichtlich in einem Beweismittelvertrag11 darüber, daß ein bestimmter Zeuge zu einem Beweisthema nicht benannt werden sollte. Der beweispfiichtige Kläger benennt ihn dennoch. Der Beklagte beruft sich zwar auf den Beweismittelvertrag; doch gelingt es ihm nicht, dessen Abschluß zu beweisen. Das Gericht vernimmt den Zeugen, und der Kläger gewinnt e Vgl. Zeiss, Prozeßpartei, 115, 120; auch BGH GRUR 1958, 177, 178. to BGHZ 20, 198; Zeiss, Prozeßpartei, 136; beide erwägen zugleich einen stillschweigenden vertraglichen Verzicht auf die Fortsetzung des Rechtsstreits. 11 Vgl. vorerst nur Baumgärtel, Wesen, 248 ff.

A. Fallgruppen

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durch die Zeugenaussage den Prozeß. Außerdem bricht der Zeuge aufgrundder im Termin erlangten Kenntnisse seine Geschäftsbeziehungen mit dem Beklagten ab. Der Beklagte erleidet einen beträchtlichen Vermögensschaden. Er verlangt vom Kläger in einem neuen Rechtsstreit den Ersatz dieses Schadens und beruft sich, da die für § 826 BGB erforderliche Vorsätzlichkeit dieser Schadenszufügung nicht nachweisbar ist, auf die schuldhafte Verletzung des Beweismittelvertrages. Wird er nunmehr obsiegen, wenn der Abschluß des Beweismittelvertrages im zweiten Rechtsstreit bewiesen werden kann12 ?

2. Beispiel 9: Der Chef der jugoslawischen Militärmission in Berlin hatte im Jahre 1946 von der Klägerin ein Villengrundstück gekauft. Da die Klägerin den Kaufvertrag und die Übereignung für nichtig hielt, verklagte sie den Staat Jugoslawien im Jahre 1953 gemäß § 894 auf Zustimmung zur Grundbuchberichtigung. Die Klage war gegen die Föderative Volksrepublik Jugoslawien, vertreten durch den Chef ihrer Berliner Militärmission, gerichtet. Die Klägerin obsiegte in zwei Instanzen. Im Revisionsverfahren berief sich die Volksrepublik Jugoslawien nach sechsjährigem Streit plötzlich darauf, daß ihr gesetzlicher Vertreter in allen vermögensrechtlichen Prozessen der öffentliche Bundesrechtsanwalt in Belgrad sei. Der BGH wies daraufhin im Jahre 1963 die Klage nach zehnjähriger Prozelldauer als unzulässig ab13• Kann sich die Klägerin nunmehr auf eine schuldhafte Verletzung einer Pflicht zur redlichen Prozellführung berufen und in einem Zweitprozell den Ersatz des Schadens verlangen, der ihr durch eine pflichtwidrige Prozeßführung der Volksrepublik Jugoslawien entstanden ist1 4?

3. Beispiel 10: Die Prozellparteien hatten im Jahre 1933 einen notariellen Grundstückskaufvertrag geschlossen. Sie führen darüber den dritten Rechtsstreit miteinander. Im ersten Prozeß wurde die Grundstückverkäuferin rechtskräftig zur Auflassung des Grundstücks verurteilt. Schon vor der Eintragung der Käuferin in das Grundbuch klagte die Verkäuferin - im Resultat in drei Instanzen erfolglos - auf Feststellung, daß die Käuferin aus dem Urteil im ersten Prozeß keine Rechte herleiten dürfe, sowie auf Feststellung von Schadensersatzansprüchen. Die Käuferin und jetzige Grundstückseigentümerin, die aufgrund des zweiten Rechtsstreits von der Errichtung eines Bauwerks abgesehen hatte, sieht Hans-Jürgen Hellwig, 60, 70. ts BGHZ 40, 197. ~' Dölle, Festschrift für Riese, 291, 292.

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28

§ 1 Die Wechselwirkung von Zivil- und Prozeßrecht in der Kasuistik

sich nun durch die Kostensteigerung auf dem Baumarkt erhöhten Baukosten ausgesetzt. Sie klagt im dritten Prozeß gegen die Verkäuferin auf Schadensersatz. Steht der Klägerin ein Schadensersatzanspruch aus schuldhafter Verletzung einer nachwirkenden Nebenpflicht aus dem Kaufvertrag, aus einer schuldhaften Eigentumsverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB oder gemäß §§ 823 Abs. 2, 858 BGB wegen schuldhaft verbotener Eigenmacht zu? Oder können Vertragspflichten und deliktisch geschützte Rechtspositionen durch Erhebung einer Klage nicht verletzt werden15 ?

4. Beispiel 11: Eine Prozeßpartei trägt in einem Rechtsstreit u. a. vor, der Prozeßgegner gehe notorisch darauf aus, ihr Nachteile zuzufügen, versuche mit allen Mitteln zu verhindern, daß die objektive Wahrheit an das Licht komme, und müsse von jedem abgelehnt werden, der nur einen Rest Ehre im Leib habe. Der Prozeßgegner erhebt in einem zweiten Prozeß Klage auf Widerruf und Unterlassung. Ist die Klage im Hinblick auf die Ehrverletzung aus § 1004 BGB begründet16? Oder sind ehrverletzende Ausführungen hinzuzunehmen, die in einem Schriftsatz an das Gericht enthalten sind und zum Zweck der Prozeßführung gemacht werden17? B. Systematisierung I. Wedlselwlrkungen in den Beispielsfll.llen

Sämtliche Eingangsbeispiele sind der modernen Doktrin oder Praxis entnommen. Die Lösung der darin aufgeworfenen Rechtsprobleme interessiert zunächst18 weniger als der analytische Vergleich der Fallgestaltungen und deren daraus resultierende - freilich nur vorläufige19 BGHZ 20, 169. Die prozessuale Zulässigkeit der Unterlassungsklage, die evtl. im Hinblick auf die gerichtliche Prüfung im ersten Prozeß am fehlenden Rechtsschutzinteresse scheitern könnte, bleibt vorerst dahingestellt. 17 Abwandlungen von BGH JZ 1962, 486; der Originalfall des BGH unterscheidet sich insoweit, als die Ehrverletzungen im Schriftsatz des Anwalts im ersten Prozeß enthalten waren und dieser im zweiten Rechtsstreit der Beklagte war. 18 Die Eingangsbeispiele werden an verschiedenen Stellen der Arbeit aufgegriffen; die Einzelanalyse erfolgt in §§ 7, 8 und 9 der Arbeit. u Voraussetzung für eine entgültige Systematisierung ist eine Abgrenzung zwischen Prozeßrecht und materiellem Recht, wie sie zwn Zweck dieser Arbeit - auch mit Auswirkungen für die Definition der Parteiprozeßhandlung -noch vorgenommen werden muß; vgl. dazu §'§ 2 BI, II (S. 45 ff., 53 ff.) und 2 C (S. 84 ff.). Soweit also in der hier versuchten vorläufigen Systematisierung materiell-rechtliche oder prozeßrechtliche Einordnungen vorgenommen werden, sind sie nur als Andeutung der späteren Systematisierung zu verstehen. 15

ta

B. Systematisierung

29

- systematische Einordnung. Diese Einordnung fällt trotz der eingefügten Zwischenüberschriften schwer. Auffällig ist vorerst nur, daß es sich um Mischstrukturen handelt, die dem indoktrinierten Trennungsdenken zwischen Zivil- und Prozeßrecht irgendwie widerstreiten. Keine Fallgruppe läßt sich nämlich, auch wenn die Rechtsdogmatik dies bisweilen versucht20, ganz unbefangen allein dem Zivil- oder ganz dem Prozeßrecht zuordnen. Besonders deutlich ist die Mischstruktur bei der Patentnichtigkeitsklage des Lizenznehmers21 und bei der Zurücknahme der Ausschließungsklage durch einen von drei klagenden Gesellschaftern22• In beiden Fällen lassen sich die möglichen prozessualen Rechtsfolgen - die Unzulässigkeit der Klage bzw. die Unwirksamkeit der Klagerücknahmeallein auf die materiell-rechtlichen Verträge der Prozeßparteien zurückführen. Der Lizenzvertrag sieht zwar nicht ausdrücklich eine "Nichtangriffsabrede"23 gegen das Patent vor; doch läßt sich eine solche als konkludente Nebenpflicht aus dem Lizenzvertrag entnehmen: Dieser ist als Gegenleistung für eine vorhergehende Klagerücknahme schwerlich mit der Wiederholung der Klage vereinbar. Zudem enthält der Lizenzvertrag angesichts der verabredeten Zusammenarbeit gesellschaftsvertragliche Elemente, die eine gesteigerte Rücksichtspflicht gegenüber den Interessen des Vertragspartners erfordern24• Die gemeinsam auf Ausschließung eines anderen klagenden Gesellschafter sind zwar, wie das Prozeßrecht in § 62 ZPO etwas vage formuliert, notwendige Streitgenossen aus einem sonstigen Grunde25 ; notwendige Streitgenossen sind aber im deutschen Recht keine einheitliche Streitpartei28• Sie führen grundsätzlich ihren Prozeß selbständig. Sie können prinzipiell ihre eigene Klage zurücknehmen. Deshalb ist auch gegen die Zurücknahme der Ausschließungsklage nach § 140 HGB durch einen von mehreren Gesellschaftern jedenfalls dann nichts einzuwenden, wenn eine gesellschaftsvertragliche Mitwirkungspflicht bei der Erhebung der Ausschließungsklage nicht (mehr) besteht27 • Die prozessuale Rechtsfolge kann sich daher auch hier nur aus materiell-rechtlichen Rechtsbeziehungen ergeben. Ebenso ist es bei der Fallgruppe widerrechtlich erlangter Beweismittel28 • Die ZPO enthält dafür kein allgeEinzelnachweise unter § 2 C (S. 84- 94). 21 Beispiel 1. 22 Beispiel 2. !S Vgl. dazu BGHZ 10, 22. 24 BGH GRUR 1958, 177, 178. 25 Vgl. vorerst nur Säcker, JZ 1967, 52; näher unten§ 7 BI 2 c (S. 222- 227). 26 Vgl. demgegenüber für das Österreichische Recht: Holzhammer, 30 ff.

20

21

Säcker, JZ 1967, 53.

zs Beispiel 5.

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§ 1 Die Wechselwirkung von Zivil- und Prozeßrecht in der Kasuistik

meines Beweis- und Verwertungsverbot; die Wertungen des materiellen Deliktsrechts29 könnten aber in den Prozeß transformiert werden. Umgekehrt deutet der eingeklagte Schadensersatzanspruch wegen schuldhafter Verletzung eines Beweismittelvertrags30 auf eine materiell-rechtliche Sanktion aus einem prozessualen Pflichtenkreis hin. Soweit Beweismittelverträge überhaupt zulässig sind31, werden sie von der h. M. nicht mehr als verpflichtende privatrechtliche Verträge betrachtet32. Vielmehr wird ihnen namentlich seit der grundlegenden Untersuchung von Schiedermair88 meist eine unmittelbar verfahrensgestaltende Wirkung beigelegt, für die sich die Terminologie "Verfügungswirkung" eingebürgert hat34 • Allerdings gibt diese Verfügungswirkung für einen Schadensersatzanspruch nichts her, und eine ergänzende Parteipflicht wird, wenn man sie nicht überhaupt ablehnt85, als materiell-rechtlicher Annex abgetan30• Die zusätzliche Existenz von Verpflichtungswirkungen bei unmittelbar verfahrensgestaltenden Prozeßvereinbarungen mag an dieser Stelle offenbleiben37• Auf jeden Fall wäre die Abspaltung einer zivilrechtliehen Pflicht aus einer Prozeßvereinbarung mit Verfügungswirkung gekünstelt und höchstens dann folgerichtig, wenn man aucll umgekehrt beim Lizenzvertragl8 die stillschweigende Nichtangriffsabrede gegen ein Patent aus dem materiellrechtlichen Kontext lösen und dem Prozeßrecht zuordnen würde. Weniger klar ist die Mischstruktur bei den Fallgestaltungen der Beweisvereitelung90. Für die Beweisvereitelung enthält immerhin § 444 ZPO eine - auf den Urkundenbeweis und absichtliches Handeln eingeschränkte - Grundnorm, deren gesetzessystematische Stellung auf eine rein prozeßrechtliche Erscheinung hinweist40• In der Tat gibt es 29 Bei der Verletzung des Persönlichkeitsrechts ist auch an verfassungsrechtliche Wertungen zu ·denken. so Beispiel 8. a1 Zu Systematik und Zulässigkeit von Prozeßvereinbarungen näher § 7 BI 1 a (S. 188- 216). 12 Vgl. dazu etwa noch Niese, Prozeßhandlungen, 75, 83, 86.

88

Schiedermair, 119.

RGZ 102, 217, 220; Hans-Jii.rgen Hellwig, 60; Schiedermair, 95; diese Terminologie wird im weiteren Text verwendet; vgl. auch Hellwig, 60 FN 152, der zur Unterscheidung von materiell-rechtlichen Verfügungen auch die Bezeichnung "verfügungsähnlich" aufführt. as Vgl. vorerst nur Schiedermair, 96, 116, 177, a& Vgl. Baumgärtel, Wesen, 207; er läßt für den antizipierten Rechtsmittelverzicht die Möglichkeit materiell-rechtlicher Wirkungen immerhin offen. Anders prinzipiell Hans-Jii.rgen Hellwig, 60 ff. m. w. N. für die Gegenmeinung auf S. 60 FN 153. 37 Vgl. dazu § 7 B I 1 a cc) (S. 209- 216). as Beispiel 1. so Beispiele 3, 4. 84

B. Systematisierung

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prozessuale Deutungsversuche der Beweisvereitelung4 1, während andererseits eine Ableitung prozessualer Sanktionen aus den auf Erfüllung bzw. Schadensersatz zugeschnittenen Vertragspflichten und Deliktstatbeständen auf Transformationsschwierigkeite n stößt. Dennoch werden gerade die in der Judikatur ausgeprägten, klassischen Fallgestaltungen der Beweisvereitelung durch materiell-rechtliche Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien geprägt. Und es ist symptomatisch, daß Gerhardt, der die Rechtsfolgen der Beweisvereitelung auf ein prozessuales venire contra factum proprium zurückführt, diese Generalformel anschließend mit Hilfe dieser materiell-rechtlichen Tatbestände konkretisiert42. Damit werden Verbindungslinien zwischen Zivil- und Prozeßrecht sichtbar. Die Verzahnung beider Disziplinen zeigt sich auch bei den Anwendungsfällen des§ 242 BGB im Zivilprozeß 43. Wer darauf vertrauen darf, daß ein materielles Recht nicht mehr ausgeübt wird, kann sich bei zivilrechtliehen Rechtsbeziehungen auf Verwirkung oder auf eine venire contra factum proprium berufen44 • Bei der Erhebung einer Patentnichtigkeitsklage nach §§ 13 Abs. 1 Nr. 1, 37 Abs. 1 PatG und der ZUrücknahme der Berufung im Scheidungsrechtsstreit46 geht es demgegenüber um prozessuale Handlungen gegenüber dem Gericht. § 242 BGB gilt daher allenfalls analog; d. h. materiell-rechtliche Maßstäbe müßten auf den Prozeß übertragen werden. Auch wer mit Zeiss eine Generalklausel des honeste procedere konzipiert48, kann dieser Konsequenz nicht entgehen. Er muß nämlich nachweisen, daß ein außerprozessualer Vertrauenstatbestand für den Prozeßgegner ausreicht, um Parteihandlungen gegenüber dem Gericht mit prozessualen Sanktionen zu versehen. Prozessuale Wirkungen aus außerprozessualen Vertrauenstatbeständen, die etwa Dütz für das "Recht auf Anrufung der Gerichte" anzweifelt47 , lassen sich aber nur durch den Fallvergleich mit zivilrechtliehen Fallstrukturen ermitteln. Anders als bei der prozessualen Verwirkung wird bei der Schadensersatzpflicht aus schuldhafter Verletzung einer Pflicht zur redlichen Pro40 Vgl. weiterhin auch§ 427 ZPO; damit wird nicht behauptet, daß die gesetzessystematische Stellung abschließend die Abgrenzung von Prozeßrecht und materiellem Recht bestimmt; vgl. dazu § 2 BI 3 (S. 48 ff.). 41 überblick bei Gerha.rdt, AcP 169, 297; vgl. namentlich Egbert Peters, ZZP 82, 200. 42 Gerha.rdt, AcP 169, 308 ff. 43 Beispiele 6, 7. " Zur Unterscheidung von Verwirkung und venire contra factum proprium: Zeiss, Prozeßrecht, 124 sowie unten§ 8 BI (S. 253 f.). 45 Beispiel 7. 48 Zeiss, Prozeßpartei, 17.

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Dii.tz, NJW 1972, 1027.

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§ 1 Die Wechselwirkung von Zivil- und Prozeßrecht in der Kasuistik

zeßführung eine materiell-rechtliche Rechtsfolge mit einem Prozeßverhalten verknüpft. Im Fall der jugoslawischen Militärmission's besteht daher, wenn man mit Dölle für eine Ersatzpflicht eintritt49 , die Wechselwirkung darin, daß einem innerprozessualen Verhalten eine Außenwirkung zwischen den Prozeßparteien beigemessen wird. Diese Wechselwirkung besteht unabhängig davon, ob man den Prozeßverstoß auf §§ 279, 529 ZPO zurückführt60 oder auch hierfür auf § 242 BGB retiriert. Wesentlich lockerer erscheint die Verbindung von Zivil- und Prozeßrecht in den Fallgruppen der vertragswidrigen und deliktischen Klagen51 sowie des ehrverletzenden Parteivortrags62 . In diesen Fällen werden zivilrechtliche Rechtsfolgen, Schadensersatz bzw. Unterlassung oder Widerruf, auf den Kaufvertrag oder auf die materiell-rechtlichen Tatbestände der §§ 823 oder 1004 BGB gestützt. Die prozessuale Dimension scheint sich in der Zielsetzung zu erschöpfen, die Bewertung des Prozeßverhaltens im Rahmen der materiell-rechtlichen Tatbestände zu privilegieren, um den Rechtsschutz nicht durch drohende materiell-rechtliche Nebenfolgen dieses Verhaltens zu verkürzen. Dafür spricht auch, daß die zur Privilegierung des Parteiprozeßverhaltens eingesetzten Mittel - wie die Anwendung des § 193 StGB, der vom BGH geschaffene Rechtfertigungsgrund der gerichtlichen Inanspruchnahme63 und die deliktischen Verhaltensnormen, die Hopt auf der Grundlage des Verhaltensunrechts zur Feststellung eines Deliktstatbestandes konzipiert64 , äußerlich materiell-rechtlichen Zuschnitt haben. Dennoch ist auch bei diesen Fallstrukturen die Privilegierung des Prozeßverhaltens von einer Überwindung des Trennungsdenkens abhängig. Ein Hinweis dafür findet sich bereits bei einem Vorgriff auf die Dogmengeschichte55 : Im gemeinen Recht tat, soweit man dort das Klagrecht dem materiellen Recht entnahm56, der Kläger Unrecht, wenn er Unrecht hatte57• Anders war •s Beispiel 9. 40 Dölle, Festschrift für Riese, 291, 292. 50 Henckel, Prozeßrecht, 290. 51 Beispiel 10. 52 Beispiel 11. 53 Deutlich in BGHZ 36, 18; vgl. auch in die im Beispiel 10 verwendete Entscheidung BGHZ 20, 169. &4 Hopt, 192 ff., 251 ff. 56 Zur Geschichte und den Ursachen des Trennungsdenkens vgl. §§ 4 - 6 (S. 104 - 171).

56 Das gilt nicht nur für die Zeit vor der Trennung von Anspruch und actio, sondern auch auf der Grundlage des Rechtsschutzanspruches, mit dem Wach zerrissene Bande zwischen Anspruch und actio wieder hergestellt hatte. Vgl. dazu Wach, Feststellungsanspruch, 14, 15, 27. Da der Rechtsschutzanspruch als vorprozessualer, publizistischer Anspruch auf ein günstiges Sachurteil gedacht war, insofern also partiell vom materiellen Recht abhing, mußte die unberechtigte Klage widerrechtlich sein. Vgl. zum Rechtsschutzanspruch erstmals Wach, Handbuch, 19 ff.

B. Systematisierung

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es nur, wenn man, was schon Wach58 bemerkt und gegen Degenkalbs ursprünglichen68 Klagerechtsbegriff80 eingewandt hat, das Trennungsdogma durch die Berücksichtigung prozessualer Grundsätze im materiellen Recht überwandt. In der modernen Dogmatik stellt sich der gleiche Problemansatz: Bei konsequenter Befolgung des Trennungsdogmas müßte das Prozeßverhalten ohne Rücksicht auf seinen prozessualen Zweck an den Maßstäben des materiellen Vertrags- oder Deliktsrechts gemessen werden. Für eine Privilegierung des Parteiprozeßverhaltens wäre dann nur Raum, wenn sie sich auf materiell-rechtliche Normen zurückführen ließe. Indessen beziehen sämtliche Mittel zur Privilegierung des Parteiprozeßverhaltens eindeutig prozeßrechtliche Wertungen ein. Das gilt sowohl für die von Hopt konzipierten Verhaltensnormen und den Rechtfertigungsgrund der gerichtlichen Inanspruchnahme als auch ganz besonders für die Autoren, die entweder ein Delikt durch ein Prozeßverhalten nur beim Verstoß gegen prozessuale Pflichten annehmen81 oder die prinzipielle Rechtfertigungswirkung einer "Inanspruchnahme des Gerichts" beim Verstoß gegen prozessuale Parteipflichten ausschließen82 • Alle Bemühungen um eine deliktsrechtliche Privilegierung von Klagen implizieren daher eine - meist unbemerkte Auflockerung des Trennungsdenkens, indem sie zwar von einer systematischen Abtrennung des Prozeßrechts vom Zivilrecht ausgehen, aber eine Wechselwirkung durch Berücksichtigung des besonderen prozessualen Zwecks bei der Bewertung des Parteiprozeßverhaltens im außerprozessualen Bereich zulassen.

57 Vgl. etwa Konrad Hellwig, Klagmöglichkeit, 86 sowie neuerdings Peeher, 75, m. w. N. in FN 90. ss Wach, GrünhutsZ VI, 543, 544; er verweist darauf, daß eine gutgläubige,

erhebliche Klagebehauptung nur auf Kosten des Beklagten als subjektives Klagrecht angesehen werden kann, und wendet sich gegen die Konsequenz, daß diese unberechtigte Klage als rechtmäßig angesehen werden müßte. Demgegenüber findet er es in einer heute gänzlich übersehenen Stellungnahme zum modernen Problem widerrechtlicher Klagen nicht abwegig, an die rechtswidrige Eigenmacht (der unberechtigten, d. h. auch unbegründeten Klage) die Haftung für alle daraus entstehenden Schäden zu knüpfen. Dieses Ergebnis trifft sich mit den Konsequenzen des später von ihm entwickelten Rechtsschutzanspruchs; vgl. dazu FN 56. 69 Degenkalb hat seine Meinung später unter dem Eindruck der Doktrin Bülows modifiziert; vgl. Degenkolb, Beiträge, 48. eo Degenkalb nahm ursprünglich ein abstraktes, publizistisches Klagerecht auch gegenüber dem Beklagten an. Es war von der materiellen Rechtslage unabhängig. Nur mußte die Klagbehauptung subjektiv ehrlich und objektiv rechtserheblich sein; vgl. Degenkolb, Einlassungszwang, 41. at Jilrgen Blomeyer, 42- 47; Zeiss, NJW 1967, 708. 82 Hans-Jilrgen Hellwig, NJW 1968, 1074. ~

Konzen

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§ 1 Die Wechselwirkung von Zivil- und Prozeßrecht in der Kasuistik

II. Vergleich der Eingangsbeispiele

Auch wenn sämtliche Eingangsbeispiele Mischstrukturen darstellen, sind doch die nachweisbaren Querverbindungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht offenbar recht unterschiedlich. Um die Verschiedenartigkeit der Verbindungslinien aufzudecken, ist ein Blick auf die zahlreichen Unterscheidungsmerkmale zwischen den einzelnen Fallgestaltungen geboten: Die Unterschiede überwiegen bei weitem. Sie beginnen bei den potentiellen Rechtsfolgen. Von diesen sind nicht nur manche für das Zivilrecht, andere für das Prozeßrecht charakteristisch. Auch innerhalb der prozessualen Sanktionen finden sich Differenzierungen. Manchmal geht es um die Unzulässigkeit oder Unbeachtlichkeit des Parteiverhaltens im Prozeß, in anderen Fällen- etwa bei der Beweisvereitelung- um eine Erweiterung der freien richterlichen Beweiswürdigung oder um eine Beweislastumkehr oder - bei den Fallstrukturen der widerrechtlich erlangten Beweismittel- um ein Beweis- und Verwertungsverbot. Die Divergenz setzt sich bei den Tatbestandsvoraussetzungen fort, aus denen die skizzierten Rechtsfolgen deduziert werden. Die Verstöße gegen Beweismittelverträge und gegen die im Beispielsfall der jugoslawischen Militärmission83 postulierte Pflicht zur redlichen Prozeßführung sind, jedenfalls wenn man letztere auf§§ 279, 529 ZPO stützt, spezifisch prozessuale Erscheinungen. Dagegen gehören die Verletzungen des Lizenzvertrags durch die Erhebung der Patentnichtigkeitsklage, die unterlassene Mitwirkung des Gesellschafters im Streitgenossenschaftsfall und die vorprozessuale "Beweisverteilung" unter Verstoß gegen den Arztvertrag bei unbefangener Betrachtung64 ebenso in das materielle Recht wie die von den Deliktstatbeständen erfaßbaren Fallgruppen der Vernichtung oder Entwendung von Beweismitteln und der Rechtsverletzung durch Klagen und Parteibehauptungen. Bei der an materiell-rechtlichen Parallelbeispielen orientierten Verwirkung prozessualer Befugnisse geht es zumindest um die analoge Anwendung einer zivilrechtliehen Norm. Weiterhin ist auch das in der Eingangskasuistik bewertete Parteiverhalten von unterschiedlichem systematischem Stellenwert. In den meisten Fällen, bei der Erhebung von Klagen, der Zurücknahme der Berufung, der Benennung eines durch Beweismittelvertrag ausgeschlossenen Zeugen und bei ehrverletzendem Parteivortrag im Prozeß, läßt sich das Parteiverhalten ganz unbefangen85 als Prozeßhandlung bezeichnen. Bisweilen zielt die tatbestandliehe Anknüpfung an diese Pares Beispiel 9. ec Vgl. näher § 2 C (S. 84 ff.). 85 Vgl. zur Abgrenzung von Prozeßhandlungen und sonstigem Parteiverhalten näher § 2 B II (S. 53 ff.).

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teiprozeßhandlungen auf einen laufenden Prozeß ab; so wenn die Vornahme88 oder die Unterlassung87 von Prozeßhandlungen geschuldet oder der Ausübung von Prozeßhandlungen mit dem Gedanken der Verwirkung begegnet wird. In den Fällen der Schadensersatzpflicht aufgrund deliktischer Klagen und der Unterlassung ehrverletzender Prozeßbehauptungen bildet demgegenüber die Vornahme einer Prozeßhandlung erst den Anlaß zu einerneuen Konfliktssituation, die in einem weiteren Prozeß zur Entscheidung anstehen kann. Das gleiche gilt für die Folgen des Abbruchs der geschäftlichen Beziehungen durch einen vertragswidrig vernommenen Zeugen. Gerade umgekehrt wiederum geht es bei einzelnen Fallgestaltungen der Beweisvereitelung und bei der deliktischen Entwendung von Beweismitteln um Auswirkungen eines außerprozessualen Verhaltens auf einen laufenden Prozeß68• Schließlich ist auch die Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge verschiedenartig. Neben prozessualen Sanktionen aus materiell-rechtlichen Tatbeständen sowie umgekehrt materiell-rechtlichen Rechtsfolgen aus prozeßrechtlichen Tatbeständen wird mit der deliktsrechtlichen Privilegierung von Klagen und ehrverletzenden Prozeßhandlungen eine weitere Fallgruppe sichtbar, in der zwar Tatbestand und Rechtsfolge dem Zivilrecht entnommen sind, aber d1e zivilrechtliche Bewertung des Parteiverhaltens nicht ohne Überwindung des Trennungsdenkens und möglicherweise nicht ohne Rückgriff auf prozessualeNormen möglich ist. Der Vergleich dieser letzten Fallgruppe mit dem restlichen Fallkatalog führt zugleich zu dem merkwürdigen Befund, daß die Wechselwirkungen durchaus gegenläufige Zielrichtungen haben88 : Während bei Schadensersatzansprüchen aufgrund eines Verstoßes gegen prozessuale Pflichten eine Erweiterung des zivilrechtliehen Haftungssystems vorgenommen und ebenso umgekehrt die Kontrolle des prozeßerheblichen Parteiverhaltens mit Hilfe zivilrechtlicher Vertragspflichten und der gesetzlichen Normierungen der §§ 823 und 242 BGB strenger gestaltet wird, soll bei deliktischen Klagen das Prozeßverhalten gerade privilegiert werden. Diese Gegenläufigkeit wird bei der Einzelanalyse noch Beispiel 2. Beispiel 1. 68 Daran ändert sich auch nichts, wenn man dahin argumentiert, der Richter habe in den Fällen der Beweisvereitelung und der widerrechtlichen Beschaffung von Beweismitteln die Nichtvorlage eines Beweismittels bzw. den Beweisantritt durch die Partei- und damit also die Unterlassung bzw. Vornahme von Parteiprozeßhandlungen - zu bewerten. Denn deren Bewertung hängt wiederum von der materiell-rechtlichen Beurteilung des außeroder sogar vorprozessualen Parteiverhaltens und vom Nachweis ab, daß dieses prozeßerheblich ist. es Eine Andeutung findet sich allein bei Zeiss, NJW 1967, 706 f . vgl. auch Baumgärtel, Festschrift für Schima, 57. 68

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§ 1 Die Wechselwirkung von Zivil- und Prozeßrecht in der Kasuistik

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plastischer: Während Dölle70 die Schadensersatzpflicht beim Verstoß gegen redliches Prozeßverhalten offenbar konzipiert, um den gewünschten Vermögensschutz über die Reichweite des Deliktsrechts hinaus zu gewährleisten, schränkt der BGH71 mit dem Rechtfertigungsgrund der gerichtlichen Inanspruchnahme die Deliktshaftung gerade ein72. Der gleiche Zwiespalt ergibt sich aus einer Gegenüberstellung der im obigen Fallkatalog skizzierten Erkenntnisse des BGH über vertragswidrige Klagen73 : Bei der Patentnichtigkeitsklage mißt der BGH die Klage streng an der vertraglichen Nebenpflicht aus dem Linzenzvertrag7'. Bei der gegen die Auswirkungen eines Kaufvertrags gerichteten Feststellungsklage überspielt er den potentiellen Verstoß gegen eine nach Abwicklung des Kaufvertrags fortbestehende, nachwirkende Vertragsbindung mit dem lapidaren Hinweis, allein in der Erhebung einer Klage- um vermeintliche Rechte durchzusetzen- könne ein Verstoß gegen Treu und Glauben und damit eine zum Schadensersatz verpflichtende Vertragsverletzung nicht gesehen werden71. Summarisch gesagt: Die Klage und andere Prozeßhandlungen sind wegen der intendierten Privilegierung des Rechtsschutzes nicht ohne weiteres Verstöße gegen zivilrechtliche Vertragspflichten, gegen Treu und Glauben und gegen Deliktstatbestände, soweit es sich um materiell-rechtliche Sanktionen aus diesen zivilrechtliehen Tatbeständen handelt. Dagegen werden diese zivilrechtliehen Tatbestände unbekümmert angewendet, um mit ihrer Hilfe prozessuale Folgen von Klagen und anderen Prozeßhandlungen zu statuieren. Bereits diese gegenläufigen Verbindungslinien zwischen Zivil- und Prozeßrecht gebieten, das bislang nicht im Zusammenhang erörterte Geflecht der Wechselwirkungen zwischen beiden Disziplinen, wie es von der Eingangskasuistik umrissen wird, einer näheren Untersuchung zu unterziehen. Diese ist um so dringlicher, als die aufgezeigten Wechselwirkungen in einer deutlichen Antinomie zum überkommenen Trennungsdenken der Zivilprozeßrechtsdogmatik stehen. Die zahlreichen Verschiedenartigkeiten zwischen den einzelnen Fallgestaltungen erschweren dabei die abstrakte Fixierung des Themenrahmens. Dennoch läßt sich bei näherem Zusehen ein gemeinsamer Nenner finden. Fast allen Beispielen ist nämlich eigentümlich, daß zwischen den Beteiligten Rechte und Pflichten - entweder aus freiwilligen Dispositionen der Dölle, Festschrift für Riese, 291, 292. Vgl. vorerst nur BGHZ 20, 169; BGHZ 36, 18. 12 Das gilt auch für alle anderen Versuche, die Deliktshaftung bei Klagen einzuschränken. 73 Beispiele 1, 10. 74 BGH GRUR 1958, 177, 178. 75 BGHZ 20, 169, 172. 10

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B. Systematisierung

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Rechtssubjekte oder aus rechts- oder pflichtwidrigem Verhalten (unerlaubten Handlungen, Vertragsverletzungen) - begründet werden. Für die Umschreibung dieser rechtlichen Beziehungen zwischen Rechtssubjekten kennt die zivilrechtliche Terminologie die Bezeichnung Rechtsverhältnisse16• Unter diesen Begrüf lassen sich auch die Fälle der Verwirkung fassen, bei denen- jedenfalls im Zivilrecht- Schranken der Rechtsausübung gegenüber einem anderen Rechtssubjekt errichtet werden17• Dagegen ließe sich höchstens einwenden, daß in den prozessualen Verwirkungsfällen78 die Erhebung der Klage und die Zurücknahme der Berufung Erklärungen an das Gericht seien und daß damit kein Recht gegenüber dem Prozeßgegner ausgeübt werde. Indessen ist eine Verwirkung prozessualer Befugnisse durch einen außerprozessualen Vertrauensschutz des Prozeßgegners nur möglich, wenn die Prozeßführung (auch) eine Rechtsbeziehung gegenüber dem Prozeßgegner begründet79• Insoweit läßt sich auch diese Fallgruppe, soweit eine prozessuale Verwirkung anerkannt werden kann80, als Rechtsverhältnis kennzeichnen. Die von der Eingangskasuistik erfaßten Rechtsverhältnisse weisen allerdings Besonderheiten auf: Sie sind Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien81 , bei denen anscheinend eine Wechselwirkung zwischen Zivil- und Prozeßrecht entweder die Kluft zwischen den Tatbestandsvoraussetzungen und den Rechtsfolgen beider Disziplinen überbrückt oder weitergehend die Bewertung des Parteiverhaltens- nämlich die Vornahme oder Unterlassung von Parteiprozeßhandlungen sowie von außerprozessualem, aber prozeßerheblichem Verhalten82 - beeinflußt. Die damit umschriebenen Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien sind im folgenden genauer zu analysieren. 1e Enneccerus/Nipperdey, § 71 I 3 (S. 427). 1'1 Die Rechtsbeziehung zu einem anderen ist in diesen Fällen deutlich, wenn man mit der romanistischen Vorstellung von an sich schrankenlosen subjektiven Rechten ausgeht, die bei einer .,unzulässigen Rechtsausübung" durch entgegenstehende Befugnisse anderer (Außenschranken) begrenzt werden. Aber auch die deutschrechtliche Konzeption von den immanenten Schranken eines subjektiven Rechts, die sich heute allgemein durchgesetzt hat, kennt Schranken gegenüber einem anderen Rechtssubjekt; vgl. vorerst nur Säcker, JZ 1967, 54. 78 Beispiele 6, 7. 1a Vgl. Henckel, Prozeßrecht, 61 ff.; Henckel folgert aus dem Zweck des Zivilprozesses, dieser sei ein Verfahren zur Ausübung materieller Privatrechte, und erschließt mit dieser Grundlage die Anwendbarkeit materiellrechtlicher Wertungen im Prozeßrecht; vgl. näher § 8 A (S. 251). 80 Selbstverständlich ist die Verwirkung prozessualer Befugnisse damit nicht antizipiert, sondern erst zu begründen; vgl. § 8 B II (S. 254- 270). 81 Der Streitgenossenschaftsfall (Beispiel 2) zeigt, daß damit nicht notwendig Prozeßgegner gemeint sind. s2 Der Untertitel der Arbeit bezeichnet diese Fallstrukturen verkürzt als .,prozeßerhebliches Parteiverbalten".

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§ 1 Die Wechselwirkung von Zivil- und Prozeßrecht in der Kasuistik

Bevor die dabei entstehende Problematik dargelegt wird, erscheint ein knapper Blick auf die in diesen Mischstrukturen eingefangenen Interessenlagen zweckmäßig. C. Interessenlagen Nicht alle von den Eingangsbeispielen nahegelegten Wechselwirkungen erweisen sich bei einer Analyse der beteiligten Interessen als absolut zwingend. So läßt sich im Streitgenossenschaftsfall83, auch wenn man bei Personenhandelsgesellschaften von mindestens drei Mitgliedern die Mitwirkungspflicht des Gesellschafters bei der Ausschließung eines Mitgesellschafters anerkennt, zweifeln, ob die unter den Streitgenossen aufgetretenen Streitigkeiten nicht in einem weiteren Prozeß auszutragen sind, in dem sich die Streitenden als Prozeßgegner gegenüberstehen84. Bei den Fallstrukturen widerrechtlich erlangter Beweismittel85 ist andererseits zu beachten, daß die deliktischen Rechtsverletzungen durch heimliche Tonbandaufnahmen oder die Entwendung von Beweismitteln häufig einer Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO durch den Prozeßgegner begegnen, so daß die für den Prozeß fixierten Normierungen einer Berücksichtigung des außerprozessualen Deliktsverhaltens entgegenstehen könnten. Schließlich ist auch die Schadensersatzpflicht im Beispielsfall der jugoslawischen Militärmission88 nicht nur dem Einwand ausgesetzt, daß damit die prozessualen Rechtskraftschranken überspielt werden87. Es ist zudem auch nicht sicher, ob ein Verstoß gegen die Normen der §§ 279, 529 ZPO Wirkungen haben kann, die über den laufenden Prozeß hinausreichen. In den Restfällen allerdings erscheinen die Querverbindungen zwisch Zivil- und Prozeßrecht und damit auch die angedeutete gegenläufige Zielrichtung der Wechselwirkungen durchaus interessengerecht: Wäre die Erhebung der Patentnichtigkeitsklage zulässig, obwohl gerade deren Unterlassen die Gegenleistung für die Einräumung eines Lizenzvertrages bildet88, so würde der intendierte Vertragszweck verzerrt. Dieser Verzerrung könnte man auch nicht dadurch entgehen, daß man den Patentinhaber in einem Zweitprozeß auf die Einhaltung der stillschweigenden "Nichtangriffsabrede" oder auf Schadenersatz klagen ließe. Im ersteren Fall käme es möglicherweise zu einer Bindung des 8s Beispiel 2. 84 Vgl. näher§ 7 B I 2 c (S. 222- 227). 85 Beispiel 5. 88 Beispiel 9. 87 Vgl. nur Henckel, Prozeßrecht, 292. 88 Beispiel 1.

C. Interessenlagen

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Richters im Erstprozeß an die Entscheidung des Zweitprozesses und damit zu einer merkwürdigen Verschachtelung der Rechtsstreite. Bei der Ersatzpflicht bestünde der Schaden gerade im Erfolg der Patentnichtigkeitsklage, so daß die Gewährung von Schadenersatz die Entscheidung über die Patentnichtigkeitsklage korrigieren müßte. In den Fällen der Beweisvereitelung wiederum kommt es zunächst darauf an, ob nicht §§ 427, 444 ZPO insoweit eine abschließende Regelung enthalten und die Berücksichtigung materiell-rechtlicher Verstöße im Prozeß ausschließen. Ist aber die Hürde dieser Vorschriften überwindbar, so bliebe beispielsweise die Verletzung des Arztvertrages durch die Vernichtung von Röntgenaufnahmen oder Krankenblättern ohne unmittelbare prozeßrechtliche Rechtsfolgen sanktionslos. Ein Schaden wäre nicht nachweisbar, da die Beweiskraft der vernichteten Beweismittel gerade offen ist. Auch in den Verwirkungsbeispielen widerstreitet die Ablehnung der prozessualen Verwirkung dem RechtsgefühL Besonders kraß widerspräche es dem Rechtsempfinden, wenn ein Ehemann nach einem zu seinen Lasten ergangenen Scheidungsurteil und nachträglicher zehnjähriger Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft die Rechtskraft des Scheidungsausspruchs durch eine Erklärung an das Gericht herbeiführen könnte89• Auf diese Weise würde das in § 49 EheG geregelte Institut der Verzeihung, das umgekehrt der Ehefrau bei der Fortsetzung des Scheidungsrechtsstreits entgegengehalten werden könnte, zugunsten des schuldigen Ehepartners pervertiert. Und es ist kaum denkbar, daß die mit dem Trennungsdenken verfolgte Zwecksetzung eine solche Pervertierung des materiellen Rechts trägt. Daß zudem auch die Verwirkung der Patentnichtigkeitsklage90 interessengerecht ist, legt ein erster Vergleich mit anderen Gestaltungsklagen nahe: Nach § 42 Abs. 2 EheG hat ein Ehegatte kein Recht auf Scheidung, wenn er den Ehebruch des anderen durch sein Verhalten absichtlich ermöglicht oder erleichtert hat. Eine dennoch erhobene Scheidungsklage wäre abzuweisen. Dieser Fall ist mit der Patentnichtigkeitsklage durchaus vergleichbar. In beiden Fällen widerspricht es dem Rechtsgefühl, einem Gestaltungsbegehren zu entsprechen, das im Gegensatz zu einem vorhergehenden Verhalten des Gestaltungsklägers steht11 • su Beispiel 7. oo Beispiel 6. 91 Der Gleichsetzung steht auch nicht entgegen, daß nach h. M. der Scheidungsklage - wie die §§ 42 Abs. 2, 49, 50 Abs. 1 EheG anzeigen - und wohl ebenso der Patentnichtigkeitsklage nach §§ 13 Abs. 1 Nr. 3, 37 Abs. 2 PatG ein materielles Gestaltungsrecht zugrunde liegt, während es daran bei der Patentnichtigkeitsklage nach §§ 13 Abs. 1 Nr. 1, 2, 37 Abs. 1 PatG fehlt. Das Rechtsgefühl spricht für eine Gleichstellung beider Fälle; vgl. zur dogmatischen Analyse unten § 8 B II 2 b aa) (S. 258 - 268).

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§ 1 Die Wechselwirkung von Zivil- und Prozeßrecht in der Kasuistik

Die Parteien eines Beweismittelvertrages92, mit dem die Vernehmung eines bestimmten Zeugen im Prozeß ausgeschlossen werden soll, bezwecken, wie Hans-Jürgen Hellwig treffend feststellt93, ersichtlich alle Nachteile einer Vernehmung dieses Zeugen für die von der Vereinbarung begünstigte Partei auszuschließen. Selbst wenn nun im Rechtsstreit der Abschluß des Beweismittelvertrages nicht bewiesen werden kann, spricht doch die Begrenzung der Rechtskraftwirkung auf den Streitgegenstand des Erstprozesses04 durchaus dafür, den Abbruch der geschäftlichen Beziehungen durch den im Erstprozeß vernommenen Zeugen als weitere Wirkung der Verletzung des Beweismittelvertrags im zweiten Prozeß geltend machen zu können. Schließlich lassen sich auch für die materiell-rechtliche Privilegierung von Klagen und sonstigen Parteiprozeßhandlungen96 Indizien finden. Für die Privilegierung spricht nicht nur die vage Billigkeitserwägung, den Rechtsschutz nicht durch drohende materiell-rechtliche Nebenwirkungen einer Parteiprozeßhandlung verkümmern zu lassen, sondern auch ein Vergleich mit dem Pflichtenkreis des Staatsanwalts. Wenn dieser bei seinen umfangreichen, bisweilen durch den Richter unterstützten Ermittlungsmöglichkeiten gemäß § 170 StPO Anklage bereits bei "genügendem Anlaß" zur öffentlichen Klage erheben darf, erscheint es naheliegend, die Verhaltensanforderungen an die Klageerhebung beim Zivilkläger eher milder zu fassen".

D. Problemstellung Die unterschiedlichen Wechselwirkungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht bei den Rechtsverhältnissen zwischen Prozeßparteien°1, die in den Eingangsbeispielen nachweisbbar sind, sowie deren Abweichen von einem strikt verstandenen Trennungsdenken gestatten nunmehr, das Problem dieser Arbeit zu fixieren. Die Aufgabe besteht darin, den geordneten Fallkatalog98 der Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien an den Gründen der Trennungswertung zu messen und ggfs. durch Auflockerung des Trennungsdogmas zu einem System dieser Rechtsverhältnisse zu gelangen. Da die geschilderten Querverbindungen, wie dargelegt, nicht selten im Ergebnis interessengerecht sind, spricht von 92

Beispiel 8.

93

Hans-Jürgen Hellwig, 60.

" Vgl. zur Rechtskraftwirkung beim Beweismittelvertrag Hans-Jürgen

Hellwig, 70.

Beispiele 10, 11. Dazu näher § 9 B li (S. 316 - 328). 87 Vgl. oben § 1 B li a. E. (S. 37). ts Vgl. näher § 2 C (S. 84- 94). 85

96

D. Problemstellung

41

vornherein ein Indiz gegen die Verbindlichkeit der Trennungswertung. Nicht prozeßtheoretische Tradition, sondern allein bindende Gesetzeswertungen können das überkommene Dogmengebäude absichern. Auch wenn zerstörte Verbindungslinien zwischen Zivil- und Prozeßrecht wieder herstellbar sind, kann deren Restitution ganz sicher keine völlige Umkehr bedeuten. Die von § 194 BGB bestätigte Abspaltung des Anspruchs von der actio ist unwiderruflich. Die Eigenständigkeit des Prozeßrechts, das nicht nur die Interessen der Prozeßparteien in einer spezifischen Situation bewertet, sondern auch die Interessen des Staates berücksichtigt und mit dessen Rechtssprechungsmonopol öffentlichrechtliche Komponenten einführt, ist allenfalls partiell korrigierbar, aber nicht generell zu beseitigen. Auf eine solche Teilkorrektur deuten nicht nur die bereits dargelegten99 Bemühungen in der prozessualen Dogmengeschichte hin, systematische Zwischengebilde zwischen Zivilund Prozeßrecht zu konstruieren, sondern auch eine ganze Reihe von Einzeluntersuchungen, in denen etwa Wirksamkeitsvoraussetzungen von bürgerlich-rechtlichen Willenserklärungen auf Parteiprozeßhandlungen übertragen worden sind oder der Sektor der objektiven Rechtskraft mit materiell-rechtlich bestimmten Sinnzusammenhängen erweitert worden ist100• Mit diesen Überlegungen ist bislang für die weitere Untersuchung nur eine Leitlinie gewonnen. Welche Schritte dafür im einzelnen zu unternehmen sind, kann erst eine Betrachtung der Einzelfaktoren ergeben, die in Doktrin und Praxis zum Problemkomplex der Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien auffindbar sind.

sv Einführung vor § 1 FN 13. too Zeuner, passim; dazu neuerdings Henckel, Prozeßrecht, 149 ff. und Rimmelspacher, Anspruch, 183 ff.

§ 2 Die Rechtsbeziehungen der Prozeßparteien in Doktrin und Praxis A. 'Oberblick Das eingangs1 angedeutete Trennungsdenken und seine dogmengeschichtliche Tradition lassen bereits erwarten, daß für Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien des Zivilprozesses in Doktrin und Praxis nur wenig Raum bleibt. Die Durchsicht des Schrifttums ergibt den vermuteten Befund. Ein System von übergreifenden Wertungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht, wie es die Eingangskasuistik zur Ordnung der Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien nahelegt, ist nicht auffindbar. Einzelne Elemente des prozezssualen Dogmengebäudes stehen im Gegenteil solchen Rechtsverhätlnissen entgegen: Zwar sind der modernen Prozeßtheorie Parteipflichten im Zivilprozeß nicht gänzlich fremd; doch lassen sich die Fallgestaltungen, in denen ein Schadensersatzanspruch unmittelbar aus einer schuldhaften Verletzung prozessualer Parteipflichten abgeleitet wird2, nur schwer in die überkommene Dogmatik der Parteipflichten einfügen. Die gesetzlichen Parteipflichten werden nämlich nicht selten primär auf das Gericht bezogen und deshalb als staatsbürgerliche Pflichten verstanden3 • Dadurch richtet sich bei Pflichtverstößen der Blick häufig allein auf unmittelbare Reaktionen des betroffenen Prozeßgerichts. Gewillkürte Parteipflichten andererseits werden nicht nur oft im Prozeßrecht als Fremdkörper empfunden, sondern bei Prozeßvereinbarungen mit Verfügungswirkung fast einhellig abgelehnt. Schon mit diesen Faktoren errichtet die Prozeßrechtsdoktrin Schranken gegen Querverbindungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht. Es kommt als weiterer Gesichtspunkt der Stellenwert der Widerrechtlichkeit in der überkommenen Prozeßrechtsdogmatik hinzu, der zugleich für die Fallgruppen der deliktischen Privilegierung von Klagen und Parteiprozeßhandlungen mit Rücksicht auf deren prozessualen Zweck4 sowie für alle Fälle bedeutsam ist, in denen eine Prozeßpartei gegen außerprozessuale Wertmaßstäbe wie Vertragspflichten oder DeliktstatEinführung vor § 1 (S. 19 - 23). 1 A Beispiele 8, 9. s Besonders deutlich: Nikisch, § 4 II 2 (S. 17); §53 I 1 (S. 202). ' § 1 A, Beispiele 10, 11. 1

2

§

A. Überblick

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bestände verstößt und deshalb mit prozessualen Sanktionen belegt werden soll5 • Zuerst zur Ersatzpflicht aus einem Prozeßverstoß: Schadensersatzansprüche setzen regelmäßig Verschulden, also auch Hechtswidrigkeit voraus. Vom Verstoß gegen prozeßrechtliche Vorschriften führt aber kein gerader Weg zur Bewertung eines Parteiverhaltens als materiell-rechtlich rechtswidrig. Die Säumnis im Rechtsstreit verursacht prozessuale Nachteile, ohne daß die säumige Partei widerrechtlich handelt8 • Das Schrifttum verabsolutiert diese Beobachtung und entscheidet meist auch bei prozessualen Pflichtverstößen nicht anders. Es tritt damit für eine Trennungswertung ein. Die Unzulässigkeit einer Parteiprozeßhandlung begründet nach der überkommenen Rechtslehre nicht die materiell-rechtliche Widerrechtlichkeit. Selbst wenn daher im Schrifttum einmal der Verstoß gegen Prozeßpflichten, speziell gegen die Wahrheitspflicht, als rechtswidrig qualifiziert wird7 , bezieht sich diese Aussage nicht unbedingt auf außerprozessuale Sanktionen. So bleibt etwa bei Schönke-Kuchinke die Verletzung der Wahrheitspflicht trotz des Rechtswidrigkeitsurteils auf prozessuale Nachteile beschränkt8 , so daß eine Schadensersatzpflicht allenfalls wegen eines damit verknüpften Prozeßbetrugs den materiell-rechtlichen Normen der §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB entnommen werden kann. Das materielle Recht soll also das ist die eine Seite der Trennungswertung- über die außerprozessualen Wirkungen des Parteiprozeßverhaltens prinzipiellv selbständig entscheiden. Deshalb soll umgekehrt die Zulässigkeit einer Prozeßhandlung ihre Widerrechtlichkeit im Sinne eines materiell-rechtlichen Haftungstatbestandes nicht ausschließen10• Die Trennungswertung spricht insoweit auch gegen die deliktische Privilegierung des Parteiprozeßverhaltens. Andererseits werden - darin liegt die Kehrseite der Trennungswertung - die Parteiprozeßhandlungen nahezu ausschließlich an prozessualen Normen gemessen11• Folgerichtig können dann Verletzungen von materiell-rechtlichen Vertragspflichten oder Deliktstatbeständen keine prozessualen Rechtsfolgen zeitigen. Allgemeiner ausgedrückt: Die materiell-rechtliche Widerrechtlichkeit ist, wenn man den Grundsatz der Trennungswertung akzeptiert, im Prozeßrecht irrele6 § 1 A, Beispiele 1 - 5. e Dazu näher unten § 2 B IV 1 vor a) (S. 57). 7 Nikisch, § 53 IV 1 (S. 205); Schönke!Kuchinke, § 4 III (S. 11). s Schönke/Kuchinke, § 4 III (S. 11). u Zu doppelfunktionellen Prozeßhandlungen § 2 B V 3 (S. 76 - 79). 10 Baur, Summum ius, 114. u Vorschriften des BGB sollen nur vorsichtig als allgemeine Rechtsgrundsätze berücksichtigt werden. Lediglich Arwed Btomeyer führt unter Hinweis auf die Beweisvereitelung den Verstoß gegen materiell-rechtliche Pflichten mit dem bezeichnenden Zusatz "sogar" an; vgl. Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VII 2 (S. 146).

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§

2 Die Rechtsbeziehungen der Prozeßparteien in Doktrin und Praxis

vant. Doktrin und Praxis beachten diesen Leitsatz insofern, als sie prozessuale Sanktionen nicht unmittelbar auf deliktische Rechts- oder Vertragsverletzungen stützen12• Während demgemäß die Widerrechtlichkeit als prozeßfremde Kategorie gilt, bietet sich mit dem auch im Prozeßrecht13 meist anerkannten Grundsatz von Treu und Glauben eine Einbruchstelle, durch die nicht selten materiell-rechtliche Wertungen einfließen. Soweit - vor allem bei vorprozessualem Verhalten - materiell-rechtliche Wertmaßstäbe mittelbar über die Brücke von Treu und Glauben in das Prozeßrecht gelangen, liegt darin praktisch eine Durchbrechung der Trennungswertung14, die wohl durch eine langjährige, unkonturierte Anwendung des § 242 BGB im Zivilprozeßrecht verborgen geblieben ist. Theoretisch allerdings wird die Trennungsthese dennoch aufrecht erhalten, indem man den Grundsatz von Treu und Glauben als allgemeinen - und damit auch im Prozeß verbindlichen - Rechtssatz ausgibt. Die Trennungswertung kommt im gewissen Umfang zudem auch bei Versuchen zur Abgrenzung von Zivil- und Prozeßrecht sowie bei prozessualen Grundbegriffen wie der Parteiprozeßhandlung und dem Prozeßrechtsverhältnis zum Ausdruck. Das Trennungsdogma dominiert also. Es verbürgt aber nur scheinbar Systemreinheit und Rechtssicherheit. Die Fallstrukturen, bei denen eine Querverbindung zwischen Zivil- und Prozeßrecht nachweisbar ist, werden nämlich sporadisch durchaus erörtert und dann oft interessengerecht entschieden. Nur führen sie ein dogmatisches Schattendasein. Sie werden als isolierte Erscheinungen betrachtet und nicht in das Prozeßrechtssystem integriert. Daher verbleibt ein Randbereich, in dem die Rechtsanwendung fallbezogen und ohne ausreichende Systemkontrolle erfolgt. Dabei wird die Antinomie zur Trennungsthese nicht nur durch die flexible Generalklausel von Treu und Glauben, sondern daneben unter anderem durch prozessuale Blankettinstitute wie Beschwer, Rechtsschutzinteresse oder die Mitwirkungs- oder Prozeßförderungspflicht der Prozeßpartei verdeckt15• Dieses unabgegrenzte Konglomerat unterschiedlicher Rechtsfiguren ermöglicht zwar eine elastische Billigkeitsjudikatur, erschwert aber die Gleichförmigkeit und die Vorher12 Ausnahmen: die in der Vornote zitierte Fundstelle bei Arwed Blomeyer sowie die in der Praxis forcierte Rechtskraftdurchbrechung mit Hilfe des § 826 BGB. 13 Zum Zivilprozeßrecht unten~ 2 B VI (S. 79- 84); vgl. auch für das Strafverfahrensrecht Werner Schmid, 303. 14 Beispiel: die- bestrittene- Unverwertbarkeit widerrechtlich erlangter Beweismittel im Rechtsstreit, die Baumgärtel auf § 242 BGB zurückführt; vgl. dazu Baumgärtel, ZZP 69, 103. 15 Dazu näher § 2 C (S. 84 ff.).

B. Parteibeziehungen und Elemente des Trennungsdenkens

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sehbarkeit der richterlichen Entscheidungen und verdunkelt den dogmatischen Gehalt des Grenzbezirks zwischen Zivil- und Prozeßrecht. Die fehlende Integration dieses Grenzbezirks in die Prozeßrechtssystematik bewirkt folgerichtig eine Kluft zwischen System und Kasuistik. Daran muß die nachfolgende Einzelanalyse des Schrifttums anknüpfen. Zuerst sind die tragenden Gründe für die soeben skizzierten Elemente des Trennungsdenkens zu würdigen16• Damit soll eine Grundlage für eine Teilkritik des Trennungsdogmas gewonnen werden. Sodann ist die Position der Rechtslehre und der Judikatur zu den einzelnen Fallgruppen des Grenzbezirks aufzuzeichnen17 • Daraus läßt sich schließen, inwieweit die kasuistische Überwindung des Trennungsdenkens durch ein System übergreifender Wertungen ersetzt werden sollte. B. Prozeßerhebliche Parteibeziehungen und die Elemente des Trennungsdenkens I. Abgrenzung von Zivil- und Prozeßredlt 1. Funktionszusammenhang zwi~:chen Zivil- und Prozeßrecht

Das Zivilrecht regelt das menschliche Zusammenleben durch Gebote (einschl. der Verbote) und Gewährungents. Es läßt Rechtsverhältnisse mit Rechten und Pflichten entstehen. Es begründet subjektive Rechte, die jedermann zu respektieren hat. Die Berechtigungen ergeben sich aus Rechtsgeschäften oder aus rechts- oder pflichtwidrigem Verhalten. Die Pflichten beruhen auf der absolut geschützten Rechtssphäre eines anderen sowie auf Vertrag oder Gesetz. Das Zivilrecht tut aber nichts für die Feststellung, die Verwirklichung oder Sicherung dieser Rechte und Pflichten. Es gewährt keinen Rechtsschutz. Dieser obliegt der staatlichen Rechtspflege, bei bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nach § 13 GVG dem Zivilprozeß. Den Rechtsschutz reglementiert daher bei zivilrechtliehen Streitgegenständen das Zivilprozeßrecht. Es hat die Einrichtung und die Voraussetzungen der Zivilrechtsptlege, die Art, Formen und Wirkungen des Rechtsschutzes und das Verfahren zu seiner Erlangung zum Gegenstand19. Zivil- und Prozeßrecht stehen damit in einem merkwürdigen Spannungsverhältnis, das vereinigende und trennende Elemente vermischt. Beide Disziplinen verbindet eine Zweckbeziehung: Das Prozeßrecht ermöglicht erst die Verwirklichung des Privatrechts. Es hat insoweit eine dienende Funktion. Andererseits sichert die Trennung von t6

§ 2 B (S. 45 ff.).

11 § 2 C (S. 84 ff.).

Enneccerus!Nipperdey, § 30 I (S. 196). n Rosenberg/Schwab, § 1 V 1 (S. 4).

18

46

§ 2 Die Rechtsbeziehungen der Prozeßparteien in Doktrin und Praxis

materiellem Recht und Rechtsschutz dem Prozeßrecht eine eigenständige Aufgabe. Dieser Dualismus prägt das traditionelle Prozeßrechtsverständnis, auch wenn der Prozeßzwecklo sowie die Schnittlinie zwischen beiden Bereichen und ihre praktische Tragweite im einzelnen unterschiedlich bestimmt wurden und werden. Auf diesen Dualismus gründet sich die wissenschaftliche Systembildung. Auf ihn gehen die getrennten Normierungen in materiell-rechtlichen Gesetzen und in Verfahrensordnungen und die in diesen enthaltenen inhaltlichen Ergänzungen zurück. Obwohl dieser Dualismus allenfalls eine grobe Funktionsbeschreibung des Prozeßrechts ermöglicht, hatte sich das damit umschriebene Prozeßrechtsverständnis in der Vergangenheit gegen Widerstände zu wehren und ist auch heute Anfechtungen ausgesetzt. Nur noch dogmengeschichtliche Bedeutung haben namentlich die seinerzeit von Binder behauptete Identität von Rechtsordnung und Rechtsschutzordnung21 sowie die sonstigen monistischen Betrachtungsweisen, die auf die Einheit des Rechts insgesamt abzielen. Im Detail folgen das Zivil- und das Prozeßrecht - etwa bei Mängeln von Parteihandlungen, bei der Anwendung von Normen nach Zeit und Ort sowie bei der Revisibilität22 - durchaus unterschiedlichen Regeln. DeshalL gesteht beispielsweise auch Neuner, einer der Anhänger der monistischen Betrachtungsweise, den Sinn einer gewissen systematischen Unterscheidung ein23• Ganz anders, nämlich eher mittelbar, aber um so massiver, wirken Angriffe des modernen Methodenschrifttums auf das beschriebene Verständnis von Zivil- und Prozeßrecht ein. Sie knüpfen an der Praxis der richterlichen Rechtsfindung an, berühren deren Verhältnis zum Gesetz und gipfeln in der These, nur der Richter - dagegen nicht der Gesetzgeber - könne konkret und unverzüglich die Rechtsfragen einer schnellehigen komplexen Industriegesellschaft beantworten24• Mit dieser Anschauung wird nicht nur der Prozeßzweck verändert, der sich dann nicht mehr mit dem Schutz der vom materiellen Recht gewährten Positionen begründen läßt, sondern mit ihm zugleich, wie vor allem Jauernig eindrucksvoll zeigt25, auch die Relation von materiellem und Prozeßrecht sowie eine konsequente Ausgestaltung der Grundregeln des Verfahrens28• Dennoch lassen sich daraus - solange man nicht die Bindung an das Gesetz völlig preisgibt und den herkömmlichen Stellenwert der Rechtsdogma2o Vgl. näher § 3 C zu und in FN 18. Binder, 104 f. 22 Rosenberg/Schwab, § 1 V 2 (S. 4). 2a Neuner, 5 ff. 24 Vgl. etwa Rasehorn, NJW 1972, 81. 25 Jauernig, JuS 1971, 329 ff. 2e Durch Stärkung der Staatsgewalt im Zivilprozeß. 21

B. Parteibeziehungen und Elemente des Trennungsdenkens

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tik nur modifiziert, nicht aber eliminiert27 - allenfalls rechtspolitische Maximen für das Verfahrensrecht entnehmen, dagegen nicht die jedenfalls in Umrissen gesetzlich abgesicherten Grundlagen des überkommenen Prozeßrechtsverständnisses verdrängen. Dieser Standpunkt gilt auch gegenüber der auf das Verfahren konzentrierten Analyse des Systemtheoretikers Luhmann28• Dessen Grundgedanken über das gerichtliche Verfahren steht dem der juristischen Literatur diametral entgegen. Für ihn liegt nämlich der Sinn des Prozesses nicht im Finden der materiellen Wahrheit, nicht in Gerechtigkeit und Rechtsschutz 29• Ein System wie das gerichtliche, das die Entscheidbarkeit aller aufgeworfenen Probleme garantieren müsse, könne nicht zugleich die Richtigkeit der Entscheidung garantieren30. Luhmann sucht die Legitimation für die Rechtsfindung überhaupt nicht im Inhaltlichen, sondern in der Form: im Verfahren. Das rechtlich gesteuerte Verfahren mit seinen Verfahrensregeln ist nach seinem Konzept ein typisches "soziales System", das verhaltenssoziologisch zu einem Lernprozeß der Betroffenen führt. Die legitime Herstellung der Entscheidung führt danach durch die Versachlichung im Rechtsstreit zu einer Neutralisierung des Konftikts81, mit Luhmanns Worten: zu einer Konftiktsabsorbtion32. Darin liege die Funktionseffiz1enz des Verfahrens, die die Entscheidung legitimiere. Erst aus dieser Legitimation der Entscheidung durch das Verfahren entstehe die Wahrheit38 ; denn diese liege im sozialen Sinn nicht im sogenannten Rechtsschutz, sondern in der Technik ausdifferenzierter Konftiktsabsorbtion34. Mit dieser Argumentation stellt Luhmann das Verfahren als maßgebliche Rechtsinstitution dar und rückt den Gesetzesausspruch an die zweite Stelle35. Luhmanns Prozeßbild, das nach der treffenden Kritik von Esser an der Verhandlungsmaxime des alten Zivilprozesses orientiert ist38, enthält nun freilich keine empirische Beschreibung des Gerichtsverfahrens. Die Grundlage bildet vielmehr die Systemtheorie mit ihrem Hang zu technokratischen Modellen. Luhmann gibt damit in dogmatischer Übersteigerung idealisierte Systemmodelle als Realität aus und ignoriert so die RechtsfinDazu unten § 3 C (S. 101). Zu Luhmanns Schrift "Legitimation durch Verfahren" vgl. vor allem Esser, Vorverständnis, 202 ff. und Zippelius, Festschrift für Larenz, 293 ff. 27

2s

Luhmann, 55, 136. Luhmann, 21. 31 Rasehorn, NJW 1972, 85. s2 Luhmann, 23. 33 Luhmann, 23. 34 Luhmann, 23. ss Rasehorn, NJW 1972, 85. se Esser, Vorverständnis, 206. 2u

so

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§ 2 Die Rechtsbeziehungen der Prozeßparteien in Doktrin und Praxis

dungspraxis37• Die "Sachrichtigkeit" der Entscheidung ist demgegenüber auch im Zivilprozeß unverzichtbar. Das traditionelle Prozeßrechtsverständnis, das dem Gerichtsverfahren die Aufgabe des Rechtsschutzes zuweist, ist durch Luhmann nicht widerlegt.

2. Trennung von materiell-rechtlichen Gesetzen und Verfahrensordnungen Die Rechtsschutzfunktion des Prozesses sagt allerdings schon wegen ihrer Zweckbeziehung zum materiellen Recht über das Verhältnis von Zivil- und Prozeßrecht nichts Endgültiges aus. Die oben88 angedeuteten Unterscheidungen bei der gesetzlichen Anknüpfung an prozessuale oder materielle Normen sprechen zwar nicht gegen Wechselwirkungen zwischen beiden Bereichen, verlangen aber nach einer subtilen prinzipiellen Abgrenzung. Es liegt nahe, die Grenzlinien zuerst im Gesetz zu suchen. Das Gesetz läßt in der Tat eine Trennungstendenz erkennen. Der Gesetzgeber hatte dazu um so mehr Anlaß, als im Jahr 1877 bei der Schaffung der Reichsjustizgesetze auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts keine Rechtseinheit bestand. Um die Rechtszersplitterung wenigstens im Verfahrensrecht zu vermeiden, strebt die ZPO nach einer umfassenden Autarkie39, kann aber ebensowenig wie später das BGB Systemübergrüfe ganz vermeiden. Das läßt sich etwa mit § 2039 BGB belegen, der die Prozeßführungsbefugnis des Miterben regelt. Schon dieses Beispiel zeigt, daß die Stellung eines Rechtssatzes im BGB oder in der ZPO für eine systematische Zuordnung unverbindlich ist40• Der Gesetzgeber definiert nicht, er ordnet an. 3. Trennung durch wissenschaftliche Systembildung

a) Instrumentale Abgrenzungskriterien Damit ist man auf die wissenschaftliche Systembildung verwiesen. Diese ist aber - und deshalb ist sie hier zu erörtern - oft so angelegt, daß sie eine Trennungswertung vorwegnimmt und mögliche Wechselwirkungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht begrifflich ausschließt41 • Auch wenn in allgemeinen Wendungen42 oder bei Einzelproblemen43 immer wieder der Zusammenhang von Zivil- und Prozeßrecht betont Esser, Vorverständnis, 209. ss § 2 B I 1 zu FN 22. se Vgl. schon Wach, Handbuch, 118. 40 VgL für alle Stein!Jonas!Pohle, Einl. M I 2. 41 Henckel, Prozeßrecht, 17. 42 Vgl. von den prozessualen Standardwerken insbesondere: Bruns, Zivilprozeßrecht, § 3 I 3 (S. 28); Nikisch, § 2 I (S. 5); Stein!Jonas!Pohle, Einl. MI 2; vgl. weiterhin Baur, Summum ius, 106. 4a Vgl. z. B. Erman, JZ 1960, 302; Gaul, AcP 168, 56; Zeuner, 177. 37

B. Parteibeziehungen und Elemente des Trennungsdenkens

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wird, achtet nämlich die Doktrin bei der Systembildung mehr auf die Trennung beider Disziplinen als auf Wechselwirkungen zwischen ihnen. Die gemeinsame Grundlage fast aller Abgrenzungsbemühungen ist die Einsicht, daß mit dem Zivilprozeßrecht ein Verfahren geregelt wird, in dem ein Rechtspflegeorgan in Ausübung hoheitlicher Gewalt tätig wird und das typischerweise mit einer Entscheidung des Rechtspflegeorgans endet". Mit dieser Wendung ist die Beziehung der Normen zum Verfahren allerdings nur funktional beschrieben, während die Doktrin stärker zu einer instrumentalen Betrachtungsweise neigt". Gerade diese aber birgt die Gefahr einer antizipierten Trennungswertung. Sie kommt schon in Formulierungen zum Ausdruck, die das Zivilrecht als Standort der Begründung privater Rechte und Pflichten kennzeichnen und davon das Zivilprozeßrecht abheben, in dem sie dieses mit Blick auf die hoheitliche Funktion des am Zivilprozeß beteiligten Gerichts als öffentliches Recht charakterisieren". Mit der geläufigen Antithese von öffentlichem und privatem Recht wird nämlich leicht die Möglichkeit übergreifender Wertungen verdrängt. Noch schärfer wird die Trennungswertung präjudiziert, wenn man mit Goldschmidt den Unterschied auf die Struktur der Rechtsnormen bezieht47 und die für das Zivilrecht kennzeichnende Existenz von Rechten und Pflichten im Prozeßrecht leugnet48• Mit dieser Abgrenzung werden Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien mit übergreifenden Wertungen von vornherein ausgeschlossen. Auch wenn schließlich sämtliche Rechtssätze, die typische prozessuale Wirkungen- wie die Unzulässigkeit und Unbeachtlichkeit von Parteihandlungen - zeitigen, dem Prozeßrecht und im Kontext sämtliche Normen, die zu materiell-rechtlichen Sanktionen wie Schadensersatz führen, dem materiellen Recht zugeordnet werden", ist begrifflich ausgeschlossen, daß ein Rechtssatz sowohl prozessuale als auch materiell-rechtliche Rechtsfolgen regeln kann50• b) Unterscheidung nach Lebensbereichen Die gängigen Abgrenzungen sind also sämtlich mit einem wertenden "Vorverständnis" belastet. Daher erscheint bereits an dieser Stelle eine Hencket, Prozeßrecht, 8 f. Vgl. dazu Bötticher, ZZP 85, 26. 48 Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 1 li (S. 2); Lent!Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 2 V (S. 5); Rosenberg!Schwab, § 1 V, VI (S. 4f.); Schänke! 44 45

Kuchinke, § 2 (S. 4). 47 Vgl. Henckel, Prozeßrecht, 10 ff. 48 Gotdschmidt, Prozeß, 290, 336; Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 63 f .; Sax, ZZP 67, 53. 48 Vgl. dazu Bötticher, ZZP 85, 26.

50 Anders ist es nur, wenn man derartige Normen einem Zwischenbereich zurechnet. Dann wird freilich eine exakte Abgrenzung nicht vorgenommen. ~

Konzen

§ 2 Die Rechtsbeziehungen der Prozeßparteien in Doktrin und Praxis

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Würdigung sämtlicher Elemente des Trennungsdenkens unabweisbar. Der Schein trügt aber. Das zeigt eine Besinnung auf den (begrenzten) Zweck der wissenschaftlichen Systembildung. Diese muß nicht notwendig eine Abgrenzung zwischen Zivil- und Prozeßrecht bieten, die für alle denkbaren Problemlagen paßt. Für die eingeschränkte Aufgabe einer Darstellung von Wechselwirkungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht genügt eine Unterscheidung zwischen beiden Disziplinen, die eine eindeutige Zuordnung einer Norm zu einer von ihnen ermöglicht und eine Trennungswertung bei der Beurteilung eines Parteiverhaltens weder antizipiert noch ausschließt. Einen brauchbaren Ansatz dafür gibt die kürzlich von Renekel vorgeschlagene Abgrenzung nach Lebensbereichen. Renekel unterscheidet den privatrechtliehen Lebensbereich, in dem sich die Privatrechtssubjekte unmittelbar, d. h. ohne Vermittlung eines zum Rechtspflegeakt angerufenen Rechtspflegeorgans begegnen61 , von dem Lebensbereich Prozeß, den er als ein Verfahren von und vor Rechtspflegeorganen charakterisiert, das auf ein bestimmtes Rechtspflegeziel ausgerichtet istu. Die Zuordnung einer Norm nimmt nun Renekel danach vor, ob die in ihr geregelten Rechte, Pflichten oder Lasten den Lebensbereich Prozeß oder den privatrechtliehen Lebensbereich regeln wollen. Entscheidend ist also die funktionale Analyse der Norm dahin, welchen Lebensraum sie mit dem in ihr geregelten Verhalten beeinflussen will, dagegen nicht die instrumental betrachtete inner- oder außerprozessuale Sanktion, mit der sie ein normwidriges Verhalten belegt53 • Demgemäß definiert Renekel: "Eine Norm gehört also dem Prozeßrecht an, wenn sie ein Verhalten in einem Verfahren von und vor Rechtspflegeorganen regelt, das auf ein bestimmtes Rechtspflegeziel ausgerichtet ist. Eine Norm gehört dem materiellen Recht an, wenn sie ein Verhalten in Bereichen regelt, in denen sich Rechtssubjekte unmittelbar begegnen ohne Vermittlung eines zum Rechtspflegeakt angerufenen Rechtspflegeorgans54 ." Damit hält Renekel das Abgrenzungsproblem für gelöst. Ein Blick auf den Fallkatalog der Eingangskasuistik weckt indessen Zweüel. Die Formel Renekels verlagert nämlich den Akzent auf das von der Norm geregelte Verhalten. Ist dieses außerprozessual, so gehört die Norm zum materiellen Recht. Betrifft es nach der Zielsetzung des Rechtssatzes den Lebensbereich Prozeß, so gehört der Rechtssatz zum Prozeßrecht. Die Abgrenzung Renekels erfaßt also nur Normen, die eindeutig entweder allein auf ein außerprozessuales oder ausschließlich auf ein prozessuales Verhalten abzielen. Damit bleiben aber zwei Probleme ungelöst: Henckel, Henckel, 58 Henckel, s' Henckel, 51

s2

Prozeßrecht, Prozeßrecht, Prozeßrecht, Prozeßrecht,

19. 9. 19 f. 21.

B. Parteibeziehungen und Elemente des Trennungsdenkens

51

Zunächst einmal ist denkbar, daß eine Vorschrift sowohl ein außerprozessuales als auch ein prozessuales Verhalten regeln kann. Die Beispielsfälle der außerprozessualen Verwirkung eines Prozeßverhaltens65 deuten an, daߧ 242 BGB eine solche Vorschrift sein könnte. Sie regelt unmittelbar die Verwirkung eines materiell-rechtlichen Anspruchs und möglicherweise- nach geläufigem Sprachgebrauch: analog- die Verwirkung eines Prozeßverhaltens. Eine solche "Doppelfunktion" eines Rechtssatzes56 bedenkt Renekel bei seiner scharfen Grenzziehung nicht. Er beschränkt mit seiner Begriffsbildung die Anwendung des materiellen Rechts von vornherein auf außerprozessuales Verhalten. Daran ist richtig, daß darauf der Akzent des materiellen Rechts liegt. Renekel übersieht aber, daß im Gegensatz zu dem auf Verfahrensakte ausgerichteten Prozeßrecht dem materiellen Recht eine analoge Auswirkung auf prozessuales Parteiverhalten begrifflich nicht zwingend verschlossen ist. Seine Formel bedarf insoweit einer Modifikation. Zum anderen beachtet Renekel zu wenig, daß seine Grenzziehung von der eindeutigen Zuordnung eines Verhaltens zum prozessualen oder außerprozessualen Lebensbereich abhängt und demgegenüber Verhaltensweisen denkbar sind, die auf beide Lebensbereiche einwirken. Damit ist nicht an die zivilrechtliehen Nebenwirkungen eines Prozeßverhaltens gedacht, bei dem der Gesetzgeber beispielsweise in § 209 BGB an das prozessuale Verhalten der Klageerhebung anknüpft und deren innerprozessualer Wirkung die zivilrechtliche Rechtsfolge der Verjährungsunterbrechung hinzufügt. Ein Beispiel enthält vielmehr die Klage, mit der ein absolutes Recht gemäß § 823 Abs. 1 BGB verletzt wird67• Es zeigt, daß nicht nur eine "Doppelfunktion" eines Rechtssatzes denkbar ist, sondern freilich in einem anderen Sinn als bei Nieses Begriffsbildung68 - auch die "Doppelfunktion" einer Prozeßhandlung68• Die Klage wirkt einerseits auf den Lebensbereich Prozeß ein und, soweit man bei der Verletzung eines absoluten Rechts durch Klagen zu einem Ersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB gelangt, daneben auf den privatrechtliehen Lebensbereich. Die Trennung nach Lebensbereichen mit Hilfe des Begriffs "Doppelfunktion" von Prozeßhandlungen wäre nur entbehrlich, wenn 65 § 1 A, Beispiele 6, 7. ss Zur Doppelfunktionalität von Normen: Niese, ZStrW 63, 216: Sax, ZZP 67, 51; Eberhard Schmidt, Lehrkommentar I, Rdnr. 37 (S. 52). n § 1 A, Beispiel 10. 68 Dazu unten I§ 6 A II 2, 3 a (S. 126 - 131). st So zuerst Eberhard Schmidt, Arzt im Strafrecht, 56; vgl. dazu auch Henckel, 33; Er sieht diese Fallgruppe, hält aber den Begriff der doppelfunktionellen Prozeßhandlung für entbehrlich. Er meint, bei der Anwendung des Deliktsrechts auf ein prozessuales Verhalten knüpfe eben die materiellrechtliche Sanktion an den Tatbestand einer Prozeßhandlung an. Er übersieht dabei, daß er die Zuordnung einer Norm nach der Zuordnung des in ihr geregelten Verhaltens vornimmt.

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§ 2 Die Rechtsbeziehungen der Prozeßparteien in Doktrin und Praxis

das Prozeßrecht mit der Zulässigkeit der Klage zugleich auch ihre Rechtmäßigkeit im Sinne des Deliktsrechts anordnete. Darauf deutet zwar ein wenig der vom BGH für diese Fallgruppe geschaffene Rechtfertigungsgrund der gerichtlichen Inanspruchnahme hin80, dagegen spricht aber der Ersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB, den Doktrin und Praxis im Widerstreit zu diesem Rechtfertigungsgrund bei unberechtigten Schutzrechtsberühmungen durch Klagen zubilligen'1 • Die "Doppelfunktion" von Prozeßhandlungen kann daher nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Dann muß aber eine Abgrenzung nach Lebensbereichen aussagen, welche "Funktion" der Prozeßhandlung gemeint ist. Die Formel Henckels muß auch insoweit präzisiert werden. Die mögliche Doppelfunktion sowohl eines Rechtssatzes als auch einer Prozeßhandlung werden bei der folgenden Modifikation der von Henckel vorgenommenen Abgrenzung berücksichtigt: Eine Norm gehört dem Prozeßrecht an, wenn sie ausschließlich ein Verhalten in einem Verfahren von und vor Rechtspflegeorganen regelt, das auf ein bestimmtes, durch den Streitgegenstand umrissenes Rechtspflegeziel ausgerichtet ist. Andernfalls ist sie eine materiell-rechtliche Norm. Diese Modifikation ermöglicht durch die Einführung des Streitgegenstandsbegriffs82 die eindeutige Zuordnung eines Verhaltens zum prozessualen oder außerprozessualen Lebensbereich; denn die mit der Klage bewirkte Rechtsverletzung gehört nicht zu dem von der Klage umrissenen Streitgegenstand und damit nicht in den Lebensbereich Prozeß. Die Modifikation schließt weiterhin die Anwendung des materiellen Rechts auf ein Verhalten im Lebensbereich Prozeß nicht aus. Sie antizipiert andererseits aber auch nicht, daß zivilrechtliche Vorschriften auch prozessuales Verhalten normieren. Inwieweit sie es tun, ist offen und für die Abgrenzung irrelevant. Der Gedanke der Doppelfunktion von Prozeßhandlungen läßt auch die Möglichkeit offen, daß die auf deren "prozessuale Funktion" gerichteten Wertungen der Normen des Prozeßrechts im privatrechtliehen Lebensbereich nicht unbeachtet bleiben. Insgesamt nimmt die modifizierte Formel Henckels damit die Bewertung des Parteiverhaltens nicht vorweg. Gleichzeitig erlaubt sie, wie noch zu zeigen ist83, eine eindeutige Einordnung der Eingangskasuistik. Deshalb bedarf es für den beabsichtigten Darstellungszweck keiner Auseinandersetzung mit den geschilderten Abgrenzungsbemühungen der Prozeßdoktrin. Ob die hier gefundene Grenzziehung auch sonst tauglich ist, kann dahinstehen. to BGHZ 36, 18; vgl bereits oben§ 1 B I zu und in FN 53 (S. 32). et Vgl. vorerst nur BGHZ 38, 200.

u Die verschiedenen Streitgegenstandstheorien sind dafür ohne Bedeutung. ca Dazu unten § 2 C (S. 84 - 94).

B. Parteibeziehungen und Elemente des Trennungsdenkens

53

D. Prozeßhandlung und außerprozessnales Parleiverhalten

Das Trennungsdenken findet sich in einem Teil des Schrifttums weiterhin bei der Definition der Parteiprozeßhandlung. Auch für diese gibt das Gesetz keine verbindliche Richtschnur. Die ZPO verwendet den Begriff zwar an einer Reihe von Stellen64, ist aber im Sprachgebrauch nicht einheitlich. Das ist allgemein anerkannt und bedarf keines erneuten Belegs. Von den zahlreichen, an divergenten Ordnungsgesichtspunkten orientierten Definitionen der Prozeßhandlung in Doktrin und Praxis66 interessieren hier nur diejenigen, die eine Abgrezung vom außerprozessualem Verhalten bezwecken. Der BGH etwa bezeichnet Parteiprozeßhandlungen schlicht als Parteihandlungen, die zur Begründung, Führung und Erledigung des Rechtsstreits dienen und durch prozeßrechtiiche Vorschriften geregelt sind86. Parteiprozeßhandlungen müssen danach nicht nur prozessuale Wirkungen haben, sondern auch nach ihren Voraussetzungen vom Prozeßrecht geregelt sein. Diese Begriffsbestimmung hat in Rechtsprechung und Lehre Tradition und findet sich auch in modernen Lehrwerken67. Sie widerstreitet nicht nur der obigen Abgrenzung zwischen Zivil- und Prozeßrecht nach Lebensbereichen, die auf die Zuordnung des normierten Parteiverhaltens auf diese abstellt. Sie antizipiert zudem ebenfalls eine Trennungswertung: Zwar will das Schrüttum mit dieser Definition meist nur einen Kernbereich des prozeßerheblichen Parteiverhaltens einfangen18, so daß scheinbar zivilrechtliche Voraussetzungen für prozeßerhebliches Parteiverhalten außerhalb des Kernbereichs nicht ausgeschlossen sind. Doch erfolgt die Trennung von Kern- und Randbereich nur, um auch die Prozeßvereinbarungen erfassen zu könnenee. Einseitige Parteiprozeßhandlungen sollen sich nämlich nach ihren Voraussetzungen stets allein nach dem Prozeßrecht richten70• Der Beweisantritt mit einem widerrechtlich erlangten Beweismittel wäre folgerichtig allein nach dem Prozeßrecht zu beurteilen, das widerrechtliche, außerprozessuale Verhalten streng genommen also aus der Betrachtung eliminiert. Auch diese Wertung darf nicht durch eine willkürliche Begriffsbildung präjudiziert werden. Entweder sind daher die normativen, in die BegriffsVgl. §§ 54, 67, 78, 81, 83, 85, 230, 236, 238, 249 ZPO. Zusammenstellung bei Baumgärtel, Wesen, 20 ff. ee BGHZ 49, 384, 386; Hervorhebung vom Verfasser. 17 Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 I 1 (S. 133); Rosenberg/Schwab, § 63 IV (S. 320); Schönke!Schröder/Niese, § 31 II (S. 147); Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 35 II 3 (S. 89). es Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 I 1 (S. 133); Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 35 II 3 (S. 89). 19 Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 I 2 (S. 133); Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 35 li 3 (S. 89). 10 Vgl. etwa Stein/Jonas!Pohle, Vor§ 128 XI 3 a. e4

II&

54

§ 2 Die Rechtsbeziehungen der Prozeßparteien in Doktrin und Praxis

bestimmung aufgenommenen Elemente der Trennungswertung zu analysieren, oder die Parteiprozeßhandlung ist so zu definieren, daß sie die Bewertung des Parteiverhaltens nicht vorwegnimmt. Diese Präjudizierung wird vermieden, wenn man zu den Parteiprozeßhandlungen jedes Parteiverhalten rechnet, daß nach seiner von der Rechtsordnung bestimmten typischen Funktion eine Verfahrensgestaltung herbeiführen oder hindern soll. Diese Begriffsbestimmung, zu der letztlich auch Henckel gelangt71 , findet vor allem seit Baumgärteis funktionaler Analyse72 zunehmend Anhängern. Sie ist zunächst in einigen Punkten zu erläutern: Entscheidend ist die typische Funktion des Parteiverhaltens. Diese Einschränkung zielt auf eine Erfassung der von§ 209 BGB repräsentierten Fälle der zivilrechtliehen Nebenwirkungen eines Prozeßverhaltens. Die verfahrensgestaltende Funktion ist nämlich nur eine typische, wenn sie die primäre, nicht wegzudenkende und nicht nur eine sekundäre ist, die- wie die Verjährungsunterbrechung des § 209 BGB - aus einer anderen abgeleitet, begrifflich entbehrlich ist74• Die verfahrensgestaltende Funktion muß weiterhin von der Rechtsordnung angeordnet sein. Dadurch werden unerlaubte Handlungen ausgeklammert76 • Diese mögen prozessuale Rechtsfolgen nach sich ziehen, doch verleiht ihnen die Rechtsordnung nicht den Zweck, das Verfahren zu gestalten. Demgegenüber kann vorprozessuales Verhalten durchaus zum Kreis der Parteiprozeßhandlungen gehören; beispielsweise also Prozeßvereinbarungen, soweit diese zulässig sind und nach der Zwecksetzung der Rechtsordnung verfahrensgestaltende Funktionen haben. Dabei kommt es nicht darauf an, inwieweit diese von materiell-rechtlichen Voraussetzungen abhängen. Die angeführte Definition ermöglicht auch eine brauchbare Abgrenzung von außerprozessualem Parteiverhalten, speziell von zivilrechtliehen Rechtsgeschäften, deren Absonderung von Prozeßhandlungen ganz offenbar im Vordergrund aller Definitionsbemühungen steht. Problematisch sind insoweit ohnehin nur die Vornahme zivilrechtlicher Gestaltungsgeschäfte (Anfechtung, Aufrechnung usw.) im Prozeß und der Prozeßvergleich. Erstere werden heute überwiegend unter dem Schlagwort vom Doppeltatbestand erörtert, in dem zwischen den (zivilrechtlichen) rechtsgeschäftliehen Wirkungen und deren Geltendmachung durch Prozeßhandlung unterschieden wird78 • Dem Prozeßvergleich mißt 11 Henckel, Prozeßrecht, 30-33. n Baumgärtel, Wesen, 92 ff. 73 Vgl. etwa Lent/Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 29 IV (S. 91); Stein/Jonas/ Pohle, Vor § 128 XI 1 c. 74 Baumgärtel, Wesen, 90. 75 Stein/Jonas/Pohle, Vor§ 128 XI 1 c.

B. Parteibeziehungen und Elemente des Trennungsdenkens

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die h. M. dagegen eine Doppelnatur zu: Er ist danach sowohl Prozeßhandlung als auch Rechtsgeschäft77• Abgrenzungsschwierigkeiten entstehen dadurch nicht. Kaum beachtet wird allerdings die Fallgruppe der deliktischen Beurteilung von Klagen und sonstigen Parteiprozeßhandlungen78. Pohle bemerkt dazu nur kurz, eine Prozeßhandlung könne zugleich eine unerlaubte Handlung sein79• Das bedeutet: Sie hat neben ihrer von der Rechtsordnung bezweckten Funktion auch eine außerprozessuale Wirkung. Die Unterscheidung der außerprozessualen von der prozessualen Wirkung läßt sich vollziehen, wenn man mit den obigen Ausführungen80 von einer Doppelfunktion81 der Prozeßhandlung spricht und bei der Abgrenzung darauf abstellt, ob die Handlung den vom Streitgegenstand umrissenen Lebensbereich Prozeß betrifft oder nicht. Der funktional fixierte Begriff der Parteiprozeßhandlung erweist sich mithin bei allen Abgrenzungsproblemen als tauglich. Vor allem läßt er die Bewertung des Parteiverhaltens in jeder Weise offen. Er besagt nicht, daß Parteiprozeßhandlungen ausschließlich vom Prozeßrecht reglementiert werden82. Er läßt zu, daß materiell-rechtliche Wertungen außerprozessuales Verhalten regeln und dennoch prozessuale Rechtsfolgen zeitigen. Er erlaubt auch, Parteiprozeßhandlungen mit materiell-rechtlichen Sanktionen zu versehen und gegebenenfalls bei der deliktsrechtlichen Beurteilung eines Prozeßverhaltens prozessuale Zwecke mitheranzuziehen. Wechselwirkungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht sind weder begrifflich verschlossen noch antizipiert. Die Arbeit kann daher von der vorstehenden83 Definition ausgehen und braucht auch an dieser Stelle die Elemente des Trennungsdenkens nicht zu würdigen.

m.

Proze.Breddsverhiltnls

Im gewissen Umfang deutet auch die Rechtsfigur des Prozeßrechtsverhältnisses auf eine schroffe Trennung von Zivil- und Prozeßrecht hin. Das Prozeßrechtsverhältnis galt, seit es Bülow entwickelt hat8', 10 Vgl. etwa Lent!Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 29 V (S. 92 f.) m . w. N.; Anerkenntnis und Verzicht nach §§ 306, 307 ZPO sind dagegen allein Prozeßhandlungen. 11 Vgl. etwa Lent/Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 48 II (S. 154 f.) m. w. N. 78 § 1 A, Beispiele 10, 11. n Stein/Jonas!Pohle, Vor § 128 XI 1 c. so Vgl. oben § 2 B I 3 b (S. 51 f.). 81 Diese Begriffsbildung nimmt freilich eine Ungenauigkeit in Kauf. Diese besteht darin, daß die prozessuale Funktion der Verfahrensgestaltung von der Rechtsordnung bezweckt ist, das Unrechtsverhalten dagegen nicht. Darin liegt ein Manko der Begriffsbildung, da die funktionale Abgrenzung sich gerade auf die von der Rechtsordnung bezweckte Funktion bezieht. 82 So Rosenberg/Schwab, § 63 IV (S. 320), § 65 I (S. 327). 83 Vgl. oben im Text vor FN 71. 84 Bülow, Prozeßeinreden, 1 - 4.

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§ 2 Die Rechtsbeziehungen der Prozeßparteien in Doktrin und Praxis

lange Zeit als der Zentralbegriff des Prozeßrechts und wird noch heute von keinem Lehrbuch und Kommentar ausgelassen85• Man versteht darunter die Gesamtheit der prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den am Rechtsstreit Beteiligten86 • Es ist, wie schon Franz Klein betont hat87, nicht mit dem privaten Rechtsverhältnis identisch, sondern von diesem scharf zu scheiden. Es wird, gleichgültig, ob man es sich nur zwischen den Parteien oder dreiseitig denkt88, im Hinblick auf die Beteiligung des mit hoheitlicher Gewalt ausgestatteten Gerichts als öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis aufgefaßt88, mit dem die Einheit des Verfahrens betont wird80• Es bildet demgemäß eine Grundlage für die Rechtsnachfolge im Prozeß81 • Die zugespitzte Antithese zum privatrechtliehen Rechtsverhältnis kann leicht dazu verleiten, Wechselwirkungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht zu leugnen. In der Tat hat das Prozeßrechtsverhältnis dogmengeschichtlich die Trennungswertung beeinflußt und wirkt insoweit in der modernen Literatur noch nach. Zumindest aber dient es heute nicht mehr als Deduktionsbasis für eine Bewertung des Parteiverhaltens. Seine Bedeutung bleibt auf einen gewissen wissenschaftlichen Lehrwert reduziert82• Eine Trennungswertung wird mit ihm nicht mehr antizipiert. Im Gesamtbild schließen damit weder die notwendige Grenzziehung zwischen Zivil- und Prozeßrecht noch die prozessualen Grundbegrüfe der Parteiprozeßhandlung und des Prozeßrechtsverhältnisses Wechselwirkungen zwischen beiden Disziplinen zwingend aus. Die Darstellung kann sich bei der Analyse der tragenden Gründe für die Trennungs8& Baumbach/Lauterbach!Albers!Hartmann, Grundz. vor§ 128 2 A-C; Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 11 (S. 61 f.); Bruns, Zivilprozeßrecht, § 1 III (S. 7 ff.); Lent!Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 32 (S. 99); Nikisch, § 4 II (S. 16); Rosenberg/Schwab, § 2 (S. 5 ff.); Schönke!Kuchinke, § 4 (S. 8 ff.); Schönke!SchrödeT!Niese, § 2 (S. 23 ff.); Stein!Jonas!Pohle, Einl. E II; Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 21 (S. 58); vgl. auch Nakano, ZZP 79, 99. se Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 11 II 2 (S. 61 f.); Lent!Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 32 III (S. 99); Nikisch, § 4 II 1 (S. 16); Rosenberg[Schwab, § 2 II 1 (S. 7); Schönke!Kuchinke, § 4 I (S. 8); Schönke!Schröder!Niese, § 2 I (S. 23); Stein/Jonas/Pohle, Einl. E II 1. 87 Franz Klein, 211. 88 Von einem dreiseitigen Rechtsverhältnis gehen heute alle aus. Die Ausnahme bildet Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Grundz. vor§ 128 2 C; über den Streit im älteren Schrifttum vgl. Goldschmidt, Prozeß, 3 m . w. N. 8e Bruns, Zivilprozeßrecht, § 1 III (S. 7); Nakano, ZZP 79, 106 ff.; Schänke/ Schröder/Niese, § 2 III 3 (S. 27); Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 21 (S. 58). uo Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 11 I (S. 61); Bruns, Zivilprozeßrecht" § 1 III (S. 7). 81 Bruns, Zivilprozeßrecht, § 1 III (S. 7); Lent/Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 32 II (S. 99); Rosenberg!Schwab, § 2 I 3 (S. 6); Schönke!Kuchinke, § 4 I (S. 8); Stein/Jonas/Pohle, Einl. E II 3; Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 21 (S. 58). e2 Rosenberg!Schwab, § 2 I 3 (S. 6); vgl. auch Lent!Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 32 I (S. 99); Nikisch, § 4 II 3 (S. 17) ; Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 21 (S. 58).

B. Parteibeziehungen und Elemente des Trennungsdenkens

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wertung daher ganz auf die prozessualen Parteipflichten und die Bedeutung der Widerrechtlichkeit im Prozeßrecht konzentrieren. IV. Pflidlten der Prozeßparteien

1. Gesetzliche Parteipflichten und Parteilasten

Die moderne Prozeßdoktrin erörtert gesetzliche Parteipflichten wie etwa die Wahrheitspflicht des § 138 ZPO stets im Kontext mit Parteilasten, denen dabei eindeutig eine Dominanz zugesprochen wirdN. Das Paradebeispiel zur Erläuterung der Parteilast bildet die Säumnis einer Prozeßpartei im Rechtsstreit. Ist der Kläger säumig, so wird die Klage gemäß § 330 ZPO abgewiesen. Erscheint der Beklagte nicht zum Termin, so wird einer schlüssigen Klage nach§ 331 ZPO durch Versäumnisurteil stattgegeben. Die säumige Partei erleidet nach diesen Vorschriften auf Antrag des Prozeßgegners einen massiven prozessualen Nachteil. Dem Prozeßgegner kann es also gleichgültig sein, ob die andere Partei im Termin erscheint oder fernbleibt. Die Vermeidung der Säumnis liegt im eigenen Interesse der Partei. Diese ist weder dem Gericht noch gar dem Gegner gegenüber zum Erscheinen verpflichtet. Das Erscheinen ist im zivilprozessualen Sprachgebrauch eine Last, in der zivilrechtliehen Terminologie eine Obliegenheit84. Die Säumnisfolge knüpft daran an, daß die säumige Partei ihr eigenes Interesse nicht wahrt. Die Einsicht ist für die Problematik übergreifender Wertungen wesentlich: Ein Schadensersatzanspruch wird im Zivilrecht nicht eingeräumt, wenn ein anderer eine Obliegenheit nicht beachtet, sondern prinzipiell nur, wenn er (schuldhaft) eine Verhaltenspflicht verletzt. Soweit also - wie im Beispielsfall der jugoslawischen Militärmission96 - , die Ersatzpflicht auf ein Prozeßverhalten des Prozeßgegners zurückgeführt werden soll, muß diesem ein Pflichtverstoß angelastet werden können. Der Sektor der Parteilasten scheidet als Anknüpfungspunkt aus. Die zivilrechtliehen Parallelbegriffe der Obliegenheit und der Pflicht legen darüber hinaus nahe, auch im Prozeßrecht nur von einer Pflicht zu sprechen, wenn das normierte Verhalten durch einen Anspruch (§ 194 BGB) eines anderen sanktioniert wird. Damit bliebe der Pflichtbegriff für Fallgestaltungen reserviert, in denen ein Prozeßverhalten einen Anspruch erzeugt, also in seiner Wirkung über den konkreten Rechtsstreit hinausreicht86. Dagegen wäre - von der Kostenfolge des § 278 Abs. 2 ZPO 93 Arwed Btomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VII 2 (S. 145); Lent, ZZP, 67, 351; Lent!Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 26 I (S. 78); Nikisch, § 53 I 2 (S. 202); Rosenberg/Schwab, § 2 III (S. 7 f.); Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 33 I (S. 81). u Grundlegend: Reimer Schmidt, vor allem 107, 121, 130, 158, 168, 198. V$ § 1 A, Beispiel 9. se So in der Tat Henckel, Prozeßrecht, 17; vgl. auch Lent, ZZP 67, 356 und zu Henckel noch Bötticher, ZZP 85, 26 - 28.

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§ 2 Die Rechtsbeziehungen der Prozeßparteien in Doktrin und Praxis

einmal abgesehen- beispielsweise das grob schuldhaftverspätete Vorbringen eines Angriffs- oder Verteidigungsmittels nach§ 279 ZPO oder eines Beweismittels gern. § 283 ZPO jedenfalls dann kein Pflichtverstoß, wenn die Sanktion auf die Zurückweisung durch das Gericht beschränkt bleibt. Blickt man allein auf die unmittelbare prozessuale Sanktion, so unterscheidet sich dieser Fall nicht von der Säumnis. Man könnte daher auch insoweit von einer Last zum rechtzeitigen Vorbringen eines Angriffs-, Verteidigungs- oder Beweismittels sprechen und die schuldhafte Verspätung der auch im Zivilrecht geläufigen Kategorie eines Verschuldens gegen sich selbst zuordnen. Allerdings besteht im Vergleich zur Säumnis ein erheblicher Unterschied, da die Verspätung das Interesse des Prozeßgegners massiv tangiert. Das zeigt die Fallgestaltung der jugoslawischen Militärmission117 eindringlich. Der Lastbegriff wäre also nur verwendbar, wenn er modifiziert dahin verstanden wird, daß er Verhaltensweisen erfaßt, deren Vornahme, ohne daß ihre Unterlassung einen Anspruch erzeugt, auch im Interesse des Gegners liegt. Auch dafür bietet die Zivilrechtsdogmatik eine Parallele. Sie ordnet nämlich derartige Fälle unter Hinweis auf das venire contra factum proprium ebenfalls dem Begriff der Obliegenheit zu und trennt davon die Pflicht mit dem für diese charakteristischen Erfüllungs- oder Schadensersatzanspruch118. Die Prozeßrechtsdogmatik weicht davon allerdings ab. Sie zählt die Prozeßverschleppung der§§ 279, 283 ZPO, die Verletzung der Wahrheitspflicht nach§ 138 ZPO und andere Erscheinungen, auch wenn sie allenfalls mit innerprozessualen Sanktionen belegt werden, zum prozessualen Pflichtenkreis und entscheidet danach, ob nach Maßgabe des Prozeßzwecks das Parteiverhalten dem Gesetzgeber gleichgültig sein könne oder von diesem gefordert oder mißbilligt werde119. Die Richtschnur dafür bildet die Rechtsschutzaufgabe des Prozesses. Mit ihr wird ein Verhalten, das dem Interesse eines anderen Prozeßbeteiligten widerstreitet, als nicht vereinbar angesehen. Der Sinn dieser vom Zivilrecht abweichenden Systematik mag hier offenbleiben. Angesichts der mit den Parteilasten identischen Rechtsfolgen bleiben auf jeden Fall die gesetzlichen Parteipflichten, solange sie nicht über den Prozeß hinausreichende Wirkungen haben, dogmatische Randerscheinungen von untergeordneter Bedeutung. Symptomatisch ist insoweit die resignative Bemerkung von Lent, er habe einen besseren Weg zur Scheidung von Pflichten und Lasten nicht gefunden100• Es ist daher auch nicht verwunderlich-und zugleich für eine Analyse von Wechselwirkungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht einschlägig-, daß noch nach dem zweiten Welt111

§ 1 A, Beispiel9.

Reimer Schmidt, 111, 314; vgl. auch Deutsch, 59; Hanau, AcP 165, 239. Vgl. vorerst nur Lent, ZZP 67, 351. 1oo Lent, ZZP 67, 353.

us 99

B. Parteibeziehungen und Elemente des Trennungsdenkens

59

krieg prozessuale Parteipflichten ganz geleugnet und nur Parteilasten anerkannt werden101• Daher ist ein Blick auf den tragenden Grund für die Dominanz der Parteilast oder gar für ihre ausschließliche Geltung angezeigt. a) Dominanz der Parteilasten Die Betonung der Parteilasten wird heute meist auf Goldschmidt zurückgeführt. Tatsächlich hat dieser als erster sämtliche Parteipflichten zugunsten der Lasten aus dem Prozeßrecht verbanntl02 und damit eine Position bezogen, die von Hippel als Einheitsdogmatik gekennzeichnet hat103• Die Antithese zwischen Pflichten und Lasten ist aber weit älter. Von Hippe! zeigt104, daß Studien zum Lastbegriff schon in einer Untersuchung des Jahres 1888 zusammengestellt sind. Die Bezeichnung Last ist etwa auch Konrad Hellwig106 geläufig, und ihre Komplementärbegriffe der Möglichkeit und Aussicht finden sich schon bei Bülow108• Auch der Sache nach ist der Streit um Lasten oder Pflichten schon im vorigen Jahrhundert nachweisbar. Er findet sich erstmals deutlich in einer literarischen Kontroverse zwischen Bülow 107 und Wach108 und geht auf Veränderungen zurück, die den modernen Zivilprozeß von historischen Prozeßformen abheben. Bülowm verdeutlicht diese Veränderungen am Beispiel der damals noch in wissenschaftlicher Blüte110 stehenden Einlassungspflicht des Beklagten. Diese geht auf das Zweiseitigkeitsprinzip des altrömischen und altkanonischen Prozesses zurück, nach dem ein Prozeß erst durch eine Einlassung des Beklagten zustande kam. Folgerichtig mußte es eine Einlassungspflicht des Beklagten und ein Mittel zur Erzwingung geben. Das traditionelle Mittel bildete die Prozeßstrafe, mit der schuldhafter Ungehorsam gegenüber prozessualen Pflichten, also nicht nur gegenüber der Einlassungspflicht, geahndet wurde. Die gemeinrechtliche Prozeßrechtssystematik kennt daher die Lehre vom prozessualischen Ungehorsam, die Contumaziallehre. Diese hatte aber, wie auch Bülows Kontrahent Wach einräumt11 t, inzwischen einen Sinnwandel erfahren. Auch 101 102

1oa 104 105

1oe 101

1os 10D

uo

Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 63 f.; Sax, ZZP 67, 53. Goldschmidt, Prozeß, 290, 336. v. Hippel, 319 ff. Vgl. v. Hippel, ZZP 65, 434. Konrad Hellwig, System I, § 139 IV 2 a (S. 401). Bülow, Geständnisrecht, 82. Bülow, AcP 62, 1. Wach, GrünhutsZ VII, 130. Bülow, AcP 62, 11 ff. Vgl. nur die Schrift Degenkalbs über "Einlassungszwang und Urteils-

norm".

m Wach, GrünhutsZ VII, 171.

60

§ 2 Die Rechtsbeziehungen der Prozeßparteien in Doktrin und Praxis

dies läßt sich am Beispiel der Einlassungspflicht des Beklagten bzw. an seiner Nichteinlassung durch Säumnis im Rechtsstreit demonstrieren. Die ZPO erlaubt das Versäumnisurteil ohne Einlassung und auch vorhergehende Verfahrensordnungen112 sahen von ihr ab. Wach sieht sich dadurch nicht zu einer Preisgabe der Einlassungspflicht genötigt, sondern nur zu einer Korrektur der Contumaziallehre. An die Stelle von Ungehorsam und Strafe ist für ihn als Folge der Pflicht der Rechtszwang getreten, eine Wirkung nach den Gesetzen des Staates113• Dieser Rechtszwang setze aber, da Zwang sonst Rechtswidrigkeit bedeute, eine Rechtspflicht voraus114• Der Rechtszwang sei die rationelle Realisierung des Parteiinteresses an einem gesetzlich geforderten Parteiverhalten116 • Während demgemäß für Wach auch die Säumnis des Beklagten mit dem gesetzlich geforderten Parteiverhalten nicht im Einklang steht, hält Bülow118 den Sinnwandel der Contumaziallehre für eine wissenschaftliche Fiktion. Er leugnet aus diesem Grund nicht nur die Einlassungspflicht, sondern konstatiert im Blick auf die Folge des "Rechtszwangs", daß alle damals bekannten "Parteipflichten" mit dem Rechtsverwirkungsprinzip (Präclusionsprinzip) sanktioniert werden117 • Insofern sind für Bülow Handlungspflichten der Parteien nicht ausfindig zu machen118• Modern ausgedrückt: Bülow erkennt nur Handlungslasten an, Wach auch Handlungspjlichten. Mit diesen gegensätzlichen Standpunkten sind bereits die Eckwerte für die Position des modernen Schrifttums zu Parteilasten und Parteipflichten umrissen. Allerdings haben die wissenschaftliche Erkenntnis und die Gesetzgebung die Bezugspunkte etwas verschoben. Der Verständniswandel über die Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt hat die Einlassungspflicht des Beklagten entgültig verdrängt. Die Behauptungspflicht gilt als Behauptungslast. Die gesetzlich in § 138 Abs. 1 ZPO formulierte Wahrheitspflicht und andere Pflichten sind hinzugekommen. Das Schrifttum hat sich zwischen Parteilasten und Parteipflichten auf einen Kompromiß eingependelt: auf die Dominanz von Parteilasten und daneben auf die Existenz einzelner Parteipflichten, denen aber, wie dargelegt, meist nur eine innerprozessuale Relevanz beigemessen wird. Diese restriktive Beurteilung der Parteipflichten deckt sich ganz mit den Resultaten Bülows; doch errichtete dessen Konzept, da er nur über die Präclusionswirkung hinausreichende Handlungspflichten nicht "ausfin112 Vgl. dazu Bülow, AcP 62, 12 ff. m Wach, GrünhutsZ VII, 152. 114 Wach, GrünhutsZ VII, 152. 115 Wach, GrünhutsZ, 171. 11e Bülow, AcP 62, 6 ff., 11 ff. 111 Bülow, AcP 62, 60. 11s Bülow, AcP 62, 62.

B. Parteibeziehungen und Elemente des Trennungsdenkens

61

dig machen konnte" 118, keine unüberwindliche Sperre gegenüber Schadensersatzpßichten aus prozessualen Pßichtverstößen. Allerdings haben wohl die dogmengeschichtliche Herkunft der Contumazialfolgen und das von Bülow eingeleitete öffentlich-rechtliche Prozeßrechtsverständnis die Vorstellung begünstigt, daß Parteipßichten staatsbürgerliche Pßichten seien. Eine massive Schranke gegen Ersatzpßichten aus prozessualen Pßichtverstößen, weil gegen prozessuale Parteipßichten überhaupt, hat aber erst Goldschmidt mit seiner Einheitslasttheorie errichtet. b) Einheitslasttheorie Goldschmidt, der sich im Vorwort seiner Schrift ausdrücklich auf Bülow beruft120, geht über dessen Resultate einen beträchtlichen Schritt hinaus. Schon dieser hatte aus dem Fehlen von Handlungspßichten gefolgert, der Zivilprozeß sei etwas für Leute, die auf ihrer Hut sind. Er sei ein Kampf ums Recht121• Dieses Prozeßbild steigert nun Goldschmidt, der nach dem zweiten Weltkrieg hauptsächlich in Niese, Sax und Eberhard Schmidt Nachfolger gefunden hat122, zum Extrem. Goldschmidt kann nicht nur keine Handlungspßichten der Parteien auffinden, sondern - soweit es sich nicllt um dem Staatsrecht zugeordnete Pflichten wie die "anachronistische" 123 Erscheinenspflicht der Partei nach § 141 ZP0 124 handelt-überhaupt keineParteipflichten125• SeineEinheitsdogmatik126 kennt nur Parteilasten. Für Goldschmidt ist dies nicllt nur ein positiv-rechtlicher Befund, sondern eine wesensgemäße Notwendigkeit des Prozesses. Den Schlüssel zu seiner - von ihm selbst als empirisch verstandenen127 - "Wesensschau" bildet seine Anschauung über das Fehlurteil. Dessen unbezweifelbare Möglichkeit führt ihn zu der These, das Gesetz sei für den Richter, der nicht Diener, sondern Herr des Rechts sei1 28, kein Imperativ, sondern nur der Urteilsmaßstab 128• Darin erblickt er den entscheidenden Unterschied zwischen materiellem Recht und Prozeßrecht. Jenes sei durch die statische Betrachtungsweise gekennzeichnet, die das Recht als Inbegriff von Imperativen ansehe130 ; dieses uu Billow, AcP 62, 62. 120

Goldschmidt, Prozeß, S. V.

BilZow, AcP 62, 88. 122 Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 57 ff.; Sax, ZZP 67, 21 ff.; Eberhard Schmidt, Lehrkommentar I, Rdnr. 60 ff. (S. 65 ff.). 123 Goldschmidt, Prozeß, 114. 124 Goldschmidt, Prozeß, 113 - 116. 125 Goldschmidt, Prozeß, 81 - 133. ue Vgl. von Hippel, 319 ff. 1!7 Goldschmtdt, Prozeß, 211. 12s Goldschmidt, Prozeß, 246. 12e Goldschmidt, Prozeß, 228. 1ao Goldschmidt, Prozeß, 228. 121

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§ 2 Die Rechtsbeziehungen der Prozeßparteien in Doktrin und Praxis

von einer dynamischen Betrachtungsweise, die das Recht als Maßstab für die Urteilstätigkeit des Richters auffaßt131 • Vor diesem Hintergrund gibt es für Goldschmidt im Prozeß für die Parteien überhaupt nur Rechtslagen mit prozessualen Aussichten, Möglichkeiten und Lasten182• Dagegen sind für ihn, da das Recht im Prozeß nur Urteilsmaßstab ist, prozessuale Rechtsverhältnisse der Parteien mit Rechten und Pflichten nicht denkbar133• Die nähere Untersuchung dieser Doktrin wird, da ihre Reichweite über den Komplex der Parteipflichten weit hinausreicht, an anderer Stelle erfolgen184• Festzuhalten bleibt nur, daß seine Aufassung über den Prozeß als Rechtslage ein entscheidendes Hindernis für prozessuale Parteipflichten mit materiellen Rechtsfolgen darstellt. c) Einzelne gesetzliche Parteipflichten Die Extremposition Goldschmidts findet im modernen Schrifttum kaum Resonanz. Es lehnt die Einheitslasttheorie meist mit knappen Wendungen ab1811• Doch hat diese Ablehnung nicht allzuviel Gewicht, solange es bei der sonst nicht näher begründeten rein innerprozessualen Relevanz der behaupteten Parteipflichten bleibt. Die insoweit von der Nichtbeachtung der Parteilasten nicht unterscheidbaren Rechtsfolgen der "Pflichtverletzung" reduzieren die Scheidung von Pflichten und Lasten auf eine rein theoretische Aufgabe, zu der naturgemäß nur wenig Neigung besteht. Meist findet man daher nur eine lockere und zudem bei den einzelnen Autoren auch noch verschiedenartige Aufzählung von Parteipflichten, deren Einhaltung zumindest auch im Interesse des Gerichts oder des Prozeßgegners liegt138• Der Katalog der Parteipflichten erfaßt, wenn man die Einzelmeinungen addiert, die folgenden prozessualen Erscheinungen: Die Erscheinenspflicht der Prozeßpartei nach den §§ 141, 272 b Abs. 2 Nr. 3, 619, 640, 641 ZPO, die gemäß §§ 141 Abs. 3 S. 1, 619 Abs. 3 ZPO mit Geldstrafen durchsetzbar ist187 ; die nicht auf Prozeßparteien beschränkte Pflicht zur Duldung von körperlichen Untersuchungen nach§ 372 a ZP013B; die Pflicht zur Vorlage von Urkunden Goldschmidt, Prozeß, 228. Goldschmidt, Prozeß, 259. t33 Goldschmidt, Prozeß, 290, 336. 184 Vgl. unten § 5 (S. 113- 120). 135 Vgl. etwa Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VII 2 (S. 144 ff.). 138 Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VII 2 (S. 145); Lent, ZZP 67, 351; Lent/Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 26 (S. 78ff.); Nikisch, §53 I 2 (S. 202); Rosenberg/Schwab, § 2 III (S. 7 f.); Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 33 I (S. 81). 137 Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VII 1 a (S. 143); Lent, ZZP 67, 344; Nakano, ZZP 79, 105; Schönke/Schröder/Niese, § 2 IIII 1 a (S. 25); Stein/ Jonas/Pohle, Einl. E II 1; Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 33 I (S. 81). 138 Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VII 2 (S. 145); Stein/Jonas/Pohle, Einl. E II 1. 131

1s2

B. Parteibeziehungen und Elemente des Trennungsdenkens

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und Schriftstücken gern. §§ 422, 423, 427, 441 Abs. 3 ZP0 139, die freilich, wie die§§ 422,429 ZPO zeigen, teilweise auf das Zivilrecht zurückgreift; das in § 444 ZPO statuierte Verbot der absichtlichen Urkundenvernichtung140; die Wahrheitspflicht141 und das Verbot der Prozeßverschleppung gern.§§ 279, 279 a, 283 Abs. 2, 529 Abs. 2 ZP0142• Letztere werden wiederum nach der Vorstellung des Schrifttums teilweise überlagert durch die Mitwirkungspflicht143, die davon manchmal unterschiedene Prozeßförderungspflicht144, den Grundsatz von Treu und Glauben und die damit wohl identische Pflicht zur redlichen Prozeßführung145, zu denen bisweilen noch die Pflicht zur Prozeßwirtschaftlichkeit und die Lauterkeitspflicht146 hinzugefügt werden. Sieht man von der Wahrheitspflicht und der Prozeßverschleppung ab, so beruht das Pflichtengewirr eines "honeste procedere" offenbar147 auf dem Vorspruch zur Prozeßrechtsnovelle des Jahres 1933, der den Parteien eine redliche und sorgfältige Prozeßführung auferlegt148. Sämtliche Pflichten werden, soweit das Schrifttum diese als theoretisch empfundene Frage überhaupt aufwirft, 139 Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VII 1 c (S. 143); Lent, ZZP 67, 354; Nakano, ZZP 79, 105. 140 Schönke!Kuchinke, § 4 Il (S. 10); Stein/Jonas!Pohle, Einl. E II 1. 141 Vgl. z. B. BGH NJW 1968, 1233, 1234, Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VII 1 c (S. 143); Lent, ZZP 67, 344; Lent!Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 26 III (S. 79); Nakano, ZZP 79, 105; Nikisch, § 53 IV (S. 205 ff.); Rosenbergt Schwab, § 2 111 2 (S. 8); Schönke/Kuchinke, § 4 II (S. 9 f .); Schönke/Schröder/ Niese,§ 2 111 1 a (S. 25); Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 33 V (S. 83 f.). 142 Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VII 1 d (S. 144); Rosenbergt Schwab, § 2 111 2 (S. 8); Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 33 IV (S. 83). 143 OLG Koblenz, NJW 1968, 897. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Grundz. vor § 128 2 D; Bruns, Zivilprozeßrecht, § 34 VII (S. 304); Lent, ZZP 67, 344; Nikisch, § 53 II (S. 203); Egbert Peters, Ausforschungsbeweis, 103 ff.; Egbert Peters, ZZP 82, 208 ff.; Schönke/Kuchinke, § 4 II (S. 9 f.); Schänke/ Schröder!Niese, § 2 111 1 a (S. 24); vgl. auch BGH NJW 1960, 821; BGH NJW 1967, 2012, 2013; von Hippel, 218 ff.; 282 ff.; 407 ; skeptisch: Stein/Jonas/Pohle, Einl. E II 2. 144 Baumbach!Lauterbach!Albers/Hartmann, Grundz. vor § 128 2 E; Nakano, ZZP 79, 105; Rosenberg/Schwab, § 2 111 2 (S. 8); Schönke!Schröder/

Niese, § 2 111 1 b (S. 26). 145 Z. B. Lent, ZZP 67, 344; Lent!Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 26 II (S. 78); Nikisch, § 53, 111 (S. 204); Rosenberg/Schwab, ~ 2 IV (S. 8 f.); Schönke!Kuchinke, § 4 II (S. 10); Schönke/Schröder/Niese, § 2 111 1 a p (S. 25); Stein/Jonas!Pohle, Einl. E II 2; Zeiss, Prozeßpartei, passim; Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 33 II, 111 (S. 81 f.); a. A. vor allem Baur, Summum jus. 113; vgl. zur Aushöhlung der Trennungswertung mit § 242 BGB unten § 2 B VI (S. 79 ff.). ue Baumbach!Lauterbach/Albers/Hartmann, Grundz. vor§ 128 2 F, G. 147 Das zeigt etwa ein Vergleich zwischen Rosenberg, Lehrbuch, (3. Aufl.), § 61 V (S. 193) und Rosenberg, Nachtrag, 8; vgl. auch Rosenberg, Lehrbuch, (5. Aufl.), § 61 VII (S. 266). 148 Mit dieser Prozeßnovelle vom 27.10. 1933 (RGBl. I 1933, 780) wurden

unter anderem die Wahrheitspflicht und die Prozeßverschleppung gesetzlich geregelt.

64

§ 2 Die Rechtsbeziehungen der Prozeßparteien in Doktrin und Praxis

in erster Linie auf das Gericht projiziert149, also als staatsbürgerliche Pflichten verstanden1~>o, Eine über den Prozeß hinausreichende Wirkung eines prozessualen Pflichtverstoßes wird nur selten angenommen. Beträchtliche Tradition hat allein die deliktsrechtliche Ersatzpflicht nach §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB wegen Prozeßbetrugs151, mit der - neben der Strafbarkeit und der Wiederaufnahme des Rechtsstreits nach§ 580 Nr. 4 ZPO- die vorsätzliche Verletzung der Wahrheitspflicht sanktioniert werden kann. Da in diesem Fall aber nur an eine materiell-rechtliche Normierung angeknüpft wird, ist die Ersatzpflicht mit der Trennungswertung durchaus vereinbar. Für die Problematik der Wechselwirkung sind daher allein die seltenen Fundstellen interessant, in denen der Verstoß gegen die Wahrheitspflichtl52 oder das Verbot der Prozeßverschleppung158 oder allgemein der Verstoß gegen Treu und Glauben164 bei entsprechendem Schuldgrad zu einer unmittelbaren Haftungsgrundlage- entweder unter Anlehnung an den Gedanken der culpa in contrahendo und damit nach Vertragsgrundsätzen156 oder über§ 823 Abs. 2 BGB als Verletzung eines Schutzgesetzes158 - herangezogen wird. Derartige Rechtsfortbildungen pflegen meist rasch Widerspruch hervorzurufen167. Sie sind auchund darauf kommt es zunächst158 allein an - nur möglich, wenn die insoweit von Goldschmidt begründete, von der h. M. aber im Resultat befolgte Trennungswertung an dieser Stelle überwindbar ist. 149

Lent, ZZP 67, 353 f.; Nakano, ZZP 79, 110; Nikisch, § 53 I 1 (S. 202).

150 Eine gewisse Aufgliederung nach dem Adressat der Parteipflichten,

freilich ohne sichtbaren Nutzeffekt, findet sich bei Schönke/Schröder/Niese, § 2 III (S. 23 ff.). 161 Der Prozeßbetrug dient der Strafrechtsdogmatik geradezu als Schulfall, um im Rahmen des Betrugstatbestandes die Möglichkeit eines Auseinanderfalls von Verfügendem und Geschädigtem zu belegen. t52 Titze, Festschrift für Schlegelberger, 184; weiterhin: Jilrgen Blomeyer, 48 ff.; Rosenberg/Schwab, § 65 VIII 7 c (S. 340); vgL auch Nikisch, § 53 IV 3 (S. 208); einschränkend Henckel, Prozeßrecht, 297 f. 158 DöHe, Festschrift für Riese, 292; beiläufig auch Canaris, Vertrauenshaftung, 373 FN 7; Hans-Jilrgen HeHwig, 77; Hans-Jilrgen HeUwig, NJW 1968, 1072; vgl. aber dagegen Henckel, Prozeßrecht, 298 ff. 154 Berges, NJW 1965, 1507 ff. 15.1> Berges, NJW 1965, 1507 ff.; Hans-Jilrgen HeUwig, 77; Rosenbergt Schwab, § 65 VIII 7 c (S. 340); Titze, Festschrift für Schlegelberger, 184; wohl auch DöUe, Festschrift für Riese, 292; auch Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VII 1 c (S. 144). . 158 Hopt, 269 ff.: Er möchte damit die fahrlässige Verletzung der Wahrheitspflicht erfassen; dagegen etwa Jürgen Blomeyer, 43; Henckel, Prozeßrecht, 297. 157 Gegen Berges etwa Gaul, AcP 168, 23 FN 31. 158 Vgl. im übrigen - auch zur Relation von prozessualem Pflichtverstoß und deliktischen Rechtsgüterschutz - unten § 8 C I 2 (S. 276- 280) und C III (S. 283 - 298).

B. Parteibeziehungen und Elemente des Trennungsdenkens

65

2. Gewillkürte Parteipflichten Die Trennungswertung dominiert auch - jedenfalls im Prinzip bei der Analyse gewillkürter Parteipflichten. Sie wird in der Konstruktion sogar noch schroffer vollzogen. Vertraglich begründete Parteipflichten zur Vornahme oder Unterlassung von Prozeßhandlungen stoßen zwar nicht auf die bei gesetzlichen Parteipflichten nachweisbare Zurückhaltung169 ; das liegt aber hauptsächlich daran, daß sie nach ihren Voraussetzungen und Wirkungen weithin160 dem Zivilrecht zugeordnet werden161 • Daher entsteht auf dem Sektor der gewillkürten Parteipflichten die Antinomie von Lasten und Pflichten nicht. Auch diese Divergenz ist dogmengeschichtlich erklärbar: Während die Parteilasten im modernen Zivilprozeß die überkommene Vorstellung der Contumazialfolgen in weitem Umfang verdrängt und frühzeitig zu Globalbetrachtungen angeregt haben, erfolgte die Anerkennung von Vereinbarungen über prozessuales Verhalten nur schrittweise und gegen den Widerstand namhafter Autoren. Die Triebfeder für diese Entwicklung bildeten die Fallgruppen, in denen das Gesetz selbst prozessuale Vereinbarungen anerkennt: im Erkenntnisverfahren beim Prorogationsvertrag (§§ 38 ff. ZPO), beim Schiedsve-rtrag (§§ 1025 ff. ZPO) sowie bei den "Verfahrensverträgen"182 über die Abkürzung von Fristen {§ 224 Abs. 1 ZPO), über bestimmte Personen als Sachverständige (§ 404 Abs. 4 ZPO) sowie über die Art der Sicherheitsleistung (§ 108 ZPO); im Vollstreckungsrecht weiterhin bei den Vereinbarungen über Zeit und Ort der Versteigerung (§ 816 ZPO), den Teilungsplan (§§ 876 ZPO, 115 ZVG) und die Unterwerfung unter die sofortige Vollstreckung (§§ 794 Abs. 1 Nr. 5, 799, 800 ZPO). Für Bülow, der die Vereinbarungen im Zivilprozeß mit seinen Studien über das dispositive Zivilprozeßrecht183 durchaus gegen seine Absicht164 begünstigt hat, waren selbst der Prorogationsund der Schiedsvertrag Anomalien165 • Gegen eine weitergehende Parteiautonomie im Zivilprozeßrecht wurde daher auch häufig das Schreckgespenst des Konventionalprozesses angeführt188• Kein Wunder also, 1se Diese Zurückhaltung wird allerdings beim Pflichtengewirr des "honeste procedere" aufgegeben. 180 A. A. Hans-Jürgen Hellwig, 77 ff.; Rosenberg/Schwab, § 66 II 2 (S. 341);

Schönke!Kuchinke, § 33 V 2 (S. 148 f .). 161 Baumgärtel, Wesen, 268 ff.; Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VIII 4 b (S. 147 f.); Bruns, § 19 IV 3 b (S. 157); Schiedermair, 172 ff.; Schänke! Schröder!Niese, § 31 I (S. 147); Stein!Jonas!Pohle, Vor§ 128 XI 5. 18! Schiedermair, 45. 183 Bülow, AcP 64, 1. 164 Bülow, AcP 64, 62 ff. 185 Bülow, ZZP 31, 218. 188 Vgl. nur Konrad Hellwig, System I, § 151 I (S. 450); Goldschmidt, Prozeß, 311; Wach, Handbuch, 188. 5 Konzen

§ 2 Die Rechtsbeziehungen der Prozeßparteien in Doktrin und Praxis

66

daß Doktrin und Praxis die Ausweitung der Parteiautonomie auf das Feld des Zivilrechts verlagerten und die durch die unmittelbare prozessuale Wirkung des Prorogationsvertrags nahegelegte Integration in die Prozeßrechtssystematik nur allmählich und partiell durchführten167 • Dadurch entstand eine Zweiteilung zwischen Prozeßvereinbarungen mit Verfügungswirkung188, deren Kennzeichen in der durch den Prorogationsvertrag repräsentierten unmittelbaren Verfahrensgestaltung liegt, und zivilrechtliehen Verträgen über Parteiprozeßverhalten. a) Verfügungs- und Verpflichtungswirkung bei Verträgen über Prozeßhandlungen Diese Zweiteilung charakterisiert auch die heutige Dogmatik der "Prozeßvereinbarung". Das Schrifttum unterscheidet scharf zwischen Prozeßvereinbarungen mit Verfügungswirkung und zivilrechtliehen Verträgen, die zur Vornahme oder Unterlassung von Prozeßhandlungen verpflichten 189• Das Abgrenzungskriterium liegt dabei in der prozessualen oder außerprozessualen Wirkung der Vereinbarung. Zu den Prozeßvereinbarungen zählen nur Verträge, mit denen das Verfahren "unmittelbar" gestaltet werden kann. Das gilt einmal für Fälle, in denen wie bei§ 38 ZPO die Verfahrensgestaltung mit der Vereinbarung eintritt und vom Gericht zu beachten ist, wenn eine der Parteien sie in den Rechtsstreit einführt170 ; zum anderen auch für solche, in denen die Verfahrensgestaltung nach h. M. davon abhängt, ob sich der Begünstigte im Wege einer prozessualen Einrede auf die Vereinbarung beruft171 • Letzteres wird beispielsweise für den antizipierten Rechtsmittelverzicht gegenüber dem Prozeßgegner gefordert172 • Demgegenüber sollen die zivilrechtliehen Verträge über Prozeßhandlungen, sieht man von der Vgl. den Überblick bei Schiedermair, 7 -18. Dazu bereits oben § 1 B I (S. 30). 189 Die Unterscheidung ist in der monographischen Literatur besonders stark ausgeprägt; vgl. etwa Baumgärtel, Wesen, 184 ff., 286 ff.; Schiedermair, 42 ff., 172 ff.; die Lehrbücher und Kommentare akzentuieren nicht so stark, da sie oft nicht alle Fallgestaltungen erfassen. Vgl. aber Rosenberg/Schwab, § 66 II 2 (S. 341); Schönke!Kuchinke, § 33 V (S. 148 f.); Stein/Jonas/Pohle, Vor 111

188

§ 128 XI 5.

110 Der Hinweis darauf, daß diese Vereinbarungen "von Amts wegen" zu berücksichtigen seien, hat nichts mit dem Problem der Amtsprüfung im Zivilprozeß zu tun; vgl. zur Unterscheidung Schlosser, Parteihandeln, 49 f. und zur Amtsprüfung allgemein Rimmelspacher, Amtsprüfung, 166 ff. 111 Vgl. etwa Schiedermair, 125; gegen diese "Einredetheorie" neuerdings Schlosser, Parteihandeln, 47 ff., der auf Forschungsergebnisse Jahrs zur bürgerlich-rechtlichen Einrede verweist. Vgl. dazu Jahr, JuS 1964, 297 und weiterhin Schlosser, JuS 1966, 265. 171 Vgl. etwa Schiedermair, 125 f .; vgl. zum antizipierten Rechtsmittelverzicht durch Vertrag näher § 2 B IV 2 b bb) (S. 69).

B. Parteibeziehungen und Elemente des Trennungsdenkens

67

Merkwürdigkeit der exceptio doli processualis zunächst ab 173 , nur zu den für zivilrechtliche Pflichten kennzeichnenden Erfüllungs- und Schadensersatzansprüchen führen und sonst im Verfahrenunbeachtlich sein. Diese Unterscheidung setzt sich naturgemäß bei der Frage nach der Zulässigkeit derartiger Verträge fort. Während bei Prozeßvereinbarungen mit Verfügungswirkung danach gefragt wird, ob die Regeln des Zivilprozeßrechts insoweit dispositiv sind 174, verweist man für zivilrechtliche Verträge über prozessuales Parteiverhalten auf die weiterreichende Privatautonomie und deren Schranken 176• Dieses Trennungsdenken empfängt seine Impulse durch divergierende Voraussetzungen, die das BGB und die ZPO beim Abschluß von Verträgen bzw. bei der Vornahme von Prozeßhandlungen aufweisen178 • Sie sorgen dafür, daß die Tendenz ganz auf die Unterscheidung der Vertragstypen gerichtet ist und etwaige Wechselwirkungen zurückgedrängt werden. Zwar ist bei vielen Vertragstypen sehr umstritten, welchem Bereich sie zuzuordnen sind; aber abgesehen vom Prozeßvergleich mit seiner Doppelnatur177 , wird stets eine eindeutige Einordnung versucht. Einigkeit besteht im übrigen allein über die Richtschnur, wonach den Parteien im Zweifel an einer unmittelbar verfahrensgestaltenden Wirkung liegt178• Von dieser Auslegungsregel wird aber sogleich Abstand genommen, wenn die Vornahme oder Unterlassung der Parteiprozeßhandlung von einer Gegenleistung abhängen sonm. Dann bleibt es bei einem verpflichtenden Vertrag. b) Trennung von Verfügungs- und Verpflichtungswirkung Das geschilderte Trennungsdenken beruht auf einer Absonderung der prozessualen von den außerprozessualen Wirkungen eines Parteiverhaltens und auf der oben gestreiften These, daß Zivil- und Prozeßrecht nach ihren Wirkungen zu unterscheiden seien180 • Die mit dieser Abgrenzung verknüpfte Präjudizierung der Trennungswertung durch eine systematische Begriffsbildung181 tritt daher auch prompt ein. Sie führt im Grundsatz zu einer strikten Trennung von Verfügungs- und 173 174

47 ff.

Dazu sogleich unter § 2 B IV 2 b bb) (S. 70- 71). Wesen, 187 ff.; Hans-Jürgen Hellwig, 83; Schiedermair,

Baumgärtel,

Baumgärtel, Wesen, 268; Schiedermair, 173. Schiedermair, 7. 111 Vgl. dazu oben § 2 B II (S. 54 f.). 11s Hans-Jürgen Hellwig, 60; Rosenberg!Schwab, § 66 II 2 (S. 341); Schiedermair, 95. 179 Baumgärtel, Wesen, 206; Hans-Jürgen Hellwig, 72; Rosenberg/Schwab, '§ 66 II 2 (S. 341); Schiedermair, 116; näher unten § 2 B IV 2 b bb) (S. 69). tso Schiedermair, 39. tat Vgl. oben § 2 B I 3 a (S. 48 - 49). 175

178

68

§2

Die Rechtsbeziehungen der Prozeßparteien in Doktrin und Praxis

Verpflichtungswirkung, die allerdings durch eine Reihe von Mischstrukturen mit einer recht unsystematischen Lösung überlagert wird.

aa) Trennungsfälle Scheinbar unverfänglich ist die Trennungswertung, soweit eine Verpflichtung zur Vornahme oder Unterlassung einer Parteiprozeßhandlung im Prozeß unbeachtlich sein und allenfalls zu einem Erfüllungsoder Schadensersatzanspruch führen soll. Das Paradebeispiel der Literatur für diesen Vertragstyp ist der antizipierte, vertragliche Rügeverzichtl82. Ihm wird häufig die prozessuale Wirkung abgesprochen, da der Partei nach § 295 Abs. 1 ZPO die Möglichkeit der Rüge bis zur nächsten mündlichen Verhandlung verbleiben solle. Dennoch soll der antizipierte Rügeverzicht materiell-rechtliche Vertragswirkungen haben183. Eine derartige Divergenz ist sicher nicht schlechthin zu verwerfen. Das nur im laufenden Rechtsstreit beachtliche öffentliche Interesse, wie es beispielsweise an einer Prozeßbeschleunigung bestehen kann, gebietet keine absolute Gleichbehandlung von inner- und außerprozessualen Rechtsfolgen. Gerade der antizipierte Rügeverzicht durch Vertrag zeigt aber die Fragwürdigkeit der 'Trennungswertung. Wenn die h. M. mit ihrer prozessualen Würdigung des antizipierten Rügeverzichts Recht hat, so erfolgt diese Wertung mit Rücksicht auf die Entschlußfreiheit der Prozeßpartei184. Diese aber wird durch drohende Schadensersatzansprüche des Gegners kaum weniger beeinträchtigt186. Intensiver noch wirkt sich die Trennungswertung aus, wenn man mit der obigen Eingangskasuistik danach fragt, ob ein Beweismittelvertrag wegen Abbruchs der geschäftlichen Beziehungen durch den vertragswidrig vernommenen Zeugen bei schuldhaftem Verhalten des Prozeßgegners gegen diesen einen Ersatzanspruch der benachteiligten Prozeßpartei herbeiführen kann188. Das Schrifttum verneint. Teilweise verkennt es das von Hans-Jürgen Hellwig nachgewiesene Parteiinteresse an einer zusätzlichen Verpflichtungswirkung187. Dogmatisch ergiebiger und wohl wegen der prinzipiellen Scheidung von Zivil- und Prozeßrecht auch wirkungsvoller ist indessen der von Schiedermair angeführte t82 Baumbach!Lauterbach!Albers!Hartmann, § 295 2 B; Baumgärtel, Wesen, 270; Konrad Hellwig, Festgabe für Gierke, 89; Schönke!Schröder/Niese, § 31 III 2 a (S. 150); Stein!Jonas/Schumann!Leipold, § 295 III 1, FN 68; vgl. auch RGZ 133, 215, 218; RGZ 135, 118, 119. 183 Vgl. die in FN 182 genannten Autoren. t84 Baumgärtel, Wesen 270; Schlosser, Parteihandeln, 58. 186 Zutreffend deshalb Schlosser, Parteihandeln, 58. t8e § 1 A, Beispiel 8. 187 Rosenberg/Schwab, § 66 li 2 (S. 341); vgl. demgegenüber Hans-Jürgen Hellwig, 60 ff., 74 ff.

B. Parteibeziehungen und Elemente des Trennungsdenkens

69

Grund. Er verweist auf die prozeßrech.tlich.e Natur des Vertrages, der bei der zusätzlichen Existenz materiell-rechtlicher Wirkungen eine von Sch.iedermair allein dem Prozeßvergleich. vorbehaltene Rechtsnatur eines gemischten Vertrags hätte188• Dieser Standpunkt ist für Sch.iedermair zweifellos folgerichtig, zeigt aber, daß das vorgefaßte Trennungsdenken und die daraus resultierende Begriffsbildung interessenwidrige Wertungen verursachen kann. Das Resultat ist deshalb nur annehmbar, wenn es nicht auf einer willkürlichen Begriffsbildung basiert, sondern durch anderweitige zwingende Gründe für eine Trennungswertung gefordert wird. bb) Mischstrukturen

Die Prozeßdoktrin kann zu dem die Trennungswertung nicht durchhalten. Sie muß ihr Konzept in den oben bereits angedeuteten Falstrukturen verlassen, in denen eine unmittelbar prozessuale Wirkung zwar zulässig wäre, die Prozeßparteien aber die Verpflichtung zur Vornahme oder Unterlassung einer Parteiprozeßhandlung von einer Gegenleistung abhängig machen wollen. Ein Beispiel dafür ist - wenn man mit einem beträchtlichen Teil des Schrifttums prinziell der Vereinbarung eines antizipierten Rechtsmittelverzichts eine unmittelbare prozessuale Wirkung beilegt18a - eine Verpflichtung zum Rechtsmittelverzicht für den Fall eines außergerichtlichen Vergleichs. Obwohl die bloße Verpflichtung diese Vereinbarung nach dem Konzept der h. M. als zivilrechtliehen Vertrag ausweist, soll die vertragswidrige Einlegung eines Rechtsmittels dennoch prozessual unzulässig sein190• Der Gegner erhält eine exceptio doli processualis191• Das mit ihr erreichbare Ergebnis ist sicher billigenswert. Es verdeutlicht aber wiederum nur die Zweifel an der Trennungswertung. Bei Erfüllung der Gegenleistung ist nämlich das gemeinsame Parteiinteresse auf keine schwächere Rechtswirkung gerichtet als sonst beim vertraglichen Rech.tsmittelverzich.t. Und die Doktrin benötigt das Bindeglied des § 242 BGB nur deshalb, weil sie eine reinliche Scheidung zwischen Verfügungs- und Verpflichtungswirkungen vornimmt und deshalb einer zivilrechtliehen Vereinbarung prozessuale Relevanz zubilligen muß. 188 Schiedermair, 96; vgl. aber zu Pflichten aus dem Schiedsvertrag: Baumgürtel, Wesen, 234 f. 189 Baumgärtel, Wesen, 206 ff.; Habscheid, NJW 1965, 2372 f.; Lent/Jauernig, Zivilprozeßrecht § 72 VII (S. 225); Schiedermair, 77 ff.; Stein/Jonas! Grunsky, § 514 IV 2; a. A. RGZ 104, 133, 135; BGH NJW 1951, 275; BGHZ 28, 45, 48; Baumbach/Lauterbach/Albers!Hartmann, § 514 I; Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 98 I (S. 524). 110 Baumgärtel, Wesen, 271; vgl. auch Schiedermair, 177; Schlosser, Partei-

handeln, 81.

1D1 Baumgärtel, Wesen, 271; Hans-Jürgen Hellwig, 73; vgl. auch Schiedermair, 177; Schlosser, Parteihandeln, 81 sowie die anschließende FN 196 a. E.

70

§

2 Die Rechtsbeziehungen der Prozeßparteien in Doktrin und Praxis

Eine zweite Fallgruppe ist zwar durch die gleiche Konstruktion gekennzeichnet, kann sich aber nicht auf die vorstehende Interessenerwägung berufen. Das Schrifttum hilft sich nämlich mit der exceptio doli processualis auch in Fällen, in denen weder "von Amts wegen" noch durch eine prozessuale Einrede eine unmittelbare Verfahrensgestaltung mittels einer Prozeßvereinbarung eintreten soll. Repräsentativ ist insoweit die Abrede, eine Klage zurückzunehmen. Auch deren Rechtsnatur ist streitig112• Von Interesse ist hier nur der Standpunkt der h. M.183, den das RG114 maßgeblich geprägt hat und dem auch der BGH115 folgt. Danach soll lediglich eine Pflicht begründet werden, die Klage zurückzunehmen. Dennoch soll die Fortsetzung des Rechtsstreits unzulässig sein und die Klage nach h. M. auf eine exceptio doli processualis des Beklagten hin als unzulässig abgewiesen werden198• Im Resultat tritt also eine prozessuale Wirkung aufgrund eines materiellrechtlich verstandenen Vertrages ein. BaumgärteP97 erläutert diesen Vorgang so: Die Fortsetzung des Rechtsstreits stelle materiell-rechtlich gesehen eine Vertragsverletzung dar. Unter prozessualer Sicht handele es sich um die unzulässige Ausübung einer prozessualen Befugnis. Das Verhalten des Klägers widerspreche nämlich dem vorausgegangenen außerprozessualen Handeln und verstoße damit gegen den auch im Zivilprozeßrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben. Die Vereinbarung der Klagerücknahme wird also erst in das Zivilrecht komplimentiert und dann über den "allgemeinen Rechtsgedanken" des§ 242 BGB in das Prozeßrecht zurückgeholt. Das ist ein konstruktiver Umweg, der sicher kordgierbar ist. Er dokumentiert aber erneut, daß die Trennungswertung überprüft werden sollte. Diese ist in jedem Fall im Be182 Vgl. den Streitstand bei Baumgärtet, Wesen, 261. 1sa Baumbach!Lauterbach/Albers/Hartmann, § 271 2 B; Baumgarten, Wesen, 263 ff.; Arwed Btomeyer, Zivilprozeßrecht, § 63 IV (S. 309 f.); Stein/Jonas/ .Schumann/Leipotd, § 271 I 3. 114 RGZ 102, 217, 222; RGZ 142, 1, 4; RGZ 159, 186, 189. 1t6 BGH NJW 1961, 460; BGH NJW 1964, 549, 550. 181 RGZ 102, 217, 222; RGZ 142, 1, 4; RGZ 159, 186, 189 f.; Baumbach/Lauterbach/Atbers!Hartmann, § 271 2 B; Arwed Btomeyer, Zivilproze.ßrecht, § 63 IV (S. 309 f.); Schiedermair, 117 H.; Schönke/Schröder/Niese, § 31 I (S. 147), -§ 69 II 2 (S. 316); Stein/Jonas/Schumann!Leipold, § 271 I 3. Neuerdings wird

zunehmend gefordert, den Umweg über die exceptio doli processualis zu vermeiden und die Vertragswidrigkeit auf eine exceptio pacti hin zu beachten; vgl. BGHZ 10, 22, 23; BGH NJW 1958, 1397, 1398; Arwed Btomeyer, Zivilproze.ßrecht, § 30 VIII 4 b (S. 148); Schönke!Kuchinke, § 33 V 2 (S. 148 f.); Zeiss, Proze.ßpartei, 106, 108. Das bedeutet, daß zivilrechtliche Verträge- im Widerstreit zur Trennungswertung - doch prozessuale Rechtsfolgen haben können. Vgl. auch Baumgärtet, Festschrift für Schima, 49; er beruft sich neuer4 Dazu unten § 7 (S. 176 - 249). s55 Dazu unten § 8 (S. 250- 298). 346

347

94

§

2 Die Rechtsbeziehungen der Prozeßparteien in Doktrin und Praxis

lern Verhalten358 im Ergebnis sichtbar werden, durch ein bedenkliches Netz von Kunstgriffen verdeckt.

D. Vergleich zwischen System und Kasuistik Der zuvor erläuterte Stand des Schrifttums zum Problem der Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien bietet insgesamt ein inhomogenes und verwirrendes Bild. Dominierend ist eine deutliche Diskrepanz zwischen System und Kasuistik. Auf der einen Seite steht die traditionelle Trennungswertung. Sie reduziert die Sanktionierung von schuldhaften Verstößen der Prozeßparteien gegen Parteiprozeßpflichten auf innerprozessuale Rechtsfolgen. Sie steht gewillkürten Parteipflichten bei Prozeßvereinbarungen mit Verfügungswirkung entgegen. Sie verdrängt die Kategorie der materiell-rechtlichen Widerrechtlichkeit aus dem Prozeßrecht und statuiert damit die prozessuale Irrelevanz von materiell-rechtlichen Vertragsverletzungen und Deliktshandlungen. Sie überläßt andererseits bei materiell-rechtlichen Rechtsfolgen die Bewertung des Parteiprozeßverhaltens dem Zivilrecht. Die Argumente für die Trennungswertung sind spärlich. Sie reichen von Folgerungen aus dem öffentlich-rechtlichen Prozeßrechtsverhältnis über Goldschmidts prozessuale Rechsbetrachtungsweise bis hin zur Theorie der doppelfunktionellen Prozeßhandlungen. Auf der anderen Seite steht die praktische Aushöhlung der Trennungswertung. Sie vollzieht sich im innerprozessualen Lebensbereich durch generalklauselartige Institute wie die Mitwirkungs- und Prozeßförderungspfticht, das Rechtsschutzinteresse und den als "allgemeinen Rechtsgedanken" verstandenen Grundsatz von Treu und Glauben. Sie erfolgt außerprozessual wiederum mit Hilfe des Rechtsschutzinteresses, weiterhin durch die Rechtsfiguren der Wahrnehmung berechtigter Interessen und des Rechtfertigungsgrundes der gerichtlichen Inanspruchnahme sowie durch die Berücksichtigung prozessualer Wertungen bei der Präzisierung deliktischer Verhaltenspftichten. Mit diesen Rechtsinstituten wird die Trennungswertung (theoretisch) fiktiv aufrecht erhalten, in Wahrheit aber kasuistisch durchbrachen. Die Flexibilität dieser Institute macht sie bei gleichartigen Fallstrukturen nebeneinander verwendbar, ohne zu kongruenten Resultaten zu führen. Die Flucht in die Generalklauseln verdeckt Querverbindungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht und verhindert ihre Integration in die Prozeßrechtssystematik. Die Vielfalt der Lösungsansätze zerreißt zudem Systemzusammenhänge und erschwert die gleichförmige Rechtsanwendung. Die feh356

Dazu unten §

9 (S. 299 - 328).

D. Vergleich zwischen System und Kasuistik

95

Iende Integration der Kasuistik in die Prozeßrechtssystematik birgt insgesamt die Gefahr, durch fallbezogene Rechtsanwendung im Grenzbezirk von Zivil- und Prozeßrecht eine systematische Verdichtung mit widersprüchlichem Inhalt eintreten zu lassen. Die mit dem Trennungsdenken erstrebte Systemeinheit wird daher mit einem am Rande des Prozeßrechtssystems wuchernden dogmatischen Wildwuchs teuer erkauft. Diesem Wildwuchs läßt sich allein mit einer theoretischen Präzisierung der Rechtsbeziehungen zwischen Prozeßparteien begegnen.

§ 3 Das Gebot einer theoretischen Präzisierung der Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien A. Anliegen der weiteren Untersuchung Der Schrifttumsbefund erlaubt nunmehr, die obige Problemstellung1 zu präzisieren und die einzelnen Untersuchungsschritte festzulegen. Die Aufgabe ist mehrschichtig. Den Ansatzpunkt bildet der dogmatische Wildwuchs am Rande des Prozeßrechtssystems. Die Vielfalt der in ihm nachweisbaren Rechtsfiguren und die damit verbundene Rechtsunsicherheit müssen beseitigt, die hinter Generalklauseln versteckten Systemzusammenhänge zwischen dem prozessualen und dem außerprozessualen Lebensbereich müssen aufgedeckt werden. Dieses Grundanliegen hat auch vor dem Hintergrund einer "aufgeklärten" Methodenlehre, die zu Recht eine weniger strikte Anhindung der Rechtsfindung an den existenten dogmatischen Fundur, konstatiert2, nichts an Wert verloren. Wenn sich die Rechtsfindung nicht im denkenden Gehorsam gegenüber dem Gesetzgeber erschöpft, sondern die Programmierung des Norminhalts eine Kooperationfrage von Textformulierung und Textverständnis im Lichte der aktuellen Problemsicht3 bedeutet, ist damit zwar ein Funktionswandel der Rechtsdogmatik verknüpft; doch hat diese nicht jeden Sinn verloren. Die Bildung dogmatischer Denkfiguren und ihre systematische Verankerung bleibt auch dann noch wertvoll, wenn sie bei der Beurteilung des einzelnen Rechtsfalls modifizierbar sind, die wissenschaftliche Systembildung also offen ist. Auch dann behält nämlich die Dogmatik ihre Funktion, die Gerechtigkeitsfragen in ihren Einzelhereichen juristisch operational zu machen4 • Schon dieser Gesichtspunkt trägt das Vorhaben, die aufgezeigte Vielzahl vager Generalformeln durch eindeutiger fixierte und aufeinander abgestimmte Wertmaßstäbe zu ersetzen. Mit dieser Einsicht ist freilich der Umfang des Untersuchungsgegenstandes noch nicht endgültig umrissen. Es wäre denkbar, die unter falscher Flagge vollzogene Durchbrechung des Trennungsdenkens als Ausgangspunkt anzuerkennen. Dann bestünde die Aufgabe allein darin, Vgl. oben I§ 1 D (S. 40 f.). Vgl. auch unten'§ 3 C (S. 101). s Esser, AcP 172, 112. 4 Esser, AcP 172, 113. 1

2

A. Anliegen der weiteren Untersuchung

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die einzelnen Rechtsinstitute zu konkretisieren und gegeneinander abzugrenzen, ggfs. Einzelfälle aus den Generalklauseln herauszunehmen und etwaige Wertungswidersprüche zu korrigieren. Auf diese Weise hat etwa Zeiss das schwer zugängliche Dickicht der prozessualen Arglist mit Erfolg gelichtet5 • Dennoch wäre diese Problemsicht für die weiterreichende Fragestellung nach dem Umfang des Trennungsdenkens aus zwei Gründen zu eng: Dabei bliebe zunächst unbeantwortet, wann und warum materiell-rechtliche Wertungen im Prozeßrecht zu beachten sind und wann umgekehrt die prozessuale Funktion des Parteiverhaltens im Zivilrecht zu berücksichtigen ist. Daß die mit Hilfe der Generalklauseln erzielten Ergebnisse nicht schlechthin als verbindlich anzusehen sind, beweisen schon die Gegenstimmen, die sich beispielsweise gegen die außerprozessuale Verwirkbarkeit von Klagen' oder gegen die Zurückweisung eines Beweisantritts mit widerrechtlich erlangten Beweismitteln7 richten. Im übrigen stehen diese Ergebnisse im Kontrast zu der im Kern des Prozeßrechtssystems nachweisbaren Trennungswertung. Deshalb sind die für das Trennungsdenken angeführten Gründe in den Untersuchungsrahmen einzubeziehen: das öffentlich-rechtliche Prozeßrechtsverhältnis, die Unterscheidung zwischen der prozessualen und der materiell-rechtlichen Rechtsbetrachtungsweise und die doppelfunktionelle Betrachtungsweise. Dagegen ließe sich einwenden, das Prozeßrechtsverhältnis sei als prozessuale Zentralfigur längst eliminiert, die Doktrin Goldschmidts in Kernstücken nicht akzeptiert und Nieses Theorie der doppelfunktionellen Prozeßhandlungen allenfalls im Strafverfahrensrecht bedeutsam. Dieser Einwand scheint im Kern nicht ganz unberechtigt. Doch erlaubt die Skepsis gegenüber "prozessualen Grundbegriffen" nicht, die im Grundsatz und manchmal auch im Detail8 schroff eingehaltene Trennung zwischen dem prozessualen und dem außerprozessualen Wirklichkeitsraum beiseite zu schieben. Immerhin wird das Prozeßrechtsverhältnis auch heute noch als Summe von Rechtsbeziehungen verstanden, die vom materiellen Recht unabhängig sind9 • Zudem wirkt Goldschmidts Betrachtungsweise zumindest bei der auch heute geläufigen Doppelbedeutung der Rechtsnormen als Verhaltens- und als Streitentscheidungsnorm für den Richter1o nach. Schließlich ist auch die Doppelfunktion von Prozeßhandlungen keine isolierte Erscheinung des Strafverfahrens. Parallelwertungen im Zivilprozeßrecht sind durchaus denkbar. Erst wenn sich diese Grunds Zeiss, Prozeßpartei, passim. e Vgl. nur Dii.tz, NJW 1972, 1027. 1 Baur, Summum ius, 113; vgl. näher § 7 C (S. 242- 249). s Vgl. zur Ablehnung zusätzlicher Parteipflichten bei Prozeßvereinbarungen mit Verfügungswirkung oben § 2 B IV 2 b aa) (S. 68). t Vgl. § 2 B III (S. 55 f.). 1o Vgl. etwa Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 1 II 1 (S. 2 f .). 7 Konzen

98

§ 3 Gebot einer theoretischen Präzisierung

lagen der Trennungswertung als nicht haltbar erweisen, läßt sich der Weg für Querverbindungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht bei der Bewertung und den Rechtsfolgen des prozeßerheblichen Parteiverhaltens ebnen. Die Problemstellung zwingt daher zu einer Doppelaufgabe. Zuerst sind die tragenden Gründe des Trennungsdenkens kritisch zu analysieren. Insofern sind eine dogmengeschichtliche Untersuchung des Trennungsdenkens11 und die durch Nieses Theorie vorgegebene, partielle Vergleichung des Zivil- und des Strafprozeßrechtsl% notwendig. Dieser kritische Teil kann freilich allenfalls ergeben, daß eine Überwindung der Trennungswertung möglich ist. Inwieweit sie real durch Querverbindungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht zu ersetzen ist, läßt sich anschließend anhand der von der Eingangskasuistik umrissenen Fallgruppen nachweisen. B. Gang der Untersuchung

Das Anliegen der Arbeit bestimmt den Gang der weiteren Untersuchung. Die geschilderte Doppelaufgabe bedingt eine Zweiteilung. Im kritischen Teil sind die Theorie vom Prozeßrechtsverhältnis (§ 4), das auf Goldschmidts Betrachtungsweisen aufbauende Verständnis des Prozesses als Rechtslage(§ 5) und die doppelfunktionelle Betrachtungsweise (§ 6) zu würdigen. Die Ablehnung eines schroffen Trennungsdenkens eröffnet dann den Raum für ein System der Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien. Den Ausgangspunkt dafür bildet der Fallkatalog der Eingangskasuistik13• Er führt zur Unterteilung in zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen (§ 7), prozessuale Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien (§ 8) und materiellrechtliche Rechtsfolgen aus prozessualem Verhalten{§ 9). n Diese muß bei der von Windscheid begründeten Trennung von Rechtsordnung und Rechtsschutzordnung ansetzen. 12 Dabei kommt es weniger auf den Gedanken der allgemeinen Prozeßrechtslehre an als auf den Kontrast der Verfahrensordnungen, die das Verständnis zivilprozessualer Erscheinungen erleichtern. Insofern ist auch die Einschränkung auf einen partiellen Vergleich des Zivil- und Strafprozeßrechts vertretbar. Eine weitergehende Rechtsvergleichung mit ausländischen Rechtsordnungen unterbleibt dagegen. Sie wäre als Vergleich mit ausländischen Prozeßrechtssystemen schon deshalb fragwürdig, weil die schroffe Trennung von Anspruch und Klage vor allem dem deutschen Rechtskreis eigentümlich und etwa dem angelsächsischen Recht die Unterscheidung von öffentlichem und privaten Recht fremd ist; vgl. dazu auch Hans-Jürgen Hellwig, 46 FN 50 sowie für den romanischen Rechtskreis auch den Hinweis bei Baumgärtel, Wesen, 64 FN 414. Im übrigen zeigt die Rechtsvergleichung gerade hier nicht selten, daß in anderen Rechtsordnungen zwar ähnliche Probleme bestehen, die Lösung aber dem heimischen Recht überlassen bleibt; vgl. dazu Esser, ZZP 83, 352. 13 Deren Ordnung unter § 2 C IV a. E. (S. 93) bestimmt die Unterteilung in§§ 7-9.

C.Methode

99

C. Methode Dogmatische Untersuchungsresultate hängen nicht selten von methodischen Prämissen ab. Diese Konnexität gebietet eine Aufdeckung der angewandten Untersuchungsmethode14• Diese ist im Kernstück des kritischen Teils (§§ 4 - 6)) der Arbeit nicht allzu problematisch. Das Hauptgewicht liegt dabei nämlich auf einer immanenten Kritik an den tragenden Elementen des Trennungsdenkens; das heißt auf der Fage, ob die Theorie vom Prozeßrechtsverhältnis, die prozessuale Rechtsbetrachtungsweise und die doppelfunktionelle Betrachtungsweise die getrennte inner- und außerprozessuale Bewertung des prozeßerheblichen Parteiverhaltens und die reinliche Scheidung der Rechtsfolgen absichern können. Insoweit kommt es mehr auf eine kritische Analyse vorgegebener Begriffsgebäude auf ihre innere Folgerichtigkeit an. Methodisch liegt der Akzent daher auf dem positiven Nachweis von Querverbindungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht. Die Arbeit richtet sich dabei nach den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsfindung und Rechtsfortbildung. Eine besondere prozessuale Betrachtungsweise, wie sie Weber unter Hinweis auf Goldschmidts Forschungen empfiehlt15, stößt als spezifische prozessuale Methodik zu Recht auf Skepsis11• Sie kann schon deshalb nicht als Ausgangspunkt dienen, weil sie eine Trennungswertung präjudiziert und gerade deshalb den Gegenstand der Kritik bildet17• Die Argumentationsmuster entstammen daher dem klassischen hermeneutischen Arsenal. Im Vordergrund steht bei der Normauslegung und bei der Rechtsfortbildung der Sinn und Zweck einer getroffenen Regelung. Soweit materiell-rechtliche Wertmaßstäbe in das Prozeßrecht transformiert werden sollen, kann überdies nicht völlig auf die Zweckbeziehung zwischen dem Zivil- und dem Zivilprozeßrecht verzichtet werden. Dennoch bedarf es keiner Diskussion der verschiedenartigen Deutungen, die der Zweck des Zivilprozesses als Ganzes erfahren hat18• Die Arbeit stützt sich insofern nur auf die wohl unbezweifelbare These, daß die Normen des Prozeßrechts die Durchsetzung des materiellen Rechts allenfalls vereiteln dürfen, wenn die aus dem prozessualen Normengefüge ableitbaren Interessen der Parteien oder des Staates an pro14 Zu den Gefahren einer "Miniaturmethodenlehre" in dogmatischen Untersuchungen und umgekehrt zu den Nachteilen, die sich aus stillschweigend vorausgesetzten methodischen Prämissen ergeben, vgl. Kollhosser, 42 f.; das von ihm betonte Dilemma für den Autor und den Leser bleibt in jedem Fall bestehen. 1s Weber, Stud. Gen. 1960, 183 f. 16 Vgl. etwa Stein/Jonas/Pohte, Einl. M II. 11 Vgl. näher § 5 (S. 113- 120). 1s Vgl. nur Gaul AcP 168, 27 ff.; Hencket, Prozeßrecht, 41 ff.; Pawtowski, ZZP 80, 345 f.; Rimmetspacher, Amtsprüfung, 10 ff.

7•

§ 3 Gebot einer theoretischen Präzisierung

100

zessualen Instituten - etwa dem der formellen und materiellen Rechtskraft - dies gebieten. Das umrissene methodische Programm ist angesichts der modernen Methodendiskussion mit Sicherheit einer Vielzahl von Anfechtungen ausgesetzt, die mit den methodischen Prämissen auch die dogmatischen Ergebnisse erfassen können. Dennoch ist eine Rundumverteidigung, die ohnehin auf eine methodische "Vulgärfibel" 10 hinausliefe, weder möglich noch nötig. Notwendig ist allein die Fixierung des eigenen Standorts, dessen Plattform der in der Methodendiskussion erreichte Konsens bildet. Selbst insoweit sind die angeführten Gesichtspunkte willkürlich und fragmentarisch. Sie betrachten allein den Sinnwandel, der die Rechtsdogmatik angesichts der gewandelten Erkenntnisse über den Rechtsanwendungsvorgang kennzeichnet. Das hermeneutische Interpretationsarsenallegt die Vorstellung nahe, die Resultate der Rechtsfindung ließen sich mit Hilfe eines ausgefeilten Dogmengebäudes aus dem Gesetz ableiten. Seine normative Grundlage ist heute die in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Bindung des Richters an Gesetz und Recht, die ihrerseits Ausdruck des überkommenen Gewaltenteilungsprinzips, hier konkret: der Trennung zwischen der rechtsetzenden und der rechtsprechenden Gewalt ist. Strikt wörtlich verstanden ist gedankliche Prämisse dieses Modells das formallogisch deduktive System20, aus dem bei der Entscheidung jedes Konfliktsfalls nur eine richtige Lösung ableitbar ist. Von dieser Prämisse ist aber die moderne Rechtsanwendungsmethodik weit entfernt. Deshalb läuft oft auch die rechtsdogmatische Argumentation Gefahr, als Begriffsjurisprudenz gegeißelt und eines blinden Gesetzespositivismus geziehen zu werden. Dieser durchaus populäre Einwand ist aber vordergründig und vernachlässigt den bereits mehrfach erwähnten Sinnwandel des modernen rechtsdogmatischen Denkens. Dessen Grundlage bildet eine Methodenrichtung, die sich, wenn man die breit aufgefächerte Meinungsvielfalt im Detail übergeht, mit dem Schlagwort "Wertungsjurisprudenz"21 bezeichnen läßt. Auf ihrer Grundlage läßt sich einräumen, daß sich in der Rechtsfindungspraxis - zumindest bei jedem halbwegs problematischen Fall - mehrere vertretbare Lösungen finden lassen. Das bedeutet konkret einen beträchtlichen Dezisionsspielraum des Rechtsanwendenden, der heute- nicht selten unter Hinweis auf den kritischen Rationalismus22 - besonders hervorgehoben wird. Dieser Wertungsspielraum basiert nicht nur auf der abstrakten Erkenntnis, daß die 10

zo 21 22

Kollhosser, 43.

Vgl. dazu näher Canaris, Systemdenken, 19 ff. Methodenlehre, 126 ff. Vgl. nur Säcker, Grundprobleme, 7, 104 ff.; Schwerdtner, Rechtstheorie Larenz,

1971" 224 ff.

C.Methode

101

Rechtsnorm im aktuellen Konfliktsfall häufig keine eindeutige Lösung bietet. Er berücksichtigt auch, daß der konkrete Rechtsanwendungsvorgang - bereits bei der Auswahl der "relevanten" Merkmale des zu beurteilenden Streitfalls, aber auch bei der Ermittlung des Sinns einer Norm - ein dialogischer Vorgang ist23 • Deshalb ist, um die bereits zitierte Wendung Essers aufzugreifen, die Programmierung des Norminhalts eine Kooperationsfrage von Textformulierung und Textverständnis im Lichte der aktuellen Problemsicht24 • Die damit verbundene Verlagerung der "Rechtsfindung" vom Gesetzgeber auf den Richter und die vor allem seit Viehwegs Topikstudie25 geläufige Betonung des Problemdenkens lenken zwar den Blick auf die außerdogmatischen Maßstäbe des Rechtsfindungsprozesses28 und reduzieren den Wert des dogmatisch erarbeiteten Systems auf einen offenen27 , modifizierbaren Kontrollmechanismus. Gerade dieser aber bestimmt, wie Essers Überlegungen zu den Möglichkeiten und Grenzen dogmatischen Denkens verdeutlichen, die Funktion der Dogmatik dahin, die Gerechtigkeitserwägung juristisch operational zu machen28• Die Bindung des Richters ist zwar nicht auf den existenten dogmatischen Fundus fixiert, aber immerhin an dem aus diesem resultierenden Begründungszwang orientiert. Es bedarf zumindest eines tragfähigen, das dogmatische Gefüge eines Rechtsanwendungskomplexes modifizierenden Grundes, um das herkömmliche Normenverständnis bei der Entscheidung des aktuellen Konfliktsfalles zu überwinden28• Andernfalls wäre die in Art. 20 Abs. 3 GG postulierte Bindung des Rechtsanwendenden völlig preisgegeben. Auch vor dieser Bindung machen freilich die bereits oben erwähnten30• Übersteigerungen der Richtermacht bei der Rechtsfindungspraxis nicht halt: Wenn beispielsweise Rasehorn auf das (unterschiedliche) Rechtsbewußtsein von Prozeßparteien abhebt und folgert, der Richter habe für den Rechtsstreit zwischen Zeugen Jehovas anderes Recht zu finden als bei einem Streit zwischen marxistischen Atheisten3 1, so ist zwar der AnVgl. etwa Larenz, Methodenlehre, 335. Esser, AcP 172, 112. 2s Viehweg, Topik und Jurisprudenz, passim. 26 Vgl. einerseits Esser, Vorverständnis, 133 ff.; andererseits Larenz, Methodenlehre, 402 ff. 27 Zum "offenen System" für viele Canaris, Systemdenken, 61 ff. 28 Esser, AcP 172, 133. 2u von Otshausen, JuS 1973, 220; das damit umrissene, m. E. unentbehrliche Maß "gebundener" Rechtsanwendung wird freilich verschiedentlich weit skeptischer beurteilt. Vgl. neuerdings auch die Hervorhebung des Begründungszwangs und den gleichfalls betonten Zusammenhang mit dem "Bindungsproblem" bei Rupp, NJW 1973, 1773. 2s

24

so § 2 B I 1 (S. 46). s1 Rasehorn, NJW 1972, 85.

102

§ 3 Gebot einer theoretischen Präzisierung

schluß an sein "Richtermodell" des Sozialarztes gefunden32, doch zugleich jede Bindung des Richters und damit notwendigerweise auch die Gleichheit vor dem Richtex-U beseitigt. Dieses Richtermodell mag ebenso wie das des - gesellschaftspolitisch orientierten - Sozialingenieurs34 als Folge des Rückzugs des Gesetzgebers auf Ermessensvorschriften, konturenlose Generalklauseln und vage Direktiven35 als Diskussionsbeitrag nicht abwegig sein. Es entspricht aber weder dem Bindungspostulat der Verfassung noch den Einsichten über die Rechtsfindungspraxis. Solange die Bindung fortbesteht, ist die Ausbildung und Fortschreibung der Rechtsdogmatik wegen ihrer Funktion als Kontrollinstrument unerläßlich. Insofern ist die Argumentation aus dem dogmatischen Fundus und somit auch die hier zugrundegelegte konventionelle Rechtsanwendungslehre nach wie vor zu beachten38•

RasehoTn, Justizreform, 47. Vgl. nur BötticheT, 24 ff. 34 Vgl. etwa RasehoTn, Justizreform, 46. ss Diesen Aspekt hebt auch Jauernig, JuS 1971, 333 hervor. se Daß der Rechtsanwendungsprozeß letztlich dezisionistisch ist, ändert daran nichts, sondern warnt nur vor der übersteigerten Einschätzung rechtsdogmatischen Argumentierens; vgl. auch die Einwände WiethölteTs, Rechtswissenschaft, 10 ff. gegen die politischen Wirkungen des Systemdenkens und dagegen SchweTdtneT, ZRP 1969, 136 ff. Eine Auseinandersetzung mit Wiethölters Position des juristischen Negativismus (so WiethölteT selbst, ZRP 1969, 158) ist in diesem Themenrahmen nicht möglich. Wenn Schwerdtner bemängelt, daß Wiethölter keine ,.positiven" Kriterien anzubieten hat, trifft das zwar zu, doch läßt sich damit dem "Negativismus" nicht zu Leibe rücken. Wenn es in der Tat ein Rechtssystem nicht mehr, eine neue Rechtswissenschaft noch nicht gäbe, so wäre auf jeden Fall mit letzterem die Perpetuierung einer machtstabilisierenden Ohnmacht durch Tradierung des Rechtssystems nicht zu rechtfertigen. Indessen hat die von Wiethölter beschworene ,.Stunde Null" (Rechtswissenschaft, 10), die eine Tradierung des überkommenen Systemdenkens ausschlösse, nicht stattgefunden. Die Gesetzgebung hat im Gegenteil in beträchtlichem Umfang an das Recht vor der nationalsozialistischen Epoche angeknüpft und zwar im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Aufgabe. Man kann diesen Hinweis zwar leicht als "formales" Verfassungsverständnis abtun, übersieht dann aber die Kompetenzverteilung, die das GG vorgenommen hat. Deshalb ist auch das "materiale" politische - und Verfassungsverständnis, das Wiethölters Negativismus im Anschluß an sein Unbehagen über das Ausbleiben der sittlichen-politischen Revolution (Jaspers) nach dem Ende des Nazistaats kennzeichnet, letztlich Willkür. Dennoch ist m. E. ein Verdikt in Bausch und Bogen falsch. Wiethölters Verdienst liegt nicht nur im Anstoß zu einer methodischen Neubesinnung (SchwerdtneT, ZRP 1969, 140). Ebenso wichtig ist sein Hinweis auf den gesellschaftlichen und geistigen Hintergrund des - zu Unrecht als unpolitisch verstandenen - juristischen Dogmengebäudes. Die Veränderung der gesellschaftlichen und politischen (Sozialstaat!) Prämissen bedingt notwendigerweise eine Veränderung des Dogmengebäudes; aber eben eine kritische Analyse der Tragfähigkeit jedes einzelnen Bausteins und nicht einen Totalabbruch des ganzen Gebäudes. 32

33

Zweiter Teil

Das System der Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien des Zivilprozesses 1. Abschitt DIE KRITIK DER EINZELNEN ELEMENTE DES TRENNUNGSDENKENS

Die im Schrifttum nachweisbaren Elemente des Trennungsdenkens, die den Querverbindungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht widerstreiten könnten, haben eine unterschiedliche Reichweite. Die Theorie der doppelfunktionellen Prozeßhandlungen ist ganz auf das Zentralthema der prozessualen und materiell-rechtlichen Bewertung von prozeßerheblichem Verhalten zugeschnitten. Sie ist aber im Ansatz völlig an Goldschmidts Prozeßrechtsdoktrin orientiert und kann nicht ohne diese analysiert werden. Umfassender, nämlich auf ein ganzheitliches Prozeßrechtsverständnis ausgerichtet und nicht auf das prozeßerhebliche Parteiverhalten konzentriert, sind die Vorstellungen über das Prozeßrechtsverhältnis und den Prozeß als Rechtslage. Beide sind zur Emanzipation des Prozeßrechts vom zivilistischen Denken konzipiert. Beide haben das Trennungsdenken entscheidend geprägt. Goldschmidts Rechtslagedoktrin baut zudem auf Teilstücken der Lehrmeinungen über das Prozeßrechtsverhältnis auf. Eine kritische Bestandsaufnahme muß deshalb bei diesem ansetzen.

§ 4 Die Lehre vom Prozeßrechtsverhältnis In einer Studie, die sich mit dem Aufbau der Systematik des Zivilprozeßrechts befaßt1 , widmet Regler im Jahr 1931 auch dem Prozeßrechtsverhältnis und seinem Stellenwert in den systematischen Darstellungen des Zivilprozesses einige nachdenkliche Zeilen. Sein Befund ist weit von der praktischen Relevanz entfernt, die Konrad Hellwig dem Prozeßrechtsverhältnis zumißt, wenn er mit dessen Hilfe die Prozeßordnungswidrigkeit und die materiell-rechtliche Widerrechtlichkeit eines Parteiverhaltens schroff unterscheidet2• Ebenso wie Goldschmidt, der im Prozeßrechtsverhältnis kaum mehr als ein Ornament der Prozeßrechtssystematik erblickt3 , konstatiert auch Regler - zumal in neueren Lehrwerken- eine geringe Tragweite. Ihm drängt sich der Vergleich mit dem Souverän im parlamentarisch regierten Staat auf: Man mache eine Verbeugung vor ihm; er habe aber nichts zu sagen und werde nicht weiter bemüht4 • Die Standardwerke des modernen Zivilprozeßrechts weisen mit der Betonung eines "gewissen wissenschaftlichen Lehrwerts" in die gleiche Richtung'. Eine nüchterne Betrachtung scheint entbehrlich, die protokollgerechte Verbeugung hinreichend. Zwei Gründe sprechen allerdings gegen diese Zurückhaltung: Einmal wird die Vorstellung von Wechselwirkungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht auch heute noch durch inhaltliche Rudimente der Lehre vom Prozeßrechtsverhältnis erschwert. Zum anderen dient das Prozeßrechtsverhältnis bisweilen auch in der modernen Literatur als Rahmen für die Rechtsfindung im Grenzbezirk von Zivil- und Prozeßrecht; dies allerdings im Zusammenhang mit einer Haftung aus culpa in procedendo6 und damit dem Trennungsdenken Konrad Hellwigs diametral entgegengesetzt.

Eine Wiedergabe der Lehre vom Prozeßrechtsverhältnis, die nur vor dem Hintergrund der Methodenströmungen des neunzehnten Jahrhunderts und der in dieser Zeit nachweisbaren Anschauungen über das Verhältnis von Zivil- und Prozeßrecht verständlich wird, kann sich nach HegZer, Festgabe für Heck, Rümelin, Schmidt, 216 ff. Konrad HeZZwig, System I, § 155 I (S. 463); vgl. dazu oben § 2 B V 1 (S. 71 f.). s GoZdschmidt, Prozeß, 149. • HegZer, Festgabe für Heck, Rümelin, Schmidt, 227 f. 6 Vgl. oben § 2 B III (S. 56). Berges, NJW 1965, 1505 ff.; Dölle, Festschrift für Riese, 290-292. t

l!

A. Dogmengeschichtliche Grundlagen

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der subtilen dogmengeschichtlichen Erörterung Simshäusers7 allerdings auf eine Strichskizze beschränken. A. Dogmengeschichtliche Grundlagen I. Trennung von Anspruch und Klage

Das Prozeßrechtsverhältnis symbolisiert den Startpunkt für eine eigenständige Prozeßrechtssystematik. Seine Tendenz liegt in der Abkehr vom Zivilrecht, deren Resultat das latent fortwirkende strikte Trennungsdenken ist. Die wichtigste, wenn auch nicht einzige Prämisse für diese Entwicklung bildet der Angriff Windscheids auf die von der historischen Rechtsschule geknüpfte Einheit von subjektivem Recht und Aktionenrecht. Diese Einheit war die Frucht einer Synthese zwischen der im Naturrecht entwickelten sozialen Ordnung subjektiver Rechte und Pflichten und dem rezipierten Aktionensystem des römischen Rechts8 • Dieser einheitliche Begriffsbau verstand die actio im Sinne von Klage oder Klagrecht als das subjektive Recht in einer durch seine Verletzung veränderten Gestalt, nämlich im Zustand der Verteidigung gegen den Verletzer1 • Durch die Verletzung trete der Rechtsinhaber in ein eigenes, neues Rechtsverhältnis zum Verletzer. Der Inhalt dieses Rechtsverhältnisses lasse sich dahin bestimmen, daß man - einer Obligation ähnlich -vom Gegner die Aufhebung der Verletzung fordere 10• Das aus der Rechtsverletzung entspringende Verhältnis - das Klagerecht - ordnete man dem Privatrecht zu, so daß der Lehre vom Prozeß nur die Klaghandlung mit ihren Formen und Bedingungen verblieb11• Dieser materiell-privatrechtliche Zuschnitt des Aktionenrechts mußte das Prozeßrecht, dessen Funktionsverschiedenheit lange Zeit bekannt und in getrennten Kodifikationen ausgedrückt war12, auf ein Randfeld zurückdrängen. Der schmale Ansatz wird, obwohl die Kompetenzverteilung zwischen Privat- und Prozeßrecht praktisch nicht eingehalten wurde13, in den Systemen der gemeinrechtlichen Prozeßtheorie bestätigt: Die Prozeßtheorie entlehne den Begriff der Klage dem Zivilrecht und sehe den Begriff der Gerichtsbarkeit als einen vom Staatsrecht überlieferten an, der nur von Seiten ihrer praktischen Anwendung dem Prozeßrecht 7 Simshäuser, passim; einer Ergänzung bedarf es nur insoweit. als Simshäuser nach seiner Thematik den Schwerpunkt nicht auf die Bewertung des prozeßerheblichen Parteiverhaltens legt. s de Boor, Gerichtsschutz, 14. o Savigny, System V, 1 f. 10 Savigny, System V, 5. 11 Savigny, System V, 5. 12 Vgl. etwa Kleinfeller, AcP 126, 345 f. 1a Nachweise bei Simshäuser, 57.

106

§ 4 Die Lehre vom Prozeßrechtsverhältnis

angehöre14• Andererseits konnte das materiell-rechtliche Verständnis der actio den prozessualen Einsichten nicht genügen, da, wie schon Savigny betont15, dessen Ausgangspunkt nur das behauptete Klagrecht bilden konnte und zudem die Durchsetzbarkeit mit Hilfe der Staatsgewalt mangels einer ausgebauten Lehre über die subjektiv-öffentlichen Rechte noch nicht darstellbar war16• Ein Umschwung zugunsten einer stärker auf die prozessualen Besonderheiten ausgerichteten Prozeßtheorie setzte daher die Auflösung der engen Verbindung zwischen den subjektiven Rechten und den actiones voraus. Sie wurde durch Windscheid bewirkt. Er leugnet nicht nur die Rechtsverletzung als Voraussetzung einer römischen actio, sondern bestreitet auch, daß diese ein Annex des Rechtes sei17• Er führt diese Anschauung über die römische actio auf die Forschungsmethode der historischen Rechtsschule zurück, die in die Sätze des römischen Rechts Gedanken hineingetragen habe, die in diesem nicht enthalten gewesen seien18• Zwar treffe Savignys Bestimmung des Verhältnisses von ius und actio für die moderne Rechtsordnung zu. In dieser sei das Recht das prius, die Klage das Spätere. Demgegenüber habe die römische Rechtsordnung dadurch Rechte gewährt, daß sie die gerichtliche Verfolgung bewilligt habe19• Den maßgeblichen Unterschied sieht Windscheid in der verschiedenartigen Rechtsstellung der Gerichte und des römischen Praetors. Dieser habe trotz eines vom ius civile gewährten Rechts die actio verweigern und umgekehrt ohne Recht eine actio zusprechen können20• Das Gericht aber stehe unter dem Recht, sei also nichts als der Diener des Rechts21 • Deshalb habe es keinen Sinn mehr nach einem gerichtlich verfolgbaren Anspruch, einer Klage zu fragen22• Deshalb gehöre das Element des Gerichtsschutzes nicht mehr in den Anspruchbegriff, sondern sei nur noch eine selbstverständliche Konsequenz seiner materiellrechtlichen Anerkennung23 • Deshalb sei für die gewandelte Rechtsanschauung der Rechtsanspruch der Ausdruck für die römische Actio24 • Mit dieser heute in § 194 BGB niedergelegten Auffassung wurde zwar WetzeU, 209. Savigny, System VI, 2 f. 16 Vgl. Simshäuser, 49. 11 Windscheid, Actio, 2. 1s Windscheid, Actio, 1- 3, 167 f . 19 Windscheid, Actio, 3. 20 Windscheid, Actio, 4 f. 21 Windscheid, Actio, 4; Windscheid, 22 Windscheid, Abwehr, 25. 2a Windscheid, Actio, 6. 24 Windscheid, Actio, 3 -7. 14 15

Abwehr, 25.

A. Dogmengeschichtliche Grundlagen

107

lediglich das Rechtsschutzelement des Anspruchs auf das außergerichtliche Verlangen verallgemeinert und insofern eine schroffe Abtrennung des Prozeßrechts vom materiellen Recht gar nicht vorgenommen 25 ; dennoch führte aber die Zerstörung der seitherigen Einheit von materiellem Recht und Aktionenrecht zu einer eigenständigen Substanz der Prozeßtheorie. Neben das Klagrecht im materiellen Sinn, nämlich der aus dem Anspruch resultierenden Befugnis, im Wege der Klage dasjenige durchzusetzen, was man vom Gegner verlangt28 , tritt nämlich bei Windscheid das erst in der Abwehrschrift gegen Muther konzedierte prozessuale Klagrecht auf "Hülfe des Staates". Dieses publizistische Klagrecht verweist er nachdrücklich in das Prozeßrecht27 und eröffnet damit den Weg zu selbständigen prozessualen Begriffsbildungen und Betrachtungsweisen.

n. Trennung von Zivil- und Prozeßredlt Das von Windscheid eingeräumte publizistische, gegen den Staat gerichtete Klagrecht enthielt für die Prozeßtheorie, der die rechtstheoretische Begründung und wissenschaftliche Formulierung überlassen blieb, kaum mehr als eine Zielangabe. Die Ausformung der damit ausgedrückten Trennungstendenz zwisl'.hen Zivil- und Prozeßrecht mußte ganz der Prozeßwissenschaft zufallen. Daran änderte im Prinzip auch die Schaffung der RCPO wenig, da sie zwar die Trennungsthese fördert, aber die Grenzziehung zwischen Privat- und Prozeßrecht der Wissenschaft zuweist28 • Die schroffe theoretische Scheidung beider Sparten ist daher auch ausschließlich das Produkt der wissenschaftlichen Systembildung, deren Einleitung durch Bülow bisweilen mit dem Schlagwort von der modernen konstruktiven Epoche der deutschen Prozeßrechtswissenschaft begleitet wird29 • Neben dem von Windscheid eingeräumten Freiraum und der inzwischen konzipierten Systematik öffentlicher Rechte30 wird diese Systembildung durch eine Methodenströmung des neunzehnten Jahrhunders geprägt, die als Abkehr von der historischen Rechtsschule gedacht war und später mit dem Signum "Begriffsjurisprudenz" bedacht wurde31 • Deren Zielsetzung bestand in einer rechtsschöpferischen Systematik, mit der das bestehende Recht durch die Wissenschaft im Wege systematischer Entwicklung und Gezs Rimmelspacher, Anspruch, 23. zs Windscheid, Actio, 44, 76 f., 222; Windscheid, Abwehr, 29. 21 Windscheid, Abwehr, 26- 29. 2s Wach, Handbuch, 118. 2t Goldschmidt, Prozeß, 1, 146; Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 15; dagegen kritisch von Hippel, ZZP 65, 462 f. so Simshäuser, 89. s1 Vgl. zum nachfolgenden vor allem Wilhelm, 70- 81.

§ 4 Die Lehre vom Prozeßrechtsverhältnis

108

staltung fortgebildet werden sollte. Die Rechtswissenschaft sollte den gedanklichen Inhalt der im gegebenen Recht anerkannten Prinzipien auf logisch-deduktivem Weg erschließen, die Rechtssätze in ihrem systematischen Zusammenhang erkennen und das Recht in ein geschlossenes System von einander bedingenden, in formal-logischem Ableitungszusammenhang stehenden Begriffen bringen. Die "Richtigkeit" des Juristenrechts hing davon ab, ob ein wissenschaftlicher Rechtssatz durch Subsumtion unter einen Rechtsbegriff in das System einfügbar war82• Die Hauptbedingung für eine geschlossene Systembildung war demgemäß die Ermittlung und Ausbildung von Grundbegriffen, die zu einer derartigen systematischen Gestaltung geeignet waren. Exakt diese Grundbegriffe, die dem Privatrechtssystem mit der Willenserklärung, dem Rechtsgeschäft, dem Vertrag, dem subjektiven Recht und der Obligation zur Verfügung standen, konnten in der Prozeßtheorie erst nach der Ablösung vom materiellen Aktionenrecht konzipiert werden. B. Prozeßrechtsverhältnis als zivilprozessualer Grundbegriff I. Grundzüge

1. Entwicklung

Die begriffsjuristische Methode bildet auch den Begleittext bei der "Entdeckung" des Prozeßrechtsverhältnisses durch Bülow. Er führt es ziemlich apodiktisch als zivilprozessualen Grundbegriff ein: Das Zivilprozeßrecht bestimme die Befugnisse und Pflichten, die den Parteien und dem Gericht in ihrem Verhältnis zueinander zukommen18• Daraus folge die "schlichte", immerhin aber für die Wissenschaft recht bedeutsame Wahrheit, daß der Prozeß ein Verhältnis gegenseitiger Berechtigung und Verpflichtung, das heißt ein Rechtsverhältnis sei34.Angesichts der Beziehungen zur richterlichen Amtstätigkeit gehöre dieses Verhältnis "in selbstverständlicher Weise" dem öffentlichen Recht an36• Weiter sei es ein einheitliches, aber vorwärtsschreitendes, sich stufenweise entwickelndes Verhältnis zwischen Gericht und Parteien38• Da die Rechtsordnung- wie für jedes Rechtsverhältnis- auch für das Prozeßrechtsverhältnis die Existenzbedingungen vorzuzeichnen habe, sind für Bülow mit dem Prozeßrechtsverhältnis die Prozeßvoraussetzungen als weiterer prozessualer Grundbegriff "fast schon von selbst gege32

Simshäuser, 87,

ss Bülow, Prozeßeinreden, 1. 34 3~

36

s.

1.

s. 2. s. 2 f.

B. Prozeßrechtsverhältnis als zivilprozessualer Grundbegriff

109

ben" 37• Bülow faßt daher die Erfordernisse für ein rechtsgültiges Zustandekommen des Prozeßrechtsverhältnisses unter dem Gesamtbegriff der Prozeßvoraussetzungen zusammenas. Damit wird auf rein konstruktivem Wege ein Begriffsgebilde entwickelt, das Bülow später als den alleinigen Grundpfeiler für den gesamten Aufbau des Prozeßrechtsganzen bezeichnetau. Das Prozeßrechtsverhältnis dient gleichzeitig zur Grenzziehung gegenüber dem streitigen Privatrechtsverhältnis. Das Gericht habe nicht nur über die Existenz des streitigen Rechtsanspruchs zu entscheiden, sondern auch über die Existenzbedingungen des Prozesses selbst, das heißt über den Tatbestand des Prozeßrechtsverhältnisses'0• Diese Zweiteilung wird anschließend nur am historischen Rechtsstoff des römischen Zivilprozesses erprobt, wobei Bülow durch eine irrige41 Identifikation des Prozeßrechtsverhältnisses mit dem römischen iudicium eine Bestätigung seiner auf konstruktivem Wege gewonnenen Ergebnisse erblickt. Damit war für Bülow ein tief im Wesen des Prozesses begründetes Prinzip entdeckt, das ohne weiteres auch für das moderne Prozeßrecht gelte42 • Aus diesem Grund verweist Bülow für den völligen Abschluß des sich stufenweise entwickelnden Prozeßrechtsverhältnisses auch auf die Litiscontestation, die er als öffentlich-rechtlichen Vertrag versteht43 • 2. Modifikationen Bei diesem Entwicklungsstand der Lehre vom Prozeßrechtsverhältnis ist es in der Folgezeit allerdings nicht geblieben. Das Prozeßrechtsverhältnis wurde in vielen Punkten - und zudem noch von verschiedenen Autoren in unterschiedlicher Weise- verändert. An diesen Modifikationen war nicht zuletzt auch Bülow selbst beteiligt. Ein erster Ansatzpunkt dafür lag in der Klage, der Bülow später unter Preisgabe der Litiscontestation die erste Stelle unter den Prozeßvoraussetzungen zuwies44. Die entstehenden Klagrechtsbegriffe45, namentlich auch der Rechtsschutzanspruch, bewirkten divergente Auffassungen über die am Prozeßrechtsverhältnis Beteiligten. Die Dreiseitigkeit wurde von Kohler unter Hinweis auf den mit der Klage verbundenen Angriff gegen den Beklagten bezweifelt. Da die Rechtsakte im Prozeß jeweils gegen die Bülow, ZZP 27, 236. ss Bülow, Prozeßeinreden, 7. 39 Bülow, ZZP 27, 255. 40 Bülow, Prozeßeinreden, 7. •• Vgl. nur Degenkolb, AcP 103, 391. 42 Bülow, Prozeßeinreden, 295 f. 43 Bülow, Prozeßeinreden, 2. 44 Bülow, ZZP 27, 238. 45 Vgl. den Überblick bei SimshäuseT, 113 ff. 37

110

§ 4 Die Lehre vom Prozeßrechtsverhältnis

andere Prozeßpartei gerichtet seien, sei der Prozeß nur ein Rechtsverhältnis unter den Parteien48 • Umgekehrt gelangte Konrad Hellwig zu einem Prozeßrechtsverhältnis nur zwischen den Parteien und dem Gericht47, was folgerichtig eine Zuordnung von Rechten und Pflichten zwischen den Prozeßparteien ausschließen mußte48• Andererseits verließ Bülow mit seiner Ablehnung von Handlungspflichten der Parteien49 den ursprünglichen inhaltlichen Ausgangspunkt des Prozeßrechtsverhältnisses. In der "Gebundenheit" erblickt er gerade einen Unterschied zu den privatrechtliehen Obligationen50• Schließlich erfuhren auch die von Bülow formulierten Prozeßvoraussetzungen einen Sinnwandel, indem sie präziser als Sachurteilsvoraussetzungen bezeichnet wurden61 • U. Inhalt Die begriffsjuristische Herkunft und die zahlreichen Modifikationen der Lehre vom Prozeßrechtsverhältnis werfen die Frage auf, ob das Prozeßrechtsverhältnis überhaupt einen Inhalt hat, der eine schroffe Unterscheidung der prozeßrechtlichen und der materiell-rechtlichen Bewertung des prozeßerheblichen Parteiverhaltens tragen kann. Immerhin finden sich trotz der Divergenzen noch Merkmale, die seit der erstmaligen Beschreibung durch Bülow bis heute dem Prozeßrechtsverhältnis zugeschrieben werden52• Neben der öffentlich-rechtlichen Kennzeichnung sind es hauptsächlich die Einheitlichkeit und der Entwicklungscharakter des Prozeßrechtsverhältnisses. Beide bilden für Bülow gewichtige Faktoren für die spezifisch prozessuale Bewertung des prozeßerheblichen Parteiverhaltens: Auf der einen Seite sind für ihn prozessuale Wirkungen aus vorprozessualem Verhalten der Parteien, wie sie bei der Prorogation und beim Schiedsvertrag auftreten, bloße Anomalien53, die durch den ausdrücklichen Rückgriff des Prozeßrechts auf das vorprozessuale Parteiverhalten veranlaßt sind. Andererseits projiziert er mit dem Gedanken der Entwicklung des Prozeßrechtsverhältnisses die Parteiprozeßhandlungen allein auf das Urteil, hält sie deshalb für unselbständige Stücke eines Ganzen, die nur über das Urteil Auswirkungen auf das Privatrechtsgebiet haben könnKohleT, 6. Konrad Hellwig, Lehrbuch II, 28; Konrad Hellwig, System I, § 138 II (S. 396). 48 Konrad Hellwig, Lehrbuch II, 35; Konrad Hellwig, System I, § 139 IV (S. 400). 49 Bülow, AcP 62, 62; Biilow, ZZP 27, 231. 50 Bülow, ZZP 27, 231 f. 51 Vgl. nur Goldschmidt, Prozeß, 74. 62 Nakano, ZZP 79, 101 ff., 106 ff. ss Bülow, ZZP 31, 218; dagegen Wach, ZZP 32, 19 f. 48

47

B. Prozeßrechtsverhältnis als zivilprozessualer Grundbegriff

111

ten54• Gerade in dieser Unselbständigkeit der Prozeßhandlungen erblickt er die volle Entfaltung und die allseitige Rechtfertigung eines durch die Prozeßeinleitung begründeten, einheitlichen und in beständiger Entwicklung begriffenen Prozeßrechtsverhältnisses55• Strikt wörtlich genommen müßte daher für den Beweisantritt mit einem vor dem Prozeß deliktisch erlangten Beweismittel das Deliktsverhalten irrelevant und zudem sogar eine Rechtsverletzung - wie bei der Schutzrechtsberühmung durch eine unbegründete Unterlassungsklage - ausgeschlossen sein. Indessen handelt es sich insoweit um eine überspitzte Begriffsbildung, mit der normativ absicherbare Teileinsichten verabsolutiert werden. Der Gedanke der Unselbständigkeit von Parteiprozeßhandlungen drückt die Zweckbeziehung aus, in der die einzelnen Verfahrensakte stehen: Das Anerkenntnis oder das Geständnis stehen oder fallen mit dem Fortbestand des Prozesses. Die einzelne Prozeßhandlung schafft wegen des Entwicklungscharakters des Prozesses in diesem selbst vor dem Urteil - bezogen auf das streitige materiell-rechtliche Rechtsverhältnis - nur eine "rechtliche Situation" 56• Insofern entsteht in der Tat keine unmittelbare Auswirkung auf das Privatrecht. Doch rechtfertigt der isolierte Blick auf den Prozeßverlauf nicht, schlechthin privatrechtliche Wirkungen eines PI"ozeßverhaltens unter Hinweis auf dessen Unselbständigkeit zu leugnen. Das gilt um so mehr als Bülow im vorliegenden Zusammenhang nur an die "prozessualische Disposition über Privatrechte" 57 denkt. Zudem ist auch innerprozessual die später von Goldschmidt nachvollzogene Projektion sämtlicher Verfahrensakte auf das Urteil58 einseitig: Parteiprozeßhandlungen wirken stets auf die Prozeßentwicklung als Vorgang und auf die Entscheidung als Ziel ein und sind wegen dieser innerprozessualen Doppelwirkung, die Baumgärtel59 im Anschluß an Einwände der älteren Prozeßdoktrin60 herausgearbeitet hat, Gegenstand einer doppelten innerprozessualen Bewertung61. Im Prozeßrechtsverhältnis lassen sich daher allenfalls im Gesetz Bülow, Geständnisrecht, 75, 77, 84 FN 2. ss Bülow, Geständnisrecht, 84 FN 2. 58 Ausdruck von Kohler, 62; daran knüpft später Goldschmidts Begriff der Rechtslage an, vgl. dazu Goldschmidt, Prozeß, 136 FN 750. Allerdings meint Kohler die Stufen der Entwicklung (materieller) subjektiver Rechte im Prozeß, Goldschmidt dagegen mit der Rechtslage im prozessualen Sinn eine Urteilsprognose; vgl. dazu Rümelin, AcP 126, 114. 57 Vgl. Bülow, Geständnisrecht, 74; Hervorhebung vom Verf. 58 Goldschmidt unterscheidet zwar Erwirkungs- und Bewirkungshandlungen, hält aber letztere "in letzter Linie" gar nicht selbst für einen (selbständigen) Bewertungsgegenstand und kommt dadurch ebenfalls zu einer Ausrichtung auf das Urteil; vgl. Goldschmidt, Prozeß, 457. 59 Baumgärtel, Wesen, 82 ff. ao Kisch, Gött. gel. Anz. 1901, 223; Schultze, 276, Degenkolb, AcP 103, 395. 61 Vgl. dazu näher unten ~ 6 B II 1 a (S.144 f.). 54

112

§ 4 Die Lehre vom Prozeßrechtsverhältnis

nachweisbare Rechtssätze zusammenfassen und begrifflich fixieren, doch können diese Begriffsbildungen selbst keine Deduktionsbasis für anders strukturierte Fallgestaltungen abgeben.

m. Bedeutung Für das Problemfeld der Querverbindungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht bei der Bewertung des prozeßerheblichen Parteiverhaltens lassen sich daher aus dem Prozeßrechtsverhältnis keinerlei Schlüsse ziehen. Nur wenn sich im Sinne von Konrad Hellwigs Resultat82 aus dem Gesetz belegen ließe, daß die prozessualen Gebote und Verbote für das Parteiprozeßverhalten ausschließlich auf das Gericht bezogen sind, müßte die prozessuale Bewertung schroff von einer materiell-rechtlichen Widerrechtlichkeit gegenüber dem Gegner getrennt werden. Nur wenn man ein Netz von Verhaltenspflichten in das Prozeßrechtsverhältnis hineininterpretiert83, läßt sich umgekehrt damit eine Haftung aus culpa in procedendo begründen. Das Prozeßrechtsverhältnis trägt andernfalls weder das eine noch das andere. Es kann dazu dienen, Rechtssätze für die wissenschaftliche Darstellung zusammenzufassen und ist dann nicht mehr als eine Breviloquenz für prozeßerhebliche Rechtsbeziehungen, die einen Rückgriff auf den Gesetze!>zweck in keinem Fall ersetzt. Der dogmengeschichtliche Wert der Lehre vom Prozeßrechtsverhältnis besteht daher auch nur darin, daß sie den Blick für prozessuale Erscheinungen geschärft hat. Diese "Fermentwirkung für die Entwicklung der Prozeßrechtswissenschaft"14 rechtfertigt zwar die von Hegler beschriebene Verbeugung; mehr als eine Reverenz vor der Rechtstradition liegt darin aber nicht.

e! Vgl. oben § 2 B V 1 (S. 71 - 72). 11s Berges, NJW 1965, 1505 ff.; Dölle, Festschrift für Riese, 290-292. 114 Degenkotb, AcP 103, 403.

§ 5 Der Prozeß als Rechtslage Die dezidierteste Frontstellung gegen Wechselwirkungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht enthält die grundlegende Prozeßmonographie Goldschmidts über den Prozeß als Rechtslage, die für das Prozeßrecht eine eigenständige prozessuale Rechtsbetrachtungsweise reklamiert und mit dieser eine schroffe Abkehr vom materiellen Recht mit einer gänzlich anders gearteten Betrachtungsweise vollzieht. Die prozessuale Rechtsbetrachtungsweise wird nicht nur als Grundlage der prozessualen Methodik bezeichnet1• Sie führt auch zu einem Prozeßbild, in dem die Kategorien der Parteipflicht und der Widerrechtlichkeit gänzlich fehlen!. Obwohl im Ansatz gegen das Verständnis des Prozesses als Rechtsverhältnis konzipiert3 , greift Goldschmidts Prozeßtheorie, wie bereits sein Hinweis auf die Forschungsergebnisse Bülows und Kohlers verdeutlicht', auf Teileinsichten der Lehre vom Prozeßrechtsverhältnis zurück: Der öffentlich-rechtliche Charakter des Prozeßrechts wird durchaus akzeptiert, soll aber nur den Grundrahmen bilden, innerhalb dessen das Prozeßrecht seinen eigenen prozessualen Zwecken folge5 • In gleicher Weise werden - allerdings unter theoretischer Ablösung vom Prozeßrechtsverhältnis8 - auch die Zweckbeziehungen der Verfahrensakte zum Urteil und damit eine ganzheitliche Prozeßbetrachtung7 sowie als Ausgangspunkt der von Kohler geprägte Begriff der rechtlichen Situation8 übernommen, der mit Blick auf das streitige materielle Rechtsverhältnis den ständigen Wechsel der Parteivorteile und -nachteile' und insoweit die Unsicherheit über den Prozeßausgang ausdrückt. Schließlich knüpft auch das Leugnen der Parteipflichten bei der Prozeßführung an das Prozeßverständnis Bülows über den Rechtsstreit als Kampf um das Recht10 an. Diese Mosaiksteine fügt Goldschmidt zu einem GesamtW ebeT, Stud. Gen. 1960, 188. Vgl. oben § 2 B IV 1 b (S. 61 f.), l§ 2 B V I (S. 73 f.). a Goldschmidt, Prozeß, 4 ff. ' Goldschmidt, Prozeß, Vorwort. 5 Goldschmidt, Prozeß, 147 f. e Goldschmidt, Prozeß, 134. 1 Insofern werden aus dem "Prozeßrechtsverhältnis" die Einheitlichkeit und der Entwicklungscharakter im Ergebnis beibehalten. s KohleT, 62. u KohleT, 63. to Bülow, AcP 62, 88. 1 2

B Konzen

§ 5 Der Prozeß als Rechtslage

114

bild zusammen, das den Prozeß als Rechtslage deklariert und mit dessen Hilfe eine perfekte Abtrennung des Prozeßrechts vom materiellen Recht versucht wird. A. Entwicklung der Rechtslagedoktrin I. Grundzüge

Die wesentlichsten Bausteine der Rechtslagedoktrin sind in ihren Auswirkungen auf das Trennungsdenken bereits an anderer Stelle dargestellt11. Ebenso wie später noch verstärkt bei Sax12 bildet das Fehlurteil den Mittelpunkt der gesamten Prozeßdoktrin. Die unbezweifelbare Existenz rechtskräftiger Fehlurteile führt zu weitreichenden Folgerungen: Die Rechtskraft des Fehlurteils, die einen Anspruch als begründet oder unbegründet bindend feststellt, ist für Goldschmidt Gerichtskraft18. Der Anspruch beruht nicht auf einer Gesetzesnorm, sondern auf dem staatlichen GerichtsbefehP4 • Der Richter, der diesen Gerichtsbefehl gibt, schafft - immer bezogen auf das Fehlurteil - eine soziale Ordnung, die der Rechtsordnung vorgeht10. In diesem Sinn wird der Richter als Herr des Rechts bezeichnet, für den die Rechtsordnung nur einen Urteilsmaßstab, eine Summe von Streitentscheidungsnormen18 bildet17. Das Verständnis des Rechts als Urteilsmaßstab nennt Goldschmidt die dynamische Betrachtungsweise des Prozeßrechts, der er die an den Geboten und Verboten des Gesetzes orientierte statische Betrachtungsweise des materiellen Rechts gegenüberstellt18 • Als Beleg für die ausschließliche Geltung der dynamischen Betrachtungsweise im Prozeß dient die gesetzliche Bewertung des Richterverhaltens. Da das Recht- auch das Prozeßrecht19 - für den Richter im konkreten Rechtsstreit nur Urteilsmaßstab ist, kann die Rechtsanwendung nicht- weil dies der prozessualen Rechtsbetrachtungsweise fremd wäre - pflichtwidrig, sondern nur fehlerhaft sein20• Nur mit Blick auf die materiellrechtlichen Folgewirkungen - Schadensersatz wegen Amtspftichtsverletzung oder Strafbarkeit wegen Rechtsbeugung - unterliegt das Richterverhalten den Geboten und Verboten11• Die These vom Recht als 11

Vgl. oben § 2 B IV 1 b (S. 61 f .), § 2 B V 1 (S. 73 f.).

12 Sax, ZZP 67, 21 ff. 1a Goldschmi dt, Prozeß, 211. 14

15

s.

212.

s. 246.

18 s. 245. 17 s. 246. 18 s. 228. 19 s. 248 f . 20

21

s. 247. s. 247.

A. Entwicklung der Rechtslagedoktrin

115

Urteilsmaßstab bedingt weiterhin, daß auch das Parteiverhalten nicht auf das Gesetz, sondern auf die richterliche Urteilstätigkeit bezogen wird22• Die mögliche Diskrepanz zwischen Rechtsordnung und dem gerichtlichen Urteilsausspruch bewirkt, daß die Rechtssätze nur Aussichten auf ein günstiges oder ungünstiges Urteil sind23• Die damit ausgedrückte Unsicherheit über die Urteilsprognose bezeichnet Goldschmidt als Rechtstage24, das heißt als rechtlich begründete Aussicht auf ein günstiges oder ungünstiges Urteil und folgerichtig auf gerichtLiche GeLtung des geltendgemachten Anspruchs als rechtlich begründet oder unbegründet (Gerichtskraft, Rechtskraft) 25• Diese Aussicht wird durch die Vornahme von Parteiprozeßhandlungen beeinfiußt, die nach Goldschmidt auf prozessuale Vorteile bzw. auf die Anwendung prozessualer Nachteile gerichtet sind und als prozessuale Möglichkeiten bzw. Lasten definiert werden26 • Demgemäß ist die prozessuale Rechtslage der Inbegriff der prozessualen Aussichten, Möglichkeiten, Lasten und Befreiungen von Lasten einer Partei27 • Da nach Goldschmidts Verständnis der Prozeß das auf die Herbeiführung von Rechtskraft gerichtete Verfahren ist28, läßt er sich- vom Standpunkt der prozessualen Betrachtungsweise aus - insgesamt als Rechtslage auffassen. D. Prozessuale Betrachtungswelse bei Parteiproze8handlungen

Die prozessuale Rechtsbetrachtungsweise prägt folgerichtig auch Goldschmidts Verständnis über die Bewertung des Parteiprozeßverhaltens. Wenn sich der Prozeßzweck in der Herbeiführung einer rechtskräftigen Entscheidung erschöpft, kann die Bewertung der Prozeßhandlungen folgerichtig auch nur aus deren Beziehung zur richterlichen Entscheidungstätigkeit entnommen werden. Den entscheidenden Faktor für diese Entscheidung bildet für Goldschmidt konsequenterweise die Herbeiführung des prozessualen Vorteils bzw. die Abwendung des prozessualen Nachteils, der die Aussicht auf die günstige oder ungünstige Entscheidung beeinfiußt. Auf diese Weise kommt es zu der sterilen These, daß bei den Erwirkungshandlungen, die wie Anträge usw. auf die "Erwirkung" der richterlichen Entscheidung abzielen, der Rechtserfolg die Herbeiführung der Rechtslage - allein von ihrer Eignung zur Er22

23

s. 250. s. 251.

24 Vgl. über die "rechtliche Situation" Kohlers als Anknüpfungspunkt oben § 5 vor A zu FN 8, 9 sowie Goldschmidt, Prozeß, 253. 25 Goldschmidt, Prozeß, 255. 28 s. 252. 27 s. 259. 28 s. 151.

a•

§ 5 Der Prozeß als Rechtslage

116

reichung des Erfolges abhängt29• Diese Fixierung auf die Rechtslage bedeutet, daß jede Prozeßpartei nur ihr eigenes Interesse verfolgt. Für die prozessuale Rechtsbetrachtungsweise fehlt es also an der Korrelation Recht - Pflicht. Recht hat derjenige, der voraussichtlich Recht behalten wird30• Der Prozeß ist moralinfrei31• Es ist in ihm wie im Kriege und der Politik32• Da es mithin für Goldschmidt nur Gebote des eigenen Interesses, nämlich PTozeßlasten, gibt und jede Pflicht gegenüber dem Gegner oder dem Gericht fehlt, trifft von Hippels Schlagwort von der Last als Einheitsschema33 exakt den Kern der Rechtslagedoktrin. Die Prozeßtheorie erstarrt zur Lehre von der Parteitaktik, zur KlugheitsIehre der einzelnen Partei". Da andererseits das materielle Recht von der "statischen BetTachtungsweise" beherrscht wird und diese dem Prozeßrecht fremd sein soll, erreicht Goldschmidt eine perfekte Trennungslinie zwischen dem Prozeßrecht und dem materiellen Recht. Ebenso wie das Richterverhalten nur bei einer statischen Betrachtungsweise, nämlich mit Blick auf die Strafbarkeit der Rechtsbeugung oder Schadensersatzpflicht aus Amstpflichtverletzung, widerrechtlich sein kann, so ist es auch mit den Parteihandlungenss. Die verschiedenen Betrachtungsweisen beider Rechtssparten verursachen, daß die Bewertung des Parteiprozeßverhaltens im Prozeß und im materiellen Recht nichts miteinander zu tun haben36• Das Zivil- und Strafrecht entscheiden- allerdings nur in Bezug auf die von ihnen statuierten Rechtsfolgen - über die Widerrechtlichkeit eines Parteiprozeßverhaltens selbständig37 • Umgekehrt besagt danach die materiell-rechtliche Widerrechtlichkeit für die pTozessuale Wertung nichts38• Wer eine Urkunde entwendet und mit dieser Beweis antritt, verfolgt sein eigenes Interesse. Da übergreifende Wertungen wegen der verschiedenartigen Betrachtungsweisen ausscheiden, verweist Goldschmidt für die Bedingungen der Zulässigkeit einer Erwirkungshandlung lapidar auf das Prozeßrecht39 •

2~

s. 366.

32

s. 292. s. 292. s. 292.

38

s. 297.

80 31

ss von Hippel, 326. 34 von Hippel, 321. ss Goldschmidt, Prozeß, 292. 36 s. 380 f. 37 s. 296. 38

s. 394.

B. Kritik einzelner Elemente der Rechtslagetheorie

117

B. Kritik einzelner Elemente der Rechtslagetheorie I. Fehlurteil und prozessuale Beditsbetradltungsweise

Goldschmidt beschränkt die Begründung für die von ihm verfochtene Moralinfreiheit des Prozesses nicht auf die Verschiedenartigkeit der dynamischen Betrachtungsweise des Prozeßrechts und der statischen Betrachtungsweise des materiellen Rechts. Daneben tritt eine subtile Kritik an den seinerzeit im Schrifttum angeführten Parteipflichten40 • Außerdem wird auch die Inkongruenz der prozessualen Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit und der materiell-rechtlichen Rechtmäßigkeit bzw. Widerrechtlichkeit durchaus mit einer Reihe von Beispielen belegt, bei denen Goldschmidt auf das Gesetz zurückgreifen kann. Doch basiert die totale Schnittlinie, die das Verfahrensrecht vom materiellen Recht abtrennt, in seiner Prozeßdoktrin auf den von ihm postulierten unterschiedlichen Betrachtungsweisen beider Sparten. Die Kritik an der Rechtslagetheorie muß daher bei diesen Betrachtungsweisen ansetzen. Die schroffe Antithese wird bereits durch die Feststellung gelockert, daß der Gedanke der Aussicht schon im Prozeß selbst zwar für die "Fernwirkungen" der Prozeßhandlungen auf das Urteil, aber beispielsweise nicht für die unmittelbaren Rechtshängigkeitswirkungen der Klage paßt41 • Andererseits wird nicht selten angeführt, daß eine dynamische, den Entwicklungscharakter akzentuierende Betrachtungsweise auch bei zivilrechtliehen Rechtsverhältnissen angebracht sei42 • Daran ist richtig, daß etwa Kohler den Begriff der rechtlichen Situation auch am Gesellschaftsverhältnis aufgezeigt hat43• Dennoch trifft dieser Einwand nicht den Kern der Sache. Die Besonderheit der prozessualen Rechtsbetrachtungsweise liegt weniger im Entwicklungscharakter des Prozesses. Entscheidend ist der Zuschnitt auf die richterliche Entscheidung, also die Bezeichnung des Rechts als Urteilsmaßstab. Da aber die Rechtssätze des materiellen Rechts im Prozeß ebenfalls als Streitentscheidungsnormen verstanden werden44 , bedarf die Projektion der dynamischen Betrachtungsweise speziell auf die Gesamtmaterie des Prozeßrechts, wie sie in der Bewertung der Parteiprozeßhandlungen zum Ausdruck kommt, einer besonderen Rechtfertigung. Gerade an diesem Punkt zeigt sich die brüchige Stelle der von Goldschmidt vertretenen Prozeßmethodik: Die Begrenzung des Blickfelds auf die Frage, ob die Parteiprozeßhandlung zur Erreichung der mit ihr intendierten vorteilhaften co Goldschmidt, Prozeß, 81 ff. ct Regler, GerS 93, 456. 42 Vgl. nur von Hippels spöttischen Hinweis auf das Abzählspiel der Kinder: Verliebt, Verlobt, Verheiratet; von Hippel, ZZP 65, 449. 43 Kahler, 62. cc Goldschmidt, Prozeß, 245.

118

§ 5 Der Prozeß als Rechtslage

prozessualen Rechtslage geeignet ist, ergibt sich ausschließlich aus dem durch (mögliche) Fehlurteile geprägten Prozeßverständnis Goldschmidts. Nur weil er den Prozeßzweck auf die Herbeiführung der rechtskräftigen Entscheidung reduziert und damit jeden Sinnzusammenhang mit dem materiellen Recht eliminiert, gelangt er zu der bindungsfreien prozessualen Klugheitslehre. Goldschmidt vollzieht diesen Schritt in aller Deutlichkeit, indem er sich von Wachs "metaphysischem" das heißt in Wahrheit: an der Teleologie des Gesetzes ausgerichteten45 - Prozeßbegriff lossagt48• Das "empirische"47 Prozeßrechtsverständnis bedeutet deshalb den bewußten Verzicht auf jede teleologische Methode48, also die Bewertung des Prozeßverhaltens ohne Rücksicht auf die gesetzliche Wertung. Dieses Manko beruht allein auf dem Versuch Goldschmidts, die Rechtskraft des Fehlurteils und damit dessen Vollstreckbarkeit nicht als "pathologischen Fall" 48 anzusehen, sondern die Rechtmäßigkeit der Vollstreckung im System unterzubringen. Doch läuft die These von der Rechtskraft als Gerichtskraft nicht anders als die von Goldschmidt kritisierte50 materielle Rechtskraftdoktrin darauf hinaus, daß nach dem Maßstab der materiell-rechtlichen Normen aus Unrecht Recht wird51 • Goldschmidts gesamtes prozessuales Begriffsgebilde steht und fällt also mit einer gekünstelten Konstruktion, die das Fehlurteil zum Zentralpunkt der Prozeßtheorie erhebt. Sie vermeidet zwar auf der einen Seite den Widerspruch, die Durchsetzung eines rechtskräftig festgestellten Unrechts als rechtmäßig zu bezeichnen, erkauft aber die Beseitigung dieses vom Gesetz selbst statuierten Systemwiderspruchs mit einer unannehmbaren Begriffsbildung, die das Prozeßrecht auf rein konstruktivem Wege vom materiellen Recht sondert. II. Kluft zwisehen prozessualen und zivilrechtliehen Bewer:tungsmaBstäben? 1. Einheitslasttheorie?

Das Kernstück von Goldschmidts Rechtslagedoktrin kann nach allem weder die Moralinfreiheit des Prozesses noch das daraus folgende strikte Trennungsdenken stützen. Allenfalls die Einzelanalyse der prozessualen Verhaltensnormen kann daher darüber Aufschluß geben, ob 45

48

47

Wach, ZZP 32, 5. Goldschmidt, Prozeß, 150. Goldschmidt, Prozeß, 151.

Auf diesem Punkt liegt daher auch die nachhaltigste Kritik an der Rechtslagedoktrin; vgl. etwa Hegler, GerS 93, 450; von Hippel, 332 f.; Rü.melin, AcP 126, 118, 120 f. 49 Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 112. so Goldschmidt, Prozeß, 164 ff. 51 Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 112 f. 48

B. Kritik einzelner Elemente der Rechtslagetheorie

119

im Prozeß wirklich nur das Gebot des eigenen Interesses gilt. Gerade Goldschmidts Erörterung der einzelnen "Parteipflichten" verstärkt insoweit aber eher Zweifel. Den Beweis erbringen schon wenige Stichproben: Schwierigkeiten bereitet schon die Urkundenedition, bei der die prozessuale Rechtsfolge des § 427 ZPO an die zivilrechtliche Verpflichtung zur Herausgabe oder Vorlegung gemäß § 422 ZPO anknüpft. Goldschmidt stützt seine These von der Urkundeneditionslast52 mit dem knappen Hinweis, die Zivilpflicht werde durch die prozessuale Situation konsumiert53. Doch wird immerhin eine zivilrechtliche Verhaltensnorm im Prozeßrecht berücksichtigt, und es bedürfte- etwa durch Vergleich mit den Fallgestaltungen widerrechtlich erlangter Beweismittel- des Nachweises, daß Verhaltenspflichten nur beim ausdrücklichen Rückgriff der ZPO auf das Zivilrecht zu beachten sind. Das gleiche gilt auch für die beiläufig gestreifte Urkundenbeseitigung des § 444 zpou. Gewaltsam mutet weiterhin auch die Abhandlung der Erscheinenspflichten der Partei nach §§ 141, 619, 640 ZPO an, die teilweise als Anachronismus gegeißelt, zum Teil als staatsbürgerliche Pflicht deklariert werden55, ohne daß eine deutliche Grenzlinie zwischen Staats- und Prozeßrecht gezogen würde. Ganz widerspruchsvoll schließlich wird beim Prozeßmutwillen der mit einem Hinweis auf § 826 BGB verbundene Befund einer bloß moralischen Pflicht58, wenn an anderer Stelle - gerade im Zusammenhang mit dem Sittenverstoß - das Eingeständnis folgt, eine Erwirkungshandlung könne gegen Treu und Glauben verstoßen und dann unzulässig sein57 • Zumindest hier wird auf Umwegen ein Pflichtelement in das Prozeßrecht eingeführt, das die Moralinfreiheit als Prinzip nachhaltig in Frage stellt.

2. Parteiprozeßhandlungen und prozessuale Wertkategorien Schließlich sprechen auch die von Goldschmidt entwickelten spezifisch prozessualen Wertkategorien der Unzulässigkeit usw. 58 nicht zwingend gegen Querverbindungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht bei der Bewertung des prozeßerheblichen Parteiverhaltens. Die prozessualen Wertkategorien drücken zwar die Besonderheit der prozessualen Bewertung, die durch die Projektion der Prozeßhandlung auf die richterliche Entscheidung veranlaßt ist, treffend aus; sie besagen aber nur, daß das Prozeßrecht im Vergleich zur zivilrechtliehen Unwirksamkeits~2

63

Goldschmidt, Prozeß, 111.

s. 110.

S. 111, 120 FN 673. s. 113- 116. se S. 125 mit FN 691. 5ö s. 477. 58 s. 367 ff. 64

65

120

§ 5 Der Prozeß als Rechtslage

folge zu einem abweichenden Bewertungsergebnis führt. Dagegen ist mit dieser Besonderheit nicht erwiesen, daß die Unzulässigkeit oder Unbeachtlichkeit wirklich nur von Voraussetzungen abhängt, die das Prozeßrecht normiert69 • Zweifellos sind die prozessuale Unzulässigkeit und die materiell-rechtliche Widerrechtlichkeit nicht schlechthin kongruent. Selbst wenn ein Schriftsatz beleidigende Äußerungen enthält60, wird damit das Parteivorbringen nicht unbeachtlich. Auch macht die Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch eine unberechtigte Schutzrechtsberühmung im Rechtsstreit die Klage nicht unzulässig. Doch läßt sich beides darauf zurückführen, daß der Prozeßstoff stets nur im Hinblick auf den Streitgegenstand des Rechtsstreits geprüft wird und die bezeichneten Rechtsverletzungen außerprozessuale Folgewirkungen der Parteiprozeßhandlungen sind. Aus diesem Grund ist auch Goldschmidts Beispiel über die getrennte Beurteilung der richterlichen Rechtsbeugung durch das Prozeßrecht und das materielle Recht81 kein Beweis für eine prinzipielle Trennungswertung: Über den Schadensersatzanspruch aus Amtspflichtverletzung wird notwendigerweise nicht in dem gleichen Rechtsstreit entschieden, in dem der Richter "fehlerhaft" handelt. Umgekehrt ergeben allerdings auch die von Goldschmidt eingeräumten Wertungsübergriffe62, bei denen eine prozessuale Berechtigung83 den Eingriff in ein materielles Recht rechtfertigt", auch keinen Aufschluß über die Reichweite einer "Einheitswertung". Erst die subtile Analyse aller normierten Fälle, die Goldschmidt nicht vorgenommen hat, kann daher das überkommene Trennungsdenken erhärten oder zu Fall bringen.

So aber Goldschmidt, Prozeß, 394. eo Vgl. schon Sauer, Grundlagen, 95. 61 Goldschmidt, Prozeß, 247. 62 s. 296. 69

63 Goldschmidt verbrämt die prozessuale Berechtigung allerdings durch den Rückzug auf eine "materiell-justizrechtliche" bzw. staatsrechtliche Berechtigung. " Beispiel: Eingriff in die Freiheit durch eine prozeßordnungsgemäße Verhaftung.

§ 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise Den letzten Stützfeiler für die grundsätzlich strikte Trennung von Prozeßrecht und materiellem Recht enthält die doppelfunktionelle Betrachtungsweise, mit der vor allem Niese die getrennte inner- und außerprozessuale Bewertung des prozeßerheblichen Verhaltens erhärtet hat. Seine Theorie der doppelfunktionellen Prozeßhandlungen, der trotz Nieses Anlehnung an Goldschmidts Prozeßbetrachtungsweisen wegen ihres Fallmaterials für einen Grundsatz der Trennungswertung eine selbständige Bedeutung zukommt!, ist bereits an anderer Stelle skizziert2. Wie dabei dargelegt, ist sie trotz der Spuren, die sie in der Verfahrensrechtsdogmatik hinterlassen hat, bislang kein Allgemeingut. Die Tragweite der doppelfunktionellen Betrachtungsweise läßt sich deshalb am besten erkennen, wenn man ihre Entwicklung durch Eberhard Schmidt und Niese nachzeichnet.

A. Entwicklung der doppelfunktionellen Betrachtungsweise I. Grundlegung

Eberhard Schmidt widmet sich dem Problem der doppelfunktionellen Betrachtungsweise in einer strafrechtlichen Abhandlung, in der er die schon erwähnte3 Relation von ärztlicher Schweigepflicht und prozessualem Aussageverweigerungsrecht des als Zeugen erscheinenden Arztes untersucht'. Die Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht ist nach § 203 StGB strafbar. Problematisch ist eine Verletzung der Schweigepflicht durch die Zeugenaussage des Arztes im Prozeß. In diesem tritt neben das schützenwerte Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient das staatliche Interesse an der Wahrheitsfindung. Die Partikularrechte hielten das Staatsinteresse für so wesentlich, daß sie eine Aussagepflicht des Arztes statuierten und den Verstoß gegen die Schweigepflicht rechtfertigten, wenn er durch die Zeugenaussage im Prozeß geschah5 • Die modernen Prozeßgesetze bewerten die materiell-rechtliche Schweigepflicht höher. Allerdings korrespondiert mit ihr nach t

2

3 4

5

Vgl. oben I§ 2 B V 3 (S. 78). § 2 B V 3 (S. 76- 79). I§ 2 B V 3 (S. 77). Eberhard Schmidt, Arzt im Strafrecht, 53 ff.

s. 53.

§ 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise

122

dem Wortlaut des §53 Abs. 1 Nr. 3 StPO zumindest im Strafverfahren kein Aussageverbot, sondern nur ein Aussageverweigerungsrecht. Eberhard Schmidt zieht daraus die heute nach § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO und trotz § 383 Abs. 3 ZPO auch im Zivilprozeßrecht8 bisweilen gebilligte Folgerung, die Entscheidung über die Aussage habe allein und in eigenerVerantwortungder Arzt zu treffen7 .Dieser mache sich eventuell nach § 300 StGB- heute § 203 StGB- strafbar. Dennoch sei die strafbare Aussage prozessual ordnungsgemäß und verwertbar. Die Zeugenaussage des Arztes soll also materiell-rechtlich und prozeßrechtlich getrennt bewertet werden. Diese "doppelte Moral " 8 führt Eberhard Schmidt auf die Doppelfunktion der prozessualen Zeugenaussage des Arztes zurück und begründet damit die doppelfunktionelle Betrachtungsweise. Das Prozeßrecht regele den Gang eines auf ein Urteil hinstrebenden gerichtlichen Verfahrens und entscheide, welche Handlungen innerhalb des Prozesses zugelassen sein sollten11• Das materielle Recht beziehe sich dagegen nicht auf das Internum des prozessualen Raums, sondern bewerte die soziale Lebenswirklichkeit außerhalb 10• Trotz dieser scharfen Scheidung des prozessualen und des außerprozessualen "Wirklichkeitsraums" leugnet Eberhard Schmidt übergreifende Wertungen gerade bei Prozeßhandlungen mit Doppelfunktion nicht. Er erwähnt vielmehr als Kontrast zur prozessualen Irrelevanz der Strafbarkeit einer ärztlichen Zeugenaussage die prozeßrechtliche Regelung der §§ 112 ff. StPO, die sowohl über die prozessuale Ordnungsmäßigkeit der Verhaftung als auch über die (materiell-rechtliche) Rechtmäßigkeit entscheide11• Die inner- und außerprozessuale Wirkung der §§ 112 ff. StPO führt Eberhard Schmidt an anderer Stelle auf die Doppelfunktion mancher Rechtssätze zurück12• Daraus folgt zumindest, daß die Scheidung der Wirklichkeitsräume übergreifende Wertungen nicht ganz ausschließt. Ob diese nur bei der allein hervorgehobenen materiell-rechtlichen Wirkung prozessualer Normen vorkommen oder ob auch umgekehrt materiell-rechtliche Vorschriften in den "prozessualen Wirklichkeitsraum" hineinwirken13, sagt Eberhard Schmidt nicht. Eine generelle Irrelevanz der materiell-rechtlichen Widerrechtlichkeit im Prozeß wird nicht behauptet. Deshalb beruht auch die Trennungswertung bei der ärztlichen Zeugenaussage e Vgl. oben § 2 B V 3, FN 252. 1

Eberhard Schmidt, Arzt im Strafrecht, 57.

s Lenckner, NJW 1965, 326.

u Eberhard Schmidt, 10

11 12 13

s. 55. s. 55 f.

Arzt im Strafrecht, 55.

Eberhard Schmidt, Lehrkommentar I, Rdnr. 37 (S. 52). Vgl. zur möglichen Doppelfunktion zivilrechtlicher Rechtssätze oben § 2

B I 3 b (S. 51 f .).

A. Entwicklung der doppelfunktionellen Betrachtungsweise

123

weniger auf der theoretischen Scheidung der beiden Wirklichkeitsräume als auf der Interpretation des§ 53 Abs. 1 Nr. 3 StP014• Die Reichweite dieses Beispiels für andere Fallgestaltungen bleibt offen. Die aus der Interpretation des §53 Abs. 1 Nr. 3 StPO gefolgerte Trennung des prozessualen und des außerprozessualen Wirklichkeitsraums und die Erläuterung der übergreifenden Wertungen bei den von§§ 112 ff. StPO repräsentierten Fallstrukturen mit dem Gedanken der Doppelfunktion von Rechtssätzen deuten zwar an, daß Eberhard Schmidt diese als Ausnahmen, die Trennungswertung demgegenüber als Grundsatz auffaßt; dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis wird aber nicht begründet. Zudem bleibt schon durch die enge Themenstellung Eberhard Schmidts unklar, wo die Grenzen für die - als Ausnahmen verstandenen übergreüenden Wertungen liegen. Selbst wenn die Thesen Eberhard Schmidts zutreffen, sind daher Wechselwirkungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht in den von der Eingangskasuistik umrissenen Fallgruppen nicht zwingend verwehrt. II. Erweiterung zur Theorie der doppelfunktionellen Prozeßha.ndlungen

Dieser Befund ändert sich bei einem Blick auf den Umfang der Trennungswertung, die in Nieses Theorie der doppelfunktionellen Prozeßhandlungen sichtbar wird. Niese erweitert nicht nur - unter Einbeziehung zivilprozessualer Vorgänge und teilweise auch vorprozessualen Verhaltens - die Plattform der Beispielfälle, in denen nach seiner Meinung Prozeßrecht und materielles Recht das prozeßerhebliche Verhalten unterschiedlich bewerten. Er sieht vor allem durch diese Fälle seine generelle These bestätigt, daß sich die Rechtswidrigkeit als solche, soweit nicht das Prozeßrecht selbst auf die materiell-rechtliche Widerrechtlichkeit zurückgreift15, im prozessualen Raum niemals auswirke16. Deshalb spricht er grundsätzlich jedem Verstoß gegen materiell-rechtliche Vertragspflichten und jedem sonst widerrechtlichen Verhalten irgendeinen Einfluß auf den Verfahrensablauf ab. Diese Aussage ist, wie Niese mit der für ihn folgerichtigen Reduzierung der Rechtsfolge verpflichtender ,.Prozeßvereinbarungen" auf bloße Schadensersatzsanktionen unterstreicht17 , für die obige Eingangskasuistik gewichtig: Deliktisches Parteiverhalten und die schuldhafte Verletzung von zivilrechtliehen Vertragspflichten wären für die prozessuale Beurteilung des Parteiprozeßverhaltens unerheblich. Ebenso wäre auch die a Gerade diese Interpretation führt umgekehrt zum Gedanken der Unterscheidung der beiden "Wirklichkeitsräume". 15 Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 142. 16 s. 136. 17

s. 151.

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§ 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise

außerprozessuale Verwirkung prozessualer Befugnisse ausgeschlossen18• Da Niese weiterhin die Vollstreckung aus einem unrichtigen Sachurteil trotz dessen prozessualer Ordnungsmäßigkeit für widerrechtlich hält1 9 , liegt es für ihn nahe, auch die deliktische Beurteilung von Klagen und Prozeßbehauptungen ohne Rücksicht auf deren prozessuale Zwecksetzung vorzunehmen20• Das Verständnis seiner Doktrin hängt dabei ganz von der Beachtung ihres Ausgangspunktes ab: Wie dargelegt, stützt er sich im Grundsatz und in vielen Details ganz auf Goldschmidts Prozeßrechtsverständnis. Nur weil Prozeßhandlungen mit Doppelfunktion dieser Grundanschauung widersprechen könnten, mustert er einen umfänglichen Katalog prozeßerheblicher Erscheinungen auf das Verhältnis von materiell-rechtlicher und prozeßrechtlicher Bewertung durch. Sein Fazit kennzeichnet übergreifende Wertungen als ganz seltene und kaum erweiterungsfähige Ausnahmen. 1. Fallgruppen

Der Zugang zu den Fallgruppen, die dieses Ergebnis absichern sollen, wird durch eine wenig übersü:htliche Arbeitsweise ziemlich erschwert. Sie ist von seinem Rezensenten von Hippel nicht zu Unrecht, wenn auch mit unnötiger polemischer Schärfe gerügt worden21 • Niese verzichtet nämlich zunächst ganz auf einen festen Standort beim Streit um den Begriff der Prozeßhandlung22 und erläutert auch die Doppelfunktion mehr beispielhaftn. Sein Fallkatalog enthält daher eine später partiell korrigierte Mischung von prozeßrechtlich normierten und vorprozessualen Handlungen, die nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung oder zumindest doch möglicherweise sowohl prozessuale als auch materiell-rechtliche Wirkungen haben sollen. Klammert man vorerst die Doppelfunktionalität des Urteils aus24 , so verbleibt ein Rest1s Das sagt Niese nicht ausdrücklich. Wenn aber schon die ausdrückliche Vereinbarung innerprozessual unbeachtlich ist, dann erst recht ein außerprozes· sualer Vertrauenstatbestand. 1e Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 123. 2o Damit ist, da Niese Prozeßvereinbarungen mit Verfügungswirkung nicht anerkennt, von dem obigen Fallkatalog (§ 1 A) der Eingangskasuistik nur die Schadensersatzpflicht wegen schuldhafter Verletzung prozessualer Parteipflichten (Beispiel 8) nicht behandelt. Sie scheitert schon an der Ablehnung einschlägiger Parteipflichten; vgl. dazu Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 64 ff. Deshalb billigt Niese dem prozessualen "Pflichtverstoß" auch keine Doppelfunktion zu. Z1 von Hippel, ZZP 65, 424 ff.; speziell zu Prozeßhandlungen und ihrer Doppelfunktion von Hippel, ZZP 65. 425. 22 Die Definition wird von Niese später nachgeschoben. za Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 31 ff. 24 Dazu näher unten § 6 B III 1 a (S. 154 - 165).

A. Entwicklung der doppelfunktionellen Betrachtungsweise

125

bestand, der in zunächst schwer verständlicher Weise untergliedert wird. Zu den doppelfunktionellen Prozeßhandlungen zählt Niese aus dem Strafverfahren25 das Erzwingen der Anwesenheit des Beschuldigten durch Vorführung (§ 134 StPO), die vorläufige Festnahme (§ 127 StPO), die Verhaftung (§§ 112 ff. StPO), das Aufsuchen und Sichern von Beweismittelnmittels Durchsuchung(§§ 102 ff. StPO), Beschlagnahme und Herausgabezwang (§§ 94 ff. StPO) sowie psychiatrische und körperliche Untersuchungen (§§ 81 ff. StPO), Zwangsmaßnahmen gegen Zeugen (§§ 51, 70 StPO) und schließlich sitzungspolizeiliche Maßnahmen (§§ 176 ff. GVG, 164 StPO). Alle diese Verfahrensakte dienen der Sicherung des Verfahrens der Sachverhaltsfeststellung und bewirken zugleich einen Eingriff in die materiell-rechtlich geschützte Rechtssphäre des Betroffenen. Entsprechende Verfahrensakte findet Niese auch im Zivilprozeß28• Hierher gehören primär die Zwangsmaßnahmen, die das Erscheinen der Partei(§§ 141, 272 b, 619 ZPO) sowie das Erscheinen und die Aussage von Zeugen bezwecken. Als mögliche doppelfunktionelle Prozeßhandlungen führt Niese Anerkenntnis (§ 307 ZPO) und Verzicht (§ 306 ZPO) und die Vomahme einseitiger Gestaltungsgeschäfte (Anfechtung, Aufrechnung) im Prozeß an27 , nimmt aber beide Gruppen an anderer Stelle2s wieder aus, da Anerkenntnis und Verzicht keine, die einseitigen Gestaltungsgeschäfte umgekehrt ausschließlich materiell-rechtliche Wirkungen haben28 • Nur "dem Problemkreis der Doppelfunktion zugehörig" 30, auch wenn man sie als zivilrechtliche Verträge verstehe, werden sodann die in der ZPO normierten Prozeßvereinbarungen (Prorogation, Schiedsvertrag usw.) sowie die sonst statthaften Prozeßvereinbarungen gerechnet. Mit dem besonderen Etikett der "pathologischen Doppelfunktion" werden schließlich alle nach materiellem Recht strafbaren Verfahrenshandlungen von Richtern, Parteien und sonstigen Verfahrensbeteiligten versehen31, die Eberhard Schmidt mit dem Beispiel des strafbaren Verstoßes gegen die ärztliche Schweigepflicht durch Zeugenaussage im Prozeß gerade als charakteristische Prozeßhandlungen mit Doppelfunktion bezeichnet hatte. 25

28 Z7

28

Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 48 ff.

s. 52 ff. S. 54f.

s. 83 f.

29 Vgl. auch oben § 2 B II (S. 54). ao Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 55.

31

s. 56.

126

§ 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise

2. Begriffsbildung

Die etwas merkwürdige Abstufung bei den im Zivilrechtsstreit relevanten Verhaltensweisen und die Besonderheit der "pathologischen Doppelfunktion" lassen sich nur im Kontext mit der von Niese nachgeschobenen Definition der Prozeßhandlung32 und einem allgemein gehaltenen Hinweis zur Doppelfunktionalität verstehen, mit dem er strafbare Handlungen aus dem Kreis der doppelfunktionellen Prozeßhandlungen herausnimmt38• Diese beiden begrifflichen Fixierungen müßten streng genommen seinen Untersuchungsgegenstand beträchtlich einschränken. Unter Prozeßhandlungen versteht nämlich Niese nur solches Richter-, Partei- und sonstiges Prozeßverhalten, das in Voraussetzungen und Wirkungen vom Prozeßrecht geregelt ist34• Von den Prozeßvereinbarungen verbleibt als doppelfunktionelle Prozeßhandlung dadurch allein der Prozeßvergleich86• Dagegen werden Prorogation und Schiedsvertrag, bei denen allein die Wirkung vom Prozeßrecht bestimmt werde, ebenso wie alle sonst statthaften Prozeßvereinbarungen in das Zivilrecht verwiesen36 • Sie bleiben aber in der Untersuchung, so daß sich deren Ergebnisse auch auf zivilrechtliche37 Vorgänge beziehen. Einschneidender noch ist die begriffliche Absonderung der "pathologischen Doppelfunktion". Niese38 führt dazu an, die materielle Strafbarkeit prozessualen Verhaltens stehe mit dem betreffenden Prozeßhandlungen nicht in funktionellem Zusammenhang. Zugleich aber räumt er eine enge Verwandschaft mit dem Gesamtproblem ein, da auch bei den doppelfunktionellen Prozeßhandlungen das Verhältnis der beiden Funktionen immer erst dann problematisch werde, wenn sich die eine oder die andere als fehlerhaft erweise. Deshalb hält er auch die Fallgruppen der "pathologischen Doppelfunktion" weiterhin für untersuchungswürdig. Die Grenzziehung zwischen doppelfunktionellen Prozeßhandlungen und Fallkonstellationen einer "pathologischen Doppelfunktion" erscheint nur auf den ersten Blick als eine ziemlich willkürliche Folge einer künstlichen begrifflichen Scheidung. In Wahrheit liegt hier der Schlüssel zum Verständnis des von Niese verfolgten Untersuchungsziels. Die vage Behauptung, strafbares Verhalten stehe nicht in funktionellem Zusammenhang mit der Prozeßhandlung39, gewinnt bei einem Blick

s. 85. s. 56. 34 s. 85. 35 s. 86 f. 38 s. 85, 151. 32 33

37

Zivilrechtlich nach dem Verständnis von Niese. Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 56. s. 56.

as Niese, 39

A. Entwicklung der doppelfunktionellen Betrachtungsweise

127

auf eine von Baumgärtel vorgenommene Präzisierung sofort Konturen. Baumgärtel'o spricht, sachlich durchaus im Einklang mit Niese, von einer doppelfunktionellen Prozeßhandlung nur, wenn die Prozeßhandlung zur Erfüllung ihrer prozessualen Funktion zugleich eine materielle Funktion haben muß. Zwischen beiden Funktionen müsse eine Zweckbeziehung bestehen. Versteht man diese Zweckbeziehung als eine vom Gesetz intendierte, so ist Nieses Unterscheidung durchaus plausibel. Die Verhaftung etwa kann ihre prozessuale Aufgabe, die Sicherstellung des Beschuldigten zur Sachverhaltsfeststellung und ggfs. Bestrafung nur durch eine gleichzeitige materiell-rechtliche Wirkung, nämlich die Freiheitsentziehung, erreichen. Beide Wirkungen sind vom Gesetz bezweckt. Anders ist das bei der Zeugenaussage des Arztes, wenn dieser gegen seine Schweigepflicht verstößt. Diese Zeugenaussage hat nach der gesetzlichen Zwecksetzung nur eine prozessuale Funktion. Sie erlangt eine materiell-rechtliche Relevanz erst durch die strafbare Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht, also durch den Verstoß gegen das Gesetz. Im Gegensatz zu Eberhard Schmidts Begriffsbildung liegen also doppelfunktionelle Prozeßhandlungen nach Baumgärtel und Niese nicht schon vor, wenn ein Prozeßverhalten- wie die strafbare Zeugenaussage des Arztes- sowohl im Prozeß als auch außerhalb des Verfahrens Rechtswirkungen hat. Hinzukommen muß ein normatives Element: Das Verhalten selbst und seine Wirkungen müssen vom Gesetz gewollt sein. Deshalb ist bei strafbarem Prozeßverhalten - man könnte, was Niese übersieht, auch genereller formulieren: bei widerrechtlich (schuldhaftem) Prozeßverhalten- die Doppelfunktion mit Nieses Worten eine "pathologische". Vergegenwärtigt man sich nun, daß Niese von Goldschmidts Trennungsdogma ausgeht und er deshalb kasuistische Durchbrechungen der Trennungsthese mit der Besonderheit der Doppelfunktionalität erklären möchte, so liegt die dargestellte Zweiteilung durchaus nahe. Es ist nämlich wahrscheinlich, daß bei einer vom Gesetz vorgenommenen Verknüpfung der prozessualen und der materiell-rechtlichen Funktion -also bei doppelfunktionellen Prozeßhandlungen nach dem Verständnis Baumgärteis und Nieses - in beiden Rechtssparten ein einheitlicher Bewertungsmaßstab anzuwenden ist41 • Dagegen ist die Relation der Bewertungsmaßstäbe in den Fällen "pathologischer Doppelfunktion" durchaus offen. Bei diesen kann eine einheitliche Bewertung angezeigt sein. Deshalb muß Niese auch diese Fallstrukturen wegen eines möglichen Widerspruchs zur Trennungsthese analysieren. Andererseits ist aber auch denkbar, daß sich mit dem Nachweis einer divergenten BeBaumgärtet, Wesen, 99. Anders nach Niese beim Fehlurteil, dessen Vollstreckung widerrechtlich sein soll. Deshalb ist auch die Doppelfunktionalität des Urteils gesondert zu betrachten; vgl. § 6 B III 1 a (S. 154- 165). 40

41

128

§ 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise

wertung eines Prozeßverhaltens durch das Prozeßrecht und das materielle Recht in den Fällen der "pathologischen Doppelfunktion" das Trennungsdogma absichern läßt. Die Begriffsbildung der doppelfunktionellen Prozeßhandlungen könnte daher in Nieses Doktrin die Durchbrechung des Trennungsdogmas anzeigen, die "pathologische Doppelfunktion" dagegen dessen Bestätigung ergeben. In der Tat stützen die von Niese gefundenen Resultate diese Hypothese. Sie machen es zweckmäßig, im nachfolgenden Text zwischen doppelfunktionellen Prozeßhandlungen und der doppelfunktionellen Betrachtungsweise zu unterscheiden. Da sich die Doppelfunktionalität nur auf Prozeßhandlungen bezieht42 , sind die unter diesen Stichworten erfaßbaren Fallgruppen wiederum von den nur "dem Problemkreis der Doppelfunktion zugehörigen" 43 Fällen vorprozessualen Verhaltens der Parteien eines Zivilprozesses zu trennen. 3. Doppelfunktionelle ProzeßhandZungen und doppelfunktionelle Betrachtungsweise a) Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen und ihre dogmatische Bedeutung Der Kreis prozessualer Erscheinungen, die Niese den doppelfunktionellen Prozeßhandlungen zurechnet, ist fast44 ausnahmslos dadurch gekennzeichnet, daß sowohl die prozessuale Ordnungsmäßigkeit als auch die materiell-rechtliche Rechtmäßigkeit durch die im Prozeßrecht umrissenen Tatbestandsmerkmale bestimmt werden. Eine Verhaftung unter den Voraussetzungen der §§ 112 ff. StPO ist prozessual ordnungsgemäß. Die damit verknüpfte Freiheitsentziehung ist nicht widerrechtlich. Das materielle Recht nimmt zur Durchsetzung der prozessualen Funktion, der Verhaftung, also der Sicherstellung des Beschuldigten, den Eingriff in sein subjektives Freiheitsrecht in Kauf. Entsprechend ist es bei allen anderen von Niese aufgezählten doppelfunktionellen Prozeßhandlungen im Strafverfahren46 und bei den Richterhandlungen im Zivilprozeß46• Das Prozeßrecht entscheidet zugleich über die Rechtmäßigkeit des Eingriffs in die materielle Rech.tssphäre. Der Verfahrensakt ist bei der von Niese gebildeten Kategorie der doppelfunktionellen Prozeßhandlungen rechtmäßig, soweit er prozessual ordnungsgemäß ist. Insofern erfolgt bei derartigen Verfahrensakten stets eine einheitliche Bewertung, inIm Sinne von Nieses Definition. Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 55. '' Ausnahme: der Prozeßvergleich; vgl. dazu den anschließenden Text. 46 Zuvor § 6 A II 1 zu FN 25. 46 Zuvor § 6 A li 1 zu FN 26. 42 43

A. Entwicklung der doppelfunktionellen Betrachtungsweise

129

dem die prozessualen Maßstäbe auch im materiellen Recht beachtet werden. Diese Einheitswertung ist auf die gesetzlich intendierte Zweckbeziehung zwischen der prozessualen und der materiell-rechtlichen Funktion zurückzuführen: Die Sicherstellung des Betroffenen bei der Verhaftung ist notwendigerweise mit seiner Freiheitsentziehung verknüpft. Soweit das Prozeßrecht jene gutheißt, muß eine widerspruchsfreie Rechtsordnung diese in Kauf nehmen. Deshalb läßt sich auch die Relation von Ordnungsmäßigkeit und Rechtmäßigkeit nicht negativ formulieren : Die Freiheitsentziehung unter Verletzung der §§ 112 ff. StPO ist zwar auch widerrechtlich; sie ist es aber nicht allein wegen der prozessualen Ordnungswidrigkeit der Verhaftung, sondern nur, weil dies beispielsweise § 823 BGB bei fehlenden Rechtfertigungsgründen so anordnet. Eine übergreifende Wertung erfolgt bei Nieses doppelfunktionellen Prozeßhandlungen, bei denen prozessuale und materielle Funktionen untrennbar verknüpft sind, also nur, wenn die prozessuale Funktion vom Gesetz bezweckt ist. Die untrennbare Verbindung der prozessualen und materiellen Wirkung besagt weiterhin, daß auch bei Überschreitung der vom Prozeßrecht für die Zulässigkeit des Verfahrensaktes gesetzten Grenzen ein - nunmehr von dessen prozessualer Funktion nicht mehr gerechtfertigter-- Eingriff in die durch das materielle Recht geschützten Rechtspositionen des Betroffenen stattfindet. Dann beruht zwar das Rechtswidrigkeitsurteil auf den Normen des materiellen Rechts; im Ergebnis bewirkt aber die Zweckbeziehung zwischen der prozessualen und der materiellen Funktion immerhin eine Parallelwertung: Die Prozeßhandlung ist ordnungswidrig, und sie ist rechtswidrig. Auch dann bleibt für eine doppelfunktionelle Betrachtungsweise praktisch kein Raum. Mit dem Etikett doppelfunktionelle Prozeßhandlung steht die Einheitswertung fest. So ist es auch beim Prozeßvergleich, wenn man diesen mit Niese als doppelfunktionelle Prozeßhandlung ansieht47 • Hier beruht die einheitliche Bewertung allerdings nicht nur auf der Beachtung prozeßrechtlicher Normen im materiellen Recht, sondern auf der Addition von zivil- und prozeßrechtlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen, wie sie in der Doppelnatur48 des Prozeßvergleichs zum Ausdruck kommt. Sieht man von dieser Besonderheit des Prozeßvergleichs ab, so umschreibt Nieses Kategorie der doppelfunktionellen Prozeßhandlungen48 ausschließlich Fälle, in denen die prozessuale Ordnungsmäßigkeit auch die materiell-rechtliche Rechtmäßigkeit einer Prozeßhandlung mitbestimmt. Sie gibt damit eine Teilantwort auf die Frage nach dem Ver47 48 49

Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 86 f. Vgl. dazu oben § 2 B II (S. 54 f .). Anders, wie zuvor in FN 41 dargelegt, beim Fehlurteil.

9 Konzen

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§ 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise

hältnis von prozessualer Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit bzw. Unzulässigkeit und Widerrechtlichkeit. Zumindest bei den von ihr erfaßten Fallstrukturen bedeutet Zulässigkeit zugleich Rechtmäßigkeit und - jedenfalls im Ergebnis - Unzulässigkeit auch Widerrechtlichkeit. Eine weitergehende dogmatische Bedeutung käme dem angeführten Katalog der doppelfunktionellen Prozeßhandlungen nur zu, wenn man, wie Niese, mit seiner Hilfe auf der Basis einer strikten Trennung von Prozeßrecht und materiellem Recht übergreifende Wertungen als seltene Ausnahmetatbestände deklariert. Nur wenn der Ausnahmecharakter dieser doppelfunktionellen Prozeßhandlungen in dem Sinne feststünde, daß sie die einzigen Durchbrechungen einer prinzipiell getrennten Bewertungvom Prozeßrecht und materiellem Recht wären, ließe sich aus ihrer Katalogisierung eine Antwort auf die Frage nach einer Wechselwirkung von Zivil- und Prozeßrecht in den Fallgruppen der Eingangskasuistik ableiten. Da es bei diesen Fallgruppen meist um materiellrechtliche Verstöße gegen das Gesetz oder gegen Vertragspflichten geht, müßte dann im Wege des Umkehrschlusses auf die Irrelevanz widerrechtlichen Verhaltens im Verfahren geschlossen werden. Indessen ist eine derartige Reichweite der Trennungsthese bislang nicht bewiesen50• Deshalb hilft auch ein Fallvergleich zwischen der Eingangskasuistik und den doppelfunktionellen Prozeßhandlungen im Sinne von Nieses Definition nicht weiter. Es steht fest, daß bei der Eingangskasuistik keine entsprechende untrennbare Zweckbeziehung zwischen der prozessualen und materiellen Funktion eines Prozeßverhaltens existiert. Das gilt auch für die Fälle51 der deliktischen Klage oder der ehrverletzenden Prozeßbehauptung, die wegen der intendierten materiell-rechtlichen Privilegierung des Prozeßverhaltens noch am meisten mit Nieses doppelfunktionellen Prozeßhandlungen vergleichbar erscheinen. Die Klage erfordert nicht notwendig eine Verletzung der rechtlich geschützten Rechtssphäre des Beklagten, die Prozeßbehauptungen nicht unbedingt eine Ehrverletzung des Gegners. Man kann in diesen Fällen mit dem obigen Text52 und in Übereinstimmung mit Eberhard Schmidt53 von ·einer Doppelfunktion des Parteiverhaltens nur in dem ganz anderen Sinn sprechen, daß mit der Parteiprozeßhandlung außerhalb des Verfahrens- und damit außerhalb der prozessualen Funktion des Parteiso Vgl. dazu auch Henckels r eservierte Haltung zu doppelfunktionellen Prozeßhandlungen: Henckel, Prozeßrecht, 33. Sie beruht auf der entgegengesetzten Meinung, daß übergreifende Wertungen in weiterem Umfang vorkommen. Vor diesem Hintergrund ist Nieses Katalog der doppelfunktionellen Prozeßhandlungen nur eine von mehreren Fallgruppen und deshalb nicht von zentraler Bedeutung. s1 § 1 A, Beispiele 10, 11. s2

§ 2 B I 3 b (S. 51 f .).

sa Eberhard Schmidt,

Arzt im Strafrecht, 55 f.; vgl. auch Sax, ZZP 67, 52.

A. Entwicklung der doppelfunktionellen Betrachtungsweise

131

verhaltens - eine Rechtsverletzung erfolgt54 • Dagegen besagt Nieses Begriffsbildung für die Eingangskasuistik nichts, solange nicht das Trennungsprinzip anderweitig nachgewiesen ist. Dieser Nachweis ist mit seiner Gruppierung, die genau umgekehrt auf die Durchbrechung des Prinzips abzielt, nicht zu erbringen. Die doppelfunktionellen Prozeßhandlungen - so wie sie Niese definiert - können deshalb aus der weiteren Betrachtung ausscheiden56• b) Doppelfunktionelle Betrachtungsweise Anders ist das mit den Fällen der "pathologischen Doppelfunktion". Gerade bei strafbarem Prozeßverhalten stellt sich das Problem einer doppelfunktionellen Betrachtungsweise. Bei ihm kann es zu einer divergenten Bewertung von Prozeßrecht und materiellem Recht kommen. In der Tat gelangt Niese auf dem Feld der "pathologischen Doppelfunktion" fast stets aufgrund einer doppelfunktionellen Betrachtungsweise zu dem Ergebnis, daß die Strafbarkeit und damit auch die Widerrechtlichkeit eines Verfahrensakts dessen prozessuale Beurteilung nicht beeinflußt. Der gleiche Befund einer prozessualen Irrelevanz ergibt sich für ihn in besonderen Problemlagen auch bei seiner Kategorie der doppelfunktionellen Prozeßhandlungen. Deshalb sind mehrere, von Niese wiederum nicht klar getrennte Fallgruppen zu unterscheiden:

aa) Doppelfunktionelle Betrachtungsweise bei doppelfunktionellen Prozeßhandlungen Die erste Gruppe umfaßt Fälle, in denen doppelfunktionelle Prozeßhandlungen wie die Verhaftung, Durchsuchung usw. im Strafverfahren unter Verstoß gegen die im Prozeßrecht normierten Tatbestandsmerkmale vorgenommen werden. Diese Behauptung scheint in Widerspruch zu den Ausführungen über die doppelfunktionellen Prozeßhandlungen56 zu stehen, bei denen die untrennbare Zweckbeziehung zwischen der prozessualen und der materiell-rechtlichen Funktion doch auch bei gesetzeswidrigen Verfahrensakten im Ergebnis für eine Einheitswertung sorgt. Die Verhaftung ist bei Verstoß gegen die §§ 112 ff. StPO prozessual unzulässig; die damit verbundene Freiheitsentziehung ist widerrechtlich. Die anderen doppelfunktionellen Prozeßhandlungen Nieses entsprechen genau diesem Modell. Ein Ansatzpunkt für eine M Im Gegensatz zu Niese werden damit auch die Fallkonstellationen der "pathologischen Doppelfunktion" zu den doppelfunktionellen Prozeßhandlungen gerechnet. ss Ausnahme: die Auswirkungen von unzulässigen und widerrechtlichen doppelfunktionellen Prozeßhandlungen auf das weitere Verfahren; dazu sogleich b) aa). so Zuvor unter § 6 A II 3 a (S. 128 - 131).

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Trennungswertung aufgrund einer doppelfunktionellen Betrachtungsweise ergibt sich auch nur bei der Analyse einer besonderen Fallkonstellation; nämlich nur, wenn man an die Auswirkungen einer prozeßordnungswidrigen und widerrechtlichen61 Verhaftung, Durchsuchung usw. auf das weitere Verfahren denkt. Mit Blick auf das weitere Verfahren gelangt Niese in der Tat bei zahlreichen Fallgruppen zur Irrelevanz der materiell-rechtlichen Widerrechtlichkeit58 im Prozeß. Dazu gehören zunächst die Verhaftung, die vorläufige Festnahme und die Vorführung69 • Allein die Anwesenheit in der Hauptverhandlung entscheide, nicht die Art ihres Zustandekommens80• Ganz ähnlich beurteilt Niese Gesetzesverletzungen bei der Sicherstellung von Beweisstücken mittels Durchsuchung (§§ 102 ff. StPO), Herausgabezwang (§ 95 StPO) und Beschlagnahme (§§ 94 ff. StPO) sowie bei den Untersuchungen der §§ 81 ff. StPO. Die dabei vorkommenden Eingriffe in die Wohnung, die persönliche Freiheit, die körperliche Integrität, das Eigentum oder das Briefgeheimnis sind zwar widerrechtlich; die Verletzung dieser Rechte soll aber der Verwertung der dadurch erzielten Beweismittel im Strafprozeß nicht entgegenstehen81• Ausnahmen läßt Niese allerdings beim Herausgabezwang gegen Personen mit Zeugnisverweigerungsrecht(§ 95 Abs. 2 S. 2 StPO) sowie bei Beschlagnahmen von Schriftstücken und sonstigen, im Gewahrsam von Personen mit Zeugnisverweigerungsrecht befindlichen Gegenständen zu, sofern diese sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht nach §§ 52, 53 StPO beziehen (§ 97 StPO). Da andernfalls die Wertungsgrenzen der §§52- 55 StPO überspielt würden, hält er Beweismittel, die unter Verstoß gegen die §§ 95 Abs. 2 S. 2, 97 StPO erlangt sind, im Prozeß nicht für verwertbar62 • Wesentlicher als diese Ausnahmen ist indessen, daß es außerhalb der Sperrwirkung der §§ 52 - 55 StPO bei der prozessualen Irrelevanz der Widerrechtlichkeit bei der Erlangung von Beweismitteln bleibt63 • Anders strukturiert und daher für die Trennungswertung unbrauchbar64 sind dagegen die sitzungspolizeilichen Maßnahmen65 . Die Ahndung 57 Auf diese Kumulation ist noch zurückzukommen. ss Auf die gleichzeitige prozessuale Ordnungswidrigkeit achtet Niese nicht mehr. Sie ist aber für die Tragweite dieser Fallkonstellationen ziemlich bedeutsam; vgl. § 6 B II 1 a, b (S. 139 - 148). n Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 135 f. oo S. 137; anders, wenn die plötzliche Vorführung eine ungenügende Prozeßvorbereitung des Vorgeführten bewirkt, vgl. S. 136. Darauf ist hier nicht näher einzugehen. 81 82

s. 138 f. s. 140- 142.

oa S.142.

84 Sie haben regelmäßig auf den Gang des Verfahrens und auf den Urteilsinhalt keinen Einfluß. u Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 149.

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von Ungehorsam und Ungebühr vor Gericht (§§ 177, 178 GVG) ist berechtigt und findet dann auch im weiteren Verfahren Beachtung: im Zivilprozeß durch die Säumnisfiktion des § 158 ZPO, im Strafprozeß durch die Verhandlung in Abwesenheit nach § 247 Abs. 2 StPO. Insgesamt ist damit bei Nieses Katalog der doppelfunktionellen Prozeßhandlungen die Widerrechtlichkeit sowohl der erzwungenen Anwesenheit des Angeklagten als auch (grundsätzlich) bei der Erlangung von Beweismitteln in der Hauptverhandlung unbeachtlich. bb) Doppelfunktionelle Betrachtungsweise bei sonstigen Prozeßhandlungen

Die prozessuale Irrelevanz der Widerrechtlichkeit von Verfahrensakten findet Niese auch in der zweiten Fallgruppe, die er wegen der fehlenden Zweckbeziehung zwischen der prozessualen und der materiell-rechtlichen Wirkung des Prozeßverhaltens aus dem Kreis der doppelfunktionellen Prozeßhandlungen herausnimmt. Nieses Analyse erstreckt sich hierbei ausschließlich auf die Fälle der "pathologischen Doppelfunktion", nämlich auf Sachverhalte, bei denen eine doppelfunktionelle Betrachtungsweise allein durch die strafbare Ausübung einer Prozeßhandlung eröffnet, die Beziehung zum außerprozessualen Raum also allein durch den Verstoß gegen materiell-rechtliche Normen hergestellt wird. Auch hier liegt Nieses Untersuchungsakzent durchaus im Strafprozeßrecht. Das Paradebeispiel für eine getrennte Bewertung von Prozeßrecht und materiellem Recht erblickt er wie vor ihm Eberhard Schmidt66 im strafbaren Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht bei der Zeugenaussage des Arztes im Strafverfahren67 • Niese geht insoweit nur einen Schritt weiter, indem er grundsätzlich sämtliche Verletzungen einer außerprozessualen Schweigepflicht im Strafverfahren (§ 53 StPO) und im Zivilprozeß (§ 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) für prozessual belanglos hält. Daran sieht er sich für den Zivilprozeß auch nicht durch § 383 Abs. 3 ZPO gehindert, den er als bloß instruktioneHe Vorschrift beiseiteschiebt68 • Die damalige Textfassung des §54 StP089 verEberhard Schmidt, Arzt im Strafrecht, 57 - 59. Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 145 ff. 68 s. 147. &9 Die Vorschrift deutete stärker als die heute in § 54 Abs. 1 StPO in Bezug genommenen Beamtengesetze auf ein richterliches Vernehmungsverbot hin. § 54 Abs. 1 S. 1 StPO a. F. lautete: "Öffentliche Beamte, auch wenn sie nicht mehr im Dienst sind, dürfen über Umstände, auf welche sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht, als Zeugen nur mit Genehmigung ihrer vorgesetzten Dienstbehörde oder der ihnen zuletzt vorgesetzt gewesenen Dienstbehörde vernommen werden" (Hervorhebungen vom Verf.). Die jetzige Textfassung beruht auf dem "Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete des GVG, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts" vom 12. 9. 1950, BGBl. I, 455, 629. os

&7

134

§ 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise

anlaßt Niese demgegenüber zur Annahme, die Verletzung der Schweigepflicht des Beamten sei im Prozeß stets zu beachten70• Das gleiche gilt für strafbare Richterhandlungen im Verfahren, etwa für Verfahrensakte, bei denen ein bestochener Richter mitgewirkt hat71• Doch versteht Niese diese Fälle nur als Ausnahmen vom Grundsatz der Trennungswertung.

4. Trennungswertung bei vorprozessualem Verhalten Damit ist für Niese der Kreis von Prozeßhandlungen abgeschlossen, bei denen sich eine getrennte Bewertung von Verfahrensakten durch das Prozeßrecht und das materielle Recht nach seiner Ansicht aus dem Gesetz ableiten läßt. Die Erörterung der Einzelfälle führt ihn zu dem Resultat, daß bei diesen Fällen die (materiell-rechtliche) Widerrechtlichkeit prozessual nur relevant ist, wenn die Normen des Prozeßrechts dies anordnen72• Dennoch stützt sich Niese bei der Analyse problematischer Fälle nirgends auf einen Fallvergleich mit den für ihn "klaren" Fallstrukturen der Trennungswertung. Eine Ausdehnung der in Einzelfällen nachweisbaren Trennungswertung zu einem allgemeinen Trennungsgrundsatz versucht er nicht. Gleichwohl geht er von diesem Trennungsgrundsatz aus. Das wird bei seiner recht kursorischen Beurteilung verpflichtender "Prozeßvereinbarungen" sichtbar, die nicht nach Voraussetzungen und Wirkungen vom Prozeßrecht geregelt sind73 und deshalb dem Zivilrecht zugeordnet werden74• Soweit für Prozeßvereinbarungen nicht wie bei der Prorogation und dem Schiedsvertrag ausdrücklich prozessuale Rechtsfolgen angeordnet werden, leugnet er jeden Einfluß eines Pflichtverstoßes auf das Verfahren75• Unbekümmert um die in diesem Zusammenhang nicht behandelten Rechtskraftwirkungen, die eine wirksame Sanktionierung des Pflichtverstoßes im Wege des Schadensersatzes wegen der Präjudizialität des Urteils78 für den Schadensbegriff ausschließen können77, hält Niese allein die Ersatzpflicht des zu einem Prozeßverhalten Verpflichteten für denkbar78• Eine Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 148. s. 152. 72 s. 142. 73 Vgl. Nieses Definition der Prozeßhandlung, S. 85. 74 s. 85, 150. 75 s. 151. 78 Gemeint ist das Urteil in dem Verfahren, in dem die auf Vornahme oder Unterlassung von Parteiprozeßhandlungen gerichteten Pflichten unbeachtlich sein sollen. 77 Vgl. dazu Hans-Jiirgen HeHwig, 70 f.; Schlosser, Parteihandeln, 59; Zeiss, NJW 1967, 706. 78 Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 151; Niese denkt offenbar ausschließlich an Kostenfolgen. 70 71

B. Grundsatz der Trennungswertung?

135

nähere Untersuchung unterbleibt. Als Begründung dient nur der knappe Hinweis, daß Rechte und Pflichten nicht in den .prozessualen Raum gehören78 • Maßgeblich ist also das von Goldschmidt entlehnte Vorverständnis, wonach Pflichten und die Kategorie der Widerrechtlichkeit dem Prozeßrecht fremd sind. Deshalb sind die übergreifenden Wertungen bei doppelfunktionellen Prozeßhandlungen und die- ohnehin nur durch prozessuale Normen veranlaßte- seltene Beachtlichkeit materiell-rechtlicher Verstöße in Fällen der "pathologischen Doppelfunktion" von vornherein Ausnahmen. Das Trennungsdogma bleibt sein eherner Grundsatz. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis wird nirgends problematisiert. Nieses Doktrin führt daher zwar zu dem Ergebnis, daß die Widerrechtlichkeit eines prozeßerheblichen Verhaltens grundsätzlich - also auch bei der nicht erörterten Vorlage entwendeter Beweismittel im Zivilprozeß80 - im Straf- und Zivilprozeß gleichgültig ist; dieser Grundsatz beruht aber ausschließlich auf Nieses Vorverständnis. Da das von diesem veranlaßte Regel-Ausnahme-Verhältnis weder durch Goldschmidt noch sonst durch die überkommene Prozeßtheorie bewiesen ist8t, kann Nieses Theorie jedenfalls in der von ihm selbst vorgenommenen Ausformung keine entscheidende Hürde gegen Wechselwirkungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht errichten. Anders wäre es nur, wenn sich aus den einzelnen Fallgruppen der Trennungswertung Leitlinien für sonstige Fallgestaltungen gewinnen ließen. Dieser Frage ist nunmehr nachzugehen. B. Grundsatz der Trennungswertung? I. Problem

Immerhin weist Niese bei doppelfunktionellen Prozeßhandlungen und Beispielen der "pathologischen Doppelfunktion" eine ganze Reihe von - bislang nur wiedergegeben, aber nicht überprüften Fallgestaltungen nach, in denen die materiell-rechtliche Widerrechtlichkeit von Prozeßhandlungen ohne prozessuale Reaktion bleibt. Andererseits zeigt er mit der bisher nur angedeuteten82 Widerrechtlichkeit der Vollstrekkung aus einem prozessual ordnungsgemäßen, aber unrichtigen Sachurteil83, daß die Einhaltung prozeßrechtlicher Vorschriften nicht unbedingt einer materiell-rechtlichen Widerrechtlichkeit des Prozeßverhaltens entgegensteht. Aus diesen Fallgruppen läßt sich zwar nicht un78

s. 151.

80 Zutreffend gefolgert von Nakano, ZZP 79, 103. 81

Vgl. § 2 B V 1, 2 (S. 71 -76); § 4 (S. 104 -112); § 5 (8.113 -120).

82 !§ 6 A II vor 1 (S. 124). 83 Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 123 f.

136

§ 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise

mittelbar ablesen, daß in den Fällen vertragswidrigen oder deliktischen, prozeßerheblichen Parteiverhaltens84 die materiell-rechtliche Widerrechtlichkeit im Zivilprozeß stets irrelevant sowie umgekehrt bei der Frage nach materiell-rechtlichen Sanktionen deliktischer Klagen85 oder ehrverletzenden Parteivortrags86 die prozessuale Funktion des Parteiprozeßverhaltens für das Rechtswidrigkeitsurteil immer belanglos sei; es bleibt aber das von Niese durch sein "Vorverständnis" über die Reichweite des Trennungsgrundsatzes vernachlässigte Problem, ob sich nicht aus den gesetzlichen Vorschriften, die eine Trennungswertung aufgrund einer doppelfunktionellen Betrachtungsweise stützen, weitergehende Rechtssätze für die gesetzlich nicht geregelten Fälle ableiten lassen. Diesen Gedankengang hat kürzlich Henckel mit einer zusammenhängenden Betrachtung der Vollstreckung aus einem Fehlurteil und der (potentiellen) Verletzung eines absoluten Rechts durch eine prozessual ordnungsgemäße Klage aufgegriffen87, ohne freilich zu völligen Parallelen zu gelangen. Ebenso erwägenswert sind andererseits Zusammenhänge zwischen den Fallgestaltungen, bei denen Niese eine unterschiedliche Beurteilung eines Verhaltens durch das Prozeßrecht und das materielle Recht feststellt, und sonstigen Fällen eines widerrechtlichen, prozeßerheblicher. Verhaltens. Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise hilft dabei allerdings nicht in allen Fällen weiter: Einmal betrifft die Widerrechtlichkeit, wie die vorprozessuale Entwendung von Beweismitteln durch einen späteren Zivilkläger ergibt, nicht nur Prozeßhandlungen, auf die der Begriff der Doppelfunktionalität allein zugeschnitten ist. Zum andern ist in vielen Fällen gerade offen, ob das Parteiverhalten zu prozessualen Sanktionen führt oder materiell-rechtliche Ansprüche erzeugt. Doch kommt es nicht auf das Denkschema der doppelfunktionellen Betrachtungsweise an, sondern auf die Vergleichbarkeit der damit erklärbaren und der ungeregelten Fälle. Daß zumindest solche Fallvergleiche nicht von vornherein abwegig sind, erweist schon ein Blick auf wenige Beispiele: Naheliegend ist sicher ein Vergleich zwischen der von Niese behaupteten88 Verwendbarkeit von gesetzwidrig sichergestellten Beweismitteln in der Hauptverhandlung und dem Problem widerrechtlich erlangter Beweismittel im Zivilrechtsstreit. Anders als bei diesen ist allerdings im Strafverfahrensrecht bereits die gesetzeswidrige Sicherstellung der Beweisstücke nicht nur ein widerrechtlicher Eingriff in die materiell-rechtlich geschützte Rechtssphäre des Betroffenen, sondern zugleich eine Prozeß84 85

88 87

88

§ 1 A, Beispiele 1 - 5. § 1 A, Beispiel 10. § 1 A, Beispiel 11. Henckel, Prozeßrecht, 248 ff.; 289 ff. Vgl. § 6 A II 3 b aa) (S. 131 - 132).

B. Grundsatz der Trennungswertung?

137

handlung, die gegen die Normen des Prozeßrechts verstößt. Daher entsteht nicht nur die von Niese beobachtete Divergenz zwischen dem materiellen Recht und dem Prozeßrecht, wenn die Widerrechtlichkeit im weiteren Verfahren unbeachtet bleibt. Vielmehr geht die Schnittlinie (auch) durch das Strafverfahrensrecht selbst. Dennoch muß die Parallele zur zivilprozessualen Problematik nicht unbedingt scheitern. Wenn schon im Strafverfahren sogar "vorprozessuale" Verstöße gegen die StPO irrelevant sind, könnte dies im Zivilprozeß auch für vorprozessuale Vorgänge gelten, für die sich das Prozeßrecht zunächst gar nicht interessiert. In diese Richtung weist auch die weithin gebilligte Verwertbarkeit von Beweisstücken im Strafverfahren, die ein privater Dritter entwendet und den Ermittlungsbehörden zugänglich gemacht hat88. Noch weitreichender könnte die umstrittene80 Verwertbarkeit von strafbaren Zeugenaussagen schweigepflichtiger Personen sein. Wenn das Prozeßrecht schon die Strafbarkeit eines Prozeßverhaltens in Kauf nimmt, so möglicherweise erst recht schuldhafte Verstöße gegen vorprozessuale Vertragspflichten81. Andererseits geht es sowohl bei strafbaren Zeugenaussagen als auch bei der Entwendung von Beweisstücken und deren Übergabe an die Ermittlungsbehörden um Verhaltensweisen, die im Gegensatz zu den Fallgruppen der Eingangskasuistik82 nicht auf den vom Ausgang des Rechtsstreits (möglicherweise) rechtlich begünstigten Prozeßgegner zurückzuführen sind. Insgesamt entsteht damit eine Fülle von Wertungsfragen. Sie werden durch zwei Faktoren erschwert: Einmal befindet sich die moderne Doktrin und Praxis namentlich seit der durch das Tonband- und das Tagebuch-Urteil des BGH93 ausgelösten Diskussion84 über die "Beweisverbote im Strafprozeß" 85 nicht mehr auf dem von Niese reflektierten Stand des Jahres 1950. Zum anderen entstammt seine Kasuistik der Trennungswertung fast ganz dem Strafverfahrensrecht, so daß der Fallvergleich die "Parallelität" von Straf- und Zivilprozeßrecht einbeziehen muß, gewissermaßen also nur über die Brücke der "allgemeinen Prozeßrechtslehre" möglich wird. All dies hindert aber nicht, die se Vgl. etwa Karl Peters, Beweisverbote, 95, 150 f.; abweichend für den durch das Tagebuch-Urteil (BGHSt. 19, 325) repräsentierten Fall einer Verletzung der verfassungsrechtlich geschützten Geheimnissphäre des Betroffenen, Rupp, Beweisverbote, 171 f. so Vgl. oben § 2 B V 3, FN 241 - 243. 91 § 1 A, Beispiele 1 - 3. 92 Ausnahme: der Streitgenossenschaftsfall (§ 1 A, Beispiel 2). 93 BGHSt. 14, 358; BGHSt. 19, 325. &4 Dünnebier, MDR 1964, 965; Grünwald, JZ 1966, 489; Kohlhaas, DRiZ 1966, 286; Kleinknecht, NJW 1966, 1536; Maetzel, DVBl. 1966, 665; Nüse, JR 1966, 281; Sax, JZ 1965, 1; Spendel, NJW 1966, 1102. us Thema der Strafrechtlichen Abteilung des 46. DJT am 28./29. September 1966 in Essen.

138

§

6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise

Frage aufzuwerfen, inwieweit nachweisbare getrennte Beurteilungen eines prozeßerheblichen Verhaltens durch das Prozeßrecht und das materielle Recht eine Richtschnur für sonstige Fallgestaltungen geben können. Methodisch gesehen handelt es sich um das Problem, ob eine in Einzelfällen feststellbare Trennungswertung durch Rechtsfortbildung ausgedehnt werden darf. Damit ist zunächst der geläufige Vorgang der Analogie angesprochen, also die Gleichbehandlung86 von gesetzlich geregelten und nicht geregelten Fällen. Die Reichweite des Analogieschlusses wird durch den rechtspolitischen Zweck97 gesetzlicher Tatbestände bestimmt, der auf den ungeregelten Fall passen muß. Entscheidend ist dessen Vergleich mit der rechtspolitischen Zwecksetzung gesetzlicher Tatbestände. Es erfolgt ein Schluß vom Besonderen auf das Besondere98 • Mit Canaris läßt sich davon eine noch weiterreichende Form der Rechtsfortbildung unterscheiden: die induktive Gewinnung eines allgemeinen Rechtsprinzips99 • Dabei geht es nicht um einen konkreten Fallvergleich, sondern um einen Schluß vom Besonderen auf das Allgemeine. Aus dem gemeinsamen Grundgedanken gesetzlicher Tatbestände wird ein Rechtsprinzip ermittelt, das Geltung für eine im Augenblick seiner Ermittlung noch nicht abschließend zu überblickende, unbestimmte Vielzahl von Fällen beansprucht100• Der gemeinsame Grundgedanke liegt auch hier in der rechtspolitischen Zwecksetzung der gesetzlichen Tatbestände. Diese Zwecksetzung gibt auch - und insofern unterscheiden sich Analogie und induktiv gewonnenes allgemeines Rechtsprinzip graduell - darüber Aufschluß, inwieweit ein in Einzelfällen nachweisbarer Rechtsgedanke nur eng begrenzte Analogien oder einen höheren Abstraktionsgrad zuläßt. Konkreter: Der rechtspolitische Zweck der von Niese umrissenen Kasuistik der Trennungswertung entscheidet darüber, ob allenfalls - etwa bei widerrechtlich erlangten Beweismitteln im Straf- und Zivilprozeß - Analogieschlüsse möglich sind oder ob diese Kasuistik weitergehend den Trennungsgrundsatz trägt, den Niese nur bei der von ihm definierten Kategorie der doppelfunktionellen Prozeßhandlungen oder bei ausdrücklicher Anknüpfung prozessualer Normen an materiell-rechtliche Maßstäbe für überwindbar hält. Nur dieser Trennungsgrundsatz, also ua Zum Gleichheitssatz als Basis des Analogieschlusses, vgl. Canaris, Feststellung, 98 FN 139. 97 Dieser Zweck ist nach den Maßstäben zu ermitteln, die bei der Normauslegung relevant sind. es Darin liegt das Kennzeichen einer Analogie. Die formallogische Struktur des Analogieschlusses wird freilich im Schrifttum unterschiedlich beurteilt; vgl. dazu Canaris, Feststellung, 98 FN 137. ou Canaris, Feststellung, 97 f. 100 Canaris, Feststellung, 98.

B. Grundsatz der Trennungswertung?

139

die induktive Gewinnung eines allgemeinen Rechtsprinzips, ist zunächst von Interesse101. Daher ist im folgenden - getrennt für die Problemkreise der prozessualen Irrelevanz der Widerrechtlichkeit bei prozeßerheblichem Verhalten102 und des Rechtswidrigkeitsurteils trotz der prozessualen Funktion einer Prozeßhandlung103 - nach der Existenz eines Grundsatzes der Trennungswertung zu fragen. Die Grundlage bilden dabei die von Niese mittels doppelfunktioneller Betrachtungsweise festgestellten Fallgruppen der Trennungswertung; nämlich widerrechtlich erlangte Beweismittel und die widerrechtliche Erzwingung der Anwesenheit im Strafverfahren, weiterhin Zeugenaussagen von Schweigepflichtigen sowie andererseits die bisher nur gestreifte Widerrechtlichkeit der Vollstreckung eines unrichtigen Sachurteils. Diese partiell ergänzbaren Beispiele werden auf die Stichhaltigkeit der von Niese vollzogenen Trennungswertung sowie auf ihren rechtspolitischen Zweck hin untersucht. Nach Maßgabe dieses Zwecks ist dann jeweils nach einer Ausdehnung zu einem allgemeinen Trennungsgrundsatz zu fragen. D. Prozessuale Irrelevanz der Widerrechtlichkeit bei proze.Berheblichem Verhalten? 1. Einzelne Faltgruppen und deren rechtspolitischer Zweck

a) Widerrechtlich erlangte Beweismittel im Strafprozeß Das Strafverfahrensrecht überläßt die Sicherstellung von Beweismitteln nicht der Opportunität der Strafverfolgungsbehörden. Auch der Strafrichter unterliegt bei der Beweisaufnahme gesetzlichen Bindungen. Die Wahrheitstindung ist nicht schrankenlos. Das Aussageverweigerungsrecht des Angehörigen nach § 52 StPO und das schon mehrfach erwähnte Zeugnisverweigerungsrecht des Arztes sind nur zwei von zahlreichen Schranken für die Wahrheitsermittlung. Insgesamt existiert ein Geflecht von Beweis- und Verwertungsverboten, die in der Hauptverhandlung - in der Revision meist nur auf Verfahrensrüge104 - zu berücksichtigen und vielfach in Einzelheiten heftig umstritten sind. Innerhalb dieser Beweisverbote kann man wiederum zwischen Beweisthema-, Beweismittel- und Beweismethodenverboten unterscheiden105. Mit diesen Verboten werden jedenfalls teilweise auch 101 Mögliche Analogien sind bei der Analyse der "Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien" (§§ 7- 9) zu erwägen. 102 Vgl. nachstehend unter II. 1os Vgl. nachstehend unter III. 104 Karl Peters, Beweisverbote, 97- 99; es ist streitig, ob nicht stets eine Verfahrensrüge erforderlich ist. 1os Terminologie im Anschluß an Karl Peters, Beweisverbote, 94; vgl. auch die Einwände von Grünwald, JZ 1966, 492.

140

§ 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise

Eingriffe in die materiell-rechtlich geschützte Rechtssphäre des Betroffenen sanktioniert, indem entweder die StPO selbst- wie beispielsweise beim Verdikt gegen bestimmte Vernehmungsmethoden nach § 136 a StPO - reagiert oder das Beweisverbot wie in dem bekannten Tagebuch-Urteil des BGH106 auf das Verfassungsrecht zurückgeführt wird. Da Niese den Rückgriff des Prozeßrechts auf materiell-rechtliche Verstöße ausdrücklich einräumt107 und verfassungsrechtliche Normen ohnehin die sonstigen gesetzlichen Wertungen überlagern, besagen diese Beweisverbote, die sich prozeßtheoretisch durchaus als (statistisch häufige) Ausnahmen von der Trennungswertunglos darstellen ließen, allerdings nichts gegen Nieses Trennungsgrundsatz. Die zahlreichen Streitfragen um die Beweisverbote im Strafverfahren bedürfen daher bis auf wenige Punkte keiner näheren Erörterung. Entscheidend ist allein, inwieweit die Widerrechtlichkeit von Beschlagnahmen, Durchsuchungen, körperlichen und psychiatrischen Untersuchungen usw. mit Niese im weiteren Verfahren als belanglos anzusehen sind und welcher möglicherweise weiterreichende - rechtspolitische Zweck diese Trennungswertung trägt. Den Ansatzpunkt müssen dabei die Resultate bilden, die Doktrin und Praxis in den von Niese erörterten Fallgestaltungen gefunden haben. Diese Resultate bestätigen in etwa Nieses Befund; doch deuten Abweichungen darauf hin, daß Nieses Abgrenzung zu grobmaschig ist. Diese Differenzierungen erstrecken sich auf eine ganze Reihe der erwähnten Fallgruppen: Wenn etwa entgegen§ 81 a Abs. 1 StPO nicht der Arzt, sondern ein Medizinalassistent eine Blutprobe vornimmt, soll daran die Verwertbarkeit nicht scheitern108• Das gleiche gilt, wenn die körperliche Untersuchung im Widerspruch zu § 81 a Abs. 2 StPO - ohne die dort vorausgesetzte Gefährdung des Untersuchungszwecks durch eine Verzögerung - vom Staatsanwalt angeordnet worden ist110• Das Gegenteil wird aber vertreten, wenn die körperliche Untersuchung nach § 81 a Abs. 1 StPO nicht ohne eine ernsthafte Gesundheitsgefährdung möglich war111 oder das Untersuchungsverweigerungsrecht nach § 81 c 1oe BGHSt. 19, 325. Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 142. 1os "Ausnahmen" von der Trennungswertung lassen sich in diesen Fällen ohnehin nur konstatieren, wenn man auf die jeweils negative Reaktion des Prozeßrechts und des materiellen Rechts auf Rechtsverletzungen, also auf das einheitliche Bewertungsergebnis blickt. 109 BayObLG NJW 1966, 415; OLG Hamm NJW 1965, 1089; OLG Köln, NJW 1966, 416; Grünwald, JZ 1966, 496; Henkel, § 65 I (S. 268); Löwe!Rosenberg/Sarstedt, § 81 a, 12; Karl Peters, Beweisverbote, 100, 103. uo Grünwald, JZ 1966, 496; Kern/Roxin, § 24 D III 2 f. (S. 116); Karl Peters, Beweisverbote, 100; vgl. auch BGH LM Nr. 1 zu§ 81 c StPO. 111 Grünwald, JZ 1966, 496; Karl Peters, Beweisverbote, 141 f. 101

B. Grundsatz der Trennungswertung?

141

Abs. 1 S. 2 StPO nicht beachtet worden ist112• Ähnlich liegt es bei Beschlagnahmen und Durchsuchungen. Die fehlerhaften Anordnungen nach §§ 98 Abs. 1 und 105 Abs. 1 StPO sind zwar ebenso wie eine Durchsuchung zur Nachtzeit unter Verstoß gegen§ 104 StPO im weiteren Verfahren unschädlich113 ; wie§ 108 StPO verdeutlicht, soll aber eine Durchsuchung und Beschlagnahme "ins Blaue hinein" die Verwertbarkeit der dabei aufgefundenen Beweisstücke ausschließen114• Andererseits spricht wiederum die weithin gebilligte115 Verwertbarkeit von Beweisstücken, die ein privater Dritter entwendet und an die Strafverfolgungsbehörde übergeben hat, für eine Trennungswertung. Das Tagebuch-Urteil des BGH modifiziert zwar auch hier, indem es für ein Meineidsdelikt die Unverwertbarkeit von intimen Tagebuchaufzeichnungen statuiert, die von einem früheren Liebhaber zu Unrecht einbehalten worden und dann auf Umwegen zur Staatsanwaltschaft gelangt waren118 ; damit wird aber nicht das widerrechtliche Verhaltens des früheren Liebhabers und eine Perpetuierung dieses Verhaltens durch die Staatsanwaltschaft sanktioniert, sondern ein Schutz der Intimsphäre erstrebt. Nicht anders als bei den von Niese selbst erwähnten Beispielen117 der §§ 95 Abs. 2 S. 2 und 97 StPO, in denen der Zweck der§§ 52, 53 StPO einer Verwertbarkeit entgegensteht, betrifft auch d:~ese Modifikation durch den BGH nicht die widerrechtliche Erlangung des Beweismittels. Maßgeblich ist ein anderweitiges Beweismittelverbot118, das den Gesamtvorgang überlagert, die Irrelevanz widerrechtlicher Eingriffe bei körperlichen Untersuchungen usw. in der Hauptverhandlung nicht prinzipiell aufhebt und das Problem der rechtspolitischen Zwecksetzung in Fällen der Trennungswertung nicht beseitigt. Immerhin deuten bereits die vertretene Unverwertbarkeit von Beweisstücken aufgrund von Beschlagnahmen und Durchsuchungen, die ohne konkretes Untersuchungsziel erfolgen, sowie die gesundheitsgefährdende Untersuchung nach§ 81 a StPO undderVerstoß gegen§ 81 c Abs. 1 S. 2 StPO an, daß Nieses Resultate zu global sind: Die Widerrechtlichkeit hat nicht nur nach der Zwecksetzung der §§52 ff. StPO Grii.nwald, JZ 1966, 497; Kern!Roxin, § 33 B II 5 (S. 169). Grii.nwald, JZ 1966, 496; Henkel, § 65 I (S. 268); Kern/Roxin, § 35 B II 2 (S. 175); Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 138 ff.; Karl Peters, Beweisverbote, 100; Eberhard Schmidt, Lehrkommentar II, § 94 Rdnr. 14; vgl. auch BGH JZ 1964, 72. 114 Grii.nwald, JZ 1966, 496; Karl Peters, Beweisverbote, 142: Ausfor112

113

schungsverbot. us Vgl. z. B. Grii.nwald, JZ 1966, 496 f.; Karl Peters, Beweisverbote, 150 f. 11a BGHSt. 19, 325; Zweifel an der Verfassungswidrigkeit bei der Entwendung intimer Aufzeichnungen äußert Karl Peters, Beweisverbote, 150 f . 117 Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 140- 142; vgl. oben § 6 A II 3 b aa) (S. 131 - 132). 11s Vgl. nur Karl Peters, Beweisverbote, 153.

142

§ 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise

und, wie heute hinzuzufügen ist, bei verfassungswidrigen Rechtsverletzungen Auswirkungen im prozessualen Raum. Gleichgültig, ob der Medizinalassistent eine Blutprobe entnimmt oder eine gesundheitsgefährdende Untersuchung nach § 81 a StPO vorgenommen wird, in beiden Fällen liegt ein Verstoß gegen§ 81 a StPO vor. In beiden Fällen ist der Eingriff in die körperliche Integrität ungeachtet des graduellen Unterschieds widerrechtlich. Wenn die prozessuale Relevanz dieser widerrechtlichen Eingriffe dennoch unterschiedlich sein soll, müssen dafür offenbar subtilere Qründe maßgeblich sein. In diese Richtung weist auch die bereits gestreifte119 Beobachtung, daß die Zweckbeziehung zwischen der prozessualen und der materiellen Funktion bei gesetzeswidrigen Untersuchungen, Beschlagnahmen und Durchsuchungen nicht nur zur materiell-rechtlichen Widerrechtlichkeit der Rechtsverletzungen führt, sondern zugleich die - deshalb auch meist beschwerdefähige - prozessuale Entscheidung fehlerhaft macht. In Wahrheit kommt es daher offenbar weniger auf die Scheidung des inner- und außerprozessualen Raums an, als auf die innerprozessuale Frage, aus welchem Grund bisweilen ein Verfahrensverstoß in der Hauptverhandlung keine Beachtung mehr findet. Dieser Gedanke klingt bei Niese an einer Stelle auch an, wird aber voreilig verworfen. Niese120 erwägt nämlich, inwieweit die materiellrechtlichen Eingriffe durch die Entscheidungen im Verhaftungs-, Durchsuchungs- und Beschlagnahmeverfahren mit dem von Sauer geprägten Typus der Sondersachgestaltung 121 erklärbar sind. Dieser Typus geht darauf zurück, daß Sauer das Prozeßziel in einer Sachgestaltung durch das Urteil erblickt 122, die nach wiederum eigenwilligen Unterscheidungen Sauers durch das "Verfahren" und die "Verfolgung" als Mittel zur Sachgestaltung herbeigeführt wird123 • Von dieser Sachgestaltung unterscheidet Sauer, um eigenständige Entscheidungen wie die Ablehnung von Gerichtspersonen und das auf jene gerichtete Verfahren erfassen zu können, die Sondersachgestaltung. Nach seiner Definition enthalten eine Sondersachgestaltung diejenigen besonderen Verfahren, die einen selbständigen Sonderzweck verfolgen, ohne unmittelbar dem Hauptzweck zu dienen124 • Diese Verfahren enden nach Sauer mit einer rechtskraftfähigen Entscheidung, die die Sache in diesem Sonderprozeß ge119 120 121

§ 6 BI (S.137); vgl. auch § 6 A II 3 b aa) zu und in FN 57. Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 126- 128. Sauer, Grundlagen, 116 f.; 196 ff.

Vgl. S. 235. S. 110 ff.; das Verfahren und die Verfolgung bilden zusammen mit der Sachgestaltung nach Sauer eine dreigliedrige Entwicklungslinie des Prozesses. 1!4 s. 196. 122 12s

B. Grundsatz der Trennungswertung?

143

staltet 125. In dieser rechtskraftfähigen Entscheidung erblickt Sauer ein äußeres Grenzmerkmal zu anderen Zwischenstreiten. Eine unrichtige Entscheidung im Sonderstreit-und damit die Sondersachgestaltungtrage nämlich dem Hauptprozeß keinen Abbruch126. Zumindest bei derartigen Sondersachgestaltungen sind also Verfahrensverstöße für den Hauptprozeß ohne Bedeutung. Offenbar aus diesem Grund prüft nun Niese mit Blick auf die Beschlagnahme, Durchsuchung usw., ob nicht als Sondersachgestaltung alle Fälle gelten müßten, "in denen eine richterliche Entscheidung schon vor dem Urteil aus dem prozessualen Raum in den materiellen Raum ausbricht und sich dort auf eigene Faust auswirkt"127. Er erkennt dabei, daß Sauers Katalog128 der Sondersachgestaltungen anders konstruiert ist, und verwirft bei dieser Gelegenheit das gesamte Gebilde129• Die entscheidende Anschlußfrage aber, ob denn nicht auch außerhalb solcher Sondersachgestaltungen die "Richtigkeit" richterlicher und anderer strafprozessualer Entscheidungen im weiteren Verfahren irrelevant sein kann und worauf dies zurückzuführen ist, stellt Niese nicht. Der Weg dahin ist ihm ersichtlich durch seinen prozeßtheoretischen Ansatz verbaut. Dieser zwingt ihn, festgefügte Verfahrensabschnitte stets nur ganzheitlich zu betrachten, wozu begrenzte Zwecksetzungen prozessualer Normen, die sich nur auf das Verfahren, nicht dagegen auf das Urteil auswirken, schwerlich passen. Diese übersteigerte Ganzheitsbetrachtung basiert auf der starren, von Goldschmidt130 begründeten und noch heute auch im Zivilprozeßrecht geläufigen181 Einteilung in Be- und Erwirkungshandlungen. Niese folgert daraus, nur die Erwirkungshandlungen (Anträge, Behauptungen, Beweisführungen) dienten "am unmittelbarsten" dem Zweck, die richterliche Entscheidung zu erwirken132 und damit dem Prozeßziel zu dienen. Dagegen sollen Bewirkungshandlungen, zu denen Niese ausdrücklich auch die Durchsicht beschlagnahmter Gegenstände rechnet188, nur mittelbar durch die Erwirkungshandlungen auf die richterliche Entscheidung einwirken. Sie sind also nach seiner Ansicht "in letzter Linie gar nicht selbst Bewertungsgegenstand, sondern nur bestimmender Umstand für die Bewertung der Erwirkungshandlungen" 134. In dieses Denkschema passen nun prozeßordnungswidrige Bewirkungshandlungen, die 125 126 121 12s 129 1so 131 132 133 134

s. 197. s. 197.

Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 127. Vgl. näher Sauer, Grundlagen, 197. Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 128. Goldschmidt, Prozeß, 364 ff. Vgl. nur Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 II (S. 134- 136). Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 89. Niese,

s. 141.

S. 90 unter Hinweis auf Goldschmidt, Prozeß, 457.

§ 6 Die doppeUunktionelle Betrachtungsweise

144

dann auf das Urteil doch keine Auswirkung haben, nicht hinein. Wohl deshalb betrachtet Niese auch nur die materiell-rechtliche Seite der prozeßordnungswidrigen Beschlagnahmen, Durchsuchungen usw. und verstellt sich so den Blick für den innerprozessualen Grund der Irrelevanz bestimmter Verfahrensverstöße für die Hauptverhandlung. Für ein weniger doktrinäres Prozeßrechtsverständnis ist eine solche innerprozessuale Unterscheidung aber durchaus erklärbar, sofern man nur die Einteilung in Erwirkungs- und Bewirkungshandlungen weniger schroff versteht und die fragwürdige Unselbständigkeit der Bewirkungshandlungen preisgibt. Dafür läßt sich erneut135 an den Gedanken der innerprozessualen Doppelwirkung anknüpfen, mit dem Baumgärtel die Antithese zwischen Bewirkungs- und Erwirkungshandlungen, gestützt auf vereinzelte Einwände der älteren Prozeßdoktrin gegen das ganzheitliche Prozeßrechtsverhältnis136, durch eine mehr graduelle Abstufung ersetzt hat137• Baumgärtel räumt zwar ein, daß der Schwerpunkt bei Erwirkungshandlungen in der Einwirkung auf das Urteil, dagegen bei Bewirkungshandlungen in der Gestaltung der Prozeßentwicklung zu suchen sei138 ; er zeigt aber, daß sowohl Erwirkungshandlungen - wie der Sachantrag, der nicht nur eine Einwirkung auf das Gericht darstellt, sondern auch eine Handlungslast des Gegners begründet - als auch Bewirkungshandlungen generell ein zweifaches Wirkungsobjekt haben: die Prozeßentwicklung als Vorgang und die Entscheidung als Ziel13U. Dieser innerprozessualen Doppelwirkung 140 entspricht, was Baumgärtel nur andeutet, sein Schüler Güntzel bei dem Problem der Heilung fehlerhafter Parteiprozeßhandlungen aber ausbaut und praktisch nutzt141 , eine doppelte innerprozessuale Bewertung. Das bedeutet: Bei Verfahrensfehlern ist danach zu unterscheiden, ob sich der Fehler nur auf die Verfahrensentwicklung oder zugleich auf das Urteil auswirkt142• Die innerprozessuale Doppelwirkung von Prozeßhandlungen legt damit die "Querschnitte in die Einheit des dynamischen Vorgangs" 143 des Prozesses, die es ermöglichen, einem Verfahrensverstoß Auswirkungen auf das Urteil abzusprechen. Vgl. sdlon oben § 4 B II (S. 111 f.). Kisch, Gött. gel. Anz. 1901, 223; Schultze, 276; vgl. auch Degenkolb, AcP 103, 395. 137 Baumgärtel, Wesen, 82 ff.; vgl. auch die prinzipiellen Zweifel von Sax 1as

138

an der Tauglichkeit der Unterscheidung von Be- und Erwirkungshandlungen: Sax, ZZP 67, 24 FN 11. 13s Baumgärtel, Wesen, 84. 138 s. 82. 140

141 142

143

s. 83.

Gilntzel, 58 ff. Gilntzel, 61. Baumgärtel, Wesen, 86.

B. Grundsatz der Trennungswertung?

145

Mit der Denkfigur der innerprozessualen Doppelwirkung von Prozeßhandlungen ist allerdings nur eine prozeßtheoretische Deutung für die Irrelevanz von Gesetzesverstößen bei Untersuchungen, Beschlagnahmen und Durchsuchungen im weiteren Verfahren gewonnen, aber noch nichts über den rechtspolitischen Zweck gesagt, der diese Fälle von anderen unterscheidet und der für die Schnittlinie durch das Verfahrensrecht verantwortlich ist. Das bunte Argumentationsspektrum zur Problematik der Beweisverbote im Strafprozeß weist zwar mit der Zuordnung des Schutzzwecks einer Norm zum Rechtskreis des Angeklagten, der Schwere des Verstoßes, der Irreparabilität der schon vollzogenen Rechtsverletzung und dem Präventionsgedanken eine ganze Reihe von - auch für das Untersuchungsergebnis - sehr divergenten Gesichtspunkten144 auf, unter denen sich schon wegen der wenig präzisen Begriffsbildungen auch Nieses Fallgruppen einordnen ließen; man versucht aber mit diesen Gesichtspunkten die Problematik der Beweisverbote oft global zu meistern und geht zu wenig auf die speziellen Normzwecke der einzelnen Verfahrensnormen ein. Weiterführend sind daher allein Kriterien, die Nieses Fallgruppen in ihrem Kernbereich von den anerkannten Fällen der Beweisverbote unterscheiden. Auf ein solches Merkmal stellt neuerdings vor allem Karl Peters ab, indem er zwischen Beweisverboten und Beweisregelungen unterscheidet145. Selbst wenn die zu diesen Beweisregelungen gerechneten Fallgestaltungen noch wenig harmonisch wirken146, deutet Karl Peters doch einen entscheidenden Punkt an: Speziell unter Beachtung der von Niese gefundenen Resultate sieht er den Unterschied zwischen dieser Fallgruppe und den Beweisverboten darin, daß anders als bei diesen die Beweiserbringung erwünscht sei. Nicht der Beweis werde eingeschränkt, sondern die Art und Weise, wie er verfahrensmäßig erbracht werden soll147• Diese etwas vage klingende Formulierung gewinnt sofort Konturen, wenn man sie am Fall erprobt. Bei der gesetzeswidrigen Durchsuchung zur Nachtzeit ist die Durchsuchung erwünscht. Ebenso ist es bei der fehlerhaft angeordneten Beschlagnahme und bei der Entnahme der Blutprobe durch den Medizinalassistenten. Nur das angewendete Verfahren ist nicht in Ordnung. Die Untersuchung, die Beschlagnahme, die Durchsuchung hätten auch ordnungsgemäß durchgeführt werden können: durch den Arzt, durch die richterliche Anordnung, außerhalb der Nachtzeit. Exakt darauf stützt sich Karl Peters: Die unter Verletzung von Verfahrensvorschrüten beschafften Beweismittel sind verwertbar, sofern sie in ordnungs144 Vgl. dazu nur Grünwatd, JZ 1966, 489 ff. 145 Kart Peters, Beweisverbote, 100; vgl. auch Henket, § 65 I (S. 268): Beweisverfahrensregeln. 146 Vgl. die allzu pauschale Kritik bei Grünwald, JZ 1966, 492. 147 Kart Peters, Beweisverbote, 100.

10 Konzen

146

§

6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise

gemäßer Weise hätten beschafft werden können148. Deshalb sind auch gesundheitsgefährdende Untersuchungen nach § 81 a StPO nicht verwertbar148; ebensowenig Untersuchungen unter Verstoß gegen § 81 c Abs. 1 S. 2 StPO. Dagegen sind von Dritten unterschlagene oder entwendete Beweismittel - von den durch das Tagebuch-Urteil repräsentierten Sonderfällen einer Verletzung der Intimsphäre abgesehen in der Hauptverhandlung verwertbar, sofern sie die Strafverfolgungsbehörden auf gesetzlichem Wege hätten erlangen können. Der Gedanke, daß die Sicherstellung der Beweisstücke im Ergebnis vom Gesetz erwünscht ist, überlagert damit im weiteren Verfahren den Gesetzesverstoß bei ihrer Erlangung und führt folgerichtig zu ihrer Verwertbarkeit. Dieser Gedanke paßt bei der Entwendung von Beweismitteln durch eine Prozeßpartei des Zivilprozesses nicht. Keine Prozeßpartei ist befugt, beim Prozeßgegner Beweisstücke "sicherzustellen". Darin unterscheiden sich Zivil- und Strafprozeß. Im Strafverfahren wird auch das Unrechtsverhalten des privaten Dritten, der unbefugt Beweisstücke an die Strafverfolgungsbehörden abgibt, im Ergebnis durch deren Befugnis zur Sicherstellung von Beweismitteln überlagert. Daran scheitert eine Analogie zwischen den strafprozessualen Fällen widerrechtlich erlangter Beweismittel und dem zivilprozessualen "Parallelproblem". Beide Fallgestaltungen sind vor dem Spiegel der gesetzlichen Wertungen verschieden. Erst recht bildet die partielle Verwertbarkeit widerrechtlich erlangter Beweismittel im Strafprozeß keine Basis für eine strikte Trennung des prozessualen und des außerprozessualen Raums. Jedenfalls mit diesen Fallgruppen läßt sich nicht beweisen, daß sich die Widerrechtlichkeit als solche im prozessualen Raum niemals auswirke150. Die Verwertbarkeit dieser Beweismittel basiert nicht auf der angeblichen Antinomie von Prozeßrecht und materiellem Recht. Maßgeblich ist allein der begrenzte innerprozessuale N ormzweck, den die in diesen Verfahrensvorschriften getroffenen Anordnungen verwirklichen sollen. Die Relevanz dieses innerprozessualen Normzwecks wird durch die Kontrollüberlegung bestätigt, inwieweit beispielsweise der Staatsanwalt durch schuldhaften Verstoß gegen derartige Verfahrensvorschriften eine Haftung aus Amtspflichtverletzung verursachen kann. Daß derartige Fälle zur Ersatzpflicht aus Art. 34 GGI§ 839 BGB führen können, ist unproblematisch und vom BGH unterstrichen worden151. 148 Karl Peters, Beweisverbote, 100; vgl. auch Grilnwald, JZ 1966, 496 f.,

499.

149 Daran zeigt sich, daß man entgegen Karl Peters nicht schlechthin § 81 a StPO zu den Beweisregelungen rechnen darf, sondern differenzieren muß. uo Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 136. 151 BGHZ 20, 178, 181 f.; BGH NJW 1970, 1543.

B. Grundsatz der Trennungswertung?

147

Doch ist damit über die Reichweite des Ersatzanspruchs noch nichts gesagt. Wenn etwa der Staatsanwalt eine Beschlagnahme unter Verstoß gegen § 98 StPO erwirkt hat und das beschlagnahmte Beweisstück später die rechtskräftige Verurteilung beeinflußt, so fragt sich, ob auch die Verurteilung als Schaden im Sinne des § 839 BGB geltend gemacht werden kann. Dieser Frage ist kürzlich Jürgen Blomeyer im Zusammenhang mit den in der Rechtspraxis auftauchenden Versuchen nachgegangen, rechtskräftig abgeschlossene Verfahren durch Regreßprozesse gegen Staatsanwälte, Sachverständige oder Zeugen indirekt neu aufzurollen152. Eines der Mittel, das einer solchen indirekten Wiederaufnahme entgegensteht, erblickt Jürgen Blomeyer dabei im Schutzzweck der verletzten Norm, den er nicht nur bei Schutzgesetzverletzungen nach § 823 Abs. 2 BGB, sondern auch beim Rückgriff des Merkmals Amtspflichtverletzung auf den Pflichtenkreis der StPO berücksichtigen will153 • Ganz im Einklang mit der hier vertretenen Auffassung kommt er aus diesem Grund mit Hilfe des Normzweckgedankens zu dem Ergebnis, daß sich die Ersatzpflicht nur auf Schäden erstreckt, denen die in der jeweiligen Norm statuierten Pflichten vorbeugen sollen; dagegen im zitierten Beispiel der fehlerhaften Beschlagnahme nicht auf den durch das Urteil entstandenen Schaden154• Jtirgen Blomeyer zieht damit ebenfalls eine Schnittlinie durch das Verfahren und zeigt überdies, daß der innerprozessuale Normzweck sogar Auswirkungen im materiellen Schadensrecht hat. Auch das beweist, daß der Normzweck der Verfahrensvorschriften und nicht die theoretische Scheidung von Wirklichkeitsräumen die partielle Verwertbarkeit von widerrechtlich erlangten Beweismitteln im Strafprozeß trägt. b) Widerrechtliche Erzwingung der Anwesenheit im Strafverfahren Der (bisweilen) begrenzte Normzweck der Verfahrensvorschriften über die Sicherung von Beweismitteln gibt zugleich einen Fingerzeig für die Auswirkungen einer prozeßordnungswidrigen Verhaftung oder Vorführung auf die Hauptverhandlung. Diese findet, wie § 247 StPO deutlich macht, prinzipiell unter Anwesenheit des Angeklagten statt. Er hat daher eine Ladung zum Termin nach § 216 StPO zu befolgen. Die Anwesenheit des Angeklagten und damit auch das Ergebnis einer gesetzeswidrigen Verhaftung oder Vorführung ist gesetzlich erwünscht. Spräche man dem Gesetzesverstoß dennoch Bedeutung für die Hauptverhandlung zu, so müßte diese allenfalls neu angesetzt und der An16! 163 154

10•

Vgl. dazu Jürgen Blomeyer, 2 f. S. 24 m. w. N. in FN 52. s. 36.

148

§ 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise

geklagte dazu nach § 216 StPO geladen werden. Soweit aber das Verteidigungsinteresse, vor allem die Vorbereitung des Angeklagten auf die Hauptverhandlung durch die fehlerhafte Verhaftung oder Vorführung nicht beeinträchtigt wird, erscheint dieser Umweg entbehrlich. Auch der Normzweck der §§ 112 ff., 127, 134 StPO gebietet, wie erneut Jürgen Blomeyer mit dem Beispiel einer Verletzung des § 113 StFO im Rahmen eines Schadensersatzprozesses wegen Amtspflichtverletzung belegt166, daher nicht, den Verfahrensfehler in der Hauptverhandlung zu berücksichtigen. c) Zeugenaussagen von Schweigepflichtigen

Damit verbleibt für die Irrelevanz der materiell-rechtlichen Widerrechtlichkeit im Prozeß aus Nieses Fallkatalog allenfalls eine einzige Stütze, nämlich die "pathologische Doppelfunktion" der strafbaren Zeugenaussage. Bei dieser geht es im Unterschied zu den zuvor erörterten Fallgruppen jedenfalls nicht um eine Schnittlinie durch das Verfahrensrecht selbst. Vielmehr stellt sich bei der Zeugenaussage von Schweigepflichtigen das Problem einer Trennung von prozessualem und außerprozessualem Wirklichkeitsraum bei der Bewertung eines prozeßerheblichen Verhaltens wirklich in vc.ller Schärfe. Auch dabei sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden, von denen Niese nur eine erörtert: Von diesen Gruppen werfen freilich die strafprozessualen Fälle, in denen das Verfahrensrecht trotz Schweigepflicht kein Zeugnisverweigerungsrecht einräumt, also vom Grundsatz der Aussagepflicht ausgeht158, keine nennenswerten Probleme auf; denn der Verstoß gegen die Schweigepflicht durch die Aussage eines aussagepflichtigen Zeugen ist nicht widerrechtlich157. Die entscheidende Problemgruppe bilden daher allein die Fälle, in denen Schweigepflicht und Aussageverweigerungsrecht korrespondieren. Das gilt im Strafprozeß für die von § 203 StPO erfaßten Berufskreise, soweit diesen in §§53 Abs.1 Nr. 2, 3, 53 a StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Im Zivilprozeß erfaßt nach § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO weitergehend das Zeugnisverweigerungsrecht sogar alle Schweigepflichten158• Bei diesen Fällen dominiert nun, wie bereits an anderer Stelle dargelegt159, in Doktrin und Praxis eindeutig das Trennungsdogma. Karl Peters etwa versieht die Trennungswer-

s. 23 f. tse Vgl. dazu Lenckner, NJW 1965, 322 f. 157 Lenckner, NJW 1965, 323; Konstruktiv ein weiteres Beispiel für eine doppelfunktionelle Prozeßhandlung im Sinne von Nieses Kategorie. 155

158 Die bezeichneten Vorschriften gewähren auch Zeugnisverweigerungsrechte, wenn dem Zeugen keine staatlich angeordnete Schweigepflicht auferlegt ist; Beispiele: §§ 53 Abs. 1 Nr. 1, 4-6 StPO, § 383 Abs. 1 Nr. 4 und (teilweise) Nr. 5 ZPO. 158 § 2 B V 3 (S. 77 f.).

B. Grundsatz der Trennungswertung?

149

tung mit dem nicht ganz zutreffenden160 Etikett "allgemein anerkannt"161 und hält damit das Resultat ersichtlich für unanfechtbar. In der Tat statuiert der Wortlaut der einschlägigen Vorschriften ein Aussageverweigerungsrecht und kein Aussageverbot. Auch ist es sicher praktikabel, den Richter von der Bürde zu befreien, im Prozeß über die sachlich-rechtliche Befugnis des Zeugen zur Aussage zu befinden162• Dennoch ist die doppelfunktionelle Betrachtungsweise in diesen Fällen aus einer ganzen Reihe von Gründen zweifelhaft: Die strafbare Zeugenaussage des Arztes enthält möglicherweise einen Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Intimsphäre des von der Schweigepflicht Geschützten und deutet insoweit auf eine verfassungsrechtliche Verwertungsschranke hin. Weiterhin erscheint die "Mitwirkung" des Richters an der strafbaren Handlung des Zeugen bei Verwertung der Aussage und gleichzeitiger Mitteilung der strafbaren Handlung an die Staatsanwaltschaft nach § 183 GVG ziemlich fragwürdig. Schließlich könnte sich auch im Zivilprozeß § 383 Abs. 3 ZPO, soweit man ihn nicht nur als instruktioneHe Vorschrift163 zu verstehen hat, als entscheidender Hemmschuh erweisen. Diese Einwände sind sämtlich von beträchtlichem Gewicht. Einschneidend ist vor allem der verfassungsrechtliche Aspekt1 64, der wegen des Verfassungsvorrangs zu einer verfassungskonformen Auslegung der Prozeßnormen und damit im Ergebnis zu einem Verwertungsverbot führen könnte. Wenn bereits Tagebuchaufzeichnungen prozessual nicht stets verwertbar sind, dann sicher auch nicht vertrauliche Mitteilungen, die ein Patient seinem Arzt macht1115• Immerhin müssen aber jedenfalls nach dem Maßstab des Tagebuch-Urteils166 nicht alle prozessualen Eingriffe in die Intimsphäre verfassungswidrig sein, so daß insoweit noch ein Restbestand an Trennungswertung übrig bliebe. Grundsätzlich wichtiger ist daher die vor allem von Lenckner gegeißelte "doppelte Moral" der Verwertung einer strafbaren Zeugenaussage, an der der Richter selbst mitgewirkt hatl 67 • Soweit die §§53, 53 a StPO, 383 Abs. 1 ZPO wirklich eindeutig dem Zeugen das Risiko einer strafbaren Handlung aufbürden und den prozessualen Raum von dieser freihalten wollen, wird man zwar schwerlich dem Richter tao Vgl. oben § 2 B V 3, FN 242. Karl Peters, Beweisverbote, 122. 162 Vgl. z. B. BGHSt. 9, 59, 62. 163 Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 147. 164 Vgl. vor allem Habscheid, Gedächtnisschrift Peters, 869 f.; Rupp, Beweisverbote, 179- 182. 165 Habscheid, Gedächtnisschrift Peters, 869. 166 BGHSt. 19, 325. 167 LenckneT, NJW 1965, 326. 1a1

150

§ 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise

eine (strafbare) Teilnahme an der Verletzung des Berufsgeheimnisses nach § 203 StGB anlasten können188 ; darüber hinaus bleiben aber weitere von Lenckner gesammelte Ungereimtheiten189 : Eine von ihnen ist die schon etwas zynische Vorstellung, daß dem Richter angesonnen wird, einerseits den Bruch des Berufsgeheimnisses zum Zweck der Wahrheitstindung dankbar aufzugreifen und ihn andererseits wegen seiner Strafbarkeit nach § 183 GVG der Staatsanwaltschaft anzuzeigen. Es ist schwer vorstellbar, daß diese zwielichtige Bewußtseinsspaltung vom Gesetzgeber bedacht worden und vom Gesetz gefordert ist. Überdies wäre, da umgekehrt die freiwillige Aussage des schweigepftichtigen Zeugen keinen Rechtfertigungsgrund abgibt, die Aussage nach materiellem Recht ein widerrechtlicher Angriff auf den Betroffenen mit der Konsequenz eines Notwehrrechts. Der Richter dürfte bei subtiler Unterscheidung des prozessualen und des außerprozessualen .,Wirklichkeitsraums" die Notwehr auch nicht zum Zweck der Wahrheitstindung und wegen der Übereinstimmung der strafbaren Zeugenaussage mit dem Verfahrensrecht durch sitzungspolizeiliche Maßnahmen verhindern. Diese Doppelmoral ist indessen, wie Lenckner überzeugend dargelegt hat170, ebensowenig wie der Selbstschutz des Betroffenen durch Notwehr im Gerichtssaal zwingend aus den §§53, 53 a StPO, 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO zu folgern. Die Vorschriften enthalten für die Fälle der strafbaren Zeugenaussage kein Aussageverbot; doch ist das statuierte Aussageverweigerungsrecht ersichtlich im Zusammenhang mit den Fallgestaltungen zu sehen, in denen ein solches wie bei Geistlichen oder Journalisten ohne eine staatlich angeordnete Schweigepflicht eingeräumt wird. Selbst wenn der Gesetzgeber ursprünglich auch die in diesen Vorschriften geregelten Zeugenaussagen von Schweigepflichtigen gleichgestellt hat, so spricht doch nichts dafür, daß er die aufgezeigten Konsequenzen bewußt in Kauf genommen hat. Bei Zeugenaussagen Schweigepftichtiger liegt daher eine verdeckte Wertungslücke vor, die mit Lenckner im Wege eines Aussage- und Verwertungsverbots zu schließen ist. In die gleiche Richtung geht im übrigen auch für den Zivilprozeß eine sinnvolle Interpretation des § 383 Abs. 3 ZPO. Diese Norm ist zwar im Kontext mit dem in § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO eingeräumten Aussageverweigerungsrecht nur schwer verständlich. Einerseits überläßt der Wortlaut des § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO die Entscheidung über die Aussage dem schweigepftichtigen Zeugen. Auf der anderen Seite zeigt § 383 Abs. 3 ZPO, daß im Zivilprozeß prinzipiell auch der Richter tos Vgl. aber Habscheid, Gedächtnisschrift Peters, 870; Lenckner, NJW 1965,

326.

101 110

Vgl. zum folgenden Lenckner, NJW 1965, 326. Lenckner, NJW 1965, 326.

B. Grundsatz der Trennungswertung?

151

auf die Einhaltung der Schweigepflicht achten und strafbare Zeugenverhalten vermeiden soll. Er hat die Vernehmung nicht auf Tatsachen zu erstrecken, die für ihn erkennbar von der Schweigepflicht gedeckt sind. Über die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 383 Abs. 3 ZPO sagt das Gesetz nichts, und auch das Schrifttum schweigt meist171 • Geht man von einem Verwertungsverbot aus, so bleibt § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO bei Schweigepflichtigen auf den wenig praktischen Fall eines für den Richter nicht vorhersehbaren Straftatbestands reduziert. Wohl deshalb kommt es zur These von einer bloß instruktioneilen Vorschrift172 • Indessen weist Lenckners treffender Hinweis, daß § 383 Abs. 1 Nr. 5 ZPO nicht speziell auf schweigepflichtige Zeugen zugeschnitten ist, auch hier den richtigen Weg. Zumindest für die vorhersehbaren strafbaren Handlungen bei einer Zeugenaussage ist daher - unbeschadet der vorher erörterten Gründe - schon aus § 383 Abs. 3 ZPO ein Vernehmungsund Verwertungsverbot zu entnehmen 17a. Insgesamt erweist sich daher bei der strafbaren Zeugenaussage des Schweigepflichtigen eine Trennungswertung mittels doppelfunktioneller Betrachtungsweise als unberechtigt. Zumindest bei strafbarem Verhalten im Prozeß174 greift im Gegenteil die materiell-rechtliche Bewertung auf den prozessualen Raum über. Deshalb läßt sich nicht umgekehrt die Irrelevanz der Widerrechtlichkeit im prozessualen Raum nachweisen. Selbst wenn man aber sämtliche Einwände gegen die herrschende Meinung im Strafverfahrensrecht beiseite schiebt und mit dieser und Niese die strafbare Zeugenaussage für prozessual verwertbar hielte, müßte die Reichweite dieser Trennungswertung für andere Fallgestaltungen sehr zurückhaltend beurteilt werden. Strafbares Prozeßverhalten ist nämlich prinzipiell für das Verfahrensrecht durchaus nicht belanglos. Dagegen spricht nicht nur Nieses Beispiel vom bestochenen Richter175, sondern auch die Wiederaufnahme des Rechtsstreits nach §§ 580 Nr. 4, 581 ZPO bei urteilsrelevantem, strafbarem Verhalten des Prozeßgegners. Daraus ergibt sich zumindest, daß die Reaktion des Prozeßrechts auf strafbares Verhalten eines Zeugen nicht ohne weiteres Rückschlüsse auf strafbares oder sonst widerrechtliches Parteiverhalten zuläßt. Überdies ist ein strafbares Zeugenverhalten im Prozeßrecht gar nicht prinzipiell irrelevant. Die §§ 359 Nr. 2, 364 StPO und die §§ 580 111 Vgl. etwa Arwed Btomeyer, Zivilprozeßrecht, § 78 III 5 (S. 390); Lent/ Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 53 II 3 b (S. 173); Schönke/Kuchinke, § 65 V 2 b (S. 296); Schönke/Schröder/Niese, § 65 V 4 a p (S. 291). 112 Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 147; vgl. auch Stein/Jonas/ Schumann/Leipotd, § 383 II, V; Wieczorek, § 383 D II. 173 Lenckner, NJW 1965, 326; Rosenberg/Schwab, § 123 V 4 (S. 642).

174 Damit ist freilich nichts über Wertungsübergriffe bei strafbarem oder sonst widerrechtlichem vorprozessualem Parteiverhalten gesagt. 175 Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 152.

152

§ 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise

Nr. 3, 581 ZPO heben im Gegenteil für beide Verfahrensarten die innerprozessuale Bedeutsarnkeit der strafbaren Zeugenaussage hervor; freilich nur für den Fall, daß der Zeuge in strafbarer Weise unwahr ausgesagt hat. Daraus läßt sich, wenn man den Standpunkt der h. M. zur Verwertbarkeit der strafbaren Zeugenaussage schweigepflichtiger Zeugen akzeptiert, ersehen, warum die Strafbarkeit einer Zeugenaussage in den Fällen der §§ 53, Abs. 1 Nr. 2, 3 53 a StPO ausnahmsweise prozessual bedeutungslos sein soll: Dem Interesse des von der Schweigepflicht geschützten Rechtsträgers steht hier das staatliche Interesse an der Wahrheitstindung im Strafprozeß gegenüber, und die h. M. bewertet das staatliche Interesse dann höher als das private, wenn dies auch der schweigepflichtige Zeuge durch den Verzicht auf sein Aussageverweigerungsrecht getan hat. Die Widerrechtlichkeit ist also auch hier nicht dem prozessualen Wirklichkeitsraum fremd. Sie bleibt nach dem Standpunkt der h. M. nur wegen eines entgegenstehenden, höher bewerteten prozessualen Interesses ausnahmsweise im konkreten Verfahren unberücksichtigt. Dagegen trüge auch eine Verwertbarkeit der strafbaren Aussage eines schweigepflichtigen Zeugen den von Niese postulierten Grundsatz der Trennungswertung nicht. Eine nennenswerte Bedeutung für die Eingangskasuistik kommt auch dieser Fallgruppe nicht zu.

2. Bedeutung für einen allgemeinen Trennungsgrundsatz Die Analyse der einzelnen Fallgruppen einer doppelfunktionellen Betrachtungsweise bestimmt zugleich die Aussage über einen Grundsatz einer strikten Trennung von Prozeßrecht und materiellem Recht, soweit damit die Kategorie der Widerrechtlichkeit aus dem Prozeßrecht verbannt werden soll. Der Befund ist negativ. Ein Grundsatz dieser Art kann nicht anerkannt werden. Er wird durch Nieses Kasuistik einer Trennungswertung nicht belegt. Das Prozeßrecht kennt zwar gesetzlich geregelte Fallgestaltungen, in denen materiell-rechtliche Rechtsverstöße im Verfahren irrelevant sind. Diese Fälle beschränken sich aber auf die partielle Verwertbarkeit widerrechtlich erlangter Beweismittel und die widerrechtliche Erzwingung der Anwesenheit des Angeklagten im Strafprozeß. Die damit verbundenen Eingriffe in die materielle Rechtssphäre des Betroffenen sind nur deshalb unbeachtlich, weil das Verfahrensrecht die jeweils auch auf legalem Wege erreichbaren Ergebnisse dieser Eingriffe billigt. Soweit man entgegen der hier vertretenen Meinung auch die Verwertbarkeit einer strafbaren Zeugenaussage akzeptiert, dann geschieht dies nur im Hinblick auf das besondere staatliche Interesse an der Wahrheitstindung im Prozeß. Die Reichweite dieser Fallgestaltungen für sonstige Fälle ist deshalb begrenzt. Sie bilden kaum eine Basis für Analogieschlüsse. Sie begründen erst

B. Grundsatz der Trennungswertung?

153

recht- ohne daß damit umgekehrt die problematischen Fälle im Sinne übergreifender Wertungen präjudiziert würden - keine Grundlage für eine generelle Irrelevanz eines widerrechtlichen Verhaltens im Prozeß.

m

BeehtswidrigkeitsurteU trotz der prozessualen Funktion der Prozeßhandlung?

Die oben eingeräumte Möglichkeit einer Doppelfunktion von Prozeßhandlungen178 besagt zugleich, daß eine Prozeßhandlung, soweit es um den außerprozessualen Lebensbereich177 geht, trotz ihrer prozessualen Ordnungsmäßigkeit rechtswidrig sein kann. Die traditionelle Kasuistik zur Schutzrechtsberühmung durch unberechtigte Klagen legt dies auch praktisch außerordentlich nahe. Doch ist damit nicht entschieden, ob bei dieser materiell-rechtlichen Bewertung der Prozeßhandlung deren prozessuale Funktion - z. B. durch eine deliktsrechtliche Privilegierung von Klagen178 - zu berücksichtigen ist oder nicht. Eine doppelfunktionelle Betrachtungsweise müßte folgerichtig die prozessuale Funktion unbeachtet lassen. Sie findet eine gewisse, hier bislang noch nicht analysierte Stütze in der Widerrechtlichkeit der Vollstreckung aus einem unrichtigen Sachurteil, zu der Niese auf der Grundlage einer Doppelfunktionalität des Urteils gelangt179. Die Widerrechtlichkeit der Vollstreckung impliziert, daß die Durchsetzung eines gerichtlich, wenn auch zu Unrecht, zugesprochenen materiell-rechtlichen Anspruchs in dem dafür vorgesehenen Vollstreckungsverfahren einer isolierten materiell-rechtlichen Betrachtung unterliegen soll. Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise könnte deshalb erst recht ein Rechtswidrigkeitsurteil über ein Parteiprozeßverhalten tragen, das gerichtlich noch gar nicht überprüft ist. In die gleiche Richtung weist weiterhin die von Niese nicht erörterte Fallgestaltung der Vollstreckung in schuldnerfremde Gegenstände. Hierher gehören auch die Rechtsfolgen, die den verklagten Schuldner treffen: Beim Schuldnerverzug etwa lassen die §§ 284 ff. BGB nirgends erkennen, daß das Schuldnerverhalten im Hinblick auf eine "Verkümmerung seines Rechtsschutzes" materiellrechtlich privilegiert würde, wenn er sich mit einer Klage überziehen läßt. Deshalb bedarf, soweit nicht der Grundsatz der Gleichheit vor dem Richter überspielt werden soll, die vom BGH verneinte Verlet11~ '§ 2 B I 3 b (S. 51 f.); gemeint ist, daß Prozeßhandlungen auch außerprozessuale Wirkungen haben können. Diese Aussage unterscheidet sich, wie dargelegt, erheblich von Nieses Definition der Doppelfunktionalität. 111 Vgl. zur Abgrenzung von Prozeßrecht und Zivilrecht nach Lebensbereichen oben § 2 B I 3 b (S. 49 - 52). 178 § 1 A, Beispiel 10. 179 Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 123 f.

§ 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise

154

zung einer Vertragspflicht durch die Klageerhebung180 zumindest einer tragfähigen Abgrenzung vom Ersatzanspruch gegen den verklagten Schuldner. Auch § 989 BGB, auf den Baur in diesem Zusammenhang hinweist181, belegt nämlich, daß eine Klage die Verhaltensanforderungen an den Schuldner sogar verschärfen kann. Andererseits könnte umgekehrt die materiell-rechtliclle Privilegierung des Parteiprozeßverhaltens eine Bestätigung durch§ 52 GenG erfahren, der eine Schadensersatzpflicht des Anfechtungsklägers gegenüber der Genossenschaft nur bei böslicher Handlungsweise anordnet. Insgesamt ist damit eine Reihe von Fallgruppen nachweisbar, in denen das Problem einer strikten Trennung des prozessualen und außerprozessualen Raums bei der Bewertung eines Verfahrensverhaltens auftaucht. Auch diese Fallgruppen sind deshalb - möglicherweise mit Konsequenzen für deliktisclle Klagen182 und ehrverletzende Prozeßbehauptungen188 - auf ihre Reichweite für das Trennungsdogma zu untersuchen. 1. Einzelne Fallgruppen

a) Vollstreckung fehlerhafter Urteile Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise, mit der Niese zahlreiche Prozeßhandlungen einer getrennten Bewertung durch das materielle Recht und das Prozeßrecht unterwirft, erfährt in seiner Studie die erste Erprobung am Problem der fehlerhaften Urteile des Zivil- und Strafprozesses. Niese konzentriert sich dabei fast ganz auf das rechtskräftige Sacllurteil. Ihm billigt er eine Doppelfunktion zu184, unterscheidet daher bei der Bewertung scharf zwischen den beiden Funktionen und kommt so zu der These, daß die Vollstreckung aus einem zwar fehlerhaften, jedoch rechtskräftigten Sachurteil widerrechtlich sei186• Dagegen bleiben vorläufig vollstreckbare Urteile, Vorbehaltsurteile, Arreste und einstweilige Verfügungen, deren Vollstreckung wegen der in §§ 717 Abs. 2, 302 Abs. 4 S. 3, 600 Abs. 2 und 945 ZPO angeordneten Schadensersatzpflicht des Gläubigers weit praktischere Bedeutung hat, für Niese Randerscheinungen. Nur weil die Vollstreckung fehlerhafter, rechtskräftiger Sachurteile als widerrechtlich bezeichnet wird, führt Niese auch die in diesen Vorschriften statuierte Ersatzpflicht auf widerrechtliches Verhalten des Gläubigers zurück186. Dieser auffällig verkürzte Problemt8o tat t82 t83 184 185

186

BGHZ 20, 169, 172; vgl. oben§ 1 A, Beispiel 10. Baur, JZ 1962, 96.

§ 1 A, Beispiel 10. § 1 A, Beispiel 11. Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 31 ff., 41.

s. 123 f . s. 124.

B. Grundsatz der Trennungswertung?

155

einstieg beruht ersichtlich auf dem Gedanken der Doppelfunktion, den Niese nur bei rechtskräftigen Sachurteilen vorfindet. Er erblickt nämlich die prozessuale Funktion eines Urteils darin, daß es das konkrete Ergebnis der prozessualen Entwicklung in sich aufnimmt187 und festschreibt, was erst mit der Unanfechtbarkeit (formellen Rechtskraft) des Urteils eintreten soll188. Erst diese prozessuale Funktion befähigt nach Nieses Vorstellung sodann das Urteil zu seiner materiellen Funktion189, nämlich der Verwirklichung des materiellen Rechts190. Diese materielle Funktion erörtert Niese hauptsächlich beim rechtskräftigen Fehlurteil, dessen materielle Rechtskraft das streitige Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten im Widerspruch zur wahren Rechtslage so fixiert, wie es im Urteil festgestellt ist. Aus dieser Rechtskraftwirkung, die jahrzehntelang den Zankapfel des heute überlebten Streits zwischen der materiellen und der prozessualen Rechtskraftdoktrin bildete, folgert Niese nach seiner Entscheidung für die letztere19t, das fehlerhafte, rechtskräftige Sachurteil sei trotz seiner prozessualen Funktion materiell rechtswidrig. Nur könne diese Rechtswidrigkeit innerhalb der Rechtskraftgrenzen aus Gründen der Rechtssicherheit prinzipielP~ nicht geltend gemacht werden193• Dieses Denkschema kennzeichnet folgerichtig auch die Vollstreckung aus einem fehlerhaften, rechtskräftigen Sachurteil als widerrechtliches Verhalten und erläutert die fehlende Befugnis des Schuldners zur Gegenwehr ebenfalls mit dem Gedanken der Rechtssicherheit. Da diese an der Widerrechtlichkeit nichts ändern soll, erscheinen auch die Ansprüche aus §§ 717 Abs. 2, 302 Abs. 4 S. 3, 600 Abs. 2, 945 ZPO als Sanktionen der Widerrechtlichkeit. Diese Trennung zwischen der prozessualen und der materiellen Seite des Fehlurteils läßt sich rechtstechnisch zweifellos auch auf Klagen und sonstige Parteiprozeßhandlungen übertragen, mit deren prozessualer Funktion etwa der mit der Klageerhebung verbundene Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb oder in das Eigentum nicht zwingend verknüpft ist. Allerdings ist die Gegenwehr des Schuldners auch bei der Vollstreckung aus vorläufig vollstreckbaren Urteilen, Vorbehaltsurteilen und Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes zumindest eingeschränkt, so daß die Widerrechtlichkeitsthese ebenso wie der Zweck der in diesen Fällen dem Gläubiger auferlegten Ersatzpflicht einer Überprüfung bedarf. 187 s. 41, 45, 107. 188 s. 107. 188 s. 109. 180 s. 31. m 8 . 117.

m Ausnahme: die Rechtskraftdurchbrechung mit Hilfe des § 826 BGB, soweit man diese anerkennt; vgl. dazu bereits oben § 2 B V 1, FN 202. 193 Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 124.

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§ 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise

aa) Rechtswidrigkeit der Vollstreckung? Die Deutung Nieses, dem sicher eine vorbildliche rechtsstaatliche Überzeugung zu attestieren ist, wird im Schrifttum jedenfalls in dem von Niese vertretenen Umfang kaum noch geteilt. Neben Eberhard Schmidt184 ist allenfalls noch Goldschmidt zu nennen, der erstaunlicherweise an seinem früheren Standpunkt185 trotz seiner später konzipierten Rechtskraftdoktrin festhielt188, obwohl nach seiner Meinung die Rechtskraft als "Gerichtskraft" 197 dem Urteil beilegt, daß sein Inhalt als Recht gelte198• Der BGH199 und die moderne Doktrin200 beziehen demgegenüber eine Gegenposition. Das rechtskräftige Urteil und folgerichtig alle sonst vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidungen gewähren nach dieser Auffassung auch im Falle ihrer inhaltlichen Unrichtigkeit eine Befugnis des Gläubigers, im Wege der Vollstreckung in die Rechte des Schuldners einzugreifen. Damit wird die reinliche Scheidung von Verfahrensrecht und materiellem Recht eliminiert. Das Vollstrekkungsrecht entscheidet zugleich über die Rechtmäßigkeit des Eingriffs. Es zieht danach also die Konsequenzen aus der vom Gesetz angeordneten Vollstreckbarkeit rechtskräftiger oder sonst vollstreckungsfähiger Entscheidungen, die in den vom Vollstreckungsrecht gesteckten Grenzen auch unrichtige Gerichtserkenntnisse erfaßt. Die Triebfeder für die Gegenposition bilden ersichtlich die Verhaltensmaßstäbe, die das Vollstreckungsrecht für Vollstreckungsmaßnahmen des Gesichtsvollziehers und anderer Vollstreckungsorgane fixiert. Da den Vollstreckungsorganen, wie sogleich zu erörtern ist, nicht die "Richtigkeitsprüfung" des Urteilsinhalts obliegt, handeln sie bei einer Vollstreckung von Fehlurteilen rechtmäßig. Deshalb läßt sich die Widerrechtlichkeitsthese auch nur mit der kürzlich von Henckel201 vorgenommenen Differenzierung zwischen dem Verhalten des Gläubigers und des Vollstreckungs194 195 198

Eberhard Schmidt, Lehrkommentar I, Rdnrn. 282 ff. (S. 164 ff.). Goldschmidt, Vollstreckungsbetrieb, 75. Goldschmidt, Prozeß, 132 FN 728, 297 FN 1543.

s. 211. S. 213; diese Rechtskraftdoktrin läuft im Resultat auf die materielle Rechtskraftlehre hinaus, von der aus die Vollstreckung aus einem rechtskräftigen Fehlurteil als rechtmäßig anzusehen ist. t99 BGH NJW 1963, 853, 854. 2oo Baur, Studien, 110; Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, § 6 IV 3 a (S. 25); van Caemmerer, DJT-Festschrift II, 98; Canaris, NJW 1964, 1992; Enneccerus/Nipperdey, § 218 II (S. 1348); Esser, Schuldrecht I, § 8 I 5 (S. 55); Larenz, JuS 1965, 374; Lent/Jauernig, Zwangsvollstreckungsrecht, § 2 IV H (S. 15); Rosenberg, Lehrbuch, (9. Aufl.), § 170 III 2 (S. 886); Schönke/Baur, § 13 V 6 (S. 60); Stein/Jonas!Milnzberg, § 717 li 1. 2o1 Henckel, Prozeßrecht, 236 ff., 248 ff.; vgl. auch Arwed Blomeyer, AcP 165, 484 und früher bereits Geib, 67 f., 95, 97; Konrad Hellwig, Anspruch, 149, 507 sowie Klagmöglichkeit, 19 f., 23 und System I, § 202 III 3 (S. 667). 197 198

B. Grundsatz der Trennungswertung?

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argans halten, die mit Nieses doppelfunktioneller Betrachtungsweise nicht völlig übereinstimmt und der die h. M. eine einheitliche Bewertung des Vollstreckungsvorgangs entgegensetzt. Dieser Einheitswertung steht jedenfalls die Ersatzpflicht nach den §§ 300 Abs. 4 S. 3, 600 Abs. 2, 717 Abs. 2, 945 ZPO nicht zwingend entgegen, die den Gläubiger bei der Vollstreckung aus später aufgehobenen gerichtlichen Entscheidungen trifft. Schadensersatzpflichten setzen nicht notwendig Widerrechtlichkeit voraus. Die h. M. zieht sich daher meist auf die Gefährdungs-202 , Eingriffs-203 oder Aufopferungshaftung204 zurück. Alle diese Parallelfälle passen nicht genau: Die Gefährdungshaftung zieht die Konsequenzen aus der erlaubten Gefährdung von Rechtsgütern, erfaßt aber nicht gezielte Eingriffe in diese. Eine Eingriffshaftung, wie sie die h. M. bei Nothilfefällen durch die Haftung des Nothelfers aus§ 904 S. 2 BGB statuiert, ist überhaupt nicht anzuerkennen205• Die Aufopferungshaftung schließlich gleicht zwar eine zugunsten eines höherwertigen Rechtsguts erlaubte Rechtsverletzung mit einer Ersatzpflicht des Begünstigten aus208, kennt aber die im Vollstreckungsrecht charakteristische Beseitigung einer Eingriffsbefugnis nicht. Doch ist nicht auszuschließen, daß die in der ZPO normierten Haftungsvorschriften einen prozessualen Sonderfall enthalten, bei dem die Vorläufigkeit einer rechtmäßigen Vollstreckung mit einer Zwangsversicherung zugunsten des Schuldners kompensiert wird207 • Die Existenz dieser Haftungsnormen beweist daher nicht die Widerrechtlichkeit der Vollstreckungsmaßnahmen des Gläubigers, die eine Richtschnur für die Bewertung von Parteiprozeßhandlungen geben könnten. Diese Widerrechtlichkeit läßt sich allenfalls durch eine subtilere Analyse der einzelnen Vollstreckungsakte nachweisen. cx) Maßnahmen der Vollstreckungsorgane Die Grundlage für eine Erörterung der Rechtmäßigkeit oder Widerrechtlichkeit einzelner Vollstreckungshandlungen bilden die heute gesicherten Einsichten über die Akte der Vollstreckungsorgane. Repräsentativ sind insoweit die Maßnahmen des Gerichtsvollziehers. Das Voll202 Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, § 6 IV 3 a (S. 25); Canaris, NJW 1964, 1992 (Sonderfall: Handlungshaftung); Larenz, JuS 1965, 374; Stein/Jonas/Münzberg, § 717 II 1; ähnlich, nämlich mit dem Gedanken des Handeins auf eigene Gefahr, argumentieren von Caemmerer, DJT-Festschrift II, 98; Enneccerus/Nipperdey, § 218 II (S. 1348); Rosenberg, Lehrbuch, (9. Aufl.), § 170 III 2 (S. 886); BGH NJW 1963, 853, 854. zos Esser, Schuldrecht I, § 8 I 5 (S. 55); Stein/Jonas/Münzberg, § 717 II 1. 20' Baur, Studien, 110; Schönke/Baur, § 13 V 6 (S. 60); vgl. auch Stein/ Jonas/Münzberg, § 717 II 1. 205 Konzen, 111 ff. 206 Konzen, 135 ff., 150 f. 201 Vgl. dazu nur Bötticher, ZZP 85, 9 f.

158

§ 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise

streckungsrecht beschreibt ziemlich exakt, unter welchen Voraussetzungen seine Vollstreckungshandlungen zulässig sind. Sieht man von Einzelvorschritten wie der über die Unpfändbarkeit nach § 811 ZPO ab, die immer kompliziertere Prüfungen erfordern, so sind diese Vollstreckungsvoraussetzungen in der Weise formalisiert, daß sie von jedem Gerichtsvollzieher ohne nennenswerte Schwierigkeiten festgestellt werden können. Nach § 724 Abs. 1 ZPO ist die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils die Grundlage der Zwangsvollstreckung. Der Gerichtsvollzieher soll also vom Urteil ausgehen, nicht dessen inhaltliche Richtigkeit prüfen. Diese Überprüfung obliegt, wie die §§ 717, 767 ZPO verdeutlichen, nach einer strengen Verantwortungsteilung208 allein dem Prozeßgericht. Die Vollstreckung eines Fehlurteils ist daher zulässig. Sie ist zugleich rechtmäßig, da der Eingriff in deliktisch geschützte Rechtspositionen des Vollstreckungsschuldners - ähnlich wie bei den Vorschriften der §§ 112 ff. StPO- notwendig mit dem gesetzlich intendierten Vollstreckungsakt verbunden ist. Die Verfahrensvorschriften des Vollstreckungsrechts haben also jedenfalls für das Vollstreckungsorgan zugleich eine materiell-rechtliche Funktion209 • Deshalb steht auch dem Schuldner weder ein Notwehrrecht noch ein Abwehranspruch aus§ 1004 BGB zu. Auch begründet der Gerichtsvollzieher, dessen Pflichtenkreis durch die Normen des Vollstreckungsrechts umrissen wird, mit der Vollstreckung eines Fehlurteils keinerlei Haftung aus Amtspflichtverletzung. Die Vollstreckung eines Fehlurteils zeitigt gegenüber dem Gerichtsvollzieher und dem Staat keinerlei Rechtsfolgen. Daran rütteln auch Goldschmidt, Niese und Eberhard Schmidt nicht. Ihr pauschales Widerrechtlichkeitsverdikt bleibt insoweit ohne Konsequenzen210 • Es wird allein mit den Rechtsbeziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner gestützt. Dann ist es aber folgerichtig, die Akte der Vollstreckungsorgane gesondert zu werten und als rechtmäßig zu bezeichnen. ß) Vollstreckungsantrag des Gläubigers

Damit ist nicht notwendig über das Verhalten des Gläubigers mitentschieden. Dieser verursacht mit seinem Vollstreckungsantrag, dem der Gerichtsvollzieher bei Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen nachzukommen hat, ebenfalls den Eingriff in deliktisch geschützte Rechtspositionen des Vollstreckungsschuldners. Dieser Eingriff ist nach der klassischen Rechtswidrigkeitslehre widerrechtlich, wenn dem Gläubiger kein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht. Auch auf dem Boden 2os Henckel, Prozeßrecht, 242. 2oe Vgl. auch Henckel, Prozeßrecht, 237. 210 Goldschmidt, Vollstreckungsbetrieb, 75; Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 118; Eberhard Schmidt, Lehrkommentar I, Rdnrn. 284 ff. (S. 165 ff.).

B. Grundsatz der Trennungswertung?

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der modernen Rechtswidrigkeitsdoktrin bleibt es bei diesem Ergebnis, soweit man, worauf noch einzugehen ist211 , mit Deutsch und Larenz zwischen unmittelbaren und mittelbaren Verletzungen absoluter Rechte differenziert212 und unmittelbare Eingriffe bei fehlenden Rechtfertigungsgründen als widerrechtlich bezeichnet; denn der Vollstreckungsantrag des Gläubigers, an den die Vollstreckungsorgane gebunden sind, zielt auf den Eingriff in die Rechtspositionen des Schuldners ab und ist bei der Vollstreckung von Fehlurteilen schon deshalb213 eine unmittelbare Rechtsverletzung214• Die Bewertung des Gläubigerverhaltens hängt also entscheidend davon ab, ob die Normen des Vollstreckungsrechts, speziell die in ihnen gewährten Eingriffsbefugnisse auch zugunsten des Gläubigers wirken. An dieser Frage scheiden sich die Geister. Die h. M. bejaht die Frage. Die Gegenansicht wird heute hauptsächlich durch Renekel repräsentiert216 • Die Meinungsverschiedenheit erstreckt sich nicht nur auf die Rechtsnatur der Ersatzansprüche aus den §§ 302 Abs. 4 S. 3, 600 Abs. 2, 717 Abs. 2, 945 ZPO. Sie hat darüber hinaus unter anderem praktische Relevanz, soweit man mit der h. M. § 717 Abs. 2 ZPO für unanwendbar hält, wenn das vollstreckte Urteil aufgrund von Einwendungstatsachen aufgehoben wird, die nach dem Urteil oder sogar nach dessen Vollstreckung entstanden sind2 H1• Bei diesen Fallgestaltungen kann nämlich Renekel auf der Basis der Widerrechtlichkeit des Vollstreckungsantrags auf die Verschuldeoshaftung nach § 823 Abs. 1 BGB verweisen217, während die h. M. allenfalls den Rückzug auf die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des§ 826 BGB antreten kann. Die Grundlage für die von Renekel vorgeschlagene Differenzierung zwischen der Bewertung der Vollstreckungsakte der Vollstreckungsorgane und des Gläubigers ist einfach: Die Zweckanalyse der formalisierten Vollstreckungsvoraussetzungen ergibt den überzeugenden Befund, daß diese Formalisierung angesichts der gesetzlichen Kompetenzverteilung zwischen Prozeßgericht und Vollstreckungsorgan die Verantwortung des Vgl. näher § 9 B I 4 a (S. 312 - 315). Deutsch, 229 f., 282; Larenz, Schuldrecht II, § 72 I Festschrift für Dölle I, 169 ff. 211

212

c

(S. 463 f.); Larenz,

213 Damit wird nicht behauptet, daß nur ein finaler Eingriff in die Rechte des § 823 Abs. 1 BGB eine unmittelbare Rechtsverletzung sei. Diese These findet sich bei von Caemmerer, Karlsruher Forum 1961, 19 f. Immerhin folgt daraus, daß zumindest bei finalen Eingriffen, wie sie durch den Vollstrekkungsauftrag repräsentiert werden, eine unmittelbare Rechtsverletzung vorliegt. 2a Vgl. aber Henckel, Prozeßrecht, 287. 215 Henckel, Prozeßrecht, 248 ff.; vgl. weiterhin zuvor FN 201. 21s Vgl. etwa Henckel, Prozeßrecht, 268; Rosenberg, Lehrbuch, (9. Aufl.), § 174 VI 1 b (S. 905); Schönke/Baur, § 13 V 1 a (S. 57); Stein/Jonas/Münzberg. § 717 II 2; anders z. B. Bötticher, ZZP 85, 7. 217 Henckel, Prozeßrecht, 268; vgl. aber zur Durchsetzung während des Vollstreckungsverfahrens den nachfolgenden Text zu FN 225-227.

160

§ 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise

letzteren begrenzen soll 218 • Das schließt freilich nicht zwingend aus, daß diese Zweckrichtung auch Ausstrahlungen auf das Gläubigerverhalten haben kann. Darauf ist zurückzukommen. Daneben ist die These von der Widerrechtlichkeit des Gläubigerverhaltens weiteren Schwierigkeiten ausgesetzt, mit denen Renekel allerdings fertig wird. Als erstes Bedenken ist dabei die Aufhebung des vollstreckten Urteils wegen dessen Unzulässigkeit zu nennen, die nach h. M. ebenfalls den Ersatzanspruch des § 717 Abs. 2 ZPO auslösen soll218 • Bezieht man die Widerrechtlichkeit der Vollstreckung eines Fehlurteils allein auf die abweichende materielle Rechtslage, so bleibt für eine auf Widerrechtlichkeit gestützte Ersatzpflicht aus § 717 Abs. 2 ZPO kein Raum. Das zeigt sich deutlich an der radikalen Lösung Pechers, der § 717 Abs. 2 ZPO ausschließlich bei unbegründeten Fehlurteilen anwendet und bei der Aufhebung unzulässiger Fehlurteile auf die vor 1900 geltende Rückerstattungsregel des § 655 ZPO 1879 retiriert220 • Da Renekel diese teleologische Reduktion des § 717 Abs. 2 ZPO nicht überzeugt221 , schuldet er den Nachweis, daß auch die Vollstreckung des Gläubigers aus unzulässigen Fehlurteilen dem Widerrechtlichkeitsverdikt unterfällt. Hierfür findet Renekel die durchaus plausible Erklärung, die Eingriffsbefugnis des Gläubigers in materielle Rechte des Vollstreckungsschuldners im Wege der Zwangsvollstreckung setze nicht nur das Bestehen des materiellen Anspruchs, sondern auch dessen prozessual ordnungsgemäße Feststellung voraus222 • Schwerer wiegt schon, daß nach einer allseits gebilligten Ansicht dem Schuldner vor der Aufhebung des Fehlurteils keine Abwehrmöglichkeiten zustehen223 • Dabei läßt sich der Ausschluß des Abwehranspruchs aus§ 1004 BGB immerhin noch miteinemHinweis auf die spezielleren Normen der§§ 707, 719 ZPO abtun224 • Doch zeigt sich die Problematik in voller Schärfe bei der von Renekel als theoretisch bezeichneten225 Frage, wie mit einer während des laufenden Rechtsmittelverfahrens in einem besonderen Prozeß angestrengten Schadensersatzklage des Vollstreckungsschuldners gern. § 823 Abs. 1 BGB zu verfahren ist. Diese Frage wird nach dem Konzept Renekels etwa in den von § 717 Abs. 2 nicht erfaßten Fallstrukturen praktisch, in denen der Voll21s

Henckel, Prozeßrecht, 256.

m Vgl. etwa Rosenberg, Lehrbuch, (9. Aufl.), § 174 VI 1 a (S. 905); Schänke/ Baur, § 13 V 1 a (S. 57); Stein/Jonas/Münzberg, § 717 li 2. 220 Pecher, 29 ff., 194 ff. 221 HenckeZ, Prozeßrecht, 259 f. 222 HenckeZ, Prozeßrecht, 262.

Vgl. nur HenckeZ, Prozeßrecht, 283 ff. Henckel, Prozeßrecht, 284; vgl. auch Arwed Blomeyer, Festgabe für von Lübtow, 814: Er verweist in diesem Zusammenhang auf die Ausschließlichkeit des § 767 ZPO. 22s Henckel, Prozeßrecht, 285 FN 172. 223

224

B. Grundsatz der Trennungswertung?

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streckungsgläubiger die Existenz einer nach dem Urteil entstandenen Einwendungstatsache schuldhaft nicht beachtet und deshalb nach den Vorstellungen Renekels durch seinen Vollstreckungsantrag eine schuldhaft-widerrechtliche Eigentumsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB verursacht228• Renekels Erwägung, ein Urteil in diesem Prozeß bis zur Entscheidung des Rechtsmittelgerichts auszuschließen227, demonstriert zumindest, daß auch auf der Grundlage der Widerrechtlichkeit die Gläubigerhaftung während des Vollstreckungsverfahrens modifiziert betrachtet werden muß, und kann den Haftungszweck des § 717 Abs. 2 ZPO schwerlich unbeeinflußt lassen. Immerhin läßt sich damit die Widerrechtlichkeitsthese nicht widerlegen. Über diese entscheidet allein die Antwort auf die bereits angedeutete, aber noch offene Frage nach etwaigen Ausstrahlungen der zum Schutz der Vollstreckungsorgane normierten Vollstreckungsvoraussetzungen der ZPO auf das Gläubigerverhalten. Damit tritt die rechtliche Ordnung der Beziehungen zwischen dem Vollstreckungsorgan und dem Gläubiger in das Blickfeld. Mit diesen Rechtsbeziehungen hatten sich schon vor Renekels Analyse Konrad Hellwig228 und Geib229 auseinanderzusetzen, um die von ihnen vertretene Widerrechtlichkeit des Gläubigerverhaltens trotz rechtmäßiger Vollstreckungsakte der Vollstreckungsorgane zu begründen. Die Problematik wird in den Untersuchungen Konrad Hellwigs besonders plastisch: Seine Doktrin beruht auf der heute nicht mehr bezweifelten Einsicht, daß die Vollstreckungsorgane zur Vornahme der beantragten Vollstreckung verpflichtet sind. Diese öffentlich-rechtliche Pflicht gilt ohne Rücksicht darauf, ob der Gläubiger einen materiellen Anspruch gegen den Schuldner hat oder nicht230• Die schuldhafte Unterlassung der Vollstreckung durch den Gerichtsvollzieher führt beispielsweise beim rechtskräftigen Sachurteil, das zu Unrecht einen materiellen Anspruch feststellt, zu einem Schadensersatzanspruch aus Amtspflichtverletzung. Maßgeblich für diesen ist nämlich nicht die materielle Rechtslage, sondern der Titel. Diese Erkenntnis bringt Konrad Hellwig mit dem Vollstreckungsanspruch des Gläubigers gegen den Staat in Verbindung. Der Vollstreckungsanspruch besteht nach seiner Auffassung, wenn die Vollstreckungsorgane nach den Vorschriften der ZPO zu Vollstreckungshandlungen verpflichtet sind231 • Auf dieser Grundlage kommt er zu dem 228

s. 268.

S. 285 FN 172; andernfalls würde nicht beachtet, daß das Rechtsmittelgericht eine die Ersatzpflicht präjudizierende Entscheidung treffen kann. Damit würden divergierende Aussprüche zweier Urteile provoziert. 22s Konrad Hellwig, Klagmöglichkeit, 16 ff., Anspruch, 149. 221

22e

Geib, 67 f., 120, 237.

2ao

Vgl. für viele Arwed Blomeyer, AcP 165, 483. Konrad Hellwig, Klagmöglichkeit, 16 ff. Anspruch, 149.

231

11 Konzen

162

§ 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise

von seinen Kritikern232 heftig angegriffenen Ergebnis, der Vollstrekkungsantrag sei gegenüber dem Staat rechtmäßig, dagegen gegenüber dem Schuldner rechtswidrig, wenn dem Gläubiger gegen diesen kein materieller Anspruch zusteht233 • Dieser Relativierung des Rechtswidrigkeitsurteils bei ein und derselben Handlung sucht Renekel durch den Hinweis zu entgehen, die Vorschriften über die vorläufige Vollstreckbarkeit gäben dem Gläubiger allein eine prozessuale Befugnis, aber keine materiell-rechtliche Erlaubnis zum Eingriff in Schuldnerrechte284• Daran ist sicher richtig, daß der trotz seiner öffentlich-rechtlichen Einkleidung den zivilrechtliehen Denkkategorien entstammende Vollstreckungsanspruch eine gegenüber dem Vollstreckungsorgan wenig passende Rechtsfigur ist. Das Vollstreckungsorgan handelt in Ausübung seiner Hoheitsstellung und prüft in dieser Funktion aufgrund des Gläubigerantrags, ob die Vollstreckung zulässig ist. Allerdings sind die Vollstreckungsorgane bei Vorliegen der in der ZPO normierten Voraussetzungen dem Gläubiger, wie dargelegt, zur Vornahme der beantragten Vollstreckung auch bei Fehlurteilen verpflichtet. Der von Renekel vertretene Standpunkt bedeutet also, daß eine Amtspflicht des Vollstreckungsergans zur Befolgung eines Vollstreckungsantrags besteht, der eine widerrechtliche Handlung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner darstellt. Diese Diskrepanz macht die Neigung der h. M. verständlich, auch den Vollstreckungsantrag des Gläubigers gegenüber dem Schuldner an den Normen des Vollstreckungsrechts zu messen und die Ersatzpflicht der §§ 302 Abs. 4 S. 3, 600 Abs. 2, 717 Abs. 2, 945 ZPO als Ausgleich für einen vorläufig erlaubten Eingriff anzusehen. Dennoch führt das Konzept der h. M. zu einem viel eklatanteren Widerspruch. Er zeigt sich bei einem Blick auf den Abschluß des Vollstreckungsverfahrens: Ist beispielsweise der aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Fehlurteils gepfändete Gegenstand des Schuldners versteigert und der Erlös an den Gläubiger abgeführt worden, so soll auch nach h. M. dem Schuldner gegen den Gläubiger neben einem Kondiktionsanspruch bei Verschulden ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zustehen2as. Man kann zwar zweifeln, ob dieser Ersatzanspruch vor Aufhebung des Vollstreckungstitels durchsetzbar ist238 ; das ändert aber nichts daran, daß auch die h. M. das Gläubigerverhalten zumindest nach 2s2 Vgl. aus dem älteren Schrifttum: Binder, 239 ff.; Goldschmidt, Vollstreckungsbetrieb, 9 ff.; Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 121; Stein, Grundfragen, 1 f.; weiterhin: Stein/Jona.s/Mü.nzberg, § 717 II 1. 233 Konra.d Hellwig, Klagmöglichkeit, 17 f.; Anspruch, 149. 234 Henckel, Prozeßrecht, 250. 235 Vgl. nur Stein/Jonas/Mü.nzberg, vor § 704 II 2, IX 4. 23e Hier besteht die gleiche Gefahr, die Henckel bei der Fallstruktur eines Ersatzanspruchs aus § 823 Abs. 1 BGB sieht, bei dem sich der Schuldner im Hinblick auf nachträglich entstandene Einwendungen gegen die Nachteile des Vollstreckungszugriffs wendet; vgl. dazu FN 227.

B. Gnmdsatz der Trennungswertung?

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Aufhebung der vorläufig vollstreckbaren Entscheidung als widerrechtlich deklariert. Will man die Merkwürdigkeit vermeiden, daß ein rechtmäßiges Verhalten nachträglich und zwar mit rückwirkender Kraft widerrechtlich wird, so bleibt nur die von Henckel postulierte Differenzierung zwischen dem Verhalten des Vollstreckungsorgans und demjenigen des Gläubigers. Diese Differenzierung ist nach h. M. im übrigen bei der in diesem Zusammenhang nur selten beachteten23 7 Parallele der Vollstreckung in schuldnerfremde Sachen durchaus geläufig: Dort hat der Gerichtsvollzieher nach der auf Gewahrsam zugeschnittenen Vorschrift des § 808 ZPO nicht zu prüfen, ob der gepfändete Gegenstand dem Schuldner gehört238• Der Eigentümer des gepfändeten Gegenstandes wird auf den Weg der Drittwiderspruchsklage des§ 771 ZPO verwiesen. Der Gerichtsvollzieher handelt also gegenüber diesem nicht pflichtwidrig, sondern rechtmäßig. Dennoch kommt es nach h. M. auch hier bei der Aufhebung oder nach der Durchführung des Vollstreckungsverfahrens zu einem Bereicherungs- und bei Verschulden zu einem- die Widerrechtlichkeit unterstreichenden - Schadensersatzanspruch des Dritten gegen den Gläubiger nach § 823 Abs. 1 BGB231 • Die von Henckel bei der Vollstreckung von Fehlurteilen vorgenommene unterschiedliche Bewertung der Vollstreckungshandlungen des Vollstreckungsorgans und des Gläubigers ist also kein Einzelfall. Bei der Vollstreckung aus Fehlurteilen unterliegt damit der Vonstreckungsantrag des Gläubigers in der Tat der von Henckel beobachteten Trennungswertung: Er ist, wie die Richtschnur der Vollstreckungsvoraussetzungen und der von diesen umrissene Pflichtenkreis des Vollstreckungsorgans bestätigen, verfahrensrechtlich zulässig. Gleichzeitig ist er materiell-rechtlich widerrechtlich. Nieses These von der doppelfunktionellen Betrachtungsweise wird insoweit - allerdings mit anderer Begründung - erhärtet. bb) Zweck der Gläubigerhaftung bei vorläufig vonstreckbaren Urteilen

Mit dieser Feststellung ist freilich über die Reichweite des Trennungsdenkens noch keine endgültige Aussage getroffen. Die Haftung des Gläubigers aus den §§ 302 Abs. 4 S. 3, 600 Abs. 2, 717 Abs. 2, 945 ZPO ist zwar- ebenso wie die Verschuldenshaftung bei Aufhebung oder nach Abschluß des Vollstreckungsverfahrens - eine Sanktion für widerrechtliches Verhalten; sie zeigt aber eine verfahrensrechtliche BesonderVgl. aber etwa Arwed Blomeyer, AcP 165, 485; Bötticher, ZZP 85, 7, 14. us Vgl. nur Schönke/Baur, § 26 II 2 (S. 123); anders bei offenkundigen Eigentumsverhältnissen BGH LM Nr. 2 zu § 808 ZPO, Beispiele dafür bei Schönke/Baur, § 26 II 2 (S. 123). !31 Vgl. z. B. Arwed Blomeyer, Festgabe für von Lübtow, 816 f.; Rosenberg, Lehrbuch, (9. Aufl.), § 185 !II 4 (S. 977); Schönke!Baur, § 27 IV (S. 133); Stein/Jonas!Münzberg, § 771 VII 4 b; vgl. auch Bötticher, ZZP 85, 14. 237

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§ 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise

heit, die ihre Reichweite entscheidend einengt: Die Ersatzpflicht richtet sich stets nach der materiellen Rechtslage, wie sie in dem aufhebenden Urteil festgestellt wird. Das trifft auch dann zu, wenn das aufhebende Urteil ein Fehlurteil ist. Die Widerrechtlichkeit wird also nach dem Maßstab des aufhebenden Urteils gemessen 2' 0 • Daraus resultiert, daß der Gläubigerhaftung ein auf die besondere Vollstreckungssituation zugeschnittener Haftungszweck zukommt: Der Gläubiger soll das Risiko einer Aufhebung des Vollstreckungstitels in der höheren Instanz tragen. Die Ersatzpflicht ist also der Ausgleich für einen vom Vollstreckungsrecht trotz der Widerrechtlichkeit des Vollstreckungsantrags zugelassenen vorläufigen Vollstreckungseingriff. Das erklärt zunächst den exceptionellen Verzicht auf das Verschulden des Gläubigers. Insofern sind die vollstreckungsrechtlichen Haftungsnormen Sonderfälle. Ob das in ihnen nachweisbare Trennungsdenken darüber hinaus bei der Beurteilung von sonstigen Verfahrensakten eine isolierte materiell-rechtliche Betrachtungsweise gebietet, ist beim Blick auf Vergleichsfälle außerordentlich zweifelhaft. Vergleichbar erscheint die vorläufige Vollstrekkung von Fehlurteilen allenfalls mit der Fallstruktur des unberechtigten Konkursantrags, an der der BGH den Rechtfertigungsgrund der gerichtlichen Inanspruchnahme präzisiert hat 2u. Das Konkursverfahren umfaßt nämlich auch eine besondere Form der Vollstreckung. Die Erwägung Baurs, deshalb in diesem Sonderfall § 717 Abs. 2 ZPO entsprechend anzuwenden2u, hebt somit zumindest eine Besonderheit hervor: Zwar betrifft der Schadensersatzanspruch, den der Kläger in der zitierten Entscheidung des BGH geltend macht, nur Nebenfolgen des Konkursantrags, die sich auf die Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb stützen, während die Ausgleichsvorschriften des Vollstreckungsrechts die Durchsetzung des Anspruchs selbst erfassenu3 • Eine Parallele bleibt aber insofern, als der Gläubiger die sofortige "Vollstreckung" erstrebt. Deshalb liegt es nahe, dem Antragsteller - zumindest bei fahrlässigem Verhalten - auch hier das "Vollstreckungsrisiko" zuzuschieben, soweit die Konkursnormen nicht mit dem BGH als abschließende Schutzgrenze für den Schuldner zu betrachten sind. Dagegen sind zwischen einer vorläufigen Vollstreckung und einer Rechtsverletzung durch Klagen und sonstige Parteiprozeßhandlungen Interessenunterschiede erkennbar. Bei der Vollstreckung kann nämlich der Gläubiger das Schadensrisiko ohne endgültigen Rechtsverlust vermeiden, wenn er bis zur rechtskräftigen Feststellung 2'o Das gilt, wie dargelegt, auch für Ersatzansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB nach Durchführung des Vollstreckungsverfahrens; vgl. zuvor FN 236. 241 BGHZ 36, 18. 242 243

Baur, JZ 1962, 95. Henckel, Prozeßrecht, 307 FN 216.

B. Grundsatz der Trennungswertung?

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seines Anspruchs zuwartet. Er läuft allenfalls Gefahr, daß zu einem späteren Zeitpunkt die Vollstreckung faktisch fehlschlägt. Bei möglichen Rechtsverletzungen durch Klagen aber bleibt ihm nur die Möglichkeit der Rechtsverletzung oder als Alternative der Verzicht auf Rechtsschutz. Eine Gleichbehandlung beider Fälle ist deshalb nicht zwingend geboten. Das Trennungsdogma in der von Niese vertretenen Ausprägung ist folglich mit der Vollstreckung aus Fehlurteilen allein nicht nachzuweisen. b) Vollstreckung in schuldnerfremde Sachen Anders als bei der Vollstreckung aus Fehlurteilen ist bei der Vollstreckung in schuldnerfremde Sachen der Gedanke eines vorläufigen Eingriffs in die Rechte eines anderen bedeutungslos. Der Dritte ist zwar während des Vollstreckungsverfahrens auf die Drittwiderspruchsklage beschränkt; der Gläubiger haftet ihm aber danach gemäß § 823 Abs. 1 BGB für schuldhaft widerrechtliche Rechtsverletzungen auf Schadensersatz. Auch wenn der Gläubiger die konkreten Vollstreckungsakte des Gerichtsvollziehers faktisch nur wenig beeinflussen kann und seine Verschuldeushaftung daher selten ist2441, sind immerhin Haftungsfälle denkbar. Bei diesen scheint vordergründig die Interessenlage derjenigen bei fahrlässigen Eingriffen in Rechtspositionen eines Beklagten zu entsprechen: Das Risiko fahrlässiger Rechtsverletzungen ist nur auszuschließen, wenn die Klage bzw. der Vollstreckungsantrag unterbleibt. Dennoch ist auch hier die Parallele nicht zwingend. Die ZPO geht von der prozessualen Befugnis jedes Klägers aus, einen anderen mit einer Klage zu überziehen. Anders als bei der Zwangsvollstreckung ist die Klage nicht notwendig auf einen Eingriff in deliktisch geschützte Rechtspositionen gerichtet, so daß sich zwischen der prozessualen Befugnis und deren Folgewirkungen trennen läßt. Demgegenüber gibt es keine prozessuale Befugnis, in schuldnerfremde Gegenstände zu vollstrecken. Trotz der eingeschränkten Prüfungspflicht des Gerichtsvollziehers läßt sich schwerlich von einer Amtspflicht gegenüber dem Gläubiger zur Vollstreckung in schuldnerfremde Sachen sprechen. Nur bei der Klage und bei sonstigen Parteiprozeßhandlungen stellt sich also das Problem, ob die von der Rechtsordnung bezweckte prozessuale Funktion einer Parteiprozeßhandlung auch Auswirkungen auf die Bewertung einer durch diese verursachten Rechtsverletzung hat. Trotz der strikten Fahrlässigkeitshaftung des Gläubigers bei der Vollstreckung in schuldnerfremde Sachen ist daher eine materiell-rechtliche Privilegierung von Parteiprozeßhandlungen mit Rücksicht auf deren prozessuale Funktion denkbar. U4 Henckel, Prozeßrecht, 330; Henckel stellt diese Erwägung auf der Basis der modernen Rechtswidrigkeitsdoktrin an. Das ist hier auf das Ergebnis ohne Einfluß.

166

§ 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise c) Unberechtigte Anfechtungsklage im Genossenschaftsrecht

Auf den ersten Blick weit mehr auf die materiell-rechtliche Bewertung des Parteiprozeßverhaltens eines Zivilklägers zugeschnitten ist die Regelung des §52 GenG. Die Vorschrift zieht Konsequenzen aus der von § 51 GenG eingeräumten Anfechtungsklage gegen Beschlüsse der Generalversammlung. Diese Beschlüsse sind bei Gesetzesverstößen oder Verletzungen des Genossenschaftsstatuts nach §51 GenG für nichtig zu erklären. Die Erhebung der nach § 51 Abs. 3 S. 1 GenG gegen die Genossenschaft gerichteten Anfechtungsklage kann - jedenfalls faktisch -die Durchführung eines Beschlusses hemmen und damit einen Vermögensschaden der Genossenschaft verursachen. § 52 GenG gewährt daher der Genossenschaft einen Schadensersatzanspruch gegen unbegründete Anfechtungsklagen; dies allerdings nur, wenn dem Anfechtungskläger bei der Erhebung der Klage eine bösliche Handlungsweise zur Last fällt. Vordergründig privilegiert damit §52 GenG den Anfechtungskläger, indem er diesen nach seinem Wortlaut bei unzulässigen Klagen gar nicht und bei unbegründeten nur sehr eingeschränkt haften läßt. Die in diesem Zusammenhang meist vernachlässigte 245 Norm des §52 GenG ist nach der- bei der Neufassung des AktG im Jahre 1965 erfolgten - Streichung der §§ 121 Abs. 4 S. 2, 123 Abs. 5, 200 Abs. 2 AktG 1937 248 , die Parallelhaftungen bereits bei grober Fahrlässigkeit des Klägers vorsahen247 , nur noch eine Singularvorschrift. Dennoch scheint sie in die Richtung einer generellen Privilegierung des Klägerverhaltens zu deuten und eine Hürde gegen das strikte Trennungsdogma zu errichten. Es ist nämlich nicht ersichtlich, warum der Anfechtungskläger im Genossenschaftsrecht milder behandelt werden sollte als sonstige Zivilkläger. Seine Anfechtungsklage ist im Gegenteil möglicherweise nicht weniger schadensträchtig als die Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch die mit einer Klage verknüpfte Patentberühmung, die bereits bei fahrläsus Vgl. etwa die knappe Abwertung des § 52 GenG als Singularnorm bei Hopt, 165, 201 FN 7; das Manko behebt freilich Fenn, ZHR 132, 352-356. 248 Damit wurde auch der Sinn der Verweisung in § 75 Abs. 2 GmbHG verändert. Die dortige Verweisung auf die aktienrechtliche Vorschrift des § 273 HGB umfaßte ursprünglich auch die in § 273 Abs. 2 HGB statuierte Haftung

des Anfechtungsklägers bei böslicher Handlungsweise, erstreckte sich später auf die nunmehr bereits bei grober Fahrlässigkeit angeordnete Haftung nach § 200 Abs. 2 AktG 1937 und bezieht sich heute nach Streichung jeder aktienrechtlichen Sonderhaftung auf die §§ 246 Abs. 2-4, 247, 248, 249 Abs. 2 AktG. Vgl. zu letzterem Baumbach/Hueck, GmbHG, § 75 2 A. 247 Die Parallele zu§ 52 GenG bildete§ 200 Abs. 2 AktG 1937, der sich mit den Folgen der Anfechtung von Beschlüssen der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft befaßte. Die Vorschrift lautete: "Für einen Schaden aus unbegründeter Anfechtung sind der Gesellschaft die Kläger, denen Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt, als Gesamtschuldner verantwortlich."

B. Grundsatz der Trennungswertung?

167

sigem Verhalten des Klägers zu einer Ersatzpflicht führen soll. Zudem ist der drohende Genossenschaftsschaden für den Anfechtungskläger oft sogar überschaubarer als die Folgeschäden anderer unberechtigter Klagen. Bei näherem Zusehen erweist sich indessen die These von der Privilegierung des Anfechtungsklägers als voreilig und die Brücke zwischen § 52 GenG und dem Rechtfertigungsgrund der gerichtlichen Inanspruchnahme damit als brüchig. Das zeigt sich bei einem Blick auf die Parallelentwicklung des Aktienrechts. Während zu § 273 Abs. 2 HGB, dem Vorläufer des § 200 Abs. 2 AktG 1937, in der Tat bisweilen in der ebenfalls auf bösliche Handlungsweise reduzierten Haftung des Anfechtungsklägers eine Abschwächung und folgerichtig in § 273 Abs. 2 HGB eine erschöpfende Regelung der Ersatzpflicht erblickt wurde248, findet sich bei § 200 Abs. 2 AktG 1937 genau die entgegengesetzte Entwicklung. Das RG hat hier keineswegs bei der inzwischen - offenbar im Hinblick auf die durch unberechtigte Anfechtungsklagen drohenden schweren Schädigungen der Aktiengesellschaft249 - auf grobe Fahrlässigkeit erweiterten Haftungsschranke haltgemacht, sondern bei einer fahrlässigen Kreditgefährdung den Ersatzanspruch der Aktiengesellschaft unbekümmert auf § 824 BGB gestützt250 • Dementsprechend ging das Schrifttum zu § 200 Abs. 2 AktG 1937 manchmal neben dem dort statuierten Ersatzanspruch auch von der Anwendbarkeit gesellschaftsvertraglicher Haftungsgrundlagen und der §§ 823 ff. BGB aus251 • Dabei wurde und wird freilich auch heute nach der Streicllung des § 200 AktG 1937 hauptsächlich an die §§ 824, 826 BGB gedacht252 • Damit wird auch für den allein noch fortgeltenden § 52 GenG eine zweite Deutung erkennbar, die statt an eine Privilegierung des Anfechtungsklägers an eine in § 52 GenG angeordnete zusätzliche Haftungsgrundlage denken läßt. Die Standardwerke des Genossenschaftsrechts sagen über diese verschiedenartigen Deutungsmöglichkeiten des §52 GenG nichts253 • Sie begnügen sich mit der auf sehr weit zurückliegende Erkenntnisse des RG254 gestützten kärglichen Erläuterung, die bösliche Handlungsweise erfordere neben dem Vorsatz denjenigen Frevelmut, der sich der rechtswidrigen Folgen des Verhaltens bewußt seim. Daneben findet sich allenfalls noch der Hinweis auf eine weitere Entscheidung258 , die auf den 248 249

2so

Vgl. etwa BTodmann, § 273 HGB, Anm. 3. von CaemmeTeT, DJT-Festschrift II, 97; Fenn, ZHR 132, 352. RGZ 123, 194, 196.

Gadow!Heinichen!SchiHing, § 200, Anm. 11. 2s2 Vgl. etwa Baumbach!Hueck, AktG, § 248, Rdnr. 1. zss Vgl. Lang!WeidmülleT, § 52; MeyeT!MeulenbeTgh, § 52, 1. 254 Vgl. bereits RGZ 1, 22. 255 Lang/WeidmülleT, § 52; MeyeT/MeulenbeTgh, § 52, 1. 2oe MeyeT/MeulenbeTgh, § 52, 1. 251

168

§ 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise

Verstoß des Anfechtungsklägers gegen seine genossenschaftliche Treuepflicht abstellt, aber keinen Ersatzanspruch betrifft257 • Den richtigen Weg zum Verständnis des §52 GenG weist allein Fenn268• Dieser Weg wird sichtbar, wenn man an das von § 52 GenG erfaßte Schutzobjekt der anspruchsberechtigten Genossenschaft denkt. Wie Fenn zutreffend darlegt258, ist dabei der Sinnwandel zu beachten, den das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch die Entwicklung der Judikatur erfahren hat. Anders als heute schützte nämlich die ältere Judikatur nicht vor der Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Chancen eines Unternehmens, sondern nur vor Eingriffen in seinen Bestand280, der allenfalls bei der von § 75 Abs. 2 GmbHG reglementierten Nichtigkeitsklage gegen GmbH-Verträge, aber schwerlich bei der Anfechtung von Haupt- oder Generalversammlungsbeschlüssen tangiert ist. Die Zielrichtung des § 200 Abs. 2 AktG 1937 und des § 52 GenG war daher der deliktisch außerhalb von § 826 BGB nicht berücksichtigte Vermögensschutz. Der Zweck dieser Vorschriften war also keine Privilegierung, sondern im Gegenteil eine Verschärfung der Haftung des Anfechtungsklägers. Deshalb sagt auch § 52 GenG, der angesichts der veränderten Reichweite des Rechts am Gewerbebetrieb seine praktische Bedeutung eingebüßt hat, über eine deliktsrechtliche Privilegierung von Klagen und sonstigen Parteiprozeßhandlungen nichts aus, verwehrt diese Privilegierung allerdings umgekehrt auch nicht. Eine Privilegierungstendenz kommt allenfalls in der oben erwähnten Streichung der Haftungsvorschriften der §§ 121 Abs. 4 S. 2, 123 Abs. 5, 200 Abs. 2 AktG 1937 zum Ausdruck. Doch ergibt der Regierungsentwurf zum neuen AktG, daß damit nur die besondere aktienrechtliche Haftung eliminiert und das allgemeine Haftungsrecht der unerlaubten Handlungen angewandt werden sollte281 • Zwar hebt diese in der Kommentarliteratur282 gebilligte Begründung namentlich auf § 826 BGB ab; es gibt aber keinen Anhaltspunkt dafür, daß nur die vorsätzliche Rechtsverletzung durch Klagen ersatzpflichtig machen soll. Im übrigen wäre eine solche Anschauung auch nur ein unverbindliches gesetzgeberisches Motiv, da allein die Neuordnung des Aktienrechts, dagegen nicht des allgemeinen Deliktsrechts den Regelungsgegenstand bildet. Insgesamt enthalten damit die Sondervorschriften des Gesellschaftsrechts keinerlei Aussage für oder gegen das Trennungsdogma.

RG JW 1936, 181. Fenn, ZHR 132, 353 - 355. 25t Fenn, ZHR 132, 354. 2eo Vgl. zur Entwicklung der Judikatur BGHZ 29, 65, 68 f. 261 Kropff, zu § 248 (S. 335). 262 Vgl. z. B. Baumbach!Hueck, AktG, § 248, Rdnr. 1. 257

258

B. Grundsatz der Trennungswertung?

169

d) Verklagte Schuldner Als letzter Punkt bleibt die Rechtsstellung des verklagten Schuldners zu erwägen, die möglicherweise der materiell-rechtlichen Privilegierung einer Klageerhebung mit Rücksicht auf deren prozessuale Funktion widerstreitet und insoweit die Trennung des prozessualen und außerprozessualen Wirklichkeitsraums erhärtet. Die Problematik ist in der Judikatur des BGH am plastischsten erkennbar: Er läßt die Verzugshaftung des Schuldners auch während des Rechtsstreits unangetastet281, berücksichtigt also den vom Beklagten intendierten Rechtsschutz nicht. Auf der anderen Seite führt in den schon erwähnten Entscheidungen114 die sonst drohende Verkümmerung des Rechtsschutzes zu einer Milderung der deliktischenund vertraglichen Haftungsmaßstäbe. Nach dem Standpunkt des BGH kann eine zivilrechtliche Nebenpflicht eines Kaufvertrags, die dem Verkäufer verbietet, durch sein Verhalten den Vertragszweck zu gefährden und damit den Käufer vor Schaden bewahren soll, durch die Klageerhebung nicht ohne weiteres verletzt werdenm. Umgekehrt wird aber beim Schuldnerverzug der verklagte Schuldner auch beim Kauf bei einer fahrlässigen Verletzung der vertraglichen Hauptpflicht ersatzflichtig, selbst WE!nn er im Rechtsirrtum befangen ist. Diese Divergenz ist mit dem Unterschied zwischen vertraglicher Haupt- oder Nebenpflicht ebensowenig erklärbar wie mit dem zwischen einem sein Recht verfolgenden Kläger und dem sich dagegen verteidigenden Beklagten. Als unanfechtbarer Fixpunkt muß nämlich die Gleichheit der Prozeßparteien vor dem Richter gelten288, die eine willkürliche Begünstigung der Klägerrolle verwehrt. Soweit also zwischen dem Schuldnerverzug und der materiell-rechtlichen Beurteilung von Rechts- und Vertragsverletzungen durch Klagen unter dem Aspekt der Verkümmerung des Rechtsschutzes keine rechtserheblichen Interessenunterschiede sichtbar werden, muß es bei der Gleichbehandlung beider Fallgruppen bleiben. Entscheidend ist also die Suche nach einem Abgrenzungskriterium. Ein solches ist beim BGH nicht auffindbar, da er den Sachzusammenhang zwischen beiden Fallgruppen übersieht. Die Doktrin behandelt gleichfalls weithin, soweit sie überhaupt beide Fallgestaltungen erörtert, die Verzugshaftung als einen nicht näher erläuterten Sonderfall267 und privilegiert damit einseitig das Klägerverm BGH LM Nr. 1 zu § 11 VVG.

BGH LM Nr. 4 zu§ 823 (Da) BGB; BGHZ 20, 169; BGHZ 36, 18. BGHZ 20, 169, 172. 288 Zeiss, NJW 1967, 705. 287 Fenn, ZHR 132, 359; Hencket, Prozeßrecht, 296; Hopt 265, FN 1; Weitnauer, AcP 170, 438; vgl. aber auch die im folgenden genauer zu erörternden Stellungnahmen von Hans-Jürgen HeHwig, NJW 1968, 1073 und Zeiss, NJW 1967, 705. 284

285

170

§ 6 Die doppelfunktionelle Betrachtungsweise

halten. Sie übersieht zudem meist die vom BGH vertretene vertragliche Privilegierung der Klageerhebung und verkürzt damit etwas die Problemsieht Exakter sind in diesem Punkt die Analysen von Zeiss und Hans-Jürgen Hellwig. Zeiss erkennt zwar eine gewisse Diskrepanz zwischen den Positionen des BGH zum Schuldnerverzug und zum Rechtfertigungsgrund der gerichtlichen Inanspruchnahme!88, billigt aber gleichwohl die strikte Verzugshaftung des verklagten Schuldners, ohne die von ihm jedenfalls im Ergebnis akzeptierte281 Abweichung bei Klagen zu begründen, die dem Vertragszweck widersprechen. Diese Privilegierung des Klägerverhaltens unterstreicht er durch eine Umdeutung zivilvertraglicher Nebenpflichten prozessualen Inhalts, die nicht auf Unterlassung eines Prozesses, sondern stets nur auf Unterlassen leichtfertigen oder mutwilligen Prozessierens gerichtet seien270• Demgegenüber gibt Hans-Jürgen Hellwig, der dieser Umdeutung zivilrechtlicher Vertragspflichten prinzipiell zustimmt271 , für die abweichende Beurteilung der Verzugshaftung des verklagten Schuldners einen entscheidenden Hinweis. Er verweist nämlich darauf, daß in den Fällen der materiellrechtlichen Privilegierung der Klage eine Vertragswidrigkeit oder ein Delikt allein durch die Klageerhebung begangen werden könnte, während beim Schuldnerverzug schon vor dem Prozeß durch den vertragswidrigen Verstoß gegen die Pflicht zur Vertragserfüllung eine widerrechtliche Lage besteht271 • Darin liegt in der Tat ein rechtserheblicher Faktor, der auf den Unterschied zwischen Handlungs- und Unterlassungspflichten zurückgreift. Bei ersteren liegt die Vertragswidrigkeit bereits in der Untätigkeit des Verpflichteten, die durch eine aktive Verteidigung des Schuldners im Rechtsstreit nur unterstützt wird. Aus diesem Grund ist die Verzugshaftung des verklagten Schuldners wirklich nur ein Sonderfall, der zwingende Schlüsse für die generelle Bewertung des Parteiprozeßverhaltens nicht zuläßt. Das gleiche gilt schließlich auch für § 989 BGB. Auch diese Norm knüpft an einen widerrechtlichen Zustand an, da sie die Existenz eines unberechtigten Besitzes gegenüber dem Eigentümer voraussetzt. Auch die nach § 989 BGB mit der Klageerhebung verbundene Haftungsverschärfung des Besitzers, mit der die Rechtshängigkeit der nachträglichen positiven Kenntnis vom unberechtigten Besitz in § 990 Abs. 1 S. 2 BGB gleichgestellt wird, ist allein die Folge einer Ausnahmesituation und daher ohne weiterreichende Bedeutung: Die §§ 987 ff. BGB schützen den gutgläubigen Besitzer ausnahmsweise trotz einer widerrechtlichen Lage, und der Schutz 2ss Zeiss, NJW 1967, 705. :ee Zeiss, NJW 1967, 706. 210 Zeiss, NJW 1967, 707. 271 Hans-Jürgen Hellwig, NJW 1968, 1074. 212 Hans-Jürgen Hellwig, NJW 1968, 1073.

B. Grundsatz der Trennungswertung?

171

wird mit der Warnfunktion der Klage entbehrlich, so daߧ 989 BGB die Haftungssituation nur auf ein Normalmaß zurückführt. Insgesamt be~ sagen daher die Fallgestaltungen, in denen der verklagte Schuldner an den strengen Maßstäben des Zivilrechts gemessen wird, für das Trennungsdogma ebenfalls nichts. 2. Bedeutung für einen allgemeinen Trennungsgrundsatz Die zuvor nachgewiesenen divergierenden Zwecke der einzelnen Haftungsnormen beantworten zugleim die aufgeworfene Frage nach einem allgemeinen Trennungsgrundsatz: Die Haftung des Gläubigers für die Vollstreckung aus Fehlurteilen ist der Preis für die sofortige Vollstreckbarkeit einer gerichtlichen Entscheidung. Bei der Vollstreckung in schuldnerfremde Sachen entfällt eine doppelfunktionelle Betrachtungsweise, da dem Vollstreckungszugriff in das Dritteigentum keine prozessuale Befugnis gegenüber dem Dritten zugrundeliegt. Die auf bösliche Handlungsweise reduzierte Haftung bei genossenschaftlichen Anfechtungsklagen besagt nach ihrem ursprünglichen Haftungszweck nichts über das Ausmaß der sonstigen Klägerhaftung. Die Verzugshaftung des verklagten Schuldners beruht auf dessen (schuldhaft) widerrechtlichem Verhalten vor dem Rechtsstreit, bewertet also nicht nur einen Verfahrensakt. Das Gesamtresultat ist damit auch hier negativ: Es gibt keinen Rechtssatz, der die Berücksichtigung der prozessualen Funktion einer Parteiprozeßhandlung bei deren materiellrechtlicher Bewertung zwingend verbietet.

Zwischenergebnisse Die Kritik der einzelnen Faktoren für eine strikte Trennung von Zivil- und Prozeßrecht278 ergibt folgenden Gesamtbefund: I. Die im Schrifttum nachweisbarenm Elemente des Trennungsdenkens

sind nicht geeignet, in allen Fällen eine scharfe Scheidung zwischen der prozeßrechtlichen und der materiell-rechtlichen Bewertung eines prozeßerheblichen Parteiverhaltens zu rechtfertigen. Sie schließen übergreifende Wertungen nicht aus. 1. Das Prozeßrechtsverhältnis im Verständnis der älteren Prozeßdoktrin ist eine begriffliche Abstraktion, die den öffentlich-rechtlichen und den ganzheitlichen Charakter der prozessualen Rechtsbeziehungen zu stark betont. Die mit ihm vorgenommene Sonderung von Prozeßrecht und materiellem Recht ist die Folge einer rein wissenschaftlichen Begriffsbildung ohne rechtliche Wirkung216. Sie schließt Wechselwirkungen zwischen beiden Disziplinen nicht aus. 2. Die Unterscheidung zwischen der prozessualen und der materiellrechtlichen Rechtsbetrachtungsweise trägt die abweichende Beurteilung der materiellen und der prozessualen Rechtsbeziehungen nicht. Das ganzheitliche Verständnis des Prozesses als Rechtslage ist eine begriffliche Übersteigerung278 • Es bildet keinen verbindlichen Maßstab für die Rechtsanwendung. 3. In einer Reihe von Fällen ist eine divergierende Bewertung von Prozeßhandlungen durch das Verfahrensrecht und das materielle Recht nachweisbar. Prozessuale Ordnungsmäßigkeit und materielle Rechtmäßigkeit sind nicht identisch. Man kann diese Trennungswertung auf eine doppelfunktionelle Betrachtungsweise zurückführen. Die Fallstrukturen, in denen eine doppelfunktionelle Betrachtungsweise erkennbar ist, lassen sich weder als Beispiele eines vorgegebenen Trennungsgrundsatzes bezeichnen277 , noch läßt sich aus ihnen ein allgemeiner Trennungsgrundsatz ableiten278 •

m Zweiter Teil, 1. Abschnitt (§§ 4- 6). m '§ 2 B IV 1 b (S. 61 f .), § 2 B V 1 (S. 71 - 74), § 21e § m § 21s §

275

4 (S. 104 - 112). 5 (S. 113 - 120). 6 A (S. 121 - 135). 6 B (8.135 -171).

§

2 B V 3 (S. 76 - 79).

Zwischenergebnisse

173

4. Grundsätze über das Verhältnis der prozessualen und der zivilrechtlichen Beurteilung eines prozeßerheblichen Parteiverhaltens lassen sich nicht aus einer vorgegebenen systematischen Ordnung, sondern nur als Summe der Lösungen der denkbaren Fangestaltungen gewinnen. li. Der Meinungsstand in der modernen Doktrin und Praxis278 ist in einer Reihe von Punkten das Resultat eines strikten Trennungsdenkens, das Verbindungslinien zwischen Zivil- und Prozeßrecht von vornherein ausschließt. Er bedarf insoweit der Korrektur. 1. Die notwendige280 Abgrenzung zwischen Zivil- und Prozeßrecht darf keine Trennungswertung antizipieren. Sie ist danach vorzunehmen, ob eine Norm ausschließlich ein Verhalten im prozessualen Lebensbereich regeln will, der durch das Verfahren von und vor Rechtspflegeorganen gekennzeichnet ist. Dann gehört diese Norm dem Prozeßrecht an, andernfalls dem materiellen Recht281• 2. Die Unterscheidung zwischen Parteiprozeßhandlungen und außerprozessualem Parteiverhalten i.st nach funktionalen Kriterien vorzunehmen, die eine antizipierte Trennungswertung verhindern. Eine Parteiprozeßhandlung ist danach ein Verhalten, das nach seiner von der Rechtsordnung bestimmten typischen Funktion eine Verfahrensgestaltung herbeiführen oder verhindern soll181•

3. Das Prozeßrechtsverhältnis ist eine Breviloquenz für die prozeßerheblichen Rechtsbeziehungen. Dieser Sinngehalt schließt Verbindungslinien zwischen Zivil- und Prozeßrecht nicht aus. 4. Die Auswirkungen des Trennungsdenkens, die sich in Doktrin und Praxis bei gesetzlichen Parteipflichten2sa, bei der Dogmatik der Vereinbarungen über prozessuales Verhalten2114 sowie bei der Relation von Widerrechtlichkeit und Prozeßrecht286 zeigen, finden durch das Trennungsdenken keine Rechtfertigung. Sie bedürfen einer subtilen Einzelanalyse.

280

§ 2 B I -V (S. 45 ff.). § 2 B I (S. 48).

281

'§ 2 B 1 3 b (S. 52).

282

§ 2 B II (S. 54).

2711

2sa § 2 B IV 1 (S. 57 ff.). § 2 B IV 2 (S. 65 ff.). 2ss § 2 B V (S. 71 ff.). 284

2. Abschnitt DIE PROZESSUAL ERHEBLICHEN RECHTSVERHÄLTNISSE ZWISCHEN PROZESSPARTEIEN

Die Kritik der einzelnen Elemente des Trennungsdenkens bahnt den Weg, bei der Bewertung und den Rechtsfolgen des prozeßerheblichen Parteiverhaltens Wechselwirkungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht anzuerkennen. Sie erlaubt aber keinerlei Aussage über Umfang und Struktur der Querverbindungen zwischen beiden Disziplinen. Für solche Querverbindungen sprechen bislang allein die in zahlreichen Fallgruppen verwendeten Generalklauseln wie Treu und Glauben, prozessuale Mitwirkungspfticht, Rechtsschutzinteresse, Rechtfertigungsgrund der gerichtlichen Inanspruchnahme usw., mit denen Doktrin und Praxis die Trennungswertung fiktiv perpetuiert, in Wahrheit aber damit übergreifende Wertungen verdeckt haben1 • An diesen Fallgruppen ist daher anzuknüpfen. An ihnen sind Querverbindungen nachzuweisen und theoretisch zu präzisieren. Die Grundlage für diese Präzisierung bilden die funktionale Abgrenzung zwischen Zivil- und Prozeßrecht2 sowie zwischen Parteiprozeßhandlungen und außerprozessualem Parteiverhalten•, an der die Einteilung der Eingangskasuistik in zivilrechtliehe, aber prozeßerhebliche und zivilprozessuale Rechtsverhältnisse orientiert ist'. Dabei gebieten die bereits aufgezeigten Wertungszusammenhänge6 zwischen den einzelnen Fallgruppen eine Reihe von Fallvergleichen zwischen zivilrechtliehen und zivilprozessualen Rechtsverhältnissen. Das gilt beispielsweise für die Frage, ob und aus welchem Grund Verstöße gegen zivilrechtliche Vertragspflichten oder Deliktsnormen prozessuale Rechtsfolgen ergeben•, dabei aber gleichzeitig die zivilrechtliehen Sanktionen von Vertragsverletzungen oder deliktischen Rechtsverstößen durch Parteiprozeßverhalten mit Rücksicht auf dessen prozessualen Zweck eingeschränkt werden können7• Ebenso bedarf der Vgl. § 2 C (S. 84- 94). § 2 B I 3 b (S. 51 f.). a § 2 B II (S. 53- 55). 4 § 2 c (S. 84- 94). s Vgl. die Hinweise in § 1 B II (S. 35 f.); § 2 C I 1 (S. 87); § 2 C II (S. 89); § 2 C IV (S. 91). e § 1 A, Beispiele 1 - 5. 1 § 1 A, Beispiele 10, 11. 1

2

Zwischenergebnisse

175

Prüfung, ob der Verstoß gegen prozessuale Parteiptlichten8 und die Vornahme einer Parteiprozeßhandlung unter Beeinträchtigung einer zivilrechtlichen Vertragspflicht8 unterschiedlich zu beurteilen sind, wenn der Prozeßgegner daraus einen Schadensersatzanspruch herleitet. Derartige Wertungszusammenhänge besagen freilich nur, daß die Resultate der einzelnen Fallkonstellationen aufeinander abzustimmen sind. Sie sprechen aber nicht gegen den Versuch, die "Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien" zu einem aufgegliederten System auszuformen.

s § 1 A, Beispiele 8, 9. e § 1 A. Beispiel 10.

§ 7 Die zivilrechtliehen Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen A. Prozessualer Bereich und außerprozessuale Rechtsbeziehungen Die in Doktrin und Praxis nachweisbaren Fallstrukturen, in denen sich zivilrechtliche Rechtsverhältnisse auf das prozessuale Verhalten einer Partei erstrecken oder zwar außerprozessuales Verhalten ordnen, aber prozessuale Rechtsfolgen begründen sollento, zeigen bei einer Zusammenschau eine bunte Vielfalt. Die Rechtsbeziehungen unterscheiden sich nach Geltungsgrund, reglementiertem Verhalten und Wirkung: Neben Vertragsverhältnisse, die beispielsweise bei der Patentnichtigkeitsklage des Lizenznehmers11 und beim Ersatzanspruch des Grundstückskäufers wegen einer gegen den Kaufvertrag gerichteten Feststellungsklage des Verkäufers12 zugrunde liegen, treten bei der Entwendung von Beweismitteints und bei der Beeinträchtigung absoluter Rechte durch Parteiprozeßhandlungen14 deliktische Rechtsbeziehungen. Neben die Beweisvereitelung durch vorprozessuale Vernichtung von Beweisstückent5 tritt - etwa bei der Schutzrechtsberühmung durch Klagente - die materiell-rechtliche Reglementierung einer Parteiprozeßhandlung. Neben die prozessualen Rechtsfolgen aus zivilrechtliehen Rechtsverhältnissen, wie sie bisweilen auf dem Umweg über den "allgemeinen Rechtsgedanken" des§ 242 BGBt7 bei einzelnen Fällen der Beweisvereitelungts und beim Beweisverbot für widerrechtlich erlangte Beweismittel18 angenommen werden, treten die materiell-rechtlichen to § 2 C I- III (S. 85 - 91). u § 1 A, Beispiel 1. § 1 A, Beispiel 10. u § 1 A, Beispiel 5. u Vgl. § 1 A, Beispiel 10; die repräsentativste Fallgruppe ist der Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch eine Schutzrechtsberühmung im Rechtsstreit, vgl. dazu nur BGHZ 38, 200. 16 § 1 A, Beispiel 3. te Vgl. zuvor FN 14. 11 Vgl. über die Funktion des "allgemeinen Rechtsgedankens" des § 242 BGB, materiell-rechtliche Maßstäbe in das Prozeßrecht aufzunehmen, oben '§ 2 B VI (S. 79 - 84). ts Baumgärtel, ZZP 69, 106; Gerhardt, AcP 169, 304 ff.; Egon Schneider, MDR 1969, 9 f. n Baumgärtel, ZZP 69, 103; Feldmann, NJW 1959, 855; Pleyer, ZZP 69,334. 12

A.

Prozessualer Bereich und außerprozessuale Rechtsbeziehungen

177

Ansprüche auf Widerruf einer ehrverletzenden Prozeßbehauptung20 oder auf Schadensersatz wegen einer deliktischen Rechtsverletzung durch Klagen21 .

Insbesondere der Dualismus der Rechtsfolgen verdeutlicht die Problemlage: Er erfordert eine Aussage darüber, ob und aus welchem Grund manche Vertragsverstöße und deliktische Rechtsverletzungen prozessual sanktioniert werden sollen, andere dagegen allenfalls materiell-rechtlich. Die vergleichende Analyse der Verletzung eines Lizenzvertrags durch die Erhebung einer Patentnichtigkeitsklage und der Beweisführung mit einem widerrechtlich erlangten Beweismittel einerseits sowie der deliktischen Rechtsverletzung durch unberechtigte Schutzrechtsberühmungen im Wege von Unterlassungs- oder Feststellungsklagen andererseits bietet dafür eine erste Richtschnur: Bei der unberechtigten Schutzrechtsberühmung durch Klagen geht es um die Prüfung eines Schadensersatzanspruchs des Beklagten aus § 823 Abs. 1 BGB, der außerhalb des von diesen Klagen umrissenen Streitgegenstands liegt. Der Richter ist nach §§ 253, 308 ZPO an den Antrag des Klägers gebunden. Dieser Antrag begrenzt den Prozeßstoff. Der Schaden, den der Beklagte durch die unberechtigte Schutzrechtsberühmung erleidet, indem er infolge der erhobenen Feststellungs- oder Unterlassungsklage bis zur Entscheidung des Rechtsstreits mit Rücksicht auf das vermeintliche Schutzrecht des Prozeßgegners die gewerbliche Nutzung einer Ware unterläßt, kann daher nur in einem gesonderten Prozeß behandelt werden. In diesem ist der Schaden auch abschließend reglementierbar. Damit steht im Einklang, daß die Feststellungs- oder Unterlassungsklage nicht wegen einer mit ihr verbundenen Verletzung des Rechts des Beklagten am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als unzulässig abgewiesen wird. Sie ist unbegründet, da dem Kläger kein Schutzrecht zusteht. Ein mit der Schutzrechtsberühmung verknüpftes widerrechtliches Verhalten bleibt im Rechtsstreit über die vom Kläger begehrte Feststellung oder Unterlassung irrelevant. Durch diesen Rechtsstreit wird nur ein vom Streitgegenstand umrissener Ausschnitt der Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien erfaßt. Eine durch die Klage verursachte Rechtsverletzung tangiert den Ausschnitt, man kann auch sagen: Wirklichkeitsraum22 oder Lebensbereich23 , "Prozeß" nicht. Deshalb hat die Klage insoweit nur eine materiell-rechtliche Wirkung. Sie ist aus diesem 20 § 1 A, Beispiel 11. 21 § 1 A, Beispiel 10.

22

2a

Eberhard Schmidt,

Arzt im Strafrecht, 59.

Henckel, Prozeßrecht, 19 f.; der nachfolgende Text spricht vom prozessu-

alen Bereich. 12 Konzen

178 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen

Grund eine doppelfunktionelle Prozeßhandlung24• In die Unterscheidung von prozessualem Bereich und außerprozessualen Rechtsbeziehungen passen auch die Beispielsfälle, in denen der Bürge gegenüber dem Hauptschuldner seine Pflicht verletzt, den Prozeß mit dem Gläubiger im Hinblick auf die Wirkung des § 775 Abs. 1 Nr. 4 BGB sorgfältig zu führen25, oder ein Richter durch einen fehlerhaften Verfahrensakt eine Ersatzpflicht aus Art. 39 GG/§ 839 auslöst. Der Hauptschuldner ist am Rechtsstreit nicht beteiligt. Der Richter gehört nicht zu den Verfahrensbeteiligten, zwischen denen die Entscheidung im Verfahren wirkt. Obwohl das pflichtwidrige Verhalten in beiden Fällen eine Verfahrenshandlung betrifft, ist es dennoch allein in einem anderen Rechtsstreit sanktionierbar28• Die Verfahrensakte haben insoweit nur materiellrechtliche Wirkung. Die Widerrechtlichkeit ist offenbar im Verfahren stets irrelevant, wenn sie den vom Verfahrensgegenstand bestimmten prozessualen Bereich nicht tangiert und durch einen zivilrechtliehen Anspruch - notfalls in einem Zweitprozeß - abschließend reglementierbar ist. Eine prozessuale Sanktion ergibt sich dann aus der Widerrechtlichkeit der Parteiprozeßhandlung nicht. Die prozessuale Dimension dieser Fallstrukturen erschöpft sich in der Frage, inwieweit bei der Gewährung materiell-rechtlicher Ansprüche der Gedanke der "Verkümmerung des Rechtsschutzes" oder präziser: die prozessuale Funktion einer - doppelfunktionellen - Parteiprozeßhandlung mildernd zu berücksichtigen ist17• Damit ist aber nicht erwiesen, daß die Widerrechtlichkeit schlechthin eine prozeßfremde Kategorie ist. Die Vergleichsfälle der Patentnichtigkeitsklage des Lizenznehmers und des Beweisantritts einer Prozeßpartei mit einem von ihr widerrechtlich erlangten Beweismittel zeigen nämlich, daß nicht jedes prozeßerhebliche Parteiverhalten, das gegen Vertragsbindungen oder Deliktsnormen verstößt, durch das materielle Recht völlig ausgeglichen werden kann. In diesen Fällen wirkt die Widerrechtlichkeit in den prozessualen Bereich hinein. Über den Vertragsverstoß oder das Deliktsverhalten wird bei dem Urteil über den Streitgegenstand mit präjudizieller Wirkung für zivilrechtliche Ansprüche mitentschieden. D~ widerrechtliche Verhalten führt entweder 24 Doppelfunktionell in dem Sinne, daß eine Parteiprozeßhandlung neben ihrer prozessualen Funktion auch eine materiell-rechtliche Wirkung haben kann; vgl. dazu§ 2 B I 3 b (S. 51- 52). 25 Vgl. dazu bereits oben I§ 2 C I 1 (S. 87). 28 Es liegt nahe, auch bei der gesellschaftsvertragswidrigen Klagerücknahme eines Streitgenossen (§ 1 A, Beispiel 2) auf die Möglichkeit eines Zweitprozesses zu verweisen, in dem der vertragswidrig handelnde Gesellschafter der Prozeßgegner der Mitgesellschafter wäre; vgl. aber näher§ 7 B

I 2 c (S. 222 - 227). 27

Vgl. näher § 9 B (S. 299 - 328).

A. Prozessualer Bereich und außerprozessuale Rechtsbeziehungen

179

zu prozessualen Sanktionen: zur Abweisung der Klage wegen Unzulässigkeit bzw. zur Ablehnung des angebotenen Beweises. Oder es bleibt partiell ohne Rechtsfolge: Nimmt eine Prozeßpartei zu Beweiszwecken für den Scheidungsrechtsstreit die Beschimpfungen des Ehegatten heimlich auf Tonband auf28 oder entwendet sie dem Prozeßgegner eine Beweisurkunde und tritt sie mit diesen Beweismitteln im Zivilrechtsstreit Beweis an, so ist die Entscheidung über die Verwertbarkeit der Beweisstücke nicht nur von innerprozessualer, sondern zugleich auch von materiell-rechtlicher Relevanz. Das Schrifttum28 übergeht freilich die zivilrechtliche Folgewirkung dieser Entscheidung fast einhellig. Es betrachtet die prozessuale Bedeutung eines Beweis- und Verwertungsverbots isoliert. Daher beschränkt es sich, soweit es für ein Beweis- und Verwertungsverbot eintritt, auf wenig aussagekräftige Thesen, mit denen die Problemsicht verengt wird. Die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel bietet nicht nur einen Anreiz zu einem rechtswidrigen Verhalten10 und führt nicht nur zur prozessualen Auswertung einer rechtswidrig herbeigeführten Lage31• Sie eröffnet nicht nur eine Kluft zwischen dem materiellen Recht, das schuldhaftwiderrechtliches Verhalten prinzipiell durch zivilrechtliche Ansprüche ausgleicht und eventuell bestraft, und dem Prozeßrecht, das ein Deliktsverhalten der Prozeßpartei durch die Verwertbarkeit der von ihr deliktisch beschafften Beweismittel "belohnen" würde82• Mit der Ablehnung eines Beweis- und Verwertungsverbots wird vielmehr zugleich der zivilrechtliche Rechtsschutz verkürzt. Anders als bei der Schutzrechtsberühmung hindert nämlich die Präjudizialität der Entscheidung über den Beweisantritt mit widerrechtlich erlangten Beweismitteln daran, dem Verletzten gemäß § 823 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Ersatz des gesamten Schadens zuzubilligen. Egbert Peters33 meint zwar, der Verstoß gegen straf- und zivilrechtliche Verbotsnormen werde bei der Entwendung oder Unterschlagung fremder Urkunden mit den Verbotsfolgen des dazugehörigen Rechtsgebietes geahndet, und bezeichnet daher mangels eines besonderen prozessualen Beweisverbots eine "zivilprozessuale Makeltheorie" für entwendete oder unterschlagene Urkunden als entbehrlich und nicht existent; er blickt dabei aber nur auf die Strafbarkeit der Prozeßpartei und den Heraus§ 1 A, Beispiel 5. Vgl. zum Meinungsstand über widerrechtlich erlangte Beweismittel im Zivilprozeß unten § 7 C I (S. 243- 244). ao Baumgärtel, ZZP 69, 103; Stein/Jonas-/Schumann!Leipold, § 284 B III 1 a. a1 Stein/Jonas/Schumann/Leipold, § 284 B III 1 a. 32 Vgl. den Hinweis über diese Widersprüchlichkeit und Inkonsequenz der Rechtsordnung bei Stein/Jonas!Schumann!Leipold, § 284 B III 1 a. sa Egbert Peters, ZZP 76, 153. ~s

28

12*

180 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen

gabeanspruch der Gegenpartei und übersieht deshalb, das sich sein Modell einer reinlichen Scheidung von materiellem Recht und Verfahrensrecht bei Schadensersatzansprüchen aus § 823 Abs. 1 BGB nicht durchführen läßt: Die mit der heimlichen Tonbandaufnahme verbundene Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Prozeßgegners34 und dessen Eigentumsverletzung durch die Entwendung seiner Beweisurkunde begründen nach§ 823 Abs. 1 BGB prinzipiell einen Anspruch auf Ersatz des gesamten, aus der Rechtsverletzung resultierenden Schadens. Dieser Schaden umfaßt, wenn die Verwertung des Tonbandes oder der Urkunde den Ausgang des Rechtsstreits beeinflußt, auch den Prozeßverlust. Ohne die deliktischen Rechtsverletzungen wäre die obsiegende Prozeßpartei beweisfällig geblieben und hätte den Prozeß verloren. Dennoch müßte bei Ablehnung eines Beweis- und Verwertungsverbots ein Schadensersatzanspruch - gerichtet etwa auf Rückzahlung des in der Zwangsvollstreckung beigetriebenen Betrags oder auf Ersatz fü:r die Minderung eines Unterhaltsanspruchs infolge des Scheidungsurteils - scheitern. Der durch einen Prozeßverlust eintretende Schaden steht hier endgültig erst mit der Rechtskraft des Urteils fest. Dann aber stünde der Zubilligung von Schadensersatz die materielle Rechtskraft des Urteils entgegen, das auf der Verwertung des Beweisstückes beruht35. Anders als bei der Fallgruppe der sittenwidrigen Erschleichung eines rechtskräftigen Urteils8' wäre hier an die Beseitigung der Rechtskraft um so weniger zu denken, als bei Ablehnung eines Beweis- und Verwertungsverbots das Urteil im Gegensatz zur sittenwidrig erschlichenen Entscheidung der wahren Rechtslage entspräche87. Pleyer, der den Ausschluß des Schadensersatzanspruchs als zivilrechtliche Folgewirkung der Verwertbarkeit widerrechtlich erlangter Beweismittel als einziger erkennt, hält dieses Resultat für berechtigt38• Die Verurteilung eines Beklagten zu einer Leistung, die er von Rechts wegen schulde, sei kein Schaden im Sinne des Gesetzes. Im Ergebnis bleibt dann die Entwendung der Beweisurkunde oder die heimliche Tonbandaufnahme, die beim Deliktsverhalten der Prozeßpartei wegen der andernfalls eintretenden Rechtskraftschranke allein mit einer prozessualen Nichtverwertung geahndet werden könnteB9, ohne Sanktion, weil die widerrechta4 Inwieweit die heimliche Tonbandaufnahme ausnahmsweise kein Delikt darstellt, kann hier offen bleiben. 35 Pleyer, ZZP 69, 331. se Vgl. zum Umfang der materiellen Rechtskraft bei erschlichenen Urteilen und der Geltendmachung von Schadensersatz gern. § 826 BGB etwa BGH NJW 1964, 349; Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 107 II (S. 607); Lent/ Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 64 II (S. 206 ff.); Stein!Jonas!Schumann!Leipold,

§ 322 XI 4 b - d. 37 Pleyer, ZZP sa Pleyer, ZZP

69, 331. 69, 331.

A. Prozessualer Bereich und außerprozessuale Rechtsbeziehungen

181

liehe Beschaffung des Beweismittels von vornherein als prozessuale Verwertungsschranke eliminiert wird40• Das ist genauso voreilig wie die umgekehrten Thesen, mit denen die Einheit der Rechtsordnung beschworen" und damit die Widerrechtlichkeit in das Prozeßrecht transponiert wird oder mit Hilfe des § 242 BGB42 die ausdrücklichen Beweisund Verwertungsverbote der ZPO um eine Sanktion für die deliktische Verschaffung von Beweismitteln ergänzt werden. In Wahrheit steht bei der deliktischen Beschaffung von Beweismitteln durch eine Prozeßpartei48 nur fest, daß die Entscheidung über die Verwertbarkeit widerrechtlich erlangter Beweismittel zugleich über die Zulässigkeit des Beweisantritts und über die zivilrechtliehen Folgen der deliktischen Rechtsverletzung entscheidet. Soweit also in diesem Sonderfall die Verwertbarkeit der Beweismittel ausschließlich durcll die in der ZPO normierten Beweismittel begrenzt werden soll44 , kann als Begründung nicht der lapidare Hinweis genügen, das Prozeßrecht belege die widerrechtliche Verschaffung von Beweisstücken nicht mit einem derartigen Verbot45 • Das Prozeßrecht hat eine dienende Funktion. Es bezweckt jedenfalls nicht, die Durchsetzung eines materiell-rechtlichen Anspruchs zu vereiteln". Das Zivilrecht aber ordnet in §§ 823 Abs. 1, 249 BGB als Ausae Insofern ist es zutreffend, wenn die Nichtverwertung eines widerrechtlich erlangten Beweismittels als einem Schadensersatzanspruch entsprechend bezeichnet wird; vgl. dazu Grunsky, 445; Stein/Jonas/Schumann/Leipotd, § 284 B III 1 a. 40 Im Ergebnis kommt Pleyer allerdings über die Berücksichtigung des § 242 BGB im Prozeßrecht zur Verwertungsschranke; vgl. Pleyer, ZZP 69,334. 41 Kellner, JR 1950, 270; Siegert, NJW 1957, 690. 42 Baumgärtel, ZZP 69, 103; Feldmann, NJW 1959, 855; Pleyer, ZZP 69,334. Mit dieser Konstruktion wird das Problem übergangen, ob nicht das Prozeßrecht entgegenstehende Wertungen enthält. 48 Das ist hervorzuheben. Die mit der Rechtskraftschranke verbundene Verkürzung des deliktischen Rechtsschutzes tritt nur innerhalb der subjektiven Grenzen der Rechtskraft ein. Die Rechtskraft wirkt prinzipiell inter partes. Das bedeutet, daß unter Hinweis auf§ 823 Abs. 1 BGB allenfalls ein Deliktsverhalten der Partei bei der Beschaffung von Beweismitteln mit einem prozessualen Verwertungsverbot verknüpft werden darf. Dagegen bleiben bei widerrechtlichem Verhalten von Zeugen und Sachverständigen die deliktischen Ersatzansprüche unverkürzt, solange man nicht die materielle Rechtskraft des von diesem Verhalten verursachten Urteils auf diese erstreckt. Das wird zwar bisweilen befürwortet, ist aber abzulehnen; vgl. dazu Jilrgen Blomeyer, 210 ff. Daher enthält der Vorschlag, gestützt auf die Zivilrechtsnorm des § 823 Abs. 1 BGB nur die deliktische Verschaffung von Beweismitteln durch die Prozeßpartei mit einer prozessualen Sanktion zu versehen, eine im Resultat plausible Erwägung; vgl. dazu Grunsky, 446; Stein/Jonas!Schumann/Leipold, § 284 B III 1 a. " Die überlagerung des Prozeßrechts durch verfassungsrechtliche Maßstäbe, an die bei der Verletzung der Intimsphäre einer Prozeßpartei zu denken ist, kann an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben. 45 So aber beispielsweise Egbert Peters, ZZP 76, 153; Rosenberg/Schwab,

§ 113 III 1 b (S. 589). 46

Vgl. über den Zweck des Zivilprozesses bereits oben § 3 C (S. 99).

182 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen gleich für die Rechtsverletzung die Zubilligung eines Ersatzanspruchs an. Diese Restitution kann beim Beweisantritt mit einem von der Prozeßpartei selbst widerrechtlich erlangten Beweismittel allein durch ein prozessuales Verwertungsverbot bewirkt werden. Soll die Restitution in diesem Fall scheitern, so muß mithin das Prozeßrecht Gründe enthalten, die eine Verkürzung des deliktischen Rechtsschutzes rechtfertigen. Andernfalls ist das deliktische Parteiverhalten, das sich auf den prozessualen Bereich erstreckt und sich nicht wie bei der Schutzrechtsberühmung im Prozeß durch einen zivilrechtliehen Ersatzanspruch abgelten läßt, auch im Prozeßrecht zu beachten. Ein ähnlicher Befund ergibt sich bei der vertragswidrigen Patentnichtigkeitsklage des Lizenznehmers. Der Patentinhaber und der Lizenznehmer wollen sich im obrigen Eingangsbeispiel47 mit dem Lizenzvertrag wechselseitig auch vor Schäden schützen, die durch die Vornahme von Prozeßhandlungen eintreten48• Auch in diesem Fall kann der Vertragsverstoß des Lizenznehmers, der in der Erhebung der Patentnichtigkeitsklage liegt, nicht allein durch einen zivilrechtliehen Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung ausgeglichen werden. Ist nämlich ein unanfechtbares Gestaltungsurteil ergangen, so hindert dessen materielle Rechtskraft40 daran, den Patentinhaber durch Ausgleich in Geld so zu stellen, als bestünde das Patent. Die Vertragswidrigkeit ist nur auszugleichen, wenn sie im Prozeß berücksichtigt wird. Das Parteiinteresse ist also auf den prozessualen Bereich gerichtet. Anders als bei der Fallstruktur widerrechtlich erlangter Beweismittel ist zwar denkbar, aus der Nebenpflicht des Lizenzvertrages einen materiellrechtlichen Anspruch auf Unterlassung der Patentnichtigkeitsklage abzuleiten und dessen gerichtliche Geltendmachung in einem Zweitprozeß durch die Verbindung mit dem Erstprozeß nach § 147 ZPO oder durch dessen Aussetzung nach § 148 ZPO zu berücksichtigen. Indessen entstünde daraus nicht nur eine unökonomische Prozeßverdoppelung, sondern auch eine Verkürzung des Rechtsschutzes: Einmal enthalten die §§ 147, 148 ZPO Ermessensvorschriften. Vor allem aber würde eine Entscheidung im Zweitprozeß einen selbständigen Instanzenzug eröffnen, den das Gesetz bei Zwischenentscheidungen über prozessuale Vorfragen gerade nicht vorsieht50• Die zivilrechtliche Vertragsbindung läßt sich § 1 A, Beispiel 1. Vgl. oben I§ 2 C I 1 (S. 85 f.). 4& Auch das Gestaltungsurteil entfaltet eine materielle Rechtskraft. Deren "Entdeckung" beruht gerade auf der Erwägung, daß andernfalls die Urteilswirkung durch Schadensersatzansprüche beseitigt werden könnte; vgl. darüber zum Streitstand allgemein Schlosser, Gestaltungsklagen, 406 ff. &o Baumgärtel, Festschrift für Schima, 48; vgl. näher § 7 B I 1 a bb) oc) 47

48

(S. 199 - 204).

B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen

183

also ebenfalls nur durchsetzen, wenn sie mit einer prozessualen Rechtsfolge, nämlich der Unzulässigkeit der Patentnichtigkeitsklage, verknüpft wird. Im Gesamtbild ist damit die Widerrechtlichkeit eines Parteiverhaltens im Prozeß nicht von vornherein unerheblich, wenn es den prozessualen Bereich berührt. Dagegen ist es prozessual irrelevant, wenn es sich wie bei der Schutzrechtsberühmung durch Klagen allein auf die außerprozessualen Rechtsbeziehungen der Parteien bezieht. Daranzeigt sich, daß der prozessuale Bereich den sonstigen Rechtsbeziehungen der Parteien nicht als ein schroffes aliud gegenübersteht. Der prozessuale Bereich enthält vielmehr nur einen durch den Streitgegenstand fixierten Ausschnitt aus (möglichen) weiteren Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien. Im Prozeß sind nun nicht nur die materiellen Parteiinteressen bedeutsam, sondern auch die im Prozeßrecht normierten staatlichen Rechtspflegeinteressen wie beispielsweise die Prozeßbeschleunigung sowie das Interesse der Prozeßpartei an der Justizgewährung schützenswert. Auf dieser Grundlage ist einerseits erklärbar, daß prozessuale Zwecke schlechthin die Sanktionierung eines widerrechtlichen, prozeßerheblichen Parteiverhaltens verhindern können. Andererseits wird verständlich, daß bei doppelfunktionellen Prozeßhandlungen etwa bei ehrverletzendem Parteivortrag im Rechtsstreit oder deliktischen Klagen - die deliktsrechtliche Beurteilung von der Berücksichtigung prozessualer Zwecke beeinflußt sein kann. Auch wenn damit für die Relation von Widerrechtlichkeit und Prozeßrecht ein gewisser theoretischer Ansatz gegeben ist, bleibt im folgenden die Einzelanalyse sämtlicher Fallgestaltungen erforderlich, in denen das Schrifttum materiell-rechtliche Verstöße mit prozessualen Sanktionen versieht.

B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen I. Pflichten zur Vornahme oder Unterlassung von Prozeßhandlungen

Vertraglich begründete Pflichten zur Vornahme oder Unterlassung von Parteiprozeßhandlungen sollen ein innerprozessuales Verhalten reglementieren. Die obige Abgrenzung von Zivil- und Prozeßrecht51 verweist sie daher systematisch in das letztere. Nur ausnahmsweise läßt sich eine zivilrechtliche Zuordnung vornehmen; nämlich dann, wenn die Verpflichtung zu einem prozessualen Verhalten aus der zivilrechtliehen Vertragspflicht resultiert, den Vertragszweck nicht zu beeinträchtigen, konkreter: den Vertragspartner vor Schäden zu bewahren52 • Repräsentativ dafür sind die Beispiele der vertragswidrigen Patentnichtigkeitsklage des Lizenznehmers53 und der Klagerücknahme des 51

I§ 2 B I 3 b (S. 51 f.).

st § 2 C I 1 (S. 85 f.).

184 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen Streitgenossen54• In beiden Fällen kann der Vertragspartner nur vor Schäden bewahrt werden, wenn die Vertragspartei schädigende Prozeßhandlungen unterläßt Mit der Einbettung von Pflichten über prozessuales Verhalten in einen zivilrechtliehen Vertragskomplex ist allerdings weder über die Zulässigkelt und die einzelnen Wirksamkeitsvoraussetzungen derartiger Pflichten noch über deren Rechtswirkungen entschieden. Das Schrifttum mißt zwar die Voraussetzungen für die Entstehung solcher Pflichten am Zivilrecht und transformiert die materiell-rechtlichen Pflichtmaßstäbe mit Hilfe der exceptio doli processualis55 oder der exceptio pacti68 in das Prozeßrecht; diese Transformationsmittel verdecken aber nur die Querverbindungen zwischen beiden Disziplinen57, und der rein zivilrechtliche Prüfungsmaßstab für die Entstehung zivilvertraglicher Nebenpflichten über Parteiprozeßhandlungen erscheint in seiner Unbefangenheit erstaunlich. Wenn nämlich der zivilrechtliche Vertragsverstoß zur prozessualen Unzulässigkelt oder Unbeachtlichkeit vertragswidriger Parteiprozeßhandlungen führen soll, ist die gänzliche Eliminierung prozeßrechtlicher Wertmaßstäbe zumindest fragwürdig. Unproblematisch ist insoweit allenfalls die Vertragspflicht des Lizenznehmers, keine Patentnichtigkeitsklage zu erheben. § 20 Abs. 2 Nr. 4 GWB indiziert für den Lizenzvertrag die Zulässigkeit einer ausdrücklichen Nichtangriffsabrede. Deshalb stößt wohl auch eine inhaltsgleiche Konkretisierung der Nebenpflicht eines Lizenzvertrags, den Patentinhaber vor Schaden zu bewahren, nicht auf Zulässigkeitsschranken. Doch besagt die Singularnorm des § 20 Abs. 2 Nr. 4 GWB nichts über sonstige Fallgestaltungen. Daher bleibt offen, ob nicht die gesellschaftsvertragliche Pflicht des Streitgenossen, die Klage nicht zurückzunehmen, oder die vom BGH erwogene Verpflichtung des Verkäufers, den Käufer vor Schäden durch Klagen zu bewahren58, an prozessualen Zulässigkeltsschranken scheitert. Ein genereller Lösungsansatz für die Voraussetzungen und Wirkungen zivilvertraglicher Nebenpflichten über Parteiprozeßhandlungen ergibt sich daher erst aus der Einsicht, daß deren Reichweite schwerlich größer ist als diejenige ausdrücklicher Vereinbarungen gleichen Inhalts. Das nötigt zu der allgemeinen Frage nach der Zulässigkeit, den einzelnen Wirksamkeitsvoraussetzungen und den Rechtswirkungen verpflichtender Vereinbarungen über ein Prozeßverhalten. Beispiel 1. Beispiel 2. ss BGH GRUR 1958, 157, 158; BGH NJW 1965, 491, 492; vgl. auch BGH LM Nr. 6 zu § 13 PatG; BGH LM Nr. 7 zu § 13 PatG. 58 Zeiss, Prozeßpartei, 106, 108; vgl. auch Lindenmaier, Anm. zu BGH LM Nr. 10 zu § 13 PatG. sa § 1 A, u § 1 A,

57

§ 2 C I 1 (S. 87).

5s

BGHZ 20, 169, 172.

B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen

185

1. Prozeßvereinbarungen als Richtschnur

Der isolierte Blick auf verpflichtende "Prozeßvereinbarungen" erweist sich allerdings als wenig hilfreich. Deren schroffe Trennung von Prozeßvereinbarungen mit Verfügungswirkungse, die Einordnung in das Zivilrecht80 und die partielle Rechtfertigung prozessualer Sanktionen mit Hilfe der exceptio doli processualis81 oder der exceptio pacti82 führen über den dogmatischen Standort des Schrifttums bei den auf ein Parteiprozeßverhalten gerichteten zivilvertraglichen Nebenpflichten keinen Schritt hinaus. Indessen überzeugt die seitherige Grenzziehung zwischen Vereinbarungen mit Verfügungs- und solchen mit Verpflichtungswirkung, wie vor allem die neueren Untersuchungen von HansJürgen Hellwig und Schlosser erweisen83, weder in ihren Resultaten noch in ihrer dogmatischen Folgerichtigkeit völlig. Das gilt nicht nur für die bereits kritisierte84 Ablehnung zusätzlicher Parteipflichten bei Prozeßvereinbarungen mit Verfügungswirkung, sondern auch für die Problematik der Zulässigkeit und der einzelnen Wirksamkeitsvoraussetzungen von Prozeßvereinbarungen. Diese Problematik bildet zwar den Einstieg für die seitherige Abgrenzung; der methodische Ansatz Schiedermairs, der die systematisch'~ Unterscheidung von Verfügungsund Verpflichtungswirkungen entscheidend geprägt hat, ist aber nicht nur in einigen Punkten begrifflich übersteigert, sondern auch durch die kasuistische Ausprägung des Rechts der Prozeßvereinbarungen inzwischen verwischt worden: Schiedermair verweist bei seiner Grenzziehung auf die Konnexität zwischen der intendierten Vertragswirkung und den vertraglichen Wirksamkeitsvoraussetzungen65 sowie darauf, daß das Prozeßrecht der Parteiautonomie engere Grenzen zieht als das Schuldrecht88• Deshalb schließt er von der gewollten prozessualen Rechtswirkung auf die strikteren Zulässigkeitsschranken des Prozeßrechts, dagegen bei Vereinbarungen, die zur Vornahme oder Unterlassung einer Prozeßhandlung verpflichten und in ihren Rechtswirkungen auf Erfüllungs- oder Schaso § 2 B IV 2 a (S. 66 - 67). 60 § 2 B IV 2 a (S. 66 - 67). 61 Vgl. z. B. RGZ 102, 217, 222 ; RGZ 142, 1, 4; RGZ 159, 186, 189 f.; Baumbach/Lauterbach!Albers!Hartmann, § 271 2 B; Schiedermair, 117 ff.; Schänke! Schröder!Niese, § 31 I (S. 147); Stein/Jonas!Schumann!Leipold, § 271 I 3. 62 BGHZ 10, 22, 23; BGH NJW 1958, 1397, 1398; Arwed Blomeyer, § 30 VIII 4 b (S. 148); Schönke!Kuchinke, § 33 V 2 (S. 148 f .); Zeiss, Prozeßpartei, 106, 108. 83 Hans-Jürgen Hellwig, 36, 75; Schlosser, Parteihandeln, 47 ff., 58 ff.; vgl. auch Baumgärtel, AcP 169, 186 ff. 64 § 2 B IV 2 b aa) (S. 68 f.) . es Schiedermair, 39 - 41. 68 s. 47 ff., 173.

186 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen densersatzansprüche begrenzt bleiben87, auf die milderen zivilrechtliehen Maßstäbe. In diesem Sinn formuliert er, prozessuale Wirkungen bedeuteten eine Herrschaft des Prozeßrechts und zivilrechtliche Wirkungen eine solche des Zivilrechts über den Tatbestand88• Die darin ausgedrückte Antithese wird außerhalb der als Ausnahme anerkannten Doppelnatur des Prozeßvergleichs88 nur dadurch etwas gemildert, daß an die Stelle einer gesetzlich verwehrten prozessualen Wirkung im Wege der Umdeutung nach § 140 BGB ein zivilrechtlicher Anspruch, etwa auf Schadenersatz, treten kann70• Diese Doktrin enthält einen unanfechtbaren Kern. Die Zuständigkeit eines Gerichts kann nicht durch Vertrag begründet werden, die Unzulässigkeit vertragswidriger Parteiprozenhandlungen kann nicht eintreten, wenn Prozenrechtsnormen diesen Rechtsfolgen entgegenstehen. Demgegenüber können Schadensersatzansprüche aus einer Prozenvereinbarung auch dann ableitbar sein, wenn diese ohne prozessuale Wirkung bleiben muß. Einen Beleg dafür enthält ein Rechtsstreit vor dem I.G Köln71 : Dort trug eine Partei den von der anderen bestrittenen Abschluß einer Vereinbarung vor, nach der sie zur Verringerung von Kosten ein für das Sachverständigengutachten notwendiges "Aufmaß" zusammen mit dem Gegner selbst erstellen durfte. Wird eine solche streitige Vereinbarung im Prozeß wegen der andernfalls drohenden Verschleppung des Rechtsstreits aus Gründen des öffentlichen Interesses nicht berücksichtigt71, so ist in der Tat denkbar, die zusätzlichen Kosten- notfalls in einem zweiten Prozeß, in dem der Abschluß der Vereinbarung bewiesen werden kann - im Wege des Schadensersatzes geltend zu machen73• Das Prozeßrecht hindert in diesem Fall allenfalls an der Prozeßverzögerung durch Beweiserhebung im ersten Prozeß74, gebietet aber nicht, der im Rechtsstreit unterlegenen Partei die im Widerstreit zur Vereinbarung entstandenen Zusatzkosten endgültig aufzubürden. Auch die Rechtskraft des Urteils im ersten Prozeß tangiert in diesem Falle den Ersatzanspruch nicht. Der Streitgegenstand bleibt unberührt, und über die Kostenfolge existiert schon deshalb kein verbindlicher Ausspruch, weil über die Existenz der Prozeßvereinbarung im ersten Prozeß weder entschieden wurde noch wer-

88

s. 173. s. 39.

71

LG Köln, MDR 1960, 846.

87

et S. 186 ff.; vgl. zur Doppelnatur des Prozeßvergleichs auch Lent/Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 48 li (5. 155) m. w. N. 10 Schiedermair, 181.

Vgl. etwa Schlosser, Parteihandeln, 46 f., 89 f. 78 Vgl. Schlosser, Parteihandeln, 58, 90. 7' Dafür spricht, daß von der Entscheidung über die Vereinbarung allenfalls eine Kostenverringerung abhängt, der Ausgang des Rechtsstreits aber unberührt bleibt. 12

B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen

187

den mußte. Das Beispiel verdeutlicht indessen nur, daß das Prozeßrecht prozessuale Wirkungen aus Prozeßvereinbarungen verbieten, zugleich aber zivilrechtliche Ansprüche zulassen kann. Das gilt aber keineswegs in allen Fällen. Wenn etwa die prozessuale Wirkung der Abrede, überhaupt76 kein Versäumnisurteil zu beantragen oder umgekehrt ein solches ergehen zu lassen, als unwirksam bezeichnet wird78, so kann aus dem gleichen Grunde auch kein Erfüllungsanspruch zugebilligt werden77. Auf der Schadensersatzebene finden sich Entsprechungen. Soweit der Schaden im Prozeßverlust besteht, steht er ohnehin erst mit der unanfechtbaren Entscheidung fest, und der Ersatzanspruch scheitert an der materiellen Rechtskraft des Urteils78. Andererseits können auch hier prozeßrechtliche Normen den Ersatzanspruch verhindern, wenn sie wie beim antizipierten Rügeverzicht die Entschlußfreiheit der Prozeßpartei schützen71. Auch Schiedermair entgeht die Relevanz der Prozeßrechts für zivilrechtliche Ansprüche nicht. Er kann deshalb seine Trennungsthese nur aufrecht erhalten, indem er in solchen Fällen den prozessualen Wertungen über § 134 BGB Eingang in das Zivilrecht verschafft80. Dieser Kunstgriff ändert freilich nicllts daran, daß im Ergebnis dennoch die Maßstäbe des Prozeßrechts über zivilrechtliche Ansprüche entscheiden. Schon deshalb ist eine Trennung in zivilrechtliche Vereinbarungen mit Verpfliclltungswirkung und prozessuale mit Verfügungswirkung, die auf der schematischen Zuordnung nach der Vertragswirkung beruht und nicht auf das geregelte Parteiverhalten blickt8t, fragwürdig. Sie reduziert weiterhin die Kumulation von prozessualen und außerprozessualen Vertragswirkungen82 theoretisch auf den durch den Prozeßvergleich repräsentierten Doppeltatbestand und schließt diese praktisch weithin aus, ohne die damit verbundene Verkürzung der Parteiinteressen zu analysieren. Vor allem aber kann die auf zivilrechtliehe Ansprüche zugeschnittene Einordnung keine verpflichtenden Pro76 Etwas anderes gilt nach h. M. von der Vereinbarung, in einem bestimmten Termin kein Versäumnisurteil zu beantragen; vgl. dazu Baumgärtel, Wesen, 271 und ZZP 69, 123; Schlosser, Parteihandeln, 95; Stein/Jonas!Schumann!Leipotd, Vor § 330 III 1 b. 71 Baumgärtel, Wesen, 269 f.; Nikisch, § 76 VI 6 (S. 303); Stein/Jonas!Schumann/Leipold, Vor§ 330 III 1 b; vgl. auch Schlosser, Parteihandeln, 96. 77 Baumgärtel, Wesen, 270. 78 Hans-Jürgen Hellwig, 70 f.; Schlosser, Parteihandeln, 59; Zeiss, NJW 1967, 706.

n Das übersieht die h. M., wenn sie eine prozessuale Wirkung des antizipierten Rügeverzichts leugnet, aber dennoch Schadensersatz gewähren möchte; vgl. dazu Baumgärtel, Wesen, 270 und dagegen zutreffend Schlosser, Parteihandeln, 58. 80 Schiedermair, 178. 81 Vgl. oben § 2 B I 3 b (S. 49 - 52). 82 § 1 A, Beispiel 8.

188 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen zeßvereinbarungen erfassen, denen mit Hilfe der exceptio doli processualis oder der exceptio pacti dann doch eine prozessuale Wirkung beigemessen wird88• Wenn nämlich verpflichtende Vereinbarungen wirklich stets unter weniger strengen zivilrechtliehen Maßstäben wirksam werden, so führt die zivilrechtliche Etikettierung dieser Vereinbarungen zu dem merkwürdigen Befund, daß prozessuale Wirkungen auf Grund verpflichtender Prozeßverträge nur deshalb unter erleichterten Voraussetzungen eintreten, weil sie auf dem Umweg über den "allgemeinen Rechtsgedanken" des § 242 BGB eingeräumt werden. Diese Merkwürdigkeit wird von den tragenden Gründen des überkommenen Einteilungsschemas nicht gedeckt und bedürfte einer subtilen Begründung84• Die seitherige Doktrin ist mithin einer ganzen Reihe von Einwänden ausgesetzt. Diese bedeuten kein prinzipielles Verdikt gegen die Unterscheidung von Prozeßvereinbarungen mit Verfügungs- und Verpflichtungswirkung. Zweifelhaft ist aber zumindest die seitherige Grenzziehung, die wegen der Parallelität von Vereinbarungen mit Verpflichtungswirkung und inhaltsgleichen zivilvertraglichen Nebenpflichten aus Lizenz-, Gesellschaftsverträgen usw. auch deren Voraussetzungen und Wirkungen berührt. Mit Rücksicht auf diese Parallelität ist es daher geboten, die Zulässigkeit und die t:inzelnen Wirksamkeitsvoraussetzungen verpflichtender "Prozeßvereinbarungen" zu überdenken und dabei die Prozeßvereinbarungen schlechthin in den Untersuchungsrahmen einzubeziehen. a) Zulässsigkeit von Prozeßvereinbarungen Die Analyse der Zulässigkeit von Prozeßvereinbarungen kann sich auf Grund der Einwände gegen die überkommene Doktrin nur im Ansatz auf bekanntem Terrain bewegen. Als unangefochtene These kann zunächst gelten, daß eine unmittelbare Verfahrensgestaltung durch Vertrag zumindest im Grundsatz nicht im Widerstreit zu prozeßrechtlichen Normen begründet werden darf. Weiterhin ist von dem an der Entscheidung des LG Köln85 erhärteten Grundsatz auszugehen, daß prozessuale Normen zwar einer unmittelbaren Verfahrensgestaltung entss Vgl. auch die Kritik von Hans-Jürgen Hellwig, 36 und Schlosser, Parteihandeln, 54. 84 Die Bedenken werden unterstrichen, wenn etwa beim Klagerücknahmevertrag trotz der angeblichen bürgerlich-rechtlichen Natur, die nur eine Transformation der Vertragswirkung über§ 242 BGB in das Prozeßrecht gestatten soll, die "Zulässigkeit des Vertrags vom prozessualen Standpunkt aus" erwogen wird; so Baumgärtel, Wesen, 265. Er hält an dieser Position wohl neuerdings nicht mehr fest, zumal er jetzt verpflichtende Prozeßverträge praktisch nur bei der Zusage einer Gegenleistung für erwägenswert hält; vgl. Baumgärtel AcP 169, 187 f. s& Vgl. vorstehend zu FN 71.

B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen

189

gegenstehen, aber zivilrechtliche Ansprüche zulassen können. Die damit umrissene Konnexität von Vertragswirkungen und Zulässigkeitsschranken erlaubt dagegen keine Unterteilung in zivil- und prozeßrechtliche Vereinbarungen, mit der die zuvor kritisierten unterschiedlichen Zulässigkeitsschranken präjudiziert würden. Deshalb werden im folgenden - im Einklang mit der obigen Abgrenzung von Zivil- und Prozeßrecht86 - zu den Prozeßvereinbarungen sämtliche ausdrücklichen Abreden gerechnet, mit denen ein prozessuales Verhalten geregelt werden soll. Da derartige Vereinbarungen unter Umständen nur zivilrechtliche Ansprüche eröffnen87, ist die weitere Unterscheidung von Prozeßvereinbarungen mit prozessualen Rechtsfolgen und solchen mit zivilrechtliehen Wirkungen zwangsläufig. Letztere gehören zum Kreis der Prozeßvereinbarungen mit Verpßichtungswirkung. Im übrigen ist innerhalb der Prozeßvereinbarungen mit prozessualen Rechtsfolgen nach dem Sinn der seitherigen Grenzziehung von Verfügungs- und Verpflichtungswirkung zu fragen. Schließlich sind auch Vereinbarungen mit Doppelwirkung zu erwägen, die sowohl prozessuale Rechtsfolgen haben als auch die Grundlage zivilrechtlicher Ansprüche bilden können.

aa) Prozeßvereinbarungen mit prozessualen Rechtsfolgen cx) Prozeßvereinbarungen mit Verfügungswirkung

Die meisten Prozeßvereinbarungen mit prozessualen Rechtsfolgen sind nach dem Standpunkt der h. M. solche mit Verfügungswirkung. Sie haben, unabhängig von der neuerdings entstandenen Streitfrage88, inwieweit sie stets von Amts wegen oder bisweilen nur auf prozessuale Einrede im Rechtsstreit zu beachten sind, eine verfahrensgestaltende Wirkung. Bestimmte Parteien können innerhalb der von § 40 ZPO bezogenen Grenzen nach § 38 ZPO die Zuständigkeit eines an sich unzuständigen Gerichts begründen. Der vor Erlaß des Urteils erklärte vertragliche Rechtsmittelverzicht bewirkt, daß das vertragswidrig eingelegte Rechtsmittel zumindest auf Grund einer prozessualen Einrede des Prozeßgegners unzulässig ist89. Auch wenn der Katalog dieser verfahrensgestaltenden Prozeßvereinbarungen im einzelnen bestritten ist, so ist das Problem ihrer Zulässigkeit doch im Prinzip gelöst. Neben die in der ZPO ausdrücklich ein86 § 2 B I 3 b (S. 49- 52). 87 Vgl. vorstehend zu FN 71- 74. 88 Vgl. bereits § 2 B IV 2 a, FN 171; gegen die Kritik an der "Einredetheorie" bei Schlosser, Parteihandeln, 47 ff. wendet sich entschieden Baumgärtet, MDR 1969, 133. Das Problem kann hier offenbleiben. 88 Der vertragliche Rechtsmittelverzicht zählt nur hierher, wenn man ihm mit der wohl h. M. eine Verfügungswirkung beimißt; vgl. über den Streitstand Schlosser, Parteihandeln, 73 ff.

190 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen

geräumten Abreden treten auf Grund der Privatautonomie weitere10• Die Privatautonomie ist zwar als Prinzip der Selbstbestimmung zur Gestaltung privater Rechtsverhältnisse mit Blick auf die schuldrechtliche Vertragsfreiheit entwickelt worden, und die grundsätzlich freie Bestimmung, wie sie dem Schuldrecht eigen ist, entspricht nicht der typischen Normsituation im Prozeß91 ; die Divergenz zwischen Prozeßund Schuldrecht ist aber nur graduell. Auch im Privatrecht gilt die Vertragsfreiheit nur nach Maßgabe der Rechtsordnung12• Der Unterschied zwischen Prozeß- und Schuldrecht bleibt darauf beschränkt, daß das Prozeßrecht mit seinem Formrigor weitaus mehr Zuläsigkeitsschranken aufweist, durch die die Prozeßparteien etwa an der Disposition über den Rechtsweg, die Abgrenzung von Urteils- und Beschlußverfahren oder die gerichtliche Geschäftsverteilung gehindert werden81 • Die Verfahrensgestaltung durch Prozeßvereinbarungen wird damit entscheidend durch zivilprozeßrechtliche Verbotsnormen beschränkt. Diese abstrakte Grenzlinie ist freilich für die Zulässigkeitsproblematik sämtlicher Prozeßvereinbarungen, die das Gesetz unerwähnt läßt, wenig hilfreich. Sie läßt sich auch mit Hilfe einzelner Prozeßrechtsnormen über Prozeßverträge kaum präzisieren. Diese sind so systemlos verstreut84 und auch durch die Erwähnung weiterer Abreden in den Materialien so wenig aufgehellt81, daß sie meist weder einen Umkehrschluß zulassen noch eine Analogiebasis bilden. Ebenso wie das Schlagwort vom Verbot des Konventionalprozesses88 ist daher auch die These vom numerus clausus der gesetzlich geregelten Prozeßverträget7 nur noch von historischem Interesse. Was nicht ausdrücklich zugelassen ist, ist deshalb nicht zwingend verwehrt. Die lückenhafte Reglementierung der Prozeßvereinbarungen verbietet andererseits auch eine Umkehrung: Was nicht verboten ist, muß nicht erlaubt sein. Es kann aber erlaubt sein98• Entscheidend ist, an welchen Stellen die Schranken zwingender Prozeßrechtssätze beginnen und wie diese mangels präziser gesetzlicher Anhaltspunkte zu bestimmen sind. Der im Schrifttum" geläufige HinArens, 37. Gaul, AcP 172, 349. ez Vgl. vor allem Flume, § 1, 10 a (S. 18). 98 Vgl. für viele Hans-Jürgen Hellwig, 89. u4 Goldschmidt, Prozeß, 458 FN 2427; Hans-Jürgen Hellwig, 81; Schiedermair, 47. 95 Hans-Jürgen Hellwig, m. w. N. in FN 4. " Vgl. dazu bereits oben § 2 B IV 2 vor a) (S. 65). 97 Goldschmidt, Prozeß, 311; Konrad Hellwig, System I, § 151 I (S. 449 f.); Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 28 ff., 150 f. us Habscheid, NJW 1965, 2373; Hans-Jürgen Hellwig, 84; Schiedermair, 55. 98 Vgl. etwa Hans-Jürgen Hellwig, 82 ff.; Schiedermair, 47 ff.; Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 35 II (S. 88). 90 91

B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen

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weis auf das von Bülow herausgearbeitete dispositive Zivilprozeßrecht100 leistet dafür nur wenig. Er ist ungenau, wenn man damit die bei dispositiven Normen übliche Vorstellung verbindet, daß an die Stelle einer vom Gesetz normierten subsidiären Rechtsfolge eine von den Parteien verabredet tritt. Damit sind nämlich nicht alle Fangestaltungen erfaßbar. Es geht auch um die Vereinbarung von Rechtsfolgen, die das Gesetz überhaupt nicht regelt101. Die insoweit angezeigte Ergänzung hat Niese vorgenommen, indem er im Anschluß an Überlegungen von Wach102 und Goldschmidt1os den dispositiven die freistellenden Normen gegenübergestellt hatl 04. Die dispositiven und freistellenden Normen bezeichnen aber nur den Freiraum für Prozeßvereinbarungen und präzisieren damit das Zulässigkeitsproblem auf die Abgrenzung zwischen ihnen und den zwingenden Prozeßrechtssätzen. Unterscheidungskriterien sind damit nicht gewonnen. Die Grenzlinie läßt sich nur für einzelne Abreden annähernd exakt umschreiben. Das Gesetz selbst errichtet in Einzelfällen Schranken, indem es Rechtswirkungen nur an einseitige Prozeßhandlungen knüpft105 oder die Parteidisposition über Fristen nur ausnahmsweise zuläßt108. Im übrigen bleibt nur der Rückzug auf die den Zivilprozeß beherrschenden Prinzipien wie die Verhandlungs-107 und Dispositionsmaxime108 sowie deren Grenzen. Maßgeblich ist daher für jede einzelne Prozeßvereinbarung die Abwägung zwischen dem privaten Parteiinteresse am Rechtsschutz und dem öffentlichen Interesse an dessen sinnvoller Gewährung108. Diese vage Direktive läßt sich auch nur unzureichend dadurch konkretisieren, daß man zwischen Normen unterscheidet, die sich an das Gericht, und solchen, die sich auch an die Parteien wenden110. Insgesamt besteht damit ein beträchtlicher Dezisionsspielraum, in den die prinzipielle Anschauung über das Verhältnis zwischen dem Staatsbürger und dem Gemeinwesen einfließt111. Dafür bilden die Berufung 100 Bütow, AcP 64, 1 ff. 101 Niese, Prozeßhandlungen, 80. 102 Wach, Handbuch, 116. 101 Goldschmidt, Prozeß, 302 f. 104 Niese, Prozeßhandlungen, 66 ff. 10s §§ 271, 288, 290, 346, 515, 566 ZPO; zum Klagrücknahmevertrag anschließend unter /l) (S. 195 - 197). 108

Schiedermair, 64 f.

101 Schiedermair, 79. 1oa Baumgärtel, Wesen, 189; Schiedermair, 79. 108 Vgl. z. B. Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VIII 2 (S. 147); HansJü.rgen Hellwig, 83; Rosenberg/Schwab, § 66 III (S. 342); Schiedermair, 56 ff.; Schlosser, Parteihandeln, 46. uo Vgl. Hans-Jü.rgen Heltwig, 88 f. 111

Hans-Jü.rgen Hellwig, 83; Schiedermair, 59.

192 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen auf den von Peter Schneiderm akzentuierten Grundsatz "in dubio pro libertate" 111 sowie der partielle Sinnwandel bei Vereinbarungen über präjudizielle Rechtsverhältnisse11' nachdrückliche Belege. Als allgemeine Einsicht über die Zulässigkeit von Prozeßvereinbarungen mit Verfügungswirkung läßt sich nur festhalten, daß diese stets am Prozeßrecht zu messen sind und in ihrer Wirksamkeit von zwingenden Prozeßrechtssätzen begrenzt werden. Daneben sind weiterhin auch die materiell-rechtlichen Wirksamkeitsschranken zu beachten, soweit diese prozessuale Zwecke nicht beeinträchtigen. Das räumt auch die h. M. im Ergebnis ein, die sich freilich auf der Grundlage des Trennungsdenkens auch hier der Brücke der "allgemeinen Rechtsgedanken" bedienen muß116• Im Ansatz sind daher die Wirksamkeitsvoraussetzungen beider Disziplinen zu erwägen, und die Dominanz des Prozeßrechts beruht nur darauf, daß die materiell-rechtlichen Normen nicht speziell auf prozessuale Verträge zugeschnitten sind118•

ß) Prozeßvereinbarungen mit Verpflichtungswirkung Über die Vereinbarung prozessualer Rechtsfolgen entscheidet - jedenfalls bei Prozeßverträgen mit. Verfügungswirkung- stets auch das Prozeßrecht. Räumt dieses einem Vertrag eine verfahrensgestaltende Wirkung ein, so ist andererseits - jedenfalls prinzipiell - von einer Verfügungswirkung zu sprechen. Diese Ausgangspunkte problematisieren die Fallstrukturen, in denen Doktrin und Praxis Vereinbarungen mit Verpflichtungswirkung auf dem Umweg über § 242 BGB eine prozessuale Wirkung beimessen, in doppelter Hinsicht: Einmal entsteht die Frage nach dem Sinn der Unterscheidung von Verfügungs- und Verpflichtungswirkung bei Fällen, in denen eine von den Parteien intendierte prozessuale Wirkung nach den Maßstäben des Prozeßrechts auf keinerlei Zulässigkeitsschranken stößt. Daneben taucht das Problem auf, ob bei den traditionellmit § 242 BGBgelöstenFällen die prozessuale Wirkung an erleichterte Voraussetzungen geknüpft ist oder ob in Wahr112 Peter Schneider, DJT-Festschrift II, 263 ff. ua Vgl. über die daraus gewonnene Richtschnur für die Parteidisposition im Zivilprozeß: Schlosser, Parteihandeln 1-3. 114 BGH JR 1969, 102; Baur, Festschrift für Bötticher, 1 ff.; Wolf, 62 f. mit FN 16; a. A. Häsemeyer, ZZP 85, 207 ff.; vgl. auch Henckel, Prozeßrecht, 135; Schlosser, Partei handeln, 33 ff.; 96 ff. 115 Vgl. z. B. Rosenberg!Schwab, § 66 V (S. 342).

ue Die Dominanz des Prozeßrechts besagt nicht einmal, daß bei unterschiedlichen Normierungen des Zivil- und Prozeßrechts - etwa bei den Regeln über die (beschränkte) Geschäftsfähigkeit und die Prozeßfähigkeit- für Prozeßvereinbarungen stets die prozessualen Vorschriften anwendbar sind. Entscheidend ist vielmehr die Zweckanalyse der divergierenden Bestimmungen; vgl. dazu unten§ 7 B I 1 b (S. 216- 217).

B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen

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heit Prozeßvereinbarungen mit Verfügungswirkung vorliegen, die nur mit falschem Etikett versehen sind. Der erste der beiden Fragenkreise ergibt sich bei Vereinbarungen, mit denen die Parteien die verabredete prozessuale Wirkung von einer Gegenleistung abhängig machen. Schließen die Parteien einen außergerichtlichen Vergleich, so kann die Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts von der Erfüllung der Verpflichtung aus dem Vergleich abhängig gemacht sein. Die Zulässigkeit einer solchen Vereinbarung, die auch nach dem Standpunkt Schlossers nur auf Einrede zu beachten ist117 , birgt keinerlei Probleme. Wenn der vertragliche Rechtsmittelverzicht zulässig ist, so bleibt er es auch bei einer Verknüpfung mit einer Gegenleistung. Von Interesse ist allein die juristische Konstruktion der Vertragswirkungen. Sie ist hier nicht nur Theorie, da sie eine Richtschnur für die prozessuale Wirkung zivilrechtlicher Vertragspflichten bieten kann. Blickt man nämlich auf die synallagmatische Verknüpfung zwischen der Verpflichtung aus dem Vergleich und dem Rechtsmittelverzicht und folgert daraus mit der h. M.118, die Vereinbarung enthalte nur eine Verpflichtung zum Rechtsmittelverzicht, so bereitet bei Erbringung der Gegenleistung die Konstruktion einer verfahrensgestaltenden Wirkung der Abrede Schwierigkeiten. Auf diese Wirkung ist aber auch die h. M. nach der Auslegungsregel, wonach den Parteien im Zweifel an der stärksten Vertragswirkung liegt118, festgelegt. Das macht ihren Ausweg über § 242 BGB verständlich, mit dem aber nicht verdeckt werden kann, daß die prozessuale Wirkung in Wahrheit doch auf der Verpflichtung beruht. Hans-Jürgen Hellwig sucht diesem Konstruktionsdilemma zu entgehen, indem er neben das synallagmatische Rechtsgrundgeschäftbeispielsweise den außergerichtlichen Vergleich - eine aufschiebend bedingte Prozeßvereinbarung mit Verfügungswirkung stellt120 • Konsequenterweise müßte dann bei zivilrechtliehen Verträgen aus der Pflicht, den Vertragspartner vor Schaden auch durch Prozeßhandlungen zu bewahren121, ein stillschweigender Prozeßvertrag mit Verfügungswirkung abgespalten und bei Prozeßvereinbarungen mit Dopelwirkung 122 scharf zwischen der Verfügungs- und der Verpflichtungswirkung128 unterschieden werden. Indessen wird diese Komplikation vom Recht der Schlosser, Parteihandeln, 81. Baumgärtel, Wesen, 206; Rosenberg/Schwab, § 66 II 2 (S. 341); Schiedermair, 116. 111 Hans-Jürgen Hellwig, 60; Rosenberg/Schwab, § 66 II 2 (S. 341); Schiedermair, 95. 120 Hans-Jürgen Hellwig, 73. 121 Vgl. vorstehend unter § 7 B I vor 1 (S. 183- 185). 122 Vgl. nachfolgend unter cc) (S. 209 - 216). 12a Vgl. aber Hans-Jürgen Hellwig, 72, 92. 111

118

13 Konzen

194 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen Prozeßvereinbarungen nicht gefordert: Die von Hans-Jürgen Hellwig vollzogene schroffe Trennung zwischen Verfügungs- und Verpflichtungswirkungen ist ersichtlich auf das Zivilrecht zugeschnitten, in dem das Abstraktionsprinzip die Unterscheidung zwischen dem auf Erfüllungsund Ersatzansprüche angelegten verpflichtenden Vertrag und der materiell-rechtlichen Verfügung verlangt. Auf diese Relation läßt sich aber im Prozeßrecht, wie Hans-Jürgen Hellwig auch an anderer Stelle nachweist12', nicht abstellen. Entnimmt man nämlich mit Hans-Jürgen Hellwig einem Beweismittelvertrag, mit dem die Vernehmung eines bestimmten Zeugen im Rechtsstreit ausgeschlossen werden soll, neben der Verfügungswirkung auch eine Pflicht zum Schadensersatz bei Vertragsverstößen125, so sind beide Wirkungen verbunden. Die Verpflichtungswirkung folgt aus der Verfügungswirkung 128• Schon dieses Beispiel verwehrt die unbefangene Anknüpfung an Kategorien der Zivilistischen Dogmatik. Zudem stimmt die von Hans-Jürgen Hellwig erstrebte Trennungslinie zwischen einer vertraglichen Verpflichtung und einer verfahrensgestaltenden Wirkung nicht mit der sonstigen Verwendung des Pflichtbegriffs im Zivilprozeßrecht überein. Die Unterscheidung zwischen prozessualen Lasten und gesetzlichen Parteipflichten richtet sich gerade nicht nach inner- oder außerprozessualen Sanktionen, sondern danach, ob eine innerprozessuale Sanktion auch im Interesse eines anderen Prozeßbeteiligten angeordnet ist117• Die damit verbundene Diskrepanz zur zivilrechtliehen Abgrenzung zwischen Obliegenheiten und den auf Ansprüche zugeschnittenen Pflichten128 hat auch ihren guten Sinn: Im Prozeß lassen sich Verhaltensweisen einer Prozeßpartei, vor denen der Gegner geschützt werden soll, vollständig nur mit innerprozessualen Reaktionen durchsetzenu•. Die Zubilligung von Erfüllungsansprüchen wäre wegen der Prozeßverdoppelung ein Umweg und wegen der Ermessensvorschriften der §§ 147, 148 ZPO unzureichend. Da das Gesetz beim Streit um prozessuale Vorfragen keinen selbständigen Instanzenzug einräumt und diese Wertung nicht durch einen Zweitprozeß unterlaufen werden darf 130, stünden aber vor allem prozessuale Schranken entgegen. Letzteres gilt erst recht für Schadensersatzansprüche. 124 1!5

s. 92.

s. 70.

So auch Hans-Jü.rgen Hellwig, 92; allerdings ist, auch wenn man die prozessuale Wirkung des Beweismittelvertrags leugnet, eine Ersatzpflicht denkbar; vgl. anschließend unter bb) (S. 198 - 209). t27 Vgl. dazu § 2 B IV 1 vor a) (S. 58). 12s Vgl. oben § 2 B IV 1 (S. 58). 12e Damit sind Ersatzansprüche aus schuldhaftem Verstoß gegen gesetzliche Parteipflichten im Zivilprozeß nicht prinzipiell verwehrt. Nur ist mit zivilrechtliehen Ansprüchen kein umfassender Rechtsschutz gegen prozessuale Pflichtverstöße möglich. 1ao Vgl. bereits oben § 7 A zu FN 50. 12e

B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen

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Diese müßten, soweit sie einen Prozeßverlust abgelten sollen, an der Urteilsrechtskraft scheitern. Deshalb versieht auch § 427 ZPO die an eine zivilrechtliche Verpflichtung anknüpfende Urkundeneditionspflicht des Prozeßgegners131 nach § 422 ZPO mit einer prozessualen Rechtsfolge. § 427 ZPO verdeutlicht damit nur, daß sogar zivilrechtliche Pflichten, die auf den prozessualen Bereich einwirken, prozessuale Wirkungen herbeiführen. Dann steht aber- in den Grenzen der Parteidisposition im Prozeßrecht - auch nichts entgegen, einer von einer Gegenleistung abhängigen vertraglichen Verpflichtung zu einem Rechtsmittelverzicht eine unmittelbar verfahrensgestaltende Wirkung beizumessen. Festzuhalten bleibt dabei nur, daß in der bislang erörterten Fallgruppe die Verpflichtungswirkung allein im Hinblick auf die synallagmatische Gegenleistung angenommen wird und die prozessuale Rechtsfolge nicht im Widerstreit zu zwingenden prozessualen Normen steht. Ohne die vereinbarte Gegenleistung läge eine Prozeßvereinbarung mit Verfügungswirkung vor. Darin liegt der Unterschied zu den Fallgestaltungen, in denen Doktrin und Praxis ohne vereinbarte Gegenleistung nur eine Verpflichtungswirkung annehmen und dennoch mit Hilfe der exceptio doli processualis zu prozessualen Rechtsfolgen gelangen. Hierher gehören beispielsweise der KlagrücknahmevertragtSt, der vertragliche Ausschluß des Unkundenprozesses oder sonstiger besonderer Verfahrensarten183 und die Vereinbarung, in einem bestimmten Termin kein Versäumnisurteil zu beantragenm. Bei dieser Fallgruppe wird eine Verfügungswirkung entweder gar nicht erwogen oder ausdrücklich abgelehnt136• Die traditionelle Einordnung derartiger Fälle in das Zivilrecht nötigt- jedenfalls bei einer schroffen Abgrenzung zwischen Zivil- und Prozeßrecht nach den Vertragswirkungen - zum Rückzug auf zivilrechtliche Vertragspflichten, die primär Ansprüche erzeugen. Folgerichtig läßt sich dann vertragswidrigen Prozeßhandlungen im Rechtsstreit allenfalls mit dem Gedanken des venire contra factum proprium begegnen. Diese überkommene Vertragskonstruktion bedeutet indessen keine verbindliche Richtschnur. Sie provoziert im Gegenteil den Verdacht, daß die zivili181 Anders nach § 429 ZPO bei der Urkundeneditionspflicht eines Dritten. Hier muß der Doppelprozeß in Kauf genommen werden, da der Dritte am Rechtsstreit nicht beteiligt ist. 182 RGZ 102, 217, 222; RGZ 142, 1, 4; RGZ 159, 186, 189 f.; BGH NJW 1961, 460; BGH NJW 1964, 549, 550; Baumbach!Lauterbach/Alberts!Hartmann, § 271 2 B; Baumgärtel, Wesen, 263 ff.; Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 63 IV

(S. 309 f.); Stein/Jonas!Schumann/Leipold, § 271 I 3. 183 Baumgärtel, Wesen, 271; vgl. auch Schlosser, Parteihandeln, 72 f.,

m.w.N. 184 Vgl. dazu Baumgärtel, Wesen, 271; Schlosser, Parteihandeln, 95; Stein/ Jonas!Schumann!Leipold, Vor § 330 III 1 b. 1as Vgl. am ausführlichsten Baumgärtel, Wesen, 264 ff., 272 ff. 13°

196 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen stische Umetikettierung nur dazu dient, auf einem Umweg vermeintliche oder wirkliche prozessuale Zulässigkeitsschranken zu überwinden. Das ist auch bei anderen Rechtsmaterien ein geläufiger Vorgang; dies beispielsweise im Tarifrecht, in dem die schuldrechtliche Tarifabrede als klassisches "Vehikel der Rechtsentwicklung" 138 oft Tarifinhalte regelt, die auf Grenzen der tariflichen Normsetzungsbefugnis stoßen. Während zumindest beim Verbandstarifvertrag die schuldrechtliche Tarifklausel im Vergleich zur normativen eine stark abgeschwächte Vertragswirkung hat137, erreichen Doktrin und Praxis durch die Berufung auf § 242 BGB bei verpflichtenden "Prozeßvereinbarungen" das gleiche Resultat wie mit einer Verfügungswirkung. Das rechtfertigt die von Schlosser formulierte Kritik188• Entweder bestehen gegen Abschluß eines solchen Vertrags keine prozessualen Bedenken. Dann sind seine Wirkungen diejenigen der vertraglichen Bindung. Anders formuliert: Es handelt sich um eine Prozeßvereinbarung mit Verfügungswirkung. Oder es bestehen prozeßrechtliche Bedenken. Dann darf man der Vereinbarung auch nicht mit dem Vertrauensgrundsatz doch noch Respekt verschaffen. Die früher 138 am ausführlichsten von Baumgärtel am Beispiel des Klagrücknahmevertrags begründete Gegenmeinung, die zwischen der materiell-rechtlichen Vertragsverletzung und der Folgewirkung der unzulässigen Ausübung einer prozessualen Befugnis differenziert140, kann diese klare Position nicht beseitigen. Sie beruht auf der durch § 271 ZPO unterstützten Erwägung, daß die prozeßbeendigende Wirkung der Klagerücknahme erst durch eine Erklärung an das Gericht eintritttu: Wohl deshalb sieht Baumgärtel bei seiner funktionalen Analyse der Vereinbarung einer Klagrücknahme die "charakteristische Wirkung dieses Vertrags in der Verpflichtung des Klägers, sich dem Versprechen gemäß prozessual zu verhalten" 142• Doch läßt sich diese Schwierigkeit auch nicht damit beheben, daß die Prozeßvereinbarungen nur über § 242 BGB zu berücksichtigen ist. Eine Differenzierung zwischen Verfügungs- und Verpflichtungswirkung ist für diese Fallgruppe daher entbehrlich. Baumgärtel selbst räumt dies mittelbar auch ein. Er konstatiert nämlich, daß der durch Vertrag begründete Vertrauenstatbeue Wiedemann, RdA 1968, 423.

Die Tarifparteien können sich angesichts des Verbotes eines Vertrags zu Lasten Dritter auf der Pflichtseite nur zu einer Einwirkung auf ihre Mitglieder verpflichten. Anders bei der Selbstverpflichtung des Arbeitgebers im Firmentarif, die über § 328 BGB zu Vertragsansprüchen der Arbeitnehmer führen kann. 138 Vgl. Schlosser, Parteihandeln, 54; im gleichen Sinn bereits oben § 2 B 137

VI (S. 81). 13&

140 141 141

Vgl. heute Baumgärtel, AcP 169, 187 f. Baumgärtel, Wesen, 224 f.

s. 266. s. 264.

B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen

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stand zwischen den Parteien im Prozeß fortwirke, da "gegen die Zulässigkeit des Vertrags vom prozessualen Standpunkt aus keine Bedenken bestehen"l". Damit ist unabweisbar, daß die prozessuale Zulässigkeit sämtlicher Vereinbarungen mit prozessualen Rechtsfolgen von den zwingenden Normen des Prozeßrechts mitbestimmt wird. Das gilt auch für Prozeßvereinbarungen mit Gegenleistung, aus deren synallagmatisch Verbindung mit der intendierten Prozeßwirkung nach den obigen Erörterungen eine Verpflichtungswirkung resultiert. Diese Feststellung enthält für zivilvertragliche Nebenpflichten zur Vornahme oder Unterlassung von Parteiprozeßhandlungen eine wichtige Teileinsicht: Da die Konkretisierung zivilvertraglicher Nebenpflichten, die den Vertragspartner vor Schäden - auch durch Parteiprozeßhandlungen - bewahren soll, schwerlich eine weiterreichende Wirkung als eine inhaltsgleiche ausdrückliche Abrede haben kann, ist auch sie an den prozessualen Zulässigkeitsschranken zu messen. Diese prozessuale Komponente übersieht der BGH1" bei der von ihm erwogenen nachwirkenden Kaufvertragspflicht des Grundstücksverkäufers, den Käufer vor Schäden durch Klagen zu bewahren145• Selbst wenn die Vertragsauslegung auf eine solche Verpflichtung schließen ließe, so hängt deren Wirksamkeit davon ab, ob der ausdrückliche Ausschluß der Klagmöglichkeit durch Prozeßvereinbarung zulässig ist1 48• Diese Prüfung entscheidet zumindest über die prozessuale Wirkung - die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit- der "vertragswidrigen" Feststellungsklage, über die der BGH im Beispielsfall freilich nicllt zu befinden hatte. Offen bleibt insoweit nur noch das Schicksal der vom BGH geprüften Schadensersatzfolge für Vermögensschäden des Käufers. Auch insoweit enthält die Dogmatik der Prozeßvereinbarungen eine Leitliniem: Ist der in einer Prozeßvereinbarung verabredete Ausschluß der Klagmöglichkeit nach den Normen des Prozeßrechts im Rechtsstreit unbeaclltlich, so hängt die Ersatzpflicht wegen einer schuldhaft vertragswidrig eingelegten Klage davon ab, ob und in welchem Umfang Prozeßvereinbarungen ausschließlich zivilrechtliche Wirkung haben können. Ist der AusS. 265; Hervorhebungen vom Verf. BGHZ 20, 169, 172. 145 § 1 A, Beispiel 10; vgl. vorstehend § 7 B 1 vor 1) (S. 184). 148 Vgl. dazu den Streitstand bei Schtosser, Parteihandeln, 65 ff. 147 Bedenklich deshalb Hopt, 267 FN 9; Er läßt bei der Prüfung von Ersatzansprüchen aus "vertragswidrigem" Prozeßverhalten die Unzulässigkelt der Parteiprozeßhandlungen dahinstehen und klammert die prozessuale Dimension aus, obwohl die Prozeßrechtsnormen auch die Ersatzpflicht ausschließen können. Darin zeigen sich die Nachteile der überkommenen strikten Trennung von vermeintlich rein zivil- und prozeßrechtlichen Problemkreisen. 143

tu

198 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen

schluß dagegen im Rechtsstreit zu beachten, so entsteht das Problem der Zulässigkeit einer Doppelwirkung von Prozeßvereinbarungen. Beide Fallgruppen sind nachfolgend zu betrachten14B. bb) Prozeßvereinbarungen mit zivilrechtlicher Wirkung

Repräsentativ für derartige Vereinbarungen ist die Abrede, die der Kläger in der schon mehrfach erwähnten Entscheidung des LG Köln149 vorgetragen hat: Die Parteien hatten sich danach verpflichtet, zum Zweck der Kostenersparnis für ein Sachverständigengutachten ein notwendiges "Aufmaß" gemeinsam zu erstellen. Der Beklagte hatte eine derartige Abrede bestritten. Das Beispiel zeigt, wie bereits angedeutet160, daß die prozeßrechtlichen Schranken der Parteiautonomie auf den prozessualen Bereich beschränkt sein können und dann zivilrechtliche Ansprüche unberührt lassen. Die Abrede enthält einen Beweismittelvertrag, der gewisse Modalitäten der Beweisaufnahme regelt. Da das Sachverständigengutachten in jedem Fall zu erstatten war, hing von der Beachtung der Abrede der Ausgang des Rechtsstreits nicht ab. Wie stets bei Beweismittelverträgen entstand eine Diskrepanz zwischen dem öffentlichen Interesse an einer Prozeßbeschleunigung, das beim Streit um den Abschluß derartiger Verträge durchkreuzt wird, und dem Parteiwillen, der auf eine Kostenersparnis, den Ausschluß aufwendiger Beweisaufnahmen usw. gerichtet sein kann16 1• Bei der Abwägung zwischen Parteiwille und Prozeßbeschleunigung verdient letztere den Vorrang, wenn eine Beweiserhebung den Sachstreit nicllt fördert, aber notwendigerweise eine Verzögerung des Prozesses verursachen würde. Der Abschluß der Parteivereinbarung über das gemeinsame "Aufmaß" war daher prozessual irrelevant. Er ist aber für einen Ersatzanspruch wesentlich, da der Gedanke der Prozeßbeschleunigung diesen nicht verwehrt161. Das Beispiel ergibt eine allgemeine Einsicht: Wenn das Prozeßrecht nur innerprozessuale Sanktionen verbietet, ist ein zivilrechtlicher Anspruch nicht ausgeschlossen. Dieses Resultat billigt auch die h. M. Sie benötigt dazu aber einen Umweg, in dem sie - auf der Basis der Trennung von Zivil- und Prozeßrecht nach den intendierten Vertragswirkungen - den prozeßrechtlichen Beweismittelvertrag gemäß § 140 BGB as Auch diese Problemkreise sind für die Zubilligung innerprozessualer Wirkungen aus zivilvertraglichen Nebenpflichten bedeutsam; vgl. dazu unten § 7 B I 2 a, b (S. 218- 222). 141 LG Köln, MDR 1960, 846. tso Vgl. oben § 7 B I 1 vor a) (S. 185- 188). 151 Vgl. nur Schlosser, Parteihandeln, 86 f. 152 Schlosser, Parteihandeln, 89 f.

B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen

199

in einen zivilrechtliehen Vertrag umdeutetm. Dahinter steckt die richtige Beobachtung, daß der zivilrechtliche Anspruch in derartigen Fällen nur entsteht, weil die Vereinbarung keine prozessuale Wirkung haben soll. Notwendig ist diese Relation von prozessualer und zivilrechtlicher Wirkung indessen nicht. Denkbar ist auch eine Kumulation, wie sie anschließend bei den Prozeßvereinbarungen mit Doppelwirkung zu beleuchten istm: Hält man mit Hans-Jürgen Hellwig den vertraglichen Ausschluß eines Zeugen für prozessual wirksam und demgemäß im Rechtsstreit für beachtlich166, so kann die prozessuale Wirkung scheitern, wenn der Vertragsabschluß nicht bewiesen werden kann. Geht nunmehr die begünstigte Partei auf einen Ersatzanspruch - z. B. wegen des Abbruchs der geschäftlichen Beziehungen durch den vertragswidrig vernommenen Zeugen160 - über, so kann die h. M. mit ihrer Timdeutungskonstruktion nicht weiterhelfen. Dennoch ist das Parteiinteresse auf beide Vertragswirkungen gerichtet. Deshalb ist es folgerichtig, auch bei Prozeßvereinbarungen, die keine prozessualen, sondern allein zivilrechtliche Wirkungen haben können, letztere unmittelbar auf die Vertragsahrede zurückzuführen. Immerhin weicht die h. M. insoweit nur in der Konstruktion ab, so daß der am Beispiel des LG Köln erläuterte Grundsatz auch eine Leitlinie für sonstige Prozeßvereinbarungen mit zivilrechtlicher Wirkung geben kann. Derartige- dann meist zivilrechtlich verstandene- Vereinbarungen erwägt das Schrifttum bei weiteren Fallgestaltungen. Erwähnung finden meist Erfüllungsansprüche, während Schadensersatzansprüche seltener auftauchen. ~>

Erfüllungsansprüche?

Die größte Bedeutung in der Judikatur haben Erfüllungsansprüche bei Vereinbarungen über Prozeßhandlungen, die im Verfahren eines anderen Gerichtszweigs abgegeben werden sollen. Die Praxis gibt teilweise zivilrechtliehen Erfüllungsansprüchen auf Zurücknahme eines Strafantrags157 oder einer verwaltungsgerichtlichen Klage168 statt. Das KGtaa und ein Teil des strafprozessualen Schrifttums100 wollen einen ua Vgl. bereits oben FN 70. 154 § 7 B I 1 a cc) ~X) (S. 209 - 215). 155 Hans-Jürgen Hetlwig, 90; speziell zum vertraglichen Ausschluß eines Zeugen, S. 70. 15e § 1 A, Beispiel 8. 157 RGZ 42, 60, 63; OLG München, MDR 1967, 223. 158 OLG Bamberg, DVBl. 1967, 55, 56 f.; dazu kritisch Hillermeier, DVBl. 1967, 22. 15& KG NJW 1960, 2207. too Vgl. nur Eberhard Schmidt, Nachträge, Vorbem. vor § 374 Rdnr. 29.

200 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen vertraglichen Privatklageverzicht allenfalls durch die Annahme eines Verfahrenshindernisses, also im Strafprozeß selbst, berücksichtigen und schließen einen zivilrechtliehen Erfüllungsanspruch energisch aus. Hartung181 leugnet in seiner Anmerkung zur Entscheidung des KG sowohl die strafprozessuale als auch die zivilrechtliche Wirkung einer derartigen Absprache. Im Zivilprozeß wird bei dem Verdikt gegen die Vereinbarung, Versäumnisurteile gegen sich ergehen zu lassen oder auf keinen Fall zu beantragen112, konsequenterweise auch ein Erfüllungsanspruch ausgeschlossen118• Der prozeßordnungswidrige Ausschluß des Versäumnisverfahrens oder die mißbräuchliche Inanspruchnahme des Rechtsschutzes dürfen auch nicht durch einen Erfüllungsanspruch eingeräumt werden. Im übrigen findet sich zu Erfüllungsansprüchen aus Prozeßvereinbarungen neben Hinweisen auf den umständlichen und schwierigen Wegm meist der Einwand, es fehleangesichtsder in diesen Fällen möglichen prozessualen Einrede115 am Rechtsschutzinteresse181 • Der Einwand des fehlenden Rechtsschutzinteresses ist indessen allein auf Fälle zugeschnitten, in denen Prozeßvereinbarungen auch eine innerprozessuale Wirkung beigemessen wird und sich die Frage stellt, ob anstelle der prozessualen Wirkung auch ein Erfüllungsanspruch treten kann. Damit sind nicht alle Fallgestaltungen erfaßt. Das Problem eines Erfüllungsanspruchs stellt sich etwa auch bei der in einem außergerichtlichen Vergleich übernommenen Verpflichtung, zwecks Prozeßbeendigung und Erlangung eines Vollstreckungstitels einen Prozeßvergleich anzuschließen187, oder bei der Vereinbarung, in einem Musterprozeß zur Herbeiführung einer höchstrichterlichen Entscheidung Sprungrevision einzulegen168 • Die Fälle zeigen, daß die Problematik umfassender analysiert werden muß, als dies regelmäßig geschieht. Baumgärtel, der das Gesamtthema als einziger beleuchtet189 und folgerichtig zugleich die Klage auf Widerruf oder Unterlassung ehrverletzender Parteiprozeßbehauptungen170 einbezieht171 , konstatiert zu 111 Hartung, NJW 1961, 523. 1a Vgl. dazu Baumgärtel, Wesen, 269 f.; Nikisch, § 76 Jonas!Schumann!Leipold, Vor § 330 III 1 b. 1ea Baumgärtel, Wesen, 270. 114 Hans-Jürgen Hellwig, 127; Kempf, ZZP 73, 379,

VI 6 (S. 303); Stein/

vgl. auch Schlosser, Parteihandeln, 62, 81. 1 85 Darauf weisen mit Blick auf den einfacheren Weg vor allem hin: Bruns, Zivilprozeßrecht, § 19 IV, 3 b 01) (S. 157); Hans-Jürgen Hellwtg, 127. 118

Hans-Jürgen Hellwig, 127.

Vgl. Baumgärtel, Festschrift für Schima, 51. 188 Vgl. Baumgärtel, Festschrift für Schima, 41. 1es Baumgärtel, Festschrift für Schima, 41 ff. 110 § 1 A, Beispiel 11. 171 Baumgärtel, Festschrift für Schima, 41, 54-58.

111

B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen

201

Recht, daß auch hier das Rechtsschutzinteresse als Sammelbecken für ungelöste prozessuale Probleme figuriertm. Das gilt sowohl für eine Klage auf Unterlassung ehrverletzender Prozeßbehauptungen171 als auch für eine solche auf Vornahme vertraglich geschuldeter Prozeßhandlungen. Käme es wirklich allein auf das Rechtsschutzinteresse an, so müßten nämlich sowohl Erfüllungsansprüche eines prozeßunbeteiligten Dritten aus einem Vertrag mit einer Prozeßpartei, wonach diese zur Unterlassung eines Beweisantritts in einem Prozeß verpflichtet wirdm, ebenso unbedenklich im Klagewege durchsetzbar sein wie der Widerruf- oder Unterlassungsanspruch eines durch eine Prozeßbehauptung in seiner Ehre verletzten Dritten 175 • Zum anderen erfaßt der Einwand des fehlenden Rechtsschutzinteresses nicht alle potentiellen Erfüllungsansprüche aus Prozeßvereinbarungen. Und schließlich ist der Rechtsschutz gegen ehrverletzende Prozeßhandlungen, auch wenn sie den Prozeßgegner betreffen, in einem Rechtsstreit über einen anderen Streitgegenstand in doppelter Hinsicht unvollkommen: Selbst wenn die ehrverletzenden Prozeßbehauptungen in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Streitgegenstand stehen 176 , werden sie im Prozeßverlauf nur geprüft, wenn sie in der Sache für den Ausgang des Rechtsstreits konkrete Bedeutung erlangen. Zudem wirkt die ehrverletzende Prozeßbehauptung auch über den Prozeß hinaus, wogegen dessen Sachverhaltsfeststellung keinen ausreichenden Schutz bietet1 77 • In beiden Fällen hilft daher der Gedanke des Rechtsschutzinteresses nicht weiter. In beiden Fällen stellt sich vielmehr das Problem präziser dahin, ob mit der Zulassung einer Erfüllungs-, Widerrufs- oder Unterlassungsklage in einem zweiten Prozeß nicht in die Kompetenzen des Erstgerichts eingegriffen wird178. Diese Erwägung findet sich jedenfalls bei der Fallgruppe ehrverletzender Prozeßbehauptungen in Wendungen, die von einem Eingriff in die Zuständigkeit des Gerichts 179 , einem Entzug des gesetzlichen Richters 180, einem Eingreifen in die Rechtsprechung 112

Baumgärtel, Festschrift für Schima, 43.

Darüber, daß gegen diese häufig auf das Fehlen des Rechtsschutzinteresses hingewiesen wird, vgl. bereits oben § 2 C III, FN 330. m Vgl. Baumgärtel, Festschrift für Schima, 48 f. 173

175

Weitnauer, JZ 1962, 491.

ne Andernfalls werden zivilrechtliche Ansprüche, obwohl das Zweitgericht bereits in der Prüfung des Sachzusammenhangs mit dem Streitgegenstand des Erstprozesses dessen Prozeßstoff wertet, unbedenklich zugelassen; vgl. dazu Jürgen Blomeyer, 46; Baumgärtel, Festschrift für Schima, 55. 111 Baumgärtel, Festschrift für Schima, 55; Schlichting, SchlHA 1966, 102 f.; das wird besonders deutlich, wenn die ehrenrührige Behauptung außerhalb des Prozesses wiederholt wird. 178 Baumgärtel, Festschrift für Schima, 48. 179 18o

Helle, NJW 1961, 1899. Michel, MDR 1959, 711.

202 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen

des anderen Gerichts181 oder von einem Vorgriff sprechen, der die Führung des anderen Prozesses in einer Weise erschwere, die nicht verantwortet werden könne182. Die gleiche "Prozeßverschachtelung" ergibt sich aber auch bei Erfüllungsansprüchen aus Prozeßverträgen, mit denen die Vornahme einer Prozeßhandlung begehrt wird. Dennoch besteht zwischen Erfüllungsansprüchen aus Prozeßverträgen und dem Rechtsschutz gegen ehrverletzende Prozeßbehauptungen ein entscheidender Unterschied. Ihn betont wiederum BaumgärteP83• Während nämlich die vertraglich verabredeten Parteiprozeßhandlungen prinzipiell allein auf den prozessualen Bereich gerichtet sind, hat die ehrverletzende Prozeßbehauptung stets eine Doppelwirkung. Sie ist in dem in dieser Arbeit verwendeten Sinn eine doppelfunktionelle Prozeßhandlung. Neben ihre prozessuale Funktion tritt durch die mit ihr verbundene Ehrverletzung eine materiell-rechtliche Wirkung. Da der Erstprozeß gegen diese nicht hinreichend schützt, muß es grundsätzlich und trotz der Prozeßverschachtelung18' bei den vom Zivilrecht eingeräumten Ansprüchen des Verletzten bleiben. Nur stellt sich ebenso wie bei deliktischen Rechtsverletzungen durch Klagen die Frage, inwieweit bei der Zubilligung von zivilrechtliehen Ansprüchen die prozessuale Funktion der doppelfunktionellen Parteiprozeßhandlung mildernd zu berücksichtigen ist185. Anders ist das bei vertraglichen Erfüllungsansprüchen auf Vornahme von Parteiprozeßhandlungen. Da mit ihnen eine innerprozessuale Wirkung erreicht werden soll, entscheiden allein die prozeßrechtlichen Wertungen über den Erfüllungsanspruch. Diese Wertungen stehen der Zubilligung von Erfüllungsansprüchen weithin entgegen. In den meisten Fällen müßte das Zweitgericht bei einem Erfüllungsanspruch über die Zulässigkeit einer Erwirkungshandlung im Erstprozeß entscheiden188 : bei Klagrücknahmeverträgen etwa über die Zulässigkeit des Klagantrags, beim vereinbarten Ausschluß von Zeugen über die Beachtlichkeit eines Beweisantritts. Daß das Prozeßrecht derartige Prozeßverschachtelungen nicht billigt, demonstriert es nachdrücklich mit seinen Regeln über den Instanzenzug bei prozessualen Vorfragen. Wenn nach §§ 303,512 ZPO Zwischenentscheidungen über prozessuale Vorfragen nicht selbständig anfechtbar sind1B7, so wird der Gesetzeszweck auch durch einen Zweitprozeß mit einem voll ausgebauten Instanzenzug verOLG Köln MDR 1968, 921, 922. BGH JZ 1962, 486, 488. tsa Baumgärtel, Festschrift für Schima, 48 f.; 55. t8t

t8!

tM Sie tritt angeblich nur bei bewußt oder grob wahrheitswidrigen Prozeßbehauptungen ein; vgl. dazu näher I§ 9 B II 2 a aa) (S. 316- 322). tso Vgl. dazu oben § 7 A (S. 177 f.). t88 Baumgärtel, Festschrift für Schima, 48. t87 Darauf weist Baumgärtel hin; Festschrift für Schima, 48.

B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen

203

fehlt, in dem die Zulässigkeit einer Parteiprozeßhandlung im ersten Prozeß den Streitgegenstand bildet. Ähnlich ist es auch bei der für einen Musterprozeß vereinbarten Einlegung einer Sprungrevision. Wird vertragswidrig keine Sprungrevision eingelegt, so hindert regelmäßig bereits der Ablauf der Rechtsmittelfrist an der Realisierung des Vertrags. Zudem würde mit einem durchsetzbaren Erfüllungsanspruch in die funktionelle Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichts eingegriffen188. Erst recht scheidet daher die zivilrechtliche Durchsetzung von Erfüllungsansprüchen auf Vornahme strafprozessualer oder verwaltungsgerichtli.cher Prozeßhandlungen aus. In allen diesen Fällen scheitert ein Erfüllungsanspruch an prozeßrechtlichen Wertungen. Entweder wird die Vertragsbindung in dem Prozeß berücksichtigt, auf den sie einwirken soll, oder sie bleibt ohne prozessuale Relevanz. Das gleiche gilt, wie die neueren Untersuchungen Baumgärteis bestätigen189, auch für Vorverträge, in denen der Abschluß eines prozeßrechtlichen Vertrags versprochen wird. Bei ihnen wird zwar bisweilen ein Erfüllungsanspruch auf Abschluß einer Prozeßvereinbarung anerkannt; dies geschieht aber regelmäßig mit Blick auf das Zustandekommen einer außergerichtlichen Vereinbarung, beispielsweise zur Erzwingung eines Prorogationsvertrags1•o. Man kann füglieh zweifeln, ob bei inhaltlicher Bestimmtheit der Vertragsabrede181 in solchen Fällen überhaupt zwischen Vor- und Hauptvertrag zu unterscheiden ist112• Selbst wenn man das annimmt und aus dem Vorvertrag einen Erfüllungsanspruch auf Abschluß einer Prozeßvereinbarung ableitet, so berührt dieser Erfüllungsanspruch einen anderweit anhängigen Rechtsstreit nicht193. Er ist nicht auf die Vornahme einer Prozeßhandlung in einem anderen Rechtsstreit gerichtet. Etwas anders gilt auf dem Sektor der Vorverträge nur für eine in außergerichtlichem Vergleich getroffene Vereinbarung, einen Prozeßvergleich abzuschließen und damit die Prozeßbeendigung und einen Vollstrekkungstitel nach§ 794 Abs. 1 Nr. 4 ZPO zu erreichen. In diesem Fall hätte ein Erfüllungsanspruch innerprozessuale Relevanz. Er wird in der Tat teilweise befürwortet194. Doch geschieht das nicht wegen der intendierten Prozeßbeendigung als ausschließlich innerprozessualer Wirkung, die 188 Baumgärtel, Festschrift für Schima, 54. 189 Baumgärtel, Festschrift für Schima, 51- 53; teilweise abweichend noch Baumgärtel, Wesen, 273- 276. 190 Vgl. etwa Baumgärtel, Wesen, 273; Schiedermair, 178 ff. 191 Bei inhaltlicher Unbestimmtheit der Vorvertragsabrede scheitert ein einklagbarer Erfüllungsanspruch auf Abschluß des Hauptvertrags ohnehin. 111 Flume, § 33, 7 (S. 614 f.); Schlosser, Parteihandeln, 61; dagegen etwa Baumgärtel, Festschrift für Schima, 51 FN 46; vgl. weiterhin Henrich, 113 ff. ua Der Fall unterscheidet sich nicht vom außerprozessualen Abschluß eines Prorogationsvertrags, der erst mit seiner Einführung in einen schwebenden Rechtsstreit prozessuale Wirkung erlangt. u' Vgl. etwa Schiedermair, 178-180.

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nicht anders als beim Klagerücknahmeversprechen durch Einrede erreichbar ist186• Entscheidend ist vielmehr, daß der Abschluß des Prozeßvergleichs wegen des damit verbundenen Vollstreckungstitels eine über den Prozeß hinausreichende Wirkung hat188• Auch insoweit aber ist hier paßt der Gedanke des Rechtsschutzinteresses- ein Erfüllungsanspruch entbehrlich: Richtet sich der Kläger nicht nach dem außergerichtlichen Vergleich, so kann der Beklagte diesen in den Prozeß einführen und damit den eingeklagten Anspruch bekämpfen197• Die Klage ist dann unbegründet188• Umgekehrt kann der Kläger nach § 268 Nr. 3 ZPO das seitherige Klagebegehren nach dem Inhalt des außergerichtlichen Vergleichs umstellen198 und einen Vollstreckungstitel durch Urteil erreichen. Ein Erfüllungsanspruch gegen den Prozeßgegner auf Vornahme einer Prozeßhandlung in einem anderen Rechtsstreit kann aus einer Prozeßvereinbarung nach allem nicht entnommen werden.

ß) Schadensersatzansprüche Demgegenüber sind Schadensersatzansprüche aus schuldhafter Verletzung von Prozeßvereinbarungen, auch wenn diesen nach Maßgabe der prozeßrechtlichen Wertungen keine innerprozessuale Relevanz zukommt, nicht schlechthin zu versagen. Ersatzansprüche lassen den prozessualen Bereich prinzipiell unberührt. Soweit sie es nicht tun und beispielsweise einen Prozeßverlust abgelten sollen, hindert die Präjudizialität der Entscheidung im Erstprozeß, konkreter: die materielle Rechtskraft des Ersturteils an ihrer Durchsetzung. Auf diese Weise ist der vom Streitgegenstand umrissene "prozessuale Bereich" durch außerprozessuale Sanktionen niemals reglementierbar. Übrig bleiben Randschäden, die durch vertragswidriges Prozeßverhalten verursacht sind. Dazu gehört nicht nur der Ersatz von Prozeßkosten, sondern auch der Abbruch geschäftlicher Beziehungen oder der entgangene Gewinn aus der unterlassenen Veräußerung einer Sache, um die im Widerstreit zu einer Prozeßvereinbarung ein Rechtsstreit geführt wird. Auch wenn die Prozeßvereinbarung aufgrund prozessualer Maßstäbe im Prozeß irrelevant ist, bleibt Raum für eine Sanktionierung derartiger Randschäden. 1us Baumgärtel, Festschrift für Schima, 51 f.

198 Insofern ergibt sich eine Parallele zu den ehrverletzenden Parteiprozeßbehauptungen, die auf der materiell-rechtlichen Funktion des Prozeßvergleichs beruht. Selbst wenn man im Widerstreit zum obigen Text einen Erfüllungsanspruch auf Abschluß eines Prozeßvergleichs zubilligt, läßt dies daher keine Schlußfolgerung für die Vornahme reiner Prozeßhandlungen zu. 187 Baumgärtel, Festschrift für Schima, 53; Schlosser, Parteihandeln, 101; vgl. auch RGZ 142, 1, 4; RGZ 161, 350, 353. 1se Schlosser, Parteihandeln, 101. 199 Baumgärtel, Festschrift für Schima, 52.

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Entsch.eidend ist freilich derZweckder prozessualen Zulässigkei tssch.ranke: Berührt er wie beim Schutz der Entsch.lußfreiheit einer Prozeßpartei auch außerprozessuale Sanktionen, so ist auch eine Ersatzpflicht verwehrt200• Bleibt er dagegen wie der Gedanke der Prozeßbeschleunigung allein auf den Prozeßverlauf gerichtet, steht einem Anspruch auf Ersatz der außerhalb des Prozesses entstehenden Schäden nichts entgegen201 • Gegen diesen Standpunkt ließe sich allenfalls einwenden, das Prozeßrech.t errichte mit seiner Kostenentscheidung eine abschließende Wertungsgrenze, welche den Ersatz weitergehender Vermögensschäden aus prozessualem Verhalten ausschließe. Dieser Gedanke ist nicht speziell auf Schadensersatzpflichten aus Prozeßvereinbarungen zugeschnitten, sondern auch für den von Dölle erwogenen Ersatzanspruch aus grob schuldhafter Prozeßverschleppung202 oder die Schadensersatzpflicht aus deliktischen Klagen203 relevant. Er wird in diesem Zusammenhang kaum erörtert204 , greift aber auch letztlich nur ganz selten durch: Allgemein formuliert geht es um die Frage, inwieweit die Prozeßführung zu vertraglich oder gesetzlich begründeten Schadensersatzpflichten führen kann. Vom ZivilrechtlichenStandpunkt aus sind insoweit keineBedenken anzumelden. Beruft sich der Kläger mit seiner Unterlassungsklage zu Unrecht auf ein gewerbliches Schutzrech.t, so führt nach zivilrechtliehen Maßstäben eine damit verbundene schuldhafte Verletzung des Gegnerrechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gemäß § 823 Abs. 1 BGB zu einem Anspruch auf Ersatz des gesamten verursachten Schadens. Der Vermögensnachteil des Beklagten kann dabei die zur Rechtsverteidigung notwendigen Kosten (§ 91 ZPO), weiterhin darüber hinausgehende Aufwendungen für private Sachverständigen- oder Rech.tsgutach.ten206 und schließlich auch den Verlust für die aufgrund des Rechtsstreits unterlassene gewerbliche Nutzung einer Ware sein. Eine prozessuale Schranke ist zunächst für den gesamten Ersatzanspruch - auch für die Kosten - im Hinblick auf die "Verkümmerung des 2oo Bedenklich insoweit Schiedermair, der den Ausschluß der Klagmöglichkeit für prozessual unwirksam hält, aber Schadensersatz zubilligen will; vgl. Schiedermair, 90-94, 181; dagegen zu Recht Schlosser, Parteihandeln, 66. 201 Insoweit scheidet auch eine Rechtskraftwirkung im Hinblick auf "rechtliche Sinnzusammenhänge" (Zeuner) aus. Die prozessualen Vereinbarungen, aus denen hier Schadensersatz begehrt wird, sind aufgrundprozessualer Wertungen im Rechtsstreit irrelevant. Sie sind im Erstprozeß nicht zu prüfen, so daß dessen Entscheidung auch keine Bindung für einen zweiten Rechtsstreit enthält, in dem auf Schadensersatz geklagt wird. 202 Dölle, Festschrift für Riese, 291, 292; vgl. § 1 A, Beispiel 9. 203 § 1 A, Beispiel 10. 204 Vgl. aber Baur, JZ 1962, 96; Fenn, ZHR 132, 359; Hopt, 197- 200; Zeiss, NJW 1967, 708 f. 205 Sie sind meist keine notwendigen Prozeßkosten; vgl. Stein/Jonas!Pohle,

§ 91 VII 5.

206 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen Rechtsschutzes" 208 zu erwägen207• Doch wird damit nicht der Umfang eines Schadensersatzanspruchs allein auf die Gewährung der Prozeßkosten reduziert. Für diesen Umfang der Ersatzpflicht entsteht ein Problem erst durch die Konkurrenz mit dem prozessualen Kostentragungsregeln. Es wird meist unter dem Stichwort "sachlich-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch" 208 erörtert, wobei dessen Relation zur prozessualen Kostenerstattungspflicht in Frage steht. Den Ausgangspunkt bilden daher die Kostenvorschriften der ZPO. Gemäß § 308 Abs. 2 ZPO trifft das Gericht im Urteil nach Maßgabe der§§ 91 ff. ZPO eine Kostenentscheidung. Nacll § 91 Abs. 1 ZPO hat die unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Dazu gehören auch die Kosten des Gegners; allerdings nur die notwendigen Kosten. Diese Kosten sind nach Maßgabe des § 91 ZPO gern. §§ 103 ff. ZPO durch einen Kostenfestsetzungsbeschluß festzusetzen. Dieser dient als Vollstreckungstitel und darf nur die notwendigen Prozeßkosten erfassen. Es liegt nahe, daß dieses Normengeflecht auch Auswirkungen auf inhaltsgleiche und weiterreichende Schadensersatzansprüche aus Vertrag oder Delikt haben kann. Das ergibt sich schon aus der Mehrzahl der Verfahren und Entscheidungen: Neben das Verfahren vor dem Prozeßgericht, in dem der Ersatzanspruch geltend gemacht wird, tritt konkurrierend das Kostenfestsetzungsverfahren. Weiterhin sagt der aufgrund des § 308 Abs. 2 ZPO ergangene gerichtliche Ausspruch, wer die Kosten zu tragen hat. Schließlich entscheidet der Kostenfestsetzungsbeschluß, welche Kosten zu den notwendigen und erstattungsfähigen gehören. Möglicherweise werden diese Entscheidungen tangiert, wenn ein damit nicht kongruenter Schadensersatzanspruch in einem Zweitprozeß erhoben wird. Denkbar sind auch inhaltliche Grenzen der Ersatzpflicht. § 91 Abs.1 ZPO könnte mit der Begrenzung auf notwendige Kosten eineSehranke gegen weiterreichendeSchadensersatzpflichten aus der Prozeßführung einer Partei errichten. Ein ganzes Bündel von Zweifelsfragen taucht auf. Für ihre Lösung sind nur spärliche Anhaltspunkte verfügbar. Einen enthält § 91 Abs. 1 ZPO. Die Vorschrift spricht von Kosten, also von Vermögensaufwendungen für den Rechtsstreit. Aufwendungen werden gemacht, Schäden erlitten. Von Schäden ist in § 91 ZPO aus gutem Grund nicht die Rede. Der Beispielsfall der unberechtigten Schutzrechtsberühmung im Rechtsstreit zeigt, daß der aus der Rechtsverletzung resultierende Schaden nicht zum Streitgegenstand des Prozesses gehört. 201 Präziser: Die prozessuale Funktion der Parteiprozeßhandlung kann auch ihre materiell-rechtliche Bewertung beeinflussen. 201 Im Zusammenhang mit Kosten allein erwähnt von Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 95 III 2 (S. 322). 2os Vgl. etwa Stein!Jonas!Pohle, Vor § 91 III.

B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen

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Deshalb wird im Einklang mit der Begründung des Entwurfs zur ZP02011 auch allgemein angenommen, daß Schadensersatzansprüche, die außerhalb der Kostenaufwendungen für den Rechtsstreit liegen, durch die prozessualen Kostenregelungen nicht berührt werden21 o. Weiterhin ist auch nach den Grundsätzen über das Rechtsschutzinteresse das Verfahren vor dem Prozeßgericht versperrt, wenn sich der Ersatzanspruch mit dem prozessualen Kostenerstattungsanspruch deckt. Das Kostenfestsetzungsverfahren ist der einfachere Weg211 • Klarheit besteht auch über die Sondernorm des § 61 Abs. 1 S. 2 ArbGG, die eine Entschädigung wegen Zeitversäumnis sowie die Kostenerstattung für die Beiziehung eines Prozeßbevollmächtigten verwehrt. Die Bestimmung will den Arbeitnehmer aus sozialen Gründen vor Kostenfurcht bewahren212 • Ihr Zweck steht daher auch einem sachlich-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch entgegenus. Die übrigen Punkte werden kontrovers diskutiert. Es sind im wesentlichen drei: Der erste betrifft die potentielle Korrektur des Kostenausspruchs des Urteils im Erstprozeß durch einen in einem Zweitprozeß erhobenen Ersatzanspruch. Zeiss hält ihn für ausgeschlossen, soweit er Prozeßkosten ausgleichen soll214• Andere plädieren für eine Korrektur, wenn Umstände vorliegen, die bei der prozessualen Kostenentscheidung nicht berücksichtigt werden konnten216• Bestritten ist auch, ob außerprozessuale Kosten im Wege des Schadensersatzes erstattet werden können, wenn sie die Grenze der notwendigen Kosten im Sinne des § 91 Abs. 1 ZPO überschreiten. Die Befürworter der Ersatzpflicht verweisen auf das für Vertragsverstöße und Deliktshandlungen charakteristischeVerschuldenserfordernis218, dieGegner sehen in der Norm für die 209 Vgl. Hahn, Materialien, 197: (zur Begründung des § 85) "Außerhalb des Prozeßkostenersatzes liegen Schadensersatzansprüche, deren Fundament nicht allein durch die Tatsache des Obsiegs im Rechtsstreite, sondern noch durch weitere Umstände begründet werden. Solche Forderungen sind in besonderem Prozesse zu verfolgen." 21o Vgl. etwa Baur, JZ 1962, 496; Schönke/Kuchinke, § 89 IV (5. 461); Zeiss, NJW 1967, 708. 211 Hopt, 198 FN 9; Lent/Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 95 V (S. 295); Rosenberg/Schwab, § 87 V 4 (S. 407); Schönke/Kuchinke, § 89 IV (S. 461); Stein/ Jonas/Pohle, Vor§ 91 III 4; Zeiss, NJW 1967, 708. !12 RAG 20, 88, 89; Grunsky, Anm. zu BAG AP Nr. 10 zu § 61 ArbGG 1953 Kosten. 213 BAG AP Nr. 3 und 10 zu § 61 ArbGG 1953 Kosten. 214 Zeiss, NJW 1967, 708; anders für Aufwendungen und Schäden, die keine Prozeßkosten seien. m BGH MDR 1966, 739; Fenn, ZHR 132, 359; Lent/Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 95 V (S. 289); Stein/Jonas/Pohle, Vor § 91 III 1; vgl. auch BGH BB

1966, 757.

21e BGH LM Nr. 18 zu§ 839 (D) BGB; BGH LM Nr. 18 zu§ 839 (Fe) BGB; Hopt, 198 f.; Schönke/Kuchinke, § 87 IV (S. 461); Zeiss, NJW 1967, 708. Schranken der Ersatzpflicht können sich aber aus § 254 BGB ergeben.

208 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen Kostenerstattung eine abschließende Wertungsgrenze217 • Damit verknüpft ist die Frage, ob der rechtskräftige Kostenfestsetzungsbeschluß verschuldensahhängige Ersatzansprüche nicht ausschließt218 oder prinzipiell verhindert21' oder dann versperrt, wenn die Kostenforderung im Festsetzungsbeschluß ausdrücklich zurückgewiesen worden ist110• Die Kontroverse leidet darunter, daß sie zu pauschal geführt wird. Als Fixpunkt muß gelten, daß Schadensersatzansprüche grundsätzlich bestehen und nur an dem Zweck prozessualer Normen scheitern können. Gegen eine verbindliche Beschränkung auf notwendige Kosten na-ch § 91 ZPO spricht, daß die prozessuale Kostenregelung global am Prozeßverlust anknüpft und vom Verschuldensmerkmal absieht. Auch wenn § 91 ZPO zwischen dem besonderen Kostenrisiko und dem allgemeinen Lebensrisiko für sonstige Aufwendungen und Schäden unterteilt221 , besteht kein Anlaß, diese Aufspaltung auf verschuldensahhängige Ersatzansprüche zu projizieren. Die Motive des Gesetzes deuten im Gegenteil auf einen unbeschränkten Ersatzanspruch hin!!!. Damit ergibt si-ch zugleich eine Richtschnur für die Rechtskraftproblematik des Kostenfestsetzungsbeschlusses. Dessen Entscheidungsgegenstand ist eingeschränkt. Er umfaßt im Rahmen des Kos~;enausspruchs im Urteil nur die Prüfung, ob Kosten vorliegen, die vom RE:chtsstreit verursa-cht und notwendig sind. Die Rechtskraft kann deshalb nicht weiterreichen, als die von Verschulden unabhängige prozessuale Kostentragungsregelung. Als mögliche letzte Schranke bleibt der Kostenausspruch im Urteil. Er besagt, daß die obsiegende Partei keine Kosten zu tragen hat; keine notwendigen und erst recht keine sonstigen. Aber das Urteil trifft diesen Ausspruch nur im Rahmen der Prüfung über den konkreten Streitgegenstand. Der schuldhafte Vertragsverstoß und das Delikt, die den Ersatzanspru-ch auf Kostenerstattung tragen, werden regelmäßig nicht geprüft. Deshalb ist allenfalls erwägenswert, daß ein Ersatzanspruch auf Kostenerstattung aus grob schuldhafter Prozeßverschleppung118 scheitert214, wenn das Gericht eine solche nicht annimmt und deshalb der Prozeßverlust mit der Kostenregelung eintritt225 • Soweit aber wie im Bei211 RG JW 1926, 1542; Baur, JZ 1962, 96; Stein!Jonas!Pohle, Vor§ 91 III 2; im Grundsatz auch Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 129 V 2 a (S. 739), der unter b) (S. 739) aber Notverkäufe zur Geldbeschaffung für den Prozeß und extremen Zeitverlust ausnimmt. 21s Hopt, 199; Rosenberg!Schu.•ab, § 87 V 4 (S. 429). 21u OLG Naumburg, ZZP 24, 260, 261. m Stein/Jonas/Pohle, Vor § 91 III 4; Zeiss, NJW 1967, 708.

221 222

!23 224

22s

Pü.hmeyer, 77 f. Vgl. oben FN 209. Vgl. § 1 A, Beispiel 9. Henckel, Prozeßrecht, 292; Schröder, JZ 1965, 310. Vgl. anschließend § 7 B I 1 a cc) «) (S. 214 f.).

B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen

209

spielsfall des LG Köln das Gericht eine Prozeßvereinbarung aus Gründen der Prozeßbeschleunigung gar nicht prüfen durfte, ist sein Kostenausspruch auch keine verbindliche Schranke gegen einen korrigierenden Anspruch auf partielle Kostenerstattung228• Schadensersatzansprüche aus Prozeßvereinbarungen, die aufgrund prozessualer Wertungen im Prozeß unbeachtlich sind, werden mithin durch die prozessuale Kostentragungsregelung nicht ausgeschlossen. cc) Prozeßvereinbarungen mit Doppelwirkung !X) Schadensersatz neben prozessualen Rechtsfolgen

Nach h. M. entsteht eine Ersatzpflicht aus schuldhafter Verletzung von Abreden über die Vornahme oder Unterlassung von Prozeßhandlungen nur, wenn die Vereinbarung von Rechts wegen im Prozeß nicht zu beachten ist, die prozeßrechtlichen Wertungen aber keinen Schadensersatzanspruch verbieten. Nur dann sollen die außerhalb des Prozesses liegenden Schäden ausgleichbar sein. Irrt sich dagegen das Gericht über die innerprozessuale Tragweite einer Prozeßvereinbarung oder kann deren Abschluß von der begünstigten Partei nicht bewiesen werden, bleibt die Abrede also nur aus faktischen Gründen unbeachtet, so billigen Doktrin und Praxis auch keinen Schadensersatzanspruch zu221• Diese Merkwürdigkeit läßt sich am Beispiel von Beweismittelverträgen belegen: Ist- wie in der Entscheidung des LG Köln - der Beweismittelvertrag prozessual unwirksam, weil er nur Modalitäten der Beweisaufnahme regelt, so verbleibt dem Geschädigten ein Ersatzanspruch auf partielle Kostenerstattung228 • Anders beim Vertrag über den Ausschluß eines bestimmten Zeugen228 : Die Vereinbarung ist prozessual wirksam280 und nur irrelevant, wenn sie im Rechtsstreit nicht bewiesen werden kann. Bricht nun der vertragswidrig vernommene Zeuge seine Geschäftsbeziehungen ab, so kann die vom Beweismittelvertrag begünstigte Prozeßpartei nach dem Standpunkt der h. M. diesen Vermögensnachteil auch nicht mit einem Schadensersatzanspruch gegen den Prozeßgegner ausgleichen231 • Die Prozeßvereinbarung soll ersichtlich nicht die Grundlage für die innerprozessuale Unzulässigkeit oder Unbeachtlichkeit vertragswidriger Parteiprozeßhandlungen und notfalls zugleich für zivilrechtliche Ersatzansprüche abgeben können. Eine Kumulation Vgl. oben § 7 B I 1 vor a) (S. 185 - 188). Rosenberg!Schwab, § 66 II 2 (S. 341); Schiedermair, 96. 22s Vgl. oben § 7 B I 1 a bb) vor a:) (S. 198 - 199). 220 § 1 A, Beispiel 8. 2ao Vgl. zum Streitstand im einzelnen Schlosser, Parteihandeln, 83 ff. 2s1 Vgl. die Kritik bei Hans-Jilrgen Hellwig, 70. 22e

227

14 Konzen

210 § 7 ZivilrechtliChe Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen prozessualer und zivilrechtlicher Wirkungen erscheint verwehrt. Die Kumulation prozessualer und zivilrechtlicher Rechtsfolgen ist dann auch bei zivilrechtliehen Vertragspflichten problematisch, die ein Prozeßverhalten regeln. Erwägt man die dem BGH232 für einen Grundstückskaufvertrag eine Pflicht des Verkäufers, den Vertragszweck nicht durch Klagen zu gefährden211 und hält man den damit intendierten Ausschluß einer Feststellungsklage für wirksam, so entsteht die gleiche Problemlage. Folgerichtig müßte dann die Feststellungsklage unzulässig sein. Dagegen müßte ein Schadensersatzanspruch ausscheiden, obwohl der Käufer aufgrund der unzulässigen Feststellungsklage von der Bebauung des umstrittenen Grundstücks zunächst abgesehen und durch die Bauverzögerung einen beträchtlichen Vermögensschaden erlitten hat. Im Gegensatz zur Auffassung des BGH11' wäre dafür nicht die drohende "Verkümmerung des Rechtsschutzes" maßgeblich, sondern das konstruktive Verdikt gegen die Kumulation prozessualer und zivilrechtlicher Vertragswirkungen. Dieses mehrfach bezweifelte)!35 Verdikt entstammt indessen dem begriffsjuristischen Arsenal. Hans-Jürgen Hellwig gelangt bei einer Analyse der Parteiinteressen zu der These, daß jedenfalls bei Prozeßvereinbarungen mit negativer Verfügungswirkung 236 die begünstigte Prozeßpartei mit Hilfe einer zusätzlichen Verpflichtungswirkung geschützt werden könne237• Als Beispielsfälle dienen ihm neben dem im Rechtsstreit nicht beweisbaren Beweismittelvertrag über den Ausschluß eines bestimmten Zeugen die besonders in wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten schadensträchtige Prozeßverzögerung durch ein vertragswidrig eingelegtes und deshalb letztlich erfolgloses Rechtsmittel238 sowie die Fallgestaltungen der Rechts- und Schuldnachfolge, bei denen der Nachfolger die auch ihn begünstigende Prozeßvereinbarung mit negativer Verfügungswirkung nicht kennt und deshalb im Gegensatz zu dem schuldhaft vertragswidrig handelnden Prozeßgegner im Rechtsstreit auch nicht vortragen kann 239 • In derartigen Fällen liegt der Vertragszweck darin, die mit der Abrede belastete Prozeßpartei in ihrer Entschlußfreiheit einzuschränken240• In dieser Begrenzung der EntschlußBGHZ 20, 169, 172. m § 1 A, Beispiel 10. zu BGHZ 20, 169, 172. 235 Vgl. oben § 2 B IV 2 b aa) (S. 68); § 2 C vor I (S. 84); § 2 C IV (S. 91). 238 Die Verfügungswirkung kann positiv oder negativ sein, je nachdem, ob sie prozessuale Möglichkeiten, Befugnisse etc. begründet oder aufhebt; vgl. Baumgärtel, Wesen, 186 ff.; Hans-Jü.rgen Hellwig, 61 f.; Schiedermair, 97 ff. ta!

237

Hans-Jü.rgen Hellwig, 64-67.

2sa Hans-Jü.rgen Hellwig, NJW 231

240

1968, 1075 f.

Hans-Jü.rgen Hellwig, 67 - 70. Hans-Jü.rgen Hellwig, 65.

B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen

211

freiheit liegt zugleich ein Pflichtelement. Der Vertragspartner hat es zwar in der Hand, durch Einführung des Vertrags in den Prozeß die intendierte Vertragsgestaltung selbst herbeizuführen; die prozessuale Wirkung ist aber auch sonst den (gesetzlichen) prozessualen Pflichten eigen. Der prozessuale Pflichtbegriff wird danach bestimmt, ob die Rechtsordnung ein Verhalten fordert oder mißbilligt. Maßgeblich ist also bei gewillkürten Pflichten die- vom Prozeßrecht nicht verwehrte- Vertragsbindung. Sie besagt hier, daß die Entschlußfreiheit eingeschränkt werden soU. Das vertragswidrige Verhalten ist also im prozessualen Sinn pflichtwidrig. Das bedeutet nicht, daß die Folgen der Pflichtwidrigkeit auf eine innerprozessuale Wirkung begrenzt bleiben müßten. Im Gegenteil: Den Parteien ist nach einer gängigen Auslegungsformel im Zweifel an der stärksten Vertragswirkung gelegen. Der Vertragszweck deckt deshalb auch das aus der Verpflichtungswirkung resultierende Schadensrisiko, das die intendierte Einschränkung der Prozeßführung durch den vom Vertrag Belasteten unterstreicht. Das Nebeneinander von prozessualer Rechtswirkung und Schadensersatzfolge entspricht also der Parteiintention. Das gilt nicht nur für die von Hans Jürgen Hellwig beobachtete Verknüpfung von Verfügungs- und Verpflichtungswirkung, sondern auch bei Prozeßvereinbarungen, bei denen die prozessuale Rechtsfolge wegen einer synallagmatischen Gegenleistung auf einer Verpflichtungswirkung beruht. Das Parteiinteresse spricht für Prozeßvereinbarungen mit Doppelwirkung. Es ist daher unzutreffend, wenn eine zusätzliche Schadensersatzpflicht im Hinblick auf ein fehlendes Bedürfnis geleugnet wird241 • Die von Hans-Jürgen Hellwig verwendeten Beispiele widerlegen auch die Einwände von Zeiss, der in der Unterlassung der prozessualen Einrede einen actus contrarius erblickt und außerdem auf § 254 BGB hinweist242. Die h. M. fühlt sich demgegenüber, wie die bereits kritisierte Fundstelle bei Schiedermair unterstreicht243, an der Kumulation der Rechtsfolgen auch mehr durch die instrumentale, an den Wirkungen der Verträge orientierte Trennung von Zivil- und Prozeßrecht gehindert. Das Trennungsdogma triumphiert über den Parteiwillen. Damit ist auch die Diskrepanz mit der Ersatzpflicht aus solcllen Prozeßvereinbarungen zu erklären, die gegen zwingendes Prozeßrecht verstoßen. Bei diesen fehlt die prozessuale Vertragswirkung. Folglich bleibt bei einer Umdeutung in einen zivilrechtliehen Vertrag gemäߧ 140 BGB die schroffe Antithese gewahrt. Diese Diskrepanz ist aber nicht nur interessenwidrig. Sie ist aucll systematisch nicht haltbar. In beiden 24.1 242

Vgl. z. B. Rosenberg/Schwab, § 66 II 2 (S. 341). Zeiss, NJW 1967, 706; vgl. zu den von Zeiss angestellten Rechtskraft-

erwägungen den nachfolgenden Text. 243 Schiedermair, 96; vgl. dazu oben § 2 B IV 2 b aa) (S. 69).

212 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen Fällen ist die Abgeltung des Prozeßverlusts im Wege des Schadensersatzes durch Rechtskraftschranken versperrt. Bei beiden geht es um außerprozessuale Folgeschäden von Prozeßvereinbarungen. Der einzige Unterschied besteht darin, daß bei den vom vertraglichen Zeugenausschluß repräsentierten Fallgestaltungen die Prozeßvereinbarung im Widerspruch zur wahren Rechtslage keine prozessuale Relevanz erlangt hat. Wenn dieser Unterschied auch einen Schadensersatzanspruch vereiteln soll, so muß sich dies aus gesetzlichen Wertungen ergeben. In Frage kommen nur solche des Prozeßrechts, die sich nach Abschluß des ersten Prozesses mit der Geltendmachung von Ansprüchen in einem zweiten Rechtsstreit befassen. Sedes materiae sind also die Normen über die Rechtskraft, konkreter: die von § 322 Abs. 1 ZPO umrissene objektive Rechtskraftwirkung und ihre Grenzen. In Rechtskraft erwächst der prozessuale Anspruch. Das heißt nach der klassischen Konzeption des Gesetzgebers: Die Rechtskraft läßt die Entscheidungsgründe, insbesondere die präjudiziellen Rechtsverhältnisse, unberührt. Es gilt der Dreiklang von der Identität, der Präjudizialität und dem kontradiktorischen Gegenteil: Die Rechtskraftsperre erfaßt nur die erneute Geltendma.chung desselben prozessualen Anspruchs sowie seines genauen Gegenteils. Der Gesichtspunkt der Präjudizialität greift nur ein, wenn das vom Urteilsausspruch erfaßte Rechtsverhältnis seinerseits Tatbestandsmerkmal eines im zweiten Prozeß geltend gemachten materiellrechtlichen Anspruchs ist; etwa das rechtskräftig festgestellte Eigentum beim Herausgabeanspruch aus § 985 BGB. Anders ist es, wenn zuerst auf Herausgabe nach § 985 BGB und nach rechtskräftiger Entscheidung auf Schadensersatz gemäß §§ 990, 989 BGB geklagt wird. Dann ist das Eigentum zwar für beide Ansprüche präjudiziell; aber über es existiert kein rechtskräftiger Ausspruch, da mit der Erstentscheidung nur über den Herausgabeanspruch entschieden wurde. Das gesetzgeberische Motiv für diese enge Rechtskraftwirkung lag in der Überschaubarkeit und Berechenbarkeit der richterlichen Entscheidung für die Parteien: Diese hätten den Streit im Antrag begrenzt und erwarteten darüber eine Entscheidung. Das Urteil dürfe keine Rechtsfolgen erzeugen, deren sich die Parteien gar nicht bewußt geworden seien2 " . Deshalb erwachsen nach dem Modell des historischen Gesetzgebers die den Urteilsausspruch tragenden präjudiziellen Rechtsverhältnisse nicht in Rechtskraft. Diese Wertentscheidung gebietet mithin, einen vertraglichen Zeugenausschluß auch dann zur Basis eines Ersatzanspruchs zu machen, wenn er im Erstprozeß nicht vorgetragen oder bewiesen worden ist und das Urteil auf der in Wahrheit vertragswidrigen Zeugenaussage beruht. Allgemeiner formuliert: Nach den ursprünglichen gesetzlichen Wertentscheidungen ist es für einen Schadensersatzanspruch aus einer 244

Vgl. nur Zeuner, 43 m. w. N. zur Entstehungsgeschichte.

B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen

213

Prozeßvereinbarung gleichgültig, ob die Vereinbarung im Prozeß nicht berücksichtigt werden durfte oder faktisch nicht beachtet worden ist. Die Überschaubarkeit der richterlichen Entscheidung für die Parteien ist freilich nicht schlechthin verschlossen, wenn auch die den Urteilsausspruch bedingenden präjudiziellen Rechtsverhältnisse von der objektiven Urteilsrechtskraft erfaßt werden. Der Gesetzgeber der ZPO hat eine Entscheidung im groben getroffen und treffen müssen246• Sie führt bei strikter Einhaltung zu bedenklichen Resultaten, die im Wege der Rechtsfortbildung Grenzkorrekturen gebieten. Andernfalls könnte bei der Ablehnung eines Erfüllungsanspruchs wegen fehlender Vertragswirksamkeit in einem Zweitprozeß der Gegenanspruch aus dem Vertrag zugesprochen werden248, obwohl die Folgewirkungen der präjudiziellen "Entscheidung" über die Vertragsunwirksamkeit für die Parteien durchaus überschaubar sind. Derart krasse Beispielsfälle sind recht zahlreich. Sie haben die Tendenz begünstigt, die Rechtskraft auch auf präjudizielle Rechtsverhältnisse und damit auf das Gebiet der Entscheidungsgründe auszuweiten, wobei freilich zur Vermeidung des vom historischen Gesetzgeber befürchteten "Überraschungseffekts" nach Einschränkungskriterien gesucht wird. Zeuner, der diese Rechtsfortbildung eingeleitet und neben Kritikern2' 7 zunehmend Anhänger24.8 gefunden hat, verwendet dafür die Formel von den (materiell-rechtlichen) Sinnzusammenhängen249, andere blicken auf den wirtschaftlichen Wert260 der in beiden Prozessen erhobenen materiell-rechtlichen Ansprüche oder verwenden den Begriff der Rechtsposition251 • All das könnte in diesem Zusammenhang auf sich beruhen, wenn diese Rechtskrafterstreckungen stets auf präjudizielle Rechtsverhältnisse des materiellen Rechts begrenzt blieben. Das ist aber nicht der Fall. Zwar wird nirgends vertreten, die präjudizielle "Entscheidung" Egbert Peters, ZZP 76, 241. m Vgl. z. B. Lent!Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 63 III 2 (S. 200); Stein/ Jonas!Schumann/Leipold, § 322 IX 3 jeweils m. w. N. 247 Lent/Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 63 III 2 (S. 200); Egbert Peters, ZZP 76, 229 ff.; reserviert auch Schönke/Kuchinke, § 75 II 4 a (S. 352); Stein!Jonas/ Schumann!Leipold, § 322 IX 3; Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 71 II 2 (S. 230). Auch 245

die Kritiker dehnen allerdings bei einzelnen Fallgruppen die Rechtskraft aus; z. B. mit der Ausweitung des Präjudizialitätsbegriffs oder mit Hilfe des Rechtsmißbrauchsgedankens. 248 Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 89 V 4 (S. 460 ff.); Grunsky, 521; Henckel, Prozeßrecht, 149 ff.; Rimmelspacher, Anspruch, 175 ff.; die prinzipielle Zustimmung bedeutet weder stets eine Identifikation mit Zeuners Abgrenzungskriterien noch eine übereinstimmende Lösung bei allen Fallgruppen. ue Zeuner, 54 ff. 250 Henckel, Prozeßrecht, 171 ff.; dazu kritisch Bötticher, ZZP 85, 16 f. 251 Rimmelspacher, Anspruch, 202 ff.

214 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen

über eine Prozeßvereinbarung, auf der dann (unter anderem) der Urteilsausspruch über den Streitgegenstand beruht, erwachse in Rechtskraft; dies könnte aber daran liegen, daß man bei Prozeßvereinbarungen mit negativer Verfügungswirkung das Pflichtelement übersieht und die Doppelwirkung leugnet. Damit ist die Überlegung, solclle Vereinbarungen würden durch ihre prozessuale Wirkung "erfüllt" und bei unbewiesenem Abschluß könne auch nicht auf Schadensersatz wegen "Nichterfüllung" in einem Zweitprozeß geklagt werden, von vornherein versperrt. Immerhin findet sich aber die These, daß die präjudizielle "Entscheidung" über gesetzliche Parteipflichten nachfolgende Sclladensersatzansprüche im Hinblick auf die Urteilsrechtskraft ausschließen kann. Während Dölle im Beispielsfall der jugoslawischen Militärmission251 wegen grob schuldhafter Prozeßverschleppung einen: Schadensersatzanspruch auf die Erstattung der durch die Verzögerung entstandenen Prozeßkosten vorschlägt253, lehnen das Renekel und Sehröder unter Hinweis auf die Urteilsrechtskraft ab 2s'. Renekel verweist dabei auf seine Ausführungen über die Ausweitung der objektiven Rechtskraft255, und Scllröder beruft sich sogar ausdrücklich auf die von Zeuner herausgearbeiteten rechtlichen Sinnzusammenhänge258. Dennoch läßt diese Erwägung keine Folgerung für die Rechtskraftwirkung der "Entscheidung" über sämtliche präjudiziellen Prozeßvereinbarungen zu: Im Beispielsfall der jugoslawischen Militärmission wies der BGH die Klage wegen der fehlenden gesetzlichen Vertretung als unzulässig abm, da er insoweit die Prozeßverschleppung für irrelevant hielt. Die Unzulässigkeit der Klage auf Einwilligung in die Grundbuchberichtigung beruhte ausscllließlich darauf, daß der BGH die Berufung auf den Mangel der gesetzlichen Vertretung ungeachtet der Prozeßverschleppung als zulässig und damit als nicht pflichtwidrig ansah258. Die Unzulässigkeit der Klage wegen fehlender gesetzlicher Vertretung erwuchs damit in Rechtskraft. Diese Rechtskraftwirkung basiert auf der präjudiziellen Feststellung, daß das Verbot der Prozeßverscllleppung auf dem Sektor der von Amts wegen zu beachtenden Prozeßvoraussetzung der gesetzlichen Vertretung einer Prozeßpartei nicht gilt. Insoweit liegt, wenn man mit Dölle einer grob fahrlässigen Prozeßverschleppung überhaupt Wirkungen über den Prozeß hinaus beimißt, in der Tat nahe, an die Rechtskrafterstreckung auf präjudizielle Rechtsverhältnisse des mate152 § 1 A, Beispiel 9.

zu Dölle, Festschrift für Riese, 292.

Henckel, Prozeßrecht, 292; Schröder, JZ 1965, 310. Henckel, Prozeßrecht, 292 FN 187. 251 Schröder, JZ 1965, 310 FN 4. 257 BGHZ 40, 197, 198. :ss Darauf weist Henckel, Prozeßrecht, 292 hin. 264

!55

B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen

215

riellen Rechts im Rahmen rechtlicher Sinnzusammenhänge anzuknüpfen. Das gilt beispielsweise aber nicht für eine für den Urteilsausspruch (unter anderem) präjudizielle "Entscheidung" über den Abschluß eines Beweismittelvertrags zum Ausschluß eines bestimmten Zeugen. Anders als beim Erfüllungsanspruch des Verkäufers aus Kaufvertrag ist die präjudizielle "Entscheidung" über die prozessuale Wirkung dieses Beweismittelvertrags keine solche über einen Anspruch im Sinne des § 322 Abs. 1 ZPO. Ein Schadensersatzanspruch wegen "Nichterfüllung" auf Ersatz des Vermögensschadens, der durch den Abbruch der geschäftlichen Beziehungen seitens des vertragswidrig vernommenen Zeugen entstanden ist, kann daher auch vor dem Hintergrund der rechtlichen Sinnzusammenhänge durchaus anders behandelt werden als der Gegenanspruch eines Käufers. Während die von Zeuner und anderen befürwortete Rechtskrafterstreckung auf das päjudizielle Rechtsverhältnis "Kauf" für Parteien überschaubar ist, deren Streitgegenstand in zwei aufeinanderfolgenden Prozessen in den wechselseitigen Erfüllungsansprüchen liegt, steht die präjudizielle "Entscheidung" über den Abschluß einer Prozeßvereinbarung meist in einem weit weniger übersehaubaren Zusammenhang mit dem ganz anders gearteten Streitgegenstand des Erstprozesses. Hier hat deshalb das Verdikt des Gesetzgebers gegen Unüberschaubarkeit und damit gegen die Rechtskrafterstreckung auf präjudizielle Rechtsverhältnisse nach wie vor Gültigkeit. Das Prozeßrecht läßt es also gerade zu, daß präjudizielle Prozeßvereinbarungen innerprozessual wirkungslos sein können, ohne zugleich Schadensersatzansprüche auszuschließen. Erst recht spricllt es deshalb nicht dagegen, etwa einem Klagrücknahmevertrag die Unzulässigkeit der Klage zu entnehmen und anschließend den Vermögensschaden, der durch den vertragswidrigen Streit um den Klagrücknahmevertrag und die Fortdauer des Rechtsstreits verursacht worden ist, bei Verschulden des Klägers mit Hilfe eines Schadensersatzanspruchs in einem Zweitprozeß auszugleichen. Die Doppelwirkung entspricht den Parteiinteressen, die nur durch die zwingenden Prozeßrechtssätze begrenzt werden. Solche Schranken bestehen nicht und dürfen auch nicht durch willkürliche Systembildungen über die Trennung von Zivil- und Prozeßrecllt ersetzt werden. Prozeßvereinbarungen mit prozessualer Wirkung können daher auch die Grundlage für Schadensersatzansprüche bilden.

{J) Zivilrechtliche Ansprüche anstelle prozessualer Wirkungen? Während die Kumulation von Schadensersatzansprüche und prozessualen Rechtswirkungen zulässig ist, scheidet eine Doppelwirkung in dem Sinn aus, daß die Parteien anstelle einer zulässigen prozessualen Wirkung auf Erfüllungs- oder Schadensersatzansprüche retirieren kön-

216 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen nen. Das ist für Erfüllungsansprüche bereits ausgeführt259• Mit diesen kann vom Prozeßgegner nicht die Vornahme von Prozeßhandlungen in einem anderen Rechtsstreit begehrt werden. Die Parteien können daher auch nicht anstelle prozessualer Wirkungen bloße Erfüllungsansprüche als schwächere Vertragswirkung rechtswirksam begründen. Andererseits können Schadensersatzansprüche gegen den Prozeßgegner allenfalls außerprozessuale Folgeschäden ausgleichen und daher nur neben prozessuale Wirkungen, aber nicht an deren Stelle treten. b) Einzelne Wirksamkeitsvoraussetzungen bei Prozeßvereinbarungen Die Analyse der Zulässigkeit von Prozeßvereinbarungen liegt zugleich deren Wirksamkeitsvoraussetzungen in Umrissen fest. Prozeßvereinbarungen dürfen, soweit ihnen innerprozessuale Wirkung zukommen soll, nicht gegen zwingende Normen des Prozeßrechts verstoßen. Deshalb müssen prinzipiell die Wirksamkeitsvoraussetzungen eingehalten werden, die das Prozeßrecht anordnet. Da die prozessualen Wirksamkeitsvoraussetzungen außerordentlich lückenhaft sind, bedarf es stets der Ergänzung durch die mit den speziellen Prozeßrechtsnormen vereinbaren Wirksamkeitsvoraussetzungen für zivilrechtliche Verträge. Insoweit besteht zwischen diesen und Prozeßhandlungen Interessengleichheit. Zumindest de facto können auch Prozeßhandlungen durch ihre Auswirkung auf das Urteil die gleichen Rechtsnachteile bewirken wie bürgerlich-rechtliche Willenserklärungen. Die Addition der Wirksamkeitsvoraussetzungen gilt jedoch nur cum grano salis. Auf der einen Seite verdrängt beispielsweise die Spezialregelung des §52 Abs. 1 ZPO die Vorschriften der §§ 107 ff. BGB über bürgerlich-rechtliche Willenserklärungen keineswegs bei allen Prozeßvereinbarungen. Andererseits scheidet die Anfechtung von Prozeßvereinbarungen nach Maßgabe der §§ 119 ff. BGB wegen Willensmängel bisweilen, aber nicht stets aus. Die Differenzierung ergibt sich aus der unterschiedlichen Zielrichtung der prozessualen und der zivilrechtliehen Vorschriften. Jene sind auf die Prozeßführung zugeschnitten, diese auf den außerprozessualen Lebensbereich. Diese spezifische Zwecksetzung bestimmt daher ihre jeweilige Reichweite. Die einzelnen Konsequenzen hat kürzlich Renekel in einer subtilen Analyse herausgearbeitet, so daß an dieser Stelle ein knapper Aufriß genügt280• Er muß an der Eigenart der Führung des Rechtsstreits durch Prozeßhandlungen anknüpfen: Die einzelne Parteiprozeßhandlung steht in Zweckbeziehung zum Urteil. Sie dient dessen Vorbereitung und Vgl. § 7 B I 1 a bb) rt Peters, ZZP 82, 206, 208 ff.; Rosenberg/Schwab, § 118 III 6 a (S. 614); Schönke-Kuchinke, § 57 V 2 a (S. 266 f.); Stein/Jonas!Schv.mann!Leipold, § 282 334

aa5 Rosenberg,

IV 7b.

232 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen den: die prozessuale Mitwirkungspfl.icht838, die Berufung auf ein venire contra factum proprium838, und der Rückgriff auf materiell-rechtliche Wertungen140• Die drei Lösungsansätze unterscheiden sich inhaltlich beträchtlich. Der Gedanke des venire contra factum proprium greift, sofern man schlicht auf die Unvereinbarkeit zweier aufeinanderfolgender Handlungen verweist341 , am weitesten. Die prozessuale Mitwirkungspflicht ist mehr auf die Beweisvereitelung im Prozeß gerichtet342• Beide erfordern zudem nicht die für den Rückgriff auf das materielle Recht charakteristische Aufsplitterung der Einzelfälle auf verschiedenartige zivilrechtliche Tatbeständem und auch nicht die Transformation materiell-rechtlicher Wertungen in das Prozeßrecht, die Arwed Blomeyer mit Hilfe der häufig materiell-rechtlich verstandenen Beweislastgrundsätze schaffen will344• Daher ist der Nachweis von Wechselwirkungen erst geboten, wenn die gesetzlichen Beweisvereitelungsformen der ZPO nicht durch eine umfassende prozessuale Rechtsfortbildung überlagert sind. 4. Beweisvereitelung und Beweisnachteil

a) Beweisvereitelung in Prozeßrechtsnormen Den Ausgangspunkt jeder Rtchtsfortbildung muß der gesetzliche Normenbestand bilden. Die oben erläuterten Vorschriften der §§ 422,423, 427,441 und 444 ZPO geben immerhin ein differenziertes Spektrum von den gesetzgeberischen Vorstellungen. Sie dokumentieren, daß der Gesetzgeber der ZPO einer Mitwirkung der Prozeßpartei bei der Beweisführung des beweisbelasteten Gegners durchaus reserviert gegenüberstand. Die geläufige Praktikerformel345, wonach sich im Grundsatz348 aae OLG KobLenz, NJW 1968, 897; Bruns, Zivilprozeßrecht, § 34 VII (S. 304); Egbert Peters, Ausforschungsbeweis, 103 ff. und ZZP 82, 208 ff.; Rosenberg! Schwab, § 118 III 6 a, FN 5 (S. 614); Schönka!Kuchinke, § 4 II (S. 9 f.); Schönke/Schröder!Niese, § 2 III 1 a (S. 24); vgl. auch BGH NJW 1960, 821; BGH NJW 1967, 2012, 2013. aav Gerhardt, AcP 169, 305; Lent!Jauernig, Zivilprozeßrecht, §56 VI (S. 181); Egon Schneider, MDR 1969, 9 f.; Gerhardt schränkt im Ergebnis allerdings durch den Rückgriff auf materiell-rechtliche Tatbestände wieder ein, S. 308 ff. uo Arwed Blomeyer, AcP 158, 102 ff.; Beweislast, 11 f. und Zivilprozeßrecht, § 73 II 1 (S. 370 ff.). su Gerhardt, AcP 169, 305; Egon Schneider, MDR 1969, 10; über die Einschränkungen Gerhardts vgl. aber vorstehend FN 339. 141 Dieses Manko räumt Egbert Peters selbst ein, vgl. ZZP 82, 212; kritisch dazu auch Gerhardt, AcP 169, 297. 841 Vgl. Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 73 II 1 (S. 370 f.). au Arwed BLomeyeT, AcP 158, 103 und Zivilprozeßrecht, § 73 li 1 c (S. 372). 8411 Vgl. etwa BGH VersR 1968, 768; daß dieser Grundsatz im gleichen

Atemzug durchbrachen wird, steht auf einem anderen Blatt und ist gerade kritisch zu analysieren. 346 Vgl. aber die Regelungen über die Parteivernehmung in §§ 445 ff. ZPO.

B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen

233

niemand als Beweisobjekt seines Gegners benutzen lassen müsse, entspricht durchaus den ausdrücklich normierten Regeln. Die §§ 422, 427 und 441 ZPO knüpfen die Pflicht zur Vorlage von Urkunden an das materielle Recht347 und erfassen zudem nur materiell-rechtliche Ansprüche auf Herausgabe, Vorlage und Einsicht348. Diese materiell-rechtliche Komponente gilt weiterhin auch für die absichtliche Beweisvereitelung des § 444 ZPO, der die Benutzbarkeit der vernichteten Urkunde für den Gegner voraussetzt und insoweit auch auf die §§ 422 ff. ZPO verweist84D. Immerhin differenziert § 444 ZPO durch das Absichtsmerkmal zusätzlich zwischen der unterlassenen Vorlage einer Urkunde und deren Vernichtung. Die Zweckanalyse der einzelnen Vorschriften deutet allerdings nicht darauf hin, daß mit ihnen das Problemfeld der Beweisvereitelung abschließend normiert werden sollte. Das gilt schon für den Sektor des Urkundenbeweises. Die §§ 422 ff. ZPO deuten zwar an, daß die Urkundenvorlage für die Beweisführung des Gegners nicht ohne Rückgriff auf materiell-rechtliche Grundlagen erfolgen muß; sie besagen aber nicht, daß die Urkundenvorlegung auf die in § 422 ZPO bedachten Herausgabe- und Vorlegungsansprüche beschränkt und sonstige materiell-rechtliche Grundlagen ausgeschlossen werden sollen. Wenn etwa der Schutzzweck, der die ärztliche Pflicht zur Buchführung über die Röntgenbestrahlungen prägt, auch die Vorlage vor Gericht erfaßt350 , läßt sich. aus § 422 ZPO schwerlich eine Begrenzung der Vorlagepflicht entnehmen. Auch die durch § 444 ZPO indizierte Diskrepanz zwischen der Vorlage und der Urkundenbeseitigung erweist sich bei näherem Zusehen nicht als Schranke gegen Beweisvereitelungssanktionen bei fahrlässigen Urkundenvernichtungen. Es liegt an sich nahe, die Rechtsfolge des § 427 ZPO auch auf Fälle zu erstrecken, in denen sich eine Prozeßpartei die "Erfüllung" einer materiell-rechtlichen fundierten Pflicht zur Urkundenvorlage fahrlässig unmöglich gemacht hat. Die Textfassung des§ 444 ZPO spricht auch nicht zwingend dagegen, da die Vorschrift auch Urkunden im Besitz des späteren oder gegenwärtigen Prozeßgegners erfaßt und das Absichtsmerkmal auf diese zugeschnitten sein kann. Die Urkundenvorschriften lassen dann weiterhin auch Schlußfolgerungen für die Beweisführung des Gegners bei sonstigen Beweisarten zu. Für den Augenscheinsbeweis zeigen schon § 809 BGB und die mit diesem zusammenhängende Tilgung der ursprünglich vorgesehenen uneingeschränkten Vorlegungspflicht für Augenscheinsobjekte351 , daß auch die Vorlegung von Augenscheinsobjekten an materiell-rechtlichen Ausnahme: § 423 ZPO. Vgl. den Überblick bei Stein/Jonas/Schumann/Leipold, § 422 II. a4t Egbert Peters, ZZP 82, 205; Stein/Jonas!Schumann/Leipold, § 444 I 1. sso Vgl. anschließend unter c aa) 1X) (S. 241). m Vgl. näher Dilcher, AcP 158, 491 f. 147

a4s

234 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen Grundlagen orientiert ist3n. Dann aber ist es angezeigt, auch insoweit die§§ 422 ff. ZPO als Richtschnur heranzuziehen353 • Schließlich gibt auch die absichtliche Beweisvereitelung des § 444 ZPO Aufschlüsse zumindest für die aktive Beseitigung sonstiger Beweisführungsmöglichkeiten: Ob die Urkunde des Prozeßgegners vor dem Prozeß oder in diesem vorsätzlich unbrauchbar gemacht wird oder der Zeuge vorsätzlich zur Verheimlichung eines Aufenthaltsortes veranlaßt354 oder die Rekonstruktion des Unfallhergangs durch Beseitigung von Kreidezeichnungen bewußt unmöglidl gemacht wird356, rechtfertigt schwerlich eine unterschiedliche prozessuale Sanktion. Die ausdrücklichen Beweisvereitelungsnormen erweisen sich daher in der Tat als fragmentarisch. Immerhin aber enthalten die Wertungsgesichtspunkte, die bei der Rechtsfortbildung zu berücksichtigen sind. b) Erweiterung des prozessualen Normenkomplexes

aa) Prozessuale Mitwirkungspfiicht? Die ursprüngliche gesetzliche Regelung wird freilich - jedenfalls für Beweisvereitelungen während des Rechtsstreits361 - gänzlich verlassen, wenn man die bereits erwähntem prozessuale Mitwirkungspflicht auf die gemeinsame Sammlung des Prozeßstoffes bezieht und dann die pflichtwidrige Beweisvereitelung folgerichtig mit Prozeßnadlteilen belegtm. Eine solche "Aufklärungsgemeinschaft der Prozeßparteien" 36Y entspridlt dem Prozeßbild von Hippels, der aber gerade die abweichende Konzeption des Gesetzgebers kritisiert310 und die Analyse in einen Vorschlag zur gesetzlichen Regelung der prozessualen Aufklärungspflicht einmünden läßt381 • Eine solche prozessuale Mitwirkungspflicht würde in der Tat jede- zumindest schuldhaft- pflichtwidrige Beweisvereitelung mit prozessualen Nachteilen verknüpfen und allenfalls bisweilen an verfassungsrechtlichen Grenzen scheitern, die etwa im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 GG bei Prozeßnacllteilen für verweigerte mediOberblick bei Stein/Jonas!Schumann/Leipold, Vor§ 371 V 2. Dilcher, AcP 158, 492 f.; Nikisch, § 87 III 2 (S. 340). as• Gerhardt, AcP 169, 290. 355 Döhring, 353; vgl. näher vorstehend zu FN 329. ase Egbert Peters meint, die vorprozessuale Beweisvereitelung könne schwer36! 363

lich anders behandelt werden, ZZP 82, 212; er gelangt damit zu einer prozessualen Mitwirkungspfl.icht, die schon vor dem Prozeß wirkt. 357 Vgl. oben § 2 B IV 1 c, FN 143 (S. 63). m Vgl. die Fundstellen in FN 338. 368 Egbert Peters, Ausforschungsbeweis, 108 im Anschluß an von Hippel, 222. aeo von Hippel, 305 f. 3&1 von Hippel, 381.

B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen

235

zinische Eingriffe382 oder angesichts der verfassungsrechtlich geschützten Intimsphäre bei Prozeßsanktionen für die abgelehnte Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht erwägbar sind. De lege lata bedarf die prozessuale Mitwirkungspflicht freilich der Begründung. Egbert Peters entnimmt die prozessuale Mitwirkungspflicht als gemeinsamen Rechtsgedanken aus einer Reihe prozessualer Normen. Er nennt dazu die Untersuchungspflicht des § 372 a ZPO, das Beweismittel der Parteivernehmung, mit dem der Beweisführer die Kenntnis des Prozeßgegners nutzen könne, weiterhin die gerichtlichen Vorlageanordnungen der §§ 142 ff. ZPO und vor allem die Wahrheitspflicht des § 138 ZP0883• Er hält es für inkonsequent, wenn der Beweisgegner in seinem Parteivorbringen oder bei seiner Vernehmung wahrheitsgemäße Angaben machen müsse, die in seinem Besitz befindlichen, dieselbe Tatfrage betreffenden Urkunden oder Augenscheinsobjekte aber nicht zur Verfügung zu stellen brauche884• Egbert Peters denkt also, wie insbesondere sein Hinweis auf die erst im Jahr 1933 kodifizierte Wahrheitspflicht zeigt, an eine entscheidende Veränderung der ursprünglichen Konzeption der ZP08116• Indessen tragen die von ihm zugrunde gelegten Normen seine Folgerungen nicht. Die gerichtlichen Anordnungen der §§ 142 ff. ZPO ersetzen die materiell-rechtlich fundierte Vorlagepflicht von Urkunden nicht888, die Parteivernehmung steht neben sonstigen Beweisarten und verdrängt nicht deren Bestimmungen, und das in § 138 ZPO allein verankerte Verbot der bewußten Wahrheitsverletzung387 läßt mit Sicherheit keine Schlüsse für die fahrlässige Beweisvereitelung zu. Immerhin greift Egbert Peters noch auf überschaubare gesetzliche Wertungen zurück, die seine Folgerungen kritisch nachvollziehbar machen. Darin unterscheidet er sich von anderen Befürwortern der prozessualen Mitwirkungspflicht. Auch diese postulieren, manchmal in allgemeinen Wendungen888, bisweilen unter konkreter Bezugnahme auf ae2 Art. 2 Abs. 2 GG wird möglicherweise auch tangiert, wenn die körperlichen Eingriffe durch prozessuale Nachteile "erzwungen" werden. Dann wird das Verbot des körperlichen Zwangseingriffs durch die Auferlegung von Prozeßnachteilen unterlaufen; vgl. dazu Gerhardt, AcP 169, 309. Anders ist es bei den ausdrücklich zugelassenen Eingriffen in den Fällen der §§ 327 a, 623, 656 ZPO. 363 Egbert Peters, Ausforschungsbeweis, 106 ff. und ZZP 82, 208 ff. 3M Egbert Peters, ZZP 82, 208 f. an ZZP 82, 208. aee Gerhardt, AcP 169, 309. 887 Vgl. vorerst nur Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VII 1 c (S. 143). aes Baumbach!Lauterbach!Albers!Hartmann, Grundz. vor § 128 2 D; Lent, ZZP 67, 344; Nikisch, § 53 II (S. 203); Schönke!Schröder/Niese, § 2 III 1 a (S. 24); vgl. auch Nakano, ZZP 79, 105; Rosenberg/Schwab, § 2 III 2 (S. 8).

236 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen die Beweisvereitelungsee die pflichtgebundene Prozeßführung, die auch außerhalb der gewillkürten und der ausdrücklich kodifizierten Parteipflichten auf die Interessen der anderen Prozeßbeteiligten Rücksicht zu nehmen hat. Die prozessuale Mitwirkungspflicht empfängt nach der Ansicht dieser Befürworter ihre Impulse aus der im Vorspruch370 zur Prozeßrechtsnovelle des Jahres 1933 erwähnten Pflicht zur redlichen und sorgfältigen Prozeßführung371 und damit letztlich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben871 • Dabei kommt dem Hinweis auf die Prozeßrechtsnovelle des Jahres 1933 besondere Bedeutung zu. Die Anhänger der auf § 242 BGB gestützen prozessualen Mitwirkungspflicht gehen nämlich ersichtlich davon aus, daß die Pflicht zur redlichen und sorgfältigen Prozeßführung mit dieser Prozeßnovelle geltendes Recht geworden ist. Auf dieser Basis ist es dann in der Tat folgerichtig, die gesamte Prozeßführung unter dem Gebot wechselseitiger Rücksichtnahme zu sehen, so daß die prozessuale Mitwirkungspflicht ebenso wie die manchmal von ihr unterschiedene Prozeßförderungspflicht371 als logische Postulate erscheinen. Damit steht dann die sporadisch umschriebene Pflicht zu kostensparendem Prozessieren374 ebenso im Einklang wie die Überlagerung des kodifizierten Beweisrechts - speziell der Beweisvereitelungsregeln der ZPO -durch eine nachträglich normierte Pflicht zur redlichen Prozeßführung. Indessen stehen oder fallen diese Folgewirkungen mit ihrer Prämisse: der umfänglichen Überlagerung der prozessualen Verhaltsnormen durch die Pflicht zur redlichen Prozeßführung. Diese Prämisse aber stimmt in dem vorausgesetzten Umfang nicht: Der erwähnte Vorspruch zur Prozeßrechtsnovelle des Jahres 1933 hat zwar die in der Novelle kodifizierten Materien der Wahrheitspflicht und der Prozeßverschleppung- übrigens zum Schutz der staatlichen Rechtsschutzeinrichtungen376 - auf die Pflicht zur redlichen Prozeßführung zurückgeführt, aber doch damit nicht schlechterdings den Grundsatz von Treu und Glauben als prozessuale Grundnorm aou OLG Koblenz, NJW 1968, 897; Bruns, Zivilprozeßrecht, § 34 VII (S. 304); Schönke-Kuchinke, § 4 li (S. 9 f.); Schönke/Schröder!Niese, § 2 III 1 a (S. 24); vgl. auch BGH NJW 1960, 821; BGH NJW 1967, 2012, 2013. a1o Vgl. den Text des Vorspruchs oben in § 2 B VI, FN 267 (S. 80). 371 Lent, ZZP 67, 344; Nikisch, § 53 III 1 (S. 204); Rosenberg/Schwab, § 2 III 2 (S. 8);Schönke/Schröder/Niese, § 2 III 1 a ct) (S. 24). 372 Baumbach!Lauterbach!Albers/Hartmann, Grundz. vor § 128 2 D; Lent, ZZP 67, 344; Nikisch, § 53 III 1 (S. 204); Schönke-Kuchinke, § 4 li (S. 10). 373 Baumbach/Lauterbach/Albers!Hartmann, Grundz. vor § 128 2 E; Nakano, ZZP 79, 105; Rosenberg!Schwab, § 2 III 2 (S. 8); Schönke/Schröder/ Niese, § 2 III 1 b (S. 26). 374 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Grundz. vor§ 128 2 F; Schänke/ Schröder/Niese, § 2 III 1 a ct} (S. 25). 875

Vgl. den Text des Vorspruchs zur Prozeßrechtsnovelle oben in§ 2 B VI,

FN 267 (S. 80).

B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen

237

etabliert. Das prozessuale Normengefüge der ZPO ist deshalb auch keineswegs zugunsten eines aus § 242 BGB gespeisten Pflichtennetzes beseitigt worden. Die Prozeßrechtsnovelle hat zwar faktisch eine verstärkte Kasuistik über das arglistige Parteiprozeßverhalten ausgelöstm, der Judikatur aber keine rechtsverbindliche Grundlage geliefert. Diese Feststellung bedeutet keine prinzipielle Absage an die prozessuale Dimension des § 242 BGB. Nur bedarf das Pflichtengewirr des "honeste procedere" einer Entwirrung, wie sie bereits von Baumgärtel377 eingeleitet und von Zeiss378 eindrucksvoll fortgesetzt worden ist. Diese "Flurbereinigung" erfordert freilich eine methodische Rückbesinnung auf die Prämissen für die Anwendbarkeit des § 242 BGB im Prozeßrecht. Die Blendformel vom "allgemeinen Rechtsgedanken" hat diese Rückbesinnung offenbar weithin verhindert und die Fehlvorstellung provoziert, daß der Grundsatz von Treu und Glauben im Prozeßrecht einen ähnlichen Wirkungskreis beanspruchen könne wie im Schuldrecht. Diese - freilich nirgends klar ausgesprochene - Vorstellung kommt nicht nur bei der prozessualen Mitwirkungspflicht zum Ausdruck, sondern auch bei der Einbettung materiell-rechtlicher Vertrags- oder Deliktsmaßstäbe in die exceptio doli processualis. In Wahrheit entspricht dieser unbefangene Rückzug auf die Generalklausel des § 242 BGB weder der vom Trennungsdenken geprägten grundsätzlichen Anschauung der Prozeßdoktrin über die Relation von Zivil- und Prozeßrecht noch den allgemeinen Rechtsanwendungsgrundsätzen noch der Kasuistik zum arglistigen Prozeßverhalten: Die Trennungswand zwischen Zivil- und Prozeßrecht ist zwar weit weniger undurchlässig, als es das im Grundsatz fortwirkende Trennungsdogma vorgibt378 ; damit sind aber die in beiden Disziplinen eingefangenen unterschiedlichen Interessenlagen nicht schlechthin beseitigt. Der Rückgriff auf materiell-rechtliche Wertungen bedarf daher der Interessenkongruenz, die in jedem Fall konkret festzustellen ist. Allgemeiner formuliert: Materiell-rechtliche Wertungen sind auf das Prozeßrecht nur übertragbar, wenn die prozessualen Normen keine entgegengesetzten Anordnungen treffen, mit denen sie den spezifisch prozessualen Interessen Rechnung tragen. Das gilt auch für den Anwendungsbereich des § 242 BGB im Prozeß. Im Zivilrecht mag gegensätzliches Verhalten den Einwand des venire contra factum proprium hervorrufen. Für das Prozeßrecht gilt nicht ohne weiteres das gleiche: Die Einheit der mündlichen Verhandlung und die Gestaltung des Verfahrens zur BeVgl. oben§ 2 B VI (S. 79- 84). Baumgärtel, ZZP 69, 89 ff. ns Zeiss, Prozeßpartei, passim. 378 Vgl. oben § 2 B I bis V (S. 45- 79).

371

377

238 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen

schaffung der Urteilsgrundlage erlauben den Parteien eine elastische Prozeßführung, die gegensätzliches Verhalten - wie etwa den bei vielen Prozeßhandlungen eingeräumten Widerruf - einschließt380. § 242 BGB gilt daher im Prozeßrecht nur ana1og381, setzt also Lücken im prozessualen Normengefüge voraus. Diese Grundthese wird bei einem Blick in die Kasuistik über das arglistige Parteiprozeßverhalten nachdrücklich bestätigt: Die reclltstheoretische Präzisierung dieser Kasuistik durch Zeiss382 zeigt nur, daß der Grundsatz von Treu und Glauben keine prozeßfremde Kategorie ist, spricht aber durchaus nicht für seine umfassende innerprozessuale Reichweite. Die von Zeiss herausgearbeiteten Fallgruppen betreffen neben der Gesetzesumgehung381 und dem Mißbrauch prozessualer Befugnisse38', die beide zivilrechtliche Parallelen aufweisen, nur die auf den Vertrauensschutz des Gegners und eigenes Unrechtsverhalten zugeschnittenen Tatbestände der Verwirkung385 und des venire contra factum propriuma8e. Letztere sind zudem regelmäßig an außerprozessualem Parteiverhalten orientiert, über das die Prozeßrechtsnormen nicht konkret befinden. Sie enthalten deshalb nur eine Ergänzung des prozeßrechtlichen Instrumentariums, dagegen keine Durchbrechung, wie sie mit dem Postulat der prozessualen Mitwirkungspflicht verbunden wäre. Im innerprozessualen Bereich gelangt Zeiss, der freilich die prozessuale Mitwirkungspflicht und den Fallkatalog der Beweisvereitelung nicht erörtert187, - etwa auf dem Sektor der Wahrheitspflicht388 - durchaus zum Vorrang der existenten prozessualen Wertung. Deshalb ergibt auch seine methodisch anfechtbare389 Grundposition von der richterrechtlichen Schaffung der Generalklausel des honeste procedere390keine Basis für eine prozessuale Mitwirkungspflicht. Selbst wenn Zeiss recht hätte, so könnte die richterrechtliche Geltung des§ 242 BGB im Prozeß nur im Rahmen der Kasuistik bestehen, aber nicht weiterreichende Prozeßpflichten begründen. Im übrigen ist zu zeigen, daß sich die von Zeiss konkretisierten Fallgruppen überzeugend durch die analoge Anwendung des § 242 BGB im Prozeßrecht begründen lassen881• 380 Baumgärtet, ZZP 69, 120. 381 Zutreffend daher Baumgiirtet, AcP 169, 181 f. und ZPP 86, 358 - 362. 382 Zeiss, Prozeßpartei, passim. 383 s. 52 ff. 384 s. 150 ff. 885 s. 123 ff. 388

s.

100 ff.

387 Kritisch dazu Egon Schneider, MDR 1968, 712. 888 Zeiss, Prozeßpartei, 46. 389 Vgl. dazu oben § 2 B VI (S. 82 f.). seo Zeiss, Prozeßpartei, 17 - 20. sv1 Vgl. anschließend§ 8 B (S. 252- 270).

B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen

239

Die Kongruenz zwischen der methodischen Rückbesinnung und dem von Zeiss konkretisierten Fallmaterialläßt nunmehr auch eine verbindliche Aussage über die prozessuale Mitwirkungspflicht zu: Der Rückgriff auf die Pflicht zur redlichen Prozeßführung verdeckt, daß die ZPO für die Beibringung des Prozeßstoffs eigenständige Normen enthält, die zwar keinen schrankenlosen Kampf um das Recht erlauben, wohl aber im Grundsatz an einem antagonistischen Prozeßbild festhalten. Wenn also die von Egbert Peters zu Recht bevorzugte Anknüpfung an die speziellen Prozeßrechtsnormen über die Stoffbeibringung im Rechtsstreit keine Rückschlüsse auf eine allgemeine prozessuale Mitwirkungspflicht zuläßt, so kann deren Nachweis auch nicht durch vage Hinweise auf die Pflicht zur redlichen Prozeßführung ersetzt werden. Eine prozessuale Mitwirkungs- oder auch Prozeßförderungspflicht ist daher abzulehnen382. Sie kann deshalb auch nicht die gesetzlichen Wertungen der ZPO über Sanktionen bei schuldhaften Beweisvereitelungen verdrängen. Diese sind zwar fragmentarisch und im Wege der Rechtsfortbildung ergänzungsfähig, aber eben nur insoweit, als sie Wertungslücken enthalten. bb) venire contra factum proprium?

Das Verdikt gegen die prozessuale Mitwirkungspflicht erfaßt zugleich auch den neuerdings von Gerhardt und Egon Schneider vorgeschlagenen Ausweg über das venire contra factum proprium3u. Auch damit werden die Beweisvereitelungsnormen der ZPO völlig beiseite geschoben. Der Gedanke reicht sogar noch weiter, da er auch jede außerprozessuale Beweisvereitelung erfassen kann und dabei nicht einmal Fahrlässigkeit voraussetzt394• Beide Autoren bleiben nämlich nicht bei den etwa von Zeiss886 akzentuierten Merkmalen des Vertrauensschutzes und der Berufung auf eigenes Unrecht stehen, womit ohnehin nur wieder auf materiell-rechtliche oder prozeßrechtliche Verhaltenspflichten zurückgegriffen würde388• Vielmehr verweisen sie weitergehend auf den Satz, niemand dürfe sich mit seinem früheren Verhalten in Widerspruch setzen887• Also dürfe sich auch niemand auf die Beweisführungslast des Prozeßgegners berufen, wenn er diesem die Beweisführung durch ein in seiner Verantwortungssphäre liegendes Verhalten unmöglich gemacht habem. Zutreffend daher Stein/Jonas/Pohle, Einl. E II 2. m Gerhardt, AcP 169, 304 ff.; Egon Schneider, MDR 1969, 9 f.

392

39'

Egon Schneider, MDR 1969, 10.

Zeiss, Prozeßpartei, 115 f. Soweit wie bei Gerhardts Konkretisierung des § 242 BGB damit auf zivilrechtliche Vertragspflichten zurückgegriffen wird, enthält § 242 BGB wiederum nur einen entbehrlichen Umweg. 397 Gerhardt, AcP 169, 305; Egon Schneider, MDR 1969, 9. 395

398

398

Egon Schneider, MDR 9.

240 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen Diese Formel, die allerdings nur Egon Schneider konsequent durchhält300, ist deutlich auf die Erfassung des gesamten, in der Praxis angesammelten Fallmaterials zugeschnitten und wohl deshalb noch weiter geraten als die seitherige Kasuistik: Nicht nur, wenn eine Prozeßpartei den Namen eines nur ihr bekannten Unfallzeugen bewußt verschweigt, sondern auch wenn sie ihn vergessen hat und sich dann auf die Beweislast des Gegners "beruft", liegt ein gegensätzliches Verhalten vor. Auf Verschulden soll es ja nicht ankommen. Mit diesem Postulat würde in Wahrheit ein vollendetes Netz von Rücksichtspflichten zum Schutz eines (potentiellen) Prozeßgegners installiert, das die gesamte Beweisverteilung der ZPO aufweichen müßte. cc) AnaLogien zu§ 444 ZPO

§ 444 ZPO wird nicht selten als die prozessuale Grundnorm zur Beweisvereitelung verstanden400• Sie bietet in der Tat einen Ansatzpunkt für andere Fallgestaltungen, soweit es um eine absichtliche Beweisvereitelung geht. Ob eine beim Gegner befindliche Urkunde oder ein Augenscheinsobjekt vernichtet oder ein Zeugenbeweis verhindert wird, macht für die von § 444 ZPO bekämpfte Wirkung keinen Unterschied. Die Interessenlagen sind gleich. Da-; vorsätzliche Verschweigen des der anderen Partei unbekannten Namens eines Unfallzeugen, die absichtliche Verhinderung der Rekonstruktion eines Verkehrsunfalls durch das Verwischen von Kreidestrichen, die willkürliche Untersagung einer Augenscheinseinnahme im Betrieb oder Grundstück, die ohne Sachgrund verweigerte Untersuchung eines Gegenstands durch einen Sachverständigen und die vorprozessuale, bewußte Vernichtung eines Testaments decken sich völlig mit dem Tatbestand, den der Wortlaut des § 444 ZPO regelt. Insoweit ist die analoge Anwendung des § 444 ZPO geboten. Damit werden die Sanktionen für die Beweisvereitelung im Grundsatz auch angemessen begrenzt. Es kann Gründe geben, die eine Beweisvereitelung "rechtfertigen". Die Wahrung eines Betriebsgeheimnisses oder der Schutz der Intimsphäre bei der verweigerten Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht des Zeugen können solche Motive sein401 • Sie verhindern dann, daß derartige Fälle in den Ähnlichkeitskreis des§ 444 ZPO einbezogen werden. Fahrlässige Beweisvereitelungen sind von § 444 ZPO freilich nicht erfaßt. Doch müssen nicht alle Fallgruppen auf ein Einheitsschema zurückgeführt werden. Es ist deshalb, solange dies die §§ 422 ff. ZPO nicht ausschließen, durchaus denkbar, daß materiellrechtliche Tatbestände in Einzelfällen weitergehende Beweisvereitelungssanktionen begründen. 399

400 401

Anders Gerhardt, vgl. dazu oben FN 339. Vgl. etwa BGH VersR 1965, 91, 92. In diesem Sinne auch Gerhardt, AcP 169, 310.

B. Zivilvertragliche Nebenpflichten und prozessuale Sanktionen

241

c) Zivilrechtliche Tatbestände und fahrlässige Beweisvereitelung Damit ist man für fahrlässige Beweisvereitelungen auf das materielle Recht- wie der obige Fallkatalog zeigt -insbesondere auf das Vertragsrecht verwiesen.

aa) Vertragliche Nebenpflichten Der Rückgriff auf die Verletzung von Vertragspflichten erfordert dabei eine Antwort auf die oben aufgeworfene Frage nach prozessualen Sanktionen für vorprozessuale Vertragsverpflichtungen. Eine Brücke zu diesen Fallgestaltungen bilden die Fälle, in denen vorhandene Beweisstücke trotz einer bestehenden Vertragspflicht nicht vorgelegt werden. tX) Nichtvorlage von Beweismitteln

Die Anfertigung von Röntgenaufnahmen oder von Aufzeichnungen über die Häufigkeit und die Zeitdauer von Röntgenstrahlungen dient dem Schutz des Patienten. Dieser soll- nicht nur im Hinblick auf künftige Rechtsstreite- vor Schäden bewahrt werden. Deshalb ist der Arzt verpflichtet, Unterlagen zu schaffen t;.nd aufzubewahren. Das erkennt auch Egbert Peters an. Er sieht aber keine Brücke zur Vorlagepflicht für solche Urkunden im Streitfall402 • Denkt man an den Verstoß gegen zivilvertragliche Nebenpflichten durch die Vornahme von Parteiprozeßhandlungen403, so bietet sich indessen die Parallele an: In beiden Fallen soll der Vertragspartner vor Schäden bewahrt werden. Diese können auch durch den Prozeßverlust eintreten und nach Rechtskraft des Urteils durch Ersatzansprüche nicht mehr korrigierbar sein. Dem Vertragszweck läßt sich allein durch die prozessuale Berücksichtigung entsprechen. Deshalb ist, wenn das Prozeßrecht keine entgegenstehenden Wertungen enthält, der Vertragszweck nur durch Vorlage des Beweisstückes im Prozeß und bei schuldhafter Nichtvorlage- etwa bei unsorgfältiger Suche nach den noch vorhandenen Röntgenaufnahmen - durch die innerprozessuale Beweisvereitelungssanktion zu gewährleisten. § 422 ZPO versperrt diesen Weg auch nicht. Die Vorschrift soll den materiell-rechtlich fundierten Anspruch ersichtlich nicht verkürzen, sondern umgekehrt dem materiellen Recht im Prozeß Rechnung tragen.

ß) Vorprozessuale Pflichtverletzungen Die Fälle schließlich, in denen die Beweisstücke fahrlässig vernichtet oder in vorwertbarer Weise nicht angefertigt worden sind, unterscheiden sich nach der Interessenlage nicht entscheidend. Auch hier liegt ein 402

4os

Egbert Peters, ZZP 82, 207. Vgl. oben § 7 B I 2 a (S. 218- 220).

16 Konzen

242 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen Verstoß gegen die zum Schutz des Gegners bestehende Nebenpflicht vor. Nur liegt die Verletzungshandlung zeitlich früher. Zur Vorlagepflicht kommt es nur deshalb nicht, weil sich die Prozeßpartei diese schon vorher durch schuldhaftes Verhalten unmöglich gemacht hat. Der Zeitpunkt der Verletzungshandlung kann dabei eine abweichende Beurteilung nicht rechtfertigen. Gleichgültig also, ob die Prozeßpartei vertragswidrig und schuldhafteine real vorhandene Urkunde nicht vorlegt oder das Beweisstück nicht angefertigt oder vernichtet hat, die Rechtsfolge muß in beiden Fällen dieselbe sein. Es kommt nicht darauf an, ob der Arzt Röntgenaufnahmen angefertigt hat und schuldhaft nicht vorlegt oder ob er diese schuldhaft unterlassen oder bei einem Praxisumzug verloren hat. Deshalb können auch vorprozessuale Vertragspflichtverletzungen zu prozessualen Sanktionen führen. Die Basis für diese Vertragspflichtverletzung ist aber stets die Pflicht, den anderen Vertragspartner vor Schäden zu bewahren, so daß je nach Vertragstyp Zurückhaltung geboten ist. Die Judikatur neigt allerdings bisweilen zu Übertreibungen, wenn sie etwa die Aufbewahrung eines Telegramms fordert, um über den für den Vertragsabschluß entscheidenden Zeitpunkt der Annahmeerklärung entscheiden zu könnenm.

bb) Sonstige Fälle Entsprechende Erwägungen lassen sich auch im außervertraglichen Bereich anstellen. Im obigen Geldscheinbeispiel405 bestand schon analog § 422 ZPO eine Vorlagepflicht, die sich auf einen Herausgabeanspruch nach§ 985 BGB aus dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis ergab. Deshalb ist mit Arwed Blomeyer408 - allerdings nach Maßgabe der §§ 989, 990 BGB- die Beweisvereitelung auf materiell-rechtliclle Vorschriften zurückzuführen. Soweit die Geldscheine zuvor entwendet waren, kommen auch die von Arwed Blomeyer erwogenen Deliktsvorschriften zum Zuge. C. Deliktsverhalten der Prozeßpartei bei der Erlangung von Beweismitteln Die zuvor abschließend gestreiftenFälle derBeweisvereitelung zeigen bereits, daß auch (vorprozessuales) Deliktsverhalten prozessuale Rechtsfolgen auslösen kann. Die widerrechtliche Erlangung von Beweismitteln durch die Prozeßpartei und der nachfolgende Beweisantritt mit diesen Beweisstücken sind indes das wichtigste Beispiel für derartige Fallgestaltungen. Damit ist allerdings die prozessuale Relevanz von delik404 405 408

Kritisch dazu auch Gerhardt, AcP 169, 312. § 1 A, Beispiel 4. Arwed Btomeyer, Zivilprozeßrecht, § 73 II 1 a

(S. 371) mit

FN 4.

C. Deliktsverhalten der Prozeßpartei bei der Erlangung von Beweismitteln 243 tischem, prozeßerheblichem Verhalten noch nicht erschöpft. Zu erinnern ist nicht nur an die bekannte Streitfrage der Rechtskraftdurchbrechung wegen vorsätzlich sittenwidriger Erschleichung eines Zivilurteils, die hier nicht erneut aufgegriffen werden soll, sondern auch an sonstige Deliktshandlungen im Prozeß: etwa die bereits erwähnte407 Einlegung eines Rechtsmittels in bloßer Verschleppungsabsicht. Doch werden solche "innerprozessualen Deliktshandlungen" im Prozeßrecht mit Hilfe des Mißbrauchsgedankens408 aufgefangen. Die nachfolgende Darstellung kann sich daher ganz auf die Frage konzentrieren, ob die deliktische Erlangung eines Beweismittels durch eine Prozeßpartei beim Beweisantritt im Rechtsstreit ein Beweis- und Verwertungsverbot bewirkt. I. Meinungsstand Einzelne Standpunkte zu diesem Problemkreis sind bereits angeführt wordenm. Die geordnete Darstellung des Meinungsstandes wird dadurch erschwert, daß die Fallgruppe häufig nicht isoliert betrachtet, sondern mit (anderen) Beweisverboten vermischt wird. So wird etwa die heimliche Tonbandaufnahme zwar auch als Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht des späteren Prozefgegners gewertet, aber das Verwertungsverbot ergibt sich schon daraus, daß auch die prozessuale Verwendung eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts darstellt und dessen verfassungsrechtliche Dimension ohnehin die ausdrücklich normierten Beweisverbote der ZPO überlagert410 • Repräsentativ ist daher nur die Eigentumsverletzung durch Entwendung oder Unterschlagung von - verfassungsrechtlich nicht relevanten- Urkunden oder Augenscheinsobjekten. Dazu sind die Ansichten geteilt. Die Befürworter des Beweisverbots greifen auf das materiell-rechtliche Deliktsverhalten zurück, düferieren aber in der Begründung. Als Argumente dienen die Einheit der Rechtsordnung411 , der Hinweis auf Treu und Glauben412 und schließlich die Nichtverwertung als prozessuale Parallele zu einem deliktischen Schadensersatzanspruch411• Eine Mittelmeinung stellt zwar auf die abschließende Regelung der prozessualen414 Beweisnormen ab; sie gelangt aber gleichwohl zu einem letztlich materiell-rechtlich begründeten Beweisverbot, indem sie bei der Urkundenvorlegung nach § 420 ZPO die 407 408

Vgl. oben § 2 C II (S. 89). Dazu anschließend § 8 B III (S. 270 - 272).

408

§ 7 A (5.176 -183).

410

Vgl. nur Rosenberg/Schwab, § 113 III 1 b (S. 589). KeUner, JR 1950, 270; Siegert, NJW 1957, 690.

411 412

Baumgärtel, ZZP 69, 103; Feldmann, NJW 1955, 855; Pleyer, ZZP 69,334.

m Grunsky, 446; Stein/Jonas!Schumann!Leipold, § 284 B III 1 a. 414 Der Rückgriff auf das Verfassungsrecht soll dadurch nicht verschlossen werden. 18°

244 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen §§ 422, 423 ZPO analog anwendet415 • Hat also der Beweisgegner- wie bei der deliktischen Erlangung von Beweismitteln durch eine Prozeßpartei - gegen den Beweisführer einen Herausgabeanspruch gemäß § 985 BGB, so soll bei der Beweisführung nach § 420 ZPO prinzipiell418 eine Verwertungsschranke analog § 422 ZPO bestehen. Die Gegner eines Beweisverbots halten ebenfalls die prozessualen Verwertungsschranken für abschließend417 und verweisen zudem auf die Durchsetzung der Wahrheitspftich.t418, den Gesichtspunkt der Prozeßverschleppungm und das Prinzip der Wahrheitsermittlung im Rechtsstreit420 • Damit ist das Problemfeld abgesteckt. Zur Debatte stehen die Transformation materiell-rechtlicher Wertungen in das Prozeßrecht oder die abschließende Reglementierung der Beweisverbote durch die prozeßrechtlichen Normen und die mit dieser Wertungsgrenze verknüpften Interessen. II. Vorprozessuales Deliktsverhalten und ProzeHrecht 1. Zweckbeziehung von Zivil- und Prozeß1·echt

Die Richtschnur für die Problemanalyse ist bereits an anderer Stelle421 skizziert worden. Die Präjudizialität des Urteils, das auf einer Beweiserhebung mit einem von der Prozeßpartei deliktisch erlangten Beweismittel beruht, verhindert, im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs gemäß § 823 Abs. 1 BGB den gesamten aus der deliktischen Rechtsverletzung entstandenen Schaden - nämlich auch den Prozeßverlust - abzugelten. Die prozessuale Beweis- und Verwertungsschranke ist also die einzige denkbare Ahndung des Deliktsverhaltens422 • Da das Prozeßrecht jedenfalls im Grundsatz nicht die Vereitelung eines materiell-rechtlichen Anspruchs bezweckt, müßte für die Verwertung von widerrechtlich erlangten Beweismitteln ein Grund sprechen, der eine Verkürzung des deliktischen Rechtsschutzes rechtfertigt. Die Zweckbeziehung zwischen Zivil- und Prozeßrecht verhindert einerseits den schlichten Hinweis auf die abschließenden prozessualen Verwertungsschranken423• Andererseits verbieten die denkbaren prozessualen Gegengründe die unbefangene Dilcher, AcP 158, 488 f.; Rosenberg/Schwab, § 113 III 1 b (S. 589). Ausnahme: Der Beweisgegner beruft sich zur Beweisführung auf die Urkunde. Dann soll die Analogie zu § 423 ZPO zum Zuge kommen. 417 Egbert Peters, ZZP 76, 153; Roth, JR 1950, 715. 418 Egbert Peters, ZZP 76, 150; Roth, JR 1950, 715. 41V Roth, JR 1950, 715. 420 Sauer, Prozeßrechtslehre, 138; vgl. auch Roth, JR 1950, 715. 415

416

421

§ 7 A (S. 176 -183).

422

Insoweit zutreffend Grv.nsky, 446; Stein!Jonas!Schv.mann!Leipold, § 284

423

Vgl. oben zu FN 417.

B III 1 a.

C. Deliktsverhalten der Prozeßpartei bei der Erlangung von Beweismitteln 245 prozessuale Sanktionierung des vorprozessualen Deliktsverhaltensm. Statt dessen ist nach prozeßrechtlichen Zwecksetzungen zu fragen, die Rechtsfolgen des Deliktsverhaltens ausschließen können.

2. Ausschluß der Deliktssanktion durch prozessuale Zwecke? a) Durchsetzung der Wahrheitspflicht? Nach§ 138 Abs. 1 ZPO haben die Parteien Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben. An dieses Verbot der Prozeßlüge knüpft Egbert Peters an. Er stellt der deliktischen Beschaffung des Beweismittels einen vom Prozeßgegner begangenen Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht entgegenm. Der Beweisführer behaupte, die beantragte Beweisaufnahme werde seinen Tatsachenvortrag bestätigen und damit den des Gegners widerlegen. Damit werfe er regelmäßig der Gegenpartei vor, durch unrichtige Behauptungen gegen die Wahrheitspflicht zu verstoßen und einen versuchten Prozeßbetrug zu begehen426 • Wenn man also vor der Verwertung des deliktisch erlangten Beweismittels über dessen Unzulässigkeit entscheide, so ignoriere man den Betrugsversuch der Gegenpartei427 • Indessen muß der Tatsachenvortrag des Gegners nicht in jedem Fall bewußt unrichtig sein. Zudem kann die Verletzung der Wahrheitspflicht nicht unterstellt werden. Die Prüfung der Zulässigkeit des beantragten Beweisantritts ist logisch vorrangig428 • Andernfalls könnte jede prozessuale Verwertungsschranke- etwa das Aussageverweigerungsrecht eines schweigepflichtigen Zeugen - unter Hinweis auf die mögliche Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht unterlaufen werden. Selbst wenn ein Zeuge mit Aussageverweigerungsrecht über dieses nicht oder falsch belehrt worden ist, also entgegen den gesetzlichen Intentionen ausgesagt hat und damit eine Wahrheitspflichtverletzung der Prozeßpartei feststünde, soll es bei einem Verwertungsverbot bleiben428. Dann ist aber für entwendete Urkunden, von denen das Gericht inhaltlich Kenntnis genommen hat, das gleiche denkbar. Freilich ist für solche Fälle nicht zu verkennen, daß das Gericht beispielsweise bei der Würdigung einer anschließend vom Gegner beantragten Beweisaufnahme durch Parteivernehmung430 schwerlich von seiner Kenntnis abstrahieren wird. Doch rechtfertigt diese praktische Schwierigkeit nicht, Vgl. oben zu FN 411 - 413. Egbert Peters, ZZP 76, 150; vgl. auch Roth, JR 1950, 715. 4ZS Egbert Peters, ZZP 76, 150. 427 ZZP 76, 151. 428 Dilcher, AcP 158, 473; Pleyer, ZZP 69, 334 f. 428 Vgl. etwa Bruns, Zivilprozeßrecht, § 35 IV 2 c y) (S. 322); Stein!Jonas! Schumann!Leipold, § 383 IV. 43o Darauf weist Roth, JR 1950, 715 hin. 4211

425

246 § 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen dem behaupteten Verstoß gegen die Wahrheitspflicht schlechthin Vorrang vor einer prozeßrechtlich- oder auch material-rechtlich fundierten Verwertungsschranke zu geben. b) Prozeßbeschleunigung? Das Verhalten der Prozeßpartei bei der Erlangung eines Beweismittels kann zu einem zusätzlichen Streitpunkt der Parteien werden. Die Annalune eines Beweis- und Verwertungsverbots bei deliktisch erlangten Beweismitteln kann daher zusätzliche Beweisaufnahmen über eine prozessuale Vorfrage erforderlich machen. Gegen das Beweisverbot wird deshalb auch mit dem Hinweis auf die gebotene Prozenbeschleunigung argumentiert. Der Zivilprozeß vertrage keinen Sonderprozeß über prozessuale Vorgänge481 • Das Argument findet sich auch in einer bereits zitierten strafprozessualen Entscheidung des BGH zur Schweigepflicht von Zeugen, in der der BGH den Richter davon befreien möchte, über die sachlich-rechtliche Befugnis des Zeugen zur Aussage zu befinden431• Auch dieser Hinweis überzeugt letztlich nicht. Auch wenn die Gefahr der Prozenverzögerung die Dauer der Beweisführung bisweilen einschränkt483, räumt dliS Gesetz etwa in §§ 387 f. ZPO den Verwertungssehranken Vorrang vor der Prozeßbeschleunigung ein434• c) Grenzen der Wahrheitsermittlung im Rechtsstreit Der Prozeß bezweckt die Wahrheitsfindung. Ein Prozeßverständnis, das der Wahrheitsermittlung einen überragenden Rang einräumt, muß sich notwendigerweise gegen Verwertungsverbote bei Beweisstücken wenden485 • Indessen kann im Zivilprozeß die Wahrheit stets nur im Rahmen des Parteivortrags ermittelt werden. Die Wahrheitstindung gilt außerdem nach der gesetzlicllen Konzeption nicht schrankenlos488• Sie wird durch prozeßrechtliche Beweisverbote eingeschränkt, so daß sich die Reaktion auf den Beweisantritt mit widerrechtlich erlangten Beweismitteln nicht lapidar mit dem Prinzip der Wahrheitsermittlung abtun läßt. aa) Prozeßrechtliche Schranken

Prozeßrechtliche Schranken der Wahrheitsermittlung enthält das Gesetz an einer ganzen Reihe von Stellen. Dabei können die prinzipiellen Roth, JR 1950, 715. BGHSt 9, 59, 62. 481 Vgl. dazu näher Rosenberg!Schwab, § 118 I 3 b (S. 609). m Vgl. etwa Dilcher, AcP 158, 474. &35 Vgl. vor allem Sauer, Prozeßrechtslehre, 138. 438 Heute allgemein anerkannt; vgl. nur Ditcher, AcP 158, 473. 481

48!

C. Deliktsverhalten der Prozeßpartei bei der Erlangung von Beweismittel

247

Beschränkungen der Beweismittel in den Fällen der § 80, 164 S. 1, 314 S. 2 und 445 Abs. 2 ZPO ebenso außer Betracht bleiben, wie die Begrenzung nach den§§ 592 S.1, 595 Abs. 2 ZPO im Urkundenprozeß. Wesentlich sind dagegen die Begrenzungen des Zeugenbeweises in den §§ 376, 383 ZPO. Die unterlassene oder fehlerhafte Belehrung von Zeugen mit Aussageverweigerungsrecht sowie der Verstoß des Zeugen gegen seine Schweigepflicht (§ 383 Abs. 3 ZPO) führen danach zur Unverwertbarkeit der Aussage437 • Zudem ist, wie etwa die §§ 422 ff. ZPO und die obigen Ausführungen zur Beweisvereitelung zeigen, die Prozeßpartei nicht schlechthin zur Mitwirkung an der Beweisführung der Gegenpartei verpflichtet. Es fragt sich daher, ob diese "Mitwirkung" durch eine unerlaubte Handlung erzwungen werden kann.

bb) Widerrechtlich erlangte Beweismittel Das Prozeßrecht stellt damit bisweilen bei der Beweisführung durchaus auf materiell-rechtliche Bezüge ab, so daß eine weitergehende Begrenzung der Wahrheitsermittlung durch ein Beweisverbot bei deliktisch erlangten Beweismitteln nicht gänzlich verschlossen erscheint. Ein Indiz enthält bereits das Vernehmungsverbot des Zeugen bei strafbaren Verletzungen seiner Schweigepflicht nach § 383 Abs. 3 ZPO. Wenn die Strafbarkeit des Zeugen im Prozeß zu Verwertungsschranken führt, liegt eine Parallele zu deliktischem, vorprozessualem Parteiverhalten nahe. Immerhin betrachtet aber § 420 ZPO beim Urkundenbeweis nicht die Art und Weise, in der die Urkunde in den Besitz des Beweisführers gelangt ist. Die Vorschrift statuiert schlicht den Beweisantritt durch Urkundenvorlage. Sie kümmert sich damit im Gegensatz zu § 422 ZPO nicht darum, ob dem Beweisführer die Urkunde auch materiell-rechtlich gebührt. Angesichts der Zweckbeziehung von Zivil- und Prozeßrecht und der mit einer Verwertung von deliktisch erlangten Beweismitteln verbundenen Verkürzung des deliktischen Rechtsschutzes ist freilich zu fragen, aus welchem Grund § 420 ZPO unabhängig vom materiellen Recht allein auf den Besitz abstellt. Diese Frage stellt im gleichen Zusammenhang auchDilcher.Er untersucht daher den Zweck des §420 ZPO und sieht ihn unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte in dem Gedanken der Prozeßbeschleunigung, die als Prinzip der Verfahrensgestaltung allerdings nur relative Kraft habe488 • Deshalb kann die Vorschrift des § 420 ZPO auch nicht als Sperre gegenüber dem von § 823 Abs.1 BGB indizierten Rechtsschutz gegen Deliktseingriffe angesehen werden. Das Prozeßrecht berücksichtigt damit in § 420 ZPO zwar den

m Vgl. zu Richterverstößen bei der Belehrungspflicht oben FN 429 und zum Verwertungsverbot nach § 383 Abs. 3 ZPO näher oben § 6 B II 1 c (S. 150 f.). 438

Ditcher, AcP 158, 487 f.

248

§ 7 Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen

Deliktsverstoß bei der Erlangung einer Urkunde nicht, läßt aber nach der Zwecksetzung des § 420 ZPO Raum für ein materiell-rechtlich fundiertes Beweisverbot. Die gleiche Erwägung stellt auch Dilcher an, der freilich eher an die bereits erwähnte Analogie zu den §§ 422, 423 ZPO denkt489 • Da auch Dilcher auf den Schutz der Privatrechtsordnung abstellt, der unter der Herrschaft der Prozeßvorschriften möglichst wenig leiden dürfe440, liegt der unmittelbare Rückgriff auf § 823 Abs. 1 BGB näher. Dennoch gibt der Hinweis auf die §§ 422 ff. ZPO eine zusätzliche Einsicht. Es ist nämlich denkbar, daß eine Prozeßpartei einen Beweisgegenstand deliktisch erlangt, den der Gegner nach Maßgabe der §§ 422 ff. ZPO hätte vorlegen müssen. In diesem Fall steht der Prozeßverlust, der durch den Beweisantritt mit einem widerrechtlich erlangten Beweismittel verursacht wird, mit der prozessualen Regelung über die Mitwirkung an der Beweisführung des Gegners im Einklang. Das Obergericht Baselland formuliert daher auch für diesen Fall prompt eine Einschränkung für eine Verwertungsschranke bei widerrechtlich erlangten Beweismitteln. Es führt dazu aus: "So muß jedenfalls eine Urkunde, für welche die Partei, wie in casu editionspfiichtig wäre, auch dann berücksichtigt werden, wenn die Gegenpartei auf unerlaubte Weise in ihren Besitz gelangt ist441." Nichts anderes gilt auch für das deutsche Recht442• Sofern also eine Partei nach den oben entwickelten Grundsätzen über die Beweisvereitelung'" zur Mitwirkung an der gegnerischen Beweisführung gehalten ist, bleibt die deliktische Erlangung von Beweismitteln durch eine Prozeßpartei ohne prozessuale Sanktion. Die Erwägung ist umkehrbar. Die Genzen der Mitwirkungspflicht einer Prozeßpartei an der gegnerischen Beweisführung relativieren das Prinzip der Wahrheitsermittlung im Rechtsstreit. Der Prozeßverlust soll nur nach Maßgabe der prozessualen Regeln eintreten. Diese enthalten eine Wertungsgrenze für die Wahrheitsermittlung. Die Wertungsgrenze würde durch die Verwertbarkeit von Beweisstücken, die eine Prozeßpartei deliktisch erlangt hat, mit Hilfe einer unerlaubten Handlung unterlaufen. Wenn nämlich bereits das strafbare Zeugenverhalten (§ 383 Abs. 3 ZPO) die Wahrheitstindung begrenzt, gilt dies erst recht für das schuldhaft-widerrechtliche Parteiverhalten. Deshalb läßt 43&

440 441 442

Dilcher, AcP 158, 488 f.; ebenso Rosenberg/Schwab, § 113 III 1 b (S. 589). Dilcher, AcP 158, 488 m. w. N. Obergericht Base Hand, Schweiz JZ 1952, 239, 240. Ebenso Dilcher, AcP 158, 491. Damit zeigt sich eine Parallele zum Straf-

prozeß: Dort ist die Widerrechtlichkeit von Beschlagnahmen usw. in der Hauptverhandlung nicht zu berücksichtigen, wenn die Beschlagnahme auch ordnungsgemäß hätte erfolgen können, vgl. § 6 B II 1 a (S. 139- 147). In beiden Fällen überlagert der prozessuale Zweck die .,vorprozessuale" Widerrechtlichkeit. 443 Vgl. oben § 7 B II (S. 227- 242).

C. Deliktsverhalten der Prozeßpartei bei der Erlangung von Beweismittel

249

sich auch nicht einwenden, daß die Verwertbarkeit widerrechtlich erlangter Beweismittel zur Feststellung der wahren Rechtslage führt. Die an anderer Stelle444 zitierte Wendung Pleyers, wonach die Verurteilung des Beklagten zu einer von Rechts wegen geschuldeten Leistung kein Schaden im Sinne des Gesetzes sei445, verabsolutiert die Wahrheitstindung auf Kosten ihrer gesetzlich umrissenen Schranken. Der Prozeßverlust ist im Gegenteil ein Schaden, wenn er nicht auf der Einhaltung prozessualer Normen, sondern auf einer unerlaubten Handlung beruht. Dieser Schaden ist wegen der Präjudizialität des Urteils nicht nachträglich im Wege eines Schadensersatzanspruchs ausgleichbar, sondern nur durch ein Beweisverbot im Rechtsstreit zu verhindern. Im Grundsatz führt daher die deliktische Erlangung eines Beweismittels gemäß § 823 Abs.l BGB zu einem Beweis- und Verwertungsverbot, da diese prozessuale Sanktion die einzig denkbare Ahndung des Deliktsverhaltens bildet und keine prozessualen Interessen entgegenstehen.

444 44;;

§ 7 A zu FN 38. Pleyer, ZZP 69, 331.

§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien A. Der Prozeß als Rechtsausübung gegenüber dem Prozeßgegner Die zivilrechtliehen Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen1 unterstreichen einen durch die Anerkennung von Prozeßvereinbarungen bereits nahegelegten Befund: Vertragswidrige Parteiprozeßhandlungen, verschuldete Vertragsverletzungen vor dem Prozeß, die eine Beweisführung des Prozeßgegners verhindern, sowie der Beweisantritt mit einem deliktisch erlangten Beweismittel verstoßen gegen Rechtsbeziehungen, die allein zwischen den Prozeßparteien wirken. Die Vertragspflichten bestehen nicht gegenüber dem Gericht, das Deliktsverhalten ist nicht gegen dieses gerichtet. Die prozessualen Sanktionen beruhen auf zweiseitigen Rechtsbeziehungen, nicht auf einem dreiseitigen Prozeßrechtsverhältnis. Die materiell-rechtlich fundierten Vertragspflichten und die Verhaltensmaßstäbe des Deliktsrechts schränken die Prozeßführung ein. Der Prozeß selbst läßt sich insoweit als Rechtsausübung gegenüber dem Prozeßgegner auffassen2 • Diese Einsicht wird durch prozessuale Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien bestätigt. Auch diese begrenzen die Prozeßführung. Die gewillkürten Parteipflichten werden gegenüber dem Prozeßgegner begründet. Die prozessualen Sanktionen aufgrund verpflichtender Prozeßvereinbarungen3 basieren demgemäß auf prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien. Die Prozeßvereinbarungen mit Doppelwirkung4, bei denen der prozessuale Pflichtverstoß zu Schadensersatzansprüchen führt, beweisen darüber hinaus, daß die prozessualen Rechtsverhältnisse nicht nur eine Schrankenfunktion gegenüber der prozessualen Rechtsausübung haben, sondern auch Ansprüche begründen können. t

§ 7 (S. 176- 249).

Vgl. dazu auch Henckel, Prozeßrecht, 6lff.; er erblickt den Zweck des Zivilprozesses darin, daß dieser ein Mittel bzw. Verfahren zur Rechtsausübung sei. Damit schafft er eine Brücke zum materiellen Recht, dessen Wertungen er für die Deutung der Verfahrensgestaltung fruchtbar zu machen sucht. Ihm geht es freilich nicht um die Ergänzung der Prozeßrechtsnormen durch Vorschriften des materiellen Rechts. Vielmehr möchte er die Verfahrensstrenge des Prozeßrechts aus übergreifenden Gerechtigkeitserwägungen erläutern, indem er eine Reihe prozessualer Institute auf das Verwirkungsprinzip zurückführt. Vgl. dazu auch Bötticher, ZZP 85, 18 ff. a § 7 B I 1 a aa) {J) (S. 204- 209). t

' § 7 B I 1 a cc) (S. 209 - 216).

A.

Der Prozeß als Rechtsausübung gegenüber dem Prozeßgegner

251

Der Katalog der Eingangsbeispiele legt weitere prozessuale Rechtsverhältnisse zwischen den Prozeßparteien nahe. Die innerprozessuale Wirkung der gesetzlichen Parteipflichten erfordert allerdings keine Aufspaltung des einheitlichen Prozeßrechtsverhältnisses: Soweit die Pflichtwidrigkeit nur mit prozessualen Sanktionen belegt wird, ist die Schutzrichtung der Pflicht praktisch gleichgültig. Anders ist das aber bei einer Verwirkung prozessualer Befugnisse: Die Vertrauenstatbestände, die der Patentnichtigkeitsklage5 und der Berufungszurücknahme gegen ein Scheidungsurteil nach Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft8 widerstreiten sollen, können allein zwischen den Prozeßparteien entstehen. Auf die isolierte Pflichtenbindung zwischen den Prozeßparteien kommt es weiterhin auch bei dem in der Prozeßdoktrin wenig erörterten Problemkreis der Außenwirkung von Parteipflichten an. Gleichgültig, ob eine schuldhafte Verletzung gesetzlicher Parteipflichten zu Schadensersatzansprüchen führen7 oder ob der prozessuale Pflichtenkreis materiell-rechtliche Ersatzansprüche beeinflussen soll8 , in beiden Fällen ist eine Analyse des Schutzzwecks der Parteipflicht speziell gegenüber dem Prozeßgegner geboten. Die bezeichneten Problemkreise deuten also auf weitere, nämlich zivilprozeßrechtliche oder doch vom Prozeßrecht beeinflußte Rechtsverhältnisse zwischen den Prozeßparteien hin. Inwieweit solche real bestehen, ist im folgenden zu erörtern. Dabei wird zwischen materiell-rechtlichen Schranken der prozessualen Rechtsausübung9, nämlich dem Anwendungsbereich des§ 242 BGB im Prozeßrecht, und den Verhaltenspflichten der Parteien im Zivilprozeß 10 unterschieden. Diese Zweiteilung bedarf in mehrfacher Hinsicht der Erläuterung: Eine Verwirkung einer prozessualen Befugnis bezieht sich auf ein Prozeßverhalten, gehört also systematisch in das Prozeßrecht11 • Die materiell-rechtlichen Schranken der prozessualen Rechtsausübung besagen deshalb nur, daß die materiell-rechtliche Norm des § 242 BGB bisweilen im Prozeßrecht analog - d. h. durch Fallvergleich mit den auf Treu und Glauben gestützten Schranken der Rechtsausübung im materiellen Recht- angewendet wird12 • Diese Parallelität erklärt auch die Differenzierung zwischen Schranken der Rechtsausübung und Pflichten. Eine solche Aufgliederung ist an sich nur dem Zivilrecht geläufig, der Prozeßrechtssystematik dagegen fremd. Im Prozeßrecht gehört, wie § 1 A, Beispiel 6. ' § 1 A, Beispiel 7. 7 Vgl. oben§ 1 A, Beispiel 9. s Vgl. näher unten § 8 C III 2 (S. 290 - 298).

1

§ 8 B (S. 252 - 273). § 8 C (S. 273- 298). u § 2 B I 3 b (S. 52).

11

10

lll Vgl. zum Analogieproblem bei der Anwendung des § 242 BGB im Prozeßrecht oben § 7 B II 4 b aa) (S. 238).

252

§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien

bereits dargelegt13 , nicht ein anspruchsbegründendes Parteiverhalten, sondern jedes im Interesse eines anderen gebotene Verhalten zum prozessualen Pflichtenkreis. Eine dem materiellen Recht analoge Verwirkung prozessualer Befugnisse läßt sich daher aus prozessualer Sicht als Verstoß gegen eine Pflicht zur redlichen Prozeßführung bezeichnen14• Dennoch ist trotz der damit verbundenen systematischen Ungenauigkeit die Zweiteilung zwischen Schranken und Pflichten zweckmäßig, da sie die Pflicht zur redlichen Prozeßführung nicht als vorgegebene Prozeßrechtsnorm hinnimmt, sondern unterstreicht, daß sie lediglich eine Blankettformel für den Fallbereich der analogen Anwendung des § 242 BGB im Prozeßrecht ist. B. Materiell-rechtliche Schranken der prozessualen Rechtsausübung I. Problemprizisierung Die materiell-rechtlichen Schranken der prozessualen Rechtsausübung umschreiben das Feld der prozessualen Arglist. Dieses Feld ist kürzlich dur.ch die Fallgruppen abgesteckt worden, die Zeiss15 bei der Konkretisierung seiner GeneralklauseL des "honeste procedere" im Anschluß an die Vorstudien Baumgärtels18 gebildet hat. Von diesen Fallgruppen -der arglistigen Schaffung prozessualer Rechtslagen17, dem Mißbrauch prozessualer Befugnisse 18 sowie der Verwirkung 18 und dem venire contra factum proprium20 im Prozeßrecht- ist daher auszugehen. Sie haben inzwischen im Schrifttum Zustimmung gefunden21 • Das Fallmaterial zur prozessualen Arglist bedarf auch im Hinblick auf weitere, mit Hilfe von Treu und Glauben gelöste Fallgestaltungen keiner Erweiterung: Das vertragswidrige Parteiprozeßverhalten und vorprozessuale Deliktshandlungen sind nicht auf die Globalnorm des § 242 BGB im Prozeßrecht zurückzuführen 22 , und eine umfassende innerprozessuale Mitwirkungspflicht besteht nicht23 • Die Durchsicht des von Zeiss zusammengestellten Materials gestattet im Gegenteil eine weitere Abschichtung und eine Vereinfachung: ta § 7 B I a aa) {J) (S. 194 f.). u Vgl. etwa Zeiss, Prozeßpartei, 34; er konkretisiert die Pflicht zur redlichen

Prozeßführung gerade auch mit Hilfe der Fallgruppe der Verwirkung. ts Zeiss, Prozeßpartei, passim. te Baumgärtel, ZZP 69, 89. 11 Zeiss, Prozeßpartei, 52 ff.

s. 150 ff. s. 123 ff. 20 s. 100 ff.

18

19 21

22

2a

Baumgärtel, ZZP 86, 354 f.; Rosenberg/Schwab, § 65 VII (S. 337). § 7 B I 1 a aa) {J) (S. 197) und 2 a (S. 219 f.); § 7 C (S. 244 f.). Vgl. oben § 7 B II 4 b aa) (S. 234 - 239).

B. Materiell-rechtliche Schranken der prozessualen Rechtsausübung 253 Die Abschichtung betrifft die Fälle der arglistigen Erschleichung prozessualer Rechtslagen. Sie werden durch die Erschleichung der gesetzlichen Gerichtsstände, des Armenrechtsverfahrens, der Revisionssumme usw. repräsentiert2'; etwa dadurch, daß ein Inländer einem Ausländer Vermögen im Wortsinn des § 23 ZPO verschafft, indem er ihn in einen Prozeß vor einem unzuständigen Gericht verwickelt und sich in einem weiteren Prozeß gemäß § 23 ZPO darauf beruft, der Ausländer habe aus dem Erstprozeß einen Kostenerstattungsanspruch und damit inländisches Vermögen.. Das Beispiel verdeutlicht den von Zeiss herausgearbeiteten Rechtsgedanken: Es geht um Fälle der Gesetzesumgehung, präziser: der teleologischen Reduktion von oder der Analogie zu prozessualen Normen25. Im Beispielsfall ist § 23 ZPO nach seinem Worlaut anwendbar, dagegen nicht nach seinem rechtspolitischen Zweck. Entsprechend ist es bei den anderen Fällen der ,.Erschleichung prozessualer Rechtslagen". Überall kommt es allein auf die in allen Rechtsbereichen geläufigen Rechtsanwendungsgrundsätze für die Analogie oder die teleologische Reduktion an. Eine Pflicht zur redlichen Prozeßführung und damit die analoge Anwendung des § 242 BGB ist insoweit nicht angesprochen. Eine Vereinfachung der von Baumgärtel und Zeiss fixierten Gruppierung der prozessualen Arglist bietet sich schließlich auf dem Sektor der Verwirkung und des venire contra factum proprium an. Beide Konkretisierungen des § 242 BGB schützen das Vertrauen in das vorige Verhalten eines anderen, aufgrunddessen man sich auf eine bestimmte Sach- und Rechtslage eingerichtet hat26. Den Unterschied beider Institute erblickt man darin, daß bei der Verwirkung zwischen dem geschaffenen Vertrauenstatbestand und der diesem widersprechenden Rechtsausübung eine längere Zeitspanne liegen müsse. Doch liegt auch bei den Fällen des venire contra factum proprium zwischen den widersprüchlichen Verhaltensweisen eine gewisse Zeitspanne, so daß die Gruppierung lose und traditionell bedingt ist27 • Ein praktischer Unterschied ergibt sich allenfalls daraus, daß zum venire contra factum proprium auch die Berufung auf eigenes Unrecht gerechnet wird; darin liegt aber nur ein Unterfall des Vertrauensschutzes28• Aus dem früheren Verhalten erwächst das berechtigte Vertrauen, der Handelnde werde aus seinem Unrecht nicht auch noch Rechte herleiten. Die einzige Fallgestaltung, die Zeiss im Ergebnis29 zum Anwendungsgebiet des venire 24 26

21 21 28

Zeiss, Prozeßpartei, 70 ff.

s. 57 ff.

Zeiss, Prozeßpartei, 102, 124. Zeiss, Prozeßpartei, 124.

s. 116.

Vorher klammert Zeiss die Fälle vertragswidriger Parteiprozeßhandlungen aus der Generalklausel des § 242 BGB aus. 2o

254

§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien

contra factum proprium im Prozeßrecht zähltso, nämlich die Unzulässigkeit einer Patentnichtigkeitsklage nach der vom Kläger veranlaßten Patentierung einer nicht schutzfähigen Erfindungs1, kann man daher auch als prozessuales Verwirkungsproblem auffassens2 • Die Patentnichtigkeitsklage kann unzulässig sein, wenn der Patentinhaber darauf vertrauen darf, der Kläger dürfe nach der von ihm veranlaßten Patentierung gegen das Patent nicht gerichtlich vorgehen. Insgesamt läßt sich daher die Analyse des Anwendungsbereichs des § 242 BGB im Prozeßrecht auf die Gruppierung der Verwirkung und des Mißbrauchs prozessualer Befugnisse reduzieren. U. Verwirkung prozessualer Befugnisse

Die Verwirkung ist eine geläufige, durch Konkretisierung des § 242 BGB gewonnene Kategorie des materiellen Rechts. Ansprüche, Gestaltungsrechte und Gegenrechte können verwirkt werden. Ihre Verwirkung tritt ein, wenn der Berechtigte mit der Ausübung oder Geltendmachung so lange zögert, daß der Adressat des Rechts berechtigterweise annimmt, das Recht werde nicht mehr ausgeübt, und deshalb Vermögensdispositionen trifft oder Gegenmaßnahmen unterläßt33• Entscheidend sind damit nicht allein der Zeitablauf und die Untätigkeit des Berechtigten, sondern das dadurch hervorgerufene Vertrauen des anderen34• Ein analoger Vertrauensschutz ist auch im Prozeßrecht denkbar. Überträgt man die zivilrechtliehen Maßstäbe in die prozessuale Terminologie, so lassen sich für die prozessuale Verwirkung die folgenden drei Voraussetzungen fixieren35 : Eine Prozeßpartei muß während eines nicht unbedeutenden Zeitraums ein Verhalten gezeigt haben, daß die Gegenpartei zu der Annahme berechtigt, jene wolle von ihren prozessualen Befugnissen keinen Gebrauch machen. Die Gegenpartei muß sich auf den durch das Verhalten der Partei entstandenen Zustand eingerichtet haben. Die dennoch erfolgende Ausübung muß der Gegenpartei unzumutbar sein, da ihre Rechtsstellung beeinträchtigt wird. Die Beispiele für eine derartige Verwirkung prozessualer Befugnisse sind, auch wenn sie bisweilen durch prozessuale Blankettformeln wie :so Vgl. neuerdings auch Baumgärtel, ZZP 86, 365; er räumt dem venire contra factum proprium - wenn auch aus einem anderen Grund - im Prozeßrecht keinen Platz mehr ein. st Zeiss, Prozeßpartei, 120. 32 In diese Richtung weist auch Zeiss, Prozeßpartei, 124, FN 7, der die von ihm konkretisierten Fallgruppen des venire contra factum proprium und der Verwirkung für austauschbar hält. 83 Larenz, Allg. T., § 13 III b (S. 185). 34 Larenz, Allg. T., § 13 III b (S. 185). as Vgl. dazu Zeiss, Prozeßpartei, 124.

B. Materiell-rechUiche Schranken der prozessualen Rechtsausübung 255 Beschwer oder Rechtsschutzinteresse verdeckt werden, nicht selten: Hierher gehören nicht nur die schon erwähnten Eingangsbeispiele über die Patentnichtigkeitsklage38 und die Zurücknahme der Berufung37• Erwähnenswert nicht etwa auch die Verwirkung von weiteren Klagen38 und Verfassungsbeschwerden38 sowie von Kostenfestsetzungsanträgen40, unbefristeten Erinnerungen41 , Beschwerden'! und Einsprüchen gegen nicht zugestellte Versäumnisurteile43 • In derartigen Fällen stellt sich die Frage, ob dem Prozeßgegner44 ein Vertrauensschutz gegenüber den Prozeßhandlungen der anderen Partei zuzubilligen ist. Die damit angesprochene Übertragbarkeit materiell-rechtlicller Verwirkungsmaßstäbe in das Prozeßrecht ist allerdings in mehrfacher Weise problematisch. Bereits die Divergenz zwischen materiellen Rechten und Parteiprozeßhandlungen zeitigt einen wichtigen Unterschied: Verwirkte materielle Rechte können nicht mehr ausgeübt werden•s. Erwirkungshandlungen im Rechtsstreit sind dagegen nicht schlechthin unbeachtlich. Das Gericht muß sie zurückweisen. Eine Verwirkung der Patentnichtigkeitsklage kann diese daher nicht verhindern, sondern allenfalls eine Klageabweisung wegen Unzulässigkeit begründen. Weiterhin sind Parteiprozeßhandlungen an das Gericht adressiert. Dieses ist am Prozeßrechtsverhältnis beteiligt, so daß nicht ohne weiteres auf den Vertrauenstatbestandzwischen den Prozeßparteien abgestellt werden kann. Vor allem aber enthält das Prozeßrecht beispielsweise mit seinen Fristen und sonstigen Regeln über Parteiprozeßhandlungen ein Netz von Wertungen, die dem Vertrauensschutz der anderen Prozeßbeteiligten Rechnung tragen. Schon Siebert mahnt daher in seiner grundlegenden Studie zur Verwirkung, den verbleibenden Raum für den Verwirkungsgedanken im Prozeßrecht sorgfältig zu prüfen48 • § 242 BGB kann allenfalls Lücken des Prozeßrechts ergänzen, aber nicht den Formrigor des Prozeßrechts unter Hinweis auf die von Treu und Glauben umrissenen A, Beispiel 6. A, Beispiel 7. aa Vgl. vorerst nur BAG AP Nr.l zu§ 242 Prozeßverwirkung. se BayVerfGH NJW 1962, 339; vgl. auch BVerfG NJW 1964, 1019. 40 OLG Dresden JW 1938, 3161. 41 KG DR 1943, 412. 42 LG München NJW 1954, 1772. •a BGH NJW 1963, 154; der BGH lehnt hier die Verwirkung im Ergebnis ab. "' Erwägenswert sind freilich auch die Interessen des angegangenen Gerichts; vgl. dazu den nachfolgenden Text. 45 Vgl. nur Larenz, Allg. T., § 13 III b (S. 186); inwieweit zwischen dem Untergang des Rechts und einer Schranke für die zulässige Rechtsausübung zu unterscheiden ist, kann hier unerörtert bleiben. ca Siebert, 245. aa § 1 a1 § 1

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§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien

Gerechtigkeitspostulate verdrängen47 • Die Lückenfeststellungen im Prozeßrecht ist die Prämisse für die Anwendbarkeit des § 242 BGB und damit auch der prozessualen Verwirkung48• Der existente prozessuale Normenbestand bestimmt deshalb deren Reichweite.

1. Prozessuale Verwirkungstatbestände und verwandte Institute Die Prozeßrechtsnormen, die das Vertrauen der Partei in die Prozeßführung des Gegners schützen48 oder einen besonderen Vertrauensschutz ausschließen, sind recht zahlreich. Zeiss50 verweist in diesem Zusammenhang auf das grundsätzliche Verbot der Klageänderung, auf die Schranken für die Zurücknahme der Klage und der Berufung, auf die Regelungen der §§ 399, 402, 436 ZPO und das gerichtliche Geständnis (§ 290 ZPO), den Verlust prozeßhindernder Einreden nach Maßgabe des § 274 Abs. 3 ZPO und die Grenzen des Rügerechts nach § 295 ZPO. Hierher gehören weiterhin prinzipiell die "unverrückbaren Situationen" 61 durch die Unwiderruflichkeit von Prozeßhandlungen, deren bindende Wirkung einen Rückgriff auf Treu und Glauben verbietet, sowie der Ausschluß verspäteten Vorbringens nach den §§ 279, 279 a, 283 Abs. 2 und 529 Abs. 2, 3 ZP062 • Die wenigen unwiderruflichen Parteiprozeßhandlungen lassen gleichzeitig einen Umkehrschluß für das sonstige Prozeßverhalten zu. Es ist widerruflich. Die elastische Prozeßführung geht dem Vertrauensschutz vor. Das Prozeßrecht erlaubt das gegensätzliche Verhalten, so daß darin kein Verstoß gegen Treu und Glauben erblickt werden kann53• Ebenso lassen die prozessualen Ausschlußfristen, die Präklusionsnarmen und die Rechtskraftwirkung, die nicht auf Vertrauenstatbestände, sondern auf den Fristablauf abstellen, keinen Raum für die prozessuale Verwirkung64• Vgl. auch Henckel, Prozeßrecht, 95. Im Ergebnis das gleiche besagt der Hinweis auf die Subsidiarität der Verwirkung; vgl. etwa Siebert, 245; Zeiss, Prozeßpartei, 124. 49 Man kann sie als prozessuale Verwirkungstatbestände bezeichnen; vgl. auch anschließend FN 54. so Zeiss, Prozeßpartei, 43; er führt die "prozessualen Verwirkungstatbestände" allerdings unter der Rubrik venire contra factum proprium an. 47 4S

Baumgärtel, ZZP 69, 121. Henckel, Prozeßrecht, 112. ös Baumgärtel, ZZP 69, 120. 54 Vgl. auch Henckel, Prozeßrecht, 114 f.; er rechnet zwar auch die Ausschlußfristen (S. 95 f.) und die Rechtskraftwirkungen (S. 96 ff.) zur prozessuöl

52

alen Verwirkung, meint damit aber nicht die konkreten Tatbestandsvoraussetzungen der Verwirkung. Vielmehr möchte er die prozessualen Institute in ihrem Sinngehalt auf den Verwirkungsgedanken zurückführen und sie auf diese Weise vor einer Aufweichung durch Treu und Glauben bewahren; vgl. S. 95. Im Resultat wehrt sich Henckel damit ebenfalls strikt gegen eine weitherzige Anwendung des§ 242 BGB im Prozeßrecht. Deshalb bedarf seine Erläuterung prozessualer Erscheinungen mit Hilfe des Verwirkungsgedankens

B. Materiell-rechtliche Schranken der prozessualen Rechtsausübung 257

2. Materiell-rechtliche Verwirkungsmaßstäbe im Prozeßrecht a) Innerprozessualer Vertrauensschutz Die Summe der prozessualen Regelungen läßt dem Verwirkungsgedanken bei Parteiprozeßhandlungen55 allenfalls Randkorrekturen übrig. Innerhalb einer Instanz ist nicht nur der für die Verwirkung charakteristische Zeitablauf nicht gewahrt68 • Das Prozeßrecht erlaubt mit der Widerruflichkeit der Prozeßhandlungen das gegensätzliche Verhalten und versieht, wie § 251 a ZPO verdeutlicht, auch die Untätigkeit nicht schlechthin mit einem Verdikt. Die Rechtsmittelfristen bestimmen im Rahmen ihrer Reichweite die Zulässigkeit der Rechtsmittel. Übrig bleiben deshalb nur fristungebundene Prozeßhandlungen, mit denen ein Verfahren eingeleitet oder fortgesetzt wird. Bei diesen steht in Doktrin und Praxis meist der Vertrauensschutz des Prozeßgegners im Vordergrund. Die Vertrauenstatbestände sind mindestens teilweise außerprozessuaL b) Außerprozessuale Vertrauenstatbestände Das praktisch wichtigste Problemfeld der prozessualen Verwirkung ist die im Grundsatz und in vielen Details umstrittene Verwirkung von Klagen. Der gerichtliche Rechtsschutz ist prinzipiell unbefristet57 . Das Gericht wird erst mit der Klage tätig. Bei ihm kann sich schon deshalb kein Vertrauenstatbestand bilden, der zu einer Klageverwirkung führen könnte. Die Klageverwirkung ist deshalb der klassische Problemsektor, bei dem es um einen Vertrauenstatbestand zwischen den Prozeßparteien, also um Rechtsbeziehungen allein zwischen diesen geht. Die Bedenken, die wegen der nach dem Scheidungsurteil fortgesetzten ehelichen Lebensgemeinschaft gegen die Zurücknahme der Berufung durch die unterlegene Partei bestehen58, zeigen allerdings, daß außerprozessuale Vertrauenstatbestände59 auch sonstige prozessuale Befugnisse beeinflussen können. Dagegen berührt die verzögerliche Einlegung unbefristeter hier keiner näheren Analyse; vgl. zu Heuekels Rechtskraftausführungen aber die Kritik von Bötticher, ZZP 85, 20. 66 Diskutiert wird der Vertrauensschutz der Prozeßparteien auch gegenüber Gerichtsakten. Er hat mit den Rechtsbeziehungen zwischen Prozeßparteien nichts zu tun; vgl. dazu Baumgärtel, ZZP 86, 358, 370; Herbert Schneider, Festschrift für Schima, 367. 58 Baumgärtel, ZZP 67, 434. 57 Vgl. den nachdrücklichen Hinweis bei Henckel, Prozeßrecht, 115. ss § 1 A, Beispiel 7. 59 Der BGH erwägt im Beispielsfall (FN 58) allerdings primär eine aus schlüssigen Handlungen entstandene Verpflichtung, das Scheidungsurteil nicht rechtskräftig werden zu lassen; vgl. BGHZ 20, 198, 204 f. Um zur Amtsprüfung zu gelangen, greift der BGH zusätzlich auf die Verwirkung zurück: vgl. BGHZ 20, 198, 206. 17 Konzen

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§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien

Rechtsmittel auch die staatlichen Interessen einer geordneten Rechtspflege, die partiell im Rückgriff auf die prozessualen Institute der Beschwer oder des Rechtsschutzinteresses zum Ausdruck kommen' 0• Doch wird auch insoweit die Verwirkung meist mit dem Gegnerschutz begründet81. aa) Verwirkung von Klagen ~)

Meinungsstand

Während der Verwirkungsgedanke bei unbefristeten Rechtsmitteln bereits eine längere Tradition hat und im Schrifttum mehr beiläufig erörtert wirdu, ist das Problem der Klageverwirkung erst neuerdings in das wissenschaftliche Blickfeld gerückt. Die zivilprozessuale Diskussion geht hauptsächlich auf ein Urteil des Jahres 1961 zurück, mit dem das BAG eine Feststellungsklage gegen eine außerordentliche Kündigung unter Hinweis auf die prozeßrechtliche Verwirkung der Klagebefugnis für unzulässig hielt83 . Das Urteil stellt ausdrücklich auf den Vertrauensschutz des Prozeßgegners ab: Die Klägerin hatte sich 1947 gegen eine außerordentliche Kündigung, die im Vorjahr wegen der Denunziation eines Halbjuden während der nationalsozialistischen Herrschaft ausgesprochen worden war, mit einer Klage gewehrt, diese aber in einer als Vergleich bezeichneten Vereinbarung zurückgenommen. Danach war die Klägerin bis zur erneuten Klageerhebung im Jahr 1960 untätig geblieben. Das BAG folgert, dieses Verhalten habe beim Arbeitgeber das schutzwürdige Vertrauen auf die Endgültigkeit der Entlassung hervorgerufen, und sieht die erneute prozessuale "Berufung auf die Unwirksamkeitsgründe" als verwirkt an. Weniger deutlich ist die Projektion des Verwirkungsgedankens auf die andere Prozeßpartei in sonstigen Beispielsfällen der Prozeßrechtspraxis: Die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen über die Verwirkung der Anfechtungsklage" sind durch die Fristenregelung der §§ 58 Abs. 2, 76 VwGO praktisch überholt. Der BayVerfGH, der die Verwirkbarkeit einer Verfassungsbeschwerde nicht nur erwogen85 , sondern angenommen hat88, retiriert auf die Bemerkung, niemand87 brauche anzunehmen, ein Schiedsurteil des Amtsgerichts werde nach zweidreivierteljährigem Zuwarten eo Vgl. nur Zeiss, Prozeßpartei, 128 ff. &I Vgl. etwa Baumgärtet, ZZP 67, 451.

Schrifttumsnachweise anschließend unter bb). ea BAG AP Nr. 1 zu § 242 BGB Prozeßverwirkung. 84 Vgl. etwa BVerwG NJW 1956, 1213; BVerwG NJW 1957, 1292; vgl. auch BSGE 7, 112. es BVerfG NJW 1964, 1019. ee BayVerfGH NJW 1962, 339. 87 Hervorhebung vom Verfasser. 82

B. Materiell-rechtliche Schranken der prozessualen Rechtsausübung

259

noch mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen. Auch das BVerfG, das neuerdings im Anschluß an eine Entscheidung des OLG Köln18 die Befugnis zur Anrufung der Gerichte nach Art. 19 Abs. 4 als verwirkbar bezeichnet, führt neben dem schutzwürdigen Vertrauen der Gegenpartei auf das Untätigbleiben des Berechtigten weiterhin an, das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Rechtsfriedens könne es rechtfertigen, die Anrufung eines Gerichts nach langer Zeit als unzulässig anzusehen". Das zivilprozessuale Schrifttum äußert sich zur Klageverwirkung weithin skeptisch. In den Fällen der Judikatur seien meist materielle Rechte verwirkt70. Auch die Anhänger der Klageverwirkung begrenzen das Institut daher auf bestimmte Typen der Gestaltungsklagen71. Immerhin findet sich auch ein Hinweis auf die Verwirkung des in Art.19 Abs. 4 GG eingeräumten Rechtsschutzes72. Die Gegner lehnen die teilweise isoliert analysierte Verwirkung von Feststellungs- und Leistungsklagen73, häufig aber die Klageverwirkung schlechthin74 ab. Das Meinungsspektrum ist breit. Häufig hält man die Verwirkung von Leistungs- und Feststellungsklagen75, gelegentlich aber auch von Gestaltungsklagen78 für undenkbar. Partiell wird darauf hingewiesen, daß Klagfristen Ausnahmetatbestände sind und deshalb für eine zusätzliche Verwirkungsschranke kein Raum bleibe77 . Den größten Nachdruck legen die Verwirkungsgegner auf das Argument, die Verwirkung des gerichtlichen Rechtsschutzes betreffe das Verhältnis zwischen Kläger und Staat. Das gilt besonders für die Autoren, die den Privatrechtsschutz für verfassungsrechtlich verankert halten78. Neben dem grundgesetzlich es OLG Köln, NJW 1966, 2229. sg BVerfG NJW 1972, 675, 676. 1o Vgl. etwa Baumgärtel, ZZP 86, 367; Bötticher, AP Nr. 1 zu § 242 BGB Prozeßverwirkung; Dütz, 191; Dütz, NJW 1972, 1027; Zeiss, Prozeßpartei 143 ff. 11 Griebeling, 80 ff.; Zeiss, Prozeßpartei, 116 ff., 144 f. 12 Bettermann, Grundrechte III, 2 (S. 807 f., 813). ., 73 Bötticher, AP Nr. 1 zu § 242 BGB Prozeßverwirkung. 74 Baumbach!Lauterbach/Albers!Hartmann, Einl. III 6 A; Baumgärtel, ZZP 75, 400 f. und ZZP 86, 370; Dahns, 80 ff.; Dütz, 192; Dütz, NJW 1972, 1027 f.; Henckel, Prozeßrecht, 115; Rosenberg/Schwab, § 93 III 1 (S. 466); Stein!Jonas! Schumann!Leipold, Vor § 253 III 4 c, FN 170. 75 Baumgärtel, ZZP 86, 367; Dütz, NJW 1972, 1027; Zeiss, Prozeßpartei, 143, 145 ff. 78 So früher Baumgärtel, ZZP 75, 388; vgl. aber nunmehr Baumgärtel, ZZP 86, 367. 77 Henckel, Prozeßrecht, 115. 78 Baumbach!Lauterbach!Albers!Hartmann, Einl. III 6 A; Bötticher, AP Nr. 1 zu§ 242 BGB Prozeßverwirkung; Dütz, 104, 113; wohl auch Bettermann, Grundrechte III, 2 (S. 788) Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 1 III 3 (S. 7); vgl. auch die Andeutung bei Stein!Jonas!Schumann/Leipold, Vor § 253 III 2. 17°

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§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien

garantierten Rechtsschutz werden als potentieller Verwirkungsgegenstand allerdings zahlreiche, aus der Dogmengeschichte geläufige Erscheinungen wie Klagemöglichkeit, Klagbarkeit, Klagerecht, Rechtsschutzanspruch, Justizanspruch und Rechtsschutzgewährungsanspruch angeführt711• Auch sie deuten überwiegend auf Rechtsbeziehungen zwischen dem Kläger und dem Staat hin: Das gilt zwar nicht für die Klagemöglichkeit, die aber keine rechtliche Position kennzeichnet80 und deshalb unter der Rubrik "Rechtsverwirkung" nur schwer eingeordnet werden kann, und auch nicht für die Klagbarkeit als dem regelmäßigen Inhalt des materiell-rechtlichen Anspruchs81 , die auf Leistungsklagen beschränkt und als Verwirkungsgegenstand kaum denkbar ist82• Bereits das von Degenkolb konzipierte Klagerecht83 war gegen den Staat gerichtet; daneben allerdings auch gegen den Beklagten. Es ist indessen von Degenkolb selbst aufgegeben worden8 ' und bedarf heute keiner Erörterung mehr. Anders ist es mit dem Rechtsschutzanspruch, der sich einer gewissen Renaissance85 , namentlich bei Gestaltungsklagen88, erfreut, und dem Justizgewährsanspruch87• Der auf die Erlangung einer günstigen Entscheidung im Erkenntnisverfahren gerichtete Hechtsschutzanspruch ist fast einhellig88 nur als gegen den Staat gerichtet aufgefaßt worden. Nichts anderes gilt für den von der h. M. gebilligten Justizgewährungsanspruch89• Insgesamt verbleiben damit als Verwir79 Zusammenstellung bei Dütz, NJW 1972, 1026. Dütz bemängelt unter Hinweis auf das Schrifttum, daß zwischen diesen einzelnen Positionen nicht hinreichend unterschieden werde. 80 Vgl. nur Baumgärtel, ZZP 75, 389. 81 Vgl. dazu sowie zur ausnahmsweise vom Gesetz statuierten Unklagbarkeit und ihrer Unterscheidung von den Fällen der Naturalobligation Zeiss, Prozeßpartei, 143 FN 85. 82 Vgl. etwa Zeiss, Prozeßpartei, 143; er hält es zu Recht für nicht vorstellbar, daß ein Schuldner das Zuwarten des Gläubigers nur dahin deutet, dieser werde nicht mehr klagen. aber seinen Anspruch noch außergerichtlich verwirklichen. ss Degenkolb, Einlassungszwang, 41. 84 Degenkolb, Beiträge, 48. 85 Vgl. Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 1 III (S. 4 ff.) und Festschrift für Bötticher, 61 ff.; Mes, 83 ff.; Schlosser, Gestaltungsklagen, 375 ff.; Schönke!Kuchinke, § 3 li (S. 6); Stein!Jonas!Pohle, Einl. E I 3; anders die h. M.; vgi. etwa Rosenberg/Schwab, § 3 l i 2 (S. 12 ff.); Schwab, ZZP 81, 412 ff. 88 Vgl. etwa Brüggemann, Judex, 248 ff.; Henckel, Parteilehre, 34; Zeiss, Prozeßpartei, 121, 145. 87 Darunter versteht man den Anspruch der Parteien gegen den Staat auf ein den Prozeßregeln entsprechendes Verfahren unter- bei Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen - Einschluß des Sachurteils; vgl. Zeiss, Prozeßpartei, 143. 88 Die Ausnahme bildet Wach, der auch den Beklagten als Addressaten des Rechtsschutzanspruchs angesehen, sich insoweit aber nicht durchgesetzt hatte; vgl. dazu Wach, Feststellungsanspruch, 15, 27, 31 und Handbuch, 19. 8t Vgl. beispielsweise BGHZ 37, 113, 120 f.; Rosenberg/Schwab, § 3 I (S. 11).

B. Materiell-rechtliche Schranken der prozessualen Rechtsausübung

261

kungsgegenstände nur Erscheinungen publizistischer Herkunft: der grundgesetzlich garantierte Rechtsschutz, der Rechtsschutz- und der Justizgewährungsanspruch. Die öffentlich-rechtliche Projektion dieser Rechtsfiguren veranlaßt die Gegner der Klageverwirkung zu weitreichenden Folgerungen. Ein Vertrauenstatbestand für den Prozeßgegner erscheint vielen als irrelevant90• Im Mittelpunkt steht die Erwägung, ob das Gericht einen Vertrauensschutz genieße. Sie stößt in der Literatur nicht nur auf verfassungsrechtliche Bedenken11 • Die Klageverwirkung gegenüber dem Gericht wird darüber hinaus wegen fehlender Tatbestandsvoraussetzungen geleugnet. Zu Recht: Das Gericht vertraut nicht auf die Untätigkeit der Partei92, die Bezugnahme auf einen neutralen Beobachter01 bringt verdeckt nur wieder den Prozeßgegner ins Spiel84, und ein gerichtlicher Vertrauensschutz wäre nicht schutzwürdig9s. Diskutabel ist allein die oben96 aufgeworfene Frage nach einem Vertrauensschutz des Prozeßgegners. Die vorstehend dagegen angeführten Argumente lassen sich in zwei Gruppen aufgliedern: Soweit auf die Rechtsbeziehungen zwischen dem Kläger und dem Staat abgestellt wird, stellt sich die generelle Frage, ob ein Parteiverhalten gegenüber dem Prozeßgegner überhaupt die Gewährung des staatlichen Rechtsschutzes verhindern kann. Diese Fragestellung rE:icht über die Klageverwirkung hinaus und ergreift auch den vertraglichen Klageverzicht. Zwar ist denkbar, daß niemand auf eine Klage verzichten kann, bevor der materiell-rechtliche Anspruch entstanden ist, und dennoch eine Klageverwirkung eintreten kann97 • Zumindest aber eine Zulässigkeit eines vertraglichen Klageverzichts nach Entstehen des materiell-rechtlichen Anspruchs ließe Schlußfolgerungen für die Verwirkung zu18 : Der Vertrauensschutz des Prozeßgegners könnte nicht unter Hinweis auf öffent90 Baumgärtel, ZZP 75, 397 f.; Dütz, 192; Dütz, NJW 1972, 1028; a. A. Zeiss, Prozeßpartei, 121 f. 91 Bötticher, AP Nr.1 zu § 242 BGB Prozeßverwirkung; Dütz, 192; Dütz, NJW 1972, 1028; vgl. auch für Art. 19 Abs. 4 GG Baumgärtel, ZZP 86, 369 f. 92 Dahns, 97; Dütz, 192; Dütz, NJW 1972, 1027; Zeiss, Prozeßpartei, 121. 93 Baumgärtel, ZZP 75, 395; vgl. auch oben zu FN 67. u Vgl. nur Dütz, NJW 1972, 1028; er bemerkt zu Recht, daß damit die Verwirkungsregeln gerade nicht auf das Verhältnis zwischen Prozeßpartei und Gericht angewendet werden. 95 Baumgärtel, ZZP 75, 397; Dahns, 97; Dütz, NJW 1972, 1028; Griebeling, 61. ue Vgl. oben§ 8 B II 2 b vor aa) (S. 257). 97 Da auch bei Existenz eines materiell-rechtlichen Anspruchs niemand zur Klage genötigt ist, ist es möglich, daß ein nachträglicher Klageverzicht und eventuell auch eine Klageverwirkung zulässig ist, auch wenn gegen den vorgängigen vertraglichen Klageverzicht Bedenken bestehen; vgl. dazu Henckel, Prozeßrecht, 94 FN 145. 98 Vgl. über den engen Zusammenhang beider Institute Henckel, Prozeßrecht, 94.

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§8

Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien

lieh-rechtliche Rechtsbeziehungen schlechthin für unbeachtlich erklärt werden''· Deshalb wird nachfolgend zuerst der vertragliche Klageverzicllt analysiert100. Er kann freilich nur generell die Relevanz des Parteiverhaltens gegenüber dem Prozeßgegner für den Ausschluß des gerichtlichen Rechtsschutzes aufzeigen. Inwieweit die prozessualen Normen lückenhaft sind und eine Anwendung des§ 242 BGB gestatten und ob überhaupt der Vertrauenstatbestand sich auf prozessuale Positionen, dagegen nicht zugleich auf geltend gemachte materiell-rechtliche Befugnisse erstreckt, - also das engere Problem der Verwirkbarkeit von Klagen im Wege der Rechtsfortbildung - ist anschließend gesondert zu beachten101.

ß) Vertraglicher Klageverzicht Die Deduktionen, die von den Gegnern der Klageverwirkung aus den isoliert betrachteten Rechtsbeziehungen zwischen dem Kläger und dem Staat abgeleitet werden, lassen erwarten, daß die gleichen Argumente auch gegen die rechtsgeschäftliche Parteidisposition über den gerichtlichen Rechtsschutz angeführt werden. Die Annahme bestätigt sich indessen nicht völlig. Bei Vereinbarungen, die den Prozeß ganz102 ausschließen sollen, überwiegen heute die Befürworter103 überraschenderweise die Gegner104• Allerdings taudlen als Gegenargumente auch in diesem Bereich öffentlich-rechtliche Positionen, nämlich der Hechtsschutzanspruch und die Rechtsschutzgewährung auf105. Auch hier werden - wenn auch vereinzelt - Schranken der Parteidisposition aus einer verfassungsrechtlichen Verankerung des Privatrechtsschutzes gefolgert101. Im Unterschied zur Klageverwirkung stellt die Doktrin weniger auf eine isolierte Betrachtung der Rechtsbeziehungen zwischen ee Wenn die nachträgliche Parteidisposition über den gerichtlichen Rechtsschutz zulässig ist, muß auch eine über die Rechtsgeschäftslehre hinausreichende Verwirkung durch einen zwischen den Prozeßparteien bestehenden Vertrauenstatbestand möglich sein. In beiden Fällen steht zur Debatte, ob Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien auch Rechtspositionen gegenüber dem Staat einschränken können. 100 Vgl. anschließend unter p. 101 Vgl. anschließend unter y. 102 Vgl. zum zeitweiligen Ausschluß von Klagen Schlosser, Parteihandeln, 68f. m.w.N. 1os Baumgärtel, ZZP 75, 394; Pohle, Festschrift für Lent, 214 f.; Schlosser, Parteihandeln, 63 ff.; Stein/Jonas!Schumann/Leipold, Vor § 253 III 2; Zeiss, Prozeßpartei, 143; vgl. auch Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VIII 2, 3 (S. 147). Der BGH läßt die Frage offen, spricht sich aber für den Klageverzicht bei Art. 19 Abs. 4 GG aus; vgl. BGHZ 10, 22, 28, BGHZ 26, 84, 86. 104 Vgl. vor allem Dü.tz, 152 ff.; Rosenberg/Schwab, § 93 I (S. 466); Schiedermair, 92 ff. 105 Vgl. nur den Hinweis von Schlosser, Parteihandeln, 65. 1oe Dü.tz, 152 f!.

B. Materiell-rechtliche Schranken der prozessualen Rechtsausübung 263 dem Kläger und dem Staat ab. Vielmehr wird auf das durch die öffentlich-rechtliche Dimension des Rechtsschutzes dokumentierte öffentliche Interesse - hier an der staatlichen Institution des Prozesses - verwiesen107, das auch sonst die Parteidisposition über Prozeßhandlungen einschränkt und durch eine etwaige grundgesetzliche Gerantie des privatrechtliehen Rechtsschutzes allenfalls unterstricllen108 wird. Darin liegt zugleich eine Richtschnur für den Sektor der Klageverwirkung: Die These über den grundgesetzlich garantierten Privatrechtsschutz vor Gerichten sowie die wissenschaftlichen Begriffsbildungen des Rechtsschutz- und des Justizgewährungsanspruchs besagen in erster Linie, daß der Staat den Rechtsschutz nicht nach seinem beliebigen Ermessen zur Verfügung stellen oder verweigern darf. Damit ist aber keine isolierte Betrachtung der Rechtsbeziehungen zwischen dem Kläger und dem Staat verbunden. Der Zivilprozeß dient zumindest auch der Durcllsetzung privater Rechte gegenüber dem Prozeßgegner, über die die Parteien disponieren können108. Und es ist allenfalls zu fragen, inwieweit ein daneben bestehendes - eventuell überwiegendes - öffentliches Interesse am staatlichen Rechtsschutz Parteidispositionen über Klagen ausschließt. Diese Anschauung, die folgerichtig auch einen Verwirkungstatbestand zwischen Prozeßparteien gegenüber Klagen nicht prinzipiell ausschließt, sondern allenfalls an öffentlichen Interessen scheitern läßt, wird durch das Gesetz und die Rechtsdogmatik punktuell bestätigt: Einmal zeigt § 20 Abs. 2 Nr. 4 GWB, daß Nichtangriffsabreden auch bei Populargestaltungsklagen- also solchen, denen kein materiellrechtlich fundiertes Gestaltungsrecht zugrunde liegt110 - möglich sind111• Zum anderen wird auch bei der deliktsrechtlichen Privilegierung von Rechtsverletzungen durch Klagen, die im Hinblick auf die andernfalls drohende Verkümmerung des Rechtsschutzes eingeräumt wird112, nicht schroff zwischen dem durch die Klage begründeten Rechtsverhältnis des Klägers zum Staat und den deliktischen Rechtsbeziehungen unter den Prozeßparteien unterschieden113• Sowohl beim vertraglichen Klageverzichtals auch bei der Verwirkung sind also die öffentlich-rechtlichen Grundlagen des gerichtlichen Rechtsschutzes nur insoweit relevant, als 107 Vgl. etwa Schlosser, Parteihandeln, 65 f. 1os Vgl. im Zusammenhang mit der Klageverwirkung Dii.tz, NJW 1972, 1026; er weist auf die Ähnlichkeit der verfassungsrechUichen und der "einfachrechtlichen" Argumentation hin. 1ov Hervorgehoben etwa von Schlosser, Parteihandeln, 66. Deshalb überzeugt auch das- privatrechtlich gedachte- Argument Schiedermairs, man könne nicht durch Vertrag mit einem anderen auf ein Recht verzichten, das gegenüber dem Verpflichteten unverzichtbar sei, nicht. Vgl. Schiedermair, 92. uo Vgl. dazu anschließend unter y). 111 Darauf weist Schlosser, Parteihandeln, 64 zu Recht hin. m § 1 A, Beispiel 10. 113 Vgl. dazu bereits oben § 1 B I (S. 32 f.) mit FN 56- 60,

264

§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien

das durch sie repräsentierte öffentliche Interesse eine Verkürzung des Rechtsschutzes durch Parteiverhalten gegenüber dem Prozeßgegner verhindern kann. Die nachfolgende Analyse des vertraglichen Klageverzichts ist daher für die Verwirkungsproblematik bei Klagen nur insofern bedeutsam, als aus generellen prozessualen Schranken gegen den vertraglichen Klageverzicht - vor und nach Entstehen des materiell-rechtlichen Anspruchs- auf ein Verdikt gegen die Klageverwirkung geschlossen werden könnte. Die Prozeßrechtsdoktrin vollzieht die Abwägung zwischen Parteiautonomie und öffentlichem Interesse im Rahmen eines breiten Argumentationsspektrums. Dabei beruhen die divergierenden Anschauungen über die Zulässigkeit des Klageverzichts auf der unterschiedlichen Akzentuierung der beteiligten Interessen. Die Anhänger des Klageverzichts betrachten die Klage im Zivilrechtsstreit mehr als einen Annex des privaten Rechts, die Gegner betonen stärker das staatliche Interesse an der Bewährung privater Rechte und die Justizhoheit des Staates. Unter dem Blickwinkel des Zivilrechts besteht in der Tat wenig Anlaß, die Parteidisposition zu begrenzen. Der Hinweis auf die Zulässigkeit des Klagerücknahmevertrags114 ur..d darauf, daß jeder Partei freisteht, ob sie klagen will oder nicht, ist zwar wenig durchschlagkräftig; in diesen Fällen muß sich die Partei den Weg zum Sachurteil nämlich nicht endgültig versperren115• Gewichtiger ist die unbegrenzte Parteiposition über materiell-rechtliche Ansprüche. Die Parteien können diese nach §§ 305, 397 BGB nicht nur aufheben, sondern beispielsweise auch durch Vertrag Naturalobligationen schaffen118• Dann fehlt nicht nur die "Klagbarkeit". Vielmehr sind auch die Aufrechnung sowie die Bestellung von Hypotheken, Pfandrechten und Bürgschaften versagt. Die Abbedingung des gerichtlichen Rechtsschutzes bei Ansprüchen ist eine vergleichsweise geringere Wirkung und erscheint deshalb um so mehr wirksam117• Man könnte allenfalls einwenden, das Argument trage nur Klageverzichte, die nach dem Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs vereinbart worden sind. Doch unterscheiden sich Klageverzichte, die für die Parteien überschaubare118 künftige Ansprüche betreffen, davon nicht entscheidend. Daran ändern auch die energischen Wendungen nichts, mit denen Schiedermair119 und heute vor allem - auf verfassungsrechtlicher 114

III 2.

Schlosser, Parteihandeln, 69; Stein!Jonas!Schumann!Leipold, Vor § 253

m Dütz, 160.

ue Pohle, Festschrift für Lent, 214 f.; Schlosser, Parteihandeln, 66 f. 117 Schlosser, Parteihandeln, 67.

118 Der Klageverzicht muß sich stets auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis beziehen; vgl. Stein!Jonas!Schumann!Leipold, Vor§ 253 III 2. 119 Schiedermair, 92 f.; vgl. aber auch die Umdeutung in einen zivilrechtliehen Vertrag mit der Folge einer prozessualen Einrede, S. 94.

B. Materiell-rechtliche Schranken der prozessualen Rechtsausübung 265

Basis - Dütz120 für das Verbot des Klageverzichts eintreten. Dem öffentlichen Interesse an der Bewährung privater Rechte ist entsprochen, wenn der Staat den gerichtlichen Rechtsschutz ermöglicht. Mehr gebietet der "Anspruch" des Staatsbürgers auf Justizgewährung nicht. Deshalb bedeutet auch die Vereinbarung der Unklagbarkeit einzelner Ansprüche keinen Eingriff in die Justizhoheit des Staates und keinen Rückschritt von der staatlichen Institution des Prozesses zur privaten Selbsthilfe121 • Das Gesetz setzt zwar bei der Abbedingung der gerichtlichen Entscheidung bei gleichzeitiger Einsetzung eines Schiedsgerichts Grenzen122 ; dies aber deshalb, weil hier ein Parteienstreit durch Hechtspflegeakte nichtstaatlicher Stellen entschieden wird. Auch eine verfassungsrechtliche Garantie des Privatrechtsschutzes123 gebietet kein Verdikt gegen den Klageverzicht12'. Über die verfassungsrechtliche Garantie eines lückenlosen Privatrechtsschutzes durch Gerichte kann man streiten: Art. 19 Abs. 4 GG, der die Rechtsschutzgarantie für Eingriffe der öffentlichen Gewalt eröffnet, enthält keine derartige Gewährleistung125. Man kann angesichts dieser Projektion auf hoheitliche Eingriffe im Gegenteil zweifeln126, ob sich ein lückenloser Privatrechtsschutz auf das Rechtsstaatsprinzip zurückführen läßt127• In jedem Fall würde damit allenfalls der "Anspruch" auf Justizgewährung in den Verfassungsrang erhoben, also durch Gesetz nicht entziehbar128• Im Hinblick auf die Parteidisposition ergeben sich dadur.ch aber keine Unterschiede. Der Klageverzicht durch Parteivereinbarung ist daher mit der h. M. als zulässig anzusehen. y) Vertrauensschutz des Prozeßgegners gegenüber Klagen

Die Zulässigkeit des Klageverzichts empfängt ihren entscheidenden Impuls aus der Verzichtbarkeit auf materielle Rechte. Deren Verwirkbarkeit legt daher auch eine Klageverwirkung durch VertrauenstatbeDiltz, 152 ff. So aber Schiedermair, 93. 122 Vgl. die Hinweise bei Diltz, 157 und Stein/Jonas!Schumann!Leipold, Vor § 253 III 2. 123 Vgl. oben FN 78. 124 Anders nur Diltz, 152 ff.; vgl. für Art. 19 Abs. 4 GG auch Bettermann, Grundrechte III, 2 (S. 812). 125 Bettermann, Grundrechte III, 2 (S. 788); Diltz, 72. 12e Vgl. den Umkehrschluß aus Art. 19 Abs. 4 GG bei Lerche, ZZP 78, 7 f.; Diltz, 110 erläutert freilich wohl zu Recht die Hervorhebung der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG mit dem Bestreben, den Rechtsschutz gegenüber 120

121

hoheitlichen Eingriffen auszubauen. 127 Diesen Gedanken betonen vor allem Bettermann, Grundrechte III, 2 (S. 788); Diltz, 104, 113. 128 Vgl. auch dazu Diltz, 157; er muß im Hinblick auf die Schiedsgerichtsbarkeit einräumen, daß der Verfassungsschutz nicht lückenlos ist.

266

§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien

stände gegenüber dem Prozeßgegner nahe. Die vage Formel des öffentlichen Interesses zieht auch insoweit keine verbindlichen Schranken. Der Rechtsschutz dient dem materiellen Recht, kann also ebenso weit eingeschränkt werden wie dieses. Auch die prinzipielle Möglichkeit der unbefristeten Klage spricht nicht entscheidend gegen deren Verwirkung. Diese beruht nicht allein auf dem Zeitfaktor, sondern auf dessen Verbindung mit einem Vertrauensschutz der anderen Prozeßpartei. Da die Prozeßrechtsnormen das vorprozessuale Parteiverhalten regelmäßig nicht reglementieren, hängt die analoge Anwendung des Verwirkungsgedankens im Prozeßrecht maßgeblich von einem Interessenvergleich zwischen der Verwirkung materieller Rechte und prozessualer Befugnisse ab128 • In diesem Rahmen gewinnt die These an Gewicht, daß die Verwirkung in Wahrheit meist nicht den gerichtlichen Rechtsschutz, sondern materiell-rechtliche Positionen betrifft180• Das ist für Leistungsklagen bereits festgestellt. Die Annahme, daß nur die gerichtliche, nicht aber die außergerichtliche Geltendmachung von materiell-rechtlichen Ansprüchen nicht mehr erfolgen werde, läßt sich nur auf eine präzise Aussage des Berechtigten zurückführen. Dann aber liegt ein vertraglicher Klageverzicht nahe. Die Verwirkung von Leistungsklagen scheidet deshalb praktisch aus. Nichts anderes gilt für die begehrte Feststellung eines materiell-rechtlichen Anspruchs131 • Die Verwirkung betrifft den Anspruch. Ebenso ist es bei Klagen, mit denen das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses festgestellt werden soll. Im Ausgangsfall des BAG132 ist keine prozessuale Kategorie verwirkt. Die vom BAG zurückgewiesene "Berufung auf Unwirksamkeitsgründe" einer Kündigung bedeutet, daß ein Gegenrecht verwirkt ist133• Bei den verbleibenden Gestaltungsklagen schließlich hängt die systematische Zuordnung einer Verwirkung davon ab, ob die Erhebung der Gestaltungsklage ausschließlich auf eine prozessuale Befugnis oder auf ein materielles Gestaltungsrecht zurückzuführen ist184• Wer das Kennzeichen eines Gestaltungsrechts in der Änderung der Rechtslage durch einseitige Erklärung an den Gegner erblickt135, muß ein Gestaltungsrecht hier ablehnen. Notwendig ist eine Klage, also eine an das Gerichte adressierte 12e

Vgl. auch die Begründung bei Zeiss, Prozeßpartei, 121 f.

1so Vgl. oben zu FN 70.

131 Bötticher, AP Nr. 1 zu § 242 BGB Prozeßverwirkung; Zeiss, Prozeßpartei, 146. 132 BAG AP Nr. 1 zu § 242 BGB Prozeßverwirkung; vgl. näher oben zu FN 63. 133 Vgl. vor allem Zeiss, Prozeßpartei, 146 ff.; er zieht die Parallele zur Verwirkung der Berufung auf die Formnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts. Verwirkt sind materiell-rechtliche Einwendungen. 134 Das ist streitig; vgl. einerseits Hencket, Parteilehre, 31 ff., andererseits Bötticher, Festschrift für Dölle I, 55 ff. 135 Hencket, Parteilehre, 33.

B. Materiell-rechtliche Schranken der prozessualen Rechtsausübung 267 Prozeßhandlung. Die Gestaltung tritt erst mit der Unanfechtbarkeit des Urteils ein. Indessen zwingt diese Besonderheit nicht dazu, die materiell-rechtlichen Grundlagen der Gestaltung generell zu leugnen. Die Anhindung der Gestaltung an einen Gerichtsausspruch entspricht dem öffentlichen Interesse an der Bestimmtheit gewisser gestaltungsbedürftiger Rechtslagen136• Das Postulat der Rechtsklarheit ändert aber nichts daran, daß die Gestaltungsgründe auf dem zwischen den Prozeßparteien bestehenden materiell-rechtlichen Rechtsverhältnis beruhen. Eine Verwirkung betrifft daher in diesen Fällen das zugrunde liegende materielle Gestaltungsrecht. Allerdings ist auf der Ebene der Gestaltungsklagen mit Zeiss zu differenzieren137 : Soweit - wie bei der Patentnichtigkeitsklage nach §§ 13 Abs. 1 Nr. 1, 2, 37 Abs. 1 PatG138 - im öffentlichen Interesse eine Popularklagebefugnis eingeräumt ist, läßt sich von privatrechtliehen Beziehungen zwischen dem Nichtigkeitskläger und dem Patentinhaber nicht sprechen138 • Der Kläger nimmt vielmehr das Interesse der Allgemeinheit an der Vernichtung von Patenten wahr, die zu Unrecht erteilt wurden140• Soweit also der Patentnichtigkeitskläger den Patentinhaber zu einer nicht schutzfähigen Erfindung veranlaßt hat141, kann er damit höchstens einen Vertrauenstatbestand gegenüber dem Patentinhaber dahin begründet haben, eine prozessuale Befugnis nicht auszuüben142 • Die Klageverwirkung aufgrund eines Vertrauensschutzes des Prozcßgegners ist mithin allenfalls in derartigen Sonderfällen denkbar. Inwieweit sie anzuerkennen ist, läßt sich durch einen Interessenvergleich mit der Verwirkung materieller Rechte ermitteln. Der Vertrauenstatbestand für den Prozeßgegner ist bei materiell-rechtlich fundierten Gestaltungsklagen und bei der Patentnichtigkeitsklage nach den §§ 13 Abs. 1 Nr. 1, 2, 37 Abs. 1 PatG gleicha3• Der Unterschied liegt allenfalls in dem gesteigerten öffentlichen Interesse an der Patentnichtigkeitsklage, auf dem die Popularklagebefugnis beruht. Doch ist dieses Allgemeininteresse durch die prinzipielle Einräumung der Popularklage gewahrt. Es erfordert nicht, die Klage desjenigen zuzulassen, der durch sein Verhalten das Vertrauen des Patentinhabers darauf begründet hat, eine Nichtigkeitsklage nicht zu erSchlosser, Gestaltungsklagen, 30, 287. Zeiss, Prozeßpartei, 118 f.; zustimmend Baumgärtel, ZZP 86, 367; a. A. Henckel, Prozeßrecht, 115 FN 210. 1sa Anders bei der Nichtigkeitsklage nach §§ 13 Abs. 1 Nr. 3, 37 Abs. 2 138

137

PatG. tsa BGHZ 10, 22, 24. uo BGHZ 10, 22, 24. 141 § 1 A, Beispiel 6. tu Zeiss, führt insoweit treffend den Gedanken des Rechtsschutzanspruchs an, vgl. Zeiss, Prozeßpartei, 121, 144. ua Vgl. auch Zeiss, Prozeßpartei, 121 f.

268

§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien

heben144• Die Verwirkung einer Klage ist also anzuerkennen, wenn sich der Vertrauenstatbestand gegenüber dem Prozeßgegner ausnahmsweise auf die Klageerhebung erstreckt. bb) Verwirkung sonstiger prozessualer Befugnisse

Der Vertrauensschutz des Prozeßgegners gegenüber Klagen gibt, auch wenn er praktisch selten ist, zugleich eine verbindliche Leitlinie für die Verwirkung sonstiger prozessualer Befugnisse145. Auch bei ihnen ist ein Vertrauensschutz des Prozeßgegners gegenüber der Vornahme von Parteiprozeßhandlungen angezeigt. Das gilt zunächst für den exceptionellen Fall der erstinstanzliehen Scheidung, über die infolge der Kriegswirren in der Berufungsinstanz nicht mehr verhandelt werden konnte und die, da die Parteien lange Zeit das Gericht nicht anriefen und die eheliche Lebensgemeinschaft fortsetzten, in der Schwebe blieb146• Die langjährige Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft begründete in der Tat einen Vertrauenstatbestand147 für die Ehefrau dahin, daß ihr im Scheidungsrechtsstreit unterlegener Ehemann nicht - weil er inzwischen eine Geliebte hatte und einen bequemen Weg zur Scheidung suchteden Scheidungsrechtsstreit wieder aufnehmen und durch Zurücknahme der Berufung die Rechtskraft des Scheidungsurteils herbeiführen werde. Der BGH hält daher die Zurücknahme der Berufung zu Recht für unbeachtlich148. Allein auf den Vertrauenstatbestand gegenüber der anderen Partei kommt es auch beim Problem einer Verwirkung der Kastenfestsetzungsbefugnis infolge der Verwirkung des Kostenerstattungsanspruchs148 an. Der Kostenerstattungsanspruch kann vor Einleitung des Kostenfestsetzungsverfahrens15o nach zivilrechtliehen Grundsätzen verwirkt werden. Das ist anzunehmen, wenn der Gläubiger nach Rechtst" Anders etwa bei der Inzestehe, bei der der abänderbare Zustand für die Allgemeinheit unerträglich ist; vgl. Zeiss, Prozeßpartei, 122 FN 75. m Vgl. etwa Baumgärtel, ZZP 67, 423 ff. und ZZP 86, 366 f.; Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 105 I 3 (S. 588), FN 1; Dii.tz, NJW 1972, 1028; Ro-

senberg/Schwab, § 65 VII 3 (S. 337); Schönke-Schröder/Niese, § 2 III 1 b (S. 26); Stein/Jonas/Pohle, Vor§ 128 XI 3 f.; Stein/Jonas!Grunsky, § 567 IV 3; Zeiss, 123 ff.; vgl. auch Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Einl. III 6 A:

Rechtsmißbrauch statt Verwirkung. Über den im Prozeßrecht verbleibenden Raum für den Verwirkungsgedanken vgl. oben§ 8 B II 2 a (S. 257). 146 § 1 A, Beispiel 7. 147 Es bedeutet keinen für das Ergebnis relevanten Unterschied, wenn der BGH in der Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft einen stillschweigenden Verzicht auf die Zurücknahme der Berufung erblickt; vgl. BGHZ 20, 198, 204 f. Die Grenzen zwischen Verwirkung und stillschweigendem Verzicht sind fließend. us BGHZ 20, 198, 204 - 206. 148 OLG Dresden JW 1938, 3161; vgl. auch die divergierende Entscheidungsanalyse bei Baumgärtel, ZZP 67, 438 ff. und Zeiss, Prozeßpartei, 125 ff. uo Anders ist es mit dem titulierten Anspruch.

B. Materiell-rechtliche Schranken der prozessuallen Rechtsausübung

269

kraft des Urteils viele Jahre lang untätig bleibt und damit einen Beruhigungszustand herbeiführt, aufgrund dessen der Kostenschuldner darauf vertraut, die Kostenerstattung werde nicht mehr begehrt151 • Das prozessuale Problem beginnt erst bei der Anschlußfrage, ob die Verwirkung auch die prozessuale Befugnis angreift, die Kosten festsetzen zu lassen. Baumgärtel verneint152• Er meint, das Kostenfestsetzungsverfahren diene lediglich der Feststellung, welche Kosten notwendig entstanden sind. Dehne man das Verfahren auf die materielle Verwirkungsprüfung aus, so werde in Wahrheit das Verfahren nach§ 767 ZPO vorweggenommen. Der Einwand überzeugt nicht. Auch das Kostenfestsetzungsverfahren kennt mit den Rechtsmitteln der §§ 576 und 567 ZPO einen ausgebauten Instanzenzug. Die Inkaufoahme einer Festsetzung eines verwirkten Kostenerstattungsanspruchs würde auf die Mitwirkung des Gerichts an einem Verhalten hinauslaufen, das einen Verstoß gegen § 242 BGB gegenüber der anderen Partei darstelltm. Weniger deutlich wird der Vertrauensschutz des Prozeßgegners bei unbefristeten Rechtsmitteln. Wird ihre Einlegung verzögert, so können, nachdem sich bereits eine Gerichtsinstanz mit der Sache befaßt hat, auch die staatlichen Interessen an einer zügigen und effektiven Rechtspflege tangiert sein. Prompt finden sich daher in der Judikatur - ebenso wie bei Verfassungsbeschwerden und Klagen nach Art. 19 Abs. 4 GGm - auch Argumente, mit denen der Schutz der staatlichen Rechtspflege bezweckt wird. Eine Entscheidung des KG führt sie nebeneinander an. Es nennt neben der Verwirkung auch Rechtsmißbrauch, Beschwer, Rechtssicherheit und Rechtsschutzbedürfnis155• Indessen sind unbefristete Rechtsmittel aus der Sicht des Gerichts nicht nur innerhalb einer bestimmten Frist rechtsschutzwürdig. Das Instanzgericht vertraut nicht auf ihre befristete Einlegung. Zumindest wäre sein Vertrauen nicht schutzwürdig. Schutz verdient auch hier nur das Vertrauen des Prozeßgegners, das in diesen Fällen auch nicht durch die Fortbildung des prozessualen Instituts der Beschwer verdeckt werden solltet56 • Maßgeblich ist wie in den anderen Fällen der Verwirkung der Vertrauensschutz des Prozeßgegners157• Der Rückzug auf prozessuale Blankettformeln ist nur gerechtfertigt,. wenn das Rechtsmittel bereits aus sonstigen

154

ZZP 67, 439. ZZP 67, 439 f. Vgl. nur Zeiss, Prozeßpartei, 128. Vgl. oben zu FN 67 - 69.

155

KG DR 1943, 412, 413.

151 152 153

Baumgärtel, Baumgärtel,

Vgl. die Gleichstellung der Verwirkung von Rechtsmitteln und sonstigen Fällen der Beschwer bei Baumgärtel, ZZP 67, 442; vgl. auch Baumgärtel, ZZP 86, 367. 157 Zutreffend Zeiss, Prozeßpartei, 133. 158

270

§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien

prozessualen Grundsätzen erfolglos bleiben muß. So hat etwa der Antrag auf Kosten- und Verlustbeschluß nach § 515 Abs. 3 ZPO nur Sinn, wenn die Berufungsfrist gegen ein Urteil ohnehin abgelaufen ist15B. Insoweit genügt der Fristablauf, ohne daß das Vertrauen des Prozeßgegners von Interesse wäre. Im übrigen aber darf die Verwirkung prozessualer Befugnisse gegenüber dem Prozeßgegner nicht durch vage prozessuale Institute ausgehöhlt werden.

m

MiJibrauch prozessualer Befugnisse

Die bereits erwähnte159 Fallgestaltung, in der ein Beklagter ein Rechtsmittel nur einlegt, um den drohenden Vollstreckungszugriff in sein Warenlager zur Wahrung seiner Verkaufschancen in dem bevorstehenden Weihnachtsgeschäft zu verhindern, bildet den Einstieg für eine weitere, materiell-rechtlich fundierte Schranke der prozessualen Rechtsausübung. Erleidet der Prozeßgegner einen Schaden, so ist an einen Ersatzanspruch nach § 826 BGB zu denken 180. Das anspruchsbegründete Verhalten liegt dabei in der Prozeßführung des Beklagten. Dennoch denkt man hier nicht an einen Rechtfertigungsgrund der gerichtlichen Inanspruchnahme. Die Prozeßführung selbst erscheint nicht ordnungsgemäß. Die Erwägung der Schikane, die freilich die Schädigung des Gegners als einziges Motiv voraussetzt und bei gleichzeitiger Absicht, sich durch Vollstreckungsaufschub retten zu können, ausscheidet181 , und der Hinweis auf den Rechtsmißbrauch mit dem Ziel einer prozessualen Unzulässigkeit der Berufung liegt nahe. Dennoch erweist sich die isolierte Betrachtung der Rechtsbeziehungen zwischen Prozeßparteien als voreilig. Tangiert ist auch das Gericht. Mit der Berufung wird kein Rechtsschutz erstrebt, sondern ausschließlich eine Verzögerung mit der Folge eines Vermögensvorteils. Die Frage nach der Schutzwürdigkeit dieses Verhaltens drängt die Assoziation des fehlenden Rechtsschutzinteresses auf. Das RG leugnet daher im Ausgangsfall ein berechtigtes Intersse des Schuldners daran, durch Rechtsmitteleinlegung einen Vollstreckungsaufschubfür eine fällige Schuld zu erlangen182. DieSachnähe von Rechtsschutzinteresse und Mißbrauch prozessualer Befugnisse kommt nicht von ungefähr. Sie wird im Schrifttum häufig hervorgehoben163. Der Mißbrauch des Rechtsschutzes betrifft auch das Gericht. Mit dem Mißbrauchsgedanken wird der Blick auf das Verhalten der 168 Vgl. näher Zeiss, Prozeßpartei, 128 f. 1su § 2 C II (S. 89), § 7 C vor I (S. 243). teo Zeiss, Prozeßpartei, 187.

RGZ 162, 65, 67 f. RGZ 162, 65, 68 f. 183 Vgl. etwa Baumgärtel, ZZP 69, 99 ff.; Wieser, 44 ff.; Zeiss, Prozeßpartei, 160 ff. 181

182

B. Materiell-rechtliche Schranken der prozessuallen Rechtsausübung

271

Prozeßpartei gerichtet, mit dem Gedanken des Rechtsschutzinteresses dagegen auf das ProzeßzieP 84•• Wieser rechnet daher in der neuesten Monographie zum Rechtsschutzinteresse zu dessen Erfordernissen auch den RechtsSchutzwillen, den er beim subjektiven Mißbrauch prozessualer Befugnisse verneint185• Das weckt Zweifel, ob es überhaupt um eine auf § 242 BGB gegründete Schranke der prozessualen Rechtsausübung geht. Das Rechtsschutzinteresse ist ersichtlich das umfassendere Institut. Zu ihm gehören - etwa bei der Konkurrenz von Rechtsschutzmitteln1118 - auch Fallgestaltungen, die anders strukturiert sind als die Mißbrauchsfälle: Dort besteht nicht nur ein Rechtsschutzwille, sondern auch ein von der Rechtsordnung gebilligter Grund für den Rechtsschutz. Dieser soll nur auf einfacherem Wege eingeräumt werden. Insoweit liegt im fehlenden Rechtsschutzinteresse keine Mißbilligung des Parteiverhaltens, sondern ein Faktor des zweckmäßigen Prozessierens. Das Rechtsschutzinteresse bildet also ein Sammelbecken für verschiedene Gruppierungen, die ihrerseits der exakten Ausformung bedürfen. Zumindest zu diesem Zweck187 bleibt daher ein Rückgriff auf die unter § 242 BGB angesiedelten Grundsätze des Rechtsmißbrauchs im Prozeßrecht erforderlich. Mit deren Aufhellung befaßt sich vor allem Zeiss. Er knüpft an der Mißbrauchslehre des Zivilrechts an und hebt als deren beherrschenden Gedanken die Zweckentfremdung subjektiver Rechte hervor188• Auch die Prozeßführung kann Zielen dienen, die in jedem Fall nicht zum Kreis der denkbaren Prozeßzwecke gehören. Das gilt in erster Linie für den subjektiven Rechtsmißbrauch, bei dem Gesetzeszweck und Parteizweck auseinanderklaffen188• Der Rechtsmittelzug nimmt die Verzögerung des Rechtsschutzes in Kauf, um eine Kontrolle der Unterinstanzlichen Entscheidungen zu erreichen. Die Verschleppung ist aber kein Selbstzweck. Die Divergenz von Gesetzes- und Parteizweck kennzeichnet die meisten Mißbrauchsfälle im Prozeßrecht. Daneben treten aber auch Fälle, in denen die Zweckentfremdung der Prozeßführung auch ohne subjektive Motive sichtbar wird170• Die Mißbrauchskasuistik erfaßt Fälle des objektiven und des subjektiven Mißbrauchs prozessualer Baumgärtel, ZZP 69, 99. Wieser, 44 ff. 168 Vgl. dazu Wieser, 135 ff. 187 Baumgärtel möchte neuerdings der rechtsmißbräuchlichen Ausnutzung der Rechtspflegeeinrichtung eine selbständige Bedeutung zumessen und im Institut des Rechtsschutzinteresses nur die Abwehr der unnützen Belastung der Gerichte bei Existenz eines einfacheren prozessualen Wegs erblicken; vgl. Baumgärtel, ZZP 86, 368. 188 Zeiss, Prozeßpartei, 153. 188 Zeiss, Prozeßpartei, 154. no Zeiss, Prozeßpartei, 156. 184

185

272

§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien

Befugnisse. Die Reichweite beider Gruppierungen läßt sich erst bei einer weiteren Konkretisierung des Fallmaterials erkennen171 : Dabei lassen sich die Fälle des "objektiven Mißbrauchs" nicht selten mit Hilfe der Zweckanalyse einer einzelnen Prozeßrechtsnorm bewältigen, erfordern also den Ausweg über § 242 BGB nicht172• Das Armenrecht eines vermögenslosen Miterben gemäß § 2039 BGB etwa widerstreitet, wenn die anderen Miterben vermögend sind, dem in Abs. 4 verdeutlichten Zweck des§ 114 ZP0173. Übrig bleiben nutzlose Ausübungen prozessualer Befugnisse, deren möglicher Erfolg entweder bereits eingetreten ist oder deren Ziel auch mit einem prozessualen Erfolg nicllt erreichbar wäre. Beispiele dafür sind einerseits die Nichtigkeitsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse, deren Formfehler inzwischen durch inhaltsgleiche Beschlüsse beseitigt worden sind174, andererseits die Klage auf Löschung eines Wiederkaufsrechts gemäß § 894 BGB, nachdem der Kläger zuvor rechtskräftig zur Auflassung aus dem dinglichen Wiederkaufsrecht verurteilt worden warm. In beiden Fällen kann die Klage allerdings auch in der Sache keinen Erfolg haben, so daß sich die Frage des Mißbrauchs (auch) auf das materielle Recht erstreckt. In der Tat hat im Fall der Leistungsklage aus§ 894 BGB der geltend gemachte materiell-rechtliche Anspruch keine Stütze im materiellen Recht, scheitert also nicht nur an prozessualen Schranken der Rechtsausübung118• Die Klage ist unbegründet. Dagegen ist die Nichtigkeitsklage, soweit man sie nicht auf ein materielles Gestaltungsrecht zurückführt, wegen nutzloser Ausübung einer prozessualen Befugnis unzulässig. Der subjektive Mißbrauch prozessualer Befugnisse greift bisweilen auf das materielle Recht über; dies beispielsweise im obigen BeispieP77 der Berufung in reiner Verscllleppungsabsicht. Von einem Mißbrauch läßt sich nämlich erst sprechen, wenn die Berufung nicht begründet ist. Diese ist deshalb als unbegründet zurückzuweisen. Dennoch ist die Einsicht des gleichzeitigen prozessualen Mißbrauchs wertvoll, da sie gegenüber materiell-rechtlichen Ersatzansprüchen schwerlich einen Hinweis auf die "Verkümmerung des Rechtsschutzes" erlaubt178• Dagegen betreffen die Prozeßverschleppung durch die wiederholte oder ohne jeden Vgl. zur nachfolgenden Kasuistik Zeiss, Prozeßpartei, 163 ff. Zutreffend Zeiss, Prozeßpartei, 156. 173 Vgl. näher Zeiss, Prozeßpartei, 164. 1H BGHZ 21, 354. m RGZ 135, 33. 176 Zeiss, Prozeßpartei, 177; vgl. zur Relation von Rechtsschutzinteresse und Begründetheitsprüfung auch Wieser, 209 ff. 111 Vgl. oben zu FN 159. 178 Vgl. auch Zeiss, Prozeßpartei, 187. 111

112

C. Verhaltenspflichten der Parteien im Zivilprozeß

273

Grund erfolgende Richterablehnung179 und der Mißbrauch der Popularklagebefugnis durch die "Wiederholung" der rechtskräftig abgewiesenen Patentnichtigkeitsklage mit Hilfe eines vorgeschobenen "Strohmanns"180 allein prozessuale Befugnisse. Das gleiche gilt für den Mißbrauch der Ehenichtigkeitsklage, mit der ein nach polnischem Recht für tot erklärter Kläger, dessen erste Ehefrau wieder geheiratet hatte, seine Zweitehe für nichtig erklären lassen wollte, um eine Geliebte heiraten zu können181• Während in diesen Fällen der Mißbrauch der Prozeßführung sowohl die andere Prozeßpartei als auch das Gericht belastet, ist der Mißbrauch der Rechtspflege durch Scheinprozesse aufgrund gemeinsamen Parteihandeins - etwa mit dem Ziel, einen Vollstreckungstitel ohne einen Anspruch zu schaffen und so die Gläubiger des Beklagten zu benachteiligen182 - ausschließlich gegen die staatliche Rechtsschutzinstitution gerichtet. Das Gericht wird zum Teilnehmer an einer Manipulation degradiert. Das ändert zwar an der innerprozessualen Mißbrauchsfolge nichts; wohl aber scheidet dann ein materiell-rechtlicher Folgeanspruch der einen gegen die andere Prozeßpartei aus. Insgesamt erhalten damit die auf § 242 BGB gestützten Schranken der prozessualen Rechtsausübung nur einen schmalen Anwendungsbereich. Prozessual ausgedrückt: Die Pflirht zur redlichen Prozeßführung ergänzt das im Prozeßrecht statuierte Pflichtennetz nur geringfügig. C. Verhaltenspflichten der Parteien im Zivilprozeß Während die Pflicht zur redlichen Prozeßführung, wenn auch in engen Grenzen, den prozessualen Bereich nach zivilrechtliehen Maßstäben reglementiert, steht die nachfolgende Analyse der Parteipflichten unter umgekehrtem Vorzeichen: Das Thema der Wechselwirkung zwischen Zivil- und Prozeßrecht steht insoweit unter der Fragestellung, in welchem Umfang prozessuale Verhaltensmaßstäbe die außerprozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien beeinflussen. Den Diskussionsgegenstand bilden die Folgeschäden des Prozesses, die durch die Prozeßführung verursacht sind, aber nicht zum Streitgegenstand des Rechtsstreits gehören und deshalb außerprozessuale Rechtsbeziehungen begründen183• Die Frage nach der Außenwirkung prozessualer Verhaltensnormen steht auch nicht im Widerspruch zur Relevanz zivilrechtlieber Rechtsverhältnisse im Prozeßrecht: Die Auswirkung der Ver111

180 181 182

183

Zeiss, Prozeßpartei, 179 ff.

RGZ 59, 133. BGHZ 30, 140. Vgl. nur Baumgärtel, ZZP 86, 368 f . Vgl. oben§ 2 B I 3 b (S. 49- 52) und § 7 A (S. 176 -183).

18 Konzen

274

§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien

tragswidrigkeit einer Patentnichtigkeitsklage des Lizenznehmers im Prozeß 184 und das Beweis- und Verwertungsverbot beim Beweisantritt der Prozeßpartei mit einem von ihr deliktisch erlangen BeweismitteP86 beruhen darauf, daß der Vertragsverstoß und das Delikt auf den vom Streitgegenstand umrissenen prozessualen Bereich einwirken, die zivilrechtlichen Rechtsverletzungen daher allenfalls durch prozessuale Rechtsfolgen sanktioniert werden können und diesen Sanktionen normierte prozessuale Interessen nicht entgegenstehen. Der Problemkreis der Außenwirkung von prozessualen Verhaltensnormen betrifft dagegen andere Fallstrukturen. Die Folgewirkungen der Prozeßführung- etwa die Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch unberechtigte Schutzrechtsberühmungen im Prozeß liegen außerhalb des vom Streitgegenstand begrenzten Rechtsstreits. Angesprochen ist also primär das materielle Recht. Die Besonderheit liegt nur darin, daß die Schädigungen auf Parteiprozeßhandlungen zurückzuführen sind, für die das Prozeßrecht Verhaltensnormen enthält. Deshalb ist nicht auszuschließen, daß die Folgewirkungen der Prozeßführung nicht oder nicht nur an den Normen des materiellen Rechts zu messen sind, sondern daß prozessuale Verhaltensmaßstäbe auch außerprozessuale Rechtswirkungen zwischen den Prozeßparteien erzeugen oder beeinflussen können. Die damit grob umrissene Frage nach der Außenwirkung der prozessualen Parteipflichten erfordert zunächst eine präzisere Fixierung. I. Problem der Außenwirkung von Parteipflichten

1. Verstoß gegen Parteipflichten als Haftungsgrundlage? Die Problematik der Außenwirkung ist mehrschichtig. Ihre erste Komponente wird durch den Beispielsfall der jugoslawischen Militärmission repräsentiert188, bei dem sich die von Dölle187 formulierte Anschlußfrage stellt, ob die schuldhafte Prozeßverzögerung durch die Beklagte zu einem Schadensersatzanspruch der Gegenpartei führen kann. Zur Debatte steht insoweit ein - außerhalb von § 826 BGB im Zivilrecht nicllt erfaßter - Vermögensschaden, der auf einem schuldhaften Verstoß gegen eine prozessuale Parteipflicht beruht. Die Deduktion der Ersatzpflicht aus der schuldhaften Verletzung einer prozessualen Parteipflicht wäre hier eine Erweiterung des vom materiellen Recht eingeräumten Rechtsgüter- und Vermögensschutzes, die Basis der Ersatzpflicht eine durch den Prozeß begründete Sonderbeziehung zwischen 184 185 188 187

Vgl. oben '§ 7 B I 2 a, b (S. 218- 222). Vgl. oben § 7 C II (S. 244 - 249). § 1 A, Beispiel 9. Dölle, Festschrift für Riese, 291 ff.

C. Verhaltenspflichten der Parteien im Zivilprozeß

275

den Prozeßparteien 188. Möglkh ist auch eine Ergänzung des zivilrechtliehen Rechtsgüterschutzes, indem man die von §§ 823 ff. BGB erfaßten Schäden durch Ehr- und Persönlichkeitsrechtsverletzun gen und Eingriffe in den Gewerbe- und Geschäftsbetrieb, soweit sie auf einer vorsätzlichen188 Verletzung der Wahrheitspflicht im Rechtsstreit basieren, mit Hilfe von Schadensersatzansprüchen wegen Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht auszugleichen sucht1 90 . Entscheidend für eine derartige, im Schrifttum nur selten befürwortete191 Schadensersatzpflicht aus schuldhaftem Verstoß gegen prozessuale Parteipflichten ist deren Schutzzweck Nur wenn die im Prozeßrecht normierten Parteipflicllten vor Folgeschäden des Prozeßgegners aus der pflichtwidrigen Prozeßführung schützen sollen, lassen sich die Parteipflichten (auch) als eine materielle Schutzordnung auffassen. Selbst wenn etwa die Wahrheitspflicht nicht nur den Schutz der Rechtspflege und der Volksgemeinschaft und die Wahrung des Gerichts vor Irreführung192 , sondern auch den Gegnerschutz bezweckt193, ist für die Reichweite der Ersatzansprüche noch keine verbindliche Aussage getroffen. Die Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO kann nämlich den Prozeßgegner auch nur vor einer ungerechtfertigten Verurteilung bewahren wollen und dann Schäden, die vom Prozeßgang unabhängig sind, nach ihrem Normzweck nicht mehr erfassen19'. Der Schutzzweck der prozessttalen Parteipflichten bestimmt daher ihre Außenwirkung. Soweit er reicht, liegt eine Schutzgesetzverletzung nach § 823 Abs. 2 BGB als Grundlage eines Schadensersatzanspruches nahe. Daneben ist dann auch ein unmittelbarer Rückgriff auf die schuldhafte Verletzung einer prozessualen Pflicht denkbar, wenn man das Prozeßrechtsverhältnis einem Schuldverhältnis gleichsetzt und auf diese Weise zu einer Haftung wegen culpa in procedendo gelangt185• Die praktische Bedeutung dieser Erwägung liegt vor allem in der Zurechenbarkeit des Anwaltsverhaltens über § 278 BGB. 188 Dabei ist zunächst unerheblich, ob man die Pflichtverletzung als Schutzgesetzverletzung im Sinn des § 823 Abs. 2 BGB versteht oder zu einer Haftung aus culpa in procedendo gelangt, vgl. dazu den anschließenden Text. 189 Vgl. näher unten § 8 C III 1 b aa) a:) (S. 284- 286). 180 Vgl. hauptsächlich Titze, Festschrift für Schlegelberger, 184; weiterhin: Jürgen Blomeyer, 48 ff.; Hopt, 269 ff.; Rosenberg/Schwab, § 65 VIII 7 c (S. 340). 181 Vgl. bereits oben § 2 B IV 1 c (S. 64). 192 Vgl. den Hinweis auf den Vorspruch zur Prozeßrechtsnovelle 1933 bei

Hopt, 270. m Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VII 1 c (S. 143); Jürgen Blomeyer, 49 f .; Henckel, Prozeßrecht, 296 f .; Hopt, 271; Rosenberg!Schwab, § 65 VIII 2 (S. 338); W eigelt, DJZ 1934, 534. 194 Vgl. einerseits Henckel, Prozeßrecht, 297 f., andererseits Jürgen Blomeyer, 43 FN 121. 195 Vgl. Berges, NJW 1965, 1505 ff.; Hans-Jürgen Heltwig, 77; Rosenbergt Schwab, § 65 VIII 7 c (S. 340); Titze, Festschrift für Schlegelberger, 184; wohl auch Dölle, Festschrift für Riese, 290 - 292.

ta•

276

§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien

2. Verstoß gegen Parteipflichten als Haftungsgrenze? Die Relation von materiell-rechtlichem Rechtsgüterschutz und prozessualer Verhaltensnormierung führt zu einem weiteren Problemaspekt: Wenn im Rechtsstreit nur vorsätzliche Verstöße gegen die Wahrheitspflicht untersagt sind, könnte darin auch für die Folgeschäden des Prozesses eine abschließende Wertungsgrenze erblickt werden. Dann wäre bei unwahren Prozeßbehauptungen eine ,.Relativierung des Rechtswidrigkeitsurteils"198 einerseits für den Rechtsstreit selbst, andererseits für Folgewirkungen des Prozesses versagt. Die mit einer fahrlässigen Prozeßbehauptung verbundene Ehrverletzung bliebe trotz ihrer Unwahrheit sanktionslos. Eine deliktische Rechtsverletzung durch Klagen oder sonstige Parteiprozeßhandlungen könnte allenfalls bei gleichzeitigem Verstoß gegen eine prozessuale Parteipflicht eintreten. Ein derartiger Vorrang des Prozeßrechts wird in der Tat verschiedentlich vertreten. Er erhält seinen Impuls durch die befürchtete ,.Verkümmerung des Rechtsschutzes", die bei einer vollen deliktischen Verantwortlichkeit für Rechtsverletzungen durch Parteiprozeßhandlungen eintreten kann: Derjenige, der mit einer Feststellungsklage dem Beklagten das Eigentum streitig macht, soll am Rechtsstreit nicht völlig durch das Risiko gehindert werden, später einem Schadensersatzanspruch des Prozeßgegners ausgesetzt zu sein, mit dem dieser die erhöhten Baukosten infolge einer durch den Rechtsstreit eingetretenen Bauverzögerung auf die fahrlässige Verletzung seines Grundstückseigentums stützt187• Die Prozeßführung soll nicht dadurch erschwert werden, daß der Gegner jede unbewußt unrichtige Prozeßbehauptung im Wege des negatorischen Rechtssschutzes außerprozessual abwehren kann198. Dieses Ziel, mit dem die prozessuale Funktion der Parteiprozeßhandlung auf Kosten ihrer außerprozessualen Folgewirkung akzentuiert wird, ist am perfektesten erreichbar, wenn man den prozessualen Pflichtenkreis für eine abschließenden Normierung des Parteiprozeßverhaltens hält. Diese Position nimmt - außerhalb von Schutzrechtsberühmungen im Rechtsstreit199 - am nachdrücklichsten der BGH in seinem Urteil über den Rechtfertigungsgrund der gerichtlichen Inanspruchnahme ein, mit dem eine Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch einen unbegründeten Konkursantrag verneint wird200• Der BGH beschränkt sich nicht auf das Konkursverfahren, sondern formuliert apodiktisch201 : ,.Wer sich zum Vorgehen gegen einen 188

187 188 199 !oo !01

Jürgen Blomeyer, 45 FN

Vgl. § 1 A, Beispie110. Vgl. § 1 A, Beispiel 11. BGHZ 38, 200, 208. BGHZ 36, 18. BGHZ 36, 18, 20 f .

130.

C. Verhaltenspflichten der Parteien im Zivilprozeß

277

Schuldner eines staatlichen, gesetzlich eingerichteten und geregelten Verfahrens bedient, greift auch dann nicht unmittelbar und rechtswidrig in den geschützten Rechtskreis des Schuldners ein, wenn sein Begehren sachlich nicht gerechtfertigt ist und dem anderen Teil aus dem Verfahren Nachteile erwachsen." Deshalb erkennt der BGH allenfalls- bei vorsätzlichen Schädigungen und unlauter betriebenen Verfahren- einen Ersatzanspruch aus § 826 BGB an202 ; dies wohl in Anlehnung an seine traditionelle Judikatur zur Rechtskraftdurcllbrechung mit Hilfe des § 826 BGB. Den tragenden Grund findet der BGH für die Haftungsreduzierung im Schutzzweck des Verfahrens. Er verweist für das im Ausgangsfall einschlägige Zulassungs- und Prüfungsverfahren nach § 105 KO auf den mit diesem verbundenen Schuldnerschutz hin. Es sei eigens vorgeschaltet, um den Schuldner vor den schweren Nachteilen zu bewahren, welche eine scllematische Eröffnung des Konkurses in der Regel mit sich bringen würde2os. Der BGH verkennt nicht, daß der Schuldner bereits durch den Konkursantrag Nachteile erleiden kann. Doch will er diese den Schuldner selbst tragen lassen204• Diese Begründung ist zwar auf die Besonderheit des konkursrechtlichen Prüfungsverfahrens zugeschnitten; der BGH bezieht aber, wie er in einer späteren Entscheidung über die Schutzrechtsberühmung im Rechtsstreit im Grundsatz bestätigt205 , diese Erwägung auf die Inanspruchnahme jedes staatlichen Verfahrens2D6• Der BGH hält also schlechterdings das Verfahrensrecht für vorrangig, setzt sich damit in einen schroffen Gegensatz zu einer doppelfunktionellen Betrachtungsweise207 bei Prozeßhandlungen und retiriert unbemerkt auf die dogmengescllichtliche Figur des Klagerechts gegenüber der anderen Prozeßpartei208• Über einen Verstoß gegen prozessuale Parteipflichten äußert sich der BGH zwar nicht; seine generelle Formulierung rechtfertigt aber die Annahme, daß er innerprozessuale Sanktionen bei Pflichtverstößen für ausreichend hält. Auf jeden Fall reglementiert für ihn der prozessuale Pflichtenkreis das Parteiprozeßverhalten abscllließend. Das gleiche gilt trotz Abweichungen im Detail auch für eine Reihe von Autoren. Sie unterscheiden sich vom BGH hauptsächlich dadurch, daß sie zwar von einer abschließenden Normierung der Prozeßführung durch die prozessualen Parteipflichten ausgehen, aber beim sclluldhaften Verstoß gegen diese Pflichten auch außerprozessuale Nachteile stets 2o2

BGHZ 36, 18, 21.

.2oa BGHZ 36, 18, 21.

BGHZ 36, 18, 22. BGHZ 38, 200, 207 f. 2oe BGHZ 36, 18, 20 f. 201 Vgl. oben § 6 (S. 121 - 171). 2os Vgl. bereits oben § 1 B I (S. 32 f.) mit FN 55- 60. 204

205

278

§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien

durch Schadensersatzansprüche ausgleichen wollen. In diese Richtung, die ein wenig an Degenkolbs Verknüpfung des Klagrechts mit einer ehrlichen Klagbehauptung208 erinnert210, weist schon die von Feeher formulierte Problemsicht bei Rechtsgutsverletzungen durch Klagen211 : Er hebt hervor, daß das Allgemeininteresse an der Funktionsweise der Rechtsschutzinstitutionen in den durch die Privatrechtsordnung aufeinander bezogenen Begriffsinhalten von Zuweisungsgehalt und Abwehrlage nicht vorgesehen sei. In dem Fundus der überkommenen Rechtsgüterbegriffe fehlten offensichtlich die Bewertungskategorien zur Darstellung von Verletzungsformen, an denen nicht nur zwei Exponenten des privaten Interessengegensatzes, sondern auch Organe der Rechtsordnung beteiligt seien. In diesem Zusammenhang verweist Feeher auf die Wahrheitspflicht, der sich ein weittragender und folgenreicher Anwendungsbereich bei der Konkretisierung materieller Bewertungsmaßstäbe und Haftungsmaßstäbe bieten könne. Damit wird - freilich im Kontrast zu dem von Feeher prinzipiell geforderten Trennungsdenkenm - die prozessuale Wahrheitspflicht zum allgemeinen Verhaltensmaßstab des Parteiverhaltens. Ihre Verletzung begründet im Ergebnis Ersatzansprüche, ihre Einhaltung schließt diese aus. Exakt auf dieser Linie liegen die Vorstellungen von Jiirgen Blomeyer218, Zeiss2u und partiell auch von Hans-Jürgen Hellwig215• Jürgen Blomeyer knüpft für Ersatzansprüche aus § 823 Abs.l BGB an der Kontroverse über Verhaltensoder Erfolgsunrecht an und konstatiert unter Hinweis218 auf die Entscheidung des BGH über das verkehrsrichtige Verhaltenmeine sachliche Übereinstimmung beider Lehren jedenfalls dort, wo es um Verhaltensweisen geht, für die das Gesetz Verhaltensregeln aufgestellt hat218• Da er somit im Rahmen des Deliktsrechts die normierten Verhaltensregeln für entscheidend hält, kommt er zur abschließenden Reglementierung des Parteiprozeßverhaltens durch die prozessualen Parteipflichten218• Dabei liegt der Akzent auf der nur bei vorsätzlich unrichtigem Parteivortrag verletzten Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO. Soweit es sich nicht nur um Behauptungen handelt, die zwar im Prozeß, aber nicht zur Begründung oder Bekämpfung einer Klage aufgestellt werden, erEinlassungszwang, 41; modifiziert in Degenkolb, Beiträge 48. Vgl. den Hinweis bei Pecher, 76 FN 95 a. E.

2oe Degenkolb, 210

211 212 213 214 215 21e 217 21e 21u

Pecher, 76.

Vgl. die Kritik bei Henckel, Prozeßrecht, 293 FN 190. Jürgen Blomeyer, 37 ff. Zeiss, NJW 1967, 707 f. Hans-Jürgen Hellwig, NJW 1968, 1072 ff. Jürgen Blomeyer, 39 FN 105. BGHZ 24, 21. Jürgen Blomeyer, 39. Jürgen Blomeyer, 40.

C. Verhaltenspflichten der Parteien im Zivilproze.ß

279

kennt Jürgen Blomeyer Schadensersatzansprüche - auch bei Verletzung deliktisch geschützter Rechtsgüter - nur in zwei Fällen an220• Entweder muß jemand Klagebehauptungen aufgestellt haben, von deren Unrichtigkeit er überzeugt ist. Oder es muß sich um einen subjektiven Mißbrauch der prozessualen Rechtsausübung handelnm. Dabei stellt Jürgen Blomeyer im Rahmen der durch die prozessualen Parteipflichten konkretisierten Haftungsnorm des § 823 Abs. 1 BGB222 nachdrücklich darauf ab, daß die Parteipflichten auch den Schutz des Prozeßgegners vor Folgeschäden bezwecken223 • Nur weil die Parteipflichten nacll seiner Meinung zugleich eine materielle Schutzordnung für den Prozeßgegner enthalten, gelangt er zu ihrer ausschließlichen Geltung auch für den außerprozessualen Bereich. Darin unterscheidet er sich von Zeiss, der sich auf die Pflicht zur redlichen Prozeßführung konzentriert, diese aber nicht auf außerprozessuale Schäden projiziert224• Obwohl Zeiss damit offenbar nur auf die innerprozessuale Wirkung der Pflicht zur redlichen Prozeßführung blickt, meint auch er, die prozessualen Verhaltensnormen zeigten abschließend, wann ein Prozeßverhalten rechtswidrig sei, und folgert, die Deliktsvorschriften seien auf der Ebene des prozessualen Verhaltens offene Tatbestände225 • Wiederum im Detail verschiedenartig ist schließlich die Auffassung von HansJürgen Hellwig. Er unterscheidet zwischen Rechtsverletzungen durch Parteiprozeßhandlungen, die außerhalb der vom Streitgegenstand abgegrenzten Sonderbeziehungen liegen, und anderen, die im Zusammenhang mit der Sonderbeziehung zum Streitgegenstand stünden und durch die Klageerhebung aus den allgemeinen Rechtsbeziehungen herausgenommen worden seien228 • Zur ersten Gruppe zählt er bei der Schutzrechtsberühmung im Rechtsstreit die Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, die außerhalb des mit der Schutzrechtsberühmung verbundenen Streitgegenstands liegt. Streiten dagegen die Parteien im Rahmen einer negativen Feststellungsklage über das Eigentum, so soll das Eigentum durch die Sonderbeziehung zum Streitgegenstand erfaßt sein. Deshalb sollen auch Folgeschäden wegen der Verteuerung der Baukosten nicht auf eine schuldhafte Verletzung des Grundstückseigentums gestützt werden können227 • Nur so220 221

Jürgen Blomeyer, 46. Vgl. dazu oben § 8 B III (S. 270- 273) Jürgen Blomeyer, 46 verwendet

freilich eine andere Terminologie. 22! Jürgen Blomeyer hält wohl § 138 ZPO auch für ein Schutzgesetz gern. 823 Abs. 2 BGB. Darauf deuten einzelne seiner Wendungen hin. 22s Jürgen Blomeyer, 48 ff. 43 FN 121. zz• Zeiss, NJW 1967, 707 FN 55. 22& Zeiss, NJW 1967, 707. 2!8 Hans-Jürgen Hellwig, NJW 1968, 1073. m NJW 1968, 1073.

280

§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien

weit diese prozessualen Sonderbeziehungen reichen, ist für Hans-Jürgen Hellwig der schuldhafte Verstoß gegen prozessuale Parteipflichten interessant. Während prinzipiell innerhalb der durch den Prozeß begründeten Sonderbeziehung die Inanspruchnahme des Gerichts auf Kosten des Prozeßgegners geschützt wird, ist das bei der schuldhaften Verletzung von Parteipflichten, aus der Hans-Jürgen Hellwig Schadensersatzansprüche folgert228, anders. Insoweit sind auch für Hans-Jürgen Hellwig die prozessualen Pflichten bei Parteiprozeßhandlungen abschließende Verhaltensmaßstäbe221 • Trotz aller Unterschiede in Einzelheiten kommen also Jürgen Blomeyer, Zeiss und Hans-Jürgen Hellwig - letzterer allerdings nur für einzelne Fallgestaltungen - zu einer Überlagerung des materiellen Rechtsgüterschutzes durch die positivierten Pflichtmaßstäbe des Prozeßrechts.

3. Ausschluß der Haftungsmilderung bei Verstoß gegen Parteipflichten? Ein dritter Problemaspekt der Außenwirkung von Parteipflichten ergibt sich schließlich für diejenigen, die bei deliktischen Rechtsverletzungen durch Klagen und sonstige Parteiprozeßhandlungen der "Verkümmerung des Rechtsschutzes" entgegenwirken, indem sie beispielsweise nach dem Maßstab des § 193 StGB oder bei der Fixierung der deliktischen Sorgfaltsanforderungen das Interesse am Rechtsschutz berücksichtigen, also das Prozeßverhalten im Vergleich zu außerprozessualen Deliktshandlungen bis zu einem gewissen Grad privilegieren230• In diesem Fall stellt sich die von Renekel hervorgehobene"\ obwohl letztlich im Grundsatz verneinte Anschlußfrage, ob die schuldhafte Verletzung prozessualer Parteipflichten diese Privilegierung wieder rückgängig macht. Denkt man an den Mißbrauch prozessualer Befugnisse oder an den vertraglichen Klagverzicht, so erscheint die gegen die Redlichkeits- oder Vertragspflicht verstoßende Klage auch auf der Ebene der deliktischen Anforderungen weniger schutzwürdig als die prozessual ordnungsgemäße Klage. Es ist daher nicht verwunderlich, daß Hopt bei der Abwägung der Interessen, auf der seine deliktischen Verhaltensmaßstäbe bei Prozeßhandlungen beruhen232, als verschärfende Elemente prozessuale Wertungen wie fehlendes Rechtsschutzinteresse, Mißbrauch und Verschleppung anführt233 • Auch in den zuvor dargestellten Erwägungen von Jürgen Blomeyer, Zeiss und Hans-Jürgen Hellwig ist 22s

229

2so 211 2s2

asa

NJW 1968, 1075 f. NJW 1968, 1074.

Vgl. näher unten § 9 B II 1 (S. 316 ff.). Henckel, Prozeßrecht, 303. Hopt, 251 ff. Hopt, 257, 260.

C. Verhaltenspflichten der Parteien im Zivilprozeß

281

dieser Gedanke angelegt: Selbst wenn sie - Hans-Jürgen Hellwig partiell - bei prozeßordnungsgemäßem Verhalten die Haftung ablehnen, könnte der von ihnen postulierte Unterschied zwischen ordnungsgemäßem und pflichtwidrigem Verhalten auch zur Aufhebung der deliktischen Privilegierung eines ordnungsgemäßen Parteiverhaltens führen. 4. Untersuchungsgang

Insgesamt läßt sich damit die Problematik der Außenwirkung von Parteipflichten in drei Fragekreise aufgliedern: Den ersten bildet die Frage nach unmittelbaren Haftungsfolgen der schuldhaften Verletzung prozessualer Parteipflichten. Die Haftung setzt voraus, daß deren Schutzzweck auf außerprozessuale Folgeschäden der Prozeßführung gerichtet ist, die Parteipflichten also eine materielle Schutzordnung darstellen. Der zweite Fragenkomplex erfaßt die partiell geforderte, totale Überlagerung des materiellen Rechtsgüterschutzes durch die positivierten Pflichtmaßstäbe des Prozeßrechts, der dritte das Problem, inwieweit eine materiell-rechtlich fundierte Privilegierung des Parteiprozeßverhaltens im Zivilrecht auch bei schuldhafter Verletzung prozessualer Parteipflichten aufrechtzuerhalten ist. Diese Fragenkreise stehen nicht unabhängig nebeneinander. Der zwischen ihnen nachweisbare Systemzusammenhang gebietet vielmehr eine bestimmte Prüfungsreihenfolge: Soweit sich die Parteipflichten als materielle Schutzordnung verstehen lassen, liegt darin zumindest ein gewisses Indiz für eine damit verbundene Grenze der - auch materiell-rechtlich relevanten - Verhaltensanforderungen. Soweit die im Prozeßrecht positivierten Pflichtmaßstäbe die Haftungsgrenze abschließend fixieren, entfällt andererseits die Suche nach einem materiell-rechtlichen Mittel, um die "Verkümmerung des Rechtsschutzes" zu verhindern. Der dritte Fragenkreis ist dann bedeutungslos. Er läßt sich ohnehin nur beantworten, wenn die Mittel zur materiell-rechtlichen Privilegierung des Parteiprozeßverhaltens einbezogen werden, also grundsätzlich nach den materiell-rechtlichen Rechtsfolgen aus prozessualem Verhalten gefragt wird234 • Die nachfolgenden Passagen haben deshalb ausschließlich die stärker prozessual orientierten Themen der Parteipflichten als materielle Schutzordnung235 sowie der Überlagerung des materiellen Rechtsgüterschutzes durch die positivierten Pflichtmaßstäbe des Prozeßrechts236 zum Gegenstand. Zuvor ist zur Festlegung des Ausgangspunktes ein Blick auf den Katalog der Parteipflichten erforderlich.

234

Das geschieht abschließend in § 9.

§ 8 C III 1 (S. 283 - 290). m § 8 C III 2 (S. 290 - 298). 235

282

§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien

D. Katalor der Parteipßlchten

Die Bestandsaufnahme der prozessualen Parteipflichten kann in einigen Punkten auf Resultate der vorhergehenden Passagen verweisen. Zu nennen sind die verpflichtenden Prozeßvereinbarungen137, die Verpflichtungswirkung bei Prozeßvereinbarungen mit negativer Verfügungswirkung, die eine Addition prozessualer und materiell-rechtlicher Sanktionen begründet138, sowie die Ablehnung einer allgemeinen prozessualen Mitwirkungspflicht289• Insgesamt sind die Parteipflichten im Zivilrechtsstreit ziemlich spärlich. Neben die soeben erwähnten Pflichten, die in den Grenzen des zwingenden Zivilprozeßrechts auf der Parteiautonomie beruhen, treten nur wenige, im Gesetz ausdrücklich hervorgehobene Parteipflichten: die Erscheinenspflicht der Prozeßpartei nach §§ 141, 272 b Abs. 2, 3, 619, 640, 641 ZPO, die Pflicht zur Duldung von körperlichen Untersuchungen nach § 372 a, ZPO, die Pflicht zur Vorlage von Urkunden und Schriftstücken gemäß §§ 422, 423, 441 Abs. 3 ZPO, das in§ 444 ZPO statuierte Verbot der absichtlichen Urkundenvernichtung, die Wahrheitspflicht des § 138 ZPO und das Verbot der Prozeßverschleppung in §§ 279, 279 a, 283 Abs. 2, 529 Abs. 2 ZPO. Eine Ergänzung ergibt sich schließlich aus der analogen Anwendung des § 242 BGB im Zivilprozeßrecht, die allerdings auf Randfälle der Verwirkung und des Mißbrauchs prozessualer Befugnisse begrenzt bleibt2" . Regelmäßig löst - bisweilen unter erheblich einschränkenden subjektiven Voraussetzungen - der Verstoß gegen prozessuale Parteipflichten Wirkungen im Rechtsstreit selbst aus: Strafen und manchmal unmittelbaren Zwang (§§ 141 Abs. 3 S.1, 619 Abs. 3, 372 a Abs. 2 ZPO), Beweisregeln (§§ 427, 441 Abs. 3, 444 ZPO) sowie die Auferlegung von Kosten (§ 278 Abs. 2 ZPO) und die Zurückweisung von verspäteten Angriffs-, Verteidigungs- und Beweismitteln (§§ 279, 283 Abs. , 529 ZPO). Ohne nennenswerte innerprozessuale Sanktion bleibt allein die Verletzung der Wahrheitspflicht241 • Das Gericht entscheidet, wie § 286 ZPO verdeutlicht, ohnehin nach freier Überzeugungsbildung. Gerade deshalb ist zu fragen, inwieweit die Wahrheitspflicht und mit ihr andere Parteipflichten bei ihrer schuldhaften Verletzung außerprozessuale Rechtswirkungen erzeugen können.

§ § 239 § uo §

237

238

7B 7B 7 B 8 B

I 1 a aa) {J) (S. 192 - 198). I 1 a cc) tt) (S. 209 - 215). II 4 b aa) (S. 234- 239). (S. 252 - 273).

Z41 Vgl. etwa Arwed B1omeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VIII 1 c (S. 144); Lent/Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 26 III (S. 79); Rosenberg/Schwab, § 65 VIII 7 a (S. 339); Stein!Jonas!Poh1e, § 138 I 3 a.

C. Verhaltenspflichten der Parteien im Zivilprozeß

283

Iß. Außenwirkung von Parteipßlchten

1. Parteipflichten als materielle Schutzordnung Die Wirkung der prozessualen Institute ist nicht auf den innerprozessualen Bereich begrenzt. Faktisch sorgen etwa auf dem Sektor unberechtigter Prozeßbehauptungen bereits das Erfordernis des Rechtsschutzbedürfnisses, die Notwendigkeit der Schlüssigkeitsprüfung, die Sachurteilsvoraussetzungen, das Zulassungs- und Prüfungsverfahren bei Konkursanträgen und die Abschätzung der Erfolgsaussichten des Hauptprozesses beim einstweiligen Rechtsschutz dafür, die mit Prozeßhandlungen verbundenen Nachteile des Gegners einzuschränken242. Damit ist aber über den Normzweck prozessualer Vorschriften, namentlich der im Prozeßrecht nachweisbaren Parteipflichten, noch nichts gesagt. Das überkommene Trennungsdogma ist zwar insoweit nicht haltbar, als es die Auswirkung prozessualer Parteipfli-chten strikt leugnet; die Parteipflichten lassen sich aber nur dann als materielle Schutzordnung auffassen, wenn ihr Schutzzweck auf die Vermeidung außerprozessualer Nachteile des Prozeßgegners gerichtet ist. Die Feststellung dieser Prämisse erfordert eine differenzierte Betrachtung der Prozeßvereinbarungen und der gesetzlichen Parteipflichten. a) Pflichten aus Prozeßvereinbarungen Klar ist die Schutzrichtung nur bei den Pflichten aus Prozeßvereinbarungen. Maßgeblich ist in den von den prozeßrechtlichen Zulässigkeitsschranken umrissenen Grenzen der erklärte Parteiwille. Die regelmäßig erstrebte stärkste Schutzwirkung aus Prozeßvereinbarungen führt zur Außenwirkung der Parteipflichten. Folgeschäden aus der schuldhaften Verletzung eines Beweismittelvertrags sind innerhalb der von der Urteilsrechtskraft gesteckten Grenzen zu ersetzen. Daraus ergibt sich die Doppelwirkung bei Prozeßvereinbarungen243 • Die Pflichten aus Prozeßvereinbarungen schützen den Prozeßgegner regelmäßig vor Vermögensnachteilen. Schwieriger sind der Schutzzweck der gesetzlichen Parteipflichten und etwaige Haftungsfolgen bei ihrer Verletzung zu bestimmen. b) Gesetzliche Parteipflichten

aa) Schutzzweck einzelner Parteipflichten Der Katalog der gesetzlichen Parteipflichten enthält prozessuale Verhaltensnormen unterschiedlicher Art. Für die Urkundenvorlage ist außerhalb des § 423 ZPO der Rückgriff auf zivilrechtliche Pflichten 242 243

Hopt, 174 f. Vgl. oben § 7

B I 1a

cc) c.)

(S. 209- 215).

284

§

8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien

kennzeichend. Diese können daher auch die Grundlage zivilrechtlicher Ersatzansprüche bilden2' 4 • Auch die absichtliche Urkundenvernichtung nach § 444 ZPO kann zur Schadensersatzpflicht gemäß § 826 BGB führen; bei Vernichtung fremder Urkunden auch gemäß § 823 BGB. Den Schutz des Prozeßgegners übernimmt das materielle Recht. Nichts anderes gilt auch für die seltenen Fälle eines Verstoßes gegen die auf eine analoge Anwendung des § 242 BGB geschütze Pflicht zur redlichen Prozeßführung. Beim subjektiven Rechtsmißbrauch ist an § 826 BGB zu denken. In Verwirkungsfällen ist nach neueren zivilrechtliehen Einsichten eine Vertrauenshaftung erwägenswert24 5; den Maßstab bietet in jedem Fall- auch bei der prozessualen Verwirkung- das Zivilrecht. Das Prozeßrecht fixiert allein die Reichweite des Vertrauensgedankens, ergibt aber keine eigenständige Haftungsgrundlage. Keiner näheren Erörterung bedürfen schließlich auch die Erscheinenspflichten und die Untersuchung:.;pflicht des § 372 a ZPO. Das Prozeßrecht sanktioniert sie abschließend. Eine mögliche Verzögerung des Rechtsstreits lenkt allenfalls den Blick auf das Verbot der Prozeßverschleppung. Übrig bleiben somit als potentielle Haftungsgrundlagen nur die Verletzung der Wahrheitspflichtund der Verstoß gegen das Prozeßverschleppungsverbot. ~X)

Wahrheitspflicht

§ 138 Abs. 1 ZPO verpflichtet die Prozeßparteien, ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände der Wahrheit gemäß abzugeben. Das Schrifttum legt die Norm fast einhellig246 restriktiv aus. Es erblickt in§ 138 Abs. 1 ZPO nur ein Verdikt gegen die Prozeßlüge247• Die Partei darf danach auch Behauptungen aufstellen, von deren Wahrheit sie nicht völlig überzeugt ist. Die vorsätzliche Verletzung der Wahrheitspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO erfordert nach diesem Maßstab, daß die Partei selbst nicht an die Richtigkeit ihres Vortrags glaubt oder willkürlich Vermutungen "ins Blaue hinein" aufstellt. Derartige Prozeßbehauptungen müssen zudem zuungunsten des Prozeßgegners erfolgen, was zur Bindungswirkung beim bewußt unwahren Geständnis führt248• Die Restriktion des § 138 Abs. 1 ZPO verdient Zustimmung. § 138 Abs. 4 ZPO beweist, daß man - möglicherweise wahre - Gegnerbehauptungen, über die man keine Kenntnis hat, bestreiten muß. Im übrigen dient geVgl. etwa Stein/Jonas!Schumann!Leipold, § 427 I 1. us Canaris, Vertrauenshaftung, 373 FN 7. 241 Anders heute nur Hopt, 272 f. 247 Vgl. etwa Baumbach!Lauterbach!Albers!Hartmann, § 138 1 B; Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VII 1 c (S. 143); Lent/Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 26 III (S. 79); Rosenberg!Schwab, § 65 VIII 4 (S. 338); Schönke!Kuchinke, § 4 II (S. 9); Stein!Jonas!Pohle, § 138 I 3 a; Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 33 V (S. 83). 248 Vgl. nur Schönke/Kuchinke, § 4 II (S. 9). 244

C. Verhaltenspflichten der Parteien im Zivilprozeß

285

radeder Prozeß der objektiven Wahrheitsfindung, und sogar der Staatsanwalt, dem immerhin ein Vorschaltverfahren zur Sammlung von Beweismaterial zur Verfügung steht, ist nach § 170 StPO bereits bei genügendem Anlaß zur Anklage befugt249 . Schadensersatzansprüche wegen Verletzung der Wahrheitspflicht sind demnach allenfalls bei Unwahrhaftigkeit der Prozeßpartei zuzulassen, scheiden aber aus, wenn§ 138 ZPO nicht dem Gegnerschutz dient250• Die Schutzrichtung wird in der Doktrin selten präzise erörtert. Symptomatisch ist die Feststellung, die Wahrheitspflicht diene nicht nur dem Gegner, und die gleichzeitige Ablehnung der Schutzgesetzeigenschaft mit der Begründung, die Vorschrift sei im Wesen eines staatlich geordneten Verfahrens begründet261 • Dahinter steht- ebenso wie bei §§ 79 StPO, 410 ZPO, deren Schutzgesetzeigenschaft seit zwei Grundsatzentscheidungen des BGH252 kaum noch vertreten wird253 - die Befürchtung, die Urteilsrechtkraft zu überspielen254 . Indessen ist die Wahrheitstindung im Rechtsstreit nicht Selbstzweck. Sie dient vielmehr dem Prozeßgegner255. Ohne dieses Ziel bliebe unverständlich, weshalb ein bewußt unwahrer Vortrag zugunsten des Gegners keine Verletzung der Wahrheitspflicht darstellt. Schließlich war die Aufnahme des § 138 Abs. 1 ZPO in die Prozeßordnung gerade durch F'älle veranlaßt, in denen die Unwahrheit einer Parteibehauptung im Verfahren unentdeckt bleibt258 und die nachträgliche Feststellung gemäß § 580 Nr. 4 ZPO nicht folgenlos bleiben soll. Deshalb ist den Autoren zuzustimmen, die der Wahrheitspflicht auch einen Schutzzweck zugunsten der anderen Prozeßpartei beimessen257. Allerdings ist diese Aussage noch zu pauschal. Die Projektion der Wahrheitspflicht auf das Gericht und den Prozeßgegner deutet nämlich keineswegs darauf hin, daß der Gegner damit vor jeder Folgewirkung bewußt wahrheitswidriger Prozeßbehauptungen geschützt werden sonm. Das gemeinsame Interesse des Staates und des Prozeßgegners zce Jürgen Blomeyer, 41.

250 Vgl. Lent/Jauernig, Zivilprozeßrecht, § 26 III (S. 79): gegenüber dem Staat. 251 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 138 1 D und § 138 1 G. .2&! BGHZ 42, 313; BGH NJW 1968, 787 . .253 Vgl. aber Jürgen Blomeyer, 196 ff. 254 Baumbach/Lauterbach!Albers/Hartmann, § 138 1 G; vgl. auch zu § 79 StPO und § 410 ZPO Jürgen Blomeyers Kritik an der Argumentation des BGH vom Ergebnis her (S. 193). .255 Jürgen Blomeyer, 49. .258 Henckel, Prozeßrecht, 296. 257 Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VII 1 c (S. 143) ; Jürgen Blomeyer, 49 f .; Henckel, Prozeßrecht, 296 f.; Hopt, 271; Rosenberg/Schwab, § 65 VIII 2 (S. 338); Weigelt, DJZ 1934, 534. 258 So aber Jürgen Blomeyer, 43 FN 121; Hopt, 273 FN 7.

286

§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien

sind allein auf die Wahrheitstindung im Prozeß, also auf das richtige Urteil gerichtet. Deshalb ist subtiler zu fragen, ob mit der Einführung des § 138 Abs. 1 ZPO der Rechtsgüterschutz des Gegners verstärkt oder die unrichtige Entscheidung vermieden werden sollte. Allenfalls ein Indiz für den Zusammenhang mit der gerichtlichen Entscheidung ist die systematische Stellung des§ 138 Abs. 1 ZPO im Prozeßrechtm. Doch bestätigt der Vorspruch zur Prozeßrechtsnovelle des Jahres 1933260, mit der die Wahrheitspflicht kodifiziert worden ist, die intendierte Vermeidung von Fehlentscheidungen. Der Vorspruch wendet sich gegen die Irreführung des Gerichts, räumt aber gleichzeitig ein, daß das Verfahren auch den Prozeßparteien dient. Schließlich spricht auch der Vergleich zwischen außerprozessualen und den durch Parteiprozeßhandlungen verursachten Schäden eines anderen gegen eine Ausweitung des Normzwecks des § 138 Abs. 1 ZPO. Bezweckt die Prozeßpartei vorsätzlich Folgeschäden des Prozeßgegners, so hilft § 826 BGB. Im übrigen aber spricht das Rechtsschutzziel2 ' 1 eher für eine Milderung als für eine Ergänzung der Haftungsgrundlagen. Die Wahrheitspflicht dient daher der Wahrheitstindung mit Blick auf das Urteil262 • Der begrenzte Schutzzweck bestimmt auch die Reichweite der Ersatzpflicht. Ausgleichbar ist bei Wiederaufnahme des Rechtsstreits nach § 580 Nr. 4 ZPO nur der Schaden, der durch ein Fehlurteil entstanden ist269 • Nur dieser wird vom Normzweck des § 138 Abs. 1 ZPO gedeckt; dagegen nicht die sonstigen Schäden, die infolge der unwahren Behauptung unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits entstanden sind.

ß)

Verbot der Prozeßverschleppung

Auch das gesetzliche Verbot der Prozeßverschleppung beruht auf der Prozeßrechtsnovelle des Jahres 193326 4• Der Vorspruch bezieht die Prozeßverschleppung wiederum primär auf das Gericht. Dessen Arbeitskraft soll nicht durch böswillige oder nachlässige Prozeßführung beeinträchtigt werden. Der zweite Absatz des Vorspruchs hebt zwar die Funktion der Rechtspflege für die Parteien hervor und erstreckt damit die Schutzrichtung einer zügigen Prozeßführung auch auf diese; der Vorspruch verweist aber ausdrücklich auf den Zusammenhang zwischen der "Pflicht zur redlichen und sorgfältigen Prozeßführung", der die Vgl. aber Henckel, Prozeßrecht, 297. RGBI. I 1933, 780. 2&1 An diesem ändert auch die vorsätzliche Verletzung der Wahrheitspflicht nicht unbedingt etwas. Sie kann dadurch verursacht sein, daß die Partei eine andere Sachdarstellung nicht beweisen zu können glaubt. 262 Henckel, Prozeßrecht, 297. 283 Vgl. dazu auch Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 30 VII 1 c (S. 144); Henckel, Prozeßrecht, § 297 f.; Rosenberg/Schwab, § 65 VIII 7 b (S. 340). 264 RGBl. I 1933, 780. !st !60

C. Verhaltenspflichten der Parteien im Zivilprozeß

287

Prozeßverschleppung widerstreitet, und dem "Anrecht auf Rechtsschutz". Es liegt deshalb nahe, auch dem Verbot der Prozeßverschleppung nur einen begrenzten, nämlich prozessualen Schutzzweck zuzuweisen: die Förderung des konkreten Rechtsstreits, dagegen nicht die Bewahrung des Prozeßgegners vor allen Vermögensnachteilen, die eine verzögerliche Prozeßführung verursacht. Das Gesetz läßt auch nur diesen eingeschränkten Normzweck erkennen. DieAuferlegung der Kostennachteile gemäß §§ 278 Abs. 2, 283 Abs. 2 ZPO sowie die Zurückverweisung von Angriffs- und Verteidigungsmitteln nach §§ 279, 283 Abs. 2, 529 Abs. 2, 3 ZPO bleiben im Rahmen des konkreten Rechtsstreits. Von einer weiterreichenden Außenwirkung ist nicht die Rede. Folgeschäden der Verzögerung reglementiert auch weithin das materielle Recht. Bei der begründeten Leistungsklage werden Nachteile aus der Verzögerung durch den Beklagten mit Hilfe der Regeln über den Schuldnerverzug aufgefangen285 • Erhebt umgekehrt der Schuldner eine negative Feststellungsklage und verzögert er den Rechtsstreit, so würde eine Ersatzpflicht aus schuldhafter Prozeßverschleppung ausgleichen, daß der Gläubiger den Schuldner nicht in Verzug gesetzt hat268• Diese Verschärfung der zivilrechtliehen Haftungsanforderungen bedürfte zumindest einer akribischen Begründung. Andererse.,ts muß sich der Schuldner bei der Prozeßverschleppung durch den Gläubiger entgegenhalten lassen, daß sein Schaden primär auf der Nichterfüllung seiner zivilrechtliehen Pflichten beruht287• Es kommt daher nicht von ungefähr, daß die Schadensersatzpflicht aus grob schuldhafter Prozeßverschleppung am Extremfall der jugoslawischen Militärmission288 exemplifiziert wird, in dem die Verschleppung eine Prozeßvoraussetzung betrifft und sich deshalb von den materiell-rechtlichen Hintergründen abstrahieren läßt. Die in diesem Falle von Dölle vorgeschlagene Ersatzpflicht der Beklagten288 durchbricht indessen nicht nur die Rechtskraftschranken270• Sie findet vielmehr im Prozeßrecht keine Stütze. § 279 Abs. 1 ZPO zeigt nämlich den Sinngehalt der Prozeßverschleppungsregelung nachdrücklich auf: Das Gericht muß Angriffs- und Verteidigungsmittel, deren verspätetes Vorbringen den Rechtsstreit absichtli-ch verzögert oder auf grober Nachlässigkeit beruht, keineswegs zurückweisen. Die Zurückweisung 285 Henckel, Prozeßrecht, 296; vgl. über die Relation von Schuldnerverzug und der ,.gerichtlichen Inanspruchnahme" durch den Beklagten oben § 6 B

III 1 d (S. 169 - 171). :e8 Vgl. Henckel, Prozeßrecht, 296. 267 Henckel, Prozeßrecht, 295. !88 § 1 A, Beispiel 9. ue Dölle, Festschrift für Riese, 292. 210 Henckel, Prozeßrecht, 292; Schröder, JZ 1965, 310; vgl. näher oben § 7 B I 1 a cc) (S. 213 ff.).

288

§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien

steht in seinem freien Ermessen 211 • Dann aber darf die gerichtliche Entscheidung auch nicht dadurch korrigiert werden, daß man die zumindest grob nachlässige Prozeßführung strikt mit einem Schadensersatzanspruch des Gegners verknüpft. Es bedeutet auch nur eine Verdeckung dieses W ertungswiderspruchs, wenn sich Dölle von § 279 ZPO löst und allgemein auf die Pflicht zur redlichen Prozeßführung retiriert272• Das Gesetz regelt die Prozeßverschleppung speziell, und eine Korrektur des § 242 BGB verfälscht die gesetzliche Wertung. Die Ermessensvorschrift des § 279 Abs. 1 ZPO enthält eine verbindliche Wertungsgrenze. Sie zeigt, daß der Schutzzweck des Verschleppungsverbots nur auf den prozessualen Bereich gerichtet ist. Das gleiche gilt im übrigen auch in der Berufungsinstanz, in der freilich § 529 Abs. 2 ZPO dem Gericht die Zurückweisung auferlegt273 • Der Unterschied zu § 279 Abs. 1 ZPO ist wiederum innerprozessual erklärbar: § 529 Abs. 2 ZPO versieht den höheren Grad der Verschleppung mit einer strengeren Sanktion. Der Schutzzweck des Verschleppungsverbots ist nach allem nicht schlechthin auf Vermögensschäden des Prozeßgegners geri.chtet. Eine Schadensersatzpflicht läßt sich daher auf eine schuldhafte Prozeßverschleppung nicht stützen. bb) Haftungsfolgen

Von den ausschließlich im Prozeßrecht fundierten gesetzlichen Parteipflichten führt daher nur die bewußte Verletzung der Wahrheitspfli.cht zu einem Schadensersatzanspruch; und auch dies im Rahmen des begrenzten Schutzzwecks des § 138 ZPO nur, um den Urteilsschaden auszugleichen. In diesem Fallliegt aber stets ein Prozeßbetrug vor, so daß der Ersatzanspruch auf die §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB gestützt werden kann und der Schutzgesetzcharakter des § 138 ZPO praktisch bedeutungslos ist174• Zu erwägen bleibt freilich die culpa in procedendo, soweit mit ihr eine vorsätzliche Verletzung der Wahrheitspflicht sanktioniert werden soll276 • Das ist nicht nur im Hinblick auf die Verjährungsgrenze des§ 852 BGB von Interesse, sondern vor allem auch wegen einer Zurechenbarkeit des Anwaltsverhaltens über § 278 BGB. Auch Vgl. nur Stein/Jonas/Schumann!Leipold, § 279 II 3. Dölle, Festschrift für Riese, 290 - 292. 273 Die Verschärfung beruht auf der Novelle des Jahres 1933; vgl. Stein/ Jonas!Grunsky, § 529 III 1 c. m Vgl. auch Henckel, Prozeßrecht, 297; er hält die Problematik der Schutzgesetzverletzung nur bei fahrlässigen Verstößen gegen die Wahrheitspflicht für bedeutsam, die auch er nicht dem Tatbestand des § 138 Abs. 1 ZPO zuordnet. 275 Vgl. offenbar unter Begrenzung auf die Wahrheitspflicht Rosenbergt Schwab, § 65 VIII 7 c (S. 340). 211

212

C. Verhaltenspflichten der Parteien im Zivilprozeß

289

den Anwalt trifft nämlich die Wahrheitspflicht des § 138 ZP0171, und das Anwaltsverhalten steht nach § 580 Nr. 4 ZPO bei der Wiederaufnahme des Rechtsstreits dem Parteiverhalten gleich, so daß ein gegen die Partei gerichteter Ersatzanspruch jedenfalls nicht an Rechtskraftgrenzen scheitern muß. Die Prämisse einer Haftung der Partei für das Anwaltsverhalten aus culpa in procedendo ist freilich eine Gleichheit der Interessenlage bei der Prozeßführung und beim Schuldverhältnis. Die Befürworter der culpa in procedendo ziehen daher regelmäßig Parallelen zwischen dem Prozeßrechtsverhältnis und dem Schuldverhältnis277. Deren Hintergrund bildet freilich meist die Vorstellung, im Prozeß werde ebenso wie beim Schuldverhältnis ein Netz von Rücksichtspflichten zum Schutz des Prozeßgegners begründet. Die Vergleichbarkeit schwindet, sobald man die prozessualen Verhaltensnormen auf den spärlichen Bestand an nachweisbaren Parteipflichten zurückführt. Diskutabel bleibt dann allenfalls, die bewußte Verletzung der Wahrheitspflicht als culpa in procedendo zu bezeichnen. Dafür läßt sich allenfalls anführen, daß im Prozeß ebenso wie bei Schuldverhältnissen der anderen Partei eine Tätigkeit durch einen "Erfüllungsgehilfen" aufgedrängt werden kann. Im übrigen aber sind die Prozeßführung . durch einen Anwalt und die Erfüllung von Schuldnerpflichten durch eine Hilfsperson durchaus verschiedenartig. Der Anwalt führt den Prozeß zwar für die Partei und nicht ohne Einvernehmen mit ihr; er führt ihn aber prinzipiell selbständig, so daß die Relation von Geschäftsherr und Gehilfe nicht paßt. Dem Gegner ist deshalb auch ein Rückgriff auf den üblicherweise haftpflichtversicherten Anwalt zumutbar278. Vor allem aber ist die Prozeßführung antagonistisch und die seltenen Prozeßpflichten rechtfertigen keine Gleichstellung mit Schuldverhältnissen, denen ein so schroffer Interessengegensatz fehlt. Selbst wenn Schuldverhältnisse durch "sozialen Kontakt" begründet werden können, sind der soziale und der prozessuale Kontakt nicht gleichzustellen. Ein Urteil des BGH aus dem Jahre 1973, das dem Vollstreckungsgläubiger das Anwaltsverschulden gemäß § 278 BGB anlastet und sich dabei auf eine gesetzliche Sonderbeziehung privatrechtlicher Art beruft, die sich aus der Gestaltung des Vollstreckungsrechts ergebe279, deutet allerdings mit dieser Begründung auf eine schuldrechtliche Sonderbeziehung aus einem "prozessualen Kontakt" zweier Personen hin280• Indessen geht es in dieser Entscheidung um eine Vollstreckung in eine schuldnerfremde Sache. m Rosenberg/Schwab, § 65 VIII 2 (S. 338). Vgl. vor allem Berges, NJW 1965, 1505 ff.

211

Riese, 290 ff.

Hopt, 274. m BGH JZ 1973, 29, 31. zso Henckel, JZ 1973, 32.

278

1S Konzen

und Dölle, Festschrift für

§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien

290

Der Dritte begehrt vom Vollstreckungsgläubiger Schadensersatz, weil dessen Anwalttrotz der Glaubhaftmachung eines die Veräußerung hindernden Rechts im Sinne des § 771 ZPO den gepfändeten Gegenstand nicht freigegeben hat. Zwischen dem Dritten und dem Gläubiger bestand - bei materiell-rechtlicher Betrachtung - ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis, an das ebenso wie an den von Renekel hervorgehobenen Abwehranspruch gemäß § 1004 BGB281 die schuldrechtlichen Beziehungen der Parteien mit der Folgewirkung des § 278 BGB anknüpfbar sind. Das Vollstreckungsrecht beschränkt die Gegenwehr des Dritten zwar auf die Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO, ändert aber die zugrunde liegenden materiell-rechtlichen Rechtsbeziehungen nicht. Die vom BGH betonte privatrechtliche Sonderbeziehung ist daher rein zivilrechtlich fundiert, der Ersatzanspruch also nicht auf ein "Verschulden aus einem Vollstreckungsrechtsverhältnis" gestützt. Es bleibt dabei: Der prozessuale Kontakt begründet kein Schuldverhältnis. Das "Prozeßrechtsverhältnis" ist einem solchen auch nicht ähnlich. Ersatzansprüche aus einer culpa in procedendo sind nicht anzuerkennen.

2. Positivierte Pflichtmaßstäbe und materieller Rechtsgüterschutz Der Schutzzweck der in der ZPO normierten Parteipflichten reicht, wenn man den Ausgleich des Urteilsschadens beim unwahrhaftig erstrittenen Fehlurteil unbeachtet läßt, nicht über den prozessualen Bereich hinaus. Ihre Verletzung ist für die außerprozessualen Rechtsbeziehungen insofern irrelevant, als sie keine Ersatzansprüche begründet. Die Einhaltung prozessualer Verhaltensnormen bezweckt umgekehrt nicht den Rechtsgüterschutz des Prozeßgegners. Daraus folgt jedoch nicht, daß das Parteiprozeßverhalten bei der deliktsrechtlichen Beurteilung und beim negatorischen Rechtsschutz schlechthin dem außerprozessualen Verhalten gleichsteht. Zu erwägen bleibt, ob die Parteipflichten nicht dennoch das Prozeßverhalten abschließend normieren und der Prozeßgegner die entstehenden Beeinträchtigungen seiner Rechte und Rechtsgüter sowie sonstige Vermögensnachteile hinzunehmen hat. Nur eine abschließende Regelung des Parteiverhaltens im Rechtsstreit durch die Prozeßordnung kann die Anwendung materiell-rechtlicher Normen verhindern. Den Ausgangspunkt für diese Problemsicht bilden die oben282 umrissenen Standpunkte, die der BGH sowie Jürgen Blomeyer, Hans-Jürgen Hellwig und Zeiss einnehmen. Allerdings müssen die Wertungsgrundlagen aufgedeckt werden, die eine Spezialität der prozessualen Verhaltensnormen begründen und der anderen Prozeßpartei das Risiko für die Folgewirkung aufbürden. Weder der BGH noch Zeiss 2s1 2s2

Henckel, JZ 1973, 32. Vgl. oben § 8 C I 2 zu FN 199- 229 (S. 276- 280).

C. Verhaltenspflichten der Parteien im Zivilprozeß

291

geben dafür eine Begründung. Zeiss verweist nur auf die prozeßrechtlichen Verhaltensforderungen, rechtfertigt aber - abgesehen von der vagen Formel einer "Verkümmerung des Rechtsschutzes", die zumindest über die Reichweite einer materiell-rechtlichen Privilegierung des Parteiprozeßverhaltens nichts aussagt- die sonstige Verdrängung der deliktsrechtlichen Vorschriften nicht288• Der BGH geht zwar von einem Schuldnerschutz beim Zulassungs- und Prüfungsverfahren nach § 105 KO aus, räumt aber aus dem Konkursantrag resultierende Nachteile des Schuldners ein284 und begründet nicht, warum dieser eine Rechtsoder Vermögenseinbuße hinzunehmen hat. Auch die von Hans-Jürgen Hellwig konstruierte prozeßrechtliche Sonderbeziehung285 , die sich durch den Streitgegenstand einstellen soll, erklärt die daraus abgeleitete Verdrängung materiell-rechtlicher Normen nicht überzeugend: Erhebt der Kläger eine negative Feststellungsklage, mit der ein gerichtlicher Ausspruch über das Eigentum an einem Grundstück erstrebt wird, so umfaßt der Streitgegenstand gerade nicht alle möglichen Folgeansprüche. Obsiegt der Kläger, so verwehrt das Prozeßrech.t allerdings die Durchsetzbarkeit eines Ersatzanspruchs wegen schuldhafter Verletzung des Eigentums am Grundstück, mit dem der Gegner den Ausgleich einer durch den Rechtsstreit und die damit verbundene Verzögerung eines Bauwerks verursachte Kostenverteuerung verlangt. Die prozeßrechtliche Schranke errichtet dann aber die Rechtskraft der Entscheidung über das für den Ersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB präjudizielle Eigentum, nicht irgendeine prozeßrechtliche Sonderbeziehung der Parteien. Folgerichtig kann auch bei einer Abweisung der Feststellungsklage keine prozeßrechtliche Sonderbeziehung der Geltendmachung von Ersatzansprüchen durch den Prozeßgegner entgegenstehen. Weiterführend sind allein die Erwägungen von Jürgen Blomeyer. Er befaßt sich allerdings mit der abschließenden Normierung des Parteiprozeßverhaltens durch die Parteipflichten des Zivilprozeßrechts nur am Rande. Diese sind für ihn nur insoweit von Belang, als sie eine Parallele zur Haftung wegen schuldhafter Verfahrenshandlungen des Staatsanwalts darstellen können288 • Gerade diese Parallele erscheint indessen in einem entscheidenden Punkt fragwürdig. Die prozessualen Verhaltensnormen der StPO werden nämlich über die Brücke des § 839 BGB in das materielle Recht transformiert. Soweit sie dem Schutz des potentiellen Straftäters dienen sollen, begründet ihre schuldhafte Verletzung eine Ersatzpflicht gemäß Art. 34 GGI§ 839BGB. DieseVorschriften sanktionieren die Amtspflichtverletzungen zugleich abschließend. 2sa Zeiss, NJW 1967, 707. 284

BGHZ 36, 18, 21 f.

2ss Hans-Jürgen Hellwig, 1073. 288

19°

Vgl. Jilrgen Blomeyer, 37.

292

§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien

Auf diese Weise ist eine Kongruenz zwischen den prozessualen Verhaltensnormen und dem materiellen Haftungsrecht hergestellt. Die abschließende Normierung der Verfahrenshandlungen des Staatsanwalts durcll die Vorschriften der StPO steht deshalb fest. Die Relation zwischen den im Prozeßrecht normierten Pflichten und dem materiellen Rechtsgüterschutz ist allein im Zivilrechtsstreit problematisch. Die von Jürgen Blomeyer gezogene Parallele macht diese Divergenz nicht deutlich. Man wird seinen Ausführungen im übrigen auch nur gerecllt, wenn man die These von der abschließenden prozeßrechtlichen Normierung des Parteiprozeßverhaltens im Zivilprozeß im Kontext mit seinem Verständnis der prozessualen Parteipflichten als einer materiellen Schutzordnung sieht. Dennoch ist auch bei einer anderen Sicht des Schutzzwecks der Parteipflicllten der von Jürgen Blomeyer bezogene Standpunkt nicht beseitigt. Nicht ausgeräumt ist nämlich sein beiläufiger287, im Zusammenhang mit der Haftung des Zeugen und des Sachverständigen wiederheiter und näher erläuterter!88 Hinweis auf die spezialgesetzliche Regelung der StVO. Er führt zu weitreichenden Folgerungen: Wenn die Rechtsgutsverletzung auf einem Sachgebiet liege, das einer spezialgesetzlichen Regelung unterworfen sei, müsse man die Rechtswidrigkeitsprüfung an dieser speziellen Rechtsordnung ausricllten. Für Schadensfälle im Straßenverkehr seien die in der StVO enthaltenen Wertungen als Maßstab für die Rechtswidrigkeitsprüfung heranzuziehen; und zwar als abschließender Maßstab. Der richtige Kern der Judikatur des BGH zum verkehrsrichtigen Verhalten liege darin, daß die StVO mit der Trennung von gebotenem bzw. erlaubtem und verbotenem Verhalten auf dem speziellen Sektor des Straßenverkehrs das rechtmäßige vom rechtswidrigen Verhalten scheide288• In Anlehnung an die spezialgesetzliche Regelung der StVO sieht Jürgen Blomeyer auch in den Normen der Prozeßordnung und den in ihnen enthaltenen Wertungen den abscllließenden Prüfungsmaßstab für die Rechtswidrigkeitsprüfung des Parteiprozeßverhaltens280 • Er begründet freilicll diese Gleichstellung nicht und fragt auch nicht nach den generellen Prämissen der abschließenden Wirkung von spezialgesetzlich positivierten Pflichtmaßstäben. Immerhin ermöglicht die von ihm postulierte Gleichbehandlung des verkehrsrichtigen und des prozeßordnungsgemäßen Verhaltens eine Verallgemeinerung der Problematik: Erforderlich ist eine allgemeine Aussage über die Voraussetzungen, unter denen Spezialgesetze mit ihren positivierten Pflichtmaßstäben den weiterreichenden Rechtsgüter-

288

Jilrgen Blomeyer, 39 FN 105. Jilrgen Blomeyer, 149. Jilrgen Blomeyer, 149, FN 109; Hervorhebungen im Text von Jürgen

280

s. 149 f.

287 288

Blomeyer.

C. Verhaltenspflichten der Parteien im Zivilprozeß

293

schutz des Zivilrechts ausschließen. Das dichtere Netz der Straßenverkehrspflichten läßt dabei eher allgemeine Einsichten erwarten als die spärliche Verhaltensreglementierung im Zivilprozeßrecht. Deshalb ist zunächst eine Analyse des verkehrsrichtigen Verhaltens geboten, aus der sich dann möglicherweise Folgerungen für das prozeßordnungsgemäße Verhalten ziehen lassen. a) Verkehrsrichtiges Verhalten und deliktischer Rechtsgüterschutz Das Stichwort "verkehrsrichtiges Verhalten" reizt zu einer Reaktion auf den Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens, mit dem der BGH281 die umfängliche Kontroverse zum Thema Verhaltensund/oder Erfolgsunrecht im Deliktsrecht ausgelöst hat. Der vom BGH beurteilte Sachverhalt - nämlich die Körperverletzung eines Straßenbahnfahrgastes durch das als Verrichtungsgehilfe gemäß § 831 BGB fungierende Straßenbahnpersonal, die möglicherweise trotz Einhaltung aller Regeln der StVO eintrat - mußte in der Tat das Signal für eine umfassende deliktsrechtliche Besinnung geben. Im Rahmen des § 831 BGB war nämlich, wenn die StVO die Verkehrspflicllten abschließend normiert, angesichtsder faktischen Unklarheit über die Einhaltung der Straßenverkehrspflichten eine Beweislastentscheidung zu treffen. Eine lndizierung der in § 831 BGB vorausgesetzten Widerrechtlichkeit der Körperverletzung und damit die Beweislast des Straßenbahneigners kam höchstens infrage, wenn das verkehrsrichtige Verhalten wirklich auf der Basis des mit der Körperverletzung indizierten Erfolgsunrechts nur im Rahmen eines Rechtfertigungsgrunds 282 zu erwägen war. Die von einer möglichen Parallele zum prozeßordnungsgemäßen Verhalten umrissene Aufgabenstellung erfordert indessen keine umfassende Erörterung des verkehrsrichtigen Verhaltens. Die systematische Stellung des verkehrsrichtigen Verhaltens in der Deliktsrechtssystematik und damit auch generell die Kontroverse um das Verhaltens- und/oder Erfolgsunrecht interessieren an dieser Stelle nicht primär. Soweit man mit dem BGH die Widerrechtlichkeit durch die in der StVO umrissenen Pflicllten für abschließend bestimmt hält, ist es freilich inkonsequent, vom Erfolgsunrecht auszugehen und eine Körperverletzung als Unrechtsindikation anzusehen293 • Wenn- und sei es nur auf dem Sondergebiet des Straßenverkehrs- ausschließlich das Verhalten die Widerrechtlichkeit bestimmt, kann der Erfolg keine unrechtsindizierende Wirkung haben. Diese Folgewirkungen stehen aber hier nicht im MittelBGHZ 24, 21. BGHZ 24, 21, 25 f., vgl. aber den anschließenden Text. 298 Deutsch, 293; vgl. auch BGHZ 36, 237, 242; der BGH spricht nicht mehr vom Rechtfertigungsgrund, sondern von objektiver Verkehrsrichtigkeit. 211

2v2

294

§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien

punkt. Entscheidend ist allein die Vorfrage, ob die StVO die Verhaltenspflichten im Straßenverkehr abschließend normiert. Der BGH bejaht die Frage mit einer Begründung, die für eine prozessuale Parallelfrage nur wenig hergibt. Der Beschluß des Großen Senats schneidet die Gründe ganz auf den modernen Massenverkehr und den mit dessen Gefahren einhergehenden Ausbau der Gefährdungshaftung zu. Bei dieser betont er den Gedanken der sozial angemessenen Risikoverteilung mit der Wirkung einer Einstandspflicht, die den Beherrscher des Gefahrensbereichs für typische Gefährdungsfolgen seines Betriebs trifft. Da die Gefährdungshaftung keine Haftung für Unrecht darstellt, hält es der Beschluß mit der geschilderten Rechtsentwicklung auch nicht mehr für vereinbar, allgemein im Deliktsrecht unvermeidbare Körper- oder Eigentumsverletzungen als rechtswidrig anzusehen. Die Kernsätze des BGH begründen dann die abschließende Normierung durch die StVO: "Indem die Rechtsordnung den gefahrvollen Verkehr zuläßt und den Teilnehmern an diesem Verkehr im einzelnen vorschreibt, wie sie ihr Verhalten einzurichten haben, spricht sie auch aus, daß sich ein Verhalten unter Beachtung dieser Vorschrüten im Rahmen des Rechts hält. Es geht nicht an, ein Verkehrsverhalten, das den Ver- und Geboten der Verkehrsordung voll Rechnung trägt, trotzdem mit dem negativen Werturteil der Rechtswidrigkeit zu versehen284." Die Hervorhebungen im Zitat deuten darauf hin, daß zwischen detaillierten Verhaltensreglementierungen in einem Spezialgesetz und deren Verständnis als abschließender Beurteilungsgrundlage für das Rechtswidrigkeitsurteil ein Zusammenhang besteht. Die kärglichen prozessualen Verhaltenspflichten könnten dann eher gegen deren abschließende Wirkung sprechen, zumal sie den außerprozessualen Hechtsgüterschutz der anderen Prozeßpartei gar nicht bezwecken. In der Tat liegt ein Schlüssel für die These von der abschließenden Regelung der Straßenverkehrspflichten in der StVO in einer umfassenden Normierung der Verhaltensnormen. Die StVO enthält nicht nur detaillierte Regelungen, sondern bringt diese mit der vorangestellten Generalklausel auch in ein geschlossenes System2's. Erst dadurch entsteht ein sinnvolles Konkurrenzverhältnis zwischen den in der StVO normierten Verhaltensanforderungen und dem umfassenden Hechtsgüterschutz des Deliktstatbestands des § 823 Abs. 1 BGB. Daran ändert sich auch nichts, wenn man eine widerrechtliche Rechtsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB erst bei einem Verstoß gegen die bei einem Verhalten gebotene Sorgfalt annimmt. Dann stellt sich die Konkurrenzfrage dahin, ob die erforderliche Sorgfalt die - von der StVO gefor!84 295

BGHZ, 24, 21, 26; Hervorhebungen vom Verf. Deutsch, 286.

C. Verhaltenspflichten der Parteien im Zivilprozeß

295

derte- ist. Mit der Lösung des damit umschriebenen Konkurrenzverhältnisses zwischen der StVO und § 823 Abs. 1 BGB befaßt sich am eindringlichsten Deutschm. Maßgeblich ist der Gesetzeszweck. Da die StVO, wie die Generalklausel des § 1 StVO erweist, neben anderen Zwecksetzungen297 nur auf die Gefährdung anderer blickt, schützt sie beispielsweise den Eigentümer eines Fahrzeuges nicht vor Schäden, die dessen Fahrer an diesem ohne Gefährdung anderer Personen oder Güter im Straßenverkehr verursacht298• Da insofern der Ersatzanspruch des Eigentümers aus § 823 Abs. 1 BGB bei fehlender Sorgfalt des Fahrers unzweifelhaft ist, kann das Konkurrenzverhältnis allenfalls in der Weise bestehen, daß die StVO als Sonderregelung gewisse, von der Grundregel erfaßte Bereiche aussparen soll299 • Das Beispiel von der Schädigung des Fahrzeugeigentümers ohne Verstoß gegen die StVO sagt zugleich. etwas über die notwendige Relation der Normzwecke konkurrierender Normenkomplexe aus: Die Normzwecke der Spezialregelung und der Grundregel müssen den gleichen Bereich erfassen. Die .erste Prämisse für die Überlagerung des Deliktsrechts durch die Verhaltensvorschriftendes Verkehrsrechts besteht deshalb darin, daß diese nicht nur als öffentliches Ordnungsrecht anzusehen sind300, sondern überhaupt etwas mit dem Schutz der Rechtsgüter anderer zu tun haben. Selbst dann wäre denkbar, daß die positivierten Pflichtmaßstäbe nur eine materielle Schutzordnung enthalten und über ihre Einordnung als Schutzgesetze im Sinne des§ 823 Abs. 2 BGB den zivilrechtliehen Schutz verstärken301 • Umgekehrt läßt sich eine gegenüber§ 823 Abs. 1 abschließende spezialgesetzliche Verhaltensnormierung nur annehmen, wenn die Verkehrsvorschriften nach ihren Normzwecken nicht nur eine materielle Schutzordnung im Hinblick auf den normierten Bereich, sondern zugleich eine Freiheitsordnung101 enthalten: Die Zwecksetzung muß ergeben, daß das nicht normierte Verhalten in jedem Fall rechtmäßig sein soll. Angesichts des von § 823 Abs. 1 BGB erstrebten umfassenden Rechtsgüterschutzes bedingt diese Annahme zumindest eine - auf der Ebene des Rechtsgüterschutzes - erschöpfende Spezialregelung303• Damit ist eine Richtschnur für die Beurteilung der von Jürgen Blomeyer gezogenen 2D&

Deutsch, 284 ff.; vgl. auch S. 157 ff. sowie die unten in FN 304 genann-

287

Deutsch, 163 ff.

ten Autoren.

2ss Deutsch, 166.

:ue Deutsch, 292. 300 So aber Bettermann, NJW 1957, 986; Soergel!Siebert (Reimer Schmidt),

§ 276 Rdnr. 20. 301

Das ist der Standpunkt von Deutsch; vgl. S. 295.

so2 Terminologie im Anschluß an Deutsch, 293. sos Das betonen vor allem Boennecke, NJW 1960, 1188; Deutsch, 294; May,

NJW 1958, 1264; vgl. auch Stoll, JZ 1958, 142.

296

§ 8 Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien

Parallele zwischen dem verkehrsrichtigen und dem prozeßordnungsgemäßen Verhalten gewonnen. Nur insoweit ist der Problemkreis des verkehrsrichtigen Verhaltens in diesem Themenrahmen von Interesse. Eine Stellungnahme zu der im Schrifttum nicht selten bezweifelten304 Auffassung des BGH über die abschließende Spezialregelung durch die StVO ist daher entbehrlich. b) Prozeßordnungsgemäßes Verhalten und materieller Rechtsgüterschutz aa) Rechtfertigungsgrund der gerichtlichen Inanspruchnahme?

Die erschöpfende - speziell auf den Rechtsgüterschutz bezogene Sonderregelung, die sich bei der Betrachtung der Straßenverkehrspflichten als Prämisse für eine Überlagerung der Deliktshaftung durch anderweitig normierte Verhaltenskomplexe herausgestellt hat, weckt nicht nur Zweifel an der von Jürgen Blomeyer gezogenen Parallele zwischen verkehrsrichtigem und prozeßordnungsgemäßem Verhalten. Zweifelhaft wird damit auch das Ergebnis; zumindest im Hinblick auf den Umfang der deliktsrechtlichen Privilegierung des Parteiprozeßverhaltens, für den Jürgen Blomeyer3°5, Hans-Jürgen Hellwig308, Zeiss301 und am krassesten der BGH808 mit der Rechtfertigungswirkung der gerichtlichen Inanspruchnahme eintreten. a:) Schutzbereich der Prozeßrechtsnormen

Der Rechtfertigungsgrund der gerichtlichen Inanspruchnahme läßt sich jedenfalls nicht auf den Schutz der Rechtsgüter durch die Vorschrüten des Verfahrensrechts stützen. Die wenigen gesetzlichen Parteipflichten bezwecken den Rechtsgüterschutz des Prozeßgegners nicht. Ihre Zielsetzung liegt im innerprozessualen Bereichaos, also auf anderer Ebene als die im Deliktsrecht behandelten Eingriffe in fremde Rechte und Rechtsgüter. Schon deshalb läßt sich mit Blick auf außerprozessuale Folgen der Prozeßführung von einer abschließenden Normierung des Parteiprozeßverhaltens durch das Prozeßrecht nicht sprechen. Erst recht 304 Bettermann, NJW 1957, 986 f.; Boennecke, NJW 1960, 1188 f.; Deutsch, 294 f.; Erman!Battes, § 276 Rdnr. 14; Erman!Drees, § 823 Rdnr. 46; Fikentscher, § 97 III 2 d cx (S. 558); Larenz, Schuldrecht II, § 72 I c (S. 461 ff.); May, NJW 1958, 1264; im Ergebnis insoweit wie der BGH aber Esser, Schuldrecht I, § 9 II 2, 4 b (S. 64- 66); offen gelassen von Zippelius, NJW 1957, 1708. 305 Jü.rgen Btomeyer, 37 ff. aoo Hans-Jü.rgen Hettwig, NJW 1968, 1072 ff. ao1 Zeis:r, NJW 1967, 707 f. aoa BGHZ 36, 18. a011 Vgl. oben § 8 C Ill 1 b (S. 283- 290).

C. Verhaltenspflichten der Parteien im Zivilprozeß

297

besteht auf diesem Sektor keine erschöpfende Regelung des Parteiprozeßverhaltens zum Schutz vor außerprozessualen Nachteilen der Prozeßführungai0. Wenn schon§ 138 Abs.l ZPO nur vor Schäden schützt, die aus einem durch die Unwahrhaftigkeit einer Prozeßpartei gestörten Prozeßablauf resultieren, so lassen sich aus der Einhaltung des § 138 Abs. 1 BGB für Rechtsverletzungen311 , die vom Prozeßergebnis unabhängig sind, keine Folgerungen ziehen. Für die Beurteilung von Schadensfällen, die das Prozeßrecht auch bei ordnungsgemäßer Prozeßführung nicht verhindern kann, läßt sich demgemäß aus der Schutzfunktion des Prozesses und der prozessualen Normen nichts herleiten312• Diese Normen regeln das Verhältnis in dem durch den Streitgegenstand begrenzten prozessualen Bereich. Soweit die Wirkungen einer Parteiprozeßhandlung über diesen Bereich hinausgehen, erfaßt das Prozeßrecht prinzipiell die Parteiprozeßhandlung nur in ihrer prozessualen Funktion. Wenn diese prozessuale Funktion auch Auswirkungen auf die außerprozessualen Wirkungen - Rechts- und Rechtsgutbeeinträchtigungen - der Parteiprozeßhandlungen haben soll, bedarf es einer Begründung, die erklärt, warum trotz der für den Gegner entstehenden Nachteile die prozessuale Funktion zu Lasten der außerprozessualen Wirkungen Vorrang haben soll. ß) Zivilrechtliche Wirkungen der Rechtsschutzgarantien? Eine verfahrensrechtlich orientierte Begründung ergäbe sich allenfalls, wenn sich eine zivilrechtliche Wirkung der Rechtsschutzgarantien dahin konstatieren ließe, daß der Rechtsschutzzweck einer Parteiprozeßhandlung in dem vom BGH vorausgesetzten Umfang die Beeinträchtigung des Prozeßgegners erlaubt. Indessen ergeben weder das Hechtsstaatsprinzip noch Art. 19 Abs. 4 GG noch sonstige Verfassungsbestimmungen etwas für erlaubte Einwirkungen auf die deliktisch geschützten Rechtspositionen der anderen Prozeßpartei313• Auch der Justizgewährungsansprucll besagt insoweit nichts. Er bedeutet gerade kein Klagrecht gegenüber dem Beklagten314 • Der Verkümmerung des Rechtsschutzes kann deshalb auch nicht dadurch vorgebeugt werden, daß man die Deliktsnormen mit Rücksicllt auf den prozessualen Zweck einer Parteiprozeßhandlung schlechthin verdrängt. Allenfalls läßt sich das Interesse der Prozeßpartei am Rechtsschutz im Rahmen der deliktischen Verhaltensanforderungen durch eine Rechtsfortbildung im Zivilrecht bis zu 310 Vgl. vor allem Baur, JZ 1962, 96; Esser, ZZP 83, 350; Fenn, ZHR 132, 359; Henckel, Prozeßrecht, 299; Pecher, 75; Weitnauer, JZ 1962, 491. 311 Beispiel : Ehrverletzungen durch grob fahrlässige, unwahre Prozeßbehauptungen. s12 Henckel, Prozeßrecht, 299. a1s Hopt, 193 - 195. 314 Vgl. auch Hopt, 196.

298

§8

Die prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien

einem gewissen Grad mildernd berücksichtigen. Das setzt allerdings eine exakte deliktsrechtliche Analyse der einzelnen Fallgestaltungen der Rechts- und Rechtsgutbeeinträchtigungen durch Klagen und sonstige Parteiprozeßhandlungen voraus, die über den Themenkreis der prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen Prozeßparteien hinausgeht und an anderer Stelle zu erfolgen hatm.

bb) Stellenwert der Prozeßpflichten im Haftungssystem Immerhin läßt sich bereits ein wesentlicher Teilbefund für die Bedeutung der prozessualen Parteipflichten festhalten. Sie bilden - mit Ausnahme der vertraglichen Parteipflichten und der Fallgestaltungen des Rückgriffs auf zivilrechtliche Maßstäbe - prinzipiell keine Basis für eine Schadensersatzhaftung. Sie umreißen auch die Verhaltensanforderungen, bei deren schuldhafter Verletzung auf Schadensersatz - beispielsweise aus § 823 Abs. 1 BGB - gehaftet werden muß, für das Parteiprozeßverhalten nicht abschließend. Ihr Stellenwert für die Haftung ist damit sehr gering. Sie können höchstens - etwa beim subjektiven Mißbrauch prozessualer Befugnisse - insofern bedeutsam sein, als ihre Verletzung einer anderweitig begründeten Privilegierung des Parteiprozeßverhaltens, die das Parteiinteresse am Rechtsschutz berücksichtigt, entgegenstehen kann. Doch hängt das von der Reichweite der Privilegierungsmaßstäbe ab und kann erst im Rahmen der nachfolgenden Erörterungen der materiell-rechtlichen Rechtsfolgen aus prozessualem Verhalten geklärt werden.

m Vgl. unten § 9 B li (S. 316- 328).

§ 9 Die materiell-rechtlichen Rechtsfolgen aus prozessualem Verhalten A. Prozessuale Parteipßichten und Schadensersatz Der Themenkreis der Schadensersatzpflicht aus prozessualem Verhalten ist in Teilaspekten bereits abschließend erörtert: Der schuldhafte Verstoß gegen prozessuale Parteipflichten führt nur in seltenen Ausnahmefällen zu einem Schadensersatzanspruch des Prozeßgegners. Zu nennen sind allein die schuldhafte Verletzung von Pflichten aus Prozeßvereinbarungen1 und die- nur auf den Ersatz des Urteilsschadens ausgerichtete- vorsätzliche Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht1 • Beim vorsätzlichen Verstoß gegen die Wahrheitspflicht ergibt sich der Ersatzanspruch allerdings schon aus den §§ 823 Abs. 1 BGB, 263 StGB.

B. Einfluß prozessualer Zwecke auf zivilrechtliche Verhaltensmaßstäbe I. Problem und Lösungsansitze

1. Problemaufriß

Noch nicht entschieden ist über die Problematik der auf zivilrechtliehe Grundlagen gestützten Schadensersatz-, Unterlassungs- und Widerrufsansprüche, die an einer Parteiprozeßhandlung anknüpfen. Auch insoweit steht allerdings ein Teilbefund fest: Soweit sich aus dem Vertragszweckeines zivilrechtliehen Vertrags eine Pflicht zur Unterlassung einer Parteiprozeßhandlung ergibt, hat die Vertragswidrigkeit nicht nur prozessuale Rechtsfolgen. Die schuldhafte Vertragsverletzung, die in der Vornahme der Prozeßhandlung liegt, macht auch. schadensersatzpflichtig3. Beide Wirkungen beruhen auf der Parteiautonomie und können nur daran scheitern, daß zwingende prozessuale Rechtssätze die vertragliche Regelung des Parteiprozeßverhaltens untersagen'. Aller1 2

§ 7 B I 1 a cc) .x) (S. 209 ff.), § 8 C 1II 1 a (S. 283). § 8 C III 2 b aa) ~X) (S. 284 - 286).

3 § 7 B I 2 a, b (S. 218 - 222). ' Möglich ist - je nach dem Zweck der prozessualen Verbotsnorm -, daß prozessuale Rechtsfolgen versagt, Schadensersatzansprüche dagegen zugelassen sind. Der umgekehrte Fall ist dagegen entgegen der Judikatur des BGH (BGHZ 20, 169, 172; BGH GRUR 1958, 177, 178) nicht denkbar; vgl. dazu oben § 7 B I 2 a lS. 218- 219).

300

§9

Materiell-rechtliche Rechtsfolgen aus prozessualem Verhalten

dings ergibt sich beim zivilrechtliehen Vertrag - anders als bei ausdrücklichen Prozeßvereinbarungen - die Pflicht zur Unterlassung einer Prozeßhandlung nur aus dem Vertragszweck Das kann zu Unsicherheiten führen, die eine Partei gerade durch die Vertragsverletzungdie Klageerhebung - gerichtlich klären lassen will. Dann kann der prozessuale Zweck der vertragswidrigen Parteiprozeßhandlung allenfalls auf der Ebene der Sorgfaltspflicht (§ 276 BGB) mildernd berücksichtigt werden. Darauf ist im Rahmen der deliktischen Parteiprozeßhandlungen sogleich näher einzugehen. Auf diese kann verwiesen werden, da sich für das Vertragsrecht keine Besonderheiten ergeben. Übrig bleiben noch die durch die obigen Eingangsbeispiele6 repräsentierten Fallgestaltungen des negatorischen Rechtsschutzes gegenüber Prozeßhandlungen und der Deliktshaftung aus solchen. Das Problemfeld ist bei der Abgrenzung des prozessualen Lebensbereichs von den außerprozessualen Rechtsbeziehungen8 abgesteckt worden: Die ehrverletzende Parteiprozeßhandlung und, um ein Beispiel deliktsrechtlich relevanter Klagen herauszugreifen, die Schutzrechtsberühmung im Rechtsstreit wirken über den prozessualen Bereich, der durch den Streitgegenstand begrenzt wird, hinaus. Die Ehrverletzung und der Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb werden nämlich vom Streitgegenstand des Rechtsstreits ni-cht erfaßt, in dem die verletzenden Parteiprozeßhandlungen - Prozeßbehauptungen, Klageanträge - vorgenommen werden. Diese haben neben ihrer prozessualen Funktion auch eine außerprozessuale Wirkung. Sie sind in der hier7 verwendeten Terminologie doppelfunktionelle Prozeßhandlungen. Darauf beruht ihre spezifische Problematik. Einerseits sollen sie ihre prozessuale Funktion erfüllen: den Tatsachenstoff zur Wahrheitsfindung im Prozeß beizubringen und den erstrebten Rechtsschutz8 durch den erforderlichen Sachantrag zu erreichen. Andererseits verursacht ihre Vornahme die Verletzung absolut ges-chützter Rechte und Rechtsgüter des Prozeßgegners. Die Untrennbarkeit der prozessualen Funktion und der außerprozessualen Wirkung dieser Parteiprozeßhandlungen führt zu einer Interessendivergenz: Die strikte Anwendung der außerprozessualen Deliktsmaßstäbe schützt den Gegner vor Rechtsverletzungen, erhöht aber durch ihre Folgewirkungen das Prozeßrisiko und kann die Prozeßpartei zu übertriebener Vorsicht veranlassen. Der Rechtsschutz droht zu verkümmern. Umgekehrt verkürzt die deliktsrechtliche Privilegierung von Parteiprozeßhandlungen den Rechtsgüterschutz des Prozeßgegners. s § 1 A, Beispiele 10, 11. &

7

§ 7 A (S. 176- 183). § 2 B I 3 b (S. 49 - 52).

s Auch wenn die Partei damit egoistische Motive verfolgt (Pecher, 76), so tut sie dies doch auf dem von der Rechtsordnung erwünschten Weg.

B. Prozessuale Zwecke und zivilrechtliche Verhaltensmaßstäbe

301

Auch für dieses Spannungsverhältnis ist bereits eine Teilantwort gefunden. Maßstäbe lassen sich nämlich nicht daraus entnehmen, daß man allein auf die prozessualen Verhaltensnormen blickt: Die Rechtsverletzung durch eine unwahre Parteibehauptung bleibt nicht deshalb ohne Sanktion, weil kein vorsätzlicher Verstoß gegen die prozeßrechtliche Wahrheitspflicht vorliegt. Die Parteipflichten des Prozeßrechts normieren das Parteiprozeßverhalten nicht in der Weise, daß bei ihrer Einhaltung der materielle Rechtsgüterschutz ausgeschlossen wäreD: Die Rechtsschutzgarantien erlauben keinen Eingriff in die Rechtssphäre des Prozeßgegners10• Zur Diskussion steht allenfalls eine Rechtsfortbildung im Zivilrecht, die eine Grundlage für die materiell-rechtliche Privilegierung des Parteiprozeßverhaltens bilden könne. Überwiegend geht es also um ein materiell-rechtliches Problem, in das allerdings prozessuale Komponenten einfließen: Einmal liegt der Grund für eine potentielle Privilegierung des Parteiprozeßverhaltens in seinem prozessualen Zweck. Zum anderen ist denkbar, daß bei Verletzung prozessualer Parteipflichten eine Privilegierung des Parteiprozeßverhaltens auszuscheiden hat. Die Präzisierung dieser Problematik erfordert eine Darstellung der einzelnen Fallgruppen und einen Blick auf den Meinungsstand. 2. Fallgruppen Eine erste Fallgruppe läßt sich als Bestreiten oder als Anmaßung absoluter Rechte bezeichnen. Dazu gehören etwa Feststellungsklagen, mit denen der Kläger sich das Eigentum eines anderen anmaßt oder diesem das Eigentum oder ein gewerbliches Schutzrecht bestreitet11• Eine Rechtsanmaßung enthält auch die unberechtigte Schutzrechtsberühmung im Rechtsstreit. Bei ihr ist allerdings das verletzte Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Die Schutzrechtsberühmungen leiten über zu Rechtsbeeinträchtigungen, die sich als Folge der Prozeßführung ergeben. Hierher zählen Prozeßbehauptungen, mit denen die Ehre der anderen Partei verletzt wird1z, weiterhin die Verletzung des Rechtsam eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch Nichtigkeitsklagen13 gegen Hauptversammlungsbeschlüsse einer Aktiengesellschaft oder wegen Gründungsmängeln einer GmbH und durch Unterlassungsklagen, mit denen das Vertriebssystem oder die Werbemethode eines Konkurrenten wegen angeblich unlauteren Wettbewerbs angegriffen wird14, oder unberechVgl. § 8 C III 2 (S. 290 - 298). to § 8 C III 2 b aa) .ß) (S. 297 f.). 11 § 1 A, Beispiel 10. 12 § 1 A, Beispiel 11. u Hopt, 146. u Hopt, 146.

9

302

§ 9 Materiell-rechtliche Rechtsfolgen aus prozessualem Verhalten

tigte Leistungsklagen um hohe Beträge, deren Bekanntwerden die Kreditfähigkeit des Unternehmens beeinträchtigt15• Zu denken ist auch an Gesundheitsschäden des Gegners. Sie können die Folge eines ehrverletzenden Parteivortrags sein wie in dem von Baur gebildeten Beispiel der psychisch labilen Sekretärin eines Schriftstellers: Sie unternimmt einen Selbstmordversuch, nachdem die Ehefrau des Schriftstellers ihr im Klagewege das Betreten der Wohnung wegen des Verdachts ehewidriger Beziehungen untersagen wolltet•. Auch unberechtigte Zahlungsklagen führen häufig zu psychischen Belastungen und können Schäden an Körper und Gesundheit, beispielsweise Magenleiden oder Herzinfarkte, auslösen17. Die Skala der potentiellen Rechtsverletzungen durch Parteiprozeßhandlungen ist breit.

3. Meinungsstand Kaum weniger breit ist das Meinungsspektrum. Allerdings sind Globaluntersuchungen erst durch die BGH-"Entdeckung" des Rechtsfertigungsgrunds der gerichtlichen Inanspruchnahme angeregt worden, so daß zu Parallelfällen dive~gente Anschauungen entstanden sind und noch fortbestehen. Deshalb empfiehlt sich eine gesonderte Betrachtung des ehrverletzenden Parteivortrags, der sonstigen Rechtsverletzungen durch Parteiprozeßhandlungen und der davon bisweilen abgetrennten unberechtigten Schutzrechtsberühmung im Rechtsstreit. a) Ehrverletzender Parteivortrag Der Akzent bei dieser Fallgruppe liegt eindeutig auf dem Feld des negatorischen Rechtsschutzes. Widerrufsklagen nach § 1004 BGB tangieren den Rechtsstreit, in dem eine Prozeßpartei die ehrenrührige Prozeßbehauptung aufgestellt hat. Die Argumentation wird daher von der Tendenz geprägt, tunliehst einen Doppelprozeß und damit eine "Verschachtelung" von Rechtsstreiten zu vermeiden. Das gilt nicht nur für diejenigen, die das Rechtsschutzinteresse für die Widerrufsklage versagen18, damit aber zumindest bei der Ehrverletzung Dritter in einem Rechtsstreit die Prozeßverschachtelung nicht vermeiden können und zudem die über den konkreten Rechtsstreit hinausreichenden Wirkungen einer ehrverletzenden unwahren Behauptung sogar bei Verleumdungen vernachlässigen. Eine derartige Verkürzung des negatorischen Rechtsschutzes ist deshalb allenfalls aus materiellen Gründen partiell 16 18 11

Hopt, 146. Baur, JZ 1962, 95. Hopt, 135, 150.

1s BGH LM Nr. 83

zu§ 1004 BGB; OLG Karlsruhe, AnwBl. 1969, 160, 161; vgl. auch Henckel, Prozeßrecht, 197 FN 199.

Fenn, ZHR 132, 349; Hopt, 303;

B. Prozessuale Zwecke und zivilrechtliche Verhaltensmaßstäbe

303

zu rechtfertigen, dagegen nicht hinter prozessualen Gründen zu verbergen11, die nur ausnahmsweise - etwa bei der Einhaltung der Zuständigkeitsgrenzen zwischen ordentlichen Gerichten und sonstigen Gerichten oder Behörden20 - tragfähig sind. Aber auch bei der Suche nach einem Rechtfertigungsgrund schwingt bisweilen die Sorge vor einem Doppelprozeß mit. Der BGH, der vorübergehendll den Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen beiseitegeschoben hat und noch heute im Anschluß an Helle für die Schriftsätze eines Zivilprozesses besondere Maßstäbe postuliert22, erwähnt bei der Rechtfertigung des Parteiprozeßverhaltens immerhin auch, daß andernfalls dem anderen Rechtsstreit weitgehend vorgegriffen und dessen Führung in einer Weise erschwert werde, die nicht verantwortet werden könne". Die Gegenmeinung, die auf den bei Ehrverletzungen naheliegenden § 193 StGB verweist~', hält zwar die materielle Rechtfertigungswirkung und den Gedanken der Prozeßverdoppelung auseinander; gleichwohl ist aber nicht auszuschließen, daß der befürchtete Doppelprozeß die Anschauungen über den Umfang der Rechtfertigung mitbestimmt25• Dieser ist nämlich aus § 193 StGB nicht eindeutig zu entnehmen. Gleichgültig, ob man auf das Tatbestandsmerkmal zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten abstellt28 oder angesichts der fließenden Grenzen27 allgemein die Wahrnehmung berechtigter Interessen hervorhebt: Weitgehende Einigkeit besteht nur darüber, daß § 193 StGB unwahre Behauptungen auch rechtfertigt28, wenn ein berechtigtes Interesse nur vermeintlich besteht21. Damit ist wohl die bewußt unwahre Behauptung aus dem Schutzkreis des § 193 StGB eliminiert30, aber nichts über das 11 Vgl. bereits oben § 7 B I a bb) o:) (S. 201 f .). zo BGH LM Nr. 83 zu § 1004 BGB. 21 Weitnauer, JZ 1962, 489; vgl. jetzt BGH NJW 1971, 284, 285. zz BGH JZ 1962, 486, 487; BGH LM Nr. 38 zu§ 852 BGB; BGH NJW 1971, 284 f.; vgl. etwa auch BGH NJW 1971, 1749; OLG München, NJW 1971, 618 (Zeugenaussagen); Erman/Hefermehl, § 1004 Rdnr. 23; Soergel/Siebert (Mü.hl), § 1004 Rdnr. 47. 2a BGH JZ 1962, 486, 488; BGH NJW 1971, 284. u Baumgärtel, Festschrift für Schima, 56 ff.; Helle, 124 f.; Schlichting, SchlHA 1966, 102; Weitnauer, JZ 1962, 490; Weitnauer, AcP 170, 443. 25 Immerhin finden sich Hinweise, die die Gefahr des Doppelprozesses wegen des weiten Anwendungsbereichs des § 193 StGB gering veranschlagen; vgl. etwa Baumgärtel, Festschrift für Schima, 56. ze Helle, 124. Schönke/Schröder, § 193 Rdnr. 7. zs Bisweilen wird in § 193 StGB auch nur ein Schuldausschließungsgrund erblickt, vgl. dazu unten § 9 B I 4 a (5. 314). ze Vgl. etwa Erman/Drees; § 823 Rdnr. 119; anders bei § 824 Abs. 2 BGB, 21

wo aber für das berechtigte Interesse die Unwahrheit der Behauptung zu unterstellen ist; Esser, Schuldrecht II, § 109 I 2 (S. 424). so Vgl. nur Schönke/Schröder, § 193 Rdnr. 11.

304

§

9 Materiell-rechtliche Rechtsfolgen aus prozessualem Verhalten

Ausmaß der Sorgfaltsanforderung gesagt, die der Ehrverletzer aufbringen muß, um die Rechtfertigung durch § 193 StGB zu erlangen. Die strafrechtliche Doktrin und Praxis formulieren dazu heute ziemlich strikte Anforderungen31 : Der Täter müsse durch pflichtgemäße Prüfung der Sachlage, die sich auf die Wahrheit der fraglichen Tatsache, seine Berechtigung zur Interessenwahrnehmung und die Erforderlichkeit der Behauptung zu erstrecken habe und bei der nach Lage des konkreten Falles das für einen besonnenen und redlichen Menschen Mögliche und Zurnutbare getan werden müsse, die Gefahr einer ungerechtfertigten Ehrverletzung soweit als möglich ausgeschlossen haben81• Auch der BGH und die Doktrin begrenzen, was an der Rechtfertigungswirkung des § 193 StGB nichts ändert33, beim Fragenkreis des ehrverletzenden Prozeßvortrags die Vorschrift durch ein Verschuldenselement. Allerdings wird der Schutz des § 193 StGB meist nur bei Leichtfertigkeit - in etwa also bei grober Fahrlässigkeit8' - versagt35• Andernfalls soll der negatorische Rechtsschutz gegen ehrverletzende Prozeßbehauptungen unter Berufung auf§ 193 StGB ausgeschlossen sein38. EineAuseinandersetzung mit der Strafrechtsdoktrin und der von dieser postulierten engeren Begrenzung der Rechtfertigungswirkung des § 193 StGB findet allerdings nicht statt. b) Sonstige Rechtsverletzungen durch Parteiprozeßhandlungen Immerhin finden Rechtssprechung und Lehre auf dem Sektor des ehrverletzenden Parteivortrags mit § 193 StGB noch einen Orientierungspunkt vor. Ein solcher fehlt bei den sonstigen Rechtsverletzungen durch Parteiprozeßhandlungen weithin. Der Gedanke der Wahrnehmung berechtigter Interessen paßt, wenn auch nicht im Sinn eines Rechtfertigungsgrundes, sondern schon auf der Tatbestandsebene, allenfalls noch bei der Verletzung sonstiger Persönlichkeitsrechte und des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb37• Bei diesen Rahmens1 Vgl. etwa Schönke/Schröder, § 193 Rdnr. 11; Lenckner, Festschrift für Mayer, 167 jeweils m. w. N. Die ältere Judikatur hatte die Grenze bei der Leichtfertigkeit des Täters gezogen, ist aber insoweit im Strafrecht überholt. 32 Lenckner, Festschrift für Mayer, 180. 33 Fenn, ZHR 132, 368; Hopt, 218, 234. 34 Vgl. aber Weitnauer, AcP 170, 442. ss Vgl. im vorliegenden Zusammenhang vor allem Weitnauer, JZ 1962, 490; Weitnauer, AcP 170, 443; in der Tendenz auch BGH JZ 1962, 486, 488. 3& Baumgärtel, Festschrift für Schima, 56 ff.; Helle, 124 f.; Schlichting, SchlHA 1966, 102; Weitnauer, JZ 1962, 490; Weitnauer, AcP 170, 443; BGH NJW 1971, 284, 285; OLG Köln, MDR 1968, 921 ; im Ergebnis auch BGH JZ 1962, 486 und OLG Hamburg MDR 1969, 142. 37 Erman!Drees, § 823 Rdnr. 118; Soergel/Siebert (Zeuner), § 823 Rdnr. 76; gerade bei der Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch unberechtigte Schutzrechtsberühmungen plädieren aber

B. Prozessuale Zwecke und zivilrechtliche Verhaltensmaßstäbe

305

rechten, die häufig von der in § 823 Abs. 1 BGB sonst geschützten Rechtssphäre scharf unterschieden werden, läßt sich wegen ihres generatklauselartigen Charakters die Rechtsverletzung ohnehin erst durch eine konkrete Interessenahwägung fixieren18• Der lautere Wettbewerb und die Betätigung der Meinungsfreiheit können den Gewerbebetrieb beeinträchtigen, ohne deliktische Rechtsverletzungen zu sein31 • Dagegen bildet die Wahrung des eigenen Interesses nicht schlechthin eine Basis für die Rechtmäßigkeit von Verletzungen körperlicher Güter'0• Das Fehlen eines einheitlichen Anknüpfungspunktes prägt auch das Meinungsbild bei sonstigen Rechtsverletzungen durch Parteiprozeßhandlungen. Die Beurteilung fällt daher bei den einzelnen Fangestaltungen im Detail recht unterschiedlich aus. Vor der Entdeckung des Rechtfertigungsgrunds der gerichtlichen Inanspruchnahme41 erwägt der BGH nur einmal mit einer Hilfsbegründung, der entstandene Vermögensnachteil sei die Folge eines in zulässiger Weise eingeleiteten Rückerstattungsverfahrens42, und formuliert im obigen Eingangsbeispiel43 in der Klageerhebung liege noch keine Eigentumsverletzung44 • Über den bereits kritisierten Rechtfertigungsgrund der gerichtlichen Inanspruchnahme hinaus enthält die Judikatur mithin keine Begründung für die Privilegierung des Parteiprozeßverhaltens. Das Schrifttum läßt sich, soweit es über die Entscheidungen des BGH nicht nur referiert45 oder unter Hinweis auf dogmengeschichtliche und rechtsvergleichende Aspekte zustimmt48, nur in zwei Punkten auf eine einheitliche Linie zurückzuführen: Gemeinsam ist weithin die Ablehnung des Rechtfertigungsgrunds der gerichtlichen Inanspruchnahme47 und zugleich ein gewisses Unbehagen über die drohende Verkümmerung des Rechtsschutzes48. Mehr als die Angabe einer Zielrichtung zur Privilegierung Rechtssprechung und Lehre weiterhin für besonders strikte Maßstäbe; vgl. anschließend unter c. S8 Vgl. für viele Larenz, Schuldrecht II, § 72 III (S. 471). as Soergel/Siebert (Zeuner), § 823 Rdnr. 74. 40 Vgl. für viele Erman!Drees, § 823 Rdnr. 118. 4t BGHZ 36, 18. 42 BGH LM Nr. 4 zu § 823 (Da) BGB. 43 § 1 A, Beispiel 10. 44 BGHZ 20, 169, 172. 45 Larenz, Schuldrecht li, § 72 III b (S. 482) ; vgl. auch Esser, SchuldrechI II § 107 II 2 c (S. 406) ; zweifelnd Soergel!Siebert (Zeuner), § 823 Rdnr. 80. 46 Sturm, JR 1972, 43 f. 47 Baur, JZ 1962, 95 f.; Jürgen Blomeyer, 45 FN 130; Esser, ZZP 83, 350. Fenn, ZHR 132, 365; Henckel, Prozeßrecht, 293; Hopt, 241; Zeiss, NJW 1967, 705.

48 Jürgen Blomeyer, 45 FN 130; Esser, ZZP 83, 350; Fenn, ZHR 132, 356; Hans-Jürgen Hellwig, NJW 1968, 1073; Henckel, Prozeßrecht, 302; Soergel/ Siebert (Zeuner), § 823 Rdnr. 76; Zeiss, NJW 1967, 705. 20 Konzen

306

§ 9 Materiell-rechtliche Rechtsfolgen aus prozessualem Verhalten

des Parteiprozeßverhaltens, mit der die Verkümmerung des Rechtsschutzes abgewendet werden soll, ist mit den Äußerungen zu diesem Problemkreis häufig auch nicht bezweckt. In diesen Rahmen gehören die vorgeschlagene Differenzierung nach Schadensarten48 , der Hinweis auf den Gedanken der unzulässigen Rechtsausübung als Schranke der Justizgewährung50 und die nicht näher begründete Haftungsreduzierung auf grobe Fahrlässigkeit51 • Sieht man von den bereits erörterten62 auf den prozessualen Pflichtenkreis zugeschnittenen Auffassungen von Jürgen Blomeyer, Hans-Jürgen Hellwig und Zeiss ab, so gelangen gerade die Autoren, die das Problemfeld genauer untersucht haben, zu strikteren Verhaltensmaßstäben: Henckel, dem Bötticher insoweit global zustimmt63 , sieht bei den Verletzungen des Persönlichkeitsrechts und den Beeinträchtigungen des Gewerbebetriebs54 sowie bei Gesundheitsschäden65 - soweit sich solche Nachteile des Prozeßgegners als Nebenfolgen der Prozeßführung ergeben - keinen Grund für unterschiedliche Verhaltensanforderungen innerhalb und außerhalb des Prozesses58• Nur wenn die Beeinträchtigung des Rechts gerade darin besteht, daß dieses zum Gegenstand des Rechtsstreits wird, kommt Henckel zu einer Privilegierung des Prozeßverhaltens67. Maßgeblich dafür ist für die Funktion des Prozesses, auf den der Gesetzgeber die streitenden Parteien gerade verweise. Die Belästigungen durch das Verfahren seien der Preis für den staatlichen Schutz vor gewaltsamer Rechtsdurchsetzung. Die Furcht vor dem Prozeßverlust, die im Bauverzögerungsfall58 des BGH den Schaden des Grundstückseigentümers verursacht hat, sei niemals auszuschließen58• Auch Hopt, der den Gesamtkomplex als erster untersucht und dabei das Strafverfahren sowie weitere Verfahrensarten (Konkurs, Arrest, Kartell-, Verwaltungsverfahren usw.) einbezogen hat, formuliert eher strenge, manchmal als zu weitgehend60 empfundene Maßstäbe. Dabei sind die sonstigen Verfahren für die deliktsrechtliche Privilegierung des 4u

5o 51

Baur, JZ 1962, 96. Esser, ZZP 83, 350. Zeiss, NJW 1967, 705; vgl. auch von Caemmerer, DJT-Festschrift II, 98:

leichtfertig. 52 Vgl. oben § 8 C I zu FN 199 - 229 sowie die Kritik unter § 8 C III 2 (S. 290 - 298). u Bötticher, ZZP 85, 11.

Henckel, Prozeßrecht, 303 f. s. 305 f. 60 s. 306. 17 s. 302 f. 58 § 1 A, Beispiel 10. su Henckel, Prozeßrecht, 302. so Sturm, JR 1972, 44; Zeiss, JZ 1970, 198. 54 65

B. Prozessuale Zwecke und zivilrechtliche Verhaltensmaßstäbe

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Parteiprozeßverhaltens im Zivilprozeß freilich wenig ergiebig. Der Akzent liegt eindeutig auf dem Strafprozeß und dem Zivilrechtsstreit, und die sonstigen Verfahrenshandlungen werden an diesen Modellen gemessen. Hopt selbst zieht allerdings für den Zivilrechtsstreit gewisse Rückschlüsse aus dem Strafverfahren, indem er das staatliche Interesse an einer Strafverfolgung hervorhebt und deshalb vergleichsweise Strafanzeigen für am meisten erwünscht und deshalb am ehesten für legitim hält81 • Das hat ihm nicht nur den etwas polemischen Vorwurf Essers eingetragen, er ermutige damit zu einem risikofreien Denunzianten- oder doch Querulantentum82• Auch die Folgerung, in den übrigen Verfahren dürften die Anforderungen jedenfalls nicht geringer sein88, überzeugt nicht unbedingt. Allenfalls läßt sich dafür anführen, daß jemand bei einer Strafanzeige häufiger eine geringere Situationskenntnis haben wird als bei einem Zivilrechtsstreit, der seine persönlichen Belange berührt. Doch ist andererseits die Auswirkung einer unberechtigten Strafverfolgung wohl meist intensiver und zudem die Höherbewertung des staatlichen Strafinteresses gegenüber dem erstrebten privaten Rechtsschutz schwerlich zwingend. Die Analyse kann sich daher auf die deliktischen Verhaltensmaßstäbe für das Parteiprozeßverhalten konzentrieren, die Hopt auf der Grundlage des § 823 Abs. 1 BGB aufstellt84 • Die Basis für diese Maßstäbe bildet seine Beurteilung der Kontroverse um das Verhaltens- oder Erfolgsunrecht in § 823 Abs. 1 BGB, bei der er sich für eine Mittelmeinung entscheidet, die für das Merkmal der Widerrechtlichkeit nur bei unmittelbaren Rechtsverletzungen am Tatbestandserfolg des § 823 Abs. 1 BGB anknüpft, bei mittelbaren Rechtsverletzungen aber eine Widerrechtlichkeit nur bei einem Sorgfaltsverstoß annimmt85• In der - irrigenea Annahme81, es gehe in diesem Problemkreis ausschließlich um Fälle mittelbarer Rechtsbeeinträchtigungen oder um Eingriffe in die Rahmenrechte des Gewerbebetriebs, bei denen die Feststellung der Rechtsverletzung ohnehin eine Interessenahwägung voraussetzt, konzipiert Hopt dann Sargfaltsanforderungen an das Parteiprozeßverhalten, die auf einer Bewertung der verschiedenartigen Parteiinteressen der Beteiligten beruhen. Als Richtschnur für diese Verhaltensmaßstäbe dient ihm neben der Rechtsvergleichung hauptsächlich die Kasuistik zu § 193 StGB, zum Armenrecht und- ohne die Judikatur zu problematisieren - zu den 81

Hopt, 243.

Esser, ZZP 83, 351. ss Hopt, 243. 82

84

85

s. 251 ff. s. 229.

ee Fenn, ZHR 132, 365 FN 69 a. E. Hopt, 230.

&7

20•

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§ 9 Materiell-rechtliche Rechtsfolgen aus prozessualem Verhalten

Schutzrechtsverwarnungen88• Die fixierten Sorgfaltspflichten können auf dieser Grundlage naturgemäß nur einen Rahmen abstecken und keine "Fallethik" 89 entwickeln. Festzuhalten bleibt allerdings erneut, daß Hopt den Verstoß gegen prozessuale Verhaltensanforderungen zu Lasten der Prozeßpartei berücksichtigt7°. Von der Anschauung über die Unrechtslehren beeinflußt sind schließlich auch die Rezensionsabhandlungen von Fenn und Weitnauer, die Hopts Arbeit einer exakten Prüfung unterziehen. Während Fenn auf der Grundlage des reinen Verhaltensunrechts11 die Resultate Hopts weitgehend akzeptiert72 , geht Weitnauer von der klassischen Unrechtsdoktrin aus73 • Für ihn verlagert sich daher die Problematik auf die Ebene der Rechtfertigungsgründe, insbesondere auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen, die über die §§ 193 StGB, 824 Abs. 2 BGB hinaus einen sehr viel weiteren Wirkungsbereich habe7'. Zwar führt auch Weitnauer in diesem Zusammenhang als Maßstäbe für die Rechtfertigung des Prozeßverhaltens nur die Interessenahwägung und das Maß der Gutgläubigkeit des Handelnden an; es ist aber nicht ganz auszuschließen, daß die von ihm bei ehrverletzendem Parteivortrag erst bei Leichtfertigkeit verwehrte7& Rechtfertigungswirkung des § 193 StGB auch bei der befürworteten Ausdehnung des § 193 StGB zu einer weitergehenden Privilegierung des Parteiprozeßverhaltens führt. c) Schutzrechtsberühmungen

Im Gegensatz zu den sonstigen Rechtsverletzungen durch Parteiprozeßhandlungen ist von einer deliktsrechtlichen Privilegierung einer in einem Rechtsstreit vorgenommenen Schutzrechtsberühmung fast nirgends die Rede. Hier wird der Zusammenhang mit der außerprozessualen Schutzrechtsverwarnung akzentuiert78, die als Urfall einer Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gilt und bei der lange Zeit unbefangen Abwehransprüche gemäß § 1004 BGB und eine strikte Verschuldenshaftung aus § 823 Abs. 1 BGB statuiert worden sind. Die Tradition dieser Kasuistik führt ersichtlich dazu, daß die sonst intendierte deliktsrechtliche Privilegierung von Parteiprozeßhandlungen bei der Schutzrechtsberühmung nur von wenigen Autoren71 zur Kenntes S. 251. et Weitnauer, AcP 170, 447. 10 Hopt, 257, 260. 71 Fenn, ZHR 132, 363- 365; vgl. vor allem S. 365 FN 69. 12 Fenn, ZHR 132, 365-367. 73 Weitnauer, AcP 170, 446. 7' W eitnauer, AcP 170, 447. 75 W eitnauer, JZ 1962, 490. 78 Vgl. vor allem BGHZ 38, 200, 206 f. 77 Fenn, ZHR 132, 362; Henckel, Prozeßrecht, 299 f.; Soergel/Siebert (Zeuner), § 823 Rdnr. 75- 78; Zeiss, NJW 1967, 705 FN 33; Zeuner, Festschrift für Dölle I, 321 ff.

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nis genommen wird. Das gleiche gilt auch für die sonst beim Recht am Gewerbebetrieb übliche Abwägung mit den Interessen des Schädigers. Der daraus resultierende Widerspruch zu sonstigen Fallstrukturen wird meist unbesehen hingenommen. Da die Drohung mit einer Klage deliktisch schwerlich schärfer beurteilt werden kann als die Klage selbst, ist die in Rechtsprechung und Lehre vollzogene Gleichstellung der vorprozessualen und der prozessualen Schutzrechtsberühmung auf der Deliktsebene sicher zu billigen. Doch braucht dabei nicht unbedingt die traditionelle Beurteilung der Schutzrechtsverwarnung das Richtmaß für die Schutzrechtsberühmung im Prozeß zu geben. Es ließe sich mit Zeuner auch umgekehrt argumentieren, indem man auf die deliktsrechtliche Privilegierung des Parteiprozeßverhaltens blickt, diese auch auf Schutzrechtsberühmungen im Rechtsstreit erstreckt und daraus Folgerungen für die vorprozessuale Schutzrechtsverwarnung zieht78 • Man kann vermuten, daß die h. M.7 9 den umgekehrten Weg wählt, um dem von einer Schutzrechtsverwarnung Betroffenen den negatorischen Rechtsschutz gemäß § 1004 BGB zu erhalten und ihn nicht auf eine negative Feststellungsklage80 zu beschränken. Aber dann bleibt, solange man Parteiprozeßhandlungen in anderen Fallgestaltungen im Deliktsrecht milder beurteilt als außerprozessuales Verhalten, eine der Begründung bedürftige Diskrepanz zwischen dieser Kasuistik und der Schutzrechtsberühmung im Rechtsstreit. Die Kluft läßt sich auch nicht allein mit der energischen Wendung des BGH überbrücken, die Interessenlage sei in diesen Fällen völlig anders als bei der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung und der ihr entsprechenden Unterlassungsklage81. Immerhin führt der BGH an einer anderen Stelle auch Wertungsgesichtspunkte an82, an die Renekel anknüpft83 • Beide heben die besondere Schadensberechnung hervor, nach der ein schuldhafter Verstoß gegen ein gewerbliches Schutzrecht durch einen Verwarnten zu einem Anspruch des Schutzrechtsinhabers auf den erzielten Gewinn führe. Damit wird die besondere Zwangslage des Verwarnten betont, der sich Investitionen ohne Gewinn nicht leisten könne84 • Zugleich aber

78 Soergel/Siebert (Zeuner), § 823 Rdnr. 75 -78; ausführlicher Zeuner, Festschrift für Dölle I, 321 ff. 79 Vgl. für fast alle Soergel/Siebert (Mühl), § 1004 Rdnr. 64. 80 Dahin tendiert Zeuner, Festschrift für Dölle I, 321- 324; vgl. auch Soergel/Siebert (Zeuner), § 823 Rdnr. 78. Für den Unterlassungsanspruch dagegen die h. M.; vgl. beispielsweise Soergel/Siebert (Mühl), § 1004 Rdnr. 64. BGHZ 38, 200, 208. BGHZ 38, 200, 205. sa Henclcel, Prozeßrecht, 299 f. 84 Henckel, Prozeßrecht, 299. 8t

82

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§ 9 Materiell-rechtliche Rechtsfolgen aus prozessualem Verhalten

wird das Interesse des potentiellen Schutzrechtsinhabers am gerichtlichen Rechtsschutz nicht gewürdigt. Ebenso wie in den anderen Fallgruppen ist offenbar auch hier die Berücksichtigung des prozessualen Zwecks bei der Fixierung deliktischer Sorgfaltsanforderungen noch nicht abschließend geklärt. 4. Präzisierung der Aufgabenstellung Der Vergleich der Fallgestaltungen und die Analyse des Meinungsstandes können nunmehr den Startpunkt für eine präzise Fixierung der Aufgabenstellung und damit zur Festlegung des Untersuchungsrahmens geben: In allen Fällen erstreben die Parteien mit ihren Prozeßbehauptungen oder Klageanträgen, durch die Rechte oder Rechtsgüter des Prozeßgegners beeinträchtigt werden, die- vom Staat ermöglichte und durch Rechtsschutzgarantien unterstützte - Durchsetzung ihrer wirklichen und vermeintlichen Rechtspositionen. Dabei spricht für eine materiell-rechtliche Privilegierung ihres Prozeßverhaltens, daß sie ihre Interessen auf dem staatlich erwünschten Weg des gerichtlichen Rechtsschutzes verfolgen. Ansatzpunkte für einen Schutz der prozessualen Funktion des Parteiprozeßverhaltens auf Kosten der Rechtspositionen des Prozeßgegners lassen sich im Zivilrecht nur an zwei Stellen finden: Einerseits kann das materielle Recht die Beeinträchtigung der Rechtssphäre eines anderen, soweit diese zum Schutzkreis von § 823 Abs. 1 BGB oder§ 1004 BGB gehört, zur Verfolgung eigener Interessen billigen. Das geschieht im geltenden Recht in einem gewissen Umfang nur in zwei Bereichen: einmal bei Ehrverletzungen in Wahrnehmung berechtigter Interessen, solange man in dieser Interessenwahrung mit der h. M. einen Rechtfertigungsgrund erblickt85 ; zum anderen bei der Interessenabwägung, mit der die Verletzung des Persönlichkeitsrechts und die Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb festgestellt wird. Auch diese Interessenahwägung hat dogmengeschichtlich ihren Ansatzpunkt im Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen88, ist freilich letztlich in der Weite der Generalklauseln des Persönlichkeitsrechts und des Gewerbebetriebs begründet und vollzieht sich daher nicht auf dem Sektor der Rechtfertigungsgründe. Man kann insoweit von einer Funktionsänderungder Wahrnehmung berechtigter Interessen sprechen87• In beiden Fällen liegt jedenfalls kein rechtswidriger Eingriff in die von den §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB geschütze Rechtssphäre eines anderen vor. Das versteht sich für die Rahmenrechte von selbst, trifft aber nach h. M. auch für den schärfer profilierten Bereich der Ehrverletzung zu, so daß 85 86 87

Vgl. über abweichende Meinungen den nachfolgenden Text. Vgl. nur BGHZ 3, 280 ff. (Constanze).

Aaomeit, JZ 1970, 496.

B. Prozessuale Zwecke und zivilrechtliche Verhaltensmaßstäbe

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die Wahrnehmung berechtigter Interessen - im Rahmen der Reichweite des § 193 StGB - weder eine Deliktshaftung noch einen Abwehranspruch gemäß § 1004 zuläßt88• Wenn man diesen- anschließend noch näher zu diskutierenden - Ausgangspunkt akzeptiert, ändert sich an der Projektion der Interessenwahrung auf die Ebene der Tatbestandsmäßigkeit bzw. Rechtmäßigkeit eines Eingriffs in fremde Rechtspositionen auch vor dem Hintergrund der Sorgfaltsanforderungen nichts, mit denen die Rechtfertigungswirkung des § 193 StGB eingeschränkt wird. Gleichgültig, ob man die Rechtfertigungswirkung des § 193 StGB nur bei Leichtfertigkeit oder mit der Strafrechtsdoktrin bereits bei einer geringen "Schuldstufe" versagt, in jedem Fall geht es zwar um Sargfaltsanforderungen an den Täter; die Einhaltung dieser Sorgfaltsanforderungen bewirkt aber nach der seither skizzierten h. M., daß kein 'f'echtswidriger Eingriff vorliegt. Bei Einhaltung der Sorgfaltsanforderungen entfallen für die h. M. deshalb sowohl Delikts- als auch negatorische Ansprüche. Damit ergibt sich ein erster systematischer Anknüpfungspunkt für die Beurteilung des Parteiprozeßverhaltens: die Sorgfaltspflichten, die zu einer rechtmäßigen Interessenwahrung einzuhalten sind. Diese Sorgfaltsmaßstäbe könnten beim Parteiprozeßverhalten mit Rücksicht auf dessen prozessuale Funktion zu mildern sein. Allerdings gilt dieser Anknüpfungspunkt nur für die Reichweite einer berechtigten Interessenwahrung und ist nicht der einzige.

Andererseits nämlich läßt sich - dann aber begrenzt auf das Deliktsrecht - die prozessuale Funktion einer Verletzungshandlung auch innerhalb der Sorgfaltsmaßstäbe des § 276 BGB berücksichtigen, deren Verletzung die Prämisse für eine deliktische Verschuldenshaftung ist. Auf dieser Linie liegen daher auch sämtliche materiell-rechtlich fundierten Mittel des Schrifttums, mit denen der prozessuale Zweck einer Parteiprozeßhandlung bei deren materiell-rechtlicher Bewertung berücksichtigt werden soll: einerseits die durch den Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen ausgedrückte Interessenabwägung, die auch für den negatorischen Rechtsschutz bedeutsam ist; andererseits die in unterschiedlichen Nuancierungen konzipierten Sargfaltsanforderungen auf der Ebene des Deliktsrechts. Sie sind freilich nach der bisher referierten h. M. - in ihrer Reichweite unterschiedlich und daher voneinander zu trennen, da sich die Interessenwahrung auch auf dem Sektor des negatorischen Rechtsschutzes auswirkt. Doch könnte die Relation zwischen der Interessenwahrung und den Sorgfaltsmaßstäben des § 276 BGB auf der Grundlage der bereits mehrfach erwähnten, verschiedenen Unrechtslehren unterschiedlich zu beurteilen sein. Daher ist zunächst ein Blick auf diese Unrechtslehren geboten. ss Das ist für § 1004 BGB nicht unbestritten; vgl. den nachfolgenden Text.

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§ 9 Materiell-rechtliche Rechtsfolgen aus prozessualem Verhalten

a) Bedeutung von Verhaltens- und Erfolgsunrecht? Die Frage nach der Relevanz der konträren Unrechtslehren für eine Privilegierung des Parteiprozeßverhaltens erscheint bei einem flüchtigen Blick auf die Meinungsdivergenzen des Schrifttums sogar als vordringlich: Weitnauer kommt auf dem Boden des klassischen Erfolgsunrechts89 zu§ 193 StGB und damit zu einer Norm, die nach der seither referierten Meinung zugleich für negatorische Ansprüche bedeutsam ist und - im Fall einer Ausweitung des bei ehrverletzenden Prozeßbehauptungen angelegten Maßstäbe - die deliktische Ersatzpflicht aus Parteiprozeßhandlungen auf grobe Fahrlässigkeit beschränken könnte80• Fenn akzeptiert die von Hopt konzipierten - allein im Deliktsrecht relevanten- Verhaltensmaßstäbe des § 276 BGB dagegen nur auf der Grundlage des Verhaltensunrechtstl. Und auch Hopt selbst hält § 193 StGB neben den von ihm für das Parteiprozeßverhalten konzipierten Sorgfaltsanforderungen für bedeutungslos92 • Deshalb scheint es nahezuliegen, daß die unterschiedlichen Unrechtskonzeptionen nicht nur verschiedene theoretische Ansatzpunkte auslösen, sondern - auch bei der Beurteilung des Parteiprozeßverhaltens - divergente Ergebnisse hervorrufen. Der Schein trügt aber: Auch die neueren Unrechtslehren sind bemüht, an den entscheidenden Schaltstellen - bei der Deliktshaftung aus § 823 Abs. 1 BGB, beim negatorischen Rechtsschutz gemäß § 1004 BGB und bei der Notwehr des § 227 BGB - im Endergebnis von der klassischen Unrechtskonzeption nicht abzuweichen. Sieht man von der hier nicht näher interessierenden Beweislastfrage ab, die mehr in die Richtung einer auf das Erfolgsunrecht ausgerichteten Doktrin weist93 , so beruhen die gegensätzlichen Standpunkte hauptsächlich auf Systemproblemen: Die klassische Erfolgsunrechtslehre muß bei Körperverletzungen, die mit einem Kraftfahrzeug oder einem Elektrogerät herbeigeführt worden sind94 , auch die Verursachung dieser Rechtsverletzung durch den Hersteller dieser Geräte als widerrechtlich bezeichnen. Das bleibt ohne Konsequenz, solange der Hersteller keinen Sorgfaltsverstoß begangen hat, der nach der überkommenen Vorstellung erst auf der Ebene des Verschuldens

Weitnauer, AcP 170, 447. Weitnauer selbst möchte das vermutlich nicht. Doch birgt die Ausdehnung des § 193 StGB die Tendenz, die bei Ehrverletzungen verwendeten Maßstäbe auf andere Fallgestaltungen auszudehnen. 81 Fenn, ZHR 132, 365 FN 69. se so

u Hopt, 232.

n Das gilt - außerhalb der Rahmenrechte (allgemeines Persönlichkeitsrecht, Gewerbebetrieb) -jedenfalls für Rechtsbeeinträchtigungen, bei denen § 1004 BGB und§ 823 Abs. 1 BGB zur Anwendung gelangen können. u Beispiel von Larenz, Schuldrecht II, § 72 I c (S. 463).

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bedeutsam ist. Doch entsteht ein Zwiespalt zum Systemverständnis der Gefährdungshaftung, die zwar die Beeinträchtigung von Rechtsgütern ausgleicht, aber nicht als Unrechtshaftung aufgefaßt wird85 • Diesen Zwiespalt vermeidet die Lehre vom Verhaltensrecht, indem sie jedes widerrechtliche Verhalten an einen Sorgfaltsverstoß knüpft. Für die Deliktshaftung werden damit im Ergebnis die gleichen Sorgfaltsanforderungen gestellt. Auch beim negatorischen Rechtsschutz und bei der Notwehr ergeben sich keine praktischen Abweichungen, wenn manwie beispielsweise Esser86 - die Abwehrmaßnahmen auf den Schutz der eigenen Rechtsgüter und nicht auf das rechtswidrige Verhalten eines anderen stützt. Doch führt man damit verschiedene Unrechtsbegriffe in das Zivilrecht ein. Das kann auch eine vermittelnde Ansicht mit der Unterscheidung von unmittelbaren und mittelbaren Rechtsverletzungen nicht vermeiden. Nur liegt bei ihr die Schnittlinie für die Rechtswidrigkeitstypen im Deliktsrecht selbst. Auch diese Theorie stimmt - etwa in der von Deutsch und Larenz vertretenen Form87 - mit den Resultaten der Erfolgsunrechtslehre überein. Die Unmittelbarkeit der Rechtsverletzungen wird nämlich durch den hypothetischen Blick auf die Abwehrlagen der §§ 1004, 227 BGB ermittelt. Auf diese Weise wird bei unmittelbaren Rechtsverletzungen die Kongruenz zwischen der Rechtswidrigkeit in den §§ 823 Abs. 1, 1004, 227 BGB gewahrt und durch Prüfung der Sorgfaltsanforderungen auf dem Verschuldenssekior der Weg der Erfolgsunrechtslehre eingeschlagen. Da mit diesen unmittelbaren Rechtsverletzungen aber nicht alle deliktischen Verletzungen absoluter Rechte und Rechtsgüter erfaßbar sind und andererseits die bloße Verursachung der Rechtsverletzungen nicht widerrechtlich sein soll88, muß in sonstigen Fällen für die Widerrechtlichkeit an der Sorgfaltspflicht angeknüpft werden, wonacll die Rechte und Rechtsgüter anderer nicht mehr als unvermeidbar zu gefährden sind98 • Dieser Maßstab führt bei Addition mit der auf der Verschuldensstufe relevanten "inneren Sorgfalt" 100 wiederum zu den Verschuldensanforderungen der Erfolgsunrechtslehre. Das Konstruktionsmanko liegt also hier in den zwei Rechtswidrigkeitstypen des Deliktsrechts. Wesentlicher als diese Konstruktionsdivergenzen ist Vgl. nur Esser, Schuldrecht I, § 9 II 1 (S. 63). Esser, Schuldrecht I, § 9 II 1 (S. 62 f.), § 9 III 1 d (S. 67). Eine exakte Darstellung aller Unrechtskonzeptionen mit ihren Verästelungen ist nicht beabsichtigt. Im vorliegenden Zusammenhang genügt der Nachweis, daß die verschiedenen Theorien nicht zwingend zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Dafür genügt eine pauschale Analyse der Auffassungen von Repräsentanten der verschiedenen Lehrmeinungen. u1 Deutsch, 179 ff.; Larenz, Schuldrecht II, § 72 I c (S. 461 ff.); Larenz, Festschrift für Dölle I, 169 ff., 192 ff. 88 Larenz, Schuldrecht II, § 72 I c (S. 463). 98 Larenz, Schuldrecht II, § 72 I c (S. 464). 1oo Larenz, Schuldrecht II, § 72 I c (S. 464). 115

ua

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§9

Materiell-rechtliche Rechtsfolgen aus prozessualem Verhalten

indessen, daß auf der Grundlage sämtlicher Unrechtslehren beim negatorischen Rechtsschutz und bei der Deliktshaftung gleichartige Ergebnisse erzielt werden können. Das deutet für den Themenkreis der materiell-rechtlichen Beurteilung von Parteiprozeßhandlungen auf einen begrenzten Stellenwert der Unrechtslehren hin. Diese scheinen sich auf die Einordnung der Sorgfaltsanforderungen in das Deliktssystem zu begrenzen und die Resultate unberührt zu lassen. In der Tat liegt bei den Sorgfaltsanforderungen des § 276 BGB der Unterschied allein in der gesetzes-systematischen Frage, ob die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest teilweise von derVerschuldens-auf die Widerrechtlichkeitsprüfung zu verlagern ist oder nicht. Doch ist damit über den Gesichtspunkt der Interessenwahrnehmung und seiner Relation zu den Sargfaltsanforderungen des § 276 BGB noch nicht das letzte Wort gesprochen. Nur für die oben dargestellte h. M. ist das Verhältnis klar: Wenn § 193 StGB und die Interessenahwägung bei Rahmenrechten rechtswidrige Eingriffe ausschließen und damit auch auf der Ebene des negatorischen Rechtsschutzes zu beachten sind, bleibt es bei der oben101 beschriebenen Trennung: Die Sorgfaltsanforderungen des § 193 StGB und des § 276 BGB sind voneinander zu trennen. Auf der Basis des Verhai tensunrechts kommt zwar beispielsweise Esser zum gleichen Befund101 ; aber diese Folgerung ist, wie die Ausführungen von Eike Schmidt zeigen103, nicht ganz selbstverständlich. Wenn nämlich§ 1004 BGB nicht auf das rechtswidrige Verhalten eines anderen, sondern auf die Beeinträchtigung der eigenen Rechtsgüter reagiert, so kommt es entscheidend darauf an, ob § 193 StGB nur das Verhalten des Ehrverletzers oder auch den herbeigeführten Erfolg billigt. Eike Schmidt meint für den von ihm untersuchten Bereich der üblen Nachrede(§ 186 StGB) das erstere. Er gelangt deshalb bei nicht erweislich10' wahren Behauptungen zu der These, die Wahrnehmung berechtigter Interessen führe zwar auf dem Sektor des Deliktsrechts zu einer Rechtfertigung; demgegenüber aber bestehe, wenn der Ehrverletzer die Wahrheit nicht beweisen könne, ein Widerrufsanspruchgemäß § 1004 BGB105• Das von Eike Schmidt erzielte Ergebnis stimmt daher mit denjenigen überein, die in § 193 StGB nur einen Schuldausschließungsgrund erblicken108• Indessen ist diesem Re101 § 9 B I 4 vor a) (S. 311). 1ot Esser, Schuldrecht I, § 9 III 1 c (S. 68 f.) mit FN 21. 1os Eike Schmidt, JZ 1970, 8 f.

104 Beim Wahrheitsbeweis durch den Verletzten ist der Widerrufsanspruch zuzubilligen; vgl. unten § 9 B II 1 a aa) (S. 321). 1os Eike Schmidt, JZ 1970, 11. 101 Erdsiek, NJW 1966, 1385 ff.; Erdsiek, JZ 1969, 311 f.; Westermann, JZ 1960, 692 ff.

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sultat zu widersprechen. Der Widerrufsanspruch ist nämlich ausgeschlossen, wenn die Wahrheit oder Unwahrheit einer Behauptung im Rechtsstreit von keiner Seite bewiesen werden, der Verletzte sich aber wegen der möglichen Wahrheit der Behauptung den Widerrufsanspruchauf § 193 StGB berufen kann. Der BGH verdeckt diese Frage, indem er den Widerrufsanspruchmit der Begründung versagt, der Verletzer könne mit dem Widerruf in einen Gewissenskonflikt geraten, dem er nicht ausgesetzt werden dürfe107 • Damit wird, wie Eike Schmidt zu recht beanstandet, die in § 186 StGB vorgenommene Interessenbewertung durch ethisch-psychologische Erwägungen überspielt1° 8 • Doch modifiziert § 193 StGB gerade die gesetzliche Interessenbewertung, wenn sich der Verletzer auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen kann. Im Hinblick auf diese rechtmäßige Interessenwahrung ist daher beim non liquet über die Wahrheit oder Unwahrheit einer ehrverletzenden Behauptung der Widerrufsanspruch verwehrt109 • Auch auf der Grundlage des Verhaltensunrechts hat daher § 193 StGB - zumindest wegen seiner Auswirkungen beim negatorischen Rechtsschutz- eine eigenständige Bedeutung. Die bei der Wahrnehmung berechtigter Interessen gebotenen Sorgfaltsanforderungen sind - gleichgültig, ob auf Leichtfertigkeit begrenzt oder nicht- daher von denen des § 276 BGB bei allen Unrechtslehren zu trennen. Nur darauf kommt es für die Berücksichtigung prozessualer Zwecke bei den zivilrechtliehen Verhaltensmaßstäben an. Dagegen ist es in diesem Rahmen sekundär, an welcher Stelle diese Verhaltensmaßstäbe in der Gesetzessystematik einzuordnen sind. Eine Würdigung der verschiedenen Unrechtskonzeptionen ist daher entbehrlich. b) Untersuchungsrahmen Die Gesichtspunkte der Interessenwahrung und der deliktischen Verhaltensmaßstäbe und ihr Verhältnis zueinander stecken den Untersuchungsrahmen für die Problematik einer materiell-rechtlichen Privilegierung des Parteiprozeßverhaltens ab. Zuerst ist- zugleich mit Blick auf den negatorischen Rechtsschutz - zu fragen, inwieweit beim Parteiprozeßverhalten unter dem Aspekt der Wahrnehmung berechtigter Interessen Ansprüche des Gegners wegen Beeinträchtigungen seiner Rechtspositionen ausscheiden. Das gilt für alle Fallgruppen, in denen § 193 StGB unmittelbar eingreift oder sein Rechtsgedanke doch sinngemäß Anwendung findet. In diesem Rahmen ist dann auf die für eine erlaubte Interessenwahrung vorausgesetzten Verhaltensanforderungen einzugehen und zu fragen, ob die prozessuale Funktion der ParteiproBGH NJW 1962, 1438. tos Eike Schmidt, JZ 1970, 12.

107 109

Zutreffend etwa SoergeUSiebert (Mühl), § 1004 Rdnr. 49.

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zeßhandlungen diese Maßstäbe mildert. Soweit der Gedanke der Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht eingreift, ist - allein mit Auswirkungen auf die Deliktshaftung - für Prozeßhandlungen eine Milderung der außerprozessualen Sorgfaltsmaßstäbe zu erwägen. Diese Überlegungen sind bei den einzelnen Fallgruppen gesondert anzustellen, da für diese, was etwa die Untersuchungen Renekels nahelegen110, aus verschiedenartigen Interessenlagen auch unterschiedliche Verhaltensmaßstäbe entstehen können. Schließlich könnte auch für eine berechtigte Interessenwahrung durch Parteiprozeßhandlungen deren innerprozessuale Bewertung von Belang sein. Deshalb wird im folgenden primär die Auswirkung eines prozeßordnungsgemäßen Parteiverhaltens auf die absolut geschützte Rechtssphäre des Gegners untersucht111 und erst anschließend der Verstoß gegen prozessuale Parteipflichten erwogen112. Da es nur auf den Einfluß prozessualer Zwecke auf zivilrechtliehe Verhaltensmaßstäbe ankommt, kann sich die Darstellung insgesamt auf etwaige Ansprüche des Gegners aus den §§ 1004 und § 823 Abs. 1 BGB konzentrieren. 11. Deliktshaftun&" und negatorisdler Rechtsseilutz bei Parteiprozeßhandlungen

1. Prozeßordnungsgemäßes Parteiverhalten a) Ehrverletzender Parteivortrag

aa) N egatorischer Rechtsschutz Ehrverletzende Behauptungen, die objektiv unrichtig oder nicht erweislich wahr sind, führen nach Maßgabe des weit über seinen Wortlaut hinaus anwendbaren § 1004 BGB prinzipiell zu einem Widerrufsanspruch. Da der Rechtsstreit gerade der Wahrheitsfindung dient und die Parteien, wie § 138 Abs. 4 ZPO bestätigt, im Prozeß auch für sie selbst zweifelhafte Behauptungen aufstellen können, ist gerade auf dem Sektor der Ehrverletzungen das Spannungsverhältnis zwischen der prozessualen Funktion einer Prozeßhandlung und der Beeinträchtigung des Gegners besonders deutlich. Als Mittel zum partiellen Ausschluß der Widerrufsklage bietet sich auch bei Prozeßbehauptungen in erster Linie der Gedanke der Wahrnehmung berechtigter Interessen an113• Offen ist freilich, ob damit der besonderen prozessualen Situation Rechnung getragen ist. Baumgärtel und Weitnauer meinen das mit Rücksicht uo Vgl. oben § 9 B I 3 b (S. 306 f.). Anschließend § 9 B II 1 (S. 316- 327). 112 Anschließend § 9 B II 2 (S. 327 f.). 111

us Daß das Rechtsschutzinteresse als Instrument gegen Widerrufsklagen nicht verwendet werden darf, ist bereits ausgeführt.

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auf die geringen- nach Weitnauerauf Leichtfertigkeit begrenzten114 - Verhaltensanforderungen, die der Verletzer zur Rechtfertigungswirkung des § 193 StGB erbringen müssem. Baumgärtel fügt hinzu, im Zivilprozeß sei anders als im Strafverfahren nicht stets die Richtigkeit der Prozeßbehauptung vor dem Gedanken der Interessenwahrung zu prüfen118. Der Richter könne die Wahrheitsprüfung offenlassen und, wenn nicllt qualifizierte Sorgfaltsverstöße die Anwendung des § 193 StGB ausschließen, die Widerrufsklage wegen Wahrnehmung berechtigter Interessen abweisen. Wären beide Prämissen zutreffend, so entstünden in der Tat im Hinblick auf Parteiprozeßbehauptungen keine Probleme: Einerseits ließe der Maßstab der Leichtfertigkeit dem prozessualen Zweck des Parteivortrags einen akzeptablen Spielraum. Zum anderen entstünde für die meisten Fälle des ehrverletzenden Parteivortrags wegen der auf§ 193 StGB gestützten Abweisung der Widerrufsklage keine Gefahr einer "Prozeßverschachtelung". Indessen sind beide Prämissen zweifelhaft. Bereits bei der Analyse der von § 193 StGB vorausgesetzten Sargfaltsanforderungen zeigt sich - zumindest für Behauptungen, die kein Rechtsschutzziel verfolgen -, daß der Maßstab der Leichtfertigkeit schwerlich als endgültige Grenze bezeichnet werden kann. Das zeigt sich deutlich am Systemzusammenhang des § 193 StGB mit § 186 StGB, auf den Eike Schmidt hinweist117 • § 186 StGB statuiert für ehrverletzende Behauptungen einen strengen Grundsatz. Der Täter muß sich seiner Sache sicher sein. Seine Informationen müssen stimmen. Andernfalls muß von ihm verlangt werden, daß er eine Behauptung unterläßt118• Diesen strikten Maßstab aufrechtzuerhalten, bedeutet ein zu hohes Risiko für denjenigen, der wirklich oder vermeintlich ein "berechtigtes" Interesse verfolgt. Deshalb wird der Grundsatz des § 186 StGB modifiziert. Auch die Interessen des Täters werden berücksichtigt. Zwischen der Verletzung und dem Interesse des Verletzers ist abzuwägen. Den Verletzten trifft das Risiko, im Rahmen des § 193 StGB eine nicht erweislich wahre, ehrverletzende Behauptung hinnehmen zu müssen. Das gilt auch, wenn der Täter nur ein vermeintlich berechtigtes Interesse wahrnimmt. Nur ist dabei zu beachten, daß § 186 StGB und § 193 StGB im Verhältnis von Regel und Ausnahme stehen. Diese Relation darf nicht umgedreht, die Risikoverlagerung zuungunsten des Verletzten nicht überdehnt werden. Der Täter handelt, auch wenn das nicht konkret feststellbar ist, mit seiner ehrverletzenden Behauptung möglicherweise Weitnauer, JZ 1962, 490. Baumgärtel, Festschrift für 11e Baumgärtel, Festschrift für 117 Eike Schmidt, JZ 1970, 11. us Eike Schmidt, JZ 1970, 11.

114 115

Schima, 56; Weitnauer, JZ 1962, 491. Schima, 56.

318

§ 9 Materiell-rechtliche Rechtsfolgen aus prozessualem Verhalten

unrichtig. Wenn das Gesetz dies dennoch billigt, geschieht das mit Rücksicht auf den Zwiespalt zwischen realem oder vorgestelltem Interesse an der Äußerung und der Unsicherheit über die Richtigkeit ihres Inhalts. Der Grundsatz von Regel und Ausnahme besagt aber, daß der Verletzer diesen Zwiespalt tunliehst gering zu halten hat. Die Strafrechtsdoktrin trifft also das Richtige, wenn sie § 193 StGB in diesem Zusammenhang mit der Formel des erlaubten Risikos versiehtl18 und zur Rechtfertigungswirkung dem Sinne nach auf die Sorgfaltsmaßstäbe des § 276 BGB verweist120• Der Verletzer muß prinzipiell das Zurnutbare unternehmen, um den Wahrheitsgehalt zu ermitteln. Er muß prüfen, ob real ein Interesse an der- möglicherweise unwahren- Äußerung besteht. Er muß prüfen, ob die Maßnahme zur Interessenwahrung erforderlich. ist. Der Maßstab der Leichtfertigkeit, den Baumgärtel und Weitnauer für ehrverletzende Prozeßbehauptungen postulieren, stimmt jedenfalls für außerprozessuale, ehrverletzende Behauptungen nicht. Dennoch müssen Parteibehauptungen im Prozeß nicht außerhalb von § 193 StGB gerechtfertigt werden. Entscheidend ist das Maß an Sorgfalt, das von einem rechtlich denkenden und besonnenen Menschen in der konkreten Prozeßsituation verlangt werden kann. Insofern ist also Hopt, der für§ 193 StGB ebenfalls die- Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt fordert 121 entgegen der Kritik Essers 122 durchaus im Recht, wenn er bei§ 276 BGB ansetzt und dabei die Verhaltensanforderungen für das prozessuale Verhalten festlegen will. Auch kann Weitnauer nicht zugestimmt werden, der meint, man komme über die Faktoren der Interessenahwägung und der Gutgläubigkeit des Verletzenden ohnehin nicht hinaus123• Sicher ist, was Weitnauer betont124, keine "Fallethik" zu schaffen. Doch gilt dies für alle unbestimmten Rechtssätze. Sie bedürfen der Konkretisierung durch die Kasuistik. Und insofern lassen sich bei der Parteiprozeßbehauptung ebenso wie bei jeder Parteiprozeßhandlung aus dem prozessualen Zweck gewisse Ansätze fixieren: Da der Rechtsstreit der Wahrheitsfindung dient, ist der Sorgfaltsmaßstab nicht verletzt, wenn die Prozeßpartei selbst gewisse Zweifel an der Richtigkeit einer Behauptung hat. Nur muß sie das Normalmaß an Sorgfalt aufbringen, um den Wahrheitsgehalt zu prüfen. Daß dazu nich.t zeitraubende Nachforschungen gehören, ergibt sich schon aus dem RechtsschutzzieL Doch hat Hopt wohl recht, wenn er Klagen und damit uo Lenckner, Festschrift für Mayer, 180. 120 Lenckner, Festschrift für Mayer, 181.

Hopt, 233. Esser, ZZP 83, 350. ua Weitnauer, AcP 170, 447. tz« Weitnauer, AcP 170, 447.

121

122

B. Prozessuale Zwecke und zivilrechtliche Verhaltensmaßstäbe

319

auch ehrverletzende Prozeßbehauptungen aufs Geratewohl oder aufgrund schlampiger Buchführung für unsorgfältig hältm. Zweifelhaft erscheint allerdings die prinzipiell durch die Interessenahwägung des § 193 StGB nahegelegte Auffassung, die Prozeßbehauptung müsse gegenüber der Verletzungsfolge abgewogen werden121• Hier deutet für Parteiprozeßhandlungen der Vergleich mit dem Staatsanwalt, dem immerhin ein Ermittlungsverfahren zur Verfügung steht, auf das Gegenteil hin. Der Staatsanwalt darf bei genügendem Anlaß Anklage erheben. Das bedeutet: Er muß sorgfältig nachgeforscht haben; gründlicher als dies zur Feststellung der Fakten eine Prozeßpartei im Zivilrechtsstreit tun kann. Doch trifft den Staatsanwalt im Hinblick auf den Grad des "Verletzungserfolgs" keine besonders intensive Prüfungspflicht. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz127 läßt sich daher- wegen der insoweit gleichen Interessenlage - auch nicht im Zivilrechtsstreit postulieren. Insgesamt ist gleichwohl bei der Prüfung des Wahrheitsgehalts einer Prozeßbehauptung der Sorgfaltsmaßstab gegenüber außerprozessualen Ehrverletzungen nur punktuell gemildert. Anders ist das bei der Frage nach der Erforderlichkeit eines ehrverletzenden Parteivortrags. Auch wenn dieser Faktor im außerprozessualen Raum eine beträchtliche Bedeutung hat, läßt er sich auf den Rechtsstreit schwerlich übertragen. Erforderlich ist im Rechtsstreit der Vortrag, der für den Ausgang des Prozesses bedeutsam ist. Das läßt sich ohne Rechtskenntnisse nicht exakt ermessen. Diese braucht die Partei aber nicht zu haben. Da mihi facta dabo tibi ius. Die Partei darf alles vortragen, was sie für erheblich hält128.DenRahmen steckt nur diePrüfungdes Wahrheitsgehalts. Das gilt jedenfalls für Prozesse ohne Anwaltszwang. Ehrverletzende Prozeßbehauptungen wären zwar partiell vermeidbar, wenn auch ohne Anwaltszwang ein Rechtsanwalt konsultiert würde; die Befreiung vom Anwaltszwang bezweckt aber gerade, das Prozessieren ohne das Risiko der Anwaltskosten zu ermöglichen. Dieser Zweck wird überspielt, wenn den Parteien über die Sorgfaltspflicht gegenüber dem Prozeßgegner ein fachkundiger Rat aufgedrängt wird120• Im Anwaltsprozeß selbst darf sich die Partei der Prozeßführung durch ihren rechtskundigen Prozeßvertreter anvertrauen130• Auch das Auswahlverschulden, mit dem Hopt der Partei das Risiko für exzessive Qualitätsmängel ihres Rechtsberaters zuschiebt131, erscheint wenig tragfähig. Die 12s 111 121

Hopt, 254. Hopt, 255 f. Hopt, 258.

us Zutreffend SoergeUSiebert (Milhl), § 1004 Rdnr. 47. 120

a. A. Hopt, 256.

180

s. 256.

111

S . 2M.

320

§ 9 Materiell-rechtliche Rechtsfolgen aus prozessualem Verhalten

Aversion gegen den dabei apostrophierten "Winkelkonsulenten" kann zwar mit Beifall rechnen; man wird vom Laien aber kaum eine Vorstellung über die unterschiedlichen Fähigkeiten der Rechtsberater verlangen können. Deshalb darf die Partei entgegen Hopt182 auch dem nicht spezialisierten Rechtsanwalt überlassen, ob dieser die Beiziehung eines Fachanwalts für geboten hält. Die fehlenden Rechtskenntnisse der Prozeßpartei begrenzen schließlich auch die Sorgfaltspflicht bei der bezweckten Interessenwahrung - der vermeintlichen Rechtsverfolgung im Prozeß -, in deren Rahmen eine ehrverletzende, nicht erweislich wahre Behauptung aufgestellt wird. Die von Hopt geforderte Bemühung um eine prinzipielle oder vorherige außerprozessuale Bereinigung (Aufrechnung, Abmahnung}188 hat schon seine Rezensenten nicht überzeugt134. Im übrigen gelten hier die gleichen Grundsätze wie bei der Erheblichkeit der Behauptung. Mehr als der Verzicht auf offensichtlich unzulässige oder unbegründete Klagen135 ist vom Laien nicht zu erwarten wie überhaupt bei dem von Rechtskenntnissen beeinflußten Raum das Etikett "grobe Fahrlässigkeit" eine brauchbare Richtschnur abgibt. Hopt umschreibt die von ihm umrissenen Verhaltensnormen aus gutem Grund mit der Wendung "etwa folgendermaßen" 1111• Darin ist zweierlei ausgedrückt: einmal die Zone der Eigenwertung, die bei jeder kasuistischen Beschreibung von unpräzisen Rechtsbegriffen besonders sinnfällig wird; zum anderen die ebenso selbstverständliche Tatsache, daß jeder Konkretisierungsversuch bei unbestimmten Rechtsbegriffen - hier die Präzisierung der mit Rücksicht auf die Rechtspositionen des Prozeßgegners erforderlichen Sorgfalt bei Parteiprozeßhandlungen kein engmaschiges Netz von Maßstäben errichten, sondern nur wenige Markierungspflöcke einschlagen kann. Schon diese Pflöcke zeigen aber, daß der prozessuale Zweck des Parteiverhaltens keine generelle Haftungsreduzierung auf grobe Fahrlässigkeit gebietet, sondern durch die auf den Prozeß zugeschnittene Konkretisierung der erforderlichen Sorgfalt im Sinne des§ 276 BGB berücksichtigt werden kann. Beim ehrverletzenden Parteivortrag ist nach allem die Rechtfertigungswirkung des§ 193 StGB durch die Einhaltung der konkretisierten Sorgfaltsanforderungen des § 276 BGB begrenzt. Der Maßstab der Leichtfertigkeit ist daher, wie ein Blick auf die Deliktshaftung aus ehrverletzenden Parteiprozeßhandlungen zeigen muß, im Rahmen des § 193 StGB auch für den Parteivortrag im Rechtsstreit keine abschließende 132

133 134 136 138

s. 256. s. 253.

Sturm, JR 1972, 44; Zeiss, JZ 1970, 198. 253. S. 252; vgl. aber die Kritik von Esser, ZZP 83, 351. Hopt,

B. Prozessuale Zwecke und zivilrechtliche Verhaltensmaßstäbe

321

Grenze des widerrechtlichen Verhaltens. Für den negatorischen Rechtsschutz bedeutet das, daß die Gefahr der "Prozeßverschachtelung" doch größer ist, als dies die Gegenmeinung einräumt. Für Tatsachenbehauptungen kommt ein wichtiger Grund hinzu, der eine Reduzierung des Prozeßstoffs auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen entgegen der oben referierten Meinung Baumgärtels187 ganz ausschließt: Der beschriebene Zweck des § 193 StGB verlagert insoweit gegenüber § 186 StGB nur das Risiko für nicht erweislich wahre Tatsachen. Steht aber die Unwahrheit fest, so kann § 193 StGB die Ehrverletzung nicht länger rechtfertigen. Die Widerrufsklage ist von diesem Zeitpunkt ab begründet. Das hat zuerst das RAG für die ehrverletzenden Behauptungen erkannt, deren Unwahrheit in einem anderen, rechtskräftig beendeten Rechtsstreit festgestellt worden ist138• Doch kann die Unwahrheit auch in dem durch die Widerrufsklage eingeleiteten Prozeß bewiesen werden. Der BGH und die Doktrin konstatieren deshalb zu recht, daß die Berufung auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen ausscheidet, wenn die Unwahrheit einer ehrverletzenden Behauptung in diesem Prozeß vom Verletzten bewiesen worden istl 39 • Der BGH wendet daher auch bei ehrverletzenden Prozeßbehauptungen gegenüber Baumgärtel folgerichtig ein, dem Verletzten stehe ja in einem Widerrufsprozeß der Beweis der Unwahrheit offen140• Nicht einmal die Einhaltung der Sorgfaltsanforderungen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen kann also insoweit den Zweitprozeß mit seiner Auswirkung auf den Erstprozeß verhindern. Das Wertungsdilemma ist offenkundig. Auf der einen Seite bedeutet der strikte Ausschluß des Widerrufsprozesses unter Hinweis auf Zuständigkeitsverteilungen praktisch eine Verweigerung des Rechtsschutzes, da in keiner Weise gewährleistet ist, ob sich das Erstgericht im Rahmen der Schlüssigkeits- und Erheblichkeitsprüfung überhaupt mit dem ehrverletzenden Parteivortrag befassen wird. Auf der anderen Seite besteht nicht nur ein staatliches Interesse an der Einhaltung der Zuständigkeitsregelungen, sondern auch ein solches des Gegners daran, daß sein prozeßerhebliches Parteivorbringen von dem Gericht geprüft und bewertet wird, dem er es vorgetragen hat. Die prozessuale und die materiell-rechtliche Bewertung kollidieren miteinander. Die divergierenden Interessen können sich auf verschiedenartige Rechtsgrundsätze berufen, die allenfalls durch eine Interessenbewertung abgegrenzt werden können. Der Knoten wird nicht gelöst, sondern durchgeschlagen. Festschrift für Schima, 56. RAG 19, 260, 267 ff. 189 Vgl. etwa BGH NJW 1958, 1043; BGH LM Nr. 45 zu§ 1004 BGB; BGH LM Nr. 49 zu § 1004 BGB; BGH NJW 1962, 1438; Erman!Hejermehl, § 1004 Rdnr. 23; Soergel/Siebert (Mühl), § 1004 Rdnr. 49. uo BGH NJW 1971, 284, 285. 137

Baumgärtel,

138

21 Konzen

322

§ 9 Materiell-rechtliche Rechtsfolgen aus prozessualem Verhalten

Auf dieser Linie bewegt sich auch der BGH, wenn er - konstruktiv allerdings wenig überzeugend- die Wahrnehmung berechtigter Interessen in diesem Bereich stillschweigend ausweitet und dies mit den andernfalls drohenden Zuständigkeitsübergriffen motiviert161 • Wenn der Kläger einen sinnvollen Beweis für eine bewußte Unwahrheit der gegnerischen ehrverletzenden Prozeßbehauptung antreten kann, dürfte wohl mehr für einen Widerrufsprozeß sprechen, der die Zuständigkeitsverteilung übergeht. Dagegen sind die Grenzen für die Sorgfaltsanforderungen flexibel und möglicherweise erst nach einer umfänglichen Beweisaufnahme über den Wahrheitsgehalt der im Erstprozeß aufgestellten Behauptung fixierbar, so daß eine Widerrufsklage wegen der auch im Gegnerinteresse liegenden gerichtlichen Kompetenzverteilung wohl eher abzuweisen ist. Dogmatisch befriedigend ist diese Lösung sicher nicht. Sie ist allerdings auf den negatorischen Rechtsschutz gegenüber ehrverletzenden Prozeßbehauptungen begrenzt. bb) Deliktshaftung

Für die Deliktshaftung bleibt es nach alledem bei der Anwendung des § 193 StGB, so daß die für das Parteiprozeßverhalten konkretisierten Sorgfaltsmaßstäbe maßgeblich sind. Da diese mit denen des § 276 BGB identisch sind, ist es im übrigen für den Sektor der Verschuldenshaftung nur von theoretischem Interesse, daß die Prüfung im Rahmen des§ 193 StGB vollzogen wird. b) Beeinträchtigung von Rahmenrechten und Verursachung von Gesundheitsschäden Die zuvor für Parteiprozeßhandlungen konkretisierten Sorgfaltsmaßstäbe ergeben auch den Lösungsansatz für die Fallgestaltungen142, in denen Klagen- außerhalb der anschließend zu analysierenden Schutzrechtsberühmung - zur Beeinträchtigung von Rahmenrechten führen oder bei denen die Prozeßführung als Nebenfolge eine gesundheitli.che Schädigung des Prozeßgegners verursacht. Dabei ist im Rahmen der Verschuldenshaftung nach § 823 Abs. 1 BGB bei Rahmenrechten, etwa beim Gewerbebetrieb, wiederum von nur systematischem Interesse, ob die auf den Prozeß zugeschnittenen Sorgfaltsmaßstäbe auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit -nämlich im Rahmen der Interesscnabwägung, mit der die Verletzung des Rahmenrechts festgestellt wird - zu prüfen sind oder an einer späteren Stelle. Doch könnte diese Frage, wenn Klagen und Klagdrohungen gleichzustellen sind, für den negatorischen Rechtsschutz gegenüber Klagdrohungen bedeutsam werw BGH NJW 1971, 284 f. 142

Vgl. die einzelnen Fallgestaltungen oben unter § 9 B I 2 (S. 301 f.).

B. Prozessuale Zwecke und zivilrechtliche Verhaltensmaßstäbe

323

den 1". Sie ist aber nicht problematisch, wie der Zusammenhang zwischen dem § 193 StGB und der Interessenahwägung bei Rahmenrechten beim Blick auf die von Adomeit betonte Funktionsänderung der Interessenwahrung1" zeigt: Wenn die Prozeßpartei die für das Prozeßverhalten erforderliche Sorgfalt wahrt, verletzt sie die generalklauselartigen Rahmenrechte des § 823 Abs.1 BGB nicht. Umgekehrt bewirkt die fehlende Sorgfalt eine Deliktshaftung. Die Konkursantragsentscheidung145, in der der BGH den Rechtfertigungsgrund der gerichtlichen Inanspruchnahme entwickelt hat, ist danach schon wegen der Sorgfaltspflichtverletzung des Antragstellers nicht zu billigen, so daß es auf den Gedanken der erstrebten "sofortigen Vollstreckung" 148 nicht ankommt. Für die Nichtigkeitsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse nach § 75 GmbH, die eine Verletzung des Rechts am eingerichteten Gewerbebetrieb sein können, und bei denen das Schrifttum nur die Haftung aus §§ 824, 826 BGB erwähnt147, hängt die Entscheidung zusätzlich davon ab, ob man in der Streichung des § 200 Abs. 2 AktG auch den Ausschluß eines Deliktsanspruchs gemäß § 823 Abs. 1 BGB erblickt oder nicht 148• Da der Sorgfaltsmaßstab für die Prozeßführung nicht durch erkennbar mögliche Folgeschäden des Prozeßgegners erhöht wird, handelt die Prozeßpartei beim ehrverletzenden Parteivortrag, solanE·e sie sich im Rahmen des § 193 StGB hält, auch dann nicht unsorgfältig, wenn die Ehrverletzung nachfolgende Gesundheitsschäden auslöst. In Baurs Sekretärinnenbeispiel überschreitet aber die Ehefrau mit ihrem haltlosen Verdacht die Grenzen des § 193 StGB, und der Gesundheitsschaden der Sekretärin kann schon als adäquat kausale Folge der Ehrverletzung zum Schadensersatzanspruch führen 141. Auch bei Gesundheitsschäden als Nebenwirkung hoher, unberechtigter Leistungsklagen ist für die Bewertung der VerletzungshandJung im Rahmen des § 276 BGB auf die Einhaltung der im Prozeß erforderlichen Sorgfalt zu achten. Das vernachlässigt Renekel mit der Gleichstellung von prozessualem und außerprozessualem Verhalten150. c) Bestreiten oder Anmaßung absoluter Rechte

Eine gesonderte Betrachtung erfordert das Bestreiten oder die Anmaßung absoluter Rechte im Prozeß, die durch die Erhebung darauf geVgl. zur Schutzrechtsberühmung unten d) (S. 325- 327). Adomeit, JZ 1970, 496. t4s BGHZ 36, 18. ao Vgl. oben § 6 B III 1 a bb) a. E . (S. 164 f.). 147 Vgl. etwa Baumbach/Hueck, AktG, § 248 Rdnr. 1. 148 Vgl. darüber im Zusammenhang mit der unberechtigten Anfechtungsklage im Genossenschaftsrecht oben § 6 B III 1 c (S. 166- 168). ue Weitnauer, AcP 170, 444. uo Henckel, Prozeßrecht, 306. t43

144

21•

324

§ 9 Materiell-rechtliche Rechtsfolgen aus prozessualem Verhalten

richteter Feststellungsklagen repräsentiert wird. Den Einstieg bildet dafür die von Renekel im Bauverzögerungsfall151 angestellte Erwägung, die Furcht vor einem Prozeßverlust sei unvermeidbar und daraus resultierende Schäden seien daher nicht abgeltbar152• Diese Bestätigung des BGH163 hat indessen bei der Betrachtung des Sachverhalts des Bauverzögerungsfalls wenig Überzeugungskraft: Die frühere Feststellungsklage des jetzigen Beklagten, auf die der Kläger den Schadensersatzanspruch aus Delikt stützt:, erscheint eher ziemlich unsorgfältig, das Verhalten des Beklagten also nicht schutzwürdiger als in anderen Fällen. Konturen ergeben sich erst aus der Erweiterung des Themenrahmens auf den negatorischen Rechtsschutz gegenüber einem vorprozessualem Bestreiten des Eigentums und zudem aus der Einbeziehung anderer absoluter Rechte, etwa eines Patentrechts. Weiter führt die wegen § 32 ZPO interessante Frage, ob die unberechtigte Verwahrung gegenüber einer berechtigten Schutzrechtsverwarnung - neben der Verletzung durch die weitere Nutzung des gewerblichen Schutzrechtseine selbständige unerlaubte Handlung darstellt. Pawlowski und Lichtenstein/Körner beantworten sie unterschiedlich164• Die schriftliche Zurückweisung der Verwarnung kann selbständig Schäden verursachen. Das zeigt die etwas hypothetisc..I-J.e, von Pawlowski angestellte Erwägung, der Schutzrechtsinhaber benutze aufgrundder Zurückweisung sein Warenzeichen oder Patent nicht mehr166• Setzt man an die Stelle der unberechtigten, außerprozessualen Verwahrung eine negative Feststellungsklage, so kommt auch hier die "Furcht vor dem Prozeßverlust" ins Spiel. Die schuldhafte Verletzung des gewerblichen Schutzrechts durch die unberechtigte Patentnutzung des Verwarnten verursacht dann im Beispielsfall nämlich die erst durch die Feststellungsklage bewirkte Reaktion des Patentinhabers nicht. Die Parallele macht die Problematik deutlicher. Entscheidend ist zunächst die Frage, ob das außerprozessuale Bestreiten oder die außerprozessuale Anmaßung eines absoluten Rechts eine Rechtsverletzung darstellt. Ist das zu verneinen, so stellt sich die Anschlußfrage, ob speziell die Klageerhebung eine Rechtsverletzung begründet. Sieht man beim außerprozessualen Verhalten- wegen des potentiellen Eingriffs in den Gewerbebetrieb - von der Schutzrechtsanmaßung ab, so ergibt sich im Bereich der negatorischen Abwehransprüche ein interessanter Befund: Doktrin und Praxis halten nämlich das außerprozessuale Bestreiten und die außerprozessuale Anmaßung des fremden Eigentums nicht für eine Rechtsverletzung. Sie versagen 1s1 152 153 154 155

§ 1 A, Beispiel 10. Henckel, Prozeßrecht, 302 f. BGHZ 20, 169. Pawlowski, BB 1965, 849 f.; Lichtenstein/Körner, GRUR 1966, 243 ff. Pawlowski, BB 1965, 850.

B. Prozessuale Zwecke und zivilrechtliche Verhaltensmaßstäbe

325

den negatorischen Rechtsschutz und verweisen auf die Feststellungsklage158. Folgerichtig erblickt auch Pawlowski allein im Bestreiten des fremden gewerblichen Schutzrechts keine Rechtsverletzung 167 • Vor diesem Hintergrund gewinnt dann die von Renekel - im Zusammenhang mit der Schutzrechtsberühmung durch Klagen - formulierte These an Gewicht, es sei dort nicht eigentlich die Klage, die dem anderen Unrecht tue158• Abstrahiert man von dem Kontext der Schutzrechtsverwarnung, so ergibt sich eine Begründung für das Urteil des BGH im Bauverzögerungsfall: Die Klageform allein begründet keinen Unterschied zum außerprozessualen Bestreiten des Eigentums. Der Gegner ist am Schutz durch die gerichtliche Entscheidung selbst interessiertm. Deshalb ist dem BGH im Bauverzögerungsfall im Ergebnis zuzustimmen180• d) Schutzrechtsberühmungen Der Diskussionsstand181 zur Schutzrechtsberühmung im Rechtsstreit gebietet ebenfalls, Schutzrechtsberühmungen innerhalb und außerhalb des Rechtsstreits und folgerichtig auch Deliktshaftung und negatorischen Rechtsschutz im Zusammenhang zu würdigen. Die bezogenen Standpunkte erscheinen jeweils von ihrem Ausgangspunkt her folgerichtig, ohne den gegnerischen Angriffspunkt ausräumen zu können. Die h. M. vernachlässigt die Interessenabwägung, die prinzipiell der Feststellung einer Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vorauszugehen hat, und berücksichtigt den prozessualen Zweck der Klage sowie die gleiche Funktion der vorhergehenden "Abmahnung" nicht. Die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung begründet deshalb einen Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 BGB. Die Verwarnung und die Klage des Gegners bewirken eine strikte Verschuldenshaftung. Dahinter steht die Erwägung, auch der Verwarnte, der die Nutzung eines fremden Schutzrechts fortsetze, unterliege bei einer berechtigten Verwarnung einer strengen Verschuldenshaftung. Diesen Gesichtspunkt vernachlässigt wiederum Zeuner162 , der auf die Interessenabwägung abstellt, dabei die prozessuale Funktion der Klage berücksichtigt und im Rahmen des Deliktsrechts auch die Schutzrechtsvert5e 157 158 158

Vgl. etwa Soergel/Siebert (Mühl), § 1004 Pawlowski, BB 1965, 850 f. Henckel, Prozeßrecht, 300. Henckel, Prozeßrecht, 300.

Rdnr. 5.

Anders ist es nur, wenn die vom BGH erwogene nachwirkende Pflicht aus dem Kaufvertrag besteht, den Gegner vor Schaden zu bewahren; vgl. BGHZ 20, 169, 172. Dann käme es auf einen Sorgfaltsverstoß an. Indessen ist ein derartiger Vertragszweck für den Kaufvertrag atypisch. t8t Vgl. oben § 9 B I 3 c (S. 308- 310). 182 Soergel/Siebert (Zeuner), § 823 Rdnr. 75 - 78, Zeuner, Festschrift für Dölle I, 321 ff. 180

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§ 9 Materiell-rechtliche Rechtsfolgen aus prozessualem Verhalten

warnung wegen ihrer gleichartigen Zielsetzung milder beurteilt. Deshalb will Zeuner folgerichtig dem Verwarnten den negatorischen Rechtsschutz versagen, da die prozessuale Komponente im Rahmen der Interessenabwägung zwischen dem Recht am Gewerbebetrieb und der "berechtigten" Interessenwahrung des angeblichen Schutzrechtsinhabers berücksicht wird. Der Verwarnte wird daher auf die negative Feststellungsklage verwiesen. Letzteres ist allerdings nicht zwingend. Denkt man an die Irrelevanz der Wahrnehmung berechtigter Interessen beim Beweis der Unwahrheit einer ehrverletzenden Behauptung, so spricht auch hier nichts dagegen, die wahre Rechtslage im Rahmen einer Unterlassungsklage des Betriebsinhabers zu klären. Unauflöslich scheint die Schwierigkeit nur auf dem Sektor des Deliktsrechts zu sein, da es hier je nach dem Ausgang des Streits über das Schutzrecht um die Ersatzpflicht des einen oder des anderen geht. Nur wenn die Privilegierung einer Ahmahnung oder Klage nicht dem wirklichen oder vermeintlichen Schutzrechtsinhaber einseitig zugutekommt und gleichzeitig den anderen belastet, läßt sich den beiderseitigen Interessen gerecht werden. Insoweit ist die Interessenlage, um die Wendung des BGH aufzugreifen183, im Vergleich zu sonstigen Rechtsverletzungen durch gerichtliche Inanspruchnahmen wirklich "völlig anders". Man könnte erwägen, auch den Verwarnten bei Unsicherheit über die Sach- und Rechtslage nach dem Maßstab der für das Parteiprozeßverhalten geltenden -bei Rechtsfragen stark abgemilderten - Sorgfaltsanforderungen zu entlasten. Doch würde damit der Sinngehalt einer Privilegierung des Parteiprozeßverhaltens bei weitem überschritten. Dieser Sinngehalt bezieht sich nur darauf, Rechtsschutz zu erlangen, um die Sach- und Rechtslage zu klären und Ansprüche durchzusetzen. Die Zielsetzung des Verwarnten ginge demgegenüber dahin, die unsichere Sach- und Rechtslage zum gewerblichen Gewinn zu nutzen. Insoweit sind also die Interessenlagen ungleich. Der Verwarnte unterliegt deshalb den allgemeinen zivilrechtliehen Sorgfaltsanforderungen, ohne daß jedoch- wie nach h. M. beim Schuldnerverzug- jeder Rechtsirrtum irrelevant sein muß. Ein Ausweg läßt sich nur finden, wenn die prozessuale Funktion der Geltendmachung eines Schutzrechts gewährleistet werden kann, ohne den Inhaber des Gewerbebetriebs dadurch zu benachteiligen. Dafür finden sich zwei Hinweise im Schrifttum: Der erste liegt in der Bemerkung des BGH, die Schutzrechtsverwarnung stelle an sich nur einen Fall des unberechtigten Leistungsbegehrens dar, und die Besonderheit des Tatbestands sei bei der auf Unterlassung gerichteten Schutzrechtsverwarnung dann gegeben, wenn sie sich an den Inhaber eines Gewerbebetriebes richte184. Damit korresponua BGHZ 38, 200, 208. BGHZ 38, 200, 204; Hervorhebung vom Verf.

184

B. Prozessuale Zwecke und zivilrechtliche Verhaltensmaßstäbe

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diert andererseits die Feststellung Henckels, das Verbot, dem ausschließlichen Benutzungs- und Verwertungsrecht zuwiderzuhandeln, begründe die besondere Zwangslage des Verwamten105. Die gerichtliche Klärung der Sach- und Rechtslage, also immerhin ein Teilaspekt des Rechtsschutzziels, ist aber auch möglich, wenn an die Stelle der begehrten Unterlassung eine Feststellungsklage tritt. Soweit man dann auf der Beklagtenseite aus der Klageerhebung des Gegners- im Fall ihrer Berechtigungkeine zusätzlichen Verschuldenskomponenten für eine Deliktshaftung wegen der Schutzrechtsverletzung entnimmt, würde die Risikoverteilung zwischen den Streitparteien durch die Parteiprozeßhandlung nicht verschoben. Der Unterschied zwischen der Feststellungs- und der Unterlassungsklage ist allerdings schmal. Ihre Verwechselung läßt sich der rechtsunkundigen Partei allenfalls mit der Erwägung Renekels anlasten, das Verbot bedeute eine vorweggenommene Rechtsdurchsetzung188. Damit rückt nämlich der geltendgemachte Unterlassungsanspruch in die Nähe des Vollstreckungszugriffs aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Titels, so daß anders als bei der Feststellungsklage die strikten außerprozessualen Sorgfaltsmaßstäbe des § 276 BGB ohne Rücksicht auf das Rechtsschutzziel angewendet werden können.

2. Verstoß gegen prozessuale Parteipflichten Die Konkretisierung der Sorgfaltsanforderungen bei Parteiprozeßhandlungen mit Rücksicht auf deren prozessualen Zweck bestimmt zugleich die Bedeutung einer Verletzung von prozessualen Parteipflichten für den deliktischen Rechtsgüterschutz. Soweit die Prozeßpartei praktisch nur durch Prozeßvereinbarungen- Pflichten zu erfüllen hat, die dem Rechtsgüter- und Vermögensschutz des Gegners dienen sollen, bietet schon die Vereinbarung selbst die Haftungsgrundlage. Der schuldhafte Verstoß gegen einen ausdrücklich vereinbarten vertraglichen Klageverzicht verhindert die Berufung auf den prozessualen Zweck der Klage187. Auch der subjektive Mißbrauch prozessualer Befugnisse hat bereits über § 826 BGB Außenwirkung und überschreitet ohnehin stets die Grenze der Sorgfaltsanforderungen, die bei deliktischen Rechtsverletzungen aus Parteiprozeßhandlungen einzuhalten sind168. Letzteres gilt auch für die bewußte Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht. Im übrigen aber läßt sich bei der Beurteilung deliktischer Rechtsverletzungen nicht zwischen unzulässigen und unbegründeten Klagen ua Henckel, Prozeßrecht, 300; Hervorhebung vom Verf. ue Henckel, Prozeßrecht, 300. taT Darin liegt keine Verschärfung der Sorgfaltsanforderungen. Wer ausdrücklich Vereinbarungen über Parteiprozeßhandlungen trifft, muß diese wie im materiellen Recht einhalten. us Vgl. auch Hopt, 257.

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§ 9 Materiell-rechtliche Rechtsfolgen aus prozessualem Verhalten

unterscheiden. Ob ein Anspruch oder eine Klagebefugnis verwirkt ist, in beiden Fällen richtet sich die Beurteilung der Klageerhebung bei daraus resultierenden deliktischen Rechtsverletzungen nach der erforderlichen Sorgfalt, die rechtsunkundige Parteien bei der Prozeßführung trifft. Der Gesamtbefund ändert sich mithin nicht: Bei der Beeinträchtigung absolut geschützter Rechtgüter durch Parteiprozeßhandlungen wird deren prozessualer Zweck ausschließlich bei der Konkretisierung der Sorgfaltsanforderungen mildernd berücksichtigt.

Ergebnisse I. Die Geschichte der zivilprozessualen Dogmatik ist eine solche der

Emanzipation des Prozeßrechts vom zivilistischen Denken1 • Die moderne Doktrin und Praxis setzen diese Linie konsequent fort. Sie schließen Wechselwirkungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht bei der Bewertung und den Rechtsfolgen prozeßerheblichen Parteiverhaltens mit Hilfe eines vorgegebenen, strikten Trennungsdenkens aus. Dieses Trennungsdenken kommt in der zivilprozessualen Systematik an verschiedenen Stellen zum Ausdruck. 1. Die Abgrenzung zwischen Zivil- und Prozeßrecht, die das Ge-

setz prinzipiell fordert, ohne dafür Abgrenzungskriterien zu enthalten, wird durch die wissenschaftliche Systembildung so vorgenommen, daß sie eine Trennungswertung antizipiert und Verbindungslinien zwischen Zivil- undProzeßrecht ausschließt2 • 2. Doktrin und Praxis unterscheiden Parteiprozeßhandlungen und außerprozessuales Parteiverhalten meist nach ihren Rechtsfolgen. Sie folgern dann, daß prozessuale Rechtsfolgen nur von den Voraussetzungen des Prozeßrechts, zivilrechtliche Rechtsfolgen nur von den Voraussetzungen des Zivilrechts bestimmt werden. Damit wird eine Trennungswertung präjudiziert3 • 3. Das Prozeßrechtsverhältnis, mit dessen Hilfe die Gesamtheit der Rechtsbeziehungen zwischen den am Rechtsstreit Beteiligten zusammengefaßt und den privatrechtliehen Rechtsbeziehungen der Prozeßparteien gegenübergestellt wird, unterstützt die strikte Trennung beider Bereiche'. 4. Das Trennungsdenken bewirkt, daß gesetzlichen, prozessualen Parteipflichten häufig nur innerprozessuale Relevanz beigemessen wirds. 5. Das Schrifttum unterscheidet Vereinbarungen über prozessuales Verhalten nach den Rechtsfolgen und gelangt damit zur scharfen Trennung zwischen Prozeßvereinbarungen mit VerEinführung (S. 19- 23). § 2 B I 3 a (S. 48 - 49). 3 § 2 B li (S. 53 f.). 4 § 2 B III (S. 55 f.). s § 2 B IV 1 c (S. 62).

1

2

330

Ergebnisse fügungswirkung und Verträgen über prozessuales Verhalten mit Verpflichtungswirkung. Erstere werden in ihrer Zulässigkeit und ihren Voraussetzungen an den Normen des Prozeßrechts gemessen, letztere völlig in das Zivilrecht verwiesen. Die wissenschaftliche Systembildung führt damit zu einer prinzipiell strikten Trennungswertung8 • 6. Das Trennungsdenken verursacht, daß Parteiprozeßhandlungen im Hinblick auf ihre innerprozessualen Wirkungen nur an prozessualen Voraussetzungen gemessen werden. Die materiellrechtliche Widerrechtlichkeit ist daher eine prozeßfremde Kategorie. Umgekehrt besagt das Trennungsdogma, daß Parteiprozeßhandlungen im Hinblick auf ihre außerprozessualen Wirkungen ausschließlich einer materiell-rechtlichen Bewertung unterliegen. Auf diese Weise werden übergreifende Wertungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht begrifflich ausgeschlossen7. 7. Doktrin und Praxis halten die Resultate des Trennungsdenkens theoretisch strikt durch. Sie kennen aber generalklauselartige Institute des Zivil- und Prozeßrechts, mit denen Querverbindungen zwischen beiden Bereichen in Einzelfällen verdeckt hergestellt werden. Diese Generalklauseln verhindem eine gleichförmige Rechtsanwendung und zerreißen existente Systemzusammenhänge8.

II. Die Argumente der zivilprozessualen Dogmatik für eine strikte Trennungswertung sind spärlich. Elemente des Trennungsdenkens sind nur in Folgerungen aus dem öffentlich-rechtlichen Prozeßrechtsverhältnis', der Unterscheidung zwischen der materiellrechtlichen und der prozessualen Rechtsbetrachtungsweise10 sowie in der im Zusammenhang mit der Theorie der doppelfunktionellen Prozeßhandlungen entwickelten doppelfunktionellen Betrachtungsweisen zu finden. 111. Die im Schrifttum nachweisbaren Elemente des Trennungsdenkens sind nicht geeignet, in allen Fällen eine scharfe Scheidung zwischen der prozeßrechtlichen und der materiell-rechtlichen Bewertung eines prozeßerheblichen Parteiverhaltens zu rechtfertigen. e § 2 B IV 2 (S. 65 - 71). 7 § 2 B V 2 (S. 74 - 76). 8 § 2 B VI (S. 79 - 84); § 2 C (S. 84 - 94); § 2 D (S. 94 f.). t § 2 B V 1 (S. 71 - 74). 1o § 2 B IV 1 b (S. 61 f.); § 2 B V 1 (S. 73 f.). 11 § 2 B V 3 (S. 76 - 79).

Ergebnisse

331

1. Das Prozeßrechtsverhältnis im Verständnis der älteren Prozeßdoktrin ist eine begriffliche Abstraktion, die den öffentlichrechtlichen und den ganzheitlichen Charakter der prozessualen Rechtsbeziehung zu stark betont. Die mit ihm vorgenommene Sonderung von Prozeßrecht und materiellem Recht ist die Folge einer rein wissenschaftlichen Begriffsbildung ohne rechtlich bindende Wirkung12• Sie schließt Wechselwirkungen zwischen beiden Disziplinen nicht aus.

2. Die Unterscheidung zwischen der prozessualen und der materiell-rechtlichen Rechtsbetrachtungsweise trägt die abweichende Beurteilung der materiellen und der prozessualen Rechtsbeziehungen nicht. Das ganzheitliche Verständnis des Prozesses als Rechtslage ist eine begriffliche Übersteigerung13• Es bildet keinen verbindlichen Maßstab für die Rechtsanwendung. 3. In einer Reihe von Fällen ist eine divergierende Bewertung von Prozeßhandlungen durch das Verfahrensrecht und das materielle Recht nachweisbar. Prozessuale Ordnungsmäßigkeit und materielle Rechtsmäßigkeit sind nicht identisch. Man kann diese Trennungswertung auf eine doppelfunktionelle Betrachtungsweise zurückführen. Die Fallstrukturen, in denen eine doppelfunktionelle Betrachtungsweise erkennbar ist, lassen sich weder als Beispiele eines vorgegebenen Trennungsgrundsatzes bezeichnen14, noch läßt sich aus ihnen ein allgemeiner Trennungsgrundsatz ableiten15• 4. Grundsätze über das Verhältnis der prozessualen und der zivilrechtlichen Beurteilung eines prozeßerheblichen Parteiverhaltens lassen sich nicht aus einer vorgegebenen systematischen Ordnung, sondern nur als Summe der Lösungen der denkbaren Fallgestaltungen gewinnen. IV. Der Meinungsstand in der modernen Doktrin und Praxis bedarf an den Stellen, die das Resultat eines vorgegebenen Trennungsdenkens sind, einer Korrektur. 1. Die notwendige11 Abgrenzung zwischen Zivil- und Prozeßrecht darf keine Trennungswertung antizipieren. Sie ist danach vorzunehmen, ob eine Norm ausschließlich ein Verhalten im pro§ § 14 § tfi § te § 12 13

4 (8. 104 ff.).

5 (8. 113 ff.). 6 A (8. 121 ff.). 6 B (S. 135 ff.). 2 B I 2 (8. 48 f.).

Ergebnisse

332

zessualen Lebensbereich regeln will, der durch das Verfahren von und vor Rechtspflegeorganen gekennzeichnet ist. Dann gehört diese Norm dem Prozeßrecht an, andernfalls dem materiellen Recht17• 2. Die Unterscheidung zwischen Parteiprozeßhandlungen und außerprozessualem Parteiverhalten ist nach funktionalen Kriterien vorzunehmen, die eine antizipierte Trennungswertung verhindern. Eine Parteiprozeßhandlung ist danach ein Verhalten, das nach seiner von der Rechtsordnung bestimmten typischen Funktion eine Verfahrensgestaltung herbeiführen oder verhindern solP8 • 3. Das Prozeßrechtsverhältnis ist eine Breviloquenz für die prozeßerheblichen Rechtsbeziehungen. Dieser Sinngehalt schließt Verbindungslinien zwischen Zivil- und Prozeßrecht nicht aus. 4. Die Auswirkungen des Trennungsdenkens, die sich in Doktrin und Praxis bei gesetzlichen Parteipftichten19, bei der Dogmatik der Vereinbarungen über prozessuales Verhalten20 sowie bei der Relation von Widerrechtlichkeit und Prozeßrecht21 zeigen, finden durch das Trennungsdenken keine Rechtfertigung. Querverbindungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht sind daher in diesen Bereichen möglich. V. Das geltende Recht kennt bei der Bewertung und den Rechtsfolgen des prozeßerheblichen Parteiverhaltens Wechselwirkungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht. Man kann von Rechtsverhältnissen zwischen Prozeßparteien sprechen, bei denen eine Wechselwirkung zwischen Zivil- und Prozeßrecht entweder die Kluft zwischen den Tatbestandsvoraussetzungen und den Rechtsfolgen beider Disziplinen überbrückt oder weitergehend die Bewertung des Parteiprozeßverhaltens beeinflußt22• Dabei lassen sich zivilrechtliehe Rechtsverhältnisse mit prozessualen Rechtsfolgen und prozeßrechtliche Rechtsverhältnisse unterscheiden. 1. Zivilrechtliche Rechtsverhältnisse können zu

prozessualen Rechtsfolgen führen, wenn sich vertragswidriges oder deliktisches Parteiverhalten auf den vom Streitgegenstand umrissenen prozessualen Bereich auswirkt. In diesen Fällen ist

11

18 1t

20 21 22

§ § § § §

2 B I 3 b (S. 52).

2 B II (S. 54).

2 B IV 1 (S. 57 ff.). 2 B IV 2 (S. 65 ff.). 2 B V (S. 71 ff.). Vgl. oben § 1 B II (S. 37).

Ergebnisse

333

wegen der Präjudizialität des Urteils über den Streitgegenstand das vertragswidrige oder deliktische Verhalten nicht im Wege des Schadensersatzes sanktionierbar. An dessen Stelle treten, soweit nicht zwingende Vorschriften des Prozeßrechts entgegenstehen, prozessuale Rechtsfolgen 23 • Nach diesem Grundsatz sind drei Fallgruppen zu lösen: a) Die Vornahme einer Parteiprozeßhandlung, die dem Zweck eines zivilrechtliehen Vertrags widerstreitet, ist grundsätzlich unzulässig. Sie ist nur zulässig, soweit zwingende Vorschriften des Prozeßrechts eine Parteidisposition über das Prozeßverhalten verbieten24• b) Die gesetzlichen Vorschriften über Beweisvereitelungen sind ergänzungsfähig. Der schuldhafte Verstoß gegen zivilrechtliehe Vertragspflichten oder Deliktsnormen, der den Beweis des Gegners vereitelt, führt zu einer Beweisregelung zu dessen Gunsten25, c) Der Beweisantritt mit einem Beweismittel, das die Prozeßpartei deliktisch erlangt hat, führt grundsätzlich zu einem Beweis- und Verwertungsverbot28 • 2. Prozessuale Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien, bei

denen Querverbindungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht nachweisbar sind, kommen nur vereinzelt vor. Dabei ist zwischen vorprozessualem Parteiverhalten, das nach den Maßstäben des materiellen Rechts zu prozessualen Sanktionen führt, und der Schadensersatzpflicht wegen der Verletzung prozessualer Parteipflichten zu trennen. a) Die Ausübung prozessualer Befugnisse kann nach den Maßstäben des materiellen Rechts durch einen außerprozessualen Vertrauenstatbestand gegenüber dem Prozeßgegner verwirkt werden27. b) Schuldhafte Verletzungen prozessualer Parteipflichten verursachen bei zwei Fallgruppen Schadensersatzansprüche der anderen Prozeßpartei. Grundlagen der Ersatzpflicht sind Pflichten aus Prozeßvereinbarungen, speziell aus solchen mit negativer Verfügungswirkung28, sowie die prozessuale 2s § 7 A (S. 176 ff.). § § 20 § 27 § 2s §

24 25

7 B I 2 a, b (S. 218 ff.). 7 B II (S. 227 ff.). 7 C (S. 242 ff.). 8 B II (S. 254 ff.). 8 C 111 1 a (S. 283).

Ergebnisse

334

Wahrheitspflicht. Diese verbietet nur die Prozeßlüge und begrenzt nach ihrem Normzweck die Ersatzpflicht auf Schäden aus Fehlurteilen, die bereits nach den §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB auszugleichen sind2D. VI. In einer Reihe von Fallstrukturen werden in Doktrin und Praxis Querverbindungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht im Ergebnis zu Unrecht gezogen. 1. Der Schutzzweck der prozessualen Parteipflichten ist prinzipiell nur auf den prozessualen Bereich gerichtet. Die Verletzung der im Gesetz angeführten Parteipflichten führt nicht zum Anspruch auf Ersatz von Schäden, die unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits entstanden und durch pflichtwidrige Parteiprozeßhandlungen verursacht sindso. Eine Haftung aus culpa in procedendo ist nicht anzuerkennen'1 •

2. Die schuldhafte Verletzung der Nebenpflicht eines zivilrechtliehen Vertrags und der Eingriff in die absolut geschützte Rechtssphäre des Prozeßgegners führen nach den Maßstäben des Zivilrechts zu den von diesem vorgesehenen Rechtsfolgen". a) Die im Prozeßrecht positivierten Parteipflichten enthalten im Hinblick auf die Folgeschäden der Prozeßführung keine abschließenden Verhaltensmaßstäbe für Parteiprozeßhandlungen11. b) Die Rechtsschutzgarantien gestatten keine vom materiellen Recht untersagte Schädigung des Prozeßgegners14 • c) Der prozessuale Zweck einer Parteiprozeßhandlung läßt sich beim Eingriff in die absolut geschützte Rechtssphäre des Prozeßgegners nur bei der Konkretisierung der vom Zivilrecht geforderten Sorgfaltsmaßstäbe berücksichtigen15• VII. Die Kritik des strikten Trennungsdenkens und der gleichzeitige Nachweis von Querverbindungen zwischen Zivil- und Prozeßrecht fordern an einigen weiteren Punkten eine Korrektur der Prozeßrechtssystematik. tv § 8 C III 1 b (S. 283 ff.).

ao § 8 § 8 u § 9 aa § 8 34 § 8 a5 § 9 S1

C C B C C B

III 1 b aa) (S. 283 ff.). I1I 1 b bb) (S. 288 ff.). (S. 299 ff.). III 2 (S. 290 ff.). III 2 b aa) /J) (S. 297 f.). (S. 299 ff.).

Ergebnisse

335

1. Die schroffe Unterscheidung zwischen Prozeßvereinbarungen mit Verfügungswirkung und zivilrechtliehen Verträgen über Parteiprozeßhandlungen mit Verpflichtungswirkung, denen partiell über die Brücke von Treu und Glauben dann doch prozessuale Wirkung zukommen soll, ist abzulehnen38• a) Prozeßvereinbarungen haben, soweit keine zwingenden Vorschriften des Prozeßrechts die Parteiautonomie begrenzen, stets eine Verfügungswirkung37• Von verpflichtenden Prozeßvereinbarungen läßt sich nur sprechen, wenn die Verfügungswirkung von einer Gegenleistung abhängen soll88• b) Der Zweck der prozessualen Normen kann prozessuale Wirkungen einer Prozeßvereinbarung verwehren, aber Schadensersatzansprüche wegen schuldhafter Verletzung der Prozeßvereinbarung zulassensa. c) Parteipflichten sind auch bei Prozeßvereinbarungen mit

negativer Verfügungswirkung anzuerkennen und können die Grundlage von Schadensersatzansprüchen bilden. Es gibt deshalb Prozeßvereinbarungen mit Doppelwirkung'0 • 2. Die Widerrechtlichkeit ist keine prozeßfremde Kategorie. Widerrechtliches Parteiprozeßverhalten bleibt im Rechtsstreit nur ohne Sanktion, wenn es den vom Streitgegenstand umrissenen prozessualen Bereich nicht tangiert und nach den Maßstäben des materiellen Rechts vollständig sanktionierbar ist. Die Widerrechtlichkeit des Parteiverhaltens, das auf den prozessualen Bereich einwirkt, ist dagegen im Rechtsstreit zu beachten und führt, soweit nicht zwingende Vorschriften des Prozeßrechts entgegenstehen, zu prozessualen Rechtsfolgen'1• 3. Die Anerkennung von zivilrechtliehen Rechtsverhältnissen mit prozessualen Rechtsfolgen und die notwendigen Korrekturen bei der Dogmatik der Prozeßvereinbarungen nehmen wichtige Fallgruppen aus dem überkommenen Anwendungsbereich von Treu und Glauben heraus. Der Grundsatz von Treu und Glauben ist im Zivilprozeßrecht nur bei der Verwirkung und beim Mißbrauch prozessualer Befugnisse bedeutsam'2 • Er bietet § § 38 § 3G § 40 § 4t § 42 § 36

187

I 1 a (S. 188 ff.). I 1 a aa) (S. 189 ff.). I 1 a aa) ß) (S. 192 ff.). I 1 a bb) (S. 198 ff.). I 1 a cc) (S. 209 ff.). (S. 176 ff.). 8 B (S. 252 ff.).

7 7 7 7 7 7

B B B B B A

Ergebnisse

336

keine Grundlage für eine allgemeine prozessuale Mitwirkungspflicht, mit der die gesetzlichen Wertungen überlagert werden könnten. Eine allgemeine prozessuale Mitwirkungspflicht der Prozeßparteien bei der Prozeßführung ist nicht anzuerkennen43 •

43

§ 7 B II 4 b aa) (S. 234 ff.)

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Hartung, Fritz: Anmerkung zu KG, NJW 1960, 2207, NJW 1961, 523. Iläsemeyer, Ludwig: Parteivereinbarungen über präjudizielle Rechtsverhält-

nisse - zur Fragwürdigkeit der Parteidisposition als Urteilsgrundlage, ZZP 85, (1972), 207. Hedemann, Justus Wilhelm: Die Flucht in die Generalklauseln, Eine Gefahr für Recht und Staat, Tübingen 1933. Hegler, August: Zum Aufbau der Systematik des Zivilprozeßrechts, Festgabe für Philipp Heck/Max Rümelin/Arthur Benno Schmidt, Tübingen 1931, s. 216. - Rezension von James Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage, Berlin 1925, GerS 93, (1926), 440. Helle, Ernst: Die Rechtswidrigkeit der ehrenrührigen Behauptung, NJW 1961, 1896. - Der Schutz der Persönlichkeit, der Ehre und des wirtschaftlichen Rufes im Privatrecht, (2. Aufl.), Tübingen 1969. Hellwig, Hans-Jürgen: Schadensersatzpflichten aus prozessualem Verhalten, NJW 1968, 1072. - Zur Systematik des zivilprozeßrechtlichen Vertrags, Bonner rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Band 78, Bonn 1968. Hellwig, Konrad: Anspruch und Klagrecht, Beiträge zum Bürgerlichen und

zum Prozeßrecht, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1924, Aalen 1967 (Zitierweise: Konrad Hellwig, Anspruch). - Klagrecht und Klagmöglichkeit, Eine Auseinandersetzung über die Grundfragen des heutigen Civilprozeßrechts, Leipzig 1905 (Zitierweise: Konrad Hellwig, Klagmöglichkeit). - Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 2. Band, Leipzig 1907 (Zitierweise: Konrad Hellwig, Lehrbuch II). - Prozeßhandlung und Rechtsgeschäft, Festgabe der Berliner Juristischen Fakultät für Otto Gierke, Zweiter Band, Neudruck der Ausgabe Breslau 1910, Frankfurt am Main 1969, S. 41. - System des deutschen Zivilprozeßrechts, In 2 Teilen, Teil 1: Ordentliches Verfahren, ausschließlich besondere Prozeßarten und Zwangsvollstrekkung, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1912, Aalen 1968 (Zitierweise: Konrad Hellwig, System 1). Henckel, Wolfram: Anmerkung zu BGH JZ 1973, 32 in JZ 1973, 32. - Vom Gerechtigkeitswert verfahrensrechtlicher Normen, Rektoratsrede, Göttinger Universitätsreden 49, Göttingen 1966 (Zitierweise: Henckel, Gerechtigkeitswert). - Parteilehre und Streitgegenstand im Zivilprozeß, Heidelberg 1961 (Zitierweise: Henckel, Parteilehre). - Prozeßrecht und materielles Recht, Göttinger rechtswissenschaftliche Studien, Band 78, Göttingen 1970 (Zitierweise: Henckel, Prozeßrecht).

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Henkel, Heinrich: Strafverfahrensrecht, Ein Lehrbuch, (2. Aufl.), Stuttgart,

Berlin, Köln, Mainz 1968.

Henrich, Dieter: Vorvertrag, Optionsvertrag, Vorrechtsvertrag, Eine dogma-

tisch-systematische Untersuchung der vertraglichen Bindungen vor und zu einem Vertragsschluß, Berlin, Tübingen 1965. Hillermeier, H.: Klage auf Rücknahme einer verwaltungsgerichtlichen Klage?, DVBl. 1967, 19. von Hippel, Fritz: Zur modernen konstruktiven Epoche der "deutschen Prozeßrechtswissenschaft", Gedanken zu Werner Nieses "Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen", Ein Beitrag zur allgemeinen Prozeßrechtslehre, ZZP 65, (1952), 424. - Wahrheitspflicht und Aufklärungspflicht der Parteien im Zivilprozeß, Beiträge zum natürlichen Aufbau des Prozeßrechts und zur Erforschung der Rechtstheorie des 19. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1939. Holzhammer, Richard: Parteienhäufung und einheitliche Streitpartei, Wien, New York 1966. Hopt, Klaus: Schadensersatz aus unberechtigter Verfahrenseinleitung, Eine rechtsvergleichende Untersuchung zum Schutz gegen unberechtigte Inanspruchnahme staatlicher Verfahren, Münchener Universitätsschriften, Reihe der juristischen Fakultät, Band 7, München 1968. Hueck, Alfred: Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, (4. Aufl.), Berlin, New York 1971. Jahr, Günther: Die Einrede des bürgerlicheil Rechts, JuS 1964, 125, 218, 291. Jauernig, Othmar: Materielles Recht und Prozeßrecht, JuS 1971, 329. - Das fehlerhafte Zivilurteil, Frankfurt 1958 (Zitierweise: Jauernig, Zivilurteil). Kellner, Hans: Verwendung rechtswidrig erlangter Briefe als Beweisurkunden in Ehesachen, JR 1950, 270. Kempf, Ludwig: Zur Problematik des Musterprozesses, ZZP 73, (1960), 342. Kern, Eduard/Roxin, Claus: Strafverfahrensrecht, Ein Studienbuch, (12. Aufl.), München 1974. Kisch, Wilhelm: Rezension von Oskar Bülow, Das Geständnisrecht, Ein Beitrag zur allgemeinen Theorie der Rechtshandlungen, Freiburg, Leipzig, Tübingen 1899, Gött. gel. Anz. 1901, 206. Klein, Franz: Die schuldhafte Parteihandlung, Eine Untersuchung aus dem Civilprozeßrechte, Wien 1885. Kleinfeller: Rezension von Robert Neuner, Privatrecht und Prozeßrecht, Mannheim 1925, AcP 126, (1926), 345. Kleinknecht, Theodor: Die Beweisverbote im Strafprozeß, NJW 1966, 1536. Kahler, Josef: Der Prozeß als Rechtsverhältnis, Prolegomena zu einem System des Civilprozesses, Mannheim 1888. Kohlhaas, Max: Beweisverbote im Strafprozeß, DRiZ 1966, 286. Kollhosser, Helmut: Zur Stellung und zum Begriff der Verfahrensbeteiligten im Erkenntnisverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, zugleich ein Beitrag zum Allgemeinen Verfahrensrecht, München 1970. Konzen, Horst: Aufopferung im Zivilrecht, Beitrag zu den Lehren vom bürgerlich-rechtlichen und arbeitsrechtlichen Aufopferungsanspruch, Schriften zum Bürgerlichen Recht, Band 1, Berlin 1969.

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Kropff, Bruno: Aktiengesetz, Textausgabe des Aktiengesetzes vom 6. 9. 1965

(BGBI. I, S. 1089) mit Begründung des Regierungsentwurfs, Bericht des Rechtsausschusses, 1965. Kuttner, Georg: Die privatrechtliehen Nebenwirkungen der Zivilurteile, Abhandlungen zum Privatrecht und Zivilprozen des Deutschen Reiches, 16. Band, 2. Heft, München 1908. Lang/Weidmüller: Genossenschaftsgesetz, Kommentar, (30. Auf!.), Berlin, New York 1974. Larenz, Kar!: Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, (3. Auf!.), München 1975 (Zitierweise: Larenz, Allg. T.). - Lehrbuch des Schuldrechts, Zweiter Band, Besonderer Teil, (10. Auf!.), München 1972 (Zitierweise: Larenz, Schuldrecht II). - Methodenlehre der Rechtswissenschaft, (3. Auf!.), Berlin, Heidelberg, New York 1975. - Die Prinzipien der Schadenszurechnung, JuS 1965, 373. - Rechtswidrigkeit und Handlungsbegriff im Zivilrecht, Vom deutschen zum europäischen Recht, Festschrift für Hans Dölle, Band I, Tübingen 1963, s. 169. Lenckner, Theodor: Aussagepflicht, Schweigepflicht und Zeugnisverweigerungsrecht, NJW 1965, 321. - Die Rechtfertigungsgründe und das Erfordernis pflichtgemäßer Prüfung, Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft, Festschrift für Hellmut Mayer zum 70. Geburtstag, Berhn 1966, S. 165. Lerche, Peter: Zum "Anspruch auf rechtliches Gehör", ZZP 78, (1965), 1. Lent, Friedrich: Zur Unterscheidung von Lasten und Pflichten der Parteien im Zivilprozeß, ZZP 67, (1954), 344. Lent, Friedrich/Jauernig, Othmar: Zivilprozeßrecht, Ein Studienbuch, (17. Auf!.), München 1974 (Zitierweise: Lent/Jauernig, Zivilprozeßrecht). - Zwangsvollstreckungs- und Konkursrecht, Ein Studienbuch, (13. Auf!.), München 1975 (Zitierweise: Lent/Jauernig, Zwangsvollstreckungsrecht). Lichtenstein, E./Körner, E.: Wettbewerbsverstöße und Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO, GRUR 1966, 243. Lindenmaier, Fritz: Anm. zu BGH LM Nr. 10 zu § 13 PatG. Löwe/Rosenberg: Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz mit Nebengesetzen, Großkommentar, Erster Band, (21. Auf!.), Berlin 1963 (Zitierweise: Löwe/Rosenberg-Bearbeiter). Luhmann, Niklas: Legitimation durch Verfahren, Neuwied und Berlin 1969. Maetzel: Beweisverbote zwecks Geheimniswahrung, DVBl. 1966, 665. May, Erich: Das verkehrsrichtige Verhalten als Rechtfertigungsgrund, NJW 1958, 1262. Mes, Peter: Der Rechtsschutzanspruch, Prozenrechtliche Abhandlungen, Heft 28, Köln, Berlin, Bonn, München 1970. Meyer, Emil Heinrich!Meutenbergh, Gottfried: Genossenschaftsgesetz (11. Aufl.), München 1970. Michel: Die negatorische Ehrenschutzklage gegen den Rechtsanwalt als Prozeßbevollmächtigten, MDR 1959, 709. Nakano, Teiichiro: Das Prozeßrechtsverhältnis, ZZP 79, (1966), 99.

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Neuner, Robert: Privatrecht und Prozeßrecht, Beiträge zum Zivilprozeß, 3.

Heft- Mannheim, Berlin, Leipzig 1925.

Niese, Werner: Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, Ein Beitrag zur allge-

meinen Prozeßrechtslehre, Göttingen 1950 (Zitierweise: Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen). - Narkoanalyse als doppelfunktionelle Prozeßhandlung, ZStrW 63, (1951), 199. Niese, Werner: Prozeßhandlungen und Verträge über Prozeßhandlungen, Diss. Jena 1931 (Zitierweise: Niese, Prozeßhandlungen). Nikisch, Arthur: Zivilprozeßrecht, (2. Aufl.), Tübingen 1952. Nüse, Harl-Heinz: Zu den Beweisverboten im Strafprozeß, JR 1966, 281. von Olshausen, Henning: Beurteilungsspielraum der Verwaltung und Rationalität der Rechtsanwendung, BVerwGE 39, 197, JuS 1973, 217. Pastor, Wilhelm L.: Der Wettbewerbsprozeß, Einstweilige Verfügung und Unterlassungsklage, Systematische Darstellung für die Praxis, (2. Aufl.), München 1973. Pawlowski, Hans-Martin: Aufgabe des Zivilprozesses, ZZP 80, (1967), 345. - Die .,Berühmung" als unerlaubte Handlung, Bemerkungen zum Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO), BB 1965, 849. Pecher, Hans Peter: Die Schadensersatzansprüche aus ungerechtfertigter Vollstreckung, Schriften zum Prozeßrecht, Band 8, Berlin 1967. Peters, Egbert: Ausforschungsbeweis im Zivilprozeß, Beiträge zum Zivilrecht und Zivilprozeß, Heft 16, Köln und Berlin 1966 (Zitierweise: Egbert Peters, Ausforschungsbeweis). - Beweisvereitelung und Mitwirkungspflicht des Beweisgegners, ZZP 82, (1969), 200. - Zur Rechtskraftlehre Zeuners, ZZP 76, (1963), 229. - Die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise und Beweismittel im Zivilprozeß, ZZP 76, (1963), 145. Peters, Karl: Beweisverbote im deutschen Strafverfahren, Gutachten für den 46. Deutschen Juristentag, Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentags, Band I, Teil3 A, München und Berlin 1966, S. 93 (Zitierweise: Karl Peters, Beweisverbote). - Strafprozeß, Ein Lehrbuch, (2. Aufl.), Karlsruhe 1966 (Zitierweise: Karl Peters, Strafprozeß). Pleyer, Klemens: Schallaufnahmen als Beweismittel im Zivilprozeß, ZZP 69, (1956), 321. Pohle, Rudolf: Rezension von Werner Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, Ein Beitrag zur allgemeinen Prozeßrechtslehre, Göttingen 1950, MDR 1951, 702. - Zur Lehre vom Rechtsschutzbedürfnis, Festschrift für Friedrich Lent zum 75. Geburtstag, München und Berlin 1957, S. 195. Prölss, Jürgen: Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozeß, Beiträge zum Privat- und Wirtschaftsrecht, Heft 7, Karlsruhe 1966. Pühmeyer, Burkhard: Der materiellrechtliche und der prozessuale Kostenerstattungsanspruch, Diss. Bochum 1971. Rasehorn, Theo: Über den langen Marsch des kritischen Denkens durch die Institutionen der Justiz, Justizreform, herausgegeben von Rudolf Wassermann, Neuwied und Berlin 1970 (Zitierweise: Rasehorn, Justizreform).

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Rasehorn, Theo: Rechtsfindung und Gerichtspraxis, NJW 1972, 81. Riezler, Erwin: Berufung auf eigenes Unrecht, Ihering Jb 89, (1941), 177. Rimmelspacher, Bruno: Materiellrechtlicher Anspruch und Streitgegenstandsprobleme im Zivilprozeß, Göttinger rechtswissenschaftliche Studien, Band 79, Göttingen 1970 (Zitierweise: Rimmelspacher, Anspruch). - Zur Prüfung von Amts wegen im Zivilprozeß, Göttinger rechtswissenschaftliche Studien, Band 59, Göttingen 1966 (Zitierweise: Rimmelspacher, Amtsprüfung). Rosenberg, Leo: Die Beweislast, Auf der Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuchs und der Zivilprozeßordnung, (5. Aufl.), München und Berlin 1965 (Zitierweise: Rosenberg, Beweislast). - Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, (3. Aufl.), Berlin 1931 (Zitierweise: Rosenberg, Lehrbuch, [3. Aufl.]). - Nachtrag nach dem Stand vom 1. Januar 1934 zum Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, (3. Aufl.), München und Berlin 1934 (Zitierweise: Rosenberg, Nachtrag). - Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, (5. Aufl.), München und Berlin 1951 (Zitierweise: Rosenberg, Lehrbuch, [5. Aufl.]). - Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, (9. Aufl.), München und Berlin 1961 (Zitierweise: Rosenberg, Lehrbuch, [9. Aufl.]). Rosenberg, Leo!Schwab, Karl Heinz: Zivilprozeßrecht, (11. Aufl.), München 1974. Roth, Alfons: Die prozessuale Verwendbarkeit rechtswidrig erlangter Beweisurkunden, Eine Entgegnung, JR 1950, 715. Rümelin, Max: Rezension von James Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage, Berlin 1925, AcP 126, (1926), 111. Rupp, Hans Heinrich: Beweisverbote im Strafprozeß in verfassungsrechtlicher Sicht, Gutachten für den 46. Deutschen Juristentag, Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentags, Band I, Teil 3 A, München und Berlin 1966, S. 165 (Zitierweise: Rupp, Beweisverbote). - Die Bindung des Richters an das Gesetz, Zur Theorie und Praxis der Rechtsanwendung, NJW 1973, 1769. Säcker, Franz-Jürgen: Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, Rechtsquellen- und interpretationstheoretische Bemerkungen zur legislativen und judikativen Konkretisierung des Art. 9 Abs. 3 GG, Düsseldorf 1969. -- Die Unbeachtlichkeit der Klagerücknahme durch einen eigentlich notwendigen Streitgenossen als Anwendungsfall der "exceptio doli" im Prozeßrecht, JZ 1967, 51. Sauer, Wilhelm: Allgemeine Prozeßrechtslehre, Zugleich eine systematische Schulung der Zivilistischen und kriminalistischen Praxis, Berlin, Detmold, Köln, München 1951 (Zitierweise: Sauer, Prozeßrechtslehre). - Grundlagen des Prozeßrechts, (2. Aufl.), Stuttgart 1929, Neudruck Aalen 1970 (Zitierweise: Sauer, Grundlagen). von Savigny, Friedrich Karl: System des heutigen Römischen Rechts, 5. Band, Berlin 1841, 6. Band, Berlin 1847 (Zitierweise: Savigny, System V bzw. VI). Sax, Walter: Das unrichtige Sachurteil als Zentralproblem der allgemeinen Prozeßrechtslehre, Ein Beitrag zur allgemeinprozessualen Methodik, ZZP 67, (1954), 21.

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Sax, Walter: Über die Zulässigkeit der prozessualen Verwertung privater

Tagebuchaufzeichnungen als Beweismittel, Ein Beitrag zur Bestimmung der "Verletzung" des Rechts auf freie Persönlichkeitsentfaltung nach Art. 2 I GG, JZ 1965, 1. Schiedermaier, Gerhard: Vereinbarungen im Zivilprozeß, Bonner rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Heft 33, Bonn 1935. Schippel, Helmut: Die Berechtigung zur Erhebung der Nichtigkeitsklage im Patentrecht und ihre Beschränkung durch Lizenzverträge, GRUR 1955,322. Schlegelberger, Franz/Geßler, Ernst: Handelsgesetzbuch, 2. Band, §§ 105-342, (4. Aufl.), Berlin und Frankfurt a. M. 1963. Schlichting, Erich: Unterlassung und Widerruf von Prozeßbehauptungen, SchlHA 1966, 102. Schlosser, Peter: Einverständliches Parteihandeln im Zivilprozeß, Tübingen 1968 (Zitierweise: Schlosser, Parteihandeln). - Gestaltungsklagen und Gestaltungsurteile, Schriften zum deutschen und europäischen Zivil-, Handels und Prozeßrecht, Band 39, Bielefeld 1966 (Zitierweise: Schlosser, Gestaltungsklagen). - Selbständige peremptorische Einrede und Gestaltungsrecht im deutschen Zivilrecht, JuS 1966, 257. - Urteilswirkungen und rechtliches Gehör, JZ 1967, 431. Schmid, Werner: Die "Verwirkung" von Verfahrensrügen im Strafprozeßrecht, Juristische Abhandlungen, Band V, Frankfurt/Main 1967. Schmidt, Eberhard: Der Arzt im Strafrecht, Leipziger rechtswissenschaftliehe Studien, Heft 116, Leipzig 1939 (Zitierweise: Eberhard Schmidt, Arzt im Strafrecht). - Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, Teil I, Die rechtstheoretischen und die rechtspolitischen Grundlagen des Strafverfahrensrechts, (2. Aufl.), Göttingen 1954 (Zitierweise: Eberhard Schmidt, Lehrkommentar I). - Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, Teil II, Erläuterungen zur Strafprozeßordnung und zum Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung, Göttingen 1957 (Zitierweise: Eberhard Schmidt, Lehrkommentar Il). -- Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, Nachträge und Ergänzungen zu Teil II (Strafprozeßordnung), Nachtragsband I, Göttingen 1967 (Zitierweise: Eberhard Schmidt, Nachträge). Schmidt, Eike: Wahrnehmung berechtigter Interessen ein Rechtfertigungsgrund?, JZ 1970, 8. Schmidt, Reimer: Die Obliegenheiten, Studien auf dem Gebiet des Rechtszwanges im Zivilrecht unter besonderer Berücksichtigung des Privatversicherungsrechts, Karlsruhe 1953. Schneider, Egon: Die Beweisvereitelung, MDR 1969, 4. - Rezension von Walter Zeiss, Die arglistige Prozeßpartei, Berlin 1967, MDR 1968, 711. Schneider, Herbert: Der Vertrauensschutz im deutschen Zivilprozeß, Festschrift für Hans Schima zum 75. Geburtstag, Wien 1969, S. 367. Schneider, Peter: In dubio pro libertate, Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des deutschen Juristentages, Band II, Karlsruhe 1960, S. 263 (Zitierweise: Peter Schneider, DJT-Festschrift Il).

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Schänke, Adolf: Das Rechtsschutzbedürfnis, Studien zu einem zivilprozes-

sualen Grundbegriff, Prozeßrechtliche Abhandlungen, Heft 17, Detmold, Frankfurt am Main, Berlin 1950 (Zitierweite: Schänke, Rechtsschutzbedürfnis). Schänke, Adolf!Baur, Fritz: Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, Ein Lehrbuch, (9. Aufl.), Karlsruhe 1974. Schänke, Adolf!Kuchinke, Kurt: Zivilprozeßrecht, (9. Aufl.), Karlsruhe 1969. Schänke, Adolf!Schräder, Horst: Strafgesetzbuch, Kommentar, (17. Aufl.), München 1974. Schänke, Adolf!Schräder, Horst/Niese, Werner: Lehrbuch des Zivilprozeßrechts, (8. Aufl.), Karlsruhe 1956. Schräder, Jochen: Unredliche Prozeßführung und Schadensersatz, JZ 1965, 310. Schultze, August S.: Privatrecht und Process in ihrer Wechselbeziehung, Grundlinien einer geschichtlichen Auffassung des heutigen Civilprozessrechts, Tübingen 1883. Schwab, Karl Heinz: Zur Wiederbelebung des Rechtsschutzanspruchs, ZZP 81, (1968), 412. Schwerdtner, Peter: Wie politisch ist das Recht?, ZRP 1969, 136. - Rechtswissenschaft und kritischer Rationalismus, Rechtstheorie 1971 (2. Band), 67, 224. Siebert, Wolfgang: Verwirkung und Unzulässigkelt der Rechtsausübung, Ein rechtsvergleichender Beitrag zur Lehre von den Schranken der privaten Rechte und zur exceptio doll (§§ 226, 242, 826 BGB), unter besonderer Berücksichtigung des gewerblichen Rechtsschutzes, Marburg 1934. Siegert, Karl: Die Prozeßhandlung, ihr Widerruf und ihre Nachholung, Ein Beitrag zu den Lehren des allgemeinen Prozeßrechts unter besonderer Berücksichtigung des Reichsstrafprozeßrechts, Berlin 1929. - Die außergerichtlichen Tonbandaufnahmen und ihre Verwertung im Zivilprozeß, NJW 1957, 689. Simshäuser, Wilhelm: Zur Entwicklung des Verhältnisses von materiellem Recht und Prozeßrecht seit Savigny, Eine Untersuchung am Beispiel rechtsfremder Klagen, Schriften zum deutschen und europäischen Zivil-, Handels- und Prozeßrecht, Band 32, Bielefeld 1965. Soergel, Theodor/Siebert, Wolfgang: Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Band 2, Schuldrecht I, (10. Aufl.), Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1967 (Zitierweise: Soergel/Siebert-[Bearbeiter]). -Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Band III, Schuldrecht II, (10. Aufl.), Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1969 (Zitierweise: Soergel/Siebert-[Bearbeiter]). - Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Band IV, Sachenrecht, (10. Aufl.), Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1969 (Zitierweise SteinJJonas-[Bearbeiter]). Spendet, Günter: Beweisverbote im Strafprozeß, NJW 1966, 1102. Staudinger, Julius: Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, li. Band, Teil 1 b, § 242 BGB, (11. Aufl.), Berlin 1961 (Zitierweise: Staudinger/Weber). Stein, Friedrich: Grundfragen der Zwangsvollstreckung, Tübingen 1913.

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Stein, Friedrich!Jonas, Martin: Kommentar zur Zivilprozeßordnung, Band I

(19. Aufl.), bearbeitet von Rudolf Fohle u. a., Tübingen seit 1964, (Zitierweise Stein/Jonas-[Bearbeiter]). Stoll, Hans: Zum Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens, JZ 1958, 137. Sturm, Fritz: Rezension von Klaus Hopt, Schadensersatz aus unberechtigter Verfahrenseinleitung, München 1968, JR 1972, 43. Thomas, Heinz/Putzo, Hans: Zivilprozeßordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und den Einführungsgesetzen, (7. Aufl.), München 1974. Titze, Heinrich: Die Wahrheitspflicht im Zivilprozeß, Beiträge zum Recht des neuen Deutschland, Festschrift für Franz Schlegelherger zum 60. Geburtstag, Berlin 1936, S. 165. Viehweg, Theodor: Topik und Jurisprudenz, Ein Beitrag zur rechtswissenschaftliehen Grundlagenforschung, (4. Aufl.), München 1969. Wach, Adolf: Defensionspfticht und Klagerecht, GrünhutsZ VI, 515. - Der Feststellungsanspruch, Ein Beitrag zur Lehre vom Rechtsschutzanspruch, Festgabe der Leipziger Juristenfakultät zum 22. Dezember 1888 (Sonderdruck) (Zitierweise: Wach, Feststellungsanspruch). - Handbuch des Deutschen Civilprozeßrechts, Erster Band, Leipzig 1885 (Zitierweise: Wach, Handbuch). - Präclusion und Contumaz, GrünhutsZ VII, 130. - Der Rechtsschutzanspruch, ZZP 32, (1904), 1. Weber, Friedrich: Zur Methodik des Prozeßrechts, Stud.gen. 1960, 183. Weigelt: Stellt § 138 Abs. 1 der neuen ZPO ein Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB dar?, DJZ 1934, 533. Weitnauer, Hermann: Anmerkung zu BGH JZ 1962, 486 in JZ 1962, 489. - Schadensersatz aus unberechtigter Verfahrenseinleitung, AcP 170, (1970), 437. Westermann, Harry: Der Anspruch auf Rücknahme ehrenkränkender, in Wahrnehmung berechtigter Interessen aufgestellter Behauptungen, JZ 1960, 692. Wetzell, Georg Wilhelm: System des ordentlichen Civilprozesses, (1. Aufl.), Leipzig 1854. Wieacker, Franz: Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, Tübingen 1956. Wieczorek, Bernhard: Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, aufgrund der Rechtsprechung kommentiert, Band II, Teil 2, Berlin 1957. Wiedemann, Herbert: Rationalisierungsschutz, Tarifmacht und Gemeinsame Einrichtung, RdA 1968, 420. Wieser, Eberhard: Das Rechtsschutzinteresse des Klägers im Zivilprozeß, Schriften zum deutschen und europäischen Zivil-, Handels- und Prozeßrecht, Band 63, Bielefeld 1971. Wiethölter, Rudolf: Recht und Politik, Bemerkungen zu Peter Schwerdtners Kritik, ZRP 1969, 155. - Rechtswissenschaft, Frankfurt a. M., Harnburg 1968. Wilhelm, Walter: Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert, Die Herkunft der Methode Paul Labands aus der Privatrechtswissenschaft, Frankfurt 1958.

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Windscheid, Bernhard: Die Actio des römischen Zivilrechts vom Standpunkt

des heutigen Rechts, Düsseldorf 1856, in Bernhard Windscheid/Theodor Muther, Die Actio des römischen Zivilrechts, Neudruckausgabe in einem Band, Aalen 1969 (Zitierweise: Windscheid, Actio). -Die Actio, Abwehr gegen Dr. Theodor Muther, Düsseldorf 1857, in Bernhard Windscheid/Theodor Muther, Die Actio des römischen Zivilrechts, Neudruckausgabe in einem Band, Aalen 1969 (Zitierweise: Windscheid, Abwehr). Wolf, Manfred: Das Anerkenntnis im Prozeßrecht, Bad Homburg, Berlin, Zürich 1969. Zeiss, Walter: Die arglistige Prozeßpartei, Beiträge zur rechtstheoretischen Präzisierung eines Verbotes arglistigen Verhaltens im Erkenntnisverfahren des Zivilprozesses, Berlin 1967 (Zitierweise: Zeiss, Prozeßpartei). - Restitutionsklage und Klage aus § 826 BGB - BGHZ 50, 115, JuS 1969, 362. - Rezension von Klaus Hopt, Schadensersatz aus unberechtigter Verfahrenseinleitung, München 1968, JZ 1970, 198. - Schadensersatzpflichten aus prozessualem Verhalten, NJW 1967, 703. - Zivilprozeßrecht, Tübingen 1971 (Zitierweise: Zeiss: Zivilprozeßrecht). Zeuner, Albrecht: Der Anspruch auf rechtliches Gehör, Festschrift für Hans Carl Nipperdey zum 70. Geburtstag, Band I, München und Berlin 1965, s. 1013. - Gedanken zur Unterlassungs- und negativen Feststellungsklage, Vom deutschen zum europäischen Recht, Festschrift für Hans Dölle, Band I, Tübingen 1963, S. 295. - Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Rahmen rechtlicher Sinnzusammenhänge, Zur Lehre über das Verhältnis von Rechtskraft und Entscheidungsgründen im Zivilprozeß, Tübingen 1959. Zippelius, Reinhold: Erfolgsunrecht oder Handlungsunrecht?, NJW 1957, 1707. - Legitimation durch Verfahren?, Festschrift für Karl Larenz zum 70. Geburtstag, München 1973.

Sachverzeichnis Die Ziffern verweisen auf die Seitenzahlen actio Anspruch und 19, 41, 105 ff. Allgemeine Prozeßrechtslehre 20, 137 Allgemeiner Rechtsgedanke 44, 70, 80, 82, 84, 94, 176, 188, 237 Allgemeines Rechtsprinzip 138 Anerkenntnis 111, 125 - urteil 221 Anfechtung - von Prozeßvereinbarungen 216 f. Anfechtungsklage - im Genossenschaftsrecht 166 ff. Anmaßung - absoluter Rechte 323 ff. Arglist prozessuale- 22, 97, 231, 252 ff. Aufopferungshaftung 157 Augenscheinsbeweise 233 f. Aussage-pflicht 148 -verbot 149 f. -verweigerungsrecht 121, 139, 148 ff., 245, 247 Ausschließungsklage 29 Ausschlußfrist 256 Aussicht prozessuale 115 Außenwirkung s. Parteipflichten Begriffsjurisprudenz 100, 107 f., 210 Beiladung - im Zivilprozeß 226 f. Beschlagnahme 125, 132, 141 ff., 147 Beschwer 44, 90, 255, 269 Bestreiten - absoluter Rechte 301, 323 ff. Betrachtungsweise dynamische - des Prozeßrechts 20, 62, 73 f., 93 f., 97, 114 ff. monistische 46 statische- des materiellen Rechts 20, 61, 73 f., 114 ff.

Beweislastumkehr 25, 34, 88, 231 Beweismittel widerrechtlich erlangte 21 ff., 34, 75, 79, 82, 97, 138, 146, 152, 179 ff., 242 ff. Beweismittelvertrag 26, 30, 34, 40, 68, 194, 198, 209, 215 Beweisregelung 145 Beweisverbot - und Verwertungsverbot 25, 30, 34, 81, 151, 179, 245 ff. - im Strafprozeß 139 ff. Beweisvereitelung 21, 25, 30 ff., 80 ff., 176, 228 ff. Beweiswürdigung 25, 34, 88, 231 Bewirkungshandlung 143 f. Contumaziallehre 59 f. culpa in procedendo 104, 112, 275, 288 ff. Deliktshaftung - aus Prozeßhandlungen 300, 322 ff. Dispositionsmaxime 191 Doppelfunktion pathologische 125 ff., 148 - eines Rechtssatzes 51, 122 - des Urteils 124, 154 ff. Doppelfunktionelle Betrachtungsweise 78 f., 97, 121 ff., 131 ff., 133 f., 277 - bei doppelfunktionellen Prozeßhandlungen 131 ff. - bei sonstigen Prozeßhandlungen 133 f. Doppelfunktionelle Prozeßhandlung 20, 51 ff., 76 ff., 93 f., 97, 121 ff., 178, 202, 300 . Doppelnatur - des Prozeßvergleichs 55, 67, 129, 186

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Doppeltatbestand - der Gestaltungsgeschäfte im Prozeß 54 Doppelwirkung innerprozessuale - von Prozeßhandlungen 111, 144 f. Drittwiderspruchsklage 163, 290 Durchsuchung 125, 132, 141 ff. Ehenichtigkeitsklage 273 Eingriffshaftung 157 Einheitslasttheorie 61 f., 118 ff. Einlassungspflicht 59 f. Einrede prozessuale 66, 189, 200, 226 f. Erfolgsunrecht 278, 293, 307, 312 ff. Erfüllungsanspruch (-klage) - aus Prozeßvereinbarungen 199 Erscheinenspflicht 61 f., 119, 282, 284 Erwirkungshandlung 115 f., 143 f., 255 Fehlurteil 114 ff., 153 ff. Feststellungsklage negative 279, 287, 291, 309, 324 Gefährdungshaftung 157, 297 Gerichtsvollzieher 157 f. Geschäftsfähigkeit 216 f. Gesetzesumgehung 238, 253 Geständnis 111, 256, 284 Gestaltungs-geschäfte im Prozeß 54, 125 -klage 39, 259 f., 266 f. -recht 263, 266 f. -urteil 182, 218, 222 Herausgabezwang 125, 132 Historische Rechtsschule 106 Identität - des prozessualen Anspruchs 212 J ustizgewährungsanspruch 260, 263 f., 297

Klage -änderung 256 -möglichkeit 260 -recht 19, 105, 260, 277 f., 297 -rechtsbegriffe 33, 109

-rücknahme des Streitgenossen 184, 222 -rücknahmevertrag 70, 195 f., 202, 215, 264 -Verwirkung 257 ff. vertraglicher -verzieht 261 ff., 280 Konkursantrag 164, 276 f., 283, 291 Kontradiktorisches Gegenteil 212 Konventionalprozeß 65, 190 Kosten notwendige 206 ff. -erstattungsanspruch 206 ff., 268 -erstattungspflicht 206 ff. -festsetzungsbeschluß 206 ff. Last s. Parteilast Litiscontestation 109 Methodik prozessuale 99 Mitwirkungspflicht - der Prozeßpartei 44, 63, 84, 88, 94, 174, 232 ff., 282 Mißbrauch - prozessualer Befugnisse 90, 238, 252, 270 ff., 279 f., 286, 298, 327 Möglichkeit prozessuale 115 Musterprozeß 200, 203 Naturalobligation 264 Nebenwirkung materiell-rechtliche - einer Prozeßhandlung 40, 51, 54 Negatorischer Rechtsschutz 276, 290, 300, 302, 313 f., 316 ff. Notwehr 312 f. Obliegenheit 57 Parteilast 57, 59, 76, 115 ff., 194 Parteipflichten im Zivilprozeß 21, 40, 57 ff., 91, gesetzliche 194, 236, 251 gewillkürte 21, 40, 65, 91, 94, 211, 236, 250 Außenwirkung von 251, 273 ff. - als Haftungsgrenze 276 ff., 290 ff. - als materielle Schutzordnung 275, 279, 283 ff.

Sachverzeichnis Parteiprozeßhandlung - und außerprozessuales Parteiverhalten 53f., 174 Parteivernehmung 235, 245 Parteivortrag ehrverletzender 32 ff., 90 ff., 130, 136, 177, 200 ff., 300 ff., 316 ff. Patentnichtigkeitsklage 24 ff., 36 ff., 81 ff., 176, 183 ff., 218, 251, 267, 273 Pflicht - zur Duldung von Untersuchungen 62, 282, 284 - zur redlichen Prozeßführung 27, 31, 34, 63, 236 ff., 273, 279, 284 ff. - zur Vorlage von Urkunden 63, 282 Popular-gestaltungsklage 263 -klagebefugnis 83, 267, 273 Präclusionsprinzip 60 Präjudizialität 134, 179, 204, 212, 244 Privatautonomie 190 ff. Privilegierung - des Prozeßverhaltens im Zivilrecht 21, 32 ff., 40 ff., 75, 153, 221, 263, 281, 291, 296 ff., 308 ff. Prorogationsvertrag 65, 66, 203, 217 Prozeß - als Rechtsausübung 250 ff. - als Rechtslage 20, 62, 113 ff. Prozeßbetrug 43, 64, 245, 288 Prozeßförderungspflicht 44, 63, 84, 94, 236, 239 Prozeßführungsbefugnis 48, 224 Prozeßrecht Abgrenzung von - und Zivilrecht 33, 44, 50, 174 Wechselwirkungen zwischenund Zivilrecht 21 ff., 33 ff., 44, 48, 50, 55 ff., 71, 83 f., 91 ff., 119 Zweckbeziehung zwischen - und Zivilrecht 45 Prozeßrechtsverhältnis 19 f., 55, 93 f., 97, 104 ff., 275, 289 f. Prozeßstrafe 59 Prozeßvereinbarungen verpflichtende 21, 81, 123 f., 185 ff., 250, 282 - mit Doppelwirkung 193, 199, 209 ff., 217, 250 - mit prozessualen Rechtsfolgen 189 ff.

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-mit Verfügungswirkung 42, 66, 91 ff., 185 ff., 282 - mit zivilrechtliehen Wirkungen 198 f!. Wirksamkeitsvoraussetzungen bei- 216 Zulässigkeit von 188 ff. Prozeßvergleich 54 f., 67, 78, 126, 129, 186, 200, 203 Prozeßverschleppung 58, 81, 214, 244, 284, 286 ff. Prozeßvoraussetzungen 109 Prozeßzweck 46, 58, 99 Rahmenrechte 310 ff., 322 ff. Recht - am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb 75, 120, 168, 205, 274 ff., 300, 308 ff. Rechtfertigungsgrund - der gerichtlichen Inanspruchnahme 32, 36, 52, 75, 84, 92 ff., 164, 174, 220, 276, 296 f., 305 - des verkehrsrichtigen Verhaltens 93, 293 ff. Rechtsdogmatik Sinnwandel der 96 Rechtskraft formelle und materielle 100, 155, 180, 187, 204 objektive - und materiell-rechtliche Sinnzusammenhänge 212 ff. subjektive Grenzen der 181 - des Gestaltungsurteils 182, 218, 222 - des Kostenfestsetzungsbeschlusses 208 Rechtskraftdurchbrechung 71, 243, 277 Rechtskrafttheorien 155 Rechtslage 62, 115 ff., s. auch Prozeß Rechtsmißbrauch objektiver 271 ff. subjektiver 271 ff., 284 Rechtsmittelverzicht 66, 69, 189, 193 Rechtsnorm dispositive und freistellende 191 - als Verhaltens- und Streitentscheidungsnorm 97, 114 ff. Rechtsprinzipien Umschlag von- in Rechtssätze 83

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Rechtsschutzanspruch 109, 260, 262 f. Rechtsschutzinteresse 42, 84 f., 90 ff., 174, 200 f., 269 ff., 280, 283, 302 Rechtsverhältnisse - zwischen Prozeßparteien 37 ff. Rechtswidrigkeit - im Prozeßrecht 42, 71 ff., 82, 94, 117ff., 122 ff., 130 ff., 178 ff., 242 ff. Rügeverzicht 68, 187 Sachgestaltung 142 Sachurteilsvoraussetzung 110, 283 Schadensersatzanspruch - aufgrund deliktischer Klagen und Prozeßhandlungen 35, 205, 300, 322 ff. -- aus Prozeßvereinbarungen 204 ff., 299 - wegen Verletzung der Pflicht zur redlichen Prozeßführung 31, 36, 205 Scheinprozeß 273 Schiedsvertrag 65 Schlüssigkeitsprüfung 283, 321 Schutzrechtsberühmung (-verwarnung) 52, 75, 111, 120, 153, 176 ff., 206, 274, 276 f., 279, 300 ff., 308 ff. Schweigepflicht - von Zeugen 121, 127, 133, 247 Sondersachgestaltung 142 f. Sprungrevision 200, 203 Streitgegenstand 40, 52, 120, 177, 201, 204, 274, 279, 291, 297, 300 Streitgenossenschaft notwendige- 29, 87, 184, 222 ff. Systemtheorie 47 Treu und Glauben - im Prozeßrecht 21, 36, 44, 63 f., 70, 79 ff., 94, 119, 174, 236 ff., 243, 251 ff. Unterlassungs-anspruch 201, 299 -klage 28, 111, 177, 201 f., 205, 221, 301, 309 Urkundenbeweis 230 ff., 247 Urkundenvernichtung 230 ff., 284 venire contra factum proprium 31, 82, 195, 232, 238 ff., 253 ff.

Verantwortungsteilung - zwischen Prozeßgericht und Vollstreckungsorgan 158 Verfahrensverträge 65 Verfassungsbeschwerde 258 f., 269 Verfügungswirkung - bei Prozeßvereinbarungen 30, 42, 66 ff., 185 ff. negative 210 f., 214 Verhaftung 125, 127 ff., 132, 147 Verhaltensunrecht 32, 85, 93, 278, 293, 307 f., 312 ff. Verhandlungsmaxime 47, 191 Verpflichtungswirkung - bei Prozeßvereinbarungen 21, 30, 67 ff., 81, 123 f., 185 ff., 250, 282 - bei Prozeßvereinbarungen mit Verfügungswirkung 30, 193 f., 199, 209 ff., 217' 282 Vertrauenshaftung 284 Verwirkung - prozessualer Befugnisse 34 f., 90, 238, 251 ff. außerprozessuale 21, 51, 124, 257 ff., s. auch Klageverwirkung Verwirkungstatbestände prozessuale 256 ff. Verzug 93, 153, 169 ff., 287 Vollstreckung - beim Fehlurteil 153 ff. - in schuldnerfremde Gegenstände 153, 163, 165, 289 f. Vollstreckungs-anspruch 161 -rechtsverhältnis 290 Vorführung 125, 132, 147 Vorläufige Festnahme 125, 132 Wahrheitspflicht 38, 43, 57 ff., 235, 238, 244 ff., 275, 278, 282, 284 ff., 299 Wahrnehmung berechtigter Interessen 85, 94, 303, 308, 310 ff. Wechselwirkungen s. Prozeßrecht Wertkategorien prozessuale 73, 119 f. Wertungsjurisprudenz 100 Widerrechtlichkeit s. Hechtswidrigkeit Widerruf - von Prozeßhandlungen 238, 256

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Widerrufs-anspruch 90, 177, 201, 299, 314 f., 316 ff. -klage 28, 200 f., 302, 316 ff. Wiederaufnahme - des Rechtsstreits 151, 286, 289 indirekte - durch Regreßprozesse gegen Sachverständige, Zeugen usw. 147

Zivilprozeßrecht dispositives 65, 191 Zivilvertragliche Nebenpflichten - und prozessuale Rechtsfolgen 85 ff., 176 ff., 183, 197' 218 ff., 227 ff., 241 ff. Umdeutung in eine Pflicht zur redlichen Prozeßführung 170, 220 ff.

Zeugenaussagen - von Schweigepflichtigen 148 ff. Zeugnisverweigerungsrecht 132, 139, 148

Zurückweisung - von Angriffsmitteln usw. Zwang unmittelbarer 282

282,287